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W. VISCHER KLEINE SCHEIFTEN.
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KLEINE SCHRIFTEN
VON
WILHELM VISCHER
WEILAND PROFESSOR DER GRIECHISCHEN SPRACHE UND LITTERATUR
AN DER UNIVERSITÄT ZU BASEL.
ERSTER BAND
HISTORISCHE SCHRIFTEN
HERAUSGEGEBEN
Dß. HEINRICH GELZER
PROFESSOR IN HEIDELBERG.
MIT EINER LITHOGRAPHIBTEN TAFEL.
LEIPZIG
VERLAG VON S. HIRZEL.
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VORREDE.
In den letzten Jahren seines Lebens trug W. Vischer, wie er
dem Unterzeichneten mündlich mittheilte, sich mit dem Gedan-
ken, die Heransgabe seiner kleinen gesammelten Schriften vor-
zubereiten. An der Ausführung dieses Vorhabens hinderten ihn
seine angestrengte Thätigkeit als Leiter des Baslerischen Er-
ziehungswesens, später seine langwierige Krankheit und der Tod.
Der Aufiforderung des Sohnes, des Professors W. Vischer,
gern entsprechend, haben nun zwei ehemalige Schüler die Ar-
beit übernommen. Sie theilten sich in die Aufgabe in der
Weise, dass der Unterzeichnete im ersten Bande die histori-
schen Schriften sammelte, während Dr. Achilles Burckhardt,
Lehrer am Pädagogium zu Basel, im zweiten Bande die archäo-
logischen und epigraphischen Schriften zusammenstellt.
Aehnlich , wie in der Sammlung von W. Wackernagels
hinterlassenen Schriften, sind auch hier die Aufsätze nicht nach
der chronologischen Reihenfolge ihres Erscheinens, sondern nach
der Innern Zusammengehörigkeit geordnet. So enthält dieser
Band zuerst die Abhandlungen über attische Geschichte (1 — 5),
dann zwei andre aus der Geschichte des übrigen Griechenlands
(6 u. 7). Die drei folgenden gehören dem Gebiete der Ver-
fassungsgeschichte und der Staatsalterthümer an (8—10). Den
Schluss der Abhandlungen bilden zwei litterarhistorische Unter-
suchungen über den geschichtlichen Werth unsrer zeitgenössi-
schen Hauptquellen für die Epoche des peloponnesischen Krie-
ges (11 u. 12) und zwei längere historische Excurse über ein-
zelne Stellen (13 u. 14). Auf die Abhandlungen folgen die
Recensionen geschichtlichen Inhalts (15 — 18).
Nicht aufgenommen in die Sammlung sind zwei kurze
Miscellen :
Die pseudoxenophontische Schrift über den Staat der Athener.
Neues Schweiz. Mus. E. 1862, S. 145—147.
Zu den der Schlacht bei Chäronea vorhergegangenen Käm-
pfen. Neues Schweiz. Mus. IIL 1863, S. 113—114. Ferner zwei
Recensionen über:
VI VOEKEDE.
W. Röscher: Leben, Wirken und Zeitalter desThukydides.
Zeitschr. für Alterthumsw. 1 843, n. 97— 101 , S. 769— 804, und über :
B. G. Niebuh r: Vorträge über alte Geschichte an der
Universität zu Bonn. Zeitschr. f. Alterthumsw. ISoO, n. 44 — 47,
S. 349—373. Für eine Reihe dieser Abhandlungen, so für »Ki-
mon«, «Alkibiades und Lysandros«, «die oligarchische Partei und
die Hetairien in Athen« lagen Handexemplare mit reichen Nach-
trägen und Berichtigungen vor. Von ganz besonderm Werthe
sind aber die Zusätze zu der Schrift »über die Bildung von Staa-
ten und Bünden«, indem hier der Verfasser das ausgedehnte
seither erschienene epigraphische Material ausgiebig benutzt hat.
Wie vresentlich diese Umgestaltungen sind, zeigen beispielsweise
die Schilderungen des phokischen, des lokrischen, des arka-
dischen, des aitolischen und des achaiischen Bundes. In den
wenigsten Fällen Hessen sich diese Zusätze, ohne den Zusammen-
hang zu stören, dem Texte einverleiben ; daher empfahl es sich,
sie einfach als Anmerkungen unterzubringen. Alles neu hinzuge-
kommene ist durch eckige Klammern ' ] bemerkbar gemacht.
Ganz neu ist der Vortrag über Epameinondas. Andre un-
gedruckte Arbeiten wird der zweite Band bringen. Eine gewiss
willkommene Zugabe wird der Stadtplan von Kerinthos sein,
welchen nach einer Skizze Vischer's sein Sohn, Herr Archi-
tect E. Vischer-Sarasin, gefertigt hat.
In der Rechtschreibung der griechischen Eigennamen hat
Vischer selbst geschwankt, indem er in einigen Schriften die
griechischen Formen ausschliesslich bevorzugte, in andern da-
neben die lateinischen gebrauchte. Für die Sammlung war eine
durchgehende Orthographie geboten, und so sind jetzt überall
die griechischen Formen hergestellt.
Mit Ausnahme einiger weniger Citate aus altern Gelegen-
heitsschriften, welche nicht mehr aufzutreiben waren , sind die
Belegstellen durchgeheuds nachgeschlagen worden. An Stelle der
frühern Ausgaben sind der Bequemlichkeit halber die jetzt ge-
bräuchlichen gesetzt worden.
Eine kurze Lebensbeschreibung wird dem zweiten Bande
beigegeben werden. Das Register hat stud. phil. E. Perino
aus Mannheim angefertigt.
Heidelberg, September 1877. TT r 1
INHALTS-YERZEICHNISS.
A. Abliaudliingen.
Seite
Kimon 1 — 52
Das Kriegssystem der Athener von dem Tode des Perikles bis
zur Schlacht bei Delion , und Demosthenes , der Sohn des
Alkisthenes 53 — 86
Alkibiades und Lysandros 87 — 152
Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen von Klei-
sthenes bis ans Ende des peloponnesischen Krieges .... 153 — 204
Untersuchungen über die Verfassung von Athen in den letzten
Jahren des peloponnesischen Krieges 205 — 238
Perdikkas II König von Makedonien 239 — 271
Epameinondas 272 — 307
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden oder Centralisation
und Föderation im alten Griechenland 308 — 381
Ueber die Stellung des Geschlechts der Alkmaioniden in
Athen 382—401
Sitzen oder Stehen in den griechischen Volksversammlungen . . 402 — 414
Ueber das Historische in den Reden des Thukydides 415 — 458
Ueber die Benutzung der alten Komödie als geschichtlicher
Quelle 459—485
Zu Isokrates Panegyricus § 106 486 — 491
Zu Polyb V, 94 . . • 492—496
Vin Inhalts-Verzeichn'iss.
B. Eeceusionen.
€. Scheibe ; die oligarchische Umwälzung zu Athen am Ende des
peloponnesischen Krieges und das Archontat des Eukleides . 497 — 51 U
Ueber die neueren Bearbeitungen der griechischen Geschichte. . 511 — 533
E. A. Freeman : history of federal government from the founda-
tion of the Achaian League to the disruption of the United
States 534—587
A. Baumeister : TopogTaphische Skizze der Insel Euboia .... 588 — 604
K I M 0 N.
[Eine Rede yehalten iini Juhresfeste der Unimrsäät zu Basel, de^i
20. Nocember 1S4G. Basel 1846.]
Wenn ich bereits voriges Jalir nicht ohne Schüchternheit
vor Ihnen anfgetreten bin, so sehe ich mich heute noch mehr
veranlasst, Sie um gütige Nachsicht zu bitten ; denn zum ersten-
mal spricht der nämliche Redner bei derselben Gelegenheit
zweimal nach einander, und begiebt sich somit des Vortheils,
den der Reiz der Abwechslung hat. Noch mehr aber als dieser
Umstand erscheint der gegenwärtige Augenblick aufmerksamer
Theilnahme an einem wissenschaftHchen Vortrage ungünstig.
Die Gemüther sind von anderen Interessen bewegt, und mir
selber hat die nöthige Sammhing gefehlt, um dein Gegenstand,
über den ich zu sprechen gedenke, die Vollendung und Ab-
rundung zu geben, die ich gewünscht hätte. Nichts desto
weniger mag es Manchem angenehm sein, den Blick einen
Augenblick von den Tagesfragen, die uns alle erfüllen, abzu-
wenden und auf einen andern Gegenstand zu richten. Und
so habe ich es gCAvagt, auch heute Ihre Aufmerksamkeit in
Anspruch zu nehmen.
Reissen wir uns also los von der Gegenwart und folgen
Sie mir noch einmal in jene Zeiten, welche dadurch auch für
uns alle einen eigenthümhchen Reiz haben, dass sie, trotz der
grössten Verschiedenheiten, doch eine Menge unverkennbarer
Analogien mit unsem vaterländischen Zuständen darbieten,
in die Zeiten der griechischen Geschichte, und zwar erlaube
ich mir Sie um ein halbes Jahrhundert weiter zurück zu füh-
ren, als das letztemal. Habe ich Ihnen damals zwei ge-
waltige Persönhchkeiten als Vertreter ihrer in der Auflösung
begriffenen Vaterstädte vor Augen zu stellen gesucht , welche
mit allem Andern von der Natur ausgestattet, nur der sitt-
V i s c U e r , Scbriften I. I
2 KiMON.
Hellen Kraft und Besonnenheit ermangelten ^ ) , so will ich
hente das ruhigere Bild zu entwerten versuchen von einem
Manne , der zwar an Genialität jenen beiden nachsteht , der
aber sein ganzes Leben der Grösse und Ehre seiner Vaterstadt
und der Eintracht des weitern Vaterlandes weihte, eines Mannes,
der zwar auch die SVandelbarkeit der ^'olksgunst erfahren
musste, aber nichts desto Aveniger unwandelbar treu blieb, der
zuletzt wieder Anerkennung i'and und, was so wenigen unter
den athenischen Helden zu Theil ward, in solcher Stellung
vom Tode betroffen wurde, dass eine fast mythische Glorie ihn
umstrahlt und sein Andenken mit Dankbarkeit und Bewunde-
rung genannt wurde. Dieser Mann ist Kimon der .Sohn des
Miltiades , zwar oft besprochen , doch nicht so , dass die ür-
theile über ihn einstimmig wären. Denn während seine Lob-
redner bereits im Alterthume ihn bisweilen übertrieben erhoben,
hat er auch das Schicksal gehabt, von Anekdotenkrämern
misshandelt zu werden, welche sich einen Namen dadurch zu
machen suchten, dass sie an grossen Männern eine Schwäche
entdeckten und der bösen Welt preisgaben; in neuerer Zeit
hat man oft nur den Feldherrnruhm anerkannt, dagegen als
Staatsmann ihm keine Geltung gelassen , ja ihn selbst als
Feind der Freiheit Athens dargestellt und ihn eitler Selbst-
verblendung bezüchtigt 2) . Betrachten wir den Mann nach
seinen Thaten.
1) Vgl. Alkibiades und Lysandros. Eine Rede, gehalten am Jahre.?-
feste der Universität zu Basel den 6. November 1S45 von Wilhelm Vischer.
Basel 1845.
2) Dies ist namentlich geschehen von Dr. Herman Büttner in seiner
geistreichen Geschichte der politischen Hetairien in Athen , dessen Urtheil
über Kimon mir ungerecht und einseitig scheint. Er sucht zu zeigen, dass
die Art und Weise , wie Kimon den Staat geleitet , keine wahre Volks-
führung gewesen sei , und spricht unter ande.-m folgendermassen S. 30 :
"In sofern aber auch Kimon von seiner Faktion sich wesentlich unterschied,
haben wir ihn richtiger als einen einzeln stehenden Herrschsüchtigen zu
betrachten , jedoch in dem Sinne , dass er weniger seine Person als seine
Ideen zur Herrschaft zu bringen trachtete.« S. 32. »Sehen wir überdiess,
anderer Vorwürfe , die man ihm machte , nicht zu gedenken , dass Kimon
nicht bloss die politischen Bestrebungen als etwas so Persönliches betrach-
tete und die Feindseligkeit gegen seine politischen Widersacher so weit
trieb , dass er nach dem Zeugnisse seines Zeitgenossen Stesimbrotos die
Hinrichtung des Epikrates bewirkte, weil derselbe dem Themistokles Weib
KiMON . 3
Kimon geliörte einem der edelsten Enpatriden^eschlecliter
von Athen an, den Philaiden, so genannt nach Phihiios, dem
Sohn oder Enkel des Telamonischen Aias ^j ; dnrch ihn führte
also auch diese Familie, gleich der des Alkihiades , ihren Ur-
sprung auf Zeus zurück. In die Geschichte tritt dieses Ge-
schlecht aber, trotz der langen Ahnenreihe, eigentlich erst im
sechsten Jahrhundert 2 . Wie jener Hippokieides, welcher un-
ter den Freiern der Fürstentochter Agariste in Sikyon zuerst
der Bevorzugte war, dann aber durch einen unschicklichen
Tanz sein Glück verscherzte, ihm angehörte, lassen wir dahin-
und Kind nachgefülirt hatte , sondern dass er in seinem eigenen persön-
lichen Wandel die alte gute Sitte, zu deren Wiederhersteller er sich auf-
warf, selbst so mit Füssen trat, dass er durch das Verhältniss zu seine;-
Schwester dem Volke M'enigstens einen ostensiblen Vorwand lieh , um ihn
zu verbannen, so wird es nach alle diesem nicht zu hart erscheinen, wenn wir
eine eitle und leidenschaftliche auf handgreiflicher Selbst-
täuschung beruhende Einbildung klüger und besser als sein
Volk zu sein, für den G r u n d z u g in K i ni o n s Charakter er-
klären. Eine wirkliche Bedeutung hat dieser Staatsmann
nur durch seine ausgezeichnete Feldhcrrn t ü ch tigkei t sicli
erworben, ein Vorzug, welcher hauptsächlich dasEigenthum
aristokratischer Männer zu sein scheint. Dagegen ist sein
politischer Einfluss nur ein äusserlicher und vorübergehen-
der gewesen und zwar darum, weil er dem sittlichen Geiste
seines Volks sich entfremdet hat.« Auf die einzelnen Punkte werde
ich im Verlauf der Darstellung eintreten und zeigen, dass eine unbefangene
Prüfung die meisten dieser Anklagen als nichtig erscheinen lässt. Mit
meiner Beurtheilung des Mannes trifft im Ganzen zusammen der »Versuch
einer Charakteristik Kimons« nach den Quellen dargestellt von Th. Lucas.
Hirschberg 1835. Ausserdem vergl. neben den grössern Geschichtswerken
den Artikel »Kimon« von Kraft in der Realencyclopädie von Pauly, und
die neuste Ausgabe von Plutarchs Biographie des Kimon von Arnold Ekker,
Utrecht 1843 mit einer ausführlichen Einleitung.
1) Pausan. I, 35, 2. II, 29, 4. Herod. VI, 35. Pherecydes bei Mar-
cellinus Leben des Thucyd. §. 3. Plutarch Solon. 10. Steph. Byz. s. v.
«PtXaioat. M. H. E. Meier de gentilitate attica p. 51. »Einige Bemerkungen
über die ältesten Bewohner Attika's, besonders das Geschlecht der Philaiden«
in der Zeitschrift f. A. W. 1843. Nr. 75 flg. von Hs.
-) Damit soll indessen keineswegs gesagt sein, dass nicht bereits früher
die Philaiden, als eines der vornehmsten Eupatridengeschlechter in Athen
in hohen Ehren und Würden standen. So finden wir Ol. XXX, 2. oder
659 V. Chr. einen Archon Miltiades, nach Pausan. VIII, 39, 3. Vgl. Pätter
Didymi Chalcenterl opuscula p. 125.
1*
4 KiMON.
gestellt.' Aber bald darauf finden A\ir die Philaiden, wie es
ibi'e adeliche Abstammung natürlich machte, nächst den
Alkmaioniden als die entschiedensten Gegner der aus der De-
magogie hervorgegangenen HeiTschaft des Peisistratos und
seiner Söhne. Durch Pferdezucht und einen olympischen Sieg
bereits hochberühmt, wiaxle Miltiades, der Zeitgenosse des
Peisistratos, besonders dadurch der Begründer der hohen Stel-
lung seiner Familie, dass er in Folge eines Orakelspruches
das Fürstenthum über den Thrakischen Chersones auf fried-
lichem Wege gewaim. In diesem folgten ihm die Söhne sei-
nes von den Peisistratiden gemordeten Ilalbbriulers K i m o n ,
zuerst der ältere Stesagoras und dann Miltiades. Dieser
durch Thatkraft, FeldheiTugabe und kühne oft rücksichtslose ^J
Entschlossenheit ausgezeichnete Mann heiTschte im Chersones
bis zum Abfall der lonier von den Persern. l>ei ihrer Wieder-
untei"v\'ei'fung musste er, der bereits früher zur Abschüttelung
des persischen Joches gerathen hatte, ilui verlassen. Mit
Mühe entkam er der verfolgenden phönizischen Flotte, wäh-
rend sein älterer Sohn Metiochos dem Feinde in die Hände
fiel. Die Schlacht bei Marathon gab ihm Gelegenheit, glän-
zende Rache zu nehmen und seinen Namen durch die schönste
^^ aff"enthat mit dem Ruhme Athens zu verbinden. So war er
der erste Mann seiner Vaterstadt. Aber sein Glück war nicht
') Herodot. VI, 127. Marceil. vita Thucyd. §. 3. Uass Hippokieides
ein Philaide war, ist nicht zu bezweifeln, hingegen bei der Verderbniss der
Worte des Pherekydes in Markellinos Leben des Thukydides über Ver-
muthungen niclit hinauszukommen. Man vergleiche die Ausleger zu Herod.
a. a. O. Schultz appar. ad annal. rer. Grsecar. spec. I. p. S. squ. Pherecyd.
fragm. 20 in den fragmenta historicorum griEcorum von Car. et Theod.
Mueller. I pg. 73. Fr. Ritter, Didymi Chalcenteri opuscula p. 12-5 und den
von ihm citirten Yömel exercitat. chronol. de setate Solonis et Croesi. Mit
der Chronologie würde am besten die Annalime Vömels stimmen, dass Hippo-
kleides und Kypselos , der Vater des ot7.i3--r,; X£p;ovT,3o'j Brüder gewesen.
Doch ist Ritters Bedenken dagegen, dass in dem ganzen Stammbaume nur
die direkte Linie genannt werde, nicht unbegründet.
■-; Miltiades, den wir gewohnt sind wegen seines Sieges bei ^larathon
nur als einen Freiheitshelden zu betrachten, hatte etwas TjTannisches in
seinem ganzen Charakter, wie es das gegenüber den angesehensten Männern
des Chersones geübte Verfahren, das Herodot VI, 39 erzählt, zur Genüge
beweist.
KiMON. 5
von Dauer. Eine raisslungene Unternehnumg ^eg;en Faros ' ,
bei der er von Unbesonnenheit und Willkür schwerlich wird
ganz freigesprochen werden können, zog ihm A'crnrtheilung zu
einer nnerschwinglichen Geldb\isse und als Folge eines liein-
bruches baldigen Tod im Gefängniss zu. »Sein Ilauptgegner,
der auf Todesstrafe angetragen hatte, w'ar Xanthippos ge-
Avesen, der später die Athener bei Mykale zum Siege führte,
der ^'ater des grossen Perikles.
Der lluhm des Hauses sollte aber nicht untergehen. Der
Sieger von Marathon hatte neben jenem Metiochos, der in per-
sische Gefangenschaft gerathen A^ar und vom grossen Könige
hochgeehrt, aber seinem Yaterlande nicht mehr zurückgegeben
wurde, noch einen zweiten Sohn hinterlassen, den ihm Hege-
sipyle, die Tochter des thrakischen Fürsten Oloros, geboren
hattet). Dieser, nach dem väterlichen Grossvater Kimon
') lieber die Unternehmung gegen Faros vergl. ausser Herodot VI,
i:32— i;i6. Ephorus bei Steph. Byz. s. v. Ilapo;. Cornel. Nep. Miltiad. 7.
Schob zu Aristid. ed. Dindorf 111, S. 572 u. 6!)1.
-; Lucas nimmt das Jahr 5U4 als Geburtsjahr Kimons an, und Arnold
Ekker (Plutarchi Cimon. Commentariis suis illustravit et de vitae hujus
fontibus disseruit Arnoldus Ekker. Trajecti ad Khenum 'mdcccxlhi) folgt
ihm. Indessen gewähren die dafür angeführten Gründe keine vollkommene
Sicherheit. Vielmehr möchte eine frühere Geburt des Kimon mehr AVahr-
scheinlichkeit für sich haben, da Miltiades bereits Ol. ih). 4 oder OB. 1,
.il6 oder 515 nach dem Chersones kam und Kimon sonst in einem für jene
Zeiten gar zu jugendlichen Alter bereits in Aeratern und Ehre gestanden
hätte. Denn bereits beim Ausbruch des Perserkriegs erscheint er als sehr
einflussreich, da sein Beispiel wesentlich für Themistokle.s Kriegsplan wirkte,
vor der Schlacht bei Plataia ist er unter den Gesandten nach Sparta, bald
nachher Mitfeldherr des Aristeides. Andrerseits nennt ihn freilich Plutarch
c. 4 bei des Vaters Tode rcz-vj lAetpav.iov und wenn auch bekanntlich der
Ausdruck (j.£ipä7.iov in ziemlich weitem Sinne gebraucht wird, so spricht
doch diese Stelle in Verbindung mit Aristid. de quatuorv. II p. 203 ed.
Dindorf dafür, dass Kimon bei des Vaters Tode noch nicht mündig ge-
wesen sei, also noch nicht 18 Jahre. Wenn Aristides aber erzählt, die
Vormünder hätten ihm wegen seiner Lebensweise das väterliche Vermögen
xä -axpiV/ nicht herausgegeben, so möchte man fragen, was für rc/.-pipa
denn dagewesen sein können, da Miltiades die Mulct von 50 Talenten nicht
zahlen konnte und also das vorhandene Vermögen conüscirt wurde , und
wenn gar der Scholiast zu der Stelle beifügt (Arist. ed. Dind. III p. 517),
er sei bis zum vierzigsten Lebensjahr unter Tutel gestanden, so leuchtet
das Verkehrte der Nachricht von selbst ein. Nehmen wir an, Kimon sej
bei des Vaters Tode im Jahre 489 oder 490, 17 Jahre alt gewesen, was
ß KiMON.
genannt, hatte in seiner Jugend sich weniger der Anshildnng
seiner Geisteskräfte, als den A'ergnügnngen gewidmet, welche
bei den jungen Athenern von Adel in r)ranch waren. Er soll
sehr leichtsinnig gelebt haben , dem Wein nnd den Franen
über Gebühr ergeben gcAvesen sein , nnd seinen \ ormündeni
viel zn schaffen gemacht haben ') . Die Knnst der Kede,
welche damals in Athen überhaupt noch wenig ansgebildet
war, das Witzige nnd Scharfsinnige nnd oft Spitzfindige,
welches später den Athener nicht immer zn seinem A cntheile
auszeichnete, waren dem Jünglinge ziemlich fremd. Doch
w^eiss er später mit Gewandtheit und Erfolg das Wort in der
Volksversammlung zu führen. Auch in der Musik soll er sich
nicht sonderlich liervorgethan haben, wenn er auch keineswegs
dieser Bildung entbehrte. Eine derbe, gutmüthige, oft etwas
wohl nicht zu viel ist, so würden wir für das Geburtsjahr 506 oder -507
setzen müssen. — Ich habe oben das achtzehnte Altersjahr als die Grenze
der Vormundschaft angenommen, weil in diesem Jahre sie wenigstens auf-
hören konnte. Doch glaube ich mit Schömann de comit. Athen, p. 78,
dass die*'lbe auch habe bis zum zwanzigsten dauern können. Ausser den
von Schömann angeführten Stellen vergleiche man noch Xenoph. Memorab.
I, 2, 4U : '/.i'jzzo.i fari "AÄy.'.ßtdoTjV -piv stxostv d-rtüv tl-zon riep'.y./.jT stt'.too-o)
[xev ovTi ea'jToü . . . Toiaos otaXs/ilfjVa!. Nehmen wir das bei Kimon an,
so könnte er also auch, wenn er bei des Vaters Tode noch unter Vor-
mundschaft stand , noch um zMei Jahre älter gewesen sein , als ich oben
vermuthete.
') Hauptstelle Plutarch Cim. 4, wo aber der unzuverlässige Stesim-
brotos aus Thasos Gewährsmann ist : S-TjaifißpoToc V 6 Baiio; zspi tov ctü-6v
öaoö -'. ypovov zw Kificuvi •je-fO'^jöiz ciTjOtv aÜTOv o'jts ao'j!ji7.T|V o'jte aXXo ti
[AdyTyp.« Töjv sÄc'j&epiojv y.ai Tot; 'EA).Tjaiv e-iyojpta^ov-ojv iv-oioa/^f^vai o£ivoTr,T6;
T£ y.ctt arojtA'jJ.ia? 'ATTr/.f,; o/.uj; ä-T,>.).dy>)o(» y.at xü) Tpo-w -oXü tö -^z^-^awi
ToO ävopoj,
«P'/OXov, a'y.oa'iiov, za [xifii^z^ arjOL^rj-K
■/.aza Tov E'jpi-iociov Hpcty.AEa.
Dass 6'^ ihm an einer natürlichen kräftigen Beredsamkeit nicht gefehlt,
beweist Plutarch c. 16, vergl. Corn. Nep. Cim. 2, dass er musikalische
Bildung besessen, berichtet sehr bestimmt der in dieser Hinsicht sehr
competente Ion von Chios bei Plut. c. 9 : a'jv&et-vTjaat 0£ xw KtfAwvi ctTjctv
ö l(uv T.avzd-'x'ji [Actpdy.tov r^y-ojv sie, 'A9Y)\a; ix Xto-j -ctpd Aaojiloovxi, xai
xöjv a-ovoÖ3v -^f/op-i^m-/ zao a-itÄTjösvxo: aaat xai acavxo? o'jx aTjOtü; l-aivciv
-O'j; rapövxa; (u; 0£^ti6x£po>^ 0£ijlicxoxX£O'jc, IxeTvov ytip 'aSeiv [asv oO cpävai
|xaÖ£rv, o'joe y.i&apiC£iv, tioXiv 0£ Tiorrjsai [.tEYdXTjv y.at -Xoucfav e-taTaa&ott.
KiMox . 7
plumpe Art machte . dass man ihn seinem Giossvater Kimon
verglich, der den Spottnamen Koalemos, Dummkopf, getragen
hatte. Allein unter dieser unscheinbaren Hülle lag eine kräf-
tige, unverdorbene Natur verborgen, welche früh mit dem Un-
glück vertraut, sich bald in glänzender AVeise l^ahn brach.
Nach der Strenge der athenischen Gesetze gegen Staatsschuld-
ner, war Kimon, dessen A'ater die Busse, zu der er verurtheilt
war. nicht zu zahlen vermocht hatte, der bürgerlichen Ehre
verlustig , ein Atime , bis er die Schuld des N'aters bezahlt
hatte. Ja eine keineswegs verächtliche Nachricht sagt sogar,
es sei das Gefängniss. Avelches zahlungsunfähige Schuldner des
Staates betraf, auf ihn übergegangen ') . Aus dieser traurigen
') Diodor. X, 29, 1: 8ti rt'j Mt"/.Tiäoou u'io; 6 Kiixcuv, TeXe'j-rfjaavTO?
Toü TTaTOÖ; ocjToO £v TT) OT,[jLoa(a ci'j/.axTy oia tö (jltj iay'jaai dy.TiJoit to fj'Si.r^fj.a,
Iva ^vOt^Tj TÖ aü)|ji,a toü -aTpö; eU ttctjv eocjtöv ei? tT|V cfu).7.-/.?,v napeoiuy.e
■/ai oiEOE^aTo TÖ öcpXirjfjLa. Unbestimmter Cornel. Nepos Cim. 1 : cum jniter
eins Ufern aestimatani populo solvere non potuisset ob eamque causam in
rmculis publicis clecessisset, Cimon eudem custodia tenebatur, neque legibus
Atheniensium emitti poterat nisi pecuniam qua pater niultatus erat so'visset.
Valer. Maxim. V, 3 Ext. 6. Justin. II, !•=>, H). Senec. Contr. VIII, 24.
Quintil. Decl. 302. Rinck und Freudenberg Quaestiones historicae in
Cornel. Nepotis vitas excell. imper. part. II, p. 2 sq. haben diese ganze
Erzählung als Khetorenerfindung unbedingt ^ erworfen und letzterer nament-
lich zu zeigen gesucht, dass in den attischen Gesetzen sich nichts nach-
weisen lasse, was auf ein solches Verfahren gegen die Kinder eines Staats-
schuldners hinweise. Allein es ist einestheils zu bedenken, dass wir die
Gesetze nur sehr mangelhaft vmd meist aus späterer Zeit kennen, andern-
theils aber zeigen doch die von Freudenberg selbst angeführten Stellen des
Demosth. adv. Androt. p. 603. 604. adv. Theocrin. 1320. 1327, dass die
Atimie und die Schuld sich vererbten. Wenn aber die Schuld auf die
Kinder überging, so führt die Consequenz darauf, dass auch das gegen
Staatsschuldner übliche Verfahren sie treffen konnte. Daher denn auch
Böckh athen. Staatshaush. I, p. 514 sagt: »so pflanzt sich also, wenn nicht
gerade, ausser einzelnen Fällen, die Gefängnissstrafe, doch die Ehrlosigkeit
auf die Kinder fort , bis sie bezahlt haben , was der Vater schuldig war,
wie unter andern Kimons Beispiel zeigt.« Suidas s. r. 'ApiaToysiTcuv sagt
geradezu , dass Aristogeiton ins Gefängniss gesetzt worden sei , weil sein
Vater als Staatsschuldner darin gestorben war, und diese Stelle ist nicht
80 verächtlich als Freudenberg meint , der sie aus Demosth. c. Aristog.
p. 787 schlecht zusammengeflickt glaubt , da vielmehr der Xame von
Aristogeitons Vater , Skydimos deutlich eine andere Quelle verräth , viel-
leicht die Kede des Lykurg. Meine Meinung ist daher die, dass wie die
Schuld des Vaters und die Atimie auf die Kinder überging, so Ursprung-
3 KiMON.
Lage zog ihn die Liebe eines reichen Atheners, Namens Kal-
lias 1) zu seiner schönen Halbschwester Elpinike . mit der er
lieh auch das Gefängniss vererbt wurde. Indess mochte die Sitte die
Strenge des Gesetzes in der Regel mildern, vielleicht auch später ein aus-
drückliches Gesetz die Folgen für die Kinder auf die Atimie beschränkt
haben. Die Erzählung Diodors und der Schriftsteller, die ihm folgen,
macht ferner sehr wahrscheinlich, dass ein im Kerker verstorbener Staats-
schuldner nicht eine regelmässige Bestattung erhielt, wenn nicht der Erbe
für ihn eintrat. Er blieb dann gleichsam auch im Tode noch dem Staate,
dem er schuldete, verpfändet. Im Allgemeinen also halte ich dafür , dass
die Uebertragung des Gefängnisses vom Vater auf den Sohn nicht im
Widerspruch mit den attischen Gesetzen sei , sondern vielmehr eine nur
durch die mildern Sitten allmählig ausser Uebung gekommene Consequenz.
Ob aber bei Kimon dieselbe eingetreten, wage ich nicht zu entscheiden,
weil damit die Erzählung, dass er nach dös Vaters Tode mit der Schwester
Elpinike in der Ehe gelebt habe, bis Kallias sie geheirathet und die Schuld
bezahlt habe, schwer zu vereinbaren ist. M. H. E. Meier de bonis damna-
torum. p. 5. Anmerkung 1 1 hält übrigens auch die Erzählung von Kimons
Haft für begründet: Cimo enini R. P. tum demum attingere potuit, cum
Callias ducta Cimonis sorore , miilctam Mittiadis patris , ob quam ßlius in
carcere tenebaiur, sohisset. [Grote history of Greece 18()2. III S. 31.5 verwirft
die Haft des Kimon und des Miltiades. Der bereits vom Brande ergriffene
Miltiades sei gewiss nicht ins Gefängniss gebracht worden da man auch
einem zu Bussen verurtheilten immer einen Zahlungstermin gelassen habe
und kein Entfliehen zu fürchten gewesen. Ueberdies sagt er, sei die Strafe
nicht zu hoch für Miltiades gewesen, da der Sohn sie habe zahlen können,
dabei übergeht er aber nur aUe alten Nachrichten, ohne sie zu widerlegen. |
' Wiewohl van Staveren zu Corn. Xep. Böckh athen. Staatsh. I,
S. 632. Kraft in Pauly's Realencyclopädie und Freudenberg a. a. ü. diesen
Kallias von dem Sohne des Hipponikos, dem Xct-/.x6->.o'JTo; unterscheiden
wollen, so stimme ich doch M. H. E. Meier de bon. damn. 122 und Kinck
prol. zu Roths Aemil. Probus bei, dass es der nämliche sei. Die Aus-
drücke des Corn. Nep. non tarn yenerosus quam pecxniosus und des Plutarch
Tör; eÜTTOj^ojv xi; können auf diesen Kallias wohl bezogen werden, und die
Worte des Dio Chrysost. LXXIII, §. 6 ö Kt[Aajv aTiixo; r,v äv tov ö-^jm-^
/povov, ei |j.Tj TTjV äoeX'iTjV 'E/.-tvtv.T^v i'izwr/.S'i ävoot Tareivio y.'/l -/pT,ij.aTot v/oni
tragen ein zu rhetorisches Gepräge, als dass darauf Gewicht zu legen wäre.
Diseria testimonia wie Freudenberg sagt sind das durchaus nicht. Der-
selbe bemerkt, der KaUias Xa-/--/.o-Äo>jTos habe seine Reichthümer nicht aus
Bergwerken gezogen, was vom Schwager des Kimon Cornel. Nepos berichte.
Allerdings erzählen die Schriftsteller verschiedene Geschichten, die aber,
wie schon Böckh a. a. O. bemerkt, einem Mährchen zur Erklärung des
Beinamens Xc.-/.-/.o-/.o'jtoc gleichen. Mögen sie aber auch theilweise wahr
sein, so schliessen sie die Bergwerke nicht aus, die uns bestätigt werden
durch Xenuph. de vectig. IV, 15: eyeveto os -/.ext '\--jj'Ay.w zca-z.ö'Zi^j. dvoparooa
KIMo^ . 9
bis dahin in einer nach athenischen Gesetzen erlanhten Ehe
gelebt zn haben scheint. Kallias bot ihm an , die ganze
Summe von 50 Talenten zn bezahlen, wenn er ihm die
Schwester znr Frau gebe ; dass Kimon es that. darf iins nicht
befremden bei den laxen l^egriffen. welche in Athen hinsicht-
lich der Ehe galten, nm so weniger Avenn richtig ist. dass er
sie nur geehelicht hatte . weil sie zuvor Avcgen ihrer Anuuth
keinen ihres Standes Aviirdigen Freier gefuiulen hatte ' . und
überdies tilgte er dadurch den Makel, der dem Namen des
Katers noch anklebte. So Avard er nun Avieder ehrenfähig.
Trotz jenes angeblichen schlechten Ivufs muss utiu Kimon
bald unter seinen Altersgenossen einen bedeutenden Einfiuss ge-
Avonnen habendi, den er mit eben so viel Einsicht als Selbstver-
läugnung zur Rettung der bedrohten Heimat auAvandte. Jener
Feldzug. der durch die Schlacht bei Marathon seine Entschei-
diuig gef\nidcn hatte, Avar nämhch nur das Vorspiel grösserer
Gefahren für Hellas gcAvorden. Der unerAvartete Widerstand
des gering geachteten freien \ olks hatte den Ingrimm des
orientalischen Herrschers Dareios niu' vermehrt, und nach
-/.ara tov aÖTov xpoTTOv tojtov ,i. e. £v xoTs äpY'JfJtoic) d7C0£00(j.eva o. Trpoas'-pspe
[Aväv axüJfi TYj; Tjii.£pa;. Es ist nicht zu bezweifeln, dass A^'ie der Sohn
Hipponikos, so bereits der Vater Kallias einen Haupttheil seines Einkommens
aus Borgwerken zog.
') Plutarch. Cim. 1. Cornel. Nepos 1 erzälilt, Kimon hal)e zuerst sich
geweigert und erst auf das Verlangen der Elpinikc selbst, die den Sohn
des Miltiades nicht habe im Kerker lassen Avollen , nachgegeben. Ueber
das ganze Verhältniss zu Elpinike vgl. Lucas S. 25. Freudenberg a. a. O.
S. 5. Nach einigen hätte gar keine Ehe stattgefunden, sondern ein uner-
laubter Umgang. Dem mag nun aber gewesen sein wie es will , so fällt
dies Verhältniss in die erste Jugend des Mannes und es ist also sehr un-
billig, Avenn Büttner S. 32 sagt, Kimon habe die alte gute Sitte, zu deren
Hersteller er sich aufgeworfen, selbst mit Füssen getreten. Vgl. Meier de
bonis damn. p. 5. A. 11.
2) Lucas setzt auch sein Wetteifern in Olympia mit Themistokles,
dessen Plutarch Them. 5 erwähnt, bereits in diese Zeit, und allerdings
scheint Plutarch es so zu meinen, da er sagt : ö oe \).r^-m Yva)pt|J.o? •{ZlmÖK,
dXXd vcal 007C(üv e? O'jy 'jrapyovTtuv zap' d;iav e-atpes&at rpoatu'fXiaxavcV
äXaCoveiaV; was für Themistokles nur auf die Zeit Aor den Perserkriegen
passt. Auffallend ist es aber, Avie Plutarch, ohne den Zeitunterschied
hervorzuheben, damit den Sieg, den Themistokles als tragischer Chorege
Ol. 75, 4 nach den Perserkriegen gewann, verbindet.
10 KiMON.
seinem Tode sah der 8ohn Xerxes sich durch die Stimmung- der
Perser genöthigt gegen seine Neignng den Krieg \on neuem
aufzunehmen. Wenige Männer in Griechenland sahen das Un-
gewitter kommen, unter diesen wenigen am klarsten der Athe-
ner Themistokles, an Genialität, Entschlossenheit und J hatkraft
von keinem griechischen Staatsmanne aller Zeiten überirofFen,
von Avenigen erreicht. Er erkannte, dass die Widerstands-
fähigkeit Griechenlands nur auf den Schiffen zu suchen sei und
bereitete Athen dazu vor; er deutete das Orakel von den höl-
zernen Mauern nicht auf eine schlechte Holzbefestigung der
Stadtburg , sondern auf die Trieren und forderte seine Mit-
bürger auf, Haus und Land zu verlassen und sich dem Meere
anzuvertrauen. Es Avar ein gewaltiger Entschluss, den ein
ganzes ^'olk zu fassen hatte, doppelt bewundernswerth bei den
religiösen Begriffen der Griechen , deren Götter sich an be-
stimmte üertlichkeiten knüpften. Kein Wunder, dass der
Rath nicht sogleich Eingang fand. Wundererscheintingen
mussten erst den Athenern zeigen, dass die Götter selbst ihre
Sitze verliessen , und das Beispiel edler Männer das A'olk zur
Aufopferung entflammen. Hier hat vor Allen Kimon gewirkt.
Er, dessen ^ater Miltiades noch den Plan des Themistokles,
eine Flotte zu gründen , bekämpft haben soll \ , der selbst
seiner ganzen Stellung nach zum Nebenbuhler des Themistokles
berufen war, schloss sich zuerst diesem an. Während die
Masse noch erschrocken und unentschlossen war, sah man ihn,
den ritterlichen Sprössling eines Geschlechts, das sich durch
Pferdezucht längst in ganz Griechenland berühmt gemacht
hatte, eine kräftige hohe Heldengestalt, mit lockigem, reich-
lichen Haare, von seinen Freunden begleitet, heitern Antlitzes
die Burg hinansteigen . um einen Pferdezaum , den er in den
Händen trug, der Göttin als Geschenk zu weihen. Denn jetzt
sei mit der Reiterei nichts auszurichten , sondern nur mit der
Seemacht 2 . Dann nahm er einen von den der Göttin geweih-
ten Schilden und stieg zum Meere herunter. Der schönste
Erfolg belohnte die Aufopferung des athenischen Volkes.
Griechenland Avar gerettet. Athen erhob sich aus seiner Asche
*) Plut. Them. 4. Autorität ist freilich der unzuverlässige Stesimbrotos.
2) Plut. Cim. 5.
KiMON. 11
ZU einem neuen Leben, verjüngt trat es an die Spitze derjeni-
gen Jlellenen, welche den Krieg mit Persien fortführen und
Freiheit bringen \\ oUten. so weit die griechische Zunge reichte ;
Theraistokles , Aristeides, Xanthinpos hatten jeder an seinem
Phitze mit Hintansetzung aUer ])ersönlichen Eifersucht, ihre
Mitbürger zu den Siegen geführt und ihre A aterstadt auf die
holie Stufe gebracht, auf Aveh-her sie nach dem Rückzuge der
Ferser. nach ihren Niederlagen bei l'lataia und ^lykale stand.
Der jüngere Kimon hatte den Ruf glänzender Tapferkeit ge-
wonnen.
In Folge dieses A'ertheidiguugskriegs gegen Persien ge-
Avinnt nun aber bald die Geschichte Griechenlands und na-
mentlich Athens eine neue Richtinig. Nachdem die nächste
Gefahr beseitigt Avar, kam es darauf an, durch VereinigTing
der Kräfte eine entschiedene Fortsetzung des Kampfes mög-
lich zw machen, die Macht l*ersiens in ihrem eigenen Lande
anztigreifen und Griechenland gegen künftige Angriffe zu
sichern. Zuerst hatte S])arta die Leitung dieser Aufgabe über-
nommen ; in der ersten Regeisterung nach dem Siege bei Pla-
taia Avar der A'ersuch gemacht AAOrden auf der Grundlage der
bestehciulen A erhältnisse eine allgemein griechische P)undes-
genossenschaft zur Fortführmig des Krieges zu organisiren i) .
Allein die A'erhältnisse hatten sich zu sehr Aerändert, als dass
das schAverbeAvegliche, dem Seekriege nicht geAvachsene Sparta
an der Spitze des gesammten Griechenlandes hätte bleiben
können , und eine erfolgreiche Kriegführung ohne kräftige,
mächtige Oberleitung Avar eine Fnmöglichkeit. Diese fand
sich bald in Athen, das durch seine Verdienste im Perser-
kriege jetzt auf die erste Stelle kühn Anspnich machen konnte.
Die Unabhängigkeit Aon der spai'tanischen Hegemonie und die
Rildung eines Rundes der Seestaaten unter seiner Leitung,
um zunächst den Kampf gegen Persien fortzusetzen, waren
das Ziel, Avelches das athenische Volk, von seinen grossen
') Plut. Arist. 21. Thucyd. III; HS. Ein ganz neues Bündniss wurde
auf dem Schlachtfelde \'on Plataia nicht geschlossen, sondern nur die be-
stehende Bundesgenossenschaft unter Sparta's Hegemonie und vertreten
durch das -/.o'.vöv -vyt T//."/.tjvujv cjveooiov enger geknüpft und zur Fortsetzung
des Krieges organisirt. Vgl. K. F. Hermann Lehrb. d. gr. Staatsalt.
§. '-iö, 6. 7. Schömann antiq VI §. 30. p. 427.
1 2 KiMox .
Männern geleitet, jetzt mit Beharrlichkeit und Erfolg anstrebte.
Themistokles gebührt der Kuhm. seiner Vaterstadt durch
schnelle Befestigung eine unabhängige Stellung gesichert zu
haben; die Gründung der Bundesgenossenschaft war vorzugs-
weise das Werk des besonnenen Aristeides; ausgebildet, be-
festigt und zum siegreichen Kampfe gegen die Barbaren ge-
führt aber hat sie Kimon^ . dessen Bestreben schon jetzt
darauf ging, die Griechen zum gemeinsamen Handeln gegen
aussen zu vereinigen und dadurch die ZA^•istigkeiten im In-
nern zu verhindern. Schon vor der Schlacht bei Plataia war
er mit imter den Gesandten gewesen, welche die Spartiaten
zu thätigem Handeln auffordern sollten 2 . Nach der A'er-
nichtung der Perser finden wir ihn bald neben Aristeides an
der Spitze der attischen Flotte ^) . Seine Tapferkeit und sem
freundliches einfaches Wesen hatten ihm die Gemüther ge-
wonnen , und der einflussreiche Aristeides schenkte ihm sein
ganzes Wohlwollen. Den Oberbefehl führten aber noch die
Spartiaten. Denn obgleich sie nach der Schlacht bei Mykale
zuerst in die Heimat zurückgekehrt Avaren und den Athenern,
nebst den von den Persem abgefallenen Bundesgenossen die
Erobervmg der festen Stadt Sestos überlassen hatten, trat bald
1) Damit soll natürlich nicht gesagt sein , dass diese drei Männer sich
auf die angegebenen Punkte beschränkten. Wie bekanntlich Aristeides
l)ei der Befestigung Athens dem Themistokles hülfreich zur Seite stand
(Thucyd. 1, 91;, so war auch Themistokles, der Athens Seemacht be-
gründet hat, bei der Einrichtung der Bundesgenossenschaft thätig. Dai-auf
weist unter andern Plutarch Them. 21, obwohl er auch Ungehöriges her-
beizieht, wie Sintenis zu der Stelle mit Hinsicht auf Andres richtig be-
merkt hat.
2) Plut. Arist. lü. In dem Psephisma waren als Gesandte Kiraon,
Xanthippos und Myronides genannt, nach Idomeneus wäre Aristeides .selbst
nach Sparta gegangen. Kimon wurde also bereits damals den ersten und
bewährtesten Männern an die Seite gestellt, und da die genannten sämmt-
lich in diesem Jahre Feldherren waren (von Myronides sagt es Plutarch
Aristid. 2U), so ist nicht unwahrscheinlich, dass Kimon selbst auch dies
Amt bekleidete. Dass es nicht ausdrücklich berichtet wird, darf uns nicht
auffallen, da die meisten Schriftsteller nur kurz den Aristeides als Befehls-
haber des Landheeres , Xanthippos als Flottenführer nennen, und von den
acht Uebrigen nur zufäUig Leokrates und Myronides von jPlutarch a. a. O.
bezeichnet werden.
3) Im Jahre 477, Ol. 7574. Thucyd. I, 94. Plut. Arist. 23. Cimon. 6.
Vgl. Krüger bist. phil. Studien S. 37.
KiMox. 13
darauf Aviotler der Sieger von Plataia Paiisanias an die Spitze
der ]5undesllotte, vertrieb die Perser ans einem grossen Theile
der Insel Cypem und wandte sich dann nach dem Hellesponte,
lim Europa gänzlich zu befreien. Denn noch hatten die Per-
ser nebst andern Punkten das ^^ichtige Byzanz und das feste
Eion am Strymon inne. Byzanz wurde glücklich erobert, aber
anstatt den Sieg mit Nachdruck zu verfolgen, setzte Pausanias
sich dort fest, behandelte die vom persischen Joche befreiten
Byzantier wie Knechte und spielte die Rolle eines persischen
Satrapen. Zugleich trat er schon jetzt in verrätherische Ver-
bindung mit dem Feinde. Die von dem Perserjochc befreiten
Griechen, welche nicht gesonnen waren nur den Herrn zu
Avechseln , ertrugen diese Behandlung nur unwillig , und
wandten sich daher mit Klagen an die Athener, die überdies
den meisten von ihnen als lonier näher standen und weit mehr
Schiffe als die sämmtlichen Peloponnesier bei der Flotte hat-
ten ' . Die Befehlshaber der Athener , Aristeides und Kimon
wiesen die Klagen nicht ab, versprachen vielmehr denselben
abzuhelfen und berichteten nach Sparta. Die Spartiaten be-
riefen den Pausanias zur Untersuchung nach Hause 2) . Allein
bereits war es zu spät geworden. Da selbst des Aristeides
Vorstellungen schnöde von dem OberfeldheiTii aufgenommen
wurden, da eine edle byzantische Jungfrau Kleonike als Opfer
seiner Lüste gefallen war, brach der allgemeine Unwille in die
That aus '■' . Die Bundesgenossen kündigten ihm sämmtlich
•) Die Athener hatten dreissig, die Peloponnesier nur zwanzig Thuc.
a. a. O. Diodor XI, 44 sagt freilich : outo; os -£vTT,-/trjvTa (xev xptYjpsi; i'f-
n£Xo-ovvr,30'j Xa(jtt)v, Toiav.ovTa 0£ Ttap' 'AOrjvxituv (i.£Ta-£(j.'iiaiAEvo;. In gewöhn-
licher Nachlässigkeit hat er zuerst die peloponnesischen und attischen
Schiffe zusammen mit den bloss peloponnesischen verwechselt.
■i, Thucyd. I, 94. Plut. Cim. (j. Arist. 23. Diod. XI, 44.
3j Plut. Cim. 6. Pausan. III, 17, 8. 9. Pausanias soll bis an seinen
Tod von der Erscheinung des Mädcliens verfolgt worden sein und umsonst
bei den Todtenorakeln von Phigalia in Arkadien, wie Pausanias, von Hera-
kleia, wie Plutarch erzählt, Hülfe gesucht haben. Mit Kecht bemerkt der
neuste Herausgeber Arnold Ekker zu Plutarch a. a. O. dass unter Herakleia
nicht an die 'Hf-ay.Xsta 6o6; am Avernussee in Campanien zu denken sei,
aber eben so unrichtig versteht er Herakleia an der Propontis oder Perin-
thos. Allerdings nennt Ptolemäus III, 11, 6 Perinthos auch Herakleia,
allein darum wurde es doch nicht so ohne nähere Bezeichnung bloss
Herakleia genannt, vielmehr ist das pontische Herakleia gemeint, wo auch
] 4 KiMON.
den Gehorsam auf) und stellten sich unter den Befehl Athens.
Der an Pausanias Stelle von Sparta ausgesandte Dorkis wurde
abgewiesen, und Sparta verzichtete halb freiAviliig , halb ge-
zwungen auf die Oberanführung 2) . Den persönlichen Eigen-
schaften des Aristeides und Kimon verdankte Athen, nebst
dem frevelhaften Benehmen des Pausanias , das schnelle und
friedliche En-ingen der Oberleitung. Denn neben ihrer aner-
Xenoph. Anab. VI, 2, 2 einen Achevusischeu Chersones erwähnt und wo
der Sage nach Herakles in die Unterwelt gegangen war , um den Kerberos
zu holen. Vgl. Strabo XII, p. 542 C. [Das Richtige auch bei O. Müller.
Prolegomeua z. e. wissenschaftl. Mythol. S. 36H.1
') Plutarch Aristid. 23 und Cim. G erzählt die Sache, als ob die
Bundesgenossen jetzt schon den Pausanias aus Byzanz vertrieben hätten.
Dagegen spricht aber Thukydides I, 95 sehr bestimmt nur von einem Ueber-
gehen der Bundesgenossen unter den Überbefehl der Athener, 5'jv£,3y] -z
aüxtji -ytaXEiGrlat xe ö.\).n. v.al to'j; gyfifjiayj^O'j; tüj iy.sivo'j i/%ti r.o.^^ A%r^')a\.o'Ji fxExa-
Tä;aai}ai -Xy)v xwv ä-ö risÄo-ovvTjao'j axf^axtwtujv. Da Plutarch Cim. 6 den Aus-
druck i-iC-oÄiopxeiv hat, den Thukydides I, 131 gebraucht wo er erzählt, wie
später Pausanias , da er ohne Amt in Byzanz verweilte, von den Athenern
vertrieben wurde, so ist sehr wahrsclieinlich, dass er die zweite Entfernung
des Pausanias aus Byzanz oder seine Vertreibung durch die Athener mit
dem Abfalle der Bundesgenossen und der Abberufung des Feldherrn nach
Sparta verwechselt. [Die Erzählung Plutarchs, dass Ai-isteides das Bandes-
heer zu einem beleidigenden Schritt gegen Sparta gereizt habe , verwirft
Grote IV, p. 16 mit Recht.]
2) Man thut gewiss Unrecht, wenn man glaubt, die Spartiaten hätten
durchaus unfreiwillig auf die Hegemonie in der Fortsetzung des Perser-
krieges verzichtet. Ein grosser Theil derselben sah den Aufenthalt der
Feldherrn und Bürger in der Fremde für verderblich an und war desshalb
mit dem Zurücktreten zufrieden. Thukydides spricht sich darüber I, 95
sehr bestimmt und gewiss unbefangen aus : xal o/J-o-j; o-j-/. Ixt uaxspov
d^eTrefJiiaN ol Aax£Oai[AÖvtot cfofio6jj.;voi (x-?j s'-pistv ot ^;i6vx£? y_£tpo'j; ■^[•(u*a^-zi\,
oirep xal bt xw Ila'jaavia ^veioov , d7:aXXa|£iovXii o£ xal xoO MrjOfjCOJ — oXeLto'j
xal xo'j; 'Ai}Tjvaio'j; voij.i!^ov-£; ly.avoü; e^TjYsTa&at zai acpbiv ev xüj tote s-ityj-
?j£io'j;. Damit vergleiche man, was Xenophon Hellen. XI, 5, 34 die sparta-
nischen Gesandten in Athen sagen lässt : ävaixi;j.v'/]T/.ovx£; 0£ oj; 'Ailr^vaiot
x£ 'jTio xüjv E/./.'fjvo)v •/■jp£i}if)37.v '/)Y£[x6v£; xoü va'jxivcoO "/.Ott xtuv y.citvöjv yprjixaxiuv
ouAaxE; xtüv Aa7.£oai[j.ovicuv xaüxa a'j[x^o'jX&ij.svujv. Man muss dabei nur daran
denken, dass die Lakedaimonier in dem Zurücktreten von der Leitung des
Perserkriegs gar nicht ein gänzliches Aufgeben ihrer Hegemonie sahen,
sondern nach wie vor eine allgemein hellenische Symmachie als bestehend
annahmen und sich selbst als deren Hegemonen betrachteten. Erst mit
dem dreissigj ährigen Frieden veränderte sich das. Vgl. Alkibiades und
Lysandros S. 10.
KiMON . 1 5
kannten Feldherrntüclitigkeit hatten sie durch Gerechtigkeit
und bilHges , entgegenkommendes Wesen die Bundesgenossen
gewonnen. Die strenge Ordnung und unermüdliche Dienst-
bereitwilligkeit, welche bei den athenischen Truppen herrsch-
ten, bildeten einen wohlthätigen schroffen Gegensatz zu dem
hochmüthigen Benehmen der Spartaner , die überall von Paii-
sanias bevorzugt wurden. Die Organisation der IJundesgenos-
senschaft, die Festsetzung der Contingente an Schiffen, an
Mannschaft und Geld, die Einrichtung eines liundesschatzes
und die Niedersetzung einer Schatzbehörde, grösstentheils durch
Aristeides, befestigten das in Byzanz Gewonnene.
Kimon aber w^ar es vorbehalten , die also organisirten
Bundeskräfte zum Siege gegen die Perser zu führen und zu-
gleich die Grundlage der Herrschaft Athens, die sich aus jenem
Bunde entwickelte, zu legen. Zunächst griff er den bedeu-
tendsten Platz an, den die Perser in Europa noch behaupteten,
die Hafenstadt Eion an der Mündung des Strymon in Thra-
kien. Der tapfere Befehlshaber Boges vertheidigte sie, so
lange als die Lebensmittel ausreichten , dann zündete er die
Stadt an , versenkte alles Geld und alle Kostbarkeiten in den
StrNTnon und tödtete sich und die Seinigen. Kimon erhielt
einen Trümmerhaufen '; aber der Ort war wegen seiner Lage
von grosser Wichtigkeit, um auf Thrakien und Makedonien
einzuwirken , besonders bedeutend auch für Athen wegen des
Holzreichthums jener Gegenden. Darum riihten die Athener
nicht bis sie in der Nähe von Eion , nach mehreren unglück-
lichen Versuchen die Stadt Amphipolis gegründet hatten. Nach
1) Ueber die Vertheidigung und endliche Eroberung Eions vgl. Herod.
YLl, 107. Plut. Cim. 7. Polyaeu. \^I, 24. Aeschin. in Ctesiph. §. 183 ff.
Pausan. VIII, 8, 9. Die Erzählung des Letztern, Kimon habe, wie später
Agesipolis bei Mantineia , die Mauern von Eion , die aus ungebrannten
Backsteinen gebaut gewesen seien, durch dagegen geleitetes "Wasser zerstört,
möchte ich nicht mit Lucas S. 29 Anm. 17 geradezu verwerfen, da sie
sich mit der Angabe des Herodot verträgt, obgleich dieser allerdings nichts
davon sagt. Eion mochte sowohl durch die Beschädigung der Mauern als
durch -Mangel an Lebensmitteln unhaltbar gewoi-den sein , als der helden-
müthige Boges die Stadt anzündete und sich und die Seinigen tödtete.
Auch die Hermeninschrift , welche den Hunger erwähnt , sagt allerdings
von dem Wasser nichts. Die Eroberung von Eion fällt in das Jahr 476,
vgl. Krüger histur. phil. Studien S. 39.
16 KiMox.
Eions Eroberung wendete sich Kimon gegen Skyros. Auf
diesem im ägäischen Meere gelegenen Eilande Avohnte damals
ein der Entwicklung der Hellenen ziemlich entfremdeter Stamm,
die Dolo per, welche durch Seeräuberei berüchtigt Avaren. Es
ist bekannt, wie zu allen Zeiten auf den Inseln des griechi-
schen Meeres Avegen der zahlreichen Schlupfwinkel , die sie
darbieten, die Piraten gerne sich einnisteten und von Minos
bis in die neuesten Zeiten bedurfte es einer kräftigen Hand,
dem Meere die für den Handel nöthige Sicherheit zu gewäh-
ren. Den Athenern, deren Rheder damals den grössten Theil
des Handels im ägäischen Meere betrieben , konnte es nicht
gleichgültig sein , wenn Räuber die See beunmhigten , ihre
Seeherrschaft, die sie bereits offen ansprachen, erschien über-
dies dadurch beeinträchtigt. Es konnte daher ihnen nur er-
wünscht sein , als die delphische Amphiktyonie , wegen lläu-
bereien luid anderer Gewaltthätigkeiten , die an thessahschen
Kaufleuten verübt worden waren , den Dolopern eine Geld-
strafe auferlegte , und da sie diese zu zahlen sich Aveigerten,
dem Kimon Anlass gab , mit seiner Flotte die Insel anziigrei-
fen ^) . Er eroberte dieselbe, machte die Bewohner zu Sklaven ^)
und sandte an ihre Stelle athenische Colonisten Kleruchen).
So hatte jetzt Athen am Str}-mon und auf einer Insel des
ägäischen Meeres festen Fuss gefasst, hier hatte es nun nicht
blos Bundesgenossen , sondern eigenen Besitz , von dem aus
es seine Macht bald weiter verbreitete. Doch waren diese
beiden Plätze ohne irgend eine Beeinträchtigung der Bundes-
genossen, vielmehr unter ihrer Mitwirkung und auch zu ihrem
Vortheile genommen Avorden 476 . Es hatte aber die Er-
oberung der Insel noch eine zweite, religiöse Bedeutung.
'j Plut. Cim. 8. Diod. XI, 60. Die erste Veranlassung scheint nicht
von Athen ausgegangen zu sein , da thessalische Kauffahrer geplündert
worden waren und bei den Amphiktyonen klagten. Nach Plutarchs Er-
zähhing haben die Käuber selber den Kimon herbeigerufen und ihm die
Stadt überliefert, weil das Volk ;ot tto/.Xoi) nicht die Busse zahlen, sondern
ihnen , den Thätern auferlegen wollte. Es lässt sich aber denken , dass
Athen die Gelegenheit gerne benutzte sich in Skyros festzusetzen.
-) Thucyd. I, 98 : l-ei-a Sy-Opov xtjv ev tw Aifauo vfjaov TjV wko'jv Ao/.ottj;
r,vOfja7:6otoav 7.ai wv.taav aOtoi. Ungenauer Plutarch a. a. O. xo'J; Aö/.ora;
dIfjXaae, das aber nicht im Widerspruche mit Thukydides ist, da die zu
Sklaven gemachten Bewohner ausser Landes geführt wurden.
KiMON. 1 7
Auf ihr war einst der Heros des Ionischen Stammes in Athen,
T h e s e u s , der für den Stifter der Demokratie galt, gestorben
und begraben worden. Ein Orakel hatte den Athenern,
welche Abhülfe gegen eine Seuche suchten ^ i , geboten , seine
Gebeine nach Athen zu biingen. \nid Kimon war so glücklich
oder klug, von einem Adler angeleitet, den Hügel zu ent-
decken, welcher sie barg. Ein riesiger Leichnam nebst eher-
ner Lanze imd ScliAvert wurde ausgegraben und unter grossem
Gepränge nach Athen gebracht ^ , wo dem Theseus ein Heihg-
') "Wegen einer Seuche Xo'.[x6;, und nicht Hungersnoth Xt(xo;. Schol.
zu Aristoph. Plut. 627: Xot[x(u;avTc;, und i.u Aristid. p. 2G7 ed. Frommel,
der aus dem Leid. Cod. Xot,aö; aufgenommen hat. [Die Ausgabe Dindorfs
hat Xiij-ov. III pg. 6SS\ Letztere Lesart /.iiao;, welche so oft neben Xotfxoc
in den Handschr. sich findet und bekanntlich nach Thukydides II, 54 schon
zur Zeit des peloponnesischen Krieges in einem Orakel als Variante vor-
kam, geben zwar einige Handschr. auch hier an beiden Orten und Scholl
in dem Leben des Sophokles hat darauf den ganzen InhaU der Tragödie
Triptolemos construirt. Allein K. Fr. Hermann hat in der Kecension des
Schöir sehen Buches, Berl. Jahrb. 1S43 S. 554. 555 überzeugend dargethan,
dass Äot[j.o; und /.oiii.a);av-£; das richtige sei, da Aeneas von Gaza, der
älteste Zeuge, das ganz unzweifelhafte I-siot, ivoao'jv hat, »zu geschweigen,
dass das plötzliche Aufhören des Uebels, worin alle Gewährsmänner über-
einstimmen, eben so wohl wie seine lange Dauer weit eher zu einer Seuche
als zu einer Hungersnoth passt.« Aehnlich bereits Krüger hist. phil.
Studien S. 42. 43.
■-) Ueber diese Zurückführung der Gebeine des Theseus Plut. Cim. S.
Theseus 36. Schol. zu Aristoph. Plut. 627, zu Aristid. III ]). 68S. Paus.
I, 17, 6. III, 3, 7. Dieser erzählt an der letztern Stelle, die Auffindung
der Gebeine des Theseus sei nach einem Orakel die Bedingung der Er-
oberung von Skyros gewese« , und lässt sie daher derselben vorangehen.
Es hat indess bereits Krüger hist. phil. Studien S. 43 mit Recht bemerkt,
dass die Eroberung der Insel so leicht von Statten ging, dass sich die
Befragung des Orakels kaum dadurch erklären lässt. Was die Zeit anbe-
trifft, so sind darüber die Angaben abweichend, indem bekanntlich gewöhn-
lich die Zurückführung von Theseus Ueberresten mit dem tragischen "Wett-
kampfe des Aischylos und Sophokles verbunden und ins Jahr 46S , also
7 — 8 Jahre nach der Eroberung von Skyros gesetzt wird , und diese An-
nahme, die sich hauptsächlich auf Plutarch stützt , hat Lucas S. 32 An-
merk. 21 zu rechtfertigen getrachtet. Indessen sind seine Gründe durchaus
nicht überzeugend, namentlich lassen die von ihm zu diesem Zwecke ange-
führten Worte Plutarchs -o'/J.f^ citXott[jLia to'j cr,7,o5 |j.6yi; £;£'jp£fHvTo; sich
schwerlich so deuten, dass die Athener mit grossem Eifer 7 Jahre lang
das Grab des Theseus gesucht, sondern passen weit eher zu einer bald auf
die Eroberung folgenden Auffindung. Vielmehr hat Krüger hist. phil.
Vischer, Schriften I. 2
1 8 KiMON .
thum errichtet wurde , welches nach der geAVÖhnlichen Mei-
nung noch heutzutage steht, als einer der am besten erhalte-
nen Tempel des alten Athen. Doch ist dieses Theseion, das
von den Christen später dem heiligen Georg geweiht wurde,
in neuester Zeit von einem ausgezeichneten Archäologen mit
gewichtigen Gründen dem Theseus abgesprochen und für einen
Arestempel erklärt worden^ .
Diese dem vaterländischen Gefühle der Athener schmei-
chelnde Handlung , welche zugleich Bürgschaft für fernere
Wohlfahrt sein sollte, trug wohl nicht viel weniger zu Kimons
Ansehen bei, als die Eroberung von Eion. Wie hoch aber
diese geschätzt ward, bezeugen die Ehren, die den Siegern zu
Theil wurden. In der sogenannten Hermenhalle ■niirde ihnen
gestattet drei Hennen aufzustellen mit Inschriften die ihre
That verkündeten 2 . Und obwohl kein Name darauf war, so
galt es doch in jenen Zeiten, wo die That des einzelnen Bür-
gers als dem ganzen Volke angehörig betrachtet wurde , für
unerhört. Kimon stand jetzt bereits den ersten Männern
Athens , dem Aristeides und Themistokles gleich an Ansehen,
und zwar nicht mehr bloss im Felde, sondern auch im Staate.
Wie nämlich in jenen Zeiten die hervorragenden Staatsmänner
noch sämmtlich auch zugleich Feldherrn waren, und der krie-
gerische Ruhm in der Regel die Laufbahn des Staatsmannes
eröffnete, so macht jetzt Kimon sich auch in der Heimath bald
unter den Lenkern des Gemeinwesens bemerklich. Während
der Persemoth waren die Parteiungen verschwunden , indem
Studien S. 39 — 45 evident dargelegt, dass die Zurückführung der Gebeine
in das gleiche Jahr wie die Eroberung der Insel falle, und der Grund der
entgegengesetzten Angaben in einer Verwechslung der Archonten Phädon
und Apsephion zu finden sei. [Grote hist. of Gr. IV p. 5S meint , das
Orakel sei schon 47G gegeben wurden , die Insel erst 470 erobert und die
Gebeine 469 zurückgebracht — sehr unwahrscheinlich.^
') Bekanntlich hat Ludwig Ross diese Meinung aufgestellt zuerst in
der 1838 in Athen erschienenen Schrift t6 Stj^sTov -/.at 6 vaö; toö "Ap£oj;,
welche ich nur aus Anzeigen kenne. Damit vergl. desselben Gelehrten
Hellenika zweites Heft, Halle 1846 S. 80 Anm. 11. Gegen ihn unter An-
dern E. Curtius in Gerhards archäol. Zeitung 1. Band S. 97 ff. und der
von diesem angeführte Ulrichs in den Annali dell' Instituto 1842 p. 74 ff.
2) Aeschin. in Ctesiph. §. 183. Plutarch Cim. 7. 8. Kraft, in der
Realencyclopädie Artikel Kimon , nennt diese Inschriften mit Unrecht
prahlend.
KiMOX. 19
ein gemeinsames Ziel Alle vereinigte. Aristeides selbst, ob-
gleich kein Freund der extrem-demokratischen Richtung, hatte
nach der Schlacht bei Plataia die Ungleichheit, welche noch
ZA\4schen der letzten Censusklasse der Theten und den drei
obern herrschte, gehoben, er hatte das Archontat allen ehren-
fähigen Athenern eröffnet , und somit die demokratische Ent-
wicklung, welche die Solonische Verfassung durch Kleisthenes
erhalten hatte, zum Abschlüsse gebracht. Keine Hemmungen
standen mehr der freisten Entfaltung der Kräfte aller Bürger
entgegen , aber es bestanden noch die wohlthätigen Einrich-
tungen, welche neben die Beweglichkeit der ^ olksmassen weise
Besonnenheit und Mässigmig brachten . namentlich der Rath
auf dem Areopage. In den nächstfolgenden Jahren scheint
sich hinsichtlich der iuneni Staatsentwickhnig noch keine be-
deutende Verschiedenheit gezeigt, sondern ziemliche Eintracht
geherrscht zu haben, was auch um so begreiflicher ist, da die
Thätigkeit sich mehren theils nach aussen richtete. In der
äussern Politik traten sich aber bald verschiedene Richtungen
entgegen, was natürlich auf die innern Verhältnisse auch
Rückwirkungen haben musste. Zwar ging das Bestreben aller
drei grossen Staatsmänner jener Zeit darauf aus, Athen mäch-
tig zu machen, allein in verschiedener Weise. Themistokles
wollte es auf jede Art zur ersten Macht in Griechenland er-
heben , gleichviel ob er es mit den übrigen Griechen verfein-
dete oder nicht ; Spartas Groll , der Bundesgenossen Unter-
drückung galten ihm nichts. Wie rücksichtslos er in der
Wahl der Mittel war, beweist jene Erzählung von seinem Plan,
die Flotte der übrigen Griechen in Brand zu stecken, die ich
nicht für eine reine Erfindung halten kann ' . Er war ein
1) Dafür erklärt sie Wachsmuth Hell. Alterth. I, 2, 71. 1. Ausg. und
Niebuhr in seinen Vorträgen über alte Geschichte I S. 425-427, indem
er meint , sie sei eine Sophisteuerfindung , welche aus der ähnlichen Er-
zählung über die Befestigung des Peiraieus geschmiedet worden sei. Allein
seine Gründe gehen blos^ gegen die Darstellung bei Cicero de olfic. III,
11, 49, wonach Themistokles die lakedaimonische Flotte in Gytheion habe
verbrennen wollen. Da lässt sich allerdings sagen: »Was in aller Welt
hätte es den Athenern helfen sollen das elende Arsenal der Spartaner in
Gythium anzuzünden , wo sechszehn Galeeren lagen . ihnen , die an drei-
hundert hatten?" Allein Plutarch Arist. 22 und Themist. 20 spricht von
der vereinigten Flotte der Hellenen , unmittelbar nach dem Rückzuge des
2*
20 KiMON.
Mann , wie sie nöthig sind , nm in ausserordentlichen Zeiten
der Noth und Bedrängniss einen Staat zu eiTetten; für ruhi-
gere Verhältnisse war er zu rücksichtslos und gewaltthätig.
Aristeides und Kimon dagegen , eben so eifrig für Athens
Grösse , wollten diese verbinden mit einem freundschaftlichen
Verhältnisse zu den übrigen griechischen Staaten und billiger
Uehandlung der Bundesgenossen. Diese Verschiedenheit musste
sie bald einander gegenüber stellen. Der ältere Aristeides
zwar scheint bald etwas zurückgetreten zu sein , nicht weil er
weniger geehrt war ' ; denn wir finden ihn auch noch nachher
in hohem Ansehen in Athen . sondern wohl darum , weil ihm
die heftigen Parteizwiste nicht mehr zusagen mochten, Kimon
aber tritt nun dem Themistokles entschieden entgegen, und in
ihm erscheint die gemein -hellenische Politik gegenüber der
eiaiseitig-athenischen des Themistokles vertreten. Bezeichnend
Xerxes und zwar an der letztern Stelle mit der genauem Bestimmung, dass
sie damals im Hafen von Pagasai gelegen habe. Die Gründe für Ver-
werfung der Erzählung erscheinen mir daher nicht genügend. Und lässt
sich nicht das Verfahren der Engländer gegen Kopenhagen und die dänische
Flotte damit einigermassen vergleichen? Der Gründer der athenischen See-
macht hatte , wie die erste Seemacht unserer Zeit , nur den Vortheil des
eigenen Staates im Auge und verfolgte den mit dem consequentesten Egois-
mus. ^Grote III p. 533 A. 2 meint auch, die Erzählung sei eine Erfindung
aus der platonischen Zeit und die griechische Flotte sei nie in Pagasai
gewesen. Aber warum wird dann gerade dieser Ort genannt?]
') Büttner in der angeführten Schrift, S. 28 sagt: »dass Aristides
durch ihn 'Kimon verdrängt war , davon liefert nicht bloss die ohne ihn
geschehene Verbannung des Themistokles den Beweis , sondern es kann
derselbe zu irgend einem erheblichen Einfluss auf die öffentlichen Ange-
legenheiten nach dieser Zeit nicht wieder gelangt sein, weil sonst so wider-
sprechende Nachrichten über seine weitern Schicksale, wie die von Plutarch
(Arist. 26) mitgetheilten, nicht hätten entstehen können.« Lässt sich denn
aber nicht mit mehr Wahrscheinlichkeit annehmen, Aristeides, der zur Zeit
der Schlacht am EurjTaedon wenigstens schon über 60 Jahre alt war (vgl.
Sintenis zu Plut. Themist. S. 2(J0. Krüger bist. phil. Studien S. 32.
Wagner de Themistocle exule Ztschr. f. A. W. 1847 S. 19^. 199; und
liereits seit dem Jahre .510 als Freund des Kleisthenes in politischer Thätig-
keit, habe sich im höhern Alter freiwillig zurückgezogen? Da immer nur
von seiner Freundschaft mit Kimon gesprochen wird, nirgend von Span-
nung oder Streit, hat das gewiss viel für sich. [Die DidaskaKe zu Aesch.
VII c. Theb., welche das Stück in das J. 467 setzt, ist jetzt ein Beleg, dass
damals Aristeides noch lebte.]
KiMON. 21
ist in dieser Hinsicht, dass Kimon mit drei der bedeutendsten
Staaten in Proxenie stand und drei Söhne nach diesen Staaten
benannte . Lakedaimonios , Thessalos , Eleios ' . Sofeni nun
unter den übrigen Staaten Griechenlands Sparta immer der
mächtigste blieb , die hellenische Politik sich also hauptsäch-
lich im Vcrhältniss zu Sparta darstellt, vertritt Themistokles
die Sparta feindliche Partei. Kimon wird ein Lakonenfreund.
Obgleich nämlich unmittelbar nach dem Perserkrieg Themi-
stokles von den Spartiatcn geehrt worden Avar. wie niemals
ein Fremdling, so lud er doch bald darauf durch die schlaue
Weise, wie er die Befestigung Athens gegen den Willen
Spartas durchsetzte, dessen mrversöhnlichcn Groll auf sich,
während das Erringen der Hegemonie durch Aristeides und
Kimon diesen durchaus keinen persönlichen Hass von Seite
Spartas zuzog; offenbar ein l>eweis. dass das Aufgeben der-
selben sie nicht so sehr schmerzte. Da nun aber die Bundes-
genossenschaft zwischen den beiden Städten noch nicht aufge-
löst war und im Ganzen noch freundschaftliche Beziehungen
zwischen ihnen bestanden, so hat Spartas A'orUebc und llück-
sicht für Kimon diesen damals noch selbst in den Augen der
eigenen Mitbürger gehoben 2 . Dieser Gegensatz in der äussern
Politik musste sich nun freilich auch iu der inneni in gewis-
ser Weise geltend machen, und da wird uns die Stellung des
Themistokles als die demokratische , die des Kimon als die
aristokratische bezeichnet 3. Das darf man nicht so verstehen,
als ob der Eine eine bestimmte demokratischere Gestaltung
der Verfassung erstrebt hätte, der Andere aristokratische Ein-
richtimgen hätte neu einführen oder zurückführen -wollen, son-
dern es bezeichnet nur den ganzen Geist ihrer Verwaltung ;
Themistokles, vim Athen schnell zum Höhenpunkte der Macht
zu heben, förderte eine unbeschränkte, rastlose Thätigkeit der
Massen, vorzugsweise des Schifffahrt und Handel treibenden
Theils der Bevölkeiimg . wodurch natürlich der nihige her-
1) Plutarch Cimon. 16. Schol. Aristid. III, 515 Dind.
2) Plut. Cim. 16.
3) Ueber des Themistokles demokratische Tendenzen und den Gegen-
satz zu Aristeides spricht Büttner S. 27 gut. Die Art, wie er aler den
Kimon dem Aristeides entgegensetzt , hätte der Beweise bedurft , welche
fehlen.
22 KmoN.
kömmliche Gang \'ielfach gestört, die bisherige Weise des
Lebens mannichfach erschüttert wurden, Athen bei den übri-
gen Staaten durch seine Neuerungskist (vscüTopiajxo;) Unruhe
und Argwohn erregen musste. Kimon, wie bereits Aristeides,
strebte dagegen, die bisherigen Lebensverhältnisse und Ge-
wohnheiten , Sitten und Gesetze möglichst zu erhalten und
durch ruhige Entwicklung auch den übrigen Staaten die Ge-
währ gegen gewaltthätige Uebergiiffe zu geben. Es stellt sich
schon jetzt die durch die ganze Geschichte Athens gehende
Thatsache heraus , dass die demokratische Partei . die im In-
nern schrankenlose Entwicklung aller Kräfte, unbedingte Frei-
heit des Lidividuums wollte, nach aussen jede Rücksicht
gegen die Stammesbrüder ausser Augen setzte , und die l^un-
desgenossen unter strenge Herrschaft zu bringen trachtete, die
aristokratische dagegen, die im Innern einen nihigem Gang
wollte, ein lebendigeres Gefühl für die Gemeinschaft mit den
andern hellenischen Staaten hatte und darum eine schonendere,
weniger egoistische Politik befolgte ^ . Noch war aber damals
diese sogenannte aristokratische Richtung keineswegs dem
athenischen Volksgeiste fremd oder gar entgegengesetzt 2) , son-
dern entsprach dem grössten Theil der Bevölkerung. Das
zeigte der Erfolg. Noch bestand das athenische A'olk zum
grossen Theil aus jenen derben, kräftigen, dem spätem beweg-
lichen, zungenfertigen Geschlechte wohl auch plump und alt-
fränkisch erscheinenden Marathonshelden, welche zu den pelo-
ponnesisch-dorischen Staaten noch keineswegs den Gegensatz
'; Dies läsSt sich als Thatsache von den Perserkriegen bis zum Sturze
der athenischen Hegemonie nachweisen. Die demokratischen Volksführer
sind immer die härtesten gegen die Unterthanen , während die gemässigte
aristokratische Opposition sich ihrer annimmt. Am schärfsten tritt das bei
Kleon hervor, namentlich gegenüber den Mytilenaiern. Thucyd. III, 37 ff.
2) Büttner freilich sagt S. 28 .- «Die Art und Weise, wie Kimon ferner-
hin den Staat leitete , kann nicht eine wahrhafte Volksführung genannt
werden. Vielmehr suchte er als Haupt und in dem Interesse einer Partei,
welche ausserhalb des lebendigen Volksgeistes stand, nämlich der aristo-
kratischen, die innere und äussere Politik Athens zu lenken.« Am Ende
fällt ihm freilich diese Partei in nichts zusammen und Kimon bleibt nur
ein einzelner Ehrgeiziger. A^'arum ehrt ihn nun aber das athenische Volk,
ihn den ganz vereinzelten und ihm entfremdeten Aristokraten so viele Jahre
hindurch?
KiMOX. 23
hiltleten, wie er später eintrat, und in denen alte Sitte und
alter Glaube und das gemein-hellenische JieAvusstsem lebhaft
vorhanden waren. Bei ihnen fand Kimons Persönlichkeit
Anklang, Avährend der rücksichtslose Ihemistokles in seiner
Geltung sank. Neben der politischen Kichtung schadeten die-
sem letztem vorzugsweise auch einige unläugbare »Schwächen,
welche sich in dem Charakter dieses ausserordentlichen Mannes
finden. Denn wiewohl man sehr Unrecht thun würde, ihm
Bestechliclikeit in dem Sinne beizulegen, dass er sich für Geld
je zu einer Handlung gegen seine Ueberzeugung hätte bewegen
lassen, so war doch seine Habsucht und seine oft zum Geiz
gesteigerte Liebe zum Geld eine unbestrittene Thatsache '), die
um so greller hervortrat, je fleckenloser in allgemein aner-
kannter Uneigennützigkeit Aristeides dastand . je freigebiger
und glänzender Kimon von seinen auf erlaubtem Wege ge-
wonnenen Keichthümern Gebrauch machte. Nicht Wenige
beleidigte aber auch sein grell hervortretendes Selbstgefühl.
Kein Wiindcr also , dass die beiden Männer in öffentlichen
Conflikt kamen, den das gesetzliche Mittel des Ostrakismos,
1) Für die Habgier des Themistokles Beweise anzuführen , ist wohl
überflüssig, Herodot, Plutarch'und andere Schriftsteller liefern sie in Menge.
Unterschleif öffentlicher Gelder wird ihm vorgeworfen bei Plut. Aristid.
c. 4. Das nach seiner Flucht confiscirte Vermögen allein betrug nach
Theopomp 1 00 , nach Theophrast 80 Talente. Einen grossen Theil aber
rettete er nach Asien. Beim Beginn seiner politischen Laufbahn soll er
nur drei Talente besessen haben. Plut. Themist. 25. Diese auf rechte und
unrechte Art gewonnenen Schätze gebrauchte aber Themistokles nicht in
grossartiger freigebiger Art, sondern zeigte sich trotz seines Ehrgeizes bei
Gelegenheiten knauserig Plut. Themist. 5, 21. Auch Kimon hatte sich
durch Feldzüge bereichert, doch wird ihm nirgend Habgier oder Bestechung
vorgeworfen, vielmehr umgekehrt gerühmt, dass er sich nicht ungerechte
Schätze erworben jPlut. Cim. lOj, und welch liberalen Gebrauch machte
er davon! Uebrigens stimme ich Niebuhr Vortr. über alte Gesch. I, S. 432
bei, wenn er bemerkt, man dürfe sich ihn nicht als einen streng Uneigen-
nützigen, wie Curius und Fabricius, denken. AVas von der Liederlichkeit
des Themistokles gemeldet wird z. B. Athen. XH, p. 533 d. und bei
Plutarch Themist. -3 gehört wohl Alles in seine erste Jugend und hatte
keinen Einfluss auf die spätere politische Stellung; denn Plutarch reg. et
imp. apophth. p. 184 f. S. 221 Dübner und praec. reipubl. ger. 800b. S. 977
Dübner bemerkt ausdrücklich , dass von der Zeit an , wo er sich dem
Staatsleben zuwandte , er den frühern Ausschweifungen gänzlich abge-
sagt habe.
24 KiMON.
das iii spätem Zeiten ganz verkannt worden ist, entscheiden
musste. Die Politik der beiden Männer konnte nicht mehr
neben einander gehen und so erlag Themistokles den Angriffen
des Kimon und anderer Männer der Partei, er wurde exostra-
kisirt und nahm seinen Aufenthalt in Argos ^ . Wenn nun
auch an Aristeides geinihmt wird, dass er an diesem Kampfe
der Parteien keinen Antheil nahm, so ist doch dem Kimon
durchaus kein A orwurf zu machen, gerade so wenig als später
dem Perikles zu verargen war. dass er den Kimon und nach
ihm den Thukydides entfernte. Er befolgte ein durchaus ge-
setzmässiges ^"erfahren, das dem Gestürzten keine Schande
oder Unehre brachte. Ja, ich glaube behaupten zu dürfen,
dass für einen Staatsmann ersten Ranges in einer auf einen
kleinen Raum beschränkten Republik es viel weniger demüthi-
gend sein konnte , ausser Landes leben zu müssen , als zu
Hause ohnmächtig und gering geschätzt dem Walten seiner
siegreichen Gegner zuzusehen. Dass aber Kimon zur En'ei-
') Die Zeit vor Themistokles Ostrakismos wird nicht genau berichtet,
kann indess mit ziemlicher Sicherheit gegen die Mitte der TO. Olympiade,
oder Ol. 76, 2. 471 gesetzt werden. Vgl. Krüger hist. phil. Studien S. 49
und Gustav Wagner de Themistocle exule Ztschr. f. A. W. 1S47 Nr. 14.
15. 16. 25. 26. p. Uüfi. 193 ff. Ueber des Kimon Stellung zu Themistokles
sagt treffend Niebuhr a. a. O. S. 433 : »Nun war Kimon gegen Themi-
stokles feindselig, eine Feindseligkeit zwischen solchen Männern ist auch
ganz natürlich.« Ist aber einmal die Feindseligkeit als etwas Natür-
liches zugegeben, so ist auch der Ostrakismos als nothwendige Folge davon
dem Kimon nicht zum Vorwurfe zu machen. Ueber seine Betheiligung
bei diesem besonders Plutarch Arist. 25 : yjyr^^dixftoz -(art «'j-tü -apa räiav
T-?jv TToXiTiiav i'/ßpw y-al oi sv.eTvov i^oaxpaTita&ei;, £"£1 ttjv a'JXYjv Xaj3TjV r.n.rjizyt't
b ävTjp £v ciitE« •^e^öit.e^oc, lipo; tTjV rröXtv o'jx ejjivrjOixaxTjaev dXX AX"A(i.ai(uvo;
:tal KifjLOJVo; xäX ttoXXöjv oXXwv eXa'Jvovxtöv -/al y.aT7]Yopo6vT(uv [j.övo(; ApiaxeioYj;
oüT £7rpa|e xi oüx' eiTie cpaüXov, wo statt Alkmaion Meier, in der hall. En-
cyclopädie im Artikel Ostrakismos, an Leobotes den Sohn des Alkmaion
denkt, welcher später die Klage auf Verrath gegen Themistokles einleitete.
Plut. Them 23. Indess lässt sich doch wohl denken, dass der Sohn
Leobotes die vom Vater bereits gegen Themistokles geübte Feindschaft
fortgesetzt, wie denn Plutarch auch in den praecept. ger. reipubl. p. S05.
c. S. 983 Dübner den Alkmaion nochmals nennt. [Grote IV p. 36 A. 2 nimmt
mit Beziehung auf Diodor XI, 54 an, Themistokles sei vor dem Ostrakis-
mus durch Leobotes angeklagt, aber freigesprochen worden ; nachher habe
keine förmliche Klage stattgefunden. Das scheint aber sehr unwahr-
scheinlich.]
KiMox. 25
chiing seines Zieles irgendwie unedle Mittel in Anwendung
gebracht hätte, berichtet Niemand. Die Exostrakisirung des
Theraistokles also dürfen wir billiger Weise nicht tadeln.
Weniger klar ist Kimons benehmen in dem bald darauf er-
folgenden Prozesse des Themistokles. Nachdem nämlich Pau-
sanias in Sparta, des Verrathes überführt, seine Schuld mit
dem Tode gebüsst hatte, veranlassten die Spartiaten in Athen
eine Anklage gegen Themistokles als Theilnehmer an jenem
verbrecherischen Unternehmen. Jiei dieser Anklage scheint
Kimon nicht unbetheihgt gewesen zu sein, da sie von den
Freunden Spartas und speciell von Leobotes , dem Sohne
Alkmaions, der zu Kimons Partei gehörte, ausging. Indessen
wird Kimons Name nicht genannt vmd es wäre möglich, dass
er Avährend des Processes als Feldherr von Athen abwesend
gewesen Aväre, auch lässt sich nicht läugnen, dass gegen The-
mistokles Indicien vorlagen , die eine Untersuchung entschul-
digten. Denn wiewohl er unschuldig war, so hatte er doch
von Pausanias Unternehmen gewusst, und durch seine frühe-
ren Unterhandlungen mit Xerxes dem Argwohn Stoff gegeben,
den seine Flucht nach Persien nicht tilgen konnte. So kön-
nen wir bei unbefangener Betrachtung der Sachlage seine Ver-
folginig uns leicht erklären, ohne bei den Gegnern unlautere
Motive vorauszusetzen * . Dagegen erscheint unedel und Ki-
mons unwürdig sein Verfahren gegen Epikrates, den Freund
des Themistokles, wie es erzählt Avird. Dieser hatte heimlich
des Themistokles Frau und Kinder aus Athen dem Flüchtigen
zugeführt. Kimon soll ihn darum angeklagt und seine Ver-
urtheilung zum Tode bcAvirkt haben. Wenn diese Nachricht
in dieser Weise Avahr ist, so AA'irft sie einen unaustilgbaren
Flecken auf seinen Namen , den man durch Parteiverblen-
dung erklären, aber nie rechtfertigen kann. Verschweigen
wir indess nicht, dass die ganze Geschichte nur auf der
Autorität des dem Kimon besonders feindselig gesinnten Ste-
simbrotos von Thasos beruht, der in der Erzählung von The-
') Es ist nicht meine Absicht, das offenbar leidenschaftliche Verfahi-en
gegen Themistokles zu rechtfertigen , wohl aber es zu erklären und dazu
müssen wir uns vergegenwärtigen, dass seine Gegner nicht den unbefangenen
historischen Standpunkt einnahmen und einnehmen konnten, der uns jetzt
die Sache in ganz anderm Lichte betrachten lässt.
26 KiMON.
mistokles letzten Schicksalen oiFenbare Unwahrheiten berichtet.
Es ist, wenn anders der Nachricht ein wahres Faktum zu
Grunde liegt, höchst wahrscheinlich, dass Epikrates der Theil-
nahme an veiTätherischen Umtrieben angeklagt wurde, die
nach Themistokles Flucht nun erwiesen schienen , und für
diese Theilnahme mochte das Wegschaffen der Familie des
Themistokles, vielleicht auch von Geldern, die dem Staate
verfallen waren, als Beweis gelten 2 .
Durch die Entfernung des Themistokles etwa 474 war
nun Kimon. da auch der alternde Aristeides zurücktrat, zur
höchsten Macht, zur Leitung von Athens Angelegenheiten em-
porgestiegen, ohne dass in den ersten Jahren eine bedeutende
Opposition bemerkt wird, zum klaren Beweise, dass in dieser
Zeit er der wahre Vertreter seines Volkes war. Jetzt ent-
wickelte er in vollem Masse seine äussere Politik, freund-
schaftliches Vernehmen zu Sparta , Kräftigling der attischen
Bundesgenossenschaft mit möglichster Schonung der l^undes-
staaten, und Krieg gegen Persien. Den Einfluss Athens auf
die Bundesstaaten vermehrte er hauptsächlich dadurch, dass,
wähi'end andere FeldheiTcn streng auf Erfüllung der Bundes-
leistungen gehalten hatten, er ihnen gestattete sich davon los-
zukaufen. Vielen kiemern Staaten nämlich wurde die nach
Aristeides Anordnung übernommene Kriegspflicht jetzt, da sie
vor persischem Drucke sich sicher glaubten, lästig, aus Bequem-
lichkeit stellten sie ihre Contingente zur l^undesflotte nur lässig.
Kimon erlaubte ihnen , statt der Schiffe einen entsprechenden
2) Plut. Themistocl. 24. Die ganze Erzählung von der Werbung des
Themistokles um eine Tochter des syrakusischen Fürsten Hieron bezeichnet
Plutarch mit Recht als einen ungereimten "Widerspruch gegen des Stesim-
brotos eigene Angabe, dass Epikrates ihm seine Frau nach Epirus gebracht.
Vgl. Sintenis zu der angeführten Stelle. l)ie Lügenhaftigkeit des Stesim-
brotos ist hinlänglich anerkannt. Man vgl. Lucas S 9 Sintenis zu Plut.
Them. S. 14 — 16. Ekker prooem. Plut. Cim. p. 16 squ. und die von
diesem angeführten Schriftsteller. Gegen Kimon war er vielleicht besonders
darum übel gestimmt, weil dieser seine Vaterstadt unterworfen hatte. Dass
er ein Zeitgenosse war, erhöht seine Glaubwürdigkeit nicht, vielmehr stand
er wohl eben desshalb um so weniger auf einem unbefangenen historischen
Boden und mag ungefähr den gleichen Werth als historische Quelle be-
sitzen , wie manche Klatschblätter unserer Tagespresse , aus denen auch
bisweilen sogenannte Geschichte fabrizirt wird.
KiMON. 27
Geldbeitrag zu geben ') . Dadurch Av\irde Athen in den Stand
gesetzt , selber mehr Schiffe zu bauen und die Hundesflotte
mehr und mehr zu einer athenischen umzuwandeln , die Bun-
desgenossen selbst kamen unvennerkt in das Verhältniss tribut-
pflichtiger Unterthanen 2] und sahen sich zu spät der Mittel
beraubt, ihre Freiheit gegen UebergrifFe Athens zu vertheidigen.
Da die Bundesgenossen selber es so Avollten, Athen aber ohne
auf Sicherheit gegen Persien und seine ganze Grösse zii ver-
zichten , die ihm freiwillig übertragene Hegemonie unmöglich
aufgeben konnte , so bleibt Kimons Verfahren unter den ge-
gebenen Umstäiulen immerhin das klügste mid schonendste,
um so mehr als er in seinen persönlichen l^ierührungen überall
Milde und Freundlichkeit ausübte. Freilich war auch so Un-
zufriedenheit nicht zu vermeiden , da die einzelnen Staaten
am lie])sten ganz unabhängig gewesen wären und jede Unter-
ordnung bei dem Streben nach Particularismus den Griechen
1) Plut. Cim. 11. Thi;cyd. I, 99. Nach Thiicyd. I, '.»0 waren nach
Aristeides Bestimmungen, die einen ursprünglich zu Geldbeiträgen, die
andern zu Schiffen verpflichtet. Vgl. K. F. Hermann Staatsalt. §. 157 1.
Sintenis zu Plut. Pericl. 12. Damit scheint mir auch Plutai'ch mit Cim. II,
nicht im Widerspruche zu sein , wenn er sagt : ir^el o ol oufAfiof/oi tou;
cpopo'j; [Ji£v steXo'jv avopa? 0£ xcii vaü? w? £T0iy{}r|Oav oO -otpetyov , und zwar
halte ich nicht einmal für nöthig nach dem Vorschlage von Sintenis ois
ixäyj^tjiav statt w; eTd/OTjacv zu lesen, sondern glaube , dass lü; STayÜTjaav
heisst , wie sie diese zu stellen hatten , und sich natürlich auf die bezieht,
denen diese Leistung auferlegt war. Drückt sich doch Thukydides selbst
I, 99 ganz ähnlich aus : atxiat o aXXat xe ^oav xöiv aTtooxaaewv xal {i.lY'<3xai
al Twv cpopojv xrd veöiv Ixoeiai xal Xenrooxpaxtov ei tw ifi-^e-o. Aber offenbar
unrichtig ist, was derselbe Plutarch im Pericl. 12 sagt: o'jy 'irnov oü votüv
o'jy 6-)axTjV txkli ypT,[j.axa [j.ovo-^ xeXouvxtuv, denn Landtruppen mussten auch
die 'j-o-z'/.eli stellen. Vgl. Thucyd. II, 9: oi o' a/J.ni rs^ov v.cti ypr,[j.axc..
Beispiele von Landtruppen, welche die Tributpflichtigen stellen, auch bei
Thukydides häufig, unter andern IV, 42. V, 2.
-) Anfangs waren auch die cpopo'j ÜTToxeXsi; , welche durch freiwillige
Uebereinkunft den cpopo; übernommen hatten, so autonom, als diejenigen,
welche keinen cpopo; zahlten, sondern Schiffe stellten. Allmählich wurden
sie in Unterthänigkeit gebracht, daher zur Zeit des peloponnesischen Kriegs
die Ausdrücke : 'jttoxeXei; und 'jtttjV.ooi fast synonym waren. Dass man
aber auch damals den Unterschied noch Avohl kannte, geht deutlich hervor
aus der Bestimmung über die thrakischen Städte im Frieden des Nikias
bei Thucyd. V, 18: xd; oe ttoXei; tpepo'jGa; xöv cfopov xov iiz Aptsxstoo'j
otüxovofxo'ji; £ivat.
28 KiMON.
lästig schien. Daher denn öfters Abfall vom liuiide, und den
konnte und durfte Athen nicht ungestraft lassen. So wurde
zuerst Athen in Krieg' mit Karystos auf Euhoia verwickelt
und nicht lange nachher fiel Naxos (473?) ab. Beide wurden
mit Waffengewalt bezwungen und Naxos , die schönste der
Kykladen, zuerst unter allen Kundesstädten in eigentliche Un-
terthänigkeit gebracht. Wiefern Kimon selbst bei diesen Er-
eignissen betheiligt Avar, '«ird nicht belichtet. Dagegen be-
nutzte er nun die Macht, die Athen zu Gebote stand, gegen
die Perser. Diese hatten sich von den in Griechenland erlit-
tenen Niederlagen allmählig wieder erholt. Die Schicksale
des Pausanias und die Flucht des Themistokles nach Asien
schienen die Hellenen ihrer besten Feldhemi beraubt zu haben,
Persien hatte die Schwächen der Gegner kennen gelernt , so
gut als Pausanias Avaren andere hochstehende Männer zu ge-
winnen , die Kimdesgenossen Athens bereits nicht mehr für
den neuen Zustand begeistert, sondern schwierig und zum Ab-
fall geneigt. Alle diese Umstände erklären uns. dass damals
Persien noch einmal den Gedanken fasste , den Krieg gegen
Griechenland zu unternehmen, Avenigstens die verlorenen grie-
chischen Staaten in Asien Avieder zu erobern, die noch schAvan-
kenden entschieden zu behaupten 2 . Starke Heeresmassen zu
Wasser und Lande sammelten sich unter mehreren FeldheiTn
'1 Die Führung des Krieges gegen Karystos schreibt Lucas S. 33 auch
dem Kimon zu. Es ist das möglich, aber eine bestimmte Nachricht darüber
fehlt. Die Zeit lässt sich auch nicht genau bestimmen , nur das geht aus
Thukydides hervor , dass sie zwischen die Einnahme von Skyros und von
Naxos fällt. Ueber letztere Krüger a. a. O. S. 46 ff. und Wagner de
Themistocle exule a. a. O. [Karystos scheint vorher nicht attische Bundes-
stadt geAvesen zu sein; Avie die 6[j.oXoYia, die es schloss, Avar, Avissen Avir nicht.]
-; Die neuen Unternehmungen Persiens in jener Zeit Avürden sich am
leichtesten erklären, A\'enn A\-irklich Artaxerxes bereits seinem entmuthigten
Vater Xerxes in der Regierung gefolg:: gewesen wäre, wie das namentlich
Krüger histor. phil. Studien S. 52 ff. mit Scharfsinn zu begründen- sucht,
indem er den Regierungsantritt dcS Artaxerxes Ol. '6^/4 oder 473 setzt.
Indessen sprechen doch für die entgegenstehende Angabe des Kanon, wo-
nach Artaxerxes Ol. TS, 4 König wurde, sehr gewichtige Gründe. Vgl.
Kleinert : Ueber den Regierungsantritt des Artaxerxes Longimanus in den
Beiträgen zu den theolog. "Wissenschaften A^on den Professoren der Univer-
sität zu Dorpat S. 1 — 232 und Wagner de Themistocle exule a. a. O.
KiMON. 29
an der Südküste Kleinasiens ') . Cypern , das nie vollstiindii>;
von den Persern geräumt worden war, scheint wieder ganz in
ihre Hände gefallen zu sein '^) , und auf dem Thrakischen Cher-
sonese, der IJrücke nach Europa, fassten sie wieder festen
Fuss. Diesmal Hessen die Athener es aber nicht mehr darauf
ankommen, erst im eigenen Lande eine Entscheidungsschlacht
zu liefern.. Kimon kam einem Angriife zuvor, mit einer Flotte
von 200 3) trefflichen Schüfen segelte er (469) nach Kleinasien,
reinigte die Küste von den Feinden, eroberte mehrere Städte
und ging der in der Nähe von Aspendos an der Mündung des
Flusses Eurymedon in Pamphylien sich sammelnden feindlichen
Macht entgegen. Noch war diese nicht ganz concentrirt, doch
an Zahl der athenischen Flotte weit überlegen, indem die An-
gaben zwischen 350 und 000 Schiffen schAvanken. Der Feld-
heiT Tithraustes wollte der Schlacht ausweichen , bis er noch
80 phönizische Schiffe, die von Cypern heransegelten, an sich
gezogen hätte, und zog sich daher xnigeschickter Weise in die
Mihidung des Eurymedon, wo ihm die überlegene Zahl nichts
nützen konnte. Kimon griff ihn an und siegte nach kurzem
Kampfe so entschieden, dass er gegen 200 Trieren zerstörte
oder eroberte ^) . Der grösste Theil der geschlagenen Mann-
schaft warf sich ans Land und vereinigte sich mit dem hier
atifgestellten Heere. Kimon aber Hess trotz der Ermüdung
seiner Leute dem Feinde keine Zeit sich vom Schrecken zu
') Die Namen derselben wurden von den verschiedenen alten Geschichts-
schreibern verschieden angegeben. Flut. Cini. 12. Diud. XI, 60.
2) Engel Kypros I. S. 274 ff. Die Fürsten der kyprischen Städte
waren höchst wahrscheinlich persisch gesinnt, aber auch das Volk war dem
hellenischen Leben und den hellenischen Interessen ziemlich entfremdet,
wie wir dasselbe auch bei manchen griechischen Städten Kleinasiens fin-
den, z. B. Phaseiis nach Plut. Cim. 12.
3) So Plut. Cim. 12. Diod. XI, 60 dagegen lässt ihn mit 200 Schiffen
aus dem Peiraieus auslaufen und dann noch lOti Trieren von den Bundes-
genossen an sich ziehen.
■*) So Thucyd. I, 100. Andere Schriftsteller haben andere Zahlen,
Diodor XI , 62 lässt den Kimon in den verschiedenen in dem Feldzuge
gelieferten Schlachten nicht weniger als 340 Trieren nehmen. Ohne Zwei-
fel aber betrug die Zahl der eroberten nur 100. So schon das alte dem
Simonides zugeschriebene Epigramm. Eben so viele mochten zerstört
worden sein. Krüger a. a. O. S. 64 ff. Freudenberg S. 9. 10. Ekker zu
Plut. Cim. 12.
30 Kmox.
erholen ; er schiffte seine Krieger aus . griff die Perser auch
auf dem Lande an , und errang auch hier nach langem und
hartnäckigem Widerstände einen vollständigen Sieg. Das ganze
persische Lager mit unermesslicher Beute fiel in die Hände
des Siegers. Dieser aber begnügte sich damit noch nicht,
sondern ging nun rasch der phönizischen Flottenabtheilung
entgegen, welche, ohne etwas von dem Vorgefallenen zu wissen,
bei dem Orte Ilydros ^ stand. Auch sie wurde üben-ascht
und zerstreut. Der Zweck des Feldzugs war eiTeicht. eine
neue Unternehmung der Ferser vereitelt, Griechenland für
lange Zeit von dieser Seite gesichert , mit Beute beladen zog
Kimon nach Athen zurück, wo er, der gefeiertste Held, von
allen Seiten mit "\V ohlwollen und Bewamdeiimg empfangen
wurde. Der Schrecken, der ganz Asien erfüllte, die Sicher-
1) Plut. Cim. 13: -/.rd xd; ÖYOOTjxovra Ooivisaa? TpiTjpsts ai ■:f^i [J-axO'
dTreXetcpÖTjaav 'Yopcu -poaßeß/.-fjV-Evai -'jxioixe-ir,:; oid rayo-j; e-Äi-jcev. Statt des
unbekannten Hydros hat man verschiedene Conjekturen versucht , und
namentlich Kurpirj , mit Hinsicht auf Polyaen. I, 34, 1 und Diod. XI, 61.
Indessen kann ich mich von der Richtigkeit dieser Vermuthung nicht über-
zeugen. Zwar kommt auch in dem Epigramm bei Diodor =v KÜTtpio vor,
allein für die Hauptschlacht, und ich denke man darf nicht anstehen dafür
die andere Lesart £v -[air^ aufzunehmen, wie das Krüger S. 65 evident ge-
zeigt. "Wäre aber nach der Schlacht am Eurymedon Kimon noch nach
Cypern gesegelt , so würde Thukydides das gewiss ausdrücklich erzählt
haben. Dass dieser gar nichts von einem zweiten Gefechte sagt , liesse
nun allerdings die Vermuthung zu, dass ein solches überhaupt nicht statt-
gefunden, und dann könnte man die Erwähnung einos solchen mit der
Lesart i-i K'jttow aus einer Verwechslung mit der spätem Ex]ieditian Kimons
nach Cypern erklären. Allein ich kann mir nicht erklären, wie aus dem
bekannten Kj-pw hätte "Yopoj entstehen sollen , und glaube Thukydides
konnte bei seiner gedrängten Kürze die Sache ganz übergehen , wenn die
verhältnissmässig nicht sehr bedeutende Ueberraschung des phönizischen
Geschwaders in der Nähe des Euiymedon vorging, also so zu sagen zu der
ersten Schlacht gehörte. Daher wird unter "Topr); ein nicht sehr weit vom
Eurj-medon gelegener Ort an der Küste zu verstehen sein. Sollte vielleicht
lopo; denselben Ort bezeichnen, der später 2'jeopa heisst zwischen Kora-
kesion und Hamaxia? Vgl. Strabo XIV p. 669. Steph. Byz. : Skooa zö'uc.
loaupta;. Auch sonst weichen die verschiedenen Schriftsteller in der Er-
zählung der Schlachten dieses Feldzugs so von einander ab, dass eine be-
friedigende Vereinigung nicht möglich. Ich habe mich daher auf den
Grund von Thukydides Erzählung so kurz als möglich gefasst. AVer mehr
wünscht lese Lucas S. 39 ff. 'A. Schäfer Philol. XXIII. S. 184 schlägt
vor 'I5jp(o mit Verweisung auf Meineke zu Steph. Byz. p. 327.]
KiMON. 31
heit, welche in der nächsten Zeit die griechischen Staaten in
Kleinasien genossen , wurden Veranlassung . dass spätere Ge-
schlechter glaubten, es sei damals ein für Fersien schmählicher
Friede abgeschlossen worden, der unter dem Namen des Ki-
monischen in die Geschichtsbücher übergegangen ist ^) .
Nach der Heimkehr vom Eurymedon war dem FeldheiTn
noch eine ungewöhnliche Ehre zu Theil geworden. An dem
Dionysosfeste , das damals gefeiert wiirde , war nämlich dem
längst berühmten Aischylos gegenüber als Preisbewerber der
jugendliche Sophokles aufgetreten und die Theilnahme der
Athener an diesem Wettkampfe so gross, dass der Vorsitzende
Archon, anstatt die gewöhnlichen Kampfrichter zu bestimmen,
den Kimon und seine Mitfeldherrn ersuchte, das Amt zu über-
nehmen. Sie sprachen dem Sophokles den Sieg zu, der hin-
fort über 60 Jahre lang die athenische Bühne mit Werken
seines Geistes schmückte 2) .
Bald darauf '468) ^) vollendete Kimon die Befreiung
Europas durch die Eroberung des Chersoneses, aus dem er die
1) Ueber den sogenannten Kinionischen Frieden will icli nach den be-
kannten Arbeiten von Dalilmann und Krüger mich jeder weitern Bemerkung
enthalten , indem ich die spätere Erfindung desselben für eine erwiesene
Thatsache ansehe. Sobald das anerkannt ist, bleibt es von ziemlich unter-
geordneter Bedeutung , ob man ihn an die Schlacht von Eurymedon wie
Plutarch oder an den letzten Feldzug des Kimon gegen Cypern knüpft.
[Grote bist, of Greece IV p. 8.5 — 88 nimmt den Frieden als historisches
Factum an im Jahr -149. Ein Widerspruch liegt aber offenbar darin, wenn
er p. 87 ff. A. annimmt, die Seestädte seien fortwährend in den persi-
schen Steuerregistern gestanden, nur die Steuern faktisch nicht erhoben
worden. Er meint, Perikles sei der eigentliche Urheber desselben gewesen,
und Athen habe sich verpflichtet, Cypern, Kilikien, Phoenizien, Aegypten
unangegriffen zu lassen.]
2; Es ist oben bemerkt worden, S. 17 Anm. 2, dass andere Nach-
richten diesen Vorgang mit der Zurückführung von Theseus Gebeinen in
Verbindung bringen. Ueber die Zeit der Rückkelir des Kimon vgl. Krüger
a. a. O. S. 52.
3j Kimon war zuerst nach Athen zurückgekehrt, wie Plutarch Cim. 14
ausdi-ücklich sagt. Engel Kypros I S. 270 fasst sicher die Sache schief
auf wenn er sagt: »Es ist sehr auffallend, dass wir den Kimon jetzt (nach
den Siegen am Eurymedon und bei Kypros, wie Engel meint; wieder ab-
ziehen sehen, um die Perser aus dem Chersones zu verjagen und Thasos
zu erobern.« Es ergiebt sich aus einer genauen Betrachtung, dass der
Feldzug Kimons nicht sowohl Eroberungen bezweckte als einem Angriffe
32 KiMON.
durch Thrakier verstärkten Perser vertrieb, sei es, dass sie, was
kaum glaublich, sich fortwährend dort behauptet hatten, oder,
was das wahrscheinlichere, zugleich mit den grossen neuen
Rüstungen dort wieder Fuss gefasst hatten. Dieser für die
BeheiTschung der Schifffahrt nach der Propontis und dem
schwarzen Meere höchst wichtige Landstrich wurde den Athe-
nern jetzt bleibend gesichert, das ehemalige Fürstenthum des
Miltiades Avurde d\n-ch Kimon Besitzthum des athenischen
Volks. Nicht minder als durch seine Siege machte Kimon
sich aber auch im Innern um seine Vaterstadt verdient, weckte
aber vielleicht unbewusst den demokratischen Geist mehr als
seine Absicht war. Die Reichthümer, die er selber gewonnen,
Hess er seine Mitbürger aufs Freigebigste mitgeniessen. Be-
kannt ist, AA-ie er beim Ausgehen immer Diener bei sich zu
haben pflegte mit Kleidern und Geld, um ärmliche ältere
Bürger besser zu kleiden , andern Dürftigen kleine Unter-
stützungen darzureichen. Aon seinen Landgütern liess er die
Umzäunungen wegreissen , damit Fremde und Bürger nach
Belieben von den Früchten sich nehmen könnten, und in
seinem Hause war täglich offene Tafel für alle seine Gau-
genossen 1) , denen er so die Möglichkeit gewähren Avollte, un-
besorgt an den Staatsgeschäften Theil zu nehmen. Seine gross-
artige Freigebigkeit und Gastlichkeit wurde sprichwörtlich, und
der Perser begegnen sollte. Nachdem dieser im Süden Kleinasiens glück-
lich zurückgeschlagen war, brachte gar nicht auffallender Weise der Sieger
die grosse Beute in Athen in Sicherheit und wandte sich dann gegen die
übrigen noch gefährdeten Punkte.
1) Plut. Cim. 10. Theopomp, bei Athenaeus XII. p. 533a. Cornel.
Nepos 4. Aristoteles bei Plutarch, gewiss der glaubwürdigste Zeuge, be-
schränkt die offene Tafel auf die Demoten des Kimon, die Lakiaden, was
auch in der Unmöglichkeit der andern Nachricht, wonach alle Athener
täglich Zutritt gehabt hätten, Bestätigung findet. Büttner S. 31, 32 nimmt
aber davon keine Notiz und schiebt dem Kimon »die eines Staatsmannes
unwürdige List unter, dass er die Armen in die Volksversammlung sogar
durch künstliche Mittel hineinzog, um nachmals sie vermittelst ihrer selbst
von einer wirksamen Theilnahme an den Staatsangelegenheiten gesetzlich
auszuschliessen«. Glaubt Herr Büttner wohl, dass Kimon so blind gewesen
sei, vorauszusetzen, die niedrigere Volksklasse werde für ihren Ausschluss
zustimmen? Es ist auffallend, wie gut er die thörichten Anekdoten über
Perikles zu beseitigen weiss, dagegen bei Kimon alle Schmähungen oder
Klatschereien benutzt und zum Nachtheile deutet.
KiMo>-. 33
treffend sagte von ihm der Rhetor Gorgias, er habe nur Geld
erworben nm es zu gebrauchen, gebraucht um geehrt zu wer-
den. Selbst die Komödie pries ihn als den gastfreundlichsten
von allen Hellenen und als einen göttlichen Mann ') . Und in
nicht weniger zweckmässiger und grossartiger ^^"eise wurde
die reiche ]^)eute, welche die Siege in die Staatskasse gebracht
hatten, auf seine Veranlassxing verwendet, ziir Befestigung mid
Verschönening der Stadt. Er Hess den Markt mit Platanen
bepflanzen , er schuf die Akademie , bisher einen sonnigen,
dürren Ort zu dem schönsten Gymnasium mit reichlich bcAväs-
sertem Liisthaine und schattigen Spaziergängen um , er Hess
auf der Südseite der Stadtburg, wo die Befestigungen fehlten
oder verfallen waren , eine mächtige Mauer aufführen , die
fortan den Namen der Kimonischen trug, und er endlich soll
den Grund zu jenem staunenswerthen Bau der langen Mauern
gelegt haben, welche Athen zu einer Seestadt machten. Den
Plan zu diesem Werke hatte allerdings, nachdem seine Absicht,
die ganze Stadt an die Küste zu verlegen , gescheitert v,ar,
Themistokles gefasst. Durch den Anfang der Ausführung hat
aber Kimon auch hier wieder bewiesen, dass er aufrichtig auf
den von seinem grossen Gegner gelegten Grundlagen der
Grösse von Athen fortbaute. Und darf man sich wohl wun-
dem, wenn er, den wir meistenstheils an der Spitze von
Flotten sehen, der nebst Themistokles der eigentliche Gründer
der athenischen Seemacht ist, auch bemüht ist, die Stadt un-
mittelbar mit der See zu verbinden und so gegen jeden Angriff"
vom Lande zu sichern t Wenn später eine kleine oligarchische
Faktion diesem Werke feindlich ist , so dürfen wir daraus
keinen Schluss auf Kimons Gesinnung ziehen, sondern müssen
umgekehrt das daraus abnehmen , dass jene Partei ganz an-
dere Zwecke verfolgte als er -j .
1) Plut. Cim. 10. Das Epitheton ftjio; ävr,p ist nach Meineke's [Fragm.
Com. Graec. II, 1 S. 161, Bemerkung nicht ohne Beziehung auf den
Lakonismus des Kimon, da man in Sparta einen ausgezeichneten Mann so
zu nennen pflegte.
-, Plut. Cim. 13: '}.i-^t~'j.i os v-al töjv pLav-pÄv tsiyöjv a cr.i\-q •/caXoOoi
G'j^^T£Xia8fjV7.t [xev 'jjTspov TTjV oiy.ooojxtav tyjv os —pojxTj-; i}£u.£Xi(oatv eU to-o'j?
sXiuSei; 7,al oiaßpoyo'j; töjv spytuv IfxreaovTcuv ipzi-j\)fi^tri'. oid Ki[-t(uvo; dacfaXw?
ydKvAi ttoXXtj v-rn Xi&ot; ßapeat tJjv eXtüv Titea&evtojv iy.eivo'j ypTjjxaTa -opiCov-o;
r.n.\ oioovTo?. Die Nachricht ist freilich ziemlich zweifelhaft und Thukydides
Vis eher, Schriften I. 3
34 KiMON.
Bei allen diesen Verdiensten blieb aber Kimons Stellung
nicht fortwährend unangefochten. Es lag in der Natur der
athenischen Verhältnisse, dass sich eine Gegenpartei wider ihn
erheben musste, welche bald um so mehr Boden gewann, als
er auf seinen Feldzügen Aiel von Hause abwesend war. Die
erste Veranlassung zu entschiedenem Auftreten der Opposition
gab der thasische Krieg. Das Bestreben der Athener sich
an der thrakischen Küste festzusetzen, die durch ihren Reich-
thum an Bauholz und Metallen von grosser Wichtigkeit war
und eine Reihe blühender Städte zählte , hatte Streitigkeiten
mit den Thasiem herbeigeführt, welche gegenüber ihrer Insel
im Besitz von ergiebigen Goldbergwerken waren. Bisher selbst-
•ständige Bundesgenossen von Athen fanden sie sich durch
dessen Uebergriffe verletzt und traten aus dem Bunde oder fielen
ab, nicht ohne Hoffnung aiif spartanische Hülfe. Die Athener
boten Alles auf um die mächtige Insel zum Gehorsam zurückzu-
führen. Aber erst im dritten Jahre gelang es dem Kimon, sie
z\ir Uebergabe zu zwingen, sie musste ihre ^Mauern schleifen,
die Schiffe ausliefern, die Kriegskosten zahlen, alle Besitzungen
auf dem Festlande aufgeben und hinfort Tribut entrichten ' .
scheint den Anfang des Baues erst nach Kimons Verbannung zu setzen
(I, 107). Doch Hesse sich denken, dass er erst an die Erbauung der
eigentlichen Mauern über dem Boden dachte, während bereits früher an
den sumpfigen Stellen Vorbereitungen für die Fundamentirung gemacht
wurden. Bei der grossen Unsicherheit der Chronologie in dieser Zeit wird
es schwe? sein, ein ganz festes Resultat zu erhalten , wenn uns nicht etwa
noch ein glücklicher Inschriftenfund zu Hülfe kommt. Mir kommt es auch
nicht sowohl darauf an, dem Kimon den Bau zu vindiziren, als den poli-
tischen Grund, den unter andern O. Müller de munimentis Athenarum
p. 20. gegen seine Betheiligung daran geltend gemacht hat, zu beseitigen.
Offenbar verwechselt er Kimon mit jener volksfeindlichen oligai'chischen Fak-
tion, mit der er nicht^; gemein hat, wenn er sagt : Quanquam proptcr ea, qiiae
Thucydides tradit partium tum Athenis studia fuisse, ipsum Cimonem huic
operi invidioso Uli apud optimatem factionem, jion magnojjere favisse credideritn.
1) Der Abfall von Thasos , der bei der bedeutenden Macht der Insel
und dem Beistand, den sie von verschiedenen Seiten theils im Geheimen
erhalten zu haben scheint, theils zu erhalten hoffte, Athen? Herrschaft ge-
fährlich bedrohte, ist wahrscheinlich in Ol. TS, 2 oder die erste Hälfte des
Jahres 466 zu setzen, die Uebergabe in Ol. 79 1 oder die zweite Hälfte des
Jahres 464. Krüger setzt S. 146 die Uebergabe in die gleiche Zeit, den
Abfall aber in 467, dagegen Rospatt Chronolog. Beiträge (die ich nur aus
Anzeigen kenne) den Abfall 466, die Uebergabe 463. Da aber Thucyd. I,
KiMON . 35
Trotz dieses Sieges wurde Kimon gerade jetzt zum ersten-
mal offen angegriffen. Der früher Athen befreundete König
Alexandros von Makedonien, der natürlich durch die Ausdeh-
nung der athenischen Herrschaft über seine Küsten beunruhigt
sein musste, schien nämlich die Thasier begünstigt zu haben.
Nun warf man dem Kimon vor, er habe Cxelegenlieit gehabt,
dem Könige ein Stück seines Landes zu entreissen^] , sich
1(H deutlich sagt: xpiiw irti -o)aop7.o'jj;L£vot (üij.oÄOYTj'jav, im Laufe des dritten
Jahres und nicht nach vollendeten drei Jahren , so muss man Uebergabe
und Abfall um ein Jahr näher rücken, und da Ol. 79, 1, die sich zwischen
die Jahre 464 und 463 theilt, für die Uebergabe festzustehen scheint, den
Krieg von 466 — 464 oder 4(i5 — 463 setzen.
') Plut. Cimon. 14: cX£it)iv ok paoüo; i-ißfjv/t Maxsoovias -aolI -oXXtjV
ä-o~£[i.s3&ai Ttapaiyöv, w; looxet, \j:q ikX-fjSct; atxiav eaye ocupot; ü-6 toO fiaat-
Xci«; 'A/.Egd-vopo'j c'jij.n£-£T3i)c(i. Diese Stelle Plutarchs ist die einzige wo
der Gegenstand de:- Klage genannt ist; denn in dem Leben des Perikles
c. 10 spricht derselbe Schriftsteller nur von einer DavotTix:?] '^ji"/-''] , ohne sie
näher zu bezeichnen. Nun erwähnt aber bekanntlich auch Demosthenes c.
Aristocr. §. 2ü5 p. 6SS eines Processes des Kimon , in dem er kaum dem
Tode entgangen und zu 50 Talenten Strafe verurtheilt worden sei, xat Ki-
p.(uva, sagt er, oxt ttjV -axptov (v. l. llotpuuv; ixzTiv.hr^3t -o/.tT^iav i(f iauTo'j
Tcapa TpEi; [jl£v «'Y^ioav 'J;'/]'iO'ji; "o a?j 'i)vi'j.7'\> C,■f^lJ.<-Gi■5o.l T:EvTTj7.ovTa Zz TaXavra
i^i-piQ'x^ . Ich hatte früher mit Beibehaltung der Lesart -atptov , weif mir
die andere FlapEiov entgangen war , diesen Process in Verbindung mit dem
Process nach der Rückkehr von Thasos gebracht und an eine ungenaue
Erinnerung des Demosthenes gedacht (die oligarchische Partei und die He-
tairien in Athen S. 10). Lucas S. 4'J macht ebenfalls mit Beibehaltung
von -dtptov daraus einen zweiten Process , bald nach jenem ersten. «Aus
diesem Grunde«, sagt er: »ist Kimons kräftiges Einschreiten zur Erhaltung
der alten Verfassung eben so begreiflich als die Anklage der demokratischen
Partei, dass er die Herrschaft an sich gerissen habe. Er kam aus diesem
äusserst gefährlichen allein von Demosthenes erwähnten Processe nur durch
eine Mehrheit von drei Stimmen mit dem Leben davon.« Offenbar legt er
in die Worte mehr als , die Richtigkeit der Lesart vorausgesetzt , darin
liegen kann. Es ist nur von einem Verändern der Verfassung in willkür-
licher Weise, nicht davon die Rede, dass er die Herrschaft an sich gerissen
habe, und wollten wir ein solches Eingreifen in die Verfassungsverhältnisse
nebst einem daraus folgenden Processe annehmen, so müssten wir offenbar
eher an die Zeit nach dem Sturze des Areopags denken, den Kimon wie-
der einzusetzen trachtete. Denn was soll er jetzt schon geändert haben?
Ich halte aber auch das nicht für das richtige , sondern habe mich nach
genauer und langer Prüfung vollständig überzeugt, dass die Lesart Trarptov
so wie die von dem neuesten Herausgeber der Rede g. Aristokrat., E. W.
Weber in Weimar , der übrigens den von Demosthenes genannten Process
auch für denselben mit dem von Plutarch nach der Rückkehr aus Thasos
3*
36 KiMoN.
aber cliucli Geschenke davon abhalten lassen. Es Avurde eme
Anzeige gegen ihn beim Volke gemacht, und dieses gab so
erwähnten hält, aufgenommene Conjektur tT|V iiapo'ioav TtoXixeiav unrichtig
und die von dem trefflichen Cod ^ gebotene Lesart Haoiojv allein richtig
sei. Lesen wir nämlich -aToiov oder rapoöaa-/ , was in dieser Beziehung
ganz die gleichen Schwierigkeiten bietet , so würde die Stelle heissen : '>weil
er die alte die bestehende» Verfassung auf seine eigene Faust hin will-
kürlich) verändert habe." Diess würde also deutlich besagen, Kimon habe
die Verfassung bereits verändert und zwar sie durch eigene Willkür ver-
ändert, d. h. wohl durch diktatorisches Einschreiten. Konnte aber etwas
der Art bei den athenischen Verhältnissen auch nur von ferne statthaben?
Konnte es statthaben , ohne dass uns sonst mit einem Worte davon be-
richtet wird und wäre, wenn es stattgehabt hätte, Kimon wohl der Todes-
strafe entgangen? Konnte Demosthenes etwas Derartiges auch bei seinen
mangelhaften historischen Kenntnissen erzählen? Ich glaube nicht, ütfen-
bar hat man auch die Stelle nicht so gefasst, sondern nur an einen Versuch
Kimons gedacht, wie das aus den oben angeführten Worten von Lucas er-
hellt und wie z. B. Büttner S. 31 es fasst, wenn er die Worte des De-
mosthenes übersetzt: »weil er die von den Vätern herrührende Staatsver-
fassung aus eigenem Antriebe umändern wollte.« Allerdings erwartet
man etwas Derartiges, abe^ die Worte des Demosthenes besagen das nicht.
Eintn sogenannten Aoristus des conatus wird schwerlich Jemand hier sta-
tuiren wollen, da derselbe auf die Dichter und auch bei diesen auf eine
massige Anzahl von Verben beschränkt ist. Vgl. FranckeZtsch. f. A. W. 184.5
S. 260 ff. Wenn der Redner das gewollt hätte, so hätte er sich, wenn nicht ge-
radezu der Umschreibung mit s-f/eipsiv oder -etoästlat, doch wenigstens des
Imperfektums bedient, wie Philipp. III. §. 24: £t:£iotj -Xsova^stv l-eyefpo'jv -/.al
zepa Toj p.£-p'.o'j 10. ■/.a&EsxYjy.oT'x iy.ivojv. Aber auch dann ständen immer noch
dem l'f' E'rjToü die oben angeführten Schwierigkeiten entgegen. Diesen
Schwierigkeiten entgehen wir nur, wenn wir die Lesart des besten Codex --r^-/
Yla^Ami T.nKizz.'.'x-i aufnehmen , was mit Recht von Bekker , Dindorf und den
Zürcher Herausgebern geschehen ist ; denn Herr Weber zu Demosth.1.1. irrt
gewiss , wenn er meint , sie hätten das nur gethan : satius esse haud dubie
existimantcs tibi integra scriptura desit, corruptam ut qiiae illius facile mon-
stret vestigia servare quam sequi 'perspicue falsam et perversam. Lesen wir
so, so erhalten jj.£T£-/.i-;yj3£ und i'z/ ea-j-oO sogleich ihre rechte Bedeutung;
»weil er die Verfassung der Parier auf eigene Faust hin verändert hatte.«
Es ist nämlich bekannt, wie die Athener sich häufig in die Verfassungs-
angelegenheiten ihrer Bundesgenossen mischten und sie nach ihrer eigenen
Convenienz ordneten. Meist geschah das natürlich in demokratischem Sinne,
vgl. u. a. Böckh Einleitung zum 7. olymp. Gedichte Pindars. Umgekehrt
im oligarchischen Sinne wurde durch die oligarchische Partei im Jahre 411
eine Umwälzung in Samos versucht , in Thasos und auf andern Inseln
wirklich durchgesetzt, Thucyd. M^II. 64 — 73. Aehnliches konnte nun sehr
gut zu Kimons Zeit geschehen und scheint an unserer Stelle Demosthenes
anzudeuten. Kimon war mit den Aristokraten der meisten griechischen
KiMüN. 37
weit Gehör . dass es Ankläger bestellte . um den Process im
ordentlichen Wege vor den Gerichten zn führen ' . Sie klag^
Staaten befreundet, es ist also sehr denkbar, dass er aristokratisch gesinnte
Bürger der Insel Faros bei einer Verfassungsänderung unterstützte und
zwar icp' ea'JTOJ siia soUus auctnrifatr, ohne vom athenischen Volke Auftrag
zu haben, ja gegen dessen Absicht. Dazu passt denn auch [xtTzvMrpz, da
die Veränderung als durchgeführt zu denken ist. Was die Zeit betrifft,
so ist für einen solchen Vorfall die des Thasischen Krieges ganz geeignet.
Die Bundesgenossen , namentlich die aristokratische Partei unter ihnen,
fingen damals an schwierig zu werden. Kimon, obwohl als bester atheni-
scher Feldherr mit der Unterwerfung der Abtrünnigen beauftragt, wandte
gewiss nicht gerne Gewalt an und trollte die Bundesgenossen lieber durch
Milde und Nachsicht gewinnen , und man darf sich wohl nicht wundern,
wenn diese Freundlichkeit bisweilen vorzugsweise der Partei zu Theil wurde,
zu der er hinneigte. Hatte er nun so durch seinen Einfluss eine aristokra-
tische Verfassungsänderung in Faros durchgesetzt, so war sehr natürlich,
dass man ihm in Athen, wo mittlerweile in den Gesinnungen eine demo-
kratische Reaktion vorging, ein Verbrechen daraus machte und ihn wegen
des Benehmens gegen Makedonien und in Faros auf den Tod anklagte.
Man müsste dann annehmen , Plitarch oder schon seine Uuelle habe die
Sache etwas flüchtig berichtet und namentlich weil die Freisprechung vom
Tode erfolgte, darüber die Geldstrafe übergangen. So gefasst erscheint die
Stelle als sprachlich richtig und historisch denkbar. Nichtsdestoweniger
halte ich aber bei dem gänzlichen Stillschweigen aller andern Schriftsteller,
bei der auffallenden Aehnlichkeit mit dem Process des Miltiades und bei
der historischen Unzuverlässigkeit der Redner eine Vermengung von Ki-
mons Process mit dem seine-? Vaters Miltiades für wahrscheinlicher, wie
das H. Sauppe de causis magnitudinis iisdem et labis Athenarum I p. 21
vermuthet hat, vgl. Funkhänel Ztsc'ir. f. A. W. 1836 n. 130. Die von
Weber aufgenommene Conjektur zapoöaav muss ich also schon aus den an-
gegebenen Gründen verwerfen , aber auch abgesehen davon sind die gegen
Ttatpiov erhobenen Einwendungen unbegründet. Demosthenes hätte von
seinem Standpunkte aus sehr gut die Verfassung, welche Kimon bekämpfte,
die TTarpto? r.riKvzz'm nennen können gerade wie Arist. Polit. II. 9, p. .56, 8
Bekker die von Solon gegründete Demokratie so nennt : S6Xo)voi o' Ivtot [j.£v
oiovxat vo|J.o&eT7)v ■^t-ti'i^'xi aTTO'Joatov. öXif<xpyt<xv xe yap xaxaXüaai Xiav aV-paiov
oOaav -Aal oouXeuovxct xöv ^[ao^ Tioiijsai, xai 07)fjLoxpaxiav -/axaaxfj aat xtjv
raxptov [At^avxa -/aXoj; xTjV TroXtxeiav.
1) Die Form der Klage war die Eisangelia, und man darf sich durch
die Worte, welche Plutarch Fericl. 10 gebraucht: r^v jj.£v yotp eU twv xa-
XYjfoptuv 6 nepf^X'^? u~6 xoö otjjxo'j Trpo ße ß X-^ [ae vo c und o'j [i.-?jv äXXa ■Aa\
Trpo? xov Xo^ov a— a^ ävsoxYj xtj-^ zpoiSoX-rjv äcpo(Jio'j(j.£vo; nicht verleiten
lassen, an eine Probole zu denken; -poߣßX7]|j.£vo? heisst hier nur vom
Volke ernannt, TtpoßoX-fj bezeichnet die Klagerede des Perikles oder genauer
den Theil derselben , worin er den Richtern den Sachverhalt auseinander
setzte, vgl. Schümann de Comit. Athen, p. 228. 229,
38 KiMON.
teil auf den Tod. Mit edlem SelbstheAvusstsein trat der Be-
schuldigte der Gefahr entgegen und Avies auf seine bisherige
anerkannte Uneigennützigkeit hin. Der gefürchtetste unter
den Klägern selbst , Perikles , sei es aus Ueberzeugung von
Kimons Unschuld oder aus Eücksicht auf seine sonstigen ^'er-
dienste , sprach nur so ^iel , als er der Form nach musste \- .
Der Angeklagte wurde freigesprochen , und es ist kein Grund
vorhanden, irgend an seiner Unschuld zu zweifeln.
Allein obgleich er fleckenlos aus dem Processe hervorging,
so bildet derselbe dennoch für seine politische Stellung ein
bedeutendes Moment. Während seit der ^ erbannung des The-
mistokles er fast unbeschränkt den Staat geleitet hatte, war
hier die Gegenpartei, welche sich allmählig gebildet, zum er-
stenmal hervorgetreten. Das Streben dieser Partei ging darauf
hin , im Innern die demokratische EntAvicklung auf jegliche
Weise zu fördern , den sämmtlichen l^ürgern nicht allein die
Berechtigung zu geben, an allen Aemteni des Staates Theil zu
nehmen, sondern auch die Möglichkeit dieses Recht im weite-
sten Umfang auszuüben durch Entschädigung aus dem öffent-
lichen Schatze für jeglichen Zeitverlust bei Ausübung dessel-
ben , endlich jede Schranke die der Aeusseiimg des neuen
Geistes noch in der Verfassung entgegenstand zu brechen.
Nach aussen dringt diese Partei auf unbedingtes Geltend-
machen der Macht Athens sowohl gegen die Bundesgenossen
als die übrigen Hellenen. Es stellt sich das dar in immer
schärferer Ausbildung der Herrschaft über die Bundesgenossen,
deren Beiträge man zu den Bedürfnissen des athenischen Staa-
tes, ohne Rücksicht auf ihre ursprüngliche Bestimmung, ver-
* Plut. Cim. 14 : MvT(a8etc oj tt,; -/.pfiew; £7.£tvT,; h STTfjaiaSpoTÖ; cf.r,^t
TTjV 'E).7:wt7.r;V 'j-£p Toö K'.ijLOivoi; oeoixivr^v eX&sTv e-i xac ft'jpoLc toü IlEpfxXs'j'JC
(o'jTo? Y"P '^i"' "^"^"^ y-ar/j-fopcuv b aciooooTaTo;), tov o£ fxeiota^ivTa »FpaO? £i« cdvott
»Ypaü; oj EX-tvix-^ w? TT,Xiy.aÜTa otarpaTTiar^oti rpaYixaTa« ~Xr,v Iv f- "^
017.7] TTpaoTctTOv '^z-^ZQ^ii T(i) Kiij-ojvi y.cti TTpo? TT,v y.a~r^-^oo''.OM a.T,a\ ävastfjvai
(AÖvov, cia-Ep äcpo3iou[j.£vov. Aehnlich Pericl. lü. Es beruht die Geschichte
also a\ich wieder auf der Autorität des Stesimbrotos und kann darum auf
Glaubwürdigkeit wenig Anspruch machen. Xamentlich erscheint gar nicht
wahrscheinlich , dass der immer besonnene Perikles zuerst 6 s-jioopoTaToc,
der heftigste der Ankläger gewesen und sich dann durch die Bitten eines
»alten Weibes« habe so weit umstimmen lassen , dass er bloss pro forma
geklagt habe. Der gefährlichste unter den Anklägern, der war er freilich.
KiMON. 39
wandte und in Unterstützung der demokratischen Partei in
den einzelnen verbündeten nnd nicht verhündeten Staaten.
Daraus ging von selbst ein entschiedener Gegensatz zu Sparta
hervor, das die altaristokratischen Zustände schützte. Es tritt
also diese Partei so ziemlich in die Fussstapfen des Ihemi-
stokles , nur dass manches, was bei diesem noch unentwickelt
gewesen war. jetzt in bestimmten Formen sich gestaltet. Ihr
schloss sich der jüngere Theil der Hevölkennig an, in Avelcher
das IJewusstsein eines gemeinsamen Ilellenenthums bereits we-
niger wurzelte, um so lebhafter aber das Gefühl der Eifer-
sucht gegen Sparta sich regte. Den Mittelpunkt bildete die
Genossenschaft' Hetairie) des Perikles, des Sohnes des
Xanthippos. Dieser Mann vereinigte in sich das Genie des
Themistokles mit der sittlichen Grösse des Aristeides. gehoben
noch durch die höhere Bildung seiner Zeit, in ihm verkörperte
sich der athenische Volksgeist in seiner schönsten Gestalt und
darum ist es ihm möglich geworden, etwa 40 Jahre lang thä-
tig in die Geschicke seiner ^'aterstadt einzugreifen , fast
dreissig Jahre lang sie zu leiten. Neben ihm stand Ephi al-
tes, der Sohn des Sophonides, ein Mann dem axich von seinen
Gegnern das I^ob der reinsten Unbestechlichkeit und des red-
lichen AVillens nicht versagt Avurde, der aber durch den leiden-
schaftlichen Eifer, mit dem er die demokratischen Pläne seiner
Partei betrieb, ganz besonders den Hass der andern auf sich
zog. Er pflegte mit den "S'orschlägen hervorzutreten, welche
die Genossenschaft entworfen hatte , und so lange diese noch
in der Opposition stand, wird sein Name bei den Hauptschlä-
gen mehr genannt, als der des ruhigem und selten öff'entlich
auftretenden Perikles, der seine ganze Grösse erst entwickelte,
als er nach UeberAvindung der Gegenpartei das Staatsruder in
den Händen hatte und positiv wirken konnte. Diese Partei
also , welche etwa um die Zeit der Schlacht am Eurymedon
feste Gestalt gewonnen haben mag, hat sich durch Kimons
Anklage zuerst versucht und zwar mit Erfolg. Dass das ^^olk
die Anklage beschloss, beweist ihre Stärke, und dass der Feld-
herr freigesprochen wurde, mochte bei Perikles Benehmen als
1) Ueber die Genossenschaft des Perikles vgl. Büttner S. 38. Meine
Schrift über die Hetairien S. 10. 11. Von den Stellen der Alten beson-
ders Plut. Pericl. 7. 16 und praec. reipubl. gerend. 15. p. 990 Dübner,
40 KiMON.
ein Beweis ihrer Massigung gelten und ihr moralisches Ge-
wicht nur verstärken.
Kimons 8tellnng ist nun also fortan natürhch durch die
Partei des Perikles und Ephialtes bedingt ^ . Während er bis
jetzt seine oben geschilderte Politik einer mit möglichster
Schonung des Bestehenden verbundenen Entwicklung befolgt
hatte, stemmt er jetzt mit aller Entschiedenheit sich den For-
derungen der Perikleischen Partei entgegen und sofern diese
immer weitere Entwicklung der Demokratie will, wird seine
Richtung jetzt viel mehr als früher aristokratisch, sofern sie
gegen Sparta immer feindlicher auftritt, gestaltet sich sein Be-
streben , die Freundschaft mit diesem Staate zu erhalten , als
Lakonismus. Diese Richtung hat er keineswegs etwa, durch
seinen Process eingeschüchtert, nur leise hervorblicken lassen,
sondern dadurch eher gereizt als erschi-eckt , seine Neigung
offen und ohne Scheu zu Tage getragen. Namentlich hat er
jetzt seine Vorliebe für den einfachen und besonnenen Cha-
rakter der Spartiaten in einer Weise geäussert, die manchen
seiner Mitbürger verletzen mochte 2) . Auch darf man seine
Macht, nachdem er den Process gewonnen hatte, nicht zu ge-
ring anschlagen : er war noch entschieden der erste Mann
aber bedroht von einer gefährlichen Gegenpartei , deren An-
strengungen täglich stiegen und die vielleicht von ihm nicht
so hoch angeschlagen wurde als sie verdiente. Zunächst ent-
brannte der Kampf bei Anlass der äussern Politik. Bald näm-
lich nach dem Abfalle von Thasos war Sparta durch ein furcht-
bares Erdbeben verwüstet v.orden (465) '■^) und seine Unter-
') Aus Plutarch, besonders Cim. 15 geht deutlich hervor, dass die la-
konisirende aristokratische Tendenz Kimons wesentlich erst durch den Ge-
gensatz der Partei des Perikles hervorgetreten ist.
■-) Plut. Cim. 16 und 14. Hier lässt Plutarch ihn in der Vertheidigung
bei seinem Processe sagen , er sei nicht Gastfreund reicher Völker cüXXa
Aa7,£0ai|j.ovicu>^ [j.t(xo'j[ji.£NOC v-'j'i i'^x-m^i rrjV -ap' aÜToI? EÜTsXeiav xcti ctucppo-
o'jvTjv ■?!<; whisa -poxtfxäv ttXoütov äXXd tiXo'jti^wv azo ~ßyi ro^.eiJ-iwv ty;v ttqXiv
d^akkeüWai. Daraus macht Büttner S. 30 Folgendes: Er selbst sagt in
dieser Beziehung , dass er den Lakedämoniern zugethan sei , weil er ihre
Einfachheit und Besonnenheit ehre und derselben nachstrebe. Wir sehen
daran, dass er die höhere Bedeutung des athenischen Geistes dem lake-
dämonischen gegenüber verkannte I
3) Das Erdbeben setzt Krüger S. 149 fr. ins J. 466, Rospatt 465 oder
464. [Grote 464. Die Noth der Spartaner zu jener Zeit war grösser, als
KiMOX. 41
thanen die Heloten hatten die Gelegenheit zu einem Aufstande
hemitzt. In dem ebenen Lande bald besiegt, warfen sie sich
in die messenische Bergfeste Ithome. Die Spartaner, denen
die Eroberung nicht gelang, riefen die Athener, weil sie mehr
Erfahrung in der Belagernngskimst belassen, zu Hülfe ') . Da
traten sich in der Volksversammlung die beiden Parteien ent-
gegen. Ephialtes beantragte, das Gesuch der Spartiaten rein
abzuschlagen . er beschwor die Athener , der gedemüthigten
Stadt nicht zu helfen . sondern die sonst so stolze Nebenbuh-
lerin ihrem Geschicke preiszugeben. Kimon dagegen, der sein
Vaterland über Attikas Gränzen ausdehnte und eingedenk der
seit den Mederzeiten her bestehenden liundesgenossenschaft '^) ,
sprach für Gew^ährung . denn man dürfe nicht zugeben , dass
Hellas hinkend werde. Noch war sein Einfluss so gross, noch
das ]>ewusstsein einer hellenischen ^'olksgemeinschaft so leben-
dig, dass das athenische \ olk ihm beistimmte. Kimon führte
viertausend SchwerbeAvaffnete über den Isthmos durch das
man gewöhnlich meint. Eine Anzahl einzelner fast zufällige!' Erwähnungen
beweist das; u. a. Xen. Hell. YL, V; 33. oxs ajxol l-oXtopy-oOvxo j-o Msaar)-
vicuv. vgl. Herod. IX, 35.]
'! Die von Plutarch Cim. 10. IT angenommenen zwei Züge der Athe-
ner nach Lakonika beruhen sicherlich auf Irrthum, wie das Krüger S. 154
und Müller zu Aeschyl. Eumeniden S. 118 gezeigt haben. [Auch G rote IV,
p. 69 A. 1 verwirft die zwei Züge." Der Versach Ekkers, die Angabe Plutarchs
zu rechtfertigen, scheint mir nicht gelungen. Auf der andern Seite glaube
ich, muss der Hültszug des Kimon mit Lucas S. 50 weiter als Ol. 70, 1
hei'abgesetzt werden , obwohl ich bei den mangelhaften Nachrichten über
die Chronologie jener Ereignisse nicht wage, das Jahr zu bestimmen. Ich
stimme in dieser Hinsicht dem bei, was Schömann zu Aischylos Eumeni-
den 8. lül sagt; "AVenn man die neuern Untersuchungen über diesen Ge-
genstand von Clinton, Lucas, Rospatt, Sintenis, Krüger, Freudenberg,
Ekker unter einander vergleicht, so wird man auf die Hoffnung, ein siche-
res und überzeugendes Ergebniss zu gewinnen, wohl Verzicht leisten.«
2) Um Kimons Rath zu würdigen, und ihm nicht auch hier übertrie-
benen Lakonismus vorzuwerfen , muss man sich erinnern , dass noch a'jfx-
fjiayia zwischen den beiden Staaten bestand, dass also Athen zu dieser
Hülfe verpflichtet war. Die demokratische Partei wollte aber ihre Con-
venienz über die Bundespflicht setzen. Für Kimons Politik wirkte also
damals in der athenischen Bürgerschaft noch das Gefühl der Bundespflicht
und das Bewusstsein mit Sparta einem Volke anzugehören, mit Sparta ge-
meinsam den Perser besiegt zu haben. Dieses »sittliche Element« hätte
Büttner nicht ganz ignoriren sollen.
42 KiMox.
korinthische Gebiet') vor Ithome. Hier aber erref,^te der de-
mokratische neiierungshistige Sinn der Athener bakl den Arg-
Avohn der Spartiaten. Da die ]»elagerung überdies nicht so
schnell zu einem Ziele führte, als sie erwartet hatten, ent-
liessen sie die Athener wieder nach Hanse , unter dem ^'or-
wande, ihrer weiter nicht zu bedürfen. Diese Beleidigung er-
trugen die Athener nicht ruhig, vielmehr gaben sie jetzt die
alte Bundesgenossenschaft mit Sparta auf^^ und verbanden
sich mit den Feinden desselben, den Argeiem und Thessalern.
Der ganze Unwille des A'olks traf aber den Kimon, dessen be-
sonnene hellenische Politik jetzt den Leidenschaften des athe-
nischen Volks erlegen war. Indessen scheint er unmittelbar
nach der Rückkehr aus Lakonien noch einen gewissen Einfluss
behauptet und bald daraiif noch eine Flotte in die See geführt
zu haben ^). Deutet doch selbst die Absendung einer grossen
1) Bei dem Zuge nach Ithome wurde den Athenern keine Schwierig-
keit gemacht , bei der Rückkehr aber machte Lachartos , wahrscheinlich
ein korinthischer Beamte oder Feldherr Miene den Durchzug zu verweigern,
allein Kimon fertigte ihn kurz ab, Plut. Cim. IT. Es kann diese Aende-
rung vielleicht nur eine Folge des von Sparta gegen die Athener befolgten
Benehmens gewesen sein, wenn man sie aber in Verbindung mit Kimons
Antwort : dlX ouy btjsic, w Ad/apre -rd; KXeojvaiojv -/.ai M^Y'^ip-w niXa; 7.6-
«iiavTe; äXkä 7.aTaayiaavTe; Etseßtdiaaöe fie-d t<üv orXtuv d^ioövre; dvEorfE-zai
TidvTa ToT; jAei^^jv o'jvo:[a£voi? , betrachtet , die sich ofi'enbar auf die Kriege
mit Megara bezieht, so möchte man vermuthen, dass in der Zwischenzeit
Megara vom peloponnesischen Bunde zu Athen abgefallen war. Doch
spricht die Reihenfolge der Erzählung bei Thukydides dagegen.
2 Thucyd. I, 102: oi o' 'Ai^r^vato'. Iyvoj^olv o'jx £—1 tÜ) ßeXxiovi köfw 6.-0-
7:£[j.7:oiji£voi al.'l.ö. Ttvo; 'jT.6-~ryj y^vojasvou '/.ax Seivov — of^ad[A£voi *itai o'r/. d^ieu-
oavTE; 'jTTo Aa7.£oai(j.ov[u)v toöto ra&Eiv eCi&u; ^tteiot, dvEyojpTjaiv , dosvTE; ttjv
YEvojAcVTjV £ri TU) MtjOo) ;'jij.fi.ayiciiv -po; aÜTO'j; 'Apy^tot? toT; exeivojv -oÄEufoi;
|'j[jLu.otyoi. ifho-i-o xal "pö; 0£c;3ci).o'j? dpia d[j.'j.o-£po'.; ot aÜTol opy.ot v.al ?'J[j.-
[ictyict v.aT£3Tr,. Hiermit tritt also Athen in ein ganz neues Stadium seiner
äussern Politik , welches erst mit dem dreissigj ährigen Frieden zu Ende
geht, wo z^-ar nicht SjTnmachie zwischen den beiden Staaten eintritt, wohl
aber sie gegenseitig ihre Symmachien anerkennen.
3) AVenn die Chronologie dieser ganzen Zeit, wie oben bemerkt, grosse
Schwierigkeiten darbietet , so erreichen diese hier ihren höchsten Grad.
Plutarch erzählt, nach der Rückkehr aus Lakonika sei Kimon exostrakisirt
worden, Cim. 17 und zwar so, dass es scheint, er meine unmittelbar nach
der Rückkehr. Ferner erzählt er ebendaselbst , das er unmittelbar nach
der Schlacht bei Tanagra, die man jedenfalls nicht später als in den Spät-
herbst 4.57, Ol. 8(1, 4 setzen darf Krüger setzt sie 458, Ol. 80, 3, zurück-
KiMON. 43
Macht nach Aegypten zur Unter«tütz\nig de- gegen Persien
anfgestandenen Inaros auf IJefolgnng seiner Politik. Allein
berufen worden sei. Theopomp bei dem Schol. zu Aristid. Dindorf III.
p. 52S sagt, ehe fünf Jahre verflossen seien, sei Kinion zurückbei'ufen
worden, weil die Athener gedacht hätten, er werde am ehesten den Frieden
mit Sparta herstellen; ihm folgt Nepos Cim. 3. Combinirt man diese bei-
den Angaben, so würde also Kimon nicht später als Ol. 79, 3, 462 ver-
bannt worden sein, und da unbestritten ist, dass die Massregeln des Ephi-
altes gegen den Areopag noch in die Zeit vor seiner Verbannung fielen,
so dürften sie auch spätestens in Ol. 79, 3 , eher aber noch etwas früher
gesetzt werden. Es scheint sich das auf den ersten Anblick recht gut zu-
sammenzufügen , jene Massregeln wären während Kimons Abwesenheit in
Lakonika durchgesetzt worden , bei seiner Rückkehr hätte er darüber auf-
gebracht allen seinen Einfluss angewandt, sie rückgängig zu machen, aber
eben dadurch seinen Gegnern Anlass gegeben, die wegen des lakonischen
Hülfszugs ohneliin gegen ihn gereizte Volksstimmung zu benutzen und ihn
zu exostrakisiren. Allein bei genauerer Betrachtung hält diese Combination
nicht Stich. Zunächst sagt Plutarch Cim. 1.5, Ephialtes habe die Angriffe
auf den Areopag gemacht u'j; -dXtv i~i arpaTsiav i^srj.tuas, als Kimon Avie-
der zu einem Feldzuge in See gegangen sei. An den lakonischen Zug
darf man also nicht denken. Hingegen Hesse die Art, wie Plutarch es
unmittelbar nach dem thasischen Krieg und dem darauf folgenden Pxocess
erzählt, vermuthen, er setze das Ereigniss zwischen diesen Process und den
Feldzug nach Ithome. Bei der ganz unchronologischcn Darstellung
Plutarchs ist aber darauf nichts zu geben, sondern Avir werden an die Zeit
nach der Kückkehr von Ithome denken müssen. Diodor XI, 77 setzt näm-
lich den Sturz des Areopags in Ol. SO, 1 oder 460/59. Man kann nun
freilich die vielen chronologischen Irrthümer Diodors zum Beweise anführen,
dass er auch hier geirrt habe. Allein eine zweite ganz sichere chronolo-
gische Angabe kommt ihm hier zu Hülfe und lässt das Ereigniss nicht
wohl weiter zurücksetzen. Es ist die Didaskalie z.i Aeschyl. Agamemnon,
wonacli die Trilogie Agamemnon , Choephoren , Eumeniden unter Archon
Philokles Ol. 80, 2, 458 gegeben wurde. Denn wenn man auch mit Schö-
mann zu den Eumeniden S. 101, 102 zugiebt, dass die Eumeniden auch
nach der Durchführung der Massregel des Ephialtes gegeben werden
konnten, so wird man doch sicher nicht in Abrede stellen, dass sie in Be-
ziehung zu derselben standen und man sie deshalb nicht mehrere Jahre
(mit bloss zweien , wovon Schömann spricht , kommt man schwerlich aus,
sobald man die Eückkehr gleich nach der Schlacht bei Tanagra setzt, nach
derselben setzen darf. Ich nehme deshalb an, Kimon sei nicht vor Ol. 80,
1 exostrakisirt worden. Damit stimmt dann freilich die Rückkehr gleich
nach der Schlacht bei Tanagra nach Verfluss von nicht vollen fünf Jahren
nicht, und diese Angabe, welche sich bei Plutarch Pericl. 10 Cim. 17 fin-
det, glaube ich, müssen wir aufgeben, da Plutarch mit sich selber im Wi-
derspruch ist und noch andere Schwierigkeiten entstehen. Plutarch sagt
44 KiMON.
während seiner Abwesenheit richtete nnn die demokratische
Partei unter Ephialtes ihre Angriffe anf den ehrwürdigen Aren-
pag und brach dessen Macht, die allein noch der unum-
schränkten Leitung des Volkes durch Demagogen im Wege
stand'). Diese Neuerung verletzte den Kimon in seinem In-
nersten ; die AVürde des .Staats schien ihm und der ganzen
Partei der älteren Generation beschimpft. Wie ernst diese die
Sache nahm, zeigt uns am deutlichsten die herrliche Tragödie
des Aischylos die Eumeniden, in denen Beeinträchtigungen
dieses alten Gerichtshofes und Eathes als ein sündhafter an
den Göttern verübter Frev^el dargestellt werden. Die Würde
und Macht des Areopags wieder herzustellen . strengte nun
Kimon alle Kräfte an ja er soll darauf ausgegangen sein, die
nämlich, Kimon habe gleich nach seiner Rückkehr den Frieden hergestellt,
Cim. 18: £'j9'j; |j.sv o'jv o Ki[A(ov 7.aT£/.8oj-; e/.oIc tov rJt).z\xvi v.oti w'r).).'j!z-.
T«; -oXetc, und doch ist der fünfjährige Waffenstillstand nicht vor Ol. 82,
2, 451/50 geschlossen worden, er ist also entweder nicht gleich nach der
Schlacht bei Tanagra heimgekehrt , oder hat den Frieden nicht gleich ge-
schlossen. Schwerlich auch wird man behaupten wollen, Kimon, der aller-
dings nach Andoc. de pace §. 3 und Nepos Cim. 3 nach Sparta als Frie-
densunterhändler gegangen zu sein scheint, habe 6 — 7 Jahre dort unter-
handelt um am Ende einen blossen "Waffenstillstand von fünf Jahren zu
Stande zu bringen. Ebenso auffallend aber wäre es, wenn Kimon, den
man doch in dem gefährlichen Kriege auch mit Rücksicht auf seine Feld-
hermtüchtigkeit zurückberief, während so langer Zeit keine kriegerische
That ausgeführt hätte , und doch werden zwar Tolmides , Myronides , Pe-
rikles in dieser Zeit als Feldherrn rühmlieh genannt , er aber nirgends.
Daher glaube ich, müssen wir die Annahme, er sei gleich nach der Schlacht
bei Tanagra zurückberufen worden , aufgeben , wodurch wir zugleich die
Möglichkeit erhalten , seine Verbannimg erst Ol. SO, 1 oder 2 zu setzen.
Welcher Feldzug es gewesen , zu dem er in See ging , während Ephialtes
die Macht des Areopags brach , können wir nicht mehr Ijestimmen , doch
halte ich mit O. Müller zu den Eumeniden S. 118 für wahrscheinlich, dass
man an eine Theilnahme an dem Kriege gegen Aegypten und Cypem den-
ken muss. ^Grote IV, 110 setzt Kimons Verbannung vor den Sturz des
Areopags. Beweise giebt er nicht. j
') Der conservative Charakter des Areopags lag nicht nur in der Zu-
sammensetzung desselben aus Männern, welche dem grössern Theile nach
auch damals noch den höhern Classen der Bürgerschaft angehörten , wie
Schömann Einleitung zu den Eumeniden S. 47 richtig bemerkt, sondern
auch und wohl in noch höherm Grade in dem Umstände , dass seine Mit-
glieder gegenüber den andern bloss auf ein Jahr gewählten Aemtern, allein
ihre Stellen auf Lebenszeit hatten.
KiMox. 45
Verfassung des Kleisthenes -wieder herzustellen , was indess
Avohl auf unrichtiger Auffassung beruht ') . Dass er dabei ir-
gend ein ungesetzliches Mittel sich erlaubt, ist nicht glaublich,
wenn man nicht eine sehr undeutliche Stelle eines Kedners
hieher ziehen will ■^ . Allein der Parteikampf wurde so heftig,
dass eine Entscheidung für Athen nothwendig Avurde und Ki-
mons Anwesenheit der Gegenpartei nicht mehr erträglich schien.
1) Plut. Cim. 15. Aio y.aX toj Ki[j.ojvo; , oj; ä-avfjXHev , äY'/vaxTO'JvTo;
£771 tJ) 7:po7T7]Xax.tC£38oit To ä^i(i)(xa Toü) a'jviOpio'j y.iX tA/.vi avw xa; oi7.a; oyx-
xoiXet 11)7.1 7cai T-?,v Itti Käsi^SIvo'j; sfeipetv äpiaroy-pa-tav a. t. X. das a-nu ävi-
•/.aXeiaitai hat Ekker falsch erklärt : «6 injerioris ordinis atque äignitatls ho-
miuihu^ quibiis Ephialtes eas commisi'rat 7-ursus ad superius tribumil ad Areo-
pagu))i levocare yj d'vw [io'jXfj ist vielmehr wegen seiner Lage der Areopag
Plut. Solon. 19. avd) xdi 01x7.; äva-x^XeTaDai heisst also nur die Processe
■wieder vor den Gerichtshof auf dem Areopag bringen, ohne den Gegensatz
zu den niedern Classen der Bürger auszudrücken. Bei der i^zi KXetoSevo'j;
dpia-o-/.paTia ist gewiss nur an die Stellung zu denken, die der Areopag in
ihr einnahm und nicht an ein Ausschliessen der Theten vom Archontat.
-, Vgl. S. 35 Anm. 1. AVenn Plutarch Cim. c. 15. sagt die Gegner
des Kimon hätten auch wieder an sein Verhältniss zu Elpinike erinnert,
so ist das möglich , obschon höchst unwahrscheinlich. Denn dieses übri-
gens gesetzlich erlaubte Verhältniss fällt über 20 Jahre früher und konnte
gewiss nicht mehr als Agitationsmittel dienen. An einen damaligen Um-
gang Kimons mit der Schwester wird man um so weniger denken, als Pe-
rikles sie bereits einige Jahre zuvor eine ypciD; nannte und überdies sagt
Plutarch deutlich ra -o<jt tt,v äo£X'iT|V ctvctveouasvo'.. vgl. auch de sera num.
V. c. 6. p. 667 Dübner. Ganz unbegründet ist des Pseudo-Andokides Be-
hauptung (c. Alcib. 33.) £|(03Tpä7.i3av K'<.\J.oyrj. , oti f^ doiK^r^ ttj ia'j-ryj o'jv-
uj7.r^3£ , als ob man wegen dergleiciien den Ostrakismos angewendet hätte.
Von Tzetzes kann es nicht verwundern wenn er Chiliad. 1, 22. 588 f.
erzählt , Kallias sei wegen des Umgangs seines Vaters Kimon mit der
Schwester in eine Strafe von 50 Talenten verurtheilt worden , vgl. Meier
de bonis damnat. p. 5, not. 11. Was soll man nun aber dazu sagen, wenn
man bei Büttner S. 32 liest : »Sehen wir . . dass er in seinem eigenen per-
sönlichen "Wandel die alte gute Sitte , zu deren Wiederhersteller er sich
aufwarf, selbst so mit Füssen trat, dass er durch das Verhältniss zu seiner
Schwester dem Volke wenigstens einen ostensiblen Vorwand lieh um ihn
zu verbannen !« Da Kimon zur Zeit seiner Ehe mit Elpinike noch
gar keine Stellung im Staate hatte, so ist diese Zusammenstellung eben so
unbegründet als ungerecht , wie es überhaupt ein unpassendes Verfahren
ist , Jugendfehler grossen Männern später vorzuhalten. Mit dem gleichen
Rechte dürften wir auch die abgeschmackte Anekdote bei Athenaeus XIII.
p. 589 d. e. gebrauchen, um den Satz zu begründen, Perikles habe seine
hohe politische Stellung benutzt, um seinen sinnlichen Begierden zu fröhnen.
46 KiMON.
Da sie sie jetzt die Mehrheit besass, wandte sie den Ostrakis-
mos an, er miisste Athen verlas -en, das nun auf einmal eine
ganz entgegengesetzte Pohtik verfolgte. Denn jetzt bricht die
lang verhaltene Eifersucht gegen Sparta und die aristokrati-
schen Staaten des Festlandes in helle Flammen aus. Ein blu-
tiger Krieg, in dem Sparta seine Hegemonie auf dem griechi-
schen Festlande neu zu befestigen, Athen seine HeiTschaft
auch hier zu begründen trachtet, beginnt. Der Parteihass
steigert sich auch in den Einzelstaaten aufs höchste. In Athen
tritt eine äusserste volksfeindliche Partei , jetzt wo die verfas-
sungsmässige Opposition durch Kimons Entfernung gebrochen
war, mit den Feinden in Verbindung'). Die Annäheiiing
eines lakedaimonischen Heeres stand im Zusammenhang mit
dem beabsichtigten Sturze der Demokratie. Ephialtes wurde
nächtlicher Weile ermordet . und während die einen die That
der lakonischgesinnten l^artei zuschrieben, ging anderseits die
Leidenschaft so Aveit. dass selbst Perikles derselben beschul-
digt wurde - . Ein starkes athenisches Heer rückte dem Feinde
an die Gränze entgegen. Da stellte sich unerwartet Kimon
bei dem Heerhaufen seines Stammes , um in dieser Xoth der
Vaterstadt auch gegen Sparta seine Hülfe zu bringen. Es
wurde ihm, dem Verbannten, diese Gunst nicht gewährt, er
\ Den Kimon für die verrätherischen Umtriebe einiger volksfeindlichen
Oligarchen irgend wie mit verantwortlich zu machen sind wir durchaus
nicht befugt, und wenn Büttner S. 31 behauptet, »dass er eine Hetärie
nur aus solchen Leuten sich habe bilden können , die nicht Aristokraten
in seinem Sinne waren, sondern Oligarchen der schlechtesten Art, nämlich
die schon erwähnten Verräther vor de/ Schlacht von Tanagra« so ist er
den Beweis dafür schuldig geblieben. Denn kein Schriftsteller sagt, dass
des Kimon i-alooi namentlic'h der Euthippos aus Anaphlystos Yerräther
gewesen seien, sondern nur dass man sie des Lakonismus beschuldigte,
aber wie Plutarch selbst sagt mit Unrecht. Die Verbindung mit den Feinden,
von der Thukydides spricht, ging von einigen wenigen Männern aus , die
wir nicht kennen, und mit denen wir nicht die staTooi des Kimon identifiziren
dürfen. Vgl. was K. F. Hermann Berl. Jahrb. 1S42. S. 1.36 richtig über
den Unterschied solcher einzelnen Verschwörungen und ganzer Hetäi'ien sagt.
2) Plut. Pericl. 10. Es ist das schwerlich eine Erfindung des Idomeneus
gewesen, wie Plutarch zu meinen scheint, sondern ein von der Seite der
Mörder und ihres Anhangs ausgesprengtes Gerücht. Eine frappante Aehn-
lichkeit bietet in der neuesten Zeit die Ermordung des biedern Luzerner
Demagogen Leu von EbersoU.
KiMON. 47
musste sich eutfernen ') ; seine treusten Genossen aber, von
ihm zu hehlenmüthiger Aiifopferung ermahnt, nahmen seine
Waifenrüstnng in die Mitte und fielen alle , hundert an der
Zahl den Heldentod in der blutigen Schlacht bei Tanagra (458
oder 457), indem sie sich so aufs schönste von dem Verdachte
verrätherischer Verbindung mit dem Feinde reinigten. Wahr-
scheinlich hatte man das, was nur von einer kleinen Faktion
ausging, mit Unrecht der ganzen ehemaligen Kimonischen
Partei zur Last gelegt. Dies edle Benehmen und die Erinne-
rung an Kimons kriegerische Tüchtigkeit, auch an seinen Ein-
fluss in Sparta machte, dass er nach fünfjähriger Entfernung
aus der Heimath schon zurückberufen wurde , l'erikles selbst
brachte den Antrag vor das ^'olk - . So kehrte er allgemein
geehrt wieder nach Athen zurück. Er hat aber fortan, so Aveit
wir urtheilen können, nicht mein in die innere Politik seiner
"\"aterstadt eingegriffen, dagegen nach aussen ihr die glänzend-
sten Dienste geleistet, seinen frühern l>estrebiingen getreu.
In den Kämpfen mit den hellenischen Staaten zwar wird sein
Name bei keiner der Watfenthaten genannt, durch die ein Pe-
rikles, Myronides, Tolmides ihre Namen unsterblich machten ;
vielmehr w\irde ihm das schöne Loos zti Theil, seinen Waffen-
ruhm nicht an die Kämpfe mit den Bruderstaaten zu knüpfen.
Dagegen ist es ihm gelungen (451), den Krieg durch einen
fünfjährigen Waffenstillstand mit Sparta zii beendigen, und
trotz der glänzenden Erfolge, welche die Athener errungen
hatten, war ihnen, wie den Spartanern die Erholung sehr er-
wünscht. Kimon steht noch einmal in dem ersten Range
eines Vorstehers des athenischen Staates neben Perikles, jetzt
aber nicht mehr feindlich, sondern in friedlichem Vereine , so
') Die ältei'e Schweizergeachiclite bietet ein ganz ähnliches Beispiel von
warmer Vaterlandsliebe bei Verbannten und strenger Handhabung des Ge-
setzes gegenüber denselben. Vor der Schlacht bei ^lorgarten 1.'<I5 hatten
50 verbannte Schweizer umsonst darum gebeten in den Reihen ihrer Brüder
mitfechten zu dürfen. Abgewiesen, stellten sie sich ausserhalb der Landes-
grenzen auf und trugen wesentlich zu dem glänzenden Siege bei.
-) lieber die Zeit der Zurückberufung des Kimon vgl. S. 4 5 A. Wer
ein Beispiel recht abgeschmackter Klatscherei kennen lernen will findet es
bei Athenaeus XIII, p. 589 e. y.rd Kifxtovoc o' 'E^Tttvi-/^ t^ äoeXcpT] 7rapav6[Atu?
a'jvovTo; , £i&' uaxepov £-,coo&£taTj KaXXia xaX ^u^mrjBit^hTOi [j.[a&6v eXaße ttj;
7.7.i}ooo'j a'JToü 6 Ue^ji'AKq;, xo tt^ 'EXTitvi-/.T|j [Aiy^&fjvat.
48 KiMox.
dass Perikles die innern Verhältnisse, Kimon die äussern leitet.
Denn mag nun die Nachricht, dass darüber vor seiner Zurück-
herulüng ein förmlicher Vertrag zwischen den beiden Männern
zu Stande gekommen sei . wahr sein oder nicht, faktisch ver-
hielt es sich so ' . Offenbar war eine ^'erständigiing viel
leichter, seitdem der heftige Ephialtes nicht mehr da war. Um
nun aber den Thatendrang der Athener zu befriedigen . ohne
von neuem Krieg mit den Staramgenossen zu beginnen. Avandte
Kimon noch einmal die hellenischen Streitkräfte gegen Persien.
Wie oben erAvähnt. war bereits früher eine grosse Flotte gegen
diese nach Aegyten abgegangen, um dies Land in seinem Auf-
stande gegen Persien zu unterstützen. Diese ganze athenische
Flotte war von den Persern vernichtet worden, Aegypten wie-
der unterworfen, Cypern wieder unter persische Herrschaft
gebracht. Nach jenen Gegenden, wo er schon früher siegreich
die Hellenen befehligt hatte, richtete Kimon noch einmal den
Blick. Und als Athen sich einigeiinassen von den An-
strengungen des Krieges erholt hatte, führte er 449 zweihun-
dert Schiffe der Athener und Bundesgenossen nach Cypern,
entsandte von da sechzig zur Unterstützung des Amyrtaios, eines
ägyptischen Fürsten, der sich noch immer in den Niedenmgen
des Delta gegen die Perser behauptete, und belagerte nach
glücklichen Gefechten mit dem Feinde mit den übrigen die
Stadt Kition. Allein schon vor der Al)fahrt aus Athen hatten
bedeutungsvolle Zeichen auf sein herannahendes Ende gewie-
sen , eine Gesandtschaft . die er zu Amnion schickte , erhielt
die Antwort, sie möge nur wieder gehen, denn schon sei Ki-
mon selbst bei dem Gotte. In der That war er an demselben
Tage an einer Krankheit oder den Folgen einer AA^unde ge-
storben - . Aber noch im Tode fühlte er das Heer zum Siege,
durch den Glanz seines Namens. Nach seinem eigenen Rathe
nämlich verheimlichten die Athener, dass er gestorben sei,
und verliessen ihre Stellung vor Kition , wo sie Maugel an
I
'i Plut. Per. 10. praec. reip. ger. 15, 22. pg. 922 Dübner ; dass eine
solche Verabredung statt gehabt habe ist so umvahrscheinlich nicht, eine
andere Frage ist, ob, wie es an der ersten Stelle erzählt -n-ird, Elpinike
die A erniittlerin war. was allerdings etwas an die Manier des Stesimbrotos
erinnert. Vgl. Sintenis zu der Stelle.
-I Plut. Cim. IS. 19.
KiMON. 49
Lebensmitteln zu fühlen begannen. Auf der Höhe der Stadt
Salamis trafen sie auf die phönizisch-kilikische Flotte, schlugen
sie und griffen den Feind mit ebensoviel Erfolg auf dem Lande
an 1 . Des Feldherrn aber beraubt, der allein die Unternehmung
zu leiten verstand, verfolgten sie die Siege nicht weiter, sondern
kehrten vom Feinde nicht beunruhigt nach der Heimat zurück.
Es war der letzte Kampf, den Athen gegen Persien führte, die
Versuche, das persische Reich zu erschüttern , ruhen hinfort,
ohne Zweifel nicht in Folge eines geschlossenen Friedens, son-
dern weil die nähern hellenischen Angelegenheiten bald die
Kräfte vollauf in Anspruch nahmen und Perikles allen weitern
Unternehmimgen von zweifelhaftem Erfolge abgeneigt war.
So also endigte Kimon sein Leben im Dienste für das
» Vaterland, dem er es von früh an gewidmet hatte. Der lilick
auf dasselbe macht auf den Beschauer einen wohlthätigen Ein-
druck, den nur ganz einseitige Betrachtung trüben kann. Seine
Verdienste um Athen und Griechenland sind gross gewesen.
Als kühner, kluger und unternehmender Feldherr steht er den
ersten Männern jener Zeit in nichts nach, keiner hat so glän-
zende Kriegsthaten verrichtet, keiner so oft griechische Heere
z\im Siege gegen Barbaren geführt und dadurch das Vaterland
gesichert. Er hat durch seine Leutseligkeit nicht weniger als
durch seine Feldherrntüchtigkeit die Basis von Athens Grösse,
die Bundesgenossenschaft, wesentlich mitbegründet und befestigt,
ohne sich der Härte schuldig zu machen, welche spätere Feld-
herrn und Staatsmänner bewiesen; er hat mit lebendigem Ge-
fühle für die Stammesgemeinschaft aller Hellenen die Freund-
schaft und das Bündniss unter den ersten Staaten zu erhalten ge-
' Ich habe mich hier an die einfache Erzählung des Thukydides
(1, 112. angeschlossen, gegen die die Abweichungen des Diodor XII, 3. 4.
Plut. Cim. 19. Cornel. Nepos 3 nicht in Betracht kommen können. Da-
gegen lässt sich denken, dass bei der Kürze der Erzählung Thukydides
untergeordnete Ereignisse übergeht. Eine Zusammenstellung der verschie-
denen Nachrichten giebt Lucas S. 57. Anm. 67. der aber irrig den Anaxi-
krates bei Diodor zum persischen statt zum athenischen Feldherrn macht
und Engel Kypros I. S. 27S ff. — Bemerkenswerth ist die von Plutarch
c. 19 nach dem Rhetor Nausikrates aus Erythrai einem Schüler des Iso-
krates mitgetheilte Nahricht, dass die Bewohner von Kition den Kimon in
Folge eines Orakelspruchs als Heros verehrten. Begraben war er nicht
dort, sondern in der Familiengrabstätte vor dem Melitischen Thore zu Athen.
Vischer. Schriften I. 4
50 KiMON .
trachtet, so lange als möglich, und Athens Grosse nicht auf
dem Sturze Sparta's errichten wollen, er hat Freunden und
Feinden so viel Zutrauen eingeflösst, dass ihm es gelang, nach
blutigen Kriegen für den Augenblick die kämpfenden Parteien zu
versöhnen. Seine Abwesenheit von Athen war die Zeit blutiger
Kriege mit Sparta ; bald nach seinem Tode begannen die Kämpfe
von neuem. Er selbst hatte das Glück, ihnen fremd zu bleiben.
Mit dieser äusseren Wirksamkeit stimmt seine innere im
Ganzen wesentlich überein. Ein einfaches biederes Wesen,
das sich aber in aristokratischem Glänze gefiel, A'orliebe für
die herkömmliche Ordnung der Dinge , Widerstand gegen
Neuerungen , die ihm schädlich schienen , zeichnen ihn aus,
und wenn er ^delleicht in der letzten Zeit seines Lebens in
einigen Punkten hinter der Entwickelung des athenischen ♦
Geistes zurückgeblieben ist, so darf man nicht vergessen, dass
diese EntAvicklung , wie sie unter Perikles ihren Höhenpunkt
erreicht, zwar allerdings Athen auf eine Stufe geistiger Vollen-
dung bringt, wie sie kein anderer Staat des Alterthums je er-
reicht hat, allein zugleich die Keime des eigenen Verfalls imd
des Zerwürfnisses mit den übrigen Griechen in sich schliesst.
Diesen entgegengearbeitet zu haben, ist ein A'erdienst Kimons.
Und das hat er überall in männlicher Weise mit ehrlichen,
offenen Waffen gethan, vielleicht später hie und da mit etwas
zu \ie\ Selbstgefühl und fast trotziger Geringschätzung seiner
Gegner, die in berechneter Leitung der Yolksstimmung daher
ihn überflügelten. AVemi etwas, so ist sein Verfahren gegen
Themistokles zu tadeln; allein hier sind wir bei dem Mangel
der Quellen nicht zu hinreichendem Urtheil befähigt, und sein
ganzes übriges Leben lässt kaum eine absichtliche unedle
Handlungsweise vermuthen. An Unbestechlichkeit steht er
neben Aristeides und Perikles. zwischen denen er in mancher
Beziehung ein vermittelndes Glied bildet. Was aber vor Allem
ihn auszeichnet, was den schönsten Ruhm seines Lebens bil-
det, das ist die bei kräftigen und ganzen Naturen, ^vie er war.
so seltene Fähigkeit, seine eigenen Neigungen zu überwinden
und erlittene Unbilden zu vergessen. Obgleich schon in früher
Jugend durch des ^"aters "S'erurtheiliing von schwerem Un-
glücke betroffen, hat er doch zuerst sich den heilsamen Rath-
schlägen des Themistokles, des Führers der Gegenpartei, an-
KiMON. 51
geschlossen; durch den »Sturz des Areopags und den Bruch
mit Sparta tief verletzt, durch den Ostrakismos verbannt, hat
er nicht nur keine feindliche Handlung gegen die Vaterstadt
unternommen, keine Verbindung mit deren Feinden einge-
gangen, sondern bei der ersten Gefahr sein Leben ihr dar-
bringen wollen und seine Parteigenossen zur edelsten Hin-
gebung begeistert ; endlich zurückberufen hat er dem ehemali-
gen Gegner die Hand der Versöhnung gereicht und gemeinsam
mit ihm zum Heil der Vaterstadt gewirkt. Stellen wir also
auch an genialer Geisteskraft seine Gegner Themistokles und
Perikles höher als ihn, so werden wir. was Feldherrntalent,
Tüchtigkeit der Gesinnung, redliches Wollen und aufopfernde
Vaterlandsliebe betrifft, dem Kimon die Hochachtung und Be-
wunderung nicht versagen mid eine Zeit glücklich preisen, wo
solche Männer, wenn auch sonst entzweit, im Augenblick der
Gefahr für das Gemeinwohl Hand in Hand gingen.
Stammtafel des Kimou.
Kypselos i) ungenannte Frau zweimal vermähh— v — ^Stesagoras-J •
Miltiades Kimon 6 KoaXeij-o;*;
der Oekiste des Cher-sones^ |
Stesagoras'^, Miltiades,
der Sieger von Marathon, vermählt
1 mit einer Unbekannten 6)
2) Hegesipjie, Tochter des
thrakischen^Fürsten Oloros.'^]
1 Metiochos 1 Elpinike 2 Kimon 2 Hegesipyle^j
mit einer Perserin vermählt mit vermählt mit vermählt mit
vermählt 1 Kimon 1 Elpinike Oloros Mut-
2 Kallias 2 Isodike ter des Thu-
Tochter des kydides
Euryptole-
■ mos 3
3 einer Ar-
kadierin aus
Kleitor 10
"2., Miltiades 2 Kimon 2 Peisianax", .'i Thessalos 3 Lakedaimonios SEleios'-i.
1) Kypselos war wahrsclieinlicli der Sohn des Hippolileides, Mareell. vit. Thucyd. 3, vgl.
S. 3 Anm. 2. Der Name weist auf Verwandtscliaft mit dem Geschlechte der Kypseliden in
Korinth, welche Herodot VI, 12S bestätigt.
2) Herod. VI, 103. Wie Stesagoras mit den frühem Philaiden und namentlich Kypselos
verwandt war, iviesen wir nicht. Vöme! nimmt übrigens, wie ich aus Bahr zu Herod. VI, 38
52 KiMON.
sehe, an, die Mutter des Oekisten Miltiades und des Kimon Koalemos sei in erster Ehe mit
Stesagoras, in zweiter mit Kypselos vermählt gewesen. Eine bestimmte Nachricht ist mir
unbekannt.
3J Er starb kinderlos Herod. VI, 3S.
4) Herod. VI, 103. Plut. Cim. 4. Er wurde a«f Anstiften der Peisistratiden ermordet^
und wird deshalb nicht so unbedeutend gewesen sein, als der Spottname vermuthen Hesse.
5) Im Prytaneum auf dem Chersones erschlagen, kinderlos. Herod. VI, 3S.
öj Herod. VI, 41 nach Marcell. Leben des Thukyd. §. 11 eine Athenerin, was durchaus
wahrscheinlich.
7) Herod. VI, 39.
8J Diese Verwandtschaft unsicher vgl. Marcell. §. 2. 14. Eine andere Combination hat
Krüger im Leben des Thukydides S. 34 versucht.
0) Plut. Cim. 16. 4. An ihr hing Kimon mit ungewöhnlicher Liebe. Sie gehörte dem
Alkmaionidengeschlechte an, Euryptolemos war Sohn eines Megakles. Dass sie vor der
Kleitorierin mit Kimon vermählt war, wird nirgends gemeldet, ich halte es aber für das
wahrscheinlichere, weil wir aus Plutarch wissen, dass sie vor Kimon starb und weil es sehr
natürlich erscheint, da^s Kimon zuerst in seiner Heimat heirathete und erst später, als er in
ganz Griechenland Verbindungen hatte, eine Peloponnesierin zur Frau nahm. Auch die
Namen der Söhne sprechen dafür.
10| Plut. Cim. 16. kXiiTooia. Pericl. 29. y'J"'^ 'Apxa&ixT;'. Lucas und Ekker nehmen es
gewiss irrig für ihren Eigennamen. Geht aber vielleicht KXji-iü '.^outo . . , • io'j Kifituvo? yuvTy
in der Inschrift C. I. G. l.!>0 sie etwas an?
11) [Ueber Euryptolemos und Peisianax cfr. auch 0. Jahn: archaeol. Ztg. 1S69 n. F. I
S. 175, 176.]
12) Nach Ste^imbrotos bei Plut. Cim. 16 waren Lakedaimonios und Eleios zwei Zwillings-
brüder von der Kleitorierin. Thessalos von Isodike, nach Diodor dem Periegeten ebendaselbst
(vgl. Pericl. 29) war auch Thessalos von der Kleitorierin. Die drei andern werden genannt
von dem Scholiasten zu Aristid. III, p. 515 Dindorf. Ihre Namen waren aus der Familie
genommen, die der drei andern nach Proxenien. Da nun wahrscheinlich ist, dass Kimon
zuerst die Familiennamen anwandte und da Peisianax ganz bestimmt auf die Familie der
Isodike weist, so habe ich keinen Anstand genommen, diese drei Söhne ihr zuzuschreiben,
vgl. Xenoph. Hell. I, 4, 19. Miltiades, Sohn des Kimon bei Andoc. de pac. §. 3 steht offen-
bar nur aus Irrthum, statt Kimon, Sohn des Miltiades.
DAS KRIECtSSYSTEM DEE ATHENER
YOn dem Tode des Perikles bis zur Sdilaclit bei Delion und
Demosthenes, der Sohn des Alkistlienes.
[Schiceizerisches Museum I. 1S37. S. 372 — 408.]
Die Wichtiglveit de? peloponnesischen Kriegs für die poli-
tische, sittliche und intellektuelle Gestaltung der griecliisclien
Völker und Staaten, die zu allgemein anerkannt ist, als dass
noch ein Wort darüber zu sagen wäre, scheint Ursache ge-
worden zn sein, dass man, besonders in neuerer Zeit, fast alle
Aufmerksamkeit auf diese Seite desselben gerichtet, dagegen das
eigentlich Kriegsgeschichtliche mehr ausser Acht gelassen hat.
Als Beweis, dass auch das Letztere die gebührende Aufmerk-
samkeit erhalten habe, könnte man zAvar die Bemühungen der
neuem Herausgeber des Ihukydides anführen. Allein so sehr
sie Anerkennung verdienen, so beschränken sie sich doch, der
Natur der Sache nach, auf Einzelnheiten, und können nicht auf
zusammenhängende Darstellungen eingehen. Daher scheint
der Versuch gerechtfertigt, einzelne Theile des grossen Kam-
pfes auch in kriegsgeschichtlicher Hinsicht zu erörtern, und
die Männer, welche hier auftreten, zu würdigen; und es sei
mir gestattet, zunächst die Art, Avie die Athener von Perikles
Tod bis zu der Schacht bei Delion. Olymp. S7. 4. bis S9. 1.
den Krieg führten, zu betrachten.
In den ersten Jahren des Krieges hatte Perikles ein
w^ohl überdachtes System entworfen: die Athener sollten ihre
feste Stadt vertheidigen , das Land von Attika dagegen Preis
geben und eine Hauptschlacht mit dem überlegenen feindlichen
Landheere sorgfältig venneiden; sie sollten auf die Bundesge-
nossen ein wachsames Auge haben, die Verheerung Attikas
durch Landungen an der peloponnesischen Küste erwidern, und
54 Athen's Kriegssystem
den Feind durch häufige Beunruhigung nicht zvi Athem kom-
men lassen, sich dabei ja nicht auf neue Eroberungen einlas-
sen, und überhaupt die Kräfte nicht zersplittern. Auf diese
Art gedachte Perikles den Krieg in die Länge zu ziehen, die
Peloponnesier. denen es an Geld fehlte, und die für die ver-
wüsteten Ländereien nicht wie die Athener im Handel und in
auswärtigen l^esitzungen Ersatz fanden, zu ennüden und miss-
muthig zu machen, bis sie sich zu einem für Athen günstigen
Frieden bequemen würden. Dieses System, wenn es auch bei
einem grossen Theile der attischen Bevölkenmg Unzufrieden-
heit erregte, konnte dennoch Perikles, veiinöge seiner Stellung^
mit eiserner Consequenz durchführen. Aehnlich, nur nicht so
klar imd bewusst aiisgebildet, war der Plan der Peloponnesier.
Sie hofften durch ihre regelmässigen Einfälle in Attika, wobei
Alles zerstört und namentlich die Oelbäume, Athens Reichthum,
umgehauen A^-urden, die Athener dahin zu bringen, sich den
früher gestellten Forderungen zu unterziehen, und dass sie
nicht ganz falsch gerechnet hatten, zeigte sich während der
Pest, als Perikles eine kurze Zeit vom Volke verkannt und
Friede gesucht ■«Tu-de. Ausserdem suchten die Peloponnesier
gleich von Anfang an Athen in seiner Bundesgenossenschaft
anzugreifen. Aviewohl ohne Erfolg, aus Mangel an einer dem
Feinde gewachsenen Seemacht. Es kam bei dieser Kriegsfüh-
rung also hauptsächlich darauf an, wer am längsten ausharren
könne . wessen Hülfsmittel am längsten ausreichen würden ;
und da in dieser Beziehung Athen den Peloponnesiern über-
legen war, so kann die Zweckmässigkeit des perikleischen
System unmöglich verkannt Averden. Es konnte aber nur be-
hauptet werden, so lange ein einiger fester Wille das Gescliick
Athens lenkte. Mit Perikles Tode hörte das auf, imd der
Krieg gestaltete sich sogleich anders.
Die Peloponnesier behalten zwar im Ganzen ihre bis dahin
befolgte Kriegsart , nur entwickeln sie mehr Energie in den
Angriffen auf die attische Bundesgenossenschaft. Davon zeu-
gen die Belagerung Plataias. die Aufhetzung der Lesbier zum
Abfall, die Versuche, Akarnanien zu erobern, zuletzt der erfolg-
reiche Zug des Brasidas nach Thrakien. — Bei den Athenena
dagegen zeigt sich bald eine auffallende Aendeiiing, die um so
entschiedener hervortritt, je bestimmter das Vertheidigungs-
VON Perikles Tod bis zur Schlacht bei Delion. 55
System ausgebildet war. Ueberall treten sie auf einmal angriffs-
-\veise auf, in Sicilien, im Peloponnese , im AVesten Griechen-
lands, in Megaris und 13oiotien. Auf den ersten Anblick
scheinen alle diese Unternehmungen unzusammenhängend, die
Folge augenblicklichen Gutdünkens, und so ist denn aiich die
allgemeine Ansicht, die Athener hätten sich nach Perikles Tod
zu unbesonnenem, planlosem Handeln hinreissen lassen. Das
ist zum Theil wahr, zum Theil aber auch nicht, und man miiss
dabei die Zeiten wohl unterscheiden. Man mag gern zugeben,
dass die letzte Unternehmung gegen Syrakus bei der Lage der
Dinge vertvegen war, allein sie fällt in eine spätere Zeit, die
sehr verschieden ist von derjenigen, von welcher hier die Rede
ist. Allerdings wurde auch gleich nach Perikles Tod der Krieg
nicht mehr in dem festen Zusammenhange geleitet väe bis da-
hin. Wie hätte das geschehen können? Niemand vereinigte
die Erfordernisse des Feldherni und Staatsmannes in einem
Grade , um Jahie lang den gesammten Staat nach Innen und
Aussen zu lenken. Nikias. damals der einzige, der sich in
beider Peziehung einigen Namen erworben hatte, ennangelte
der nothwendigen geistigen Kraft ; K 1 e o n kam erst zufällig
auf den Gedanken, er sei ein FeldheiT. luid musste sich bald
von seinem Inthum überzeugen; die meisten tüchtigen Heer-
führer, ein Phormion, Laches, Lamachos, Faches, Demosthenes,
waren keine Staatsmänner imd konnten daher keine Stellung
gewinnen, um einen zusammenhängenden Kriegsplan längere
Zeit ohne Unterbrechung durchzuführen. Nichts desto weni-
ger entdeckt man bei genauerer Betrachtung in der bezeich-
neten Zeit gewisse Ideen, welche sich durch den Kampf hin-
durch ziehen und demselben einen bestimmten Charakter auf-
prägen, Ideen , die zwar eben wegen des erwähnten Mangels
einer stetigen Oberleitung bisweilen zurücktreten, aber wieder
aufgenommen werden, und die besonders in einem Feldherrn
ihren Vertreter haben.
Es kann nämlich die in dem erwähnten Zeiträume befolgte
Art der Kriegführung betrachtet werden als eine, durch das
Bedürfniss der Athener nach Thätigkeit, und durch den gün-
stigen Lauf des Krieges hervorgerufene Erweitening des peri-
kleischen Systems zur Offensive. Nach wie vor Avird Attika
den Feinden preisgegeben, bis die Gefangennehmung der Spar-
56 Athen's Kkiegssystem
tiaten auf Sphakteria ein Mittel gieht . den Einfällen der Pe-
loponnesier ein Ziel zu setzen ; ■^^•ie früher wird die feindliche
Küste verheert, und auf die Bundesgenossen ein wachsames
Ange gerichtet. Abfall blutig geahndet. Aber dabei bleibt
man nicht stehen, ^-ielmehr trachtet man. die Peloponnesier
zu isoliren. sie von auswärtigen Kundesgenossen und Hülfs-
mitteln abzuschneiden, und sie in ihrer eigenen Heimat, nicht
mehr bloss vorübergehend durch Landungen, sondern ununter-
brochen, zu bedrängen. Daher der Versuch im Westen Grie-
chenlands. Avo Phormion Athens Einfluss erweitert hatte ^j . die
sehr bedeutende Macht der Peloponnesier zu brechen und
ihnen die dortigen Gewässer ganz zu verschliessen. jene Gegen-
den eng an das athenische Interesse zu knüpfen, und dann
von zwei Seiten her die peloponnesischen Bundesgenossen Mit-
telgriechenlands, deren Kern die Boiotier bildeten, anzugreifen.
Daher . zum Theil wenigstens , selbst die erste Unternehmung
gegen Sicilien, deiui die Peloponnesier bezogen ihr meistes
Getraide von dieser Insel. Diese Zufuhr abzuschneiden war
der Hauptzweck des ersten Unternehmens 2^ . der um so bedeu-
tender erscheint, wenn man sich erinnert, dass der Pontos. die
eigentliche Getraidekammer des damaligen Griechenlands, den
Peloponnesiern ganz verschlossen Mar. Daher endlich und vor-
züglich das Anlegen einer Reihe von festen Punkten rings an
der Küste des Peloponneses . von wo fortwährend Streifzüge
in das Land gemacht Miirden . und wo die flüchtigen Heloten
und Sklaven willkommene Aufnahme fanden.
Dieses System hat nun freilich keinen so ausschliesslichen
Schöpfer und Vertreter wie das frühere, "o-ie es auch nie so
consequent sich darstellt. Verschiedene Feldherm handeln un-
abhängig von einander; dennoch erscheint ein Mann der
Hauptsache nach als Urheber desselben, greift fast überall aiich
in die Ausfühning am thätigsten ein. und gewinnt dadurch
einen solchen Einfluss, dass die übrigen Heerführer sich ge-
wissermassen ihm anschliessen. und den Kriege nach den von
ihm entworfenen Planen führen. Dieser Mann ist Demo-
sthenes. der Sohn des Alkisthenes^''/ . [aiis dem Gau
1) Thuk. II, 68.
2) Thuk. IIL 86.
3j [C. 1. A. I. 273].
VON Perikles Toi) bis zur Schlacht bei Delion. 57
Aphidnai]. der ohne Bedenken, nächst Perikles und Alkibiades, "
der avisgezeichnetste Feldherr der Athener im peloponnesischen
Kriege genannt werden darf^). Neben ihm erscheinen beson-
ders Nikias und Ilippokrates -) . welche zwar wegen vornehme-
rer Geburt in äusserem Ansehen höher standen, aber offenbar
beide hinsichtlich ihrer strategischen Eigenschaften dem De-
mosthenes untergeordnet werden müssen. Dass nun ein solcher
innerer Zusammenhang in der Kriegführung der Athener Aväh-
rend des genannten Zeitraums Avirklich vorhanden war. und
dass dem Demosthenes derselbe besonders zuzuschreiben, soll
im Folgenden nachgewiesen werden, wobei natürlich nicht in
eine allseitige Darstellung der Ereignisse eingetreten werden
kann.
Unmittelbar nach dem Tode des Perikles beschäftigten,,
neben dem fortdauernden Kriege der Athener gegen die abge-
fallenen Bundesgenossen in Chalkidike , die Belagerung von
Plataia, der Abfall von Lesbos und die Anstrenginig der Athe-
ner , es wieder zu unterAverfen . die kriegführenden Mächte
längere Zeit. Ausserdem machten die Peloponnesier im dritten
Kriegsjahre einen Versuch, Akarnanien zii erobern, der aber
von Phormion siegreich zurückgewiesen wurde. Der wegen
der Belagerung Plataias im dritten Kriegsjahre unterlassene
1, Gut spricht von ihm Poppo in den Prolegom. zu Thuk. I, 2. S. 84
und der von demfselben zu Thuk. III, 91 angeführte Smith. K. F. Her-
mann's Abhandlung de persona Niciae, so wie der zweite Band der Ueber-
setzung des Aristophanes von Droysen konnten vom Verfasser nicht benutzt
werden.
-} Ueber Hippoki*ates Geschlecht wird nichts weiter berichtet, als dass
er ein Sohn des Ariphron heisst. Wer dieser Ariphron gewesen, darüber
findet sich in keinem Commentar des Thukydides Auskunft, und auch sonst
erinnere ich mich nicht, etwas über ihn gefunden zu haben. Bekanntlich
hiess nun aber Perikles Bruder Ariphron, und der mütterliche Grossvater
dieser beiden Männer Hippokrates. Es scheint daher bei der Stetigkeit,
womit die Griechen die gleichen Namen in den Familien festhielten, nicht
unwahrscheinlich, dass der Feldherr Hippokrates ein Neffe des Perikles
war. Das Schweigen der alten Schriftsteller darüber beweist nichts dagegen,
da Hippokrates bei seinem Tode noch ganz jung gcAvesen zu sein scheint,
und Thukydides, der ihn beinah allein nennt, solche Verhältnisse über-
haupt nicht zu erwähnen pflegt. [Die Sache ist ganz sicher : auch wird
Hippokrates C. I. A. I, 273 Kolrtpfs-jc, genannt. Der Name Hippokrates
kommt von dem Vater der Agariste. Herod. VI. 131. cfr. Bergk reliqu.
Com. p. 350. j
58 Athen' s Kriegssystem
Einfall in Attika Avnrde im vierten Txnd fünften wiederholt. —
Als aber Olymp. SS. 1. Plataia imd Mytilene sich ergeben
hatten, erhielten die Waffen freiem Spielraum, und jetzt eigentlich
fangen erst die Athener an, angriffsweise zu Werke zu gehen.
Gleich nach Lesbos UnterAverfung eroberte Nikias die Insel
Minoa, dicht vor dem megarischen Hafen Nisaia, und legte
dort eine Befestigung an, in welcher eine l^esatzung zurück
blieb. Diese Erobeiimg hatte jedoch noch mehr einen defen-
<siven als offensiven Zweck. Man Avollte von Minoa aus den
Hafen von Megara beobachten, das Auslaufen megarischer
Kaperschiffe hindern und jeden Versuch einer peloponnesischen
Flotte, von dort aus Athen zu üben'aschen, unmöglich machen *) .
Der Besitz von Minoa vervollständigte das . was man durch
die Eroberiuig Aiginas und die Yerti'eibung der Aigineten be-
ZAveckt hatte. Bald darauf zogen die Unruhen auf Kerkyra
die Aufmerksamkeit der Peloponnesier und Athener auf sich.
Ihr Ausgang Avar den Athenern , Avelche schnell und kräftig
eingriffen, durchaus günstig. Die von den Peloponnesiern ge-
Avonnene oligarchische Partei. Avelche ziierst sich Ungesetzhch-
keiten erlaubt hatte, büsste ilu-en Frevel furchtbar, und die
Insel AA'urde enger als zuvor mit Athen A'erbündet; denn aus
dem bisherigen Schutzbündnisse (e-i.[ia/ia) AA'urde ein Schutz-
und Trutzbündniss 2) , Da so Alles nach Wunsch ging, sandten
am Ende des Sommers des fünften Kriegsjahres (Ol. SS. 2.)
die Athener die erste Flotte nach Sicilien, und A-eiiiessen da-
mit zuerst entschieden die von Peiikles A'orgezeichnete Bahn.
Den Yonvand dazu gab die Unterstützung der stammA'erwandten
chalkidischen Städte, im Grunde aber wollte man theils , Avie
oben bemerkt, den Peloponnesiern die Getraidezufuhr ab-
schneiden, theils schon jetzt einen Versuch machen, ob die
Insel könne erobert werden. Keiner von den damaligen be-
deutenden Männern Avird als Urheber dieser Unternehmung
genannt, die Avohl noch nicht als sehr wichtig betrachtet
Avurde ^) . Ohne grosse Resultate dauerte der Krieg auf der
1) Thuk. III. 51.
2) Thuk. III. 75. Nt7.o3TpaTo;; iüapaoiv -s i'rpasae vtal reii^st uijTC
|'j-f/_iopf,oai äXX-fjXoi; .... arovod; roö; ä}.).-f;Xo'j; -rn-qzaiihrfJi ■/,'xi reo;
3; Es lässt sich das wohl daraus schliessen, dass nicht, Avie beim ZAvei-
VON Perikles Tod bis zur Schlacht bei Delion. 59
Insel bis ins achte Kriegsjalir (Ol. S9. 1.), da schlössen die
griechischen Staaten Siciliens einen Frieden, der die Athener,
welche kurz ziivor mit einer zweiten zahlreichern Flotte ver-
stärkt worden waren, zur Eückkehr nöthigte K . Erfolgreichere
Ereignisse fielen in dieser Zeit in Griechenland selber vor. ]?eim
Beginn des sechsten Kriegsjahres hatten die Peloponnesier sich
zum Einfall in Attika auf dem Isthmos unter König Agis versam-
melt, aber, durch Erdbeben veranlasst, sich -uieder zurückge-
zogen. Attika blieb dies Jahr verschont. Die Athener aber
hatten um dieselbe Zeit zwei Flotten ausgesandt : die zahl-
reichere, von 60 Schiffen, führte Nikias gegen die Insel
Melos. dann, als deren Eroberung nicht gelang, an die boio-
tisclie Küste bei Tanagra. wo zugleich ein attisches Landheer
erschien luid die zu Hülfe herbeigeeilten Boiotier schlug. Doch
hatte dieser Angriff noch keinen weitern ZAveck, als, in der
unter Perikles üblichen Weise, das Land zu plündern und zu
venA'üsten. Avas gleich darauf an der Küste von Lokris -vAaeder-
holt Avurde ^j .
Eine zAA-eite Flotte von 30 Schiffen befehligten De-
mosthenes, der Sohn des Alkisthenes, der hier zum ersten-
mal genannt Avird, und Prokies, der Sohn des Theodoros, der
aber als ganz untergeordnet erscheint. Die Bestimmung die-
ser Flotte Avar, nach früherer Uebung, den Peloponnes zu um-
schiffen, und den l^undesgenossen im Westen Griechenlands
Schutz und Beistand zu leisten gegen die Feinde , Avelche in
den korinthischen Städten Amprakia, Leukas und Anaktorion
dort eine drohende Macht besassen. Demosthenes Avandte sich
zuerst nach der Küste von Leukadia und gcAvann bei Ellome-
non, durch einen Hinterhalt, einen kleinen Vortheil. Dann
versammelte er alle Bundesgenossen jener Gegend, Akarnanier,
Zakynthier, Kephallenier. nebst 15 Schiffen aus Kerkyra, be-
gab sich vor Leukas selber, und verAvüstete das ganze Gebiet.
Die Akarnanier, denen die Leukadier höchst lästige Nachbarn
ten Sicilischen Krieg, von Widerspruch in der Volksversammlung berichtet
Avird. Auch A\ird kein Athener als besonderer Betreiber der Unternehmung,
Avie später Alkibiades, genannt. Gorgias Beredsamkeit scheint das Meiste
gethan zu haben. Vgl. Diod. XII. 53,
1) Thuk. IV. 65.
2 Thuk. III. 91.
ßO Athen's Kriegssystem
■waren, baten ihn dringend die Stadt ernstlich zn belagern, da
die Eroberimg mit den vorhandenen Streitkräften leicht schien.
Aber Demosthenes willfahrte ihnen nicht, denn er beabsich-
tigte eine grössere Unternehmung. Die Messenier aus Naii-
paktos überredeten ihn nämlich einen Angriff auf Aitolien zu
machen . von wo aus die Besitzungen der Athener am korin-
thischen Meerbusen immer bedroht seien. Die Eroberung
werde einem so zahlreichen Heere nicht schwer fallen, da die
Aitoler nur offene, weit von einander entfernte Flecken be-
wohnten. Sei aber einmal Aitolien unterworfen, so werde das
ganze westliche Festland leicht für die Athener zu gewinnen
sein. Demosthenes folgte der Aufforderimg hauptsächlich da-
rum, weil er einen weitern Plan daran knüpfte. Er beabsich-
tigte nämlich nach Aitoliens Eroberung mit einem aus den
tapfern halbbarbarischen Völkerschaften jener Gegend zusam-
mengesetzten Heere durch das Gebiet der ozolischen Lokrer
um den Parnass, den er rechts liegen lassen wollte, nach dem
dorischen Kytinion zu ziehen. Von da wollte er in das Land
der Phokier hinabsteigen. Diese hoifte er leicht auf Seiten
der Athener zu bringen, denen sie immer befreundet gewesen
waren. Mit den Delphiern. Doriern und Thebaneni fortAväh-
rend in Streitigkeiten verwickelt, zog sie eine natürliche Poli-
tik zu Athen, und nur der Drang der Verhältnisse hatte sie
im peloponnesischen Kriege auf Seiten der Spartiaten gestellt i - ,
1, Poppos Bemerkung zu Thuk. II, 9, und in den Prolegom. I, 2,
p. 297, wo er die Yermuthung ausspricht, die Phokier seien -wohl irrthüm-
lich von Thukydides und Diodor als Bundesgenossen der Peloponnesier
angeführt, ist ganz unbegründet. Der Krieg, den sie während des Friedens
des Nikias mit den Lokrern führen , beweist so wenig , als man aus dem
Kriege der Eleer und Mantineier gegen Sparta den Schluss ziehen darf,
sie seien früher nicht mit Sparta verbündet gewesen. Die "N^'orte des Thuky-
dides III, IUI, oid TÖ Tü)v (ptuy.Etov £yi)o; o£otoT£; hat derselbe Gelehrte, von
diesem Irrthum befangen, missverstanden, obwohl Bloomfield das Richtige
giebt. Der Sinn ist nämlich der : die Lokrer sahen ein, dass sie dem ver-
einigten feindlichen Heere nicht widerstehen könnten , und fürchteten na-
mentlich, ihre alten Feinde, die Phokier, möchten bei dieser Gelegenheit
ihre AVuth an ihnen auslassen ; d«m zuvorzukommen , schliessen sie mit
Eurylochos Bundesgenossenschaft, die sie natürlich gegen alle Feindselig-
keit von Seiten peloponnesischer Bundesgenossen sicher stellte. Merk-
würdig ist aber, dass Poppo selbst daran keinen Anstoss nimmt, dass nach
dem Sicilischen Kriege die Spartiaten den Phokiern 15 Schiffe zu bauen
VON Perikles Tod bis zur Schlacht bei Delion. 61
Im migünstigsten Falle meinte Demosthenes sie durch Gewalt
zur Heeresfolge zwingen zn können. VonPhokis führte der Weg
im Kephissosthale ohne Hindernisse nach dem eigentlichen Ziele
des beabsichtigten Feldzugs, nach Boiotien, das von dieser
Seite immer mit dem meisten Erfolge angegriffen worden ist.
Demosthenes konnte dort auf zahlreiche Anhänger rechnen und
hoffte so, ohne Athen grosse Anstrengungen zu verursachen,
den mächtigsten Staat vom liunde mit Sparta loszureissen.
Dieser wohl entworfene Plan scheiterte aber gleich anfangs
aus verschiedenen Gründen. Zuerst nämlich Aveigerten sich
die Akarnanier, erzürnt, dass Demosthenes nicht Leukas be-
lagere, daran Theil zu nehmen, und auch die Kerkyraier kehr-
ten nach Hause zurück. So sah sich der athenische Feldherr
eines grossen Theils seiner Truppen beraubt und auf die Ke-
phallenier, Zakynthier, Messenier aus Naupaktos imd 300
Athener beschränkt, woz\i im Innern des Landes noch die
ozolischen Lokrer mit ihrer gesammten Streitmacht stossen
sollten. Diese Avaren besonders wichtig, Aveil sie die gleiche
Bewaffnung wie die Aitoler hatten, und deren Kriegsweise
kannten. Demosthenes drang nun mit seinem Heere, von dem
lokrischen Orte Oineon aus , in Aitolien em , und machte an
den drei ersten Tagen glückliche Fortschritte. Seine Absicht
war, zuerst nur die näher gelegenen Theile Aitoliens, nament-
lich den Stamm der Apodoter, z\i unterAverfen , dann nach
Naupaktos zurückzukehren, und in einem zAveiten Feldzuge die
entfernten Ophioneer anzugreifen. Er Avollte also nichts über-
eilen. Da er aber selber nicht genaue Kinide von Aitolien
besass, und den Messeniern zu unbedingtes Zutrauen schenkte,
Hess er sich von diesen bcAvegen , rasch Aveiter vorzudringen,
ohne erst nach Naupaktos zurückzukehren, und ohne die Lokrer
zu erAAarten; denn sie stellten ihm vor, es komme vorzüglich
darauf an den Aitolern keine Zeit zu lassen um sich zu sam-
meln. So geschah es denn, dass er bis zu dem Flecken Aigi-
tion ohne Hindernisse vordrang. Dort aber hatte sich bereits
die gesammte Macht der Aitoler A'ersammelt, und ohne den
Athenern irgend avo in offener Feldschlacht entgegenzutreten,
auftragen. Thuk. VIII, '.i. — Ohne Zweifel war Phokis seit der Schlacht
bei Koroneia Ol. 83. 2, für Athen verloren.
62 Athen's Kriegssystem
bedrängten sie dieselben von allen Seiten mit "Wurfgeschossen
dermassen. dass diese den Rückzug antreten mussten. auf dem
sie vollkommen geschlagen und grösstentheils zersprengt wwr-
den. Der Verlust war gross: von den 300 Athenern allein
■waren 120 geblieben, unter ihnen der Feldherr Prokies. Der
Eest erreichte Oineon und die Küste , und begab sich über
Na'upaktos nach Hause. Xur Demosthenes blieb zurück,
weil er nach einer solchen Niederlage den Zoni der Athener
fürchtete ') . Er fand aber bald Gelegenheit seinen Fehler wieder
glänzend gut zu machen. Die Aitoler hielten nämlich mit
Recht den Zeitpunkt für passend, Xaupaktos zu erobern. Der
Spartiate Eurylochos führte ihnen im Herbste von Delphi
aus ein Heer von 3000 Mann zu; das ganze ozolische Lokris
wurde, tlieils durch Vertrag, theils durch Gewalt genommen,
^lit den Aitolern vereinigt verwüstete nun das Heer das ganze
naupaktische Gebiet, nahm selbst die unbefestigte Vorstadt,
und das nah gelegene Molykrion. Aber Xaupaktos rettete
Demosthenes. Denn in aller Eile hatte er sich nach Akania-
nien begeben, und durch dringende Vorstellungen 1000 Hopli-
ten erhalten, welche er eben noch zin- rechten Zeit zur See
in die bedrohte Stadt führte.
Eurylochos zog sich in die Ebene von Pleuron und Kaly-
don. Dorthin kamen Boten aus Amprakia, und forderten ihn
zu einem Feldzug gegen das amphilochische Argos und
Akarnanien auf. deren Besitz Sparta die HeiTschaft über
das ganze Festland sichern werde. Eurylochos ging in die
"\ erschlage ein . und im Anfange des Winters fand die viel-
versprechende Unternehmung statt. Die Amprakioten, die
streitbarsten peloponnesischen Bmidesgenossen jener Gegend,
rückten von ihrer Stadt mit 3000 Hopliten gegen Argos aus.
^ on der andern Seite her führte Eurylochos sein Heer aus
Aitolien heran. Ungehindert durchzog er Akarnanien; denn
mit Ausnahme einer Besatzung, die in Stratos zurückblieb,
waren die Akarnanier den Amphilochiern zu Hülfe geeilt. Ein
Theil war in Argos selbst, der andere hatte einen, wie es
scheint, südöstlich davon gelegenen Ort. Krenai. besetzt, um
1] Thuk. III 91. 94 — 9S. — Dicd. XII 60.
VON Perikles Tod bis zur Schlacht bei Delion. 63
durch diese Stellung eine "N'ereinigung der Amprakioten und
des Eurylochos zu verhindern. Nichts desto weniger gelang
es diesem, in der Nacht unbemerkt zwischen Argos und Kre-
nai durchzuziehen ^i , und sich mit den Amprakioten zu ver-
einigen, welche 25 Stadien nördlich von Argos bei Olpai^i,
nicht Aveit vom Meere, eine Stellung genommen hatten.
Gleichzeitig waren aber, auf die Bitten der Akarnanier,
auch Demosthenes mit 200 messenischen Hopliten und 60 Bo-
genschützen aus Naupaktos, und 20 attische Schiffe, die an
der Küste des Peloponneses standen, eingetroffen. Die Flotte
nahm Olpai gegenüber eine Stellung. Demosthenes aber wurde
zum Oberbefehlshaber der in Argos versammelten Streitkräfte
ernannt, ein Beweis, dass er das Zutrauen der Akarnanier wie-
der vollständig gewonnen hatte. Er führte das Heer gegen
Olpai hinaus, und bezog im Angesicht des Feindes, nur durch
eine Schlucht von ihm getrennt, ein Lager. Fünf Tage lagen
sich die Heere gegenüber: am sechsten kam es zur Schlacht.
Der überlegenen Zahl der Feinde begegnete Demosthenes durch
1) Poppos Irrthum als ob Eurylochos in einem weiten Bogen die Stel-
lung bei Krenai umgangen, hat Goeller richtig aus den "Worten des Thuk.
III, 106: 'AolI oie^E/.dövTSi (jL£Ta|'j Tq<; xe 'ApY^'wv roXeo); -/.otl Tf|; iril Kpfjvai?
'Axapvavttiv cpuXaicfjs IXa&ov nachgewiesen. Der Irrthum beruht auf der
Ansicht, welche sich P. von der Lage des Agraischen Landes gemacht hat,
indem er aus Thuk. II, 102 schliesst, es könne nicht südöstlich von Amphi-
lochien gelegen haben. Allein , wenn auch zugegeben werden kann , dass
jene Stelle darauf deute, ein Theil des Agraierlandes habe nordöstlich von
Amphilochien gelegen, so hindert das nicht, dass es sich südwärts bis an
die akarnanische Grenze gezogen, und dort etwas gegen den amprakischen
Meerbusen eingebogen habe. Dass es diesen berührt, wie K. O. Müller
zur Karte des nördlichen Griechenlands aus Thuk. III, 106 schliesst, lässt
sich wenigstens nicht nut Bestimmtheit beweisen, und es scheint im Gegen-
theil sehr wahrscheinlich, dass an der Küste das Argeiische und Akarna-
nische Gebiet an einander stiessen.
'-) Die Worte des Thuk. III, 105: S -oxe 'A/.apväve; x£iyisa|j.£voi -/.otvoj
Sixaarfjouo £ypü>~rto sind mit Kruse Hellas II, 2. S. 333 so zu fassen, dass
sie mit den Amphilochiern es gemeinsam hatten. Die Einwendung , es
müsste dann heissen actiai v.ai xoT? 'AficptÄoyoi; ist darum unbegründet, weil
aus Thuk. II, 68 hervorgeht, dass die Amphilochier durchaus mit den
Akarnaniern einen Staat bildeten, wesshalb sie recht wohl unter dem ge-
meinsamen Namen Akarnanien mitbegi-iffen sein können , tote ist nur zu
T£t/iaa[j.£voi zu ziehen. — Das Verhältniss von Olpai und Metropolis genau
zu bestimmen wage ich nicht.
64 Athen's Kriegssystem
einen geschickt gelegten Hinterhalt. Er selbst stand mit sei-
nen Messeniern und einigen Athenern auf dem rechten Flügel,
die Akarnanier und die amphilochischen Wurfspiesschleuderer
nahmen den übrigen Theil der Schiachtor dnimg ein. Ihm ge-
genüber stand Eurylochos auf dem äussersten linken Flügel;
an ihn stiessen die Mantineer, das Mitteltreffen und den rech-
ten Flügel bildeten Amprakioten und Peloponnesier vermischt
aufgestellt. Beim Beginne des Kampfes überflügelte und um-
ringte Eurylochos den feindlichen rechten Flügel bereits , als
die im Hinterhalt versteckten 400 Mann hervorbrachen, und
ihm in den Rücken fielen. Da wandte sich der linke pelo-
ponnesische Flügel zur Flucht und riss den grössern Theil des
übrigen Heeres mit. Der rechte Flügel, der unterdessen die
Akarnanier geschlagen und verfolgt hatte, sah sich nun von
allen Seiten bedrängt , und konnte nur mit grossem Verlust
und in Unordnung das Lager wieder erreichen. Der Sieg des
Demosthenes war vollständig, Eurylochos und der zweite Be-
fehlshaber Makarios Avaren geblieben. Schlau wusste Demo-
sthenes die Erbärmlichkeit und Gewissenlosigkeit des jetzt an
Eurylochos Stelle getretenen Menedaios zu benutzen, um die
Amprakioten ganz zu vernichten und die Spartiaten bei ihren
Bundesgenossen in üblen Ruf zu bringen. Er schloss mit Mene-
daios und andern Befehlshabern und angesehenen Männern der
Peloponnesier ^ und mit den beim Heere befindlichen Manti-
neern einen Separatvertrag, der ihnen freien Abzug gestattete.
Heimlich wollten sich nun diese vom Lager entfernen. Als
die Amprakioten und übrigen Bundesgenossen, die von dem
Verrathe keine Ahnung hatten, es bemerkten, zogen sie auch aus
dem Lager, wurden aber von den Feinden überfallen, und etwa
200 getödtet, die Uebrigen fanden eine Zuflucht bei dem Für-
'; Thuk. III, 109 sagt ausdrücklich zrA-tW'-i'. MavT'vcijjt -/.cti Msveoatoj
Ttat ToT; aXXoi; apyo'jGi twv niXoTtovvY^oicov wi oaot otjTwv 7;aav ä;ioXoYw-a-oi,
also durchaus nicht mit aller zum Heere des Eurylochos gehörigen Mann»
Schaft. Unter dem ii.ia&o',i6po; o/>.oc, der mit den Amprakioten verbunden
wird , sind daher ohne Zweifel die übrigen Bundesgenossen zu verstehen,
welche Eurylochos herbeigeführt hatte , namentlich die aus Herakleia, zu
welcher Erklärung auch Poppo geneigt ist. Die Bedenklichkeiten, die er
dagegen noch äussert, verschwinden, so bald man beachtet, dass keineswegs
das ganze ehemalige Heer des Eurylochos in dem Vertrag begriffen war.
VON Perikles Tod bis zvr Schlacht bei Deliox. 65
sten der Agraier, Salynthios. Das geschah am Tage nach der
Schlacht.
Unterdessen hatte Demosthenes Kunde vom Herannahen
eines zweiten amprakischen Heeres erhalten. Schon vor der
Schlacht nämlich, noch vor Enrylochos Ankunft, hatten die bei
Olpai aufgestellten Araprakioten lioten in ihre Stadt geschickt,
mit dem Begelu'en, dass man ilmen mit aller AvafFenfähigen
Mannschaft zu Hülfe ziehe. Dem Gesuche war entsprochen
Avorden, und, ohne von der Schlacht etwas zu wissen, rückte
das neue Heer auf dem Wege gegen Argos vor. Auf die erste
Kunde davon schickte Demosthenes einen Theil seiner Mann-
schaft ab, um alle günstigen Plätze zu besetzen und Verstecke
zu legen. Die Amprakioten waren indess arglos bis zu zwei
Hügeln gekommen, Avelche den Namen Idomene trugen. Auf
dem kleinern nahmen sie für die Nacht ihre Lagerstätte, den
grossem hatten die Leute des Demosthenes besetzt. Am Abend
führte dieser das übrige Heer in zwei Colonnen gegen Idomene ;
die erste zog, unter seinem unmittelbaren Befehl, auf dem
geraden Wege; die zweite rechts durch die amphilochischen
Gebirge. Mit der ersten Morgendämmerung überfiel er die
Feinde noch im Schlafe. Sie ahnten die Nähe des Feindes
so wenig, dass sie die von Demosthenes absichtlich vorange-
stellten dorischredenden Messenier anfangs für Freunde hielten.
Ein grosser Theil wurde axif der Stelle niedergemacht, und
auch von den Flüchtigen entkamen Wenige. Denn die einen
fanden den Tod durch die im Hinterhalt lauernden Feinde und
die der Gegend kundigen verfolgenden Amphilochier, manche
stürzten sich auch verzweifelt ins Meer, und wurden von der
Mannschaft der attischen Flotte erschlagen. Nach diesem im
Verlauf von kaum drei Tagen errungenen Doppelsiege kehrte
das verbündete Heer nach Argos zurück. Demosthenes
wünschte zwar gegen Amprakia zu ziehen, welches, fast aller
wehrhaften Mannschaft entblösst, nicht widerstehen konnte.
Allein die Akarnanier und Amphilochier weigerten sich. Aveil
sie fürchteten, die athenische Herrschaft möchte ihnen nach
der Eroberung Amprakias drückend werden. Nichts desto
weniger war der Erfolg des Feldzuges gross. Denn der zweite
Versuch der Peloponnesier, Akarnanien zu erobern, war ver-
eitelt und die Macht Amprakias, des Mittelpmiktes der pelo-
Vischer. Schriften I. S
(50 Athen' s Kriegssystem
ponnesischen Hundesgenossen jener Gegend, gebrochen. Die
Zahl der Todten. die genannt -«iirde, hat Thukydides nicht in
seine Darstelhmg aufgenommen, weil sie unglaublich schien
im 'S'erhältniss zur Grösse der Stadt. Auf jeden Fall war der
Verlust ausserordentlich, da Demosthenes allein 300 vollstän-
dige Rüstungen als Antheil an der Beute erhielt. Unbesorgt
konnte er jetzt nach Athen zurückkehren. — Nach seiner Ab-
reise schlössen die Akarnanier und Amphilochier mit den Am-
prakioten Friede und Bundesgenossenschaft . wobei die Stel-
lung beider Theile zu den Peloponnesiern und den Athenern
Berücksichtigung fand. Amprakia musste begreiflich alle Gei-
seln und Plätze der Amphilochier, die es noch hatte, heraus-
geben, und auch versprechen, dem stammverwandten Anakto-
rion keine Hülfe zu leisten V- —
Wirft man nun einen Blick auf das . was Demosthenes
in diesem Jahre gethan hat, so mag man gerne zugeben, dass er
sich zu dem Angriffe gegen die Aitoler etwas rasch hatte hm-
rei«sen lassen, und bei der Ausführung nicht die nöthige Vor-
sicht gezeigt hatte, indem er den Messeniern zu leicht glaubte ;
aber auf der andern Seite muss man auch eingestehen, dass
der Plan, den er auf die Eroberung von Aitolien basirte. eben
so grossartig als wohlberechnet war. Das Unglück, das ihn
betraf, machte ihn für die Zukunft behutsamer. In dem zwei-
ten Theile des Kampfes, der ^'ertheidigung von Xaupaktos
und dem Krieg in Amphilochien, hat er sich als einen eben so
thatkräftigen und entschlossenen, als umsichtigen und schlauen
Feldherrn gezeigt, der im hohen Grade das Zutrauen der Un-
tergebenen zu gewinnen A^msste. Ihm verdankte Athen die
Erhaltung und Befestigung der Hen-schaft in jenen Gegenden,
und nur ungünstige Verhältnisse, deren Beseitigung nicht in
seiner Gewalt stand, hinderten ihn an der Eroberung von
Amprakia .
Den Einfluss, welchen diese gelungenen Kriegsthaten ihm
verschafften, benutzte Demosthenes nur, um sich noch grössere
Verdienste zu erwerben. Im Frühling des folgenden, sieben-
ten Jahres sandten nämlich die Athener, wäln-end die Pelo-
1) Ueber den ganzen Feldzug vgl. man Thuk. III. li'5 — 114. Sehr
ungenau ist Diodor. XII. üO.
vox Perikles Tod bis zur Schlacht kei Deliox. 67
ponnesier ihren Einfall in Attika machten, eine Flotte um den
Peloponnes. die zugleich die Uestimmung hatte, die Ueberreste
der oligarchischen Partei in Kerkyra zu vernichten und sich
dann nach Sicilien zu begeben. Befehlshaber waren Euryme-
don und Sophokles : ]3emosthenes aber , der für dieses Jahr
nicht zum Feldherrn gcAvälilt war, begleitete sie als Freiwilli-
ger und hatte vom athenischen "N'olke die Vollmacht erhalten,
die Flotte an der peloponnesischen Küste nach Gutbefinden
zu verwenden. Als sie nun an der lakonischen Küste Avaren,
und vernahmen, die Flotte der Peloponnesier sei bereits bei
Kerkyra , war die Absicht des Eur}Tnedon und Sophokles , so
schnell als möglich dorthin zu eilen. Demosthenes aber ver-
langte, sie sollten zuerst bei Pylos, im ehemaligen Messenien.
anlegen. Als die Feldherren widersprachen, zwang sie ein
Sturm, in den Hafen einzulaufen. Nun verlangte Demosthe-
nes, man solle den verödeten Platz ^] sogleich befestigen, dazu
i) Uas Vefhältniss von Pylos vind Koryphasion, worüber die Ausleger
der verachiedenen Schriftsteller und die Geographen nicht einig sind , ist
ohne Zweifel folgendes. Pylos hiess die altmessenische Stadt, die läpgst
verödet war, und ursprünglich nach Strabo am Fusse des Aigaleos lag
Nach deren Zerstörung hatte sich ein Theil der Bewohner auf der Spitze
■des Vorgebirges niedergelassen [br.b tüj Korj'jznz'wj) und auch dieser Ort
trug wohl den Namen Pylos, war aber nach Thuk. Worten auch nicht
mehr bewohnt. IV, 3: -/.al 6 At|[ao3H£vtj; eürtü; -rfiio'j XEiyiCsoi^at to /(uoiov
.... xil d7:l'-faiv£ ttoX/.TjV eüropiav ;'j).ujv te 7.at Xii)tuv, 7.ai cp6o£i icoipTSpov ov
xal ipfjjjiov a'jTO t£ xai Izi r.o'f.i) ttj; ymrjrii. Diesen Ort befestigte
Demosthenes; denn es ist ganz klar, dass seine Befestigung nur nach der
einen Seite an den Hafen, nach der andern aber an die hohe See (rfXaYo;)
stiess. Er nannte ihn nun mit dem bei dem Griechen historisch berühm-
ten, besonders den Messeniern werthen Namen Pylos, der streng genommen
nur auf den Ort selbst, nicht auf die Gegend ging, und wenn Thuk. V, 35
sagt, die Athener hätten Pylos nicht zurück geben wollen, obwohl sie auch
die Umgegend zurück geben sollten, so ist daran kein Anstoss zu nehmen.
Indem sie ohne Pylos selber das ganze Vorgebirge nicht behaupten konn-
ten. Wie ungenau die Athener mit dem Worte umgingen , beweist der
Ausdruck ot Ia O-j/.o'j }.r^-^%h-z^ Arist. Wolken, v. 186 woraus doch nie-
mand schliessen wird, auch Sphakteria habe den Namen Pylos gehabt. —
Wenn nun also Pylos eigentlich nur die Stadt und Festung bezeichnet,
und ungenau weiter ausgedehnt wird, so ist umgekehrt Koryphasion eigent-
lich das Vorgebirge, wie aus Strabo, Pausanias und Ptolemäus hervorgeht ;
aber die Lakedaimonier, die kein Interesse hatten, historische Erinnerungen
in den Messeniern zu wecken, anerkannten keine Stadt Pylo«, sondern be-
6 g Athex's Kriegssystem
sei er aus Athen mitgekommen, und er zeigte, wie vortheilhaft
die Lage und ganze Beschaffenheit des Ortes sei, da er von
Natur fest. Steine und Holz in Fülle vorhanden und keine
Feinde in der Nähe seien. Ohne Zweifel hatte Demosthenes
im vorigen Jahre die günstige Oertlichkeit wahrgenommen oder
war von den Messeniern in Naupaktos darauf aufmerksam ge-
macht Avorden , die sich auch nach der Heimath sehnten und
von Demosthenes als besonders tauglich zu einem kleinen
Krieg gegen Sparta erkannt worden waren. Wiederum aber
weigerten sich die Feldherren, der Aufforderung zu folgen,
indem sie einwendeten, wenn man alle vorspringenden Punkte
der pelopomiesischen Küste besetzen wollte , Avürde man die
Stadt in grosse Unkosten bringen. Man wäre beinah versucht,
die Ursache so grundlosen Widerstrebens in Beschränktheit zu
suchen, allein Eurymedon wenigstens hat sich sonst als tüchtigen
FeldheiTti gezeigt, und es ist Aiel wahrscheinlicher, dass Neid
und Eifersucht gegen Demosthenes der Beweggrund waren.
Man ist zu diesem Urtheile um so mehr berechtigt, da sie
bald darauf in Kerkyra die Ermordung der gefangenen Oli-
garchen auf schändliche Weise veranlassten, nur weil sie nach
Sicilien abgingen, und keinem Andern die Ehre gönnen woll-
ten, sie nach Athen zu führen i. Auch die Unterbefehlshaber
und Gemeinen an die sich Demosthenes jetzt wandte, nahmen
anfangs den Vorschlag nicht günstiger auf. Als aber der un-
günstige Wind fortdauerte, gewann der gesunde Sinn der Athe-
ner die Oberhand. Aus eigenem Antriebe thaten sie jetzt, was
sie vorher verweigert hatten , und befestigten den schwer an-
greifbaren Platz in kurzer Zeit . obAvohl der Mangel an den
nöthigen Werkzeiigen die Arbeit sehr erschwerte. Da ein
Theil der Lakedaimonier in Attika stand, die andern nach ge-
wohnter Weise ein Fest feierten, Hessen sie che Athener un-
gestört arbeiten. Nach sechs Tagen war das Werk so weit
zeichneten die verhasste Festung mit dem Namen des Vorgebirges an dem
sie lag. So erklären sich die Worte v.i'/.'j'jzi oi aÜTT^v .Vx-Aeoaiixö-noi Kop-j-
^pctsiov. — Den Lakedaimoniern folgt in diesem Sprachgebrauch der lakoni-
sirende Xenophon Hellen. I, 2, IS.
'; Thuk. IV, 46, 47. Vergleicht man damit III, Sl, so ergiebt sich,
dass Eurj-medon den Vorwurf rücksichtsloser und zweckloser Grausamkeit
verdient.
VON Perikles Tod bis zur Schlacht bei Delion. 69
gefördert, dass es einen Angriff von der Landseite aushalten
zu können schien. Daher setzte der grössere Theil der Flotte
die Fahrt fort, nur 5 Schiffe blieben mit dem Demosthenes
zurück.
Jetzt erst schien die Sache den Lakedaimoniern der Be-
achtung werth. Agis, in dessen Heer ohnedies Mangel an
Lebensmitteln eintrat . räumte Attika : ein spartanisches Heer
zog gegen Pylos, wohin auch die Bundesgenossen aus dem
Peloponnese aufgeboten wiu-den. Zugleich näherte sieh die
Flotte, die in den Gewässern von Leukas war. Demosthenes
hatte eben noch Zeit, zwei von seinen Schiffen abzusenden,
um den in Zakynthos vor Anker liegenden Eurymedon von der
Gefahr zu benachrichtigen. Die Lakedaimonier aber, deren
Flotte mittlerweile in den geräumigen Hafen von Pylos ein-
gelaufen war, und ihn den Athenern sperren zu können hoffte,
bereiteten Alles zum Sturme vor, und besetzten die Insel
Sphakteria, die vor dem Hafen lag *) . Demosthenes verlor in-
dessen die Zuversicht nicht. Hatte die Anlage der Befesti-
gung von einer richtigen xlnschauung des Krieges und tiefer
Einsicht in die Verhältnisse der Lakedaimonier gezeugt, so
erscheint er bei der Vertheidigiuig derselben als ein Mann von
ungewöhnlicher Geistesgegenwart und kaltblütiger Tapferkeit,
der durch sein Beispiel wunderbar auf seine Leute wirkte. Er
zog die drei übrigen Trieren dicht unter die Befestigung, und
umgab sie mit einer Verpfählung. die Mannschaft derselben
aber, etwa 600 Mann, bewaffnete er so gut als es ging; die
Schilde waren meist nur aus Weidengeflecht; denn es waren
keine anderen Waffen vorhanden, als die, welche sich zufällig
auf zwei kleinen messenischen Kaperschiffen fanden, die gleich
nach Pylos Besetzung zu Demosthenes gekommen waren, und
ihm zu seiner übrigen Mannschaft noch etwa 40 Hopliten
brachten. Ohne Zweifel kamen sie von Naupaktos. Den
grössten Theil der Mannschaft stellte nun Demosthenes a\if
I) Es ist nicht meine Absicht, in die Frage, ob Sphakteria das heutige
Sphagia oder Palseo-Castro sei, näher einzutreten, da sie ohne eigene An.
schauung nicht weiter gefördert werden kann , als sie jetzt steht : doch
bemerke ich zum Verständniss der Darstellung, dass ich die erste Annahme
für richtig halte und befolge, also die Bucht von Navarin für den Hafen
von Pvlos ansehe.
70 Atiien's Kriegssystem
der Laiulseite auf, wo der Ort am besten befestigt war, aber
ohne Zweifel wegen des grossem Umfangs der Manem auch
mehr Vertheidiger als auf der Seeseite bedurfte : er selbst mit
sechzig auserlesenen Hopliten und einigen ]>ogenschützen über-
nahm die YertheidigTing der Seite gegen die hohe See , wo
man im Vertrauen auf die Felsen und die eigene Flotte nur
schwache Mauern errichtet hatte , und die Feste nicht wohl
länger Aviderstehen konnte, sobald einmal der Feind auf dem
Land festen Fuss gefasst hatte. Eben darum erwartete Demosthe-
nes denselben nicht hinter den Mauern, sondern stellte sich
vor denselben dicht am L'fer auf, um jede Landung zu hindern.
Nach diesen Vorbereitungen lässt ihn Thukydides eine kurze
Anrede an seine Leute halten, worin sich auf glänzende Weise
die freiulige Zuversicht ausspricht, die damals den attischen
Krieger auszeichnete, und die auf das Gefühl der Pflicht gegen
das Vaterland, verbunden mit dem stolzen Vertrauen auf die
eigene Kriegserfahrung und geistige Ueberlegenheit, gegründet
war. Es unterscheidet sich diese £u{)ap3ia der Athener ebenso
sehr von dem wilden Muthe der Barbaren, als von der gesetz-
lich geordneten Todesverachtung und zaudernden Tapferkeit
der Spartiaten. Sie ist wesentlich bedingt durch die freie in-
dividuelle Ausbildung, die sich nirgends mit gesetzlicher Ord-
nung so glücklich verbunden findet als in Athen.
Zwei Tage lang vermochte so Demosthenes den Sturm der
Feinde erfolgreich zurückzuschlagen, obwohl Brasidas sie durch
heldenmüthige Kühnheit anfeuerte. Am dritten Tage, als die
Lakedaimonier eben Anstalten treff'en wollten, um Belagerungs-
maschinen zu bauen, zeigte sich die attische Flotte. Am vier-
ten lief sie von beiden Seiten in den Hafen, und schlug die
überraschten Peloponnesier aufs Haupt; mit Mühe wurde der
grössere Theil der Trieren durch das am Ufer aufgestellte Land-
heer gerettet, die liesatzung der Insel Sphakteria Mar jetzt ab-
geschnitten, und wurde von den Athenern streng blokirt. Dieses
Unglück beugte die Spartiaten so sehr, dass sie vor Pylos einen
Waff'enstillstand schlössen, um in Athen Friedensimterhandlungen
einzuleiten. Während desselben Avurde, was noch von der Flotte
übrig war, den Athenern übergeben, die sie beim Ablaufe des-
selben wieder zurück geben sollten. Die Unterhandlungen
scheiterten bekanntlich an den überspannten Forderungen der
VON Perikles Tod bis zur Schlacht bei Deliox. 71
Athener, die besonders Kleon veranlasste. Als nun der Waffen-
stillstand zu Ende ging, Aveigerten sich die Athener, 'die
Schiffe vertragsgemäss wieder herauszugeben, weil angeblich
die Lakedaimonier zuerst dxu'ch einen Angriff auf Pylos den
Vertrag verletzt hätten. Der Geschichtsschreiber bezeichnet
das aber sehr deutlich als blossen Vorwand. Ob übrigens unter
den Feldherni hier Demosthenes mitzuverstehen ist, bleibt
dahingestellt, i)
Der Krieg wurde nun mit neuen Anstrengungen geführt,
und drehte sich jetzt ganz um Sphakteria , welches von der,
auf 70 Schiffe verstärkten, attischen Flotte so eng als möglich
eingeschlossen wurde. Indessen gelang es nicht, dasselbe so
schnell als die Athener hofften zur Uebergabe zu zwingen, da
die Spartiaten immer Lebensmittel hinüber zu schaffen wussten.
Ja, die Athener fingen selber an, Mangel z\i leiden, und ihre
Schiffe hatten keinen Platz zum Anlegen, weil das spartanische
Heer an der Küste stand; sie mussten daher in einiger Ent-
fernung vom Ufer ankern. ^) Als die Nachricht von dieser be-
drängten Lage nach Athen kam, brachte es Kleon, durch sein
Poltern gegen die Feldherni, dahin , dass er selber mit der
Eroberung Sphakterias beauftragt wurde, und versprach, inner-
halb zwanzig Tagen sie auszuführen. Nachdem er einmal die
Prahlerei ausgesprochen hatte, benahm er sich, das muss man
anerkennen, sehr verständig. Er hatte vernommen, dass De-
1 Da Thuk. IV, 15 sagt, es sei ttoo; tou; ST&are/fCi'j? "Waffenstillstand
geschlossen worden und Demosthenes eigentlich nicht aToarrjo; -war , da
überdiess die peloponnesischen Schiffe auf jeden Fall unter die Bewachung
der athenischen Flotte gestellt wurden, welche nur Eurymedon und Sophokles
befehligten, könnte man geneigt sein, den Demosthenes von der Theilnahme
an der Unredlichkeit freizusprechen. Allein beweisen lässt es sich nicht,
und der erste Grund ergiebt sich als nichtig, wenn man VI, 29 vergleicht,
wo es von Kleon heisst : täv t£ Iv Rjhvt OTparr^-f'"'^ ^''^ -pojeXofxivo; At|Ixo-
-j Die \\ orte : xal töjv veä)-^ oü-/. ^yo'jswv opp-v/ bei Thuk. IV, 26 müssen
ohne Zweifel so verstanden werden: die Athener hatten auf dem Lande
nur die äusserste Spitze des Vorgebirges in ihrer Gewalt, das ganze übrige
Ufer des Hafens M-ar in den Händen der Lakedaimonier; also konnten
auch die Athener den grössten und besten Theil des Hafens nicht be-
nutzen, hatten keinen optAo;: denn die Schiffe der Griechen pflegten
sich bekanntlich dicht ans Land zu legen , oder gar auf dasselbe gezogen
zu werden.
72 Athen's Kriegssystem
mosthenes eben eine Landung auf der Insel bea1)sichtige. Denn
die Ungeduld der Soldaten erlaubte nicht länger zu warten,
und ein zufällig entstandener Brand, der den Wald fast auf
der ganzen Insel verzehrte, erleichterte das Unternehmen.
Früher hatte man das Terrain nicht übersehen können, auch
die Zahl und Stellung der Lakedaimonier nicht gekannt, und
Demosthenes hatte, in Erinnerung an die in Aitolien, aus Un-
kenntniss der Gegend, erlittene Schlappe, keine Lust, sich
einer ähnlichen Gefahr auszusetzen. Als aber durch den Brand
dieses Hinderniss -weggeräumt worden war, da traf er alle An-
stalten zum Angriffe. Ihn wählte nun Kleon sich zum Bei-
stande und Demosthenes hatte die seltene Selbstverläugnung,
unbekümmert . wem der Ruhm zufalle , seine Vorkehrungen
eifrigst zu vollenden. — Darauf erliess man zuerst noch eine
Auffordeiiing an das auf dem Festlande stehende Heer, der
Besatzung der Lrsel zu befehlen, dass sie sich ergebe. Als
eine abschlägige Antwort erfolgte . ^^'urde , kurz vor Sonnen-
aufgang, von der hohen See und vom Hafen aus. eine Schaar
von 800 Hopliten auf die Insel gesetzt, welche ohne Hinder-
nisse festen Fuss fasste. Mit Tagesanbruch kam das übrige
Heer, im ganzen wenigstens 12000 Mann ' , freilich dem grössern
Theil nach schlecht bewaffnete Ruderer, während die Lake-
daimonier, die Heloten abgerechnet, nur 420 Mann zählten,
ein Beweis, wie sehr man sie noch fürchtete. Sie -v^iirden nun
wie Wild umstellt, nach der heldenmüthigsten Gegenwehr auf
die erhöhte nördliche Spitze der Insel getrieben, auch da um-
gangen, und, noch 292 Mann, zxir Uebergabe auf Discretion
gezwungen. Uns kann diese Waffenthat an sich nicht sehr
1; Thukydides l\ , 31, '^2 nennt SOO Hopliten, ebensoviel Bogenschützen,
dann die ]SIann!?chaft von etwas über 70 Schiffen, mit Ausnahme der
Thalamier, also wenigstens 150 Mann auf das Schiff, zusammen über 10,-500;
dazu kommen noch die Messenier und einige andere nicht näher bezeichnete
Truppen, deren Anzahl Thukydides nicht angiebt. Zu den 42U Lakedai-
moniern gehören nach Thuk. IV, 8 auch ihre Heloten. Wie viele das
■waren, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen , da das Verhältnis? nicht
immer das gleiche ist. Vermuthlich folgte aber gewöhnlich einem sparta-
nischen Hopliten ein Helote , wie dem athenischen sein ürTjosTY];. Man
vgl. ausser Herm. Lehrb. d. Staatsalt. §. 19, 7 noch Herod. VII, 229.
VIII, 2.5. Dass diese Heloten sich aber eben nicht sehr heftig gegen die
Messenier wehrten, lässt sich vermuthen.
VON Perekles Tod bis zur Schlacht bei Delion. 73
bedeutend erscheinen, da der Ungeheuern Ueberzahl auch die
tapferste Schaar nicht lange widerstehen konnte. Für die da-
maligen Griechen aber war sie es. Aveil die Lakedaimonier bis
dahin für unüberwindlich gegolten hatten, und man glaubte,
sie würden weder durch Hunger noch irgend welche Noth sich
bewegen lassen . die Waffen zu übergeben . sondern den Tod
vorziehen. Bedenkt man aber, dass die Mannschaft seit 72
Tagen, von der Seeschlacht an gerechnet, eingeschlossen war,
und, mit Ausschluss der 20 Tage des Waffenstillstandes . sehr
kärglich gelebt hatte . bedenkt man . dass sie von dem langen
Kampfe ermüdet war und von den ihnen Vorgesetzten auf dem
Lande , auf die Anfrage , Avas sie thun solle . keine bestimmte
Antwort erhielt, so wird man sich nicht länger über die Ueber-
gabe wundem.
So endete in der Mitte des Sommers 425 v. Chr. der
Kampf um Pylos, welches in den Händen der Athener blieb ;
die Gefangenen ^Ao^irden nach Athen geführt. Das Volk be-
schloss, sie in strenger Haft zu halten, bis ein Friede zu Stande
komme ; wenn aber ein peloponnesisches Heer Attika betrete,
sie hinzurichten. ^ Somit machte man den Einfällen ein Ende.
Nach Pylos \\airde eine Besatzung von Messeniem gelegt, die
das Land der Erbfeinde und Unterdrücker verheerend durch-
streifte und allen unzufriedenen Heloten eine Zuflucht bot.
Tief entmuthigt zogen die Lakedaimonier, ohne weiter an die
Eroberung der Festung zu denken , nach Hause : ihr ganzes
Bestreben gieng jetzt auf den Frieden, den sie selbst unter
ziemlich drückenden Bedingungen nicht verschmäht hätten.
Diesen ausserordentlichen Erfolg verdankte Athen fast allein
dem Demosthenes. Er hatte den ersten Plan entworfen und
trotz vielfacher Hemmungen ausgeführt; er hatte Pylos glück-
lich vertheidigt und endlich die Besatzung von Sphakteria ge-
fangen genommen. Nur der Sieg der Flotte war nicht unmittel-
bar sein Werk, wohl aber die Folge seiner Massregeln. Er
hatte also die Sachen dahin gebracht, dass die Athener den
Krieg auf eine vortheilhafte und ehrenvolle Weise hätten be-
') S. Thuk. IV, 41. Ganz verkehrt Diodor XII, 63: o os of|ixo; i'ltr^-
0£ T:poxptv(u3t t6 -oXefXilv, tote rdvToc; to'j; atyjjiaXtuTOi»; droxTitvai.
74 Athex's Kriegssystem
endigen können; dass es nicht geschah, war Kleons Schuld
lind kann des Demosthenes Verdienst nicht schmälern. ^. .
Aber auch so wirkten die Ereignisse von Pylos mächtig,
und bestimmten zunächst den weitem Verlauf des Krieges
wie sie nachher noch die Hauptursache der günstigen Be-
dingungen des Friedens des Nikias wurden. Jetzt hatte in
Athen Jedennann eingesehen, wie zweckmässig es sei, die Pe-
loponnesier in ihrem eigenen Lande zu bekriegen , und daher
wird die Anlegung ähnlicher Punkte wie Pylos planmässig
fortgesetzt. Noch im Laufe des gleichen Sommers besetzte
Nikias, nach einem Einfall in das korinthische Gebiet, Me-
thone. Diese Stadt, von andern gleichnamigen zu unter-
scheiden, lag an der argolischen Küste, auf einer schmalen
Landenge , welche eine kleine Halbinsel mit dem Festlande
verbindet , zwischen Epidauros und Troizen , zu dem es ge-
hörte.-;. Die Landenge Avurde nun verschanzt, eine Besatzung
zurückgelassen, und von hier das Gebiet der Troizenier, Ha-
lieer und Epidaurier verwüstet. 3
Im Frühling des folgenden Sten Kriegsjahres Ol. 88. 4.)
eroberte dann derselbe Nikias, von Nikostratos und Autokies
begleitet, die lakedaimonische Insel Kythera gegenüber
Malea. Diese war den Lakedaimonieni ungemein wichtig für
den Handel mit Aegypten und Libyen, und zum Schutze der
lakonischen Küste gegen feindliche Kaperschiffe. Eine starke
Besatzung wurde von den Athenern zurückgelassen, und später
die Insel förmlich in die Bundesgenossenschaft aufgenommen. *)
Hierauf verwüstete Nikias die lakonische Küste weit und breit,
ohne irgendwo ernsten Widerstand zu finden, erstürmte und
verbrannte die Hauptstadt von Kynuiia, Thyrea, und fühlte
die Reste der unglücklichen Aigineten gefangen nach Athen,
wo sie ein Opfer des alten Hasses A^-urden. ^] So war jetzt der
', Ueber die sämmtlichen Ereignisse vgl. man vor allen Thuk. IV,
2-6. 8—2:3. 26—41 dann Diod. XII, 61-63. Pausan. IV, 26 im Anfang.
■^) Man vergl. Poppo in den Prol. za Thak. I, 2 p. 220 und Thuk.
IV, 45. V, IS.
3) Thuk. IV, 40.
4; IV, 57.
5, Thuk. IV, 5j— 57.
VON Perikles Tor» ms zur Schlacht bei Delion. 75
Peloponnes von drei Punkten aiis thirch die Athener fortwährend
heiinriihigt, und gleichsam belagert.
Dabei blieben aber die Athener nicht stehen, sondern ver-
folgten jetzt wieder unter Demosthenes Leitung mehr und
mehr den oben bezeichneten Plan, Mittelgriechenland vom Pe-
loponnese zu trennen, und es für sich zu gewinnen. Zuerst
wurde der dorische Voiijosten des Peloponnesos , Megara,
zum Angriff ausersehen. Dieser kleine Staat befand sich damals
in grosser ]?edrängniss. Zweimal im Jahre verwüsteten die
Athener das Gebiet regelmässig so arg, dass sie nach Aristo-
phanes selbst den Knoblaiich aus dem Boden kratzten. Dazu
kamen noch Bürgerzwiste. Eine oligarchische Partei war a\is
der damals demokratisch constituirten Stadt vertrieben Avorden,
hatte dann die megarische Hafenstadt Pegai am Meerbusen von
Korinth besetzt, und von dort die Vaterstadt befeindet. Um
nun wenigstens diesen Angriffen ein Ende zu machen, sprach
man davon, die Vertriebenen zurückzuberufen. Die eifrigsten
A'olksführer aber, die das natürlich zu hintertreiben suchten,
wandten sich jetzt nach Athen, wo sie bei den Feldherrn
llippokrates und Demosthenes bereitwilliges Gehör fanden. Es
wurde verabredet, dass die Athener mit Hülfe der Verbündeten
zuerst die S Stadien langen Mauern, Avelche Megara mit der
Hafenstadt Nisaia verbanden , besetzen sollten, um so die in
Nisaia liegende peloponnesische Besatzung von Megara abzu-
schneiden. Dann sollte die Stadt selber genommen werden.
Etwa um die Mitte des Sommers führten die beiden Feldherm
mit Einbruch der Nacht eine kleine Anzahl Truppen zur See
nach Minoa. Hippokrates legte sich mit 600 Hopliten auf
diese durch seichte Stellen mit dem Lande zusammenhängende
Insel in Versteck; Demosthenes aber verbarg sich mit leicht-
bewaffneten Plataiern und athenischen Grenzwächtern ^) auf dem
' Eine passendere Uebersetzung für die TTspi-o/.ot finde ich nicht.
Uebrigens stimme ich durchaas Böckh C. I. G. I, p. 30.3 b. bei, dass diese
-epi-o/.oi nicht Epheben gewesen seien, sondern eine Art Leichtbewaffneter,
welche ohne Zweifel mit den Epheben die Burgen Attikas bewachten ; denn
erstens ist höchst unwahrscheinlich , dass man so wichtige Punkte blossen
Rekruten , und das waren doch im Grunde die Epheben , anvertraute ;
zweitens brauchte Demosthenes zu seinem Unternehmen bei Megara ver-
tra.ite Krieger.
76 Athen" s Kriegssystem
Festlande selber, dicht bei den feindlichen Mauern in einem
Heiligthnme des Enyalios. Vor Sonnenaufgang -sAiissten die
Verschworenen ein Thor der langen Mauern eine Zeit lang ver-
abredeter Weise offen zu halten. Schnell besetzte es De-
mosthenes mit seinen Leuten, schlug die herbeieilenden Feinde
zurück, und Hess die Hopliten des Hippokrates ein. Die Be-
satzung , welche die Peloponnesier theils in Nisaia , theils in
den langen Mauern selber hatten i), zog sich erschreckt nach
der Hafenstadt, wo sie nun durch die Athener von Me-
gara abgeschnitten war. — Mit Tagesanbnich erschienen 4uij0
athenische Hopliten und 600 Eeiter auf dem Landwege von
Eleusis her. Allein die Erobemng der Stadt gelang nicht,
w^eil einer der mit^ erscliAvorenen Megarer den Plan verrieth.
Ohne Verzug wandten sich nun die Athener zur Belagerung
der Hafenstadt. Mit einer erstaunlichen Schnelligkeit wiirden,
von den in der Ge^valt der Athener stehenden langen MaueiTi
aus, Belagerungsmauem bis ans Meer geführt. Vor Ende des
zweiten Tages war Nisaia ganz eingeschlossen, und die Be-
satzung ergab sich. — Darauf schleiften die Athener die \er-
bindiingsmauern mit Megara. und trafen alle nöthigen Vor-
kehrungen, um Nisaia zu behaupten.
Kaum war das geschehen, so nahte Brasidas. In Sikyon
und Korinth mit Ausrüstung eines Heeres beschäftigt, das er
nach Ihrakien führen wollte, hatte er Kunde von dem Angriff
der Athener erhalten, und rasch, wie Avenige Spartiaten seiner
Zeit, die schon versammelten Truppen nebst 3700 Schwer-
bewaffneten aus Korinth. Phlius und Sikyon über den Isthmos
geführt . zugleich Boten nach Boiotien geschickt. Allein . als
er in dem megarischen Orte Tripodiskos ankam , war Nisaia
schon gefallen, und die Megarer. die den Gang der Ereignisse
abwarten wollten, weigerten sich, ihm die Thore zu öffnen.
Die Boioter ihrerseits hatten auf die erste Kunde von dem An-
griffe der Athener, noch ehe Brasidas Mahnung zu ihnen kam.
^) Haake zu IV, 67 erklärt oi l-fT'-'"^"'^ UO.o-v/^■r^zuJl richtig: Nisacae
et haud dubie etiatn muronim certe ex parte custodes. Sie bildeten eigent-
lich die Besatzung von Nisaia, aber hatten auch den nähern Theil der
langen Mauern, der gewissermassen dazu gehörte, zu bewachen. Der An-
fang von c. 68 bestätigt es, auch Diodor XII, 66, wenn nicht seine ganze
Erzählung so ungenau wäre, dass sein Zeugniss nichts gelten kann.
vox Perekles Tod bis zur Schlacht bei Deliox. 7"
alle waffenfähige Mannschaft aufgeboten , Aveil sie einsahen,
dass sie nach Megara zunächst bedroht seien. Bei Plataia
traf sie der Bote, Avorauf sie 2200 SchAverbeAvaffnete und 600
Reiter dem Brasidas zusandten, mit dem grössern Theile des
Heeres aber heimkehrten. — Brasidas hatte jetzt bedeutende
Streitkräfte, Avorunter AAcnigstens 6000 Hopliten, unter seinen
Befehlen, mit denen er sich gegen Megara und Nisaia zog. Nach
einem zAA'eifelhaften ReitertrefFen , besetzte er einen günstigen
Platz nicht AA'eit \'om Meere. Dort stellte er sich in Schlacht-
ordnung auf, ohne jedoch dem Feinde entgegen zu gehen : denn
er AAollte nur Megara decken und sich öffnen. Er rechnete
nämlich ganz richtig, AAenn die Athener ihn nicht angriffen,
so AAÜrden die Megarer ihn für überlegen halten und in die
Stadt aufnehmen, und so könne er ohne Kampf den ZAA-eck
seines Marsches erreichen. Diese kluge Berechnung bcAveist
übrigens, AA'ie sehr das SelbstA'ertrauen der Peloponnesier ge-
sunken Avar ; denn früher hätte ein an Zahl überlegenes Land-
heer derselben scliAAerlich einen Angriff so sorgfältig Aermieden.
Was Brasidas erAvartet hatte, geschah. Die athenischen Feld-
herm stellten auch ihre Truppen in Schlachtordnung ausser-
halb der langen Mauern auf, hüteten sich aber, die bis dahin
emmgenen grossen Yortheile, durch einen Angriff auf den
zahlreichern AAohlpostirten Feind, aufs Spiel zu setzen, ein ]3e-
Aveis, dass Demosthenes im passenden Augenblicke ebensoAA'ohl
mit Bedachtsamkeit als mit kühner Entschlossenheit zu han-
deln AAiisste. — Nach einiger Zeit zogen zuerst die Athener,
dann die Peloponnesier, in die früheren Stellungen zurück.
Die Megarer aber nahmen den Brasidas als Sieger auf, der
nachher auch den abtrünnigen athenischen Bundesgenossen in
Thrakien viel daAon zu erzählen Avusste , AA'ie die Athener mit
überlegenen Streitkräften nicht gcAvagt hätten, die Schlacht an-
zunehmen. \ Bald darauf entliess Brasidas, ohne einen Versuch
zur AViedereroberung Aon Nisaia zu machen, die Bundes-
genossen, und ging nach Korinth. Auch das athenische Heer
zog zurück, mit Ausnahme der nöthigen Besatzung für Nisaia. 2)
') Thuk. IV, S5. 108.
2) Thuk. IV, 66—74. Diod. XII, 67 ganz verkehrt Boacioa;; -/.axa-
-XT^Iäjxevo; -rou; AÖTjvaio'j;, touto-j; jasv e^eßaÄEv i/. xf^; Nisaia;. Dass Nisaia
78 Athex's Kriegssystbm
Wie bald darauf meineidiger Weise die mit JJrasidas nach Me-
gara zurückgekehrten üligarchen an den Demokraten Rache
nahmen, das zu erzählen, gehört nicht hieher. V
Es ist nicht nöthig. darauf aufmerksam zu machen, wie
bei dieser Erobening von Nisaia Demosthenes wieder das Haupt-
verdienst hatte : bemerkenswerth ist nur . dass er , den wir
schon mehrfach im kleinen Kriege ausgezeichnet gefunden
haben, auch hier die Leichtbewaffneten befehligte, und die
gefährlichere, aber wichtigere Stellung, dicht bei den feind-
lichen Mauern, einnahm.
Da nun die Eroberung von Megara einstweilen nicht mög-
lich schien, und auch nicht von grosser Wichtigkeit war. ging
Demosthenes . in ^. erbmdung mit Hippoki-ates . weiter . und
nahm den alten Plan gegen Hoiotien wieder auf, der diesmal
mit grosser Umsicht angelegt wurde. In Boiotien war seit
langer Zeit eine Partei, die mit dem bestehenden Zustande
unzufrieden war . und theils , statt der oligarchischen Verfas-
sung. Demokratie, theils statt des drückenden Principates von
Theoen, Unabhängigkeit der kleinern Gemeinden wünschte.
Diese besonders in den kleinem Städten starke Partei, an
deren Spitze ein vertriebener Thebaner, Ptoiodoros. stand, trat
nun mit den athenischen Feldherrn in Verbindung, und fand
williges Gehör. Es -wurde verabredet, an einem Tage emen
dreifachen Angriff zu machen. Eine athenische Flotte sollte
bei der Hafenstadt von Thespiai, Siphai- , landen, welche ihr
durch Verschworene übergeben werden sollte; zugleich sollte
die demokratische Partei von Orchomenos den wichtigen Platz
iu den Händen der Athener blieb , ergiebt sich deutlich genug aus der
ganzen Erzählung und wird bestätigt durch IV, IIS und V, 17 und durch
Diodor selbst XIII, tJ5.
1; Schwerlich ist je in den vielen politischen Händeln der griechischen
Staaten eine feierlich beschworene Amnestie so schamlos gebrochen worden,
wie hier. Es macht daher die Bewunderung der Philosophen z. B. Piatons
im Kriton p. 53 b.) für die auf diese Schandthat folgende stabile Oligarchie
ihnen nicht viel Ehre. "Wie ganz anders handelte der verschrieene athenische
Demos nach dem Sturze der Vierhundert, und der Dreissig I
-y Die Lage von Siphai ist am besten angegeben auf der Karte von
Boiotien, welche P. W. Forchhammer dem ersten Baude seiner Hellenika
beigefügt hat.
VON Perikles Tod bis zur Schlacht bei Delion. 79
C h a i r o n e i a , an der phokischen Grenze, nehmen . Besonders
thätig waren dafür Orchomenische Flüchtlinge, die sogar Söld-
ner ans dem Peloponnese anwarben , luid auch von den Fho-
kiern, die immer auf Seite der boiotischen Städte gegen Theben
stehen, nahmen einzelne an dem Anschlage Theil. Endlich
sollte ein athenisches Landheer den Tempelbezirk des de-
lischen Apollon im Tanagraischen Gebiete , im Südosten
des Landes, besetzen und befestigen. Durch die Gleichzeitig-
keit dieser drei Angriffe hoffte man die feindlichen Kräfte zu
zersplittern, den Freunden einen kräftigen Anhaltspunkt zu
geben, und, wenn auch nicht sogleich eine für Athen günstige
allgemeine demokratische Revolution ausbrechen sollte , doch
von den drei Funkten aus IJoiotien so zu ermüden, dass eine
Stadt nach der andern genommen werden könnte. Man wollte
also auch hier gewissermassen das durch Demosthenes im Pe-
loponnese eingeführte Kriegssystem anwenden, das hier nur,
wegen der Verbindung mit der demokratischen Partei , noch
schnellern Erfolg versprechen musste. Die Leitung des Ganzen
wurde so vertheilt, dass Hippokrates die Besetzung von
Delion übernahm, Demosthenes aber mit 40 Schiffen nach
Naupaktos ging, um von da aus Siphai zu nehmen >) : denn
er war daselbst aus früherer Zeit wohlbekannt, und besass das
unbedingte Zutrauen aller Bundesgenossen jener Gegend. Die
kurze Zeit zwischen seiner Ankunft und dem verabredeten Ta^e
benutzte er, um sein früher so erfolgreich begonnenes Werk,
nämlich die Vernichtimg des peloponnesischen Einflusses im
Westen Griechenlands, möglichst zu vollenden. Schon im
Herbste des vorigen Jahres hatten die Athener in Naupaktos.
mit den Akarnaniern vereint, die wichtige korinthische Colonie
Anaktorion, am Eingang des amprakischen Meerbusens,
erobert, die korinthischen Bewohner verjagt und die Stadt mit
Akarnaniern besetzt i) , und vor Demosthenes Ankunft waren
eben auch noch die einzigen Akamanier, die bis dahin mit den
Peloponnesiern verbündet gewesen waren, die Oiniaden, ge-
nöthigt worden, dem attischen Bunde beizutreten. Demosthenes
aber versammelte gleich nach seiner Ankunft ein Heer von
1) Ueber den ganzen Plan sehe man Thuk. IV, 76.
2) Thuk. IV, 49.
80 Athen's Kriegssystem
allen dortigen Bundesgenossen , nnd zwang den Fürsten des
aitolischen Volksstammes der Agraier, Salynthios, einen
eifrigen Freund Spartas , sich der attischen S}Tnmachie anzu-
schliessen. *) Es -war also in diesem Augenblicke Athens Macht
in dem westlichen griechischen Festlande zusammenhängender
und fester als je zuvor. Die einst so bedeutende Macht von
Amprakia war gebrochen, Anaktorion, und schon früher Sollion
südlich von Leukas, erobert; nur Leukas selber noch unbe-
zwungen. Alle Akarnanier, Amphilochier und Agraier waren
Bundesgenossen Athens. Aitolien war fast von allen Seiten ein-
geschlossen, und besonders durch Naupaktos vom Peloponnese
abgeschnitten. Molykrion hingegen scheint seit der Eroberung
durch Eurylochos in den Händen der Korinthier geblieben zu
sein, und auch die ozolischen Lokrer gehörten seit Eurylochos
Feldzug, wenigstens dem Namen nach, zu dem peloponnesischen
Bunde. Auf solche Macht gestützt, traf nun Demosthenes die
nöthigen Vorbereitungen für den Angriff auf Boiotien, der auf
den Herbst (nach Thukydides Zeitbestimmung Anfang des
Winters, also gegen Mitte Octobers festgesetzt war. Allein so
gut der ganze Plan angelegt war. so misslang er doch gänz-
lich, ohne Schuld der Urheber, indem die Lakedaimonier durch
einen Phokier aus Phanoteus Kunde davon erhielten, und die
"Boioter zur rechten Zeit noch warnten. — Diese boten schleu-
nig ihre gesammte Streitmacht auf und besetzten Siphai und
Chaironeia. Die Verschworenen hielten sich jetzt natürlich
still, und Demosthenes, der auf der Höhe von Siphai erschien,
musste un verrichteter Sache heimkehren. Auf Chaironeia Avurde
der Angriff gar nicht versucht. Hippokrates hingegen rückte
aus. aber erst später als Demosthenes. Thukydides sagt, es
sei in Beziehung auf den verabredeten Tag ein Fehler vorge-
gangen; vielleicht hatte Demosthenes VeiTath geahnt, und
darum nicht länger gewartet. Wie dem auch sei. Hippokrates
führte alle waffenfähige Mannschaft aus Athen, und befestigte
ungehindert den Tempelbezirk des delischen Apollon. Um die
Mitte des fünften Tages, nachdem man ausgerückt war, schien
die Befestigung stark genug, und die Athener wollten, mit
Ausnahme einer Besatzung, zurückkehren. Hippokrates blieb
', Thuk. IV, 77.
VON Perikles Tod bis zur Schlacht bei Delion. 81
noch, Tim einige Anordnnngen zn treffen, in der neuen Festung;
die Hopliten lagerten etwa eine Viertelmeile davon auf dem
Wege nach Athen, der grosse Haufe der Leicht- xuid gar nicht
Bewaffneten war schon vorausgeeilt. Unterdessen hatten sich
aber die IJoioter aiis allen Theilen des Landes im nahen Ta-
nagra versammelt, und der thebanische lioiotarch. Pagondas,
der an diesem Tage den Oberbefehl führte, bewog sie, obgleich
die Athener schon abzogen, doch eine Schlacht zti wagen.
Schnell führte er dann sein Heer aus Tanagra. Nicht weit
vom Feinde, dessen Blicken ihn ein Hügel entzog, ordnete er
es. erschien plötzlich mit demselben auf der Höhe des Hügels
und fasste daselbst Posto. Es waren 7000 Hopliten, 10,000
wohlgerüstete Leichtbewaffnete, 500 Peltasten ^j und lOüOPeiter.
Die Tiefe der Schlachtordnung war bei den ( 'ontingenten der
verschiedenen Städte verschieden; bei den Thebanern betrug
sie 25 Schilde. Die Peiterei stand mit dem leichten Fussvolke
auf den Flügeln.
Hippokrates hatte mittlerweile , als ihm die Annäherung
der Feinde gemeldet wurde, 300 Reiter zur Beobachtung der-
selben bei Delion zurückgelassen, und war selbst zu dem Heere
geeilt. Er stellte die Hopliten, den feindlichen ungefähr an
Zahl gleich-), acht Mann hoch auf. die Reiter a\if die Flügel;
Leichtbewaffnete hatte er fast keine, da die schlechtbeAvaffuete
landsturmähnliche Menge schon zu weit weg war, um am
Kampfe Antheil zu nehmen. Nachdem das Heer aufgestellt
1) Es sind das, wenn ich nicht irre , die ersten Peltasten , die in den
Staaten des eigentlichen Griechenlands vorkommen. Früher hatten die
griechischen Städte an der thrakischen Küste schon von dieser thrakischen
Waffengattung Gebrauch gemacht. Man vergl. Thuk. IV, 28. — Uebrigeng
giebt Diodor XII, 69 die Zahl des boiotischen Heeres ungenau auf 20,000
Mann zu Fuss und 1000 Reiter an.
-) Thuk. IV, 94: rr/re? :t}.t)i^£i laoiraXei; rot; ivavTtots ist nur auf die
Hopliten zu beziehen, gerade wie nachher das 7:o),"/.a7r).«x3ioi töjv svav-tcuv
nur auf die <10jA geht. Es wüi-den somit etwa 7000 athenische Hopliten
gewesen sein. Thukydides sagt nun freilich II, 13, Athen habe beim Aus-
bruch des Krieges 13000, ohne die zur Bewachung der Stadt und der
Burgen bestimmten, gehabt, und da man nach Delion Tciwruiei ausgezogen
war, könnten TOGO zu wenig scheinen. Bedenkt man jedoch, dass die Pest
und der Krieg die Zahl schon sehr vermindert hatten (es waren allein von
den Hopliten 4400 an der Krankheit gestorben III, 87), und dass manche
anderwärts standen, so erscheint die Zahl sehr passend.
Vischcr, Schriften T. g
82 Athbn's Ejiiegssystem
war, ging Hippokrates an der Fronte hin. und ermahnte in
kurzen bündigen Worten znr Tapferkeit. Er war aber erst bis
in die Mitte gekommen, als die Boioter unter Kriegsgesang
vom Hügel heranzogen. Die Athener warteten den Angriff
nicht ab, sondern gingen in der. seit der Schlacht bei Marathon
bei ihnen üblichen Weise ihnen im Laufe entgegen. Die äus-
sersten Flügel auf beiden Seiten win-den durch Bäche aus
einander gehalten, aber der grössere Theil kam in ein furchtbares
Handgemenge. Die Athener, die hier hinlänglich bewiesen,
dass die Beschäftigung mit dem Seedienste sie nicht zum Land-
kriege untüchtig gemacht, warfen den linken feindlichen Flügel,
umzingelten einen Theil desselben und richteten grosses Blut-
vergiessen an. Der rechte boiotische Flügel aber, wo die The-
baner standen , drängte die Athener zurück , die Schritt für
Schritt den Boden vertheidigten : da entschied eine Täuschung
der Athener. Pagondas schickte nämlich, vom rechten Flügel
aus, zwei Reiterabtheilungen im Kücken seines Heeres um den
Hügel, um dem hart bedrängten linken Flügel beizustehen. Als
diese plötzlich erschienen, glaubten die Athener, es sei ein
neues Heer, das anrücke, und wurden von Schrecken ergriffen.
Das benutzten die Boioter und drangen ein. Das athenische
Heer wandte sich zur allgemeinen Flucht, und suchte sich
theils über den Berg Panies, theils nach Oropos und Delion
zu retten. Die Niederlage war vollkommen, die feindliche
Reiterei, besonders eine lokrische Schaar, die eben ankam,
als die Schlacht entschieden war, verfolgte die Flüchtigen bis
zum Einbruch der Nacht. Bei tausend Athenern, unter ihnen
Hippokrates , waren gefallen , aber auch die Boioter hatten
einen Verlust von 500 Mann. Am folgenden Tage kehrten die
athenischen Flüchtlinge aus Oropos und Delion zur See nach
Hause zurück. In letzterem Orte blieb eine Besatzung. Die
Boioter aber, durch mehrere tausend Mann Hülfstnippen von
verschiedenen Bundesgenossen verstärkt, griffen ilin an, und
eroberten ihn am siebenzehnten Tage nach der Schlacht, i)
1) Ueber die Schlacht bei Delion ist die Hauptstelle bei Thuk. IV,
90—97. Sehr ungenau ist Diodor XII, 69, 70. Für Einzelnheiten zu be-
achten Piaton im Sjmpos. p. 221 a. b. Laches. p. 181 a. b. Apolog. Socr.
p. 2S. e. Plutarch Alkib. 7. — Andokid. geg. Alkib. §. 13 nennt statt
VON Perikles Tod bis zur Schlacht bei Delion. 83
Damit war denn die ganze Unternehmung, von der man
sich so Grosses versprochen , misslungen , und die Athener
hatten sogar eine Niederlage erlitten, wie noch nie in diesem
Kriege. Die »Sclnild trifft dem grössern 'l'hcile nach nicht die
betheiligten Feldhemi , da den Verrath zu hindern nicht in
ihrer Macht lag. Kaum dürfte auch dem Hijijiokrates als
grosser Fehler angerechnet werden, dass er die Leichtbewaff-
neten zu weit vor den Hopliten hatte voranziehen lassen. Es
war aber dieses seit einigen .Jahren das erste Unglück , das
Athen betraf: daher war die moralische Wirkung um so grösser,
und während man seit längerer Zeit überall offensiv zu Werke
gegangen war, trat jetzt eine auffallende Ermattung ein. Zu
gleicher Zeit hatte auch Ikasidas, durch seine wohlcombinirte
Diversion nach Makedonien und (^halkidike, die Athener ge-
nöthigt. ihre Aufmerksamkeit und ihre Anstrengungen vorzugs-
weise dorthin zu richten. Verbindet man damit noch die etwas
früher erfolgte Kückkehr der Flotte aus Sicilien, wo sie nichts
ausgerichtet hatte, so wird man begreifen, dass das durch die
Gunst des Glückes verwöhnte ^'olk missmuthig und des Krie-
ges überdrüssig wurde. Diese Stimmung benutzte die Friedens-
partei, und so kam im folgenden Frühling Ol. S9. 1 ein Waffen-
stillstand zu Stande. Z^var brach nach dessen Ablauf der Krieg
von neuem los , allein der Tod des Brasidas und des Kleon
machte bald den Frieden möglich, der Olymp. 89. 'i abge-
schlossen wurde und den Namen des Nikias trägt. Die in die
Zwischenzeit fallenden Ereignisse interessiren uns aber hier
nicht weiter, da sie nur die Vertheidigung der athenischen
Herrschaft in der Gegend von Thrakien zum Zweck hatten.
Das oben bezeichnete Kriegssystem, das dem Demosthenes an-
gehörte, endete mit der Schlacht bei Delion, und komite auch
seiner Natur nach nicht fortgeführt werden, sobald man ernst-
lich an den Frieden dachte. Wenn nun dieses System, das,
wie ich glaube, sich in der gegebenen Darstellung deutlich
herausstellt , auch nicht zu den Resultaten geführt hatte, die
sich davon hoflfen Hessen, wenn auch die Herstellung einer
Macht, wie sie einst Athen nach Myronides Sieg bei ben Wein-
bergen gehabt hatte, gänzlich misslungen war, so kann doch
Hippokrates fälchlich Hipponikos, was Krüger in Seebodes Archiv I, 3
S. 8.3 schon nachgewiesen.
6*
84 Athen's Kriegssystem
auch nicht geleugnet werden, dass diese Nachtheile durch die
dadurch gewonnenen Vortheile weit überwogen wurden, und
dass die günstigen r>edingungen , welche Athen im Frieden
erhielt, einzig ihm zuzuschreiben sind. Denn einmal war die
Macht der Peloponnesier , ganz besonders der Korinthier, an
den Küsten des westlichen Griechenlands, die besonders für
ihre Flotte wichtig war, fast ganz gebrochen, und dadurch die
Herrschaft Athens in jenen Gegenden erweitert und gesichert ;
dann war jedem Versuch der Peloponnesier, eine Seemacht
aufzustellen, wie er in den ersten Kriegsjahren mehreremal
gemacht-«*worden war, ein Ziel gesetzt, theils dadurch, dass
die Athener die letzte Flotte bei Pylos vernichtet hatten, theils
dadurch, dass sie eine Reihe von Hafenplätzen auf dem feind-
lichen Gebiete oder in dessen Nähe besetzt hatten, und so
das Auslaufen von Schiffen fast unmöglich machten. Femer
hatte die Gefangennehmung der Spartiaten auf Sphakteria At-
tika vor ferneren Einfällen der Peloponnesier bewahrt, dieselbe
endlich, vereint mit den ^ erwüstungen , welche von Pylos,
Kythera und Methone aus gemacht wurden , hatte bewirkt,
dass die Lakedaimonier alle Zuversicht und Hoffnung verloren
hatten und auch nach Brasidas glücklichen Thaten zu drücken-
den Bedingungen bereitwillig blieben. Es darf daher bestimmt
behauptet werden, dass es ein höchst zweckmässiger und be-
sonnener Plan war, und dass, sobald man nicht mehr unbe-
dingt an Perikles ^'ertheidigungssystem festhalten wollte . der
Krieg auf keine passendere Art geführt werden konnte. Das
perikleische System konnte aber nur von der festen Hand seines
Urhebers mit Sicherheit gehandhabt Averden. Dass nun aber
auch Demosthenes mit Recht als der eigentliche Schöpfer und
der gewandteste Ausführer des zweiten Kiiegsplanes bezeichnet
worden ist. ist jetzt wohl klar. Er hat von Naiipaktos aus die
dortige Bundesgenossenschaft der Athener befestigt und er-
weitert; er hat zweimal den Angriff auf Boiotien entworfen,
das erste Mal allein , das zweite Mal mit Hippokrates ; er hat
mit demselben Hippokrates Nisaia erobert, er endlich, was die
Krone seiner Thaten, hat Pylos nicht in Folge eines augen-
blicklichen Einfalles, sondern nach reifer Ueberlegung besetzt
und behauptet. Wenn nun auch Nikias Methone und Kythera
besetzte, so beweist das nur, wie sehr die Zweckmässigkeit
VON Perikles Tod bis zur Schlacht bei Delion. 85
dieser Kriegsweise einleuchtete. A\'ie sie dem Demosthenes
recht eigentlich angehört, ergiebt sich auch daraus, dass er
später bei ganz veränderten Verhältnissen noch zwei solche
Befestigungen für Athen gewann, nämlich das Ileraion bei Epi-
dauros im 14. Kriegsjahre 'i , und eine kleine Landzunge in
Lakonika, gegenüber Kythera. im 19. Kriegs) ahre bei der Fahrt
nach Sicilien . ^^
Demosthenes war aber nicht allein der athenische Feld-
herr jener Zeit, der am besten, ja vielleicht allein, einen grös-
sern Kriegsplan zu entwerfen und festzuhalten verstand, son-
dern er übertraf auch in den anderi Eigenschaften die üV)rigen
Heerführer dieses Zeitraumes. Mit rastlosem Unternehmungs-
geiste und glänzender Tapferkeit verband er, seit dem ersten
Unglücke in Aitolien, umsichtige Besonnenheit. INIit kühner
Entschlossenheit und ungewöhnlicher Geistesgegenwart Avusste
er den entscheidenden Augenblick wahrzunehmen, und jede
Gunst der Verhältnisse zu benutzen. Dass er ein regelmässiges
Hoplitenheer in offener Schlacht zu befehligen verstehe, hat er
in den Kriegen in Akarnanien bewiesen : ganz besonders aber
war er ausgezeichnet in der Anwendung des leichten Fussvolks,
das sonst in jener Zeit gar oft eher eine Last als ein Nutzen
für das Heer war. In allen Listen des Krieges, Benutzung
jeder Oertlichkeit. im Legen von Verstecken, Ueberraschen des
Feindes war er ein Meister; darin war sein eigentliches Ele-
ment, und wenn er nach einer Andeutung in den Rittern des
Aristophanes den Wein nicht verschmähte ■* , so ist er doch
dadurch nie trag oder sorglos geworden. Auch sein persön-
licher Charakter erscheint rein und achtimgswerth ; denn ab-
gesehen davon , dass er das Zutrauen seiner Untergebenen in
hohem Grade zu gewinnen wusste , wird uns von ihm keine
Grausamkeit erzählt und keine Treulosigkeit, Avenn er nicht
vielleicht am Zurückhalten der peloponnesischen Schiffe bei
Pylos Theil hatte, was, Avie oben bemerkt. imgCAviss ist. Dabei
war er frei von der reissend um sich greifenden Selbstsucht,
nie in politische Intriguen verAvickelt, nur bemüht, das Wohl
des Vaterlandes zu fördern, ohne Eifersucht gegen seine Amts-
') Thuk. V, SO vergl. mit 75.
2) Thuk. VII, 26.
3) vgl. 85 ff.
86 Athen'sKriegssyst. V. Perik. Tod b. z. Schlacht b. Delion.
genossen, ohne ängstliche Rücksicht auf eigene Ehre und eige-
nen Vortheil , und so ist er sich gleich geblieben , bis an
seinen unglücklichen Tod. Denn auch vor Syrakus wäre das
athenische Heer gerettet worden, wenn Nikias sich hätte ent-
schliessen können, sein egoistisches und abergläubisches Zö-
gern aufzugeben, und dem Rathe des Mitfeldherm beizustim-
men. ') Bei allen diesen Feldherrntalenten vermochte aber
Demosthenes doch nicht, eine ununterbrochene consequente
Leitung in die Kriegführung zu bringen, weil er nicht zugleich
Staatsmann war- . nicht in der Volksversammlung den Einfluss
hatte wie im Felde ; daher, was er im Kriege gewonnen, mehr
als einmal durch die Thorheit der Demagogen zu Hause wieder
verloren ging.
1; Thuk. VII, 47, 48.
2) Die Bemerkung des Redners Demosth. Olynth. III, §. 21 beweist
dagegen nichts, so -wenig als die Stellung, die Demosthenes in den Rittern
des Aristophanes einnimmt.
ALKIBIADES UND LYSANDßOS.
[Rede gehalten am Jahresfeste der Universität zu Basel den
6. November 1S45. Basel 1845.1
W enn ich , einem alten Herkommen gemäss , heute vor
Ihnen auftrete, so thue ich es m mehr als einer Hinsicht nicht
ohne eine gewisse Scheu. Niemand nämlich fühlt besser als
ich selber, wie viel mir abgeht, um den Ansprüchen, die bei
einer solchen Gelegenheit an den Redner gemacht werden, zu
genügen. Das Amt indessen, das mir meine Collegen über-
tragen haben, verlangt es, dass ich spreche, und so liegt hierin
meine Rechtfertigung. Mehr Verantwortlichkeit habe ich auf
mich genommen durch die Wahl des Themas. Sie ist mein
eigen und sollte sie misslungen sein, so fällt der Tadel auf mich
allein. In derThat liegt dasselbe wohl Manchem etwas ferne und
mag daher zu einem Aidass, wie der heutige, weniger geeignet
erscheinen. Die mieisten Redner, seit einer Reihe von Jahren,
haben den Vortheil gehabt, entweder allgemeine Gegenstände
zu besprechen, Avelche das Interesse unserer Zeit erregen, oder
den Stoff in einem zwar engern aber auch nähern Kreise ge-
wählt zu haben, Avelcher die vaterländische Theilnahme in An-
spruch nimmt. Xx\i diese \'ortheile habe ich verzichtet und
mein Thema in jener fernen Vergangenheit gesucht, welche
vielfach besprochen. Manchen allgemein bekannt, ja sogar er-
schöpft zu sein dünkt, demjenigen aber, der sie genauer zu
erforschen bemüht ist, als eine ewig sprudelnde Quelle immer
neuer Belehrung erscheint und geeignet nicht nur den Gelehr-
ten von Fach, sondern jeden zu fesseln, der Sinn hat für den
Entwickelungsgang des Menschengeschlechts. Ich meine die
Geschichte des alten Griechenlands. Dorthin habe ich meinen
Blick um so lieber gerichtet, als gar zu oft jene Geschichte
einseitig, sei es im rosigen Lichte eines Ideals, sei es im Dun-
kel des Heidenthums betrachtet wird. Der wahre Forscher
88 Alkibiades ukd Lysandros.
wird den einen. Avie den andern Abweg zu vermeiden haben.
Es werden ihm dabei manche Ilhisionen verloren gehen, aber
die Wahrheit, der er nachstrebt, wird ihn hinlänghch entschä-
digen, lind die handelnden Personen werden aus Schattenbil-
dern lebendige Menschen der Wirklichkeit, sie werden gleich-
sam Fleisch und Kein erhalten. 80 wird dann erst die Ge-
schichte eine magistra vitae und fruchtbar werden für das
Leben. Und so hoffe ich auch Ihre Aufmerksamkeit für einige
Zeit in Anspruch nehmen zu dürfen, wenn ich Sie bitte mir
in eine Zeit zu folgen, wo die schöne Blüthe, welche das
hellenische Leben entfaltet hatte , zu welken begann , in eine
Zeit, wo jenes geniale ^'olk alle Kräfte in furchtbarer An-
strengung aufwandte sich selbst zu vernichten, in die Zeit des
peloponnesischen Krieges. Ich gedenke nämlich zu sprechen
von zwei der hervorragendsten Charaktere jener aiisserordent-
lichen Zeit , von Alkibiades und Lysandros , zwei Männern,
welche mehr als irgend andere uns ein Bild darbieten einer-
seits des hinsinkenden und im Falle noch liebenswürdigen
Athen, anderseits des aus der alten würdevollen Beschränkung
imd Besonnenheit in eine neue, ihm fremdartige und trotz mo-
mentanen Sieges verderbliche , fast dämonische Thätigkeit ge-
worfenen Sparta.
Durch die Perserkriege hatte Griechenland eine völlige
Umwandlung erlitten. Vor denselben war im Ganzen noch
die aristokratische Verfassung vorherrschend, jedenfalls noch
kein Mittelpunkt für die demokratische Entwickelimg da. Das
unlängst erst durch Spartas Hülfe von der Tyrannis befreite
Athen, kaum den Innern Parteiungen, die es zerrissen, entron-
nen, stand noch ziemlich schwach und isoUrt. Die demokra-
tischen Neuerungen des Kleisthenes hatten zwar bereits das
Selbstgefühl des ^'olks geweckt und befestigt, aber noch hatte
es diesem an einem grossen Anlasse zur Entwicklung seiner
Kraft gefehlt ; noch war Athen nicht Adel mehr als jeder an-
dere griechische Staat; war doch die kleine Insel Aegina ihm
damals zur See überlegen. Sparta war noch unbestritten die
erste Macht in Hellas, übte ohne Widerspiaich das Principat
aus, und schien in seiner Stellung um. so sicherer, als vor
seinen Waffen , ja bisweilen bloss seinen AYorten die meisten
Tyrannen des alten Griechenlands gefallen waren. Dorische
Alkibiades und Lysandros. 89
Besonnenheit und dorischer Ernst beherrschten noch das grie-
chische Lehen und fanden auch in künstlerischer Hinsicht
ihren Aiisdruck theils in der lyrischen Poesie (Pindar) theils in
der dorisch genannten Baukunst. Der Blick der Staaten und
Völker war noch mehr nach innen als aussen gerichtet; auf
einen kleinen Kreis beschränkt, in diesem sicher und fest. Da
wurde dieser Zustand plötzlich geändert durch den Versuch
des persischen Königs auch Europa dem Morgenlande zu un-
terwerfen. — Einem solchen Angriffe gegenüber genügten die
bisherigen Einrichtungen und Zustände von Griechenland nicht.
Zwar überliessen die sämmtlichen dam Vaterlande treu geblie-
benen Staaten Sparta den Oberbefehl , aber Sparta hätte trotz
seines Leonidas Griechenland nicht gerettet; sein Blick ging
nicht weit genug, seine ganze Beschaffenheit entsprach nicht
so grossen Verhältnissen.
Athen, das bereits bei Marathon allein den Feind geschla-
gen, gebührt zum grossen Theil der Kuhm, Griechenland vor
dem Schicksal eine persische Provinz zu werden bewahrt zu
haben. Athen hat nicht allein den grössten Feldherrn und
die meisten Schiffe zum Kampfe gestellt, es hat auch durch
freiwilliges Aufgeben seines Landes und durch willige Unter-
ordnung unter Spartas Oberbefehl eine Aufopferung und Selbst-
verläugnung bewiesen , wie sie in der Geschichte selten sind,
und dadurch allein eine Spaltung unter den Griechen gehin-
dert, die unbedingt ihren Untergang herbeigeführt hätte.
So trat es ganz anders aus dem Kampfe als es in den-
selben gezogen war. mit dem stolzen Bewusstsein sich und
das Gesammtvaterland gerettet zu haben, und anfangs aner-
kannt und gefeiert von den andern Griechen. Jene pindari-
schen Worte :
(o Tal XiTTcpai xai iooT£<pavot xai aoioifxoi
E^vÄaoo; £p£ia[xa, xXsivai Ai)avai, oai[x6viov TTTo^a'sDpov
»O du glänzendes, veilchenbekränztes, vielfach besungenes.
du Stütze von Hellas, berühmtes Athen, du göttliche Stadt,«
sind recht eigentlich der Ausdruck dessen , wofür Athen sich
hielt und gehalten ward, dessen, was es war. Mit dieser Be-
deutung Avar aber die untergeordnete äussere Stellung im Wi-
derspruch, es musste eine höhere erhalten, und was eine histo-
rische Nothwendigkeit war, das beschleunigte einerseits die
90 Alkibiades u>d Lysandros.
billige und freundliche Art der athenischen Feldherren Aristei-
des und Kimon , anderseits das hochfahrende, herrische , bald
verrätherische Benehmen des Spartaners Pausanias. Athen
stand an der Spitze der Bundesgenossen von den Inseln und
Küsten, aller jener die von persischer Herrschaft abgefallen
waren, Sparta überliess ihm die Fortsetzung des Krieges gegen
Persien, zog sich scheinbar freiwillig, doch im Innern erbittert
zurück; es fühlte, dass die weitere Behauptung der Feldherrn-
schaft gegenüber Persien mit seinem ganzen Wesen nicht zu-
sammen passte, konnte aber nur mit Neid das glückliche Athen
an seinem Platze sehen.
Statt dass also früher die Staaten des Festlandes, mit be-
deutendem Vorwiegen des dorischen Elements dem ruhigen
aber entschiedenen Gebote des aristokratischen Sparta Folge
geleistet hatten, die beweglichem Staaten Kleinasiens aber
durch ihre Unterwerfung unter Lydien, dann Persien, politisch
dem Mutterlande ziemlich entfremdet waren, ist nun plötzlich
im Vordergründe eine neue Macht, zum grossen Theil aus je-
nen kleinasiatischen Staaten , in denen der jonische Stamm
vorherrscht, gebildet. Mit ihnen vereint sind die griechischen
Bewohner der thrakisch-makedonischen Küste und der Inseln,
an ihi-er Sj^itze steht das zu ausserordentlicher Thätigkeit ge-
weckte, siegesstolze und m seinem Innern bereits ganz demo-
kratisch gestaltete Athen. ^Yie. ganz entsprechend dem ernsten
Sinn des dorisch -spartanischen Charakters, die Hauptstärke
des alten Hellas unter Spartas Leitung in den unerschütter-
lichen, wohlgeordneten, aber langsamen Schaaren seines schwe-
ren Fussvolks bestanden hatte und fort besteht, so liegt die
Kraft der neuen Macht in der beweglichen, zu fernem Unter-
nehmungen geeigneten Flotte . zu deren zweckmässiger An-
wendung, es nicht nur der ruhigen Besonnenheit und des
todesverachtenden Muthes. Avelche der Hauptzug der Spartaner
waren, sondern noch mehr grosser Geschicklichkeit. Uebung
und Unternehmungsgeistes so wie bedeutender Geldmittel be-
durfte. Hier also Seemacht und Demokratie, dort Landmacht
und Aristokratie. Anfangs zAvar standen die beiden Mächte,
Sparta und Athen friedlich neben einander, Athen schien nur
den Krieg gegen Persien fortzusetzen , dessen Leitung Sparta
nicht wollte; den Spartanern blieben die Staaten des Fest-
Alkibiades und Lysandros. 91
landes , wenigstens des Peloponneses anhänglich , ja Athen
selbst schien eine Zeitlang noch seine Suprematie anzuerken-
nen. Allein lange dauerte das nicht; denn Athen, durch die
Verhältnisse dazu verlockt und gedrängt, wandelte allmälich
seine freie Bundesgenossenschaft zu einer eigentlichen Herr-
schaft um. Je mehr im Innern das A'olk alle Erinnerungen
an alte Einrichtungen und liechte vernichtet, und iinhedingte
Herrschaft der Masse verlangt, xmi unter dieser Form einem
gewaltigen Geiste zu gehorchen, desto straffer wird der Zügel
nach Aussen hin gezogen. Alle Kräfte der ehemals freien Hun-
desstaaten werden in der herrschenden Stadt coucentrirt, und
nur dadurch kann Athen <3ine Thatkraft und Macht entwickeln,
wie wir sie in der Mitte des fünften Jahrhunderts anstaunen;
nur so erklärt sich, wie es Kriege mit Persien und den Haupt-
staaten Griechenlands führt, Avie es Verluste von einigen hundert
Schiffen sammt der Mannschaft fast unbemerkt verschmerzt,
und zugleich die Wunderwerke des Parthenon, der Propyläen
und anderer Tempel aufführt, die gewaltigen Hafen- und
Mauerbauten zu Stande bringt, und an zahlreichen jährlich
wiederkehrenden Festen eine Herrlichkeit entfaltet, die in der
Geschichte durchaus einzig ist. Es ist nicht eine einzelne
Stadt, sondern der Mittelpunkt eines Reiches, dessen Kräfte hier
zusammenfliessen. Aber zugleich mit der Macht dieser demo-
kratischen Herrscherin wuchs auch die Unzufriedenheit der
früher freien Bundesgenossen, die jetzt Unterthanen geworden
waren , und wurde vielfach von Sparta und dessen Bundesge-
nossen genährt. Und als nun Athen nicht zufrieden mit der
Herrschaft über die Seestaaten seine Gewalt mit Hülfe demo-
kratischer Sympathien auch über die Staaten des Festlandes
auszudehnen suchte, da brachen Kämpfe aus, welche nach
mehrfacher Unterbrechung eigentlich erst durch den sogenann-
ten dreissigj ährigen Frieden geschlossen wurden. — Musste
auch Athen darin manchen weitergehenden Plan aufgeben, so
trug es doch den grossen Gewinn aus demselben davon, dass
hier zum erstenmal seine Bundesgenossenschaft förmlich aner-
kannt Avurde. Die beiden grossen Symmachien wurden gewis-
sermassen gegenseitig garantirt, es sollte dieser Friede die
Grundlage des hellenischen Staatsrechtes werden. Auf der einen
Seite steht der peloponnesische Bund mit Sparta an der Spitze,
92 Alkibiades und Lysandros.
gestützt auf den grössten Theil des Festlandes; die Verfas-
sungen meist oligarchisch, die Bundesglieder gegenüber Sparta
formell selbständig; anderseits Athen mit der Herrschaft über
die Seestaaten , im Innern der Einzelstaaten , meist Demo-
kratie, die Bundesglieder gegenüber Athen meist unterthänig.
Allein die Gegensätze waren bereits zu mächtig herangewach-
sen; die durch den Frieden gebotene Ruhe wurde beiderseits
benutzt, sich zum Kriege zu rüsten, theils durch Herschaffung
von Geld und Kriegsmaterial , theils durch Organisation der
Symmachien, Erwerbung neuer Bundesgenossen. Umtriebe un-
ter denen des Gegners. Suchte Sparta durch das Schlagwort
politischer Freiheit gegenüber Athen die Zuneigung der Hel-
lenen zu gewinnnen, so wusste dagegen Athen in den oligarchi-
schen Staaten demokratische Parteien in sein Interesse zu
ziehen. Im Ganzen aber neigte das Wohlwollen der Hellenen,
als der Krieg ausbrach, doch weit mehr zvi Sparta, da hier
wie überall das Wort Freiheit seinen Zauber übte, und die
Kurzsichtigen vermeinten , wenn nur erst Athens Joch gebro-
chen sei, werde ihnen das Glück nicht fehlen können.
Mit der Entwicklung Athens nach Aussen war seine innere
politische Avie intellektuelle Hand in Hand gegangen. Dem
Genius des Perikles , des grössten Demagogen aller Zeiten,
war es gelungen alle Hemmnisse zii entfernen, welche die
athenische Verfassung einer schrankenlosen Entfaltiuig der
Volkskräfte entgegensetzte, es war ihm das Grössere gelungen
bloss durch die üeberlegenheit seines Geistes und seines Cha-
rakters jene entbundenen Kräfte zu ordnen und zu leiten. Es
war dem Namen nach eine Demokratie . der That nach eine
Herrschaft des vortrefflichsten Mannes. Nichts fehlte als die
Gewähr der Dauer, die um so sch^verer war . weil^ auf solche
Anstrengung aller Kräfte Erschöpfung fast durch ein Naturgesetz
geboten war. Mehr noch als politisch wurde Athen geistig die
Metropole von Griechenland. Während früher im Ganzen
Poesie, bildende Künste und Philosophie in den verschiedenen
Ländern hellenischer Zunge schöne und mannichfaltige Blüthen
trieben, wird in dem Zeitraum zwischen dem persischen und dem
peloponnesischen Krieg Athen der geistige Mittelpunkt. Hier ist
der Sitz der tragischen und komischen Dichtving, die aus-
schliesslich attisches Produkt ist; hier bildet sich unter Phei-
Alkibiades und Lysandros. 93
dias ein Verein von bildenden Künstlern, der anch aus dem
übrigen Hellas die besten Kräfte an sich zieht, und das Un-
erreichte leistet; hier finden die Philosophen und Sophisten
einen Vereinigungspunkt und reichen Boden für ihre Bestre-
bungen, welche die Geister in lebendige Bewegung bringen,
aber auch das l^estehende in Staat und Religion vielfach lockern
und erschüttern ; durch Sokrates und seine Schüler wird Athen
auf Jahrhunderte der Sitz der Philosophie ; hier endlich bietet
die freie Rednerbühne der entstehenden Kunst der Beredsam-
keit ein fruchtbares Feld; und die von Jonien ausgegangene
Geschichtschreibung erreicht hier ihre Vollendung. Es war
Athen damals die 'EXXaocc iraioeuaic , die Bildungsanstalt ganz
Griechenlands. Fürwahr ein geistiges Leben, wie es kaum zum
zweitenmal in der Geschichte sich zeigt, ein Leben, das aber
nur durch die Herrschaft über ein Reich möglich war inid
zugleich ein verderbliches Element mit sich führte in der
immer entschiedener einreissenden Negirung alles dessen, was
ehedem für gut und schön gegolten hatte, in dem Bestreben
überall an der Stelle des objectiv gültigen Gesetzes den
subjektiven Gelüsten des Individuums Geltung zu verschaffen.
Während so Athen dadurch, dass es allen Geistesbewegungen
von Griechenland freien Eingang gestattet, und sich selbst an
die Spitze dieser Bewegung stellt, die höchste Blüthe erreicht,
aber auch den Keim zu der Auflösung legt, sucht Sparta durch
strenges Abschliessen seinen Charakter zu bewahren. So lange
die Entwicklung hellenischer Kunst dem dorisch-spartanischen
Geiste entsprechend war, hatte es lebendigen Antheil daran
genommen; Lykurgs Verdienst um Homer, die Dichter Tyr-
taios und Alkman, der weise Chilon sind sprechende Beweise
dafür. Die neue Entwicklung seit den Perserkriegen war ihm
fremdartig, störte es in seinem Wesen, es veiTnochte nicht die-
selbe sich anzueignen und zu beherrschen und verschloss sich
deshalb derselben. Das Gleiche sehen wir im Staate, wo die
nothwendigsten Veränderungen unbedingt von der Hand ge-
wiesen wurden. Starres Festhalten am Alten zeichnet von jetzt
an es aus; aber nur die Formen blieben die alten; der Geist
und das Wesen veränderten sich, kamen in mannichfachen
Widerspruch mit jenen und erzeugten so ein inneres Missver-
hältniss und Missbehagen, wobei zwar äusserlich der Verfall
94 Alkibiades und Lysandros.
länger hinausgehalten Avard als bei Athen, später aber nur um
so furchtbarer einbrach. —
So kam denn nach kaum vierzehnjähriger nothdürftiger
Dauer des Friedens der Kampf zum neuen Ausbruch. Es be-
ginnt der Krieg, der unter dem Namen des peloponnesischen
bekannt, nicht etwa als ein Krieg zweier Städte zu betrachten
ist , sondern als ein Krieg zweier grossen Staatenbünde . an
deren Spitze Athen und Sparta standen. Gegen Erwarten
leistete Athen unter Perikles weiser Leitung glücklichen Wider-
stand, und als das weise ^'ertheidigungssystem nach seinem
Tode aufgegeben wurde, war im Ganzen durch die Verdienste
trefflicher Feldherren , unter denen besonders Phormion . De-
mosthenes'; und Nikias zu nennen sind, der Gang der Er-
eignisse glücklich und daher die Stimmung unter Kleons Lei-
tung dem von Sparta gebotenen Frieden ungünstig, bis mehrere
Unglücksfälle die Kriegslust herabstimmten und der soge-
nannte Friede des Nikias zu Stande kam, der keine der Fra-
gen entschied, um deren willen man das Schwert ergriffen
hatte, und deshalb keine Gewähr für Dauer hatte. In diesem
ersten Abschnitte des Krieges waren es zuerst vorzugsweise
Perikles und Archidaraos gewesen, welche die Geschicke von
Griechenland geleitet hatten, Männer, die mehr noch einer
frühem Zeit angehörten. Nach ihrem Tode treten in den Vor-
dergiaind der Polterer Kleon, neben dem aber Athen eine Reihe
guter Feldherren besass. anderseits der treffliche Brasidas. Ihr
Tod in der Schlacht bei Amphipolis machte den Frieden möglich.
Diesem ersten zehnjährigen Abschnitte des Krieges, der
auch der archidamische Krieg heisst, folgt nun eine sechs-
jährige Periode angeblichen Friedens, in dem die sonderbarsten
Combinationen eintreten, im Ganzen aber die Parteien ein-
ander bald mehr bald weniger verborgen bekämpfen, bis Athen
im kecken Uebermuth es unternimmt Sicilien zu erobern.
Dieser Zug führt den offenen Wiederausbnich des Krieges her-
1) Ich habe im Schweiz. Museum I p. 372—408 [= Kleine Schriften I
S. 53 — 86] über das Kriegssystem der Athener nach Perikles Tode gesprochen
und dort nachzuweisen gesucht, dass dasselbe im Grunde nur eine durch
das Bedürfniss der Athener nach Thätigkeit und den günstigen Lauf des
Ki'ieges hervorgerufene Erweiterung des perikleischen Systems zur Offensive
gewesen und vorzüglich in Demosthenes seinen Vertreter gehabt habe.
Alkibiadks und Lysandros. 95
bei, der nach dem tragischen Ausgang jenes Unternehmens,
trotz des heldenmüthigsten Widerstandes, endlich mit Athens
Demüthigung endigt.
Dieser zweite Theil des Krieges trägt einen ganz andern
Charakter als der erste. Wenn in jenem nocli gewissermassen
in Folge der alten Besoinienheit nnd der verständigen Politik
des Perikles nnd Archidamos eine gewisse Mässigung, ein vor-
sichtiges Beschränken der Unternehmungen sich kund giebt,
nirgends die ganze Existenz aufs Spiel gesetzt A\-ird, darum
der Krieg auch noch mehr zwischen den Staaten als den Völ-
kern geführt wird, mehr um Behauptung oder Verlust der
athenischen Hegemonie als um Unterwerfung des einen .Staates
luiter den andern, so wird jetzt auf einmal die Art des Kam-
pfes wie sein Ziel ein anderes. Athens junge Generation, nicht
zufrieden mit dem Vorhandenen, mühsam J^ehaupteteu, will
eine Herrschaft des mittelländischen Meeres begründen, der
natürlich auch der Peloponnes verfallen sollte; es setzt Alles
aufs Spiel, der Wurf misslingt und nun kämpft es zwar helden-
müthig und oft erfolgreich, aber unstät und im Innern zer-
rissen, bald mehr um sein Dasein als um die Herrschaft.
Sparta, diesmal weit mehr im Rechte als im archidamischen
Kriege, greift durch die früheren Erfahrungen belehrt den
Feind nun in ganz anderer Weise an; je mehr Athen an Hal-
tung und Besonnenheit verliert, desto consequenter, aber auch
rücksichtsloser und unbekümmert um alle Mittel verfolgt es
sein Ziel. Durch persische Subsidien unterstützt stellt es Athen
gewaltige Flotten entgegen, entreisst ihm die Bundesgenossen,
woher es seine Kräfte zog , blokirt die Stadt zu Lande , und,
was das gefährlichste, umgarnt Athen durch verrätherische Yer-
bindungen. Fast überall treten oligarchische Clubs als wesent-
liche Elemente im Kriege auf; der Krieg wird mehr und mehr
ein Krieg zwischen Oligarchie und Demokratie, wühlt sich so
tief in das Volk ein und erzeugt furchtbare Erbitterung. Zu-
gleich ist er durch die Verbindung mit Persien an geogra-
phischer Ausdehnung und Massenliaftigkeit der Streitkräfte un-
gemein gewachsen; am Ende Avird er ein Verzweiflungskampf
von Seite Athens. i) Fragen wdr nun welche Ursachen beson-
*) Ich möchte das nicht als rhetorische Floskel oder Uebertreibung
96 Alkibiades uxd Lysandros.
ders für eine solche Gestaltung wirkten, so finden wir sie zum
Theil natürlich in der ganzen Lage der Dinge, dem Charakter
der Völker und in ihrer Entwickelung, zum grossen Theil aber
auch in zwei hervorragenden Persönlichkeiten, welche uns den
Charakter ihrer beiden Vaterstädte in ihrem Verfalle abspiegeln,
und auf ihre Schicksale den mächtigsten Einfluss übten. Es
sind die bereits genannten Alkibiades und Lysandros, von
denen der erstere bereits in früher Jugend den Blick auf sich
gezogen hatte, der letztere auf einmal, wie ein deus ex ma-
china, erst in den letzten Jahren des Krieges den Schauplatz
betritt.
Alkibiades entstammte den edelsten und reichsten Ge-
schlechtern Athens, Sein Vater Kleinias führte den Stamm-
baum auf Eurysakes , den Sohn des Aias und somit auf Zeus
zurück, die Mutter Deinomache, eine Tochter des Megakles,
gehörte den Alkmaioniden an, dem ersten Geschlechte Athens '),
angesehen, sondern wörtlich verstanden wissen und zwar selbst in der Zeit,
wo die Athener wieder siegreich waren. An das Schicksal der athenischen
Flotten in Asien war nämlich das von Athen selbst geknüpft , während
Sparta von der seinigen bei glücklichem Erfolg gänzliche Ueberwindung
des Gegners in Aussicht hatte, bei unglückUchem immer wieder auf dem
gleichen Punkte stand, wo früher, und nur für seine Hegemonie über die
Seestaaten, nicht aber für seine eigne Sicherheit Gefahr lief. Darum waren
die Niederlagen bei Kyzikos und den Arginussen ziemlich bald verschmerzt,
während die bei Aigospotamoi dem Kriege ein schnelles Ende machte.
•) Die Alkmaioniden führen ihren Stammbaum auf Nestors Geschlecht
zurück, Alkmaion ist sein Urenkel. Müller Orchomenos p. 366. Pausan.
II, 18, 8 giebt folgende Genealogie : Nestor, Thrasymedes, iSillos, Alkmaion
— vgl. jetzt meine Abhandlung über die Stellung des Geschlechts der
Alkmaioniden. Basel 1847. Der Vater der Deinomache Megakles war
ohne Zweifel Sohn des berühmten athenischen Gesetzgebers Kleisthenes,
was aus Isokrates de big. §. 26, Boeckh in den Explicat. ad Pind. Pyth.
p. 303 nachgewiesen, dem Nissen in der Zeitschrift f. A. W. 1836 S. N.
34, 274 und Solko Walle Tromp disputatio historico-literaria de Pericle.
Lugduni-Batavorum 18:i7 beistimmen. "\^'arum "VViggers in der Abhand-
lung de Cornelii Nepotis Alcibiade 'die ich aber nur aus Nissens Anzeige
a. a. O. kenne , Sintenis zu Plutarch. Pericl. c. 3 p. 63, Baehr zu Plut.
Ale. p. .57. Theod. Bergk Comment. d. reliqu. Com. attic. p. 350 und
Rinck Prolegom. ad Aemil. Probum in der Ausg. von Roth p. XCII von
dieser bestimmten Angabe abweichen und annehmen, der Vater der Deino-
mache, Megakles, sei der Sohn des Hippokrates gewesen und also ein Neffe
des Kleisthenes, sehe ich nicht ein. Aus Herodot Yl, 131 geht es keines-
wegs hervor. Die Annahme, dass Isokrates oder vielmehr sein Klient, der
Alkibiades und Lysandros. 97
den Glanz des Stammes hatte Kleinias diiich eigene Verdienste
vermehrt. Denn mit edler Aufopferung hatte er gegen die
Perser ein eigenes Kriegsschiff ausgerüstet und durch Tapfer-
keit sich ausgezeichnet , und im vorgerückten Alter ' fiel er
bei Koroneia als einer Jener FreiA\dlligen , die der külme Tol-
mides nach Böotien geführt hatte. So wurde damals, es war
im Jahre 446 v. Chr. Alkibiades etwa 5 — 13 Jahre alt eine
Waise. 2] Die Vormundschaft über ihn mid den jungem Bru-
jüngere Alkibiades, das Geschlecht des Vaters aus Unwissenheit falsch
angegeben , ist mir unwahrscheinlich ; dass ^r absichtlich die Unwahrheit
gesagt, um durch die Popularität des Kleisthenes zu wirken, ganz un-
glaublich, da er dabei Gefahr lief der Lüge überführt zu werden, und den
ganzen Zweck zu verfehlen. Man wende nicht ein, dass auch Demosthenes
in der Midiana §. 144 irrige Angaben bringe; denn zugegeben sie seien
irrig (Böckh a. a. O. ist anderer Meinung vergl. auch Nissen a. a. O.j so
führt Demosthenes den Alkibiades nur als ein Beispiel an, und ein Irr-
thum war hier ohne alle weiteren Folgen. Man vergl. die als Beilage ge-
gebene Stammtafel.
'j Da Kleinias bei Artemision mit einer eigenen 'friere kämpft, so wird
er damals Ol. 75, 1 oder 4S0 kaum weniger als 20 Jahre alt gewesen, also
um Ol. 70, 1 oder 500 v. Chr. geboren worden sein. Bei seinem Tode
Ol. 8.3, 2 oder 446 wird er also nicht unter 54 Jahren gezählt haben. Wenn
daher K. F. Hermann in der Abhandlung de tempore convivii Xenophontei
pars II, p. 12 sagt Kleinias sei »Critoni fere aequalis» gewesen, so ist das
wohl ein Versehen meines hochverehrten Freundes. Denn Kriton war, wie
Hermann selbst aus Plat. Apol. Socr. p. ;J3 d. nachweist, ein Altersgenosse
des Sokrates, also etwa in Ol. 77, 4 oder 4üS geboren, und somit gewiss
wenigstens um 30 Jahre jünger als Kleinias ^Hermann in einem Briefe an
mich und in dem Vorworte zu dem "VMederabdrucke der Abhandlung de
tempore convivii Xenophontei in Jahns N. Jahrb. f. Phil, und Paed. XII
Suppltbd. p. 32t) sucht seine Behauptung zu vertheidigen , indem er zu-
giebt, dass Herodot damit im Widerspruch stehe, aber meint, Herodot habe
den Sohn Kleinias mit dem Vater Alkibiades verwechselt oder man müsse
geradezu AA7.tßtaoT,; ö K).£tvio'j statt K"/.£i.-/ta; 6 'A).y.i|3tocoo'j lesen. Es lässt
sich nicht läugnen, dass es höchst auffallend und kaum erklärlich ist, falls
der ältere Alkibiades zur Zeit der Perserkriege schon todt war und Kleinias
bei Artemision stritt, wie seine beiden Söhne erst so lange nachher geboren
wurden ; noch mehr aber scheint damit das Alter des Axiochos und seines
Sohnes Kleinias im Euthydem und bei Athen XII pg. 535 a. zu streiten.
Der Euthydem wird gewöhnlich Ol. 92 oder 93 gesetzt, wonach Axiochos
auch sehr spät Nachkommen erhalten hätte; dach auch, wenn man ihn
Ol. 89 setzt, bleibt die Sache immer noch auffallend.]
2) Ueber das Geburtsjahr des Alkibiades haben unter andern gesprochen
Letronne im Journal des Savants 1820 p. 679. Meier im Greifswalder
Vischer, Schriften I. 7
98 Alkibiades und Lysandros.
der Kleinias übemahm der von mütterlicher Seite ^j verwandte
Perikles^) mit seinem l>ruder Ariphron. Während die Eltern
Lektionskatalog 1S2I. Bahr zu Plut. Ale. S. 122 und 2G9. Wiggers a.
a. O. 6'>. Nissen Ztschr. f. A. W. 1836. S. 275, 276. Stallbaum zu
Plut. Alcib. I. Anfang, vergl. Krüger zu Clinton fasti Hell. p. 72. Die
Theilnahme an der Schlacht bei Potidaia Ol. 87, 1 und die Stelle in Plat.
Alcib. 1 p. 123 d. wo er Ittj O'joinm y^Y^voj; ocpoopa eixoaiv heisst, weisen
ziemlich sicher auf Ol. S2, 2. Jedenfalls darf man sich durch die Angabe
des Cornelius Nepos er sei annos circiter qnadragitita nutits umgekommen
nicht irre machen lassen.
', "Wie Perikles dem Alkibiades verwandt gewesen sei , vermag ich
nicht zu entscheiden. Die Vermuthung Nissens, welcher auch Rinck a. a.
O. folgt, Perikles habe eine Schwester der Deinomache Namens Demarete
zur ersten Frau gehabt, ist zwar ansprechend, aber durchaus nicht be-
wiesen. Namentlich ist die Annahme, Plinius, der h. n. XXXIV, 19, 88,
die Mutter des Alkibiades Demarete statt Deinomache nennt, habe die
beiden Schwestern verwechselt, bedenklich. Gegen die Meinung von Pal-
raerius und Bahr zu Plut. Alcib. 1 Deinomache selbst sei des Perikles
Gemahlin gewesen, haben Wiggers, Sinteni.s u. a. verschiedene zum Theil
sehr triftige Gründe vorgebracht, unter denen das gänzliche Stillschweigen
der altern Schi'iftsteller, namentlich Piatons, Xenophons und des Isokrates
mir entscheidend sclieint. Sollte dennoch diese Combination richtig sein,
so müsste Deinomache zuerst an Hipponikos, dann an Perikles und zuletzt
an Kleinias vermählt gewesen sein, was Nissen a. a. O. sehr richtig nach-
weist, da Xauthippos und Paralos, die Söhne des Perikles, nicht jünger,
als Alkibiades und sein Bruder Kleinias gewesen sein können.
■2) Plut. Alcib. I sagt: xoü 0£ AX-/tßiaoo'j Wsrn/J.f^^ v.rd Apicpw/ oi
Ha-/i}ir:-o'j, t:oo't,7.ovt£; xito. •(i-40z, lreTp6~£'jov und c. -i: iv hk Tai; 'Avxi-
cpiuvTo; Xotooptott; Y-YP^"''''^'' °~^ t^'^-iz ojv ex tt,? oiy.ia; d-£opa -po; Ar,[xo->tpaT7]
TWa TIOV £p73-(UV ßo'jXoiJL£VOU r/ a'JTOV dTTO-ftrjpÜlTElV ' Ap'lZrjO^oZ , nsplV-Xf); O'JX
eioLCsv und damit übereinstimmend Antiphon bei Athenaeus XII p. 52-5 B
|-£io'fj doo7.t[i.otai}Y;; ü-o tiov £-iTp6-(ov cfr. Lysias XIX über Ai'istophanes
Vermögen) §. 52. 6 o diro&aNUJv io-fjX(u3£v o-i cjx aKrj^Vq -aüxa t^v. i\d~Tw
'(0.0 oüatav y.a-i'ki~e toi; Trai-lv tj aÜTo; rrapa riüv i-ixpo-E'jiävTwv -'y.pcXaßev.
— Dagegen Xenophon Memor. I, 2, 40. Isoer. de big. 28. Plat. Alcib.
I p. 104 b. Y]epi'A.Xio. töv Hav&i-TTO'j, ov 6 -aTT|p Irtxpo-ov ■/.itDatb cot -£ vtal
Tiö äÖEXcpöj coli. 122 b und Protagor. p. 320 a. nennen immer nur den
Perikles allein. Indessen weist die letzte Stelle wenigstens auf eine Be-
theiligung des Ariphron bei der Erziehung der beiden Brüder. Sie lautet:
ei 0£ ßo'jXet, KXsrnav, xov AXzißiäoou to'jto'ji v£«ut£pov äosXccov, litt-po^eucuv
0 auTÖc o'jTo; (XVY]p nepty-XT];, oeoiuj; — ept ot'jxoü |xt] otacpftapTJ otj b~o 'AXyißiaoou,
(XTZosizäooLC, ÖTio xo'jxou, -/axaftljxevo; i^ Apiccpovo; £7rato£'j£' -/at rpiv £? ji.7jva?
YE'i'ovEvai, d-cOw7.£ xo6xip o'j7. £yojv oxt /pTjijrjLiTo a\)-(i). Und betrachtet man
die Stellen genauer so sprechen sie nicht gegen die Vormundschaft des
Ariphron, sondern Perikles ist als der bedeutendere oder als der, von dem
im Zusammenhange ohne dies die Rede war, allein genannt.
Alktbiades und Lysandros. 99
ihm früher in eifriger Sorge für des Kindes körperliches Wohl
eine lakonische Amme, Namens Amykla, gegeben hatten,
scheint Perikles in der Wahl des Pädagogen nicht ganz glück-
lich gewesen zu sein'), indem er einen alten thrakischen
Sclaven, Zopyros dazu bestimmte, der allerdings dem Knaben
nicht gcM achsen sein mochte ; denn früh zeigten sich in diesem
die Eigenschaften , welche ihn sein ganzes Leben durch aus-
zeichnen. Grosse Entschlossenheit, eine an Unverschämtheit
grenzende Keckheit und ein unbilndiges Streben überall der
erste zu sein, traten schon in den Knabenspielen hervor, wo-
von seine Biographen manche Beispiele erzählen, ^i Sie mach-
ten ihn bereits unter seinen Jugendgenossen zum ersten, ge-
wöhnten ihn keinen Widerspruch zu ertragen, und verursachten
seinen A'ormündern vielen \'erdruss. *) Dabei aber erfasste und
betrieb er, an Geist und Körper gleichmässig begabt, alle
Gegenstände der hellenischen Erziehung mit ausserordentlicher
Leichtigkeit, zeigte aber auch hier seinen Eigenwillen in vollem
Lichte. Es war nämlich damals der Unterricht im Flötenblasen
in Athen gewöhnlich geworden. Alkibiades wies ihn als un-
edel zurück , weil der Spielende entstellt werde , seien doch
Athene und Apollon die Schutzgötter Athens , wovon die eine
die Flöte weggeworfen , der andere den Flötenspieler Marsyas
gezüchtigt habe. ^; Sein Beispiel wirkte so, dass die Flöte in
•) Ich sage absichtlich scheint, da die Nachricht auf der einzigen
Autorität Platons im Ale. I p. 122 a. b. beruht, dessen Ausdruck: iTzi^-qui.
r.aioa'iM-i'j-i tojv cixetöjv tov ä/pstotatov uttö -[riowc, ich nicht allzu genau
nehmen möchte , da es ihm an der Stelle darauf ankommt die ganze Er-
ziehung des Alkibiades gegenüber der der persischen und lakedaimoni^eheu
Könige möglichst herabzusetzen , und er überhaupt den Perikles gerne als
schlechten Erzieher darstellt. Ein sehr angenehmes Geschäft hatte übrigens
der Pädagoge des Alkibiades gewiss nicht.
'^; Plutarch Alcib. 2.
■^1 Plut. Ale. 3. Plato Protag. 320 a. Xenophon Memor. I, 2, 40.
*) [Athenaeus IV, pg. 184 d. nennt nach Duris in der Schrift über
Euripides und Sophokles den Lehrer des Alkibiades in der Flötenspieler,
kunst Pronomos. AoOpi? o' iv töj izerA EüptTTiör/j r.a\ Socioy.Xso'j? 'AXxiJii'y.or^v
'fTjai jxaSitv TYjV 'x'jXtjTiv.YjV o'j TTotpä ToD TuyovToc, dXXa n[JOv6|j.o'j toO |j.£Y(aTrjv
da-/Tj-/.oto; o6;av. Nach Pampliila bei Gellius XV, IT war es der bei-ühmte
Antigenidas. — Ueber die beiden Flötenbläser Pronomos und Antigeuidas
vgl. Wieseler das Satyrspiel S. 21, wo das lietreffende gesammelt und aus
Athen der Name ripowp-o; durch eine Conjectur entfernt werden soll.]
7*
100 Alkibiades und Lysandros.
Athen aus der Mode kam. ^j Kein Wunder, dass sich so bald
die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn richtete, indem^ die
Einen seine glänzende äussere Stellung, Andere seine Schön-
heit, noch Andere seine Geistesgaben anzogen. Liebhaber und
Schmeichler aller Art drängten sich bald vim ihn, wurden aber
trotzig und hochfahrend behandelt und mussten sich den Lau-
nen des Knaben unbedingt fügen. Unter denselben ist besonders
Anytos zu nennen, der später als einer der Ankläger des So-
krates bekannt geworden ist. War schon vorher der Knabe
scliAver zu bändigen und zu beherrschen, so lässt sich leicht
denken, dass solche Schmeicheleien nicht dazu dienten ihn zur
Besonnenheit zu bringen. Er gewöhnte sich allen seinen
Leidenschaften imbedingt zii fröhnen und so schien bald der
gewaltigsten derselben, dem Ehrgeiz, kein Ziel zu hoch. Selbst
das leuchtende Beispiel eines praktischen Staatsmannes, das er
in seinem Vonnunde vor sich hatte , wirkte nur insofern . als
es ihn die Massen gering schätzen lehrte, selbst des Perikles
Stellung schien ihm ungenügend; denn dieser sann darüber
nach , wie er Rechenschaft ablegen wolle , Alkibiades meinte
er sollte darauf sinnen, wie er keine abzulegen gebrauche.
Um so wunderbarer erscheint der Einfluss, den Sokrates
gerade damals auf ihn gewann. Derselbe hatte bereits längere
Zeit sein Auge auf den vielversprechenden Jüngling gerichtet,
aber sich ihm nicht genähert, so lange der zudringliche Schwärm
anderer Bewunderer ihn unempfänglich für seinen Umgang zu
machen schien. Als er aber etAva achtzehn Jahre alt Avar, trat
er in ein näheres Verhältniss zu ihm - / , und gCAvann durch
seine ausserordentlichen Eigenschaften eine fast unglaubliche
GcAvalt über den sonst unbändigen. Sokrates wollte den hen-
liclien Geist desselben aus dem AAÜden Taumel sinnlicher Ge-
nüsse und dem unklaren Treiben des Alltagslebens zumi klaren
1; Plut. Alcib. 2. Den Ausdruck Mode habe ich mit Absicht gebraucht,
indem er allein die Sache richtig bezeichnet. Auch auf die Kleidermode
hat Alkibiades Einfluss gehabt, indem eine Ai*t Schuhe nach ihm 'AXy.tßtaoia
benannt Avaren. PoUux "MI, S9. Athen. XII, 534 c.
2) Dass Alkibiades ZAvischen IS und 20 Jahr alt Avar, als Sokrates in
ein näheres Verhältniss zu ihm trat, geht aus dem Alcibiades I von Piaton
deutUch hervor, man A'gl. besonders p. Jo3 und p. 123 d mit Stallbaums
Bemerkungen und dessen Prolesromenis.
Alkibiades und Lysandkos. 101
Be-svTisstsein seiner Bestimmung und Pflichten emporheben und
auf diesem Wege auch einen Bürger bihlen, der den Staat
dem gegenwärtigen Verderben entreissen und dem Ideale näher
führen sollte, welches Sokrates vor Augen hatte. Es schien
das Ziel nicht unerreichbar; denn bald entwickelte sich das
schönste 'S'^erhältniss zwischen beiden, ähnlich dem zwischen
Vater und Sohn, und doch mit aller Freiheit der Freundschaft.
Es ist gar nicht zii zweifeln , dass Alkibiades sich mit reiner
Anhänglichkeit und Liebe dem altern Freunde anschloss. Be-
weis dafür ist das gegenseitige \'erhältniss der Männer in den
Schlachten bei Potidaia und Delion , wo sie mannhaft , mit
Hintansetzung des eigenen Lebens , einander schützten ; der
grösste Beweis ferner die Art, wie Piaton, nicht nur im Ge-
spräche Alkibiades, sondern besonders im Symposion, uns das
Verhältniss schildert. Dass, wie Xenophon sagt, des Sokrates
Gewandtheit in der Dialektik den Alkibiades anzog, das läugnen
zu wollen wäre eine Thorheit; bestand doch gerade eine der
wunderbarsten Eigenschaften des Sokrates in der Kunst, die-
jenigen, mit denen er sich unterredete, auf Resultate zu bringen,
die sie selbst am wenigsten erwartet hatten. Aber zu behaup-
ten, dass Alkibiades nur desw egen des Soki*ates Umgang ge-
sucht, dass er bloss diesen äusseren Zweck der Redefertio-keit
bei ihm verfolgt, ohne Liebe und Anhänglichkeit, ist eine
Einseitigkeit des Xenophon, die sich nicht einmal aus seinem
apologetischen Zweck ganz erklären lässt, sondern nur aus der
Unfähigkeit dieses nüchternen Mannes einen Charakter, Avie
den des Alkibiades, zu begreifen, i) So rein aber des Sokrates
1) Das Urtheil mag vielleicht Manchen hart scheinen, ist es aber im
Grunde nicht. Xenophon war ein in vielfacher Beziehung sehr tüchtiger
Mann, erscheint aber durchweg auf das Nächste, das Praktische und Nütz-
liche gerichtet. Gewöhnliche Lebensverhältnisse hat er mit einem gesunden
Blicke beurtheilt, aber für ausserordentliche Erscheinungen hatte er wenig
Sinn, am allerwenigsten, wo sie auf gegnerischer Seite standen. Der deut-
lichste Beleg dafür bleibt die Art, wie er von Epameinondas spricht und —
nicht spricht, welche man umsonst zu entschuldigen versucht hat; denn
auch C. Peter comment. crit. de Xen. Hell. Hai. 1837 Cap. III weist viel-
mehr des Xenophon Parteilichkeit nach, als er sie widerlegt und sucht nur
zu aeigen, dass sie nicht eine absichtliche, sondern eine durch eine gewisse
Geistesbeschränktheit [imbeciUitas] bedingte war. Vgl. S. 106. Id igitur
explicare profecto non possemus nisi ingenii non voluntatis Vitium dicere
] 02 Alkibiades und Lysaxdkos.
Bestreben, so schön des Alkibiades Anhänglichkeit in den ersten
Jahren war, so war der Erfolg doch kein erfreulicher, we-
nigstens nicht nachhaltig. Einerseits war des Sokrates Umgang
an nnd für sich nicht geeignet tüchtige praktische Staatsmänner
zu bilden. Seine freilich wohlbegründete Unzufriedenheit mit
der bestehenden Demokratie . und seine Art , Alles dem grü-
belnden Verstände und einer zersetzenden Kritik zu unter_
Averfen. hat unmittelbar weit mehr die Folge gehabt, die Ju-
gend mit den Gebrechen des Staates bekannt zu machen, und
sie diesen und seine Vorsteher gering schätzen zu lehren, als
seine Lehre von der Tugend überhaupt und der Gerechtigkeit
insbesondere zu einer positiven Wiedergeburt zu führen ver-
mochte. Während seine negative, auflösende Lehre in der
Gegenwart A\-irkte . trug der positive Theil , zunächst nur in
der Schule fortwirkend, erst in der spätem Zeit seine schönen
Früchte ; und es bewährte sich auch hier, dass zerstören leichter
ist als aufliauen. Kein einziger guter athenischer Staatsmann
von Bedeutung ist aus seiner Umgebung hervorgegangen, Avohl
aber mancher verderbliche. Und so hat denn auch Alkibiades
mehr das skeptische. Alles anzAveifelnde. dialektische Element
sich angeeignet.!] Die Art und Weise, wie er in der ersten
liceret. Wie viel schwerer aber war es den Alkibiades zu würdigen , ihn,
dessen Fehler und Frevel so klar am Tage lagen, und wie viele unter seinen
Zeitgenossen haben ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen? Für Sokrates ist
es übrigens weit ehrenvoller und rühmlicher , wenn Alkibiades ihm einst
aufrichtig anhing, als wenn er bloss um äusserer Zwecke willen seinen Um-
gang suchte. So verfehlt also im Grunde selbst die apologetische Absicht
das Ziel. Dass aber nicht sie allein den Xenophon im Urtheil über Alki-
biades bestimmte, geht aus der Auffassung desselben in der griechischen
Geschichte hervor. Wie kalt und trocken bleibt er bei Erzählung seiner
schönsten Thaten überall, er, der doch für Agesilaos und selbst für Kyros
fast enthusiastisch wird.
1) In wie fern diese Erklärung des Einflusses , den Sokrates auf Alki-
biades und die athenische Jugend überhaupt ausgeübt hat. Andern be-
friedigend erscheinen wird, weiss ich nicht. Dass Forchhammer, der seine
Ansicht in der geistreichen Schrift »die Athener und Sokrates die Gesetz-
lichen und der Revolutionär« ausgeführt und neulich an dem Philologen-
vereine in Darmstadt mit Gewandtheit verfochten hat, mir viel zu weit zu
gehen scheint, muss ich, wie damals in Darmstadt, so auch jetzt bestimmt
aussprechen, das viele Wahre und Treffliche aber, das er und schon vorher
Hegel und Rutscher gesagt haben , verkenne ich nicht und bin weit ent-
AlKIBIADES UND Lysaxdros. 103
Zeit seines Umgangs mit Sokiates*), seinen Vormund Perikles
durch spitzfindige Fragen über den Begriff des Gesetzes in
Verlegenheit zu bringen suchte, zeigt. Avie gelehrig er für
diese Künste war und stellt ihn uns als llepräsentanten des
jungen, zungenfertigen Athens hin im Gegensatz zu jener altem
Generation, die mehr im Handeln als im Schwatzen ihre Tüch-
tigkeit bewies. Wenn also einerseits schon des Sokrates Ver-
fahren zu grossem praktischem Erfolg nicht geeignet war, so
wirkte anderseits die ganze äussere Stellung des Jüugliugs dem-
selben entgegen. Sein lleichthiun, sein Ansehen, die von Ho-
hen und Niedern, von Männern und l'raueu ihm dargebrachten
Huldigungen und Schmeicheleien mussten des Sukrates Lehren
vielfach neutralisiren, namentlich wo diese dem Alkibiades un-
bequem fielen. Sein für Alles empfänglicher, aber veränder-
licher Sinn vergass die guten A'orsätze so schnell, als er sie
gefasst hatte, ^yie aber seine Liebe zu Sokrates doch nie ganz
erstarb , wie eine bessere Stimme ihn häufig daran erinnerte,
dass er seines trefflichen Freundes Hoffnungen getäuscht habe,
das zeigt uns die herrliche Schilderung im platonischen Gast-
mahl. Er, der sonst vor Niemanden in der Welt in A'erlegen-
heit kam, schämte sich im Bewusstsein seiner Fehler vor So-
krates. 2j Das engere Verhältniss der beiden Männer scheint
fernt die Einseitigkeit derer zu theilen, welche Alles an Sokrates gut und
schön finden und gar contra Meläi redivivi culumnius geschrieben haben.
Ein weiteres Eingehen in den vielbesprochenen Gegenstand gehört nicht
hieher, nur so viel bemerke ich, dass man wohl unterscheiden muss zwi-
schen dem unmittelbaren Erfolge der Lehre und Wirksamkeit des Sokrates
und ihrem inneren "Werthe. Und für entschieden unrichtig muss ich die
S. 49 von Forchhammer ausgesprochene Behauptung ansehen, dass Sokrates
unfähig gewesen sei zu lieben. Wer so verschiedene Charaktere an sich
zog, und an sich fesselte, wer solche Liebe von Seite seiner Freunde wäh-
rend seines Lebens und nach seinem Tode genoss , der muss selber Liebe
gehabt haben, oder er wäre eine ganz einzige Ausnahme. Ohne die Fähig-
keit zu lieben, hätte Sokrates schwerlich je des Alkibiades Anhänglichkeit
gewonnen.
') Dass damals Alkibiades bereits mit Sokrates in näherm Verkehr
war, geht aus Xenophon Mem. I, 2, 39 und 40 hervor: exi ^äp Stoy.paxei
auvovTEC oÜtc dtXXois Tial (jiäXXov iTreyetpouv otaXe-y-o&at tj toTc p-aXtaxa TrpaTxo'jat
xa TToXixtxa" 'kk'^z.'Zo.\. y^p AXxißidoTjV rpiv eiTCoatv sxöiv eivat ÜEpiv-Xer iTrixpoTKp
(xiv ovxt saoxoü, TTpoixdxTj os Tffi TToXeco; xoidoe otaXcy9f,-;7.i t.z[j\ vo(aojv.
2] Plato Symp. p. 216 b. -eviovDa Se rpö? xoüxov p.6vov ävOpwTiujv, o oüy.
104 Alkibiades und Lysandros.
gedauert zu haben, bis Alkibiades einen vorwiegenden Antheil
an der Leitung der Staatsgeschäfte zu nehmen begann, was
nicht vor Kleons Tod 422 geschah, ^j Bereits aber erwarb er
sich in dieser Zeit grossen Ruhm durch seine Tapferkeit, die
ihm gleich in der ersten Schlacht den Preis verschaffte, und
nicht weniger zeichnete er sich bei den Vergnügungen und
Beschäftigungen der Jugend aus. wo er es Allen zuvorthat und
nicht minder durch Pferdeliebhaberei, als Ausschweifungen und
Streiche aller Art überall von sich reden machte. So gab er
einst am hellen Tage, auf offenem Markte dem reichsten
Athener jener Zeit, Hipponikos, einen Faustschlag, nicht weil
er über ihn erbost war, sondern zum Spasse in Folge einer
Wette. In jugendlich offener Weise ging er aber dann ins
Haus des Beleidigten, legte den Mantel ab und bot ihm den
Rücken zu Schlägen. Hipponikos verzieh, und später wurde
seine Tochter Hipparete des Alkibiades Gemahlin, von dessen
Ausschweifungen sie aber viel zu leiden hatte. 2)
av Ti? oTotTo £v i[).oi sveivai xö atayjvccöai övrtvoOv . ^f*" ^^ toütov (xovov
alT/woinni. vgl. Xen. Mem. I, 2, 47. Plut. Alcib. 4.
1) Die Fortdauer des engen Freundschaftsverhältnisses ergiebt sich aus
den Nachrichten über die Schlacht bei DeUon 'Plat. Symp. p. 221 a u. die
von den Auslegern dort angeführten Stellen u. aus den Wolken des Ari-
stophanes. Uebrigens soll nicht behauptet werden , Alkibiades habe vor
Kleons Tod an den Staatsangelegenheiten keinen Theil genommen, sondern
bloss keinen vorwiegenden. Selbst die durch Alkibiades herbeigeführte
Erhöhung des Tributs der Bundesgenossen würde ziemlich mit der ange-
gebenen Zeitbestimmung zusammentreffen, da «dieser Streich in den Anfang
der öffentlichen Laufbahn des Alkibiades kurz vor den Ol. 89, 3 geschlos-
senen Frieden des Nikias gehört«, wie Boeckh ath. Staatshaushalt I S. 525
zeigt. Indessen hat Meier in der comment. de Andocid. quae vulgo fertur
oratione contra Alcibiadem V so gewichtige Gründe gegen diese ganze
Sache vorgebracht, dass darauf nicht einmal viel ankommt. Dass aber
während Kleons Vorsteherschaft Alkibiades sich jedenfalls mit einer sehr
untergeordneten Rolle begnügen musste , ist begreiflich. Vgl. Büttner
Gesch. der polit. Hetairien in Athen. S. 57.
2; Plutarch. Alcib. S. Isoer. de big. §31. Sie starb bald Plut. a.a.O.
Isoer. a.a.O. § 45. Ivtavtu; f^p ''^'^^ ^'■'^ -zzdrjrnxai xay.ü)/, 8? eüSu; (i£v •(s^ö-
[AEvo? öpcpavo; xa-eXeicp&TjV, toü ,u.£v Tratpö; cp'JY'^"''^'^»' ""H' °^ [ATj'pö; TiXeu-Yjsd-
07)?, oÜtTCU 0£ TETXap' ETTj feiO-iOti Ol« TTjV ToO TTaxpö; Ci'JYTjV TTEpl TOÖ Oa)[J.aTO;
ei? ^ivSuvov xdTeOTTjV. [Eine 'iTTTrapsTTj 'AXv-iß tdoou Sy.afAp tuvioo'j finden
wir auf einem 1870 bei der 'Ay- Tpidoa ausgegrabenen Grabsteine. 'Eo.
Tü)v C)iXo[Aaaa>v 1870 S. 2131 = Arch. Ztg. 1872 S. 25, nach der wahr-
Alkibiades und Lysandros. 105
Kleons Tod eröffnete dem jungen Manne günstige poli-
tische Aussichten. Kein Staatsmann ersten Ranges wie Perikles
lenkte das Gemeinwesen, kein frecher Demagoge von der Be-
deutung des Kleon beherrschte mehr die Versammlung; der
ängstliche Nikias ist die hervorragendste politische Persönlich-
keit. Da tritt rasch Alkibiades in den Vordergrund, ausge-
rüstet mit allen Eigenschaften , die ihm überall , Avie vielmehr
bei dem empfänglichen athenischen Volke , eine glänzende
Laufbahn sichern mussten. Der schönste Mann in Athen M, von
scheinlichen Vermuthung von Ehusopulos eine Tochter des Jüngern Alkibia-
des , Enkelin des berühmten. — Unter andrem ist besonders bemerkens-
werth, wie Alkibiades den Dichter Hegemon gegen gesetzliche Verfolgung
willkürlich schützte. Athenaeus IX p. 407 b c. — Die yprjfxäxüjv dTrtooa«;
und die Geschichte mit der Wachtel setzt Grote bist, of Greece V, p. 31
mit Pliit. Ale. 10 als das erste Auftreten, dagegen die Siege in Olympia
V, p. 49 in die 90ste Olympiade , wo die Athener nach längei'er Unter-
brechung zuerst wieder Olympia besuchten V, p. 49 meint er, es seien in
den Wagenrennen mehrere Preise gegeben wurden in verschiedenen Ab-
theilungen von Wettrennen , sodass Lichas und Alkibiades in der gleichen
Olympias Sieger sein konnten ; dann hätten ohne Zweifel die Sieger in den
einzelnen Läufen zuletzt mit einander um den Hauptpreis gekämpft.]
1) [Ueber Alcib. Schönheit ausser Plutarch besonders Clemens Alex.
Protr. p. 35. Sylb. 47 Potter. w^iiep aü xal ol AiÖogöot zobz 'Ep[j.ä; 'AftTjvTjotv
Ttpo; AXxißiaOTjv (XTreiy-aCov. Px-ocl. comment. zu Plat. Ale. c. 38. Plinius
XXXVI, 4, 28: id demum affumatnr ^Ucibiadem esse principem forma
ea aetate. — Dio Chi-ysost. or. XXXVII, p. 465. (532 ed. Emp.) : efteotaa-
\i.rp f-oX AXxtßiao'rjv xov v-aXo-; tov KXeivio'j , O'jx oio ottou 7cX-fjv dile'/.^ajj.TjV £v
TtaXu") T-^? EXXaoo?. i~tYpot'fT,v syovxa y/Xy.oTrcuYiovo?, sxepov hz 7rept7.£7.oij.[X£'vov
x«b yeipe ö? £/.£Y£xo xf|; rio).'j7.)io'ji; it/^n^z, eivat. — Alle diese Stellen angef. v.
K. F. Hermann d. Studien der griech. Künstler p. ö5, 66 n. 148 u. 157.
— E. Q,. Visconti Iconographie Grecque pl. X\T u. XVI a und Text t.
1. p. 19; — 203 giebt drei Bilder des Akibiades : 1) Eine Herme im Garten
des Herrn Fonseca auf dem Caelius ausgegraben, jetzt im Vatican u. zuerst
publicirt durch Visconti im Pio -Clementin. VI. pl. 31. mit der Unter-
schrift 'AXxtß .... 2) Ein geschnittener Stein ehedem im Besitze von
Fulvius Ursinus, zuerst publicirt durch Faber imagg. ex bibl. Fulv. Ursini
n. 4. 3) Eine Herme nur »ebauche« aus dem Musee Napoleon, die wenn
ausgeführt den Alkibiades in der Blüthe der Jugend gegeben hätte, während
n. 1 ihn in einem höhern Alter darstellt und von sehr mittelmässigem
Kunatwerth. Doch lässt auch sie sich mit den Nachrichten von seiner
Schönheit in Einklang bringen. — Ueber .seine Bildnisse im Alterth. ebenda
p. 198 ff. namentl. Athenaeus XII, p. 534 u. Pausan. VI. 3, 15. Plinius
XXXIV. § 19, 80. XXXVI. § 4. 28. XXXIV. § 12, 26. Visconti verweist
106 Alkibiades und Lysandros.
hohem Wüchse und unverwüstlicher Körperkraft, ein ebenso
tapferer Krieger als einsichtsvoller FeldheiT, von unwidersteh-
licher persönlicher Liebenswürdigkeit, wo er gewinnen AvoUte,
an Beredsamkeit den meisten Zeitgenossen überlegen (selbst
dass er gewisse Buchstaben nicht aussprechen konnte, erschien
bei ihm nur als ein l)esonderer Vorzug; , in diplomatischen V er-
handhingen fein und gewandt, prachtliebend und freigebig bis
zur äussersten Verschwendung, hochfahrend und trotzig gegen
Gleiche und Höherstehende, gegen Niedere, v>o sie ihm nicht
in den Weg traten, wohlwollend und freundlich ') , so musste
Alkibiades bald der Liebling des athenischen Volkes w^erden,
und die höchste Stellung konnte ihm, so schien es , so wenig
entgehen als einst dem Perikles. Aber eines fehlte ihm, die
Besonnenheit, aiu'fpojuvrp jene ächthellenische Tugend, welche
in Perikles in ihrem vollen Glänze uns entgegenstrahlt, sie
fehlt dem Alkibiades wie seiner Zeit. Er hatte nicht gelernt
sich selbst zu beherrschen. Ein unwiderstehlicher, man möchte
sagen dämonischer Drang zum Herrsclien , genährt durch die
Schmeicheleien des A'olkes und mancher ^'ornehmen, durch
keine wohlthätigen Schranken gehemmt, nur gereizt durch die
Intriguen von Gegnern . denen er sich weit überlegen fühlte,
reisst ihn unaufhaltsam fort, und artet zu einer unerhörten
Willkühr und Eigenmächtigkeit aus. Alkibiades wurde ein für
einen Freistaat unerträglicher Bürger. Einen Gleichen duldete
er nicht neben sich. Er wollte der erste sein, wollte herrschen
in Athen, in Griechenland, in der damals bekannten AVeit;
darum sollte auch Athen zu hoher Macht erhoben werden.
Und diese hohe Stellung erstrebte er nicht in ruhiger, conse-
ferner auf d. Mus. Pio-Clem. wo er Vol. II. pl. 42 eine Statue deren Ge-
sicht grossentheils fehlt mit der Vermuthung giebt, es sei eine Copie des
von den Römern aufgestellten Alkibiades und Vol. VI. pl. A. n. 1. wo er
eine neuerdings in Aricia gefundene Büste des Alkibiades giebt, die der
Cardinal Despuig besass.j
'; Vgl. unter andern die Anekdote bei Plutarch Alcib. 5. Für die
ganze Characterschilderung sind einzelne Belege unnöthig. Die Haupt-
stellen der alten und neuen Schriftsteller finden sich bei Hermann Lehrb.
d. gr. Staatsalt. § 163, 1.^, wo man allenfalls noch den Artikel »Alkibiades«
in der Hallischen Encyklopädie von Hand hinzusetzen kann, der aber viele
Ungenauigkeiten enthält, zu denen der Verfasser jetzt wohl nicht mehr
stehen würde.
Alklbiades und Lysandros. 107
quenter Anwendung seiner Mittel, er wollte sie gleichsam im
Sturm erobern, und daneben seinen Launen und Leidenschaften
keinen Zwang anthun. Unter welcher Form das Ziel erreicht
werde, galt ihm gleich. Darum gehört er im Grunde weder
der demokratischen, noch der sich allmählich erhebenden oli-
garchischen Partei an; nach Bedürfniss sucht er die eine wie
die andere zu benutzen, steht aber, da im Ganzen die Demo-
kratie weit mehr Vortheile darbot, meist auf ihrer Seite, i)
Gerade dadurch aber, dass er keiner Partei aufrichtig angehört,
bereitet er sich hauptsächlich seinen Sturz '^, , um so mehr, als
er durch sein rücksichtsloses Verfahren sich zahlreiche persön-
liche Feinde machte. Keine Partei traute ihm, es fehlte ihm
an einer festen IJasis, die P)eleidigten warfen einen unversöhn-
lichen Hass auf ihn, Oligarchen wie Demokraten arbeiteten
vereint ihm entgegen und zweimal sehen vnr ihn stürzen, wo
er gerade dem Ziel seiner Wünsche am nächsten zu stehen
scheint. Man traut ihm selbst da nicht, wo er es redlich
meint; denn als er durch Erfahrung belehrt, durch Unglück
geläutert, jenen Ehrgeiz bändigte, als Besonnenheit an die
Stelle der Leidenschaften trat, da war es bereits zu spät um
bleibendes Zutrauen zu gewinnen.
Die politische Laufbahn des Alkibiades zerfällt in drei
Stadien, welche wir hier natürlich nicht im Einzelnen durch-
gehen, sondern nur in ihren Hauptzügen schildern können.
Das erste geht bis zu seiner Flucht; das zweite umfasst seine
Thätigkeit gegen Athen 415 — 411, das dritte die Zeit von seiner
Rückkehr zum Heer bis zu seuier Entfernung vom Oberbefehle
411—407.
In dem ersten, welche grösstentheils in die Zeit des so-
genannten Friedens des Nikias fällt, entwickelt Alkibiades vor-
1) Vgl. Büttner Gesch. der Hetairien S. 00 , der über dieses Verhält-
niss des Alkibiades sehr gut spricht. Ich kann daher der Aeusserung von
K. F. Hermann in den Jahrb. für wissensch. Kritik Ib42. 17 S. 132 Al-
kibiades sei die grösste aller politischen Wetterfahnen gewesen, nur inso-
fern beipflichten, als er die herrschenden Parteien für seine Zwecke zu be-
nutzen suchte.
2; Damit steht nicht in Widerspruch, dass er eine Hetairie hatte, vgl.
Büttner Gesch. der Hetairien S. 60, 70 und meine Schrift über die ölig.
Partei und die Hetairien S. IS. Wachsmuth Hellen. Alterthumsk. 1,2.
S. 191.
108 Alkibiades UjS'd Lysandros.
zugsweise sein diplomatisches Talent und übt einen grossen
aber nicht erspriesslichen Einfluss auf Griechenlands Geschicke.
Durch den Vorzug , welchen die Lakedaimonier dem älteren
Nikias vor ihm gegeben, beleidigt, hat er zuerst den Abschluss
des Friedens zu hintertreiben, dann aber, als er doch zu
Stande kam, mit desto mehr Erfolg ihn zu untergraben ge-
sucht. Auf eine zahlreiche Genossenschaft gestützt und von
dem Unbehagen, das der Friedenszustand nach langem Kriege
mit sich brachte, begünstigt, gelang es ihm leicht ein ge-
spanntes Verhältniss herbeizuführen und durch einen argen
Betrug das athenische Volk gegen Sparta zu erbittern, i) Mit
grosser Schlauheit hat er dann durch Begründung eines Bun-
des, an dessen Spitze xlrgos stand, Spartas Macht dem Sturze
nahe gebracht. 2) Der Tag von Mantineia , wo das Schicksal
des Peloponneses auf dem Spiele stand, vereitelte für diesmal
seine Pläne und stellte das Uebergewicht Spartas her. Durch
dies Misslingen aber mehr gereizt als entmuthigt. brachte er
durch kluge Unterhandlungen die Spartaner bald um die Früchte
ihres Sieges und riss Athen, das in frevelhaftem Leichtsinn
ihm folgte , trotz des beschworenen Friedens zu fast offenem
Kriege hin. Denn in der Vaterstadt hatte er sich indessen
zum höchsten Gipfel der ^ olksgunst emporgeschwungen. Zwar
versuchte die noch immer starke Frieden.spartei, den Nikias an
der Spitze , durch den Ostrakismos ihn zu entfernen , und es
handelte sich darum, oh er oder Nikias das Vaterland für
einige Zeit meiden sollte.') Da suchte zum Unglück Athens
der nichtswürdige Hyperbolos von diesem Kampfe Gemnn zu
«) Thucyd. V, 45. 46. Plut. Alcib. 14. Nie. 10.
2) [Im 13. Kriegsjahre scheint Alkibiades zum ersten Male Stratege
gewesen zu sein. Thucyd. V, 52 itnd dazu Bloomfield. — 1
3) Plutarch Nie. 11. Alcib. 13. Theophrast nannte, wie Plutarch sagt,
bekanntlieh den Phaiax als Gegner des Alkibiades, und dazu kommt nuch
Andokides nach der angeblichen Rede desselben gegen Alkibiades, Büttner
S. 61 vereinigt die Nachi-ichten und sagt: »In Gefahr dem Ostrakismos zu
unterliegen, befanden sich Alkibiades, Nikias, Phäax und AndokideS", wo-
gegen sich aber , namentlich in Hinsicht auf Andokides , sehr gewichtige
Bedenken erheben. AVie dem gewesen sein mag, auf jeden Fall war Nikias
der ohne Vergleich bedeutendste Gegner , den ich deshalb allein genannt
habe. Nur seine Verbannung wüi-de auf den Gang der Ereignisse einen
Einfluss geübt haben.
Alkibiades und Lysandros. 109
ziehen und beide zu entfernen. Darüber entrüstet vereinigten
sich die Parteien des Nikias nnd Alkibiades und verbannten
Jenen. Es war eine unverdiente Ehre; denn nicht für Män-
ner solchen Gelichters war die Scherbe erfunden, wie der Ko-
miker sagt. 1) Zum Unglücke Athens habe ich gesagt;
denn hätte der Ostrakismos den Alkibiades getroffen, so hätte
die Friedenspartei festen Fuss fassen können; wäre Nikias
unterlegen , so wäre zwar ohne Zweifel Athen bald in den
Strudel des Krieges gerissen Avorden, hätte aber zugleich mehr
Einheit und Consequenz in der Führung erhalten, als später
geschah . Aber auch zum Unglücke des Alkibiades, den
eine ehrenvolle Verbannung vielleicht zur Hesonnenheit geführt
hätte, dem ein entschiedener Sieg über die Gegner wohl eine
festere Grundlage seiner Macht verschafft hätte. Jetzt schien
freilich zunächst auch dem Alkibiades vorzugsweise der durch
die Coalition gewonnene Sieg zti Gute zu kommen. Nikias,
der nicht populär war, tritt offenbar etwas zurück, und die
zahlreichen weniger ehrenhaften Gegner arbeiteten nur im
Stillen. Alkibiades, der allen Launen und Leidenschaften des
Pöbels Befriedigung versprach, der im Peloponnes als Schirm-
herr der Demokratie auftrat, der die willkührlichste Behand-
1) Plato Comic, bei Plut. Nie. 11.
Ueber die Abschatt'ung des Ostrakismos oder richtiger über die Gründe,
wesshalb er nicht mehr ausgeübt wurde, denn förmlich abgeschafit hat man
ihn schwerlich , sprechen Büttner S. 62 und Röscher Thukyd. S. 3Sü ff".
Anm. 4 sehr gut. Nur glaube ich geht der letztere zu weit, wenn er aus
dem Benehmen des Alkibiades während seiner Flucht einen Schluss auf die
Wirkung des Ostrakismos macht. Was der zum Tode Verurtheilte, seines
Vermögens Beraubte that, das hätte der ehrenvoll auf beschränkte Zeit
Entfernte schwerlich gethan. üebei'dies liegt doch off'enbar jener Nach-
richt Plutarchs, man habe den Ostrakismos aus Scham darüber, dass man
ihn auf den unwürdigen Hyperbolos angewandt hatte, abgeschafft, etwas
Wahres zu Grunde , und sie ist wohl mehr als eine erfundene Anekdote.
Die Athener haben wirklich gefühlt, dass sie ihn unwürdig angewandt hat-
ten, das geht aus den angeführten Worten des Piaton hervor und selbst
aus Thucyd. \Tll, 73 xal 'YitcpßoXov xi xwa twv 'A&Yjvaicuv, (j.oy5)-r]p6v av&poj-
TTO'^ , (üaxpaziafASvov oü ota SuvotfAScu; xai (i^ieofJiaTOi; cooßov, aX\ä otd 7rov7]pi(xv
xal abyuvTjv ttj? TroXeco;. Was die Zeit des Ereignisses betrifft, so macht
Cobet observ. crit. ad Plat. Com. reliqu. p. 143 sehr wahrscheinlich, dasq
es in Ol. 90 ^/^ oder 417 zu setzen sei.
{{{) Alkibiades und Lysaxdros.
lung der Uiiterthanen förderte',, Aviirde der Abgott des Volks.
.Sein mit festlichem Glänze verbundenes Auftreten in Olympia,
seine unerhörten Siege daselbst, brachten ihn in eine höhere
Stellung , als sie dem lüirger eines Freistaates gebührte ; die
Bundesgenossen buhlten um seine Gunst wie um die eines
souveränen Fürsten, und er gelirauchte seine Gewalt nicht mit
schonender \'orsicht, sondern übte alle Willkühr eines Ty-
rannen, dessen Name allein ihm noch zu fehlen schien.
Da eröffneten ihm die \'erhältnisse Siciliens die Aussicht
auf weitere Hen-schaft. Es ist bekannt, wie die Streitigkeiten
der sicilischen Städte Selinus und Egesta, 'den Athenern, welche
längst ein lüsternes Auge auf die reiche und mächtige Insel
geworfen hatten, im Jahre 415 eine Veranlassung wurden zu
einer grossen Unternehmung. Umsonst hatte Nikias alle
Schwierigkeiten und Gefahren eines solchen Kriegs hervorge-
hoben; die kriegslustige Jugend, das gesammte herrschbegie-
rige Volk verschmähten seinen besonnenen Rath und liessen
sich durch die lockenden Darstellungen des Alkibiades hin-
reissen, der Euhm, Macht und Reichthümer durch diesen
Krieg zu gewinnen hoffte. Mit Nikias und Lamachos wTirde
Alkibiades zum unumschränkten Feldhemi ernannt, und Streit-
kräfte zu ihren Verfügungen gestellt, wie sie Athen seit langem
nicht aufgeboten hatte. Die höchsten Wünsche des Ehrgeizes
schienen sich verwirklichen zu sollen. Denn da Alkibiades
die Seele des ganzen Eroberungszugs und vor Allem befähigt
war ihn zu glücklichem Ende zu führen, so musste aiich ihm
der Hauptgewinn aus demselben zufallen. Und Sicilien sollte
nur der Anfang sein ; Unteritalien, Karthago , ganz Griechen-
land sah er bereits im Geiste erobert, sich selbst als den Len-
ker eines mächtigen Reiches am Mittelmeer. Schon lag die
Flotte zur Abfahrt bereit , welche ihn dem Ziele seiner
Wünsche entgegentragen sollte, eine Flotte so herrlich ausge-
rüstet, dass es schien, als ob sie eine Schaustellung der athe-
nischen Macht sein sollte. Da ^^irde plötzlich gegen ihn, der
1) Auch abgesehen von der oben berührten Erhöhung des Tributes
ergiebt sich das aus manchen Nachrichten. So Andoc. contra Alcib. § 30
wo wir keinen Grund haben an der Wahrheit der Erzählung zu zweifeln.
Plut. Ale. 12, der ohne Zweifel aus jener Rede geschöpft hat, Athenaeus
XII p. 534 d, der hingegen andere Quellen benutzt hat.
Alkibiades und Lysandros. 111
bisher aller Gesetze spotten zu können schien , die furchtbare
Anzeige gemacht, dass er die Mysterien d\irch freventliche
NachäfFung entweiht, und Pläne ziim Sturze der Demokratie
betreibe ') . Schon zuvor waren die Gemüther durch Ver-
stümmlung der Herraenbikler in ängstliche Aufregung gebracht,
die Einen von religiösen Hedenkeu beimruhigt. Andere für die
Demokratie in IJesorgniss. So viel Dunkel über diesem gan-
zen, unter dem Namen des Hermokopidenprozesses bekannten,
unseligen \'organge liegt, das scheint sicher, dass oligarchi-
sche und demokratische Feinde des Alkibiades ihn mit grossem
Geschicke benutzten, den verhassten Gegner zu stürzen, dem
sie sonst nicht beizukommen wussten. und bei dieser Gelegen-
heit zeigte sich , wie unkhig er gehandelt hatte in seinem
üebermuthe Andere zu wenig zu schonen. /Avar trat er. be-
sonders aTif die Gegenwart der ihm anhänglichen bündischen
Truppen und auf seinen persönliclien Einfiuss vertrauend, kühn
der Beschuldigung entgegen und verlangte Untersuchung. Aber
die schlauen Feinde wussten unter dem Schein des Wohlwol-
lens durchzusetzen, dass er einstweilen mit dem Heere nach
1) In eine genauere Darstellung des Prozesses einzugehen kann hier
meine Absicht nicht sein. Man vergleiche über denselben besonders Droy-
sen des Aristoph. Vögel und die Hermokopiden , Büttner S. 05 fg. auch
meine Schrift über die Hetairien S. 19fi'. und Röscher Thucyd. S. 426 ff.
Büttner stellt mit Recht den Androkles mehr in den Vordergrund , als
Uroysen und ich gethan hatten ; doch ist das, was er S. 69 über die He-
tairie desselben sagt, nicht hinlänglich erwiesen; auch Röscher sucht nach-
zuweisen , dass man diese Vorgänge nicht bloss als ein R,änkespiel der
oligarchischen Partei betrachten darf. Iligenthümlich ist ihm besonders
die Ansicht, dass die Mysterienauffühning in Privathäusern nicht ein Spass
gewesen sei, sondern dass die vornehmen, zugleich philosophisch gebildeten
Leute, die dabei betheiligt waren, diese religiöse Handlung von dem grossen
Haufen, den sie verachteten, getrennt hätten begehen wollen. Gegen diese
Auffassung spricht aber offenbar Thuk. VI, 2S, wie ich bereits in der An-
zeige von Roschers Schrift in der Zeitschrift f. A. W. Ib4:} S. 800 ff. ge-
zeigt habe. Ganz zu verwerfen ist natürlich die Ansicht Chambeau's de
Alcibiade p. :iil , dass Nikias hinter der ganzen Sache gesteckt habe, lun
den Alkibiades verhasst zu machen. Ich bemerke hier übrigens, dass mir
Chambeau's Schrift leider nicht zur Hand ist und ich diese Notiz nur aus
Hermanns Lehrbuch entnommen habe. [Kurz berührt den Hermokopiden-
prozess und die Confiscation von Alkibiades Vermögen Meier d. bon. dam-
nat. p. 179 — 181 besonders in der Note 67.]
112 Alkibiades und Lysandros.
Sicilien unter Segel gehen sollte; erst nach vollendetem Feld-
zug sollte dann der Prozess beginnen. Damit war er verloren.
Denn kaum war er mit der Flotte entfernt, als alle Mittel ge-
gen ihn in Bewegung gesetzt wurden. Als eben von den drei
Feldherren ein Plan für den Krieg angenommen worden war,
den er allein durchziiführen im Stande war'^, wurde er gegen
das gegebene Versprechen vor Gericht gefordert. Dem Be-
fehle zu trotzen wagte er noch nicht, sondern folgte der sala-
minischen Triere, die ihn nach Athen bringen sollte, auf sei-
nem eigenen Schiffe. Aber in Thurioi entA\ich er. Die Athener
venirtheilten ilin zum Tode , confiscirten sein Vermögen, und
Priester sprachen den Fluch über ihn aus. —
So war er plötzlich vom höchsten Gipfel der Macht, in
das tiefste Unglück gestürzt, seine glänzendsten Hoffnungen
aufs schnödeste vereitelt. Wie weit seine Schuld oder Un-
schuld gegangen, das zu entscheiden wagt Thukydides nicht,
auch uns wird es nicht gelingen. Höchst wahrscheinlich war
er bei dem Mysterienfrevel betheiligt , aber dass damit Pläne
zum Umstürze der Demokratie verbunden gewesen, womit man
besonders das A'olk aufregte, war sicherlich unbegründet. Kön-
nen wir ihn also hier von einem Vergehen auch nicht ganz
freisprechen, so lastet doch unendlich grössere Schuld auf den
Gegnern, welche, nur um ihre eigene Macht besorgt und un-
bekümmert um das Wohl des Staates, den religiösen Sinn des
Volks und die ängstliche Scheu desselben vor Oligarchie und
Tyrannis missbrauchten , welche im wichtigsten Momente den
besten Feldhemi entfernten und so unzweifelhaft den Unter-
gang der athenischen Macht herbeiführten. Sie haben ihren
Feind, aber auch sich selber ins Verderben gestürzt.
Alkibiades aber, wie er vorher auf der schwindelnden
Höhe des Glücks keine ^lässigung gekannt, verlor jetzt vol-
lends alle Besonnenheit, allen sittlichen Halt. Im wohllie-
gründeten Gefühl erlittenen Unrechts, und tieferbittert von
Mäiuiem gestürzt zu sein, die er weit unter sich sah und ver-
achtete , kannte er für den Augenblick nur das eine Gefühl
der Rache. Rächen wollte er sich an denen, die ilm gestürzt,
') Thucyd. VI, 50. Röscher Thuk. S. 475. An und für sich war ge-
wiss der von Lamachos vorgeschlagene Plan der beste.
Alkibiades und Lysandros. 113
rächen an dem Volke das ihn einst vergöttert und dann plötz-
lich verdammt. Ol) er seine eigene Vaterstadt, die Wiege
seines Ruhms und seiner Macht, den herrlichen Schauplatz
aller seiner bisherigen Thätigkeit vernichtete, galt ihm für den
Augenblick gleich *) . Jenes eine Gefühl überwog alle Rück-
sichten. So warf er sich dem Staate in die Arme, dessen
Demüthigimg seit Jahren sein Ziel gewesen war, Sparta miisste
ihm dienen, um seine Hache an Athen zu sättigen und es ge-
lang ihm nur zu gut 2). Avif seinen Rath schickten die
Spartaner den Gylippos nach Sicilien, auf seinen Rath be-
festigten sie Uekeleia in Attika Jenes führte den Unter-
gang des ganzen attischen Heeres und der Flotte mit der
Blüthe der athenischen Jugend herbei, dies brachte Athen in
einen Blokadezustand , bei dem es nicht über die Mauern der
Stadt hinaus sicher war. Alkibiades riss die mächtigsten
Bundesstaaten von Athen los und nahm ihm damit seine reich-
sten Hülfsquellen , seinen Bemühungen endlich gelang es
einen Subsidienvertrag zwischen Tissaphenies, dem persischen
Satrapen, und Sparta zu Stande zu bringen, wodurch es letzte-
rem möglich wurde Flotten zu halten. — So hat er in dem
1) Ich glaube, dass man Unrecht thut, wenn man annimmt, Alkibiades
habe gleich von Anfang an mit besonnener Berechnung Athen nur soweit
schwächen wollen, als nöthig war, um seine Heimkehr zu erzwingen, dazu
wäre er viel zu weit gegangen. Die "Worte, die ihm Thuk. VI, 92 in den
Mund legt : v-ai cpiX6-o/.t; oGio; opDöJ;, oö/ o; av ttjv ta'izr/j äoiy.w; äitoXiSa;
(i.Tj STT'-V), äXX' 8; av i/. -nuTot TpoTro'j oia xö £t:ii)u[j.£Tv -etpai)?] aÜTT^v ävct^cißsTv
beweisen dafür nichts, enthalten vielmehr nur einen sophistischen Verthei-
digungsgrund gegen den Vorwurf, er sei ein Landesverräther. Die schöne
Theorie, dass nicht der der wahre Vaterlandsfreund sei, der aus dem Va-
terland vertrieben nichts dagegen thue , sondei-n der, welcher auf jede
Weise es wieder zu gewinnen suche, die bekanntlich auch in unserer Zeit
zahlreiche Anhänger hat, war übrigens damals ziemlich allgemein verbrei-
tet, wie unter andern das Beispiel des sonst so trefflichen Syrakusaners
Hermokrates zeigt. Diodor XIII, "5.
2) [Thucyd. VT, 88. xai o'i -e iv. r?]; Kop(v9o'j -psaßsi; -«pf^oav I; ttjv
AaxeSaifxova %a\ 'AX-iiißiaOT]; \i.e-a. töjv c'j|j.'i'JYa5«w TrepattodEi; tot z'j%'jc, im
ttXoiou cpopTTjYiv-oö iv. Tfii 6o'Jpta; ii K'J/J/rjvTjV t^; 'HXeia; TipwTOv, eTreira
ÜGTEpov i; t:^v Aa'iCEOaifAOva, a'jxtuv twv Aaxeoatixo'nojv [i.£Ta7T£[x'iiavT(o v 'jtcö-
o-o>^o? eX&tov. Damit ist nicht im Widerspruch , dass er zuerst von Elis
sich nachArgos begeben habe. Isoer. de big. § 9. Plut. Ale. 23. Polyaen.
1, 40, 6. Justin. V, 1, 2. Nep. Ale. 4 lässt ihn erst nach Elis, dann nach
Theben gehen.]
Vis eher, Schriften I. §
114 Alkibiades und Lysandros.
Zeitraum von nicht drei Jahren seine Vaterstadt von hoher
Macht an den Rand des ^'erderbens gebracht, sie die eben noch
als Königin der Meere unbestritten dastand und kaum wvisste,
wo sie ihren Eroberungsplänen Ziel setzen solle, sie stritt jetzt
der besten Bürger beraubt, fast ohne Bundesgenossen, fast
ohne Land und Schiffe ^^ , um ihre Existenz. Das verdankte
sie einem verblendeten Sohne, den sie selbst in arger Ver-
blendung von sich gestossen hatte.
Aber Athen verzweifelte nicht. Mit einem bewunderungs-
würdigen Heldenmuthe der mit frühem Freveln versöhnt, wi-
derstand es des Feindes überlegener Macht : noch einmal erhob
es sich zu glänzenden Hoffnungen und der gleiche Alkibiades
führte es von Sieg zu Sieg. Denn er, dem die Spartiaten
alles verdankten, hatte sich den König Agis zum persönlichen
Feinde gemacht 2 ; sein Einfluss bei den Ijundesgenossen und
dem Persersatrapen erregte den Neid und Argwohn , man
glaubte aus ihm den möglichen Nutzen gezogen zu haben und
ihn nun auf die Seite werfen zu können. Es war ihm auch
hiei begegnet was früher in Athen. Niemand traute ihm recht,
weil man wusste, dass er nur persönliche Absichten habe. Und
in der That scheint es , dass der freventlich unternommene
Schritt ihn zu gereuen begann. Er musste, sobald das erste
Gefühl der Rache vorüber war, fühlen, dass in Sparta er im-
mer blos ein geduldeter, argwöhnisch beobachteter Flüchtling
bleiben, dass er vor spartanischem Stolze sich demüthigen
müsse, und nie eine Avahrhaft ehrenvolle Stellung einnehmen
könne, dass Athen allein ihm Ruhm und Macht zu gewähren
vermöge und er also mit diesem auch die Bedingung eigener
zukünftiger Grösse zerstöre. Und fügen wii" hinzu, wohl hat
sich auch die Liebe zur Vaterstadt wieder in ihm geregt. —
1) Diese "Worte bitte ich nicht zu urgiren. Leere Schiffe hatten die
Athener in ihrem Seearsenal allerdings noch eine ziemliche Anzahl ; aber
es war eine bedeutende Zeit zur Ausrüstung und Bemannung erforderlich,
wie sich aus dem Anfang des achten Buches des Thukydides ergiebt , Dr.
Herbst in der schönen Abhandlung, die Rückkehr des Alkibiades. Ham-
burg 1S43. handelt sehr gut über die damalige Seemacht der Athener
S. 50—56.
2) Zunächst wegen seines Verhältnisses zu der Frau des Agis, Timaia.
Plut. Alcib. 23. Agesil. 3. de tranquill, animi, p. 467. f. Athenaeus XII.
p. 535 b. Thucyd. VIII, 45.
Alkibiades und Lysandros. 115
Der Argwohn der Spartaner stieg bis zu dem Grade, dass Be-
fehl kam ilin aus dem Wege zu räumen. Den Nachstelhmgen
zu entgelien, begab er sich zu dem Satrapen Tissaphcnies. AVie
er vermöge seiner ausserordentlichen Vielseitigkeit in Sparta
durch Strenge der Le1)ensweise und Tüchtigkeit in g\Tnnasti-
schen Uebungen ^es allen zuvor gethan hatte, so Maisste er hier
durch Annahme persischer Art und den unwiderstehlichen Reiz
seines persönlichen ÜHflganges, des tückischen Satrapen Gunst
bald in hohem Grade zu gewinnen und seine Politik eine Zeit-
lang fast unbedingt zu leiten. Er gab ihm den allerdings dem
persischen Interesse ganz angemessenen Rath , Sparta nicht
unbedingt zu unterstützen , sondern die beiden Hauptmächte
Griechenlands im Gleichgewicht zu halten, um so immer eine
gegen die andere benutzen zu können imd keine fürchten zu
müssen. Durch diesen llath wurde er aber im gegenwärtigen
Augenblicke auch der Ivetter Athens. Tissaphernes Hess eine
erwartete phönicische Flotte nicht zu den Peloponnesiern stossen
und zahlte den Sold nicht aus. Die lÜldung einer pelopon-
nesischen Seemacht wurde gehemmt , die Athener erhielten
Zeit in Samos bedeutende Streitkräfte zu concentriren und ihr
gesunkenes Ansehen Avieder zu heben. Zugleich trat Alkibia-
des mit ihnen in Verbindung.
Seit dem sicilischen Missgeschicke war nämlich in Athen
ein bedeutendes Hinneigen zu einer Modifizimng der Demo-
kratie sichtbar^ . besonders wünschte im Heere in Samos ein
•, Das zeigte sich bereits in der Niedersetzung der Behörde der Proba-
ien , welche der spätem Oligarchie vorgearbeitet haben. Vgl. Hermann
Lehrb. der gr. Staatsalterthümer §. lOG, 11. 12. Schömann antiquit. jur.
publ. Graecorum p. 181 , meine Schrift über die Hetairien S. 24. Neuer-
dings hat freilich Büttner a. a. O. S. 75 es in Abrede gestellt und geradezu
behauptet, die Einrichtung der Probulen sei bald wieder verschwunden
und das alte demokratische Wesen habe wieder die Oberhand gewonnen,
w^as er einzig darauf begründet , dass nach Thuk. VIII , 65 Androkles an
der Spitze des Volks stand. Auch Wattenbach de quadringentorum Athenis
factione spricht eine ähnliche Meinung aus. [Mit Wattenbach stimmt überein
sein Recensent E. Curtius in den Berl. Jahrb. 1S43 n. 95 S. 759.] Allein
K. F. Hermann hat bereits in der Ilecension von Büttners Schrift in den
Je^hrbüchern für wissenschaftl. Kritik 1842 S. 140, 141 schlagend nachge-
wiesen, wie unbegründet diese Ansicht ist, da die Stelle aus Aristot. ühetor.
III, 18, 6 allein für die Thätigkeit der Probulen bei Einführung der Vier-
8*
116 AXKIBIADES UND LySANDROS.
grosser Theil der Führer eine Oligarchie. Alkibiades, der sein
früheres Unglück zum grossen Theil der Demokratie zuschrieb
nnd durch eine ^'erfassungsverändening namentlich einen sei-
ner Hauptgegner, den Demagogen Androkles. zu entfernen
hoffte , sprach nun seine Bereitwilligkeit aus , wieder zurück-
zukehren und versprach den Tissaphenies auf die Seite von
Athen zu bringen, wenn eine Oligarchie eingeführt werde. Die
oligarchisch gesinnten Männer gingen gerne darauf ein, die
sehr triftigen Einwendungen des Feldherrn Phrynichos wurden
nicht beachtet, die Masse liess sich durch Hoffnung auf eine
glückliche Wendung des Kriegs bethören, und alle Einleitungen
zu einer UmAvälzung wurden getroffen. Als aber die Verspre-
chungen der persischen Hülfe durch des Tissaphemes verän-
derte Stimmung sich bald als nichtig zeigten, und ein Zer-
würfniss zwischen Alkibiades und den Oligarchen eintrat, da
hundert entscheidet. Nicht weniger bestimmt ist aber ohne Zweifel die
sowohl von Hermann als von mir a. a. O. angeführte Stelle Lys. adv. Erat.
§. 6.5, welche Büttner S. 76 Anm. etwas rasch abweist und unrichtig auf-
fasst, dieselbe lautet nach der Lesart der Hdsch. o; '0r,pau.£VT,;) zoöjtov |jl£v
TTJ; TTooTcpa; rj'/.i-fxoy'im aiTKutaTo; i'(Vie-o, -s'.aa; 'Ju.ä? tt^v i~\ twv -z-pav.o-
oicuv zoXiTiiav i\i'j%ai. 7.ai 6 ijl£v —otTTjp aCiToö tGjv "poßo'jXcuv üjv tocjt Irpar-
T£v, aÜTÖ? 0£ ooxöJv E'jvo'jOTaTO? £ivat TOI? -pd-iiJ.i'j'. 37paTT,YÖ; b-' a'jToü Tjp£&r,.
Büttner sagt nun, aus dieser undeutlichen und wahrscheinlich verdorbenen
Stelle könne man nichts Anderes ersehen, als dass Theramenes Vater zu
den Probulen gehört und seinen Sohn zum Feldherrn ernannt habe. Ueber-
dies führte Lysias selbst als Grund an , dass Theramenes von guter Ge-
sinnung gegen den Staat beseelt erschienen sei (ooy.tüv £'jvo'jaTa-&; ehai toi;
T.pd-jij.'y.zi]. Allein die Worte -cl'jz £-paTT£v sagen ganz deutlich, es habe
Hagnon die Einführung der Oligarchie betrieben, indem Tajta auf tt^v iizl
T(üv T£Tp(xxo3ituv 7:oXiT£iav £/,£3&ai geht und rpaTTSiv die bekannte Bedeutung
des ränkevollen Betreibens, Machinirens hat. Die Worte Ejvo'joTaTo? tou
-pdY.actat besagen aber nicht, er sei der Demokratie, sondern der Sache der
Oligarchie wohlwollend gewesen. Ein Verderbniss endlich, das jedoch auf
den ersten Theil des Satzes keinen Einfluss hat, scheint allerdings in der
vulgata zu sein , nämlich aÜToij , wofür Sauppe ohne Zweifel richtig (x'jtiuv
aufgenommen hat , womit jede Schwierigkeit schwindet. Also Lysias sagt
jedenfalls, Hagnon habe als Probule die Einführung der Oligarchie betrie-
ben. Eine andre Frage ist, ob Lysias, der sehr oft aus Parteileidenschaft
Unwahres berichtet, hier glaub^n-ürdig sei, und dies wird durch die Ueber-
einstimmung mit den andern Nachrichten sehr wahrscheinlich. Für die
Fortdauer der Probulen spricht übrigens auch deutlich genug die Lysistrata
des Ai'istophanes.
Alkibiades und Lysandros. 117
gaben diese, die bereits zu weit gegangen waren, nm sicher
zurücktreten zu können, ihre Pläne doch nicht auf, sondern
machten eine Revohition, ohne dadurch für Athen irgend einen
äusseren Yortheil zu gewinnen. Aber das Heer in Samos er-
klärte sich für die Demokratie , constituirte sich selbst als
souveränes ^^olk, rief den Alkibiades zurück und ernannte ihn
zum Feldherrn. Die Rolle, die hier xllkibiades gespielt, er-
scheint auf den ersten Anblick sehr zweideutig, erklärt sich aber
leicht i) . Ihm war es vor Allem um die Rückkehr zu thun,
dann aber darum Athen wieder so mächtig zii machen, als
möglich. Beides mochte ihm, der eigentlich weder Demokrat
noch Oligarch war, unter den damaligen Verhältnissen zuerst
bei einer Beschränkung der Demokratie leichter erreichbar
scheinen. Als nun aber gerade in der Oligarchie seine Feinde
zu grossem Ansehen kamen und statt dass grössere Ruhe ein-
trat, Zwietracht inid Bürgerkrieg den Staat zu zerreissen droh-
ten , da folgte er gern dem Rufe des demokratischen Heeres
in Samos. Diesen Wechsel dürfen wir ihm um so eher ver-
zeihen, als er seine neue Stellung sofort aufs löblichste be-
nutzte. Er hielt das Heer ab, wie es im ersten Ingrimme be-
absichtigte, gegen Athen zu ziehen , und rettete dadurch den
Staat von unvermeidlichem Untergang; er forderte auch von
den Oligarchen keineswegs vollständige Herstellung der un-
umschränkten Demokratie , sondern nur AbschafFimg des ver-
hassten neuen Rathes, und mahnte dringend beide Theile dem
1) In dieser ganzen Sache haben sehr verschiedene Motive , meist per-
sönlicher Art, zusammengewirkt ; namentlich wollte Alkibiades, als er den
Tissaphernes nicht auf die Seite der Athener bringen konnte , doch den
Schein seines Einflusses bei dem Satrapen retten und stellte daher den Ab-
geordneten der Oligarchen so drückende Bedingungen , dass die Unter-
handlungen scheitern mussten. Thucyd. VIII, 56. Allein andrerseits hat-
ten auch die Oligarchen den Alkibiades nie aufrichtig gewünscht, sondern
nur als Werkzeug gebrauchen wollen, wie das Thucyd. VIII, 63 deutlich aus-
spricht ■ml fap o'jx drtT-fjO£iov aütov eivat I? «^iXt^apytav IXi}£rv vgl. c. 47. 48.
Hingegen scheint Alkibiades jetzt wirklich eine massige Beschränkung der
Demokratie für heilsam angesehen zu haben. Ueber die sämmtlichen Er-
eignisse vom Herbst 412 bis zur Rückkehr des Alkibiades nach Athen
selbst ist jetzt die Schrift von Herbst, die Rückkehr des Alkibiades. Ham-
burg 1843. zu vergleichen. Ueber die Thätigkeit der Hetairien bei diesen
Vorgängen Büttner a. a. O. S. 72 ff.
118 Alkibiades und Lysandkos.
ävisseren Feinde sich unverzagt entgegenzTistellen, sei man ein-
mal gegen den gesichert, so werde sich wohl die Eintracht im
Innern wieder geben ^) . Mit einem Worte , er bewies jetzt
solche Besonnenheit und so kluge Fürsorge für das Wohl des
Staates , dass man darüber fast vergisst , wie er zumeist das
Unglück herbeigeführt hatte , aus dem er ihn jetzt zu retten
bestrebt ist. Ueberhaupt beginnt jetzt der schönste Theil sei-
ner LaTifl)ahn, so schön, dass, wenn er nichts anderes gethan
hätte, wir ihn zu den trefflichsten Bürgern rechnen müssten.
Die Schule des Unglück hatte ihn geläutert.
In Athen hatte, wie er es Avünschte. die Oligarchie nach
kaum viermonatlicher Dauer einer gemässigten Demokratie
Platz gemacht. Eine der ersten Handlungen dieser war die
Zurückberufung des Alkibiades , der nun , an der Spitze der
athenischen Streitkräfte, Talente entwickelt, die ihm einen
Platz unter den Feldherren ersten Ranges anweisen. Die Liebe
und das Zutrauen seiner Leute gewinnt er im vollsten Masse,
ebensowohl durch eifrige Sorgfalt für ihr Wohl und durch
reichliche Beute, als durch seine Siege; sie halten sich bald
unter seiner Führung für unüberwindlich - . Mit grosser Um-
sicht und Klugheit verbindet er eine Kühnheit und Schnellig-
keit in seinen Unternelimungen , wie sie sonst im peloponne-
sischen Kriege nicht vorkommt, nöthigenfalls auch eine an
Tollkühnkeit gränzende persönliche Tapferkeit ^l . Seine Kriegs-
führung ist, dem athenischen Volkscharakter ganz angemessen,
durchweg offensiv, in einer Stellung nach der andern greift er
den Feind an und lässt ihm keine Zeit, die geschlagenen,
zerstreuten Streitkräfte zu sammeln. Kluge Unterhandlungen
kommen seiner strategischen Thätigkeit zii Hülfe. Keinen
seiner Erfolge hat er dem Zufall verdankt.
Als nämlich Tissaphernes den Peloponnesiem gegenüber
immer zaudernder und unzuverlässiger Avurde, wandte sich (im
Sommer 111 j der spartanische Admiral (Xauarchos Mindaros
nach dem Hellespont, um mit Hülfe des zuverlässigem Satra-
pen Pharnabazos die dortigen mächtigen und reichen Bundes-
1) [In dieser Zeit stellten ihm die Samier eine eherne Bildsäule im He-
raion auf. Pausan, ^^, 3, 15.]
3) Xenoph. Hell. I, 2, 15—17. Plut. Alcib. 29.
■') Dies besonders bei der Eroberung von Selybi-ia. Plut. Alcib. 30.
Alkibiades und Lysandros. 119
Städte Athens diesem gänzlich zu entreissen, und seine Ver-
bindung mit dem Pontos zu Tinterbrechen. Die Athener folg-
ten ihm. und gewannen zuerst durch das glückliche Gefecht
bei Kynossema ihr altes Vertrauen auf die Ueberlegenheit zvir
See wieder. Entschieden aber wurde ihr Ueberge^A icht, nach-
dem bald darauf Alkibiades selbst, der bei jener Schlacht nicht
zugegen gewesen war. in den Hellespont einlief. Seiner An-
kunft verdankte man zuerst den Sieg bei Abydos. Bald aber
führte er grösseres aus. Von trefflichen Unterbefehlshabeni*),
namentlich Thrasyllos . Thrasybulos iind Theramenes . unter-
stützt, griff er nach einem wohlangelegten Plane die vereinig-
ten Streitkräfte der Peloponnesier und des Pharnabazos bei
Kyzikos an , eroberte oder vernichtete die ganze feindliche
Flotte . schlug das Landheer und nahm die mächtige Stadt
Kyzikos. Es war das der schönste Sieg, den die Athener im
ganzen Kriege davon getragen hatten. Die Spartaner, welche
sich die Früchte ihrer bisherigen Anstrengungen entrissen sahen
und sich überzeugten , dass Athen noch nicht erschöpft sei,
boten ehrenvollen Frieden, dessen Annahme zu Athens Unheil
der Demagoge Kleophon hintertrieb 2) . Der Krieg wurde fort-
gesetzt. Alkibiades gewann eine abgefallene Stadt nach der
') Wenn ich Unterfeldherrn sage, so bezeichne ich damit das factische
Verhältniss, man vergleiche nur den dem Alkibiades nicht günstigen Xeno-
phon Hell. I, 1, 4;j fF. Alkibiades war vom Heere in Samos zum Feld-
herrn ernannt worden mit den frühern \xtxa rojv TTpoisptuv, aber doch gleich
so , dass man ihm die Leitung des Kriegs übertrug v.oii ta -pdYH^cxTa Travxa
ävettÖEGav. Thucyd. VHI, 82. Dass diese Ernennung nach dem Sturze der
Vierhundert in Athen selbst bestätigt worden sei , sagt zwar Thukydides
nirgends ausdrücklich ; doch liegt wenigstens eine faktische Bestätigung der
vom Heere vorgenommenen Wahl in den Schlussworten des Kap. 97. i'bi)-
cpluftvTo o£ 7.ai AXy.tßiao-^^ -/.al atXoMc, [kzt auToü xaTtIvat xat Trapa t£ exeivov
■/at rapd xö hi Sapiii) aTpaxörreoov r£(i.iWvx£c otsxeXeucivxo dvSdTTxeodat xwv TrpaY-
[xdxwv, womit übereinstimmt, Diod. XIII, 42. eoo^c xöj o-r][j.qj xöv dvopa xcwv
eY"/-)-Tj|j.7.x(uv ä-oXiJoat xai [AsxaSoiivai xtj; oxpaxYjY^'^C Lys. pro bon. Aristoph.
52. Corn. Nep. Alcib. 5. Die erste förmliche in Athen vorgenommene
Wahl des Alkibiades zum Feldherrn scheint die von Xenophon. Hell. I, 4,
lü erwähnte zu sein, worauf der Beisatz 'AXxißidorjv p.£v cfeuYovxa hindeutet.
2) Diodor. XIII, 52. 53. Die von Sparta gebotenen Bedingungen
machten freilich eine Herstellung der athenischen Herrschaft unmöglich, da
es wollte, dass alle Städte der Macht bleiben sollten in deren Besitze sie
damals waren. Darum darf man den Widerstand, den Kleophon dem
120 Alkibiades und Lysakdros.
andern wieder und wusste, theils durch Einrichtung einer Zoll-
stätte bei Chrysopolis \i , theils durch Contributionen uiid
Streifzüge im Lande des Phamabazos, sich die Mittel zur Er-
haltung seiner Streitkräfte zu verschaffen. Dann schlug er den
Pharnabazos und die Peloponnesier bei Abydos, machte durch
Vertrag C'halkedon wieder tributpflichtig, eroberte Selybria und
das feste Byzanz. Milde gegen die Bezwungenen und gewis-
senhafte Beobachtung der Verträge gewannen die Herzen der
Bundesgenossen. Am Ende des Jahres 409 2| war der ganze
Hellespont, die Propontis und der Bosporos mit Ausnahme der
Stadt Abydos in den Händen der Athener, ihre Herrschaft in
jenen Gegenden hergestellt und die Seestrasse in den Pontos
ihrem Handel geöflnet.
In Alkibiades aber regte sich die Sehnsucht nach der Vater-
stadt, die er seit sieben Jahren nicht mehr gesehen hatte. Nach-
dem er alle Vorkehrungen getroffen hatte die Eroberungen zu
behaiipten . und andere abgefallene Bundesgenossen zum Ge-
horsam zurückzuführen, wandte er sich im Frühling 408 end-
lich der Heimath zu, wo seine Siege ihm einen günstigen Em-
pfang sichern mussten. Sein Einlaufen in den Peiraieus im
Monat Juni (25 Thargelion) war ein wahrer Triiimph^ , seine
Frieden entgegenstellte , ihm nicht zu schwer anrechnen , wenn auch die
Verwerfung im HinbHck auf die spätem Ereignisse als ein Unglück erscheint.
') [Ueber die Zollstätte in Chrysopolis vgl. ausser Xenophon Hellen.
I, 1, 22. noch Polyb. IV, 44, 4.]
2) Raum und Zeit gestatten mir nicht in eine chronologische Unter-
suchung hier einzutreten. Ich halte aber die Annahme von Krüger zu
Clinton , auf die auch ich durch eigene Forschung gekommen bin , trotz
manchen entgegenstehenden Nachrichten für richtig. Die Einnahme von
Byzanz wird also in das Ende des Jahres 409 , des Alkibiades Rückkehr
nach Athen in den Juni 408 , die Absetzung des Alkibiades in das Jahr
407, wahrscheinlich im Laufe des Sommers, fallen. Auch die neuesten
Untersuchungen von Herbst a. a. O. 50 — 61 haben mich nicht eines andern
überzeugen können: da er die Einnahme von Byzanz auch 409, die R.ück-
kehr des Alkibiades 407 setzt , so möchte ich hier bloss fragen, was denn
dann Alkibiades während eines ganzen Jahres gethan hätte? Hier wäre
wohl der Vorwurf der Unthätigkeit begründet gewesen. In den AVorten
Xenophons I, -5, 1. -pÖTepov to'jtoov ou ttoXXw ypovu) bezieht sich to'jtcmv nach
meiner Meinung nur auf das in den §§. 21—23 Erzählte, nicht wie Herbst
erklärt, auf Alles vom §. S an.
3) Ueber die Rückkehr des Alkibiades sind die Angaben des Xenoph.
Alkibiades und Lysandros.
121
Trieren prangten mit. Trophäen aller Art , waren belastet mit
grossen Geldsummen, mit mannigfaltiger Beute und vielen Ge-
Hell. I, 4, 8 ff. Dioclor. XIII, 68. G9. Plut. Alcib. 32. 33. 34. Athenaeus
XII, p. 535 c ff. im Einzelnen etwas abweichend, in der Hauptsache stimmen
sie überein. Die 200 eroberten oder zerstörten feindlichen Schiffe sind na-
türlich als runde Zahl zu fassen. Herbst rechnet a. a. 0. S. 56 nach, dass
die Zahl der eroberten Schiffe mit Abzug der wiederverlorenen 14 betrug.
Zu diesen sind aber noch die zerstörten zu rechnen, Avie z. IV die sämmt-
lichen 20 syrakusischen, welche die Mannschaft nach der Schlacht bei Ky-
zikos in Brand steckte, von denen aber die Athener gewiss auch Ueberreste
als Siegeszeichen mitnahmen. Ueberdiess möchte ich bezweifeln, dass jedes
genommene oder zerstörte feindliche Schiff uns bekannt sei. [Grote V, p. 478
behauptet , Alkibiades sei Mai 407 nach Athen gekommen , die Eroberung
von Selybria, Byzanz und Chalkedon setzt er 408, Dec. 408 oder Jan. 407
kommt Lysander nach Asien, Kyros bald nachher in die ionische Provinz,
cf. Fritzsche zu Aristoi)h. Frösche 1431. Wagner, de Aristoph. Ran. spec.
I, p. 9. Welcker kl. Sehr. I, p. 360. Ueber die ganze Zeitrechnung hat
Aemilius H. O. Müller: de Xenophontis Historiae graecae parte priore 1856
gehandelt. Hauptresultat ist, daas das erste Capitel nicht, wie Haake
meinte, blos ein halbes Jahr, sondern die zweite Hälfe des 21. Kriegsjahres
und das ganze 22. enthalte.
Danach ergeben sich folgende Resultate :
Krieg sj ah re
XXI
411 Octob.
Nov.
XXII
Anfang etwa
17. März 410
Mai?
Aug. ?
Febr. 409?
XXIII
c. 5. Apr. 409
c. 20. Juni
Herbst
Winter 409/8
XXIV
c. 25. März 408
Herbst
Agesandridas Flotte schiffbrüchig.
Schlacht bei Abydos. Thrasyllos in
Athen.
Tissaphernes am Hellespont nimmt
Alkibiades gefangen (?)
Schlacht bei Kyzikos.
(Euripos überbrückt.)
Pasippidas abgesetzt. Agis vor Athen
von Thrasyllos geschlagen.
Thrasyllos geht nach lonien und wird
bei Ephesos geschlagen.
Thrasyllos am Hellespont.
Sieg der Athener über Pharnabazos.
Pylos V. d. Lakedämoniern genommen.
Sieg der Athener bei Chalkedon.
Belagerung von Byzanz.
Jahr des Theopom-
pos. (Ol. 92, 2)
Anfang um 24.
Juni 411.
Glaukippos Ol. 92,
3 etwa 13. Juli 4 10.
Diokles. Ol. 92, 4.
etwa 2. Juli 409.
Euktemon.Ol. 93,1.
etwa 21. Juni 408.
122
Ax,KIBIADES UND LySANDROS.
fangenen. Ihr schönster Schnnick aber waren die Insignien
von nah an zweihundert eroberten oder zerstörten feindlichen
Schiffen. Zahllose Aolksmassen bedeckten das Ufer, wie einst,
da er als Feldherr die Stadt verliess um Sicilien zu erobern.
Jedermann wollte den Retter sehen. Noch aber Avar das Ver-
trauen auf seine Mitbürger bei Alkibiades nicht ganz zurück-
gekehrt. Vom Verdecke aus spähte er so lange nach dem
Ufer, bis er seinen Vetter Euryptolemos und seine übrigen
Bekannten erblickte. Jetzt erst betrat er das Land und zog
unter dem Jubel der Men^e. von Kränzen bedeckt, zur Stadt
Kriegs] ahre
XXV
etwa 13. März
407?
Mai
c. 27. Sept.
Octob.
4U6 Febr.
etwa 4. März
XXVI
c. 2. Apr. 406
c. 20. Juli
c. 15. Sept.
c. 25. Sept.
c. 13. Oct. (?)
XXVII
c. 22. März
405 Aug.?
Oct.
404 Jan.
c. 15. Apr.
c. 22. Apr.
Sommer
October
Alkibiades erobert Byzanz.
Alkibiades , Thrasybulos , Konon an
den Archhäresien gewählt. Pharna-
bazos trifft mit den athenischen Ge-
sandten in Phrygien den Kyros. —
Lysandros Nauarch.
Alkibiades Rückkehr nach Athen.
Mysterienfeier durch Alkibiades.
Alkibiades in Andros, dann in Samos.
x\ntiocbos vor Ephesos geschlagen.
Thrasyllos, Erasinides u. s. w. an den
Archhäresien gewählt. — Alkibiades
verlässt das Heer.
Kallikratidas Nauarch.
Kallikratidas erobert Methymna. Sieg
über Konon.
Arginusenschlacht.
Die Feldherrn abgesetzt. Philokles,
Adeimantos, Collegen des Konon.
An den Apaturien die Feldherrn ver-
urtheilt (??).
Lysandi'os im Frühling wieder Admiral.
Schlacht bei Aigospotamoi. —
Athen belagert.
Theramenes an Lysandros geschickt.
Die athenischen Gesandten erhalten
Frieden.
Uebergabe Athens.
Die 30 eingesetzt.
Lysandros kehrt nach der Eroberung
von Samos nach Sparta zurück.]
Antigenes Ol. 93, 2.
10. Juli 407.
KalUas Ol. 93, 3,
c. 29. Juni 406.
Alexias
c. 18.
Ol. 93, 4.
Juni 405.
Alkibl\des und Lysaxdros. 123
hinauf. In einer VolksversammlunäJ^ rechtfertigte er sich gegen
alle früheren Beschuldigungen, beklagte sein Missgeschick und
schob in versöhnlicher Weise die Schuld mehr auf einen nei-
dischen Dämon . als auf das Volk. Dann zeigte er, dass bei
besonnenem Betragen Hoffnung zu siegreicher Beendigung des
Krieges da sei, und mahnte zu Zuversicht und Ausdauer.
Ungeheuer war die Wirkung der Worte des siegreichen Feld-
herrn . um so grösser , als das "S'olk fühlte ihm Unrecht ge-
than zu haben und nur durch ihn allein gerettet zu sein. Was
er gefehlt, war in diesem Augenblick vergessen. Mit goldenen
Kränzen wurde er geschmückt und zum unumschränkten Feld-
herrn zu Wasser und Land ernannt. Es wmde beschlossen
ihm sein confiscirtes Vermögen wieder zurückzugeben \) und
die Priester aufgefordert die über ihn ausgesprochenen Flüche
zurückzunehmen. Kurz Alkibiades stand auf dem Gipfel der
Macht, die Gunst, die er beim Volke genoss, schien fester
als je, sein Wille war dem eines unumschränkten Herrschers
gleich und Manche meinten er werde die Tyrannis ergreifen..
Er aber that keinen ungesetzlichen Schritt. Mit Eifer rüstete
er eine zahlreiche Kriegsmacht aus und blieb mit Absicht bis
in den September in Athen, um seinen Landsleuten ein lang
entbehrtes Fest zu bereiten. Seit der Befestigung von Dekeleia
war die Feier der eleusinischen Mysterien nur mangelhaft mög-
lich gewesen. Die Anwesenheit eines peloponnesischen Heeres
hatte die grosse Procession, die sonst auf der heiligen Strasse
zu Lande von Athen nach Eleusis zog, unmöglich gemacht,
und mau pflegte zu Schiffe sich dorthin zu begeben. Jetzt
stellte Alkibiades die nöthigen Posten aus, und begleitete mit
glänzend ausgerüstetem Heere die Procession nach Eleusis und
zurück. König Agis Avagte nicht sie zu beunruhigen. Die
kriegerische Begleitung in feierlicher Stille erhöhte den Glanz ;
die Göttinnen, an welchen einst Alkibiades sich versündigt
haben sollte, schienen versöhnt, das athenische Heer unter
1) [Ueber die Art der Restitution Meier de bonis damnatorum p. 231.
Sic Alcibiadi reverso magnisque plausihiis a popitlo de rebus gestis ipsi f/ra-
tulante excej)io bona restituta esse plerique (Plut. Alcib. 33. Diod. XIII, 69)
tradunt, ipse aiifem Alcibiadis ßlius cui et ipsi Alcibiadis nomen erat, agrwn
quendatn a populi patri pro jmblicatis bonis datum dicit esse. (Isoer. de big.
124 Alkibiades und Lysa^'dros.
seiner Führung auch zu Lande, gegenüber einem spartanischen
Könige, unangreifliar. Die Eückkehr von Eleusis mag wohl
der schönste Moment im Lehen des Alkibiades gewesen sein.
Unter solchen Eindrücken verliess er im Herbst ^j , viel-
leicht später als gut. mit einer Flotte von 100 Schiffen die
Stadt. Er sollte sie nie mehr sehen. Sein Glück, und mit
ihm das von Athen, sank in raschem Wechsel dahin. Auf
ängstliche Gemüther hatte es bereits einen üblen Eindruck
gemacht, dass sein Einlaufen in den Peiraieus an dem Tage
des Plynterienfestes stattgefunden hatte . einem Tage . wo das
Bild der Stadtgöttin Athene verhüllt war, und niemand ein
wichtiges Geschäft vorzunehmen pflegte; es hatte sie beun-
ruhigt, dass der Hierophant Theodoros sich weigerte den aus-
gesprochenen Fluch zurückzunehmen. Gefährlicher als diess
waren ihm bald die erneuten Umtriebe seiner politischen Gegner,
meist Oligarchen. welche durch seinen Ruhm und seine Macht
sich verdunkelt und zur ]3edeutungslosigkeit veiairtheilt sahen.
Sein gefährlichster Feind AVTirde aber sein grosser Ruhm. 2)
Ihm , meinte das leichtbewegliche athenische Volk , sei Alles
möglich, und wo der Erfolg nicht den ungemessensten Hoff-
nungen entsprach, suchte man die Schuld bei ihm. Als er
daher zuerst die Bewohner von Andros . welche abgefallen
waren, ausserhalb der Mauern schlug, aber die Stadt nicht
gleich eroberte . stimmte die Nachricht davon in Athen sein
Ansehen bereits herab und wiirde von den Gegnern geschäftig
zu seinem Nachtheil ausgebeutet. Noch weniger entsprach
der Erfolg in Asien den Erwartungeii. Nachdem nämlich der
Hellespont und die Propontis den Gegnern entrissen waren,
wurde lonien wieder der Hauptschauplatz des Kriegs. Samos
war hier der Operationspunkt der Athener. In Ephesos war
das Hauptquartier der peloponnesisch- persischen Macht, die
') Schon Clinton fast. hell, zum Jahr 4ü7 hat gezeigt, dass die Worte
bei Xenoph. I, 4, 21 [it-a töv y.a-d-ko'rj toiti;) [j-TjvI rX-nf/yS-r^ im ^A'iderspruche
mit Xenophons Erzählung gelbst sind, der ihn am 2.5. Thargelion einlaufen
und bei der lakchosprocession also am 20. und 21. Boedromion noch in
Athen verweilen und erst dann sich für die Abfahrt rüsten lässt. Es ist
statt -rpiTuj ohne Zweifel -reTapTw zu lesen.
2) Darauf weisen bereits Cornel. Nep. vit. Ale. 7. Plut. Alcib. 3.5 ohne
Zweifel aus der nämlichen Quelle, wahrscheinlich Ephoros, schöpfend hin.
Alkibiades und Lysaxdros. 125
sich von den früheren ^'erlusten durch zwei neu auf den
Schauplatz tretende Männer, Kyros und Lysandros, zu erholen
begann. Gegenüber den neunzig wohlgerüsteten und wohl-
besoldeten Schiffen tlieses letztem musste Vorsicht beobachtet
werden, und es kann nicht befremden, dass der Winter ohne
grossere Thaten unter Zurüstungen für den Frühling verlief.
Als nun aber, (wie es scheint im Sommer 407; 'j, in Alkibiades
Abwesenheit imd gegen seinen bestimmten liefehl sein Steuer-
mann Antiochos sich in ein Gefecht mit Lysandros einliess
und eine Schlappe erlitt, war der Sturz des erstem entschie-
den. Der Verlust an und für sich Avar ganz unbedeutend, die
Athener blieben zur See fortwährend überlegen ; denn vim-
sonst bot Alkibiades dem Lysandros vor Ephesos eine Schlacht
an; dieser hütete sich wohl sich durch falsches Ehrgefühl hin-
reissen zu lassen, er hielt sich still im sichern Hafen. Die
Athener aber gaben den Auflietzungen der Feinde des Alkibiades
nur zu leicht Gehör, sie setzten ihn ab und wählten an seine
Stelle neue Feldherm. ^
Hatte in dem Hermokopidenprocess das Verfahren der
Athener sich wenigstens einigermassen entschuldigen lassen,
so war es diesmal so verkehrt als ungerecht und ohne alle
Entschuldigung. Der Unfall war, wie gesagt, ganz unbedeu-
tend und Alkibiades trug keine Schuld daran. ^) Das Schwerste
1', Kallikratidas folgt dem Lysandros im Flotlenbefehl im Herbst;
einige Zeit vor ihm scheinen die zehn Feldherrn ihr Amt angetreten zu
haben. Demnach wird die Schlacht bei Notion wohl in den Anfang des
Sommers 407 zu setzen sein, da zwischen derselben und der Ankunft der
zehn Feldherrn noch einige Zeit verging, was sich besonders aus Plut.
Ale. 36 ergiebt.
-j [Auf diese Absetzung und nicht auf die Abberufung aus Sicilien
beziehen sich die Worte des Thukyd. VI, 15: cjo^t^^sv-;; y*P ci'jtoü oi
TzoKKrA t6 [i-ife^oz "^i X£ xa~a t6 sa'jxoü oü)(j.a ~apavo[Jiia; i^ ttjv öicttxav, -/at
TTJ; oioivotac oJv ^aft' £V e-iCasTov , ev otw f^Y^'oi'O > s-rpauoev , (b; T'jpavviöoc
dn&'jpiciüVTi 7:oXe[Aioi xa&£3Taaav, 7.ai or^ii-oaia xpaTtaxa oict&svTt xd xoü TtoXspiou,
ioia i-Aac-rji zolc, £-txTjoeu[xaaiv aüxoü äyftsa&evxe;, xai a/.Xoi; s-ixpä'iiavxe; , ou
oid (jL7.7.poö l'ücprjXav x-r^v -oXtv. Aem. H. O. Müller: de Xenoph. Histor.
graecae parte priore S. 39 sucht zu zeigen, dass Alkibiades nicht abgesetzt
worden sei , sondern dass nur bei den regelmässigen Archhaeresien andre
Feldherrn gewählt worden seien, seine Feldherrnschaft also noch bis Ende
des Amtsjahres lief.]
3) Die bei verschiedenen alten Schriftstellern erwähnten Vorwürfe, die
126 Alkibiades und Lysandros.
was man iliin vorwerfen konnte, war, einem eiteln, unbedeu-
tenden Mann, wie Antiochos, den Oberbefehl während seiner
Abwesenheit anvertraut zu haben, bei seinen bestimmt und
klar ausgesprochenen Instruktionen musste er das aber für ge-
fahrlos halten. Jedenfalls war er fähig den erlittenen Nach-
theil bald wieder gut zumachen und allein dem furchtbaren
Gegner Lysandros gewachsen.
K.uhig verliess Alkibiades die Flotte und zog sich nach
seinem Schlosse auf dem thrakischen Chersonese zurück. Ohne
Eachegefühl gegen seine bethörten Mitbürger lebte er hier
fern von dem politischen Treiben der Heimath; einem unab-
hängigen kleinen Fürsten gleich führte er mit den wilden
Stämmen der benachbarten Thraker Kriege und wurde den
man dem Alkibiades machte , sind alle höchst unbedeutend und konnten
ihm ebenso gut früher gemacht werden, wo man ihn vergötterte. Sein
Umgang mit Hetaeren und dergl. konnte nach den Begriffen jener Zeit
keinen hinlänglichen Grund zu Klagen geben, sobald er sich dadurch von
der Erfüllung seiner Feldherrnpflicht nicht abhalten Hess , was durchaus
unerwiesen ist. Die Klage hinsichtlich Kyme, welche Diodor XIII, 73
erwähnt und Corn. ISTep. Ale. 7 ziemlich abweichend erzählt , wäre aller-
dings, wenn ganz constatirt, bedeutender. Allein ähnliche Erpressungen
auch bei befreundeten Städten kamen doch im Drange des Kriegs oft vor,
und wäre die Sache in der That so bedeutend gewesen , so würde gewiss
bei Xeuophon und gar bei dem ihm so sehr übel wollenden Lysias der-
selben Erwähnung gethan sein. [Grote hist. of Gr. V, pg. 4S7 Anm. 1
hält die ganze Geschichte des Diodor hinsichtlich Kyme für glaubwürdig,
indem er sie auf Ephoros zurückführt. Diesen halte ich auch für die
Quelle, aber gerade deshalb die Sache für übertrieben, da der Kymaeer
natürlich alle Schuld auf Alkibiades schob.] Auffallend ist aber, dass er
damals beim Heere nicht mehr Anhänglichkeit gefunden hat. Vgl. Xen.
Hell. I, 5, 17. 'A/.y-i,jLaoTj; (j.£v oüv -o^TjOtu; y-ott bi Tr^ Q-po.-ii. cp£pp!j|j.£vo?
ä-£-/.£'j3£v. Es scheint, dass theils der höhere Sold, den Lysandros durch
die Unterstützung des Kjtos zu zahlen vermochte, theils die Umtriebe
seiner Gegner ihm beim Heere geschadet hatten. Wie die Verständigen
und vaterländisch Gesinnten in Athen urtheilten, zeigen die Frösche des
Aristophanes. Sonderbar ist übrigens, wie Hand in der Hall. Encyclopädie
sagt : »er musste sich der Feldhermwürde entsetzt halten.« Er war es in
der That. Xen. Hell. I, 5, Iti. Diod. XIH, 74. Plutarch Alcib. 36.
Plut. Lys. 5: tov A?.v.t|3iaoY)v 6 [xev dv aorei o'?ifJi.o; öpYt^&Ei? är£y_£tpoT6-;7)a£V.
Corn. Nep. 7. Die vollkommen unwahren Verläumdungen des Lysias in der
Rede gegen Alkibiades hinsichtlich seines Benehmens bei Aigospotaraos
habe ich natürlich gar nicht berücksichtigt.
Alkibiades und Lysandros. 127
umwohnenden Griechen ein Schutz und Hort. Und als nach
zAvei Jahren der Krieg sich wieder in den Hellespont zog, und
die athenische Flotte unter theils verrätherischen , theils un-
fähigen Befehlshabern in der Nähe seiner Besitzungen am
ZiegenÜuss eine schlechte Stellung genommen hatte , da trieb
ihn die Liebe zur Vaterstadt sie zu warnen. Er ritt in das
Lager hinatis , zeigte den Feldherrn das Nachtheilige ihrer
Stellung und bat sie bei der Stadt Sestos vor Anker zu gehen.
Er beabsichtigte mit Hülfe seiner Leute den Athenern den
Sieg zu verschaffen. Aber schnöde schickten ihn die Feldherrn
weg; sie hätten zu befehlen, nicht er. Es war ihm nicht ver-
gönnt noch einmal das \'aterland zu retten. Traurig entfernte
er sich. Nach Avenigen Tagen war die Flotte vernichtet und
Athen musste sich den Feinden ergeben.
Jetzt war auch Alkibiades im (Jhersones nicht mehr sicher;
er ging hinüber nach Bithynien, und wollte zum Könige Arta-
xerxes reisen um dort Hülfe gegen Sparta zu suchen. Aber
vorher ereilte ihn die iiache seiner unversöhnlichen Feinde,
der athenischen Oligarchen, die in den Dreissigen zur Herr-
schaft gelangt waren. So lange er lebte, schien in Athen die
Oligarchie nicht gesichert, wie ein Gespenst ängstigte er sie,
sie verfolgten ihn, wie später die Körner den Ilannibal. So
lagen sie, vor allen Kritias, dem Lysandros an, ilin aus dem
Wege zu schaffen. Erst als von Sparta Befehl dazu kam, gab
dieser nach. Der persische Satrap Pharnabazos erniedrigte sich
zum Schergen Spartas. Sein Bruder und Oheim überfielen in
einem phrygischen Dorfe bei Nacht das Haus, in welchem der
Flüchtling weilte, zündeten es an und als er, aus dem Schlafe
aufgeschreckt, hinausstürzte, wurde er aus der Ferne mit
Pfeilen und Wiirfspiessen erschossen. Seine Gefährtin Ti-
mandra, nach andern Theodote , that ihm die letzte Ehre der
Bestattung an. 'j So endete einsam und verlassen der Mann,
dessen Jugend glänzender als die irgend eines Hellenen ge-
wesen war, der viele Jahre lang Griechenlands Geschicke ge-
leitet und erschüttert hatte. Grosse Fehler hat er begangen,
1) lieber seinen Tod weichen die Nachrichten in Einzehiheiten von
einander ab, vergl. Plutarch Ale. .'iS. 39. Xep. Ale. 9. 10. Diodor XIV,
11. Athenaeus XIII, p. 574, d. e. f. Justin. V, 8, 12. 13.
128 Alkibiades und Lysandros.
wer möchte das läiigneii; er hat sich schwer versündigt an
seiner Vaterstadt , aber dennoch möchten wir ihn nicht , wie
so oft geschieht, unbedingt verdammen. Eine wTinderbare
Mischung von Gutem und Schlechtem tritt uns in ihm ent-
gegen und zieht wie einst den Sokrates, so noch jetzt den,
der ihn betrachtet, unwiderstehlich an. Er gehört zu jenen
hie und da in der Geschichte auftretenden dämonischen We-
sen, welche die herrlichsten Eigenschaften mit einer unbezwing-
baren HeiTSchsucht verbinden, denen nur die nöthige Be-
sonnenheit fehlt, um das Grösste und Schönste zu vollbringen.
Nicht kleine Schuld an seinen Verirrungen tragen die ^ er-
hältnisse und trägt Athen. Nachdem es den Löwen gross ge-
zogen, durfte es nicht ihn plötzlich von sich stossen. Und
seine Sünden hat er gebüsst, sein Unglück hat ihn zur Be-
sonnenheit gebracht, der spätere Theil seiner politischen Lauf-
bahn war gross und tadellos. Gleich dem Helden der Tragödie,
der trotz seiner Schuld unser ganzes Interesse , unser Mitleid
in Anspruch nimmt, sühnt auch er durch seine letzten Schick-
sale die früheren Frevel.
Einen schroffen Gegensatz bildet, trotz vieler Aehnlich-
keiten, der zweite Charakter, der Griechenlands Geschicke in
jener Zeit bestimmt, der glücklichere Gegner des Alkibiades,
Lysandros. ij Konnten -sWr des Alkibiades Entwicklung von
der Wiege an verfolgen, so tritt er dagegen aus dem Dunkel
auf einmal als gereifter Mann, als spartanischer Flottenbefehls-
haber auf. Nur so viel wissen wir, dass sein Vater Aristo-
kritos"-j von heraklidischem Stamm war, ohne jedoch dem
königlichen Geschlechte anzugehören. Seine Mutter dagegen
scheint geringer Herkunft gewesen zu sein . da er ein [ioöa?
1) [lieber Lysandros jetzt Otto Henr. Imm. Nitzsch : de Lysandro Lace-
daemoniorurn imperatore dissertatio. Bonnae 1S47 eine ziemlich vollständige
Darstellung, aber ohne neue Resultate, in den meisten Hauptpunkten mit
mir zusammentreffend, ohne meine Arbeit zu nennen, lieber Lysandros
Geburt stimmt Nitzsch pg. 9 im Ganzen mit mir überein. Als Zeit der
Geburt bestimmt er p. 10 einige Jahre vor Ol. 84, 4, dem Geburtsjahre
des Agesilaos, der als sein Liebling einige Jahre jünger gewesen sein muss.
Hermann Stedefeldt de Lysandri Plutarchei fontibus. Bonn 1867.1
-) Dass der Vater des Lysandros Aristokritos und nicht, wie Plutarch
wenigstens nach dem jetzigen Text ihn nennt, Aristokleitos hiess, beweisen
Alkibiades und Lysandros. 129
genannt wird. ^] So viel steht sicher, er befand sich in seiner
Jngend in einer niedrigen Stelhmg, genoss aber die lykurgische
Erziehung. Beides war von wichtigen Folgen. Er gewöhnte
sich, wenn irgend einer, an eine strenge Lebensart und lernte
alle Leidenschaften bemeistem bis auf eine einzige, welche die
lykurgische Erziehung nicht unterdrückte, vielmehr pflegte \ind
entwickelte. Ein unbändiger Ehrgeiz bemächtigte sich früh
seiner, der um so gefährlicher wurde, je weniger die äusseren
Verhältnisse ihm günstig schienen. Zugleich lernte er, wie
wenige Spartiaten. sich den Mächtigen gefällig erzeigen, auch
Avenn er sie hasste und verachtete , weil sie ihm zu seinen
Zwecken nothwendig waren. Auf der andern Seite aber er-
zexigte seine Stellung bei ihm einen tiefen Hass gegen das
Bestehende, er fühlte in sich Kraft und 'S'erdienste, die er bei
Höherstehenden, bei den Königen selbst vermisste, daher seine
revolutionäre Tendenz . 2)
Als nun nach den glänzenden Siegen des Alkibiades die
Spartaner einen tüchtigen Feldherrn mehr als je bedurften,
da erhoben sie den bisher nie genannten Lysandros zum Nau-
archen, welche Würde, abgesehen von der blos einjährigen
Dauer, an Macht fast über der königlichen stand. Und da
Inschriften. Vgl. Eöckh im C. I. G. p. 86 und die Inschriften 150. 151.
152. C. Keil Analecta Epigr. et Onomat. p. 61.
1) Plutarch. Lysand. 2. Aelian. v. h. XII, 43. Phylarch. bei Athen.
VI, p. 271 e f. Höchst wahrscheinlich war die Mutter des Lysandros eine
Helotin und er von dem Vater als ajvTf/0'i;o; des Libys, seines Halbbruders,
erzogen und von Aristokritos adoptirt worden. Müller Dorier II, S. 40,
C. F. Herman Antiqu. Lac. p. 132. 133, welcher die von Sievers Gesch.
Griechenlands vom Ende des pel. Kriegs S. 29 erhobenen Zweifel wider-
legt. Wenn Böckh im Corp. Inscr. p. 86 die Nachrichten, dass Lysandros
von Herakleidischem Geschlecht und dass er Mothax gewesen, so vereinigen
wollte, dass er wegen seiner Verdienste in die hylleische Phyle aufgenommen
worden sei, so hat er dabei übersehen, dass nicht erst er, sondern bereits
sein Vater dem Geschlechte der Herakleiden beigezählt wird, von dessen
Verdiensten sonst nichts bekannt ist. Man vergl. auch K. H. Lachmann
die spartan. Staatsverf. S. 295 und Schömann antiq. p. 112.
2) lieber Lysandros handelt im Ganzen sehr gut Sievers a. a O
S. 28 ff. Vgl. K. H. Lachmann a. a. O. S. 290. Wenn ich ihm vorzugs-
weise eine revolutionäre Tendenz zuschreibe , so denke ich damit keines-
wegs nur an seine Pläne in Sparta , sondern auch an sein oligarchisches
Umwälzungssystem in den übrigen griechischen Staaten.
Vi scher, Schriften I. 9
130 AlKIBIADES TIN'D Lysakdros.
tritt er uns gleich mit vollkommen ausgebildetem Charakter
entgegen . scharf ausgeprägt wie Wenige und doch mit einer
merkwürdigen Doppelseitigkeit. Für seine Person war er der
altspartanischen Sitte treu , das zeigte schon äusserlich das
herabwallende Haupthaar und der lange Bart. Er war sehr
arbeitsam, wachsam, massig und keinen Lüsten ergeben, und
selbst als er wie ein König über ganz Griechenland gebot,
allen Schwelgereien feind , zu denen sich in den eroberten
Städten Gelegenheit genug darbot. ^ Was ihm aber zu noch
grösserem Ruhme gereicht, er war zu jener Zeit, wo Könige
und Feldherm in Sparta den Lockungen des Goldes nicht zu
widerstehen vermochten . über das Laster der Habsucht voll-
ständig erhaben. Nicht allein war er keiner Bestechung zu-
gänglich, sondern während er ^lillionen nach Sparta brachte,
blieb er aiin, wie sich nach seinem Tode zeigte. Die Freier,
welche in Hoffnung reicher Erbschaft um seine Töchter ge-
worben hatten, traten in ihren Erwartungen getäuscht zurück,
wofür sie nach spartanischem Gesetz bestraft wurden.^ Mit
eiserner Festigkeit und unerschütterlicher Charakterstärke ver-
folgte Lysandros , was er einmal begonnen . und nichts ver-
mochte ihn in seinem Gange irre zu machen. Zu diesen Eigen-
I
') Theopomp. bei Athen. XII, p. 543 b. ©io-oa-o; os iv -f^ ItvAzr^
rSi'i EX/,Tjviy.(I)v TavavTia '-p'/jil repl toü A'Jia-^ooo'j, oti '^i/.6-ovo; f,v -/.al t^epare'jitv
O'jvafiEvo; 7.ai lOicuTa; v-al ßastXei;, stu'^ptuv wv xai xwv TjOrjvöiv ärraocüv 7.p£iTTtt)V
^evojAevo; -^o^'/ tt,; E/./äoo; oyeoov a-aor); xOptoj ev o'jo£|xiä cpav-fjae-ai -ojv
■jtoXeojv o!jti -pö; Ta: ä'^pooiiia; TjOova; 6p(i.T;aac, oÜte ai^at; y.ai roxot; dy.aioot;
ypT)acEu.Evo;. Ganz übereinstimmend Plutarch. Lys. 2. Und es lässt sich
keine einzige Thatsache anführen , welche auch nur von ferne damit in
AViderspruch stände. Athenaeus 1. 1. sagt nun freilich Dayiaviav os 7.al
A'j3avopov j-l Tp'j'f^ citajjOTiTO'j; -{Vti'jii'j.i 'ysoov ravTj; t-TopoJ'Jt, er nennt
aber von diesen tj-.wi -A-nt', keinen, führt auch kein Beispiel an, er der
doch mit so grossem Behagen jedem ungewöhnlichen Manne seine mensch-
lichen SchM-achheiten nachrechnet. Die Zusammenstellung mit Pausanias
macht mir daher wahrscheinlich, dass jene z/tw» -avTs; mehr das Geschick
des Lysandros sich den Sitten der Asiaten und asiatischen Griechen anzu-
bequemen und sein despotisches Wesen im Auge hatten, als eigentliche
SchAvelgerei.
2, Plut. Lys. 2. 1(3. 17. IS. 30. vgl. Xenoph. Hell. I, .5, 6. Dass die
bei Plutarch erhaltene Erzählung des Anaxandridas über eine kleine in
Delphi niedergelegte Summe , auch wenn sie wahr ist , dagegen nicht in
Betracht kommen kann, hat Sievers a. a. O. S. 29 schon bemerkt.
Alkibiades iTND Lysandros. 131
Schäften, wie sie einen Spartaner der schönsten Zeit geziert
hätten, treten nun aber andere, in denen Avir das Kind seiner
Zeit in ihrer ganzen Zerrissenheit erkennen. Gewandt, schlau,
ja hinterlistig und treulos, je nach Bedürfniss schmiegsam und
stolz, geleistete Dienste wie Beleidigungen nie vergessend, und
rachsüchtig bis aufs Aeusserste , wusste er alle Mittel anzu-
wenden, jede Gelegenheit wahrzunehmen. Wie Wenige ver-
stand er es mit den Menschen umzugehen, durch Dienst-
leistungen und freundliches Wesen Privatleute und Fürsten
zu gewinnen, und, was schwerer, ihr Wohlwollen und ihre
Gunst zu bewahren und im rechten Momente zu benutzen.
Wie er aber Freunde und Genossen auf jede Weise zu fesseln
wusste, so bekämpfte er rücksichtslos seine Feinde. ^) Da galt
ihm jedes Mittel gleich. Treue, Glauben, Gottesfurcht und
Heligiosität waren ihm nur leere Worte, die ein guter Politiker
schlau benutzen müsse : darum meinte er, wie Knaben mit
Würfeln, so müsse man Männer mit falschen Eidschwüren be-
trügen, und das hat er nach Kräften gethan. So schwor er,
um nur ein Beispiel anzuführen , den Demokraten in Milet,
welche sich theils verborgen hielten , theils zur Fhicht an-
schickten, dass ihnen nichts Böses geschehen solle. Als sie
nun aber seinem Eid vertrauten, überlieferte er mehrere Hun-
derte der oligarchischen Partei, um sie zu ermorden, ^j Aehn-
1) [Sehr bezeichnend ist auch die von Piut. Apophth. Reg. et Imp. v.
Auaavopci; n. 3 p. 190 e erzählte Anekdote: Trpo; Se 'ApYsto'j; ötxatoTepa xiüv
Aaxeoaifxoviwv /.i-^etv Tiept ttj? ä[J.tpi;ßTr)tO'j[A£>;ir]; •/^(upa; oov.oüvxa; aTiaaajj.evo;
TYjv [Aayaipav , 6 TaoTTj; e'cpY) -/.paTcöv ß-'XxiaTa TTspl ffji; opoiv iiaKi-fZTai. cf.
S. 142 A. 3.]
~] Diodor XIII, 104. Phitarch. Lysand. 8. 19. Apophthegm. Lacon.
pg. 229 e. Polyaen. I, 45, 1. Nach IJiodor würde das Ereigniss vor die
Schlacht bei Aigospotamoi fallen. Plutarch im c. 19 scheint es nach der-
selben zu setzen ; denn trotz der abweichenden Zahlen ist ohne Zweifel bei
beiden dasselbe gemeint. [Nitzsch setzt die Metzeleien in Milet bald, nach-
dem Lysander seine zweite Oberbefehlshaberschaft als dTcioxoXeu; angetreten
hatte, indem Uiodor die Zeitfolge beobachte , Plutarch nicht.] Aehnliche
Treulosigkeit hat er in Thasos gezeigt. Polyaen. I, 45, 4. Nep. Lys. 2
[vgl. über die Eroberung von lasos Nitzsch pg. 22. 23. Er will auch bei
Polyaen. I, 45, 4 statt 0aoiojv und Baatot; lesen 'laaiwv und 'laatot;, ebenso
bei Xenophon Hell. I, 1, 32 Iv 'Ma^w anstatt iv Bdacw und meint, der bei
Xenophon II, 1, 15 von Kedreia erzählte Vorgang sei derselbe, den Diodor
von laaos erzähle , indem vielleicht Kedreia die Burg von lasos sei oder
9*
132 Alkibiades und Lysandros.
liches hat er auch anderwärts oft gethan. Darum hat er sich
nicht gescheut den Versuch zu machen die Orakel zu be-
stechen , dies freiUch ohne Erfolg. Mit kaltem Bhite opferte
er Tausende hin, ein Hang zur Grausamkeit tritt offenbar bei
ihm hervor und treibt ihn weiter, als seine politischen oder
strategischen Zwecke forderten. So lässt er nach Erobening
der asiatischen Stadt lasos achthundert Männer morden; nach
dem Siege bei Aigospotamoi fallen seiner Rachsucht dreitausend
gefangene Athener. Musste ihn ein solcher Charakter zum
Politiker in einer Avild bewegten Zeit vor vielen Bessern be-
fähigen, so verband er damit ungewöhnliche FeldheiTntalente.
Lysandros gehört nicht zu den glänzenden FeldheiTngenien,
er hat nie einen ausgezeichneten Gegner besiegt, kaum eine
Schlacht in offenem Kampfe gewonnen, aber dennoch hat er
den peloponnesischen Krieg zvi einem siegreichen Schlüsse für
Sparta geführt, und diesen Erfolg nicht dem Ziifall verdankt.
Zweimal hat er mächtige Flotten geschaffen , ausgerüstet und
trefflich bemannt. Er hat die Mannschaft derselben durch gute
Yei'pflegung und Besoldung stets willig und schlagfertig ge-
halten, und eine Mannszucht behauptet, die leider den demo-
kratischen Athenern unbekannt war. Sein Talent bestand nicht
sowohl darin, ungefähr gleiche Streitkräfte durch überlegene
Taktik zu überwinden, als darin, stets gerüstet und wachsam
zu sein , jedes Gefecht zu vermeiden . wo der Erfolg unsicher
war, rasch den Moment zu erlauschen , wo der Feind schwä-
cher oder unvorbereitet war, da über ihn herzufallen und ihn
zu überraschen. Darum hat er weislich jedes Ziisammentreffen
mit Alkibiades vermieden, darum als er den Flottenbefehl an
Kallikratidas übergab , sich durch dessen Spott zu keiner un-
vielleicht die Stadt zwei Namen geführt habe. Das ist aber falsch; denn
in den Tributinschriften kommen K£opif,Tai und lasfj; neben einandei- vor.
Aber aufiallend bleibt, dass Lysandros lasos erobert haben soll, da bereits
411 die Peloponnesier unter Theramenes den Ort erstürmt und verwüstet
hatten, worauf er dem Tissaphernes war übergeben und mit einer Besatzung
versehen worden. Thuc. VIII, 28. 29. Er müsste also wieder abgefallen
sein, wovon nichts gemeldet wird. Es dürfte also wohl das frühere Blut-
bad von lasos durch Diodor mit dem spätem , in Kedreia verübten ver-
•wechselt sein. Ueberdies lag Kedreia nach Xenophou am keramischen
Meerbusen.]
Alkibiades uxd Lysandros. 133
besonnenen That hinreissen lassen, bei Aigospotamoi die an-
gebotene offene Schlacht nicht angenommen, um gleich nach-
her den sorglosen Feind um so sicherer zu vernichten. Er
wich also darin ganz und gar von der altspartanischen Ansicht
ab, welche im Kriege eine Art von Gottesgericht sah, und ihn
darum mit gleichen Waffen geführt haben wollte. Dass aber
seine Kriegsführung sicherer zum Ziele führte, hat das Schick-
sal des weit edlern aber lange nicht so klugen Kallikratidas
bewiesen. Wollte man dem Lysandros deshalb den Feldherrn-
nihm streitig machen, so wäre das wohl ungefähr eben so ver-
kehrt, als das Bestreben, ihn dem grossen englischen Feld-
herm unserer Zeit zu entreissen. ^
Bei solchen Eigenschaften sehen wir nun den Lysandros,
von seinem ersten Auftreten an, einen LebenszAveck verfolgen
der klar vor ihm lag, und den er mit eiserner Consequenz
festhielt : die Herrschaft Spartas über Griechenland, und seine
eigene Herrschaft in Sparta, ^'i Dieses unverrückte A'erfolgen
eines Lebenszieles hat ihn besonders so bedeutend gemacht,
und ihn über den ebenso ehrgeizigen, aber viel unbestän-
digeren Alkibiades gehoben. Zunächst kam es also darauf an,
Athen zu demüthigen, als das geschehen war, keinen andern
Staat neben Sparta aufkommen zu lassen, daher sein fast
leidenschaftliches Losbrechen gegen Theben , das ihm die
Früchte langer Bemühungen zu entreissen drohte. Zwei Mittel
hat er nun besonders angewandt , um sein Ziel , zunächst die
Unterjochung Athens, zu erreichen. Einmal nämlich hat er
die Nothwendigkeit erkamit, über grosse Geldmittel zu ge-
bieten, um der athenischen Flotte mit Erfolg entgegentreten
zu können. Diese waren aber kaum anderswo zu erhalten,
als bei Persien; darum ist er in die engste A'erbindung mit
dem neuen Statthalter Vorderasiens, mit dem jungen Kyros
') Dass es übrigens dem Lysandros nicht an persönlicher Tapferkeit
fehlte, brauche ich kaum zu erwähnen. Er hat es bei Haliartos bewiesen.
2) Wenn ich sage, er strebte nach eigener Herrschaft in Sparta, so
bitte ich das nicht so zu verstehen, als ob er von Anfang an an eine Um-
wälzung gedacht hätte. Zuerst genügte ihm wohl die auf seiner persön-
lichen Bedeutung und den Hetairien beruhende faktische Herrschaft, und
erst als er sehen musste, wie prekär diese sei, bildete sich der Plan zur
Erringung der Königswürde aus.
134 Alkibiades rxD Lysaxdros.
getreten, und hat durch dessen Subsidien Spartas Seemacht
gegründet und befestigt i. Das zweite Mittel waren die oli-
garchischen Clubs. ■^^ Schon vor seinem Auftreten be-
standen nicht nur in Athen , sondern in den meisten Bundes-
städten solche Clubs oder Hetairien, welche den von Athen
unterstützten demokratischen Verfassungen entgegenarbeiteten
und Verbindungen mit Sparta hatten. Sie hatten meist den
Abfall der Städte von Athen betrieben, wie ja in Athen selbst
damals diese Hetairien entschlossen waren, im äussersten Falle
die Stadt an Sparta zu überliefern. Doch waren diese Clubs
bis auf Lysandros meist isolirt gewesen. Er führt nun den
grossartigen Gedanken durch, sich an die Spitze aller zu
stellen, da, wo noch keine waren, solche zu stiften, und ganz
1) [Wenn Nitzsch meint (pg. 12 Lysandrog habe wohl des Kyros Gunst
bereits durch Versprechungen von Hülfe für seine spätem Pläne gewonnen,
so ist das zwar sehr möglich und wahrscheinlich, aber nicht zu beweisen.
Dass aber Kyros es bereits darauf absah, ist kaum zu bezweifeln, cf. unten
pg. 136.]
2) Die Verbindung des Lysandros mit den Clubs , und seine ganze
clubistische Thätigkeit kann kaum genug hervorgehoben werden. Sie hat
wesentlich dazu beigetragen, dass der peloponnesische Krieg in den letzten
Jahren einen so wilden und grausamen Charakter angenommen hat. Was
von Athen kurz vor der Revolution der Vierhundert Thukydides erzählt,
dass Niemand dem Anderen mehr traute, das wird mehr und mehr in allen
Bundesstädten der Fall, und die durch Lysandros herbeigeführten Oligar-
chien sind die rücksichtslosesten Gewaltherrschaften gewesen , welche wir
in der griechischen Geschichte kennen. Vgl. meine Schrift über die
Hetairien S. 32. 33. Büttner hat die Gestaltung, welche das Hetairien-
wesen seit Lysandros Auftreten annimmt, in seiner Schrift zu wenig be-
rücksichtigt, die Hauptstellen sind bei Plut. Lys. 5. 13. 26. Diod. XHI,
70. Ueber den Athener Aristoteles vgl. Xen. Hell. 11, 2, 18. 3, 2. 13, 46.
Ob mit diesem der bei Thuc. III, 105 genannte Feldherr, der ein Sohn
des Timoki'ates heisst, und der bei Andoc. d. myster. §-17 genannte Vater
eines Charmides ein und derselbe ist, wage ich nicht zu entscheiden. Der
Oligai-che, später ein Mitglied der Dreissig, war wie die meisten seiner
Meinungsgenossen ein philosophisch gebildeter, geistreicher Mann. Plato
Parmen. p. 127 d. Diog. Laert. V, I, 14, 35. Proklos zum Parmenides giebt
nichts. [Etwas einseitig urtheilt Nitzsch p. 15 über die Anhänger Lysan-
dros' in den Hetairien, und nur auf Plutarch. Lys. 5 und 13 gestützt, be-
hauptet er, sie seien f/eneris vel divitiarum auctoritate ilestituti gewesen.
Lysandros sah allerdings vorzugsweise auf entschlossene rücksichtslose Ge-
sinnung ; allein dies schliesst das genus und die divitiae nicht aus. Seine
Freunde in Athen beweisen das.]
Alkibiades und Lysandros. 135
Hellas mit einem gewaltigen oligarchischen Netz zu umgarnen,
dessen Fäden nicht die spartanischen Behörden, sondern er in
den Händen hatte. ') Von Athen bis zum kleinsten Bundes-
staate, überall verschafft er sich solche Genossen, Avelche seinen
Winken gehorchen, deren oligarchisches Wirken er leitet. Die
Verbindungen mit denselben wurden auf mannichfaltige Weise
unterhalten, in noch feindlichen Staaten besonders durch
Flüchtlinge, wie z. B. Aristoteles aus Athen, der seit dem
Sturze der Vierhundert aus Athen geflohen war, sich in Ly-
sandros Gefolge befand. Diese Genossen hegt und pflegt er
nun auf alle Weise, sie können bei allen Gewaltthaten und
Verbrechen auf seine Unterstützung rechnen , ihnen gestattet
er, ihrer Privatrachsucht und allen Begierden ungestraft Ge-
nüge zu thun, er kettet sie an sich nicht nur durch die Hoff-
nung, durch ihn Macht und Keichthum zu gewinnen und zu
behaupten, sondern auch durch das Bewusstsein gemeinsamer
Verbrechen. Und als Athen gefallen war, da übergab Ly-
sandros den Mitgliedern dieser Verbindungen und nur ihnen
die Herrschaft in ihren Staaten als Zehnmännern, Dekadar-
chen, und ein lakonischer Befehlshaber, Harmoste, unterstützte
sie mit bewaffneter Macht. Auf ihnen beruhte seine Macht,
welche eine Zeitlang der eines unumschränkten Königs glich.
Darum ist auch Lysandros immerfort ein consequenter Oligarch
gewesen.
Dieser Mann also war im Herbste 408 an die Spitze der
spartanischen Seemacht getreten. 2 Sein erstes war, die zer-
streuten Schiffe zu sammeln, Ephesos, dessen Bedeutung von
jetzt an beginnt, zu einem grossen Waffenplatze zu machen,
und überall Verbindungen mit den Oligarchen anzuknüpfen.
Dann begab er sich nach Sardes , wo zu seinem Glücke Ky-
ros als Vicekönig eingetroffen war. Dieser ehrgeizige, durch
Xenophons parteiische Lobsprüche zu unverdientem Ruhm
gekommene Fürst liess sich durch Lysandros feine Schmeiche-
') [Nitzsch pg. 23 meint, es sei die Umwandlung in Oligarchien schon
während Lysandros zweiter Feldherrnschaft vorgegangen; doch wohl nur
theilweise.l
2) Ueber die Zeit vgl. S. 120 A. 3 und Krüger zu Clinton fast. hell.
409 [anders Aemil. H. O. Müller, de Xenophontis hist. gr. parte priore
p. 61].
136 Alkibl^des ukd Lysaxdros,
leien, ohne Zweifel auch schon mit Eücksicht auf seine später
ins Werk gesetzten hochverrätherischen Pläne bewegen, das
wahre Interesse Persiens hintanzusetzen und die Lakedaimonier
nach Kräften zu unterstützen. ^) Lysandros erhielt so bedeutende
Svibsidien , dass er seine Mannschaft besser besolden konnte
als die Athener, bei denen daher Unzufriedenheit und Desertion
eintraten. Er schlug den unvorsichtigen Antiochos, und zog
sich wieder in seine sichere Stellung zurück. Nach Verfluss
seines Amtsjahres hatte er zwar noch keineswegs, Avie er
gegen seinen Nachfolger, den edeln Kallikratidas, prahlte, die
Herrschaft über die See gewonnen, aber Spartas Ansehen hatte
er hergestellt, Athen durch Yerrath untergraben, des Alkibiades
Sturz herbeigeführt. — Diese Yortheile auszubeuten gönnte er
keinem andern und intriguirte daher nach Kräften gegen
Kallikratidas. So schickte er schon A'or dessen Ankunft alle
vorräthigen Gelder an Kyros zurück , und Hess durch seine
Anhänger überall ausbreiten, es sei eine Thorheit, dass Sparta
die Flottenbefehlshaber jährlich wechsle. Die Widerspenstig-
1) Anfangs handelte Kyroa allerdings im Auftrage seines Vaters, aber
bereits beim ersten Besuche wusste Lysandros ihn zu weitern Unter-
stützungen zu bringen. Xenoph. I, 5, 6. 7. Plut. Lys. 4, 5. Diod. XIII,
70. Im Anfange, als die Athener so bedeutende Erfolge am Hellespont
gehabt hatten, lag es auch im persischen Interesse ihnen entgegenzutreten ;
die Spartaner aber so zu unterstützen wie Kyros that, war entschieden
gegen dasselbe, wie der Erfolg bald gezeigt hat, das sah Kyros ohne
Zweifel selbst ein, er wollte sich aber die Hülfe Sparta's für die Empörung
gegen seinen Bruder sichern. Offenbar haben aber auch die feinen Schmeiche-
leien des Lysandros viel gewirkt (Plut. 1. 1.), sonst hätte er nicht dessen
Nachfolger, den Kallikratidas, ohne Unterstützung gelassen. Auf den acht
orientalischen Despotenstreich , die Ermordung zweier leiblicher Vetter,
Autoboisakes und Mitraios, weil sie ihm nicht eine dem Könige allein ge-
bührende Ehre erwiesen (Xen. Hell. II, 1, 8. 9), hat bereits Forchhammer
die Athener und Sokrates S. 33 aufmerksam gemacht. Was den Ruhm
des Kyros hauptsächlich begründet hat, ist ohne Zweifel eine gewisse per-
sönliche Liebenswürdigkeit gewesen, mit der er Untergebene und Bekannte
zu gewinnen und an sich zu fesseln wusste und mit der er auch den
Xenophon bestach ; und bei der grossen Versunkenheit des persischen Hofes
in jener Zeit, mochten die Eigenschaften, die an ihm gerühmt werden,
bedeutender scheinen, als sie es in der That waren ; diesen Eindruck macht
die bekannte Lobrede des Xenoph. Anab. I, 9. Es fallen einem dabei fast
unwillkürlich die von verschiedenen europäischen Reisenden einem auf-
rührerischen Satrapen unserer Zeit gespendeten Lobsprüche ein.
Alkibiades und Lysa>dros. 137
keit schlug nun zwar Kallikratidas durch entschiedenes Auf-
treten nieder, da er aber bei Kyros nicht um Unterstützung
betteln wollte , sah er sich genöthigt bei den Bundesgenossen
sich Geld zu verschaffen iind so bald als möglich eine Entschei-
dung herbeizuführen. In ruhmvollem Kampfe verlor er bei
den Arginnsen Flotte und Leben. Noch einmal schien Spartas
Seeherrschaft zertrümmert. Athen als Siegerin aus dem Kriege
hervorgehen zu sollen. Aber während dieses seine siegreichen
Feldherrn zum Tode verurtheilt, und sich so der besten Führer
beraubt, stellt Sparta ihm wieder den Lysandros entgegen.
Der war bereits unentbehrlich geworden, die Bundesgenossen
hatten sich in Ephesos versammelt, und beschlossen durch eine
Gesandtschaft ihn als Flottenbefehlshaber zu verlangen, Ge-
sandte des Kyros schlössen sich ihnen an , und Sparta will-
fahrte. Zwar verbot ein Gesetz, zweimal denselben zum Nau-
archen zu ernennen , aber man half sich . indem man einen
blossen Strohmann . den Arakos , dem Namen nach dazii
machte, den Lysandros aber zum s-'.aroXsuc, Viceadmiral.
Reiche Geldbeiträge des Kyros und thätige Hülfe seiner poli-
tischen Freunde , machten es ihm möglich in Kurzem wieder
eine grosse Flotte aufzustellen. Um dem König Agis, der bei
Dekeleia stand , zu imponiren , führte er sie an die attische
Küste , und prahlte in einer Zusammenkunft mit demselben
wieder mit seiner Herrschaft zur See. ') Als aber die athenische
Flotte ihn aufsuchte , eilte er auf einem andern Wege so
schnell als möglich nach Asien, und lief in den Hellespont
ein, wohin die Athener ihm folgten. Nach sorgfältiger Ver-
meidung jedes offenen Zusammentreffens vernichtete er hier,
bei Aigospotamoi. durch Ueberraschung und Yerrath die letzte
1) Plut. Lysand. 9. Diod. XIII, 104. Xenophon sagt von der Fahrt
des Lysandros nach Attika kein AVort, ohne 'ZAveifel weil sie ohne alle
Folgen war. Scheibe die oligarch. Umwälzung will diesen ganzen Zug als
auf Missverständniss des Plutarch beruhend beseitigen, hat aber dabei
übersehen, dass Diodor an der auch von ihm citirten Stelle ihn ebenfalls
vor das Einlaufen in den Hellespont und die Schlacht bei Aigospotamoi
setzt. [Nitzsch pg. 25 hält Plutarch's Angabe für richtig, wenn auch für
vielleicht nicht ganz genau. — Er meint, Lysandvog sei aus Attika zuerst
nach seiner frühem Stellung zurückgekehrt und da'in längs der Küste nacii
dem Hellespont gefahren, wie Xenophon sage.]
1 38 Alkibiades u>'d Lysandros.
HofFiiiing der Athener, die hundertimdachtzig Schiffe starke
Flotte. Der Krieg -war entschieden. Athens Macht vernichtet. ^\
Die Stadt selbst, zn Lande von den Königen Agis und Pau-
sanias, zur See von Lysandros eingeschlossen, im Innern von
Zwietracht und A'errath geschwächt, musste sich ergeben, Ly-
sandros zog als Sieger ein. — Ueberall Avurden jetzt, wo noch
Demokratien bestanden, unter Mord und gewaltsamer Verban-
nung statt dieser streng geschlossene Oligarchien eingeführt,
bekannt unter dem Namen der Dekarchien, in Athen selbst
die der Dreissig. Die Anhänger des Lysandros führten in
diesen die Herrschaft , er war ihre Stütze , er herrschte durch
sie fast in allen ehemals athenischen Städten. Ja so eigen-
mächtig schaltete er, dass er die Stadt Sestos, Avelche die
Athener den alten Bewohnern entrissen hatten, nicht diesen
zurückgab, sondern Leuten, die auf seiner Flotte gedient hatten.
Hier aber traten ihm die Lakedaimonier entgegen und setzten
die Sestier wieder in den Besitz ihrer Stadt. Auch der letzte
Staat, welcher Widerstand leistete, die Lisel Samos, seit dem
Jahr 4 1 1 der Waffenplatz von Athen und das festeste Boll-
werk der Demokratie , musste sich nach dem hartnäckigsten
Widerstände ergeben , 2 die sämmtlichen Bürger mussten aus-
wandern, die Lisel wurde den früher flüchtig gewordenen 011-
garchen übergeben.
Lysandros feierte jetzt Triumphe , wie sie noch keinem
Hellenen zu Theil geworden waren. Er war nicht nur der
allmächtige Gebieter, neben dem die Könige ins Dunkel zu-
rücktraten, sondern er Avurde von seiner Partei als Heros und
Befreier Griechenlands verherrlicht. Dichter wetteiferten ihn
zu besingen, und er war für ihre Schmeicheleien so empfäng-
lich , dass er dem Antilochos für einige mittelmässige Verse
den Hut mit Gold füllte. 3) Die Samier setzten an die Stelle
I
1) [Ueber die Zeit der Schlacht bei Aigospotamoi J. Th. Voemel : quo
tempore apud Aegospotamog Athenienses a Peloponnesiis victi sint, definitur.
1848. Er setzt sie in den November 405, in den Monat Pyanepsion unter
Archen Alexias.]
2) Xen. Hell. 11, 2, (j. 3, 6. 7. Plat. Lys. 14. Sievers Gesch. Griechenl.
S. 20. Scheibe die oligarch. Umwälzung zu Athen. S. 60.
3) Plut. Lys. 18 nennt den Choirilos, Antilochos, Antimachos aus Ko-
lophon und Nikeratos aus Herakleia , so wie den Kitharoden Aristonus.
Vgl. Athen. XV, p. 696 e.
Alkibiades umd Lysandros. 139
des bisherigen Hauptfestes der Heraien, die Lysandria, und zu-
erst von allen Griechen wurden ihm während seines Lebens
Altäre errichtet, Opfer zu seiner Ehre dargebracht, Hymnen
gesungen. 1) Von Samos segelte er dann, nachdem er die
Bundesgenossen entlassen, mit den lakonischen Schiffen nach
Lakedaimon. Er führte mit sich , ausser grossen Summen
Geldes und reicher Beute, die Insignien aller eroberten Schiffe,
die den Athenern im Peiraieus abgenommene Flotte, und Adele
Kronen, die ihm von den Städten als Ehrengeschenke über-
reicht worden waren . 2)
1) Plut. 1. 1. npöjTOV p.ev YÖtp , (b; loTopei Aoüpi;, 'EXXyjvojv Ixeivio
ßtu[j-o'j; ai —oXet; ävsaxrjOav tu? fteü) xotl O'joia? eft'jtiav , e[; -ptuTov ok
TTaiävs; Tj'i&Trjoav y.. t. >,. Athen. 1. 1. Danach ist Bernhardy zu berichtigen,
der im Grundriss der griech. Litteratur II, S. 450 sagt, der Missbrauch
Päane auf Menschen zu dichten, beginne erst mit den Diadochen. [berich-
tigt 2. Bearbeitung 11, S. 5.51. 3. Bearbeitung II, S. 554 Pausanias VI, 3,
14, 15. Eine Statue des L3'sandros war von den S amiern in Olympia
aufgestellt mjt Epigrammen, die Pausanias anführt. Die Ephesier hatten
ihm eine in den Tempel der Artemis geweiht. In Delphi standen die
Bildsäulen aller peloponnesischen Feldherrn, die bei Aigospotamoi gesiegt
hatten, Lysandros von Poseidon bekränzt, daneben sein Seher Abas und
der Steuermann, des Admiralschiffs Hermon. Pausan. X, 9, 7. 9. Ueber
heroische und göttliche Ehren, welche Menschen erwiesen werden,
cfr. C. Keil analecta epigraphica pg. 39 ff. und L. Ross Hellenica I, p.
55. — Den Lysandros berührt Keil nicht, weil er nur von den Ehren han-
delt, die nach dem Tode eintraten.]
2) Ueber die Thätigkeit des Lysandros und die Orte seines Aufenthaltes
zwischen der Schlacht bei Aigospotamoi und der Herstellung der Demo-
kratie in Athen giebt uns kein Schriftsteller vollständige Nachrichten, da-
gegen ergänzen Xenophon , Diodor , Plutarch und Lysias einander gegen-
seitig , und trotz einiger Widersprüche und der etwas verwirrten Angaben
des Plutarch, der besonders Lysand. 14 offenbar Späteres, wie die Erobe-
rung von Samos , gleich vorweg erzählt , lässt sich wohl ziemlich sicher
Folgendes annehmen. Nach der Schlacht bei Aigospotamoi nimmt Lysan-
dros Sestos Diod. XIII, 106. Plut. Lys. 14. Byzanz und Chalkedon Xen.
Hell. II, 2, 2. Dann fährt er nach Lesbog, bringt Mitylene auf sparta-
nische Seite und schickt den Eteonikos mit zehn Schiffen in die Gegend von
Thrakien, ic, xa ir.l Bpcty.T]? ymrArj.. Alle bis dahin zum attischen Bund ge-
hörigen Städte treten zu Sparta ausser Samos. Hier schlug das Volk viel-
mehr einen Versuch, sich an Sparta anzuschliesen, nieder und hielt sich in
der festen Stadt. Es scheint nun , dass Lysandros bereits jetzt die Stadt
zu nehmen versuchte. Diodor XIII, 106. Auf jeden Fall aber verweilte
er nur kurz davor; denn er hatte bereits nach Dekeleia au Agis und nach
Sparta berichtet, dass er mit der Flotte vor den Peiraieus kommen werde,
140 Alkibiades und Lysandros.
Er stand aiif dem Gipfel seiner Grösse und schien das
Ziel eiTeicht zu haben, allein seine ungeheure Macht erregte
natürlich Eifersucht. Die Könige Pausanias und Agis, die
und deshalb die Könige Athen zu Lande e'nschliessen möchten. Vielleicht
hatte er mit dieser Nachricht bereits den Gylippoa mit einem Theil der
Beute nach Sparta gesandt, wofür DiodorXIII, 106 spricht, während Plutarch.
Lys. 16 das erst nach der Uebergabe von Athen geschehen lässt. Vor
Samos liess Lysandros ohne Zweifel jetzt gleich eine Flottenabtheilung zur
EinSchliessung oder doch Beobachtung zurück ; denn während er berichtet
hatte, er werde mit 200 Schiffen kommen, kommt er wirklich nur mit 150.
Xen. Hell. II, 2, 7. vgl. mit II, 2, 9. Die 50 zurückgebliebenen werden
also wohl zum grössten Theil gegen Samos verwendet worden sein. Mit
den 150 Schiffen nimmt Lysandros dann Aigina, verwüstet Salamis und
legt sich vor die Häfen Athens. Xen. a. a. O. § 9. Nach Xenophon scheint
es nun, als oV Lysandros die ganze Zeit bis zur Uebergabe der Stadt, in
der Nähe derselben geblieben sei , da Theramenes um die Stadt zu be-
obachten, über drei Monate bei ihm verweilt. Xen. a. a. O. § 26. Nach
Plutarch c. 14 wäre er dagegen, während die Athener Widerstand leisteten,
wieder nach Aaien gegangen; doch verdient hier Plutarch kaum Glauben,
da er die Uebergabe von Samos in diese Zeit setzt, die ganz bestimmt erst
später statt hatte. Auf jeden Fall ist Lysandros bei der Uebergabe der
Stadt zugegen, am 10. Munychion. Xen. a. a. O. §23. Plut. Lys. 15. Aber
er verweilt nicht lange dort , sondern begiebt sich, natürlich nachdem er
sich der Stadt hinlänglich versichert, nach Samos, von wo ihn vor der Er-
oberung später die Oligarchen nach Athen holen lassen, damit er die Ver-
fassungsfrage entscheide. Lys. adv. Erat. 71—75. Wenn Diod. XIV, 2. 3.
ihn erst nach der Eroberung von Samos nach Athen gehen lässt, so ist er
im offenbaren Widerspruch mit Xenophon. In Athen angekommen lässt
Lysandros jetzt die Mauern schleifen und bleibt bis die Dreissig einge-
setzt sind. Xenoph. II, 3, 3 G. Grote bist, of Gr. V, p. 555 meint, die
Schleifung der Mauern habe gleich bei der Uebergabe begonnen , sei aber
von den Athenern nicht zur gehörigen Zeit beendigt gewesen, j Darauf
kehrt er nach Samos zurück, das sich nun ergiebt. Xen. II, 3, 6. Plutarch
c. 16 lässt ihn wohl irrig nach Einsetzung der Dreissig nach Thrakien
gehen. Nach der Feier von mancherlei Siegesfesten in Samos entlässt er
die Flotte der Bundesgenossen, und führt die lakedaimonischen Schüfe in
die Heimath, indem er nun die noch im Peiraieus befindlichen attischen
Schiffe mitnimmt, die bereits früher übergeben waren. Xenophon a. a. O.
§. 8. Bei seinem nunmehrigen Aufenthalt in Sparta hat er das Ansuchen
. der Dreissig um eine Besatzung unterstützt und bewirkt, dass sie gewährt
T^-urde. Er blieb aber wieder nicht lange daselbst, sondern wurde ausge-
sandt, um die Verhältnisse der Bundesstädte zu ordnen. Diod. XIV, 3, 10.
Nitzsch p. 40 setzt die Einrichtung der Dekarchien in den Bundesstädten
auch während der Anarchie und zwar erst, nachdem die Dreissig durch
Aischines und Aristoteles die Besatzung erhalten hatten; ich nehme die
Alkibiades und Lysaxdros. 141
nur ungern seine Stellung ertrugen , fassten daher den Plan,
die von Lysandros eingeführten Oligarchien zu stürzen, und
auch die Ephoren. über seine Anraassung erbittert, schlössen
sich ihnen an. So traten die verfassungsmässigen Behörden
Spartas dem Lysandros feindlich entgegen. >^ Daher fanden
bereits bald nach dem Schlüsse des Krieges Klagen des Pharna-
bazos über sein -willkürliches Benehmen geneigtes Gehör, und
er entzog sich weitem Unannehmlichkeiten nur durch eine
Einsetzung der Dekarchien theilweise schon unmittelbar nach der Schlacht
bei Aigospotaniüi an.; In diese Zeit fallen seine ^^'illk.ürlichkeiten und
Gewaltthaten in Asien und seine Streitigkeiten mit Pharnabazos, wovon Plut.
Lys. 19. erzählt. Dass diese Dinge nicht früher zu setzen geht ganz sicher
aus der Hinrichtung des Thorax hervor , den Lysandros zum Harmosten
über Samos gesetzt hatte und der also nicht schon früher hatte hingerich-
tet werden können. I-ysandros wurde nun zurück berufen, und reiste, nach
einem Aufenthalte von wenigen Tagen in Sparta zum Orakel des Ammon.
Plut. Lys. 20. Von da nach Sparta zurückgekehrt bewirkt er, dass man die
Dreissig gegen den zurückkehrenden Thrasybul unterstützt und ihn selbst als
Feldherrn aussendet. Das geschah erst nachdem die Dreissig Athen verlassen
und sich in Eleusis festgesetzt hatten. Xenoph. Hell. II, 4, 28. 29. also
im Frühling (?) 403. Auf eine speciellere chronologische Auseinandersetzung
kann ich mich hier nicht einlas.sen. Man vergl. Scheibe, die ölig. Um-
wälzung S. 2s ff. und S. 106. Peter comment. critica in Xen. Hell. p. 42.
H. Weissenborn Hellen. S. 197 fg. Sievers S. 379. denen ich jedoch in
manchen Punkten nicht beistimmen kann. ^Da Xenophon sagt, die aus
dem Peiraieus hätten schon in den ersten 10 Tagen nach der Schlacht bei
ihren Streifzügen ^uXa -/.al ö-cupotv genommen, so ist eine Vereinigung mit
den übrigen Angaben kaum anders möglich, als dass man hier bei der »jrwpa
nicht an Früchte auf dem Felde, sondern in den Vorrathshäusern denkt,
wie AVeissenborn ; doch ist mir eine analoge Stelle nicht bekannt. Die 8
Monate der Dreissiger-Herrschaft bis zur Schlacht im Peiraieus lassen sich
statt von der Einsetzung, vielleicht von der Ankunft der spartanischen Be-
satzung datiren, wo erst die Gewaltthätigkeiten anfiengen cfr. Xen. Hell.
II, 3, 13. Dann kommt man aber wieder mit dem Schnee bei Phyle in
Verlegenheit ; man müsste denn den ersten Angriff der 30 auf Phyle und
den Sieg Thrasybuls über die Reiter der Lakedaimonier sehr weit aus ein-
ander legen.]
*) Plut. Lys 27. Ol oe ßaat/.si; ä7:oor,ij.T,5a';TO? ctO-oO cjix'.ppovriaav'rs; , oti
Tat? iratpEiat; xd; ttoXei; v.aTeytuv oia Travxo; apyei xrd xupto? daxt x-fj; E/.Xaöo?,
£-paacov orw; ä-ooo'jio'jsi xoT; 07](Aoxai; xa -paYfxaxa. Das ist während der
Reise zum Ammon, dass aber bereits vorher sich eine starke Opposition
gegen ihn gebildet hatte, geht aus der Hinrichtung seines Freundes Thorax
hervor. Plut. Lys. 19. lieber des Pau.sanias Neid Xenoph. Hell. II, 4, 29.
Sievers Geschichte von Griechenland S. 31 ff.
142 Alkibiades und Lysaxdrüs.
Reise zum Tempel des Ammon. ' lUild wurde aber auch das
Gebäude seiner Politik erschüttert. Die Demokraten Athens
unternahmen es, die Dreissig zu stürzen. Als nun die Oli-
garchen in Sparta Hülfe suchten, da bewirkte der mdess heim-
gekehrte Lysandros . dass er als ]>ef ehlshaber zu Lande . sein
Bruder Libys als Xauarch ihnen zu Hülfe gesandt Avurden.
Denn ihm lag alles daran , ein so gefährliches Beispiel , das
seine Macht in ihren Grundlagen erschütterte, schnell zu unter-
drücken. Aber auch König l'ausanias im Einverständniss mit
Agis und der Mehrzahl der P^ihoren , zog mit einem Heere
gegen Athen, und führte unter dem Schein sie zu bekämpfen,
die Herstellung der Demokracie herbei. - Dies war für Lysan-
dros ein harter Schlag. Li Sparta war sein Einfliiss nicht mehr
herrschend , im übrigen Griechenland eine Hauptstütze ihm
entzogen. Er tritt für einige Jahre durchaus in den Hinter-
grund, und kaum wird sein Name einmal genannt. ^) In dieser
ij lieber die Klagen des Pharnabazos und die Heise zu Ammon Plut.
Lys. 19. 20. Schon bei diesei* Reise hat Lysandros das Orakel des Am-
mon zu gewinnen gesucht, wenn Ephoros Angaben richtig sind. Die Ver-
suche bei den Orakeln in Delphi und Dodona sollen nach demselben schon
vorher stattgefunden haben. Plutai'ch a. a. O. und c. 25 und Diodor XIV,
13. vgl. S. 144 A. 2 u. A. 3. S. 147 A. 2. Xen. Hell. II, 1, 39. Plut. Lys. 26.
[Lysandros stand auch sonst in Verbindung mit Ammon. Eine Erscheinung
desselben bewog ihn einst von der Belagerung von Aphj-tis in Pallene ab-
zustehen. Paus. III, 18, 2. Plut. Lys. 20. Ueberhaupt ist möglich, dass
er von Aberglauben nicht ganz frei war, wenn er schon die Religion im
Ganzen nur als Mittel brauchte. In Delphi stand neben seiner Bildsäule
die des Sehers Abas. Paus. X, 9, 7. Derselbe III, 11,5, nennt Agias einen
lamiden, Sohn des Agelochos, Enkel des Tisamenos, als Seher des Lysan-
dros bei Aigospotamoi. — Ohne Zweifel muss auch X, 9, 7. A,3a; in A-fii;
umgeändert werden.]
2; Scheibe a. a. O. S. 126—132. Pausan. III, 5, 1. 2. Agis tritt nach
der Rückkehr des Pausanias aus Attika ihm entgegen.
3) Sievers a. a. O S. 32. Wenn er bemerkt, Plutarch (Lysand. 21 vgl.
Apophth. reg. et imp. p. 190e. Apophthegm. Lacon. 229 c. d) suche diese
Lücke in der Geschichte des Lysandros zu füllen, durch übermüthige Aus-
sprüche , welche er sich gegen die x\rgeier , Megarer , Boioter und Korin-
thier erlaubt habe und dann fragt, wann aber Lysandros in dieser Zeit
durch das Gebiet der Boioter gegangen sei und wann er einen Angriff auf
Korinth gemacht haben könne, so thut er offenbar Unrecht die Anekdoten
gerade in diese Zeit zu verlegen, davon sagt Plutarch nichts. Von einem
Angriff auf Korinth unter des Lysandros Führung wissen wir freilich auch
Alkibiades und Lysaxdros. 143
Zeit stürzt das ganze kunstreiche Gebäiide seiner Politik zu-
sammen. Der Bund mit Persien wird durch des Kyros Em-
pönmg imd Tod aufgelöst, Sparta wird in Krieg mit dieser
Macht verwickelt, und übernimmt im Gegensatz zu seiner
früheren Pohtik die Befreiung der Griechen Vorderasiens. Es
hebt die Dekarchien auf und stellt die alten ^'erfassungen her.^)
Mit welchen Gefühlen Lysandros in dieser Zeit sich eine
Stütze nach der andern entfallen, und sich selber bei Seite
geschoben sah , das lässt sich leicht denken . und auf diese
Zeit haben wir zu beziehen, was Aristoteles von ihm berichtet,
sonst nichts, doch könnten töjv KoptvSiwv xei/-/) auch andre Befestigungen
der Korinthier sein, und es lässt sich dabei an die Zeit denken, wo Lysan-
dros den athenischen Oligarchen zu Hülfe zog, oder wo er mit Agesilaos
nach Asien ging. Beidemal weigerten die Korinthier und Boioter sich
Theil 7.U nehmen. Auf einem blossen Durchzug durch das korinthische Ge-
biet lässt auch der in den Apophth. Lac. gebrauchte Ausdruck ot£p/o|j.£vo;
schliessen.
1) Hauptstelle ist dafür Xen. Hellen. HI, 4, 2. rpo; os touko töj Xoyiojj.«)
-/.ai cfjTo; 0'jv£;£/.5}£tv ctürw i^w'/szo OTttu; t«; OExapyia; rd; -/aTaaraftetaa; 'jk
h.dsvj £v Tai? -oXeatv, i-A-tr^'w/jAoLi, oe 5ta to'j; icpopo'j; , oi t«; Trotxpio'j;
TToXiTEia? zapTjYYEiXav , za>av x'x-'x's~r\<szie jj.£t' 'ÄYTjitXao'j. Plut. Ages. 6. Sie-
vers S. 22. sucht aus Xenoph. Hell. HI, 2, 9. nachzuweisen, dass kurz
vor Agesilaos Zug nach Asien, als Derkyllidas befehligte, die Dekarchien
noch bestanden hätten, und vermuthet, ihre Auflösung habe in Zusammen-
hang gestanden mit der Forderung des Tissaphernes und Pharnabazos, dass
die Harmosten entfernt werden sollten Allein seine Gründe sind nicht
überzeugend, vielmehr war dies, als Reaction gegen die Macht des Lysan-
dros, wahrscheinlich früher geschehen, vgl. S. 142 A. 1. [Auffallend ist,
dass Xenophon III, 5, 13 die thebanischen Gesandten in Athen sagen lässt:
\i~'j ~e Yoip T(üv dpaoiTtüv T'jpot'^vo'J-^Tat "/ctl 'jt.'j olxa ävopwv oO; AuaavSpo;
7.aT£5TY]3ev Iv iyÄrj-T^ r.ö\t\. Diese Gesandtschaft fällt in den Anfang des
korinthischen Kriegs 395 Ol. 96, 2. Aber mehr als ein Jahr früher 396
Ol 95, 4. war Lysandros mit Agesilaos nach Asien gegangen, um die von
den Ephoren aufgehobenen Dekarchien herzustellen. III, 4, 2. vgl. III,
4, 8. Die Herstellung ist ihm aber bei seinem Verhältniss zu Agesilaos
schwerlich gelungen. Die Worte III, 4,7: a'jvT£-apaY[i-£V(»v iv xai; ttoXeci xinv
7roX'.T£itt)v v.otl oüxe 5T,[Aoy.pax{a; ext o'jitjc, uji-ep It: 'A&Tjvaicuv, oüxe Sexapyia?
iu-inEp irX A'jsdvopo'j scheinen nun allerdings darauf zu weisen, dass die
Dekarchien bei Lysandros Ankunft noch nicht lange gestürzt waren, und
könnten für Sievers Vermuthung sprechen. — Deutet etwa Isoer. Philipp.
§. 86. 87. auf eine Herstellung der Dekarchien durch Agesilaos, wo der
Redner das Einführen seiner sxaipoi als ein Haupthinderniss des Gelingens
im Krieg gegen Persien anführt?]
144 Alkibiades und Lysaxdros.
dass in spätem Jahren eine finstere Melancholie hei ihm her-
vorgetreten sei. 'j Wiewohl ihm aber kein äusserer Anlass zur
Thätigkeit geboten war, so hat er inzwischen sicherhch auch
nicht gerastet. Es scheint, dass er die Mnsse benutzte, um
in Sparta, wo ihm verfassungsmässige Macht nicht länger über-
tragen wurde , sich einen geheimen Anhang , eine Hetairie zu
bilden, und dass jetzt Pläne zu Veränderungen der Verfassung
seinen Geist beschäftigten. 2 Die unabhängige Stellung, welche
Athen Sparta gegenüber bald einnahm . kam ihm dabei zu
Hülfe, sein Ansehen wieder zu heben und seine Politik als die
für Sparta wahrhaft erspriessliche darzustellen. Und als nun
397 Agis starb, da stellte Lysandros, dem Sohne desselben,
Leotychides, dessen rechtmässige Geburt bestritten wurde, den
Bruder des Agis, Agesilaos. zu dem er längst in eng befreun-
detem Verhältnisse stand als Thronbe^vverber entgegen , und
verhalf ihm durch sein Ansehen zur Herrschaft. ■') Durch
') Phit Ly.-?. 2. vgl. Sievers S. 32.
-) Ueber den Plänen dei? I.ysandros liegt bekanntlich grosses Dunkel,
Mas nicht zu vei'wundern ist, da sie nie zur Ausführung kamen, und überdies
solche Dinge in Sparta mit grosser Sorgfalt verheimlicht wurden, daher sagt
Aristoteles Polit. VIII, p, 194, .30 Bekker: wirsp dv AaxEoat[jiovi «aoi Ausav-
Sprj-v Tive; d-i/Eip-^aii ■Ao.-rCtJjzai ttjv 'jjo.'zCl-A'jm , aber die Zusammenstellung mit
Pausanias zeigt, dass er bei aller Dunkelheit im Einzelnen die Umwälzungs-
pläne im Ganzen für begründet hielt. Dass die uns erhaltenen Nachrich-
ten bei Plutarch und Diodor hauptsächlich aus Ephoros entnommen sind,
hat Sievers S. 2'^. 29. Anm. 25 gut nachgewiesen. Doch hat Plutarch
mehrere Quellen benutzt , wie die Anführung abweichender Nachi-ichten
darüber ob er nur allen Herakleiden oder allen Spartanern das Königthum
habe eröffnen wollen, beweist. Lys. 24. Wie schon oben S. 142 A. 1 an-
geführt worden ist, soll Lysandros bereits zwischen der Eroberung von
Athen und der Rückkehr des Thrasybul die Orakel zu bearbeiten unter-
nommen haben, es versteht sich aber wohl von selbst, dass er in dieser
Zeit der Zurücksetzung nur um so mehr über seinen Plänen brütete.
3) Dass Lysandros nicht allein den Agesilaos in seinen Ansprüchen
unterstützt, sondern zu denselben veranlasst habe, sagt ganz bestimmt
Plut. Lys. 22 : ir.zi oe ^Aft; 6 ßaaiXs-JC It£X£utt,3£v aosÄ^ov (i.£v 'Ayt^^iXiov xa-
TaXiTTwv, uiov Se vo}ii^6[i.£vov A£co-'jyio'av , EpaoTTj; toü 'AY'r^aiXao'j YSP'""? ^
A'joavopo; Itteiüev aOrov ävTi/.otaßäv£3i}at tt^^ ßasiXEia; w; 'HoavcXEior^v o-^Ta Y"^"^"
Giov. Ages. 3 : tov 'AY^^oiXaov Irl tt,v ßaatXEiav -pofjev. vgl. Pausan. III, 8,
10 : Aa*A£5at,a6viot os v.atr:£p irii ccpiaiv ov o'jy. irav-f)Y0tYOv tö d[J.'f i3ßf|TYjij.a I?
A£XcfO'j;' a'itio; o caot oox£rj Ausavopo; ifhzzo b Apiatovtpixo'j 'A'jrpOAu) au-
OTüeuStuv Ig a-a^^To; tyj-^ ßoiiiXeiav y^'^^^'^'^'- Xen. Hell. III, 3, 3. Dass dieser
Alkibl^des und Lysandros. 145
Agesilaos hoffte er wieder zur Gewalt zu kommen, indem er
ihm die Führung des asiatischen Krieges verschaffen wollte,
und dort als sein Begleiter das alte Ansehen herzustellen ge-
dachte ; er dachte wohl, dass ein König, der nicht sowohl dem
gesetzlichen Erbrechte als ihm die Herrschaft verdankte, weni-
ger unabhängig sein werde, als einer, dessen Macht sich nur
auf das Recht stützte ; er dachte vielleicht auch einen solchen
eher stürzen zu können. Also veranlasste Lysandros seine
immer noch zahlreichen Anhänger in Asien, den Agesilaos von
Sparta als Heerführer gegen Persien zu verlangen. Gerne
verstand sich der König dazu, und jjerne AAo^irde ihm das Unter-
nehmen gegönnt. Nur dreissig Spartiaten begleiteten ihn als
eine Art von Generalstab , unter ihnen war Lysandros, dessen
Absicht zunächst darauf ging, die Dekarchien herzustellen.
Auch war er kaum in Asien , als von allen Seiten her seine
Anhänger ihm zuströmten, ihn überall umgaben, ihm ihre Auf-
merksamkeit und Verehrung bezeugten, um seine Gunst buhl-
ten. Er schien der wahre König zu sein, Agesilaos nur ein
Schattenbild. Allein Lysandros hatte sich in der Person des
Agesilaos geirrt. Weit entfernt ein solches Yerhältniss ruhig
zu ertragen, fand dieser sich durch die Zurücksetzung tief
gekränkt und Hess den Lysandros seinen Aerger in kleinlicher,
ja elender Weise fühlen. Wer von diesem ihm empfohlen war,
konnte sicher sein in seinem Begehren abgewiesen zu werden,
ja er ernannte denselben zum Hohn zu seinem xpsaioat-TjC,
Speisemeister , und sagte spottend zu den loniern , die des
Lysandros Gunst suchten, jetzt möchten sie seinem Speise-
meister die Aufwartung machen. ') Lysandros verlangte nach
im Agesil. 1, 5. von Lysandros kein Woi't sagt ist begreiflich. Corn. Nep.
Ages. 1. Ueber die Geburt des Leotychides vgl. Xen. III, 3, 2. Plutarch
Lys. u. Ages. 1. 1. Alcib. 23. de tranquill, animi 467 f. p. 567 Dübner. Pausan.
III, 8, 7. der am günstigsten für Leotychides ist, Athen. XII, p. 535 f. — Mit
Recht macht Sievers S. 32. auf die Hinneigung des Agesilaos zu dem He-
tairienwesen aufmerksam, das cpiXexatpov desselben tritt auch in Xenophons
Enkomion sehr hervor. Dass Lysandros die Haupttriebfeder der Absen-
dung des Agesilaos nach Asien war, spricht auch Xenophon sehr bestimmt
aus Hell. III, 4, 2. vgl. Pausan. III, 9, 1. Plut. Lys. 23. Ages. 6.
> 1) Xen. III, 4, 7 10. Plutarch. Ages. 6, 7. 8. Quaest. conviv. p. 644 B.
p. 781 Dübner. Lysand. 23. 24. — Dass Xenophon im Agesilaos von diesen
Vischer, Schriften 1. 10
146 Alkibiades und Lysandros.
einer kurzen Erklämn^, die nicht sehr ehren voll für Agesilaos
erscheint, i) anderswo verwendet zu werden , und leistete am
Hellespont dem Staate und dem Agesilaos sehr wesentliche
Dienste. Es scheint aber auch das des Königs Neid erregt
zu hahen, er benutzte seine ausgezeichneten Talente weiter
nicht mehr. ^
Empört über solch schnödes Vei-fahren des Mannes, der
ihm alles verdankte, ohne irgend eine seiner Absichten eireicht
zu haben, kehrte Lysandros nach Verfluss des Jahres nach
Sparta zurück. Seine auf Agesilaos gebauten Pläne waren
vollkommen gescheitert. Man mag sagen, er hatte es verdient.
Da er die Menschen nur als Werkzeuge seiner ehrgeizigen
Pläne ansah, durfte er auch von ihrer Seite auf nichts
Besseres Anspruch machen. Aber dennoch erscheint das Be-
nehmen des Agesilaos gegenüber dem Manne . ohne den er
selbst ein kaum genannter Privatmann geblieben wäre , dem
Sparta die Herrschaft über Griechenland verdankte, der immer
noch Spartas grösster Staatsmann war . als höchst unedel,
es war auch unklug; denn solche Beleidigungen reizten, ohne
irgend etwas zu nützen.
In der That gediehen bei Lysandros Jetzt Pläne zur Reife,
die früher schon ihn beschäftigt, aber noch nicht so feste Ge-
stalt gewonnen hatten. Während des peloponnesischen Krieges
und unmittelbar nach demselben, stand er so hoch, dass eine
Aendemng der ^'erfassung ihm schwerlich nöthig schien, er
hatte factisch alle Macht. Als dann sein Einfluss erschüttert
wurde, da entwickelte sich ohne Zweifel der Gedanke an eine
Yerfassungsveränderung. Noch aber machte er keinen Ver-
such zur Ausführung, sei es, dass er noch auf andere Art
Dingen ganz schweigt ist ein Beweis, dass selbst er an dem Benehmen des
Agesilaos nichts zu rühmen fand.
1) Xen. Hell. III, A, <K Plut. a. a. O.
-) Er bewog den vornehmen Perser Spithridates mit bedeutendem An-
hange zum Abfalle von Pharnabazos Xen. Hell. HI, 4, 10. Plut. Ages. 8.
Lys. 24. Im Agesilaos macht Xenophon dem Agesilaos aus dieser Sache ein
grosses Verdienst, ohne ein "Wort von Lysandros zu sagen. Nach Plutarch
a. a. O. scheint es, als ob er nach diesen Dienstleistungen nach Sparta
z-irückgegangen sei , ohne Zweifel Hess Agesilaos ihn nicht gerne in einer
ziemlich unabhängigen Stellung wirken.
Alkibiades und Lysandros. 147
seine Macht herzustellen hoffte , sei es, was wahrscheinlicher,
dass ihm die Verhältnisse noch nicht günstig schienen. Jetzt
aber wollte er, dem die Könige überall im Wege standen i),
die Königswürde , die in dem Geschlechte der Eurypontiden
lind Agiaden erblich war, allen Herakleiden, zn denen auch er
gehörte . nach andern ]>erichten , allen Spartiaten zugänglich
machen"^). Dem \'erdienste iind nicht der Geburt sollte sie
gehören. War das diirchgesetzt, so zweifelte er nicht, selbst
zum Könige gewählt zu werden. Dass er zugleich eine Be-
schränkimg des Ephorats beabsichtigte, wird zwar nicht berich-
tet , ist aber höchst wahrscheinlich ; denn die Ephoren hatten
seine Entwürfe vielfach durchkreuzt, und eine Königswürde
unter den damals von den Ephoren geübten Beschränkungen
konnte seinem Ehrgeize kaum genügen ^ . Zur Erreichung
dieses Zweckes bereitete er verschiedene Mittel vor. ^'orzüglich
suchte er durch die Orakel, welche damals in Sparta noch viel
galten, zu wirken. Allein Delphi und Dodona wiesen seine
Zumuthungen ab, und die Priester des Ammon machten sogar
Anzeige in Sparta, doch ohne Glauben zu finden ^) . Ein fein
angesponnener Plan , durch einen vermeintlichen Sohn des
ApoUon zu wirken, scheiterte an dem unerwarteten Zurück-
treten eines Eingeweihten. Merkwürdig zur Beurtheilung der
') Plutarch. a. a. O. bringt die völlige Ausbildung der Revolutions-
pläne in bestimmte Verbindung mit dem Zerwürfniss zwischen ihm und
Agesilaos, wofür auch der natürliche Zusammenhang spricht.
2, Diodor XIV, 13. Plut. Lys. 24. Com. Nep. Lys. 3. die oben an-
geführten "Worte des Agesilaos v.ctTotXösat ttjv ßaatXe'i'/v besagen nichts an-
deres und finden ihre Erklärung in denen des Diodor T.a-zoJJjzo.i tyjv töjv
'Hpa-/.Ä£io(7)v [iaziKtw^. [Nitzsch sucht die ganze Erzählung von Lysandros
Revolationsplänen zu verdächtigen, aber mit schwachen Gründen.]
•^, Sievers Gesch. von Griechenland. S. 34 ff. die Ej^horen waren ihm
in Attika und bei den Bundesgenossen feindlich entgegengetreten, vgl.
S. !4J A. 2 Xen. Hell. 11, 4, 29. 36. 38.
■*, S. 142 A. 1. Corn. Nep. Lys. 3. Er stellt die Sache so dar, als
ob der Versuch bei Ammon kurz vor der Schlacht bei Haliartos gefallen
wäre, eine Annahme für die allerdings mehreres anzuführen ist, wenn nur
nicht Plutarch und Diodor so bestimmt dagegen wären. Es wäre aber
möglich dass Lysandros bei seiner ersten Anwesenheit beim Orakel des
Ammon dort nur Verbindungen angeknüpft und erst später den missglück-
ten Versuch gemacht hätte.
10*
148 Alkibiades und Lysaxdros.
spartanischen Zustände ist aber, dass er sich von einem gewis-
sen Rhetor, Kleon ans Halikarnass. eine Rede ausarbeiten
Hess, mit der er die Spartaner für seine Reform zu gewinnen
hoffte' . Dass dabei seine Genossen ihm besonders Unter-
stützung gewähren sollten, versteht sich von selbst. Und der
Boden war damals für Revolutionen in Sparta nicht ungünstig 2.
Aber mitten aus seinen Plänen raffte ihn der Tod weg. Seit
dem pelo])onnesischen Kriege nämlich hatten sich die ehema-
ligen Hundesgenossen Spartas auf dem Festlande, besonders
Theben, diesem sehr entfremdet, weil Spartas herrisches We-
sen sie verletzte und in ihrer Unabhängigkeit bedrohte. Im
Jahre 395 endlich brach die Unzufriedenheit, von Persien her
noch angeschürt, in offenen Krieg aus. In dieser drohenden
Gefahr wandte man sich wieder an Lysandros. Mit einem im
Norden von Boiotien geworbenen Heere sollte er in dieses Land
eindringen und bei Haliartos sich mit dem von Süden vor-
rückenden König Pausanias vereinigen, um so Theben zu iso-
liren und zu erdrücken. Mit grosser Thatigkeit führte er
seine Aufgabe aus, es galt ja die Behauptung von Spartas
Herrschaft über Griechenland , unternahm aber , da er den
Pausanias bei Haliartos nicht antraf, ganz gegen sein früheres
Kriegssystem in Ungeduld einen Sturm auf die Stadt. \'on
zwei Seiten angegriffen fiel er selbst und seine Leute wichen
mit ansehnlicliem \'erlust •' . Pausanias schloss bald darauf
einen Waffenstillstand und räumte Boiotien. — Spartas Macht
war in ihren Grundlagen erschüttert , der Tod des Lysandros,
dessen Politik man nach der Vereinigung Athens mit Theben
wieder volle Gerechtigkeit wiederfahren liess , machte tiefen
Eindruck in Sparta . und sein Ansehen war so gross , dass
I
'j Plut. Lysand. 26. Diese Geschichte beweist, wenn sie wahr ist,
dass Lysandros seinen Plan Jahre lang verfolgte. — Plut. Lys. 25. Com.
Nep. Lys. 4.
2; Den ganzen bereits sehr unterhöhlten inneren Zustand des damali-
gen Sparta stellt Sievers S. 23 ff. gut dar. vgl. C. F. Hermann antiquitat.
Laconic III. u. IV.
3) Das ungeduldige Angreifen des Lysandros hatte seinen Grund wohl
theils in dem persönlichen Grolle gegen Boiotien , das seit der Ueberwin-
dung Athens ihm überall in den Weg getreten war, theils in der Absicht
AlKIBIADES und LYSA^*DROS. 149
Pausanias , auf den Tod angeklagt , nicht wagte sich vor Ge-
richt zn stellen, sondern nach Tegea in \'erbannnng ging, wo
er sein Leben beschloss M . Im Hause des Ijysandros aber
fand man nach seinem Tode jene obenerwähnte Rede , die
seine Absichten enthüllte. Agesilaos wollte dieselbe den Spar-
tanern vorlegen, um das Andenken des mächtigen Mannes
dem Abscheu Preis zu geben. Aber der Ephore Lakratidas
war verständiger, er rieth dem Agesilaos den Lysandros nicht
aus dem Grabe zu erwecken , sondern die Rede mit ihm zu
bestatten , die so überzeugend und schlau abgefasst sei. Und
Agesilaos Hess von seinem thörichten Vorhaben ab ■^ .
Ein schönes Ende Avurde so dem Lysandros zu Theil , er
fiel für sein Vaterland , das er w^ ährend seines Lebens gross
gemacht hatte, das mit seinem Tode schweren Demüthigungeu
entgegenging. Tief wurde er betrauert und in den folgenden
Kämpfen vermisst. Aber dennoch macht die Betrachtung sei-
nes Lebens einen düsteren Eindruck , und sein Tod übt nicht
die versöhnende Kraft, wie der des Alkibiades ; denn noch
stehen grosse revolutionäre Pläne im Hintergrunde, und Avenn
er auch nirgends, wie jener, das Vaterland bekämpft hat, wenn
er sich vielmehr die grössten Verdienste um dasselbe erworben
die Stadt vor der Ankunft des Pausanias zu erobern , der in Folge
der Auffangung eines Boten durch die Thebaner nicht zur rechten Zeit
eintraf.
V) Der Eindruck den der Tod des Lysandros und die schmähliche
Kückkehr des Pausanias in Sparta machten, war ausserordentlich stark,
und wie sehr zu Gunsten des Lysandros erkennt man daraus , dass gegen
Pausanias wieder sein Benehmen bei der Herstellung der athenischen De-
mokratie, in Hinsicht auf welches er freigesprochen worden war, unter die
Klagepunkte aufgenommen wurde. Xenoph. Hell. III, 5, 25. Vgl. Plut.
Lys. ao. Pausan. III, 4, 5. Diod. XIV, 81. Den Nachrichten dieser
Schriftsteiler zufolge erscheint der König ziemlich unschuldig. Nach Plutarch
war ein Bote von den Thebanern aufgefangen worden und nach der Schlacht
bei Haliartos war die Stellung der Spartaner zwischen den an Zahl über-
legenen Thebanern und Athenern höchst bedenklich. Aber freilich stan-
den Spartas Heere zu Lande noch im Rufe der Unüberwindlichkeit und
der Abzug des Pausanias erschütterte den Kriegsruhm und damit die Macht
Spartas mehr, als irgend ein früheres Ereigniss. vgl. Sievers S. 6-5.
2) Plut. Lys. 30. der sich auf Ephoros bezieht. Apophth. Lacon. p.
212 c und 229 e.
150 Alkibiades irsD Lysandros.
hat, so ist doch sein besonnener, kalter Egoismus, der ihn
zwar vor leidenschaftlichen Schritten bewahrte, aber anch ohne
Sehen vor irgend einem Mittel das Ziel verfolgen liess, nicht
geeignet ihm die Liebe des Betrachters zu ge"v^-innen. Ich sage
die Liebe ; denn Interesse, ja Bewunderung werden wir einem
Mann nicht versagen können , der wie er . aus ungünstiger
Lage sich durch seine Tüchtigkeit zu solcher Höhe emporge-
schwungen hat, und wenn es genügte, dass man die Bestre-
bungen seiner Zeit begreife und sie zu beherrschen verstehe,
um ein grosser Mann genannt zu werden, so würde Lysandros
diesen Namen verdienen ; jedenfalls war er ein ungewöhnlicher,
gewaltiger Mann, und nichts ist verkehrter, als das Urtheil des
Nepos , oder wer immer es ausgesprochen : Lysander magnam
reliquit sui famam, magis felicitate quam virtute partam^ .
Sie beide . Alkibiades und Lysandros . sind ächte Kinder
ihrer Zeit ; nur Avenn wir das beachten , werden wir ein ge-
rechtes Urtheil über sie fällen. Der alte Glaube, die alte Sitte,
die alte Geltung der Gesetze waren in ganz Griechenland er-
schüttert und untergraben, hier offener und anerkannter, dort
unter dem Scheine alter Strenge nicht minder tief; laut wurde
der Egoismus, der ^ ortheil des Einzelnen als höchstes Gesetz
gepredigt, überall ist ein Drängen nach Macht, nach Reich-
thum und Ehre, viel Glänzendes und Grosses kommt dabei
zu Tage, aber das grösste fehlt, die feste ethische Grundlage,
die allem Uebrigen erst die höhere Weihe giebt, und die fehlt
auch bei allen ihren herrlichen Anlagen den beiden Koryphäen
der Zeit, sie fehlt ihnen in besonders hohem Grade. Bei
Alkibiades tritt das, ganz entsprechend dem mehr äusserlichen,
heitern Charakter seiner Vaterstadt, mit einer gewissen Naive-
tät hervor in einem kecken, leichtsinnigen, selbst liebenswürdi-
gen Uebennuthe, in einer unbändigen Genusssucht, treibt un-
stät ihn von Einem zxim Andern, reisst ihn hin frevelhaft die
Hand gegen die Vaterstadt zu erheben . und unterhöhlt ihm
den Boden zu heilsamem Wirken 2 ; bei Lysandros, dem Bür-
^ Cornel. Nep. Lys. 1.
^; In dieser Beziehung wird man fast unwillkürlich an den Koryphäen
der französischen Revolution, an Mirabeau , erinnert, der den sprechend-
sten Beleg dafür abgiebt, wie ausserordentlich hinderlich selbst dem genial-
Alkibiades ukd Lysaisdkos. 151
ger jenes in dorischer Weise mehr nach innen gerichteten
Sparta, das anch bei ganz verändertem Geiste streng bei den
alten Formen beharrte , äussert es sich in finsterem Hasse
gegen Alles, was ihm im Wege steht, in wohlberechnetera,
ruchlosem Missbraiiche dessen , was Andern für heilig galt ;
es lässt ihn unverrückt inid rücksichtslos das Ziel seines Ehr-
geizes verfolgen und als dazu die gesetzliche Ordnung nicht
mehr genügte, einen Umsturz der lykurgischen Verfassung vor-
bereiten.
So zeigt uns also auch die Geschichte dieser zwei merk-
würdigen, von der Natur herrlich ausgestatteten Männer, wie
wahre historische Grösse ohne eine höhere sittliche Weihe
nicht möglich ist; sie zeigt uns, wie Freistaaten, deren Bürger
und wenn sie die ersten waren , mehr sich als das AYohl des
gemeinen Wesens im Auge haben, ihrem Verderben zugeführt
werden.
Möge Gott vor ähnlichen Erfahrungen uns gnädig be-
wahren !
sten Staatsmanne bei den besten Absichten der »schlimme Ruf einer wüsten
Jugend« und der »Mangel einer völlig reinen Lebenslage« ist. Zu einer
völlig reinen Lebenslage konnte auch Alkibiades es nie bringen, vgl.
Dahlmann Geschichte der französischen Revolution S. 245, 322 und beson-
ders die schöne Würdigung des grossen Mannes S. 325, 326.
]52
Alkibiades und Lysandros.
Stammtafel des Alkibiades von väterlicher und
mütterlicher Seite.
Alkibiades 6 Tta/onoc
Deinomache-- ^Kleinias
Axiochos
Alkibiades Kleinias Kleinias
I der in Piatons Euthydem
Alkibiades vorkommt als aör-yvc-i^ioi
der jüngere. toO vöv ovto; 'AX-/.ip'.c>.^>o'j.
11.
Alkmaion
I
Megakles
vermählt mit Agariste aus Sikyon
Kleisthenes
der Gesetzgeber
Hippokrates
Megakles
Deinomache
vermählt mit Kleinias
Alkibiades.
Megakles
Agariste
verm. mit Xan-
thippos
,1
Ariphron Perikles Euryptolemos
der ältere.
DIE OLIGARCHISCHE PARTEI UND DIE HETAIRIEN
IN ATHEN
von Kleislheiies bis ans Ende des peloponnesischen Krieges. ')
[Eine academische Gelegenheitsschrift. B"sel. Schweighauser . 1836.]
Von Anfang an haben die Hellenen in ihrer Staatsent-
wicklung, wenn auch unbewusst, den Gnnidsatz befolgt, den
Aristoteles mit klaren Worten ausgesprochen hat, dass der
einzelne Mensch nvir als ein Theil des Staates zu betrachten
sei, dass er nur durch ihn und in ihm seine Existenz haben
könne. 2] Es gebührt demnach dem Staate oder seinem aus-
gesprochenen ^Villen, dem Gesetze, der unbedingteste Gehorsam
von Seite der Bürger; ihr Wille geht in dem der Gesammt-
heit auf. Die Idee eines solchen Staates ist ihrer Verwirk-
lichung nahe gebracht worden in Sparta, avo das Gesetz
das Leben des Einzelnen bis in seine kleinsten Verzweigungen
regelte und bestimmte und der persönliche Wille vor dem
allgemeinen durchaus verschwand. Jede Handlung des Spar-
tiaten der alten Zeit, jede löbliche That war nicht sowohl ein
Ergebniss der Tugend des einzelnen Bürgers, als vielmehr des
Gesetzes. Von diesem Standpunkte aus fassten die Zeit-
1) [vergl. jetzt auch: Büttner: Geschichte der politischen Hetärien in
Athen. Leipzig 1840. Diese Abhandlung hat viel Gutes, verliert aber zu-
viel Mühe damit, nach Hegel' scher Art zu zeigen, dass die Hetairien etwas
nothwendiges gewesen seien. G. Wattenbach: de quadringentoriim Athenis
foctione. Berlin 1842. G. R. Sievers: comuientationes historicae de Xeno-
phontis Helletdcis. pars prior. Quaestiones de libr. I et II. Berlin. Reimer.
1833. J. J. Rospatt: Die politischen Parteien Griechenlands, ihre Stellung
und Einwirkung auf die Angelegenheiten des Landes bis zum Untergange
durch die Makedonier.]
2) Aristot. Polit. I, 2 pg. 3, 31 ff. Bekker vergl. Hermann Lehrbuch
der griech. Staatsalterthümer §. 51 folg.
1 54 1)I^; 0].IGARCU ISCHE PaRTEI UND DDE HeTAIRIEN IN AthEN.
genossen seihst den Heldentod des Leonidas und seiner Schaar
anfij, wie es in der ihnen gesetzten Inschrift so schön und
einfach ausgedrückt ist.
Diese Ansicht vermochte sich aber nur so lange zu halten
als überhaupt die alte Sitte und der alte Glaube feststanden ;
denn frühe schon trat mit ihr in feindliche Berührung das
Bestreben des Individuums sich Geltung und Ansehen zu ver-
schaifen, ein Streben Avelches bei dem hellenischen Volke un-
gewöhnlich stark war, und sich in den allgemeinen Staaten-
verhältnissen Avie in den einzelnen Gemeinwesen überall
äusserte. - Es liegt in demselben einerseits der Grund der
unendlich reichen Lebensfülle jenes A'olks , während es an-
derseits jeder dauernden Vereinigung der verschiedenen Staaten
entgegentrat, und die Quelle der Eifersucht ward, welche die
Hellenen ihre edelsten Kräfte in wechselseitigem Kampfe ver-
zehren Hess; denn so wie einmal das alte Herkommen gebro-
chen war, Avollte jede Stadt herrschen, wenigstens keine Ober-
hoheit einer mächtigeren anerkennen , und diesem Z^vecke
wurde selbst das Heil des Gesammtvaterlandes nachgestellt.
Darum scheuten sich die ersten Staaten schon vor den Perser-
kriegen nicht ^;, den Beistand Persiens zu suchen, und mit
welcher Schamlosigkeit später die Lakedaimonier die Freiheit
der Hellenen an die Barbaren verkauften bedarf keiner Erwäh-
nung. ^; Dieselbe Erscheinung im einzelnen Staate. Jeder
J^ürger will seine Persönlichkeit geltend machen; wo es nicht
aiif gesetzlichem Wege möglich ist. wird der ungesetzliche
nicht verschmäht. Das Princip , dass der Einzelne nur im
Staat seine Existenz habe, wird zwar beibehalten, aber umge-
kehrt; denn anstatt dass der einzelne Wille sich dem allge-
meinen unterordnet, in ihm verschwindet, soll jetzt der Staat
') cf. Herodot. VII, 228. — Darin liegt eben der grosse Unterschied
der Helden von Thermopylai und derer von St. Jacob, erstere fielen, weil
sie dem Befehle des Staates durchaus nachkommen wollten , letztere weil
sie die Weisungen ihrer Oberen verletzten.
2) Vergl. Krüger Comment. Crit. et Histor. hinter Dionys. Hai. Histor.
p. 362 Anm. 1.
3) Herod. V, 73.
*) Ausser dem antalkidischen Frieden sind besonders bemerkenf^werth
die im peloponnesischen Kriege geschlossenen Verträge. Thucyd. \1II,
18. 37. 58.
Die oligarchische Partei ukd die Hetairien in x\then. 155
das Werkzeug sein, dem einzelnen AVillen Geltung nnd Macht
zu verschaffen; war nach jener ursprünglichen Ansicht die
Gesammtheit Zweck, so wird sie jetzt Mittel. Nur im Staate
kann der Hellene Ansehen gewinnen, darum liebt er ihn auch
noch wo er ihm bloss Mittel für seine ehrgeizigen Zwecke ist,
er ist grosser Aufopferung dafür fähig, die Verbannung ist ihm
eine furchtbare Strafe; aber höher als der Staat, steht ihm
seine Macht im Staate , dieser opfert er in Ermangelung an-
derer Wege den Staat selber auf. ^; Diese Richtung brachte
eine Menge von Parteikämpfen hervor, welche alle griechischen
Freistaaten mit mehr oder weniger Unterbrechung aufzuweisen
haben; denn so wie ein Theil der Bürgerschaft zum Bewusst-
sein kam zurückgesetzt zu sein, oder auch nur sich zurück-
gesetzt glaubte, erhob sie sich gegen den bestehenden Zustand
mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln. So stand gegen
die althergebrachte Aristokratie , als sie zur Oligarchie ward,
das heisst, ihr Wohl an die Stelle des Gesammtwohls setzte,
der Demos auf; und aus diesem Kampfe gingen zuerst die
Tyrannen hervor, die man als die höchste Spitze der in-
dividuellen Geltung betrachten kann. Hier hat der Wille eines
Einzelnen die Stelle des Gesetzes eingenommen, darum be-
kämpft sie eben Sparta überall und stürzt sie. ^j Verschiedene
Verfassungen folgen in den verschiedenen Staaten, je nach
dem Uebergewichte der einen oder andern Partei. Meist ent-
steht, wenigstens auf einige Zeit, Demokratie. In wenigen
Staaten aber finden sich alle mit der neuen Ordnung zufrieden,
mancher fühlte sich auch abgesehen von der Verfassung nicht
hinlänglich geehrt, andere bevorzugt. Dies Gefühl der Zu-
rücksetzung wurde besonders in demokratischen Staaten bei
vielen den ehemaligen oligarchischen Geschlechtern angehö-
rigen Männern rege; während es den einen gelang als Volks-
führer zu Macht und Ehre zu gelangen, sahen die andern täg-
lich ihr altes Ansehen dahinschwinden. Emporkömmlinge höher
steigen. Solche Unzufriedene vereinigten sich nun mit Gleich-
gesinnten zu engeren Genossenschaften, (sTaipsia, sratpia^)
1) cf. Thucyd. VIII, 91.
2j Thucyd. I, 18. Hermann Lehrb. d. g. St. §. '.VI. Müller die Dorier
I, S. 160. II, S. 73.
3) Beide Formen scheinen im Gebrauch gewesen zu sein , die Behaup-
156 UlE OLIGARCHISCIiE I'aRI'EI UND DIE HeTAIRIEN IN AthKN.
auv«>[i.oaia) sich mit Rath und That im politischen Leben zu
unterstützen, und auch Männer, die nicht mit dem politischen
Zustande unzufrieden -waren . aber sich persönlich geltend zu
machen strebten, folgten oft ihrem Beispiele. Diese Genossen-
schaften finden sich über alle griechischen Staaten verbreitet,
obwohl in verschiedenen Formen. Meist haben sie oligarchische
Tendenz , Aviewohl das nicht absolut nothwendig ist ; denn
auch die Demokraten können sich in Hetairien verbünden und
haben es gethan ; und der gemeinsame ( 'harakterzug ist nur
den Genossen Macht und Ehre zu verschaffen. Die schönste
Erscheinung einer solchen politischen "Verbrüderung, welche
die Macht mehrerer Staaten in ihre Hände brachte, bildet der
pythagoreische Bi;nd. ^) Allein das zum blinden Gehorsam
unter die Aristokraten bestimmte ^ olk machte diesem Ver-
tung, dass i-iir/rx die Freundschaft, etaipeia die Genossenschaft im politi-
schen Sinne bedeute, wie sie unter andern Bremi zu Isocrat. exe. I auf-
stellt, scheint mir schon darum unbegründet, weil i-ratpo; sehr oft in poli-
tischem Sinne vorkommt, z. B. Thuc. VIII, 65. Die Stellen, welche von
der Bedeutung des "Wortes handeln, sehe man bei Krüger 1. c. p. 363.
Auch Schneider zu Plat. Civit. p. 365 d. anerkennt, wie ich sehe, die Form
ixairAn. in der politischen Bedeutung. [eTvipia erscheint als allgemeiner
Name für jede Art von Genossenschaft. Gaius in Dig. XL VII, 22, 4.
Sodales sunt qui eiusdem colleffü sunt, quam Graeci ETaipiotv vocant. Schoe-
mann Antiqu. p. lÜJ, 8. 350, 3. Herod. V, 71. K'j>.uiv) TTposzoiTjodij-evo;
£TaipT,tr|V TdJv ■t[/.iv.H)ni(o'^ xaTaXaßjiv tt,v dv.pör.o'/.Vi iT.z<.r/rf%T^. Plato Rep. IV,
pg. 443 a. O'j'/ojv -/.al iepo3j"/.tü)v y.ctt xXo-tt»-^ -/.ai -pooosiöjv tj ioia eraiptuv tj
OY)|i.oaia -oXscuv sxto; av o-jto; eirj ; Dio Chrys. orat. XXXII §. "0 pg. 440
ed. Emper. erwähnt in Alexandrien : 2£t[ji7piaT0t xai xotaüi^' sxEpa i-zaioeitb'j
6v6[jLaTa {^TaipiJjv M.) idem. orat. XXXVIII, §. 30. pg. 548 ri fäp tttJ Nixasojv
EToitpeia TcpooTide-ai. idem. or. XLV, §. 8. pg. 589 xa&' etaipeia; TroXiTc-jeaS^a'
(exaipias M.) id. orat. L, §. 3. pg. 620 oTt [j.tjt£ eTaioeia (Etatpia m.) -tvl
■jreTrotBd); . . , ebepyofxai. In der ersten Ausgabe des Ajas zu v. 682
S. 322 sagt Lobeck : es sei sxaipei'/ und eTctipia so gleich gebraucht,
ut omnis intemoscfndi nota sublata sit , in der zweiten Ausgabe S. 256:
nee jj«<o accttrafe deßniri posse, lihruriine peccaverint an scriptores ipsi
äiscrimina a j'j/erisg'?<e servafa interdmn neglexerint. L. Lange : de Ephe-
tarum Atheniensium nomine commentatio Lips. 1ST3 leitet pg. 22, 23
ETodpta und STatpeta von eTocTpo; = ett^; im Sinne von Stammgenossen ab
';md ändert in der Stelle Herodot V, 71 r).<.-/.\i»-ii}yt in stwv oder cuveTtuv.]
') Herrn. Lehrb. d. griech. Staatsalt. §. 9o. — Bernhardus Krische
de societatis a Pythagora in urbe Crotoniatarum conditae scopo politico
commentatio. Gott. 1831. [Gut spricht darüber Grote bist, of Gr. III,
p. 346 ff.]
Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen. | 57
suche, ein philosophisches Ideal zu realisiren, ein furchtbares,
blutiges Ende.
Besondere l^edeutung erhielten aber die Genossenschaften
oder Hetairien in den griechischen .Staaten, als die Demokratie
und Oligarchie im peloponnesischen Kriege den offenen Kampf
gegen einander bestanden. Sie wurden besonders von der
höchsten Wichtigkeit für das Schicksal Athens, welches ohne
Würdigung derselben nicht verstanden Averden kann ; denn
wiewohl auch von den Demokraten nicht ganz verschmäht,
wurden sie hier das Werkzeug, dessen sich die oligarchische
Faktion bediente, um die Demokratie zu stürzen. Die Um-
triebe der Oligarchen und die Genossenschaften
Athens von Kleisthenes bis zum Schlüsse des pe-
loponnesischen Krieges mögen daher hier eine kurze
Darstellung finden.
Die Verfassung, durch welche Solon den athenischen
Staat zu fester Ordnung zti bringen versucht hatte, und worin
sämmtliche Classen, doch nach Verhältniss ihrer Vermögens-
leistungen , Theil an der Regierung erhielten , hatte die Par-
teien nicht zu zügeln vermocht; denn wahrend die früher Be-
vorrechteten sich dadurch beeinträchtigt glaubten, meinten die
untern Classen noch zu wenig Rechte erhalten zu haben ; Pe-
dieer, Paralier und Diakrier befeindeten sich nach wie vor,
und bereiteten dem schlauen Peisistratos den Weg zur Ty-
rannis (560 v. Chr.], welche er mit weiser Mässigung führte,
und auf seinen Sohn Hippias vererbte. Diesen stürzte im
Jahr 5 1 0 nicht das tollkühne NVagniss des Harmodios und
Aristogeiton, die durch persönliche Beleidigung gereizt waren,
sondern die Thätigkeit der damals noch aristokratischen Alk-
maioniden und die Macht Spartas. ^] Kaum war die Tyrannis
vernichtet, als sich verschiedene Parteihäupter die höchste Ge-
walt streitig machten, Isagoras stand an der Spitze einer
oligarchischen Faktion; Kleisthenes hingegen, dem be-
rühmten Geschlechte der Alkmaioniden entsprossen, und erst
durch Isagoras Uebergewicht den Oligarchen entfremdet, er-
kannte , dass Athens Bestimmung die Demokratie , und blei-
bendes Ansehen und Macht nur durch diese und in dieser zu
1) Thucyd. VI, 54—59. Herod. V, 62 folg.
j 58 Die oligarchische Partei und die Hetairien ix Athen.
gewinnen sei. Er hob danim mehrere Beschränkungen der
solonischen Verfassung auf, und vernichtete besonders diu'ch
Errichtung von 1 0 Phylen anstatt der ehemaligen 4 , die Er-
innerung an die alten Verhältnisse. Nun wandte sich Isagoras
an Sparta, damit es, wie früher die Tyrannis, so jetzt die De-
mokratie stürze; und gab somit der oligarchischen Partei ein
Beispiel, welches dieselbe unverrückt befolgt hat, bis sie end-
lich durch Lysandros das Ziel erreichte. Isagoras verfehlte
aber seine Absicht ; denn Kleomenes besetzte zwar Athen und
vertrieb nebst Kleisthenes 700 Familien, welche jener angab.
Als er aber den Rath aufheben und alle Gewalt dem Isagoras
und 300 Männern seiner Partei übergeben wollte , da erhob
sich die Bürgerschaft. Die Spartiaten wurden zum Abzug ge-
zwungen, die Athener aber , welche sich mit ihnen verbündet
hatten, hingerichtet. Kleisthenes kehrte zurück ^ ; die Demo-
kratie war jetzt fest und entschieden begründet, die Oligarchie
nicht nur im Principe sondern auch in ihren Häuptern ver-
nichtet . und zugleich ihr altes Ansehen gebrochen . weil sie
eigener Herrschsucht das Wohl des Staates aufgeopfert hatte.
Zugleich hatte iVthen das Gefühl seiner eigenen Kraft gegen-
über Lakedaiinon gewonnen und tritt fortan selbstständig neben
demselben auf. — Rasch und fest entwickelt es sich darum
nach innen und aussen. Der Ostrakismos setzt dem Besti"eben
des Einzelnen, sich über den Staat zu erheben, ein Ziel; die
Einführung des Looses zur Besetzung der meisten Aemter
spricht den Grundsatz aus, dass für diejenigen Stellen, die
nicht besonderer Geschicklichkeiten bedürfen, alle Bürger gleich
tüchtig seien ^ . die glücklichen Kriege mit Boiotien , Euboia,
Aigina wecken und kräftigen den kriegerischen Sinn.
In diesen Parteikämpfen des Kleisthenes und Isagoras
finden wir nun schon die Elemente der attischen Geschichte
bis zum Ende des peloponnesischen Krieges. Auf der einen
Seite die Masse des Volks, schon verschmolzen mit manchen
adeligen Geschlechtern, und geleitet von Männern aus diesen.
1; Ueber diese Unruhen, die -n-eiter zu entwickeln nicht hieher gehört,
vergl. Herodot. V, 06. 6S folg. VI, 131. Hermann Lehrb. d. gr. Staats-
alt. §. 111.
2) Ueber diesen Grundsatz der griechischen Demokratie vergleiche man
besonders Aristot. Polit. VI, 9 pg. 160, 24 ff. Bekker..
Die oligarchische Partei und die Hetairiex in Athen. J 59
Sein Streben, auf wirkliche Tüchtigkeit begründet, ist jeder
Bevorrechtung ein Ende zu machen , jedem Einzehien , nicht
nur in den gewöhnUchen bürgerlichen , sondern auch in den
politischen ^Verhältnissen , das gleiche Recht einzuräumen,
Athens Macht zu erweitern und mit Sparta zu wetteifern. Auf
der andern Seite stehen die Ueberbleibsel der alten, einst ehr-
würdigen Aristokratie , durch Zerrissenheit geschwächt , aber
noch als offene Partei (araaic , arajicLrai; . Sie stemmen sich
mit aller Macht der demokratischen Entwicklung entgegen,
durch welche sie den alten Einfluss zu verlieren fürchten ; da
eigene Kraft nicht mehr zum Ziele ^ührt, wenden sie sich an
die damaligen Hegemonen von Hellas , an die Schirmherren
aller Aristokratien, die Spartiaten, beschleunigen aber dadurch
nur den Untergang ihrer Macht. Hat auch das Anrufen spar-
tanischer Hülfe damals noch nicht das Gehässige wie später,
weil Sparta noch im unbestrittenen Besitz der Hegemonie war,
und so sich in die Verhältnisse der meisten Staaten einmischte,
so bezeichnet es dennoch schon die Richtung, welche hinfort
die Oligarchen nahmen. Ihr Streben ist die eigene Herrschaft
herzustellen, die Demokratie zu hemmen, zu stürzen, wo eigene
Kräfte nicht genügen, mit Hülfe der Feinde. Und da das
nicht mehr offen wie unter Isagoras geschehen konnte, so
nahmen diejenigen, welche sich durchaus nicht mit der neuen
Ordnung versöhnen konnten, ihre Zuflucht zu geheimen Ver-
bindungen und Umtrieben, welche Anfangs ohne feste Orga-
nisation, am Ende des peloponnesischen Krieges nach einem
zusammenhängenden Plane Athen und die Bundesstädte um-
garnten \ind in der Herrschaft der Dreissig ihren kurzen aber
blutigen Triumph feierten. Dadurch erhält ihr ganzes Wesen
den Charakter des \'olksfeindlichen und ^'errätherischen. Doch
gilt das nicht von allen Einzelnen, welche den alten Ge-
schlechtern angehörten. Vielmehr finden wir, dass die edleren
unter diesen, und zwar in grosser Zahl, sich bald gänzlich
der Demokratie anschliessen , bald eine ehrliche und offene
Opposition bilden , welche nicht dahin zielte , die Oligarchie
herzustellen, sondern bloss dem übermässigen Ueberhandneh-
men des demokratischen Princips einen Damm entgegen zu
stellen. Charakteristisch ist aber selbst für diese Männer ein
Hinneigen zu Sparta, welches ihrem Ansehen sehr oft scha-
lÜO l^IE ÖLIG ARCHISCHE PaRTEI UND DIE HeTAIRIEX IN AthEN.
dete. Einfliissreich und angesehen bis zur Zeit der Allgewalt
des Perikles , wird dieser ehrenwertlie Theil der alten Aristo-
kratie im peloponnesisclien Kriege erst ohnmächtig und ver-
schwindet bald ganz. Denn der auf Leben und Tod zwischen
dem Volk und jener im Geheimen arbeitenden oligarchischen
Faktion, zwischen der Demokratie und den oligarchischen Hetai-
rien geführte Kampf erlaubte keine Stellung in der Mitte mehr.
Durch die Aorhergehenden K'dm])fe gestählt trat nun Athen
mit einer Entschlossenheit und einer Aufopferung in den
Perserkrieg, Avelchen Hellas die Rettung und es selbst seine
Grösse verdankte. Mit Recht l)licken die Xachkominen mit
höchster Bewundening auf jene Kämpfer bei Marathon, die
beinahe Halbgöttern gleich geachtet wurden. \
Eine gleiche Gesinnung, dasselbe Streben, Alles für das
Vaterland aufzuopfern, beseelte jetzt Alle; neben Miltiades
ficht Themistokles, Aristeides vergisst seinen Hader mit diesem
und der aristokratische Kimon geht mit dem edlen Beispiele,
auf Themistokles Rath die Stadt zu verlassen ^i, voran. Es
ist jene Zeit, von der Isokrates sagt^ : »Sie liebten so sehr
den Staat, dass sie selbst Parteizwiste nicht darum erhoben,
welche von beiden die Gegner verderben und über die Uebiigen
herrschen sollten, sondern welche der Stadt mehr Gutes er-
weisen könnten, und die A ereine stifteten sie nicht zum eige-
nen Nutzen, sondern zum Besten des Volks.« Bei solchem
Sinne Aller, und geleitet von solchen Männern, vermochten
die Athener bei Marathon allein die Feinde zu schlagen, in
Verbindung mit den übrigen dem \'aterlande getreuen Helle-
nen, die Siege von Salamis und Plataia zu eningen, und bald
darauf die Herrschaft der Perser in Vorderasien zu erschüttern.
Und leicht erklärt es sich , dass unter solchen Umständen
Aristeides selbst allen Athenern den Weg zum Archontat
eröffnen konnte. *]
1) Isoer. Paneg. §. 82 squ. Aristoph. Wolken 985 u. a. a. O. dW'
O'jv TctÜT £3tIv i-it£tvct i^ (wv cxvCipa; Mapai}cuvo|i.a/(x; f/ [if^ raioeuat? IftpeJ/ev.
2j Plut. Cimon. c. 5.
3) Paneg. §.79.
*) Plutarch. Arist. 22. Ueber die verschiedenen Ansichten hinsichtlich
dieser Massregel vgl. Hermann Lehrbuch der griech. Staatsalterth. § 112.
Anm. S.
Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen . 161
Doch selbst in diesen Zeiten, wo mehr als je Athen den
Satz verwirklichte, dass der Einzelne nur für die Gesammt-
heit dastehe, finden sich Spuren besonderer Verbindungen ver-
schiedener Art. Die Worte des Isokrates an der angeführten
Stelle': tragen zwar zu sehr das Gepräge einer rhetorischen
Wendung und sind zu unbestimmt, als dass man daraus allein
auf das wirkMche Dasein von Hetairien schliessen dürfte. Be-
stimmter aber ist schon die Nachricht Plutarchs^), dass The-
mistokles einer Hetairie nicht wenig von seiner Macht ver-
dankte; der Charakter dieses Mannes, so wie seine ganze po-
litische Laufbahn , giebt derselben sehr viel Wahrscheinlich-
keit; nähere Angaben darüber fehlen uns ganz, docli lässt sich
mit einigem Grunde annehmen, dass Epikrates von Acharnai^),
welcher später die Familie des Themistokles zu diesem nach
Epeiros führte, und dafür auf Kimons Anklage mit dem Tode
bestraft wiirde, dazu gehörte. Der Zweck dieser Verbindung
Avar aber durchaus nur die Macht des Themistokles, und in-
sofern diese auf Athens Grösse und Freiheit beruhte , un-
tadelhaft.
Hingegen stossen wir im entscheidendsten Momente des
Perserkrieges , unmittelbar vor der Schlacht bei Plataia , auf
eine ■v\'irkliche Verschwörung. Mehrere Männer nämlich aus
angesehenen und ehedem reichen Geschlechtern, welche durch
den Krieg arm geworden waren, und mit ihrem Keichthume
auch ihre Macht in der Stadt dahinschwinden sahen, während
andere geehrt und zu Aemtern erhoben wurden, versammelten
sich heimlich in dem Hause eines Plataiers , und verbanden
sich eidhch die Demokratie zu stürzen, nöthigenfalls selbst
durch Verrath der Vaterstadt an die Perser. Aber als sie schon
1) Panegyr. §. "9 : v.ai ~az sTct'.peia; vj^tff[<j't o'jy ürsp töjv tota cjacp epov-
-j Plutarch. Arist. 2 : ö [aev o'jv 0£u.t3TO-/.).-/i; £i; £-atp£iav £[Ji.ßaA(uv
ea'jTÖv, z\/z -poßXrjji.ct -/ai o'jva[jiiv o'jvc £-j7,aTacpp6vr,tov , woie y.ai r.ohz töv
etzovTa TtaXü); cxvtöv ap?£tv 'A9r|'/a[u)v ä'vrep i'c;&; t) v.al y.otvo; o.~azi.. Mr,0£T:oT£
£i:r£N eii; toijtov i-^ia 7,a&iaai[j.i tov ftpovov, dv tu rXio^i O'josv e;0'j3i oi cpiAo'.
zap' l[xot Ttt»v ÄÄXoTpitov. Darauf gründet sich wohl was mein verehrter
Lehrer Herr Prof. Kortüm in der Inauguralrede : die Stellung des Thuky-
dides zu den Parteien Griechenlands. Bern 1833. p. 11 über die Stiftung
der Vereine durch Themistokles sagt.
3) Plutarch. Them. 24.
Vis eher, Schriften I. 11
162 Die ölig archische Partei und die Hetairien in Athen.
zahlreiche Anhänger gewonnen, vereitelte die Weisheit des
Aristeides das Beginnen. Sobald er nämlich Kunde davon
bekam, liess er nur acht A'erschworne verhaften und stellte
sich als ob er von den Uebrigen nichts wisse. Den beiden
schuldigsten, Aischines von Lamptrai und Agesias aus Achar-
nai , gelang es zu entkommen , die andern sechs setzte der
Feldherr wieder in Freiheit, indem er sie auf die Schlacht
hinwies, als die schönste Gelegenheit das Vergehen zu sühnen.
So blieb dieses frevelhafte Unternehmen ohne Erfolg ^) .
Nach der Wiederherstellung Athens nahm gleichzeitig mit
der Gründung der Seeherrschaft und der steigenden Spannung
gegen Sparta, der demokratische Geist immer mehr überhand.
Diesem widersetzte sich eine aristokratische Partei, an deren
Spitze Kimon, der Sohn des Miltiades, stand, und zwar
scheint nicht bezweifelt werden zu dürfen, dass dieselbe nicht
blos der Erweiterung der Demokratie entgegen arbeitete, son-
dern auch die frühere Verfassung, wenigstens wie sie durch
Kleisthenes geordnet worden war, herzustellen trachtete 2^.
Eigenthümlich und ehrenwerth ist bei dieser Partei, die wahr-
scheinlich in einer Hetairie des Kimon ihren Mittelpunkt
hatte 3) , das Bestreben, durch Fortsetzung des Perserkriegs den
beweglichen Sinn des attischen Volks nach Aussen zu leiten ;
aber damit war ein übertriebenes Hinneigen zu Sparta ver-
bunden. Anfangs neigte sich das Glück auf ihre Seite ; denn
durch Spartas Hass unterstützt, gelang es ihr, den Themisto-
kles zu stürzen '') , und Kimons Stellung an der Spitze des
1) Plutarch. Arist. 13. Wahr.scheinlich hatte das nahe Beispiel von
Theben, wo die Oligarchie sich an die Perser anschloss, auf diese Athener
gewirkt. Vergl. ausser Herodot VI, 86—88 Thucyd. III, 62. Dass Hero-
dot der Verschwörung nicht erwähnt , erklärt sich vielleicht daraus , dass
die ganze Sache sehr lange geheim blieb.
'-) Demosth. c. Aristocr. p. 688 : v.al KtfAU)',/a, ÖTt tt^v Tra-ptiv p-e-i'/Ä-^r^'^t
roXixefav £cp' sauioj Ttapa xpEic [as-j d-'f^aa^ 'hr^'fO'jc,, t6 (atj ftavano C^p-twoat,
■7T£VTT]"/CovTa 0£ TaXct^Ta siclrpalav, — das ist wohl auf den Prozess nach der
Rückkehr von Thasos zu beziehen. — Man vergl. Plutarch. Cim. 15. Demo-
sthenes verwechselt Kimon und Miltiades. vgl. jetzt Schriften I S. 35 A. 1 .
3) [cpiXot oder sxaipoi des Kimon werden oft genannt, namentlich in der
Schlacht bei Tanagra und da besonders Euthippos der Anaphlystier. cfr.
Plut. Cimon 17. Pericles 10. vgl. Schriften I S. 47.]
*) Ueber Themistokles Sturz vergl. Thucyd. I, 135 folg. Kimons Theil-
Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen. 163
Staates schien durch den herrlichen Sieg am Eurymedon 469)
befestigt. Allein sein zweideutiges Benehmen gegen Makedo-
nien (463?)^/, brachte ihn bald darauf vor Gericht 2], und wie-
wohl er freigesprochen ^^•urde, wurde sein Ansehen doch sehr
dadurch erschüttert, besonders da er, nicht vorsichtiger ge-
macht, der Demokratie immer entschiedener entgegentrat. Als
er daher nach dem Abfalle der messenischen Heloten von
Sparta das Volk dazu bewog, ihn mit einem Heere den Lake-
daimoniern zu Hülfe zu senden, bald aber dasselbe durch die
schnöde Behandlung, die es vor Ithome erfuhr, erbittert zu-
rückführen musste 461 , war sein Sturz entschieden 3; , den
überdies ein mächtiger, ihm an Geist überlegener Widersacher
beschleunigte .
Perikles nämlich, der Sohn des Xanthippos, welcher
zuerst in dem Prozess wegen Einverständnisses mit Makedo-
nien gegen Kimon aufgetreten war, hatte dessen Abwesenheit
im Peloponnese benutzt, seine eigene Macht fester zu begrün-
den, so dass jener, kaum zurückgekehrt, als lakonisch und
dem Volke feindlich gesinnt, durch den Ostrakismos aus]Athen
entfernt wurde * . Fast gleichzeitig gelang es Perikles . den
politischen Einfluss des Areiopagos , die letzte verfassungs-
mässige Stütze der Aristokratie, zu vernichten ^j , wobei er je-
doch nicht selber hervortrat, sondern seinen Freund Ephialtes,
den Sohn des Sophonides . den Antrag stellen Hess , einen
durchaus edeln unbescholtenen Mann, der aber durch seine
demokratische Gesinnung den unversöhnlichen Groll der Gegner
auf sich lud. — In dem Verhältnisse des Perikles zu diesem
Ephialtes. zu D e m o n i d e s von O i e 6' und andern Männern,
nähme geht besonders aus der unedeln Verfolgung des Epikrates hervor.
Vergl. oben p. 25 u. 161. Plut. Them. 24.
1) [46.3, da es nach der Eroberung von Thasos geschah.]
2) Plut. Cim. 14. Pericl. 10.
3) [Nach Krüger 464.] Thucyd. I, 102. Plut. Cim. 16. 17.
4;, Plut. Pericl. 9. Cim. 17. "
°, Vergl. besonders Forchhammer de Areopago non privato per Ephialtem
homicidii iudicüs contra Boeckhium disputatio Kil. 1S28. Ariatot. Polit.
II, 12 pg. .56, 20 Bekker.
6) [cf. Sintenis zu Plutarch Pericl. 9 vielleicht war dieser Demonides
derselbe mit dem Damonides , den Steph. Byz. s. v. "Oa anführt Adji-wv
A-/[xa)vioo'j "LIoii)£v. Üebrigens ist Ija zu unterscheiden von OtiTj oder Ov] ;
11*
164 Die oligarchische Partei uxd die Hetairiex in Athen.
und in seiner Gewohnheit, selten selber aufzutreten, sondern
durch vertraute Freunde seine Pläne vor das Volk zu bringen M,
lässt sich eine Hetairie nicht verkennen , Avelche er aber nur
so lange gebraucht zu haben scheint, bis er die entgegen-
stehenden aristokratischen Hetairien des Kimon und Thuky-
dides gebrochen hatte ^ . Sie trägt aber wie die gleich zu er-
wähnende des Thukydides und die des Themistokles einen ge-
setzlichen Charakter, soweit er bei solchen YerT)indungen
überhaupt möglich ist.
Die OHgarchen hingegen, durch Kimons Verbannung eines
Führers beraubt und unfähig, Perikles offen entgegenzuwirken,
suchten jetzt im Geheimen durch Verbmdung mit Sparta die
Verfassung zu stürzen. Genauere Nachrichten fehlen uns lei-
der über die nächsten Ereignisse, und die Erzählungen des
Thukydides und Plutarch , der hier wohl aus guter Quelle
schöpfte, sind auf den ersten Blick scheinbar in Widerspruch.
Bald nach der Entfernung des Kimon nahmen nämlich die
Athener offen eine feindselige Stellung gegen Sparta. Im Jahr
458 brach ein Krieg mit einigen lakedaimonischen Bundesgenos-
sen, den Aigineten, Epidauriem und Korinthern aus, in welchem
die Athener zur See und zu Lande unter Leokrates und My-
ronides siegreich waren. Während desselben, 457, zogen die
Spartiaten mit einem Heere von 11500 HopHten den Doriem
in der Tetrapolis zu Hülfe gegen die Phokier, welche densel-
ben eine Ortschaft entrissen hatten. Nachdem sie aber diese
genöthigt hatten die Erobenmg ^^•ieder herauszugeben, verweil-
ten sie längere Zeit in Boiotien, weil ihnen weder der Rück-
weg: über den Isthmos noch der über den krisaiischen Meer-
ersteres gehört zur Phyle Pandionis , letzteres zur Oineis , und Demonides
heisst von Oie. O'iVj&ev.]
ij Plut. Pericl. 1 : b ok -Aal -oü OT,fiO'j t6 a'jveyi; cie'jyojv v.ai tov v.öpov,
olov iy. oia/.£(ji.ii.äT(uv s-X-rjaia^ev, oüx iril -rf^zi -pd'(\j.'x-i XsYtuv, o'jo dzi -ao'.duv
ei; TÖ -Xfjöoi;, düX' ioLu-ö^, iua-ep ttjv 2aXa[Atviav xpiTjOT], cpr^si Kp'-'jXao;, -ooj
Ta; it.S'(aKai xpeta; £7:t8too'j;, xäXXa 0£ cctXous v.ai pTjtopa; etatpou; [Geel:
STEpo'Jc] •/.a9'.£i; erpa-TsV wv eva cpaol Y^^'^a&ai 'E'ftä/-T,v. Vergl. c. 9.
[Ueber die Hetairie des Perikles vgl. man noch Plut. Pericl. 16 : ol x(u[jir/ot
Iltizii-pa'io'xz ix£v veo'ji; to'j? -ept aüiöv £-a(po'j; -AaXoüvTE;. Plut. praec. reip.
ger. 15. pg. 991 Dübner. Pyrilampes wird iraipo; vom Perikles genannt, ob-
gleich es weniger im politischen Sinne gemeint scheint. Plut. Pericl. c. 13.]
2) ^Diess ist irrig.]
Die ölig archische Partei und die Hetairibn in Athen. 165
busen sicher schien ; denn die Athener beherrschten diesen mit
ihrer Flotte, während sie jenes durch den Besitz von Megara
Tind Pegai Meister waren. Dazu kam aber, dass die Lake-
daimonier auch heimlich von athenischen Männern herbeigre-
rufen wurden, welche hofften durch sie der Demokratie und
dem ]iau der langen Mauern ein Ende zu machen i) . Da zo-
gen ihnen die Athener mit ihren Bundesgenossen 14000 Mann
stark entgegen , um ihnen den RückAveg abzuschneiden und
weil sie Argwohn wegen eines Anschlages auf ihre Verfassung
hatten, erlagen aber in einer blutigen Schlacht bei Tanagra in
Boiotien. Mitten im Gefechte ging die von den Bundesgenos-
sen in Thessalien geschickte Reiterei zum Feinde über, die
Feloponnesier aber verheerten das Gebiet von Megara und
zogen dann über den Isthmos nach Hause. So Thukydides.
Plutarch^) erzählt Folgendes. Als sich das athenische
Heer versammelte, erschien auch Kimon, und stellte sich
unter die Reihen seines Stammes ; der Rath gebot aber den
Feldherrn, ihn, den Verbannten nicht aufzunehmen; denn es
hiess, er wolle das Heer in Unordnung bringen und die Lake-
daimonier gegen die Stadt führen. Kimon leistete dem Be-
fehle ungesäumt Folge, forderte aber seine Genossen, nament-
lich Euthippos von Anaphlystos, auf, die Beschuldigung des
Lakonismus durch die That von sich zu weisen. Diese nah-
men die Waffenrüstung des Kimon in ihre Mitte, und hundert
an der Zahl fanden sie alle den Heldentod, einer neben dem
anderen. Von Reue ergriffen riefen darauf die Athener, auf
Perikles eigenen Antrag, den Kimon zurück.
P>etrachtet man diese Erzählungen unbefangen, so ergiebt
sich wohl folgendes Resultat. Wähi-end Kimons Verbannung
waren ohne sein Mitwissen einige Oligarchen , die früher sich
an ihn angeschlossen hatten, in Verbindung mit den Feinden
getreten. Diese Umtriebe waren aber zu früh ruchbar gewor-
den, um zu einem Ziele zu führen. Kimon war in warmem
Eifer für Athens Wohl herbeigeeilt, seine Anhänger hatten
ij Thucj-d. I, 107 : tö oi tt v.al avops? xwv 'ASr^vaituv Itttjyov aÜTOö; xpucpa'
2j Plut. Pericl. 10. Citn. 17. [Im Pericl. 10 sagt Plutarch , die cpiXoi
des Perikles hätten den Kimon vertrieben.]
166 I^IE OLIGARCHISCHE PaRTEI UND DIE HeTAIRIEX IN AthEN .
zum Theil dieselbe Gesinnung, die Schuldigen aber benutzten
eben die Schlacht, um die Avirkliche Schuld dadurch zvi sühnen,
wie 22 Jahre früher jene Männer in Plataia. Ohne Z^veifel
Avar der Uebergang der thessalischen Reiterei nicht zufällig.
Was aber vollends das Dasein eines oligarchischen Complottes
ausser allen Zweifel setzt, ist die gleichzeitige Ermordung des
Ephialtes , -welche seine Feinde durch den Tanagraier .\risto-
dikos hatten ausführen lassen ^^ , Wie sehr die ganze Sache
in Dunkel gehüllt war. geht daraus hervor, dass noch zu Anti-
phons Zeiten der Mörder nicht bekannt war ^ .
Nach seiner Zurückberufung ist Kimon nicht mehr als
Parteihaupt thätig gewesen, wohl aber wandte er seinen Ein-
fluss wieder dafür aii, Sparta und Athen zu versöhnen imd die
hellenischen Streitkräfte noch einmal gegen die Perser zu
führen. Es gehört nicht hieher zu erzählen , wie er im Jahre
450 3 einen fünfjährigen Frieden zwischen den beiden Staaten
zu Stande brachte^), und dann bei der Belagerung von Kition
in Kypros sein Leben beschloss ^ . Mit seinem Tode endigte
der Heldenkampf der Athener gegen die persische Macht.
Aber der Kampf der Parteien im Innern hörte nicht auf.
Vielmehr stellt sich jetzt als Gegner des Perikles an die Spitze
der Aristokraten Thukydides, der Sohn des Melesias. aus
Alopeke ^) . Dieser Mann , dem Kimon nahe venvandt , und
unter die edelsten Männer Athens gerechnet " . suchte dadurch
mit mehr Entschiedenheit den Demokraten entgegenzuwirken,
dass er die in der letzten Zeit zerstreuten Aristokraten alle zu
1) Aristoteles bei Plutarch Perikles 10. K. F. Hermann in der Ee-
cension von Scheibe und Büttner -wollen die einzelnen oligarchischen Com-
plotte von den Hetairien als solchen -wohl geschieden haben. ^
■-. Antipho de caede Herodis c. 6S 'also nach der Eroberung von
Mj-tilene durch Faches.^
3j [oder 4.51 nach Krüger.]
*) Thuc. I, 112.
5) Flut. Cim. c. 19. Thuc. 1. 1.
6; [Von Thukydides sagt der Scholiast zu Aristid. örrsp twv T£~apwv.
vol. III pg. 446 Dindorf. : oj tön c-j-pfp^'f ^'^ '-£7-'' ^''•'■^ a/.).ov -tv« ?pta3-:po'.fCiv
TT,; t:ö/.£(u;, w y.ai 6 or,ao; ara; i-d%tzo. Thukydides heisst -/.rfiecxr^z auch
^aijiflciö; Kimons. cf. Flut. Fericl. 11 und Sintenis dazu.[
''; Aristot. bei Flut. Xicias 2.
Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen . 167
einer Partei oder Genossenschaft organisii'te ^ , welclie
nach bestimmter Verabredung und einem festen Plane handelte.
Von geheimen Umtrieben und Verbindungen mit den Feinden,
wozu es an Gelegenheit nicht gefehlt hätte, finden wir aber
unter seiner Leitung keine Spur, und seine Hetairie erscheint
darum nur als eine kompakte , wohl organisirte Opposition,
welche aber die Ehre und die Wohlfahrt des Vaterlandes über
den eigenen Vortheil stellte. Ihre Dauer war aber kurz; die
blutigen Kämpfe , Avelche Athen mit Sparta und mit den Oli-
garchen von Boiotien, Megara und Phokis zu führen hatte, und
welche mit dem Verlust seiner Macht auf dem Festlande en-
deten -] , waren nicht geeignet . der aristokratischen Partei in
der Stadt Einfluss und Zutrauen zu verschaffen, die schnelle
Wiedereroberung des abgefallenen Euboia und die durch Be-
stechung bewirkte Entfernung des spartanischen Königs Plei-
stoanax aus Attika befestigten nur die Macht des Perikles. Der
dreissigj ährige Friede, 445 geschlossen, endete einstweilen die
äusseren Kämpfe, und nun entledigte sich Perikles auch seines
Gegners im Innern; denn 444 Avurde Thukydides durch den
Ostrakismos entfernt, und seine Hetairie aufgelöst 3) .
Somit Avar die Allgewalt des Perikles entschieden, der
nicht mehr als Parteihaupt zu betrachten ist, sondern sich jetzt
über alle Parteien erhebt und nur den Staat selbst ins Auge
fasst. Während der ganzen Zeit, welche hinfort dieser grösste
Staatsmann, den Hellas hervorgebracht, an der Spitze des
1) Plut. Pericles 11. 14.'
2) Thucyd. I, 111—115.
3) Plut. Pericl. 14: tiXo; hk ttoö; tov 0o'jy.'joior|V el; ä-cöiva 7i£pt toj
ooTpäy.O'j ■/ataG-d; -/at oiaxtvo'jveuaa; exeivov [j.£v i^i'^at.z , vcatiX'jii oe tT|V
(xvTtT£TaY[J-£VT,v £Tatp£t7.v. [Roschcr : Thukj-dides pg. 273 meint, Thukydides
sei bald nach Samos Unterwerfung exostrakisirt worden. K. W. Krüger :
Epikritischer Nachtrag zu den Untersuchungen über das Leben des Thuky-
dides Berlin 1829 meint, Thukydides des Melesins Sohn sei ganz kurz vor
dem peloponnesischen Kriege erst verbannt worden und in der Verbannung
gestorben, pg. 24 squ. seine Gründe genügen aber nicht. Anonymus vita
Thucyd. §. G spricht von einer Anklage des Pyrilampes durch Perikles und
einer trefflichen Vertheidigung durch Thukydides , wobei , wenn etwas an
der Sache ist , man an den Sohn des Melesias denken muss. cf. Meier :
über die Blutsgerichtsbarkeit des areopagitischen Raths. Pihein. Mus. 1828.
pg. 265 ff. Krüger : Thukydides Leben pg. 42. Dryander comm. de
Antiph. pg. 42.]
168 Die oligarchische Partei und die Hetairiex in Athen.
athenischen Staates stand, finden sich keine Spuren von ari-
stokratischen Umtrieben, oder von Hetairien irgend einer Art.
Es ist zwar nicht zu zweifehi. dass im Verborgenen auch da-
mals sie bestanden, allein die Geistesgrösse des Perikles, seine
unbedingte Herrschaft, erlaubte ihnen nicht, ihr gefährliches
Spiel zu treiben, und darum handeln von jetzt bis zum Aus-
bruch des peloponnesischen Krieges die Athener mit einer
Festigkeit und Consequenz, wie sie sonst in ihrer Geschichte
selten gefunden wird.
Auch die baldige Zurückberufung des Thukydides, wel-
chen wir im samischen Krieg als Mitfeldherm des Perikles
erblicken' . hatte jetzt nicht mehr Einfluss als einst die des
Kimon; denn seine Partei bestand nicht mehr.
Aber anders gestalteten sich die Dinge nach dem Aus-
bruche des peloponnesischen Krieges, 431. Zu diesem Kriege
hatte Perikles den Athenern gerathen; denn er hatte einge-
sehen, dass er unvermeidlich sei, und für Athen besser, ihn
mit unversehrter Macht zu l)eginnen, als erst unbilligen An-
forderungen Zugeständnisse zu machen, um nachher die näm-
lichen Gefahren, aber mit weniger Hoffnung auf Erfolg, zu
bestellen. Freudig hatte die grosse Masse seinem Rathe Folge
geleistet, und mit einer Aufopferung, wie einst zur Zeit der
Persernoth, das Land preisgegeben. Aber als ein feindliches
Heer in der Nähe stand, als Perikles weise eine Hauptschlacht
vermied , als zu den vielen Unbequemlichkeiten und Unan-
nehmlichkeiten des zusammengedrängten Lebens in der Stadt
die schrecklichen A'erAvüstungen der Pest kamen, da vergassen
die Athener die Mahnungen ihres Vorstehers, und wie es der
grosse Haufe zu thun pflegt, schoben sie die Schuld aller
Uebel auf ihn, als ob nicht sie selber die Forderungen Spar-
tas abzuweisen beschlossen hätten, und sie ruhten nicht, bis
sie Perikles um eine beträchtliche Summe gebüsst hatten, um
ihn unmittelbar nachher wieder zum Feldherrn zu wählen 2.
Kaum aber hatte das Volk seinen Fehler wieder gut gemacht,
1) Thucyd. I, 117, Dass der daselbst genannte Thukydides der Sohn
des Melesias sei, und nicht etwa der Geschichtschreiber, darf nicht bezwei-
felt werden, [cfr. vita Sophocl. init.j
2) Thucvd. II, 65.
Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen. 169
als die Pest den grossen Demagogen -vvegraiFte. und den Staat
im eigentlichsten Sinne verwaist Hess; denn Niemand ver-
mochte seine Stelle einzunehmen.
Unter der grossen Anzahl talentvoller jüngerer Männer,
welche damals emporstrebten, war kein einziger Perikles an
umfassendem Geiste ähnlich, keiner vermochte es, sich über
die Parteien zu stellen, sondern sie wurden alle von denselben
bestimmt, oder svichten wenigstens in ihnen ihre Stütze, und
den meisten fehlte, was Perikles vor Allem gross machte, die
imerschütterliche Rechtlichkeit, und die Unterordnung aller
persönlichen ZAvecke unter den grossen einen, Athens Grösse
und Wohlfahrt .
So erhoben sich denn unmittelbar nach seinem Tode, 429,
die 15 Jahre lang unterdrückten Parteien Avieder, aber in be-
deutend veränderter Gestalt. Mit einer Frechheit, die beinahe
zur Bewunderung nöthigt, trat auf der demokratischen Seite
der Gerber Kleon hervor, um die entstandene Lücke auszu-
füllen, und spielte seine Rolle als Demagoge gemeiner Art so
meisterUch, dass er bis 422 vmbezweifelter Vorsteher des athe-
nischen Demos blieb , und es gewiss noch länger geblieben
wäre, wenn ihn nicht der glückliche Erfolg, den er unter De-
mosthenes Beistand in Pylos hatte, zu dem wunderlichen Ge-
danken gebracht hätte, er sei ein grosser Feldherr ^ . Er büsste
diese Eitelkeit mit dem Tode in der Schlacht bei Amphipolis.
Unter Kleon beginnt nun in Athen die Tp-annei der Mehrzahl
gegen die Minderzahl, eine Tyrannei, welche die eines Einzel-
nen um so \iel an Unerträglichkeit übertrifft, als die l^egier-
den der Menge unersättlicher sind. Diese entartete Demokratie,
deren Darstellung nicht hieher gehört, rief natürlich Gegen-
1) Thucyd. V, 7 : -mi eyp-r.aot-o töj -rporw (prep v.al I; ttjv II'jXo^ eÜTj/Tiaa?
£7:i3T£'ja£ -Li cppovelv. Ueber Kleon überhaupt vergl. man besonders F. Kor-
tüms Aufsatz: der Demagog Kleon, in den philolog. Beiträgen aus der
Schweiz p. 35 folg. [Grote hist. of Greece IV, pg. 3S9 ff. stellt die Sache
dar, als ob bis zur Feldherrnschaft von Sphakteria Nikias gleichsam Mini-
ster gewesen und Kleon nur Führer der Opposition, indem Nikias sich
hauptsächlich auf die Clubs gestützt habe. Gewiss nicht richtig. Dass
Kleon seinen Freunden und Genossen förmlich absagte, als er begann sich
mit Staatsgeschäften zu befassen, berichtet Plutarch praec. reip. ger. c. 13.
pg. S07 a pg. 985 Dübner ; er hatte also wohl nie eine Hetairie. Merkwür-
dige Folgerungen zieht daraus Oncken : Athen und Hellas II S. 206.]
170 I^IE OLIGARCHISCHE PaRTEI UXD DIE HeTAIRIEN IN AtHEN.
anstrengungen hervor. — Zuerst versuchten die gemässigten
Aristokraten von altem Schlage Nikias, den Sohn des Ni-
ke r a t o s , dem Kleon entgegen zu stellen , um avo möglich
die Demokratie in den gesetzlichen Schranken zu halten, und
den Frieden mit Sparta herzustellen ^j .
Auch hier bildet den Mittelpunkt der Partei eine Hetairie,
von der wir jedoch sehi* wenig wissen. 2j Wahrscheinlich sind
dazu einige Zeichendeuter und Frömmler zu rechnen , und
zwar, wie mich dünkt, mit Sicherheit Stilbides '^ , Diopeithes*)
und Hieron ^) , vielleicht auch Lampon^) und Hierokles. ')
Allein so wenig als diese Leute dem einbrechenden Unglauben
einen Damm zu setzen vennochten, war der schüchterne, ängst-
liche Nikias zum Parteihaupte , besonders gegenüber einem
Kleon geeignet; dämm blieb sein Einfluss bis zur Schlacht
von Amphipolis unbedeutend, und erst nach dem Tode des
Demagogen gelang es ihm, durch den Frieden mit Sparta,
welchen das des Krieges überdrüssige Volk heftig begehrte,
eine kurze Zeit hindurch auf die Angelegenheiten der Stadt
bedeutend einzuwirken.
Allein nicht alle oligarchisch gesinnten Mäimer schlössen
sich dieser Avohlgemeinten , jedoch schwachen Opposition des
1
1) Plutarch. Nie. 2: nepr/.Xeo'j; droSavövToi; e-iSui; eU -ö rowtiu^iv
■nrjorf/ßf] , [jiaXiSTa (asv y-o xwv -Xo'jaiwv xat ■p'«Jp'^'-«'v ävTiTcccu-ct roiO'jfxEvcuv
ctÜTüv Trpos TTjv K^icuvo? ßSeX'jpittv -icat toXijlchv. — Thuc. IV, 27. [C. F. Her-
mann: disputatio de equitibus Atticis Marb. 1835 behauptet, zu Anfang
dei5 peloponnesischen Krieges seien besonders die Ritter ^als Reiterei;,
welche damals durch ihre Gefechte mit den Peloponnesiern eine besondere
Bedeutung ge\\'annen , bei den Clubs thätig gewesen , ,worauf iKleons Be-
schuldigung deute Arist. Ritter 235 ff. 452. 475 ff., wie sie auch später
eine Hauptstütze für die Macht der Dreissig gewesen seien. Xen. Hell.
II, 4, 2 und 24.]
2) Droysen in dem Aufsatze des Aristophanes Vögel und die Hermo-
kopiden. Rhein. Museum für Philologie, 4. Jahrg. 1836 S. 41 glaubt es
können von Nikias Hetairen keine nachgewiesen werden, doch scheinen
mir die folgenden drei ersten sicher.
3j Plutarch. Nie. 23 vergl. Arist. Fried. 1031.
*) Schol. zu Ai-istoph. Ritter 1083 t,v oe -au Ntxto'j sTaioo; vgl. Arist.
Vögel 988. Schol. dazu.
5) Plutarch. Nie. 5.
6) Kortüm Beiträge zur Gesch. hell. Staatsverf. S. 185. 186.
") Arist. Frieden 1046 und Schol. dazu.
Die ölig archische P.uitei und die Hetalrien in Athen. 171
Nikias an. Vielmehr zersplittern sich jetzt die Gegner der
Demokratie in eine Keihe einzelner Genossenschaften , welche
nicht ein gememsames Ziel verfolgen, sondern nur jede den
eigenen Yortheil und die eigene Macht, und welche sich bald
befeinden, bald augenblicklich zu irgend einem Zwecke ver-
einigen. Es entwickeln sich jetzt diejenigen Iletairien, welche
mit ihrem wahren Namen ouvu)jj,o3i'ai £-' cxp/aT; xai oi'xaic,
Verschwörungen zu gegenseitiger Unterstützung bei Aemter-
bewerbungen und bei Processen heissen. ^) Es gab derselben
bald sehr viele , indem fast jeder bedeutende Mann eine um
sich vereinigte. Die durch die überhandnehmende Sykophantie
immer zahlreicheren Processe, welche das Vermögen und das
Leben der Reichen täglich bedrohten, und die Vortheile der
nicht durch das Loos , sondern durch Handmehr besetzten
Feldherrnstellen beförderten ihre schnelle Ausbildung sehr.
Sie erhielten eine förmliche Organisation, und hatten nament-
lich alle das gemein, dass sie durchaus geheim gehalten Avur-
den.'^ Wie schon der Name Verschworene zeigt, verpflich-
teten sich die Theilnehmer eidlich zu Hülfeleistung mit Rath
und That, mit Gut und Blut, '■^j Die Einwirkung auf Wahlen
und Gerichte geschah auf verschiedene Weise. Erstens A^iirde
besonders der persönliche Einfluss auf alle Art geltend gemacht ;
während man durch Schmeicheleien , Drohungen , Verspre-
chungen Stimmen zu gewinnen "VNTisste, unterstützte man ferner
den Hetairen vor Gericht auch noch besonders dadurch , dass
man als sein Vertheidiger oder Mitankläger (ouvrjYopo?) auftrat,
*) Dass ihre Entwicklung dem Zeitabschnitte nach Pei'ikles angehört,
beweist ihre vollständige Organisation zur Zeit des Hermokopidenprozesses.
Auch spricht dafür was Thukydides III 82 — So über das Verbindungswesen
im Allgemeinen sagt. Ueber den Namen vergleiche man unter andern
Thuc. \T;II, 54. — Hüllmanns hiehergehörige Gelegenheitsschrift de Athenien-
sium a'jv(i)ji.03iau Königsberg 1S14 habe ich mir nicht verschaffen können.
-; Plato de Rep. p. 365 d : i~\ y^P "Ö /.av8äv£iv ;'jva)ij.03ia; ~z v.at STatpeia;
G'jva^Ofxsv. [Der Führer der Hetairie heisst äp-/r,YÖ; oder itaiosfap/o;.
K. F. Scheibe : Die oligarchigche Umwälzung zu Athen am Ende des
peloponnesischen Krieges und das Archontat des Eukleides nach den Quellen
dargestellt. Leipzig 1S41. pg. 4.]
3 Der von Arist. Pol. VIII, S. 215, 24 Bekker angeführte Oligarchen-
eid: y.at tw or,[jiw y.a-Aovo'Ji l'otjLai, xcti ßo'j"/,£'jouj oTi av iyja icaxov, darf wohl
noch nicht auf diese Zeiten bezogen werden.
172 Die oligarchische Partei uxd die Hetairien in Athen.
Zeugen herbeischaffte, den Ankläger durch Geld abfand u. d. g.
Wirkliche Bestechiuig der Richter aber fand, das muss zur
Ehre Athens gesagt werden, lange keinen Eingang. Das erste
Beispiel gab der Demagoge Anytos, der Sohn des Anthemion,
als er im Jahre 409 angeklagt wurde ; Pylos den Lakedaimo-
niern preisgegeben zu haben ^) ; es fand leider sehr schnell
Nachahmung, und wurde bald, man möchte sagen, methodisch
betrieben, indem sich Bestechinigsgesellschaften bildeten, welche
den Erfolg garantirten. ^j Kann aber jenes erste Zusammen-
treten zu dem Zwecke, in Wahlen und Processen einander zu
unterstützen, noch einigermassen entschuldigt werden, indem
die Pöbelherrschaft zu solchen Schritten nöthigen mochte , so
nahmen doch sehr schnell diese Hetairien. wie die meisten
ähnlichen Gesellschaften, eine weit verderblichere, ja bald ge-
radezu eine hochverrätherische Tendenz an. Denn nicht mehr
zufrieden mit Aemtem und Ehren in der bestehenden ^'er-
fassung, suchten sie auch gegen die Gesetze Macht und Ge-
wiini^j, und verfolgten dieses Ziel rücksichtslos. Kein Mittel
schien mehr unerlaubt, Bestechung, falsche Anklage, unwahres
Zeugniss, AvideiTechtliche Yenirtheilung , Mord. Herbeirufung
des Feindes, das alles galt gleich, und die heiligsten Bande
wurden der hetairistischen Verbrüderung nachgesetzt. Tugend,
Redlichkeit, Gesetzlichkeit, Frömmigkeit wurden unter diesem
Treiben eitler Wortklang. AVer am verwegensten und schlau-
sten handelte, gewann das meiste Ansehen, die eigene Macht,
die eigene Ehre, der eigene Gewinn wurden der Massstab zur
Beurtheilung aller Handlungen.
1) Aristot. fr. 72 bei C. Müller F. H. G. II p. 127. Harpocration s. v.
Be-iCa^wv. Diodor. XIII, 64. Dieser Anj-tos ist übrigens der spätere Mitankläger
des Sokrates. In diese Zeit fällt das Gesetz bei Demosth. c. Stephanum II,
p. 1137: lav Tt; ajvta-Tjtat , r, cuvojv-qE^t; tt,v T,"/.iaiav, r, tü)v o'./.a3TT,piu)v ti
Tüiv 'A87]V7iaiv , T, Tr,v ßo'JÄTjV £7:1 0(upooo7.'.a ypT)aaTa oiSoü; r^ OEyoixsvo;, r,
etaipiav ouvioxr; i-\ -/.aTaXuaei toü otjjjlo'j, r, O'jvTjopo; cuv ),a[j.,3a'^i[j y_pT,ix7Ta
i~l Tai; or/.at; 'Tal; toiai? r, OTjUioaiai;, toÜtiov £ivai t«; Ypacpi; "po; to'j;
Ö£3[J.0&£Tac.
", Vergl. Hüllmanns Staatsrecht des Alterthums S. 144. 145 die Lexiko-
graphen unter rjv/.d^en.
3j Thucyd. III, 82 : ti'j y«? [J-STä xtüv •/£iij.£V(w; votAwv u)'j£).ia; ai TO'.a'Jta'.
^•jvoooi, dl).).d rapd toj; ■/.a&£3T(I)ia; -/.£ov£;'.a. Ueberhaupt vergleiche man
c. 81. 82. 83. 84.
Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen. 173
Doch trat diese schreckliche Entartung des attischen
Volks nnd der Ueberreste der alten Aristokratie nicht mit
einem Mal ein, vielmehr erreichte sie ihren Höhepunkt erst
mit dem Ende des peloponnesischen Krieges , und vermochte
selbst da nicht auf die Dauer den bessern Geist der Bürger-
schaft zu überwältigen.
Die Wichtigkeit der Hetairien nahm zu, als der Krieg
mehr und mehr, nicht bloss um die Hegemonie Spartas oder
Athens geführt Avurde, sondern sich zum Kampfe auf Leben
und Tod zwischen der Oligarchie und Demokratie gestaltete;
denn jetzt verbreiteten sich die oligarchischen Verbindungen
über ganz Griechenland, namentlich alle athenischen Bundes-
staaten, stets bereit, mit Spartas Hülfe die demokratische
Verfassung zu stürzen und von Athen abzufallen, während
dieses umgekehrt überall der demokratischen Partei Vorschub
leistete.
In Athen selber, dem Mittelpunkte der hellenischen De-
mokratie, trat die entschieden revolutionäre und verrätherische
Richtung langsamer als in den Bundesstaaten hervor, weil bei
der grossen Eifersucht des Volks auf seine Eechte grössere
Vorsicht nöthig war, und weil selbst die Oligarchen, wo mög-
lich, wünschten über einen mächtigen Staat zu herrschen, Avas
bei einer Uebereinkunft mit Sparta nicht leicht zu erhalten
Avar. Erst als die Ereignisse die Unmöglichkeit bcAviesen,
dieses Ziel zu erreichen, entschlossen sie sich, die Macht und
Grösse der Vaterstadt aufzuopfern.
Nach Kleons Tode stand hier, AA'ie oben bemerkt, Nikias
im höchsten Ansehen. Ihm gegenüber erhob sich nim aber,
AvicAvohl nicht minder edler Abstammung, der jugendliche Al-
kibiades, der Sohn des Kleinias, der das damalige Athen
in allem Guten und Bösen repräsentirt, Avie bald nachher Ly-
sandros das entartete Sparta. Die herrlichsten Naturanlagen,
die glücklichsten äusseren Verhältnisse Avaren in ihm mit einem
unAviderstehlichen Drange zum Herrschen verbunden, der durch
die Schmeicheleien, w^elche ihm von Jugend auf in vollem
Maasse gespendet Avurden, zur grenzenlosesten Willkühr und
Eigenmacht ausartete. Er Avollte herrschen und unbedingt,
unverantAvortlich , daher ihm selbst die Stellung seines Vor-
mundes Perikles nicht genügend schien ; darum Avard er Aveder
174 Die oligarchische Partei und die Hetairiex ix Athen.
Oligarch noch Demokrat, vielmehr bediente er sich nur nach
Umständen der einen oder andern Partei, deren Häupter ihm
deshalb unversöhnlich grollten ; aber viel MÜthender und con-
sequenter als die exaltirtesten Demagogen verfolgten ihn die
Oligarchen, deren letzte Rache ihn unter den Dreissig erreichte.
Er war ein Charakter, wie ein Freistaat ihn nicht leicht er-
tragen kann, und auf ihn angewendet hätte der Ostrakismos
sicherlich schöne Früchte getragen; denn er wäre ohne Zweifel
nach einigen Jahren besonnener und ruhiger zvirückgekehrt .
Dass er ihn von sich abzuwenden vermochte, war für ihn
selbst das grösste Unglück, i).
Dass dieser Mann zur Beförderung seiner Absichten sich
einer Hetairie bediente, könnten Avir annehmen, wenn es uns
auch nicht ausdrücklich überliefert wäre; doch haben wir
sichere Nachrichten darüber- , welche uns indessen nicht ge-
statten, die Genossen näher zu bestimmen. ^lit Wahrschein-
lichkeit lässt sich annehmen, dass der vornehme Pulytion^)
darunter war. vielleicht selbst sein nachmaliger Feind Kritias ^i ,
der Sohn des Kallaischros ; mehrere andere, auf die sich aus
'; Thucyd. VIII, 4S wo Phrynichos sehr gut über ihn urtheilt. Auf
Alkibiades lässt sich grossentheils anwenden, was mein unvergesslicher
Lehrer, der selige Niebuhr, von M. Manlius Capitolinus sagt, Rom. Gesch.
Thl. II, S. 677, und ähnlich hat er ihn auch in den Vorträgen über
griechische Geschichte beurtheilt. Vergl. Droysen, die Vögel des Aristo-
phanes und die Hermokopiden, im Hhein. Museum 3. 1835 p. 183. — Von
den Zeitgenossen hat ihn wohl keiner richtiger verstanden als Aristophanes.
Vergl. Frösche 1422 folg. besonders 1431. 1432: p-ci/.'.-Ta [jlev XsovTa jat/v
t:6).£i xpi'-peiv, t,>; o'£V.Tp£cp7] ti; toT; Tpörot; 'j-r^peTsTv.
2) Plut. Alcib. 13. 22. Isoer. d. big. §. 6. pg. 348 Steph. Vergl.
Droysen Rhein. Mus. 4. 1S36. S. 40. Andocid. c. Alcib. §. 4: e-ta iv
Toi; Toto'jToi; ot toJ; ETaipO'j; y.ai a'jviuiAOTai; 'A£7.~r^[>.hiOi tz/.eov 'tpipovrat tüjv
aXXtuv. [Büttner Gesch. d. polit. Hetärien S. 60. 70. Alkibiades führt
seine Frau die ihn verlassen will, gewaltsam zurück -apoty.a/isa; toJ; itaipoo;,
wo es freilich auch im weitern Sinne verstanden werden kann. .Andoc.
c. Alcib. §. 14. Man vergl. ferner Thucyd. \'I, 13 wo die von Xikias
angeführten -apa-/.£/.£j3T0i des Alkibiades offenbar auch izalpoi sind und
zwar untergeordnete.]
3j Andoc. d. myst. §. 12. Plut. Alcib. 19. 22. [Vielleicht gehören
die sämmtUchen von Andromachos genannten Theilnehmer an der Ent-
M-eihung der Mysterien hierher, namentlich Meletos und Nikiades.]
4, Kritias war anfangs Alkibiades wohl befreundet, und hat überhaupt
mehr als einmal Rolle gewechselt. Vergl. Xenoph. Hell. II, 3. 36.
Die üligarchische Partei und die Hetairiex ix Athen. 175
dem Hermokopidenprocess schliessen lässt *) . Avaren ohne po-
litische Bedeutung. Ueberhaupt muss man aber bedenken, dass
diese Hetairien keineswegs immer sich gleich blieben, sondern
nach Zeit und Verhältnissen ihre Mitglieder wechselten.
Neben Alkibiades und Nikias ist aus jener Zeit als Führer
einer Hetairie auch Phaiax. der Sohn des Erasistratos , zu
erwähnen; sie vermochte jedoch den zwar vornehmen, aber
persönlich unbedeutenden Mann nicht lange in Ansehen zu
erhalten. 2) Eine vierte glaubt Droysen, in der Schrift über
die Hermokopiden, in Aristophanes Wespen Y. 13ü0. folg. zu
erkennen, und zwar keine unbedeutende, da Antiphon der
Khamnusier dabei genannt ist. Jedesfalls lässt sich aber Avenig
darüber sagen. '^]
Bald erhob sich nun Alkibiades Ansehen, durch die He-
tairie vmt erstützt, über das des Nikias. Er schlug gerade den
entgegengesetzten Weg ein um die Gunst der Athener zu ge-
winnen. Hatte Nikias das Zutrauen der Spartiaten zu gewin-
nen gewusst, und es benutzt, um den Frieden zu Stande zu
bringen, der nicht mit Unrecht seinen Namen trägt, hatte er
überhaupt gemässigtem Gesinnungen in Athen Eingang zu ver-
schaffen gestrebt, so trat Alkibiades als Feind der Spartiaten
und als Freund der Argeier und anderer demokratischen Staaten
im Peloponnese auf, suchte auf jede Weise den Krieg Avieder
zum Ausbruch zu bringen und beförderte in xVthen selbst die
ungezügeltste Volksherrschaft, nach Aussen die willkührlichste
Behandlung der Bundesgenossen. Diese Politik musste ihn
für den Augenblick leicht auf die höchste Stufe der Volks-
gunst bringen, welche niemals gegen einen Vorsteher so
•j Andoc. d. myst. §. 13. vergl. mit §. 47. [Hieher vielleicht auch die
von Agariste wegen Mysterienverletzung angegebenen in Charmides Hause,
Adeimantos und Axiochos, eine vornehme Gesellschaft.]
-] Plut. Alcib. 13. Nie. 11. Valckenarius in Sluiter. Lact. Andoc.
p. 10 f. ed. Schiller. [Scheibe ölig. Umwälz. S. 4 spricht von Hetairien
des Phaiax, Euphiletos, Ismenias , Leontiädes , Alkibiades u. A. ohne Be-
weisstellen. — Von Ismenias und Leontiädes ist mir nichts bekannt, und
ich vermuthe Verwechslung mit den thebanischen Männern dieses Namens,
von denen Hetairien bei Plutarch vorkommen, cf. Plutarch Pelop. V.
Xen. Hell. V, 2, 2.5. Krüger Dion. Hist. pg. 363 not. 4. Ueber Euphi-
letos Hetairie cf. unten pg. 22.1
3j Rhein. Museum für Philologie, 4. Jahrg. lS3ü S. 41.
176 Die oligarchische Partei u^'D die Hetairien ix Athen.
gränzenlos verschwendet A^nirde. So stieg denn mit seiner
Macht anch seine Anmassung und HeiTSchsucht von Tage zu
Tage, und flösste nicht mit Unrecht auch vielen wohlgesinnten
Bürgern Besorgnisse ein. Dem Ziele seiner Wünsche schien
er nahe zu stehen, als er 415 das leichtsinnige Volk zum Krieg
gegen Syrakus bewog, und nebst Xikias und Lamachos zum
Feldherm gewählt, sich schon als Eroberer von ganz Sicihen,
Karthago und andern Ländern im Siegeszuge keimkehren sah.
Allein er hatte die Gegner durch sem hochfahrendes We-
sen, durch seine Geringschätzung und seinen Uebermuth zu
tief beleidigt, als dass sein Glück von Bestand sein konnte.
Der redliche Nikias zwar trat ihm nur offen entgegen , und
hatte deshalb eben wenig Gehngen. Aber eine Reihe anderer
Aveniger gewissenhafter Männer arbeiteten längst an seinem
Sturze lind lauerten nur auf den günstigen Moment um los-
zubrechen. 1) Wie schon oben bemerkt gehörten zu diesen
Oligarchen und Demokraten; denn beide hatte Alkibiades in
Schatten gestellt; die gefährlichem aber waren die erstem,
weil sie nach einem wohlüberlegten, genau auf den Charakter
des athenischen Volks berechneten Plan handelten. Wer die
Hauptlenker desselben waren, ist nicht mehr zu erkennen, es
lässt sich aber mit Sicherheit annehmen, dass yvie später bei
der En-ichtung der Oligarchie, so auch hier Männer von Be-
deutung im Hintergi-unde standen. Offen traten vor allen her-
vor, Peisandros, namhaft als einer der thätigsten bei Ein-
fühnmg der HeiTschaft der Vierhundert, und Charikles
Sohn des Apollodoros unter den Dreissig neben Kiitias
am berüchtigtsten, beide also Oligarchen, welche aber damals
die Maske der eifrigsten Volksfreunde annahmen - . Unter den
aufrichtigen Demagogen waren Alkibiades wüthendste Feinde
Androkles 3) und Kleonymos. ^j
1) Thucyd. VI, 28. 61. Xenoph. Hell. I, 4. 13. [Büttner S. 65 ff.
läisst namentlich auch den Demagogen Androkles in den Vordergrund treten
und schreibt ihm eine besonders zahlreiche Hetairie zu.]
-) Isocrat. d. big. §. 4: arav-s; -[ao i'saaw, ort oia to'j; ajTO-j; avopa;
■?^ T£ hr^ao-AoaTioL -/aTeX-jÖY), -/.dv.iTvo; iv. tt,; röÄsuj; izir.-.zfi.
3j Thucyd. VIII, 6.5.
* Andoc. d. myst. §. 27.
Die oLiGARCHisctLE Partei und die Hetairiex ix Athen . 177
Den bestimmten Anlass gab die bekannte Verstümmhing
der meisten Hermen in Athen, während der Nacht vom 10.
auf den 11. Mai 415.') Es war dies unbedingt nichts anderes
als ein höchst strafljarer Muthwille einer fröhlichen Gesell-
schaft, die sich beim ^yeine vergessen hatte, und wie er auch
früher nur nicht in so grosser Ausdehnung schon geübt worden
war. So sahen es denn auch Anfangs manche an, während
viele andere erschraken über das böse Omen für den bevor-
stehenden Feldzug, oder die grosse Anzahl der frevelhaften
Gesellen, welche hier offenbar in Uebereinstimmung gehandelt
hatten. Aber als der Rath wegen des Ereignisses zusammen-
berufen wurde, traten Peisandros und Charikles auf und
behaupteten, es sei dies nicht ein gewöhnlicher Frevel, son-
dern offenbar in der Absicht geschehen, die Demokratie zu
stürzen"^ und eine neue Ordnung zu begründen. Uns mag es
sonderbar vorkommen, wie die Verstümmlung von Bildsäulen
auf einen Umsturz' der Verfasstmg hiuAveisen sollte ; aber das
athenische Volk, welches seit Hippias Zeiten von dem Schreck-
bilde der Tyrannis und der wunderlicher Weise von ihm damit
verwechselten Oligarchie überall beängstigt wurde, ging eifrig
auf diese Ansicht ein, setzte hohe Preise auf die Entdeckung
der Thäter, und ernannte ausserordentliche Untersuchungs-
richter, unter denen wir Peisandros , Charikles und den we-
niger bekannten Diognetos finden.^ Zugleich wurde Jeder-
1; Ueber den Hermokopidenprocess ist vor Allem zu vergleichen:
Droysens schon oben genannte Abhandlung, im Khein. Museum für Philo-
logie, 3. Jahrg. 1S35 S. 161— 20S, und 4. Jahrg. 1S;^6 S. 27—62. [Sehr
ausführlich und gut behandelt G. Grote im V. Bande 146 if. 171 ff. der
hist. of Gr. den Hermenprocess, den er im Ganzen auch hauptsächlich als
eine auf Alkibiades Sturz berechnete [oligarchische Intrigue ansieht, der
sich aber z. Th. auf wahre Vergehen begründete. In der grossen Hermen-
verstümmlung selbst sieht er eine in solcher Absicht begangene Hand-
lung, bestimmt den sicilischen Krieg und Alkibiades Feldherrnschaft zu
hintertreiben.]
^ [Dies ist zu bestimmt gesprochen.]
3) Thucyd. VI, 27. Andoc. d. myst. §. 36. Plut. Alcib. 18. 19.
*) Andoc. d. myst. §. 14. §. 36. [Der Rath erhielt Vollmacht, wurde
n'jzo-AodroiO. Andoc. d. myst. §. 15. Durch einen Beschluss nach Andoc.
d. myster. §. 20 scheint bestimmt gewesen zu sein, dass jeder Ueberwiesene
den Tod leide, ebenso aber auch, wer eine falsche Denunciation mache.
Vis eher, Schriften I. ]2
178 I^IE OLIGARCHISCHE PaRTEI UND DIE HeTAIRIEN IX AtiIEX.
mann aufgefordert auch anzugeben, was ihm sonst von Reli-
gionsfreveln bekannt sei. 'y Damit war nun jeder Angeberei
die Thüre geöifnet. jeder Piivatfeindschaft der weiteste Spiel-
raum gegeben, und das hatten die Gegner des Alkibiades ge-
wollt. Eine Zeitlang kam keine Anzeige, erst als die Flotte
schon zur Abfahrt nach Sicilien bereit lag. trat ein gewisser
Pythonikos in der Volksversammlung auf, indem er an-
zeigte ein Sclave. Andromachos, werde Zeugniss ablegen, dass
Alkibiades mit mehrern Genossen in Pulytions Hause die
Mysterien zum Spotte und in Beisein Ungeweihter aufgeführt
habe. ^ Als dem Sclaven selbst Sicherheit versprochen Avurde,
machte er vor versammeltem Volke seine Angabe ; und jetzt
folgten schnell andere Denuntiationen . des Metöken Teii-
kros. der Agariste, Frau des Alkmaionides. und des Sclaven
L y d o s ' i , theils über die Hermenverstümmlung ^) , theils über
die Entweihung der Mysterien, und in allen mit Ausnahme
derjenigen des Teukros kam Alkibiades Name vor. Die we-
nigsten der zahlreichen Angegebenen Avarteten die Vorladung
vor Gericht ab. meist entzogen sie sich durch Flucht dem
Urtheile des von den wildesten Leidenschaften aufgeregten
Volkes. Einen Beweis der Schuld darin suchen zu wollen wäre
ungerecht. ■^)
co)ft£-/Ti ii).k ärov.TsIvai. 6 '[ä^ v6|j.o; oux«; er/ev , ei jaev -ä/.r^df, ar^^rj-jzii xt?,
ehv. TT,v äos'.av, et oe xd •bvjof^, xs^vavai. Ein 'W/^'.3ij.a dei5 Kleominos
(Demagog der demokratischen Art bestimmte dem Angeber lOuO Drachmen,
ein zweites des Peisandros oligarchischer Demagog lüHOU. Letztere erhielt
Andromachos, erstere Teukros. Andoc. d. myst: §. 27. 28. 40.}
._i} Thucyd. VI, 27. " - -
r .» 4 Andoc. d. myst. §. 11. seq. Thucyd. VI, 2S. Plut. Alcib. 19.
. **) Andoc. d. myst. §. 15 seq.
*) Thucyd. VI, 2S sagt aber, es sei vor Alkibiades Abfahrt nichts
über die Hermen berichtet worden ; daher auch Wachsmuth die Anklagen
des Teukros, der Agariste, des Lydos nach Alkibiades Abgang setzt. —
AUein Thukydides sagt deutlich, es sei d~o |j.£xot7.(uv x£ xiviav v.il ä-/.oAo6^ajv
Anzeige geschehen, also mehrere; nun haben Agariste und Lydos nach
Andokides hur von- Mysterien Anzeige gemacht, Teukros aber repi fi'jcxTjpiojv
Y.al r.zol tü)v 'EoiAÖJv XT,; rEpixoTtf,; a elosv. Es wird aber nicht gesagt, da.ss
das auf die grosse Hermenverstümmlung geht , weit eher möchte es wohl
mit den a/J.tuv Ik äYa'/.ixaxcuv -spixoTTcü bei Thukydidas zusammenzustellen
sein, da wir sonst nichts der Art fänden.
S) I^Grote V, pg. 15.5 A. 2 glaubt, des Andokides Angaben §. 13 ff.,
Die oligarchische Partei uxd die Hetairien ix Athex. 179
Sie wurden abwesend zum Tode verurtheilt und ihre Güter
confiscirt; die in Athen zurückgebliebenen erlitten alle mit
Ausnahme des Leogoras, den Tod. Gegen Alkibiades den
Feldherrn aber, der sich nicht, wie es seine Gegner wünschten,
flüchtete, konnte nicht das gleiche Verfahren wie gegen einen
Privatmann eingeschlagen werden. Es wurde daher, ■s^-ie
Droysen nicht ohne Grund vermuthet. durch Androkles eine
Eisangelie gegen ihn beim ßathe eingereicht, welche laiitete :
xVlkibiades habe eine Hetairie gebildet um Neuerungen zu
machen; und die Hetairen haben, im Hause des Pulytion
schmausend, die Mysterien aufgefiihrt. ^ Eine Volksversamm-
lung wurde veranstaltet um über diese Eisangelie zu berathen.
Als nxm aber Alkibiades wider Erwarten keineswegs auf Ab-
weisung derselben antrug, sondern das \oYk aufforderte, gleich
die Sache zu untersuchen und ihn entweder zu verurtheilen,
oder frei zu sprechen, fürchteten seine Feinde ihr Plan könnte
misslingen; sie bewogen also einige scheinbare Freunde des
Alkibiades, die ilin aber hassten. anzutragen, er solle jetzt als
Feldherr nach Sicilien gehen und erst nach seiner Heimkehr
die Beurtheilung statt finden. Umsonst widersetzte sich diesem
Verfahren der ISeklagte; es beliebte dem Volke den Antrag
anzunehmen. 2 Leber die Triebfedern, welche den Alkibiades
bcAvogen selbst auf Entscheidung zu dringen, stimme ich durch-
das3 die von Andromachos Angezeigten zum Tode verurtheilt und die An-
wesenden hingerichtet worden seien, seien nicht wahr; denn Alkibiades, der
damals angegeben worden, sei zu jener Zeit nicht verurtheilt worden und
nicht geflohen. Allein er war Feldherr, und dag Verfahren gegen ihn
konnte nicht das gewöhnliche sein. Ferner Panaitios , der gleich geflohen
sein soll , wird §. 52 und 6" als nicht geflohen genannt. Polystratos ist
von Harpokration aus Lj-sias genannt als getödtet wegen der Hermenver-
stümmlung [s. V. rioXusTpaTo; p. 1.56 Bekker , während es nach Andokides
wegen der Mysterien wäre. Er ist daher wahrscheinlich einer der von
Andokides angegebenen und später hingerichteten. Auf die Unterscheidung
der Mysterien und der Hermen gebe ich nichts , da die beiden Frevel eng
verwoben und auch verwechselt wurden. Auch die Angabe des Andokides,
dass die von Teukros denuncirten hingerichtet worden seien, verwirft Grote
als im "Widerspruche mit Thukydides , der vor des Andokides Angabe
durchaus nur von Verhaftung der besten Männer rede.]
1] Isoer. de big. §. 6.
■■2 Thucyd. M., 29. Plut. Alcib. 19. 20.
12*
ISO Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen.
aus Droysen bei ; er hoffte nämlich , ^vie^vohl er sicherlich in
die MysterienentAveihxmg verwickelt war, durch seinen persön-
lichen Einfluss, durch Hülfe seiner Hetairen, und die Gegen-
Avart des Heeres die Lossprechung zu bcAvirken , Avährend er
einsah, dass seine AbAvesenheit nur den Gegnern Gelegenheit
zu neixen Intriguen und Bearbeitung des Volks geben könne.
So geschah es denn auch. Kaum Avar die Flotte Anfang
Juli 415V von Athen abgesegelt, als die Untersuchungen von
neuem begannen, und besonders auf Peisandros und Chaiikles
Betrieb mit solchem Eifer geführt Avurden, dass Schrecken alle
Bürger ergriif. Niemand glavibte sich mehr sicher; Avenn der
Herold das Zeichen zum Zusammentreten des Ilathes gab,
flohen von dem Markte alle Bürger aus Furcht v^erhaftet zu
AA'erden.-) Da brachte etAAa 14 Tage nach der Abfahrt der
Flotte ein gcAAisser Diokleides, eine Eisangelie gegen 42
Personen ein, AA^elche er unter einer Anzahl A-on etAva 300 Män-
nern in jener Nacht als HeiTaenverstümmler erkannt haben
Avollte. 3 Unter den genannten befanden sich zAvei Mitglieder
des Käthes Mantitheos und Aphepsion. AAclchen es zu entfliehen
gelang, die andern, unter ihnen Kritias und des Leogoras
Sohn Andokides Avurden ins Gefängniss gesetzt. Zugleich
hiess es, die Feinde bedrohten die Stadt; denn ein kleines
lakedaimonisches Heer, Avar Avegen Unruhen in Boiotien bis
zum Isthmos gerückt-* , und die Boiotier selbst hatten die Gränze
gegen Attika besetzt. Dies erbitterte das misstrauische Volk
noch mehr; ganz Athen stand einen Tag und eine Nacht durch
unter den Waffen. Gleichzeitig hatte man die Oligarchen in
Argos im Verdacht, einen Anschlag auf die Demokratie ge-
macht zu haben, und auch daran sollte nun Alkibiades Schuld
sein und dies im Zusammenhang stehen mit den Mysterien und
dem spartiatischen Heere. Darum gaben die Athener die
Geissein, Avelche sie von der oligarchischen Partei in Argos
hatten, den Demokraten heraus sie hinzurichten. 5. In dieser
Noth und Bedränsrniss machte endlich Andokides dem Process
1) Ende Skü-ophorion Ol. 91. I. Archontat des Arimnestos cf. Droysen
Ehein. Mus. 3, 1S36 p. 170. Isaeus de Philoctem. haer. §. 14.
2) Andoc. d. myst. §. 36. 3) Andoc. d. myst. §. 37 — 42.
4j Thucyd. Vl/ci. Andoc. d. myst. §. 45.
5) Thucvd. VI, 62.
Die oligarchische Partei tnd die Hetairien in Athen. 181
gegen die Hermenverstümmler dadurch ein Ende , dass er auf
die Versicherung eigener Straflosigkeit anzeigte, was er selbst
von der Sache wusste. Er er\^-ies die Lügenhaftigkeit der An-
gabe des Diokleides ^) , der mit dem Tode büsste, und gab hin-
gegen die Hetairie des Euphiletos, zu der er selber ge-
hört zu haben scheint, als Urheberin der Hennenverstümmlung
an. ■-) Die meisten Mitglieder derselben Avaren schon früher,
durch Teukros verzeigt, theils entflohen, theils hingerichtet
worden. Nur vier neue fügte Andokides hinzu. Panaitios^j,
C'hairedemos, Diakritos und Lysistratos, Avelchen es
jedoch auch gelang zu entkommen. ■*; Auf diese Anzeige hin,
deren Werth wir nicht näher zu beurtheilen vermögen, wurden
die Genannten zum Tode verurtheilt , ein Preis auf den Kopf
1) Diokleides ■svar von Alkibiades dem Phegusier und Amiantos aus
Aegina für die falsche Angabe gewonnen -worden. Wahrscheinlich gehörten
sie auch der oligarchischen Partei an, wiewohl dieser Alkibiadas ohne
Zweifel ein Vetter des andern war. Vergl. Droysen Rhein. Mus. Jahrg. 4.
1S36 S. 32. [Bekanntlich sagen Plutarch. Alcib. 20 und Diod. XIII, 2,
es sei an dem Tage der Hermenverstümmlung nicht Vollmond gewesen,
wie Diokleides angab, sondern Neumond. Das bezweifelt Grote V, pg. 173
A. 3 weil bei einem so schlau und boshaft angelegten Complott man nicht so
dumm gelogen haben werde und namentlich, weil Andokides bei aller
Ausführlichkeit , die er der Widerlegung von Diokleides Angabe widmet,
nichts davon sage.]
-) Andoc. d. myst. §. 61. [Grote meint wohl mit Recht, was Andokides
wirklich angegeben, sei abweichend von dem, was er später in der Rede
sage, wo er sich so inoffensiv als möglich stelle. Büttner und K. F. Her-
mann nennen die Hetairie, die Droysen die des Euphiletos genannt, lieber
die des Andokides, was am Ende ziemlich gleichgültig.]
3) [Panaitios erscheint in der Denuntiation des Andromachos, Andoc.
d. myst. §. 13, wahrscheinlich ein andrer, als der später genannte.]
4) Andoc. d. myst. §. 52. .58 seq. Aus den bei Andoc. d. myst. §. 35
angeführten Namen in Verbindung mit den vier §. 52 genannten, lässt sich
wohl mit einiger Sicherheit die Hetairie des Euphiletos zusammenstellen.
Namentlich scheint nebst Euphiletos , der spätere Ankläger des Sokrates,
Meletos [verschieden vom Ankläger nach Forchhammer die Athener und
Sokrates pg. 81 Anm. 29 und Scheibe die ölig. Umw. pg. 82 Anm. 25.]
an der Spitze der Verbindung gestanden zu haben cf. §. 63 weshalb er
später als Mitankläger des Andokides auftrat. — Nach Thucyd. VI, 60
sind indess doch einige vorher schon Eingekerkerte auf Andokides Angabe
hingerichtet worden, was dieser in seiner Vertheidigung §. 52. 53. 67. 68.
läugnet.
182 Die oligarchische Partei und die Hetairiex in Athen.
der Entwichenen gesetzt, die übrigen Eingekerkerten entlassen,
und so der Stadt endlich die Ruhe wieder zurück gegeben.
Aber gegen Alkibiades , obgleich er nicht von Andokides
genannt war, hatte sich das Misstrauen nur gesteigert, das
Volk glaubte sichere Beweise in Händen zu haben, dass er
an dem Umsturz der Verfassung gearbeitet; da reichte Thes-
salos, der sonst unberühmte Sohn des Kimon, also schon
seiner äusseren Stellung nach ein Oligarch und Avahi'scheinlich
nur ein Werkzeug von Alkibiades Feinden, folgende Eisangelie
ein: »Thessalos, Kimons Sohn, der Lakiade, zeigt an, dass
Alkibiades, Kleinias Sohn, aus Skambonidai, sich gegen die
beiden Göttinnen, die Demeter und Kora versündigt, indem
er die Mysterien nacligemacht , und sie seinen Genossen ge-
zeigt in seinem eigenen Hause , bekleidet mit dem Gewände,
das der Hierophant trägt , Avenn er die Heiligthümer zeigt,
und indem er sich selbst den Hierophanten nannte, Pulytion
den Fackelträger, Theodoros aus Phegai aber den Herold, und
die übrigen Genossen als Mysten und Epopten anredete, gegen
die herkömmlichen Gesetze und die Verordnungen der Eumol-
piden und Keryken und der Priester in Eleusis. \,
Ohne Rücksicht auf das gegebene Versprechen, ohne zu
bedenken, Avelchen Übeln Einfluss die Entfernung des Alkibia-
des auf den Krieg in Sicilien haben müsse, wurde das sala-
minische Schiff abgesandt, um Alkibiades nebst mehreren Mit-
angeklagten seiner Hetairie nach Athen zu bringen. Er wei-
gerte sich nicht zu folgen, aber in Thurioi entfloh er, und ging
nach dem Peloponnese, wo er bald darauf von Sparta aus seiner
Vaterstadt unendlichen Schaden zufügte. Die Athener aber
verurtheilten ihn in contumaciam zum Tode , zogen sein Ver-
mögen ein und Hessen durch die Priester über ihn den Fluch
aussprechen -) .
Dieses Ende nahm der Hermokopidenprocess, in welchem
mehr als je zuvor die Thätigkeit der Hetairien sichtbar wird.
Es war den Oligarchen gelungen, ihren furchtbarsten Feind
1) Plut. Alcib. 22. Droysen Rhein. Museum Jahrg. -4. 1836 S. 38
nimmt an es sei dieser Klage eine neue Denuntiation vorangegangen, was
von keinem alten Schriftsteller erzählt wird und auch nicht nöthig war.
^ Plut. Alcib. 20. 22. 23.
Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen. 1 83
aus Athen zu vertreiben ; jetzt konnten sie ungestörter ihre
weiteren Pläne verfolgen i) .
ZAvei Jahre hindurch ruhten indess in Athen wenigstens
scheinbar die Parteikämpfe; denn der Krieg in Sicilien nahm
alle Kräfte und alles Interesse des Staates in Anspruch. Als
aber im Herbste des Jahres 413 die schreckliche Kunde von
dem Untergange des Heeres kam, regten sich von neuem die
Oligarchen, nicht nur in Athen, sondern in allen Bundesstädten
zugleich. Die Erbitterung des Volks gegen jene Demagogen,
welche besonders den Feldzug angerathen, die allgemeine
Rathlosigkeit und Angst A\'urde von den Gegnern der Demo-
kratie trefflich benutzt. Während man sich mit unglaublichen
Anstrengungen rüstete , einen Angriff der verbündeten Feinde
zurückzuweisen, wurde zugleich beschlossen, in Zukunft die
■Staatsausgaben möglichst einzuschränken, und eine vorbera-
thende Behörde von altern Männern niederzusetzen. -i Schon
der Name dieser Behörde irpoßouXoi deutet auf einen oligarchi-
schen Charakter ^] . Uebrigens ist das Wirken derselben uns
Avenig bekannt; nur soviel wissen wir, dass sie der Oligarchie
thätig vorarbeitete ^) . Mit dieser Einrichtung begnügte man
sich einstweilen; bald bot sich Gelegenheit weiter zu gehen.
■*) [Grote zeigt in der ganzen Darstellung, wie verhältnissmässig gesetz-
lich und mild das athenische Volk verfahre, wenn man es vergleiche mit
einer Reihe ähnlicher Fälle in der neuern Geschichte. Aber er beachtet
nicht genug die schrecklich unpolitische Seite des Verfahrens gegen Alki-
biades.]
-) Thuc. VIII, 1 : dooxet . . . äpy-r]v "civa rpeafl'jxepwv Ävopwv sXsci^at rn
Ti^e? Tiepi Ttöv -apovTiuv , tu; av xatpci; ^, rpo^ouXeuJO'jsi. Vergl. Krüger
Commentat. Grit, et Hist. hinter Dionys. Historiogr. p. 273. Hermann
Lehrb. d. gr. St. §. 165, 10, 11.
3) Arist. Polit. VI, pg. 174, 13 ff. VII, 193, 16 Bekker.
*) Nach Lysias c. Eratosth. §. 65. Unter den Probulen war auch
Hagnon, Adoptivvater des Theramenes. Eine Verwechslung mit den
spätem Proedren und den Syngrapheis anzunehmen sehe ich keinen
Grund. [?] [Die Thätigkeit der Probulen für die Oligarchie hat Büttner
bestimmt abgeleugnet, obwohl die von K. F. Hermann angeführte Stelle
aus Arist. Rhetor. III, 18,- 6: ei eoo^ev aÜTw (Socpo/cXei) ücizep v.ru toT;
ä7iXou rpoßoüXotc -iCa-aaTfioat to-j? xsxpaxoaio'j; allein die Sache entscheidet.
In der Recension von Büttners Werk, meint dann Hermann, es sei die
Nachricht von den 30 O'JYypactEi? bei Philochoros und Androtion mit den
10 (jL»YYp'3'^ei? a'jTOxpa-opsc in der Weise zu vereinigen, dass den 10 be-
184 Die oligarchische Partei uxd die Hetalreen in Athen.
Mit dem Frühling des Jahres 412 nämlich war der Kjieg
in Hellas mit erneuter Wuth losgebrochen, und wurde, wäh-
rend ein peloponnesisches Heer von Dekeleia aus Athen blo-
kirte, vorzüglich an der Küste Yorderasiens geführt, wo beson-
ders auf Alkibiades Antrieb die persischen Satrapen Sparta
unterstützten, und die Oligarchen eine athenische JJundesstadt
nach der andern auf dessen Seite brachten, besonders (^hios ^] ,
Miletos 2 ; . bald auch Rhodos 3] und Byzanz ''; . Lakedaimoni-
sche Befehlshaber, Harmosten genannt, gaben der oligarchisch-
lakonischen Partei einen festen Halt , so dass es schwer war,
später eine solche Stadt Avieder auf athenische Seite zu bringen ^] .
Nichts desto weniger leisteten die Athener einen unerwarteten
Widerstand, und gewannen bald durch einige glückliche Waf-
fenthaten das alte Vertrauen auf ihre Ueberlegenheit zu See
wieder. Sie machten zum Mittelpunkt ihrer Operationen Sa-
mos, auf dessen Treue sie sicher zählen durften. Während
nämlich in den meisten Städten loniens sich die lakonische
Partei rührte, scheint ähnliches auch in Samos geschehen oder
wenigstens beargwöhnt worden zu sein. Darum erhob sich im
Sommer 412, in Gegenwart einiger athenischer Schiffe, das
Volk gegen die Vornehmen, welche hier Geomoren hiessen,
und \s-ie es scheint bedevitende politische Vorzüge besassen.
Zweihundert derselben wurden getödtet, vierhundert vertrieben,
die Epigamie ius connubii] mit ihnen aufgehoben, und alle
Gewalt in die Hände des Demos gelegt ^ . Hierauf eitheilte
stehenden Probulen für den besondern Zweck ausserordentliche Vollmacht
ertheilt, und 20 weitere c^YTr^'^r-'^' ^^^ Beisitzer zugeordnet seien. Wenn
das nicht genüge , so möchte er lieber annehmen , es sei bei Thukydides
A tptäv.ovTa; in Aoly-cr.) übergegangen, cf. meine Bemerkung in: Alkibiades
und Lysandros. Sehr. I S. 115 A. 1. Büttner behauptet sogar, die
Einrichtung der Probulen sei bald wieder verschwunden. Wenn er dar-
unter versteht, schon vor der Einsetzung der 400, so widerlegt ihn
schon hinlänglich die Lysistrata, welche unter Archon Kallias also
Winter 412/11 aufgeführt ist und wo die Probulen eine so grosse Rolle
.spielen.]
1) Thucyd. MII, 5. 9. 10. 14. 24.
2] Thucyd. \lll, 17. 3j Thucyd. MII, 44.
4] Thucyd. Vni, 80. 5 Thucyd. YHl, 38.
6) cf. Thucyd. \T^II, 21. Krüger Commentat. Grit, et Hist. hinter
Dionys. Historiogr. p. 327 — 330. [Bezieht sich vielleicht auf diese Zeit die
Die oligarchische Partei und uie Hetairien in Athen. 185
Athen den Samiern die unter Perikles entrissene Autonomie
wieder, und fand in ihnen so treue Bundesgenossen, dass sie
selbst nach der Schlacht bei Aigos Potamos nicht abfielen,
sondern erst durch eine harte Belagerung zur Uebergabe an
Lysandros gezwungen Avurden i; .
Indessen hatte Alkibiades, der immer auf llückkehr
nach Athen sann, das Misstrauen der Lakedaimoiiier auf sich
gezogen und sich darum zu dem persischen Satrapen Tissa-
phernes begeben. Von da trat er im folgenden Winter mit
den angesehensten Männern auf der athenischen Flotte bei
Samos in Verbindung untl liess sich verlauten, er wünsche in
seine Vaterstadt zurück zu kehren und werde ihr die Freund-
schaft des Tissaphernes verschaffen, wenn statt der Demokratie,
welche ihn vertrieben , eine Oligarchie eingerichtet werde ^] .
Mehr noch, als auf Alkibiades Wiuisch, suchten die ange-
sehensten Athener aus eigenem Antrieb die Demokratie zu
stürzen ^) . Darum gingen einige von ihnen zii Alkibiades.
verabredeten das Nähere , und bildeten , nach Samos zurück-
gekehrt, eine Verschwörung aus den Leuten, welche sie
dafür tauglich hielten. Zugleich verbreiteten sie das Gerücht
von der bevorstehenden A eränderung unter das Heer, welches
zwar darüber murrte, aber sich doch, in Erwartung des Soldes,
der durch die Bundesgenossenschaft des Tissaphernes reich-
räthselhafte Geschichte bei Heraclid. Ponticus c. 10? 0£OY£vr^; os twv
SafAituv Ti;, eü'f'JYj? p.£v, aXXcu; oe asojTo; 7.at zovTjpo? cfS'JYwv tt,v -aTpioct,
öiaTpißcuv 6s 'A&-rivTj3i zap' Eiipizioirj vm tö '{'js'xwt aüioO ot^/fÖEipiov, auvepYOV
a'jTÖv /.aß(juv, TTiiSei to'j; 'Ai^T^vaio'j; 6t3yt}.iov»; et; 2äij.ov ärrosxED.ar ot 0£
e).9ovt£; -avToi; £^£;3a/.ov.]
1; Xen. Hell. II, 2. 6; 3. 6 und T. [Archäolog. Mittheilungen aus
Griechenland nach Otfr. Müllers hinterlass. Papieren, herausgeg. von Ad.
Scholl p. 58. 59.]
2, Ueber die Herrschaft der Vierhundert vgl. man besonders Krüger
Comment. Grit, et Histor. c. 7. p. 362 seq. hinter Dionys. Historiogr. Dass
Alkibiades sich an die Oligarchen wandte und Einführung einer gemässig-
ten Oligarchie wünschte , hat seinen Grund wohl darin , dass er, so lange
Androkles und ähnliche Demagogen an der Spitze des Volkes standen, die
Heimkehr nicht erwarten durfte.
3j Thucyd. VIII, 47 : tö os ttXeov xat dro acpcüv «ütöjv ol iv tt^ 2ä(j.oj
TpiT|papyot TS Töjv 'AftrjVcitojv y.al O'jvaTOJTOtTOi öjppi7;N-o ic, t6 -/.aTaXüoat rr^-t or-
[jioy.paTtav.
186 ^^ OLIGÄUCHISCHE PaRTEI UND DIE HeTAIRIEN IX AtHEX.
licher und regelmässiger ausbezahlt -werden sollte, einstAveilen
beiiihigte. Als ihr keine Schwierigkeiten im Wege zu stehen
schienen, hielten die Anstifter der Verschwörung noch eine
Berathung mit dem grössten Theile der Genossen V . Hier be-
urtheilte der Feklherr Phrynichos. ein Mann von gemeiner
Herkunft, der sich durch Sykophantie emporgesclnvungen -^ ,
die Absichten des Alkibiades aufs richtigste. Er zeigte, Avie
demselben an der OHgarchie so wenig hege, Avie an der De-
mokratie, und er für jetzt nur mit allen Mittehi seine Rück-
kehr betreibe, und welchen Nachtheil in den JiundesAerhält-
nissen die Umwälzung her\'orbringen Averde, AAesAACgen er sich
den Vorschlägen AAidersetzen müsse •-'i . Allein die ^'erbünde-
ten"*) beschlossen vielmehr, in dem angefangenen Unternehmen
fortzufahi-en , und sie schickten den Peisandros, der aus
dem Hermesprocess uns bekannt ist. mit einigen andern Ab-
geordneten nach Athen, dort des Alkibiades Zurückberufung
und den Sturz der Demokratie einzuleiten. Aus Furcht vor
Alkibiades machte darauf Phrynichos einen A' ersuch die ganze
athenische Flotte den Lakedaimoniern durch Verrath in die
Hände zu spielen, Avas mxr an der ebenso grossen Schlechtig-
keit und Verrätherei des lakedaimonischen Admirals Astyochos
scheiterte ^) ; Peisandros aber kam mit seiner Gesandtschaft nach
Athen, avö er, trotz des anfänglichen Widerstrebens Vieler,
sich auf geschickte Weise seines Auftrages entledigte, indem
er die Rückkehr des Alkibiades und die Hülfe Persiens als
das einziore Rettuno^smittel darstellte. Er AA-urde mit zehn an-
dern Männern bevollmächtigt, die Unterhandlungen mit Alki-
biades und Tissaphernes nach Gutdünken zu leiten ; zugleich
bcAvirkte er die Abberufung des damals den Oligarchen ver-
dächtigen Phrynichos und des Skironides. Was aber das
1) Thucyd. VIII , 48 : oi hk ^-jvta-ä-.-e; ttjv oUyxpyiw , e-eiOYj -tu TiÄTjöei
^-/cotvtt)vr,aav , aO&i; xal cccfatv a'jxoi; "/.al toj ^xaipixoü tuj -\io-n -a. d~b xoü
'AXvtißici5o'j Itaöt.o'J'k
2) Lysias pro Polystrato § 11. 12.
3) Thucyd. VIU, 48.
*) Thucyd. VIII, 49: oi oe I'jÄXeyevtec twv h zr^ |'j[j.ij.a-/ta, Avelche er
dem Phrynichos entgegensetzt, der nicht von Anfang an bei der Sache Avar.
[Dobree Avill xöjv iv xrj l'jvwtxosta lesen.]
5, Ueber diese merkwürdige Geschichte cf. Thucyd. \^^, 50. 51.
Die oligarchische Partei uxd die Hetairiex in Athen". IST
wichtigste von allem "war , er b e w o g alle Verschwörun-
gen, welche bis dahin in Athen für Wahlen und
Processe bestanden hatten sich zu vereinigen zu
dem gemeinsamen Z wecke , die Demokratie zu stür-
zen 1 1 . So finden wir* jetzt seit den Zeiten des Thukydides
zum ersten Mal alle mit der bestehenden Ordnung Unzufrie-
denen zu einer grossen Genossenschaft verschworen, Avelche
diesmal kein Mittel scheut , und bald den ganzen Staat ihrem
Einiluss unterwirft.
Wiewohl sich nun bald die Unterhandlungen mit Alkibia-
des und Tissaphernes an den überspannten Forderungen dieser
zerschlugen, beschlossen die Häupter der oligarchischen Fak-
tion dennoch nicht von der Einrichtung der Oligarchie abzu-
stehen; und das liefert, Avenn es irgend nöthig wäre, den
besten Beweis, dass sie den Alkibiades eben so sehr zum Yor-
Avande gebraucht hatten, wie dieser in ihnen nichts anders als
ein Werkzeug zur Rückkehr gesucht hatte 2]. Sie beredeten
also die angesehensten Samier, auch in Samos die Demo-
kratie zu stürzen, sandten Peisandros mit fünf der Abgeord-
neten nach Athen, mit dem Auftrag, auch unterwegs in den
Bundesstädten Oligarchien einzurichten, die übrigen fünf nebst
einigen andern Männern in die andern Städte der Bundesge-
nossenschaft. Diese Politik rächte sich aber bald; denn wo,
wie in Thasos durch Diotrephes geschah, wirklich die Oligar-
chie eingeführt AAtirde , folgte auch auf dem Fusse der Abfall
von Athen , das in seiner impro\dsirten oligarchischen Gestalt
den Feinden der Demokratie nicht mehr Zutrauen einfiösste
als früher 3 .
Unterdessen Avar Peisandros nach Athen gekommen, be-
gleitet A'on einer Schaar Hopliten , die er aus gleichgesinnten
Männeni mehrerer Inseln gebildet ^ . Hier fand er Alles durch
dieHetairen aufs trefflichste A'orbereitet. Diese hatten nicht
nur den Demagogen Androkles, der aus dem Hermokopi-
denprocess bekannt ist, durch Mord Aveggeräumt, und schon
offen das Gerücht ausgestreut , aller Sold , Avelcher den Rich-
tern, dem Rathe und dem Volke ausbezahlt ward, müsse hin-
1) Thucyd. VIII, 54. 2) Thucyd. VIII, 63.
3, Thucyd. Ylll, 64. *) Thucyd. VIII, 65. 69.
188 I^IE OLIGARCHISCHE PaRTEI UND DIE HeTAIRIEN IN AthEX.
fort aufliören und die Souveränetät an 5000 der begütertsten
Bürger übergehen; sie hatten auch schon eine solche Macht
gewonnen, dass. wiewohl noch die demokratischen Behörden
bestanden, dennoch nichts ohne oder gegen ihren Willen ge-
schah. Niemand wagte mehr zu widersprechen, nur Redner
aus der Mitte der Hetairen traten auf, und alle Massregeln
wurden zuvor in dem (ylub besprochen und vorbereitet. Er-
hob je einer seine Stimme gegen sie, so wurde er auf eine
angemessene Weise hinweggeräumt, und niemand dachte an
Untersuchung und Bestrafung der Thäter. Weil niemand
wusste , AVer der Verschwörung angehöre , Aver nicht , und die
meisten sie für zahlreicher hielten, als sie wirklich war, wurde
jede Vereinigung zum Schirm der Verfassung unmöglich und
die eifrigsten Demokraten misstrauten einander, weil man
Männer mit an der Spitze der oligarchischen Bewegung sah.
denen man es nie zugetraut hatte ^i.
So war es dem Peisandros leicht das Ziel zu erreichen.
Nach seiner Ankunft -sATirde zuerst in der ^'olks Versammlung
vorgeschlagen und angenommen, zehn Männer Syngrapheis)
zu wählen, welche dem A'olke an einem bestimmten Tage einen
Vorschlag bringen 'sollten, auf welche Weise die Verfassung
am besten eingerichtet werden könne '^\ . An dem bestimmten
Tage (27. Febiiiar 411 3 wurde das Volk nicht an dem ge-
wöhnhchen Orte, in der Pnyx, oder dem Theater versammelt.
)) Thucyd. VIII, 66.
2) Thucyd. VIII, 67 : el-ov •(^ith\).r;'i or/.ot ä'vooa; £/ia&at ^'jyyP^?^^' oiÜto-
xpatopa? , TO'JTO'J; 0£ ;'JYYp<i']'^"'~Ä; -^-iötiKr^') izt^if^xzl't I; tov of,aov I; r,[j.£pav
^TjT-fjv , •/.a»}' 0 Ti apiarot Tj zoXi; otv.T,a£Tat. Diese Syngrapheis scheinen von
den 10 Phylen gewählt worden zu sein. cf. Lysias pro Polystr. § 2. Her-
mann Lehrb. d. g. A. p. 637. und die nämlichen zu sein, welche auch
v.axa^.oYEi; heissen insofern sie die 5000 regimentsfähigen Bürger verzeich-
nen sollten, cf. Krüger 1. c. p. 375. A. 58. [Schömann Antiqu. p. 181. 2.
versucht aus Harpokration s. v. o'jyyP^j'^si? und aus Suidas rpoi^o'j/.oi nicht
ohne "Wahrscheinlichkeit zu zeigen, dass die 10 rpoßo-j/.oi zu a'jY7P''''r-^? ß'""
nannt wurden und noch 20 zu sich wählten, also im ganzen 30. Krüger
1. c. meint, Harpokration verwechsle die o'jYYP''T'^^i ^^ den 30 Männern.]
3) [Die Zeitbestimmung nach Dodwell. Ich weiss aber nicht, worauf
sich dieser 27. Februar gründet, der mir überdies etwas früh scheint.
Höchst merkwürdig ist aber , wie bei Poppo' in den tabulae chronol. die
Zusammenkunft der Gesandten mit Tissaphernes c. 56. in Anfang März
gesetzt wird, die Volksversammlung bei Kolonos, die später statt hatte.
Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen. 189
sondern ausserhalb der Stadt beim Heiligthum des Poseidon
in Kolonos, und dort trugen die Syngrapheis nichts anders
vor, als dass jeder Athener reden möge, wie er es für gut finde,
ohne der GesetzA\4drigkeit belangt werden zu können. Da stellte
Peisandros den Antrag: es sollen die alten Behörden
aufgehoben werden, fortan keine mehr Sold (Tag-
gelder erhalten, fünf Proedren (Vorsitzer) ernannt
werden, welche hundert Männer erwählen, von
denen wieder jeder drei bezeichnen solle. Diese
Vierhundert s o 1 1 e n m i t u n b e d i n g t e r A' o 1 1 m a c h t re-
gieren und die fünftausend zusammenberufen so
oft es ihnen beliebe ^j.
Ohne Widerspruch nahm die Gemeinde den Vorschlag an,
die Vierhundert wurden ernannt, und drangen jeder mit einem
Dolche bewaffnet, von 120 entschlossenen Jünglingen 2) beglei-
tet, in das Kathhaus, wo sie den bisherigen verfassungsmässi-
gen Rath der Fünfliundert nach Hause gehen hiessen, nach-
dem sie ihm noch den Sold für den Rest der Amtszeit ausge-
zahlt 3) . Darauf installirten sie sich förmlich , begingen die
gebräuchlichen Opfer, ernannten neue Beamte^) u. s. w.
auf den 27. Febi'uar ! ! Dodwells Annahme, dass die Oligarchie noch unter
Kallias Archontat gestüi'zt worden sei, wird widerlegt durch vitae X
oratorum p. 833e p. 1016 Dübner: i~i Beo-öfJizou ap/ovro? Icp' o'j ol
T£tpaxo3tot xateXüOrjoav. Hingegen eingesetzt wurden sie unter Kallias cf.
ibid. p. 835 e p. 1018 Dübner. ^::t KaXXio'j roü fiExd KXsoxptTov apyovxoi;
ffi-i] Töjv T£Tp'axo3tojv v.aT£y6vTwv JTT,v "oXtv. Dass sie vier Monate währte,
sagt Aristoteles bei Harpokration s. v. zz-pa-AÖ'zioi , Suidas und Photius
s. V. cf. Clinton zum J. 411.]
1 Thucyd. \T:II, (IT.
-I Diese 120 Jünglinge, die nach Wasse und Krüger zum Unterschiede
der Skythen 'EXXr^ve; heissen, sind offenbar nichts anders als eine Art frei-
williger Leibwache der Oligarchen, wie sie unter den Dreissig wieder vor-
kommt, (cf. Xenoph. Hell. II, 3, 23. 50. Thucyd. VIII, 69.) wie Krüger
I. c. p. 377. A. 63. schon vermuthet. Vielleicht deutet der Beisatz "EXXr,vec,
falls er acht ist, aber auch darauf, dass die Männer nicht lauter Athener
Avaren, sondern auch andern Staaten , in denen Peisandros vorher die De-
mokratie gestürzt hatte, angehörten.
3, Dies scheint mir die richtige Erklärung der Stelle, worauf besonders
■zn^-öi hinweist, cf. Böckh, athen. Staatsh. I, p. 250 erste Ausgabe, [pg.
327 zweite Ausgabe ; ebenso erklärt diese Stelle der treffliche Vischer A.d.H.]
Anders Krüger 1. c. p. j77 A. 04.
*) cf. Krüger 1. c. p. 377 A. 65.
190 Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen.
So Avar mit einer unerwarteten Schnelligkeit den Ver-
schworenen gelungen, die alte Demokratie zu stürzen, und
sich der Gewalt zu bemächtigen ; dass es so gegangen war,
findet seine Erklärung besonders in dem Umstände , dass die
kräftigsten und tüchtigsten Männer der Demokratie im Felde
standen, und in der grossen Besonnenheit und Schlaulieit wo-
mit gegenüber dem führerlosen Demos die Oligarchen handelten.
Unter den Führern der Letztern tritt zwar offen besonders
Peisandros hervor; allein die Seele der ganzen Unterneh-
mung war Antiphon der Rhamnusier 1 , bekannt als aus-
gezeichneter Redner, und an persönlicher Tüchtigkeit von
keinem Zeitgenossen übertroffen 2 . Ferner entmckelte eine
ausserordentliche Thätigkeit Phrynichos; denn wiewohl an-
fänglich Demokrat und den Oligarchen verdächtig, trat er.
sobald diese mit Alkibiades abgebrochen hatten, auf ihre
Seite, weil er sich so vor der Rache des beleidigten Mannes
am ehesten zu sichern glaubte ^ . Nicht minder eifrig war
Theramenes der Adoptivsohn Hagnons , einer der gewandte-
sten Staatsmänner jener Zeit, der aber wegen seiner Cha-
rakterlosigkeit mit Recht schon von seinen Zeitgenossen ver-
achtet wurde •* . Ausserdem sind noch besonders zu nennen
Kallaischros und sein Sohn Kritias^ . Archeptolemos ''y . Aristo-
1) [Ueber Antiphon, Pythodoros, einen der 400 nach Diog. Laert. IX,
VIII, 5. 54, Kallaischros, Polygtratos und Aristoteles, die alle über Tu
Jahre gewesen sein sollen, cf. Dryander de Antiphonte p. S. 9. Mit Recht
verwirft Dryander die Annahme Droysens, Rh. Mus. 3. 1S3.5. p. 197, es
sei Kallaischros der Sohn des Kritias, nicht sein Vater. j
2j Thucyd. YIll, 6S. Krüger 1. c. p. 373. A. 54.
3) Thucyd. VIII, 6S. Lysias c. Agor. § 73: or|ij.o'j ■/aT'//.'jG£oj; d-o).. § 9.
*) Am richtigsten beurtheilt ihn Lysias adv. Eratosth. § 63 S. squ.
Andere Urtheile anzuführen wäre zu weitläufig', ich verweise daher auf
"NVachsmuth hellen. Alterthumskunde I, 2. p. 200.
°, Lysias adv. Eratosth. § 66. Demosth. in Theocrinem p. 1343. Krü-
ger 1. c. p. 374. A. 55. [Funckhänel über die Redner als historische Quelle,
Ztschr. f. Alterthumwissensch. 1836 n. 130. S. 1047 meint der Verfasser
der Rede gegen Theokrines nenne Kritias unter den 400, nur durch Ver-
wechslung der 30 mit den 400 statt seines Vaters Kallaischros , was aber
doch des Beweises ermangelt, besonders wenn wir uns der Nachricht des
Lysias c. Agorat. erinnern, dass alle Dreissiger früher zu den 4u0 gehört
hatten.]
6j Lysias c. Eratosth. § 67. Archeptolemos war Sohn des Hippodamos
Die oligarchische Partei und die Hetairiex iis* Athen. 191
teles^,, Eratosthenes^ , Aristokrates . der Sohn des Skellias^j,
Aristarchos ^) und Alexikles -^i . Andere übersehe ich hier ^) .
Allein so schnell die Oligarchie eingeführt war, ehen so
schnell stürzte sie wieder zusammen ; und zwar ging ihr Sturz
eben von da aus . avo sie ihren Anfang genommen hatte , von
S a m 0 s . Kaum eingesetzt nämlich , versuchten die A'ierhun-
dert, Aviewohl ohne Erfolg, mit Sparta Frieden zu schliessen '') ,
und schickten zugleich zehn Gesandte um das Heer in Samos
zu gewinnen. Allein hier hatten sich die Sachen geändert,
die 300 Samier nämlich, welche Peisandros zu einer oligarchi-
schen Eevolution auf ihrer Insel gewonnen hatte . Avaren von
den Demokraten mit Hülfe der Athener überwältigt worden^ ;
die zurückgebliebenen Führer Leon, Diomedon, Thra-
syllos und Thrasybulos stimmten das Heer durchaus ge-
gen die Oligarchie, und als n\in übertriebene Kunde von der
Tyrannei der Merhundert anlangte^, , verbündeten sich die
Athener in Samos , mit den Samieiii durch schwere Eide zu
standhaftem Kampfe gegen die Oligarchie \nid gegen Lake-
daimon^o . Dann beschloss das Heer, das sich als Demos
constituirte. A 1 k i b i a d e s solle zurückberufen werden. (Ende
April 4 1 1 . Kaum in Samos angelangt , Avurde er zum Feld-
herrn ernannt und rettete Athen dadurch, dass er das erzürnte
Heer von einer Fahrt gegen die A'aterstadt abhielt; durch die
Boten aber, welche von den Yierhuiulert geschickt worden
aus A^rj^le. Arist. Ritter v. 327 und Scholien dazu, üb er aber des be-
rühmten ^lilesiers Sohn, ist höchst zweifelhaft. C. F. Hermann de Hippo-
damo Milesio p. 5 squ. Plut. Aatae X orat. p. S33 f. p. lOK) Dübner.
1) Xenophon Hell. II, 3, 46. 2, 18. Plato Parm. p. 127 d.
-) Lysias c. Eratosth. § 43.
3) Thucyd. VIII, 89. 92.
4) Thucyd. VIII, 90. 98. Xenophon Hell. II. 3, 46.
5] Thucyd. VIII, 92. 93.
6; Ausser den von Taylor in Lysias Leben p. 121. genannten sind noch
anzuführen die übrigen Männer, welche später unter den Dreissig erscheinen,
da diese nach Lysias c. Agorat. § 74. alle den Vierhundert angehört hatten;
also namentlich auch Charikles. Vgl. Isocrat. d. big. § 42. Ferner lassen
sich noch dazu rechnen latrokles nach Lysias adv. Eratosth. §. 42. und
wahrscheinlich Diotrephes nach Thucyd. VIII, 64.
7) Thucyd. VIII, 70. 71. ' «; Thucyd. \'TII, 73.
9; Thucyd. VIII, 74. 'o^ Thucyd. VIII, 75.
192 DiB OLIGARCHISCIIE PaRTEI UXD DIE HeTAIRIEN IX AthEN.
waren, liess er diesen zurückmelden, sie sollen dem alten
Rathe Platz machen, hingegen möge die höchste Gewalt bei
den Fünftausend die übrigens nie erwählt worden waren)
bleiben, die Einscliränkungen, die man in den Ausgaben ein-
geführt, seien löblich 'j .
Die Nachricht brachte in Athen Unruhen hervor, die
um so gefährlicher wurden, als sich bereits unter den Herr-
schenden Spaltungen zeigten; denn Theramenes und Ari-
stokrates und einige Andere, welche ihren Ehrgeiz nicht
genug befriedigt fanden, auch voraussahen, dass die Oligarchie
nicht von langer Dauer sein könne , neigten sich wieder auf
die Seite des Demos '^] , und schürten das Feuer gegen die neue
Regierung. Die entschlossenen Führer der Vierhundert aber
versuchten nun um jeden Preis mit Sparta einen Frieden zu
schliessen, Avährend sie zugleich auf einer Landzunge des Pei-
raieus, Eetioneia, eine Befestigung bauten, um der Einfahrt in
den Hafen Meister zu sein^ . Die zu genanntem Zwecke nach
Sparta abgeordneten Gesandten , unter denen sich Antiphon
und Phrynichos befanden, kamen nun zwar ohne einen Frie-
den für die gesammte Stadt zurück, allein sie hatten mit dem
Feinde eine geheime Uebereinkunft geschlossen, ohne Zweifel
ihm die Stadt zu übergeben, unter der Bedingung, dann die
höchste Gewalt in derselben , unter Lakedaimons Schutz , zu
erhalten^ . Denn sie wollten zwar am liebsten mit einer
oligarchischen Verfassung auch über die Bundesgenossen
herrschen, wo aber das nicht möglich wäre, mit Beibehaltung
der Flotte und der Mauern autonom sein, wenn aber auch das
nicht gewährt würde, lieber die Feinde herbeiiiifen und ihnen
Flotte und Mauern preis geben , als die Gefahr erwarten , die
ihnen bei der Herstellung der Demokratie drohte s.
1) Thucyd. VIII, 86.
2) Thucyd. VIII, 89. Lys. c. Erat. § 66 ff. Xenoph. Hell. II, 3, 30. 46.
3) Thucyd. VIII, 90.
*) Das liegt ganz klar in den Worten des Thucyd. \T!1I, 91 : ol rpssßtt;
o'joev 7:pa|avT£; dveywpTjiav toi; ;'j(i.7:aot |'j[x^a~iiiciv verglichen mit r^-t hi ti
y.at ToioÜTOv a.~o tü)v tt,v 7.aTr,YCip'.av iyö'i'w^, v.al oj r.dvj ?ta^o/.T, uovov toü
XofO'j. Vgl. Xenophon Hell. II, 3. 46.
5) Thucvd 1. c.
Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen. 193
AVährend mm die Gährung von Tag zu Tag stieg, wurde
Phrynichos auf ofFenem Markte am hellen Tage ermordet,
ohne dass es gelungen wäre, des Mörders habhaft zu werden;
hingegen Avurde ein Mitschuldiger desselben ergriffen ; als aber
dieser angab, es fänden häufige Zusammenkünfte statt, wagten
die Vierhundert keine Untersuchung, so war ihre Macht schon
gesunken^). Hierauf erhob sich im Peiraieus unter der ge-
heimen Leitung des Theramenes und Aristokrates offener Auf-
mhr, die neue Befestigung Eetioneia wurde zerstört, unter
lauter Anklage gegen die Verrätherei der Vierhundert 2) . Die
Empörten zogen bewaffnet in die Stadt, wo sie der üath einst-
weilen durch das Versprechen beschwichtigte, die Fünftausend
bekannt zu machen, aus denen dann der Keihe nach der Rath
der Vierhundert genommen werden sollte. Als aber an dem
zur Bekanntmachung der Fünftausend bestimmten Tage sich
die Athener im Theater des Dionysos versammelten, wurde
plötzlich gemeldet , dass der Spartiate Agesandridas mit 42
Schiffen von Megara heransegle. Da stürzten alle, indem sie
nicht ohne Grund glaubten, es handle Agesandridas in Ueber-
einstimmung mit den Vierhundert, in den Hafen, um auf jede
Weise eine Landung zu verhindern ; die peloponnesische Flotte
fuhr aber am Peiraieus vorbei, umsegelte Sunion, schlug
eine eilend nach Eretria gesandte athenische Eskadre und
brachte Euboia zum Abfall von Athen, mit einziger Ausnahme
der Stadt Oreos ^i . Die Nachricht von diesem Unglücke
1) Darüber cf. Krüger 1. c. p. 384. A. 97, der mit Recht bemerkt, dass
Lysias Autorität (c. Agorat. §. 71 ff.) hier der des Thucyd. VIII, 92. wohl
vorzuziehen, weil er sich auf Psephismata bezieht, [cf. Scheibe ölig. Um-
wälzung p. 50. Lycurg ctr. Leocrat. § 112 nennt Apollodor und Thrasy-
bul als Mörder, die verhaftet und dann wieder freigelassen wurden. Bergk
Ztschr. f. A.W. 10. 1847. n. 137. 138. 139. S. 1099ff. sucht in einer von
Ussing mitgetheilten Inschrift das Psephisma nachzuweisen, in welchem dem
Mörder des Phrynichos, Thrasybulos von Kalydon, Belohnungen gegeben
wurden. Vgl. jetzt Kirchhoff Monatsb. d. Berl. Akad. 1861. S. 601 ff.
C. I. A. I, 59.]
2) [Dabei wurde Alexikles verhaftet und Hermon Thucyd. VIII, 92.
Dieser ist Befehlshaber der -sptTroXot in Munychia, nach Böckh derselbe,
der in der Inschrift C. I. G. 147 vorkommt als Befehlshaber der Truppen
die nach Pylos geführt wurden im J. Ol. 92, 3. kurz vor Verlust des Ortes
cf. C. I. G. I, p. 221.]
3) Thucyd. VIII, 95.
Vi seh er, Schriften I. 13
194 l^IB OLIGARCHISCTIE PaKTEI UND DIE HeTAIRIEN IN AtHEN.
brachte ganz Athen in noch grössere Bestürzung, als einst die
Kunde von der Niederlage in Sicilien, und hätten die Lake-
daimonier diesen Augenblick benutzt, so hätten sie dem Kriege
ein plötzliches Ende gemacht; aber ihre geAvöhnliche Lang-
samkeit schob die Entscheidung noch um einige Jahre hinaus.
Die Athener aber versammelten sich, seit Peisandros Ankunft
zum erstenmal, (ungefähr Mitte Juni 411), wieder in der Pnyx,
machten der Herrschaft der Vierhundert ein Ende, beschlossen,
dass die höchste Gewalt bei den Fünftausend sein solle, zu
denen gehöre , wer sich bewaffnen könne ^) , und dass keine
Behörde besoldet werden solle. In spätem Versammlungen
ordneten sie den zerrütteteten Staat auch im Einzelnen, und
bewiesen überhaupt hier eine seltene Besonnenheit, welcher
sie besonders den in der nächsten Zukunft glücklichen Gang
des Kriegs verdankten. Jetzt erst wurde auch in der Stadt
die Rückkehr des Alkibiades und anderer Verbannten
beschlossen '^) . Gegen die gestürzten Oligarchen wurde im
Ganzen Mässigung beobachtet. Peisandros, Alexikles^i, Ari-
stoteles *) und andere besonders Schuldige entwichen nach De-
keleia. Aristarchos führte eine Abtheilung der barbarischen
Polizeiwache mit sich und brachte O i n o e auf der Gränze At-
tikas in die Hände der Boiotier-''^ . Antiphon und Archeptole-
mos wurden und zwar wie Lysias berichtet, auf Theramenes
Anklage, als Landesverräther zum Tode verurtheilt und hin-
gerichtet'\, , ihr Vermögen, wie das der Flüchtigen, confiscirt'),
1) Es sind Thucyd. Worte VIII, 97: elvat he aOtöJv ö-oaot -/.cti ZrJ.a r.n-
plyovTai so zu verstehen, dass jeder Bürger, der eine vollständige Hopliten-
rüstung hatte, zu den Fünftausend gehärte, deren Name nur ungefähr der
unbestimmten Zahl entsprach.
2; Thucyd. VIII, UT.
3) Thucyd. VIII, 9S. [cf. Lycui-g. ctr. Leoer. § 112 und Sauppe dazu,
p. 1-16. Peisandros und Alexikles scheinen später sich gestellt zu haben
und hingerichtet worden zu sein.]
4) Xenoph. Hell. II, 2. 18.
5) Thucyd. VIII, 9S. Xenoph. Hell. I, 7, 28 [u. Lycurg. c. Leoer. 1. c.
u. Sauppe dazu.]
6) Lys. c. Eratosth. § 67. Thucyd. VIII, 68. Plutarch vita Antiph. p.
833 a. p. 1015 Dübner. [Dieser hat das Psephisma gegen Archeptolemos
und Antiphon. 833 e. p. 1016 Dübner.
'') [Ueber die Confiscation des Vei-mögens des Phrynichos, Archeptole-
Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen. 195
die Namen auf Säulen eingegraben. Die Meisten aber blieben
ungestraft in Athen ^ ) . So endete nach viermonatlicher Datier
die erste durch die Hetairien en'ichtete Oligarchie, um die
Mitte des Jahres 4 1 1 unter Archon Theopompos , um nach
sieben Jahren wieder in den Dreissig aufzuleben 2) .
Denn im Geheimen dauerten die Verbindungen und Um-
triebe zum Sturz der Demokratie fort, und besonders finden
wir den abtrünnigen Theramenes^i bald wieder thätig.
Dieser hatte zwar anfänglich nach dem Sturze der 400 das
höchste Ansehen in Athen, allein bald verdunkelte ihn Alki-
biades, welcher im Jahre 408 nach einer Reihe der glänzend-
sten Siege unter allgemeinem Jubel in seine Vaterstadt zurück-
kehrte. Darum erhob sich gegen ihn, wiewohl seit seiner
Entfernung von Tissaphernes ihm in keiner Beziehung ein
Vorwurf gemacht werden kann , und er vielmehr durch seine
frühern Schicksale zur Besonnenheit gebracht, mit weiser Um-
sicht und reinem Eifer für Athen handelte, doch schnell wieder
aus Neid eine mächtige Partei, in der, wie zur Zeit des Her-
mokopidenprocesses , Demokraten und Oligarchen vereint ge-
mos, Antiphon, Onomakles u. a. vgl. Meier de bonii? damnatorura S. ISI
— 184. Aber nicht alle von den 400 wurden von dieser Strafe betroffen,
wie unter andrem die Rede des Lysias für Polystratos zeigt.]
1) [So ganz unbestraft blieben die 400 doch nicht, denn nach der Pa-
rabase der Frösche waren sie atim. cf. v. 693 squ. u. Scholion.] — Unter
ihnen ist besonders Kritias zu nennen , der in den ersten Versammlungen
nach dem Sturze der Vierhundert sehr thätig gewesen zu sein scheint.
Vgl. Lycurg. c. Leocrat. p. 164. § 112. und Sauppes Anmerkung dazu.
Man ist versucht anzunehmen, er habe der Fraktion des Theraraenes und
Aristokrates angehört; dem widerspricht aber Xen. Hell. II, 'ä, 30. Lys.
c. Eratosth. §. 43 ff. §. 55.
2) [lieber die Zeit vgl. S. 188 A. 3. — Wahrscheinlich wurde die
Oligarchie im Spätsommer aufgehoben. Sie dauerte nach Aristoteles vier
Monate und nicht, wie ich nach Poppo fälschlich gesagt: »nicht ganz
vier Monate.« — Vergleicht man, dass nach Thukydides Alkibiades nicht
lange nach der Schlacht bei Kynossema nach Kos und Halikarnass ging,
dann Trept -ö [JieTOTKupov t^otq (etwa 9. August) nach Samos zurückfuhr, so
möchte wohl die Auflösung der 400 ziemlich in den Anfang des Archontats
des Theopompos zu setzen sein, etwa in den Juli. — Das Jahr des Theo-
pomp fängt nach dem metonischen Cyclus mit deni 25. Juni an; da aber
dessen Gültigkeit nicht erwiesen ist, so kann man darauf nichts geben.]
3) Lys. c. Agorat. § 9 ff.
13*
196 r)rK OLIGARCHISCHE PaRTP:I UND DIE HeTAIRIEN IN AthEN.
wesen zu sein scheinen. Das unglückliche Gefecht, das, gegen
seinen ausdrücklichen }>efehl, sein Steuerraaim Antiochos wäh-
rend seiner Abwesenheit lieferte und verlor, gab die Veran-
lassung, ihn vom Oberbefehle der Flotte abzurufen, worauf er,
ohne auf Rache zu sinnen, sich auf seine Besitzungen im thra-
kischen Chersones zurückzog. ^)
Indessen hatten die Spartiaten den Lysandros als Ad-
miral nach lonien geschickt. Dieser schlaue Mann, dem alle
Mittel gleich galten , wusste nicht nur die Freundschaft des
Jüngern Kyros zu gewinnen iind die Waffen aufs glücklichste
zu führen, sondern er verschaffte den Lakedaimoniem einen
sichern Rückhalt, und untergrub die Macht der Athener da-
durch, dass er sich mit den Oligarchen aller Städte in eine
engere Verbindung setzte, als seine Vorgänger. Er forderte
sie überall, wo es noch nicht geschehen war, auf, sich in
Hetairien zu organisiren, und zugleich mit dem Abfalle von
Athen, auch die Demokratie zu stürzen , und er umgarnte so
ganz Hellas mit einem Gewebe, in dessen Mittelpunkt er alles
leitend und beaufsichtigend stand. 2] Sehr wahrscheinlich trat
er schon jetzt auch mit den athenischen Oligarchen in ein Ein-
verständniss , was ihm um so leichter wurde, da er einige
Flüchtlinge derselben in seinem Gefolge hatte. ^) Daher nahm
Lysandros in seiner Verfolgung der Demokraten keine Rücksicht
darauf, ob die Städte schon auf der Seite der Lakedaimonier
standen oder nicht ; Gewaltthaten fanden unter seinen Augen,
iinter seiner Leitung statt, wogegen die früheren Aufstände und
Eürgerfehden als Kleinigkeiten erscheinen. So, um nur eines zu
erwähnen, hetzte er seine Freunde in Miletos, das längst von
Athen abgefallen war, auf, einen Anschlag auf das Volk zu
machen, eilte, als dieser ausgeführt wurde, herbei, angeblich
um die Ruhe herzustellen. Aber damit bezweckte er nichts
anders als die Männer des Volks zu täuschen; als sie seinem
>) Plut. Alcib. 36. Xen. Hell. I, 5, 11—18.
2] Plut. Lysand. 5 und 13.
3) Xenoph. Hell. H, 2, 18. Dort wird Aristoteles in seiner Umgebung
genannt, der überhaupt in den Unterhandlungen mit Sparta überall her-
vortritt und zu den rücksichtlosesten Volksfeinden gehört haben mugs. Vgl.
Xenoph. Hell. H, 3, 2; 13; 46.
Die ölig archische Partei und die Hetairien in Athen. 197
Worte vertrauend, sich sicher glaiihten, Hess er sie bei 800 an
der Zahl ermorden. *) Auch während sein Nachfolger, der
edle Kallikratidas, den Flottenbefehl führte, gab Lysandros
seine Verbindungen mit den Hetairien nicht auf; vielmehr ge-
lang es ihm eben durch dieselben, jenem mancherlei Verlegen-
heiten zu bereiten, und, nach der Schlacht bei den Arginusen
(406), wieder an die Spitze der Flotte zu kommen. 2)
In dieser Zeit hatten auch in Athen die Verbündeten nicht
geruht. Es scheint, dass nach den glücklichen Kriegsthaten
des Alkibiades, die alte Demokratie daselbst wiederhergestellt
worden war, obwohl Xenophon, der leider für diese Zeit
Hauptquelle ist, davon nichts meldet, ^j . Dieser Zustand ge-
währte den Oligarchen weit mehr Gelegenheit für ihre Um-
triebe, als die gemässigte Verfassung, die unmittelbar nach dem
Sturze der Vierhundert eingeführt worden war, und es begün-
') Plut. Lys. 8. Diodor. XIII, 104. [Plut. Lys. 19 nennt 800, da-
gegen Diodor .'MO, während 1000 zu Pharnabazos entfliehen. SOO richtet er
dagegen nach Diodor 1. c. in lasos hin.] Es fällt dies Ereigniss übrigens
erst in den Frühling 405, als Lysandros zum zweiten Mal den Oberbefehl
hatte. [Nach Scheibe fällt das Blutbad in Milet erst nach der Eroberung
Athens S. 64. Plut. Lys. 19 scheint dafür zu sprechen, hingegen Diodor
1. c. bestimmt dagegen.]
2) Plut. Lys. 5. 6. 7. Xenoph. Hellen. I, 6. 4; 5. II, 1, 6; 7. [Wäh-
rend des Winters 406—405 rüstete Lysandros und versammelte die Oligar-
chen der Bundesstädte in Ephesos, um sie zur Bildung von Clubs und
zum Sturz der Demokratie zu bewegen, wenn Athen genommen wäre. cf.
Scheibe ölig. Umwälz. S. 14.]
3) cf. Hermann Lehrb. d. gr. St. p. 639, 642. § 166 A. 13. [Ausser
Hermann auch Chr. Guil. Volke de factionibus in Atheniensium republica.
Rotterdam 1841.] Anders dagegen Wachsmuth hellen. Alterthumskunde I,
2, p. 205. [Auch Scheibe ölig. Umw. p. 7 erklärt sich gegen die An-
nahme der Herstellung der unumschränkten Demokratie und meint , der
Demos habe sich auch bei der neuen Staatsform gerade ebensogut auf-
rührerisch zeigen können.] Sicher weist auf Herstellung der Demokratie
das tolle Geschrei: öeivov el-vat, ti [ji-fj xi? laaei xov ofjfxov TcpatTEiv ö av pou^Tj-
xat. Xen. Hell. I, 7, 13. [K. F. Hermann führt in der Recension von
Scheibe auch die Inschrift auf dem Grabe des Kritias an :
fjivT,[i.a xoo' eax' ävoptü^ aYoiöwv, ot xov y.a-apaTov
S-^jjLOv 'A^Tj^awi^ öXi-^ov ypovov ußpto? tT/rri.
aus Schol. des Aeschines bei Bekker Abhandl. d. Berl. Akad. 1836 S. 230.
er bringt es als weiteren Beweis für die Herstellung der Demokratie.]
198 l^IE OLIGARCHISCHE PaRTP]! UND DIE HeTAIRIEN IN AtHEN.
stigte sie auch jetzt wieder der Umstand, dass die tüchtigsten
Männer, der Kern der Bürgerschaft, auf der Flotte waren.
So konnten sie Hand in Hand mit tollen Demagogen,
welche geschickt vorangeschoben wurden, Athen dem Unter-
gang entgegenführen. War dies Verfahren in der Absetzung
des Alkibiades weniger klar nachzuweisen, so tritt es desto
greller in dem verruchten Processe gegen die Sieger bei den
Arginusen hervor. Diese waren, wie Leon, Diomedon, Thra-
syllos und Perikles, grösstentheils eifrige Demokraten, welche
aber im Feldlager, und nicht in der Volksversammlung ihre
Gesinnung bewiesen. Sie Avurden bekanntlich angeklagt, die
Todten \nid die auf SchifFstrümmeni herumtreibenden Leben-
den nach der Seeschlacht nicht gesammelt und gerettet zu
haben. Sie hatten zwar den Unterbefehlshabern Theramenes
und Thrasybulos den Befehl dazu gegeben, aber ein heftiger
Sturm die Vollziehung unmöglich gemacht. Nun trat der näm-
liche Theramenes als Ankläger derselben auf; er und seine
Anhänger Hessen gedungene Menschen in Trauerkleidem an
dem Feste der Apaturien den Zorn des Volkes aufregen; er
überredete den Demagogen Kallixenos im Rathe gegen die Feld-
herrn zu sprechen, und durch solche schändliche Künste ge-
lang es ihm, die Venirtheilung und Hinrichtung derselben zu
bewirken. ^)
An ihre Stelle wurden Adeimantos^j und Philokles ge-
sandt, zu denen bald darauf noch Menandros, Tydeus und
Kephisodotos kamen. Umsonst warnte diese Alkibiades, als
sie die schlechte Stellung bei Aigos Potamoi einnahmen. ^) Sie
») Xenoph. Hell. I, 7, 7. II, 3, 32; 35. Plato. Apol. Socr. p. 32 B.
Xen. Memor. Socr. 1, 1, 18. Diod. Sic. XIII, 74. Plat. Axioch. p. 368 D.
[Auf Seite des Theramenes werden bei Xenophon genannt: Kallixenos,
Archedemos, Timokrates, Lykiskos.]
2) Der Sohn des Leukolophides. Vgl. Xenoph. Hell. I, 4, 21. Schol.
zu Arist. Fröschen 1561. Plato Prot. p. 315 E. Ueber den Namen Hem-
sterh. zu Lucian Timon. c. 44, t. I, p. 157. [Ueber die Feldherrn cf.
Scheibe p. 17. Er meint, Konon sei gemässigt aristokratisch gewesen, wie
Nikias, Strombichides, Kalliades und Dionysodoros ; Philokles demagogisch,
Adeimantos offener Verräther, Tydeus und Menandros der oligarchischen
Partei angehörig.]
3) Xenoph. Hell. II, J, 25. Plut. Alkib. 36. 37. Lys. 10. 11. Die An-
gabe des Lysias c. Alcib. I, § 38., dass Alkibiades mit Adeimantos die
Die oligarchische Partei und die Hetaieien iis Athen. 199
wiesen ihn schnöde ab ; denn Adeimantos und T y d e u s
hatten sie absichtlich gewählt nm die Flotte dem Lysandros
zu überliefern, und sie wurden unterstützt von einer Anzahl
Hetairen, die in untergeordneter Stellung beim Heere waren. ^)
So wurde durch Verrath die athenische Flotte im Sommer des
Jahres 405 vernichtet. 2]
Darauf segelte Lysandros langsam gegen Athen. Wo er
hinkam löste er die Demokratien auf, und übergab die Regie-
rung zehn Männern, welche er aus seinen Getreuen auswählte. 3)
Diess sind die berüchtigten D e k a r c h i e n oder D e k a r d a -
chien, durch welche er beinah wie ein unumschränkter
Herrscher über die meisten hellenischen Staaten gebot. Alle
Athener, welche er unterwegs antraf, schickte er in die Stadt,
um die Noth daselbst zu steigern, und bald schloss er mit
150 Trieren den Hafen, während ein zahlreiches Heer unter
Agis [und Pausanias] von der Landseite Athen belagerte. In
Flotte verrathen, ist offenbar nur dem Hasse des Lysias gegen Alkibiade9
zuzuschreiben, [cf. Diod. XIII, 105, der noch beifügt, er habe angeboten,
thrakische Truppen zu ihnen stossen zu lassen.]
») Xenoph. Hell. II, 1, 32. Plut. Lys. u. Alcib. 1. c. Lysias. c. Erat.
§ 36. [Paus. IV, 17, 3: cpatvovtai os oi Aay.eijo.<ix6^noi xal usxepov , Tjviv.a stii
Alyos TTOTotjAor; Tai; AÖTjvoticuv vx'jstv äv&(op[i.o'jv, aXXo'j; T£ tcü^ oxpaTTjYOUVTojv
'AiVi^^aiot; y.al 'AoetijLavxov i;w>;7)aa[j.£vot.] Pausan. X, 9, 11. [tt]v oe ttÄTjYTjv
'Aft'fjvaTot TTjV iv Alf 0? Tio-aiioli oü [t-tTO, Toü oixaiou cu(xß-^vai acptaiv ofj.oXoYOÜai •
Trpooo&fjvai fdip iizi ypTjfiaoiv ut:6 täv OTpctxTjfriaavToov, TuBsa 6e eivctt -mi 'ASei-
(xa^Tov, 0? xd 8ü>pa ihi^aszo Tiapa Auad^opou. Von den a. a. O. citirten Ora-
keln hat das angebliche des Musaios Eniperius eniendirt in Zeitschr. f. Alt.
AViss. 1S38 No. 101. mit Berücksichtigung des Codex Moscov. der statt der
vulg. '/]xxaXoio' TjfA'jao'joi giebt : f|ix' o'jXf|30'jai sehr plausibel folgendermassen :
TTapaicfaaiY] oe xi; eaxai
Tjxxri?' oü ATjaouai TtoXtv, xioouoi os — owyjv.
cf. Demosth. Tiept -apai^p. p. 401 §. 191. Euandros als Verräther genannt.
Lysias c. Euandr. § 23.]
-) [Im Anfang des Archontats des Alexias. Clinton, fast. hell. ed. Krü-
ger append. p. 2S1 cfr. Voemel: quo tempore apud Aegospotafnos Athe-
nienses a Peloponnesiis vidi sint , deßnitur. Er setzt die Schlacht in den
Pyanepsion unter Archon Alexias, also November 405. H. Weissenborn;
Hellen. IV. das Ende des peloponnesischen Krieges und die dreissig Ty-
rannen S. 196 — 219; den Resultaten seiner chronologischen Untersuchungen
kann ich aber nur theilweise beistimmen.]
3) Plut. Lys. 13, 21. Xenoph. Hell. II, 2, 5.
200 Die oligarchische Partei und die Hetairien in Athen.
der unglücklichen Stadt aber thaten die ölig archischen
Hetairen, an ihrer Spitze Kritias und Theramenes,
ihr Möglichstes, den letzten Widerstand zu brechen. Gleich
nach der Niederlage ernannten sie einen Ausschuss von
fünf Mitgliedern (Ephoren genannt, comite directeur, pro-
visorische Regierung) aus ihrer Mitte, unter welchen Kritias und
Eratosthenes waren, ^j Diese leiteten, auf ihre Verschworenen
gestützt, bald ganz die Angelegenheiten des Staates; sie be-
stimmten, was im Rath beschlossen werden sollte; sie ernann-
ten Befehlshaber; der Rath der Fünfliundert , übrigens schon
zum grossen Theil für die Verschwörung gewonnen, war bald
ihr blindes Werkzeug. 2) Dennoch widersetzten sich noch
manche wohlgesinnte Männer einem schmachvollen Frieden^)
und Boten wurden nach Lakedaimon abgeschickt, welche an-
bieten sollten, Athen wolle, mit Beibehaltung der Mauern und
') Lys. c. Erat. § 43 ; 44 : d-etOT] hk Y) vauiAoiyia, vcal tj oujxcpopa x-^ z6-
Xei i'^b^eTO , OTjfxoxpaTia; 8Tt oj3t]; , o&£v Tf|; zziaewi T^p^av, -vtTt avooe;
scpopoi xaxeoTTjaav , utto twv xaXo'jfxEvcuv etaiptuv, o'rt'Xfoi-jzli (aev töjv ttoXitöjv,
apyovTEi; os twv 3uvco[ao~(wv, dvavTta oe toj 'jixsTepiu rX-r^Sei TipaTTOvTe;, tuv 'Epa-
ToaSevT)!; xai KpiTia; -fiaav • o'jtoi oe cpuXapyo'j; te iz\ Ta; 'fjXaxd; xaTsaTTjoav
^ai 8 Tt oeot yeiprjTOV£To8at yii O'jOTiva? ypetTj apyetv r.ap-q-^feWo^ , xal et ti
aXXo TTpatretv ßou/.otvTo, xOpioi r^aav. [Mit den hier erwähnten O'jvafiufeT;
lassen sich einigermassen vergleichen die cj/.Xoy^; toü otjIao'j bei Böeckh
C. I. G. n. 99 cf. Lexicon Khetor. ed. Bekker p. 304. Harpokration 8. v.
ou).Xoi"fi. cf. Böckh Staatshaush. II, p. 127. lieber die Frage, ob die
Ephoren eine bloss geheime , von den Oligarchen eingesetzte oder eine öf-
fentliche durch oligarchischen Einfluss vom Volk bestellte Behörde waren,
cf. Büttner p. 86 A. 75 , der sich mit Recht für ersteres entscheidet, um-
gekehrt Scheibe p. 85 und Vindiciae Lysiacae p. 47, 48. cf. p. 113. Meine
Recension von Scheibe Zeitschr. f. A. W. 1844 S. 1019. 1020. cf. Herm.
Frohberger Philol. XIV, 32ü ff. Er meint , die Ephoren seien erst nach
Uebergabe der Stadt eingesetzt worden. Sonderbarerweise verwechselt er
S. 325 A 24 mich mit Büttner, dem er die Recension von Scheibe in der
Zeitschr. f. d. A. W. zuschreibt.]
2) Lysias. c. Agorat. §. 20 : q oe ßo'jX-r] tq rpö twv -piaxovTct ßo'jXe'JOuaa
ot£cf&cxpTo -icai öXt-fapyia; ir.e^'jaei, w; laxe, (j.aXi5Ta.
3) [Archestratos, der in der Volksversammlung für den Frieden spricht,
wird ins Gefängniss geführt. Er ist verschieden von dem Archestratos,
der bei den Arginusen Feldherr war. Scheibe p. 40. Zu bemerken ist
auch, dass während der damaligen Unruhen auch die Anstifter des Urtheils
gegen die Sieger bei den Arginusen aus der Gefangenschaft entkamen, was
beweist, dass sie Oligarchen waren. Xenoph. Hell. I, 7, 34.]
Die oLiGARCHiscHE Paktei und die Hetairien in Athen. 201
des Peiraieus, der Bimdesgenossenschaft Spartas beitreten, das
heisst auf seine eigene Herrschaft verzichten und die Hege-
monie Spartas anerkennen. Aber diese Gesandten wiesen die
Ephoren in Sellasia an der lakonischen Gränze zurück : wenn
sie Avieder kommen wollten, möchten sie bessere Bedingungen
vorschlagen 1) ; denn sie forderten, dass wenigstens eine 10
Stadien lange Strecke der langen Mauer geschleift werden solle,
wodurch Athen vom Peiraieus abgeschnitten wurde, ^j Diese
Zumuthung empörte damals noch das athenische ^'olk, und
besonders ^Aidersetzte sich der Demagoge Kleophon, der zwar
ein wilder Polterer und unvernünftiger Gegner des Friedens
Avar, aber dabei doch ehrlich und nie gegen seine A'aterstadt
verschworen. 3) Da trat Theramenes auf und bot sich an zu
den Lakedaimoniern zu gehen, um einen bessern Frieden zu
erhalten. '*) Die bethörte Gemeinde sandte ihn ab , er aber
verweilte über 3 Monate bei Lysandros, um durch die täglich
steigende Noth die Athener nachgiebiger zu machon. 5) In-
dessen schaiften die zurückgebliebenen Hetairen durch eine
falsche Anklage Kleophon bei Seite, ^j Endlich kam Thera-
menes wieder, gab vor, Lysandros habe ihn so lange zurück-
behalten, und wurde jetzt mit zehn anderen mit unbedingten
Vollmachten nach Sparta gesandt, von wo er als Friedens-
bedingungen die Schleifung der langen Mauern und
der Mauer des Peiraieus''], die Herausgabe der
1) Xenoph. Hell. II, 2, 11-14.
2) Xenoph. Hell. II, 2, 15. Lys. c. Agorat. §. 8.
3) lieber Kleophons damaliges Benehmen cf. Lys. c. Agorat. §. 12.
c. Nicomach. §. 12 fF. über Aristoph. Güter §. 48 [ferner Aeschin. de falsa
leg. §. 7(3, welche Stelle sich auf diese Zeit bezieht und nicht auf die Zeit
nach der Schlacht bei den Arginusen vgl. Krüger zu Clinton fast, hellen,
p. 88. Meier de bon. damn. p. 218. 219 Anm. 211. Willkürlich ist die
Annahme, Kleophon habe beim Process gegen die Sieger bei den Arginusen
eine bedeutende Rolle gespielt.]
*) Xenoph. Hell. II, 2, 16. Lysias c. Agorat. §. 9.
5) Selbst Xenophon sagt II, 2, 16 : Tr£(j.<ß&ci; U oi^xpiße Tiapa Auaavoptp
xpei; [ATjvai; xai TiXeiov, inizripöi^, orMe 'A^Tjvaiot l(x£XXov, oid xö iTitXeXoiTOvat
xov aiTov aTia^Tct, o xi xtc Xsfot fj\i.okrjj^<:tvi. Vergl. Lysias c. Agorat. §.11.
^) Lys. c. Agor. 1. c. c. Nicomach 1. c. [Die nähere Ausführung bei
Scheibe pg. 42 und 43.]
■'j [Lysias c. Erat. §. 70. c. Agorat. §. 14. Xen. Hellen. II, 3. 11.]
202 I^IB OLIGARCHISCHK PARTEI UND DIE HeTAIRIEN IN AtHEN.
Flotte bis auf 12 Schiffe, die Anerkennung der
gleichen Feinde und Freunde mit Lakedaimon, und
die Zurückberufung aller Verbannten (meist Oli-
garchen) brachte. — Ueber diesen Ausgang murrte nicht
nur das Volk, sondern auch angesehene Männer, Avie der vor-
malige Feldherr Strombichides , und andere Befehlshaber und
Hauptleute, sprachen ihre Unzufriedenheit aus. Aber auch
gegen sie wurde schnell eine falsche Anklage, als ob sie auf
Verrath sännen, erhoben, und so wohl eingeleitet, dass in der
A olksversammlung, die im Theater in Munychia gehalten wurde,
ihre Verhaftung beschlossen wurde. V Sodann nahm die Ge-
meinde den Frieden an, und Lysandros lief am 25. April 404,
16. Munychion Ol. 93, 4. mit der Flotte in den Peiraieus ein 2],
zur Vollziehung desselben.
Nach der Zerstörung der Mauern ^j wurde in seiner vind
anderer feindlichen Heerführer Gegenwart eine Volksversamm-
lung über die Verfassung gehalten. Drakontides, einer der
Verschworenen, schhig vor, es sollen 30 Männer ernannt
werden, um die V e r f a s s u n g zu entwerfen, Theramenes
unterstützte diesen Vorschlag. Kein Redner wagte dagegen
aufzutreten; aber dennoch tobte das Volk, dem jetzt erst die
Augen recht aufgingen ; Theramenes liess sich indess nicht irre
1) Lys. c. Agorat. §. 13. Unter den Dreissig wurden sie dann hinge-
richtet. [Das genauere über diesen Process hei Scheibe p. 52 squ. Einige
wie Eukrates, Aristophanes von Cholleidai wurden gleich getödtet, wenig-
stens nach Scheibe ; aber von Eukrates gilt dies schwerlich mit Recht.
Der Process gegen die Feldherrn und Trierarchen, den ich vor die Ueber-
gabe gesetzt, ist zwischen diese und die Einsetzung der Dreissig von Scheibe
gesetzt; dagegen spricht Lysias c. Agoracr. §. 17: -piv ttjv lx-/.XTj3iav -tjv
Trepl rffi EipTjVTjs ftsis^ai. Den Strombichides, Dionysodoros , Kalliades
(Lys. c. Nicom. §. 14) und ihre Partei nennt Scheibe p. 48 Aristokraten;
richtiger bezeichnet man sie als gemässigte Demokraten. Strombichides
ist Sohn des Diotimos nach Thucyd. MII, 15, dieser letztere ohne Zweifel
derselbe, der, mit Lakedaimonios und Proteas die 10 Schiffe befehligte,
welche vor dem peloponnesischen Kriege nach Kerkyra gesandt wurden.
Thucyd. I, 45. Bremi zu Lysias. adv. Nicom. §. 14.]
2) Lys. c. Agorat. §. 34. c. Erat. §. 72. Xenoph. Hell. II, 2, 23.
3) [Es ist das nicht richtig. Die Athener sollten eigentlich die Mauern
selbst schleifen; aber es scheint nicht gleich geschehen zu sein. Darum
sagt Lysandros bei Lysias c. Eratosth. §. 74: oti zapaoTrovcou; üjxä; s/ot.]
Die OLiGARCHiscHE Partei und die Hetaireek in Athen. 203
machen , sondern äusserte kalt , es sei ihm das Toben des
Volks gleichgültig, da viele Athener auf seiner Seite ständen
und er mit Lysandros und den Lakedaimoniern im Einver-
ständniss handle. Darauf erhob sich Lysandros selbst und er-
klärte drohend, dass es sich hier nicht sowohl um die \'er-
fassung , als um die Existenz von Athen handle , wenn man
dem Antrag nicht folge. Da verliessen, der Gewalt weichend,
die bessern Bürger die Versammlinig . die zurückgebliebenen
aber erhoben die Vorschläge zum Beschluss , und erwählten
die d r e i s s i g mit \i n b e d i n g t e r ^' o 1 1 m a c h t v e r s e h e n e n
Gesetzgeber, u n d z w a r z e h n welche T h e r a m e n e s
bezeichnete, zehn, welche die fünf früher genann-
ten Ep hören angaben, und zehn nach eigenem Gut-
dünken aus den Anwesenden.') Sämmtliche Dreissig
hatten früher den Vierhundert angehört. ^i
]Mit der gesetzgebenden Vollmacht begnügten sich aber
diese nicht, sondern sie constituirten sich bald unter dem
Schutze der lakonischen Waffen zur höchsten Regierungsbe-
hörde, setzten nach eigenem Gutdünken einen Rath und an-
dere Beamte ein, beschränkten das BürgeiTecht und das Recht
Waffen zu tragen auf 3000 Bürger, verboten endlich sogar
allen andern die Stadt zu bewohnen, ^j So hatte denn endlich
die oligarchische Faktion durch das Mittel der Hetairien und
des Verrathes ihr Ziel eiTeicht, sie hatte auf den Trümmern
von Athens Demokratie, Macht und Selbstständigkeit, auf den
Ruinen des Hafens und der Flotte, wodurch Themistokles
seine Vaterstadt gross gemacht, ihre eigene Herrschaft errich-
tet, eine Herrschaft, welche sich durch ihre Gewaltthätigkeit
auf ewige Zeiten gebrandmarkt hat. Wie die Tyrannei täglich
1) lieber diese Versammlung vergl. Lys. c. Eratost. [§. 73 : ävaaTä?
oe 0Tf]pafj.ev7]? exeXeuaev ujaö? xpiäxovTci ävSpaow i-iznpi'hai ttjv tioXiv, %a\ tt^
TToXiTeict yp-^a&ctt f^v Apay.ovTiOT]? ä-l'faivev.] Xenoph. Hell. II, 3, 11 [vgl.
über die Einsetzung der Oligarchie auch H. Usener Lysias über die "Wie-
derherstellung der Demokratie, N. Jahrb. f. Philol. Bd. 107 S. 145 ff. mit
dem ich aber darin durchaus nicht übereinstimme, dass er die p.e-r/ovte';
•rij; 7ro)aT£ia; von den 3000 unterscheidet.]
2) Lys. c. Agorat. §. 74.
3) Xenoph. Hell. II, 3, 11; 19; 3S. II, 4, 1.
204 l^IK OLIGARCHISCHE PaRTEI UND DIE HeTAIRIRN IN AtHEN.
stieg, wie bald unter den Gewalthaheni selbst Zwietracht aus-
brach, wie sie dann theils durch die zurückkehrenden Demo-
kraten, theils durch die Eifersucht der lakedaimonischen Kö-
nige auf Lysandros gestürzt wurden und einer gemässigten
\'olksherrschaft Platz machten, das zu erzählen, liegt ausser
den Grenzen gegenwärtiger Arbeit.
UNTEESUCHTOCtEN über die VERFASSUNG
VON ATHEN
in den letzten Jahren des Peloponnesischen Krieges.
[Academische Gelegenheitsschrift. Basei. Schweighauser. 1844.]
Jbo klar die Geschichte Athens während seiner Blüthezeit
vor uns entfaltet zu liegen scheint, so mannichfaltige Arbeiten
über die verschiedensten Theile seiner staatlichen Einrichtun-
gen Licht zu verbreiten gesucht haben und noch suchen, so
ist doch dem mit diesem Gebiete der Alterthumswissenschaft
nur einigermassen Vertrauten wohl bekannt, dass noch manche
Punkte nichts weniger als aufgeklärt sind. Sei es, dass über
manche Verhältnisse und Ereignisse die Quellen schweigen,
oder dass sie sich zu widersprechen scheinen, nicht selten
sieht sich der Forscher in die Unmöglichkeit versetzt, sichere
Ergebnisse zu gewinnen und genöthigt, sich mit Wahrschein-
lichkeiten zu begnügen. Dass in solchen Fällen aber die An-
sichten selbst der gründlichsten Gelehrten oft sehr weit aus-
einandergehen, ist nicht zu verwundern. Gegenstände dieser
Art nun, worüber noch die verschiedensten Ansichten herr-
schen, wiederholter Prüfung zu unterwerfen und sie wo mög-
lich von dem Gebiete der Wahrscheinlichkeit auf das der
Gewissheit hinüberzuführen , kann daher nicht anders als an-
gemessen erscheinen. Zu den wichtigsten Fragen, welche
noch immer Gegenstand lebhafter Controverse sind, gehört aber
die über die Verfassung Athens zwischen dem Sturze der Vier-
hundert und der Einsetzung der Dreissig. Dass die richtige
Lösung dieser Frage von der grössten Bedeutung für das Ver-
ständniss der Vorgänge in den letzten sechs Jahren des Pelo-
206 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
ponnesisclien Krieges sei , wird Niemand leugnen , tmd somit
ein neuer Versuch eine solche herbeizuführen oder wenigstens
zu fördern, gerechtfertigt sein.
Als die athenische Macht in Sicilien gehrochen war, glaubte
ein grosser Theil der Bürgerschaft die Ursachen des Unglücks
in dem zügellosen Walten der Demagogen zu finden. Eine
Hinneigung zu einer gemässigtem, besonnenem Leitung des
Staates machte sich geltend, und ihre erste Folge war die
Einsetzung einer vorberathenden Behörde unter dem Namen
Probulen.^j Damit begnügten sich aber die Feinde der De-
mokratie nicht lange, sondern untergruben, zuerst besonders
auf Alkibiades gestützt, durch das Mittel der Hetairien, die
bestehende Verfassung und führten fast ohne Widerstand eine
neue Ordnung der Dinge ein. Angeblich sollte es eine Politie
sein, gestützt auf fünftausend der begütertsten Bürger, welche
an die Stelle der frühern Volksversammlung treten sollten.
In der That war es eine Oligarchie, da die Fünftausend nie
bezeichnet wurden , sondern die ganze Macht in den Händen
des durchaus oligarchisch erwählten Rathes von vierhundert
Mitgliedern ruhte. 2, Die gemässigten Bürger Avaren getäuscht,
ihre Hoffnungen betrogen. Daher war denn auch der Bestand
dieser Ordnung von sehr kurzer Dauer, um so mehr als Al-
kibiades sich schon vor dem Sturze der Demokratie von den
Verschworenen losgesagt und mit der, besonders im Heere zu
Samos mächtigen demokratischen Partei verbunden hatte. Nach
vier Monaten wurde die Oligarchie unter Theopomps Archon-
tat Ol. 92, 2 im Spätsommer 411 gestürzt. Es war aber nicht
sowohl eine extrem demokratische Gesinnung, als vielmehr der
Abscheu vor der AVillkürherrschaft der Vierhundert und na-
mentlich ihrem veiTätherischen Treiben, das diesen Erfolg
herbeigeführt hatte. Noch immer war eine besonnene ge-
1) Büttners Behauptung (Geschichte der polit. Hetairien in Athen S. 75.
76) die Probulen hätten keine aristokratische Tendenz gehabt , fällt durch
die von K. F. Hermann (Berlin. Jahrb. 1842, 16—19) angeführte Stelle
aus Aristoteles Rhetor. III, IS, 6 anderer Gründe nicht zu gedenken.
2) Ueber die Vierhundert vergleiche man jetzt besonders Guil. Watten-
bach de quadringentorum Athenis factione, Berol. 1842, dem ich übrigens
auch jetzt noch nicht zugeben kann, dass es bis zu der Verschwörung der
Vierhundert keine volksfeindlichen Hetairien gegeben habe.
Untersuchungen über die Verfassung von Athen. 207
mässigte Stimmung, bei manchen ein Hinneigen zu aristokra-
tischen Einrichtungen vorrherrschend . Dies ergibt sich unter
anderm aus den Massregeln, die unmittelbar nach der Auflö-
sung der Vierhundert ergriffen wurden. Weit entfernt, wie es
sonst bei Reaktionen so häufig geschieht, die alte Ordnung
mit allem Guten und Schlechten herzustellen, behielt man die
Grundlage bei, welche die kurze Oligarchie hätte haben sollen,
aber zu ihrem eigenen Verderben zu legen verabsäumt hatte,
ich meine die Fünftausend als Träger der höchsten Gewalt.
Nur wurde sie in sofern modifizirt, dass der Name der »Fünf-
tausend« kein genauer mehr war, sondern unter diesem alle
die begriffen werden sollten, welche sich selbst volle Waffen-
rüstung verschafften. Ebenso hielt man die höchst Avichtige
Bestimmung fest, dass keine Behörde besoldet werden sollte.
Auf diesen Grundlagen Avurde dann durch Aveitere Beschlüsse
und Verordnungen fortgebaut, und namentlich auch Nomothe-
ten niedergesetzt. Auch gegenüber den Personen zeigte sich
anfangs eine rühmliche Mässigung, so dass Thukydides, ge-
wiss hier ein vollgültiger Zeuge, lobend anerkennt, dass da-
mals der Staat vortrefflich regirt Avorden und die Verfassung
eine gemässigte Mischung aou Demokratie und Oligarchie ge-
wesen sei. So viel ist allgemein anerkannt und unbestritten.
Die ScliAvierigkeit beginnt aber mit der Frage, Avie lange diese
massige Mischung, diese mit aristokratischen oder timokrati-
schen Elementen temperirte Demokratie bestanden habe. Die
Einen nämlich sind der Meinung, es habe dieselbe bis ans
Ende des Peloponnesischen Krieges fortgedauert und erst der
Oligarchie der Dreissig Platz gemacht. Sie stützen sich be-
sonders darauf, dass kein Schriftsteller die Veränderung der
Verfassung berichte. Diese Ansicht haben namentlich W.
Wachsmuth, P. W. Forchhammer, C. Peter, K. F. Scheibe
und W. Röscher vertheidigt. ') Die andern dagegen glauben
zu erkennen, dass die gemässigte Mischung der Verfassung
1) W. Wachsmuth Hellen. Alterthumskunde 1, 2. S. 205 erste Ausg.
P. W. Forchhammer die Athener und Sokrates S. 29. Peter Comment.
crit. de Xenoph. Hellen, p. 54. K. F. Scheibe die oligarch. Umwälzung
zu Athen am Ende des peloponnesischen Krieges und das Archontat des
Eukleides, S. 7. W. Röscher Leben, Werk und Zeitalter des Thukydidea
S. 443.
208 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
nicht so lange bestanden , sondern bald wieder der frühern
vollständigen Demokratie gewichen sei. Diese Meimmg stützt
sich ganz vorzüglich auf das Verfahren des athenischen Vol-
kes und den Einfluss der Demagogen, welche bald nach dem
Sturze der Vierhundert keine Spur von jener bei Thukydides
gerühmten Mässigung mehr zeigen, sondern eine ungezügelte
Volksherrschaft verrathen. Für sie haben sich besonders aus-
gesprochen, Freret, A. Böckh, K. F. Hermann, G. F. Schö-
mann, G. R. Sievers, Th. Arnold, L. Preller, Chr. G. Volke,
Bendixen, so wie der Verfasser dieser Abhandlung selbst. i)
Von den genannten Gelehrten ist aber die Frage mehr im
Vorbeigehen berührt, als allseitig erörtert und erschöpft worden.
n.
Betrachten wir zuerst die Gründe, welche für die Mei-
nung geltend gemacht werden, es habe die gemässigte Ver-
fassung sich bis zu Ende des Krieges behauptet. Hier fällt
gleich auf, dass die Vertheidiger derselben sich keineswegs
ganz klar gemacht zu haben scheinen, was unter dieser Ver-
fassung zu denken sei, auch in Einzelnem ihi-e Ansichten sehr
weit von einander abweichen. Forchhammer geht so weit,
dass er annimmt, der Rath sei nicht mehr durch das Loos,
sondern durch Wahl besetzt worden. »Ein Rath« sagt er »be-
stand, aber sicher kein durchs Loos -s^ie früher, sondern durch
Wahl ernannter. In dieser Zeit erscheint Sokrates zum ersten-
1) Freret, Memoires de l'Academie des inscriptions t. XLV. p. 243.
A. Böckh Staatsh. I, S. 305. K. F. Hermann Lehrb. d. griech. Staats-
alterthümer , §. 166, und in der Recension der erwähnten Schrift von
Scheibe Berl. Jahrb. 1842, 16—19. G. F. Schömann antiq. juris publ.
Graec. p. 183. G. E.. Sievers Comment. bist, de Xenoph. Hellenicis p. 18.
Th. Arnold zu Thukydides MIX, 97. L. Preller Allgem. Litteraturzeitung
1838, Nro 88. 2. Bd. S. 98. Chr. G. Volke de factionibus in Athenien-
sium republica. Bendixen über die Tendenz des revolutionären Sokrates
nebst Andeutungen über Sokrates Stellung zur Demokratie. Diese beiden
letztern Schriften kenne ich nur aus Anzeigen. Ich selbst hatte mich
darüber ausgesprochen in der Schrift über: Die oligarchische Partei und
dieHetairien in Athen S. 33 (= Sehr. I, S. 197 A. 3). Wegen einer Be-
merkung Peter's S. 54 füge ich bei, dass auch Niebuhr in seinen Vor-
lesungen über alte Geschichte dieselbe Meinung vorgetragen hat.
Untersuchungen über die Verfassung von Athen. 209
mal in politischer Thätigkeit. Die Oligarchen hatten ihren
politischen Glaubensgenossen in den Rath erwält.« Oifenbar
hat sich hier aber Forchhammer durch seine Ansicht über die
politische Stellung des Sokrates irre leiten lassen ; denn die von
ihm selbst citirte Stelle aus Platon's Gorgias, p. 473 d. ent-
hält den bestimmten Gegenbeweis. Sie lautet nämlich: (o
IluiAc, OUX £l[J.t TWV TToAlTlXOJV Xai -£pU3l ßouXcUSlV A. tt ^ OJ V , STTSlOl^
r cpuÄYj £-pu-av£U£ xat £0£i \ik £Kt'j/r/ji!l£iv, YsAfota 7:ap£t;(ov xat oux
r^TrioTajxr^v irnj^rjCpi'Csiv. Da sagt also der Platonische Sokrates
sehr deutlich, dass er durchs Loos Mitglied des Käthes gewor-
den sei. Auch zeigt die ganze E: Zählung Platon's hier und
in der Apologie, dass die Einrichtung des Rathes die bekannte
demokratische war. Die Erloosimg wird überdies aufs be-
stimmteste bestätigt durch das Psephisma des Demophantos,
wo die 7r£VTaxo3ioi oi Aayovis? tw xuotjjiu) vorkommen und durch
Philochoros beim Scholiasten zu Aristoph. Plutos v. 972. ^)
Somit wäre diese Annahme, die ohne Zweifel von keinem der
andern genannten Gelehrten getheilt wird, widerlegt. Weiteres
aber hat Forchhammer über die Yerfassung nicht gesagt.
Wachsmuth, der ausdrücklich einen erloosten Rath annimmt,
spricht im TJebrigen an der angeführten Stelle ganz unbe-
stimmt von einem Zwischenzustande, wo nothdürftig eine ge-
mässigte Demokratie auf dem Grunde Solonischer und Kleisthe-
nischer Einrichtungen aufrecht erhalten worden sei. Vieles
sei nur zu vermuthen, Manches bleibe ganz dunkel. Ausge-
macht sei, dass vollständige Herstellung der Demokratie erst
unter Eukleid's Archontat erfolgt [sei. Beweise .für diese Be-
hauptung hat er aber so wenig beigebracht, als eine bestimmte
Erklärung, was er sich unter jenem Zwischenzustande denkt.
Dagegen sucht Peter am angeführten Orte S. 50 — 56 den
Gegenstand schärfer aufzufassen. Wir lernen, sagt er, über
die unmittelbar nach dem Sturze der Vierhundert eingeführte
Verfassimg aus Thukydides nichts kennen, als dass die höchste
Gewalt fünftausend Bürgern übergeben worden , die an die
1) Die Stelle lautet : oxt oe -/.ara YpafA[i.aTa sxXrjpoOvTO r.rjoe'i^r^Tni. oO [jltjv
äXXa 7.al eßouXsuov o'jtoi tw Tipo to'jtou irei dp?aji.£>;ot. OTjal y^P ^tXoyopo;. 'Ezi
O^aujci-TTOU v.al tj ^ci'jÄtj y-axa Ypa[jL[j.a tote TipcüTov iv.'x^i'^e-o 7.at e'-t vüv ofAvuai
ttTi' £vt£ivo'j y.aöeoeia&ai dv xü) YpafJ'-fActTi oj äv Xaywai. Der erste Plutos war
unter Diokles, der nach Glaukippos Archon war, aufgeführt worden.
Vischer, Schriften I. J4
210 Untersuchungen über die ^'Erfassung von Athen.
Stelle der früheren Ekklesia getreten seien. Vom Senate, von
den Archonten. von den übrigen Magistraten vernehmen wir
nichts, nur das füge Thukydides bei, dass Nomotheten ge-
wählt worden seien, i) Aus der Niedersetzung dieser Nomo-
theten sucht er dann mit Beiziehung von Lysias gegen Niko-
machos §. 2—^5 und Andocid. de myster. §. Sl zu beweisen,
dass bis ans Ende des Krieges nichts geändert worden sei.
Denn aus Andokides gehe hervor, dass keine Aendennigen
gemacht worden seien, bis die Gesetze gegeben gewesen seien.
donec leges latae fuissetit nihil novatum esse, aus Lysias aber
ergebe sich, dass die Nomotheten bis zu Ende des Krieges
im Amte geblieben; also sei ihre Gesetzgebung nicht vollendet
und consequenter Weise Veränderungen in der Verfassung un-
möglich gewesen. Gegen diese lieweisfülu'ung ist aber man-
cherlei einzuwenden. Zuerst hat Peter den liericht des Thu-
kydides über die Verfassung gleich nach dem Sturze der
Vierhundert sehr ungenau und unvollständig angegeben. Denn
dieser fügt, wie bereits oben erwähnt, nachdem er berichtet,
die höchste Gewalt sei den Fünftausend übergeben worden, bei,
Eivat, Zt oLiiTÜ'f o-oaot, 07:/.a -aps/ovrai, und er meldet femer,
dass keine Behörde besoldet sein sollte, tj.t.ai>ov [jirjoiva 'fspiiv
{XTjOcU'.a i^'/Ji' Auf diese zwei Punkte kommt aber sehr viel
an. Die erste Bestimmung gab dem timokratischen Principe
eine sehr breite Basis, hob die Möglichkeit einer oligarchischen
Abgeschlossenheit, wie sie bei der bestimmten Zahl von Fünf-
tausenden nahe lag, auf; die zweite, dass keine Behörde be-
soldet werden sollte, darf man nicht bloss als eine finanzielle
Massregel ansehen, sondern auch als eine wesentlich politische.
Wie einst Perikles und nach ihm andere Volksführer durch
Einführung der verschiedenen Solde die Masse des Volks zur
Theiluahme an den Staatsgeschäften herbeigezogen hatten, so
sollte jetzt, durch Abschaffung derselben, der gleiche niedrige
Theil der Bevölkerung entfernt gehalten werden, wenn auch
1) S. 51 : ^ec vero de hac democratia quidquam ex Thucydide discimus,
quam qiiod rerum summa quinquies mille civibus tradda est, qui 'profecto
nihil aliud poteratit, quam comitia hahere, pristinaeque populi concionis (tt,;
e7.x).Tj3ta;; locum ohtinere. Xihil igitur de senatu, nihil de arcliontihus, fiihil
de uüo magistratu discimus, id unum adiicit nomothetas creatos esse. Haec
enim ejus verba slint : voijio&iTa; -^a'. TaÄXa e-Lr/^'-^avTC i; rr,v 7:o/.iT£iav.
Untersuchungen über die Verfassung von Athen. 211
das nicht gerade zu ausgesprochen, sondern als ostensibler
Grund mehr die allerdings drückende Finanzverlegenheit ge-
nannt wurde. Das gänzliche Uebersehen dieser zwei Bestim-
mungen hat nun auf Peter" s Darstellung sehr nachtheilig ein-
gewirkt, da A'eränderungen in dieser Hinsicht von ihm jetzt
unbeachtet bleiben mussten und auch in der That geblieben
sind. Aber auch seine übrige Beweisführung, namentlich die
Art, Avie er von den Nomotheten handelt, und zu dem »Schlüsse
kommt, so lange sie im Amte gewesen, sei nichts geändert
worden, ist durchaus nicht stichhaltig. Er geht von der An-
nahme aus, die Th. Bergk in der epistola hinter Schiller's
Andokides aufgestellt hat, Nikomachos sei zuerst vom Sturze
der Vierhundert bis zum Ende des Peloponnesischen Kriegs
und dann ein zweites Mal nach der Wiederherstellung der De-
mokratie unter Eukleides, vier Jahre lang Nomothet gewesen.
Ich will diese Annahme, obwohl ich sie nicht für richtig halte,
hier einstweilen gelten lassen, indem ich mir vorbehalte, unten
darauf zurückzukommen, ^^'eil nun in diesen zwei Perioden,
■\or und nach dem Ende des Krieges Nomotheten ähnlicher
Art niedergesetzt gcAvesen seien, so, folgert Peter, gelten Be-
stimmungen, die für die einen gemacht wurden, ohne weiteres
auch für die andern, und so wendet er unbedenklich das
Psephisma des Tisamenos, das sich bei Andoc. d. myst. §. 83,
84 findet, und sich auf die zweiten Nomotheten bezieht, auch
auf die ersten an. f>De his igitur nomothetisu^ heisst es, ^)quos
et ante ßnem belli et i^ost hellum ejusdem gencris fuisse demon-
stram, hoc apud Andocidem psephisma exstat.<t Das ist aber
eine durchaus willkürliche und unbegründete Folgerung; denn
die Verhältnisse nach dem Sturze der Vierhundert und nach
dem der Dreissig waren verschieden und mussten darum auch
verschiedene Bestimmungen hervorrufen. So, um auf Einiges
aufmerksam zu machen, hatte Nikomachos das erste Mal den
Auftrag erhalten, seine avaypacpTj vo[jLa)v binnen vier Monaten
zu vollenden, das zweite Mal scheint ihm ein noch kürzerer
Termin gegeben worden zu sein, ^'j Nach dem Sturze der
1) Lys. adv. Jsicom. §. 2: ~[Ajz-.'x-/'i)bi o:j-w Tsacaoojv [j.tj>;üjv äv^Ypc'.'i/ai
Tou; voiAO'j; tou; Xo"/.ojvo:. §. 4: d;öv aütw xpiaxo^^xa Tjjj.£pwv äTTaXXaYTJvott.
Da der erbitterte Redner nur £;öv sagt, scheint es als seien die 30 Tage
nicht bestimmt vorgeschrieben gewesen.
14*
212 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
Dreissig Avurde ferner eine Art provisorischer Regierung, die
Zwanzigmänner, aufgestellt, während im Jahre 4 1 1 von solchen
nirgend die Rede ist fAndoc. de myst. §. 81\ Ausserdem
enthält das Psephisma des Tisamenos noch eine Bestimmung,
die wir nach Peter's Annahme consequenter Weise auch auf
die frühere Zeit anwenden müssen, ohne dass wir im Gering-
sten dazu berechtigt sind, ich meine die Aufsicht des Areo-
pags über die Gesetze. Von einer Einsetzung des Areopags
in seine alten durch Ephialtes und Perikles ihm genommenen
Befugnisse vor dem Archontat des Eukleides verlautet aber
nirgend etwas. Das hätte daher also auch erst bewiesen wer-
den müssen, ehe man so ohne weiters das Psephisma auf
frühere Verhältnisse anwandte. Es muss diese Anwendung
also durchaus verworfen werden. Ueberdiess aber legt Peter
in die Stellen des Andokides Dinge, die nicht darin sind.
Aus der §. Sl genannten Bestimmung, bis die Gesetze gege-
ben seien (sw; au oi voaoi rsösTsv sollen zwanzig Männer die
Aufsicht über den Staat führen, folgert er, es habe also in
dieser Zeit nichts Neues beschlossen werden können, und da
ihm Nikomachos Nomothet ist, so findet er also darin ent-
halten, dass nach Eukleides viev Jahre lang keine Aenderung,
kein neues Gesetz gemacht worden sei. Eine unbefangene
Betrachtung des Andokides hätte ihn des Gegentheils belehrt.
Denn §. S5 zeigt, dass die Gesetze bald nach dem Beschlüsse
über die Revision aufgestellt, geprüft und angenommen, über-
dies durch neue vermehrt wurden. Wir finden also nach dem
Archontate des Eukleides die Gesetzgebung, weit entfernt \4er
Jahre lang gehemmt zu sein, Adelmehr in voller Thätigkeit,
obwohl das Psepliisma des Tisamenos sich auf die damaligen
Nomotheten bezog. Ebenso war die avaYpacpT, voaojv, die Peter
mit der vou.oi)£3ia für identisch ansieht, theilweis beendigt, ^vie
aus Lysias gegen Nikomachos deutlich hervorgeht. ' In der
Zeit zwischen den Vierhundert und den Dreissig aber lässt
sich die gesetzgeberische Thätigkeit mit der gleichen GeAA-iss-
heit nachweisen. Denn um nur eines anzuführen, gehört in
') Ueberdies geht aus Lys. adv. Nicom. hervor, dass Nikomachos zu
verschiedenen Zeiten Gesetze als gühig mittheilte, Avas ja auch gegen die
Annahme Peter's streiten A\-ürde.
Untersuchungen über die Verfassung von Athen. 213
diese Zeit das höchst wichtige Gesetz des Demophantos, das
bereits Barthelemy Mem. de l'Acad. des Inscr, t. XLYIII,
p. 337 sq. dem Böckh Staatshaushaltimg, II. S. 5 und Meier
de bonis damnatorum p. 3 beistimmen, unwiderleghch dem
Jahre des Glaiikippos, Ol. 92, 3 od. 410 v. Chr. zugewiesen
hat. Es war überhaupt ein eigener Gedanke, dass vor dem
Ende des Peloponnesischen Krieges 6 Jahre lang, nach der
Anarchie 4 Jahre lang, alle gesetzgeberische Thätigkeit sus-
pendirt gcAvesen sei, und das nur wegen der hartnäckigen
Gewissenlosigkeit eines einzigen Mannes. Schwerlich würde
sich in der ganzen Geschichte ein ähnlicher Fall entdecken
lassen, und es müssten daher die klarsten Beweise für eine
so ausserordentliche Erscheinung beigebracht werden. Statt
deren finden wir aber eine unrichtige Auffassung 'Andoki-
deischer Stellen, \uu\ willkürliche Anwendung der in diesen
enthaltenen Bestimmungen, die in das Jahr 403 gehören, auf
das Jahr 411. Endlich muss noch erinnert werden, dass selbst
wenn keine eigentlichen Gesetze hätten gegeben werden kön-
nen, immer noch ein anderer Ausweg, die bestehende \ er-
fassung zu ändern, da war. Die Yerfassungsbestimmungen,
um die es sich hier handelt, konnten nicht nur durch Gesetze
(vofjLoi.), sondern auch durch Dekrete {<'^r^'^h\l'■/.-aj aufgestellt
werden. Durch ein (j^Y^iajxa waren die Vierhundert einge-
setzt, durch ein solches gestürzt worden, durch ein '^ir^oiiiia
war der Staat in die Hände derjenigen, die sich selbst bewaff-
neten, gelegt, und die Bestimmung festgehalten worden, dass
keine Behörde Sold empfangen solle, durch Psephismen wur-
den verschiedene andere wichtige, die Verfassung betreffende
Gegenstände geordnet, i) Es genügt, die Worte des Thuky-
dides VIII, 97 anzuführen: syi'yvovto os xat aXXai uarspov 7:uxval
£y.-/XT,3iai acp' tuv xat vojjLoös-a; xat -aXha i'^^rjCpiaavro sc tt^v TroXirsiav,
um zu beweisen, dass damals die constituirende Thätigkeit nichts
weniger als gehemmt war und nichts im Wege stand, die
durch die sx/Xr^sia früher gegebenen Beschränkungen durch
dieselbe wieder aufzuheben. Nachdem also die von den No-
motheten hergenommenen Gründe für das Fortbestehen der
gemässigten Verfassung bis zu Ende des Krieges widerlegt
1) Hieher gehört ohne Zweifel das tLTi'ftajxa Ka^vcuvou.
214 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
worden sind, müssen noch die AYorte des Thukydides VIII, 97
ou/ r^y.iota oy) tov KpwTov yf/ovov i-i ys £[J-oü 'AUr^vaToi cpai'vovtcc.
£u 7roXiT£uaavT£c , betrachtet werden, welche Peter zu seinem
Zwecke anführt, indem er den Sinn darin findet, die Athener
hätten nur in der ersten Zeit der gemischten Verfassung den
Staat gut regiert, später sei Thukydides mit dem Gange der
Dinge weniger zufrieden gcAvesen. Diese Erklärung aber, ob-
wohl ihr auch Scheibe S. 7, Anm. 16 beistimmt, lässt sich
schwerlich rechtfertigen, Avie sich klar ergibt, sobald man die
Stelle in ihrem ganzen Ziisammenhange betrachtet. Thuky-
dides berichtet zuerst, wie die Vierhundert abgesetzt, den so-
genannten Fünftausenden die Macht übergeben und die Ab-
schaffung jeder liosoldung der Behörden beibehalten worden
sei. Dann fährt er fort: »es hatten aber auch später noch
andere zahlreiche Volksversammlungen statt, in Folge derer
sie Nomotheten einsetzten inid die andern Bestimmungen in
Betreff der Verfassung machten. Vnd es scheinen die Athener
in der ersten Zeit, wenigstens während meines Lebens, ihren
Staat am besten geleitet zu haben. Denn es war eine massige
Verbindung von Oligarchie und Demokratie, und das hat
zuerst den Staat aus der traurigen Lage, in der er war, wieder
herausgezogen.« Ofienbar enthält der Satz, es sei die Ver-
fassiing eine massige ^üschung gewesen ({Xc-pia -'^•P — ttoAiv),
die Erklärung zu dem vorhergehenden Urtheil, dass in der
ersten Zeit der Staat vorzüglich gut geleitet worden sei, der
Grund des eu TroXtrsustv liegt darin. Eine unbefangene Be-
trachtuiig führt also zu der natürlichen Folgerung, später habe
die u-cTpia |uY-/pa3tc nicht mehr statt gefunden. Ein Gegen-
überstellen der ersten Zeit der gemässigten A erfassung gegen
die spätere Zeit derselben A erfassung ist nirgend angedeutet.
Sollte das sein, so würde allerwenigstens die Erwähninig der
Verfassung dem Satze : xat ou/ r^v.io-a — -oAiTsujavTsc voran-
gehen müssen. ^] '0 zpÄTo; Xpovoc ist also die erste Zeit nach
>) Das Missliche von Peter's Erklärung hat Scheibe, ob-wohl er sie
adoptirt, offenbar gefühlt. Das zeigen seine Worte S. " Anm. 16: »Zur
grössern Erhärtung seiner Ansicht fügt er (Peter, die Stelle aus Thukydides
VIII, 97 hinzu, welche zeigt, dass Thukydides mit der Verfassung (d. h. mit
derselben) in spätem Jahren weniger zufrieden war.« Ohne dieses beige-
fügte »d. h. mit derselben« würde Jedermann den Grund der Unzufrieden-
Untersuchungen über die Verfassung von Athen. 215
dem Sturze der Vierhundert, imd die Stelle wird, so gefasst,
weit entfernt für unveränderten liestand der Verfassung zu
sprechen, vielmehr' auf Aendeioingen hinweisen, welche der
Grund sind, warum Thukydides sein Loh aiif die erste Zeit
Deschränkt.
Scheibe stützt sich, neben dem Stillschweigen der Schrift-
steller, durchaus auf die Gründe Peters, giebt aber eine Be-
schreibung des unter der gemischten Verfassung emgetretenen
Zustandes. welche billig Zweifel erregt, ob er sich zuerst klar
gemacht, was denn der Unterscliied dieser gemischten Verfas-
sung von der Demokratie gewesen sei. Seine Worte sind fol-
gende : »Jene aus Demokratie und Oligarcliie gemischte Ver-
fassung der Fünftausend ist sicherlich vor der Herrschaft der
Dreissig nicht abgeschafft worden, was Einige fälschhch be-
haupten, wohl aber artete sie allmälich so aus, dass sie, auch
ohne die Fonnen einer absoluten Demoki'atie, doch dem Wesen
nach sich als Ochlokratie erwies. Gerade diese unge-
zügelte V 0 1 k s h e r r s c h a f t sollte ein Werkzeug und Förde-
rungsmittel für die Oligarchie werden. Und wie zwei sich gänz-
lich entgegenstehende Parteien meistens sich verbinden, wenn
sie als gemeinschaftliches nächstes Ziel den Sturz einer dritten,
ihnen beiden feindlichen Macht betreiben, um nach Erreichung
dieses Zieles sich selbst zu bekämpfen, so bildete sich auch
hier diese sonderbare Coalition der Oligarchen und Demago-
gen. Nach der Seeschlacht bei den Arginusen nämlich, im
heit eben darin gefunden haben, dass sie nicht mehr dieselbe gewesen sei.
K. F. Hermann in der Recension von Scheibe"s Schrift Berlin. Jahrb.
1S42, Nro. 16 — 19 S. 144 hat diese Erklärung ebenfalls verworfen, die
Stelle aber so aufgefasst, dass es eine abgekürzte Construktion sei für : zai
ö TrpöJTo; ypovo; r^v o-i 7.. x. X. es war dies wenigstens während meines
Lebens die erste Zeit, wo die Athener ihren Staat gut einrichteten. Gegen
diese Erklärung spricht aber das ojy r^v.izzn, das daher auch in der Ueber-
setzung nicht ausgedrückt ist. In diesem liegt eine Vergleichung mit an-
dern Zeiten, man kann nicht sagen : »sie haben ihren Staat zum erstenmal
am besten oder wörtlich : nicht am wenigsten gut eingerichtet,«^ wohl aber:
»sie haben ihren Staat in der ersten Zeit am besten seit einem Menschen-
alter eingerichtet.« Ueberdies würde Hermann's Erklärung auch in die
Worte des Thukydides den Sinn bringen, dass der Staat früher während
seiner Lebenszeit nie gut eingerichtet oder geleitet worden sei , was nicht
wohl mit dem II, 65 über die Staatsverwaltung des Peiikles ausgesprochenen
Urtheil zusammenpassen würde.
216 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
Jahre 406, wurden die grösstentheils demokratischen Sieger,
Avie Leon, Diomedon, Thrasyllos und Perikles angeklagt, die
Todten nicht aufgefangen und begraben zu haben, eine KJage,
Avelche von Theramenes, dem Mitfeldherm und Oligarchen
ausging, und von Kallixenos, einem Demagogen, den jener dazu
überredet hatte, unterstützt wurde. Diese erlangten denn auch
den Beschluss der Hinrichtung jener FeldheiTn. Da aber be-
sonders hiebei und bei andern Gelegenheiten die Sykophantie
der Demagogen sich in ihrer ganzen Nichtswürdigkeit zeigte,
so wurde bei Melen der Demokraten selbst Widerwille gegen
die Demokratie überhaupt und ein ^ erlangen nach einer Staats-
reform erzeugt, in welcher sie eine festere Stütze und Gewälir
zu finden hofften, als in dem meist güterlosen und neue-
rungssüchtigen Pöbel.« In der Anmerkung 16 heisst es:
»Allein dies (die Yeiiirtheilung der Sieger bei den Arginusen)
konnte auch geschehen in Folge der Entartung jener ge-
mässigten Form der Demokratie, der Pöbel Avird durch keine
Staatsform in semem Thun und Treiben bestimmt. — Auch
das von Yischer S. 33 angeführte Geschrei des Demos: oöivov
eivai £1 [XTj TU £«331 Tov OT^ixov r:pa"£iv o av [jry'Ar,xat bcAveist
nur, dass der Demos sich aufrührerisch Avie früher betragen
habe.« Hier finden AAir also eme Ochlokratie, eine ungezügelte
Tolksherrschaft, welche den Oligarchen in die Hände arbeitet,
WiderAvillen der Demokraten selbst gegen eine so nichtsAvür-
dige Demokratie, die Macht bei einem meist güterlosen und
neuerungssüchtigen Pöbel, einem Pöbel, der sich durch keine
Staatsform in Schranken halten lässt, imd einen Demos auf-
rührerisch Avie früher. Alles dies ist aber kein Beweis voll-
ständiger Demokratie, sondern nur der Entartung jener ge-
mässigten Foiin der Demokratie. Worin bestand denn aber
diese Ausartimg? Jene gemässigte Fonn unterschied sich ja
gerade dadurch von der absoluten Demokratie, dass die Aus-
übung der höchsten Gewalt in den Händen einer beschränkten
Zahl A'on Bürgern war. der o-oaoi oTzXa Trapi/ovrat , und dass
kein Sold ausbezahlt wurde, mit andern Worten, dass der
güterlose Pöbel A'on der Theilnahme an der höchsten Gewalt
ausgeschlossen war. Hatte er Avieder Zutritt zu derselben er-
halten, so Avar die beschränkte Form der Demokratie nicht
entartet, sondern aufgehoben, die wohlthätigen Schranken
Untersuchungen über die Verfassung von Athen. 217
waren gefallen. So lange jene beschränkte Form in Kraft
war, hatten die gemässigten Demokraten imd Aristokraten, die
in ihren politischen Ansichten sich nahe standen und eben so
wenig eine schrankenlose Demokratie als eine Avillkürliche
Oligarchie -svollten, einen festen Anhalt, und auf ihren Sturz
müssen darum ültrademokraten , wie Ultraoligarchen , hinar-
beiten. Mit einem Worte, ein Zustand, yvie ihn Scheibe dar-
stellt , und wie er der Hauptsache nach allerdings existirte,
ist mit der Annahme des Fortbestehens der beschränkten Fonn
der Demokratie, oder, wie es Thukydides nennt, der gemässig-
ten Mischtmg von Oligarchie und Demokratie nicht möglich.
Scheibe hat also seine Ansicht durch seine eigene Darstellung
mehr erschüttert als begründet.
W. Koscher endlich geht Thukydides S. 443. Anm. in
eine tiefere Begründung der Sache nicht ein, sondern indem
er sich an Scheibe anschliesst, sucht er nur noch für das
Fortbestehen der gemischten Verfassung den Umstand geltend
zii macheu. dass in dem ganzen Zeiträume sich immer Feld-
herm von verschiedenen politischen Parteien nachweisen lassen,
was aber gar nichts beweist, da wir in der Ernennung der
FeldheiTu auch sonst kein Aiisschliessungssystem^befolgt finden.
Werfen wir nun einen Rückblick auf die Gründe, welche
für den Fortbestand der gemässigten Verfassung geltend ge-
macht worden sind, so finden A^ir, dass kein einziger Beweis-
kraft hat, die positiven Gründe sind alle geradezu nichtig,
und es bleibt nur der negative von dem Stillschweigen der
sämmtlichen Schriftsteller, namentlich des Xenophon,
übrig, den ich absichtlich bisher noch unbesprochen gelassen
habe. Dieses Schweigen erscheint nun allerdings auf den ersten
Augenblick auffallend. Die oligarchische Umwälzung der Vier-
hundert und ihr Sturz haben eine so weitläufige Beschreibung
bei Thukydides gefunden , er giebt bestimmt an , dass an die
Stelle der Oligarchie nicht eine unbeschränkte Demokratie,
sondern eine gemässigte Verfassung getreten sei. Wäre es
nun nicht natürlich, dass das Aufhören dieser gemischten Ver-
fassung . wenn es '«'irklich statt hatte , berichtet würde ? Bei
der Antwort darauf muss man zwei Pimkte ins Auge fassen,
die Art des Ereignisses selbst, und die Beschaffenheit der
Quellen. Die Veränderung konnte nämlich unter bedeutendem
218 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
Widerstände auf mehr oder weniger gewaltsamem AVege ge-
schehen, so dass sie sich auch als ein äusseres Ereigniss dar-
stellte. In diesem Falle Avürde das Verschweigen derselben
allerdings schwer zu erklären sein, Sie konnte aber auch auf
eine ziemlich unmerkliche Art vorgehen, so dass sie unter den
lauten Ereignissen des Krieges fast verschwand und keinen
unmittelbaren Einfluss auf den Gang desselben ausübte. Dann
begreift man bei der Beschaffenheit unserer Quellen das Ueber-
gehen derselben leicht. Was nämlich diese anbetrifft, so hört
bekanntlich Ihukydides unmittelbar nach dem Sturze der Vier-
hundert auf. Von seiner Darstellung der oligarchischen Um-
wälzung dürfen wir aber keinen Schluss ziehen auf die Art
und Weise, wie sein so sehr verschiedener Fortsetzer die Sache
beschreiben musste. Aber noch mehr. Es fragt sich sehr,
ob Thukydides selbst sich veranlasst gefunden hätte, die \ei-
änderung zu erzählen. Er hat eine Geschichte des Pelopon-
nesischen Krieges geschrieben, nicht eine Geschichte Athens.
Vorgänge im Innern dieses Staates kommen nur in so weit in
Betracht, als sie aiif den Gang des Krieges selbst einen Ein-
fluss haben. In wie hohem Grade das bei der oligarchischen
Revolution 411 der Fall war, braucht nicht bemerkt zu wer-
den, daher die ins Einzelne gehende Darstellung. War hhi-
gegen der Uebergang der beschränkten Demokratie zu der
unbeschränkten auf eine ziemlich unmerkliche, nach Aussen
im Augenblick wenig fühlbare Weise geschehen, so konnte sie
von dem Geschichtschreiber übergangen oder nur gelegentlich
im Vorbeigehen erwähnt werden. Hat doch Thukydides auch
in den frühem Zeiten von den Vorgängen im Innern Athens
wenig berichtet, so lange sie nicht nach Aussen wirkten.
Würden wir nun selbst bei Thukydides uns nicht wundem
dürfen, eine solche Veränderung kaum angedeutet oder still-
schweigend übergangen zu finden, so ist das in weit höhenn
Grade bei Xenophon der Fall, der selbst äussere Ereignisse
oft in einer Kürze und Flüchtigkeit erzählt, dass Avir durch
ihn allein eine unrichtige Anschauung von denselben erhalten
müssten. Die anderen Schriftsteller kommen kaum in Be-
tracht. 1; Für Diodor gilt das Nämliche , was von Xenophon
1) Die Stelle Aelians v. h. V, 13: äpiSToy-pa-ria os 'o! 'AJ^r^vaioi; t/or^Z'j.-i-o
TJXTERSIICHUNGEN ÜBER DIE VERFASSUNG VON AXHEN . 219
gesa-t Avurde. bei den Rednern, den Komikern und andern
solchen gelegentlichen Quellen hängt es ganz davon ab, ob
sie Veranlassung hatten, von irgend etwas zu reden Aus
ihrem StillschAveigen schliessen, dass etwas nicht geschehen
sei darf man nur mit der grössten Behutsamkeit. Endhcli ist
zu'bedenken. wie viel aus jener Zeit für uns verloren gegan-
gen ist Das Schweigen unserer Quellen über eine Verän-
derung lässt also die Frage durchaus unentschieden und spncht
nur dafür, dass dieselbe ohne grosses Geräusch vor sich ge-
gangen sei. Können «Nvir anderweitig den veränderten Zustand
nachweisen, so fällt jener Eimvurf von selber.
III.
Da nun eine Fortdauer der gemässigten Verfassung bis zu
Ende des Krieges nicht erwiesen ist, die Abschaffung derselben
aber nicht erzählt wird, so ist der einzige AVeg der eingeschla-
gen werden kann, um zu einem Ergebnisse zu kommen, der,
nachzuforschen, ob sich bestimmte Spuren der hergestellten
vollen Demokratie finden lassen. Ist dies der Fall, so bleibt
dann noch die weitere Frage, wann und wie. die Herstellung
statt gefunden habe. Bei diesem positiven Theile der Abhand-
luncr werde ich, um den Gang der Untersuchung nicht zu
stören, nun nicht die Gründe der Reihe nach durchgehen,
welche bereits von den obengenannten Gelehrten für die Her-
stellung der Demokratie vorgebracht worden sind. Es genügt
um so eher, beiläufig darauf hinzuweisen, als kein emziger
den Gegenstand erschöpfend behandelt hat, sondern in der
Regel nur aus dem anerkannt zügellosen Zustande Athens aut
Abschaffung der Beschränkungen geschlossen wurde.
Um nun ein über Zweifel erhobenes Resultat zu erhalten,
und namentlich nicht dem bisher stets wiederholten Einwurfe
Raum zu gestatten, es habe Alles, was Folge absoluter Demo-
kratie zu sein scheine, eben so gut durch blosse Entartung
jener o-emässigten Verfassung statt finden können, müssen wir
uns e?st recht klar machen, worin denn die Beschränkungen
der Demokratie nach dem Sturze der Vierhundert bestanden
-h' rQ^i»- -XeoTaiov 0£ l-'£v£to dvapyia r.t^l ttjV töv xpiav-ovTa xardaxaaiv, ist
ihJem ganzen Inhalte nach so confus, dass nichts daraus gemacht werden kann.
220 Untersuchuxgex über die Verfassung von Athen.
haben, und dann zusehen, ob diese sich erhalten haben oder
nicht. Ueber dieselben erfahren wir aber nichts, als was Thu-
kydides VIII, 97 berichtet, sie bestehen in den zwei bereits
oben mehrfach genannten Massregeln, wonach die höchste Ge-
walt nicht in den Händen des gesammten Demos ruhen sollte,
sondern in denen der Fünftausend, zu Avelchen Alle gehören
sollten, welche sich selbst vollständig bewaffneten, und keine
Behörde Sold erhalten sollte. Das sind die einzigen uns be-
stimmt überlieferten Bestimmungen, die eine Beschränkung der
Demokratie zum Zweck hatten; finden wir sie aufgegeben, so
müssen wir annehmen, dass die gemischte Verfassung ihr Ende
erreicht habe. Daneben weist Thukydides allerdings noch auf
andere Anordnungen hin, ohne aber etwas Näheres darüber zu
sagen, nur die Niedersetzung von Nomotheten bezeichnet er
besonders, die daher, auch nach dem oben bereits Gesagten,
noch Berücksichtigung fordern.
1. Zuerst also die Beschränkung der höchsten Ge-
walt auf diejenigen, welche oT.ho. T.ci.rjiyov-ii. Unter dem
Ausdrucke ra TTpctyiActTa i) , den Thukydides hier hat und der auch
sonst bei ihm und andern Schriftstellern häufig für die Staats-
gewalt vorkommt, ziemlich entsprechend dem lateinischen res
publica und dem anderwärts, z. B. VIII, 66. 76. gebrauchten
-koXic und -oXiTsia, ist hauptsächlich die Theilnahme an der höch-
sten ^'ersammlung. der tAy.kr^zia. ausserdem aber auch die Be-
fähigung, zu Aemtern gewählt zu werden, und gewiss auch die
Theilnahme an der richterlichen Gewalt zu verstehen. Denn
es ist undenkbar, dass man z. B. die Entscheidung über eine
vpacsTj TiapavoacDV Gerichten überlassen hätte, die aus Männern
gebildet waren , welche man von dem vollsten Bürgerrechte
ausgeschlossen hatte. Darüber herrscht wohl kein Zweifel.
Als man vor der Einsetzung der Vierhundert zuerst den
Gedanken gefasst hatte, an die Stelle des gesammten Demos
eine kleinere Körperschaft zu setzen, war man von einer be-
stimmten Zahl ausgegangen. Fünftausend Bürger soUten aus-
gewählt werden und zwar diejenigen, welche durch ihr Vermö-
gen und ihre Person am meisten zu leisten vermöchten - . Yon
1) Vgl. Krüger Commentat. p. 269.
-) Thuc. \T^II, 65 : o'jT£ ijLeDezTSov töjv -onftxi~m-j T/.eiostv tj -ivTay.'.;-/!/.''^!;
y.ai TOUTOt; o'i äv [i-aXicca toI; te yprjAaat y.a'i toT; ccua'/ctv üj'iE/.eiv oloire (u3tv.
Untersuchungen über die Verfassung von Athen. 221
genaueren Bestimmungen erfahren wir nichts, höchst wahr-
scheinlich hat es auch gar keine solchen gegeben, sondern es
blieb den mit Verfertigung der Listen beauftragten y<.azako'(zic.
überlassen, die geeigneten Leute auszuwählen. Ein Verzeich-
niss der Fünftausend sollte baldigst veröffentlicht werden^ kam
aber nie zum Vorschein, weil die Vierhundert einestheils nicht
mit so vielen die Gewalt theilen, andemtheils aber durch die
Erwartung, unter die Fünftausend aufgenommen zu werden,
möglichst Viele in ihr Interesse ziehen und unter dem Volke
gegenseitiges Misstrauen en'egen wollten. So ^del ist sicher,
dass die lu-sprüngliche Absicht war im Ganzen nicht mehr als
Fünftausend in den Katalog aufzunehmen, welche einen bevor-
zugten Theil der Bürgerschaft, das eigentliche TcoXi'-sutxa, bilden
sollten ^] . Bei dem Sturze der Vierhundert war nun in Athen
noch immer eine Abneigung gegen die unumschränkte Demo-
kratie vorherrschend, man hatte nur das andere Extrem, die
eigentliche Oligarchie, wie sie sich in den Vierhundert ver-
1; Gegen diese Ansicht kann, wie ich wohl weiss , zweierlei angeführt
werden, erstens die Worte der Gesandten beim Heei'e in Samos, Thuk.
VIII, 86 : Ol o" d~r^yiz'kXo't cw; o'jt' i~i oia'^rJopä tt^; -oAecu; y] jjLETa'xaat;
YevoiTO , äXX' i-\ GtuTYjpta , o'j9' ha tou itoXsfAioi; Trapaoo&rj twv -.e
-EvTaxir/tXiujv oTt -dvt£; £v tw fjifpet |i.£i}£^o'JOtv. Erklärt man die Stelle mit
Bauer, Goeller, Poppo und Arnold so, dass xtüv -£VTa7,i;/iX(iuv von [A£i}£?o'ja[
abhängt, so ist der Sinn allerdings, die sämmtlichen Bürger sollen der
Reihe nach unter die Fünftausend gewählt werden ; allein die Nothwendig-
keit dieser Erklärung ist doch noch nicht erwiesen , und es lässt sich aus
dem Vorhergehenden recht wohl t^; ttöäew; ergänzen, und tüjv -£v-a7,i;yt/a'(uv
von -avTEs; abhängig fassen. So hat auch F. Haase in der Pariserausgabe
die Stelle genommen. Aber selbst zugegeben , die andere Erklärung sei
die wahi-e, so wäre das ein blosses betrügerisches Vorgeben der Gesandten
zur Beschwichtigung des Heeres , das in bestimmtem AViderspruche steht
mit AIII, 65. 72 und besonders 93, wo die Vierhundert versprechen: to'j;
7:£VTa7.i?ytXto'j; ä-o'-iavet>; -Arn iv. toütojv £v jj.£p£t , tj av Tot; 7:£VTcc/.'.;"/tXiot;
007.1^ TO'j; T£TpoL-/to3io'j; £(j£ai}cti. Das Andere, was man meiner Ansicht ent-
gegenhalten könnte, ist die Stelle bei Lysias für Polyatr. §. 13, wo gesagt
wird, Polystratos habe 9000 Bürger in den Katalog aufgenommen. Aber
auch wenn sich, was ich für das richtige halte, die Stelle auf die Zeit der
Oligarchie, nicht, wie andere meinen , auf die nach dem Sturze der Vier-
hundert bezieht , so beweist sie doch nichts anders , als dass der einzelne
Polystratos mehr als Fünftausend in den Katalog aufnahm , von denen
wieder einen Theil zu streichen seinen Collegen oder den Vierhunderten
zustehen musste.
222 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
köipert hatte, stürzen wollenst. Darum behielt man vorerst
das timokratische l^rincip , welches der Aufstellung der Fünf-
tausend zu Grunde lag, und zugleich ihren Namen bei, um
eben sowohl einen bestimmten Gegensatz zu den vorher allein
regierenden A'ierhunderten als zu dem ganzen Demos zu bilden.
Wären sie verzeichnet gewesen, so hätte man ohne Zweifel sie
zur Ekklesia versammelt. Weil das aber nicht der Fall war
und man ihre Constituirung nicht von neuem auf unl)estimmte
Zeit hinausschieben wollte, beschloss man, dass alle diejenigen
liürger dazu gehören sollten, welche oTrXa Tiafis/ovrai, , d. h.
Avelche auf eigene Kosten sich mit voller WaiFenrüstung ver-
sehen 2] . Es gehörten demnach ungefähr die drei ersten so-
lonischen Classen dazu, von denen die erste, die der Penta-
kosiomedimnen, besonders die Trierarchen- und andere Befehls-
haberstellen besetzte , die zweite meist lleiterdienste that . die
dritte endlich die Masse der regelmässigen Hopliten oi iv. tou
y.oi-rjl6'[o<j lieferte ^ . Ausgeschlossen waren hingegen alle die.
welche als Leichtbewaffnete ('V.Aoi oder als Kuderer und Ma-
trosen Dienste thaten, oder in besonderen Fällen vom Staate
als Hopliten ausgerüstet wurden, also hauptsächlich die Theten.
Diese Bestimmung lässt sich leicht begreifen , Avenn man er-
wägt, dass die Reaktion in der Stadt hauptsächlich von den
Hopliten ausging, die unter gemässigten Führern standen,
Avährend dagegen das Seevolk, der vaurix-oc oyj.ot des Thuky-
dides, unter entschieden demokratischen Führern grösstentheils
auf der Flotte in Samos war. Immerhin war jetzt der Name
der Fünftausend ein ganz ungenauer, und die Basis der Ver-
fassung eine "\iel breitere, der vollen Demokratie nähere. Denn
man darf nicht glauben es sei damals die Zahl der athenischen
Hopliten auf 5000 herabgesunken gewesen, oder auch nur
dieser Zahl nahe gekommen. Bedenken wir, dass im Anfang
des peloponnesischen Krieges nach Thuk. '11 , 13 Athen mit
1; Besonders bemerkenswerth sind in dieser Hinsicht die Worte des
Thukyd. VIII, 92: t,v oe -po; töv oyAov t] rapav-ATjCi; , <b; ypr, o;Tt; To-j;
7tiVTaxt;-/iX(o'j; ßo'jXeTat apy£t>^ ävTi tü)v TEToav-ooimv , Uvai ItI t6 z^j-(0^'
dTtexp'j-TOVTO '[o.^ 3}i.(u; Ixt Ttbv Trevxavusyi/atuv tw Qv6[j.aTt ji.rj avtiv.p'j; ofj[i.ov
öcTi; ßo'j).£Tai apyeiv övO[i.aCstv, cpoßo'jaEvoi [jltj tiu ovti v)Zi -/.ai -pö; t'.va si-cuv
tt; Tt «Yvoicf. c^aXrj.
-) Krüger Commeut. p. 254 und die Ausleger zu Thucyd. VIII. 97.
3) Böckh, Staatshaush. I S. 65Ü.
Untbrsuchukgen über die Verfassung von Athen. 223
Inbegriff der Metöken nicht -weniger als 29,000 Hopliten zählte,
dass nach dem Frieden des Nikias sich die durch Pest und
Schwert erlittenen "S'erluste wieder vollkommen ersetzt hatten,
so finden wir selbst nach der ungeheuren Niederlage in Sici-
lien immer noch weit mehr als das Doppelte jener Zahl. Denn
von den mehr als 60,000 Mann, die Athen gegen Syrakus ge-
schickt hatte , waren höchstens 3000 eigentlich athenische
Hopliten gewesen. Auch hatten selbst die Vierhundert nie
behauptet, dass sämmtliche Ho])liten unter den Fünftausenden
Aufnahme finden würden, sondern sich bloss darauf berufen,
dass, wegen der fortwährenden Vbwesenheit einer grossen
Zahl von Bürgern , selten sich Fünftausend bei der A'olksver-
sammlung einfänden. Also war mit der Bestimmung o-oaoi
oüÄa -aps/ovrai die Zahl der Fünftausend dem Wesen nach
aufgehoben. Dies hat Veranlassung gegeben, dass man, um
den Namen der Fünftausend im eigentlichen Sinne zu retten,
die Vermuthung aufgestellt hat, es seien die sämmtlichen Bür-
ger, welche sich vollkommen bewaffneten, als em grosser
gleichberechtigter Körper betrachtet worden, aus dem man
dann die Fünftausend abwechselnd genommen habe, sei es
durchs Loos oder auf andere Weise''. Allein diese Annahme
ist im Widerspniche mit dem klaren Wortlaute der Thukydi-
deischen Stelle, der einzigen, die uns über diesen Punkt Nach-
richt giebt. Auch die Rede für Polystratos beweist nichts.
Denn angenommen, Polystratos sei nach dem Sturze der Vier-
hundert Katalogeus gewesen 2, so ist in der Behauptung, er
1) Das ist die Meinung Arnolds, dessen Worte bei Poppo zu Thuc.
YlII, 97 folgendermassen laiiten : Nuvierum civium , qui (/ravi armatura
instruere se poterant, multo major quinque 'millibus fiierit oportet atque ad
defendendum Polystratum imum e quadringentis Lysias l. d. ab eo indicem
novem millimn yraviter armatorum confectum dicit. Sed existimemus oportet,
omnes qui grave^n armaturam exhiherent , legi potuisse in numerum quinque
millium , sive sortitione, sive electione , sive 2)er vices sicut projjositum erat,
ut quadringenti per vices ex toto numero quinque millium constitunrentur .
-] Ich habe mit Absicht die beiden Möglichkeiten berücksichtigt, dass
Polystratos während der Regierung der Vierhundert oder nach ihrem Sturze
Katalogeus gewesen sei, um zu zeigen, dass weder das eine noch das andere
die aus der klaren Darstellung des Thukydides entwickelte Ansicht ei--
schüttere. Die Rede selbst ist so kurz über den Geger.stand, dass man in
üngewissheit bleiben kann. Die "Worte §. J ^ : oGto; oe o'jts (Jii.ocai fj&j/.Ev
o'jTi iCaTotXc"c£'.v , alM ocjtÖv r^-iö.-f/.o.'i.o^ und ir.il oi T,vaY'/-äj8r, •/.ctl öjjj.OjE
224 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
habe jetzt neuntausend Bürger statt fünftausenden in den Ka-
talog aufgenommen, nichts anders zu finden, als ein in seinem
Interesse urgirtes Geltendmachen des Volksbeschlusses -oT;
7r£VTaxi?}(iXiot<; Tcapaooovai xa -paYfiara. Es würde sich das auch
darin zeigen , dass , Avährend bei Thukydides der Artikel vor
7rcVTay.i;)^iÄiot; steht, die dadurch als ein ganzer Körper be-
zeichnet werden, es hingegen in der Rede für Polystratos
ohne Artikel blos TtcVTa/ic/iXioi; heisst und also der blosse
ZahlbegrifF ausgedrückt ist. Für ein Auswählen von je
Fünftausenden aus einer grossem Zahl sagen aber diese Worte
gar nichts. AVir sehen also nach dem Sturze der Vierhundert
die Gewalt, welche früher bei dem ganzen A'olke gestanden hatte,
in den Händen eines Theils desselben, aber eines sehr ansehn-
lichen, welcher der Gesammtheit des A'olks ohne Zweifel näher
stand als der unter den Vierhunderten beliebten Zahl von Fünf-
tausenden. Man sieht, ein Uebergang von diesem Körper zu der
Gesammtheit des Volks, dem alten orjjjio;, war kein sehr schroffer.
Durchmustern AA-ir nun die verschiedenen Schriftsteller,
Geschichtschreiber und Kedner. Komiker und Philosophen, so
TÖv ooxov sprechen dafür, dass er unter den Vierhunderten zum Katalogeus
ernannt worden sei. Der Umstand, dass die Vierhundert nie die Namen
der Fünftausend bekannt machten, beweist nicht, dass die Katalogeis sich
nicht mit Abfassung des Verzeichnisses beschäftigten. Polystratos konnte,
wie bereits gesagt, mehr als Fünftausende vorschlagen. Wäre er nach dem
Sturze der Vierhundert Katalogeus geworden , so würde das der Redner
sicherlich als Beweis seiner volksfreundlichen Gesinnung geltend machen.
Dass es nicht der Fall gewesen , wird sehr wahrscheinlich aus dem Um-
Stande, dass er gleich bei Veränderung der Verfassung in eine Geldstrafe
verfällt wurde, §. 14: -a^xX TjOt, ijl£T£-£7:-:c()-/.£1 -d -[jd-^^Liia -/.oX ojto; [aev ojt'
£i-(uv '[^(a\).T^''i oüo£[i.iav ojte r Xeov dxTuj •^fjiEpÄv Ia&ujv ei; t6 ßoüXEUTTjpiov m'-^\z
■/ry'r^ixa-^x T03aü-a. Ausserdem war er abwesend. Es ist bemerkt worden,
in acht Tagen hätte diese Arbeit nicht gemacht werden können 'Watten-
bach de quadringent. Athenis factione p. 41". Allein die acht Tage be-
ziehen sich nur auf das Besuchen des Rathhauses. Ich verhehle mir dabei
keineswegs, dass sich auch einige Gründe für die andere Meinung geltend
machen lassen, und namentlich die Worte §. 13: 'jjxwv 'l<7jcpia<x[X£v(uv -Evtav.'.;-
yiÄiot; TTapaöoüvai xd r.^i'^^io.-'x denen des Thukydides : toic rEVTavctcyiXioi;
EdiYjcobavTo td -paYtAa-ra -apaooiJvat mit Ausnahme des Artikels genau ent-
sprechen. Doch hatten ja auch bei der Einsetzung der Vierhundert die
Athener beschlossen , Fünftausenden die Gewalt zu übergeben , und hier
passt 7:EVTa-At;-/iXtot; ohne Artikel besser, weil sie noch gar nicht existirten
und Niemand glaubte, sie existirten.
Untersuchungen über die Verfassung von Athen. 225
muss uns zuerst auffallen , dass, während unter der kurzen
Herrschaft der Vierlnnidert und vmmittelbar nach ihrem Sturze,
so viel von den Fünftausenden die Rede ist, nun nicht bloss
dieser Name ganz verschwindet, sondern auch nirgend von
einer \'ersammlung der or^Xa T^a^zy6\iz^oi sich eine Erwähnung
findet. Es Avird oft genug vom otjjjlo?, vom irXrj&o;, von der
£xxArj3i'a gesprochen, kein einziges Mal aber mit einem Beisatze,
der auch nur von ferne an eine Beschränkung der Zahl erin-
nerte. Dieses Stillschweigen dürfte also wohl mit demselben
Rechte geltend gemacht werden, als dasjenige über die Ver-
änderung der Verfassvmg. Denn es ist doch nicht Avahrschein-
lich , dass für einen Zeitraum von sechs Jahren , für dessen
Geschichte uns zwar nicht vollständig befriedigende, aber doch •
sehr mannichfaltige Quellen zu Gebote stehen, nicht ein ein-
ziges Mal die Ijehörde genau bezeichnet sein sollte, welche die
höchste Gewalt ausübte. Allein so sprechend dieses Still-
schweigen sein mag, so will ich gar kein Gewicht darauf
legen, weil, wie oben gesagt, das Folgern aus dem Stillschwei-
gen unserer Quellen etwas Missliches hat und ich mich nicht
dem ^^orwurf aussetzen möchte, für mich ein A'erfahren anzu-
wenden, das ich bei den ^'erfechtern der entgegengesetzten Mei-
nung verworfen habe. Auch will ich nicht darauf hinweisen,
dass, wie Einschleichungen ins Bürgerrecht ausserordentlich oft
vorkamen, so jetzt noch viel leichter Eindringung Unberech-
tigter unter die Zahl der zur Theilnahme an den Staatsge-
schäften Berechtigten stattfinden konnte, wodin-ch dann all-
mählich die Beschränkung des N'ollbürgertlmms faktisch aufge-
hört hätte. Das wäre dann allerdings nicht sowohl eine
Aufhebung der gemässigten Verfassung, als eine Entartung
derselben. Auch haben wir keine Nachrichten, die ims darauf
schliessen lassen. Bestimmte und positive Zevignisse sollen
die Frage entscheiden. Diese bietet uns dasselbe Ereigniss
dar, dessen Erwähnung uns schon oben gegen Forchhammer
den Beweis an die Hand gegeben hat, dass der Rath erloost
worden. Es ist der Process gegen die unglücklichen Sieger
bei den Arginusen. Man wollte dem Geschrei des Volks osi-
vov sivai £1 [XTj Ti; eaasi tov o9jij.ov npaTTSiv o av ßouXrjxai, von
dem ich noch immer glaube , dass es für die unbeschränkte
Demokratie entscheidend ist, keine Beweiskraft zuerkennen.
Vi sc her, Schriften 1. 15
226 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
Ich will darum kein Gewicht darauf legen , hoffe aber , dass
man nicht so leicht über die folgenden Thatsachen wegkom-
men werde, die unmöglich bloss auf aufrührerisches Geschrei
des Volks zurückgeführt werden können. Nachdem in der
ersten Ekklesia, die sich mit dem Gegenstande beschäftigt
hatte, beschlossen worden war, die Entscheidung auf einen
spätem Tag zu verschieben , erhielt der Rath den Auftrag,
einen Vorschlag (irpo^ouXeujxa) zu bringen. Dieser, von dem
Demagogen Kallixenos abgefasst, enthält folgende Bestimmung :
da man in der ersten Versammlung die Ankläger der Feldherni
und die Vertheidigung dieser gehört habe, so sollen die Athe-
ner alle nach Stämmen ihre Stimmen abgeben und in jeder
Phyle soll man zwei Urnen aufstellen: oia']>r,<ptaa3i>ai 'Ai}-/j-
vai'ouc ctTravTa? xata cpuXa;, ilsTvai os £i? ttv c^uAirjv i/.aar/jv
O'jo uopiotc. Xen. Hell. I, 7, 9. Hier haben wir also bestimmt
und unzweideutig die Theilnahme des ganzen Volks an der
Ekklesia. Man wende ja nicht ein, das sei Missbrauch, Ent-
artung oder Verletzung der bestehenden Gesetze gewesen. Es
wird zwar Anelfach das gesetzwidrige Verfahren in diesem Pro-
cesse bitter gerügt, aber es liegt nicht in der Theilnahme des
gesammten Volks an der Ekklesia statt nur eines Theiles, son-
dern darin , dass man den Feldherni die Vertheidigimg nicht
erlaubte und dass man, statt nach dem '|ir/.pi3[ia Kavvuivou über
jeden einzeln zu stimmen, über alle auf einmal entscliied.
Diese Punkte werden in der Rede des Euryptolemos bei Xe-
nophon und sonst hervorgehoben. Die Theilnahme sämmt-
licher Athener an der Abstimmung wird nirgends als etwas
Gesetzwidriges berührt. Sie war also ganz in der Ordnung.
Zum Ueberfliisse wird Xenophons Angabe noch bestätigt durch
eine Stelle im Axiochus p. 36S d. 369: oi o£ Trspt H-/;pa}x£vr,v
xai KotXXi;svov xq usröpaia -posopou; iy/.a\ii-ooc u<p£VT£c xa~£-
)^ci.poTovr(aav tujv avoptuv a/pitov Davatov. xotircii -£ 3U [j.ovoc auToi;
rixuv£; xai EupUKToA£ijLo? tpi^fiupitov Exy.ÄTjaiailovT(uv. So wenig
Autorität der Verfasser des Axiochos besitzt, so hyperbolisch
die dreissigtausend Theilnehmer an der Volksversammlung
sein mögen, so viel geht aus dieser Stelle immer hervor, dass
man die Verurtheilung der Feldherm als das Werk einer Ek-
klesia betrachtete, an der sämmtliche Athener und zwar be-
sonders vollzählig zugegen waren. Hatte aber das gesammte
Untersuchuxgen über die Verfassung von Athen. 227
Volk wieder Zutritt in der Volksversammlung, so war die
höchste Gewalt nicht mehr auf einen Theil des Volks, auf die
welche sich selbst schwer bewaffneten, beschränkt. Dass mit
der Theilnahme an der Volksversammlung aber auch der Zu-
tritt zu Aemteni und Gerichten wieder Allen geöffnet wurde,
wie vor der Zeit der Vierhundert, versteht sich wohl von selbst.
So wäre also bestimmt erwiesen, dass die eine Beschränkung
der Demokratie zur Zeit der Veiiirtheilung der Sieger bei den
Arginusen d. h. im Herbste 406, Ol. 93. 3. nicht mehr existirte.
2. Wenden wir uns zu dem zweiten Punkte, fita&ov
[ir^oeva cpipsiv {xr^osixia ap/r^, welcher seine Erläutei-ung
erhält durch die Worte (i>; outs {j.i3J>o9opT,Tsov £iT| aXXooc yj tou;
a-paT£uo}x£vou? (Thuc. A'III, 65.), aus denen man ersieht, dass
aller und jeder Sold für bürgerliche Verrichtungen, also der
Richtersold sowohl, als der Raths- und Versammlungssold,
abgeschafft sein sollte. Ueber die Bedeutung dieser Massregel
ist schon oben gesprochen worden. Sie war ebensogut durch
den zerrütteten Zustand der Finanzen Athens geboten, als ein
erwünschtes Mittel für den Wohlhabendem, den besitzlosen
Pöbel, der hauptsächUch wegen des Soldes an den Staatsan-
gelegenheiten Theil nahm, von diesen ferne zu halten. Es
war also die Massregel mit der ersten in vollkommenster Ueber-
einstimmung. Bekam man seine drei Obolen im Gerichte,
seinen Obolos in der Volksversammlung nicht mehr, so mochte
sich der arme Bürger, der von der Theilnahme daran ausge-
schlossen war, weit eher trösten; war ihm auch Theilnahme
wieder gestattet, so hatte sie doch weit weniger Interesse für
ihn, so lange die Besoldung nicht wieder eingeführt war. Es
lässt sich daher fast mit Sicherheit voraussetzen, dass mit der
Theilnahme sämmtlicher Bürger an den Staatsgeschäften auch
die Wiedereinführung des Soldes ziemhch zusammenfällt, wenn
es die Finanzen irgend erlaubten. Beides bedingte sich gegen-
seitig. Es ist daher bereits von Andern 'j darauf hingewiesen
worden, dass die glänzenden Siege des Alkibiades, welche für
einige Zeit die Macht und die Hülfsquellen Athens wieder auf
eine unerwartete Höhe brachten, ohne Zweifel die ^Viederein-
fühmng des Soldes veranlassten. So viel WahrscheinHchkeit
ij Ganz besonders von K. F. Hermann in der erwähnten Recension
von Scheibe's Schrift.
15*
228 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
das hat, so ist es indess doch nur Verraiithung. Schon be-
stimmter führt zu dem gleichen Resuhate die Wahrnehmung,
dass um dieselbe Zeit ausserordentliche Summen für Festver-
gnügungen ausgegeben wurden. Dafür liefern uns Inschriften
den schlagendsten IJeweis. Die Nummern 147. 148. 149. des
Corpus Inscriptionum [C. I. A. I, 188. 189 a, b.], von denen die
erste Rechnungen des Jahres 410/9, Ol. 92. 3, als Glaukippos
Archon war, enthält, zeigen dass das Theorikon zwischen dem
Sturze der Vierhundert und den Dreissigen in vollem Masse
gespendet wurde i) . Das Theorikon war aber von allen Aus-
gaben , mit denen das athenische Volk sich selbst bezahlte,
gewiss diejenige, die sich am w^enigsten rechtfertigen lässt und
die bedeutenden Summen, die man damals darauf verwendete,
zeigen dass man von der weisen Sparsamkeit, die man sich
nach der sicilischen Niederlage und nach dem Sturze der ^ ier-
hundert vorgenommen hatte, sehr bald zurückgekommen war.
LäS8t sich nun daraus schon mit einiger Vv'ahrschein-
lichkeit auf Herstellung des Soldes für bürgerliche \ errich-
tungen schliessen , so spricht noch mehr dafür die Art , wie
Aristophanes in den Ekklesiazusen , also etwa Ol. 96, 4 oder
392 von diesem redet. Indem er den Sold, der bekanntlich
nach dem Sturze der Dreissig mit der Demokratie bald wieder
eingeführt wurde, scharf tadelt, sagt er v. 302 »Als der edle
Myronides an der Spitze des Staates stand, da hätte keiner es
gewagt für die ^ erwaltung der Staatsgeschäfte Geld zu neh-
men« ^i. Die Bedeutung des Myronides fällt in die frühere
Zeit des Perikles um 450. Wäre nun zwischen ihm und dem
Jahre, wo die Ekklesiazusen aufgeführt wurden, einmal sieben
Jahre hindurch der Sold ganz axifgehoben gewesen, hätte dann
wohl Aristophanes ganz davon geschwiegen ! Ich glaube kaum,
vielmehr scheint in der Stelle . wenn man sie im Zusammen-
hang betrachtet, zu liegen dass seit der Einführung des Sol-
des derselbe im Ganzen immerfort ausbezahlt worden , und
zwar das Ekklesiastikon in der frühem Zeit mit einem, zur Zeit
der Ekklesiazusen selbst mit drei Obolen. Kurze Unterbre-
chungen kommen dabei nicht in Betracht.
M Darauf hat mit Recht bereits Sievers Comment. p. 76. Anm. IUI
aufmerksam gemacht.
-) Vergl. über diese Stelle Böckh Staatsh. I, S. 320.
Untersuchungen über die Verfassung von Athen. 229
Noch beachtenswerther ist eine Stelle in den im Anfang
des 405, Ol. 93. 3 unter Archon Kallias aufgeführten Fröschen
V. 139 folg. Sie lautet:
HPAKAHIi:.
£V TrXoiapi'o) tuvvoutoji a'avrjp yapiov
vrxütTjC hialzi ou' oßoXm [xiai>ov Xaßcov.
AlONTSO:^.
cpso, u)? |A£Ya Suvaaöov Traviaj^oü tu) ou' oßoXoi.
TTtoc 7jXi}£Tr,v xaxsTas:
HPAKAU^.
Der Scholiast hat die Stelle auf den Richtersold bezogen,
welcher damals zwei Obolen betragen habe. Höckh athen.
Staatshaush. I. S. 330 hat dagegen eingewendet, es sei von
einem Richtersold von zwei Obolen sonst nirgends die Rede.
Besonders macht er auch geltend, dass derselbe bereits früher
drei Obolen betragen habe, und so werde niemand glauben,
dass die Athener ihn zum Schaden ihres Reutels Avieder herab-
gesetzt hätten. Darum meint er, es beziehen sich die Worte
unfehlbar auf die Diobelie d. h. auf das zwei Obolen starke
Theorikon. Am Bestände des Richtersoldes in jener Zeit zwei-
felt also Böckh nicht von ferne, vielmehr will er nur darum
unsere Stelle nicht auf diesen bezogen wissen, weil er mehr
als zwei Obolen betragen habe. Ich kann indessen seinem
dafür angeführten Grunde nicht volle Beweiskraft zuerken-
nen. Ich stimme zwar vollkommen bei, dass die Athener
nicht unmittelbar von drei Obolen aiif zwei herabgingen.
Dagegen lässt sich sehr wohl denken, dass, nachdem einige
Zeit hindurch gar kein Sold bezogen worden war, man
bei der Wiedereinführung ihn, um wenigstens etwas zu er-
sparen , nur auf zwei statt der frühern drei Obolen festsetzte.
M. H. E. Meier (Allgem. Literaturzeitung 1S36, Nr. 119
II. Bd. S. 330.; meint freilich, es sei einleuchtend, dass man
nur ans Eintrittsgeld ins Schauspiel denken könne. Allein so
ausgemacht ist die Sache doch nicht. Der Ausdruck [iiaÖo?
und die Worte 0T|C5Su<; T-ya^ev scheinen vielmehr auf einen
eigentlichen Lohn oder Sold zu weisen. Es ist nicht die Rede
von einem Vortheil den Dionysos empfängt und der sich mit
dem Östüpuov vergleichen Hesse, sondern von der Belohnung
230 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
des Charon für seine Mühe die er nach des Dichters Fiktion
bis zu Theseiis Ankimft umsonst verrichtet hatte, und diesen
Lohn vergleicht man gewiss natürlicher mit dem >Solde oder
Lohn, den der ]3eamte oder Richter erhielt, als mit dem Fest-
gelde das der athenische liürger zu seinem Vergnügen empfieng.
]^as Volksfrevindliche des Uscupixov, und von einer volksfreund-
lichen Massregel des Theseus scheint doch die Rede zu sein,
lag darin, dass der liürger es erhielt, nicht aber darin, dass
er zwei Obolen Eintrittsgeld in das Theater zahlen musste.
Indessen gebe ich zu , dass die Nothwendigkeit an den Rich-
tersold zu denken nicht ganz erwiesen werden kann, und da-
rum giebt auch diese Stelle immer noch keinen vollständigen
l^eweis für die Wiedereinführung des Richtersoldes, wohl aber
eine andere desselben Stückes.
V. 1463 nämlich hat Aeschylos ausgesprochen, dass Athen
nur dann gerettet werden könne, wenn es des Feindes Land
für eigenes ansehe, das eigene dem Feind preisgebe, wenn es in
der Flotte sein Heil erkenne, andeni Gewinn aber für Verderben
ansehe. Doch setzen wir die Worte des Textes selber her:
TTjV YV '^"'^'^ voixi'awai ttjv täv tuoXsijlicdv
sivai ocpexspav, tt^v os a<p£T£pav täv ttoXsixiojv,
TTopov OS tac vauc, aTropi'av ok tov Tiopov.
Bei dem iropo? der Einnahme, die sie für aTropia Mangel, Ver-
derben ansehen sollen, denkt der Scholiast mit Recht an das
Festgeld, den Richter- und Volksversammlungssold. Auf diesen
patriotischen Rath antwortet Dionysios
£ü, irXrjv y' 0 oixaaTifjc auxa xaraTrivst [lovoc.
»Gut, nur verschlingt's der Richter allein« d. h. wenn die
Hülfsquellen Athens auch ergiebiger werden, so nützt das we-
nig; denn der Richter verschlingt doch alles. Das konnte
doch offenbar nur von einer Zeit gesagt werden, wo Richter-
sold bezahlt wurde und einen grossen Theil der Staatseinkünfte
in Anspruch nahm. An Confiskationen , die einem einfallen
könnten, darf man darum nicht denken, weil diese dem Staate
und nicht dem Richter anheim fielen. Es ist also erwiesen,
dass unter Archon Kallias Ol. 93. 3. der Richtersold bezahlt
wurde. Das Festgeld haben wir schon \ie\ früher wieder in
sehr ansehnlichen Summen ausbezahlt gefunden. Niemand
wird zweifeln, dass auch das ßouXeunxov und exxXrjOiaoTixov, der
ÜMTEKSUCHUNGEN ÜBER DIE VERFASSUNG VON AtHEN. 231
Kaths- und ^^olksversammlungssold, wie sie mit dem Richter-
sold abgeschafft -worden waren , so auch mit ihm Avieder ein-
geführt wurden, ganz abgesehen von den Zeugnissen der Scho-
llen, die zu den Fröschen v. 1465 die Existenz des Ekklesia-
stikon bestimmt annehmen.
Halten wir demnach fest , dass vor dem Ende des pelo-
ponnesischen Kriegs, die beiden Hauptbestimmungen, auf denen
die gemischte Verfassung beruhte, die einzigen Beschränkungen
der Demokratie, die uns wirklich überliefert sind, nämlich die
Ausschliessung der niedrigsten ]iürgerklasse von der höchsten
Gewalt und die unbesoldete Verrichtung der Staatsgeschäfte,
verschwunden waren.
3 . Es bleibt uns noch übrig zu betrachten in welchem Ver-
hältnisse zur Verfassung die Nie der Setzung der Nomothe-
ten stand, woran sich die Frage über die Zeit der Verfassungs-
änderung knüpfen Avird. Dass diesen Nomotheten eine viel
zu grosse Bedeutung zugeschrieben Avorden ist, haben Avir be-
reits oben gesehen. Wir Avissen über sie mit Bestimmtheit
nichts anders, als was Thukydides VIH, 97 sagt, der unter
den verschiedenen damals ergriffenen Massregeln auch ihre
Einsetzung hervorhebt. Dass Thukydides ihrer besonders er-
Avähnt, scheint dafür zu sprechen, dass sie als ausserordentliche
zu betrachten seien, von denen Schömann de comit. Ath.
p. 27 0 handelt, und in dem Sinne sind sie von Peter comment.
p. 52 gefasst Avorden. Indessen Hesse sich auch denken, dass
Thukydides A^on ihrer Einsetzung darum rede, weil sie zu einer
ungeAvöhnlichen Zeit statt fand und vielleicht längere Zeit das
Institut der ordentlichen Nomotheten faktisch A'ernachlässigt
worden Avar. Sonst wurden die Nomotheten im Anfang des
Jahres gewählt, unter den Vierhunderten Avar das natürlich
nicht geschehen, es Avar bei ihrem Sturze aber um so nöthiger
solche zu ernennen, als durch die oligarchische Revolution
vielfache Verwirrung in die Gesetze gekommen , mancherlei
Bestimmungen nöthig gcAvorden waren. Es ist darum möglich,
dass ihr Unterschied von den ordentlichen Nomotheten nur in
der Zeit der Niedersetzung, und ihre besondere Bedeutung nur
darin lag, dass jetzt zahlreiche und Avichtige Gegenstände ihnen
zur Entscheidung übergeben AA'urden, Avährend man früher den
besonnenen Weg der Gesetzgebung verschmähte und miss-
232 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
hräiichlich durch blosse Dekrete oder Ordonnanzen (']^r/f t'a[xaTa)
die gesetzgebende Gewalt ausübte ') . Im einen vne im andern
Falle war der ZAveck ihrer Einsetzung im Ganzen der-
selbe, die zerrüttete, nur durch einige tumultuarisch gefasste
Heschlüsse in ihren Ha\iptzügen festgestellte Verfassung zu
ordnen , die vielfach verwirrten Gesetze zu revidiren , Wider-
sprüche zu beseitigen, Ordnung und Uebereinstimmung in der
Art herzustellen, wie es eigentlich jährlich in der ersten und
dritten Volksversammlung eingeleitet und dann von den ordent-
lichen Nomotheten ausgeführt werden sollte. In diesem Sinne
niedergesetzte Nomotheten haben nun aber in keiner Weise
die Thätigkeit der übrigen liehörden gehemmt, etwaigen \er-
änderungen der Verfassung auch gar nicht im Wege gestanden,
sondern solche, sobald man sie auf dem Wege der eigentlichen
Gesetzgebung machen wollte , selbst veranlassen oder be-
schliessen können. Auch ist gar nicht nöthig anzunehmen,
dass dies erst bei vollkommener Abschliessung ihrer Geschäfte
geschehen konnte ; denn nirgends wird berichtet, dass sie alle
Gesetze auf einmal hätten erlassen müssen.
Wollte man aber die Aenderung auf dem Wege der Pse-
phismen machen, so hatten sie gar nichts dazu zu sagen. Bei
1) Schömann antiquit. juris publici Graecorum p. 229: ac posteris
temporibus uhi libertas paullatim in licentiam degeneravit, nimis saepe leges
non uliter quam psejMsmata et ferri quovis tempore ad populum et accipi a
populo in comitiis solehant, nulla nomothetarum mentione. Man kann nicht
genug auf diesen Umstand aufmerksam machen, da hiedurch besonders die
Entartung der athenischen Demokratie statt fand. Dass man besonders im
peloponnesischen Kriege vielfach Psephismen an die Stelle der Gesetze
treten Hess, geht besonders aus dem unter Eukleid's Archontat gegebenen
Gesetze, das Andokides de myst. §. 87 anführt, hervor, worin ausdrücklich
festgesetzt wird , dass kein Psephisma des Raths oder Volks über einem
Gesetz stehen sollte. Es musste das also vorher geschehen sein. Dürfte
man , wofür ich freilich keine Beweise habe , annehmen , die Aufstellung
ordentlicher Nomotheten sei in der Zeit vor den Vierhunderten faktisch
ausser Uebung gekommen und jetzt seit längerer Zeit wieder zum ersten-
mal erfolgt, so läge darin ein Hauptmoment der Mässigung und Besonnen-
heit, welche Thukydides der ersten Zeit nachrühmt. Eine Beschränkung
der gesetzmässigen Demokratie wäre es aber nicht , sondern ein blosses
Zurückgehen in die Bahn der Gesetzlichkeit. Wie früher konnte aber auch
jetzt wieder das Regieren durch Psephismen faktisch aufkommen. "War
einmal der Sold wieder eingeführt und die Volksversammlung allen Bürgern
eröffnet, so Hess das auch schwerlich lange auf sich warten.
Unteksuchungen über die A'erfassung von Athen. 233
dem Wenigen, was uns Thukydides über die Nomotheten be-
richtet, können wir also nicht bestimmt entscheiden welchen
Antheil sie an einer Verfassungsänderung hatten , erkennen
aber ganz klar, dass sie eine solche nicht im geringsten hin-
derten. — Man hat nun freilich geglaubt in Lysias weitere
Aufschlüsse über diese Nomotheten zu finden, indem man das
in der Rede gegen Nikomachus erwähnte Amt eines avaypa-
<p£u? vojxmv für das gleiche mit dem eines vojjloUstTjC hielt und
nun, was von Nikomachus als avaypacpsuc gesagt wird, auf das
ganze Collegium der Nomotheten bezog. Man nahm also an,
die Nomotheten seien beauftragt worden, eine Revision der
Solonischen Gesetze zu besorgen und dafür sei ihnen eine
Frist von vier Monaten gegeben worden, sie aber hätten will-
kürlich ihr Amt sechs Jahre lang beibehalten und zwar ohne
etwas zu Tage zu fördern.') Diese ganze Sache, aus der dann,
wie wir oben gesehen, noch weitere unhaltbare Schlüsse ge-
zogen wurden, fällt aber zusammen, sobald wir den avaypacpsu?
vo[i-(yv von dem vojj-o&eTrjC unterscheiden und in seiner wahren
Bedeutung nehmen. Es ist derjenige, der die Gesetze auf-
zeichnen (avaypacpctv) d. h. auf Stein einhauen lassen sollte.
Nikomachos hatte also den Auftrag die Solonischen Gesetze
zur öffentlichen Aufstellung niederschreiben zu lassen, die
Wichtigkeit des Geschäftes ist darin zu suchen, dass auf eine
') Diese Ansicht hat namentlich Theodor Bergk in der epistola hinter
Schiller's Andokides aufgestellt. Der unumstösslich richtige und trefflich
durchgeführte Beweis, dass Nikomachos zweimal mit der äMctYpa'fTj vojaoiv
beauftragt gewesen sei, einmal sechs Jahre lang vor den Dreissigen, dann
vier Jahre lang nach denselben, hat gemacht, dass man auch der Annahme
vielfach beigepflichtet hat, rhi'ipa(f.z\jc, v6[j.ojv und voiaoÖettj; bedeute dasselbe,
wie es unter andern auch mir früher gegangen ist. Dagegen hat H. G,
Hamaker quaestiones de nonnullis Lysiae orationibus S. 76 folg. wie ich
glaube mit vollem Recht P^inspruch gethan. Als ein Hauptgrund für die
Unterscheidung der beiden Aemter ist noch anzuführen, dass Lysias immer
nur davon spricht, Nikomachos sei so lange im Amte gewesen, nirgends
aber die Rede davon ist , dass ein ganzes Collegium so viele Jahre den
Missbrauch fortgetrieben habe. Auch Poppo zu Thukyd. VIII, 97 spricht
dieselbe Ansicht aus. Schömann hat eine zwischen beiden in der Mitte
liegende Ansicht, die aber jedenfalls nie der Folgerung Raum geben kann,
als ob durch die lange Verzögerung der ävaYJ^occf-ri vöawv irgendwie der ge-
wöhnliche Gang der Gesetzgebung behindert worden wäre. De Comit. Ath.
p. 267. Ath. Process S. 660.
234 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
getreue Abschrift Alles ankam. Wenn Lysias gegen Niko-
machos § 2 sagt, Nikomachos habe sich selbst statt Solons
zum Gesetzgeber gemacht avtt ]i!oAo>voc aurov vo[j,oi>£tt,v xats-
oTYjas), so will er damit ohne Zweifel bloss ausdrücken, das Ni-
komachos sich Avillkürlichc Aenderungen erlaubte. Ob nun
einer die avayp7/frj voatov in der vorgeschriebenen Frist aus-
führte oder lange verzögerte, hatte auf den Gang der Gesetz-
gebung keinen Einfluss , so nachtheilig die Verzögerung auch
für die bürgerlichen und politischen Verhältnisse dadurch
■wirkte, dass kein offiziell anerkanntes Exemplar der gültigen
»Solonischen Gesetze öffentlich aufgestellt war. Wir werden
uns demnach der Anwendung jener Stellen des Lysias auf die
Nomotheten des Jahres 4 1 1 enthalten und gestehen müssen, dass
wir von ihrer Thätigkeit im einzelnen nichts bestimmtes wis-
sen, und höchstens Vermuthungen aussprechen können.
Sollten nun aber vielleicht die von Thukydides erw^ähnten
Nomotheten selbst, deren Amt über ein Jahr auszudehnen wir
keine Ursache haben, bereits Aenderungen in den unmittelbar
nach dem Sturz der Vierhundert beschlossenen Verfassungs-
bestimmungen herbeigeführt haben ? ^) Diese Frage hängt eng
zusammen mit derjenigen über die Zeit in der die Aenderun-
gen statt fanden. Die bestimmten lieweise für den veränderten
Zustand halien wir nun zwar oben erst für die Zeit der Ar-
ginusenschlacht Kiü gefunden, aber alle Umstände leiten da-
rauf, dass er weit früher eingetreten sei. Freret und K. F.
Hermann haben an die triumphirende Rückkehr des Alkibiades
im Jahre 407 gedacht ^i und dafür würde besonders sprechen,
dass damals die von diesem Feldherrn eröffneten Hülfsquellen
reichlich fliessen mochten. Allein verschiedene Gründe be-
wegen mich mit Sievers auf eine noch frühere Zeit zurück-
zugehen. J^ereits im Jahre des Archon Glaukippos Ol. 92, 3.
V. Chr. 410/9 finden wir, wie oben erwähnt, das Gesetz des
1) Das ist Arnold's Meinung zu Thukyd. VIII, 97 : verum est quülem
quadringentos eam {potesfatem) , quum munere se ahcUcarent , Ulis [quinque
tnillibus] trudidisse , sed a vo[j.o&£Tat; qui novani reipidjlicae forniam con-
sif/nanint, hoc iustitatum servatum esse, tion est dictum. Die Ungenauig-
keiten im ersten Theil dieses Satzes fallen in die Augen, ohne dass man
besonders darauf aufmerksam macht.
2) Die Kückkehr des Alkibiades fällt übrigens nicht, ^vie es bei Freret
und Hermann heisst, in das Jahr 407, sondern in den Sommer 4U8.
Untersuchungen über die Verfassung von Athen. 235
Demophantos, Avelches bestimmt war die Demokratie zu
schützen und jeden Versuch des Umsturzes mit den strengsten
Strafen belegte. Dieses Gesetz, worin der Ausdruck or|[xozpaTi'a
mehrfach vorkommt, von einer Beschränkung aber nirgend
die Rede ist, deutet auf eine Zeit, wo man die A'erfassung
neu geordnet hatte, aber noch in Furcht wegen früherer
Umtriebe dagegen war. In dieser Beziehung hat es Sievers
S. 18 schon geltend gemacht für die Herstellung der vollen
Demokratie, die er bald nach der Schlacht bei Kyzikos, Ende
Februar 410, Ol. 92, 2 setzt. Dieser glänzende Sieg, meint
er, habe besonders dazu beigetragen, den gesunkenen Muth
der Athener und damit ihre demokratische Gesinnung neu zu
beleben, und das zeigt sich in der That deutlich genug in der
nach Diodor XIII, 53 hauptsächlich von Kleophon bewirkten
Verwerfung des von den Lakedaimoniern angebotenen Frie-
dens, wo gegenüber den iTrisixsa-aToi schon Mieder ein sehr
starkes demagogisches Element sich kundgibt. Ueberhaupt
lässt sich eine demokratische Reaktion in dieser Zeit nicht
verkennen, i) Die anfangs beobachtete Mässiginig verschwin-
det, Verfolgung derer, die bei der Revolution der Vierhundert
betheiligt gewesen war^n, tritt ein, die Atimie wird auf eine
grosse Zahl derselben angewendet, worüber Aristophanes in
der herrlichen Parabase der Frösche so patriotische Klagen
ausstösst. Die Betrachtung aller dieser Umstände macht daher
auch mir- sehr wahrscheinlich, dass bereits damals, sei es in
dem letzten Theil von Theopomps Amtsjahr, sei es im An-
fange desjenigen des Glaukippos, die Beschränkungen, die man
anfangs noch hatte bestehen lassen, wenigstens theilweise auf-
gehoben wurden. Mit dieser Annahme stimmt nun sehr gut,
dass gerade zu jener Zeit Thrasyllos, dessen demokratische
Gesinnungen bekannt genug sind, einen längern Aufenthalt
in Athen machte und sich in hohem Grade der Gunst des
1) Auf diese Zeit scheint auch die Stelle des Lysias für Polystratos
§. IT zu gehen: vOv 0£ rjvty.a aüxö? ea'JTÖj s'jvo'jaxaxQ; daxw ö ofj[j.o;, ßoYj&o'Jat
tif) ji-Ev ovöfxati 'j|A^''i f<i^ ^J^ ^PTM-" 3^'^t'' aiiToT;. Dass die Rede in die Zeit
nach dem Sturze der Dreissig gehöre, kann ich durchaus nicht glauben,
sondern bin fest überzeugt, dass sie nicht sehr lange nach dem Sturze der
Vierhundert, im Jahre 410, wohin sie auch Krüger und Alexander Falck.
in seiner Uebersetzung weisen, gehalten worden sei.
236 Untersuchungen über die Verfassung von Athen.
Volkes erfreute. Er führte dem Agis, der einen Streifziig
gegen Athen machte, alles streitbare \oYk der Stadt entgegen,
(tou? AÜTjVaiou? X7.1 Tou? äkXooi, Too; sv tf^ ttoXsi oviac a-a-vtac.
Xenophon Hellen. I, 1, 33.) Ohne Zweifel machten nun zu
einer Zeit , wo nicht allein die Hopliten , sondern auch die
Seeleute und die Bürger aller Classen, so grossen Heldenmuth
für die ^ ertheidigung des Staates entwickelten, dieselben auch
Anspruch wieder volle Theilnahme an seinen Angelegenheiten
zu erhalten. In ähnlicher Weise also, wie einst Aristeides,
nach den Perserkriegen, an denen alle gleiche Tugenden ent-
wickelt hatten, allen die höchsten Ehren eröffnete, wurde,
glaube ich, auch damals die Beschränkung auf die o~oaoi o-Äa
■jrapej^ovtai aufgehoben und allen wieder gleiche politische Be-
rechtigung gegeben. Der Zeit nach konnte es , bei dieser
Annahme, noch von den Nomotheten, die Thukydides er-
wähnt, ausgehen, ob es aber der Fall gewesen bleibt ganz
ungewiss und lässt sich sogar dämm bezweifeln, Aveil dann
Thukydides ihre Niedersetzung schwerlich unter den Massre-
gelu der Mässigung besonders hervorheben würde. Eher lässt
sich daher an einen A'olksbeschluss denken. Ob die Besol-
dung der Behörden gleichzeitig wiedereingeführt wurde , ist
nicht sicher zu ermitteln, nothwendig war sie nicht mit der
ersten Massregel verbunden. Im Gegentheil lässt sich denken,
dass mancher für die Theilnahme Aller an Staatsgeschäften
stimmte , Aveil er voraussetzte , sobald nur kein Sold bezahlt
werde, werde der gemässigte, wohlhabendere Theil der Bürger
von selbst die Mehrzahl bilden. Hingegen begreift man leicht,
dass, sobald einmal die ärmern Ijürger wieder mitzusprechen
hatten, sie auf Herstellung des Soldes gedrungen haben wer-
den , welcher damals um so mehr Bedürfniss geworden war,
als seit der Befestigung von Dekeleia, der Ackerbau von Attika
fast ganz vernichtet war und taiisende von Bürgern sich er-
werblos in der Stadt umhertrieben. Die Wiedereinführung des
Soldes war aber zum grossen Theil auch eine finanzielle Frage.
Da nun in dieser Hinsicht die Siege des Alkibiades wieder
erfreuliche Aussichten eröffneten und man unter Archon Glau-
kippos bedeutende Summen für das Theorikon verwenden
konnte, so hat man gewiss die verschiedenen Besoldungen,
wenn nicht ganz gleichzeitig, doch bald nach der Ausdehnung
ÜNTERSUCHUNGEK ÜBER DIE A'eRFASSUNG VON AtHEN. 237
der Theilnahme an der höchsten Gewalt anf alle Bürger,
wieder eingeführt.
Ich bemerke indessen ausdrücklich dass diese Frage, wann
die vollkommene Demokratie hergestellt worden sei, für den
Beweis, dass dies überhaupt geschehen, von keinerlei Bedeu-
tung sei; können wir jenes auch nicht mit Sicherheit nach-
weisen, so steht dieses doch fest.
4. Nachdem nun also nachgewiesen Avorden ist, dass die
uns bekannten Beschränkungen der Demokratie nicht bis zu
Ende des Krieges fortbestanden, sondern sei es früher oder
später , gefallen waren , so mögen noch einige Belege dafür
folgen, dass die ^ erfassinig in den letzten Jahren des Krieges
allgemein als Demokratie , nicht als eine aus verschiedenen
Elementen gemischte betrachtet wurde. Ich will dafür nicht
die zahllosen Stellen anführen, wo von einem TiÄrilo; oder
ori[j.oc die Hede ist, sondern nur einige hervorheben, wo aus-
drücklich der Demokratie gegenüber einer andern Verfassung
erwähnt wird. Eine solche ist bei Piaton Apol. Socr. p. ;5'2. c.
Nachdem Sokrates erzählt, wie er sich bei dem Process der
Feldherni benommen, also 406, fährt er fort: xai xaoxa jj-ev
TjV In orj[xoxpaTou[i£vrj? xrjc TroAstoc" £~£ior^ hk oXi^apy^ia s^eveto x.
T. X. Damit man aber nicht einwende , in der Ansicht des
aristokratischen Piaton habe auch jene gemässigte Verfassung
als Demokratie gegolten, so vergleiche man eine ähnliche des
gut demokratisch gesinnten Lysias, der gegen Eratosth. §. 4
sagt: ouTuj; tuxoü[i.£v OTj;i.oxpaToutx£voi (ucts \lr^^zt si; tou; aXXou?
£?a[i.apiTav£iv, [xt^te uüo tu)v aAAwv aoixsTsDai' etteiot^ ö' oi rpiaxovta
xaTsaTT^aav x. t. k. Von ganz besonderer Bedeutung erscheint
aber noch die E.ede des Theramenes bei Xenoph. Hell. II,
3, 48. Auf den Vorwurf des Kritias, sich jeweilen nach den
Umständen gerichtet, jedesmal der stärkern Partei angeschlos-
sen zu haben, antwortet Theramenes er habe immer dasselbe
Ziel verfolgt, eine gemässigte V ertassung und darum sich den
Extremen, demokratischen wie oligarchischen auf gleiche
Weise entgegengesetzt. Seine Worte lauten: e-jU) o', tu Kpiriot,
IxEl'vOt? [i.£V a£t TTOTE TToXEfJKO, toTc 0\) TTpOO^EV 010|J.£V01C XaXr|V ttV
6rj{xoxpaTi'av £tvat rcpiv xai oi oouXoi xal oi 3t' airopiav opay^^ir^c, av
airoo6[x£voi tr^v iroÄtv opayjiir^c, |X£T£/oi£V xat toT^Se -( au «Et evav-
Ti'o? Eifxt 0^ oux olovrai xaXr^v av s.y^a'^ijtioii oXiYapy(i'av, Trpiv ei?
238 Untersitchungen über die Verf'assiing von Athen.
To uk' oÄi'yojv TupavvcTsiiai ty^v -oXiv y.ix-rj.sirpti'j.v . .Soll diese
Vertheidiguiig irgend welche Schärfe haben, so mnss zwischen
der gemischten Verfassung, die vorzüglich durch Theramenes
herbeigeführt wurde, und zMdschen der Oligarchie der Dreissig,
die wdedenim ihm besonders ihre Entstehung verdankte, aber
weiter ging als er wollte, der, wie er sagt, von ihm bekämpfte
ultrademokratische Zustand geherrscht haben. Eine gemischte
Verfassung wäre ja gerade dem von ihm erstrebten Ideale am
nächsten gekommen.
Doch ich will nicht Aveiter durch solche Stellen zu be-
kräftigen suchen, was oben bewiesen worden ist. Wem jene
Beweise nicht genügen, der wird diese und ähnliche Stellen
alle nur als Belege für eine innerhalb der Verfassung der
Fünftausend eingerissene Ochlokratie und zügellose Demo-
kratie ansehen.
IV.
Werfen wir nun zum Schluss einen Rückblick auf die
gewonnenen Resultate, so ergibt sich folgendes. Unmittelbar
nach dem Sturze der Vierhundert wurde eine Verfassung ein-
geführt , die sich , so weit wir Nachrichten haben , von der
vollen Demokratie dadurch unterschied, dass die Theilnahme
an der höchsten Gewalt auf die beschränkt war, Avelche sich
selbst bewaffneten und dass keinerlei Sold für irgendwelche
staatsbürgerliche Verrichtungen bezahlt wurde. Die Einsetzung
der Nomotheten, seien sie ordentliche oder ausserordentliche
gewesen, Avar keine Beschränkung der gesetzlichen Demokratie
und hat einer Verfassungsänderung nicht im Wege gestanden.
Jene beiden Beschränkungen sind entschieden aufgehoben
worden, denn sie bestehen nicht mehr Ol. 93. 3 unter Archon
Kallias. Wann und wie sie aufgehoben worden sind, ist nach
den vorhandenen Nachrichten nicht mit Sicherheit auszumit-
teln, wahrscheinlich geschah es aber schon unter Archon The-
opompos oder Glaukippos Ol. 92, 2 oder 3., v. Chr. 41U.
Jedenfalls ist die vollständige Demokratie vor dem Schlüsse des
Krieges hergestellt gewesen, begleitet von allen ihren Uebeln,
Demagogen, Sykophanten und den als Gegensatz dadurch fast
nothwendig hervorgerufenen oHgarchischen Verschwörungen.
PERDIKKAS II. KÖNIG VON MAKEDONIEN.
[Schweizerisches 3Iuseum I. 18:57. S. 1 — 36.]
Obwohl die Geschiclvre Makedoniens ihre welthistorische
Bedeutung erst mit Philipp II. erhält, so ist es dennoch nicht
uninteressant, auch die früheren Schicksale dieses Reiches und
seiner Fürsten zu betrachten. ^) Ja es kann die spätere rasche
Entwicklung nicht vollständig verstanden werden ohne Kennt-
niss der vorausgegangenen Zustände und Ereignisse. Haben
auch die zerrüttenden Schicksale, welche seit dem Tode des
Königs Archelaos das Fürstenhaus der Temeniden betroffen,
vieles zerstört, was die Anstrengungen der Vorgänger aufge-
baut hatten, musste sich auch Philipp sein Reich so zu sagen
erst schaffen, so beruht doch selbst seine Thätigkeit vielfach
auf den Vorarbeiten der älteren Fürsten, und sie stellt sich
dem gründlichen und imbefangenen Beobachter nicht als eine
zufällige, früheren Erscheinungen fremdartige dar, sondern
vielmehr als die consequente Fortbildung eines längst, wenn
auch nicht immer mit klarem Bewusstsein befolgten Strebens.
Leider fliessen die Quellen, die uns für die ältere Geschichte
Makedoniens zu Gebote stehen, oft gar spärlich, so dass die
wichtigsten Ereignisse mehr errathen werden müssen, als sie
sich durch unmittelbare Zeugnisse beglaubigen lassen. In-
dessen hat ein günstiges Geschick uns auch hier, wie in so
manchen andern Theilen der Alterthumskunde, gerade so viel
erhalten, dass im Allgemeinen sich eine ziemlich deutliche
1) [vgl. jetzt auch: Otto Abel, Makedonien vor König Philipp. Leip-
zig 1847. Seine Darstellung von Perdikkas Regierung stimmt auffallend
mit diesem Aufsatz oft in den Worten überein, ohne dass er ihn aber
nennt. 1
240 Perdikkas II. König von Makedonien.
Anschauung- gewinnen lässt, und das plötzliche Hervortreten
des kräftigen ^'ülkes auf den \'ordergrund der liühne der
Weltgeschichte nicht räthselhaft bleibt. Wiewohl nun in neu-
erer Zeit diese Geschichte ihre selbständige sehr verdienstvolle
Bearbeitung gefunden hat, so mag es doch nicht ganz unnütz
erscheinen, die verschiedenen Theile derselben einer nochma-
ligen Prüfung zu unterwerfen und im Einzelnen ausführlicher
darzustellen, als bei einer Gesammtgeschichte gestattet ist.
Von besonderer Wichtigkeit erscheint mir aber die Regierung
Perdikkas des zweiten. Denn dieser Fürst lebte in der-
jenigen Zeit, in welcher die griechischen Staaten den Höhe-
punkt ihrer Macht erreicht hatten und ihre Herrschaft auch
über die Grenzen ihres Landes auszudehnen strebten, in der
Zeit, welche den Wendepunkt für die ganze hellenische Ge-
schichte bildet, einer der merkwürdigsten der gesammten
AVeltgeschichte : er war Zeitgenosse des peloponnesischen Krie-
ges. Makedonien und die angrenzenden Gegenden sind oft
der Schauplatz, wo der grosse Kampf gefochten wird. Es
muss daher schon aus diesem Grunde anziehend sein, zu be-
trachten , was für eine Stellung es damals einnahm , welchen
Einüuss es auf den Gang der Hegebenheiten ausübte, welche
Eindrücke es selbst durch denselben empfing. Her Heiz dieser
Betrachtung wird aber ungemein erhöht durch die Persönlich-
keit des genannten Königs; denn er bleibt nicht wie andere
Fürsten nichtgriechischer Völker ein müssiger Zuschauer der
Ereignisse, er tritt auch nicht planlos hie und da in Raub-
zügen auf den Schauplatz des Krieges, oder lässt sich die Be-
leidigungen überlegener Feinde in Geduld gefallen, sondern
von einem bestimmten Gedanken während seiner langen Re-
gierung geleitet , greift er überall thätig ein, lässt sich durch
die ungünstigsten Verhältnisse nicht abschrecken und erreicht
auch in der That sein Ziel so, dass er als nicht unwürdiger
Vorgänger Philipps des zweiten bezeichnet werden kann. Da-
rum habe ich seine Regierung und sein Leben zum Gegen-
stand einer Bearbeitung gewählt, welche keinen Anspruch auf
Benutzung bis dahin verborgener oder vernachlässigter Quellen
macht, sondern nur den Zweck verfolgt, durch genaue Zu-
sammenstellung der zerstreuten einzelnen Nachrichten eine
möglichst zusammenhangende Skizze zu geben; denn nichts
PeRDIKKAS II. KÖNIG VON MAKEDONIEN. 241
ist der altern Geschichte Makedoniens nachtheiliger, als der
Umstand, dass alle sie betreffenden Angaben sich zerstreut
bei griechischen Schriftsteilern finden, welche eben nur da
von dem halbbarbarischen Lande sprechen, wo es mit den
Hellenen in unmittelbare Berührung kommt. Die Avichtigsten
Ereignisse werden oft gar nicht angedeutet, oder müssen mit
Mühe aus einzelnen Winken errathen werden, während Unbe-
deutenderes mit Ausführlichkeit dargestellt wird. Darum er-
scheint auf den ersten Anblick Alles so planlos, so vereinzelt.
Vereinigt man aber das Zerstreute, und stellt sich auf den
makedonischen Standpunkt, so gcAA-innt Alles ein anderes Licht,
und es lässt sich bei den Fürsten des fünften Jahrhunderts
eine sehr verständige und kluge Politik nachweisen, welche
besonders an Perdikkas anerkannt werden muss, da seine Lage
die schwierigste war. Gerade er aber hat hie und da minder
günstige Beurtheilung gefunden. Man hat ihm Treulosigkeit
und Wankelmuth vorgeworfen, i) ihn als bloss von momen-
tanen Leidenschaften bestimmt aufgefasst, unfähig, einen hö-
heren zusammenhangenden Plan festzuhalten. Was das Letztere
anbetrifft, so hoffe ich, durch die folgende Darstellung das
Gegentheil zu beweisen; die Treulosigkeit dagegen mag auf
ihm haften, sobald man zugiebt, dass auch die übrigen Staaten
jener Zeit denselben Vorwurf verdienen, dass das Gebot der
Selbsterhaltung Perdikkas zu manchem Schritte zwang, den
er unter günstigem Verhältnissen nicht gethan hätte, und dass
überhaupt in der Politik aller Zeiten die Treue eine sehr
zweideutige Stellung einnimmt. Man darf dem Könige die
Leichtigkeit, womit er Verträge schloss und auflöste, nicht
zu sehr verargen, wenn man bedenkt, dass zu seiner Zeit fast
kein einziger Friede bis an das beschworene Ende gehalten
wurde, dass Athen offen das Recht des Stärkeren proklamirte,
und dass er an der Spitze eines schwachen Staates zwischen
verschiedene überlegene Mächte auf höchst bedenkliche Weise
hineingeschoben war. Auch würde uns bei genauerer Kennt-
niss der Motive und Veranlassungen wohl manche seiner Hand-
1) [Auf Perdikkas Treulosigkeit spielt stark an Hennippos in den
(popao'xopoi fr. 1 v. S y.al t.iool n£poi7.7.ou 'lit-jlr, vajotv ravj r.ol'/.^Xi. Meineke
Fragm. Com. G. II, 1 p. 407 ff. Athen. I, 27 e.]
Vi scher, Schriften I. 16
242 Perdikk.\s II. König von Makedoniex.
hingen selbst vom moralischen Standpunkte aus Aveniger ta-
delnswerth erschemen.
Um die Geschichte des Perdikkas gehörig zu verstehen,
ist es nothwendig, eine kurze Uebersicht des Zustandes von
Makedonien voranzuschicken . -wie er sich bei seinem Re-
gierungsantritte gestaltet hatte. ^^ Unter Makedonien verstand
man damals das Land -welches von dem hohen kandavischen
Gebirge östlich nach der Meeresküste und dem Str\-mon sich
hin erstreckt. Im Süden hatte es die IJergkette des Olympos
zur Gränze, im Norden einen Ann des kanda\äschen Gebirges,
der nach Südosten läuft und die Wasserscheide zwischen den
Gewässern des obern Axios und dem Erigon bildet, dann jen-
seits des Axios das Gebirge Kerkine. Doch lässt sich diese
Nordgränze nicht so scharf ziehen, als die südliche. ^ Im
Osten endlich stiess Makedonien an den untern Str}-mon, oline
aber dessen Mündung schon zu beherrschen. Innerhalb der
genannten Gränzen wird endlich nicht unter dem Namen Ma-
kedonien inbegriffen die chalkidische Halbinsel, gewöhnlich
ta 1-1 0paxr,; genannt, ^j und die hellenische Stadt Methone.*)
Aber auch die übrigen Theile waren keineswegs immer make-
donisch gewesen, sondern in früheren Zeiten von verschieden-
1; Es braucht nicht bemerkt zu werden, dass hier M'eder eine ausführ-
liche Entstehungsgeschichte des Makedonischen Reiches , noch ethnogra-
phische Untersuchungen über die verschiedenen Stämme gegeben werden
sollen. In letzterer Hinsicht verweise ich auf K. O. Müllers vortreffliche
Schrift: Ueber die Makedoner, Berlin 182-5. Eine Uebersicht der Reichs-
gränzen war aber um so nothwendiger , als sich selbst in Schlossers Uni-
versalhistor. Uebersicht der Geschichte der alten Welt, 1. Th. 3. Abth.
S. 39, 40 die Angabe findet, Perdikkas II. Gebiet habe sich westlich bis
an den Axios . östlich bis an den Xestos erstreckt , und an der Gränze
Thessaliens habe er Dion besessen.
2) Die Nordgränze lässt sich nicht mit Bestimmtheit angeben , um so
weniger, da die makedonischen Völkerschaften jener Gegend, namentlich
die Lynkester, in sehr schwankenden Vei-hältnissen zu den Temeniden
standen. Das Gebirge Kerkine erscheint bestimmt als Gränze. Thuk. II, 98.
3, Auch die Städte, die an der Küste zwischen der Halbinsel Akte und
der Mündung des Strymon liegen, wie Stageiros , Aigilos u. a. werden zu
Ta i-\ Qyj.v.r^t gerechnet, und waren nicht makedonisch. Thuk. V, 1"?.
Poppo Prolegom. zu Thuk. I, 2 p. 344 ff.
*; Thuk. \1, ' : y.al i; M^iJwvT;/ rf,v oijiopov Mocz-socvta i-rfa; v-i-i
?}a).a33av y.ouisavTE; "Ai}r,-;aioi ■/.. t. /..
Perdikkas II. König von Makedonien. 243
artigen Völkerschaften bewohnt, welche in keinem politischen
Zusammenhange standen. ^] Die bedeutendsten unter densel-
ben waren, nördlich vom Olymp an der Meeresküste hin bis
an den Haliakmon die Pierer, deren Name mehr in den
Mythen glänzt, als in der Geschichte; dann im Norden, na-
mentlich am Axios und zAvischen diesem und dem Strymon,
die Paioner, endlich zwischen beiden in dem Gebiete der
Flüsse Erigon, Lydias und Haliakmon die Makedonier.
Die Makedonier selbst, über deren Ursprung und Abstammung
zu sprechen ausser den Gränzen dieser Arbeit liegt, zerfielen
Avieder in verschiedene Zweige . welche im Allgemeinen nach
ihren geographischen Wohnsitzen als die imtern und die
obern von einander geschieden werden. Die untern Make-
donier bewohnten das alte Emathien bis an die Meeresküste,
und scheinen früh ächthellenische l^estandtheile in sich auf-
genommen zu haben; den obern gehörten die Thäler am Ab-
hänge des kandavischen Gebirges, wo sie als Elimio tische ,
O r e s t i s c h e und L y n k e s t i s c h e Makedonier erscheinen . 2)
— Ausser diesen Hauptvölkern Averden aber noch Almoper,
Eorder, Bottiaier, Edoner, Anthemuntier und Grestonaier ge-
nannt. Avelche verschiedenen Stämmen angehörten. Endlich
hatten sich an der Küste früh griechische Ansiedler nieder-
1 Vgl. Thuk. II, 99 an dessen Beschreibung ich mich fast ausschliess-
lich halte. Strabos Angaben sind weit -weniger brauchbar, da er nicht eine
bestimmte Zeit im Auge hat.
-j Thuk. II, 99 : Töjv fap Ma7.£oovoj-/ eist %al A'jy"'-''!'"''-''^ "''•'^^ 'E/ap-tiüTai
lyst xa»l' a'j-a. Gegen dies bestimmte Zeugniss scheinen neuere Versuche
die obern Makedonier von den untern der Abstammung nach zu unter-
scheiden, nicht hinlänglich begründet, z. B. bei Flathe I, S. 14, 15. Ueber
die Orester vergl. Polyb. XVIII, 47, 6. Ma7.£oova)v ixvi ouv tou; 'Opssxct;
y.aXo'j[j.£vo'j;. Liv. XXXIII, 34. XLII, 38. K. O. Müller, Ueber d. Mak.
S. 14. Dagegen lasse ich die nur auf den Namen begründete Behauptung
Uscholds Gesch. d. Troj. Kriegs S. 190, die Orester seien Thraker, dahinge-
stellt, selbst auf die Gefahr hin, deshalb für befangen zu gelten. Strabo VII,
p. 326 C: xal oyj vcctl tä t.z[A A'J'(V-^j'^ v.al nsXotYo^^iav ■/.nX 'Ope^Tiaoa -/.cd 'E)a|j.e'.av
TTjV avw Mnv.clov'.a'i ivAX'j'j^ , oi h' üCTSpo-; -/.al ^Xe'j&spav. Die paionischen
Pelagonier, welche aber bei Herodot und Thukyd. noch nicht vorkommen,
gehören zu Perdikkas Zeit noch nicht zu Makedonien. — K.. 0. Müllers
über d. M. S. 43 ff.
16*
244 Perdikkas II. König von ^Makedonien .
gelassen. Sie hatten nicht nur den grössten Theil der Halb-
insel, die sich zwischen dem Axios und Strymou nach Süden
erstreckt, in Besitz genommen, und ihr nach dem euboiischen
Chalkis, dem sie meist entstammten, den Namen der Chal-
kidischen gegeben, sondern auch durch die bedeutenden
Städte Therme, Pydna und Methone die altem Bewohner des
Landes fast ganz von der See ausgeschlossen. Unter diesen
verschiedenen Völkerschaften war es aber den Fürsten von
Edessa oder Aigai in Emathien, -welche sich herakleidischer
Abkunft aus Argos rühmten, allmälich gelungen, ihrer Hen-
schaft ein Uebergewicht zu verschaffen, und mit derselben
auch den eigentlichen Makedoniern weitere Gränzen anzu-
weisen. Sie hatten im Süden die Pierer vertrieben, welche
sich darauf am Fusse des Pangaion in Thrakien niederliessen,
aus Almopia am Olympos die Almopen, aus der Gegend
westlich vom Axios, welche aiich später noch den Namen
Bottiaia bewahrte, die Bottiaier, die auf Chalkidike neue Wohn-
sitze fanden. ^] Femer hatten sie einen Strich von Paionien
am Axios erobert, und das Gebiet des obem Lydias den Eor-
dem entrissen, von welchen die meisten zu Gmnde gingen
und nur wenige in Physka in Mygdonia eine Zufluchtsstätte
fanden. 2) Darauf waren aber auch östlich vom Axios die
Edoner aus Mygdonia vertrieben, die Landschaften Bisaltia,
Anthemus imd Grestonia erobert worden, so dass sich das
makedonische Gebiet bis an den Strymon erstreckte. Endlich
hatten die griechischen Städte mit Ausnahme derer auf Chal-
kidike und Methones die Makedonische Herrschaft anerkennen
müssen. Wann jede dieser Eroberungen gemacht wurde, wird
nicht berichtet, und ist für unsem Zweck auch ziemlich
gleichgültig ; aber mit Sicherheit dürfen sie dem grössten Theil
nach vor den Zug des Xerxes gesetzt werden. Denn die Pierer
1) Diese neuen Wohnsitze der Bottiaier heissen -'q Bomvc-r;, Thuk. II,
101, während das ursprünglich von ihnen bewohnte Land auch später den.
Namen Bo-li Thuk. II, 99. [Polyb. V, 97, 4] oder: BoTTtata Thuk. II,
100 oder Bo—wü; Herod. \T;I, 123 führte, wonach Bährs Anmerkung zu
dieser Stelle zu berichtigen.
-; So Thukydides a. a. O. "Wenn also später, wie bei Livius XLV,
30. Eordaier angeführt werden, so sind das die Makedonier, welche von
dem Lande der Eorder Besitz genommen hatten.
Perdtkkas II. König von Makedonien. 245
wohnen während desselben schon in Phagres und Pergamos
am Fusse des Pangaion. die Edoner sind schon ans Mygdonia
über den Strymon gedrängt, Bottiaia hat seine ursprünglichen
Bewohner verloren, und Amyntas I. hat schon früher den ver-
triebenen Peisistratiden Anthemus anbieten können. ^ So hatte
also damals schon Makedonien die oben bezeichneten Gränzen ;
die Fürsten von Edessa herrschten vom Olympos bis an den
Str)'mon. Wie damals ihr A'erhältniss zu den obern Makedo-
nien! war, ist schwer zvi bestimmen; doch scheinen sie schon
eine gewisse Oberherrlichkeit über sie geübt zu haben. Dafür
zeugt die Art, wie Amj-ntas I. und sein Sohn Alexandros bei
Herodot erscheinen. Und es ist nicht im wahrscheinlich, dass
das Fürstenhaus der Elimioten ein Nebenzweig der Temeniden
war. der in Folge von Eroberungen diese Herrschaft erhalten
hatte. 2^
Die Ausdehnung der persischen Macht konnte auch für
Makedonien nicht ohne Folgen bleiben. Amyntas hatte ohne
Zögern den Boten des Satrapen von Thrakien , Megabazos,
Erde und Wasser, die Zeichen der Huldigung, gegeben; 3)
Mardonios hatte auf seinem sonst verunglückten Zuge die Un-
terwerfung des Landes vollendet. *) Aber die Temeniden blie-
ben nach der Weise der persischen Reichsverfassung Für-
sten des Landes, nur zu Tribut und Heeresfolge verpflichtet.
Diese leistete auch bekanntlich Alexandros , so sehr seine
Freundschaft für die Hellenen, besonders für die Athener,
widerstreben mochte. Justins Nachricht, '") dass Xerxes ihm
alles Land zwischen dem Olymp und Hämus geschenkt habe,
hat gar nichts Umvahrscheinliches ; nur mochte Alexandros
selber sorgen, die geschenkten Länder in seine Gewalt zu
bringen; denn imi die Verwirklichung solcher Geschenke von
Ländern, die ihnen nicht gehörten, bekümmerten sich die
Grosskönige in Susa so wenig als die römischen Bischöfe im
Mittelalter. Die Vernichtung der persischen Herrschaft in
Europa schien anfänglich nur die alten Verhältnisse in Thra-
1) K. 0. Müller üb. d. Mak. S. 25 ff.
2) K. O. Müller über. d. Mak. S. 32. vergl. unten S. 247.
»j Herodot V, 17. IS. *i Herodot YL, 44.
5j Justin MI, 4, 1.
246 Perdikk.\s II. KöxiG VON Makedonien.
kien und Makedonien Aviederhergestellt zu haben. Alexandros
A\iirde aus einem Lehenkönige wieder souveräner Fürst seiner
ererbten und eroberten Länder.
Er stand in freundschaftlichen Verhältnissen mit den sieg-
reichen Hellenen, welche seine wohlwollend geleisteten Dienste
dankbar anerkannten. Es scheint auch, die Makedonier haben
den Hellenen Beistand zur gänzlichen Ueberwindung ihrer
Feinde geleistet.'' Aber bald änderten sich die Verhältnisse ;
denn die alten Gastfreunde des Alexandros, die Athener, wur-
den dem schwachen Reiche gefährlicher, als der entfernte
König der Perser. Die Bildung der attischen Symmachie
musste bange Besorgnisse erregen. Denn die Inseln im aegae-
ischen Meere, die Pflanzstädte , welche von dem triopischen
A'orgebirge die Küste Kleinasiens entlang und über den Hel-
lespont an dem Saume Thrakiens und Makedoniens bis Me-
thone hin Athens Hegemonie anerkannten, umschlangen auch
gleich einem Netze das Reich der Temeniden und drohten,
es ganz vom Meere abzuschneiden. Damm kann es nicht ver-
Avundern, in den letzten Jahren seiner Herrschaft Alexandros
in feindseliger Stellung zu den Athenern zu sehen. Er scheint
nicht unbetheiligt gewesen zu sein bei dem Abfalle der Insel
Thasos Olymp. 7S ^\ 465. a. Ch. n. und nur der Freund-
schaft des Kimon, die vielleicht durch Geschenke neu belebt
ward, verdankte er es, dass sein Land einer verwüstenden
Landung der athenischen Flotte entging. Das athenische ^'olk
sah aber darin von Seite Kimons Verrath, so dass er nur mit
Mühe eine Strafe von sich abzuwenden vermochte. 2, Der un-
gefähr gleichzeitige Versuch der Athener, an den neun Wegen
am Strymon eine mächtige Kolonie anzulegen Ol. 78. 4)
musste die Besorgnisse steigern, ^ welchen indess diesmal die
Edoner durch die Vernichtung der Kolonen bei den Orten
1, Demosth.. g. Aristokr. p. 6S7, wo der Redner statt Alexandros seinen
Sohn Perdikkas nennt. Vergl. Schlosser Univ. Uebers. u. s. w. I, 3. S. 40.
Funkhänel über die Redner als geschichtliche Quelle in der Ztsch. f. Alt.
1S36. Nr. 130. S. 1047.
2 Plutarch. Cim. 14. Pericl. 10.
3 Thukyd. IV, 102. vergl. Clinton fast. hell. conv. a C. G. Kruegero
Append. in 1. X. p. 27.5.
PeRDIKKAS II. KÖNIG AON MAKEDONIEN. 247
Drabeskos und Datos ein Ende machten, i) während nach Tha-
sos Eroberung die Aufmerksamkeit der Athener einige Jahre
hindurch von jenen Gegenden weg auf die benachbarten hel-
lenischen Staaten gerichtet Avurde.
Vnter solchen Lmständen starb Avahrscheinlich Ol. Sl '■^/■^
454 a. Ch. n. 2) Alexandros. Ihm folgte sein Sohn Perdik-
kas auf dem Throne Makedoniens, der von Gefahren iimringt
war; denn mit Alexandros Tode mehrten sich die Bedräng-
nisse. Was zuerst die Kraft des Reiches lähmte, Avaren die
innern Verhältnisse. Es ist schon oben bemerkt Avorden, dass
die Stellung der obern Makedonier zu den Fürsten Aon Edessa
eine ziemlich unbestimmte Avar. Was nun die Zeit des Per-
dikkas anbetrifft, so finden Avir die Elimioten etwa zAvanzig
Jahre nach Alexandros Tod unter Derdas, der, Avenn man dem
Scholiasten des Thukydides trauen darf, ein Sohn des Aridaios
und Vetter des Perdikkas Avar. 3) Da nun der Name Aridaios
auch sonst in der makedonischen DjTiastie sich findet, so ist
es Avahrscheinlich , dass der Vater des Derdas ein jüngerer
Bruder des Alexandros Avar, dem als ein Lehenfürstenthum
Elimia übertragen Avorden Avar. Ob bei Perdikkas Regierungs-
antritt schon Derdas herrschte, oder noch sein Vater, Avird
nicht gemeldet. Wie Aviderstrebend aber diese Elimiotischen
*) Thuk. IV, 102 und Poppo dazu vergl. mit Isokrates üb. d. Frieden
§. 86 und Baiter praef. zu Isoc. Paneg. p. IX.
-j Die Angaben der Alten weichen bekanntlich gana ausserordentlich
über Perdikkas Regierungszeit ab. Man vergl. Athenäus V, p. 217 d. e.
Porphyrios bei Syncell. p. 500 Dind. u. d. Marm. Par. Ich halte mit
Dodwell, Annal. Thuc. p. 92 und Clinton fast. hell. conv. a Krueg. p. 238
die Angabe des Parischen Marmors, dass er 41 Jahre regiert, für die rich-
tige. Vielleicht erklären sich die verschiedenen Zahlen aus den Thron-
ZTvisten, in Folge derer Perdikkas nicht überall anerkannt ward. Casaubonus
Vermuthung zu Athen, a. a. O. steht im bestimmtesten "Widerspruch mit
Thukydides.
3 Thukyd. I, 57 u. d. Schol. dazu, vergl. I, 59. — Thukydides sagt
zwar nicht bestimmt, dass Derdas Fürst der Elimioten gewesen, sondern
nur dass er im obern Makedonien herrschte. Allein durch Vergleichung
von Xenoph. Hell. V, 2, 38 hat K. O. Müller a. a. 0. S. 32 mit Recht
Elimia als das Fürstenthum des Derdas nachgewiesen. Nirgends aber
lieisst Derdas Fürst von Orestis, wie Droysen Gesch. Alex. d. Gr. S. 43
behauptet. Vielmehr ist Antiochos Fürst der Orester.
248 Perdikxas II. KÖMG VON Makedonien.
Temeniden die Überhoheit des Hauptstammes anerkannten,
werden wir bald sehen.
Der zweite Hauptzweig der obem Makedonier. die Be-
wohner des Landes Lynkos, treten später unter einem Für-
sten An-hibaios, Sohn des Bromeros, im Kampfe gegen Per-
dikkas auf. und es ist nicht zu glauben, dass sie vorher in
grosser Abhängigkeit von demselben standen, wenn sie auch
den Namen von Bundesgenossen trugen, und vielleicht einen
Tribut bezahlten. ^)
In ähnlicher Lage mochten die O rester sein, deren Kö-
nig Antiochos wenigstens im peloponnesischen Kriege ganz
selbständig handelt. 2
Zu diesen Spaltungen, die in altem Stammverhältnissen
ihren Grund hatten, kamen aber noch neue in Folge der Fa-
milienverhältnisse des Perdikkas. Dieser hatte nämlich
mehrere Brüder. Dem einen, Alketas. hat er nach Piaton
die HeiTSchaft entrissen. Da wir nicht wissen ob Alketas älter
oder jünger als Perdikkas war, so lässt sich nicht bestimmt
entscheiden, ob das so zu verstehen sei, dass Perdikkas den
Alketas vom Throne ganz Makedoniens gestossen. oder ob
dieser, wie der zweite Bruder, Philippos, nur einen Theil des
Landes erhielt, der ihm dann von Perdikkas entrissen wurde.
Doch scheint in Piatons Erzählung das erstere zu liegen. Be-
merkenswerth ist, dass er in allen Kämpfen des Perdikkas
nie genannt wird. Aviewohl er nach dessen Tod noch lebte. 3)
1) Thuk. IV, 79. Aristot. Polit. VIII, p. 219, 2o Bekker nennt ihn
Arrhabaios, so auch Strabo VII, S. 326 C, der überdies sagt, er habe dem
Geschlecht der liakchiaden angehört. — Thukydides sagt zwar nirgends
ganz bestimmt, dass die Lj-nkesten die Oberhoheit der untern Makedonier
anerkannten, oder ihre Bundesgenossen waren , da man II, 99 die Worte :
et ;j[j.|j.aya [i£v dort to'jtoi? •au \j~r{x.oa, ßaaiXeiot; 0 v/zi 7li%' a-jTd allenfalls
bloss auf a/Xn I&vt, beziehen kann. Allein es ist wohl viel natürlicher, es
auch auf die Lj-nkesten und EUmioten zu beziehen. Dazu kommt, die
nachherigen Feindseligkeiten zwischen Perdikkas und Arrhibaios beweisen
gar nichts für frühere völlige Unabhängigkeit der Lynkester, vielmehr
tragen sie durchaus den Charakter eines Versuchs des Arrhibaios, sich von
der lästigen Oberherrschaft zu befreien [vgl. Poppo Prol. in Thucyd. I, 2
S. 418. 421.]
2} Thuk. II, SO. 3 piaton Gorg. S. 471 a.
Perdikkas II. König von ]Makedonien. 249
Einem zweiten Binder, Philippos. musste der König
einen Theil des Reichs abtreten ; *) unter was für IJedingungen,
wird nicht gemeldet. Die Herrschaft Philipps lässt sich nach
Thukydides ziemlich genau bestimmen. Sie lag im nordöst-
lichen Theile des Reiches, südlich vom Gebirge Rerkine und
östlich vom Axios, und umfasste, wie es scheint, den grossem
Theil des Landes, welches den Paionern abgewonnen worden
war. Als Ortschaften darin werden Eidomene, Gortynia. Ata-
lante und Europos genannt, -j Hatte so auch wahrscheinlich
PhiKpps Gebiet eben keinen grossen Umfang, so war es doch
nicht ohne Bedeutung, als der Schlüssel für den, der aus dem
obern Thrakien nach Makedonien kommen wollte. Wer es
besetzt hatte, dem lag alles Land zwischen dem Axios und
StrjTnon offen.
Ein vierter Sohn des Alexandros, mit Namen Amyntas,
wird von Porphyrios genannt. Er greift aber nirgend in die
Ereignisse ein. ^/
Nach innen musste also Perdikkas, einer natürlichen Po-
1) Thuk. I, 57.
-] Thuk. II, 100. Wenn Thukydides sagt, die Thrakier seien nur in
den Theil von Makedonien eingedrungen, der links von Kyrrhos und Pella
lag und hätten Bottiaiis nicht betreten, so dürfen wir wohl mit Bestimmt-
heit annehmen, dass sie den Axios nicht überschritten. Das auf dem Wege
zwischen Edessa und Pella liegende Paläo-Castro, in dem K. O. Müller in
der Anzeige von Cousinerys Reise, Gott. G. A. 1S33. S. 126u, Kyrrhos
oder Gortynia finden wollte , wird darum nur Kyrrhos sein können , da
Gortynia auf dem linken Ufer des Axios gesucht werden muss. [Abel-
Makedonien S. 179 Anm. 1 setzt Kyrrhos, auf Polyaen. III, 4, 1 gestützt,
ans Meer. AVoelfTlin hat die verfehlte Vermuthung von Hemsterhuys
S-A'jpw in den Text aufgenommen.] — Im Süden werden Mygdonia, Grestonia
und Anthemus der Herrschdft Philipps bestimmt entgegengestellt.
3; Sync. 500 Dind. : oOto; ;'A/.£;avopo;; ZT/e o6o uio'j;, n£[i^i7.7.av y.al
'Atfjvtav, «UV n£poiy.y.a; (j.£v efJasf/.S'jaäv e'xyj** 'AfxuvTa; oe ravTa xov ß'.ov
ioKoTtxöj; Cr^aa; 'Ai-iu-t-j utov 'Apioaiov. — Da Philippos von Porphyrios
nirgends erwähnt wird, könnte man beinahe vermuthen, es sei dieser Amyn-
tas derselbe, der bei Thukydides Sohn des Philippos heisst; allein dagegen
sprechen die Worte zavta -röv ßtov ioiujTr/.(5j; C^act;. Noch weit weniger darf
man aber mit Poppo dem Scholiasten [bei Poppo III, 2 S. 449] zu Thuk.
II, 95 folgen, welcher den Sohn des Philippos mit König Amyntas II. ver-
wechselt und zum Vater Philipps des zweiten macht.
250 Perdikkas II. König von ^L\kei>onien.
litik zufolge, nach grösserer Einheit des Reiches trachten,
■was er auch mit Erfolg gethan hat.
Gegen aussen Avaren, Avie schon oben bemerkt, die Athe-
ner an der Küste seine Nachbarn. War er aber auch selbst
athenischer Bürger, so hatte doch diese Verbindung auf die
Politik beider Theile wenig Einfluss geübt, und umsonst sucht
man die freundlichen Verhältnisse, welche den gi-össem Theil
der Regierung des Alexandros hindurch zAvischen Athen und
Makedonien bestanden hatten, wiederzufinden. Die auf Tha-
sos Eroberung folgenden Schritte Athens waren nicht geeignet
gewesen, dem Könige Ziitrauen einzuflössen. Denn wenn
auch wegen andenvärtiger Beschäftigung einige Jahre hindurch
keine unmittelbaren Versuche gemacht Avurden, sich in der
Nähe Makedoniens weiter aiiszudehnen , so fällt doch gerade
in die letzten Jahre des Alexandros und die ersten des Per-
dikkas die Umbildimg der hellenischen Bundesgenossenschaft
iinter attischem Vorstande in eine strenge Herrschaft Athens
über die Bundesgenossen. Dadurch Avurde jede Ausdehnung
makedonischer Macht an der Küste unmöglich gemacht ; denn
AAährend bei der Isolining der hellenischen Kolonien leicht
ein Ort nach dem andern durch GcAAalt oder Unterhandlung
Aon dem überlegenen Makedonien in Abhängigkeit gebracht
AAcrden konnte, Avie das früher mit Pydna. Therme und an-
dern AA'eniger bedeutenden Niederlassungen geschehen Avar. so
hätte jetzt ein Versuch, zinspflichtige Städte Athens zu unter-
AAcrfen, die Existenz des Reiches gefährden können. Ja es
drängt sich die Vennuthung auf, Athen habe sogar Städte,
die Makedonien gehorchten, zu seiner Herrschaft zu ziehen
gesucht. Ueberhaupt setzten die Athener einen hohen Werth
auf die Besitzungen an der Küste Makedoniens und Thrakiens
Avegen der reichen Hülfsquellen , Avelche sie boten. Aus dem
Bestreben, sie sicher zu stellen und daselbst einen zuver-
lässigen Mittelpunkt zu gCAvinnen, ging die Aviederholte An-
lage A'on Amphipolis an den neun Wegen am Strymon hervor.
Im 29ten Jahre nach dem oben erAvähnten durch die Edoner
vereitelten Versuche gelang es Ilagnon. dem Sohne des Ni-
kias , der zahlreiche Ansiedler mit sich führte , daselbst eine
mächtige Stadt zu gründen . Avelche den Strymon beherrschte
und die Städte Chalkidikes mit denen östlich vom StrATnon
PbRDIKKAS II. KÖNIG TON M.\KEDOXIEN. 251
verband. 1) fOl. S5. 4 . Dieser Punkt gab den Athenern
einestheils die Mittel, die übrigen Städte jener Gegend ni
strenger Abhängigkeit zu halten, anderntheils hielt er Ihra-
kien und Makedonien von der Avichtigen Mündung des Stry-
mon entfernt und musste in Perdikkas auch jeden Gedanken
entfernen, sich über den Fluss auszudehnen. Darum hat
auch später Philipp II. so grossen Werth auf den Besitz der
Stadt gelegt.
Gerade aber dasjenige, Avas anfangs den König am meisten
beunruhigen musste, nämlich die Gründung einer eigenthchen
Herrschaft Athens gab ihm bald die Mittel in die Hände, den
gefährlichen Feind zu bekämpfen. Der stets zunehmende Druck,
den das athenische Volk gegen seine Bundesgenossen auch m
den makedonischen Gegenden übte, brachte diese dermassen
auf, dass es den Aufreizungen des Perdikkas in \ erbmdung
mit' den Machinationen der Peloponnesier gelingen konnte,
Athens Macht hier zuerst zu erschüttern. Ehe wir aber zu
der Darstellung dieser Ereignisse, die kurz vor dem pelopon-
nesischen Kriege ihren Anfang nehmen, übergehen, müssen
Avir noch einen Blick auf einen andern drohenden Femd des
Perdikkas Averfen.
Nach der Vernichtung der persischen Macht in Europa
hatte sich nämlich unter den thrakischen Stämmen Teres, der
Fürst der Odrysen, zu bisher nicht gekanntem Ansehen erhü-
ben. Obwohl' unbekannt ist, wann er seine Regierung ange-
treten, und wie weit er die Gränzen seines Reiches ausgedehnt
hatte, als er es auf seinen Sohn Sitalkes vererbte, so ist doch
so viel gewiss, dass es in der Zeit von Alexandros Tode bis
zum Ausbruch des peloponnesischen Krieges sich drohend im
Osten und Nordosten von Makedonien ausbreitete, und die
Verlegenheiten des Perdikkas vermehren musste 2; .
Diesen Femden gegenüber hatte Perdikkas sehr beschränkte
Hülfsmittel. Das kräftige makedonische Volk erscheint zwar
1, Vergl. oben Anmerkung 3 S. 246. Amphipolis lag, wo jetzt das Dorf
Jeni-Keui, nach Cousinery.
2 Vergl. unten. Thukvdides beschreibt daS Odrysenreich erst unter
Sitalkes. Daher Avir nicht" bestimmen können, Avie gross es schon bei
Perdikkas Thronbesteigung unter Teres w-ar.
252 Perdikkas II. König von ^VL^kedonien.
durchweg seinen Fürsten anhänglich. Aber gerade damals war
das Land, wie oben bemerkt, zerrissen, die Fürsten der krie-
gerischen Bewohner der obern Thäler standen dem Könige
feindlich gegenüber. Dann fehlte es auch für den Theil, der
unbestritten Perdikkas Herrschaft anerkannte , noch an einer
ordentlichen Organisation i^, ohne welche auch die ausgezeich-
netste Tapferkeit nichts bedeutendes leisten konnte, und die
%'ielfachen Bedrängnisse nach innen und aussen scheinen dem
Könige nicht hinlängliche Müsse gewährt zu haben, eine solche
fest zu begründen. Ein stehendes Heer, wie Philipp und
Alexandros es führen, existirte noch nicht, sondern so weit
die Nachrichten uns hierüber Licht gewähren, zog jeder wehr-
hafte Mann im Fall des Krieges aus, und kehrte nach beendig-
tem Feldzug in die Heimath zurück.
Als die vorzüglichste Waffengattung der Makedonier er-
scheinen damals die geharnischten Reiter, die, der Natur der
Sache nach hauptsächlich aus dem Adel gebildet, sich durch
ihre Kühnheit auszeichneten. Sie scheinen gewöhnlich unter
den Waffen gewesen zu sein und die unmittelbare Umgebung
des Königs gebildet zu haben 2 . Schwerbewaffnetes Fussvolk
stellten besonders die hellenischen Städte des Reiches 3' . Auch
die L}"nkester erscheinen im Laufe des Krieges mit einem be-
deutenden Hoplitenheere im Felde ^. was beweist, dass schon
damals auch den eigentlichen Makedonien! diese Waffengat-
tung durchaus nicht fremd war. Wie sehr sie ihrem Charak-
ter entsprach, hat Philipp durch die Gründung der Phalanx
bewiesen. Der grössere Theil des Fussvolks bestand aber zu
Perdikkas Zeit noch aus Leichtbewaffneten, die ohne Zweifel
den kleinen thrakischen Schild -iÄtr, trugen, und im Felde
brauchbarer waren, als die griechischen 'lihoi. Befestigte Städte
gab es für die Grösse des Landes nicht eben ^dele; die be-
deutendem Orte waren Dion, die Gränzstadt gegen Thessalien^),
»; Thuk. II, 100, 1.
2, Thuk. I, 61. II, 100. IV, 124.
3; Thuk. IV, 124. 4 Thuk. a. a. O.
5; Thuk. IV, 78, 6. Vergl. Poppo z. Thuk. 1. Th. 2. B. S. 429.
K. O. Müller über die Maked. S. I2'.
Perdikkas II. König von ^VLajcedoxien . 253
dann Pytlnai), Beroia^). Aigal'^', Thermal) Pella^], Ichnai*^),
Kyrrhos ' , Amissa^), nnd im Gebiete Philipps werden als be-
festigte Orte Europos, Eidomena, GortjTiia und Atalante ge-
nannt^). Die obem Makedonier Avohnten meist in offenen
Flecken 'o) . Grosse Verbindungsstrassen waren noch nicht ge-
baut. Eine Flotte fehlte ganz. Hingegen können die Ein-
künfte Makedoniens schon damals verhältnissmässig bedeutend
genannt Averden; denn das Land war reich und fruchtbar.
Pydna und Therme waren ansehnliche Seestädte, die ohne
Zweifel Hafenzölle hatten. Endlich besass schon damals Ma-
kedonien Bergwerke, die reichlichen Ertrag abwarfen. Herodot
berichtet 11), dass Alexaiidros aus den Minen, die zunächst dem
See Prasias lagen, täglich ein Talent Silbers gewann. Andere
sind mir aus der damaligen Zeit nicht bekannt; denn diejeni-
gen, welche Philipp II. mit so vielem Erfolge ausbeutete, lagen
östlich vom Strymon in Ländern, die erst er mit Makedonien
vereinigte. Jedenfalls aber hatte Perdikkas bedeutende Geld-
mittel zu Gebote, und fand auch in der Anwendung derselben
eine HauptwafFe, indem er sich dadurch bald Anhänger zu
gewinnen wusste, bald fremde Krieger in Sold nahm.
Aus dem Gesagten erhellt zur Genüge, dass die Lage des
Königs eine schwierige war. Es bedurfte einer grossen Fein-
' Thuk. 1, lii", 61. Das Pydna des Perdikkas wurde von Archelaos
zerstört und 20 Stadien landeinwärts verlegt. Diodor XIII, 49. Dieses
zweite Pydna ist wohl das spätere Ki-o'jv. Strabo VII p. .^30, 22. C.
2} Thuk. I, 61.
3) Kommt bei Thuk. nicht vor. — Jetzt Vodina am Vistritza , dem
obern Lydias. Vergl. K. O. Müller in der Anz. v. Cousinerys Reise a.
a. O. S.'l260.
^; Thuk. I, 61. Bekanntlich jetzt Salonichi.
^1 Thuk. II, 99. 100. Jetzt Allah-Klissa. Müller a. a. O.
6) Herodot. VII, 123. Steph. Byz. s. v. "lyyxi.
'^) Jetzt ohne Zweifel Paläo-Castro. vergl. Anm. 2 S. 249.
8) Thuk. IV, 128. Gränzort gegen Lynkos.
9) Thuk. II, 100. Die Lage dieser Orte lässt sich nicht mit Sicher-
heit bestimmen.
10) Thuk. IV, 124.
11) Herodot. V, 17. Ueber den Reichthum der makedonischen Gebirge
an edlen Metallen vergl. man noch Strabo VII, S. 330, 34 C. und XIV,
S. 680 C.
254 Perdikkas II. König von Makedonien.
heit und l^eharrliclikeit. sich aus derselben so zu ziehen, dass
Makedonien an Kraft und Einheit gewann, und das ist Per-
dikkas gehingen, ohne dessen Anstrengungen Archelaos dem
Reich nicht den Glanz hätte geben können, welchen die Zeit-
genossen rühmen.
In dem Zeiträume von mehr als 20 Jahren vom Regie-
rungsantritte des Königs bis Ol. 86. 4. a. Ch. 432. wird Per-
dikkas Name kaum genannt, weil keine bedeutenden Ereignisse
die Hellenen mit ihm in Berührung brachten. Er stand äusser-
lich im Bündnisse mit Athe^i, dessen Macht er jedoch eifer-
süchtig beobachtete. Yerl)indungen in den attischen lUindes-
städten, die Avir später vorfinden . mögen damals schon ange-
knüpft Avorden sein, Fehden mit seinen Brüdern und den andern
Fürsten der Makedonier vielleicht schon statt gehabt haben.
Wenigstens finden wir- Ol. S6. 4. a. Ch. 432 Philippos und
den muthmasslichen Fürsten der Elimioten, Derdas, in offenem
Kriege gegen Perdikkas , und so schwach Maren die Bande,
welche den König mit den Athenern verknüpften, dass diese
mit jenen beiden ein Bündniss schlössen, einer sehr natürlichen
Politik zu Folge. Makedonien zu keiner Einheit kommen zu
lassen ^) . Unter Avelchen Bedingungen die Athener den Fein-
den des Perdikkas Beistand leisteten, Avird leider nicht gemel-
det. Auf jeden Fall war es aber für diesen eine tiefe Krän-
kung, zu der er keinen Anlass gegeben zu haben scheint.
Athen lud dadurch die Schuld des ersten unredlichen Han-
delns auf sich. Perdikkas aber setzte sich jetzt, da er keine
Rücksichten mehr gegen seine ehemaligen Bundesfreunde zu
beobachten hatte . mit ihren offenen und heimlichen Gegnern
in Verbindung, avozu ihm die Verhältnisse der hellenischen
Städte in seiner Nähe Gelegenheit darboten. Die Athener
hatten nämlich in Folge ihrer EntzAAciung mit den Korinthiern
und zugleich aus Besorgniss vor Perdikkas an die korinthische
Colonie Potidaia auf Pallene. Avelche dem Bunde als tribut-
pflichtiges Glied angehörte, die Forderung gestellt, einen jähr-
lich aus der Mutterstadt bestellten Magistrat fortan nicht mehr
aufzunehmen und einen Theil ihrer Mauern einzureissen. Die
dadurch in Potidaia und den benachbarten Städten rege ge-
') Thuk. I, 57.
I
PeRDIKK.\.S II. KÖNIG VON MAKEDONIEN. 255
woidene Unzufriedenheit benutzte der König sogleich. Er trat
in Unterhandhmg mit den Spartiaten. um sie zur Erklärung
des Kriegs an Athen zu bewegen, schloss mit den Korinthiern
ein Bündniss und wandte Alles an, um die chalkidischen
Städte und Potidaia zu offenem Abfalle zu bringen. Als nun
eine potidaiatische Gesandtschaft umsonst in Athen Zurück-
nahme des Befehls zu erwirken suchte, vielmehr eine Flotte
von 30 Schiffen zur Vollziehunar desselben inid zur Bekriesrun»
Makedoniens ausgesandt wurde, als hinwiederum die l^ehörden
Spartas verhiessen. den Aufstand der Städte durch einen Ein-
fall in Attika zu unterstützen, di fielen die Potidaiaten und
die mit ihnen eidlich verbündeten Chalkidier und Bottiaier ab.
und Perdikkas, der den Athenern einen harten Widerstand
bereiten wollte , bewog die Chalkidier dazu . ihre kleineren
Städte an der Küste zu zerstören und nach Olynth zu ziehen.
Zur Entschädigung für das verlassene Land wies er ihnen auf
die Dauer des Krieges Ländereien in seinem Gebiete in Myg-
donia am See Bolbe an ^] . Aon diesem Synoikismos der Chal-
kidier schreibt sich die Bedeutung Olynths her, und es bleibt
bemerkenswerth, dass ein makedonischer Fürst der eigentliche
Gründer der Stadt ward. Avelche später das Reich dem Unter-
gange nahe brachte und erst nach dem hartnäckigsten Wider-
stände von Philipp unterworfen wurde. Ohne die schrecklichen
Thronzwiste aber, welche nach Archelaos Tod Makedonien tief
erschütterten, wäre Olynth nie zu solcher Macht gekommen,
und zu Perdikkas Zeit war ein Vereinigungspunkt gegen Athen
nöthig. Die Art. wie der König den zu schaffen wusste. nicht
ohne eigene Opfer, ist ein 15eweis für seine Umsicht, und man
thut Unrecht, ihn dabei einer kurzsichtigen Politik zu zeihen.
Indessen war das attische Heer auf den 30 Schiffen an-
gekommen, und da es sich zu schwach fand, um die verschie-
denen Feinde zugleich zu bekämpfen, wandte es sich nach
^Makedonien und vereinigte sich mit den Streitkräften, die unter
Philippos und den Brüdern des Derdas. unter denen Pausanias
genannt wird, in das untere Land eingefallen waren. Die Ma-
kedonier des Perdikkas suchten hinter den Mauern der Städte
') Thuk. I, 58. Diodor XII, 34, der seine Erzählung aus Thukyd.
geschöpft hat.
256 Perdikk-^s II. König von Makedonien.
Schlitz. Die Athener aber eroberten Theraie, dann zogen sie
vor Pydna. Mittlerweile hatte Potidaia eine Besatzung von
2000 Peloponnesiem unter dem Korinthier Aristeus erhalten,
und auch von Athen aus hatte Kallias noch 40 Schiffe und
2000 SchAverbewafFnete herbeigeführt. Er vereinigte sich mit
dem frühem Heere vor Pydna, und zwang den König zu einem
Vertrage und Bündnisse. Darauf zog er zu Lande gegen Po-
tidaia. Unterwegs wurde ein vergeblicher Versuch gemacht,
Beroia zu erobern ' ; . Man hat daraus schliessen wollen, diese
Stadt habe damals nicht zu Makedonien gehört, allein wohl
mit Unrecht. Zwar ist kaum glaublich, dass schon bei der
Ankunft der Athener vor Beroia Perdikkas ihnen wieder die
Freundschaft aufgekündet hatte; aber sehr wohl möglich, dass
die Stadt aus eigenem Entschlüsse die Tbore verschloss. Es
lässt sich hier um so weniger jener Schluss machen, da uns
die Friedensbedingungen ganz unbekannt sind; ja es hat nichts
Unwahrscheinliches, dass Perdikkas, der auf jeden Fall schon
wieder auf Abfall sann, Beroia heimlich zum Widerstand ver-
anlasst hatte. — Sobald nämlich die Feinde entfernt waren,
erklärte der König die ihm abgenöthigte Uebereinkunft für
aufgelöst und unterstüzte die Potidaiaten von neuem, indem
er ihnen unter anderm 200 Reiter sandte. Dafür wählten ihn
die versammelten Bundesgenossen, während sie dem Korinthier
Aristeus den Oberbefehl über das Fussvolk übertrugen, zum
Anführer der gesammten Reiterei. Perdikkas aber, der wohl
seine eigenen Lande nicht verlassen konnte oder mochte, setzte
an seine Stelle einen gewissen lolaos. Nichtsdestoweniger er-
rangen die Athener unter Mitwirkung 600 makedonischer Rei-
ter, welche ihnen Philippos und Pausanias zugeführt hatten,
einen entscheidenden Sieg vor Potidaia und schlössen bald,
durch ein neues Heer unter Phormions Befehlen verstärkt, die
1) iGrote hist. of Greece IV p. 205 Anm. 1 meint, es sei nicht die
bekannte makedonische Stadt Beroia, die von der Küste entfernt lag, son-
dern eine Stadt an der thrakischen Küste, nicht sehr weit von Gigonos
und verweist auf Steph. s. v. Bspr,; und Tafel, Thessalonica. Index, sehr
zweifelhaft. Mit Recht wird jetzt nach Pluygers anstatt IrAaTpi-ba^zt^ ge-
lesen : i-\ StpE'Lav , wonach dann der Eroberungsversuch Strepsa nicht
Beroia betrifft. — Classen ikrit. Bern, zu Thuk. I, 61) vermuthet anstatt
£; Bsooiav sei £i Beoarv zu lesen.]
Perdikkas II. KöxiG VON Makedonien. 257
Stadt eng ein. Dann durchzog dieser Heerführer verwüstend
das Land der Bottiaier und Chalkidier und nahm einige kleine
Ortschaften, während dagegen Aristeus. der ans dem belager-
ten Potidaia zu entwischen Avusste , mit Erfolg einen kleinen
Krieg gegen die Athener führte und zugleich die Absendung
neuer Hülfe aus dem Peloponnes betrieb ij.
So war zwar der erste Versuch, Athens Macht in der Ge-
gend von Thrakien und Makedonien zu brechen, nicht ganz
gelungen; allein nichts destoweniger war die Republik an
einer sehr empfindlichen Stelle verwundet. War auch Potidaia
eingeschlossen, so befanden sich doch die chalkidischen und
bottiaiischen Orte fast alle im Aufstande , und die Herrschaft
Athens Avar dort in ihren Grundpfeilern erschüttert. Darum
die grossen Anstrengungen zur Wiederherstellung derselben,
welche auch nach dem Ausbruch des peloponnesischen Kriegs
im Frühling 431' fortgesetzt Avurden. Denn obgleich die Pe-
loponnesier im Sommer dieses Jahres mit grosser Heeresmacht
in Attika einfielen, so machte das von Perikles befolgte Ver-
theidigimgssystem es dennoch möglich, ohne die Sicherheit
Athens zu gefährden, bedeutende Streitkräfte nach Chalkidike
zu senden. Das hatten die Feinde nicht erAvartet. daher Lau-
heit bei den Peloponnesiern . Avie bei Perdikkas. Dieser
Avünschte den Frieden um so mehr, als ein neuer Bundesge-
nosse Athens Macht in seiner Nähe ein unbedingtes Ueberge-
Avicht zu geben schien. Sitalkes nämlich, der Sohn des
Teres, war seinem Vater in der HeiTschaft über die Odrysen
gefolgt und hatte das Reich über die meisten thrakischen
Stämme ausgedehnt. Wenigstens herrscht er zAvei Jahre spä-
ter über alle Länder zAvischen dem ägäischen Meere im Süden,
dem Istros im Norden, dem Pontos im Osten und einer Linie,
die A^on Abdera aus nördlich nach dem obern Strymon, dein
Oskios (Isker) und dem Istros führt, im Westen - . Mit diesem
Fürsten schlössen die Athener schon im ersten Jahre des Krie-
1) Thuk. I, 58-65.
2' Thuk. II, 95, 96, vergl. Kortüm zur Gesch. hellen. Staatsverfassungen
S. 164 folg. Gaus Sitalkes in dem Philol. 1818 p. 352 ff. und bei Popi^o
Thuk. I, 2. S. 408. Gail stellt indessen den Odrysenkönig wohl etwas zu
hoch. Interessant wäre, genauer zu erforschen, in welchem Verhältnis» die
hellenischen Küstenstädte zu Sitalkes standen.
Vis eher, Schriften I. 27
•258 Perdikkas II. KÖNIG vox INL\ki;dünien.
ges ein Bündniss ab , durch Vermittlung des Abderiten Xym-
phodoros. der eine Tochter desselben zur Frau hatte \. Mit
seiner Hülfe hofften sie die abtrünnigen Bundesstädte und den
Perdikkas zu züchtigen. Die. Gefahr war für diesen um so
dringender, als sein Bruder Philippos sich bei Sitalkes befand
und von ihm Wiedereinsetzung in sein Fürstenthum. im gün-
stigsten Falle selbst die HeiTschaft über alle Makedonier. er-
wartete. Aus diesem Umstände, den Thukydides berichtet 2.
folgt . dass Perdikkas den Philippos vertrieben und ihm sein
Gebiet genommen hatte, ein höchst wichtiges Ereigniss. das
nur darum nicht von Thukydides gemeldet Avird. weil es keinen
unmittelbaren Einfluss auf den Gang des peloponnesischen
Krieges übte. Das Unheil aber, welches die Verbindung Athens,
des Sitalkes und d^ flüchtigen Bnulers drohte. A^-usste der
schlaue Makedonier abzuwenden. Er gewann durch A'erspre-
chungen, die ^vir leider nicht kennen, den Odrjsenkönig, dass
er den Philippos nicht zurückführe und den Frieden zwischen
Makedonien und Athen vermittle. Dieser kam in der That
zu Stande, und zAvar unter sehr günstigen Bedingungen für
Perdikkas. Denn er erhielt Thenne zurück, das die Athener
seit einem Jahre in Händen hatten. So war das Reich ge-
rade im sch^Aierigsten Zeitpunkte -vWeder vereinigt, die wich-
tige Hafenstadt wieder gewonnen worden, und da Derdas und
seine Brüder später nicht mehr erscheinen, so darf mit Sicher-
heit angenommen werden, dass auch sie die Oberhoheit des
Königs wieder anerkannten. Für diese Vortheile musste Per-
dikkas freilich den Athenern Hülfe gegen die einst von ihm
selbst zum Aufstande verführten Chalkidier leisten, und er
zog auch wirklich mit Phormion gegen sie zu Felde, ohne dass
indess etwas Namhaftes erreicht worden wäre. Gegenüber dem
grossen Gewinn , den ihm der Friede brachte , mochte ihm
dies Opfer eben nicht schwer erscheinen.
Der Krieg zwischen den Athenern und den abgefallenen
Bundesstädten ^Aiirde mit wechselndem Glücke fortgeführt.
ij Thuk. II, 29.
-) Thuk. II, 95: 0 zt -(äo Wiw.y./.rj.% ctuTÖj 'j-'jZ/i\>.-.-i^j;, et ' k^r^-i'v.v.^ -i
vergl. mit II, 20.
Perduvkas II. KöxiG VON Makedonien. 259
Zwar ergab sich Potidaia unter der Bedingung freien Abzuges
für Besatzung und EinAvohner im Winter des zweiten Kriegs-
jahres i) (Munychion Olymp. 87. 3. 429), hingegen errangen
die [Chalkidier und] Bottiaier im folgenden Sommer einen be-
deutenden Sieg bei Spartolos^). Nirgend wird Perdikkas er-
wähnt, dessen Bundesgenossenschaft den Athenern wenig nützte.
Ja im gleichen Jahre schickte er heimlich 1000 Mann dem
Spartiaten Knemos zu Hülfe, der von Amprakia aus eine Un-
ternehmung gegen die mit Athen verbündeten Akarnanier ver-
suchte 3) .
Nicht geAvissenhafter als gegen die Athener handelte Per-
dikkas gegen Sitalkes , indem er seine ^ ersprechuiigen nicht
erfüllte. Fast möchte man glauben, es sei ihm das unmöglich
gewesen, da nachher der Odryse trotz seiner grossen Anstren-
gungen nicht darauf bestand. Erzürnt versammelte dieser im
Herbste des dritten Kriegsjahres ein zahlreiches Heer, um den
König von Makedonien zu züchtigen und die chalkidischen
Städte für Athen zu unterwerfen. An seinem Hofe befand
sich Amyntas, der Sohn jenes flüchtigen Philippos, der in der
ZAvischenzeit gestorben sein muss. Diesen wollte er, durch
Perdikkas Verfahren selbst seines frühern ^'ersprechens entbun-
den, nun nicht nur in die Herrschaft seines Vaters wieder ein-
setzen, sondern ihn zum Könige von ganz Makedonien machen.
Von Athenischer Seite befand sich bei ihm Hagnon an der
Spitze einer Gesandtschaft. Eine attische See- und Landmacht
sollte die Thrakier in C'halkidike unterstützen. Mit einem
Heere, das auf etwa 100,000 Mann zu Fuss und 50,000 zu
Pferd geschätzt wurde, drang nun Sitalkes durch das Gebirge
Kerkine, über die paionische Stadt Doberos, auf einer Kunst-
strasse, die er bei einem frühern Feldzuge hatte bauen lassen,
in den Theil Makedoniens ein, welcher früher die Herrschaft
des Philippos gebildet hatte. Im offenen Felde fand er keinen
Widerstand; denn die Makedonier des Perdikkas hatten sich
in die Avenigen festen Plätze des Reiches eingeschlossen. Die
Thrakier aber eroberten in Philippos' ehemaligem Gebiete
Eidomene mit Sturm, während die Anhänglichkeit an Amyn-
1) Thuk. II, 70.
■2; Thuk. II, 79. Diodor XII, 47. 3; Thuk. II, 80.
17*
2G0 Perdikkas II. König von Makedonien.
tas, den Sohn des früheren Landesfürsten, andere Ortschaften,
namentlich Gortynia und Atalante, durch Uebereinkunft in ihre
Hände brachte. Nur die Stadt Europos -widerstand in dieser
Gegend dem Feinde, der zur Belagerung nicht geschickt war.
Ohne sich dadurch aufhalten zu lassen, drang Sitalkes in das
untere Makedonien, soweit es östlich von den Städten Pella
und KyiThos lag, vor, und plündernd und sengend breiteten
sich die Karbaren zwischen dem Axios vind Strymon aus i) .
Die Makedonier hatten auch hier auf allen Widerstand mit
dem Fussvolke verzichtet, suchten hingegen durch ihre Reiterei,
welche durch Zuzug von den Bundesgenossen im obem Lande
verstärkt worden war, dem Feinde Abbruch zu thun. Unter
diesen Bundesgenossen haben wir uns ohne Zweifel besonders
die Elimioten und Lynkesten zu denken, welche sonach da-
mals die Oberhoheit der unteni Makedonier anerkannt hätten.
Die nach Landesbrauch gepanzerten Reiter griifen anfangs kühn
die Feinde an, mussten aber bei der vielmal überlegenen An-
zahl derselben bald den Kampf als erfolglos aufgeben. Nach
Verheerung von Mygdonia, Grestoneia und Anthemus wandte
sich ein Theil des thrakischen Heeres gegen die Bottiaier und
Chalkidier, musste sich aber auch hier, da die erwartete athe-
niche Hülfe nicht erschienen war, mit Verwüstung des flachen
Landes begnügen. Die Städte blieben unversehrt. Wurde
also hier der eine Zweck des Feldzuges, die Beendigung des
chalkidischen Krieges , verfehlt , so gelang es anderseits dem
Sitalkes eben so wenig, seine Absichten gegen Perdikkas
durchzusetzen. Dieser half sich vielmehr auch jetzt wieder
durch Lnterhandlungen aus der Noth. Er gewann den Neffen
des Odrysenkömgs, Seuthes, den Sohn des Spartakos, den ein-
flussreichsten Mann im Reich nach dem Könige selbst, durch
das Versprechen, ihm seine Schwester Stratonike und reiche
Mitgift zu geben. Der einbrechende Winter. Mangel an Le-
bensmitteln für das ungeheure Heer, wohl auch Missmuth über
das Ausbleiben der Athener kamen hinzu, und so zog Sitalkes,
nachdem er im Ganzen dreissig Tage in Makedonien und Chal-
kidike verweilt, schnell nach Hause 2. Der furchtbare Feld-
1) Vergl. oben S. 249 Anm. 2.
-] Thuk. II, 9.5 — 101. Diod. XII, 50, .51 der übrigens sehr un-v\ahr-
Perdlkkas II. König von Makedonien. 261
zug war also für Perdikkas ohne üble Folgen vorübergegangen,
ja hatte ihm den Vortheil gebracht, sich durch Blutsbande mit
dem Fürstenhause der Odrysen zu verbinden. Denn diesmal
erfüllte er sein Versprechen ungesäumt. Das Bündniss der
Odrysen mit den Athenern aber ging seiner Auflösung entge-
gen. Yv'enigstens unterstützt Sitalkes sie nie mehr durch
Heeresmacht. Zugleich scheint auch der Prätendent Amyntas
aufffeoreben worden zu sein, und als im Sten Jahre des pelo-
ponnesischen Krieges Ol. S9. 1. a. Ch. 424. Sitalkes in einem
Feldzuge gegen die Tiiballer fiel, folgte ihm Seuthes, der
Schwager des Perdikkas, und die Verbindung mit Athen hörte
ganz auf. ^]
Ohne bedeutende Ereignisse vergingen für Makedonien die
nächsten vier Jahr-e. Der König stand in friedlichen Verhält-
nissen zu Athen, ohne jedoch der Stadt Hülfe zu leisten.
Gegen die chalkidischen Städte w^urde der Krieg lau und mit
wechselndem Erfolge geführt. Denn die Hauptaufmerksamkeit
der Athener war in dieser Zeit nach Lesbos, nach Akarnanien
und Aitolien, auch schon nach Sicilien und ganz besonders
nach dem Peloponnese selbst gerichtet, wo die Befestigung von
Pylos und die Eroberung von Kythera dem Kriege eine ent-
scheidende Wendung zu geben versprachen. Die reissenden
Fortschi-itte der athenischen Waffen, die unerhörte Kunde, dass
sich 292 Spartiaten den Athenern als Kriegsgefangene ergeben,
erregte mit Eecht auch wieder die Besorgnisse des Perdikkas
und der benachbarten Städte. Die Erhöhung der Tribute,
welche in diese Zeit fällt 2, , erfüllte auch die noch treu ge-
bliebenen Bundesgenossen Athens mit Unzufriedenheit. Zu-
gleich sann Perdikkas, der fortwährend die Vereinigung aller
Makedonier unter semem Scepter im Auge behielt, darauf,
den Fürsten der Lpikester. Arrhibaios, der sich gegen ihn
auflehnte, sich zu unterwerfen, und da eigene Macht dazu un-
genügeird schien, warf er seinen Blick auf Sparta.
So geschah es denn, dass Ol. 89. 1. a. Ch. 424 der ma-
kedonische König und die Chalkidier, denen sich heimhch
scheinlich die Thrakier aus Furcht vor den Rüsrungen der Chalkidier und
Thessalier zurückkehren lässt.
1 Thuk. IV. 101. -] Böckh, ath. Staatsh. I, S. 52.5.
262 PeRDIKKAS II. KÖNIG VON M.VKEDONIEN.
auch mehrere noch nicht von Athen abgefallene Städte an-
schlössen, von Sparta die Absendung eines Heeres verlangten,
um Athens Herrschaft in ihren Gegenden vollends zu brechen.
Bereitwillig entsprachen die Spartiaten, weil sie durch einen
solchen Feldzug den Feind aus ihrem Lande zu ziehen hoiFten
und zugleich Gelegenheit erhielten, sich der gefährlichen He-
loten zu entledigen und dem thatkräftigen Brasidas einen Wir-
kvingskreis ausserhalb Lakonien zu verschaffen. Dieser Heer-
führer, ohne ZAveifel der grösste Mann den Sparta im Laufe
des peloponnesischen Krieges hervorbrachte, zog mit 1700
Hopliten, -worunter 700 Heloten, über Megara nach dem tra-
chinischen Herakleia. Yon da führten ihn angesehene Män-
ner aus Pharsalos und Larissa, meist Freunde des Perdikkas
und der C'halkidier, gegen den Willen des Volkes in Eilmär-
schen durch Thessalien, und im Spätsommer des Jahres 424 kam
er in der ersten Stadt des Perdikkas in Dion in Pierien an ^ j .
Inzwischen hatten die Athener dem Könige, welchem sie
mit Recht die Herbeiziehung der Lakedaimonier beimassen, den
Krieg erklärt und ihre Besatzungen in jenen Gegenden verstärkt.
Perdikkas aber vereinigte seine Streitkräfte mit denen des Bra-
sidas, deren Verpflegung ^ er zur Hälfte übernahm, während
wahrscheinlich den C'halkidiern die andere Hälfe zur Last fiel.
Das Heer rückte gegen Lpikos vor. dessen Unterwerfung Per-
dikkas sich versprach. Als er aber am Eingange des Landes
angekommen Avar, Avollte Brasidas vor Eröffnung der Feind-
seligkeiten versuchen, den Arrhibaios durch Unterhandlungen
zum Bundesgenossen Spartas zu machen. Denn dieser hatte
ihm entbieten lassen, er sei bereit, ihn als Scliiedsrichter zwi-
schen sich und Perdikkas anzunehmen. Auch die chalkidi-
schen Abgeordneten, die beim Heere waren, riethen. den Per-
dikkas nicht durch Unterwerfung der Lynkester zu mächtig zu
machen ; man müsse ihm vielmehr einen gefährlichen Xachbar
lassen, wodurch ihm ihre Bundesgenossenschaft unentbehrlich
werde. Dazu kam, dass während ihrer Anwesenheit im Pelo-
1) Thuk. IV, TS. Diod. XII, 67.
-] Unter -c^o^■■q ist nur der eigentliche Unterhalt des Heeres zu ver-
stehen, das 3tTT,pi5iov. Sold 'aniiöv; empfingen die Leute des Brasidas wohl
schwerlich.
Perdikkas II. König von" MaivJ^doxien . 263
ponnese die Gesandten des Königs den Spartiaten die HulF-
nung eröffnet hatten, leicht zaHreiche Bundesgenossen zu
gewannen. Brasidas glaubte sich also dadurch berechtigt, hier
gleich den Anfang zu machen, und offenbar war es vortheil-
liafter, den Perdikkas und den Arrhibaios sich zu verbünden
und so den einen durch den andern im Schach zu halten, als
die Macht des erstem zu verstärken. Umsonst widerstrebte
dieser einem solchen Verfahren und stellte dem Brasidas vor,
dass er ihn nicht halie kommen lassen, um einen Richter zu
erhalten, sondern damit er diejenigen bekämpfe, gegen die er
ihn führe; da er die Hälfte des Heeres besolde, sei Brasidas
nicht befugt, sich allein mit dem Feinde abzufinden. Es war
fruchtlos. Der spartanische Heerführer schloss ein Abkommen
mit Arrhibaios und führte das Heer zurück. Tief beleidigt
gab Perdikkas, der allein nichts ausrichten konnte, hinfort nur
noch dem dritten Theile des Heeres Unterhalt i) . Dieses Er-
eigniss zeigt deutlich das Verhältniss des Makedoniers zu Sparta,
die Absichten des Perdikkas imd des Brasidas. Beide ver-
einigte bloss die Feindschaft gegen Athen, das Bestreben, die
HeiTSchaft des gefürchteten Staates zu brechen; die übrigen
Interessen waren durchaus verschieden. Perdikkas wollte die
Spartiaten, die er als seine Miethtmppen betrachtete, als
AVerkzeuo- gegen seine Feinde brauchen und durch sie seinem
Reiche die gewünschte Einheit geben; sie sollten nicht als
selbständige Macht in Makedonien auftreten. Brasidas aber
war zu stolz und klug, er war zu sehr Hellene, um in diese
Pläne einzugehen. Auch er betrachtete seinerseits den make-
donischen Fürsten mir als ein Mittel, die Athener zu demü-
thigen und für Sparta in jenen Gegenden eine mächtige Bun-
desgenossenschaft zu stiften. Eben darum durfte seine Macht
nui" so weit befestigt werden, dass sie einen Kern für die Ver-
einigung gegen Athen bot; ihre selbständige Entwickelung
musste gehemmt Averden, die verschiedenen Fürstenthümer und
die hellenischen Städte vom Olymp bis an den Strymon soll-
ten in Sparta ihren Schirmherrn und ihr Bundeshaupt erken-
nen. Die Anhänglichkeit der hellenischen Städte an den edeln
Spartiaten machte auch in der That dieseil in kurzem so mäch-
1) Thuk. IV, S3.
2G4 Perdikkas II. KöxiG vox Makedonien.
tig, dass Perdikkas in dem herV)eigenifenen ]iundesgenosseii
einen furchtbareren Feind fand, als in dem jetzt in seiner
Xähe geschAvächten Athen; daher sein l)akliger Bruch mit
Sparta, sein neues Hinneigen zu Athen, wozu die Ereignisse
leicht einen Anlass boten.
Nachdem der erste Zug gegen Arrhibaios durch einen
Vertrag beendigt war. Avandte sich nämlich Brasidas gegen
die hellenischen Städte in C'halkidike und am Strymon und
brachte mit reissender Schnelligkeit die bedeutendsten dersel-
ben theils durch Eroberung, theils durch Unterhandlung in
seine Gewalt. Am wichtigsten war die Einnahme von Am-
phipolis . zu welcher vorzüglich die Anhänger des Perdikkas
und der Chalkidier in der Stadt beitrugen V- Ja selbst über
den Strymon breitete sich des Spartiaten Macht aus; denn die
Hauptstadt der Edoner Myrkinos und die thasischen Pflanz-
städte Galepsos und Oisyme traten ihm bei 2 . Auch dabei
war Perdikkas wieder thätig. der offenbar durch diese Dienst-
leistungen seine Bedeutung zeigen und den Brasidas zu einem
zweiten Zug gegen Arrhibaios gewinnen Avollte.
AVährend so die Unternehmung mit dem glänzendsten Er-
folge gekrönt wurde imd Athens Henschaft in jenen Gegen-
den ihrem Ende entgegenging, schlössen im Frühling 423 Ol.
89. 1. die Athener und Spartiaten einen Waffenstillstand auf
ein Jahr, welcher einen Frieden einleiten sollte. Er bestimmte,
dass Alles in der Lage bleiben sollte . in der es am Tage des
Abschlusses sei ^) . In der thrakisch-makedonischen Gegend,
wo Brasidas sich nur ungern in semer Siegeslaufljahn gehemmt
sah, kam er aber nie zu seiner vollständigen Ausführung.
Skione. das zwei Tage nach dem Abschlüsse des Waffenstill-
standes . und Meude , das sogar nach Verkündigung desselben
1) Thuk. IV, SS, 102-106. 2. Thuk. IV, 107.
3) Thuk. IV, 11s. 119. Als der Anfangstag Avurde der 14 Elaphebolion
erklärt ,'22. März/. Die Schwierigkeit diese Angabe mit der andern zu
verbinden, wonach er in Sparta am 12. Gerastios von den Bundesgenossen
bestätigt ward, hat Goeller zu der Stelle sehr gut gelöst , indem er zeigt,
dass es verschiedene Tage Avaren , und in Sparta nur der zwischen den
Bundeshäuptern schon in Athen geschlossene Waffenstillstand seine Be-
stätiguna: durch die Bundesgenossen erhielt.
Perdikkas II. König von JVIakedoniek. 265
abgefallen war, fanden bei Brasidas Schutz ^] , der auf die Kla-
gen der Athener ihnen seinerseits Verletzungen des Vertrags
vorwarf. Ergrimmt rüsteten diese nun eine ansehnliche Macht,
die Abtrünnigen zu strafen. Brasidas aber, nachdem er alle
Yorkelu'ungen zu einer hartnäckigen Vertheidigung der beiden
bedrohten Städte getroffen, willfahrte endlich Perdikkas und
unternahm einen zweiten Zug gegen die Lynkester (Spätsom-
mer 423 Ol. S9. 2\ . Eine beträchtliche Heeresmacht -war dazu
versammelt. Denn Perdikkas hatte alle Makedonier, über die
er gebot, und die unter seiner Herrschaft lebenden Hellenen
aufgeboten , Brasidas aber führte neben den Peloponnesiern,
soweit diese nicht zu Besatzungen der Städte verwendet worden
waren, eine beträchtliche Anzahl Chalkidier, Toronaier und an-
dere Hellenen jener Gegend. Es waren im Ganzen etwa 300 U
hellenische Schwerbewaffnete, bei tausend grössten Theils ma-
kedonische Reiter, und ausserdem zahlreiche Barbaren in
ihrer eigenthümlichen Bewaffnung - . Femer erwartete Perdik-
kas illyrische Söldner, Avelche er angeworben hatte. Nachdem
dies Heer durch die Pässe 3) in Lynkos eingerückt war , traf
es auf Arrhibaios Macht, die aus Reitern und Hopliten bestand,
und schlug sie mit beträchtlichem A'erluste zurück. Die Lpi-
kester zogen sich auf die Berge zurück. Anstatt nun aber den
Vortheil rasch zu verfolgen, Avarteten die Verbündeten einige
Tage auf die Illyrier. Als sich deren Ankunft verzögerte,
wollte Perdikkas auch ohne sie vordringen, und die Flecken
des Arrhibaios verheeren; aber Brasidas weigerte sich, weiter
zu ziehen, weil er die Ankunft der Athener vor Mende fürch-
tete. Als so die beiden Führer ^vieder in Zwietracht waren,
1) Thuk. IV, 120—123.
2) Thuk. IV, 124 die Worte: y-ai aXXo; o[xtXo; twv ßapjBäpoj'; toX'j? sind
ohne Zweifel hauptsächlich auf die Bewaffnung zv. beziehen ; Thukydides
bezeichnet damit das nicht auf hellenische Weise ausgerüstete leichte make-
donische und thrakische Fussvolk.
3; Diese Pässe, die nämlichen die nachher die Lynkester dem Brasidas
zu versperren suchten, lassen sich ohne genaue Kenntniss des Landes, die
bisher noch fehlt, nicht sicher bestimmen. Sie scheinen das alte Land der
Eorder mit Lynkos verbunden zu haben, und wahrscheinlich führte später
die Via Egnatia durch dieselben. Vergl. K. O. Müller über die Maked.
S. 16 die Ausleger zu Thuk. IV, 124, 12S.
266 Perdikkas II. KÖNIG VON Makedonien.
kam die Kunde , die Illyrier hätten sich mit dem Feinde ver-
eint. Jetzt fügte sich auch Perdikkas zum Rückzuge. Aber
nichts wurde gemeinsam verabredet. Die beiden Heere lager-
ten in bedeutender Entfernung. In der Nacht ergriff Schrecken
vor den über Gebühr gefürchteten Illyrieni die Makedonier. Sie
wandten sich ohne Befehl zur schleunigen Flucht und zwangen
auch den Perdikkas wider Willen mitzuziehen, ohne dem PJra-
sidas eine Anzeige zu machen. Als dieser am Morgen sah,
dass die Bundesgenossen ihn im Stich gelassen hatten, Arrhi-
baios aber mit den Lynkestern und Illyi-iern heranrückte, stellte
er seine Schwerbewaffneten in eine viereckige Marschkolonne
auf, in deren Mitte die Leichtbewaffneten genommen wurden,
bestimmte eine Schaar aus der jüngsten Mannschaft zu Aus-
fällen, und deckte selbst mit 300 Auserwählten den Rücken.
So wies er mit Erfolg die Angriffe der Feinde zurück. Diese
wandten sich nun, während eine Abtheilung der Colonne folgte,
mit dem übrigen Heere zur Verfolgung der flüchtigen Make-
donier. deren sie viele niedermachten, und besetzten den Eng-
pass, durch den Brasidas ziehen musste. Aber dieser bemäch-
tigte sich durch einen raschen Angriff des Hügels . der den
Pass beherrschte, führte die Seinigen unversehrt hindurch und
eiTeichte am gleichen Abende Amissa, die erste Stadt des Per-
dikkas , von Arrhibaios nicht über die Gränzen seiner Herr-
schaft verfolgt. Wo seine Leute etwas antrafen, das die Make-
donier auf ihrer eiligen Flucht zurückgelassen hatten , betrach-
teten sie es als gute Beute, waren es Zugthiere. so hieben sie sie
nieder; so gross war die Erbitteiimg. Von diesem Augen-
blicke betrachtete Perdikkas den Brasidas als seinen erklärten
Feind und suchte auf jede AVeise sich mit den Athenern aus-
zusöhnen, hingegen der Peloponnesier sich zu entledigen. Und
offenbar hatte er dazu guten Giamd; denn auch in diesem
Feldzuge hatte Brasidas durch seine Weigerimg, nach der
Schlacht vorzurücken, den Erfolg vereitelt und gezeigt, dass
Perdikkas sich von ihm keinerlei Vortheil versprechen dürfe.
Selbst die Flucht darf nach Thukydides Erzählung nicht dem
Perdikkas zur Last gelegt werden; er wurde wider Willen in
dieselbe verwickelt, und wäre der Sieg früher verfolgt worden,
wie er es verlangte , so wäre der Rückzug überhaupt nicht
nöthig geworden. Aber Brasidas sah von seinem Standpunkte
PerdiivKas II. König von Makedonien. 2G7
ans allerdings mit Recht die Beschirmung der von den Athe-
nern bedrohten Städte für wichtiger an, als die Bezwingung
von Lynkos für Perdikkas. Die Verbindung zwischen Make-
donien und Sparta löste sich also auf, weil kein gemeinsames
Interesse sie mehr zusammenhielt. So wie Athens Ueberge-
wicht gebrochen war und Sparta dessen Stelle einzimehmen
strebte, waren sie natürliche Feinde *) .
Indessen war während des Zuges gegen Lynkos eine be-
trächtliche athenische Streitmacht unter Xikias, dem Sohne
des Nikeratos, und Nikostratos, dem Sohne des Diotrephes,
in Pallene angekommen, hatte Mende genommen und Skione
eingeschlossen, so dass Brasidas den Gedanken an die Ent-
setzung dieser Stadt aufgeben und sich auf die Deckung To-
rones und der übrigen Städte beschränken musste.^; Perdikkas
aber schloss nach einigen Unterhandlungen eine Uebereinkunft
mit den athenischen Feldherrn und fand sogleich Gelegenheit
sich ihnen nützlich zu erweisen. Der Lakedaimonier Ischa-
goras nämlich Avollte eben damals dem Brasidas durch Thes-
salien und Makedonien Hülfe zuführen. Der König aber, dem
eben soviel daran lag, sein Land vor einem solchen Durchzug
zu bewahren, als den Athenern, die er so oft getäuscht, einen
Beweis seiner Gesinnung zu geben, wandte seinen Einfluss
bei den Mächtigen Thessaliens jetzt dahin an , den Lakedai-
moniern ihr Land zu versperren. Das Heer blieb daher zu-
rück, nur die Führer Avussten zur See den Weg zu Brasidas
zu linden, ^j Hingegen scheint Perdikkas den Athenern in
dem Kriege selbst nicht die Hülfe geleistet zu haben, die sie
von ihm erwarteten. Wenigstens warfen sie später ihm vor,
dass durch seine Schuld eine Unternehmung des Nikias gegen
die Chalkidier nicht zu Stande gekommen sei.^) Ohne be-
deutende Ereignisse ging der Winter vorüber. Der Waffen-
stillstand zwischen Athen und Sparta lief ab ohne zu einem
Frieden zu führen. Im Frühling des Jahres 422 Ol. S9, 2
führte Kleon ein neues Heer nach den an Thrakien stossenden
Gegenden, um Brasidas zu bekämpfen und die abtrünnigen
Städte zu unterwerfen. Er eroberte Torone und Galepsos und
' Thuk. IV, 124-1 2S. 2, Thuk. IV, 129-131.
3 Thiik. IV, 132. 4; Thuk. V, 83.
268 PeRDIKKAS II. KÖXIG VON MaK£DO>'IEN.
nahm dann eine Stellung in Eion. -wohin er den Perdikkas
und den Fürsten des thrakischen Stammes der üdomanten
entboten hatte, der ihm zahlreiche Söldner zufuhren sollte.
Durch die Ungeduld seiner Leute genöthigt. unternahm er aber
vor der Ankunft dieser Hülfe eine llecognoscirung gegen
Amphipolis, wobei er in Folge seiner strategischen Unfähig-
keit gänzlich geschlagen -wurde und selbst fliehend den Tod
fand. Aber auch Brasidas hatte den Sieg mit dem Leben er-
kauft. 1) Bald nach der Schlacht wurde wieder ein sparta-
nisches Herr in Thessalien zurückgcAviesen. unzweifelhaft auch
diesmal durch Perdikkas Einfluss.2 Die Befehlshaber dessel-
ben scheuten sich aber um so weniger umzukehren, als alles
sich dem Frieden zuneigte . der denn wirklich im Frühling
des folgenden Jahres (Ol. S9, 3 im J. 421 zu Stande kam.
Die Schlacht bei Amphipolis hatte indess nicht nur die wich-
tige Folge, dass sie die Abschliessung des Friedens sehr er-
leichterte , sondern sie hat auch den letzten grossartigen An-
strengu^ngen Athens, die Herrschaft in jenen Gegenden her-
zustellen, ein Ende gemacht, und war dadurch besonders für
Makedonien von Ijedeutung. Es wurde zwar in dem Frieden
bestimmt, dass Amphipolis den Athenern zurückgegeben wer-
den sollte, und dass die übrigen Städte, namentlich Akanthos
und Olynthos bei sonst autonomer Stellimg Avenigstens den
Beitrag bezahlen sollten, den Aristeides festgesetzt hatte ; allein
dieser Theil desselben wurde nie in Ausfühi-ung gebracht. ^]
Der lakedaimonische Befehlshaber Klearidas. der nach Brasi-
das Tode an seine Stelle getreten Avar. führte z-svar nach einigem
Zögern die peloponnesischen Truppen aus Amphipolis und
allen jenen Städten zurück ; ■*, aber diese vemarfen den Frie-
den und suchten eine selbständige Stellung zu behaupten, was
ihnen auch vollkommen gelang. Daher sehen wir- schon 421
Ol. S9, 3 die Chalkidier als unabhängige Macht sich dem
korinthisch-argeiischen Bunde anschliessen und den Krieg nicht
ohne Erfolg gegen Athen fortführen. '"> Auch die Eroberung
und furchtbare Bestrafung Skiones hatte für Athen keine Avei-
ly Thuk. V, 2, 6-11. Diodor XII, 73, 74.
2j Thuk. V, 12, 13. 3 Thuk. V, IS, 21. Diod. XII, 74.
4) Thuk. V. 34. 5 Thuk. V, 26, 30, 31—3-5, 39, 82.
Perdikk.\s II. König von M.\jvedonien. 269
tere Folge, als dass die Halbinsel Pallene ganz gesichert wurde,
die ohnehin ihrer inselartigen Beschaffenheit wegen sich nie
mit Glück gegen die Beherrscher des Meeres erhoben hatte.
Für Perdikkas hatten sich auf diese Weise die Verhält-
nisse seit dem Abschlüsse des Friedens sehr verändert. Die
gefürchteten Spartiaten und der gehasste Brasidas waren nicht
mehr da, der BcAveggriind für eine Verbindung mit Athen,
dem er sich ungern angeschlossen, also entfernt. Die helle-
nischen Städte in seiner Nähe kämpften um ihre Unabhängig-
keit, welche wie oben gezeigt im Interesse Makedoniens liegen
musste, dem überdies durch die Entfernung der Athener die
See geöffnet wurde. Kein Wunder daher, dass er, obwohl
noch im Bündnisse mit Athen, doch im Jahre 418 Ol. 90, 3
auf die Einladung der Argeier und Lakedairaonier dem Bunde
beitrat, den diese nach der Schlacht bei Mantineia geschlossen
hatten und der auch die Chalkidier umfasste. Jedoch kün-
dete er nicht sogleich den Athenern die Freundschaft auf, son-
dern wartete dazu aiif einen günstigen Moment. ') Die baldige
Auflösung des genannten Bundes nach der Wiederherstellung
der argeiischen Demokratie entzog ihm jedoch die erwarteten
Vortheile. ^1 Die Athener aber, über sein Verfahren erzürnt,
erklärten ihm im Winter 417 — 416, Ol. 90, 4 den Krieg, ohne
ihn gleich mit Nachdruck z\i führen. ^] Erst ein Jahr nach-
her, Ol. 91, 1, am Ende des Winters, schickten sie eine Rei-
terschaar nach Methone, ^ welche von da aus in Verbindung
mit makedonischen Flüchtlingen verwüstende Einfälle in Per-
dikkas Gebiet machte. Bei welchem Anlasse diese Flüchtlinge
das Land hatten meiden müssen und welcher Partei sie ange-
hörten, wird nicht erzählt ; doch lässt sich vermuthen, dass es
Anhänger des Prätendenten Amyntas waren. Die Lakedaimo-
nier forderten die Chalkidier, welche damals mit den Athe-
nern in einem Waffenstillstände lebten, der von 1 ü zu 1 0 Tagen
ij Thuk. V, 76- SO. 21 Thuk. V, 63.
3) Die schwierige Stelle Thuk. V, 83: 7.aT£-iC>.Y;a'xv oe -oü aJxoj -/EtixÄvo?
7.al M7.7.i00'nac 'A9r,vatot nspofy.y.av , die ich so auch nicht passend zu er-
klären vermag, hat neuerdings Goeller nach handschriftlichen Spuren emen-
dirt, indem er liest : -/.a~i7.'AYjGav ot xo^ aO-oö yEiu-Avoi May.iOov«; 'Ai^TjV/roi,
Utrjliv.y.rj. ir.v/.'xl.'/ri-z;, /.. t. X. was wenigstens einen Sinn giebt.
"^ Thuk. VI, 7.
270 Perdekkas II. KöxiG vox Makedomex.
erneuert -werden musste, auf. dem Könige Hülfe zu leisten.
Aber sie entsprachen nicht. ^ ielleicht erklärt sich dadurch,
dass Perdikkas sich von neuem den Athenern anschloss und
am Ende des Jahres 414. Ol. 91. 3 mit dem Feldherrn Eue-
tion einen Versuch machte. Amphipolis zu erobern.'; Die
steigende Macht der C'halkidier, die seiner nicht mehr zu be-
dürfen glaubten, beunruhigte ihn mit Recht. Dieser Zug gegen
Amphipolis ist die letzte Handlung des Perdikkas, die erwähnt
Avird. Ueberhaupt sind die Nachrichten seit dem Abschlüsse
des Friedens des Nikias ungemein dürftig, weil Makedonien
in weniger l^erührung mit den Hellenen kam. Es wird nichts
über Perdikkas Verhältniss zu den Lynkestem und Elimioten
berichtet, es wird nicht angedeutet, Avie und wann er sich mit
den Athenern aiisgesöhnt hatte ; denn die allgemeine Aufmerk-
samkeit hatte sich gerade nach der entgegengesetzten Seite,
nach Sicilien, gewandt.
Neben der kriegerischen Thätigkeit des Königs ist aber
auch noch ein anderes ]3estreben zu erwäluien. Schon er hat
nämlich erkannt, dass dem kräftigen makedonischen A'olke
höhere l^ildung eine nothwendige Bedingung grösseiii Ein-
flusses bei den Nachbarstaaten sei. Darum hat er mitten un-
ter den Stürmen des Krieges versucht, griechischer Bildiuig
Eingang zu verschaffen, und Avenn es ihm bei ungünstigen
Verhältnissen noch nicht gelang, wie später Archelaos und
Philipp, so verdient doch der Versuch immerhin Anerkennung.
Der Arzt Hippokrates aus Kos lebte lange in ^Makedonien und
Avird ein Freund des Perdikkas genannt. 2 An seinem Hofe
starb der jüngere Melanippides , ein berühmter Dithyramben-
dichter; ja nach einer allerdings ziemlich unzuverlässigen
Nachlicht. ^ die avoIü auf VerAA'echslung mit seinem Sohne
beruht, hatte er den Sokrates zu sich eingeladen.
1) Thuk. M^I, 9. 'Demostheues c. Aristocratem pg. 6S6 wird von Meier
de bon. damnator. pg. öl angeführt als Beleg dafür, dass Perdikkas den
Athenern mit 300 Reitern ad bellum circa Amphipolin zu Hülfe gekommen.
Allein es spricht Demosthenes nicht von Perdikkas , sondern von Menon
dem Pharsalier und von einem Krieg gegen Eion.l
-] Suidas s. v. 'Irroy-oarr,; o'iTjit'is os hi Maxsoovia, cii'/.oc wv ctpö^^oa tw
[iazO.sl nepoiy-v-a. — s. v. Ms/.'y.vv.-TTt^r,;. vergl. Ulrici Gesch. d. hell. Dicht-
kunst II, S. 590. iLorenz Epicharmos S. Sl Anm. 5.^
3j Antonin. de se ipso. XI, 25.
Pekdikkas II. Kö^-IG vox Makedonien. 271
Im Jahre 413 Ol. 91, 4 endete er in holiem Alter sein
bewegtes Leben und hinterliess seinem Soline Archelaos i) das
Keich. das er aus den grössten Gefahren mit Umsicht und
Schlauheit gerettet hatte. Weder die Theilung nach dem Tode
des Vaters, noch die drohende Macht der Athener, weder die
mächtigen Odrvsenfürsten, noch der stolze Brasidas hatten ihm
bleibenden Schaden gebracht, üer König scheint keine einzige
Ortschaft verloren zu haben, während er die Herrschaft des
Philippos wieder an sich gezogen und die obeni Stämme we-
nigstens theilweise in Abhängigkeit gebracht hatte. Archelaos
erhielt ein kräftigeres, einigeres Reich, als einst sein ^'ater,
und die glücklichern äussern Verhältnisse erlaubten ihm, mehr
für die ümere Entwicklung zu thun. als alle acht frühern Fürsten
zusammen.
1) Es ist bekannt, dass Archelaos auf unrechtmässige und geTvaltthätige
Weise das Reich an sich riss. Er TN-ar nämlich bloss der Sohn einer Sklavin,
xvährend Perdikkas einen siebenjährigen Sohn von seiner rechtmässigen
Gemahlin Kleooatra hinterliess. - Diesen so wie seinen Oheim Alketas
und dessen Sohn Alexandros Hess Archelaos ermorden. Plato. Gorg.
S. 471 a. b.
EPAMEINONDAS.
Wenn es eine besondere Befriedigung gewährt grosse
Männer zu betrachten, welche gleichsam nur als die höchsten
Spitzen ihres Volkes und Standes erscheinen, weil wir in dem
Individuum zugleich die Gesammtheit erkennen und uns ihrer
erfreuen, so hat es andrerseits einen besonderen, wenn auch
verschiedenen Reiz , ungewöhnlichen Persönlichkeiten seine
Aufmerksamkeit zuzuwenden , welche fast im Widerspniche
zu sein scheinen mit dem Ijoden aiif dem sie erwachsen sind,
und es steigert sich das Interesse , wenn wir in ihnen eine
Grösse entdecken, welche selbst unter günstigem Verhältnissen
die höchste Bewunderimg erregen Aviirde. Während in jenem
ersteren Falle Volk und Individuum gleichen Anspruch auf den
Ruhm besitzen, scheint hier derselbe ganz dem letztem zuzu-
fallen, und Avir sind um so mehr aufgefordert nach den Mit-
teln zu forschen, die ihm so grosses möglich machten; wobei
wir dann freilich in der Regel finden werden, dass auch hier
die Persönlichkeit doch nicht so isolirt steht, sondern wenn
auch in anderer Weise ein Produkt ihres Volkes und ihrer
Zeit ist.
Einen Mann dieser Art habe ich zum Gegenstande meines
heutigen Vortrages gewählt, den Epameinondas, dessen Vater-
stadt Theben, trotz ihres grossen Dichters Pindar, doch den
alten Schimpf des ))boiotischen Sch^veins« nie loszuwerden ver-
mochte, und am allerwenigsten unter den bedeutendem Staa-
ten Griechenlands geeignet scheinen möchte einen Charakter
hervorzubringen, der an makelloser Remheit und Grösse fast
EpaMEINONU AS . 273
einzig dasteht. Denn über keinen Staatsmann nnd Feldherm
des Alterthums sind die Urtheile der Geschichte in der An-
erkennung nnd BeMTindening so übereinstimmend. Freilich
ist bei den verhältnissmässig dürftigen Nachrichten über ihn
es eben darum nicht leicht, seinem Leben und Wirken neue
Seiten abzugcAvinnen, und wenn das mir nicht gelingen sollte,
so mag die Wahl des Gegenstandes ihre Entschuldigiing darin
finden, dass die Bilder wahrhaft edler und grosser Männer
nicht zu oft dem Geiste vorgeführt Averden können.
Es war an einem trüben Wintertage des Jahres 379 v.
Chr. Ol. 100, 1, dass eine kleine Anzahl flüchtiger theba-
nischer Demokraten von Athen aus sich heimlich in ihre
Vaterstadt einschlichen um diese von der drückenden Gewalt-
herrschaft einer oligarchischen Faktion zu befreien. Ein küh-
nes Unternehmen, das die Urheber iind Theilnehmer den gröss-
ten Gefahren aussetzte und weniger zuversichtlichen Männern
keine Aussicht auf Erfolg zu haben schien. Denn die herr-
schenden Machthaber Avaren entschlossene Männer, die kein
Mittel zur Erhaltung ihrer Stellung scheuten, und eine Be-
satzung von 1500 Mann, die unter spartanischen Befehlshabern
die feste Burg der Kadmeia inne hatte, gab ihnen einen
schwer zu übenvältigenden Rückhalt. Aber so vortreff'lich Ava-
ren die Massregeln von den Flüchtlingen und ihren Freunden
in der>- Stadt eingeleitet , so gross Avar die Sorglosigkeit der
Herrscher, dass der Schlag, Avenn auch mehr als einmal dem
Scheitern nahe, vollständig gelang. Die üppigen Polemarchen
Archias und Philippos Avurden halbberauscht beim Gelage
durch Charon und Melon erschlagen, der achtungswertheste
der Oligarchen, der energische Leontiades, erst nach A^erzwei-
felter Gegenwehr im eigenen Hause A-on Pelopidas überAväl-
tigt. Mehrere andere Aveniger bedeutende Männer traf ein
gleiches Schicksal. Die Bürger wiirden noch in der Nacht
zur Freiheit aufgerufen, strömten zusammen und beAvaifneten
sich. — Der Morgen sah die Unterstadt in den Händen der
Befreier; die seit langem zum erstemnal bemfene Gemeinde
stellte das unter der oligarchischen Herrschaft abgeschaffte Amt
der Boiotarchen her und berief zu demselben die Hauptleiter
der glücklich ausgeführten YerscliAvönrng , den Pelopidas und
den Melon aus der Zahl der ziirückgekehrten Flüchtlinge und
A'ischer, Schriften I. 18
274 Epameixoxdas.
den besonnenen Charon. in dessen Haus die Verschworenen
sich versammelt hatten.
Aber noch war das Werk nicht vollendet ; denn die feind-
liche Besatzung bedrohte von der Burg aus die Unterstadt,
und die umliegenden boiotischen Städte waren zum Theil
Sparta befreundet und von spartanischen Heeresabtheilungen
bewacht, die leicht der Besatzung der Kadmeia die Hand bieten
und mit ilu* vereint die Erhebung erdrücken konnten. Zum
Glück für Tlieben war unter den spartanischen Befehlshabern
in und ausser der Stadt kein Mann von der nöthigen Geistes-
gegenwart und Umsicht. Ein Versuch von Plataiai aus der
spartanischen Besatzung Hülfe zu bringen, MTirde von der
thebanischen Reiterei zurückgeschlagen . und als niui . von
herbeigeeilten athenischen Freischaaren unter zwei Feldherrn
unterstützt, die Thebaner Anstalten machten, die Kadmeia zu
stünnen , verloren die spartanischen Befehlshaber vollständig
den Kopf und übergaben die l^nrg unter der Bedingung ehren-
vollen Abzugs mit den Waffen.
So war Theben vollständig befreit, aber auch nur The-
ben und seine Stellung eine im höchsten Grade gefährliche,
wie ein Blick auf die Verhältnisse von Griechenland lehi'en
wird .
Durch den acht Jahre früher abgeschlossenen sogenannten
antalkidischen Frieden hatte Sparta , das kurz vorher Jahre
lang m Kleinasien Kj'ieg gegen Persien geführt hatte, um den
Preis der asiatischen Hellenen-Städte sich die Herrschaft in
Griechenland gesichert. Alle Staaten, grosse und kleine,
sollten nach diesem autonom sein, wer sich dem Frieden wi-
dersetze, wurde für einen Feind des grossen Königs erklärt,
den dieser mit den übiigen dem Frieden beigetretenen Staaten
bekriegen werde, und Sparta war mit der Haudliabung des
Friedens in Giiechenland beauftragt. \, Es ist bekannt wie
es diese Aufgabe verstanden und benutzt hat. Unter dem
Scheine die Selbständigkeit der kleinen Staaten zu beschützen
wusste es jede Verbindimg zu lösen, jede freie Bewegung zu
unterdrücken, und dafür die Zügel seiner eigenen Herrschaft
1) Xeuoph. Hell. V, 1, 36; rposTaTa-. -p"i|j.r/oi tt,; j-o Sait/icu; v.'j.-o.-
Epameinondas. 275
straffer denn je zu ziehen , so dass wohl dieser Friede und
seine Handhabung eines der grössten Meisterstücke macchia-
vellistischer Politik genannt werden darf. Die eigentliche
Seele dieser Politik war jetzt derselbe Mann, der noch kurz
zuvor den persischen Thron zu erschüttern sich unterfangen
hatte, der sogenannte grosse Agesilaos. Zwar wird berichtet,
dass Antalkidas zur Gegenpartei des Königs gehörte und der
Friede eine politische Niederlage für diesen war, und wir ha-
ben keinen Grund es zu bezweifeln, ^j Aber wenn es ihn auch
vorerst kränkte seine ehrgeizigen Kriegspläne aufzugeben, so
hat doch e r eigentlich erst die günstigen Bedingungen gegen-
über den griechischen Staaten recht auszubeuten und den-
selben eine Tragweite zu geben gewusst, die vielleicht der
geschmeidige Unterhändler selbst nicht geahnt hatte. Als Je-
mand tadelnd bemerkte die Lakoner seien persisch gesinnt
geworden, erwiderte Agesilaos in seiner kurzen Weise : nein,
sondern vielmehr die Perser ljakonisch.2 Und die-
sem Ausspruch gemäss hat er hinfort gehandelt und, was
zuerst ein Schlag für seine Politik sein mochte, bald zum
wirksamsten Mittel derselben gemacht. Hatten ihn einst die
grössern griechischen Staaten in seinen Unternehmungen gegen
Persien nicht nur nicht unterstützt, sondern sogar in seinem
Siegeslaufe unterbrochen, so mochten sie jetzt fühlen, was
Sparta, auf Persien gestützt, gegen sie vermochte. Und
nicht allein auf den persischen Despotismus im Osten stützte
es sich, in gleicher Weise war es im Westen mit dem mäch-
tigen Gewaltherrn von Syrakus, mit Dionys verbündet, der
über Sicilien und Italien Jammer und Elend verbreitete und
gegen jede freiere Regung seiner ehemaligen Mitbürger bei
Sparta Hülfe fand. Dieser wohlbegründeten Macht vermochte
kein griechischer Staat erfolgreich entgegen zu treten. Athen
stand isolirt zur Seite, ^j Sparta konnte die peloponnesischen
Städte dem Namen nach als autonome der That nach als un-
terworfene Bundesgenossen unter seinem Vorstände vereinigen
und für frühere Widerspenstigkeit züchtigen. Das grösste
Verbrechen war jetzt ihm die Heeresfolge verweigert, oder
1, Plut. Ages. 23.
■•2; Plut. 1. c. 3y Xenophon Hell. V, 3, 27.
18*
276 Epameixondas.
seinen Truppen die Thore verschlossen zu haben. Die feste
blühende Stadt Mantineia wurde in vier (oder fünf \ souve-
räne Flecken ohne Mauern zerlegt, Phlius nach heldenmü-
tigstem Widerstand gezwungen seine Verfassung im Interesse
Spartas und seiner Anhänger zu verändern, und spartanische
Besatzung aufzunehmen, die ganze IJundesgenossenschaft mili-
tärisch strenger als früher organisirt. Aber man beschränkte
sich nicht auf den Peloponnes. Ueber Mittel- und Nord-
griechenland reichte Spartas Arm hinaus, an der thraki-
schen Küste wurde der blühende Staatsverband, der in Olynth
seinen Mittelpunkt hatte 2 , zerstört und die einzelnen Städte
dann als souveräne Glieder in die spartanische Symmachie ein-
gereiht. Auch hier waren besonders begünstigte und thätige
Freunde der Beschützerin hellenischer Autonomie die Fürsten
Amyntas von Makedonien und Derdas von Elimiotis , denen
die olynthische Macht im "Wege stand und auch für die Zukunft
Gefahr drohen konnte. Ganz besonders schwer lastete der
Druck spartanischer Herrschaft auch auf Theben, das durch
bittere Beleidigung den unversöhnlichen Groll des Agesilaos
sich zugezogen hatte. Nach den Perserkriegen, so lange Athen
auf der Höhe seiner Macht stand, genoss Theben Spartas volle
Gunst. Gleiche Furcht vor Athen verband sie eng, und wie
es damals Spartas Interesse war, in Theben einen möglichst
starken Feind an die Seite von Athen zu setzen, so förderte
es nach Kaäften dessen Bestrebungen die boiotischen Städte
unter seiner Leitung zu vereinigen. Ueberliess es ihm doch
sogar nach der endlichen Uebergabe von Plataiai dessen Ge-
biet. Aber schon im Frieden des Xikias hatte Theben über
Hücksichtslosigkeit Spartas zu klagen, und als Athen nach der
Schlacht bei Aigospotamoi gedemüthigt und seine Macht ge-
brochen war, trat an die Stelle der frühern Freundschaft erst
Unzufriedenheit und Spannung, bald offene Feindschaft; denn
I) TEToof/T] Xen. Hell. V, 2, T. Mav-riveia iaev i'A -evte ot,u.(uv . . . s'jvw-
7.(a&7). Strabo \TLII, pg. 337 C. eU ti; äpyata; -evte y.wixa; Diod. XV, 5.
vgl. Curtius Peloponnes I S. 26S.
-] Das Verhältniss des OljTithischen Staates fasst Grote hist. of Greece
VII, 43 ff. ganz unrichtig auf. Er spricht immer von einer confederacy ,
confederute cities u. s. f. — Es war aber eine Sympolitie, eine city,
ein Staat geworden.
Epaiheixondas. 277
Sparta wollte die Früchte des Sieges für sich allein geniessen
und den früher unentbehrlichen IJundesgenossen in unterge-
ordnete Stellung hinabdrücken, die dieser sich gefallen zu lassen
keineswegs gewillt war. Das neue Verhältniss zeigte sich zu-
erst, als die Dreissig in Athen Tausende ihrer Mitbürger in
Flucht und Verbannung trieben. Gegen Spartas Verbot gab
Theben ihnen sichern Aufenthalt, und von Theben aus führte
Thrasybul den glücklichen Handstreich auf Phyle aus, wel-
cher der Anfang der Befreiung Athens ward, und als ein pe-
loponnesisches Heer gegen Athen ausnickte, weigerte Theben
sich sein Contingent dazustossen zu lassen. Denn dass xlthen
ganz unter spartanischer Herrschaft stehe, konnte dem Nach-
barstaate so wenig genehm sein, als es zu allzugrosser Macht
kommen zu lassen, w^as einstweilen nicht zu fürchten Avar.
Aber wo möglich noch offener trat der Riss hervor, als Age-
silaos im Jahre 397 sich zum Zuge gegen Asien anschickte
und von Geraistos auf Euboia nach Aulis fuhr, um dort, wie
einst Agamemnon, vor der Erobeiimg Trojas, der Artemis zu
opfern. Als er eben mit dem Opfer begonnen hatte, spreng-
ten . von den l^oiotarchen geschickt . boiotische Reiter heran,
verboten ihm das Opfer darzubringen , warfen die schon auf-
gelegten Opferstücke vom Altar und zwangen ihn unvemchte-
ter Sache sein Schiff zu besteigen, ein Schimpf, den der
tief beleidigte König nie vergessen hat. Aber das Alles war
gleichsam nur das Vorspiel zu dem was folgte. Denn im
nächsten Jahre veranlasste Theben voniämlich den Ausbruch
des sogenannten korinthischen Kriegs, bei dessen Eröffnung
gleich es den Lysandros im Treffen von Haliartos erschlug,
den König Pausanias zu schmählichem Abzug zwang und
Sparta nöthigte, den Agesilaos aus Asien zurückzurufen. Und
in der blutigen, nur halb entschiedenen Schlacht bei Koroneia
w-aren es wieder die Thebaner, welche dem Könige den Sieg
streitig machten und ihm selbst eine schwere Wunde bei-
brachten.
So begreift sich leicht, dass, als nach achtjähriger wech-
selnder Dauer der Krieg durch den Frieden des Antalkidas
beendigt wurde, Theben vor allen den Zorn Spartas zu fühlen
hatte, und wenn Agesilaos sein persönliches Rachegefühl über
Gebühr zu befriedigen trachtete, so konnte er anfangs gewiss
278 Epameixondas.
auf volle Zustimmimg der Mehrzahl seiner Landsleute rechnen. i)
Einer der leitenden Gedanken der Politik Spartas ist jetzt die
Demüthigung Thebens, yvie das sich gleich beim Abschluss des
Friedens zeigte, oder richtiger bei der Beitrittserklärung der
griechischen Staaten zu den vom Grosskönige dictirten Be-
dingungen. Als nämlich Theben als Vorort des boiotischen
Bundes den Frieden im Namen Boiotiens beschwören wollte,
erklärte Agesilaos, der durchaus unbeschränkt die Verhand-
lungen leitete, diese Eide nicht anzunehmen und schickte die
sich auf ihre Instruktionen berufenden thebanischen Gesandten
nach Hause, bessere zu holen oder Krieg zu gewärtigen. Und
wie ernst es ihm mit der Drohung war, zeigte er dadurch,
dass er schon mit einem Heer die Gränze überschritten hatte,
als die Thebanischen Gesandten zurückkamen, und sich füg-
ten. Alle boiotischen Städte Avurden autonom erklärt, das
heisst die bisherige Bundesverfassung wurde aufgelöst; Theben,
auf sein Stadtgebiet beschränkt , sollte nicht mehr sein als
jede andere Landstadt; das Amt der Boiotarchen hörte auf.
Aber auch damit begnügte man sich nicht. Plataiai, das einst
von den Peloponnesiern erobert und zerstört worden Avar, des-
sen ehemaliges Land seit 40 Jahren einen Theil des thebani-
schen Stadtgebietes ausmachte , wurde , ohne dass selbst der
AVortlaut des Friedens dafür einen Anhalt gab, wieder herge-
gestellt . dadurch ein ergebener spartanischer Vorposten ge-
wonnen und mit schlauer Berechnung ein fortwährender Ge-
genstand des Streites zwischen Theben und Athen geschaffen.
Besatzungen wurden in mehrere der boiotischen Städte gelegt
und endlich, als der zähe Charakter der Thebaner immer noch
widerstrebte , veniitherisch die Burg von Theben besetzt , die
Pegierung ausschliesslich in die Hände der philolakonischen
Partei gelegt; die Führer der Gegenpartei wurden hingerichtet
oder zur Flucht gezwungen. Denn mag auch wirklich, wie
man in Sparta behauptete und wir gerne glauben mögen,
Phoibidas zuerst auf seine Faust gehandelt haben, so nahm
doch die ßegieiiing durch die Art . wie sie die Früchte der
Frevelthat sich aneignete, die ganze Verantwortlichkeit auf sich.
' Grote history of Greece VII, 24 bezieht unrichtig schon hieher die
AA'arnung des Antalkidas. Plat. Ages. 26, die Plutarch ausdrücklich nach
der Befreiung ansetzt, cf. Plut. Lyc. 13 und Pelop. 15.
EPAMEIXO^'DAS. 279
Erklärte doch Agesilaos selbst. Avenn die That für Sparta vor-
tlieilhaft sei, so sei es alter Regieniiigsgrundsatz , dass es er-
laubt sei, dergleichen auf eigene Verantwortlichkeit zu unter-
nehmen. In nacktester AVeise wurde so der Vortheil Spartas
für das leitende Princip seiner Politik erklärt. — Als bald
darauf Olynth sich ihm ergeben musste, schien seine Macht in
ganz Griechenland unerschütterlich befestigt.
Natürlich dass selbst erklärte Anhänger Spartas in dem
jetzt gerade hereinbrechenden Sturze desselben die gerecht
waltende Hand der Götter erkannten. Die Nachricht von der
Befreiung Thebens durch die Verschworenen wirkte in Sparta
wie ein Donnerschlag aus heiterm Himmel. Ein Heereszug nach
Boiotien wurde sogleich beschlossen ; aber deutlich trat die all-
mähch trotz aller Erfolge entstandene Unzufriedenheit mit der Po-
litik des Agesilaos hervor, und der König lehnte unter Berufung
auf sein Alter den Befehl über das ausrückende Heer ab, weil der
Krieg zu unpopulär Avar.i Sein College, der erst kürzlich zur Re-
gierung gekommene Kleombrotos, musste die undankbare Auf-
gabe übernehmen. Aber schon hatte die Kadmeia capitulirt ; in
der strengen Winterzeit war an weitere Erfolge kaum zu denken.
Kleombrotos beschränkte sich auf eine blosse Demonstration
gegen Theben, die den boiotischen Städten zeigen sollte, dass
Sparta den Schutz ihrer Souveränetät nicht aufzugeben gedenke,
und Hess dann eine beträchtliche Heeresmacht unter dem Har-
mosten Sphodrias in Thespiai zurück. Die nächste Gefahr war
für den Augenblick an Theben vorüber gegangen; aber es
handelte sich nun darum, die wiedergewonnene Freiheit zu
wahren und zu sichern, und das war keine leichte Auf-
gabe, da Spartas Macht sonst noch überall unerschüttert fest
stand und seine Besatzungen in Boiotien fast bis an die Thore
Thebens reichten. Der Kampf der isolirten Stadt gegen die
unter Sparta vereinigte Macht von nahezu ganz Hellas musste
fast unmöglich erscheinen. Und wir haben in der That Ur-
sache anzunehmen, dass dieses Gefühl nicht nur im übrigen
Griechenland , sondern in Theben selbst das allgemeine war ;
Athen bestrafte auf die Beschwerden Spartas hin, von den
zwei Feldherrn, die ohne Auftrag der Regierung den thebani-
' Plut. Ages. 24 : ai;-/;j-,o;j.-:'-o; -:i . . . -/jÖ'.; ö'i&T.ri-ai ör.ßaioj; ■/.'j.7.!ä%,
T.'Awi 0 '. a T 0 'j : T 'j 0 a vv 0 j ; .
2S0 Epameinondas.
sehen Verbannten Hülfe geleistet hatten, den einen mit dem
Tode den andern mit A'erbannung. und Theben soll nach einer
nicht unzuverlässigen Nachricht Versöhnung mit Sparta gesucht
und Anerkennung der spartanischen Hegemonie mit Heeres-
folge angeboten haben. An den zu hochgespannten Forderun-
gen Spartas, das Wiederaufnahme der philolakonischen Flücht-
linge und Entfernung der Tyrannenmörder verlangte, scheiter-
ten die Unterhandlungen.
So war man auf die eigene Ki-aft und Einsicht gewiesen,
und ein günstiges Geschick hatte Theben in diesem Augen-
blicke Männer gegeben, welche der scliAveren Aufgabe gewach-
sen waren. Unter den Führern der Verschwörung hatten sich
Melon und Charon durch Kühnheit und ]jesonnenheit einen
rühmlichen Namen gemacht; aber alle wurden weit überragt
durch Pelopidas. Aus vornehmer Familie, mit Glücksgütern
reichlich gesegnet, stand er damals in der Blüthe der Jahre.
Von kräftigem Körper hatte er mit besonderer Vorliebe die
bei den Thebanern in hohem Ansehen stehenden gymnastischen
Uebungen gepflegt, in der Palästra und auf der Jagd brachte
er am liebsten seine Mussestunden zu ; von seinem Reichthum
machte er den edelsten Gebrauch, indem er ihn seinen Freun-
den zur freien Verfügung stellte, und dürftige Mitbürger un-
terstützte, Avährend er selber in Kleidung und Nahrung die
grösste Einfachheit beobachtete. Mit glühender Freiheitsliebe
und allen Tugenden des Bürgers verband er ebensowohl die
in einer griechischen Demokratie, wohl selbst der thebanischen,
dem Staatsmanne unerlässliche Gewandtheit der Rede als die
Eigenschaften des Kriegers und Feldherrn ; nur dass sein stür-
mischer Muth ihn Avohl die dem Heerführer zukommende "S'or-
sicht ausser Augen setzen liess, und er melu- zur kühnen,
raschen That als zur berechneten überlegten Leitung eines
Feldzuges geschickt war, wie denn überhaupt eine gewisse
Leidenschaftlichkeit, die aber nie in Härte und Grausamkeit
ausartete, das heisse aiolische Blut nicht verläugnete. Alle
diese Eigenschaften, die in Pelopidas uns den Typus des The-
baners im besten Sinne erkennen lassen, mit dem Ruhme ver-
bunden, die eigentliche Seele der Befreiung gewesen zu sein,
machten ihn zum populärsten Manne in seiner Vaterstadt, den
bis an sein Lebensende die Volksgunst nie verliess , dessen
Epamelxondas . 2 S l
Ted von Bürgern und Bundesgenossen als der sch^verste Schlag
betrauert wurde. Aber der schönste und für Thebens Wohl-
fahrt wohlthätigste Zug seines Charakters, ist die unveränderliche
Treue und Xeidlosigkeit. mit der er sein Lebenlang sich dem
grössern, aber -weit Aveniger populären Freunde Epameinondas
anschloss und freudig unterordnete.
Dieser hatte sich an der Verschwörung nicht unmittelbar
betheiligt und war überhaupt bis dahin, ob^vohl schon ungefähr
vierzig Jahre alt, nirgend hervorgetreten, eine so merkwürdige
Erscheinung, dass sie uns dringend auffordert zu forschen, wie
er sich denn zvi der spätem grossen Laufljalui befähigt hatte.
Sein Geschlecht gehörte zu dem alten Adel, jener aus den
von Kadmos gesäeten Drachenzähnen entsprossenen Sparten,
und es ist wohl nicht zufällig, dass die beiden in verschiede-
nen Eichtungen grössten Geister, die Theben hervorgebracht
hat nicht zum boiotisch-aiolischen Stamme zählten , sondern
aus jener altem phönikischen oder Aaelleicht ionischen Bevöl-
kerung hervorgegangen sind. Denn auch Pindar stammte, als
Aigide, von den alten Kadmeionen. Obwohl des Epameinondas
Vater Polymnis wenig Vermögen besass. erhielt der Sohn doch
eine vortreffliche Erziehung. Von den vorzüglichsten Lehrern
wurde er nach Landesübung in Musik und Tanz unterrichtet
und lernte ebensowohl die Flöte, die in Boiotien in grossem
Ansehen stand ^j , spielen, als die Laute schlagen und mit Ge-
sang begleiten, und dass er die Leibesübungen nicht vernach-
lässigte verstünde sich bei einem Thebaner von selbst, wenn
es uns auch nicht ausdrücklich berichtet würde; nur unter-
schied er sich dadurch von den meisten seiner Landsleute,
dass er mehr auf Gewandtheit imd Schnelligkeit, als auf blosse
Leibeskraft hielt und die athletische Wohlgenährtheit als zum
Kriege unbrauchbar verwarf ^ . Neben diesen Gegenständen
der Jugendbildung, die kein freier Bürger von edelm Ge-
schlechte zu vernachlässigen pflegte , widmete sich eben Epa-
meinondas ganz besonders der Philosophie. Auch Theben,
obwohl sonst das sinnlich körperliche Leben über das geistige das
^ Athenaeus IV, pg. 1S4 e. 'Aotsro^svo; 0£ v.'xi 'EraiAivcuvoa-^ tc,v
9T,|iatov a'j/.Eiv [j-aöetv -apd 'OX'jfxrtootuow y.al 'OpSaYOoa. cfr. Com. Nepos
Epamin. II, 1.
-) Corn. Nep. Epam. II, 4, 5.
252 Epamei>-oxdas.
Uebergewicht hatte, blieb von der Bewegung, die sich der
Geister damals bemächtigte, nicht unberührt. Der Pythagoreer
Philolaos hielt etwa gegen Ende des fünften Jahrhunderts sich
längere Zeit dort auf und sammelte eine Anzahl von streben-
den Männern und Jünglingen um sich, und nach Beendigung
des peloponnesischen Krieges traten einzelne Männer dieses
philosophischen Kreises mit Sokrates und seinen Freunden in
Athen in Verbindung, wie wir ja in Piatons Phaidon den Kebes
und Simmias bei Sokrates Tod als Haupttheilnehmer an der
Tnterredung finden. Auch nach Philolaos fand die Pythago-
reische Schule in Theben einen würdigen A'ertreter an dem
Lvsis aus Tarent \ , der wie jener sich aus Italien hieher zu-
rückgezogen und im Hause des PohTnnis eine gastliche Stätte
gefunden hatte, wo er bis an sein Lebensende weilte. Dem
ernsten greisen Denker schloss sich der jugendliche Sohn des
Gastfreundes mit einer kmdlichen Verehrung an, ein "S'erhält-
niss, das bis zu dem kurz vor Thebens Befreiung erfolgten
Tode des Lysis fortdauerte. Während andere Altersgenossen
sich den Köi-p erÜbungen und den Vergnügungen hingaben,
lauschte Epameinondas in den Mussestunden mit ernstester
Hingebung den Gesprächen des Lehrers und betheiUgte sich an
den Unterredungen des philosophischen Kreises. Die Pytha-
goreische Schule hat bekanntlich von Anfang an eine eigen-
thümlich mystisch-religiöse Tendenz verfolgt, sie hat zugleich,
neben der reinen Spekulation, der Ethik einen bedeutenden
Raum gegeben und mehr als eme andere philosophische Rich-
tung die Lehre mit dem Leben in Verbinduns^ 2:ebracht, ihre
Ideale im äussern Leben, im Staate zu verwirklichen gesucht.
Sie Avar ihren Anhängern eine das ganze Leben durch-
dringende Religion. "Waren auch ihre praktischen Ver-
suche in Italien blutig unterdrückt worden, so behielt sie doch
auch später im Ganzen denselben Charakter, Avie denn der
Zeitgenosse des Epameinondas Archytas. einer der ausgezeich-
netsten Pythagoreer, lange Zeit die Geschicke seiner Vater-
stadt Tarent lenkte. In Theben musste die Berührnng mit
den Sokratikern zugleich eine wohlthätige Erweiterung des
1; Müller F. H. G. II, S. 275. III, S. 5. Cicero de orat. III, 34, 139.
de offic. I, 44, 15.5. Cornel. Nep. Epam. II, 2. Diodor X, 11, 2.
Epameixondas. 283
Gesichtskreises, eine lebendige dialektische Entwicklung her-
beiführen. Die Eindrücke nun einer solchen von einer ver-
ehrten Persönlichkeit getragenen Philosophie nahm Epamei-
nondas früh mit der Innigkeit eines tiefen Gemüthes und
zugleich mit der Schärfe eines klaren Verstandes in sich auf.
Die strenge Ethik der Schule eignete er sich im vollsten Um-
fange an, stellte in seinem ganzen Leben das reinste Bild an-
tiker Sittlichkeit dar. Sein Privatleben war so makellos, dass
selbst die geschäftige Klatscherei der zahlreichen Memoiren-
schreiber, die sonst kaum einen hervorragenden Mann unan-
getastet Hess, ihm nichts von einigem Belang nachzureden
wusste ly ; nicht allein enthielt er sich in strenger Selbstbe-
herrschung von Jugend auf aller Lüste und Ausschweifungen,
sondern nahm auch an erlaubten Genüssen und Vergnügungen
keinen Theil : in Kleidung und Nahrung befliss er sich einer
Einfachheit, die fast an Bedürfnisslosigkeit gränzte ; und weit
entfernt, in der Dürftigkeit seiner Familie ein Uebel zu sehen,
wusste er Aielmehr durch sein Beispiel den reichen Pelopidas
zu gleicher Einfachheit nachzuziehen, und über die Leiden-
schaft, der so viele sonst treffliche Männer Griechenlands er-
lagen, die Habsucht, war er vollständig erhaben. Den Staats-
dienst hat er nie, auch auf erlaubtem AVege, zum Mittel der
Bereicherung benutzt, Geschenke selbst von den vertrautesten
Freunden nie angenommen, geschweige denn von Machthabern
oder sonstigen Fremden, mochten sie auch unter den zartesten
Formen angeboten werden; doch scheute er sich nicht zur
würdigen Bestreitung einer mit einem öffentlichen Amt ver-
bundenen Leistung, einer sogenannten Leiturgie, die Aushülfe
1; Wegen seiner Massigkeit wird Epameinondas zusammengestellt mit
Aristeides, Phokion und Phomiion. Athen. X, pg. 419 a. — Dagegen
führt Athenaeus (XIII, pg. 590 c.) , nachdem verschiedene Beispiele von
Begünstigung von Frauen vorangegangen sind, das Zeugniss des Klearchos
von Soloi über Epameinondas an. 'E-'/iJuviuvoa; 6 0T,i3aro; asii-votEfiov [/.ev
ftsiopoiT] T« zpayÖEvTa a-j-tü Ttepl ttjV Adv-tuvo; -p-til-Aa. Hängt das mit der
in den Apophtliegmata und sonst überlieferten Erzählung zusammen, dass
er ein Gesuch, -welches er den Peloponnesiern abgeschlagen, der Geliebten
gewährt habe? Sein ^ptt)|i.£vo; Asopichos erwähnt bei Athen. XIII, p. 605 a
nach Theopomp ; Kaphisodoros Plut. Amator. XVII Mor. pg. 930 Dübner.
Es waren Verhältnisse d^T Waffenbrüderschaft.
284 Epameixoxdas.
seines Freundes Pelopidas in Anspruch zu nehmen. Seine
"Wahrhaftigkeil ging so weit, dass er selbst im Scherze sich
nie ein unwahres Wort erlaubte. Wenn er nun aber so gegen
sich selber eine an das Asketische gränzende Strenge übte, so
war er doch gegen andere milde und bescheiden, gegen Feinde
im Widerspruche mit der älteren griechischen Volksmoral mög-
lichst schonend und zum Vergessen erlittenen Unrechts ge-
neigt ; im Umgange nichts Aveniger als pedantisch . vielmehr
gewandt und fähig sich nicht allein Achtung sondern auch
Liebe und Anhänghchkeit zu gewinnen, und selbst von Humor,
wie er zum Beispiel einst einen allzviwohlbeleibten Krieger mit
der Bemerkung wegschickte, selbst drei Schilde würden seinen
Bauch nicht decken können.
Aber die Sittlichkeit im gewöhnlichen engern Sinne des
Wortes war nicht der einzige Gewinn, den er aus seinen philo-
sophischen Bestrebungen zog. Die ernste methodische Be-
schäftigung mit den wichtigsten Problemen des Lebens wii-kte
in weiterem Umfange auf die Ausbildung seines Geistes und
Charakters. Es wird von Epameinondas gerühmt, dass er von
einer philosophischen Untersuchung nie abgestanden hat, bis
sie zu Ende geführt worden , was w'ie seine strenge Sittlichkeit
und Wahrheitshebe an Sokrates erinnert und nicht weniger zur
Schärfung seines Verstandes als ziu: Befestigung seines Cha-
rakters beitragen musste , und ihn gewöhnte , auch im prakti-
schen Leben keine Anstrengung zu scheuen, bevor das einmal
gesteckte Ziel erreicht war. Zugleich verschaffte ihm die dia-
lektische Methode , die damals unzweifelhaft auch in den Py-
thagoreismus eingedningen Avar, die ihm stets zu Gebote
stehende Fertigkeit in schlagenden Repliken und überhaupt die
für einen Thebaner ungewöhnliche Beredsamkeit, durch die er
sich später auszeichnete. Doch Avird berichtet, dass er im
Ganzen Avenig sprach und mehr aufmerksam zu hören . als
selbst zu reden pflegte. Der Tarentiner Spintharos, der eine
Zeit lang mit zu dem thebanisch-pythagoreischen Freundes-
kreise gehörte, pflegte zu sagen, er habe nie einen Menschen
gesehen, der mehr Avisse und Aveniger spreche als Epameinon-
das. Ueberhaupt dürfen wir ihn uns scliAverlich als einen
Redner nach attischer Art denken. — Endlich aber schöpfte
er aus seiner Philosophie jenen tiefen sittlich-religiösen Halt,
Epamein oNDAs. 285
der ihn in den verschiedensten Lagen des Lebens fest und
uiierschütterlich erhielt, und ihn ebensowohl über den gemei-
nen Aberglauben der Zeit erhob, als vor der bodenlosen Ne-
gation der Sophistik und der frivolen Lebensauffassung und
dem crassen Egoismus vieler Zeitgenossen schützte. Durch
tugendhaftes Leben sich innere Befriedigung zu verschaffen,
war sein höchstes Bestreben. Darum legte er geringen Werth
auf äussere Anerkennung und Auszeichnung und hielt wenig
auf die Gunst des Volkes. Aber trotzdem hat ihn seine philo-
sophisch-asketische Richtung nie gehindert, seine Bürgerpflicht
im vollsten Masse zu erfüllen. Er war ferne von der in der
platonischen Schule bemerkbaren Ueberhebung über die un-
philosophische Menge und hielt sich nicht für zu gut, dem
Staate, wie er einmal Avar, seine Dienste zu widmen, ohne
eine radicale Reform nach idealischen Principien zu fordern.
Mit der gleichen Hingebung und unerschütterlichen Treue hat
er dem Vaterland in hoher und niedriger Stellung gedient.
Bald nachdem er bei Leuktra gesiegt und Sparta im Pelopon-
nes gedemüthigt , machte er mit gleichem Pflichteifer als ge-
meiner Soldat einen Feldzug gegen Thessalien unter unfähigen
Feldherrn mit, und in der Zeit seines höchsten Ruhmes ver-
sah er das ihm zum Hohne übertragene Amt eines Cloaken-
inspectors mit solchem Ernste , dass es von da an aus einem
verachteten zu einem gesuchten Ehrenamte soll geworden sein.^)
— Wenigen Staatsmännern und Feldherrn aller Zeiten, weni-
gen grossen Männern überhaupt war der persönliche Ehrgeiz
so fremd wie Epameinondas , seine einzige Ambition war das
Vaterland frei und gross zu sehen.
Daher dürfen wir uns nicht wundern, dass er bis in das
reife Mannesalter nie genannt Avird, und niemals ein eigentlich
populärer Mann wurde.
Der korinthische Krieg, der in die Zeit seiner Jugend vom
20. bis 30. Jahr fiel, mochte ihm Gelegenheit geben sich in
'j So wenigstens wird uns berichtet iPlut. praec. ger. reip. XV Moral,
pg. 990 Dübner.) Doch gestehe ich, einige Zweifel gegen die Erzählung zu
haben. Die griechischen Städte haben in Folge der Lage und Beschaffenheit
ihres Landes eine solche AVichtigkeit auf Wasserleitungen und Abzugscanäle
gelegt, dass die Aufsicht darüber schwerlich je für etwas verächtliches galt.
286 Epamelxondas.
der Kriegskunst auszubilden ; aber wir erfahren nicht einmal,
ob er an einer der bedeutendem Schlachten Theil genommen hat
und wir wissen nicht, ob es in dieser Zeit oder später war. wo
der ältere thebanische Feldherr Pammenes ihn zu seinem grösse-
ren Schüler soll gebildet haben. Wichtiger wurde ein späterer
Feldzug, weil er das innige Verhältniss zu Felopidas begrün-
dete. Als nämlich nach dem antalkidischen Frieden König
Agesipolis von S})arta an der Spitze eines Bundesheeres Man-
tineia angriff und belagerte, soll in einem Gefechte der Flügel,
aiif dem die Thebaner standen, geworfen worden sein. Von
sieben Wunden getroffen stürzte Felopidas nieder und mit
äusserster Anstrengung vertheidigte Epameinondas den todt-
geglaubten Gefährten, selbst schon in die Brust und in den
Arm verwundet, bis vom andern Flügel der König zu Hülfe
kam und den Feind zurückwarf. Die schon vorher bestehende
auf gleicher Gesinnung beruhende Freundschaft wurde dadurch
für das Leben befestigt ^ .
Sonst lebte Epameinondas still und zurückgezogen fort,
nur von den engern Freunden geschätzt und gewürdigt. Als
die oligarchische Faction mit Hülfe des Phoibidas sich der
E.egierung bemächtigte und die durch ihre antilakonische Ge-
sinnung bekannten tmd durch ihre Stellung den Machthabern
gefährlich erscheinenden Männer in Athen eine Zufluchtstätte
suchen mussten, blieb er unangefochten in Theben. Man
glaubte, Avegen seiner philosophischen Studien sei er für Staats-
geschäfte untauglich, wegen seiner Armuth ohne Einfluss, und
selbst unter den Freunden ahnten wohl wenige noch, was in
ij Grote bist, of Greece MI, S. 1Ü5 A. 2 bezweifelt, dass das Gefecht,
in dem Felopidas von Epameinondas gerettet wurde, bei der Belagerung
von Mantineia durch Agesipolis stattgefunden habe; denn 1; habe damals
Theben mit Sparta schlecht gestanden und keine Truppen geschickt.
2 scheine nach Xenophon keine Schlacht stattgefunden zu haben. Aber
ersteres ist gar nicht bewiesen , und in Bezug auf 2; konnten doch wohl
kleine Gefechte stattfinden, indem die Mantineer gewiss die Belagerungs-
arbeit zu stören suchten. — Freilich konnte auch das Gefecht, wo der
Vorfall stattfand, vor dem Antalkidasfrieden statt haben. — Für Grote
spricht allerdings der Umstand, dass es für die Boiotier förmlich verboten
war gegen Olynth zu ziehen Xen. Hell. V, 2, 27, obwohl sie dem Heere
den Durchzug durch ihr Land nicht verweigern konnten.
Epameixondas. 287
ihm verborgen lag ; manche meinten vielmehr , es fehle ihm
an Muth und Entschlossenheit, als er sich an dem Plan zur
Ermordung der Oligarchie nicht betheiligen wollte. Denn er
hielt es gegen die allgemeine griechische Ansicht für uner-
laubt, Mitbürger, selbst wenn sie sich solcher Gewaltthaten
schuldig gemacht hatten, wie Archias und Leontiades, ohne
richterlichen Spruch zu tödten , und fürchtete überdies . Avenn
einmal das Morden begonnen , würde es schwer sein ihm ein
ein Ziel zu setzen. Er wusste, dass unter den Demokraten
büse Elemente waren, welche die einmal gebotene Gelegen-
heit benutzen würden , um persönliche Kachegelüste zu be-
friedigen.
Gleichgültig gegen die Lage der "\'aterstadt war er darum
aber nie gewesen. Längst hatte er die thebanische Jugend
angefeuert, sich in den Gymnasien mit den Spartanern zu
messen, und auf die Schmach hingewiesen, von Leuten sich
knechten zu lassen, denen sie in Körperübungen überlegen sei.
Und als nun die Tyrannen gefallen Avaren und es sich darum
handelte, die Kadmeia zu nehmen, da erschien er mit Gorgi-
das, der schon früher die Stelle eines Eeiterobersten versehen
hatte, an der Spitze einer rasch gesammelten bewaffneten
Schaar; die beiden, Gorgidas und Epameinondas , führten
die IJefreier bekränzt in die Volksversammlung ein.
Nachdem nun die Stadt glücklich befreit und die ersten
Angriffe Spartas abgcAviesen Avaren, kam es darauf an, die Er-
nmgenschaften zu Avahren. Da Sparta selbst sehr gemässigte
Friedensanträge verAvarf, Avar Theben auf sein gutes Recht und
sein SchAvert gcAA-iesen. und manche Bürger mochten mit Ban-
gen der Zukunft entgegensehen. Der Gang des Kampfes
zeigte aber bald, dass Sparta es mit einem eben so entschlos-
senen , als klar und consequent seine ZAvecke A'erfolgenden
Feinde zu thun habe. Sollte der Widerstand auf die Dauer
möglich sein, so musste vor Allem Theben aus seiner Isolirung
heraustreten, und zwar nach zwei Seiten; einmal gegenüber
der eigenen Landschaft, Boiotien und dessen einzelnen Städten,
sodann aber auch im Yerhältniss zu den übrigen griechischen
Staaten. In letzterer Beziehung AAiirde Theben unerAvartet
durch das Geschick und die übermüthige Verblendung Spar-
tas begünstigt. Es ist bekannt Avie der spartanische Befehls-
28 S Epameinondas.
haber in Thespiai, Sphodrias . den mchlosen Versuch machte,
mitten im Frieden mit Athen , durch nächtlichen Ueberfall
dessen Hafenstadt, den Peiraieus, zu besetzen. Er mochte
denken, so gut als einst Phoibidas zu einem solchen Hand-
streich berechtigt zu sein und nach der Theorie des Agesilaos
Verzeihung und Ruhm zu erlangen, wenn er etwas für Sparta
)) Nützliches « gethan habe. Aber diesmal kam zu der Ruch-
losigkeit auch noch die Ungeschicklichkeit. Der Schlag miss-
lang in Folge schlechter Berechnung. Athen, tief gekränkt,
verlangte in Sparta Genugthuung und erhielt sie nicht.
Agesilaos wusste auch jetzt Auskunftsmittel, Sphodrias war ein
wackerer Soldat, und solcher Leute, hiess es, bedürfe Sparta.
Er wurde freigesprochen ' ; . Aber diesmal war der Schaden
für Sparta doch gleich von Anfang grösser, als der Nutzen.
Athen betrachtete die Antwort als eine Kriegserklärung, schloss
unverzüglich ein Bündniss mit Theben, rüstete mit aller Macht
zu Schutz und Trutz und schritt zur Erneuening seiner ein-
stigen Hegemonie zur See, niu* dass jetzt vollkommene Auto-
nomie und Gleichberechtigung aller Mitglieder die Grundlage
des Bundes Avurde. Bald standen ihm alle bedeutenderen See-
staaten verbündet zur Seite und daneben auch die Thebaner,
die selbst zu den Gliedern des Bundes zählten.
Aber gleichzeitig Avar Theben bemüht, seine Stellung in
Boiotien zu ändern. Wir haben erwähnt. Avie durch den Frie-
den des Antalkidas der boiotische Bund, dessen Vorort Theben
geAvesen Avar, aufgelöst land die einzelnen Städte unter dem
Titel der Souveränetät zu Bundesgenossen Spartas gemacht
Avorden Avaren. Diese atomistische Zerbröckelung musste aufge-
hoben Averden, und die erste Handlung des befreiten Thebens
zeigte, dass die Lenker der BcAvegung sich klar bcAA-usst waren,
AA-ie die Freiheit nur durch die Einigung Boiotiens bestehen
könne. An die Stelle der Polemarchen, die in dem isolirten
Theben die höchsten Beamten geAvesen Avaren, hatte man am
ersten Morgen Boiotarchen ernannt, aber Boiotien, das
1) Grote hist. of Greece VII, S. 80 lässt die Parteilichkeit für Athen
doch gar zu stark hervortreten in der Vergleichung A'on Sphodrias Process
und dem der athenischen Feldherrn, die den Thebanischen Verbannten
ohne Instruction Hülfe geleistet hatten.
Epameixoxdas. 289
sie regieren sollten, mnsste erst den Spartanern wieder abge-
nommen Averden, darauf gingen die nächsten Anstrengungen.
Aber man blieb jetzt nicht dabei stehen , eine ziemlich lose
Bundesverfassung, wie sie ehedem bestanden hatte, hinzustel-
len. Schon vor dem Frieden des Antalkidas hatte sich in
vielen griechischen Landschaften ein höchst bemerkenswerther
Zug zur engeren Verbindiuig, zur Centralisation gezeigt; die-
selbe Erscheinung tritt uns jetzt in Boiotien entgegen. Theben
sucht alle Boiotier zu Bürgern Thebens zu machen, oder mit
andern Worten ganz Boiotien zu einem einzigen demokrati-
schen Staate zu vereinigen, mit Theben als Sitz der Regieruncr.
Die übrigen Städte kamen dadurch in das Verhältniss von
blossen Gemeinden , ohne dass darum die einzelnen Bürger
weniger politische Rechte besassen als die geborenen Thebaner.
Die »Boiotier in T hebe na werden die Bürger des neuen
Staates in einer Urkunde treffend genannt i;. Es war in der
Hauptsache das gleiche A'erhältniss, das seit Jahrhunderten in
Attika bestand. Doch dürfen wir uns nicht Avundern, dass die
Durchführung des Planes auf vielfachen hartnäckigen Wider-
stand in mehreren Städten stiess. Es kam die bisher mehr
oder weniger souveränen Orte hier wie überall in ähnlichen
Fällen schwer an, ihre Selbstherrlichkeit aufzugeben und in
ein grösseres Ganzes als blosse Theile einzutreten, um so mehr
als der Hauptstadt ein unverhältnissmässiger Einfluss , wenn
auch nicht rechtlich, doch faktisch zu Theil Avurde. Denn der
griechische Staatsbegriff hat sich im Gnmde nie über
den der Stadt erhoben; die Staatsverfassung blieb auch bei
ganzen Landschaften Avesentlich eine Stadt Verfassung; in
den häufigen ^Volksversammlungen stimmten aber die AnAvesen-
den, der Natur der Sache nach also hauptsächlich die BcavoIi-
ner des Ortes wo sie stattfanden; die unmittelbare Betheiligung
an der höchsten GcAvalt, in der allein dem Griechen die poli-
tische Freiheit bestand, Avar den entferntem Orten sehr er-
scliAvert; sie fühlten sich also von Theben aus regiert. Dazu
kam noch ein zAveites. Li mehreren Städten, besonders The-
spiai und Orchomenos, herrschte strenge Oligarchie. Die neu-
1) Aeschines in Ctesiph. §. 142.
Vis eher, Schriften I. jg
290 Epameinondas.
eingeführte thebanisch-hoiotische Verfassung Avar aber eine
demokratische ; durch den Eintritt in den thebanischen Staats-
verband verloren daher die bisher regierenden Geschlechter
vollständig ihre Macht, daher die Zähigkeit, mit der Jahre lang
mehrere Städte an Sparta halten \. —
Um diese Stellung Thebens , um die politische Freiheit
Boiotiens dreht sich im Ganzen der Kampf mit Sparta in den
ersten acht Jahren nach der Befreiung. Es kann nicht meine
Absicht sein, ihn im Einzelnen darzustellen so wenig als
zu erzählen, wie gleichzeitig Athen durch glückliche Führung
des Seekrieges wieder die erste Stellung als Seemacht in Grie-
chenland errang. Nur soAiel sei gesagt, dass in wiederholten
Feldzügen Agesilaos so wenig als Kleombrotos etwas Wesent-
liches gegen Theben ausrichteten, dieses vielmehr immer mehr
Boden gewann, durch den Sieg des Pelopidas bei Tegyrai den
Ruf von Spartas Unbesiegbarkeit erschütterte und mit Ausnahme
von Orchomenos ganz Boiotien vereinigte. In den langen
Kämpfen war die immer kriegerische Bevölkerung trefflich or-
ganisirt , geübt und mit einem früher vinbekannten Selbstver-
trauen erfüllt worden, so dass Antalkidas dem Agesilaos vor-
werfen konnte, er lehre die Thebaner wider ihren Willen den
Krieg. Auch Epameinondas hat ihn gelernt. In diesem Zeit-
räume wird er aber in den uns erhaltenen dürftigen Quellen
kaum genannt. Pelopidas, Jahr aus Jahr ein zu den höchsten
Aemtern berufen, ist der gefeiertste Name, neben ihm gewan-
nen als tüchtige l)efehlshaber besonders Gorgidas und Pam-
menes Kuhm. welchen beiden in erster Linie die Organisation
der sogenannten heiligen Schaar verdankt ward. Aber trotz-
dem dürfen Avir nicht anstehen, dem Epameinondes einen
grossen Antheil an dem glücklichen Gange der Dinge zuzu-
schreiben. Seine enge Befreundung mit Pelopidas würde schon
1) Grote bist, of Greece VII, S. 25 versteht offenbar das Verhältniss
von Thespiai und Orchomenos zu Theben nicht recht, da er nur bemerkt :
yet Orchomenos and Thespiae, over wJiom the presidency of Thehes appears
to have bee?i harshly exercised , teere adverse to her, and favourable to
Spartiun alliance. — Aber in Orchomenos und Thespiai bestanden eben
mächtige Oligarchien, denen auch eine milde geübte Centralisirung mit
Demokratie nie behagen konnte.
Epameinondas. 291
darauf schliessen lassen, dass er nicht ohne Einfluss gebUeben,
noch deutlicher erkennen Avir es daraus , dass er am Ende
dieses Zeitraumes sowohl in den politischen Unterhandlungen,
als in der Leitung der Kriegsorganisationen entschieden den
ersten Platz einnimmt. Man wird also schwerlich irren, wenn
man ihn schon seit der 13efreiung als den wahren geistigen
Leiter von Thebens Politik ansieht, der freilich anspruchslos
zurückstand und auch wohl oft genug mit seinen milden Rath-
schlägen kein Gehör fand. Ganz besonders möchte ich ihm
die entschiedene Handhabung der politischen Einheit IJoio-
tiens zuschreiben, die er später mit aller Energie in Sparta
vertrat.
Indessen trat noch einmal grosse Gefahr für Theben ein.
Einer mächtigen Partei in Athen war dessen Wachsthum zu-
wider; sie lebte in dem Gedanken, dass Sparta die Hegemonie
zu Lande, Athen die zur See von Hechts wegen gehöre. Um
Spartas Uebermacht in diese Schranken zurückzuweisen, hatte
sie Thebens Jjefreiung nicht ungern gesehen; da das Ziel er-
reicht war, wollte sie eine weitere Vergrösserung des immer
halb gefürchteten, halb verachteten Nachbarstaates nicht.
Sie wollte sie um so weniger, als Thebens hartes Verfahren
gegen Plataiai, dessen BeAvohner vertrieben wurden , alte An-
tipathien weckte und Besorgnisse erregte. Die schweren
Lasten des Seekrieges kamen dazu und machten, dass Athen
zum Frieden neigte. Ein Separatfriede zwar, den Athen
und Sparta 374 abschlössen, wurde, ehe er zur Ausführung
kam. wieder gebrochen. Aber 371 kam auf Athens Betrieb
ein Congress fast aller griechischen Staaten in Sparta zusam-
men , und einigte sich nach lebhafter Verhandlung zu einem
Frieden , der auf den Bedingimgen des Antalkidischen fiisste,
aber von diesem doch wesentlich dadurch sich unterschied,
dass er Sparta nicht zum Garanten des Friedens machte und
keine Verpflichtung für die Theilnehmer einschloss, gegen
Widerspenstige Heeresfolge zu leisten; die Autonomie sollte
diesmal eine wahre sein. Auch Theben, dessen Gesandtschaft
den Epameinondes an der Spitze hatte, erklärte sich dafür,
aber beim Unterschreiben des Vertrags erhoben sich Anstände.
Epameinondas verlangte , dass die Unterschrift der Thebaner
für ganz Boiotien gelte. Agesilaos dagegen forderte, dass die
19*
292 EPAMErN'ONDAS.
boiotisclien Städte einzeln ihren Beitritt erklären, das heisst,
dass sie als einzelne autonome Staaten dem Frieden beitreten
sollten, ein Begehren, das um so anmasslicher und unbegrün-
deter erscheint, als die Spartaner selbst sogar im Namen ihrer
autonomen Bundesgenossen unterschrieben hatten. Aber Epa-
meinondas blieb fest und warf das kühne Wort hin , dass er
erst dann die einzelnen Städte unterschreiben lassen würde,
Avenn dies auch von Seite der spartanischen Periökenstädte
geschähe. Agesilaos dagegen erklärte, wenn'Theben sich nicht
füge, so sei es vom Frieden ausgeschlossen, und Epameinondas
nahm diese Herausfordenmg zum neuen Kampfe an und ver-
liess mit den übrigen Gesandten Sparta. Niedergeschlagen,
sagt der philolakonische Xenophon , gingen sie heim ^1 . Und
eine gewisse Wahrheit mag darin liegen; denn auch Theben
hatte durch den langen verheerenden Krieg viel gelitten und
gehofft durch ehrenvollen Frieden seine Freiheit und die neue
Gestaltung Boiotiens gesichert zu sehen. Jetzt war unerwar-
tet wieder Alles in Frage gestellt und bei seinen früheren
Bundesgenossen hatte es keine Unterstützung in seiner billigen
F^ordening gefunden, vielmehr stellten sie sich offenbar eher
auf Spartas Seite und zeigten Schadenfreude gegen Theben.
Agesilaos triumphirte. er hatte durch geschicktes diplomatisches
Manoeuvre Boiotien isolirt und hoffte endlich seine Rache zu
sättigen.
Ein banges Gefühl gegenüber der grossen Gefahr mag
also immerhin bei den thebanischen Gesandten sich geregt
haben, -n-ie es dem Besonnenen, der die AVechselfälle des Krie-
ges erwägt, wohl ziemt. Aber muthlos Avaren sie nicht, wären
sie das gewesen, so stand immer noch in ilirer Hand der For-
derung des Agesilaos sich zu fügen. Es geschah nicht. Epa-
meinondas, der jetzt als die eigentliche Seele der thebanischen
Politik auch äusserlich erscheint, hatte mit dem klarsten Be-
AA^TSstsein, um was es sich handle, auf Thebens Recht bestan-
den, mit gleich besonnener Ruhe leitete er jetzt die Anstalten
zur Vertheidigung, während Sparta, von Agesilaos Rachegefülil
mit hingerissen, sich blindlings ins Verderben stürzte.
'■ Xenophon. Hell. VI, 3, 20 : aütol oe oi Qr^^atoi zav-EXw; d%-ju.wi
Epameixoxdas. 293
Der spartiuiische König hatte Theben isoUrt; dem An-
schein nach war der Zustand wiedergekehrt . der beim Ab-
schkiss des Antalkidischen Friedens bestanden hatte, oder nach
der Befreiung der Stadt, vor dem Bund mit Athen. Aber in
der That war doch ein grosser Unterschied da. Theben gebot
über die Kräfte von fast ganz Boiotien ; eine lakonische Partei
gab es ausser in Orchomenos und Thespiai nicht mehr, ein
trefFHch organisirtes , wenn auch nicht sehr zahheiches Heer
stand unter den AYaifen in Folge der glücklichen Kämpfe mit
Selbstgefühl erfüllt, unter tüchtigen Befehlshabern , und an
der Spitze em Mann, der allgemeines Vertrauen genoss, dessen
Genie aber erst jetzt im vollen Glänze hervortrat.
Sparta beeilte sich, die gehofften Früchte seines diploma-
tischen Meisterstreiches zu ernten. Die besonnenen Rath-
schläge eines von dem allgemeinen Schwindel freigebliebenen
Mannes Prothoos , der gewissenhafte Erfüllung der Friedens-
bedingungen und Entlassung der Truppen wollte , wurden als
beschränkte Thorheit verspottet:') der mit einem Heere noch
in Phokis stehende König Kleombrotos erhielt Befehl unver-
züglich nach Boiotien zu rücken und. wenn Theben die Städte
nicht aus seinem Staatsverbande entlasse, anzugreifen. Ein
eigenes "Verhängniss berief den König zum Vollstrecker der
spartanischen Politik, der mit derselben wenig einverstanden
war, während auf der andern Seite der politische Führer auch
mit dem Schwerte für die im ßathe verfochtenen Principien
einstand. Doch hat Kleombrotos seine Pflicht als braver Soldat
vollständig gethan . und mehr als das , er hat durch semen
Angrifl'splan sich als tüchtigen, einsichtigen Feldherrn gezeigt.
Während der gewöhnliche Weg ihn aus Phokis durch das
Kephissosthal und zwischen Helikon und der Kopais Limne nach
Boiotien geführt hätte, wo mehrere zur Veitheidigung wohl ge-
eignete Punkte sind; vnid die Thebaner ihn wirklich erwarteten,
marschiite er ZMdschen Parnass und Helikon durch über Arabry-
sos gegen die Küste, und dann um die ausserordentlich rauhe
unwegsame Südseite des Helikon. Im Vorbeiziehen nahm er
den festen boiotischen Hafenplatz Kreusis mit 12 dort liegen-
den Kriesrsschiffen . und von da sich nach Norden wendend
1; Xenophon. Hell. VI, 2, 3 : t, o' iv.y.}:r^'z{'x dxo'jsaoa Tciöta ^-/.stvciv (xäv
294 Epamei>*o>'das.
stand er plötzlich im Herzen Boiotiens , nur wenige Stunden
von Theben. Im thespischen Gebiete bei dem kleinen Orte
Leuktra, bei dem heutigen Dorfe napaTrooYyia schlug er sein
festes Lager auf.
Indessen hatten die Boiotier, die von seinem Marsch Kunde
erhalten, sich vom kopaischen See nach Süden gewandt und
dem Kleombrotos gegenüber eine Stellung genommen. Nur
eine kleine Thal ebene trennte die beiden Heere. Von den
sechs im Lager anwesenden Boiotarchen Avollte Epameinondas
mit noch zwei andern dem Feind im offenen Felde die Spitze
bieten, die drei übrigen dagegen waren der Meinung, man müsse
das Heer nach Theben führen und sich defensiv verhalten.
Es wird sogar berichtet, sie hätten Weib und Kind nach Attika
in Sicherheit schaffen und mit der kriegsfähigen Mannschaft
allein in der Stadt eine l^elagening aushalten wollen. ', Wahr-
scheinlich dachten sie an eine ähnliche Vertheidigung, Avie sie
früher gegen Kleombrotos und Agesilaos nicht ohne Erfolg
geführt worden Avar, und unter gewöhnlichen Feldherm wäre
das auch wohl rathsamer gewesen, als durch die Schlacht gegen
das an Zahl überlegene Heer Spartas Alles aufs Spiel zu setzen.
Doch waren die ^'erhältnisse allerdings ganz verändert. Zur
Zeit jener Einfälle stand Theben noch allein, und es kam zu-
nächst nur darauf an, dieses zu halten. Jetzt wäre das Zurück-
gehen hinter die Mauern ein vollständiges Aufgeben Boiotiens
gewesen, ein Verzichten auf das in Jahre langem Kampf Er-
rungene. Es wäre abgesehen von den weitern Folgen einer
Niederlage ohne Kampf gleich gekommen. Das sah Epameinon-
das ein, und er vertraute, der Lebermacht gegenüber, auf sein
Genie. Es betrog ihn nicht. Glücklicher Weise stiess der
siebente Boiotarch, der an den Kithaironpässen gestanden
hatte , mit seiner Truppenabtheilung noch zur rechten Zeit
zum Heere und entschied durch seine Stimme für den Kampf,
auch Pelopidas, der damals Befehlshaber der heiligen Schaar
Avar, legte das moralische Gewicht seiner Beistimmung in die
AVagschale. Es kann hier nicht erzählt werden, A\-ie Epamei-
nondas seine Mannschaft zum höchsten Vertrauen auf die
Hülfe der Götter und den Sieg ihrer guten Sache zu ent-
1) Diod. XV, 52.
Epameixondas. 295
flammen -vrusste und dann, durch die ganz neue geniale Con-
centrirung des Angriffs auf einen einzigen Punkt, den Sieg
erfocht. Mit den tiefen Colonnen seines linken Flügels, von
Pelopidas im rechten Augenblicke durch eine rasche Bewegung
mit der heiligen Schaar in der Flanke gedeckt, schmetterte er
den rechten lakedaimonischen Flügel nieder, und nach dem
Tode des tapferen Königs und der meisten andern Oberoffiziere,
zog sich das ganze feindliche Heer, zwar mit schwerem Ver-
luste, aber doch den Leichnam des Königs mit sich führend
in das nahe Lager zurück. ') Nach Avenigen Tagen trat es
unter dem Schutz eines von den Thebanern nicht verweigerten
Waffenstillstandes, den Rückzug in den Peloponnes an. Nur
20 Tage waren zwischen dem Friedensschlüsse in Sparta und
der Entscheidung bei Leuktra vei*flossen.
Es sind viele grössere Schlachten geschlagen Avorden, aber
wenige in denen das LebergcAA-icht des Genius über die mit
taktischer Tüchtigkeit und grosser Tapferkeit verbundene nume-
rische Uebermacht sich so glänzend bewährt hat, Avenige die
so verhängnissvolle Folgen hatten. Um die Existenz des the-
banisch-boiotischen Staates war gekämpft Avorden, durch den
Ausgang aber Aveit Grösseres erreicht, Spartas Macht AA-ar in
Folge eigenen Fre\'els gebrochen, um sich nie mehr zu er-
holen. '
Wurde auch die Nachricht von der Niederlage in Sparta
mit bcAA-undeniSAverther Festigkeit und Ruhe aufgenommen und
mochte AÜelleicht im ersten Augenblick die TragAveite derselben
noch von Wenigen erkannt Averden. so traten doch rasch die
Folgen an den Tag. Mit scharfem P>licke versuchte Athen so-
gleich die Staaten zu vereinigen, Avelche so wenig Sparta fer-
ner folgen, als Theben noch mächtiger sehen wollten, die
Staaten, welche mit Ernst den kurz vorher geschlossenen Frie-
den zu behaupten gesonnen Avaren. Allein der Status quo er-
AA-ies sich bald als inihaltbar.
Unmittelbar nach der Schlacht befestigte zunächst Theben
seine Stellung in Boiotien durch gänzliche Einverleibung von
V Mit sehr guten Gründen Arird von Grote VII, pg. 167 Anm. 1.
Xenophons Erzählung über die Schlacht bei Leuktra der des Diodor vor-
gezogen.
296 Epameinoxdas.
Thespiai und Orchomenos in den Gesammtstaat, und zugleich
wurden mit den meisten mittel- und nordgriechischen Staaten
Bündnisse abgeschlossen. \ Im Peloponnese aber tnig das
frühere gewaltthätige Schalten Spartas seine Früchte. ^ Zu-
erst traten die Mantineer wieder aus ihren vier Dörfern in
eine Stadt zusammen, die unter lieihülfe befreundeter Staaten
trefflich befestigt wurde. Aber Mantineias Herstellung war nur
das Vorspiel von Grösserem. Bisher hatte Arkadien trotz sei-
ner Grösse und seiner starken kriegerischen Jjevölkening nie
einen bedeutenden politischen Einfluss in Griechenland geübt.
Aveil es in eine Menge kleiner Staaten mit verschiedenen, zum
Theil streng oligarchischen Verfassungen, zersplittert war.
Jetzt fassten einflussreiche Männer der demokratischen Partei
den Plan, die ganze Landschaft zu einem Staate mit demo-
kratischer Verfassung zu vereinigen, wie Boiotien es bereits
war. Aber eine Stadt fehlte die wie dort Theben durch Ge-
schichte, Lage und Grösse den Vorrang vor den übrigen be-
sass. So kam man auf den Gedanken eine neue Stadt als
Mittelpunkt des neuen Gesammtstaates zu gründen, und führte
ihn rasch, wenn auch nicht ohne vielfachen Widerstand zu
finden, ins Werk. Im südwestlichen Theile des Landes, un-
weit der lakonischen Gränze . wo keine grösseren Ortschaften
lagen, nicht allzuferne von dem uralten arkadischen Stammes-
heiligthum auf dem Lykaiongebirge erhob sich durch das Zu-
sammenwirken der meisten bisherigen Städte die )/grosse Stadt«
Megalopolis. Als der eifrigste Förderer dieser Bewegung in
Arkadien selbst erscheint ein Mantineer Lykomedes, ein von
Ehrgeiz für die Grösse seiner Landschaft glühender Mann, voll
Talent und Energie. Aber Lykomedes und die Arkadier han-
delten nicht allein. Als Urheber der Idee wird Epameinondas
ij Grote'g Parteilichkeit für Theben zeigt sich VII, S. 169 , da er
Xenophon VI, -5, 2.3 citiren kann für die Bundesgenossenschaft von Phokis
mit Theben , während doch deutlich dasteht , sie seien üttt/z-ooi gewesen.
Etwas anders freilich Diod. XV, b~ : oO.o'j; -c.'-r,^aa£vo'.. — Unter .W/ml
ä;j.9ÖT£poi 'Xen. 1. c.) verstehe ich nicht mit Grote Epiknemidische und
Opuntische, sondern östliche und westliche.
-; VII, S. ITIj spricht Grote von Dekarchien im Peloponnes; die aber
hat es nie gegeben, wohl aber andre Oligarchien im Sinne Spartas.
Epameixoxdas. 297
genannt, er soll die getrennten Städte znr Einigung bewogen
haben, er schickte znr Sicherung des Baues gegen etwaige
Störung von lakedaimonischer Seite ein thebanisches Cori)s
unter der bewährten Führung des Pammenes nach Arkadien,
und in der zu Schutz und Trutz gegen Sparta meisterhaft ge-
wählten Lage des neuen Bollwerkes erkennt man den strate-
gischen Schart"blick des grossen Thebaners. Man darf ihn mit
einem alten Schriftsteller i) mit Eecht als den iwahren Stifter
von Megalopolis und damit als den Gründer des arkadischen
Gesammtstaates betrachten, der freilich nie vollständig durch-
geführt wurde. Es war eine Idee, die ganz auf Spartas Schwä-
chung berechnet war, wohl mehr im Interesse von Theben
als von Arkadien selbst. — So hatte also Epameinondas
den Blick bereits von Boiotien und Mittelgriechenland nach
dem Peloponnes gerichtet; es war der Uebergang von der
Defensive im eigenen Gebiete zur Offensive im Feindesland
gemacht.
In Arkadien Aviderstrebte aber eine starke Partei der neuen
CentraUsation. Sie suchte und fand Hülfe in Sparta, dessen
greiser Lenker Agesilaos den alten Einfluss im Nachbarlande
herstellen wollte. Der unter Athens Anspielen beschworene
Bund der Staaten, die im Kampfe zAvischen Theben und Sparta
neutral ihre volle Autonomie inid den Frieden bewahren woll-
ten, erwies sich als ohnmächtig ; nur von Theben konnte Hülfe
kommen, und dahin richteten die Arkadier und ihre mitver-
bündeten Peloponnesier den Blick nicht umsonst. Während
Agesilaos in Arkadien stand , ohne dass die Feinde ihm die
Spitze boten, sammelte Epameinondas die Contingente der
Bundesgenossen im mittleren und nördlichen Griechenland und
rückte mit einem Heere über den Isthmos, wie die Peloponne-
sier noch keines ihre Gränzen hatten überschreiten sehen. In-
dessen war Agesilaos, nachdem er umsonst den Gegnern die
Feldschlacht angeboten hatte und dadurch das Selbstvertrauen
seiner Leute wieder etwas hergestellt hatte, ruhig nach Sparta
zurückgezogen; denn man stand im Anfang des Winters, der
ij Pausan. VIII, 27, 2 : r?i; -ö'/.eia; li otv-tarrj; 'E-a[jiiiv(wvcia; 6 ör^ßaTo;
298 Epameixoxdas.
in jenem Berglande rauh genug zu sein pflegt. Die äussere
Veranlassung zum Feldzug der Thebaner war demnach nicht
mehr da, das ostensible Ziel erreicht, ehe sie anwesend waren.
Ausserdem Avar die Jahreszeit ungünstig, und das Ende des
boiotischen Jahres nahe . über das den Heerbefehl zu verlän-
gern den Boiotarchen bei Todesstrafe verboten war. Ein ge-
wöhnlicher Mann wäre zurückgekehrt und hätte sich mit dem
Resultate begnügt. Aber zu so wohlfeilem Triumphe hatte
Epameinondas nicht die Streitkräfte von halb Griechenland
aufgeboten. Nachdem Boiotien gerettet war, hatte er ein wei-
teres Ziel ins Auge gefasst. Spartas Hegemonie sollte gebrochen
und für alle Zeiten unmöglich gemacht, seine Macht so herab-
gedrückt werden, dass es den andern Griechen ungefährlich
würde, und Theben als Beschützer gemeinhellenischer Freiheit
an die Spitze der verbündeten Staaten ti'eten. Mit der An-
wesenheit des thebanischen Heeres im Peloponnes beginnt der
zweite Theil des grossen Dramas, der Kampf für Thebens
Hegemonie. Aus diesem Gesichtspunkte hatte Epameinon-
das die mittel- und nordgriechischen Staaten zum Bunde mit
Theben gewonnen, und aus demselben die Vereinigung ganz
Arkadiens mit dem Mittelpunkt in Megalopolis betrieben ; die
dritte gCAvaltigste Massregel zur Erreichung des Zieles war die
Losreissung der westlichen Hälfte von Lakonien, die einst
Messenien geheissen hatte und die Gründung eines neuen
Staates daselbst, der in Sparta seinen Todfeind, in Theben
seinen Wiederhersteller und Hort erblicken sollte. Und um
diesen grossartigen Plan durchzuführen, scheute Epameinondas
nicht die Beschwerden eines Winterfeldzuges , und nahm er
die in einer Demokratie schwere Verantwortlichkeit der Ueber-
schi-eitunsr des Gesetzesbuchstabens zum Besten des Vater-
landes, auch für seine Amtsgenossen auf sich allein.
Der Angrifi' auf Sparta selbst hat schwerlich in dem ur-
sprünglichen Plane des Epameinondas gelegen, und wir mögen
gerne dem Xenophon • Glauben schenken, dass er erst auf
das Drängen der verbündeten Peloponnesier und dringende
Einladungen unzufriedener Periöken sich zum Einbrüche in
1) Xenophon. Heil. VI, V, 23. 25.
Epameinoxdas. 299
das eigentliche Lakonien entschied. In drei Heersänlen dran-
gen die Verbündeten durch die im Ganzen schlechtvertheidigten
Engpässe ins Eurotasthai inid wälzten sich dann sengend und
raubend in die herrliche Ebene vor der Stadt, deren Bewohner
sich rühmten, nie den Rauch feindlicher Lagerfeuer gesehen
zu haben. In dieser äussersten Gefahr, wo alle Pläne eines
langen ehrgeizigen Lebens zertrümmert erschienen, bewies der
zweiundsiebzigj ährige Agesilaos eine Ruhe und Geistesgegen-
wart, die ihn weit höher stellen, als alle seine früheren Siege.
Seiner Kaltblütigkeit und dem Heldenmuthe der Bürger ge-
lang es alle Angriffe auf die maueilose Stadt zurückzuschlagen
und Sparta zu retten, i)
Nachdem die ganze Gegend ausgeplündert und schrecklich
verheert, und ein längeres Verweilen in dem öden Lande bei
Winterszeit zwecklos und nicht wohl thunlich war, zog Epa-
meinondas zuerst nach Arkadien, um den Bau der neuen
Hauptstadt zu fördern, dann von dort weiter nach Süden in
das ehemalige messenische Land. Von Widerstand der Spar-
taner war nirgend die Rede, sondern die ganze Landschaft be-
fand sich im Aufstande , den thebanischen Wiederhersteller
erAvartend. Auch hier sollte der neue Staat in einer Stadt
sich concentriren; auch hier war diese Stadt erst zu schaffen .
Dazu wurde nicht die verödete Stätte einer der früheren Haupt-
städte Andania oder Stenyklaros ausersehen, sondern mit treff-
lichem Blicke wählte Epameinondas einen ganz neuen Platz
mitten im Lande, ganz neu für die Hauptstadt und doch mit
der alten Geschichte und dem Cultus des Landes aufs engste
verwoben. Die Stadt Messene wurde erbaut am Abhänge und
Fusse des prächtigen, kühn aus der Ebene sich erhebenden
Ithome , auf dessen höchstem Gipfel der ithomatische Zeus
seit uralten Zeiten verehrt wurde, in dessen Burg in frühem
1) Polyaen. II, 3, 5 berichtet, Epameinondas soll im Stande gewesen
sein Sparta zu nehmen, aber darauf verzichtet und den Mitfeldherrn gesagt
haben, sie würden es sonst mit den Arkadiern, Messeniern und Argivern
zu thun haben. Augenscheinlich ist das eine späte Erfindung. Epamei-
nondas konnte Sparta nicht nehmen ; dazu gab es beim ersten Zuge kein
Messenien. Beim zweiten vor der Schlacht bei Mantineia setzte er Alles
daran es zu nehmen.
300 Epamees'oxdas.
Jahrhunderten wiederholt die Messenier den Spartanern Jahre
lang getrotzt hatten. Die alte Bergfeste wurde die Akropolis
der neuen Stadt, diese selbst dehnte sich m einem Umfang
von drei Stunden bis gegen die Ebene aus, ein Meisterwerk
der Kriegsbaukunst, wie sie unter dem Einfluss des Epamei-
nondas sich entAvickelte . ^] Aus dem bisherigen spartanischen
Unterthanenland, und aus fernen Gegenden, wo immer Ueber-
reste der Messenier lebten, strömte die Bevölkerung in die neue
Hauptstadt zusammen, und unter feierlichen Gebeten und
Opfern wurde diese eingeweiht. Als gegen Ende des Winters
Epameinondas den Rückmarsch autrat. hatte er so Grosses
vollbracht, wie noch nie ein griechischer Feldherr in gleicher
Zeit. Spartas Gebiet war bis an die Stadt verheert, viele Städte
im Aufstande, die schönere Hälfte des Landes ihm auf immer
entrissen, seine Herrschaft im Peloponnes gebrochen, dazu ein
Gürtel von mächtigen unter Thebens Einfluss stehenden Festun-
gen um dasselbe gelegt, der jede freie Bewegung hemmte;
Sparta war soweit gedemüthigt, dass es Athen dringend um
Hülfe bat. Sie wurde nicht versagt; ein Bürgerheer rückte
unter Iphikrates über den Isthmos, vermochte aber nicht den
Durchmarsch des Epameinondas zu hindern. Als dieser nach
Theben zurückgekehrt war, hatte er wegen der Verlängerung
des Heerbefehls sich bei der Rechenschaftsablegung zu ver-
theidigen. Er hatte off"enkundig und mit vollem Bewusstsein
eine Gesetzesverletzung begangen, auf welcher der Tod stand.
Aber, ohne sich auf eine Vertheidigung einzulassen, wies er
mit stolzem Selbstgefühl auf die Thaten hin, die er mit seinen
Amtsgenossen vollbracht, und forderte die Richter auf. nun
das Urtheil zu fällen. Er wurde freigesprochen, ohne dass
eine förmliche Abstimmung stattfand, und wie es scheint, für
das laufende Jahr wieder zur Boiotarchie berafen. Es war die
1,; Im Asklepiosheiligthum zu Messene war eine Bildsäule des Epamei-
nondas aus Eisen von unbekanntem Meister, daneben die der Stadt Theben.
Pausan. IV, 31, 10: ro/.i; t£ r, 0rj,3aia)v /.al 'ETtaaJivwvoa? 6 K/.£oau.too:.
Ebenso stand im Hierothysion eine eherne Statue desselben. Paus. IV,
32, 1. Er war also wohl als Oikistes verehrt, da neben ihm nur Götter-
bilder erwähnt werden. Bestimmt giebt dies Pausanias IX, 14, 5 an :
0'.7.istt; Miaar.vfo'.; toT; -öv sstIv 'ErafAe'.vojvov.;.
Epameinondas. 301
einzige Ungesetzlichkeit, die er in seinem Leben begangen
hat, und sie trug Theben reichliche Früchte.
Durch diesen Feldzug war Theben entschieden jeder an-
dern Macht in Griechenland überlegen geworden, es schien
unbestritten zur Hegemonie des grössten Theils der Festland-
staaten emporgestiegen zu sein. Fast alle Staaten Nord- und
Mittelgriechenlands, ausser Athen, anerkannten seine Ober-
leitung . und leisteten ihm Heeresfolge , die grössten Staaten
des Peloponneses , Argos , Arkadien . Messenien , Elis hatten
seinen Feldherren sich gerne untergeordnet. Aber die Stel-
hnig beruhte auf dem glücklichen Erfolge der Kriegführung
und im Peloponnes auf dem momentanen liedürfniss der Staa-
ten einen Rückhalt gegen Sparta zu haben ; sie Avar nicht
bleibend organisirt. \\m\ die Verhältnisse konnten sich ändern.
Es blieb die Aveitere Aufgabe die errrungene Stellung zu be-
festigen, ihr einen Organismus zu geben, eine Aufgabe, der
ungeheure Schwierigkeiten ausserhalb und innerhalb Thebens
sich entgegenstellten. Nicht nur strengte das niedergeworfene
Sparta alle Kräfte an, seinen Einfluss im Peloponnes Avieder
herzustellen, Avorin es durch Dionys A'on Syrakus AA-irksam un-
terstützt AAiirde, sondern Athen, auf zahlreiche A'erbündete See-
staaten gestützt, stand jetzt entschieden in der Eeihe von
Thebens Feinden. Sodann erAAnchs unerAA^artet in dem durch
Thebens Beistand gekräftigten Arkadien ein erst unbequemer,
zuletzt gefährlicher Nebenbuhler. Zum Gefühl ihrer Kraft ge-
kommen, fanden die Arkadier es bald ihrer unAvürdig unter
Thebens Oberleitung zu stehen, sie erstrebten wenigstens
gleiche Stellung mit diesem und AerAAarfen dessen Hegemonie,
und der Vertreter dieser Tendenz Avar derselbe Lykomedes, der
A'Orher im Einklang mit Epameinondas die Centralisation des
Landes betrieben hatte. Dazu kamen Ansprüche der Eleer
gegenüber Arkadien, die zu Streit und Krieg unter den frühern
Bundesgenossen führten. Endlich aber lag die HauptschAAie-
rigkeit für die glückliche Durchführinig der Hegemonie in
dem Charakter und der Handlungsweise der Thebaner selbst,
die durch hartes rohes Auftreten sich oft genug die Bundes-
genossen entfremdeten ^) , vielfach die Bestrebungen ihres
1) Auffallend ist Grote's VII, pg. 233, Unganst gegen die Arkader.
302 Epameen'ondas.
grossen Mitbürgers hemmten und durchkreuzten, mehr als
einmal ihn aus Neid und Eifersucht bei Seite schoben.
Trotzdem hat Epameinondas , so weit die äusserst dürf-
tigen Nachrichten uns ein Urtheil erlauben, mit klarem Blicke
sein Ziel verfolgt, und man thut Unrecht die hegemonischen
Bestrebungen Thebens nur ein Nachäffen von Spartas und Athens
System zu nennen, so Aveit Avenigstens Epameinondas sie leitete.
Mag man allenfalls den nur theilweis gelungenen Versuch. Per-
siens Hülfe dafür in Anspruch zu nehmen, so ansehen, so
ist doch nicht zu verkennen, dass durch denselben Messenien
vom grossen König anerkannt , und Sparta ganz und gar der
Rückhalt entzogen wurde, den es im antalkidischen Frieden
an Persien gehabt hatte. Ob übrigens Epameinondas dabei be-
theiligt war, wissen Avir nicht ; er wird gar nicht genannt ; wir
Avollen es aber nicht in Abrede stellen, da Pelopidas die Unter-
handlungen führte. Im Uebrigen hat offenbar Epameinondas
für Thebens Hegemonie eine andere Basis gesucht, als Sparta.
Zwar suchte er sie. wie jenes auf die Vereinigung der Fest-
landstaaten . zu gründen , aber während Sparta die einzehien
Stadtgemeinden möglichst trennte und schwächte, hat Epamei-
nondas umgekehrt die Landschaften vereinigt und durch Cen-
tralisation gestärkt ; während jenes oligarchische Verfassungen
oft mit Waffengewalt einführte, hat er gemässigte Demokratie
auf friedlichem Wege begünstigt; während jenes eine Schein-
autonomie zum Vortheil Spartas schützte, hat er dagegen sie
bei wahrer Autonomie durch ihr eigenes Interesse an Theben
zu ketten getrachtet. Die Bundesstaaten sollten in Theben
den Beschützer ihrer Freiheit sehen. Freilich fand er dabei
oft Avenig Unterstützimg. So hatte er die gemässigt aristokra-
tischen Städte Achaias in den Bund mit Theben aufgenommen,
ohne Veränderung ihrer Verfassung zu verlangen. Aber die
biaitaldemokratische Partei in Achaia und Arkadien verklagte
ihn m Theben ; er wuixle desavouirt. gewaltsam Demoki-atie in
Achaia eingeführt und in kurzer Zeit Avar das ganze Land für
Theben verloren und mit Sparta verbündet. S o Avar sein Streben
So offensive had been the insolence of the Arcadians , that the neics of their
, defeat was not umcelcome even to their ullies the Thebans and Eleians. Hier
ist Xenophon Hell. All, 1, 32 gut genug!
Epameinondas. 303
auf dem Festlande und gegenüber Sparta. Aber dabei blieb
er nicht stehen. Als Athen fortwährend Sparta unterstützte
xmd Thebens Einfluss auch im Norden in Thessalien und Ma-
kedonien entgegenwirkte , da versuchte er ihm zur See seine
Kräfte zu entziehen und sprach das kühne Wort aus, die Propy-
läen der Akroplis von Athen müssten an den Eingang der
Kadmeia versetzt werden ') ; das heisst Theben auch in Glanz und
Herrlichkeit Athens Stelle einnehmen. Man hat fast allgemein
diesen Versuch getadelt, und ihn aus blosser Eifersucht gegen
Athen, also kleinlichen Motiven, abgeleitet -j . Ich erlaube mir
auch hier abweichend zu urtheilen. Allerdings Aväre wohl das
Beste gewesen, wenn es Epameinondas gelungen wäre, Athen
und Theben zur Oberleitung der freien Staaten von Griechen-
land zu vereinigen. Allein das stand nicht in seiner Macht.
Athen hatte schon durch den schnöden Empfang des Heroldes,
der den Sieg von Leuktra berichtete , deutlich ausgesprochen,
dass es ein mächtiges Theben nicht wollte ^ ; es hat nachher
Jahre lang in offenem Kriege dieselbe Gesinnung gegen Theben
bethätigt; es blieb diesem nichts übrig, als es in seinem Le-
bensnerv anzugi-eifen ; auch Sparta, obwohl selbst so wenig als
Theben eine Seemacht, hatte nur auf dem eigenen Elemente
Athen bezwungen und der erste Versuch des Epameinondas
scheint erfolgreich genug gewesen zu sein, um den Plan nicht
als unausführbar erscheinen zu lassen. Eine eigentliche See-
macht aus Theben zu machen war schwerlich je seine Absicht.
Mit wechselndem Erfolge und manchen unerwarteten Wen-
dungen wurde der Krieg über 7 Jahre lang seit dem ersten
peloponnesischen Feldzug geführt; im Norden wurde die Macht
Thebens trotz mancher Schwankungen immer weiter ausgedehnt
und zuletzt dadurch befestigt, dass Alexandros von Pherai ge-
nöthigt wurde, Theben Heeresfolge zu leisten, aber freilich
um einen theuem Preis. Pelopidas war im Kampfe mit dem
Fürsten Alexandros von Pherai gefallen. Aber im Peloponnese
1) Aeschines Trspl rapa-ptoßsia; §. 105: 'E7raij.£tv(«';oac oü/ Ü7:o7:TYj|a; xö
TÄv 'Ai}r|vaiwv ä;iaj[jia, zlr.e otappT,orjV iv tüj -'kri^ei twv 0fjßa'.ojv , w; oei" ta
xfj; 'A&rj^aiojv äxpo-o/.stu; rpoTT'j/.aia i).t-fjB-[-^eT\ eic, ttjv zpoira^iav ttj?
Kci5[jL£t7.;.
2; Grote hist. of Greece \1I, pg. 267, 268.
3, Xenoph. Hellen. VI, 4, 19.
304 Epameixoxdas.
traten gefährliche Verwinimgen ein. Arkadien war, je mehr
es sich Theben entfremdete, desto mehr desorganisirt Avorden;
Lykomedes Avar ermordet, eine starke Reaction gegen den de-
mokratischen Gesammtstaat und die Thebaner eingetreten ;
eine Spaltung trat henor, die so -weit führte, dass im Jahre
362 ein grosser Theil des Landes, die Stadt Mantineia an der
Spitze, ein Kündniss mit Sparta und Athen abschloss, während
die andern Theben dringend um Hülfe baten. — Eparaeinon-
das, der nach dem früher entAvickelten Principe der Autonomie
der Staaten, lange die Arkadier ihre Streitigkeiten unter sich
hatte ausmachen lassen, erkannte, dass jetzt nicht länger ge-
zögert AAerden dürfe, AA'enn nicht alles Errungene verloren AA-er-
den sollte. OiFenbar berechtigten die Verhältnisse ihn voll-
ständig dazu, er Hess sich durch den Protest der lakonisirenden
Partei , die sich als Gesammtarkadien geltend machte , nicht
abhalten. Mit einem starken Heere aus den Bundesstaaten des
nördlichen und mittleren Griechenlands zog er über den Isth-
mos und rückte in die arkadische Hochebene vor. ]>ei Man-
tineia stand ein zahlreiches feindliches Heer, zu dem aber noch
die Athener und Spartaner stossen sollten. Er selbst nahm
in Tegea Quartier und zog dort die Truppen der peloponnesi-
schen Bundesgenossen an sich. Im vollen Gefühl, dass dieser
Feldzug entscheiden müsse, ob Theben im Peloponnes noch
ein Wort mitzusprechen habe, entAAickelte er eine unglaubliche
Thätigkeit, und nie hat sein strategisches Genie sich grösser
gezeigt, nie seine unbedingte Herrschaft über die unter seinen
Befehl gestellte Mannschaft sich glänzender bcAvährt als jetzt,
AA'o doch alle Umstände sich gegen ihn verscliAvoren zu haben
schienen. Selbst Xenophon, der ihn in der Schlacht bei Leuktra
gar nicht nennt, kann seine BeAA-underung nicht unterdrücken i .
Nachdem ein Avohlangelegter Versuch, durch nächtlichen
Eilmarsch Sparta zu überraschen, und ein Handstreich auf
Mantineia an nicht A^orher zu berechnenden Umständen geschei-
tert Avaren, ohne ihn aus der Fassung zu bringen oder das
Heer zu entmuthigen, beschloss er den vor Mantineia stehen-
den , jetzt vereinigten Feinden die Schlacht zu liefern . und
führte das Heer ihnen entgegen. Durch ein meisterhaftes Ma-
li Xenophon. Hellen. VII, V, 8 ff.
Epameinondas. 305
noeuvre Aviisste er dieselben zu täuschen, dass sie glaubten er
werde an diesem Tage nicht mehr angreifen und nachlässig
ihre Linien aufgelöst, zum Theil die Waffen abgelegt, die
Pferde abgezäumt hatten; als er plötzlich mit einer Seiten-
bewegung mit seiner ganzen Macht auf sie anrückte. Auch
hier ähnlich, wie bei Leuktra, hat er die ganze Wucht des
Angriffs auf seinen linkenFlügel gelegt, mit dessen tiefen Co-
lonnen er wie mit einem Keil auf den rechten Flügel der
Feinde anstürmte. Trotz der Ueberraschung leisteten die Feinde
tapfern Widerstand. Ein hartnäckiger Kampf entbrannte; aber
der ungestüme Angriff der Thebaner brachte endlich die Feinde
zum Weichen, als Epameinondas selbst tödlich verwundet fiel
und aus dem Gefecht auf eine Anhöhe getragen wurde, von
wo er den Gang der Schlacht übersehen konnte. Als ihm
gemeldet wurde, dass die Seinigen Sieger seien, Hess er die
Lanzenspitze aus der Wunde ziehen und hauchte heiter den
Heldengeist aus. Die Nachricht war nur halb richtig. Wie
betäubt blieben die führerlosen Truppen im entscheidenden
Augenblicke stehen, unfähig, den Sieg vollständig zu machen.
Die Schlacht blieb nur halb entschieden , unentschiedener denn
je die Stellung der streitenden Staaten, die aus Ermattung die
Waffen niederlegten, ohne dass die JIau})tfrage gelöst, das
griechische Staatensystem zu einem sichern Halt gekommen
war. Thebens hervorragende Stellung liatte ein Ende.
Mitten aus dem Heldenlaufe war Epameinondas hinweg-
gerissen worden, in dem Augenblicke, wo die Anstrengungen
vieler Jahre eben im F>egriff standen mit vollem Erfolge ge-
krönt zu werden; denn alle Nachrichten sind darüber einig,
dass, Avenn er am Leben geblieben, der vollständigste Sieg ei-
rungen gewesen wäre. Aber wenn es ihn auch schmerzen
mochte, seine Pläne unvollendet zu sehen, so Avar ihm doch
der Tod zu Theil geworden, den er als den schönsten zu be-
zeichnen pflegte, der Tod auf dem Schlachtfelde. Und viel-
leicht ist es auch für seinen Ruhm kein Unglück, dass er im
Momente des Sieges dahinschied. Ich habe oben die Gedan-
ken, die seine Politik leiteten, anzudeuten gesucht und gezeigt,
dass er mit klarem BcAvusstsein und grosser Umsicht sein Ziel
verfolgte. Eine andere Frage ist ob jene Politik eine richtige,
ob das Ziel ein erreichbares war. In der engeren Heimath
Vischer, Schriften I. 20
306 Epameinondas.
war die Centralisation des gesammten Boiotiens damals durch-
aus den Verhältnissen und Bedürfnissen angemessen und die
Bedingung der Kraft des Staates, und sie hat Epameinondas
mit Hülfe seiner Freunde vind Gesinnungsgenossen glücklich
durchgeführt und siegreich behauptet. Anders verhält es sich
mit der äussern Pohtik, mit der Stellung welche er Boiotien
im griechischen Staatensystemi anzuweisen strebte. Diese Stel-
lung war ohne Zweifel zu hoch für Boiotien, dem weniger die
materiellen, als die geistig-sittlichen Kräfte dafür fehlten. —
Durch strenge Zucht und Ordnung hatte einst Sparta in langen
Kämpfen seine Hegemonie begründet, durch glänzende Auf-
opfenmg für das Gesammtvaterland und unerhörten geistigen
AufschAvung Athen seine Hegemonie errungen ; die Boiotier
als Völkerschaft haben nie diircli etwas anderes als körperliche
Kraft und stürmische Tapferkeit Ucdeutung gehabt. Epamei-
nondas und die wenigen Männer, die in seinem Sinne mit-
AA-irkten, konnten für Augenblicke dieser Kraft eme grossartige
Richtung geben, momentan sie durch ihren Geist veredeln,
aber ihr Wesen zu verändern war zumal in so kurzer Zeit nicht
möglich; konnte doch Epameinondas auf dem Höhepunkte
seines Ruhmes nicht ungeschickte Bnitalitäten verhindern und
seine gemässigte Politik consequent durchführen. — Das Herab-
drücken Spartas und Athens zu Staaten zweiten Ranges hätte
höchstens dann wohlthätig werden können, wenn ein anderer
Staat da gewesen wäre, der ihre Stelle ganz einzunehmen
vermocht hätte, und der war weder in Boiotien noch anderswo
vorhanden . — In so fern ist dann allerdings das Ziel , das
Epameinondas sich stellte, ein zu hohes gewesen, das Streben
ein unrichtiges. Allein so Aveit wir urtheilen können, lag die
Schuld nicht sowohl an ihm, als an den Gegnern. Des Age-
silaos unversöhnlicher Hass und die Gewaltthätigkeit Spartas
machten die Demüthigung dieses Staates zur Bedingung der
Existenz Aon Boiotien, und Athen hatte, Avie bemerkt, die An-
näherungSA'ersuche Thebens kurz von der Hand gewiesen. So
blieb denn Epameinondas nichts anderes übrig als was er that,
obAvohl die Zeit der Hegemonie für Griechenland A'orüber Avar,
weil kein Staat mehr zugleich die nöthige materielle und gei-
stige Kraft besass, um sie kräftig und würdig zu führen. Eine
andere Form der politischen Vereinigung der Staaten war aber
Epametnondas. 307
damals dem griechischen Geiste noch fremd. Oh nach dem
Siege von Mantineia Epameinondas sie gefunden hätte . steht
sehr zu bezweifehi. Sieht man aber von dem Missverhältniss
des Zieles zu den Kräften Thebens ab, die Epameinondas wohl
durch sein Genie ersetzen zu können hoffte , so liat er seinen
Plan in meisterhafter Weise verfolgt, und die erste Bedingung
derselben, die Herabdrückung Spartas, vollständig erreicht, da-
durch aber ohne es zu wollen und zu ahnen nur zur wei-
tei'en Abschwächung Griechenlands gemrkt und den makedo-
nischen Fürsten den Weg gebahnt. — Wenn demnach sein
Wirken als Staatsmann mehr in Folge der Gewalt der Um-
stände, als eigener Feliler, in seinen llesultaten niclit befrie-
digend erscheint, so steht er dagegen als Feldherr in selten
erreichter Grösse da. Mit allen persönlichen Eigenschaften
eines Soldaten und Führers ausgerüstet verstand er es , das
unbedingte Zutrauen seiner Untergebenen zu gewinnen , auch
in den verzweifeltsten Lagen ihnen Muth und Zuversicht ein-
zuflössen und unter allen Umständen rasch das Richtige zu
erkennen. Als Taktiker hat er sich auf alle Zeiten berühmt
gemacht durch Ei-findung der sogenannten schiefen Schlacht-
ordnung, welche die ganze Wucht des Angriffes auf einen
Flügel concentrirte , und seine Feldzüge legen hinlängliches
Zeugniss ab von seinem strategischen Scharfblick , als dessen
Denkmäler noch heute die Ruinen der durch ihn gegründeten
gewaltigen Festungen stehen. Erinnern wir uns nun dazu noch
seiner früher erwähnten bürgerlichen und rein menschlichen
Tugend, so dürfen wir avoIiI in das Urtheil mit einstimmen,
dass Griechenland einen grossem Mann nicht gehabt hat; es
lehrt uns aber zugleich sein Beispiel eindringlich , wie auch
die grösste Persönlichkeit nur ein Glied ist in der grossen
Kette geschichtlicher Entwickelung, und wie über dem Wirken
des Einzelnen mit unabweisbarer Macht eine höhere göttliche
Weltordnung waltet. Und fragen wir schliesslich, wie es denn
möglich war, dass das boiotische Theben einen solchen Mann
hervorbrachte, so lautet die Antwort, dass er nicht nur The-
baner, sondern vor allem Hellene war, und auch in Theben
die ganze Tiefe und Herrlichkeit des hellenischen Geistes in
sich aufnahm.
20*
UEBEß DIE BILDUNG VON STAATEN UND BÜNDEN
oder Centralisatioii iiiul Fooderation im alten Griecheiilaud.
[Propramn des Paedayogiiims zu Basel. Basel 1849.]
In der Geschichte aller Völker und Staaten treten zwei
Principien hervor, welche gleichberechtigt sich geltend zn ma-
chen streben und in deren richtiger Anerkennung und Stellung
eine der höchsten aber eben darum auch schwierigsten Auf-
gaben des Staatslebens liegt. Es ist das einerseits die freie
Stellung der einzelnen Theile des Volks, grösserer und klei-
nerer, anderseits die Einheit des Ganzen. Das erstere bedingt
die Freiheit und den Reichthum des iimeren Lebens, das letz-
tere die Macht und die JJedeutung des Volks, seine Unabhän-
gigkeit und den Einfluss nach Aussen. Keines aber kann zu
wahrhaftem Gedeihen kommen ohne das andere. Das aus-
schliessliche Vorherrschen des erstem führt zu Anarchie, Ohn-
macht, Abhängigkeit von Aussen, der natürlich auch bald die
innere Knechtschaft folgt, die einseitige Ausbildung des andern
zur Unterdrückung der inneren Freiheit, zu Rechtlosigkeit und
Despotismus, wofür das Phantom äusserer Bedeutung nur einen
trügerischen und vorübergehenden Ersatz giebt. Die Stellung
der beiden Principien zu einander giebt der Staatsgeschichte
der Völker ihren ('harakter. Wo das erstere vorheiTScht, da
tritt das Volk in der Fonn zahlreicher loser oder fester ver-
bundener Staaten ins Leben, wo das letztere sich vorzugsweise
Geltung verschafft, als Einheitsstaat mit mehr oder weniger
freier Bewegung der einzehien Glieder bis zu deren gänzlicher
Erdrückung. Dort ist Gefahr des Auseinanderfallens der ein-
zelnen Theile in Atome , des A erlustes der Macht und Unab-
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 309
hängigkeit, hier droht Ersterben des individuellen Lebens,
Stagnation, Verlust der wahren Freiheit.
Wenn irgendwo, so hat das erstere Princip, das der Frei-
heit der einzelnen Glieder des Volks sich geltend gemacht bei
den Griechen, welche auch dadurch als die ersten Vertreter
europäischer Freiheit gegenüber asiatischem Despotismus er-
scheinen. Dieser Trieb nach der Freiheit und Selbständigkeit
der einzelnen Theile , die Ausbildung kleiner politischer Ge-
meinschaften, welche in sich gleichsam künstlerisch abgeschlos-
sen sind, bildet die wesentliche Eigenthümlichkeit des griechi-
schen Volks und aus ihr erklären sich eine Menge anderer
Erscheinungen, sie ist die Quelle der unendlich reichen Man-
nichfaltigkeit , w^orin sich sein Leben entfaltet, zugleich auch
seiner Zerrissenheit. Aber von Anfang geht neben dem Ab-
sondennigstriebe auch das Bedürfniss nach Einigung der zer-
splitterten, nebeneinanderstehenden und oft auseinanderstreben-
den Einzeltheile. Das Streben, diesem Bedürfnisse Befriedigung
zu verschaffen, tritt in verschiedener Form in kleineren und
grösseren Ki-eisen hervor, bald bestimmter bald unbestimmter.
In kleineren Kreisen oft erfolgreich und dann von überraschen-
der Wirkung, vermag es für die Gesammtheit des Volks nicht
den Sonderbestrebungen auf die Dauer das Gleichgewicht zu
halten, es gelingt nicht zur rechten Zeit die Form zu finden,
in der beide Principien die gebührende Anerkennung finden
und an diesem vergeblichen Ringen, an dem Mangel einer ge-
gliederten Einheit geht das Volk zuletzt unter, zuerst die
äussere Unabhängigkeit, allmälich auch die innere Freiheit. Den
vielfachen Versuchen dieses Bedürfniss zu befriedigen, kleinere
oder grössere Staatsverbände hervorzubringen, mit einem Worte
den Einigungsbestrebungen der griechischen Staaten nachzu-
gehen , ihre Entwickelungen zu erforschen und zu verfolgen
ist eine ebenso anziehende als lehrreiche Aufgabe. Li ihrem
ganzen Umfange gelöst müsste sie die Bildung fast aller grie-
chischen Verfassungen in Betracht ziehen und die gesammte
griechische Geschichte von einer bestimmten Seite her in sich
begreifen. Dass ich diese hier zu lösen nicht unternehme, ist
schon durch die Beschränkung des Raumes geboten. Wohl
aber möchte ich einen Theil derselben behandeln und in mög-
lichster Kürze nachzuweisen versuchen , welches die Haupt-
310 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
momente sind, die wir in der Entwicklung der Einignngshe-
strebungen der griechischen Staaten unterscheiden können,
welches die verschiedenen Arten, in denen das griechische Volk
versucht hat, aus der Isolirtheit des Einzelstaates zu grösserer
politischer Gemeinschaft zu kommen. Es ist also durchaus
nicht auf Vollständigkeit des historischen Materials abgesehen,
sondern dieses nur so weit herbeigezogen, als es zur Nach-
weisung der aufgestellten Sätze nothwendig ist. Wenn auf der
andern Seite die Darstellung sich nicht auf die eigentlichen
Staatenbünde und Bundesstaaten beschränkt, so wird sich das
aus der Sache selbst rechtfertigen , indem sich ergeben wird,
dass auch die meisten bedeutendem Einzel Staaten erst durch
Vereinigung noch kleinerer Bestandtheile geworden sind. Aus-
schliessen werde ich von der Betrachtung die Vereinigungs-
mittel, die nicht eigentlich politischer Art sind , wie Orakel,
Agonen und dergleichen, und auch der Amphiktyonen nur mit
wenigen Worten gedenken, sofern in ihnen der politische Ge-
sichtspunkt dem religiösen durchaus untergeordnet war ' .
Die griechischen Staaten, wie sie sich uns in der Blüthe
der historischen Zeit etwa im sechsten und fünften Jahrhim-
dert vor unserer Zeitrechnung darstellen, sind keineswegs von
Anfang an politische Einheiten gewesen. Es gab eine Zeit,
wo Attika eine Mehrzahl von Staaten enthielt, wo in Lakonika
unabhängige Gemeinwesen nebeneinander bestanden und von
andern Landschaften, die man gewohnt ist, als zusammenge-
hörig zu betrachten, ist bekannt, dass sie auch in der spätem
Zeit nur durch lose, oder auch durch gar keine politische
Bande zusammenhingen. Beispiele: Thessalien, Aitolien, Ar-
kadien, Argolis. Je weiter wir in die Anfänge des eigentlich
hellenischen Lebens zurückgehen . desto grösser erscheint die
Zersplitterung tmd wir dürfen unbedenklich den Satz aufstellen,
dass der griechische Staat hervorgegangen ist aus den Ge-
') Ausser den hiehergehörigen Abschnitten der Werke von Fr. Wilh.
Tittmann, W. Wachsmuth , K. Fr. Hermann, Georg Friedr. Schömann,
handelt von den Bundesverfassungen der Alten ausführlich: Sainte-Croix
des anciens go?ivernemens federatifs et de la legislation de Crete consideres
sous les 1-apports et resuUats de toutes associations polifiqiies. Paris 1804.
Eine neue dem gegenwärtigen Standpunkte der Alterthumswissenschaft ent-
sprechende Behandlung wäre sehr wünschenswerth.
ÜEBER DIE Bildung von Staaten und Bünden. 311
mein den (/u)ixai, or^fi-oi) und aus diesen durch fortAvährendes
Zusammentreten, Centralisiren , sich aUmählich grossere Staa-
ten bikleten ') .
Ueberreste jener ältesten Form des Staates finden sich
noch in späteren Zeiten in Arkadien, wo mehrere Dorfschaften,
ohne eme Stadt, Gauverbindungen mit besonderer staatlicher
Existenz bilden -j. Auch die Aitoler wohnten noch spät in
offenen Dorfschaften, die nur durch sehr lockere politische
Bande mit einander vereinigt waren ■^j.
Diese Gemeinden trieb aber früh ein natürliches Bedürf-
niss der Sicherheit zu näherer Verbindung, Avelche in älterer
Zeit bisweilen in der Art der Gauverfassung (c3uaTr^[xa or-
tjLa)v von Strabo genannt), später gewöhnlich in der Weise der
Stadt, der roXic geschah, der regelmässigen Form der grie-
chischen Staatonbildung, durch sogenannten Synoikismos. Nur
dürfen wir uns bei dieser ttoXi? nicht irre machen lassen durch
den Begriff, den die Stadt im Mittelalter und der neueren Zeit
gegenüber dem Lande gewonnen hat, wo er nur die innerhalb
der Mauern oder doch des Weichbildes wohnende Bürgerschaft,
') Ich wünsche hier nicht missverstanden zu werden, als ob ich meinte,
jede griechische Gemeinde habe einmal einen besondern Staat gebildet.
Meine Meinung ist nur, dass wir die Biklung der Staaten bis zur Dorf-
gemeinde hinauf verfolgen können, und dass diese von Anfang an als or-
ganisirter Körper erscheint. ])ie einzelnen Familien oixiixi, aus denen
Aristoteles die vctujj.r| entstehen lässt, liegen jedenfalls als älteste politische
Gemeinschaft über alle historische Kunde hinaus, nicht so aber die -Adurq.
Auch das Vorkommen grösserer Königthümer an einigen Orten in der
Hcroenzeit spricht nicht gegen den Satz, da diese bereits durcli Vereinigung
von einzelnen Gemeinden entstanden sein konnten, und an mehreren Orten
nach dem Aufhören des Königthums die Gemeinden wieder in ihre ur-
sprüngliche Isolirtheit zurückfielen, wie z. B. in Arkadien, wo wenigstens
der Mythos einen grösseren monarchischen Staat voraussetzt. Sehr bestimmt
spricht sich Aristoteles aus Polit. 1, 1, 7 pg. 2, 2l> Bekker q o' ir. tcXeiövojv
omtüv -/oivtuvra -püuxTj, ypr^asmc, evexev irrj £cp7]|j.£po'j, VM[i.q, 8 pg. 3, 7 Bekker,
T] 0 ix rÄ£iovtov y.tujjLwv ■icowwvta xsXeio; z6).t;. Vergl. Thucyd. I, 5. K.
F. Hermann. Lehrb. der Gr. Staatsalter th. §. 5.
-) F. Kortüm zur Geschichte Hellenischer Staatsverfassungen. S. 128 ff.
Ed. Kuhn die griechische Komenverfassung als Moment der Entwicklung
des Städtewesens im Alterthum, in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft
von Ad. Schmidt Band 4, S. 69 ff. Strabo VUI, p. 337 C.
3) Thucyd. HI, 94.
312 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
die sich zum grössten Theile mit Gewerben und Handel be-
schäftigt, umfasst. Das Wort tcoäic kommt nämhch in einem
engeren und weiteren, einem bloss räumlichen und einem staat-
lichen Sinne vor. Im erstem bezeichnet es, unserer Stadt so
ziemlich ensprechend, in älterer Zeit die meist auf einem Hü-
gel gebaute feste Burg, den ältesten Kern der Städte, Avelche erst
dann, als sich am Fusse derselben eine gewöhnlich viel aus-
gedehntere Unterstadt gebildet hatte, axpo-oXic genannt wurde.
Später wird dann die ganze Masse von Wohnungen, die sich
so angehäuft mit tcoXic bezeichnet, das in diesem Gebrauche
also dem anderen Ausdrucke für Stadt, aoxu, dem lateinischen
urbs , oppidum entspricht. Dass die griechische Stadt nicht
nothwendig ummauert zu sein brauchte , beweist das Beispiel
von Sparta, dass sie es aber in der Regel war, ist ebenso be-
kannt. Im andern weitem Sinne bezeichnet aber -oXtc die um
eine solche Burg oder Stadt vereinigte kleinere oder grössere
staatliche Gemeinschaft, deren Angehörige in jener Stadt oder
Burg ihre Regierung, ihren administrativen und richterlichen
Mittelpunkt haben , die um einen echt gincchischen Ausdruck
zu gebra\ichen. dort ihr einziges Rathhaus und Regierungsge-
bäude haben 1) (Sv ßooXsuTTJpiov xoü TTputavEtov) . Die einzelne
TToXic in diesem Sinne braucht also durchaus nicht aus einem
einzigen Orte zu bestehen, vielmehr umfasst sie meist mehrere
Ortschaften, welche aber im Gegensatze zu dem Regienmgs-
orte, Dörfer oder Gemeinden [yM\iai oder ot,[xoi; heissen und
deren bisweilen selbst mehrere die Stadt im engeren Sinne des
Wortes bilden ^] . So bestand Sparta aus vier oder fünf offenen
') Thucyd. II, 15. Herod. I, 170. An letzterer Stelle wird der Gegen-
satz der -oXt; zum ofjjjio; recht klar.
2) Ed. Kuhn in der angeführten Abhandlung 8. öO ff. nimmt, wenn
ich ihn recht verstehe, an, es sei das Land zu der Zeit der Städtebildung
gegenüber diesen Städten ganz oder grösstentheils unbewohnt geworden
und stützt sich dabei vorzüglich auf eine alte Etj-mologie von -/.tt)(j.T,, in der
er »das Gepräge einer jener auf sich beruhenden authentischen Traditionen
findet, denen wir oft gerade die schärfste Beleuchtung dunkler Gegenstände
des Alterthums verdanken.« Allein abgesehen davon , dass er dieser Her-
leitung des Wortes gewiss einen viel zu hohen "VVerth beilegt, kann höchstens
in der Stelle des Stejihanus Byzantius die Voraussetzung gefunden werden,
dass das Land unbewohnt sei. Die andern von ihm angeführten Stellen aus
dem Etymologicum magnum besagen eben nur, dass die xtu[i.T) so geheissen
Uebbr die Bildung von Staaten und Bünden. 313
Komen und Athen hatte innerhalb seiner Ringmauern eine
noch grössere Zahl von Demen ') .
Gleich bei der Entstehung der ttoXi; können wir zwei
Hauptarten unterscheiden , welche , wie wir unten sehen wer-
den, bei dem gesammten ("entralisationsbestreben der griechi-
schen Staaten immer wieder zum Vorschein kommen. Ent-
weder werden die sämmtlichen Gemeinden ganz gleichberech-
tigt in eine Stadtgemeinschaft, ttoXic zusammengezogen, so dass
alle Angehörigen tzoXitou Staatsbürger werden, ohne Unterschied,
ob sie ihren Wohnsitz in der Stadt haben oder nicht. So sind
nach Strabo die meisten Städte von Arkadien aus Vereinigung
von mehr oder weniger Demen entstanden, namentlich Manti-
neia , Tegea, Heraia, so die achaiischen Städte Aigion, Pa-
trai, Dyme, ferner Elis und andere. In demselben Sinne, be-
richtete Philochoros, habe Kekrops das früher den Einfällen
und Plündennigen der Nachbarn ausgesetzte Attika in zwölf
Städte zusammengezogen 2) .
.Oder ein Ort gewinnt ein Uebergewicht der Art über die
Nachbarorte, dass diese in Abhängigkeit von ihm gebracht und
als x(o[xai oder xcoXsi? Trspioixi'osc beherrscht werden. Dies scheint
besonders da eingetreten zu sein, wo erobernde Stämme sich
habe , weil Menschen und Thiere nach der Arbeit auf dem Felde dort
ruhten, was gewiss nicht voraussetzt, dass das Land unbewohnt sei, son-
dern auf jedes eigentliche Dorf ganz wohl passt. Dazu noch Etymol. Gud.
lind Suidas : y.iöfxvj ei; •J^v |-iCoi(j.tövTO aTto xöiv £pY"->'' ä^'jovxec (äviovrei). Ge-
gen die Sache selbst aber, als ob mit dem !J'jvoty.ia[i.6<; das Land verlassen
worden wäre und die ganze Bevölkerung sich in die Stadt gezogen hätte,
spricht aufs allerbestimmteste und unzweideutigste Thucyd. II, 15. 16, dem
zufolge nach dem athenischen Synoikismos des Theseus die meisten Bewohner
des Landes mit ihrer ganzen Haushaltung izwoixr^a'ia auf dem Lande blie-
ben. Ebenso aber geht aus derselben Stelle, wie aus der Natur der Sache
hervor, dass durch einen solchen cjvotxiajxo; die Grösse und Bevölkerung
der eigentlichen Stadt sehr zunehmen musste , und besonders da wo aus
Gründen der Sicherheit gegen äussere Feinde derselbe vorgenommen wurde,
zog oft ein grosser Theil der Bewohner des Landes nun in den Raum
innerhalb der Ringmauern. Uebrigens brauche ich kaum zu bemerken,
dass der Ausdruck tioXi; auch oft in sehr weitem Sinne, fast für jeden Ort,
vorkommt. Vgl. Kuhn a. a. O. S. 50.
') Hermann Sauppe de demis urbanis Athenarum. Weimar 1846.
2) Strabo VIII, 3 p. 336. 337 C. vgl. Pausan. V, 4, 3. Ueber Attika
Philochoros bei Strabo IX, 1 p. 397 C.
314 Ueber die Bildung aon Staaten und Bünden.
in festen Plätzen niederliessen. Die Bewohner der kleinen
Orte sind wohl Angehörige der iroXi;, aber Unterthanen, nicht
gleichberechtigte Bürger. Beispiele dieser 8taaten])ildung bie-
ten Kreta, Thessalien, vielleicht Boiotien und andere Land-
schaften.
Aus den einzelnen Gemeinden also bilden sich Staaten,
sei es durch Gauverfassung, sei es durch Städtegründung and
politischen Synoikismos. Mit diesem ersten Schritte ist aber erst
eine immer noch sehr grosse Anzahl unabhängiger politischer
Individualitäten neben einander da, Avelche weder für die Ge-
fahren des Krieges , noch für die Bedürfnisse des friedlichen
Verkehres in engerer Verbindung stehen. Die Isolinnig tritt um
so schroffer hervor, als nach den staatsrechtlichen Begriffen des
Alterthums nur der Angehörige des eigenen Staates den Rechts-
schutz geniesst, der des fremden Staates davon ausgeschlossen
ist, sofern nicht bestimmte Staatsverträge darüber anders be-
stimmen. Das Bedürfniss einer grösseren Vereinigung zwischen
den verschiedenen Staaten musste desshalb natürlich hervor-
treten und sich je nach den Verhältnissen bald schwächer, bald
entschiedener äussern. Wie die Vereinigmig zu Gaugenossen-
schaften oder Städten durch eine natürliche stammverwandt-
schaftliche oder geographische Zusammengehörigkeit bedingt
ist, so steht über diesen Staaten nun wieder eine höhere Ein-
heit, innerhalb deren jener Trieb zunächst seine Befriedigung
sucht. Es ist das die der Völkerschaft oder, wie man viel-
leicht richtiger sagen würde, der Landschaft. Ich meine
damit die innerhalb gewisser geographischer Gränzen zur be-
sondern Entwicklung gekommenen Bruchtheile des griechischen
Volkes, deren Wesen theils durch Stammesverhältnisse, theils
und ebenso sehr durch historische und geographische Be-
dingungen begründet ist. Durch erstere. sofern die Stammes-
verschiedenheit die Grundlage der hellenischen Völkerschaften
bildet, durch letztere, sofern durch die Verbindung oder Ver-
mischung verschiedener Stämme und durch den bekanntlich
scharf ausgeprägten Charakter der einzelnen Landschaften wie-
der besondere Eigenthümlichkeiten hervorgebracht, und eine
unglaubliche Mannichfaltigkeit geschaffen worden ist*). Inner-
') So bildet z. B. Lakonika mit seiner nie verschmolzenen achaiischen
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 315
halb dieser Landschaften also sncht der Einheitstrieb sich zu-
nächst geltend zn machen, sei es dass er gleich dieselbe ganz
umfasst , wie das in Lakonika , Attika , Boiotien der Fall ist,
sei es, dass er auch innerhalb derselben kleinere Gemeinschaf-
ten hervorbringt und gleichsam auf der Mittelstufe zwischen
der ersten Städtebildung und der Gestaltung der Völkerschaft
zum politischen Körper stehen bleibt, Avic in Arkadien, in Ar-
golis, auf Kreta. Bei dieser Vereinigung der Völkerschaften
lassen sich zwei Hauptarten unterscheiden, die des Einheits-
staates und die des Bundesstaates, welche aber viele
Uebergänge und Berührungspunkte darbieten. Wir wollen die
erstere, die nur eine Wiederholung der Demenvereinigiing zur
Stadt im weitern Kreise ist. zuerst betrachten, iiier wird die
ganze Völkerschaft, oder wo sich der Einheitstrieb auf einen
Theil derelben beschränkt , dieser Theil um den Mittelpunkt
einer Hauptstadt, vollständig in einen Staat verbunden, sie
wird zu einer rzoXiq, die früheren Einzelstädte TtoXsi? verschAvin-
den als selbständige Gemeinwesen , sie treten , Avenn sie auch
den Namen 7:0X1? nicht überall verlieren, doch in das Verhält-
niss von Komen oder Demen zu dem Gesammtstaate. Diese
Vereinigung Avird vollzogen entAveder durch Auflösung der
sämmtlichen Einzelstaaten in einen Gesammtstaat , mit gänz-
licher Gleichberechtigung der BeAvohner der früher ge-
trennten Staaten, wobei die Hauptstadt allein den Vorzug hat,
der Mittelpunkt des Staates, der Sitz der Behörden zu sein^),
oder auf dem Wege der Unterordnung unter die Haupt-
stadt, so dass die Bewohner dieser die Herrschaft führen über
die BcAvohner der früher selbständigen übrigen Staaten.
Die erstere Art der A ereinigung tritt in Landschaften ein,
wo die Bevölkerung eine im Ganzen gleichartige ist, tnid nicht
verschiedene Theile sich als Sieger Tind Besiegte schroff gegen-
überstehen. Das vollkommenste Beispiel bietet Attika dar.
In der früheren Zeit Avaren hier Avenigstens ZAVölf verschiedene
und dorischen Bevölkerung im Grunde nur eine landschaftliche , keine
völkerschaftliche Einheit.
') Natürlich ist darunter nicht eine demokratische Gleichberechtigung
aller Stände verstanden. In Athen bestand lange trotz diesem Synoikisraos
die strengste Oligarchie ; aber der Gegensatz war nicht der der Hauptstadt
und der Landschaft.
316 Ueber die BiLnuxG von Staaten und Bünden.
Staaten mit hesondem Regierungen gewesen ') . Zwar nahmen
wohl früh die Herrscher von Kekropia 'dem späteren Athen)
eine gewisse Oberherrlichkeit in Anspruch; aber jedenfalls war
das Band ein sehr loses, so dass selbst Kriege zwischen ihnen
geführt wurden. Diesem Zustande machte die grossartige
Massregel ein Ende, welche auf Thesen s zurückgeführt wird,
den man desshalb mit vollem Rechte als den eigentlichen Be-
gründer des athenischen Staates und der athenischen Freiheit
betrachten darf. Er hob nämlich die Rathhäuser und die Re-
gierungen aller andern Städte auf, wies ihnen eine einzige Re-
gierung in Athen an und nöthigte sie dieses allein als Stadt
anzuerkennen, obwohl sie ihr Eigen thum wie zuvor bewohnen
konnten 2) . Mit Recht feierten die Athener bis in späte Zeiten
zur Erinnerung an dieses wichtige Ereigniss das Fest der Sy-
noikien ^uvoixia oder ^jvoixsaia; . Von einer Unterordnung eines
Landestheiles unter den andern war keine Rede, es gab keine
unterthänigen Umwohner (-spioixoi) im Gegensatz zu den Stadt-
bürgern, sondern die Bewohner von ganz Attika wurden Bür-
ger von Athen (Ai>T,vaToi) . Mochte einer bisher Bürger von
') Strabo IX, 1 pag. 397 C: Tocaüt' ouv d-6ypr] -po^Sleiitv , ort cpT)3t
OtXoyopos . . Ksxpoza TipüäTov elz oiooexa Tzokeiq, (3i)voi/.taat to 7:Xfj8ot , ojv
6v6|jLaTa KexpoTiia, Tetpa-oXt?, 'E-av-pia, Aev-IXeia, 'EXe'jai;, Acptova, Bopr/.o;,
Bpci'jpojv , K'j&Tjpo; , 2tfr,XT6; , Kr^'^tcia zaXtv o 'jarepov eU p^iav roXtv
ojv^Y^YSiv Xi-fSTai ttj>; vüv t«; ocuoey.a 0r,a£'j;.
'-) Thucyd. II, 15, I flf. : £-1 -fap Ki/.oor.nz '^'^i töjv TtpojTojv ßaatXsor^ tj 'Attixt;
e; 9irjaea dti 'aitol izoXet; (uxetTO "p'jxaveia xe iyv'jo'i^ -/.rii apyovxot;, '/.rn öroxe
(J.T) XI oeiastav oü ^'j-jfjeaav ßo'jXeuo6|xevot w; xöv ßaaiXsa, äXX' aüxot exaaxoi STioXi-
xEuovxo xal Ißo'jXeuovxo. %at xive? xal d-oXEjxTjaav zoxe aüxiüv wsirep xai EXeuaivtoi
(AEx' E'j|a6X-ou Ttpö; 'Epey^ia. e-eiotj oe Ötj^e-j; eßaoiXe'JCe y^'"^H^^'''''' r'-E'^« ^oü
^'jvexoü '/.fX o'jvaxo? xa xa a).Xa oi£Xos(xtj5£ xr|V ywpav v.oii y.axaXjoa; xräv a).).(uv
tioXeojv x7. x£ ßo'jXi'jxfipiot -/.Ott xa; äpyi; £; xf,v v\iv roXiv o'jaav £v ßo'jXs'JXTjptov
ärooei^ot? -Aal -p^xaveiov l'jvor/.ise -avxa; v-ai v£(xo[X£vo'Ji xa a'jxwv iraoxo'j?
a-ep -/.ai Trpo toü TjvaYxaos [j.tä ttoXei xauxr, yp-^sftai, f, ocTtävxwv t^otj IuvxeXo'jv-
xojv £? aiixTjV [AEY^Xr, Y^'^^fJ^'''''] <:ap£o6&Tj 'jtto ftr^aEf«? toTc Ireixa. Plut. The-
seus 24. Pausan. 1, 22, 3. Steph. Byz. s. v. 'A&fjvai. Isoer. Hei. Enc. §. 35.
Wenn Cicero d. legg. II, 2, 5 sagt: Theseus Atticos demigrare ex agris et
in astu qiiod appcllattir omnes se conferre Jusstt, so ist das entweder ein
ungenauer Ausdruck, wie er auch bei Isokrates a. a. O. vorkommt, oder
ein Missverständniss des griechischen auvoixiCsiv , £'-C [J-i'^i'' -öXw äfei'^ , wo-
gegen der Scholiast den Thukydides schon ganz gut erklärt hat, xo ^'jvor/.ioev
o'J-A £axtv £7:i xdO ^'j>;oi7.ia&f,vat dzoiT|5£v äXX' srrt roö jaiocv zöXiv xouxEOxt [iTjxpo-
TioXiv ey£iv ci'JxT|V.
Udber die Bildung von Staaten und Bünden. 317
Eleusis , oder der Tetrapolis , von Brauron oder Thorikos ge-
Avesen sein, in Folge des durch Theseus durchgeführten Synoi-
kismos hatte er die gleichen Rechte wie der Bürger der alten
Kekropia. Jeder politische Unterschied zwischen Attika und
Athen verschwand ^j , ein Gegensatz wie zwischen Spartiate
und Lakedaimonier, wie zwischen Thebaner und Boiotier exi-
stirte nicht. Vielmeiu' lebten gerade in Attika bis zur Zeit
des peloponnesischen Krieges die Vornehmsten vorzugsweise
auf ihren Landgütern und hatten eine besondere Anhänglich-
keit au das Landleben, so dass die Uebersiedhnig in die Stadt
beim lieginn jenes Krieges sie schwer ankam 2] . Das bestätigt
sich auch bei verschiedenen Gelegenheiten. Als Kylon 612
Ol. 42 die Burg besetzt hatte, um sich der Tyrannis zu be-
mächtigen, da eilten die Athener vom Lande herbei 3) und
belagerten ihn. Als bald nachher sich drei verschiedene Par-
teien bildeten, eine adelich-aristokratische, eine rein demokra-
tische und eine Mittelpartei, da ist keine Spur von Gegensatz
zwischen Stadt und Land, keine derselben hat ihren Sitz vor-
zugsweise in der Stadt, vielmehr weisen sie auf die drei Ilaupt-
theile des ganzen Landes , die fruchtbare Ebene nördlich der
Stadt gegen Eleusis hin, das gebirgige Weideland im nord-
östlichen Theile Boiotien zu und das Küstenland, das die
Südspitze der Halbinsel bildet: danach hiessen sie l^edieer,
Diakrier und Paralier. Viele der vornehmsten Adelsgeschlech-
ter zeigen durch die Namen der Demen, denen sie angehör-
ten, dass sie wenigstens noch zu Kleisthenes Zeiten ihren
regelmässigen Wohnsitz auf dem Lande hatten. Diese dinch
1) Der spätere Unterschied zwischen 'A~i-Aot und ' A\)rfialoi ist durchaus
nicht politischer Art und gehört nicht hieher. vgl. Dicaearch. ßio; 'EXXaöo;
p. 141 bei Fuhr und dessen Bemerkungen p. 188 squ. [C. Müller F. H.
G. II, S. 255. J
'-) Die Definition des Etymologicum magnum : IvjroiTpiciai IxoiXoövto oi
aÜTÖ Tc» aaxu oi-iCoüvxec xal [j.£T£)^ovt£C ßaatXiy.oü fi-JO'Ji ttjv töjv kptöv l7rt[x£X£tav
roio6[i.£vot ist in jeder Hinsicht eine viel zu enge und darf uns nicht irre
machen. Der Gegensatz in Aristophanes Wolken v. 47 ä'^poi^fj; tuv i'^
aaxeu); bezieht sich nur auf die Einfachheit des ländlichen und die Ueppig-
keit des städtischen Lebens.
3) Thucyd. I, 126, 7. Aehulich strömen später dem Peisistratos seine
Anhänger aus den Demen zu, Herod. I, 62.
318 Ueber die Bildung von »Staaten und Bünden.
Theseus begründete völlige Einheit von Stadt und Land erhielt
ihre höchste Vollendung durch Kleisthenes, der das gesanimte
athenische Volk anstatt der vier Stämme, in die es bis dahin
zerfiel, in zehn Stämme theilte. üiese Stämme ((coXai) ent-
hielten wieder 174 Gemeinden (otjjxoi) und bildeten keine geo-
graphisch abgerundeten Bezirke, sondern die ] Jemen aller
Stämme lagen über das ganze Land zerstreut unter einander
und fanden ihren Einigungspunkt in der Stadt. Diese selbst
nämlich enthielt nach einer Avahrscheinlichen Veiinutlnnig zehn
Demen, je einen aus jeder JMiyle, so dass in der Stadt alle zehn
Stämme vertreten waren ' . Damit war die gänzliche Ver-
schmelzung von ganz Attika zu einer Einheit, ghüchsam zu
einer grossen Stadt, vollendet und in einem Grade wie kaum
sonst irgendwo. Früh war auch in Attika der Name -oXic für
die einzelnen Orte mit Ausnahme der Hauptstadt ganz ausser
Uebung gekommen und für sie die Benennung Demen üblich
geworden, obwohl viele von diesen Orten äusserlich alle Eigen-
schaften von Städten besassen, befestigt waren und zum Theil
von ansehnlichem Umfange. Weil aber der Name ttoXic vor-
zugsweise im politischen Sinne gefasst wurde und örtlich
überdies der älteste Theil der Stadt, die Burg, diesen Namen
tmg, so kam. für Athen als Ort die Bezeichnung aaru auf,
dem nie der Begriff des Staates inwohnt , so wenig als dem
lateinischen urbs oder oppidum im Gegensatz zu civitas. Diese
gänzliche Verschmelzung Attika s zu einem Staate, wobei aber
den Demen völlig freie Bewegung in ihren eigenen Gemeinde-
angelegenheiten belassen wurde, ist eine der Hauptursachen
davon, dass diese Landschaft, eine der kleineren in Griechen-
land, eine Kraft entwickelte, die ans Unglaubliche gränzt, und
wie sehr sie dem l^edürfnisse entsprach ergiebt sich am schla-
gendsten daraus, dass bei den mannichfaltigsten Bewegungen
und Umwälzungen, durch die der athenische Staat geht, uns
nie ein Versuch begegnet, einzelne Landestheile von der Stadt
loszureissen 2) . Sie war vielmehr die Zierde des Landes , auf
1) Herrn. Sauppe de demis urbanis Athenarum. Weimar 1S46.
■-) Die einzige Stelle, aus der man etwas derartiges schliessen könnte,
ist bei Herod. I, 30: Y£''op-£VTjc 'ASr^vaioiat [td/q;, Tpo; to'j; äarj-f^tTova; h
EXE'jaivi. Allein ohne Zweifel ist dv 'EXeuoivi mit fJ-ä/Tj; •(tyoubtTjZ, zu ver-
Ueber die Bildung von Staaten itnd Bünden. 319
(lio ein jeder mit Stolz blickte: war er doch so gut Athener
als wenn er darin gewohnt hätte.
Weit unvollständiger und mir in kleinem Kreisen als in
Attika, geschah an andern Orten der Synoikismos. Auf einige
spätere mit mehr oder weniger Erfolg unternommene Versuche
werden wir unten kommen. Früh aber scheint das Ländchen
der opuntischen Lokrer mit der Hauptstadt Opus einen
vollständig geeinigten Staat gebildet zu haben ^) . Allerdings
ist das Verhältniss der Stadt zum Lande nicht näher bekannt,
aber neben andeiin deutet schon die Henennung des ^ olkes
nach der Stadt, Opuntier, auf eine solche Einheit"^).
Einen ganz erfolglosen Versuch, die lonier in Kleinasieu
auf gleiche Weise zu einem Staate zu vereinigen, machte Tha-
ies, der sie aufforderte eine gemeinsame Kegierinig in dem in
der Mitte L)uieus gelegenen Teos einzusetzen, die übrigen
Städte zwar wie bis dahin fortzubewohnen, aber ihnen nur die
Hedeutung von Uemen zu lassen ^j.
Der zweite Weg der Vereinigung einer Landschaft zu einem
Staate, durch U n t e r o r d n u n g unter die H a u p t s t a d t , wird
in der Regel da betreten, wo eine verhältnissmässig kleine
eingewanderte Bevölkeiaing einer zahlreichen älteren über das
Land verbreiteten gegenüber tritt : das erobernde Volk steht
binden und die äaTUY^iTovei; sind die Megarer. Vgl. Müller üorier 1, ITH.
Schümann antiquit. p. 165, 2. Und selbst wenn die Eleusinier damals von
Athen getrennt gewesen wären, möchte man die Ursache dnoon in der da-
maligen Macht von Megara suchen, das sich ja auch die Insel Salamis
angeeignet hatte.
•) Tittmann griech. Staatsverf. S. 710 ff., der ohne Grund in einer
Stelle des Polybius XII, 10 (11), 3. Selbständigkeit einzelner der östlichen
Lokrer angedeutet zu sehen glaubt. Böckh explicat. zu Pindar. Ol. IX.
[In der Kassandrosinschrift Archaeol. Ztg. 1S.55 S. 40 kommt neben dem
xotv'jv der Aitolier, Dorier, Ainianen, Epeiroten aus Phoinike, Oitaier und
Athamanen auch xo y.oivov tüjv Aoy.pü)v töjv tjoicuv vor, was für diese (make-
donisch-achaiische) Zeit eine Art von Bund voraussetzen lässt. Vgl. W.
Vischer. Lokrische Inschrift von Naupaktos im Rhein. Mus. XXVI, 1871.
Ueber einen Bund der opuntischen Lokrer mit Athen Bruchstücke einer
Urkunde bei U. Koehler Hermes V, 2 und 3. Sie heissen nur Ao-^poi.]
2) Strabo IX, c. 3 u. 4. p. 425 C.
3) Herod. 1, 170: ö; t^.i'Ke'js sv ßo'jXe'jT'/jptov "Itovot? dxTfjiiyat, to ok thai
bi Teo). Tstov -(ä^j [AECov eivcd lojvt'fj;. xa; 0£ äkXac, tcoXiok; oiy.eofj.Evai; (ATjOev
eaaoN vo(i.iC£oi>at xaTazep ei öfj{iot eiev.
320 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden
von vorne herein dem bezwungenen als ein feindseliges ge-
genüber, welches im Gefühle seiner Ueberlegenheit die Herr-
schaft nicht leicht aus den Händen geben mag und kann. Die
Unterworfenen sind überdies von den Siegern in der Regel
durch Stammesverschiedenheit getrennt, wodurch eine Ver-
schmelzung noch mehr erschwert wird. Die Eroberer setzen
sich in einer oder mehreren Hauptstädten fest und halten von
hier aus die Zügel der Herrschaft über die umliegenden Ort-
schaften. Das vollkommenste Beispiel einer in solcher Weise
zum Einheitsstaate gewordenen Landschaft ist Lakonika.
Nach lange dauernden, durch Jahrhunderte sich hinziehenden
Kämpfen mit den alten Bewoluiern des Landes von achaiischem
Stamme war es endlich den dorischen Eroberern gelungen,
sich das ganze Land zu unterwerfen und die politische Selb-
ständigkeit der Einzelstädte zu brechen. Lykurg gab dem Ge-
sammtlande eine solche Verfassung, dass es hinfort viele Jahr-
hunderte ungetrennt zusammenhielt, aber die Einheit beruhte
auf dreifacher Abstufung. Der Mittelpunkt, in dem das poli-
tische Leben des Staates allein ins Dasein trat, von dem die
ganze Regierung ausgmg, bildete die verhältnissmässig kleine
dorische Bevölkerung, sesshaft in den vier oder fünf Komen,
aus denen die Stadt Sparta bestand und im unmittelbaren Be-
sitz des grösseren Theils des Grund und Bodens. Nur sie
hatten Theil an der Staatsleitung, der -oXiTSi'a, Sparta war die
einzige ttoXu im vollen Sinne des Wortes und nur die Bewoh-
ner dieser Stadt, auch räumlich gefasst, waren ihre Bürger,
TroXTxai und — Trapnatai. Unter ihnen zunächst stehen die Pe-
rioiken. Diese wohnten in den ehemals achaiischen Städten des
Landes, deren es eine sehr grosse Anzahl gab ') . Sie heissen
zwar auch Städte, toAsi;, Avaren es aber nur in untergeordnetem
Sinne. An der Leitung des Gesammtstaates hatten ihre Be-
wohner gar keinen Antheil, dagegen besassen sie eine Art
Municipalverfassung -] , wodurch sie ihre besonderen Verhält-
nisse verwalteten und worin sie einige Entschädigung für die
•) Stephan. Bj-z. : 'Av&ava ttoXi; AaxiuvtxYj (j.ia twv r/.axov. [Vgl. Steph.
8. V. AiOatot, AjJi'jxXat, AüXcüv, ,'Aa.rj&ot!:iä; , A'jppocyiov, 'E-'ioa'jpo; Atij.Y,fid,
Kpo->t£ctt, Tf;vo;.] Strabo VIII, 4 p. 362 C AlüUer Dorier II, S. 23.
2) Müller Dorier II, S. 29. Schömann antiqu. p. 113.
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 321
völlige politische Nichtigkeit fanden. Ihren Vereinigungspunkt
fanden sie nur in der Landesregierung in Sparta. Eine Ein-
theilung in Bezirke ' ) , über die wir nicht näher unterrichtet
sind , hatte jedenfalls nicht den Zweck , unter ihnen selber
nähere Bande zu knüpfen, sondern nur ihre Beziehung zu der
Centralregierung zu vereinfachen. Die Lage der Periöken war
übrigens keine sehr gedrückte, vielmehr befanden sie sich in
materieller Hinsicht wohl , daher sie bis in die späten Zeiten
der herrschenden Stadt ziemlich treu waren und die Spartiaten
wenig Misstrauen gegen sie zeigten.
Die dritte Classe der Bevölkerung, die Heloten, bestellten
als Leibeigene die Güter der S])artiaten und kommen für un-
seren Zweck kaum weiter in lietracht, da wir keine Spur da-
von haben . dass sie irgend welchen Gemeindeverband gehabt
hätten. Um so feirullicher standen sie fortwährend ihren Her-
ren gegenüber, welche kein Mittel der List und Gewalt scheu-
ten , sich ihrer zu erwehren. Einzelne uns wenig bekannte
besondere Bestandtheile der Bevölkerung, Skiriten, Neodamo-
den und wie sie sonst heissen, standen in einem dem Periöken
ähnlichen Unterthanenverhältniss 2) .
Hier also war die Centralisirung der Landschaft durch
Unterordnung unter die Herrschaft der Stadt erreicht ; aber
dieses Verhältniss so treft'lich organisirt, dass die höchste Macht-
entmcklung stattfinden konnte und der so befestigte Staat
lange allen andern \ ölkerschaften überlegen war : das zeigten
die bald nach Lykurg gegen Messenien , Argos und Arkadien
geführten Kriege , wo eine gleiche Concentration der Kräfte
entweder gar nicht unternommen oder doch nicht vollständig
durchgeführt war.
Aehnlicher Staatenbildung begegnen wir in den übrigen
dorischen Staaten des Peloponneses , nur dass sie meist
weit kleinere Gebiete umspannten, weil sich die Eroberer gleich
anfangs in einer grösseren Anzahl von Städten niedergelassen
hatten, welche sich jede ihr besonderes Gebiet unterwarfen,
selbst aber von einander unabhängig waren ^) . So besonders
») Ephorus bei Strabo YIII, 5 p. 364 C. Müller Dorier I, S. 94. II,
24. [E. Curtius Gr. Geach. I* S. 166.]
2j Müller Dorier II, 242. 45.
3) Ueber diese Staaten vgl. Müller Dorier I, S. "8 fi'. und II, S. 55 ff.
Vischer, Schriften I. 21
322 Uebkr T)ik I>ii-DUNf; vox Staatkn uxd Hüxdkn.
inArfrolis, wo mehrere kleine Staaten sich hihleten, die eine
Verhindung der ganzen Landschaft verhinderten, dann in Me-
gara, ferner in Eli s^), avo die Bewohner des hohlen Elis
(xot'Xv] ~HXt<;) mit der gleichnamigen Hauptstadt die eigentliche
TtoXic den Staat hildeten und über die zwei anderen Theile der
Landschaft, die Fisatis nnd Triphylien, als Unterthanen herrsch-
ten. Nur dass in diesen Staaten die consequente und kraft-
volle Durchführung, die in Sparta statt hatte, fehlt und daher
vielfache Aenderungen und Umwälzungen vorkommen, dass na-
mentlich in Elis nicht gelang, das Verhältniss zu einem festen
unbestrittenen zu macheu , indem in günstigen Momenten die
Unterthanen ihre Unal)hüngigkeit jeweilen wieder geltend
machten uud zu Zeiten dabei von Sparta selber unterstützt
wurden . Auch einige arkadische Staaten lassen sich ver-
j^leichen, sofern sie nicht nur durch Zusammenziehen (auvoi-
xiofjLoc) von Komen einen Staat iroXtc bildeten, sondern diesen
nun dadurch vergrösserten, dass sie umliegende, früher gleich
freie Landstriche zu Unterthanen machten, so die Mantineer
die Landschaft Panhasia ^) . Ferner vergleichen M'ir damit die
Stellung der Th essaier zu den unterworfenen Völkerschaften
Thessaliens. Weil aber hier das herrschende A olk sich nicht
in einer einzigen Stadt concentrirte, sondern in mehreren über
das Land verbreitete, denen aber die Unterthanen allen zu-
sammen gehörten , so entwickelte sich eine ganz eigenthüm-
liche Föderativverfassung heiTSchender Staaten mit gemeinsamen
Unterthanen, worauf wir unten zurückkommen werden.
So sehen wir, dass die Landschaften, die es dazu gebracht
haben, einen vollständigen Einheitsstaat zu bilden, sei es durch
völliges Verschmelzen und Aufgehen in einer Stadt (710X1?), sei
es durch Unterordnung des übrigen Landes unter die Haupt-
stadt, die grösste Kraft gewannen. Der eine dieser Staaten,
Lakedaimon, wurde die aristokratische Hauptmacht von Grie-
chenland, deren Einrichtungen Jahrhunderte lang unverändert
») Thucyd. 11, 25. V, 31. Xenoph. Hellen. III, 2, 21 fF. IV, 5, 1.
VII, 4, 12 ff. Strabo VIII, .3 p. 355 C. [Diodor XI, 54, 1. Ueber Argolis :
Guil. Lilie: Quae rutio intercesserit inter singulas Argolidis civitates. Vratisl.
1862 (Dissert.)]
2) Thucyd. V, 29, 1. 33, 1. 58, 1, [so Orchomenos die Städte der
Nebenthäler des Ladon : Methydrion, Theisoa, Teuthis. Pausan. VIII, 27, 4.]
Uebkk niE liir-nuNo ao\ Staaten und Bünden. 323
fest bestanden , der andere , nachdem er alle Formen griechi-
scher Verfassungen durchlaufen . erreichte die höchste Blüthe
in der vollendeten Demokratie.
Während also diese Völkerschaften sich um eine Stadt zu
einem einzigen Staate centralisirten , war in andern die Kraft
der Einigung w<Miiger stark und äusserte sich bei mehr oder
weniger Selbständigkeit der Einzelstaaten nur durch eine
B u n d e s V e r fa s s n n g ^) .
Kaum den Namen einer solchen verdienen die Verbin-
dungen der Völkerschaften, die sich auf regelmässige Zusam-
menkünfte bei dem Tempel eines Stammgottes beschränken,
weini wir auch in solchen häufig die Anfänge weiterer Ver-
einigung finden. So ist die /usanimenkunft der asiatischen
lonier beim Panionion auf dem Vorgebirge Mykale^),
später in Ephesos *i nur ein sehr schwacher Anfang einer Con-
föderation. Eine stehende Bundesbehörde hat so wenig existirt.
als eine vorörtliche Vertretung der sämmtlichen Städte durch
eine derselben. Nur bei den jährlichen Zusammenkünften
wurden hier und da Beschlüsse über geraeinsame Angelegen-
heiten gefasst. oder in ausserordentlichen Zeiten dort Zusam-
menkünfte von Abgeordneten der Städte veranstaltet*). Eine
Verpflichtung, die Versammlung zu beschicken, scheint aber
so wenig bestanden zu haben, als eine allgemeine Verbindlich-
keit der Beschlüsse-^). Daher führten die Städte nicht allein
') Der Ausdruck für einen Bundesataat als Geaammtheit , namentlich
für die den Bund vertretenden Behörden ist to -/.otvov z. B. Thuc. IV, 78,
3. Tu HEcaaXüjv /.oiviv und sonst oft, doch wird dasselbe Wort auch für die
Behörden eines Einzelstaats gebraucht, z. B. Thuc. 1, 89, 3. In späterer
Zeit wurde auoTTjjxa für den Bundesstaat üblich.
2) Herod. I, 143. 148.
3) Dionys. Halic. Antiqu. Rom. IV, 25.
*j Herod. 1, 141. 170. Vi, 7: wo -poßo'j/.ot der Städte erwähnt sind.
[Vgl. V, 109 die lonier in Kyproa sagen: rj|x£a; dT:£Tre(A'|»i t6 7toiv6v twv
'I(uv(uv ci'j>.a^o/Ta; ttjV fta/.aaaav. Eine interessante Inschrift aus Smyrna im
Bullet, dell Instit. 1872 S. 248 aus Lysimachos Zeit enthält einen Beschluss
des Ituvojv TO xoivov Ttt)v Tpeiaxaioexa :i6/.£tuv zu Ehren eines Hippostratos,
Sohnes des Hippodemos aus Milet, OTpaxTjYo; ini t&v ttöXemv täv 'Idoojv
xaToaTaäeU. Es sind ßo'jXe'jTai der Bundesversammlung genannt. Eine
Statue zu Pferd soll im Panionion errichtet werden.]
ä, So nimmt Milet keinen Theil an den Berathungen über die Ver-
theidigung gegen Kjtos. Her. I, 141.
21*
324 Ubber die Bildung von .Staaten und Bünden.
häufig unter sich Kriege seihst in Verhindung mit auswärtigen
Bundesgenossen ') , sondern sahen auch ganz ruhig zu wie die
Lydier eine nach der andern unterwarfen. [Erst Artaphernes
ZAvang die lonier durch A ertrage sich üher gegenseitiges Rechts-
verfahren hei Streitigkeiten zu verständigen 2) .]
Aehnlich verhielt es sich mit der Festversammlung der
dorischen Hexapolis (später nach dem Ausschlüsse von
Halicamass Pentapolisi auf dem triopischen, Vorgebirge ^) .
Noch weniger Bedeutung hatte die Vereinigung der Aio-
1er bei dem Tempel des gryneischen Apollon. die überhaupt
zweifelhaft ist^). Doch scheint eine Verbindung der Aioler
gegenüber den Worten des Ilerodot 1. 149 nicht ganz in Ab-
rede gestellt werden zu können. Denn wenn er sagt, es sei
Smyrna durch die lonier von den Aiolern abgerissen worden
und es seien fortan statt der früheren zwölf nur elf Städte ge-
wesen, so lässt sich das nur durch die Annahme einer, wenn
auch noch so losen Verbindung erklären , die bestätigt wird
durch die darauf folgende Bemerkung , die aiolischen Städte
am Ida seien von jenen getrennt gewesen^).
Unsicher ist die Annahme gemeinsamer Fest Versammlungen
der Arkader bei dem Heiligthum des lykaiischen Zeus zu Ky-
nosura^j). Die politische Vereinigung der Arkader , auf die
1) Herod. V, 99. Hermann Griech. Staatsalterth. 5. Aufl. §. 77, 30.
2) [Herod. VI, 42 : cuv&T]xa; acptci aÜToTai tou; loiva; vjv/Yv^aae Ttoieea&ai,
iva ocoaicii-icoi ekv -xat [atj dX}/q\oi>i cpepoisv te xal ayoiev.j
3) Herod. I, 144. Dionys. Halic. a. a. O.
*j Wachsmuth, I, 1, S. 115. 1. Ausg. K. F. Hermann Lehrb. §. 76.
13. Schömann antiqu. p. 412.
5) Die Zusammenkunft beim Tempel des gryneischen Apollo , die St.
Croix. p. 15() annahm, entbehrt hinlänglicher Begründung; aber es ist zu
weit gegangen, wenn man damit jedes Band zwischen den zwölf Städten
verwirft, das mir vielmehr nach Herod. I, 149 — 151 existirt zu haben
acheint.
6) Schol. zu Pindar. Olymp. VII, 153. Tittmann S. 689. Schömann
antiqu. p. 409: K. F. Hermann gottesdienstl. Alterth. §. 27. 5. §. 51. 12,
der die A'j-/.aict wohl mit Recht geradezu ein Lokalfest nennt. [Die Frage,
ob vor der Schlacht bei Leuktra gemeinsam arkadische Münzen geschlagen
wurden, verneint Boeckh Metrol. Unters. S. 92. E. Curtius Beiträge zur
älteren Münzkunde. Berl. 1S51. S. S5— 90. Monatsber. d. Berl. Akad.
1869, S. 472 ff. schreibt Curtius die ältesten arkadischen Münzen mit der
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 325
wir unten zurückkommen werden , ist verhältnissmässig spät.
Andere solcher Panegyieis übergehe ich ganz.
Von einem eigentlichen Bundesstaate kann erst da die
Rede sein, avo gemeinsame Behörden vorhanden sind, welche
in allgemeinen Angelegenheiten für alle Bundesglieder bin-
dende Beschlüsse fassen und ausfühien, welche namentlich auch
die Gesammtheit des Bundes nach Aussen als eine Einheit
vertreten. Er stellt sich in den verschiedensten Formen, bald
mehr bald Aveniger ausgebildet dar, bald mit ganz gleichbe-
rechtigter »Stellung aller Glieder, bald mit Bevorzugung eines
Hauptstaates, so dass er in verschiedenen Abstufungen zwi-
schen jenen hauptsächlich religiösen Vereinigungen und dem
Einheitsstaate in der Mitte lag. Einzelne Landschaften hatten
einen Föderativverband soweit die Geschichte hinaufreicht, an-
dere dagegen , früher nur ganz locker verbunden , traten erst
später PTiger zusammen, und es lässt sich ein allmälicher Entwick-
lungsgang des Föderationsprincips verfolgen , das seine vollkom-
menste Stufe erst in den Zeiten erreichte , wo die Kraft der Na-
tion erschöpft war, und vielleicht gerade darum, weil die Kraft
der Nation erschöpft war. Denn in früheren Zeiten hatte die
kräftige Herrschsucht einzelner mächtigerer Staaten sich nicht
leicht dazu verstanden , den minder starken gleiches Recht
einzuräumen, was um so begreiflicher ist, da die Form noch
nicht gefunden war , welche Rechte und Leistungen in ein
billiges Gleichgewicht brachte. Es steht dieser Entwickhings-
gang natürlich mit der übrigen innern und äussern Geschichte
im engsten Zusammenhange.
In den ersten Zeiten beruhte die meist ziemlich lose Ver-
einigung dieser Bundesstaaten nebst den gemeinsamen Heilig-
thümern auf dem noch frischen Gefühl der Stammverwandtschaft
und dem Bedürfniss des nothdürftigsten Schutzes. Beides
musste in den Zeiten unmittelbar nach der dorischen Wande-
rung besonders lebhaft sein, da damals fast überall kriegerische
Stämme sich neue Wohnsitze eroberten, der Landesbesitz sich
neu gestaltete, und der Bestand der aus den Umwälzungen
hervorgehenden Verhältnisse von allen Seiten gefährdet sein
musste. Darum sehen wir denn auch mehrere jener durch
Umschrift »Arkadikon« dem Heiligthum des lykaiischen Zeus zu. Es ist
«eine Müuze ohne Staat.«]
326 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
Eroberung in neue Wohnsitze eingedrungenen Völkerschaften
unter den ältesten griechischen Föderativstaaten auftreten. So
die Thessalier, Boiotier, Achaier in Aigialeia i) . Andere wur-
den zum Zusammenhalten genöthigt, um sich der Uebergriffe
eben dieser erobernden Stämme zu erwehren, wie die Phoker.
Je unsicherer die Zustände in Griechenland noch waren, desto
mehr Avaren die Völkerschaften angewiesen, zum gemeinsamen
Schutze zusammenzustehen. Je mehr sie sich aber im Ganzen
befestigten, und auch die einzelnen Staaten einer Völkerschaft
zu einer sich selbst genügenden Kraft kamen, desto loser
wurde der Verein. Die Entwicklung der Verfassungen der Ein-
zelstaaten einerseits, die Ausbildung grösserer Bundesgenossen-
schaften (Symmachien) mit Hegemonie andrerseits wirkten sehr
auf die grössere oder geringere Festigkeit der Bundesstaaten.
Verschiedene Verfassungen entfremdeten einander die Einzel-
staaten, und die politischen Sonderinteressen, Sympathien und
Antipathien überwogen oft das Bewusstsein der völkerschaft-
lichen Zusammengehörigkeit. Im Interesse der Hegemonen
war es , keine Bundesstaaten zu ansehnlicher Macht kommen
zu lassen, sondern selbst den Anhaltspunkt für schwächere
Staaten zu bilden und so keine Machtentwicklung zu gestatten,
die der Hegemonie gefährlich werden konnte, eine Politik, die
besonders Sparta consequent verfolgt hat. Darum erscheinen
diese Bundesstaaten gerade in der Zeit von Griechenlands
grösster Blüthe, im fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrech-
nung, am wenigsten bedeutend . Der auf dem höchsten Punkte
stehende Gegensatz zwischen Demokratie und Oligarchie lähmte
sie im Innern, Sparta's und Athen's Macht beschränkten ihre
EntA\äcklung von Aussen, die Trennung ganz Griechenlands
in zwei grosse Heerlager verschlang die Interessen der einzel-
nen Völkerbünde.
Erst als durch den pelopoimesischen Krieg die Herrschaft
Athens gebrochen war, dagegen Sparta seine Hegemonie zur
drückenden Tyrannei auszubilden sich bemühte, und unter
dem Vorgeben die Autonomie der Einzelstaaten zu schützen,
1) Eine auffallende Ausnahme bilden die dorischen Staaten in Argolia
und auf dem Isthmos, vielleicht in Folge der verschiedenen Stellung, in
welche die Eroberer von Anfang an zu den alten Bewohnern traten.
Ueber die Bildung von Siaatkn und Bünden. 327
jeden Staatenverband zu lösen trachtete , da regte sich der
völkerschaftUche Einigungstrieb wieder lebendiger und brachte,
theils bei den vorgenannten, theils bei andern Völkerschaften
Erscheinungen hervor, die, wenn sie auch noch zu wenig
bleibenden Resultaten führten , nichts desto weniger eine
neue Stufe in der Entwicklung des Bundesstaates bilden und
die volle Beachtung des Geschichtsforschers verdienen. Es
tritt nämlich in dieser Zeit zwischen dem peloponncsischen
Krieg und dem Auftreten IMiilipps von Makedonien das Streben
hervor, (birch (Zentralisation in einer bedeutenden Hauptstadt
die Kräfte der Völkerschaft zu stärken, die Einzelstaaten in
dem in der Hauptstadt centralisi^ten Einheitsstaate und zwar
mit demokratischer Verfassung aufgehen zu lassen. Es ist das
Bestreben die Synipolitie an die Stelle der bis dahin auch in-
nerhalb der Föderation bestehenden Autopolitie zu setzen. Am
Widerstände der gefährdeten Einzelstaaten, die besonders bei
Sparta Hülfe finden, scheitert es.
Das letzte Stadium der Entwicklung des l'\)derativstaates
tritt endlich mit dem dritten Jahrhunderte ein, nachdem die
alten Hauptmächte Griechenlands sich entweder gegenseitig
entkräftet hatten oder durch Makedonien niedergeworfen waren.
Da erhebt sich in zwei früher ziemlich bei Seite stehenden
Landschaften, in Aitolien und Achaia der Bundesstaat mit
neuen Grundsätzen, indem nun C'entralmacht und Freiheit des
Einzelstaates in ein richtiges \ erhältniss gebracht wurden und
dehnt sich über die Gränzen der \'ölkerschaft Aveithin aus. Es
wird uns das daher von den Bundesstaaten einzelner Völker-
schaften hinüberleiten zu den allgemein hellenischen Ver-
einigungen.
Neben den bereits genannten Verschiedenheiten der Bun-
desverfassungen Avird nun aber die Mannichfaltigkeit noch ge-
steigert durch die ^ erhältnisse der verbündeten Staaten , die
entweder nur aus einer gleichartigen Bürgerschaft bestehen,
oder aus einer herrschenden Bürgerschaft und Unterthanen,
und eine weitere Modification ist die, wo der Bundesstaat im
Ganzen wieder Unterthanen hat.
Betrachten wir zuerst die einfachste und älteste Art der
Conföderation, wo die verschiedenen Staaten einer Völkerschaft,
ohne eine Hauptstadt und ohne Unterthanen, in einem gleich-
328 ITeber die Bildung von Staaten und Bünden.
rechtlichen Verbände stehen . der weniger durch positive Be-
stimmungen, als durch das Gefühl der Stammeseinheit und
Zusammengehörigkeit gegeben ist. Davon finden Avir ein Bei-
spiel in P h o k i s , das wenigstens um die INIitte des vierten
Jahrhunderts vermuthlich zwei und zwanzig Städte umfasste ^) .
Dass diese tStaaten in einer ziemlich engen Verbindung stan-
den, ergiebt sich nicht sowohl daraus, dass Strabo von einem
Bvindesstaate der Phoker 2 1 und Demosthenes von einem Demos ^)
derselben spricht, sondern noch mehr daraus, dass die Phoker
in der Geschichte fast immer als Gesammtheit erscheinen, von
der ersten Erwähnung ihres tapfem Widerstandes gegen die
von Norden herandrängenden Thessaler bis in die Zeiten des
unseligen dritten sogenannten heihgen Krieges und über die-
sen hinaus in die makedonischen und römischen Zeiten. Ueber
die Bundesverfassung selbst aber sind wir nur sehi' wenig un-
1) [Herodot M^II, 33 — 35 nennt 15 von Xerxea zerstörte Städte in
Phokis : Dryinos, Charadra, Erochos, Tethronion, Amphikaia, Neon, Pedieis,
Triteis, Elateia, Hyampolis, Parapotamioi, Abai, Panopeus, Daulis, Aiolideia.
Nach dem heiligen Kriege (Pausan. X, .3, 2) wurden zerstört: Lilaia,
Hyampolis, Antikyra, Parapotamioi, Panopeus, Daulis, Erochos, Charadra,
Amphikleia, Neon, Tithronion, Urj-maia. Elateia, Trachis , Medeon, Eche-
dameia, Ambrosos, Ledon, Phlygonion, Steiris. Geschont wurde nur Abai.
Es ergiebt dies 21 Städte, während Demosthenes (Trepi T-rj; TrapaTrpecßeias
§. 123) von 22 Städten spricht (öüo aoi eiV-oaiv eiatv äpi^fAui). Die zweiund-
zwanzigste war vielleicht Daphnus Strabo IX, 3, 416 und 424 C. Vischer :
lokrische Inschrift von Naupaktos S. 47 des Separatabdrucks. Von den
herodoteischen fehlen Pedieis , Triteis und Aiolideis , die vielleicht nach
Xerxes Zerstörung nicht wieder aufgebaut wurden. (Bursian Geographie
von Griechenland I, S. 1G3 u. 170). Für den Bundesstaat von Phokis der
spätem Zeit ist wichtig das Werk von Wescher und Foucart : inscriptions
recueillies ä Delphes. Folgende Städte erscheinen dort urkundlich als be-
stehend: Lilaia 35. 50. 53. 63 u. ö. Hyampolis 82, 212. Phanateus (so!)
50. 105. Daulis 21. 304. Charadra 429. Tithorra (= Neon) 35. 105.
Teithron 128. 31^. Drymia 47. Elateia 47. 53. 319. Medeon 392. 402.
'E-/£Öa[j.i£t? £v Teidpwvi icaToiy,£o-JT£; 318. Ambryssos 358. 412. 437. Plygonion
(bisher nur als Phlygonion Paus. 1. c. oder Phlygonia Stephan, s. v. be-
kannt, in den Inschriften stets nXjYo--£i;) 328. 337. 346. 3S0. 3S5. 404.
407. Stiris. 62.]
2) t6 xoivöv a6aTT)(i.a xtüv Ooiy-ecuv. Strabo IX, 3 p. 423 C. [tö xotvov
<l)(«7.£(uv Inschrift aus Hadrians Zeit) fxö -/.oijvrjv täv 0(u7.£(ov Keil Sylloge
inscriptionum Boeoticarum. S. 109.]
3) 6 ofjfAo; 6 Tüjv Oojxewv Demosth. rept t-^; 7Tapa7tp£ap, §. 81.
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 329
terrichtet, und wissen überdies nicht, ob das, was wir aus
spätem Zeiten erfahren . auch in früheren galt. In gemein-
samen Angelegenheiten, namentlich über Krieg und Frieden,
scheint eine allgemeine Landsgemeinde entschieden zu haben ^] .
So Avar es wenigstens zur Zeit des sogenannten heiligen Kriegs.
Ohne Zweifel müssen wir uns dazu auch einen engem Aus-
schuss, einen Bundesrath denken. Das Phokikon genannte
Gebäude, das Tansanias in der Nähe von Daulis sah 2) und
das zur Abhaltung von Bundesversammlungen diente, fällt
freilich wohl erst in ganz späte , Aielleicht römische Zeit , so
wie auch die Behörde der Phokarchen 3| . Hingegen kommen
früh gemeinsame Feldherm vor, die die Leitung des Krieges
hatten und wenigstens später auch die höchste Magistratur in
innem Angelegenheiten waren. |ln den delphischen Inschriften
erscheinen Strategen ^ , als Bundesbeamte, daneben in den ein-
zelnen Städten Archonten^j.l Ueber ihre Zahl, Amtsdauer und
Befugnisse sind wir aber sehr im Dunkeln. In den früheren
'* Diodor XVI, 32, 2: ol 02 «Pujxei; (xr:oX'j8£vTe; toö -oXipio'j v.n.Ta zb
Trapov ^zavTjXftov ei; AeXcpo'j; xal !J'jv£>.i)6vte; [itza. tüjv a'j(ji(i.a/u)v el; xoivi^v
dxxXTjOtotv ißo'jXeuo'JTO irept xoü r.o}.i[).0'j .
-] Pausan. X, 5, 1 : 'E; hk. tt)v ir.'i A£X',p<jjv eöfteiav ävaaTp£'|)avTi iv.
Aa'jXiOo; , xai {<5vti int to Trpootu , iarh oixoo6txir)[AC( £v äptOTepä xfj? ööoO
%aXo6(x£';o-^ Oujxf/.öv, i; ö d-'i i/Ä'^rr^^ roXeto; aj-nasiv oi 'Piuv-ei;. [Hier sind
Abgeordnete, keine Landsgemeindc zu verstehen. Avisdrücklich sagt Pau-
sanias fX, 4, ^ von den Panopeern : ^c xov o'jK/.ofou ajvEopo-j; y.al ojtoi
r.i[j.Tio'j<3i tÖv Ow/.iviov.]
3j C. I. G. 1738. Dass die Inschrift jedenfalls nicht älter ist, als
au.s Hadrians Zeit, zeigt Boeckh. |Le Bas 831 wird ein äY«Jvoi>£TT); Ootj-z-ap/T);
erwähnt.]
*) [^TpaTTjfö; Tw'^ <P(u-/.£ajv 3.5, 47, .50, 53 u. 8. f. oxpoiTTjYÖ; iv <I)(u7.£0i;
122. 212 und zwar kommen solche vor aus Hjampolis 82. 212. Phanateus
50. 105. Tithorra 35. Teithronion 128. 312. 368. 383. Brj-mia 47. Elateia
53. Ambryssos 122. 222. 412. Die Nennung des aitolischen Strategen
(304. 318. 3S0. 384. 385. 404) deutet auf zeitweisen Anschluss an den
aitolischen Bund. Die Jahresbezeichnung in diesen Inschriften durch den
Strategen beweist natürlich nichts für die Zahl, da der erste des CoUegiums
genannt sein kann, wie bei den athenischen Archonten , bei den spartani-
schen Ephoren u. s. f., ja, wie in einer Inschrift 424 sogar ein athenischer
Stratege zur Jahresbezeichnung gebraucht ist. ev 'AtlTjvat; aTpaTa-fsovTo;
HsvoTtXeo?.]
5) [so in Charadra 420, Teithron 318, Ambryssos 274. 437.]
330 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
Zeiten werden einmal in den Kriejä^en mit den Thessalem zwei
Bnndesfeldherrn erwähnt, deren einer das Fussvolk, der andere
die Reiterei befehligt * , ähnlich dem Strategen und Hipparchen
der Achaier und Aitoler. In dem heiligen Kriege steht ein
einziger Feldherr mit unumschränkter Vollmacht ioTpatT^Yo:
auToxpotTtup) an der Spitze der Phoker. Er scheint auf unbe-
stimmte Zeit gewählt oder wenigstens die Würde nach dem
Amtsablauf jeweilen erneuert worden zu sein. Philomelos,
Onomarchos, Phayllos sind bis an ihren Tod Feldherrn. Ueber-
dies erscheint das Amt damals faktisch fast erblich, da sich
nach einander drei Brüder folgen und dann der noch unmün-
dige Sohn des Ünomarch oder Phayllos, Phalaikos ^i . Diesem
freilich wurde ein zweiter Feldherr und \ orinund zur Seite
gesetzt'^;, und als er zu Klagen Veranlassung gab, setzte man
ihn ab und ernannte drei Feldherm Deinokrates , Kallias und
Sophanes ^) . Es ist daher die diktatorische Gewalt in dem
Hause des Pliilonielos als eine ganz ausnahmsweise, zum Theil
usurpirte zu betrachten, weshalb auch die Gegner nicht ganz
ohne Grund diese Strategen Tyrannen der Phoker nannten^).
Möglich ist auch , dass damals wie in anderen Landschaften,
so auch in Phokis die Bande der Conföderation straffer gezo-
gen Avvirden.
Von hegemonischen Rechten oder auch nur Ansprüchen
einer grösseren Stadt findet sich keine Spur, es müsste denn
etAva die frühe Lostrennung Delphi's vom übrigen Lande durch
solche veranlasst worden sein. Von den übrigen Städten war
1) Paus. 10, 1, 8.
2] Diodor XM, 23, 6. 31, .5. 36, 1 von Phalaikos sagt er 38, 6 ge-
radezu : Phayllos habe ihn als Feldhern hinterlassen. ^d'M.oz. .... /.ata-
XiTtdjv T«bv <I)(«y.Eaiv nTpnrrifO-^ ^ö./.'Xir.o^ tov 'Üvop.äpyo'j 'Jiov und Pausan. X,
3) [Diodor XVI, 38, ß : zapa-z-aTEaTr^as o a'jxöj i-ixrjor.n-j o.\i.'j. v.v. aTpa-TjYOv
Mva^sav, iva tujv eot'JTO'j cpiXt»;. Uebrigens erscheint schon neben Philomelos
Onomarchos als auvapyiuv atpaTTjYo; Diodor X\T, 31, 5.]
*)^ Diodor XVI, 56, 3. Pausan. X, 2, 7.
5) Aeschin. -epi -apaTrpeaßsia; §. 130 ff. Athenaeus VI, 19 p. 231 d.
Pausan. X, 7. 1 nennt sie gut O'jväoxat. Aeschines a. a. O. spricht auch
von einer Veränderung der Verfassung durch die Tyrannen, mit Hülfe
ihrer Söldner.
Ueber die Bildung vo>>' Staaten und Bunden. 331
Elateia die bedeutendste ohne desshalb politische Vorzüge ge-
habt zu haben. Ebensowenig hatten die Orte, welche den
Hund bildeten, ünterthanen, sondern das ganze Land besass
gleiche Rechte und Freiheiten : da überdies bis auf die Zeiten
des diitten heiligen Krieges es in l'hokis auch gar keine
Sklaven gab , so ist es wohl das freiste Land in ganz Hellas
gewesen.
Hingegen war die Bundesverfassung nicht so fest, dass
sie einer Spaltung ganz hätte begegnen können. Das geht aus
der Trennung Delphi's ') hervor und auch später nimmt Abai"^)
an den Handlungen der übrigen Phoker nicht Theil. Haupt-
zweck der Conföderation war wchl immer die Landesver-
theidigung.
[In ähnlicher freier \nid gleichberechtigter Vereinigung,
wie die Phoker. standen einige Nachbarvölker, so die Lokrer,
getheilt in östliche und Avestliche Lokrer. Officiell heissen die
erstem in der älteren Zeit Ao9poi tot TTioxvajxiOioi, aber auch
'OTtovTtoi, Aveil sie damals einen aristokratischen, von Opus aus
beheiTschten Einheitsstaat bildeten^ . Eine municipale Selbst-
regierung der einzelnen Städte ist hierdurch nicht ausgeschlos-
sen^,. In der Zeit nach Alexandros war das Land zeitweise
politisch mit Aitolien vereinigt ^ . Im Ehrendecret des Kassandros
erscheint aber wieder ein xoivov ttov Ao/pwv tu)v tjoicuv ^) , und
ebenso erscheinen sie in den Amphiktyonendecreten als Aoxpot
'Tttoxvtjiiiöioi "). In dieser Epoche Avaren die einzelnen Bundes-
städte wohl gleichberechtigt.
Für das Avestliche Lokris der altem Zeit ist bedeutend
1) Strabo IX, 3 pg. 423 C. [Doch geschah diese Trennung durch Sparta.]
2) Pausan. X, 3, 2.
3) [W. Vischer: Lokrische Inschriften von Naupaktos S. 42 ff.]
*] [a. a. O. S. 44.]
5) [Aitolisch datiren bei ^^''escher und Foucart: inscriptions recueillies
ä Delphes. Thronion 320 (ä ßouXa xai 6 öäfiOi; öpovistuv C. I. G. 1751),
Skarphe 91, Opus 321. Ueber die 'Oroü^xiot xai Aoxpot (Aexä 'Oro'jvtftuv
vgl. R. Weil ; archäol. Ztg. 1874 vS. 140 ff. und Stark zu K. F. Hermann
Handbuch d. Staatsalterth. I, S. 877.]
6) Archäol. Ztg. 1855 S. 39, 40.
') [Memoires presentes par divers savants: I. Serie, sujets divers
d'erudition. I. VIII. C. Welcher: F.tude sur le monumens bilingue de
Delphes S. 56 A. z. 55 und S. 74.]
332 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
die Bronzetafel in Korfn mit dem Vertrage zwischen Chaleion
und Oiantheiai). Die einzelnen Städte hatten Geschlechter-
herrschaft und besassen volle Souveränetät. In der makedo-
nisch-achaiischen Zeit erscheinen als Bundesbeamte der Aoxpot
'EoTTEpioi x\gonotheten2i, manchmal neben dem aitolischen Stra-
tegen^), einmal ein ßouÄap/iiuv xoh Aoxpuoü xilzo:^*!. Die Ver-
waltung der einzelnen Städte ist meist in den Händen von
Archonten"»).
*) [Oikonomides : Aoy.piY.-^; <xvEy.o6TO'j irtYpa'frj; otoc«pu)tioi; [lexa -cifJ.iy.f^i
(j.£Ta«ppaaett); y-o **, hi Kepy.upqt 1S5().]
'-) [Wescher und Foucart 186: d-fwio^zzio^TO- tüjv Aoy.püjv Ajxojvoi;
<I)'j'37.co;. 177: äYoJVoSetcOvxo; Ot),oviy.o'j A'j(j.ävoi. 213: äp/ovxo? £v AsX'^ot;
MevEOTpdxo'j ... i'^ 0£ Aoy.poi; aYiovofteteovto; (E'j)0'jcid(i.O'j ^jt/Aoz. 289:
d.fm^o%£zeo'iToz tüjv Aoxpd)^ Ntv.ea toü Aa(JLC.p(A£vo'j UiavÖEo;.]
3) [1. c. 243 : OTparaYEOVTo? töjv Adw^.wv 'A).£|avopo'j KaX-jotuviou, tüjv oe
Ao'vtpäJv äYiovo&ETeo^Toe TeXsaapyou toü AafxoxcXeo;.]
*) [1. c. 405. Curtius G. G. N. 1864 S. 172 denkt an einen militärischen
Bezirk des aitolischen Bundes. Allein dazu passt der Titel ßoö>.7.p/o; nicht.
Bezeichnet es etwa den ersten der Buleuten dieser Provinz?]
^) [In den Inschriften bei Wescher und Foucart werden folgende
lokrische Gemeinden erwähnt. 1) Amphissa mit aitolischen Beamten und
Monaten 359. 371. 377. 379. 386. 388. 403. 417. Aber auch mit städti-
schen Archonten und Monaten 19. 92. 163. 164. 215. 224. 247. 248. 256.
256. 426. 428. 2) Antikyra mit eignen Archonten 442. 3) Axia mit aito-
lischen Strategen 286 , sonst nur aus Steph. Byz. bekannt. 4) Chaleion
nach aitolischen Strategen datirend 64, 372. nach eignen Ai-chonten 69, 262.
5 Isioi 284. 328. 346 etwa die bei Thukyd. III, lol genannten "Haiioi.
Steph. Byz. "Haotot.) 6 Kyra datirt 177 nach lokrischen Agonotheten und
Archonten von Physkos, gehörte also gewiss zu dieser Stadt. Kyra ist
sonst unbekannt. 7) Myon (Muaveuc) [datirt nach lokrischen Agonotheten
213 oder nach aitolischen Strategen 323. 411. 8^ Naupaktos datirt aito-
lisch 75, 285. Einmal erscheint ein Naupaktier als aitolischer Stratege 223.
9) Oiantheia (F/ja\i)£u; 286. 346) 243 axpaxaY£ovxo; xtuv Aixoj/.wv — tüjv oe
Aoy.pöj-^ äY«uvoi)£X£ovxo? — Iv o' ( Uav&eiot äpyo-^xo?. Lokrische Agonotheten
aus Oiantheia 236. 289. 10) Oinoe 276 (= Oineon) datirt nach aitolischen
Strategen 410. (11) SxiEt? datiren nach Archonten von Amphissa 209,
gehören also wohl zu dessen Gebiet, sonst unbekannt.) 12) Physkos er-
scheint als eine der bedeutendsten Städte. Im Praescript nennt es den
lokrischen Agonotheten allein 186. 354. verbunden mit dem einheimischen
Archonten 432, aitolische Strategen 74. 189. 432 erwähnt eine Volksver-
sammlung £vvo[i.o; iv.f.y.ri'zia , drei apyovxec und einen toiüiz. Besonders
interessant ist, dass viele lokrische Agonotheten aus Physkos sind. 13) Tol-
phonia 339, 363 datirt nach lokrischen Agonotheten und eignen Archonten
289, nach aitolischen Strategen 80. 14) Triteia datirt nach lokrischen
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 333
Bei dem xotvov ttuv 'Axapvavcov erscheint als Eponjine ein
' IspairoXoc toT 'ATToXXoivi toT 'Axtioi, dann ein '(^a.\i\iOLTZu:;, Ta ßouXot,
ein npo}jLva[ji«)v und drei ^u}x-po[i.vaaovsc*! . In Pyrrhos Zeit wird
eine Versammlung der /iXioi erwähnt-).
Mit diesen Landschaften ist endlich auch Epeiros nach dem
Sturze der Aiakiden zusammenzustellen. Es bildete damals
einen Bundesstaat, ein xotvov mit der Hauptstadt Phoinike'^),
welche Polybios als eine blühende . mächtige , wohlbefestigte
Stadt schildert *). Alle Nachrichten bei I*olybios und Li\ius
stimmen dafür, dass der Bundesstaat ganz Epeiros (Molosser,
Thesproter, Chaoner) iimfasste^). Als Bundesbeamte werden
einmal drei Strategen, an einer zweiten Stelle ein Stratege und
ein Hipparch erwähnt ^) . Die allgemeine epeirotische Volks-
versammhnig fand in Phoinike statt ") .
Auf eine ähnliche Organisation Euboias im demosthe-
nischen Zeitalter deutet wohl das Eüßoscuv auvsopiov*).
Agonotheten 236, 363, nach eignen Arthonten 148 und aitolischen Stra-
tegen 65.]
»j [Bullet, deir Inst. 1873 S. 186 (= Foucart bei Le Bas explicatiou
des inscriptions II me partie 194 d.) Die Organisation des Bundes ist schon
von Boeckh C. I. G. II 1793 erörtert (vgl. auch Foucart a. a. O. S. 144 ff'.)
Ein Stratege vielleicht C. I. G. 1793 C. vgl. Livius XXXVI, 11, wenn
nicht die Lesart falsch und statt ITPA ... zu lesen ist IFPA . . .]
-) [Foucart: memoire sur un decret inedit de la ligue Arcadienne 1870
S. 27 Anm. 2 sagt in einer unedirten Inschrift aus Pyrrhos Zeit werde in
Akarnanien eine Versammlung oi /tXioi erwähnt.]
3) [Archäol. Ztg. 185.5 S. 39/40 -6 -icoivov xwv H-eipuitiüv [töjv Ttjepi
^oivixtq[v] und dazu Curtius S. 38.]
*) [Polyb. II, 5, 4 um 230 a. Chr.]
5) [vgl. bes. Polyb. XXXII, 21. 26, wo deutlich Phoenike als Haupt-
stadt erscheint, auch II, 5 wo eine Besatzung von 800 Galliern darin liegt.]
C) [Livius XXIX, 12 führt 204 v. Chr. drei praetores (oTparr^Y^^') ^^>
mit denen König Philipp in Phoinike zusammen kommt; aber XXXII, 10
nennt er einen praetor i3Tf<aTf|Yo;) und einen magister equitum (iTtTrop/o?) ,
was freilich nicht nothwendig andre Strategen ausschliesst , aber vielleicht
doch auf veränderten Einrichtungen beruht. Vgl. Freenian history of
federal Government I, S. 152 der aber die Inschrift nicht kennt und dai-um
sehr unsicher ist.)
'j [Polyb. XXXII, 21 : oi 0£ -oXXoi tösv ev ttJ «Poivixr, und vorher ebfjYov
£{; TO'^ OYJfAOV.]
8) [Aesch. c. Ctesiph. §. 89, 94. Indess war hier die Unabhängigkeit
der Städte grösser. Schon in Epameinondas Zeit kommen die Euboier
334 Ueber IHK Bildung von Staaten und Bünden.
Endlich kommen solche xotva vor bei den Achaiern, Avahr-
scheiiilich auch bei den Aitolern , den Ainianen , Oitaiern,
Athamanen ') und den Doriern der Tetrapolis. 2,]
Doch waren sie wohl alle weniger eng als Phokis ver-
bunden ; daher sie in der früheren Zeit nicht nur überhaupt
keine Bedeutung unter den griechischen .Staaten erlangen,
sondern auch nicht selten einzelne Theile derselben eine be-
sondere Politik befolgen, z. B. das achaiische Pellene 3) im
peloponnesischen Kriege, die akarnanischen Städte Astakos und
Oiniadai zu derselben Zeit *) .
Diese und andere ähnliche Bundesstaaten gehörten zu den
Theilen Griechenlands, die am wenigsten be^Aiisstes politisches
Leben entwickelten und in keiner Beziehung in die Geschicke
des Landes entscheidend eingriffen. Als Aitolien und Achaia
in den Aordergi-und traten, geschah es in Folge einer ganz
neuen Organisation. Wir können daher bei den mangelhaften
Nachrichten mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass die Bundes-
verfassung sich nebst gemeinsamer religiöser Feier auf Bei-
legung von Zwistigkeiten im Innern und gemeinsame Mass-
regeln zur Vertheidigung gegen äussere Angriffe beschränkte,
oft genug aber auch dafür nicht genügte. Von einer kräf-
tigen Bundesregierung, die diesen Staaten eine bestimmte
Richtung gegeben hätte , findet sich nichts , und selbst das
stets als Gesammtheit vor. Plass Tyrannen II, 76. In der römischen Zeit,
erstes Jahrh. p. Chr. wird xo Eüßoeojv y.oivov erwähnt. Keil Inscript.
Boeot. XXXI. j
1) [Archäol. Ztg. 185.5 S. 39 4ü bezeugt, für die spätere Zeit: tö
"Aowov Ttüv AftouAiüv , TÖ xoivöv Töjv OiTaiiOJv (über diese vgl. R. WeU: die
Oetaea Hermes \T^I S. 380 ff.) to tcoivöv twv KpTjxaiojv, tö y.otvö-/ töjv 'A/atwv
und TÖ xoi-vöv t(I)v ASa|j.dvtu\i (das von Li\-ius XXXVIII, 1 erwähnte Argithea,
Caput Athamaniae kommt inschriftlich bei Wescher-Foucart 24 als Ap-^e-^ia
vor.)]
■-) [Archaeol. Ztg. a. a. O. tö /.otvöv tö»-/ Aiupiswv. In den Inschriften
von Delphi kommen als dorische Städte Erineos, Boion und Dryope (198
Ap'jo-aioc, 362 ApuTraTo;) vor. Als Magistrate werden vorangestellt bei
Erineos (121, 223, 284) Boion (409) und Dryope (198, 362) der aitolische
Stratege, in Erineos wird aber auch nach dem städtischen Archonten da-
tirt 54. In 365 wird der Stadtbeamte Doriarchos genannt. ap/ovTo;
'E[x[ji£vtöa TOJ KaXXict (XTj-^ö; Boadüou, h hk EptvEÜ) ö(uptaf--/£OvTci; ^iXoxpaxeoi;
Toü KaXXi-icpaT£o? xtX.]
3) Thucyd. n, 9. 4^ Thucyd. II,. 9. 30. 102.
Ueber dfe BiLmTXG vox Staaten und Bünden. 335
Zusammenhalten der Phoker ist wohl grossentheils den vielen
Angriffen zuzuschreiben, die sie von den Thessaleru und Boi-
otiern zu erleiden hatten. Es mochten alle diese Hundes-
verfassungen genügen für untergeordnete Verhältnisse, deren
höchstes Ziel ein abgeschlossenes von den Nachbarn ungestörtes
Leben Avar, einer höheren politischen Stellung waren sie nicht
gewachsen.
Ein künstlicherer Bmulesorganisnius mit verschiedenen Ab-
stufungen der Angehörigen und einer obersten Hundesgewalt,
die zu Zeiten eine starke Macht entfaltete, war in Thessalien,
obwohl auch hier die Centralgewalt sich nicht in der Art aus-
gebildet hat, dass eine eigentliche Bundesregierung sich als
stehende Hehörde behauptet hätte. Das vereinigende Element
lag hier nebst der gemeinsamen Abstammung besonders in dem
Bedürfniss der herrschenden Staaten sich gegen die Unter-
gebenen zu sichern und in dem Hesitze gemeinsamer Unter-
thanen, den gemeinen HeiTschaften der alten Schweizerkautone
vergleichbar. Bekanntlich hatte das epeirotische Volk der
Thessaler sechzig Jahre nach dem troischen Krieg das Land
mit Waffengewalt erobert, einen Theil der Bevölkerung ver-
trieben , den anderen grösseren unterworfen ^) . Die Eroberer
Hessen sich in den Städten des mittleren eigentlichen Thessa-
liens nieder, unter denen Larissa. Pharsalos, Krannon, Pherai
die bedeutendsten waren. Die Bewohner des zunächst um-
liegenden Landes wurden in ein strenges Abhängigkeitsver-
hältniss gebracht, indem sie als sogenannte Penesten den
lakedaimonischen Heloten ähnlich die Ländereien der Sieger
bestellten. In diesem Verhältnisse stand hauptsächlich der
fruchtbarste Theil des Landes, von Peneios südlich gegen das
Othrysgebirge hin."^) Die in den entfernteren Gegenden und
') [Ueber Thessalien vgl. G. Grote history of Greece II S. 55 ff. die
epeirotischen Thessaler hält er für Avenig zahlreich, mit Recht ; nur ist der
Grund nicht beweisend , dass der Thessalerdialect ein Zweig des aiolischen
gewesen sei, sie also ihre Sprache bald aufgegeben haben müssen, weil sie
sicherlich von Anfang an einen dem aiolischen Dialect nahestehenden
sprachen. S. 58: we must sitppose them to have been viore warlike than
numerous, and to have gradually dropt their primitive language.\
2) [Die Penesten waren nach Theopomp Perrhaiber und Magneten,
nach andren Pelasger (d. h. wohl dasselbe) , nach Archemachos Boiotier
aus Arne. Athenaeuä Yl, 86 pg. 264 a. 8S pg. 265 b.]
336 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
zwar im Norden, Osten und Süden wohnenden Völkerschaften,
Perrhaiber , Magneter, achaiische Plithioter , Ainianen , Melier
und andere hingegen hatten zwar vollständige Freiheit der
Personen und des Eigenthums bewahrt, waren aber als Völker-
schaften in ein Ünterthanenverhältniss zu den Thessalem ge-
bracht worden, denen sie Heeresfolge leisten und Tribut be-
zahlen mussten, besonders in Kriegszeiten, i) Wenn auch die
Perrhaiber im Norden des Landes als Unterthanen der Larissaier
genannt werden -i , so smd doch die meisten dieser ^ ölker nicht
einer einzelnen Stadt, sondern der Gesammtheit der Thessaler
unterthänig gewesen. Das ergiebt sich nicht sowohl daraus,
dass sie Thukydides Unterthanen der Thessaler o7rr]xooi tuiv
össaaXuiv) nennt ^'j , was sich allenfalls so fassen Hesse , dass
sie verschiedenen thessalischen Städten unterworfen gewesen
wären, als aus des Xenophon Nachricht, dass bei dem Ein-
treten der Tageia (Tayeta) alle umliegenden Völker Tribut be-
zahlt hätten. Da nun die Tageia eine Bundesfeldherrnschaft
war, so müssen auch die umliegenden Völkerschaften Bundes-
unterthanen gewesen sein. Es wird bestätigt durch fernere
Angaben desselben Schriftstellers . dass der Tagos lason von
den Unterthanen den Tribut forderte, den früher Skopas ihnen
auferlegt hatte. ^; Also bestand Thessalien jo BsTra/.uiv sustr^ixa
aus einer Anzahl regierender Städte, die jede im Stadtbezirke
besondere Unterthanen. die grösseren vielleicht auch noch
unterthäuige Völkerschaften hatten . und die dann alle mit-
1; [Xen. Hellen. VI, 1, 7.]
-) Strabo IX, 19 pg. 440 C. oütoi (oJ Aaptsaiot) 5" oyv xa-ei/ov teou; — ?jv
Ileppatßiotv -^ai ctopccj; ETcpaTtovro scui tPiÄniTro? "xaTeaTTj xupio; töjv TTpaYiAdtTojv.
^j Thucyd. II, 101. IV, 7S. VIII, 3. Aus den zwei letzten Stellen
geht übrigens hervor, dass damals nicht alle Völker bis zu den Thermo-
pylen Unterthanen der Thessaler waren', was durch III, 92 bestätigt wird.
[Niebuhr Vorlesungen über alte Gesch. I, S. 294 nennt als gemeine Herr-
schaften die Perrhaiber, Magneten und phthiotischen Achaier. — Die
Ainianen , Oitaier , Malier , Doloper unterscheidet er als nur zeitweise ab-
hängig, was allerdings durch die oben angeführten Stellen des Thukydides
sich bestätigt.]
*l Xenoph. Hellen. VI, 1, 9: rXotT'jTä-rj; -(t |xTj-< oüar^; ©ErraÄiac -i'i-a
~a. -A'j-AKui i'&vTj 'jT.r^v.oa [xvt saxtv, Stav tciyo; bt^äot -/.a-ao-r^ . . . 12: t.ö.-iX'j.
Yap o-fj-o'j xd x'jy.Xiu cpopov cpspei Stav za-(Vjr^7ai td -Aatd BsttaXiav 19 : -poei-e
0£ xal ToT? -£01017.01? -äzi TÖv '.;6pov cujttso irX Sv.oroi tz-a'^^isoi r,v «ipeiv.
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 337
einander eine Herrschaft über die umliegenden kleineren Völker
ausübten. Diese gemeinen Herrschalten allein würden schon
eine Verbindung der Städte voraussetzen lassen, welche sicher-
lich seit den Zeiten der Eroberung bestand' , und die gemein-
samen Heereszüge, welche schon früh besonders gegen Phokis
häufig statt fanden, bestätigen sie. Die inneren Verhältnisse
der einzelnen regierenden Staaten , in denen streng oligarchi-
sches oder dynastisches Adelsregiment herkömmlich war, scheint
dieselbe freilich wenig berührt zu haben, 2 wohl aber Avar sie
berechnet auf die Erhaltung der Herrschaft über die Unter-
thanen und EinigTing der Streitkräfte des Landes zu Angriff
und A'ertheidigung. Wie freilich in gewöhiüichen Zeiten die
Ijundesverfassung der Thessaler beschaffen war, in Avelcher
Form die Beschlüsse der Gesammtheit gefasst wurden und Avas
für Behörden da waren , darüber sind wir niclit unterrichtet.
Dass aber ein gemeinsames Bundesorgan bestand, das über
Gegenstände, die alle betrafen, l>eschlüsse fasste, geht her-
vor [aus Herodot •) , nach dem die Thessaler nach gemeinsamem
Beschlüsse den Peisistratiden tausend Reiter unter ihrem Könige
Kineas zu Hülfe schicken und^ aus Thukydides •*) , der erzählt,
dass bei dem Durchmarsche des Brasidas 423 ihm von der den
Athenern befreundeten Partei vorgeworfen worden sei, dass er
' Später zog ganz Thessalien, wie es scheint, die Hafeneinkünfte von
Pagasai ein. Demosth. Olynth. I, 22 .- y/.ojov 0' zfwfi -tvor/ w; cüoi toj;
d-6 ToJTwv o£cn otoi7.£Tv. Vgl. Niebuhr Vorl. über alte Gesch. II, p. 334
vgl. 42(3.
-; Vielleicht waren auch die kleineren Städte der Thessaler in einem
Abhängigkeitsverhältniss zu den mächtigern, wie Schömann antiqu. p. 4(^2
aus den AVorten des Xenophon VI, 1, 8: twv iz 'Jtj.ü)v (xwv (Dv.pact/.iojv)
r,^TT,!i.£viov -oAetov schliesst. Doch können diese auch eine bloss faktische
Abhängigkeit bezeichnen.
3 [Herodot V, 03 : i-t-oir^-o -[do O'it loaaayir, roo; a-jTO'j?. 0£aoa"/.oi
hi GCfi O£0[j.cvo[at d7t£-£(x'i;av, 7.oivi^ -[^önj-r^ y p eiu [ji£voi, yt/.iTjV t£ '{--ov ym
Tov ßasiÄEa TÖv ocpEXEpov KivEr^v dvorjct Koviaiov , wo Larcher und Baehr an
Conium in Phrygien (Plinius N. H. V, 32, 14.5; denken, woher dann Kineas
gekommen wäre, etwa wie die Venetianer fremde Feldherrn zu nehmen
pflegten, was ganz unglaublich ist. Herodot hätte dann jedenfalls O^'j-^itj;
beigesetzt. "Weit eher wäre mit Wesseling an Pöv^ot zu denken oder ist
etwa Kpavveuvtov zu lesen? cf. AVachsmuth hell. Alterthumsk. I, p. 129.]
*, Thücyd. IV, TS : -/.ai doiv-clv v^xza^i d'v£'j tcü -dvtujv y.oivoü TTOp£'JÖ[jL£vov.
Vi sc her, Schriften I. 22
338 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
ohne Erlaubniss der Gesammtheit der Thessaler das Gebiet
betreten habe. Allerdings zeigt der dort erwähnte A'orfall und
der ungehinderte Durchmarsch, dass gemeinsame Massregeln
nicht eben mit Schnelligkeit getroffen wurden und die Parteien
nach ihrem Gutdünken verfuhren, ohne sich an die Bundes-
behörden zu kehren. Mehr als von der gewöhnlichen Organi-
sation wissen wir von einer ausserordentlichen Behörde. Wo
nämlich die Verhältnisse ein kräftiges gemeinsames Handeln
erforderten, Avurde bisweilen ein gemeinsamer Heerfürst ernannt,
der den Namen Tagos trug, und in älteren Zeiten auch Avohl
König hiess i- . Die Würde wurde auf längere Zeit, selbst auf
Lebensdauer bekleidet, so wenigstens in der Zeit nach dem
peloponnesischen Krieg, wo die Fürsten von Pherai sie er-
langten, und erscheint bisweilen fast erblich in einem Ge-
schlechte ^j. Im Jahre 3 TU nach der Ermordung des lason von
1) Die frühern Bundesfürsten werden von Herodot V. 63 , Thukydides
(I, 111) u. a. gewöhnlich Könige genannt, mögen .sie nun wirklich diesen
Titel (ßas'./.E'j;, getragen haben oder die Schriftsteller nur statt des sonst
ungewöhnlichen Ta-fö; den gewöhnlichen Ausdruck gesetzt haben. Dionys.
Halic. sagt Antiqu. Rom. V, TS dafür äoyo; vgl. Buttmann Mytholog. II,
S. 2T5. Der Ausdruck ßa3'.>.fj£; Bsa^aZ-iTj?, den Herodot VII, T von den
Aleuaden gebraucht, ist auf jeden Fall nicht streng wörtlich zu nehmen,
wie schon der Plural zeigt.
- lason war bis an seinen Tod Tagos , ebenso die Brüder Polydoros
und Polyphron , die allerdings nur ganz kurz regierten , und Alexandros
verlor seine Herrschaft über ganz Thessalien nur durch die AVafFen der
Thebaner. Xenoph. Hellen. VI, 1, 9, 12, IS, 19. 4, 2T ff. 33. 36. Plu-
tarch Pelop. 35. Von den früheren Könige genannten Heerfürsten ist die
Lebenslänglichkeit auch kaum zu bezweifeln. Von der Thargelia, welche
dem Könige aller Thessaler Antiochos vermählt war, sagt Suidas , freilich
etwas auffallend, sie sei 30 Jahre lang Königin von Thessalien gewesen.
Philostr. epist. T3, II, pg. 25T ed. Kayser. Lips. ISTl. Suidas s. v. 9apYY)/aa.
^^'oher Kortüm zur Gesch. Hellen. Staatsverf. S. 83 die Nachricht hat,
dass die Gewalt des Tagos mit dem Kriege aufgehört habe , ist mir unbe-
kannt. Am ehesten Hesse sich Dionys. Halic. a. a. O. dafür citiren, da
er den äpyo; der Thessaler mit dem römischen Dictator vergleicht. Da
aber die 10 jährige Aisymnetie des Pittakos und die Harmosten der Lake-
daimonier zugleich angeführt werden, so lässt sich nichts bestimmtes fol-
gern. Mag auch einmal die Tageia nur auf die Zeit eines Krieges be-
schränkt gewesen sein, so ist uns doch keiner bekannt, der wieder wie ein
römischer Dictator in den Privatstand zurückgetreten wäre.
Ueber die Bildung vüx Staaten und Bünden. 339
Plierai . wurden imgewöhnlicher Weise zwei Tagoi eingesetzt^) .
Immer Avird das Heerfürstenthum Männern übertragen. Avelche
ohnedies an Macht und Ansehen hervorragten . den Dynasten
und Tyrannen der grösseren Städte. In der älteren Zeit sind
daher die Tagoi gewöhnhch aus dem adelichen Geschlechte der
Aleiiaden in Larissa und Pharsalos^], oder der Skopaden in
Krannon. in der späteren Zeit wissen die Tyrannen von Pherai,
lason und seine ^ erwandten sich dazu erwählen zu lassen.
Die Macht des Tagos beschränkte sich aber nicht bloss auf die
Ileerführung, sondern erstreckte sich auch auf die inneren Ver-
hältnisse. So hatte Aleuas der Rothkopf Avahrschcinlich nicht
lange vor den Perserkriegen das ganze Land in Bezirke gethoilt
und die Contingente an Fussvolk und Reiterei bestimmt, die
jeder zu stellen hatte 3'. so Skopas vielleicht nicht viel später
die Tribute der Unterthanen geordnet ^ , Einrichtungen , die
1) Xenoph. Hell. VI, 4, 33.
-) Schneider zu Aristot. Polit. p. 490 squ. Buttmann Mytholog. II,
S. 246 ff. Abhandlungen d. Berlin. Akademie 1S23. Böckh zu Pindar
Pyth. X, 1.
3] Aristot. bei Harpocration g. v. TcTpao/ta. Schob in Rhesum v. 311
I, S. 2S. Dind. Schneidewin zu Heraclid. Pont. p. VIII, LXIX. Preller im
Philül. III, S. 13S ff. Mit Boeckh a. a. 0. und Schoemann antiqu. p. 401.
Aleuas den Rothkopf (6 rruppö;) in die Zeit vor den Perserkriegen zu setzen
und nicht mit Buttmann in fast mythische Zeiten, bewegt mich die ihm
von Aristoteles zugeschriebene Kriegsorganisation und besonders die Er-
wähnung der tAktt^. Niebuhr Vorlesungen über alte Gesch. II, S. 333
nennt ihn Sohn des Pyrrhos, Enkel des Achilles. Er führt noch an Schob
z. Apollon. Rhod. III, 1090. Grote II, S. 60 sieht in ihm: the ancestor
[real or imjthical] of the jjowerful Aleiiachie. Für die Eintheilung Thessaliens
in die vier Landschaften Pelasgiotis , Phthiotis , Thessaliotis , Hestiaiotis
und deren Beamte aTpa-YjYOi /je einer und -oXsaap/oi {je vier oder fünf?)
vgl. ein athenisches Psephismafragment , im Hermes V, S. 8. 9. von
U. Koehler besprochen. Es enthielt einen Vertrag zwischen den Thessalern
als Gesamnitheit und Athen. Von Seite der Thessaler beschworen ihn
Strategen ? und Polemarchen der vier Völkerschaften. — Ein Stratege der
Pelasgioten wird auch erwähnt in der Inschrift bei Ahrens d. gr. 1. dial.
II, p. 529 und Keil: Inscr. Thessal. tres. p. 6 ff.j
*) Xenoph. Hellen. VI, 1, 19: -posirs oe -a^i toI; Trepioty.oi; -äzi tov
'.iopov, üzT.so i-i Sxörra -erafixi^oi r,v cpipsw. Buttmann meint dieser Skopas
sei der gleiche den Aelian v. h. XII, J, 24 als Zeitgenossen des Jüngern
Kyros nennt. Da aber bereits Ol. 94, 1 v. Chr. 404 der Pheraier Lyko-
phron, der nach der Herrschaft über ganz Thessalien trachtete, seine Gegner
22*
340 Uebp:r die Bildung von Staaten und Bünden.
noch lange nachher fortbestanden. Welche Kräfte Thessalien
nnter einem tüchtigen Tagos entwickeln konnte, das hat lason
von Pherai gezeigt, der vielleicht die Kolle Philipps von Ma-
kedonien schon vor diesem übernommen hätte, wenn er nicht
mitten in seinen kühnen Entwürfen, OhTnp. 102, 3. vor Chr.
370 ermordet Avorden wäre: da aber die Tageia mir etwas
Ausserordentliches war und der Bund (t6 xolvov) in gewöhn-
lichen Zeiten nur sehr lose zusammenhing, und Parteiungen
die Einzelstaaten zerrissen, hat Thessalien nie auf längere Zeit
die Stellung in dem griechischen Staatensystem eingenommen,
die es vermöge seiner Grösse und Bevölkerung hätte einnehmen
können. Bei der mannichfachen politischen Abstufinig der
Landesbevölkerung hätte es dazu einer consequenten . festen
Regierung bedurft, wie sie in Sparta durch Lykurg war ge-
gründet Avorden. Die fehlte. Die Tageia selbst Avurde nicht
viel anders als die gesetzliche Form ') , in der ehrgeizige und
thatkräftisre Dvnasten eine tyrannenähnliche Macht über das
ganze Land ausdehnten.
Hatte in Thessalien eine gleichrechtliche Bundesverfassung
sich nicht entAAickeln können, so AAar doch die CentralgeAAalt
nicht an eine bestimmte Stadt gebunden, ^'on einem vor-
örtlichen Systeme, von einer bcA'orzugten Hauptstadt ist nichts
zu finden. Denn AA-enn auch Larissa^) oft besonders hervor-
ragt, so ist das doch nur faktisch als mächtigster Staat und Sitz
schlug, so ist mir nicht wahrscheinlich, dass um dieselbe Zeit Skopai?
Tagos gewesen sei, und eine so allgemeine Anordnung getroffen habe.
Auch nennt kein Schriftsteller ihn als Tagos, ein Stillschweigen, das in
dieser Zeit viel auffallender wäre als in einer früheren. In Xenophons
"Worten kann ich kein Hinderniss finden, es auf jene frühere Zeit zu be-
ziehen und es Aväre ganz angemessen, Avenn die kriegerische Organisation
und die Festsetzung der Tribute ungefähr in dieselbe Zeit gefallen wären.
Ob nun an Skopas I oder II zu denken, das lasse ich dahingestellt.
1) Xenoph. Hellen. VI, 4, 28: ^'laaoiv) [Asya; [asv r^v v.otl oid -6 Tt{)vo[x(j>
SerraXöJv taYo; •/a&£3Tdv'xi, -a.. t. X. 34: 6 o'ct'j lIoX'jcpocov fjOcs |i.£v cv'.ocjtöv
•^axea/e'ja^aTo os tt,v z'xfdi'^ -upawiot 6fJioiav und A'on Alexandros §. 35: intl
o'aÜTÖi; Tcap^Xotße tTjV äpyr,-; yaÄ£-6; |i.£v 0iTTa).oT; ra-fo; £y£v£to.
'-) Dass Poppo prolegg. zu Thucyd. 1 , 2 p. 307 mit Unrecht aus
ThucA'd. II, 22 den Schluss zieht: Pharsaliis et Larissaeis summum imperium
f lasse, hat schon K. F. Hermann Lehrb. der Staatsalterth. §. 178, .S
bemerkt.
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 341
des Aleuadengeschlechtes, zu anderen Zeiten Avar es Pharsalos,
Krannon nnd namentlich ]-*lierai. Daofegen finden wir das vor-
örtliche System ausgebildet, wenn anch vielfach bestritten in
Boiotien.i) Hatte anch die boiotische Völkerschaft in ähn-
licher Art Avie die thessalische durch Eroberung das Land in
Besitz genommen, so waren doch Unterthanen- und Leibeigen-
schaftsverhältnisse wie in Thessalien nicht entstanden , indem
keine verschiedenen "N'ölkerschaften nebeneinander fortexistirten,
sondern die sämintlichen BcAvohner des I^andes (viele der alten
waren ausgewandert) zu dem einen A olke der Boiotier ver-
schmolzen. Theben, mit der alten Burg, der Kadmeia, wurde
der Mittelpunkt-^; . in dem sich die Macht der EinAvanderer
concentrirte und von avo aus das Land allmählich besetzt und
neu bevölkert AAurde. aber nicht zu einem Einheitsstaate, son-
dern zu einem Bundesstaate sich gestaltete, in dem unabhängige
Städte neben einander traten. Wahrscheinlich vierzehn ^ solche
theilten ursprünglich das Gebiet des ganzen Landes unter sich
und zAvar so. dass Avenigstens zu den bedeutenderen Aon ihnen
je eine Anzahl kleinerer Städte und Orte gehörten. *] Diese
') G. A. Klütz de fcedere Boeotico Berl. 1821. Kortüm zur Gesch.
Hell. Staatsv. S. 83 ff. K. O. Müller Orchomeuos S. 402 ff. und in der
Hallischen Encyclop. XI, S. 271. Böckh im Corpus Inscr. I p. 726. Die
Schrift von H. Francke der böotische Bund. "Wismar 1843 kenne ich
nur aus Anzeigen. Auch Raoul Rochette's Abhandlung sur la forme et
Tadministration de l'etat federatif des Beotiens ist mir nicht zur Hand.
2] Thucyd. Hl, Ü!.
3) Hermann Lehrb. d. Staatsalt. §. 179. [Vgl. Grote history of Greece
II. S. 73, der zehn Städte annimmt.]
*] Ich sage absichtlich nur dass kleinere Städte zu den Bundesstaaten
gehörten, ohne zu entscheiden in Avelcher "Weise Man nimmt jetzt ge-
A\-öhnlich an , es seien den Bundesstädten die kleinern unterthänig ge-
we-fen. Namentlich hat das Müller Orchomenos S. 403 und Böckh zu
C. I. p. 728 aufgestellt, und letzterer unterscheidet ein dreifaches Verhält-
niss, indem er sagt : Ccterum quae oppida et vici Boeotiae foederi non erant
adscri^iti (tut in TtoufjiöJv qui Atheniensibus ofj[jioi numet'o censentur ac partem
civitatis constiiuunt, ad quam pertinent , ut Cynoscephalae Thehaimm , aut
cleruchis ohtinentur qnod de Orchomeno a Thebanis aliquod per temjnis
possessa dicendum, aut stmt subditi et vecti(/ales , de quibus vide 7ws Oecon.
civ. Ath. II, p. 370 et maxime Müller Orchom. p. 403. Wiewohl ich nun
nicht in Abrede stellen will , dass einzelne Orte unterworfen worden sein
mögen, so kann ich doch den dafür angeführten Stellen keine Beweiskraft
342 Ueber die Kilduxg von Staaten und Bünden.
Städte Avaren mit einander vereinigt nicht nur durch den aus
den früheren Wohnsitzen mitgebrachten Cuhus der itonischen
Athene, zu dem sie sich an den Pamboiotien zwischen Koro-
neia und Alalkomenai versammelten, sondern durch eine ur-
alte Bundesverfassung. Die gemeinsamen Verhältnisse wurden
herathen durch die vier Räthe der r>oiotier. ^) über deren Zu-
sammensetzung und den Grund der Benennung Avir aber nichts
als Vermuthungen haben. Sie hatten namentlich über Krieg,
Frieden, Bündnisse und dergl. die höchste Entscheidung.
Als vollziehende Beamte und Bundesfeldherrn stehen an der
Spitze des Bundes die Boiotarchen. Zur Zeit des peloponne
sischen Krieges, wo die Zahl der Bundesstaaten sich schon
vermindert hatte, waren es elf, zwei aus Theben, aus jeder
der anderen einer. - Die Bevorzugung Thebens hat man da-
durch erklären wollen, dass es einen der früher selbständigen
Staaten sich incorporirt xuuX damit eine Stimme übernommen
habe. Dann fällt aber auf, dass es nur elf Boiotarchen gab
zugestehen, namentlich mich nicht üherzeugen, dass die Ausdrücke a'jvTe/.siv,
ajvTJ/.sT; und cjij.u.ooot Thucyd. IV, 7ö. 93 ein Unterthänigkeitsverhältniss
bezeichnen sollen. In diesen Ausdrücken liegt dui-chaus nur der Begriff'
der Zusammengehörigkeit zum Tragen gewisser bürgerlicher Pflichten, nicht
der der Unterthänigkeit , daher die bekannte Anwendung in den spätem
athenischen Steuerklassen, daher Sjoitelien im achaiischen Bunde, Agl.
Philolog. II, p. 469 und sonst oft;, der keine Unterthanen kannte. Hätte
nicht auch Thukydides, wenn er Chaironeia als Unterthanenstadt von Orcho-
menos bezeichnen wollte, sich des ihm sehr geläufigen und bestimmten
'j-rjTtK-'ffi oder 'j-fiZoo; bedient, wie er II, 2'.i die Oropier 'j-r.r-/.'j'ji der Athener
nennt, oder V, 33 die Parrhasier üttTj-z-ooi der Mantineer? Ich glaube daher
eher, dass die a-j^-z'/.zlz genannten Orte zu den Bundesstaaten im Verhält-
niss von freien Komen oder Demen standen. [Strabo VIII, pg. 365 C.
freilich gebraucht G-jv-reÄEiv deutlich im Sinne von Unterthänigkeit.]
1 Thucyd. V, 38 : Ttoiv oe to'j; opvto'j; •(e^d'j^'xi, oi ßoiojTaoyai d-^coivcusav
Tal: TiScapst ßooXat? -öJv Bo'.wtöjv zi'jza, a'i-Ep arav t6 v.öpo; lyo'jsi. [M.
H. E. Meier: Die Privatschiedsrichter und die öffentl. Diaeteten Athens
S. 39 hält es für möglich, dass die vier Räthe die Streitigkeiten der Bun-
desstädte unter einander geschlichtet haben. Unterscheidet er aber mit
Eecht davon xö -/.oivov nau.,io[cuTä)v auvsoptov? Es ist genannt in der Inschrift
von Akraiphia C I. G. 1625, 30 aus der Zeit nach Hadrian nach Boeckh
oder richtiger aus der Mitte des ersten Jahrhunderts p. Chr. nach Ulrichs
Pveisen S. 249. Keil Inscr. Boeot. S. 120.]
2; Thucyd. IV, 91. Boeckh a. a. O. S. 729. Boiotarchen ohne An-
gabe der Zahl. Herod. IX, 15.
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 343
\uu\ dass nicht auch die der anderen aus der Reihe der selb-
ständigen BundesgUeder verschwundenen Städte in ähnlicher
Art an andere übergegangen sind. '] Jedenfalls kann ich The-
bens Anspruch auf hegeraonische Vorzüge nicht als blosse An-
massung ansehen. Nur beruhte sie Avohl. Avie das bei Mutter-
städten gegenüber Pflanzstädten in Griechenland überhaupt der
Fall war, mehr auf Herkommen als positiven Bestimmungen. 2)
Dass die vier Käthe sich in Theben versammelten oder die
Boiotarchen hier ihren Sitz hatten, wird zwar nicht ausdrück-
lich berichtet, ist aber wohl mit Sicherheit anzunehmen. So
viel ist gewiss, dass Thebens Bestreben ganz Boiotien zu leiten
\uu\ das Widerstreben einzelner anderer Staaten fortwährenden
Hader und Bürgerkrieg herbeiführten \nid die Veranlassung
zum Abfalle mehrerer Orte Avurden. Trotz Avechselnden Schick-
salen und vorübergehender A^iflösung^ , Avusste aber Theben
den Bund immer Avieder herzustellen und besonders nach dem
peloponnesischen Kriege straffer zu ziehen, bis er durch den
1; Es lässt sich freilich einwenden, Plataiai, Oropos und Eleutherai,
die vielleicht zu den 14 Staaten gehöi-ten , seien zur Zeit, da es 11 Boio-
tarchen gegeben , nicht boiotisch gewesen , ihre drei Boiotarchen müssten
daher wegfallen, und so hätten wir die 11 erwähnten. Wenn man hin-
gegen, wie Boeckh, annimmt, Chaironeia sei eine der 14 ursprünglichen
Städte gewesen, so entsteht die Frage, warum denn Orchomenos nicht zwei
Boiotarchen gegeben habe.
- [In der allerdings sehr advokatisch und sophistisch gehaltenen Rede
der Thebaner bei Thuc. III, 61 heisst es doch wohl nicht ganz ohne Grund :
-^jjjieTc 0£ aÜToT; Stacpopot i^(v^6l^.z\^'■^ -pöü-ov, oti Yjtxcüv xitcaviouv n^dratav
'j'jTt&ov rfj5 aXÄTj; BoKotta; v.a\ ä'/.Xa /wpia {xet aj-r^i, a ^'jp.[xiXTO'JC ävöpcuro'j;
ezeXäsavTs; ssyofjisv, o'jx T,;tO'Jv o'jtoi, (tiarzto izd/ %r^ to zpiöTOv, ■tl^[Sli.rr^i•JZ':\)rxl
ütf' TjjJLwv, l?(o Se Ttt)v ä'X/v(uv BotwTwv rotpaßaivovTE; td -drpta , i-tio-ri r:po3-
r,-/aYV.ot^'jvTO, rpoasyiuprjaav -pör AitT|Va''o'j:.j
^ Besonders merkAvürdig ist die Stelle Herod. VI, lOS. Nachdem Pla-
taiai A-on Boiotien abgefallen war und sich mit Athen verbündet hatte,
stand bei Plataiai eine Schlacht bcA'or. Da vermitteln die Korinther und
sprechen als Schiedsrichter £:riTp£<}idvTO)v «[x'^OTSptov o'jpiaav -z-i]-/ ytuprjv ^ttI
ToTaoc, iäv Orjßaio'jj Bohotöjv toj; [xt; ßo'jXojjievo'JC ic. Boicoto'j; teXscIv. Da-
mit Avar dem Grundsatz nach ein Bundesstaat aufgehoben, da jeder austreten
konnte, Avenn er Avollte. Da aber in Folge des verrätherischen Angriffs der
Thebaner die Athener sie schlugen und die Gränzen Aveiter ausdehnten,
mochte später überhaupt diese Bestimmung als nicht mehr geltend betrach-
tet werden. Der nach den Perserkriegen aufgelöste Bund wurde durch
Sparta wieder hergestellt. Diod. XI, 81, 3. Justin. III, 0, 10.]
344 Uebek die Bildung von .Staaten und Bünden.
Frieden des Antalkidas Ol. 98. 2. v. Chr. 387 aufgelöst wurde ^j ,
Nach diesem schmählichen Frieden, in dem allen boiotischen
Städten Autonomie oder volle Souveränetät gegeben Avurde,
gab es in Theben als höchste Beamte nur noch Polemarchen 2] ,
kerne Boiotarchen mehr. Avas deutlich spricht. Als aber we-
nige Jahre darauf Spartas Joch gebrochen , und an die Stelle
der von ihm geschützten Oligarchie Demokratie gesetzt "«Tirde,
da Avurde nicht die alte J^undesverfassung hergestellt, sondern
das Bedürfniss grösserer Kraftentwicklung und der Einflviss der
Zeit machten sich geltend und drängten zu einer neuen Ge-
staltung-^ . Theben sucht jetzt das ganze Boiotien in der
Weise zu einigen, dass es nicht mehr einen Bund, sondern
einen einzigen Staat bilden soll, der in Theben seine Haupt-
1; Xenoph. Hell. V, 1, 32. Theben musste, indem es die boiotische
Bundesverfassung auflöste, auf die Hegemonie verzichten. Vgl. Xenoph. VI,
3, 9. Andoc. über den Frieden §. 20.] Fast könnte man aus Xenophons
Erzählung schliessen, es habe schon vor dem antalkidischen Frieden Theben
die boiotische Bundesverfassung geändert, vielleicht während des korinthi-
schen Krieges. Tür eine dergestalt gewonnene Einheit spricht auch Xen.
V, 2, 16. -öj; E17.Ö; 'jaä; rr,; ;j.£v BoitHTia; lT:'.iXi'/,7;&f,^at oroj; ij.r, -/.ai}'
S^ eiYj.]
2) Xenoph. Hellen. V, 2, 2-5. 4, 2 ff .
3) [Während Thukydides, wo vom Gesammtbunde die Rede ist , immer
BoiiuTof sagt, wechselt bei Xenophon ßoiojToi und 9T||37iot bis zum Frieden
des Antalkidas ; nachher, wo vom Staate die Rede ist, gebraucht er immer
örißctio'.. Bei den Rednern heisst es immer örißctToi ausser der einzigen
Stelle bei Aesch. c. Ctesiph. 142 Boitutol *v 0T,ijat;, was Aeschines als einen
"Worttrug darstellt. Die obersten Beamten heissen aber bis zuletzt Boitu-
■zärjfo.'. ibid. §. 14-5, was deutlich beweist, dass alle Boiotier Thebaner ge-
worden waren, soweit sie nicht abgefallen waren. §. 149. 151. Ein Bruch-
stück des Bundesvertrags zwischen Athen und den «Boiotiern« aus Olvmp.
96, 2 vor der Schlacht bei Haliartos wird behandelt von U. Köhler Hermes
V S. 1. (Ephim. Archaeol. 1072. Rhang. 623 und 2331.; In dem Ver-
zeichnisse der dem unter Nausinikos abgeschlossenen Bunde ;Rhangab. äSl;
beigetretenen Bundesgenossen stehen 0T,ßoLto'. nicht BoituTot, auch ein deut-
licher Beweis , dass nicht ein Bundesstaat hergestellt war ; die Benennung
ist bemerkenswerth wegen des Streites über 0r,ßatoi oder Boituto* beim
Congress in Sparta. Vielleicht gehört hieher auch Rhang. 3S0 ; doch ist
nicht deutlich, ob hier schon STj^aloi im weitern Sinne gemeint sei. ^U.
Köhler dagegen nimmt an, im Vertrage unter Xausinikos seien 9-f,,3aTo'. ge-
nannt, weil noch die Bestimmungen des Antalkidasfriedens gegolten hätten.
Hermes V, l.i]
Ueber die -Bildung von Staaten und Bünden. 345
Stadt hat^). es sollte also ein ähnlicher Zustand herbeigeführt
■werden, wie er in Attika war. Insofern sind die wiederher-
gestellten Boiotarchen , deren es jetzt sieben giebt . zugleich
thebanische Behörde , darum treten jetzt die Thebaner überall
als Boiotier auf und finden wir selbst in athenischen Volks-
beschlüssen den Ausdruck «die Boiotier in Theben«."^ Der
') So allein kann ich mit K. F. Hermann I.ehrb. d. Staatsalterth. §.
ISl, 3 die Nachrichten bei Xenophon, Diodor, den Rednern über Thebens
damalige Stellung fassen, namentlich Diodor XV, 38, 3. ÖTjßaiojv . . . tt;j
BoituTiav är.nzoM Orrö tt^v töjv 6r,,3aia)v j'jvTS/.iiav -axTovTojv. 3S, 4. otOTtip tt,v
i% Tpito'J zpotJcuro'j äva'^sr^ojjLiVT,-/ T(Y£[aovioiv yotXsröj; i'izijVi y.al tcx; v.o.~7. Bo'.oj-
Tiav ToÄei; ärsartu^ ttj; twv Br^ßatouv ojv-reXi^a;. Aeschin. adv. Ctesiph. §.
142 -.r/jz^i 0£ -poXaßwv iVooTOV [X£v TT,v BoiojTiav -äaav £roir,3e 97;ßaioi;, Yp^"
'ioi; dv Toj i|)rj'fia(j.aTi iav Tt; ä^brr^T'jti roXt; äro 0T,ß';tiajv, ßoTj&iiv 'Ai}r,v7.'.'j'j;
BoituToii; Toi; dv 0T,^at;. Am schlagendsten aber spricht Isocrat. Plataic.
§. S. lvtOT£ Y^P iTTiyiipoöoi Xs-fEw, (o't 9r,^aioi;, w; otd to^to ~pö; r;[j.ä; o'jTtu
rp&3T,Vi"/<)r|aav , ot». au-ztiXeiv a'jToT; ojy. T,öi).o[j.£v. 'j|X£t; o lvi)'j[j.irai}£ -pöjTov
(ji£v, el oiv-aiöv dsTiv 'j-£p tTjAi-aoutojv iY'*''''iF'-^~"''' o'jtoo; ävöp-O'j; y.ai Oitvd;
ro'.ilo&ai td; Tt[i.a)pta;, etteit' ei 7rpoaT,-/£iv Oaiv w/.zl [xf, reiaöeisa"^ tTjV !!).'/•
Ta'.ituv ro/.f/ dXXd ß'.a3d£taav STj^aicii; Q'rnit.tvi. iyä) [i.£v ydp o'josvot; ^yyjixi'.
ToXijLTjpoTepo'j; elvai to'jtujv, oiti^/e; rd; [aev ioia; rj[ji.üjv IxdoTUJv 7:0). ei;
äcfavtCo'JOt, TTj? oe ocpetepoi; aötcüv ro). tTei'a; o'ioev oeoixsvo'j;
%oivu)V£iv dv/YV-d^o'j 3iv. Vgl. auch Xenoph. Hellen. VI, 3, 10. 20.
Sievers Geschichte Griechenlands vom Ende des peloponnesischen Krieges
bis zur Schlacht bei Mantineia S. 212. So begreift man, wie von einem
Unterwerfen der boiotischen Städte die Rede sein kann z. B. Xenophon
Hellen. VI, 1, 1. ohne dass es sich um Unterthänigkeit handelte. [Auch
die Antwort des Epameinondas in Sparta, Theben werde die boiotischen
Städte frei geben, wenn Sparta dasselbe mit den Periöken thue, spricht für
diese Auffassung (s. meine Erklärung des Vorgangs in Sparta Neues
Schweiz. Mus. IV, 303.) Scheinbar widersprechen Diodor XV, 8ü u. XVI,
85, wo -f\ y.oivT| GJvooo; töjv Boicutojv und tö y.oivov tojv Boiiotwv erwähnt sind.
Allein da der nämliche Diodor in der oben angeführten Stelle sagt , dass
die Tkebaner ganz Boiotien b-h tt,v twv örj^aiojv ouv-sÄetctv gebracht hätten,
kann er unmöglich an eine eigentliche Versammlung von Bundesabgeord-
neten denken , vielmehr muss die auvooo; eben nur die aus ganz Boiotien
zusammengetretene Versammlung des Volkes bezeichnen. Bei dem ersten
Anlass XV, SO, sagt übrigens Plutarch. Pelop. 31 , die Thessaler hätten
nach Theben Gesandte geschickt und 'Vfjtttiaixivojv -zwt 0r,,3atojv. Die zweite
Stelle ist jedenfalls nichts werth, da Diodor das von Demosthen. XVIII,
§. 136 erzählte mit .seiner Gesandtschaft nach Theben vor der Schlacht bei
Chaironeia zusammenwirft. Das Richtige hat auch A. Schäfer: Demosthe-
nes I S. 62.!
-) [Vgl. auch die Inschrift C. 1. G. 25. Bo'.wtio; d; 'Epyoa'evü)". Kirch-
hoff z. Gesch. d. griech. Alph. 3. Aufl. S. 130 A. 11.]
346 1-EBER DIE Bildung von Staaten und Bünden.
hartnäckige Widerstand einiger boiotischer Städte nnd das
grausame Verfahren Thebens gegen sie. namentlich Orchome-
nos. Thespiai nnd Plataiai, darf uns nicht beirren und zu der
Meinung verleiten, als ob es sich um ein bleibendes Unter-
thanenverhältniss gehandelt hätte. Aber diese Städte -wollten
nicht zu Demen herabsinken, sie AA'ollten ihre Selbstherrlich-
keit und Souveränetät behaupten und hatten dazu um so mehr
Veranlassung, als wenigstens Thespiai und Orchomenos streng
oligarchisch waren und also an dem Aufgehen in der boiotisch-
thebanischen Demokratie, die überdies durchweg roh imd brutal
auftrat, wenig Gefallen haben konnten. So lange Theben
unter Epameinondas Leitung gross dastand, hielt das neue Ver-
hältniss , in den unmittelbar darauf folgenden Zeiten suchten
die Thebaner es zu behaupten unter dem heftigen Widerstreben
mehrerer Städte . die an Phokis einen Anhaltspunkt fanden :
daher die furchtbare Erbitterung zAA'ischen Theben und Phokis
im heiligen Kriege. Die Schlacht bei Chaironeia und vollends
die Zerstörung von Theben durch Alexandros löste den Staat
auf. Der später hergestellte^ in makedonischen und römischen
Zeiten fortexistirenden Bund hat zu wenig Bedeutung, um uns
hier femer zu interessiren ^j .
In Boiotien haben wir also einen Bundesstaat, wo bei
Bundesrath und obersten Bundesbeamten, die von sämmtlichen
1) [tö -xo'.vÖv Töjv Bo'.ujTüiv XL. a. erwäiint bei Rang. 450 unter Archon
0£fjc[/.o-/o: etwa 269. Ein iy/ta'/ kommt als Bundesbeamter neben den
Archonten der einzelnen Städte in Inschriften häufig vor cf. Boeckh C. I.
G. I, S. 729 der aber schon die Meinung ausspricht, er sei vielleicht spätem
Ursprungs, während Freeman history of federal government S. 165 meint,
er stamme aus der ältesten Zeit. Aber seine Gründe passen nur für den
thebanischen Archon, nicht für den boiotischen. Vielleicht stammt er erst
aus der Zeit der "Wiederherstellung des Bundes in römischer Zeit. In der
makedonischen Zeit dehnte sich der boiotische Bund eine Zeitlang über
Megaris aus. Megara trat nach Polyb. XX. 6, 7 im Jahr 22-3 aus dem
achaiischen in den boiotischen und zwar in die SjTitelie von Onchestos.
(Le Bas voyage exjDÜcat. d. inscr. t. II, S. 19. 34 a und ebenso Aigosthena
{Le Bas a. a. O. S. 3 fF. 3 — 11. Beide führen neben dem eignen Archon
den von Onchestos als Eponymen an. An die Stelle des Basileus tritt ein
Archon , an die der 5 Strategen 5 Polemarchen , wie in den boiotischen
Städten. Mehreres über die Verfassung des spätem Boiotiens Stark bei
Hermann a. a. O. 6. 1S2.1
Uebek die Bildung von Staaten und Bünden. 347
Bundesstaaten bestellt Avnrden, doch faktisch die Centralgewalt
in den Händen eines mächtigen A'ororts lag, avo aber eben ans
dieser Stellung fortAvährende Reibungen und Kämpfe hervor-
gingen, bis der Bundesstaat zum Einheitsstaat umgeschmolzen
oder ihm doch sehr angenähert wurde. Das Gefühl der Selb-
ständigkeit Avar aber noch zu lebendig in vielen Einzelstädten,
ihr WiderAville gegen Theben zu tief gcAvurzelt, als dass sie
sich Avillig dieser neuen Stellung gefügt hätten. Sie fanden
für den Verlust ihrer städtischen Selbständigkeit keine Ent-
schädigung in dem allgemeinen boiotischcn Bürgerrechte, und
das faktische UebergCAvicht der Hauptstadt, AA^enn sie auch
rechtlich nur gleichgestellt Avar. machte sich um so drückender
fühlbar, als das \'olk roh und zu GeA\altthätigkeiten stets ge-
neigt Avar. Man trug das Verhältniss als ein schAveres Joch,
so lange man musste. und entledigte sich desselben bei der
ersten Gelegenheit.
Wie Avir nun gesehen haben, dass in Thessalien nach dem
peloponnesischen Kriege die Tageia fast z\ir erblichen Gesammt-
monarchie A\urde. und dass Boiotien sich zum demokratischen
Einheitsstaate umgestaltete, so traten in der gleichen Zeit auch
an sehr verschiedenen anderen Orten ähnliche Einigungsver-
siiche meist in l^jegleit demokratischer Verfassungen auf, und
überschritten selbst die Gränzen der einzelnen ^'ölkerschaft.
Das erste Beispiel ist die Vereinigung von Argos und
Korinth Avährend des korinthischen Krieges. Man begnügte
sich nicht ein enges Bündniss zu schliessen, sondern im Jahre
392, Ol. 96, 4 trat Korinth auf Betrieb der demokratischen
Partei als ein integrirender Theil in den argeiischen Staat ein i) .
Die Gränzsteine Avurden entfernt, die Korinther argeiische
Staatsbürger, der Gesammtname des Staates Argos. Dieser
Zustand, gegen den die Oligarchen von Korinth x\lles aufboten,
nahm sein Ende mit dem antalkidischen Frieden 3S7 2).
ij [vgl. Niebuhr Yorles. über alte Gesch. II, S. 250 und bes. 251.
Grote VI, S. 4S2 bezweifelt ohne allen Grund die Einverleibung Korinths
in Argos. Er versteht offenbar den Sinn der "Worte: 'Ap-fo; «vtI Koptvi^ou
TT,v -o-rAln a'jzün övofxä^E-iJai nicht recht. — Diess war nicht so, dass die
Stadt Korinth Argos genannt wurde, sondern der Staat, zu dem Argos
und Korinth jetzt gehörten, hiess Argos.]
2) Xenoph. Hellen. IV, 4, 6: öpöjvTs? die Aristokraten von Korinth)
348 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
Aehnliches -svar in demselben Kriege zwischen der ursprüng-
lich aitolischen Stadt Kai yd on und Achaia geschehen i).
Die Kalvdonier Avaren zn achaiischen Bürgern gemacht -worden.
Avas uns, wenn Xenophon genau ist. zugleich zeigt, dass die
Achaier selbst bereits damals in ein Yerhältniss von Sympolitie
getreten waren, von dem uns sonst nichts berichtet wird, und
das ohne Zweifel auch mit dem antalkidischen Frieden auf-
hörte.
Weit erfolgreicher aber wurde die gleiche Centralisations-
poHtik an der Gränze Thrakiens von Olynthos durchgefülm .
Diese auf der chalkidischen Halbinsel gelegene Stadt war beim
zweiten Perserkriege nach Vernichtung der früheren Bewohner
den Chalkidiern eingeräumt Morden 2 , die seit alter Zeit in
jenen Gegenden zahheiche Niederlassungen hatten. Beim Be-
gmn des peloponnesischen Krieges war sie dadurch stark ge-
worden, dass die liewohner einer Anzahl kleinerer chalkidischer
Städte an der Küste nach derselben übersiedelten um den
Athenern, von denen sie abgefallen waren, wirksameren Wider-
stand zu leisten ^'j . Der König Perdikkas von Makedonien, der
sie dazu veranlasste, hatte nicht gedacht, dass er damit seinem
Reiche eine gefährliche Nebenbuhlerschaft begründe. Seine
Nachfolger sollten das aber bald erfahren. Als die Macht
OGO'j; äva3-äai)ai 7,at "Ao^o; d-tzi KoptvOo'j Tr;v rarpioa aÖToI; övofJ.cx^£a&ai xal
ToXtxeiac [J.£v ävaY"/.a^6ijL£vo t tf, ; £v "Ap-fst ij.£te-/£Iv r^i oöosv
£0£OVTO, h rik tt, t.ö'/.zi. [i.£-:oi.-/.ojv T/.aTTOv O'jvdfjisvo'. £Y£vovt6 tive; aÖTöJv o't
£-;oataav oOttu [xiv d|j'.ajTOv eh'xi, T:£tpoja£>>o'j; os tt,v raTpioa, Sjz-to f,-/ -/.rn d;
doyf,; K6pW)}ov -otf,aai •a'jX £>.£'Ji}£pav ä-oo£T;ai ■/.. t. /.. vgl. V, I, 34. Man
beachte die Aehnlichkeit mehrerer Ausdrücke mit der obigen Stelle des
Isokrates. Es waren das offenbar damals übliche politische Parteiiihrasen.
1, Xenoph. Hellen. IV, 6, 1 : |i.£Td 0£ toüto o't 'Ayaiol I/ovte; Ka'/.'joüiva
T TÖ T.rAawi AiTOJ/.ta T,v y.al tto/.it'z; r:£r:otr,ij.£vot toj; K'//.uo(mviou; üpo'jOiiv
'/^ivaY%dCovTO iv a'JTfj.
2; Herod. VIII, 127.
3) Thucyd. 1, 58, 2. ^Eine auf den Anfang der Olynthisch-Chalki-
dischen Einigung bezügliche wichtige Inschrift bei Sauppe Inscript. Maced.
quatuor. 2. ^Inscriptio Olynthiaca enthält ein Schutz- und Trutzbündniss
des Amyntas, Sohnes des Erridaios und der Chalkidier auf 50 Jahre, nach
Sauppe aus 394/3 I. c. S. 16. OljTith wird nicht genannt, sondern nur
Ol XaX7.iof,;.]
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 349
Athens in jenen Gebenden gebrochen war und also kein ge-
meinsames Interesse mehr Makedonien und die Chalkidier ver-
einte, als Sparta durch den korinthischen Krieg vollständig
beschäftigt und Makedonien selbst durch Thronzwiste und Ein-
fälle der Illyrier zeniittet Avar. wusste Olynthos in kurzer Zeit
sich zu einer solchen Macht zu erheben, dass es einen grossen
Theil von Makedonien an sich riss und das ganze Eeich in
seiner Existenz bedrohte. Diese Macht geMann es dadurch,
dass es sich nicht bloss zum Hegemonen einer Symmachie,
sondern zum Mittelpunkte eines neuen Staates machte ') . Es
lud nämlich die benachbarten Städte ein , sich mit ihm zu
einem Gesammtstaate zu vereinen, and nachdem eine Anzahl
kleinerer Orte dies freiwillig gethan hatten, bekam es ein sol-
ches Uebergewicht über die isolirten Xachbaren. dass einer
nach dem andern dem Staate einverleibt wurde. Dass es sich
liier in der That um einen Einheitsstaat und nicht bloss um
eine Symmachie oder gar eine Unterthänigkeit der übrigen
Orte handelte, geht aufs entschiedenste hervor aus der liede,
welche die Abgeordneten der widerstrebenden Städte Akanthos
und Apollonia in Sparta hielten 2). Die sämmtlichen Orte
• [iTeber Olynth vgl. Boehneke Forschungen auf dem Gebiete der
attischen Redner. Ueber den chalkidischen Städtebund bis zu seiner Ver-
nichtung durch Philipp und über die olynthischen Reden des Demosthenes
1. S. 95—222.;
-; Xenoph. Hellen. V. 2, 12 ff. die bedeutendsten Stellen daraus hebe
ich hier heraus :
§. 12: o'jTOi TöJv -6).£(uv zpo;rjaYOv-o IotIv a?, i'-i wzt toi? aütoi; yo-rjcUat
voaoi; --tal 3jix7:oX'.T£6eiv, £-£iTa oe xal twv (aeiCovcov T:po;£/.aß6v xtva;.
§. 14: r;ix£i; oe tu avop£; AaxeoctifAÖvioi ßo'jXö}i.£&a (xev toi; Ttatpiot? voar»'.;
ypfjCiJai 7.al aJTOTro/.rxai £iv'at.
§. 18 : ai '[d-fj av.O'joai töjv r:ö/.£Mv tt,; rro/.tTEia; •/.oivojvoj^ai ct'JTat äv tt
locoaiv ävTiraXciv xayj äzoatTiOo-^Tcd" £'. [xevtoi 3'jY"'t'.£t38r,aovTa'. Tai; T£ i-iya-
[xiai; y.'xX iY"'^rr,3£3i -irj i'/J-r^'/oii ä; £6r^'.;t3ix£voi £tai y.al ■('itüzo'i-'xi Sri [j.£Ta
ttuv -/.paTOuvTtuv £-£3Öat 7.£poa/.£ov i'j-h . . . 13(1); o'JxiW oiaoioj; £'j>,'jTa iz-ni.
Wenn es dagegen §. 15 heisst: i-t: 0£ -/.ai Ilo-toatav £-/o'j3tv £-1 t(j>
io&[j.w t7j% naXXTjvTj; o'J3av vo|j.i^£T£ zal xä; ^vto; TauTTj; -6X£t; Ü7iry7t6o'j;
£0£0&ai a'jtüjv so ist ohne Zweifel mit •jt.t^-aövjz £ivat nichts anderes bezeich-
net als §. 18 mit rr,; ro/.itsia; y.o'.vwvET-/ , -was vom Standpunkte der Auto-
politie aus als eine Unterthänigkeit betrachtet ward. Gehört vielleicht in
diese Zeit die Gesetzgebung des Androdamas? Arist. Polit. II, 9, 9 pg. 58
Bekker.)
350 Ueber die Bildung vox Staaten lnd Bünden.
hatten dieselben Gesetze, gegenseitige Epigamie connubium;
lind das Recht überall Grundeigenthum zu erwerben, die wider-
strebenden Orte weigern sich an dem olynthischen Bürger-
rechte Theil zn nehmen (trjc roXirsia; y.oivwvslv und wollen
souveräne Städte bleiben (auro-oXlTai; . Besonders beachtens-
Averth ist, was zum Schluss gesagt wird, man müsse gleich
einschreiten, da jetzt noch manche Städte ungern in dem Staate
seien , lasse man denselben aber eine Zeit lang bestehen , so
würden die neubegründeten Interessen machen, dass er nicht
mehr leicht aufzulösen sei. Das konnte nur bei einem Yer-
hältniss geschehen, avo alle vollberechtigte ]5ürger waren. Wie
weit neben dem gemeinsamen Staatsverbande den Städten eine
besondere Municipalverwaltung blieb, ist uns hier so wenig als
bei l^oiotien bekannt, auch wäre möglich, dass neben dem
eigentlichen olpithischen Staate entferntere Orte in einem
blossen Bundes Verhältnisse gestanden hätten. Doch sprechen
die dürftigen Berichte eher dagegen 1 1 . Dass Olynthos in seiner
Macht keine Mässigung gekannt habe und dadurch den Wider-
stand der Städte Akanthos und Apollonia hervorgerufen , ist
eine ganz unbewiesene Behauptung 2) . Zur Erklärung jenes
1) [In der Inschrift über den attischen Seebund unter Nausinikos er-
scheinen unter den Beigetretenen .... ofj; d-o . . was man ergänzt XotX-
-/.tOTj; aro 0pa-/.r;;. Meier comm. epigr. S. 56 Schaefer de soc. Athen. S. 14
und 15 bemerkt, es könne nicht der chalkidische Bund sein, da später noch
olynthische Reiter bei den Lakedaimoniern dienen i'Xen. Hell. V, 4, 54).
Es seien also wohl die Bürger der Stadt Chalkis am Athos. "?) Beachteng-
werth ist auch die Stelle aus Theopomps 2:j. Buche F. H. G. I, S. 304.
Steph. Byz. s. v. 'Ai6).£iov) Aio'/.v.rri rf^; Opay-r^; ycp3ovTj30'j -o).i; . . . dropc'j&r^
£t; z6).tv AtoXeiov Tqi, 'AxTf/.fi; jj.£v o'Jca^ , -oX tTe'JOfisvr^v 0£ fASrä twv
XaX-/. tO£(MV. Sollte nicht statt 'Atti-/.-?]; zu lesen sein 'Av-ttj? oder vielleicht
'AxTiv-fic? Meineke vermuthet rrj? BoTTixfj? und bemerkt schon, dass die
Stadt nicht auf dem thrakischen Chersonnes liegen könne. Auf einen ein-
heitlich centralisirten Staatsverband deutet auch Demosth. r.efi -wirs^.
§. 203: iX£i>;ov Y^P I 't^Ay.n. ij.£v T£Tp'a7.oai.o'j; [-rrict; i-/,i't.xr^)~ri [j.6vov v.al cjja-
7:avT£? o'jÖev r^oav -rXz'wiz, -vi-r>:/.KT^ü.[üi^i töv äp'.i)[ji6v, o'jttuj XaXxiOEtwv
-avTwv Et; 'i^t a'jMtijy.iaixiv tuv, 7ct),. Er nimmt also zu Philipps Zeiten
einen noch vollständigeren Sj-noikismos an , als zur Zeit des Kriegs mit
Sparta, cfr. Polyb. IX, 28, 2 : t,v ti a'j3Tr,aa tüjv ezI Spoizr^S 'EXXTivwv. oO;
d-(u7.iGa^ 'A9r|>JaToi v.al Xa"/.7.i.5£T; , wv \y.i'(i'z-.vt t\yz rsJiTi-r^\i.o. y.'/i ö6v7a'.v -fj
2) Otto Abel, Makedonien vor König Philipp. S. 211 : 'das neue Athen
Ueber die Bildung vox Staaten und Bünden. 351
Widerstandes genügt vollkommen die Vorliebe der Griechen
für die Städtesouveränetät oder Autopolitie. Und diese auf-
zugeben und in die Politie des neuen Staates einzutreten,
dazu wollte sie allerdings Olynthos nöthigen. Dieser mäch-
tige, auf die Frincipien, welche sich damals in ganz Griechen-
land geltend machten, begründete Staat wurde nun freilich
durch äussere Uebermacht , durch die mit den unzufriedenen
Nachbarstädten vereinigten spartanisch-makedonischen Waffen
nach dem heldenmüthigsten vierjährigen Kampfe im Jahre 380
gebrochen ; und als später der \'ersuch noch einmal mit Glück
erneuert wurde, Olynthos selbst 347 von Philipp von Makedo-
nien zerstört 1). Aber er bewies, was auf diesem Wege erreicht
werden konnte.
Der gleiche Trieb zur Bildung grösserer Staaten wurde
zehn Jahre nach der Bezwingung von Olynthos die Veranlas-
sung der Gründung von Megalopolis. Wir haben oben be-
merkt, wie Arkadien früher nie zu einem wahren Bundesstaat
geeinigt war, sondern eine ziemlich grosse Anzahl von Städten
und Gaugenossenschaften unabliängig neben einander staiulen.
Als Nachbaren Spartas hatten die Arkader von jeher dessen
Uebermacht zu fühlen gehabt, noch in der letzten Zeit 385
durch die Zerstörung und politische Spaltung von Mantineia.
Nach der Schlacht bei Lcuktra suchte nun auch Arkadien sich
von der bisherigen Abhängigkeit von Sparta zu befreien, und
ein ausgezeichneter Staatsmann Lykomedes aus Mantineia
erkannte das Mittel dazu in einer engen Verbindung der säramt-
lichen Landestheile, wobei er von Epameinondas unterstützt
wurde. Auf seine Anregung beschlossen die Arkader. oder
wenigstens der grössere Theil derselben, einen geraeisamen
kannte so wenig wie das alte Mässigung: Olynth zog, je weiter sich sein
Bund ausdehnte, desto straffer die Zügel an, mit welchen es als Haupt des
Bundes die gemeinsamen Angelegenheiten zu leiten hatte, immer mehr trat
die Stadt in befehlendem Herrschertone gegen die Bundesgenossen auf.«
Woher diese Nachrichten?
i) Demosth. -£oi -apa-p. §. 264 behauptet, die Macht von Olynth sei
zu Philipps Zeit viel grösser gewesen, als zur Zeit des Kriegs gegen Sparta.
Wie wenig aber sein Zeugniss hier auf historische Genauigkeit Anspruch
machen kann, ergiebt sich zur Genüge daraus , dass er sagt , Olynth habe
den Krieg gegen Sparta beigelegt, wie es gewollt.
352 TJeBER die KlLDU^G YOIS STAATEN VXD BÜNDEN'.
Staat (-0 xoivov 'Apxaoojv, to 'Ar/x.aoiv.ovi mit einer gemeinsamen
Regierung, einer gesetzgebenden Ge-walt, und einem Heere
des Gesammtstaats zu gründen. Um einen festen Anhaltspunkt
gegen Sparta zu haben, vielleicht auch, Aveil man keiner
der bisherigen grösseren Städte den Vorrang geben mochte,
Tvurde, gewiss unter dem Einfluss von Epameinondas Feldhenn-
blick, eine neue Stadt im südwestlichen Theile des Landes am
Helisson gegründet, Megalopolis, und die Einwohner von
neini und dreissig oder vierzig .kleinen Städten und] offenen
Orten, zum Theil nach grossem Widerstreben, genöthigt sie
zu bevölkern ^ , . Sie gehörten sehr verschiedenen , bisher von
' Hauptstelle Pausan. YIII, 27, 2. vgl. Diodor XV, "2. Den ersten
Gedanken einer Vereinigung von Arkadien schreibt Xenophon Hellen. VI,
5, 6 den Tegeaten Kallibios und Proxenos zu. [twv os Tt-iza-öi-t oi [xk■^^
-£pl -zb'/ Kn'/jAp'.o-i v.a'. FloöcE-zCiv z'rrr^-ivi i-rX -h 3'j-nevai t^ -äv -o 'Ap7.aoi-/.ov,
v.'A 0 Ti vr/.iur, äv -ü> v.ciivüj, -'jÜto •/•Joiov dvai -/.at tüjv -Q-twi' oi 0£ -z[A tov
ETaaiTTTTov £-pa~ov iäv -z y.'xzb. ydjpav -A^^i roXiv v.cil toT; -aTpioic
voiAoi« yf/fjodat.] Ueber Lykomedes vgl. Diodor XV, 59 u. 62. Xenoph.
Hell. VII, 1, 23. Sievers Gesch. Griechenlands S. 25.5. ^vgl. Xiebuhr,
Vorl. über alte Gesch. II, S. 291. Freeman history of federal govern-
ment I, S. 197 ff. Curtius Peloponnes I, S. 17G nimmt an, es habe da-
mals drei Gattungen von arkadischen Staaten gegeben. »Erstens solche,
welche sich an dem Synoikismos gar nicht betheiligt hatten. Die bedeutend-
sten derselben waren Orchomenos und Heraia; beide waren die heftigsten
Widersacher der neuen Gründung, welche ihren Einfluss beeinträchtigte.
Ferner blieben die nördlichen Stadtgebiete von Pheneos, Stymphalos,
Psophis , Kynaitha , Thelpusa unberührt von der Neugestaltung der süd-
lichen Landschaft« Indessen erscheint Aineas von Stymphalos als arkadi-
scher Feldherr. Xen. Hell. VII, a, I . Nonakris gab seine Bewohner an
Megalopolis ab; denn an ein andres, als das stygische, das deshalb Pausanias
ganz verlassen fand, ist nicht zu denken. »Zweitens gab es solche Staaten,
welche an der Gründung der neuen Hauptstadt Theil nahmen, aber ein
besondres Gemeinwesen behielten ; so Mantineia, Tegea, Kleitor, aus denen
je zwei Bürger zu den Zehnmännern gewählt wurden , welche die Stadt-
gründung leiteten. Daraus können wir schliessen, dass auch eine Anzahl
von Bürgern aus diesen Städten nach Megalopolis übersiedelte. Endlich
die Ortschaften, welche vollständig in Megalopolis hineingezogen wurden."
Bei der Aufzählung dieser meint Curtius, die Lage der Tripolis Kalliai,
Dipoina, Nonakris sei noch unermittelt, offenbar, weil er sie im südwest-
lichen Arkadien sucht. Ich zweifle aber nicht, dass Nonakris die Stadt
an der Styx ist, die Pausanias verödet sah , und also die Tripolis ebenda,
ohne Zweifel die heutigen Glukinaes.]
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 353
einander iinabliängigen Gaugenossenschaften und Stadtgebieten
an. Die sämmtlichen arkadischen Staaten, war der Phin, sollten
fortan nur eine gesetzgebende Gewalt haben und denselben
Gesetzen gehorchen ') . Die höchste Gewalt sollte bei einer
grossen Volksgemeinde suvsopiiov, ouvooo; nicht sx/Xr^aia) den
Zehntausenden (jj-upioi) stehen, welche sich in Megalopolis aus
ganz Arkadien versammelten '-] . Wie diese grosse Gemeinde
bestellt wurde, wissen wir nicht. Sie haben ausser der gesetz-
gebenden Gewalt den Entscheid in allen Fragen, die die Stel-
lung des Staates zu anderen Staaten betreffen, sie beschliessen
Krieg und Frieden, Bündnisse, schicken Gesandte, lassen sich
von ihnen Bericht erstatten, kurz sie haben ungefähr die Be-
fugnisse der Ekklesia in einer reinen Demokratie, von der sie
aber ohne Zweifel dadurch unterschieden sind, dass nicht alle
Bürger Arkadiens zur Theilnahme berufen waren, wie das aus
dem Namen der Behörde hervorgeht '■'] . Die Leitung der Ge-
'j Die Hauptbelegstellen dafür, dass Arkadien zu einem einzigen Staate
geworden , oder vielmehr hätte werden sollen , hat Sievers Geschichte
Griechenlands S. 25S und 37 gesammelt, wiewohl er S. 2.55, 256 selber
dagegen polemisirt, weil er die Begriffe von Stadt und Staat nicht gehörig
unterscheidet [eigentlich polemisirt er nicht gegen die Annahme eines Ge-
sammtstaates.] vgl. Xen. Hell. VI, 5, Ü. \1I, 4, 12. 33, 36, 39.
-) Xenophon. Hellen. \1I, 4, 34. [üb; os -/.al i-j tw -/.otviö offenbar der
ixjpicii äniho^e |jiTj-it£Tt ypf^a&ai toi; lepoi; y(p-f][xao[. 35 : oi Ik xa xpdTioTa,
TTj IleXozovvTjOU) ^ouX£'j6jj.£\o'. ereioav to xot^ov täv Apxootuv. 38: i'/le-pv
(MavTtvEii;) EraY'fjXÄovTe;, Ott -^ twv MavTtvstuv zoXt; iffjwzo r^ \).r^s Ttaps^eiv
£1? TÖ xotvöv Tttiv Ap-/aotDV, ö-Ö50'j; Ti; -pooxaXoiTO. VH, 5, 1 • «w; 0£ za'j-.n
dzrjYsXÖTj -po; t£ to y.o'.vov tüüv Apy.docuv y.ai aizo. toXei;. "Wiederholt wird
das vtc'.vov töjv Apy.doa)v in einer Inschrift Rang. Ant. Hell. II, n. 959
genannt. Harpokration s. v. jji'jptoi Müpiot i-i Me-fäXifj t:6X£1' At^jaooSevt]; vi
tu) y.at' Aiu/ivoj. S'jvEopiov £ati vtotvov Apxdowv ä:rdvttov, oG -oXXdxt;
|j.vrj[jLOv£'Jouotv Ol iatopiy.01. Ai£iX£-iCtat os rEpl aOtwv xal 'ApiototsXiQ; £v tV]
xoivi^ Apy.doojv -oXttEta, äp/6iA£vo; toö ßißXio-j.] Diodor XV, 59. Dass
damals Megalopolis der Versammlungsort gewesen, ist freilich nicht ganz
sicher, da es erst bei Demosth. -zcA -nrjrxr.o. §. 1 1 ah solcher genannt ist,
damals aber bestand der arkadische Einheitsstaat nicht mehr, sondern die
Myrioi waren eine megalopolitanische Versammlung geworden. Auch
Pausanias VIII, 32, 1 kann natürlich für die frühere Zeit nicht entscheiden.
3) Sievers a. a. 0. S. 259. War die Bezeichnung [Auptot eine genaue,
wie Diodor XV, 59 sie nimmt? Schömann antiqu. p. 410 bezweifelt es wohl
mit Recht und will fx'jptoi lesen.
Vischer, Schriften I. 23
354 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
Schäfte konnte natürlich nicht bei dieser grossen Yersammhing
sein, sondern war in den Händen besonderer Behörden . die
uns nicht näher bekannt sind. Sie werden nur mit dem all-
gemeinen Ausdrucke Magistrate der Arkader erwähnt i^. Viel-
leicht standen an ihrer Spitze die Strategen 2 . die jedenfalls
den Oberbefehl über das Heer hatten. ^ on Wichtigkeit war.
dass eine stehende Truppe als Kern der Streitkräfte aufgestellt
wurde . die sogenannten Epariten ^ . welche namentlich auch
für Vollziehung der Beschlüsse im Innern bestimmt waren.
Sie wurden Anfangs besoldet, später wurde der Sold abgeschafft
und die Folge davon war. dass sie nun nur aus Wohlhabenden
bestanden und der ganzen Politik eine mehr aristokratische
Richtung gaben. Die Einzelstädte des Landes sollten nach
diesem Plane offenbar in das Verhältniss von blossen Munici-
palitäten or^\xoi treten und so die ganze Kraft Arkadiens unter
einer einheitlichen Leitung stehen. Allein gleich Anfangs er-
hoben sich Hindernisse. Die Städte Orchomenos und Heraia
weigerten sich beizutreten * : sie wollten souverän bleiben, ge-
rade wie die Akanthier und Apolloniaten gegenüber Oh-nth,
und auch sie fanden eine bereit\^illige Stütze in Sparta. Es
war kein hinlänglicher Ersatz, dass mehrere Orte von Elis sich
1; apyovT£; twv Av/.aotuv Xenoph. Hell. VII, 4, 33. TDaselbst werden
T.po'j-d-'xi der Mantineer erwähnt gegenüber den apyov"; der Arkader , die
als sehr abhängig erscheinen. — §-36 sind die r.Q.tii o.-.a'zai tü)-< 'Apv-aocuv
in Tegea anwesend.;
^, Xenoph. Hell. VII, 3, 1. Diod. XV, 6. 7. [Bei Xenophon wird
Aineas der Stj-mphalier als Stratege genannt, bei Diodor Lykomedes, woraus
aber nicht folgt, dass es nur einen gab.[
3) ol d-apiTot Xenoph. Hell. VII, 4, 22. 33. 34. i-aporjoi bei Hesych.
[zd-iixa 'Apy.ao'.icov [Aa/iacuTaTov. y.al ot rapa Ap7.a"t or^aostoi cp'jXaxe;.] vgl.
Diod. XV. ö2. 67. [Steph. Byz. p. 272, 8 Meinek. 'EzapiTat • l&vo; 'Ap-/,a-
o'imt. T] 0£ 7:6).'.; aÜTwv "Eüapi; eoii, oöy z-jyr^-n'. 0£. —zrA r>k zo'j e&vou; rsvo-
ccwv -ical "E^opo; 7cal AvoooTttuv oaai-^. Offenbar ganz falsch. j
*) Xenoph. Hell. VI, 5, 11 ff. 22, die in Tegea der Bildung eines Ge-
sammtstaates entgegentretende Partei will , dass die Städte toi; -atp'iot;
v6(Aoi; ypfja&cti sollen. [Bezeichnend ist der Ausdruck bei Xenophon \1, 5,
11: oe fi.£v o'jv aKLoi et; Aoeav guve/.eyovto , 'Opyo;j.£vi(uv o£ o'jx IfteXovTcuv
y. oiveovitv toj 'Apxaotxoü cid tt,v -pö; Mav-'.vea; i'y^pav und §. 22 SToa-
-£jo'j3i £-1 Toj; 'Hpatsa;, OTt T£ oüv. f,i}£/.ov Toij 'Ap-/.aoncoü (xete/eiv. VII,
4, 12. Aacitüva -h (Ji£v rotXaiov Eau-öjv ovta , iv o£ Ttü zapovxt ouvtcXo jvxa
£'. ; TO 'Ap-/.7.0t7.6v.l
UeBER die IJlLDUNG VON »STAATEN UND liÜNDEN. 355
dem arkadischen Gesammtstaate freiwillig anschlössen V . liald
brach nnter den beigetretenen »Städten selbst Streit ans. indem
sich gegenüber der demokratischen zu Theben hinneigenden
Partei eine mehr aristokratische lakonisirende bildete. Die
Ereignisse, die in den zwei Jahren vor der Schlacht bei Man-
tineia sich zutrugen und den letzten Feldzug der Thebaner
veranlassten, weisen aiif einen sehr starken Widerstand gegen
die Centralgewalt. der vorzugsweise von der mächtigsten der
Städte . von Mantineia . ausging 2) . Es gelang dieser Partei
ihren Absichten auch bei den Bundesbehörden den Sieg zu
zu verschaffen. Aber jetzt setzte sich die demokratisch-theba-
nische Partei in ()j)position und rief die Thebaner ins Land :
und in diesem Feldzuge, der mit der Schlacht bei Mantineia
endete . stehen die Arkader in beiden Lageni : Megalopolis,
Tegea und eine Anzahl kleinere Orte bei Epameinondas , die
übrigen mit Mantineia an der Spitze bei den Spartanern. In
dem darauf geschlossenen Frieden w\irde die Verbindung von
ganz Arkadien als Einheitsstaat aufgegeben '■^i und es blieb als
1] Xenoph. Hell. VII, 1, 3:i. 4, 12. Pausan. VI, 3, 4.
■-) Ueber diese Ereignisse vgl. Xenoph. Hell. VII, 4, 33 S.
3; Diodor XV, 94. Aeschines rsp't raparo §. 79. Demosth. rept -aoarp.
§. 11. [Diese beiden Stellen beweisen nichts tür meine Annahme. An
beiden ist nur die Rede von den [ajoioi in Megalopolis. Dagegen Diudor
1. c. zeigt, dass von einem Zusammenhang ganz Arkadiens die Rede nicht
mehr war, und sogar die mit Megalopolis vereinten kleinen Städte wieder
ihre Gemeinwesen herstellen wollten.] cfr. die ganze Rede für die Megalo-
politen, wo namentlich §. 11 deutlich spricht: ääv -o'.ojaeUa 3'jjjiij.a/o'j: "Ap-
raotuv TO'j; jiio'j/.oaEvo'j; T|U.rv eivoii cii/.o'j;. Andrer Meinung ist freilich Schö-
mann antiqu. p. 411, aber die von ihm angeführten Stellen Demosth. -spl
rapaTTp. p. 344 (§. 10, 11) und 403 §. 19S beweisen nichts. [Hingegen
scheint einigermassen für ihn zu sprechen Hyperides frgm. y.a-d Ar,ao3S}.
§. 14 (fr. M^II Blass) t« o' iv n£/.orovvT,ow xal zf^ aü.r, 'FX/Aoi rrürej;
r/ovTa -iCaTS/.aßev b~'j rffi ä'f i|£iu; ttj? Niv.avopo? -/.a'i tcwv l-iTaYf^aTcov . wv f-
Y.eu ci£p(uv TTotp A"/.£;avopo'j 7:£p{ zt -wv cp-JY^^^"^'' ''-'^' "£?• TO>y)TO'j; y.oivo'j; 5'j;/. /,o-
-fO'j; Ayaiwv t£ v, a;i 'Apy.a'owjv .... wo dem Sinne nach etwa zu ergänzen
ist u.T| •([•(^z's'^ii oder [at; cjX/.£Y£ai}at. Also hatten solche Versammlungen
bis dahin statt und zwar ähnliche bei Arkadern und bei Achaiern. Auf
Aenderungen in Arkadien deutet Demosth. -epi -otparp. §. 261. Im Kriege
des Agis steht dann ganz Arkadien ausser Megalopolis auf Seite der Spar-
taner. Aeschin. c. Ctesiph. §. 165. Eine gänzliche Auflösung des geeinig-
ten Arkadiens zeigt die Inschrift bei Rang. 4-53. Ein Bündniss wird ab-
23*
356 Ueber die ]3ildung von Staaten und Bünden.
Frucht des ganzen vielversprechenden Versuches nur der neue
Staat MegalopoHs und auch dieser wurde nur mit Mühe er-
halten. Die Gemeinde der Myrioi scheint hinfort eine bloss
megalopolitische Versammlung gewesen zu sein. Aber auch
so Avar wenigstens der BeAveis geliefert, was aus dem vereinig-
ten Arkadien hätte werden können. Denn Megalopolis haupt-
sächlich hat verhindert, dass Sparta sich wieder zur Hege-
monie in dem Peloponnese erhob.
Schliesslich erwähne ich noch, dass auch bei der Wieder-
herstellung von Messenien sich die angegebene Zeitrichtung
zeigt, indem die ganze von Lakonika abgerissene Landschaft
nun zu einem Staate mit einer Hauptstadt gemacht wurde,
was freilich hier um so nöthiger war, als sie nur durch Zu-
sammennehmen aller Kräfte die Freiheit gegen Sparta behaup-
ten Jkonnte.
So waren also in dem Zeitraum zwischen dem pelopon-
nesischen Kriege und dem Auftreten Philipps eine Reihe
von Versuchen gemacht worden, früher nur lose vereinigte
geschlossen zwischen Athen, Sparta, Elis, Achaia, dem König von Aegj-p-
ten , den Tegeaten, Mantineern, Orchomeniern, Phigaleern
($iaX-?i;,', Kaphyeern und Kretern. Rangabe setzt sie Ol. 127, 3 a.Chr.
270. Als Archon wird genannt Peithidemos , wofür Rangabe Peithodemog
will, ich: Peisidemos. Redner ist Chremonides. cf. Meier comm. epigr. II
S. 89. K. Fr. Hermann Ztschft. f. Alterth. -Wissensch. 1845 S. 594, der
Peithodemos Ol. 12S, 2 a. Chr. 287 ansetzt, Foucart setzt die Inschrift zwischen
265 und 242. Dass später der Bund doch wieder bestand, obgleich er nicht
alle Orte umfasste, beweist eine höchst interessante in Piali beim Tempel
der Athene Alea gefundene Inschrift, herausgegeben von P. Foucart 'tom.
VIII, 2 des Memoire« presentes par divers savants a l'Academie des Inscrip-
tions et Belles-Lettres 1874 S. 9:5ff.;. Es ist ein Decret der Bule und der
jjL'jpioi, wodurch der Athener Phylarchos zum rpo^evo; ■/.nx z-jz^'{i-r^^ 'Apy-aoojv
rävTiov ernannt wird. Dann folgt ein Verzeichniss der üamiorgoi, nämlich
5 von Tegea , 3 Mainalier, 2 Lepreaten, 10 von Megalopolis, 5 von Man-
tineia, 5 Kynurier, 5 von Orchomenos, 5 von Kleitor, 5 von Heraia, 5 von
Thelphusa, also 50 Mitglieder, die wohl die x-'VJi.'r^ bildeten. Die andern
Städte fehlen. Hier zeigt sich eine merkwürdige Abstufung. Megalopolis
hat 10 Vertreter, die andern Städte je 5, Mainalier und Lepreaten 3 + 2
= 5. Foucart setzt die Inschrift in den Anfang des J. 224 und erklärt
gut die Theilnahme von Megalopolis. Die Versammlung der [j.jptot ist
nach seiner Annahme in Tegea abgehalten, vgl. auch Rangabe n. 909 wa
Stymphalos und Alea getrennt vom -/.oivöv täv "Apv-äotuv erscheinen.]
Ueber die ]Jilduxg von Staaten lnd Künden. 357
Völkerschaften oder ganz getrennte Staaten zn Einheitsstaaten
zu verbinden, durch demokratische SympoHtie. Fast überall
hatten diese Versuche überraschende Resultate gehabt und für
den Augenblick glänzende Kraftentwicklung hervorgebracht;
aber keiner dieser Staaten hielt sich auf die Dauer. Die
Gründe waren verschiedene, innere und ävissere. Zuvörderst
wirkte die oft hervorgehobene Vorliebe des Griechen für selb-
ständige Stellung in kleineren Staaten. Er war in der Regel
lieber in seinem kleineren Kreise selbständig, sogar auf Kosten
der äusseren Unabhängigkeit, als dass er seine besondere Frei-
heit an ein grösseres Ganze abtrat, um sich dann als Theil
des Ganzen stark und unabhängig zu fühlen. Denn er ver-
stand die Freiheit nur als unmittelbare persönliche Betheiligung
an den Staatsangelegenheiten, und je kleiner der Staat, desto
stärker konnte sich natürlich der Einzel wille geltend machen.
Die korinthische Partei . welche der Vereinigung mit Argos
widerstrebte, wollte nicht ertragen, dass Korinth Argos heisse :
die Akanthier und Apolloniaten wollten souverän (auTOTToÄTrat)
bleiben und ihre von den Vätern ererbten Gesetze behalten;
sie wollten lieber mit dieser Souvcränetät unter makedonischem
und spartanischem Schutze stehen, als blosse Glieder des olyn-
thischen Staates sein; die der Centralisation in Arkadien feind-
liche Partei wollte ebenfalls lieber initer spartanischem Schutze
leben, als die von den Vätern ererbte Freiheit an eine arka-
dische Gesammtversammhmg abtreten. Dieses Widerstreben
war um so begreiflicher, wenn im Einzelstaate, wie das oft
der Fall war. Oligarchie henschte. im Gesammtstaate aber
demokratische Verfassung eingeführt wurde. Es lag ihm aber,
auch davon abgesehen, etwas Wahres zu Grunde, es war nicht
bloss Vorurtheil. dass ein Theil der Freiheit eingebüsst werde.
Der Grieche kannte durchaus nur die unmittelbare Betheiligung
an dem Staatsleben, die persönliche Ausübung der politischen
Rechte. Die höchste Gewalt in der Demokratie wurde von
dem in der Ekklesia versammelten gesammten Volke ausgeübt,
eine Vertretung kannte man nicht. So war es nun auch in
den durch Sympolitie gebildeten neuen Staaten, höchstens in
den Myrioi in Arkadien mag vielleicht eine Art von Reprä-
sentation erstrebt worden sein. Bei einer solchen Verfassung
war der Ort . avo der Sitz der Regierung war. sehr bevorzugt
358 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
lind in den häufigen Volksversammlungen hatten seine Be-
wohner ein grosses Ueh ergewicht; sein Vorzug war um so
grösser, je ausgedehnter das Gebiet war. Dazu kommt, dass
die Gesammtregiemng, wie es scheint, zugleich Regierung der
Hauptstadt war, oder, da die Centralisinnig von dieser aus-
ging, im Giimde eher die Stadtregierung zur Gesammtregiemng
ward. Es war daher in der That die Ansicht, dass man durch
das Anschliessen an einen solchen Staat Unterthan werde, so
unbegründet nicht imd besonders da natürlich, wo die Haupt-
stadt den übrigen Orten sehr überlegen war oder auch früher
schon Ansprüche auf Vorrechte und Herrschaft gemacht hatte.
So werden Avir uns also nicht wundern dürfen, wenn z. B. die
Oligarchen von Orchomenos und Thespiai nach der Freiheit
nicht lüstern waren, die sie bei dem Eintritt in den boiotisch-
thebanischen Staat bekamen und die ihnen als eine Unter-
werfung unter den Demos von Theben erschien. Ueberdies
war der Uebergang von der alten Städteautonomie zu der neuen
Ordnung oft ein ziemlich schroffer, der sich freilich nicht ganz
beurtheilen lässt. weil wir nicht wissen, wie die in das Ver-
hältniss von Demen getretenen früheren Staaten nun ihre Mu-
nicipalverhältnisse verwalteten. Deutlich aber hen-scht das
Streben vor, das autopolitische Princip dem sympolitischen
ganz unterzuordnen. Dennoch hätten sich diese Staaten wohl
consolidiren können. Avenn sie in ihrer Entwicklung ungestört
geblieben wären. Das war ihnen aber nicht vergönnt. Mäch-
tige Nachbarstaaten, ganz besonders Sparta und Makedonien,
hatten das Interesse ihre Erstarkung zu hemmen : nach einer
ziemlich natürlichen Politik warfen sie sich zu Vertheidigem
der sogenannten Freiheit der klemeren Staaten auf und wussten
so überall die Vereinigung der genannten Völkerschaften zu
lösen oder zu sprengen. Nach der Schlacht bei Chaironeia
waren die A ölkerschaften Griechenlands zum grossen Theil in
einem Zustande völliger Auflösung, der von Makedonien
längere Zeit mit Erfolg erhalten AAiirde. Erst als dieses, selber
anderweitig beschäftigt oder von ThronzAvisten erschüttert, sein
Augenmerk weniger auf Griechenland richten konnte, erhoben
sich aus den Trümmern der alten Verhältnisse zwei neue
Bundesstaaten zu längerem Bestände. Da sie aber bald sich
über die völkerschaftliche Gränze ausdehnten, so leiten uns
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 359
diese beiden Conföderationeii , die aitolische und achaiische,
hinüber zn der Betrachtung der Verbindungen, die, nicht auf
eine Landschaft oder Völkerschaft beschränkt, ganz Griechen-
land oder Aveniarstens srrosse Theile desselben zu umfassen
trachteten.
Während wir auf den zwei früheren Stufen zwei Haupt-
arten der Vereinigung, den Einheitsstaat und die Föderation
gefunden haben, ist auf dieser dritten und ^letzten Stufe voll-
ständige Centralisation zu einem eigentlichen Einheitsstaate
nicht vorgekommen. Avohl aber die verschiedensten Abstufungen
der Föderation von dem losesten nur auf die Abwehr äusserer
Feinde gerichteten Staatenbunde bis zu dem engsten an den
Einheitsstaat gränzenden Bimdesstaate. Vorherrschend ist aber
die A'ereinigung durch Symmachie unter einer vorörtlichen
Leitung, unter Hegemonie. Das Wesen dieser liegt haupt-
sächlich darin, dass ein mächtiger Staat als solcher den Ober-
befehl im Kriege xmd die Leitung der gemeinsamen Angelegen-
heiten hat, dass also nicht neben der Kegierung dieses Staates
eine besondere Bundesregierung besteht, sondern der hegemo-
nische Staat seine eigenen ])eamten. die nur er bestellt, an
die Spitze des Bundes setzt : darin liegt einerseits die Kraft
dieser Bimdesform, indem die Bundesbehörde immer den mäch-
tigsten Staat für sich hat. andrerseits aber auch die Gefahr für
die übrigen Bundesglieder, da für den hegemonischen Staat
die Versuchung nahe liegt, sie als Lnterthanen zu behandeln.
Die älteste und bis in die spätesten Zeiten dauernde Form
der Staatenvereinigung, die über eine Völkerschaft hinaus-
reicht, stellt sich dar in den Amphiktyonien (oder eigent-
lich Amphiktionien ^ , und unter diesen ist wieder die be-
rühmteste und bedeutendste die delphisch-pylaiische.
Indessen ist es jetzt hinlänglich erwiesen, dass diese Am-
phiktyonien nicht eigentliche Staatenbünde, noch weniger
Bundesstaaten gewesen sind, die gemeinsame politische Zwecke
verfolgten, sondern vielmehr nur Verbindungen zum Schutze
gewisser Heiligthümer und allenfalls zur Beobachtung gewisser
völkeiTechtlicher Gnuidsätze und Vorkommnisse. Die ihnen
angehörigen Staaten führen Kriege miteinander, ohne dadurch
1) Böckh notae crit. zu Pindar. p. 535. C. I. G. I, p. 808. II, p. 312.
360 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
ihre Pflichten zu verletzen, -wie sie z. B. in den Perserkriegen
und im peloponnesischen Kriege auf beiden Seiten stehen.
Wo sie wie Staatenbünde auftreten, ist es nur in Folge jener
religiösen Zwecke und nicht zum Heile der Völker geschehen,
wie es der letzte sogenannte heilige Krieg zur Genüge bewie-
sen hat. Wir treten daher auf sie nicht näher ein^).
Ebenso wenig berühren wir einzelne vorübergehende Bünd-
nisse . werden ^-ielmehr nur von den grossen politischen Ver-
einen reden, die eine dauernde Verbindung der griechischen
Nation oder eines grossen Theils derselben bewirkten oder doch
erstrebten.
Die älteste von diesen erscheint, wenn auch noch vielfach
in mythischer Einkleidung, in der Hegemonie der Atrei-
den in Mykenai. Denn mit Recht sagt Thukydides. es
seien nicht die Eide der Freier der Helena gewesen, welche
die Fürsten von ganz Griechenland zum Heereszuge gegen
Troia vereint, sondern die Macht Agamemnons '-) . Die sämmt-
lichen griechischen Fürsten erkennen in ihm ihren Heerführer
und Oberkönig an, dem sie. wenn auch mehr in Folge seiner
faktischen Uebermacht. als einer rechtlichen Verjjflichtung,
Heeresfolge leisten. Ueber die Kriegfühi-ung hinaus erstreckt
sich aber seine Oberherrlichkeit nicht, nirgends ist von einer
Herrschaft in Zeiten des Friedens . von einem Eingreifen in
innere Verhältnisse die Rede. Es ist eine Hegemonie im
1) Es genügt auf K. F. Hermann Lehrb. d. gr. Staatsalterth. §. 11 — 14.
und Schömann antiqu. p. 3S5 fF. zu verweisen, wo die besondere Litteratur
sich angegeben findet. Dazu vgl. noch Cnrtius anecdota Delphica p. 47 sq.
M. H. E. Meier die Privatschiedsrichter und die öffentlichen Diäteten Athens,
so wie die Austrägalgerichte in den griechischen Staaten des Alterthums.
S. 35 ff. 'ferner: C. Wescher Etüde sur le monument bilingue de Delphes
in den Memoires presentes par divers savants ä l'Academie des Inscriptions
et Belles-Lettres de l'Institut Imperial de France. Premiere Serie: Sujets
divers d'Erudition. Tom. VIII. Paris 1S69 p. 1 — 218. H. Sauppii com-
mentatio de amphictionia Delphica et hieromnemone Attico. vor dem Göt-
tinger Lectionskatalog , Sommersemester 1S73. C. Bücher quaestionum
amphictionicarum specimen. Bonnae 1ST3, der das von Wescher in 190 a.Chr.
gesetzte Decret S. 54 ff. erst nach 160 gegen 130 a. Chr. wegen der Rück-
sicht auf Rom setzt. R. Weil De Amphictionum Delphicorum suffragiis
capita duo priora Berol. 1S72.]
2) Thucyd. I, 9.
Ueber die Bildung von Staaten und üünden. 361
engsten Sinne des Wortes. Ihr machten die Umwälznngen.
die in Folge des Krieges und bald darauf durch die Wande-
rungen eintraten, ein Ende, und längere Zeit verging, ohne dass
die neuen Staaten in grössere Vereinigungen zusammentraten.
Sie waren mit ihrer Gestaltung in engeren Kreisen beschäftigt
und bedurften einer weiteren Vereinigung um so weniger, als
kein äusserer Feind zu bekämpfen war. Erst als die dorischen
Staaten im Peloponnese sich mehr ausgebildet hatten, trach-
teten zwei derselben, Argos und Sparta, nach Ausdehnung
ihres Einflusses. In früherer Zeit war Argos dem Nebenbuhler,
wenigstens vorübergehend, überlegen, bis es diesem nach der
Bezwingung von Messenien gelang entschieden das Ueber-
geAvicht im Peloponnnese zu bekommen. Wir übergehen hier
die argeiische Hegemonie des Pheidon. obgleich sie bleibende
Spuren hinterlassen hat : denn Pheidon hat nicht nur als
Kriegsfürst an der Spitze der meisten peloponnesischen Staaten
gestanden, sondern auch in die inneren Verhältnisse einge-
griffen , indem er unter anderem gleiche Münze , Masse und
Gewichte einführte. Aber seine Geschichte ist zu sehr in
Dunkel gehüllt, iim zu sicheren Resultaten zu führen, und
zudem war seine Macht nur eine vorübergehende ') . Sparta
aber hat dann entschieden die Leitung des Peloponneses über-
nommen und bald seinen Einfluss über dessen Gränzen hinaus-
getragen 2) . Dazu hat besonders die Haltung beigetragen, die
es im sechsten Jahrhundert gegenüber den Tyrannen annahm,
welche es fast überall durch Waffen oder Unterhandlungen
stürzte und damit die Rolle eines Beschützers hellenischer
Freiheit übernahm. So hatte es zur Zeit des Perserkriegs fast
alle Staaten des Peloponneses und einige ausser desselben zu
') Ueber Pheidon vgl. Müller. Aeginetica p. 51 — 63 die Dorier S. 156 fF.
und K. AVeissenborn Hellen. S. 1 — 86, wo alles zusammengestellt ist.
-] Ueber die spartanische Hegemonie und die peloponnesische Sym-
machie vgl. K. F. Herrmann Lehi'b. d. griech. Staatsalterth. §. 31 fF. Schü-
mann antiqu. p. 424 ff. und die daselbst angeführten Schriften und Beweis-
stellen. "Kortüm Beiträge S. 35 und Grote HI, p. 144, bemerken, dass
der Zug des Kleomenes gegen Athen Herodot V, 74 ff. der erste sei , der
Sparta als Hegemon as head of an ohlifjatory Pelo2}onvesian allimice unter-
nommen habe (?). Es sei der erste Fall, wo die theoretische Hegemonie
in Praxis übergehe.
362 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
Bundesgenossen gemacht, und auch bei den übrigen war sein
Ansehen so gross, dass ihm in dem Kriege alle ohne Wider-
streben den Oberbefehl zii Land und zu Wasser übertrugen,
und dass es nach demselben anerkannt an der Spitze fast aller
griechischen Staaten des Festlandes und eines grossen Theils
der Inseln und der Städte in Thrakien, am Hellespont und in
Asien stand. Der Bundesrath nannte sich den gemeinsamen
Rath der Hellenen -o y.oivov tuiv 'EXÄTvtuv soviop'.ov i), \ind es
ist vielleicht aus dieser Zeit zu leiten, dass die Kj-iegsrichter
Hellanodiken f EXXavoor/ai) heissen^). Nach der Schlacht von
Plataiai wurde der Bimd von allen denen, die am Kampfe
Theil genommen hatten, neu bekräftigt -^ und bald darauf die
asiatischen Griechen darein aufgenommen *] . Diese Stellung
1) Oft und schon von Alten mit dem Rathe der Amphictyonen verwechselt.
Vgl. Müller Prolegg. S. 406. Dass ein Unterschied zwischen den altern
zu Sparta gehörigen BundeBgenossen und den neuen beabsichtigt wurde, ist
mir nicht so evident als Schömann antiqu. p. 428 annimmt. AVenigstens
wird sich schwer erweisen lassen , dass die Bundesgenossenschaft nur als
eine vorübergehende betrachtet wurde , wenn sie auch zunächst gegen den
Perser gerichtet war. Schicken doch die Athener noch im dritten messe-
nischen Krieg den Spartanern in Folge dieser Symmachie Hülfe und kün-
digen sie erst nach dem beleidigenden Benehmen der Spartaner vor Ithome
auf. Thucyd. 1, 102. Ferner finden wir, dass andre ausserpeloponnesische
Bundesgenossen gerade in dem gleichen Verhältnisse zu Sparta stehen, wie
pelopounesische, namentlich Boiotien gerade wie Korinth. Ja bei dem An-
fang des peloponnesischen Krieges wird den Städten in Sicilien und Italien
Schifte zu stellen befohlen wie andern, freilich thun sie es nicht. In den
Verträgen mit Argos V, TS. 79 werden die Bundesgenossen ausser dem Pe-
loponnes denen in demselben ausdrücklich gleichgestellt. Wir werden
wohl nur einen faktischen Unterschied annehmen dürfen, indem Sparta
über die näheren und meist schwächeren peloponnesischen Bundesglieder
eine grössere Gewalt übte, als über entferntere und mächtigere. Aber auch
jene blieben nicht immer Sparta treu, wie ja nach dem Frieden des Xikias
Elis und Korinth sich eine Zeit lang trennten. [Zu beachten bleibt indess
der Ausdruck IleXo-ovvTjsioi -ical ot c-jfifAayoi öfters bei Thucyd. z. B. IV,
2. II, 1. II, 11, sonst auch Aa^eoaijAV/ioi xctl ol l'jfjifjiayoi II, 7. Den Ge-
gensatz bilden die Ausdrücke -i] n£Xo-o'/VT,3ci; xat •/] s'Itu |'j[A[jLayia II, 10
oder bloss IkÄoTrowfjCtoi. z. B. II, 59. j
2) Xenoph. rep. Lac. XIII, 11.
3) Thucyd. III, 6S. Plutarch. Arist. 21. Dagegen sind freilich Beden-
ken erhoben worden vgl. Krüger Hist. phil. Schriften S. 192 ff.
4) Herod. IX, 106.
Veber die Bildung von Staaten und Bünden. 363
behauptete nun freilich Sparta nicht lange, da kaum einige
Jahre darauf fast alle Seestaaten ihm den Gehorsam aufkün-
deten und den Oberbefehl im Kriege den Athenern übertrugen.
Selbst auf dem Festlande verlor es einen Theil seiner Bundes-
genossen, und nach verschiedenen Wechseln anerkannte es in
dem dreissigj ährigen Frieden 445 Ol. S3, 3 die Hegemonie
Athens über die Seestaaten. Durch fönnliche Traktate war
jetzt Griechenland in zwei grosse Staatenbünde gctheilt. Erst
das siegreiche Ende des peloponnesischen Krieges stellte Sparta
wieder an die Spitze aller Griechen und Avieder nur für kurze
Zeit. Der korinthische Krieg bedrohte selbst im Peloponnese
seine Bedeutung und brachte es in grosse Bedrängniss, aus der
es sich durch den antalkidischen Frieden 387 Ol. 98, 2 zog.
Jetzt übte es einige Jahre seine Hegemonie drückender als je,
als eigentliche Gewaltherrschaft, bis Thebens Erhebung und
das Feldhermgenie des Epameinondas seine Macht auf immer
brachen. In den verschiedenen Perioden hat aber Sparta seine
Hegemonie auf dieselben Principien gestützt und der Bund im
Grunde die gleiche Verfassung gehabt, nur dass Sparta, je
nachdem es Bundesgenossen bedurfte, sie beobachtete oder
nicht .
Wie das der Name Symmachie ausdrückt, Avar der Bund
eigentlich nur auf Einigung gegen Aussen, auf gemeinsame
Kriegfühning unter der Oberleitung von Sparta berechnet.
Beschlüsse in gemeinsamen Angelegenheiten wurden durch die
in der Regel nach Sparta, seltener an andere Orte, berufene
Bundesversammlung Tagsatzung) gefasst. Sie war gebildet
von Abgeordneten der sämmtlichen eigentlichen Bundesstaaten,
welche, wie es scheint, in der Regel nach Instruktion stimmten
und jeder, gleichviel ob gross oder klein, eine Stimme hatte ^) .
' Herodot V, 91 — 93. Auf die Wichtigkeit üer von Herodot erzähl-
ten Verhandlung, der ersten bekannten macht Grote III, 148 ff. aufmerk-
sam.^ Thucyd. I, 66. 67. S7. 119. 125. Es ist die Darstellung des Thuky-
dides oft missverstanden worden, obwohl sie ganz klar und deutlich ist.
Zuerst kommen Abgeordnete der Bundesgenossen auf Betrieb der Korinther
nach Sparta , um dieses zum Kriege zu treiben , die Spartaner veranstalte-
ten eine Ekklesia ';v/.),oyov i^wv aOttuv rot-fj^avTe; -öv eiw&o-ra }.i'(ti\ Iv.ü.e'jo^
c. 67) und Hessen die Abgeordneten , wie auch athenische Gesandte reden,
darauf aber mussten alle diese abtreten c. 79) und die Spartaner berathen
364 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
Die Competenz derselben erstreckte sich auf Krieg. Frieden,
Verträge und was damit zusammenhing, sie hatte daher ohne
Zweifel die Contingente der l^undesglieder an Mannschaft und
Geld festzusetzen. Die Berufung dieser Versammlung stand
bei Sparta, das auch den Vorsitz darin und die ganze Leitung
derselben hatte , und in den Zeiten , "svo sie nicht beisammen
war, im Namen des Bundes handelte. Sparta stellte femer
nicht bloss den Oberbefehlshaber, sondern ordnete und leitete
die gesammte Kriegsführung, es bestimmte, welche Theile des
Contingentes auszurücken hatten und setzte, ausser den beson-
deren Befehlshabern der Bundesgenossen. Führer über dieselben
(^sviayoi . Sehr oft handelte aber Sparta nicht bloss in der
Kriegführung nach eigenem Ermessen, sondern fing auch eigen-
mächtig Krieg an. schloss Friede und Bündnisse, freilich nicht
ohne Widerstreben der mächtigeren Bundesglieder \ . Im In-
nern aber sollten die einzelnen Staaten vollständig autonom
oder selbstherrlich sein 2 . weder durch die Bundesversammlung
unter sich und geben die Erklärung ab , ihnen scheine von den Athenern
der Friede gebrochen zu sein : es ist das gleichsam die Instruktion Sparta's.
Ein Bundesbeschluss aber war noch nicht gefasst , sondern jetzt wurden
die Anwesenden beschieden in späterer Zeit wieder zu kommen zu einer
allgemeinen Bundesversammlung, c. ST. Erst auf dieser wird nun, nach-
dem sich ohne Zweifel die höchsten Behörden der einzelnen Staaten darüber
wie die in Sparta ausgesprochen hatten , ein Bundesbeschluss gefasst : tö
7:>.f,\}o; i'br^'z.hnu-o rroXiasiv c. 120, die eigentliche Bundesversammlung ist
also von der spartanischen Ekklesia wohl zu unterscheiden. [Grote hist. of
Greece IV, p. 223 if. hat den Unterschied der spartanischen Versammlung
von der Bundesversammlung ganz richtig aufgefasst , scheint aber irrig zu
meinen, in der Bundesversammlung hätten sie dann nicht mehr gestimmt.]
1) Herodot. V, 7.5. Xenoph. Hellen. II, 4, 30. Bisweilen fügten sich
mächtige Bundesgenossen auch den Mehrheitsbeschlüssen nicht, so weiger-
ten sich Boiotier, Korinther, Eleier und Megareer den Frieden mit Athen
anzunehmen, den die Mehrheit beschlossen hatte. Thucj^d. V, 17. [Die
Verpflichtung der Minderheit, sich den Beschlüssen der Mehrheit zu unter-
ziehen, geht am bestimmtesten hervor aus Thucyd. V, 30 : (AaxioaifAovtoi)
rapaßTjoeo&ai te gcpaoav «iito'j; (to'Ji Koptvi^iou?; tou; opxo-j;, -/.al r^hr^ doivcetv,
OTi o'j or/ovrai -a; 'Aftr^-^aiojv orovSa;, £lpr,a£^ov x'jptov slvai 0 ti av ro 7T).f;&o;
TöJv |'j[j.ij.ay(uv tl/Yj'fbTjTit, tjv [itj ti %zwt r^ TjOwuj-^ v.(u/.'j[jl7. tJ. Zugleich freilich
beweist die Stelle, dass die Mächtigen sich nicht dran kehrten.]
-; Unter vielen Stellen vgl. besonders Thucyd. I. 144. V, 77. -ra; oe
ro/.ta; t«; Iv riiZ-o-owaauj xai (j.ixpa; y.'xi ii£'(i}.'x^ a'jT0v6[J.tu; tliizv räia; xotTTa
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 365
noch durch den Vorort beschränkt. In gewisser Hinsicht -war
das auch in sehr ausgedehntem Masse der Fall, wie denn ein-
zelne Bundesglieder Avieder engere Bundesgenossen und Unter-
thanen hatten, ja selbst Kriege zwischen spartanischen Bundes-
genossen geführt wurden und geführt Averden durften, sobald
nur dadurch der Bundespflicht kein Eintrag geschah >) . Daher
während eines Bundeskrieges solche besondere Fehden ein-
gestellt werden rnussten, wo dann die Truppen, die sich eben
im Felde gegenüber gestanden hatten, unter Sparta's Befehl
vereinigt auszogen. Doch war die Eegel, dass Streitigkeiten
unter den Bundesgenossen diirch Austrägalgerichte geschlichtet
werden sollten ^l. Diese scheinbare Freiheit der Einzelstaaten
bei gleichem Stimmrechte gab aber Sparta ein grosses Ueber-
gewicht, indem es besonders die zunächst gelegenen kleineren
Orte in faktischer Abhängigkeit zu halten wusste und dadurch
der Stimmenmehrheit im Bundesrath meist gewiss war, auch
zu allen Zeiten dafür sorgte, dass die Verfassungen der »auto-
nomen« Städte seinen Interessen angemessen , das heisst oli-
garchisch eingerichtet waren. Daher die Antw^ort, welche vor
dem peloponnesischen Kriege die Athener, auf Perikles An-
trag, den Spartanern gaben, sie wollten a\if einige der gestell-
ten Forderungen eingehen, wenn auch Sparta seinen Bimdes-
genossen gestatte zii ihrem eigenen Nutzen und nicht bloss
im Interesse der Spartaner autonom zu sein '^^ . Die Abhängig-
keit der schwächeren Staaten wiirde noch dadurch erhöht,
dass Sparta noch besondere, bloss ihm zur Heeresfolge ver-
pflichtete Bundesgenossen erwarb, die in dem Bundesrathe
-arpta. 79. Tctl 0£ aXXa'. roXti; xai h^ ni/.orov<a;io y.owavtovTojv räv cro'-oäv
vcai tä; |'j[i.txayia; ct-jTovofxoi vtctl a'jTO-öXi£c.
1) Xenoph. Hell. V, 4, 36.
2; Thucyd. V, 79. ai os -.i-n -äv zo'/.i'ujv ^ ä[j.ctiXoYa -Tj täv ivro; rj xäv
i'AT'ji neÄo-ovväcu) , aiT£ z£pl opojv aiT£ Tiepl ä7v}.o'j tivo;, oiay.ptSfjULEv. ai oe
Tt; TU)-/ ^'jaij-a/ojv -6/.K ~öX£i £p'-C'J') ^i "oÄw t).&£iv, äv xiva i'^av ä[j.a.oIv xai;
~o)Ätazi 0'jX£(o[.
3j Thucyd. I, 141. [Aus Thucyd. V, 31 scheint hervorzugehen, dass
vor dem peloponnesischen Kriege festgesetzt ward, dass während dieses die
Unterthanen keinen Tribut zahlen sollten [so Lepreon an Elis), dass aber
nach Beendigung des Kriegs Alles ins alte Verhältniss zui-ücktreten sollte :
XCtt TTjV 5'Jv9tjV.TjV :rpO'X£p(JVT£C , £V Tj ElpTjTO a £/_ovt£; £; TOV 'At-17.6v -o/,£[JLOV
■/.ai^ictavTo Tiv£?, taÖTCt i'yovta; vm £;£).8£tv.]
366 ÜEBER DIE Bildung vox Staatex uxd Bünden.
keinen Sitz hatten und bei denen es die angebliche Autonomie
durch Harmosten, Dekarchien und ähnliche Eingriffe zeiten-
weise aufs schnödeste verletzte, wie denn überhaupt die mäch-
tige Stellung des hegemonischen Staates es mit sich brachte,
dass dieser häufig statt des Bundes handelte , und seine spe-
ciellen Interessen an die Stelle der Bundesinteressen setzte.
Als endlich nach dem peloponnesischen Kriege die in ihren
Hoffnungen vielfach getäuschten Griechen der spartanischen
Anmassung hier und da entgegenzutreten Avagten, fand es. um
keine mächtigen Staaten gegen sich aufkommen zu lassen, in
seinem Interesse den Grundsatz der Autonomie seiner Bundes-
genossen so auszulegen, dass keiner derselben mehr Unter-
thanen haben dürfe ^j , und da in dem korinthischen Kriege
die Hinneigimg za gleichrechtlichen Staatenvereinen ihm ge-
fährlich wurde , trieb es im antalkidischen Frieden ihn voll-
kommen auf die Spitze. Dieser Friede bestimmte nämlich,
dass in ganz Griechenland alle Städte, gross und klein, avito-
nom sein sollten: Sparta und Persien waren Garanten des
Friedens und alle Städte verpflichtet, gegen den Dawider-
handelnden unter Sparta' s Befehl zu Felde zu ziehen 2. . Wer
dawider handle, entschied aber Sparta allein. Somit war es
jetzt vertragsgemäss und faktisch Hegemon von ganz Griechen-
land, dessen Staaten jedes anderen Haltpunktes beraubt, nur
in ihm ihren Mittelpunkt sehen sollten. Es ist bekannt . wie
es den Vertrag ausgelegt, jede Conföderation und sympolitische
Vereinigung bis nach Thrakien hin aufhob, ja sogar das längst
aus vier Komen synoikisirte Mantineia wieder in vier »autonome«
Dörfer zerriss. Es hätte mit demselben Recht Athen wieder
in zwölf Staaten theilen dürfen. Allein dieser Uebermuth
brachte es zum Falle und wurde Veranlassung der oben be-
ij Schon im peloponnesischen Kriege kommt ähnliches vor (vgl. Anm.
3. S. 35., aber weil man den guten Willen der Bundesgenossen brauchte,
schonte man sie. Ja in Boiotien hat Sparta zu jener Zeit durchweg The-
bens Ansprüche auf Hegemonie unterstützt, um dadurch Athen einen star-
ken Nachbarn an die Seite zu stellen. In gewaltthätiger Weise wurde nach
dem peloponnesischen Kriege der Grundsatz zuerst gegen Elis ins Werk
gesetzt. Xenoph. Hell. IH. 2, 21 ff.
2) Xenoph. Hellen. V, 1, 31 ff. Sievers Gesch. von Griechenland.
S. 141 ff.
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 367
trachteten Centralisationsversuehe in Boiotien . Arkadien und
an anderen Orten. Hatten sie auch keinen Bestand, so er-
holte sich doch Sparta von dem Schlag, der es durch die
Schlacht bei Leuktra und die Herstellung Messeniens traf,
nicht mehr , und seine späteren Versuche . die Hegemonie zu
zu erneuern, kommen hier nicht in Betracht. In Sparta und
seinem Bunde also haben Mir das Beispiel einer hegemoni-
schen Symmachie mit nominell autonomen Bundes-
genossen. Sie war zuletzt zur unerträglichen Herrschaft
geworden . lohne dafür durch grosse Kraftentwicklung gegen
das Ausland oder sonstige ungewöhnlichen Leistungen zu ent-
schädigen.
Anders und offener aber nicht minder gewaltthätig ging
A t h e n zu Werke \i . Wiewohl es schon früher einzelne freie
Bundesgenossen und Unterthanen sich erworben hatte, so fällt
doch die Begründung seiner Hegemonie erst in den zweiten
Perserkrieg. Ihm, dem das Hauptverdienst des Befreiungs-
kampfes gehörte, übertrugen die neuen Hundesgenossen, be-
sonders aus den ionischen Städten Kleinasiens, den Oberbefehl
gegen Persien , als der Hochmuth des Pausanias sie gegen
Sparta empört hatte. Das Bedürfniss der Einigung für kräf-
tige Fühmng des Krieges zur Erwerbung der Freiheit gegen
den Perser oder zur Behauptung der eben erworbenen rief den
Bund ins Dasein und stellte den mächtigsten Staat an die
Spitze 2) . Ein anderer Zweck war ursprünglich damit nicht ver-
bunden. Zu diesem Behufe versammelten sich Abgeordnete der
sämmtlichen Städte des Bundes , welcher sich bald von der
Grenze Pamphyliens über Lykien ^ , Karlen , lonien , Aiolis,
') K. F. Hermann §. 36. 3". 156. 1.57 Schömann antiqu. VI, 7. §.
XXX ff. Kortüm zur Geschichte hell. Staatsv. S. 46 ff. Böckh Athen.
Staatsh. I, 520 ff. Der reiche Stoff ist durch die in den zwei letzten Jahr-
zehnden entdeckten Inschriften, die sich meist bei Rangabe, Antiquites
Helleniqu. Athenes 1842 mitgetheilt finden, noch .sehr vermehrt worden.
^Jetzt Hauptschrift : U. Köhler Urkunden und Untersuchungen zur Ge-
schichte des attisch -delischen Bundes. Abh. d. Berl. Akad. der Wissen-
schaften 1&70.J
2) Thucyd. I, 95—99.
3] Rangabe n. 199 u. a. Phaseiis war eine rro).'.; '^opoj yno-sÄr,;. ebenda
No. 135. 137 u. a. [Köhler 1. c. S. 195. C. I. A. I," 226 ff. : Es war von
36 S ÜEBER DIE Bildung von Staaten und Bünden.
den Hellespont, die Küste Thrakiens und fast alle Inseln des
ägäischen Meeres erstreckte, im Heiligthum des Apollon auf
Delos unter dem Vorsitze von Athen, um die gemeinsamen
Angelegenheiten zu berathen. Von dieser Versammlung wur-
den die Leistungen für den Krieg, nach dem Vorschlage des
Aristeides, festgesetzt : die einen hatten .Schiffe zu stellen, die
andern Geldbeiträge zu entrichten. Landtruppen wurden wohl
nach Bedürfniss von allen gefordert '] . Der Schatz ward in
Delos niedergelegt und unter die Verwaltung einer aus Athe-
nern und in Athen, wahrscheinlich durch's Loos, gewählten
Behörde, der zehn Hellenotamien gestellt. Ein Unterschied
zwischen den Bundesgenossen, die Schiffe stellten und denen,
die Geld zahlten, bestand durchaus nicht, die einen wie die
anderen waren autonom und beschickten den Ijundesrath.
Streitigkeiten zwischen den Bundesgliederu Avurden wie bei dem
spartanisch -peloponnesischen Bunde nicht durch den Bundes-
rath, sondern durch ein Austrägalgericht entschieden 2j , später
Kimon beim Zuge gegen die Perser vor der Schlacht am Eurymedon ge-
vronnen.]
'j Es ist das gegen die gewöhnliche Ansicht und im Widerspruch mit
Plutarch Pericl. 12 ev-octrAEv ojv ö rieofit/.f;; tov of,[jLov Stt ypr,(i.a-ajv [xev
o'Jv. ö'fEiXo'JSi toi; a'jfifidyoic Aö-fov zpo~o/.£[i.oüv:£? a'jTwv -/.ai tou; ßapßapo'j;
äv£[pY^''~£> 0"j-/ iTizov o'J vaüv oüy ö::/. irr^v, dXXa ypTj[j.aTa jxovov teXo-jv-oj-^.
Allein im peloponnesischen Kriege hoben wenigstens die Athener sehr
häufig Truppen unter den Unterthanen aus , wie z. B. Xikias im achten
Kriegsjahre bei der Unternehmung gegen K)"thera nicht weniger als 2000
Milesier und dazu noch andere bündische Truppen hat, nach Thucyd. IV,
.53. 54 und II, 9 sagt derselbe Schriftsteller des bestimmtesten, dass die
Unterthanen -s^ov xai yp-rjaaTa gaben. Für diese Zeit ist also die Sache
sicher, ich glaube aber auch früher war es nur insofern anders, als Athen
meist nur Seekriege führte und daher die regelmässigen Leistungen meist
auf Schiffe beschränkt waren. Thucyd. 1 , 99 spricht nicht gegen diese
Auffassung und Plutarch hat sich in seiner rhetorisirenden Weise ungenau
ausgedrückt, wie auch im Kimon 11. Denkbar wäre übrigens auch, dass
die welche gleich anfangs für Geld angelegt wurden, nicht zu Truppen ver-
pflichtet waren, hingegen die, welche erst später sich durch Tribut von
dem Stellen der Schiffe freimachten oder gewaltsam in Unterthänigkeit ge-
bracht wurden, auch nöthigenfalls Mannschaften stellen mussten. Thucyd.
11, 9 spricht aber nicht für einen solchen Unterschied. Auch Andoc. über
den Frieden §. 3S ist nicht gegen meine Auffassung.
2; [Diess ist sehr fraglich; M. H. E. Meier: Die Privatschiedsrichter
und die öffentl. Diaeteten Athens pg. 39 sagt es auch, doch ohne Beweise.]
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 369
Avohl auch durcli liefehle von Athen, doch kommen anch
Kriege zwischen l^>nndesgenossen vor ') . Aber von Anfang an
war Athens Macht gross und seine Stelhmg verführerisch.
Es wurde zur Erweiterung seiner Befugnisse um so mehr ge-
trieben, als eine Biindesversammhmg mit einigen himdert
Stimmen zum Theil ganz kleiner Orte zur Leit\ing der wich-
tigen Interessen, um die es sich handelte, offenbar ganz un-
geeignet war ■-■ . Athen musste fast unwillkürlich ihre Rechte
an sich reissen. Als nun viele Staaten aus Bequemlichkeit
ihre Leistinigen an Schiffen in Geldbeiträge verAvandelten,
wofür Athen Schiffe baute , stieg natürlich die Macht des
Bundeshauptes in demselben !Masst , wie die Wehrfähigkeit
der ])undesgenossen abnahm . und als einige sich mit den
AV^affen der lästigen Stellung entziehen wollten, wurden sie
zum Gehorsam gezw\nigen inid zu Unterthanen gemacht, die
kein Stimmrecht mehr hatten. 15ald darauf (um 460 Ol. 80)
wurde der Binadesschatz durch einen Beschluss der IJundes-
versammlung und auf Antrag der Samier nach Athen verlegt
und damit eine entschiedene Verwandlung der Symmachie
herbeigeführt ' . Es scheint , dass von jetzt an keine Ver-
sammlungen der Bundesgenossen mehr statt fanden, jedenfalls
haben sie nichts Bedeutendes mehr beschlossen und bald ganz
aufgehört. Athen verfügt hinfort, wie es allein über Krieg
und Frieden entscheidet, so auch frei über den J^>undesschatz.
Die Bundesgenossen haben über die Verwendung ihrer Geld-
beiträge. Truppen und Schiffe nichts mehr zu reden. Damit
war in Wirklichkeit der Beitrag in Tribut verwandelt, dessen
Entrichtung nach fünf Provinzen, wenn Avir den Ausdruck
anwenden dürfen, geschah ^). Die dazu veqjflichteten Bundes-
1 Thucyd. I, 115.
2; Die Städte hatten in der Versammlung gleiches Stimmrecht, waren
i<:6'lT,^,oi. Thucyd. III, 1!.
3) [Den Versuch eines Panhellenischen Congresses Plut. Perikl. 17 setzt
Müller de Phidiae vita p. 0 Ol. SO, 3, Grote hist. of Gr. IV, S. 165 kurz
vor den peloponnesischen Krieg. Ersterer Ansatz ist entschieden der rich-
tige; denn damals war die Erinnerung an die Perserkriege noch ziemlich
frisch und in der Zeit nach dem dreissigjährigen Frieden wäre es geradezu
ein Spott gegen Sparta gewesen.]
*) ö 0pay,to; oder 6 e-i 0pa-/r,c oder ä-o 0pa-/.r,; cfopo;, 6 'E).Xr|a7t&vTto?
Vischer, Schriften I. 24
370 Veber die Bildung von Staaten und Bünden.
genossen werden aber auch bald sonst als Unterthanen be-
handelt, tributpflichtig cpopo'j u-otöXt];) und unterthänig ütttj/ooc)
wird gleichbedeutend. Athen mischt sich nun auch in ihre
inneren Verhältnisse : nicht nur . dass es sie durch besondere
Beamte in allen ihren Bewegungen beaufsichtigt und für de-
mokratische Verfassung sorgt, es entzieht ihnen auch den
grössten Theil ihrer Gerichtsbarkeit und nöthigt sie in Athen
Recht zu suchen ^ . Bald ging es noch weiter, setzte die Tri-
bute nach eigenem Gutdünken an inid verwendete die einge-
gangenen Gelder nicht mehr zu Bundeszwecken, sondern zu
seinen eigenen . namentlich zu den Prachtbauten . mit denen
damals die Stadt geschmückt wurde. Aber selbst die nicht
zu Tribut veq^flichteten sogenannten Autonomen, die auf we-
nige herabschmolzen . kamen in ein sehr abhängiges Verhält-
niss , da sie zu allen Kriegen Athens Schiff'e stellen mussten.
ohne etwas dazu sagen zu dürfen. Athen behauptete seine
Verpflichtung sei nur die Bundesgenossen gegen Aussen zu
schützen, auf welche Weise das geschehe, gehe diese nichts
an. erfülle es diese Verpflichtung, so habe es über den Bundes-
schatz nach Gutdünken zu verfügen . ohne Rechenschaft ab-
legen zu müssen -) . Auf Kosten der Bundesgenossen gewinnt
es also eine solche Macht, dass jeder Widerstandsversuch um-
sonst wurde . Durch Kleruchien . die gleichsam als stehende
Besatzungen das weite Ijundesgebiet hüteten, und durch be-
sondere Bündnisse mit anderen Staaten befestigt es seine
Stellung, und seine sogenannte Symmachie ist in der That
(f., h Kapi.-/.o; cp., 6 Nr,3'.tuTi7.ö; cp. in den Inschriften bei Rangabe [C. J. A.
I, 237ff.i.
1) Xenoph.d. rep. Athen. I, U— IS. ^Grote bist, of Gr. IV, 172 ff. 181 ff.
nimmt an, die Gerichtsbarkeit Athens über die Bundesgenossen habe ihren
Anfang schon in dem delischen SjTiedrion gehabt. Streitigkeiten zwischen
Bundesgenossen , zwischen Bundesgenossen und Bürgern seien durch die
delische Ver.<ammlung entschieden worden, und dann an Athen überge-
gangen. Das ist aber ganz zweifelhaft , und der Krieg , den Samos gegen
Milet fühi-t, spricht dagegen. Die oiv.at ;-)[j.3o"/.aTat bei Thucyd. I, TT leitet
er von ;'j[j.ß6Xa'.aL, nicht von ;'jaßoXa ab und will sie nicht mit oiv.at i-o
^•jfjißöXtuv gleichsetzen, wie ich glaube, mit Unrecht. Die athenische Gerichts-
barkeit über Bundesgenossen ist, wie er ja selbst sagt, aus einer ursprüng-
lich auf A^erträgen beruhenden hervorgegangen. J
-) Perikles soll diese Theorie zuerst aufgestellt haben nach Plutarch.
Perikles 12.
1
Ueber die Bildung vox Staaten und Bünden. 371
eine fast unbeschränkte Herrschaft über die Bundesgenossen ^) .
Der Besitz derselben hat Athen eine unglaubliche Kraftent-
wicklung möglich gemacht, und einige Zeit um die Mitte des
fünften Jahrhunderts anerkannte auch ein grosser Theil des
Festlandes seine Hegemonie, es schien sich dieselbe über ganz
Griechenland ausdehnen zu sollen -] . Das wurde nun freilich
durch die Schlacht bei Koroneia (4-16 Ol. S3, 2) und den
dreissigjährigen Frieden (445 Ol. 83, 3] verhindert, durch den
Frieden aber zugleich die Herrschaft über die Seestaten förm-
lich von Sparta anerkannt. Allein trotzdem hielt sie nicht
auf die Dauer: das A'erliältniss war zu hart, um ohne Gewalt
behauptet werden zu können, und die athenische Demokratie
seit Perikles Tod nicht consequent und ruhig genug, um das
System durchzuführen. Kein Wunder, dass die Bundes-
genossen fast alle gegen Athen feindselig gestimmt waren und
dem Rufe Sparta's zur Freiheit ein geneigtes Ohr liehen. Der
Ausgang des peloponnesischen Krieges hat diese glänzende
Herrschaft gestürzt, aber ohne etwas Besseres an ihre Stelle
zu setzen, ja umgekehrt härteren Druck gebracht und die
Freiheit der kleinasiatischen Städte dem Ferser preisgegeben^] .
Die Betrachtung der athenischen Herrschaft bietet Av^enigstens
die Befriedigimg, dass sie die Unabhängigkeit und Ehre aller
Griechen gegen den Barbaren siegreich und ruhmvoll gewahrt
und dass sie Athen selbst befähigt hat in allen Gebieten des
Geistes das Höchste zu erreichen, was dem Menschen beschie-
den war. Athens eigenthümliche Bildung und geistige Elasti-
cität hat einigermassen den politischen Druck gemildert und
über dem grossartigen Glänze der Hauptstadt , der auch auf
die Unterthanen zurückstrahlte, vergessen lassen *] .
'J Thucyd. bezeichnet sie gewöhnlich als äo/T] und II, 63 in Periklea
Rede als Tupav>n;. [III, 37.]
-) [Grote IV S. 91 macht mit Recht auf den Unterschied zwischen den
ursprünglichen Mitgliedern des delischen Bundes und den spätem atheni-
schen Bundesgenossen besonders auf dem Festland aufmerksam.]
3 Bekanntlich geschah das z. Th. schon durch die Verträge, die Sparta
im peloponnesischen Kriege mit Persien schloss. Die Feldzüge des Thibron,
Derkyllidas und Agesilaos änderten die Sache wieder auf einige Zeit , der
Friede des Antalkidas vollendete die Schmach.
*) Es ist das schön ausgedrückt in der Rede des Periklea Thucyd. IT,
42 und der des Nikias VII, 63.
24*
372 Ueber die Bildung von Staaten und Bünden.
Die wiederholten späteren Versuche Athens die Symmachie
herzustellen, haben zu keinen bleibenden Erfolgen geführt,
waren übrigens ziemlich auf die gleichen Grvmdsätze gestützt,
auf denen bei der Stiftung die erste Symmachie beruhte und
zeigten auch in ihrer Entwicklung einen ähnlichen ^'erlauf.
Dass man die Beiträge statt (popoi jetzt auvta^si; nannte, hat
in ihrem Wesen nichts verändert. War auch die Autonomie
aller Bundesglieder ausdrücklich garantirt und eine Versamm-
lung der Bundesgenossen a'jvsopiov) in Athen, jener alten Be-
hörde in Delos entsprechend, eingesetzt, so neigte doch Athen,
sobald es ihm seine Macht erlaubte, immer Avieder zu will-
kürlicher Bedrückung der Bundesgenossen. Für immer wurde
seine Macht durch Philipp von Makedonien gebrochen : nach-
her hat es keinen Versuch mehr gemacht die Hegemonie her-
zustellen, mit einziger Ausnahme des schnell beendigten
lamischen Kriegs. Auch in dem hegemonischen Bunde
von Athen mit seinen Untevthanen war demnach nur
die Macht des ]iundeshauptes auf Unkosten der übrigen Glie-
der zu einer ausserordentlichen Höhe gebracht worden : die
Freiheit des Einzelstaates mit der Kraft der Gesammtheit
dauernd zu verbinden, war nicht gelungen i;.
Zu vorübergehend und unausgebildet, um hier Beachtung-
zuverdienen, Avar die Hegemon.ie Thebens, oder A-ielmehr
sein ^'ersuch sie zu gcAvinnen . Die makedonische Hege-
monie Avar fremde Herrschaft 2; . Erst in der späteren make-
donischen Zeit haben der aitolische und achaiische
') [Ueber die Erneuerung des Bundes unter dem Archontat des Nau-
sinikos Ol. 100, 3 ist seither die wichtige Urkunde gefunden worden, welche
von Eustratiades , Rangabe, Meier, Schäfer behandelt ist. Vgl. auch
U. Köhler Hermes V, 11. j
-) Ich gestehe, trotz aller Bewunderung der Grösse der makedonischen
Könige Philipp und Alexandros, mich nicht «über die Sympathien für den
attischen Particularpatriotismus zu dem hellenischen Standpunkt der Be-
trachtungen« A'on Droysen erheben zu können, Avonach Demosthenes als
eine traurige Gestalt erscheint.- Vgl. Rhein. Museum. Neue Folge IV, 438
und Geschichte Alexanders d. Gr. Makedonien musste nothwendig dem
Hellenen als fremd erscheinen, da, wenn auch das Königsgeschlecht und
ein Theil der Makedonier hellenisch oder hellenisirt waren, doch auch eine
Menge illyrischer , thrakischer und anderer barbarischer Stämme dazu
gehörten.
Ueber die Bildung von Staaten und Bünden. 373
Bund eine Zeit lang mit Erfolg eine kräftige Bundesregierung
ohne Hegemonie mit Freiheit der Einzelstaaten vereint. Das
Oeheimniss lag darin, dass in diesen ]>ünden eine besondere,
von keinem Einzelstaate abhängige ]^undesregierung aufge-
s.tellt wurde, die stark genug war, um über den Einzelnen zu
stehen und kein Interesse hatte sie zu unterdrücken. Ein
■wesentlicher Grund davon lag gewiss in dem Umstände , dass
in den beiden Landschaften, von denen diese Bünde gestiftet
wurden, keine Hauptstadt, überhaupt kein an Macht hervor-
ragender Staat war. und dass den neuen Bundesgenossen bei
ihrem Eintritt ganz gleiche Rechte mit den alten gegeben
Avurden.
Die Aitoler' . früher, wie oben bemerkt, in einem ganz
losen Verbände, der kaum den Namen eines Ihindes verdient,
traten erst recht in die griechische Geschichte ein, als die frü-
heren Hauptstaaten geschwächt und zurückgetreten waren,
gegen das Ende des vierten Jahrlmnderts. Rühmlich werden
sie genannt im lamischen Kriege 323 und 322 und waren
vielleicht schon damals zu einem engeren Ijunde zusammen-
getreten. Von da an dauert ihre Bedeutung bis zum Kiiege
der Römer mit Antiochos. der, durch sie veranlasst, sie ins
Verderben riss. Haiiptgrundsatz der Bundesverfassung, über
die wir nur sehr dürftig unterrichtet sind. war. dass alle
Staaten soAvohl des eigentlichen Aitoliens als andere ohne
Unterschied die gleichen Rechte haben sollten- , dass über
Krieg und Frieden und andere auswärtige Verhältnisse nur
durch die Gesammtheit des l^undes entschieden Averde. nie
1) Ausser Hermann Lehrb. d. gr. Staatsalterth. §. 1S3 ff. Schömann
antiqu. S. 442 fF. und der daselbst angeführten älteren Litteratur vgl. man
jetzt noch F. A. Brandstätter die Geschichten des Aetoliscken Volkes und
Landes, Berl. 1844 besonders 29S — 31.5 und Droysen Gesch. d. Hellenismus
II, S. 403 ff. Sieht dieser in den Aitolern nichts als einen Klephtenstaat,
so geht offenbar jener in ihrer Vertheidigung zu Aveit.
-j AVas Droysen a. a. 0. für seine Behauptung, dass der Bund nicht
bloss gleichberechtigte, sondern auch tributpflichtige Mitglieder gehabt habe,
A^orbringt, beAveist gar nichts. "Wie er die Ausdrücke a'jvTiXelv st; -ö Aitoj-
>.'.7.6v dafür anführen mochte, ist kaum begreiflich. Dagegen soll nicht in
Abrede gestellt Averden , dass entferntere Staaten in ein blosses Bündniss
und SchutZA-erhältniss ti'aten. [Ueber die Sympolitie auch der durch ZAvang
beigetretenen Glieder A'gl. Polyb. IV, 25, ".]
374 Ueber die Bildu>-g von Staaten und Bünden.
durch einzelne Staaten. Die Gewalt übten folgende Bundes-
behörden. Eine allgemeine Bundesversammlung, das Panäto-
licum [-0. -avaiTwXixcf/ , ander alle }]ürger der Bundesstaaten
Theil nehmen konnten , versammelte sich ordentlicher Weise
jährlich im Herbst zu Thermon. doch kommen auch ausser-
ordentliche Versammlungen an anderen Orten vor. Wie darin
abgestimmt wurde , Avird nicht gemeldet ; doch scheint wahr-
scheinlicher, dass es nach Köpfen als nach Staaten geschah.
Sie entschied über Krieg, Frieden und andere wichtige Ge-
genstände, namentlich wohl über die F)undesgesetzgebiing. und
wählte die Bundesbeamten. Ein engerer Ausschuss, wie es
scheint von Delegirten der Staaten gebildet . leitete als stän-
diger Bundesrath die laufenden Geschäfte, entschied minder
wichtige selbst, brachte wichtigere vor die grosse Versamm-
lung. Sein Name war die Apokleten /j-oy.Xr^-oi) 2 . Ein Stra-
I, C. I. G. n. 3U46. Livius XXXI, 29.
2} Livius XXXM, 28. Polyb. XX, 10, 11. Die gleichen scheinen als Sy-
nedren bezeichnet zu sein in C. I. G. n. 235Ü, 2352, 3046 , wo Böckh zu
vergleichen. [Für den aitolischen Bund ist von besonderer "Wichtigkeit
eine Inschrift aus Melitaia in Thessalien bei J. L. Ussing: inscript. gr. ined.
n. 2 S. 2 ff. Sie zeigt, dass die Staaten nach der Grösse eine verschiedene
Zahl von Buleuten hatten 1. 18. — Die Schiedsrichter in einer Sache zwi-
schen den Meliteern und Pereern sind von den Aitolern gewählt. — Dem
SjTiedrion standen zp&G-dToti vor, deren sieben genannt werden : zuerst zwei
ohne weitern Amtstitel , dann der Schreiber des Synedrions (verschieden
vom Bundesschreiber , der Hipparch und noch drei ohne besondern Titel.
Diese Aufzählung ist gewiss keine zufällige. Interessant ist auch der Aus-
druck är:oro"/.iT£'j£tv 1. 16 aus dem Staatsverbande ausscheiden, Gegensatz
von o'jiA-oÄtT£'J£iv. — Die Inschriften C. I. G. 2350, 2351, 2352 aus Keos
und 3046 :aus Teos) erwähnen gleichfalls der Synedren und zwar 2350,
2351, 3046 als richterlicher Behöi'de in Fällen von Seeraub, 3252 aber, wie
es scheint, als eigentlicher Regierungsbehörde, ähnlich den achaiischen Da-
miorgen. Böckh zu 3046 hält die Synedren für identisch mit den Buleuten
(Apokleten;; allein dagegen spricht die Inschrift bei Ussing, obwohl dieser
selbst die Synedren mit dem Rathe identificirt. Die sieben npooTottai weisen
auf ein zahlreiches Collegium. Vgl. noch Polyb. XX, 1. Toiav.ovTa twv d-o-
7.).T,Tojv 7:pci£y£tp(ac/VTCi TO'j? s'jveo&s'j'ovTct? [j.£Td TOJ p'j.jO.iwi. Diese darf man
wohl nicht für das regelmässige SjTiedrion halten. Livius XXXV, 45, tri-
(ji)da principes cum quibus , si qua teilet, consultaret, delegerunt. Endlich
gehört hieher : aus Wescher und Foucart Inscriptions recueillies ä Delphes
n. 1 : CTf-aTaYSovTo; 'Aoxioiovo; £5o;£ toi; ouvsofioi; 1. 7. elfXiV aO-Jj xötv a.'zzi-
/.£iav -/.ciiJu); 7.a oL Gjvtopo'. y.al 6 doy t-ex-tuv o'jv-daaoiev, 7.ai ei *xa tu ajTov
Ueber die BiLinwG von Staaten und Bünden. 375
tege . jährlich gewählt , hatte nicht nur das Heerwesen unter
sich, sondern auch den Vorsitz im Ihmdesrath und der
Bundesversammlung, brachte die Gegenstände zur Berathung
und leitete diese. Er selbst hatte Avenigstens über Krieg keine
Stimme ') . Ihm zunächst stand der Hipparch, der die Eeiterei
befehligte. Ein Schreiber ypajxjxa-öu;) versah die Geschäfte
eines Kanzlers oder Staatssecretärs. Die innere Selbständigkeit
der einzelnen Staaten, Avenn auch in einzelnen Fällen durch
Beschlüsse der Bundesbehörden beschränkt 2, scheint doch im
Ganzen ziemlich gesichert gewesen zu sein. Daher finden wir,
dass nicht nur benachbarte A ölker , sondern auch Städte des
Peloponneses, ja des Hellespontes sich dem Ihmde anschlössen,
wenn nicht letztere vielleicht in einem blossen Bündniss stan-
den , was auch vorkam ^ : aiulere freilich wurden auch durch
Waffengewalt zum Beitritt genöthigt. Ueber ein Jahrhundert
ist der aitolische Binid so die Hauptmacht des mittleren Grie-
chenlands, die gegenüber Makedonien \uu\ Kom eine nicht
verächtliche Stellung einnahm mid vielleicht für Griechenlands
Unabhängigkeit noch mehr geleistet hätte, wenn nicht die an-
geborene Eohheit der Aitoler und ihre feindselige Stellung zu
den Achaieru verderblich gewirkt hätte. Ein Hauptmangel
der Bundesverfassung lag ohne Zweifel in der Einrichtung der
grossen Versammlung, die wegen der weiten Ausdehnung des
Bundesgebiets kaum eine wahre Vertretung der Gesammtheit
war und ehrgeizigen und kriegslustigen Führern leicht Gele-
genheit gab, unbesonnene Beschlüsse zu veranlassen.
Etwas genauer unterrichtet sind wir über den acha ii-
schen Bund^j, der auch ausgebildeter erscheint. Nachdem
Die Inschrift ist unter die amphiktjonischen Decrete gestellt ; allein dann
wären nicht ouveopot, sondern 'kooavfjaove; genannt. Vgl. jedoch Curtius
anecd. Delph. p. 5U, wo er die a6v£opot der Amphiktyonen mit den Hiero-
mnemonen für identisch hält. Hier entscheidet aber wohl der Stratege
der Aitolier an der Spitze.]
1 Liviiis XXXV, 25.
- Die Gesetzgebung des Dorimachos und Skopas scheint in eigentlich
innere Verhältnisse eingegriffen zu haben. Polyb. XIII, 1.
3j Vgl. die oben angeführten Inschriften.
4. Ausser Hermann Lehrb. d. gr. Staatsh. §. lS5fi\ Schümann antiqu.
376 Ueber die Bildlxg von Staaten und Bünden.
Achaia iii früheren Zeiten eine mehr oder -weniger geeinigte
Conföderation gebildet hatte, "svar es in den ersten makedoni-
schen Zeiten fast ganz auseinandergefallen. Erst 2 SO traten
vier Städte , Pliarai . Tritaia . Patrai und Dyme wieder in einen
engeren Verband, dem sich bald die anderen anschlössen. Aber
erst fünf und zwanzig Jahre nachher gewann der Bund durch
eine neue Verfassung mehr Festigkeit, indem jetzt unter an-
derm an die Stelle der früheren zwei Feldherrn nur einer ge-
setzt -wurde. Wenige Jahre nachher schloss sich ihm Sikyon.
die erste nicht achaiische Stadt an (251) , Avas von den Avich-
tigsten Folgen war. da jetzt der kluge Aratos der Lenker der
Bundespolitik wurde. Eine Stadt nach der andern wurde zum
Beitritt bewogen. Zwar zerstörte der unglückliche kleomenische
Krieg mit Sparta imd später der J^undesgenossenkrieg gegen
Aitolien die kühnen Hoffnungen . die sich eröffnet hatten, und
brachten den Bund in eine traurige Abhängigkeit von Make-
donien . doch gelang es nach dessen Demüthigung durch die
Römer, unter Philopoimens Leitung fast den ganzen Peloponnes
und auch ausserhalb dieses gelegene Staaten mit demselben
zu A'eremigen. Allein bereits hatte Rom eine solche Stellung
zu Griechenland eingenommen, dass auch der achaiische Bund
ihm nicht mehr einen Damm zu setzen veimochte. Mit der
Besiegung des Perseus durch L. Aemilius Paulus war im
Grunde auch die Freiheit der Achaier gebrochen , die dann
durch Mummius gänzlich vernichtet wurde. Die Verfassung
des achaiischen Bundes hatte sehr* viel Aehnlichkeit mit der
aitolischen. war aber weit klarer durchgebildet. Vollständige
Gleichberechtigung aller Glieder hen-schte auch hier. Eine
grosse Versammlung auvooo;, h.y.Krpio. , ayopa z. B. Polyb.
XXVIII. 7, 3 . an der alle Bürger von Bundesstaaten nach
zurückgelegtem dreissigsten Jahre Theil nehmen konnten, fand
ordentlicher Weise zweimal jährlich bei Aigion statt ^j. Sie
entschied über Krieg, Frieden. Aufnahme neuer Bundes-
p. 441. Tgl. noch Droysen Gesch. d. Hellenismus II S. 1S2. 297. 402.
441 fF. 45Sff.
1; Deswegen hatte aber die kleine Stadt Aigion keinerlei Vorrechte
und mit Unrecht nennt sie Helwing Gesch. d. achäischen Bundes mehrmals
Vorort.
UeBER die JilLUUNG VON STAATEN UND BÜNDEN. 377
genossen und liundesgesetze, schlichtete Streitigkeiten zwischen
Städten, übenvies Vergehen gegen den liund einem Bundes-
gerichte und wähhe (im Frühjahre die Bundesbeamten ^) .
Ausserordentliche A'ersammlungen konnten nöthigenfalls auch
hier berufen werden, und ausnahmsweise auch an anderen
Orten als Aigion zusammenkommen 2 . Die Abstimmung ge-
schah ohne Zweifel nach Städten, so dass es gleichgültig war,
ob aus einem Bundesstaat viele oder wenige zugegen waren,
aber streitig ist. ob nur bestimmte Abgeordnete oder alle zu-
fällig anwesenden für iliren Staat stimmten ; das letztere scheint
jedoch das Richtige. Den aitolischen Apokleten entsprach der
Rath ^ou^vt] : Avie dort hatte ein Stratege die Leitung des
Kriegswesens ^ und der gesammten Regierung, leitete die Xex-
handlungen des Raths mid die Volksversammlung. Neben
ij Nach Niebuhr. röm. Gesch. II, S. 94 nimmt man jetzt, vorzüglich
mit Beziehung auf Livius XXXII, 22. 23 und XXXVIII, 32 mit Recht
gewöhnlich an, die Abstimmung habe nach Städten statt gefunden. Es ist
das jedenfalls aus den von Niebuhi* angeführten Gründen ein grosser Vor-
zug vor der Abstimmung nach Köpfen gewesen , wenn auch die ungleiche
Bedeutung der Städte mit der gleichen Stimmberechtigung , die dann an-
zunehmen ist, wenig im Einklang war. Druysen S. 404. Beiläufig hier
die Bemerkung, dass mir aus dem Alterthum nur ein Bundesstaat bekannt
ist, wo die Städte nach ihrer Grösse mehr oder weniger Stimmen hatten.
Es ist das Lykien, wo die grössten Städte 3 , die mittleren 2 , die kleinen
1 Stimme besassen. Strabo XIV, 3, 3 pg. 664 C. [cf. Freeman history of
federal government I p. 2US fi". Schorn Geschichte Griechenlands p. 211 —
215 sucht zu zeigen, dass die Strategen nur bis Ol. 14u, 4 im Frühling
um die Zeit des Aufgangs der Pleias fMai gewählt worden seien , von da
an im Herbst. Aratos sei damals nur sechs Monate lang Stratege gewesen.?]
-) [Später kommen die Landsgemeinden auch ordentlicher Weise in an-
dern Städten zusammen z. B. Polyb. XXIII, 16, 12. 1S2 a. Chr. — Philo-
poimen hatte das Gesetz durchgesetzt, dass die A'ersammlungen abwech-
selnd in den verschiedenen Städten stattfinden sollten. Livius XXXM^II, 30.]
3; [Die Bundestruppen bestehen 1, aus Contingenten der einzelnen
Städte, namentlich C'halkaspiden nach makedonischer Art bewaffnet. Polyb.
II, 6.5 u. a. 2; A/7.iä)v £-("/.=;-/,Tot Pol. II, 65. V, 92. 95 u. a. einer Art
Bundeselite und 3) den ijn^öocp^^poi , vom Bunde geworbenen Soldtruppen.
Polyb. V, 92 u. oft. Befehlshaber sind 1) der Stratege, 2 der Hipparch,
3; wird öfters ein vajctpyo; genannt, z. B. Polyb. V, 94, 4; wahrscheinlich
mehrere Unterfeldherren 'jroaTpotrrjYOt. Allerdings kommt mehrmals nur
6 'l/7:o3TpaTT,Yo; vor , aber V, 94 6 ürooTpcttriYÖ; ttj; au-^Ts/.sta; tT^^ riaTptxTj;
(lies Tr- riaToaty.f;;.]
378 TJeber die Bildu>"g von Staaten und Bünden.
ihm stand der Hipparch und der Staatsschreiber (vpaii-fia-cuc),
femer zehn Damiiirgen. die namentlich bei Berufung und Lei-
tung der A olksversammhmg thätig ■waren iind mit den ge-
nannten ])eamten die oberste Regierungsbehörde bildeten ^; .
Die Einzelstaaten mussten alle demokratische Verfassung viel-
leicht durch einen Census et-^as beschränkt haben 2 , sie hat-
ten nach Polybios dieselben Gesetze, gleiches Maass, Ge"vvicht
und Münze. Von richterlichen Entscheidungen derselben konnte
an ein Bundesgericht appellirt werden, an die liundeskasse
entrichteten sie bestimmte Beiträge ^. . Innerhalb dieser Schran-
V [Von 2S0 — 255 erscheinen als Obei'behörden ein ■(Ci'xiJ.ixa-z'Ji und zwei
Strategen. Polyb. II, 43 Strabo MII pg. aS5 C. Nicht ganz klar ist die
Weise, in Tvelcher bei Berufung und Leitung der Volksversammlung Stra-
tege und Pamiorgen betheiligt sind. Polyb. V, 1, 7. XXIII, 17, 5. XXIV,
10, 1. XXIII, 5, 16. XXXVIII, 9-11. Livius XXXII, 22.;
2) Droysen a. a. O. nimmt ein sehr starkes timokratisches Element an,
u. allerdings sprechen Stellen, wie Plutarch Philop. 7, IS dafür, [^gl- auch
die Inschrift von Megara bei Le Bas-Foucart Megaride n. 17 S. S ff., wo
-Xo'jTivoot 7.al äpt"'Soa Abgeordnete gewählt werden. Dass aber die achaii-
schen Staaten nicht immer seit dem Sturze der Könige Demokratien waren,
wie Polyb. sagt, ergiebt sich aus vielen Stellen der Alten z. B. Thucyd. V,
82 und Xenoph. Hellen. VII, 1, 41, wo die »achaiische Verfassung« sogar
für eine Art von Oligarchie terminus technictis ist. Hinsichtlich der timo-
kratischen Gleichberechtigung ist die Stelle Polyb. XXXIV, 6 auffallend,
wo Polybios und seine Freunde in Piom nach erlaubter Heimkehr wieder-
zuerhalten trachten a; -oÖTiOov ir/ov iv 'Ayata T'.aa;. Was sind das für
Ehren ? j
3; [lieber Geldbeiträge oder Abgaben an die Bundesregierung vgl.
Polyb. IV, 6Ü. Die Städte Djnne, Pharai, Tritaia, vom Bunde im Stiche
gelassen, kommen überein ihre e'U'-fooai an den Bund nicht abzuliefern,
sondern für ihre eigene Vertheidigung zu verwenden. Polybios tadelt dies
sehr, Öl/./.iu; t£ ot, v.ai -/.oaiof,; ürraoyo'j^T,; aoia-TioTO'j y.aTol t&'j; y.otvoj; voao-j;
d h. da ihnen unfehlbar die Kosten für ihre Vertheidigung nach den gemein-
meinsamen Gesetzen, zurückerstattet worden wären. Derselbe V, 30, 5 ai -0-
Xit; y.av.ora&oüaai y.at ar^ -■j-c/'i''0'J'JOii ßor,&£ia; o'JT/eoöJ; eiyov -poiT«; zi^zopi^.
V, 91, 1. ApaTo; r,t -<xoe0.r^'x.si to te ^t\iv.m to twv 'Ayatwv 7ia~£c9op(XEvov, ta;
t£ tA'/.zh öXtY«up(»; o'.ay.£i}XiV7; -yj^ ta; jt; -o'jzo t6 [Aspos Eiaccopd;. V, 94, 9.
O'jvopaaovTOJv 0£ tü)v t£ 7.'j.~ä. -jf^^^ y.al twv y-ot-rd öäXassav Xaoupwv , rrepl tov);
aÜTO'j; y.aip&u:, xal auvay&EtSTj; d-o tojtiov -posoooj xal yopT,Yi'^? i-xavfj; i-ji-
v£-o Toi; T£ 5Tpa~ttt)Tat; &äp'o; ÜTTEp TT,; -(üv fj'lvy/'.wv y.ouL'.of,:, rai; t£ "o/.Jiiv
£>.-U 'J~£p Toü u.r, ßap'jv&T,3£Gi}ai Tal; Etitfopai?. Ebenso wird den nach ihrem
Abfalle unter Deinokrates 1 S2 v. Chr. wieder zum Eintritte in den Bund
genöthigten Messeniern dreijährige Steuerfreiheit gewährt. XXI^ , 2, 3. g'jvs-
&E>JTo TT|V -po; Messtjvio'j; OT-f;).T,v, G'JYywp'r,3avT£: aÜToT; "pö; toTc aiJ.v.t '^i-
ÜEBER DIE BiLDTJXG VOX StAATEX UlSD BÜNDEN. 379
ken aber hatten sie für die A'erAvaltinig ihrer besonderen Ver-
hältnisse freie IJeAvegung 'j .
},avi)pu)rot; -Arn xp'.wv etwv ä-iÄeiav. Ganz klar ist danach nicht, ob der
Bund nur von den Städten Geldcontingente erhob , oder ob er von den
Bürgern direct Steuern ei'hob. Nach attischem Sprachgebrauch wären die
£iacfop7.i eher letztere ; aber sonst sprechen die Stellen mehr für die erstere
Ansicht. Für die Existenz eines eigentlichen Bundesschatzes spricht auch
das Anerbieten des Eumenes ]20 Talente für die Besoldung des Rathes zu,
schenken. Polyb. XXII, 10 u. 11. Lykortas und seine Mitgesandten bringen
von Ptolemaios 6000 eherne Peltastenrüstungen, 5ta7.öoia oe täXavTa vo[i.[a(i.aTo;
i-'.(i-'r^\t.'j'j ycüXvcoü. AVenn Wähner de Achaeorum foederis origine atque insti-
tutis. Glogau 1854 S. 23 behauptet, dass kein Bundesschatz nachweislich
sei und C. F. Hermann Staatsaherth. §. 186, 17 ihm beizustimmen scheint,
so begreife ich das nicht. Denn die eiocpopctt, mochten sie sein, wie sie
wollten, mussten doch irgendwie verwaltet werden. Es fragt sich also
nur , ob die Bundescasse directe Einkünfte hatte , oder ob sie nur durch
Geldcontingente der Staaten gespeist wurde. Auffallend bleibt , dass , so
viel ich weiss, keine Tci[Atai des Bundes erwähnt werden; vielleicht hatte
einer oder mehrei'e der Damiorgoi das Geschäft zu versehen.]
• Hie und da kommen freilich starke Eingriffe vor, wie z. B. die durch
Diaios veranlasste Freilassung von Sklaven Polyb. XXXIX, 8. Wenn aber
derselbe Schriftsteller II, 37 sagt, es habe dem Peloponnese zur Zeit seiner
Vereinigung im Bunde nichts gefehlt zu einer Stadt, als von einer Mauer um-
geben zu sein, so ist das eine von dem griechischen Standpunkte, dem Bun-
desstaaten etwas ungewohntes waren, zu erklärende Hyperbel. Beispiele von
einer sehr freien Bewegung kommen aber nicht selten vor, vgl. Polyb. IV,
60. Die Staaten hatten ihre eigenen Räthe , Ekklesien u. s. w. Livius
XXXII, 19. Polyb. XXX\1II, 9, 7 u. a. [Ueber die Einmischung des Bundes
in die Verhältnisse der Einzelstädte ist interessant Polyb. V, 93, wo Ara-
tos d. ä. damals Feldherr eine Versöhnung und Ordnung in Megalopolis
nach der Zerstörung zu Stande bringt, deren Bestimmungen beim Hestia-
Altar im Homarion aufgestellt werden. Es trat also wohl eine Art Garan-
tie durch den Bund ein. Eine fortwährende Einmischung der Bundesgewalt
in die Verfassungsverwaltung fand bei Sparta statt. Philopoimen schafi't
sogar von Bundeswegen die lykurgische Verfassung ab. Vgl. Polyb. XXIV,
7 die Einmischung gegen Chairon , der durch den Strategen vor ein Ge-
richt gestellt wird. AVas sind bei Polyb. XXVIII, 7, 9 rA r.t[j\ liurjvii-i-i]
y.at Aio-£'.9tj Pooto'j; i'oder 'Pooiot) 5i-<taGTai 'j-äpyov-£c -/.ax' ev.eivov tov y.atpov,
welche die Ehren des Eumenes über die Massen beschränkt hatten? Wie
kommen die Rhodier dazu in Achaia Richter zu sein über die Auslegung
einer Decrets zu entscheiden? Für achaiische Bundesgerichtsbarkeit ist
wichtig Pausan. VII, 9, 5, wonach die Spartaner hinsichtlich der Bluts-
gerichtsbarkeit von Rom die Begünstigungen erhielten ;£vt-/.a or/.aaTTjpict zu
erhalten ; sonst aber dv -w 'Ayaiy.u) Recht suchen sollten. Uebrigens nennt
auch Polyb. II, 37 Bundesrichter. Für die Frage, ob die einzelnen Bun-
380 Uebek die Bildu>'g von St.vaten uxd Bünden.
In diesen beiden Bundesstaaten, zu deren genauerer Be-
trachtung es uns leider an Raum gebricht . besonders in dem
achaiischen. sehen wir in einer früher nicht eiTeichten AVeise
Centralisation und freie Bewegung des Einzelstaates vereint,
durch eine von jedem Einzelstaate unabhängige Centralregie-
rung. Die Unterordnung unter diese erschien nicht als Unter-
Averfung unter einen anderen Staat und wurde darum auch
von emzelnen bedeutenden Staaten nicht unwillig angenommen,
während andere freilieh auch hier widerstrebten. Eine grosse
Unvollkommenheit war allerdings auch hier in der Volks-
versammlung, mag nach Köpfen, was das schlimmere war,
oder nach Städten abgestimmt worden sein, hier tritt der
Mangel einer zu den Leistungen im Verhältniss stehenden \er-
tretung hervor. Alier auch so dürfen wir wohl den achaiischen
Bund die vollkommenste Erscheinung dieser Art in Griechen-
land nennen. Dass auch diese l^ünde den Untergang nicht
hindern konnten, ist nicht Schuld der Verfassung, da auch
die beste nicht ausreicht, wo der Geist und die Kraft von
einem Volke gewichen sind, und wo die äusseren Verhält-
nisse so ungünstig sind, wie hier. Die unselige Feindschaft
zwischen dem achaiischen Bunde einerseits, dem aitolischen
Bimde und Sparta anderseits, zerrissen auch damals Griechen-
land und trieben es in die Abhängigkeit erst von Makedonien,
dann von dem weit gefährlicheren Rom. Wäre es möglich
gewesen zur rechten Zeit Sparta und Achaia zu vereinen, oder
gar die ganz analogen achaiischen und aitolischen Bünde zu
einem zu verschmelzen, so hätten "s-ielleicht noch damals Grie-
chenlands Geschicke eine andere Wendung erhalten können.
Werfen wir auf die gesammten Einigungsbestrebungen
einen Blick zuriick, so müssen wir uns dahin aussprechen,
dass die Griechen mit Ausnahme der letzten Zeiten grössere
Macht auf längere Zeit nur durch Vereinigung in einem
desstädte auch abhängige Gebiete und Unterthanen hatten , was besonders
von Megalopolis und Korinth Freeman, freilich ohne Beweise, statuirt,
Tgl. auch Polyb. IV, TS , wo Alipheira früher 'jt: 'Ap7.aoiav v.al ^^U'/iz-r^i
rJi'/.i'i stehend genannt ist. Ein ungenauer Ausdruck ist offenbar , wenn
Pausanias ATI, 13, 7 lasos in Lakonika tots ok 'A/aiwv •jrT,y.oov nennt. —
Ueber das -/.otvov twv 'AyatöJv in der römischen Kaiserzeit vgl. u. a. Lenor-
mant Recherches archeol. ä Eleusis recueil des Inscriptions n. 16 p. 42 ff.]
Ueber dip: Bildung von Staaten und ]5ünden. 381
Staate, oder durch Unterwerfung unter einen Staat, mochte
diese auch formell als IJundesgenossenschaft auftreten,, zu er-
reichen wussten, dass dagegen die eigentlichen Bundesstaaten
nirgends mit der Freiheit der Glieder auch bleibende Stärke
des Ganzen zu gewinnen wussten. Als man sich dem anzu-
nähern schien, war die Kraft der Nation bereits im Dahin-
schwinden. Gegenüber neueren Verhältnissen entbehrt das
griechische Alterthum namentlich eine ausgebildete föderative
Repräsentatiwerfassung , wenn auch Versuche einer solchen
da gewesen sind. Das Haupthinderniss aber für die Stärke
der ganzen >sation war, dass immer mehrere Staaten auf den
ersten Rang und die Herrschaft Anspnich machten. So musste
sie auf eine gebietende Stellung gegenüber den sogenannten
Barbaren, zu der sie vennöge innerer Kraft wohl befähigt ge-
wesen wäre, verzichten. Wenn aber in dieser Beziehung der
Partikularismus des griechischen A'olkes eine traurige Erschei-
nung ist , so dürfen wir andererseits nicht vergessen , dass
diesem gleichen Geiste das unendlich mannichfaltige Leben
entsprosste, das in Kunst und Wissenschaft die herrlichen
Blüthen trieb, welche zu allen Zeiten Gegenstand der Bewun-
derung sein werden , und welche vollen Ersatz geben für den
Mangel im Staatsleben.
TEBER DIE STELLUXG DES CxESCHLECHTS DER
ALKMAIONIDEN IN ATHEN.
[Einladung zur Rectoratsrede. Basel. Schweighauser. 1847.]
Die Alkmaioniden sind bekanntlich das Geschlecht, wel-
ches den grössten Einfluss auf die Entwickhing der Geschichte
von Athen ausgeübt hat. Alkmaioniden bekämpfen schon vor
Solon den A'ersuch des Kylon sich der Gewaltherrschaft zu
bemächtigen und laden durch die frevelhafte Art, wie sie die
zur Uebergabe gezwungenen Anhänger Kylons trotz des gött-
lichen Schutzes, unter dem sie standen, niederhauen lassen,
schwere Blutschuld auf sich. Alkmaioniden stehen in den
Parteizwisten zu Solons und Peisistratos Zeit an der Spitze
der Mittelpartei, der Paralier. Alkmainoiden bauen den abge-
brannten delphischen Tempel mit freigebigem Aufwände wie-
der auf und bewirken, von dem Orakel unterstützt, dass Sparta
die Peisistratiden aus Athen vertreibt, der Alkmaionide Klei-
sthenes giebt durch Aufliebung der alten 4 Phylen und die
Eintheilung sämmtlicher Bürger in 10 neue, so wie durch eine
Reihe anderer Einrichtungen der athenischen Verfassung eine
entschieden neue Gestalt und ist als der Gründer der Demo-
kratie zu betrachten. Von mütterlicher Seite endlich gehören
diesem Geschlechte der gi-össte der athenischen Staatsmänner.
Perikles, und der geniale Alkibiades an. Kein anderes Ge-
schlecht in Athen, selbst das der Medontiden nicht, kann sich
einer Reihe solcher Männer, eines so mächtigen und so lange
andauernden Einflusses rühmen. Es ist daher zur richtigen
Beurtheilung desselben von grösster Bedeutung zu wissen,
welcher Classe der Bürgerschaft es angehörte, ob es altadeli-
Ueber d. Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioniden. 383
eher, eiipatridischer x\.bstammung war oder nicht, liis in die
neneste Zeit scheint man nun allgemein der Meinung gewesen
zu sein, dass ersteres der Fall gewesen sei^l . In der neuesten
Zeit dagegen ist das mit der grössten Bestimmtheit in Abrede
gestellt worden und zwar von einem ebenso gelehrten als
scharfsinnigen Kenner der attischen Altherthümer und Ge-
schichte. Als nämlich an der neunten 'S'ersammlung der Phi-
lologen und tSclmlmänner zu Jena, Herr Theodor Bergk in
seinem Vortrage über die Geschwornengerichte zu Athen
die Meinung aussprach , erst Kleisthenes habe den Be-
amten die Entscheidung in Rechtsfällen genommen und an
die Geschwomen übergeben, äussert** Göttling. der diese Be-
hauptung bestritt , \niter anderm . Kleisthenes sei ursprünglich
Aristokrat gewesen und erst weil er mit seiner Partei zu un-
terliegen fürchtete, umgeschlagen und Demokrat geworden.
(Verhandlungen S. 41.) Dagegen erhob sich nun aufs nach-
drücklichste mein verehrter Freund, Herr Direktor Sauppe in
Weimar und bemerkte (S. 43 :
))Was Professor Bergk über Kleisthenes vorgebracht, ist
mir aus der Seele gesprochen , nur gegen die Bemerkiuig des
zweiten Herrn Präsidenten, als sei Kleisthenes früher Aristokrat
gewesen und dann zu den Demokraten übergegangen . muss
ich seine Ehre retten. Kleisthenes gehörte zu den Alkmaio-
niden, einer Familie, die nie auf der Seite der Aristokraten
war, nie zu den Eupatriden gehört hatte. Das beweist eine
Stelle des Isokrates Trspl l^soyouc, wo es von Alkibiades heisst,
er stamme väterlicher Seits von Eupatriden. mütterlicher aber
von den Alkmaioniden ; also gehörten diese nicht zu den
Eupatriden .
') Man vgl. u. a. Schömann de comit. Athen, p. M^II. sed horum co-
nattts cupidius ut videtur quam cautius suscepti, ceteroriim ^iatriciorum, Alc-
maeonidarum maxime opera repressi sunt. Meier de gentilit. attica. p. 38.
de nohilissima gente, quae orta ex regia prosapia et opibus et pntentia et
rerum gestarwn gloria inter Atticas gentes facilc principatnm tenehat,
tyrannidis autem perpetmiin prae se ferebat odium , et multi dixerunt et
Boeckhius egregia quaedum commentatus est. Wachsmuth Hellen. Alter-
thumsk. I, 1. S. 269. 1. Ausg. Reiner Sinn für Demokratie ist ihm
;dem Kleisthenes) einem Sprössling des königlichen Adels schwerlich bei-
zulegen.
3S4 I.EBER D. Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioniden.
Nach der Vertreibung der Peisistratiden machte die Adels-
partei Anstrengungen die ganze Verfassung Solons umzustürzen;
sie galt es zu retten, das ist Kleisthenes Verdienst.«
Ich entgegnete darauf S. 45 :
«Ich habe die Stelle im Isokrates bisher immer umgekehrt
verstanden. Das väterliche Geschlecht des Alkibiades war nicht
so berühmt, dass es gut mit seinem besondem Namen bezeich-
net werden konnte, daher heisst es allgemein: von väterlicher
Seite stammt er von Eupatriden; von mütterlicher Seite aber
stammt er nicht bloss von Eupatriden im Allgemeinen, sondern
von einem der ersten und berühmtesten Adelsgeschlechter, von
den Alkmaioniden. So hat es offenbar auch Aristophanes in
den Wolken angesehen, wenn er zur Bezeichnung der vorneh-
men Abkunft der Frau des Strepsiades sagt: £-,"/; [xa MsYav.Xsou;
Tou yh-;aA/,irj\Jc ao£//fioT(V, man mag die beiden Genetive an-
sehen wie man will.«
Herr Sauppe replicirte :
»Nur über die Alkmaioniden noch ein Wort. Eine ein-
fache Betrachtung der Stelle des Isokrates lässt nur meine
Erklärung zu. Man müsste sich allenfalls die des Herrn Pro-
fessor Vischer gefallen lassen, wenn die Stelle sich mit sonsti-
ger Ueberlieferung nicht anders vereinigen Hesse. Wenn aber
gerade durch eine einfache Hinnahme des Wortlautes die sonst
nicht aufzuklärende Stellung der Alkmaioniden gegenüber den
Aristokraten in ihr rechtes Licht gestellt wird, so darf man das
nicht wegdeuten wollen. Die Stelle des Aristophanes beweist
nichts; denn dass die Alkmaioniden, wenn auch nicht durch
Adel, doch durch grossen Reichthitm, glanzvolle Thätigkeit und
Gc^chichte. hervorragende Persönlichkeiten sich in Athen eine
hohe Stellxmg errungen hatten, leugnet Niemand; weiter liegt
auch in Aristophanes Worten nichts, in dessen Zeit überhaupt
die Bedeutung des Adels schon andern Potenzen gewichen war.«
Herr Sauppe stellt also aufs bestimmteste den Satz auf,
die Alkmaioniden seien nie auf Seite der Aristo-
kraten gewesen, hätten nie zu den Eupatriden ge-
hört. Er gründet diese Behauptung auf die Stelle des Iso-
krates, -cpl Tou C^oyouc §. 25 0 Y^tp ~aTr,p Tzpo? [X£V avopeuv rv
EuTra-piO(uv. (UV -r,v £u7£V3iav sE aurr^c zr^z e-tuvuixiotc paoiov Yvui-
vai, Kpo? Y'-^''^-''-"^'' ^' 'A/.7.aa'.cüV'.6(j5v o" tou jxiv rXouto'j a£Yi3Tov
Ueber d. Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioniden. 385
avTitisTov zaTsXtTTOv T~:tu)V y^p C-uyst "puitoc AXxfiai'fuv tuiv k^/Xi-
Ttuv 'ÜX'ju.T:i'a3iv ivuTj3£; TTjV o' suvoiav T^V 3i//jV ilC 70 TTÄrjiloc 3V
ToTc Tupavvtxol; i-sSet'lavTo. au-'Yävsi; y^^P ovts; riciaisTparou xal
-piv cic TTjv ap/7;v xaTaatr^vai aaXiar aurw /owasvoi tu)v TcoA'.roiv,
oux r^;i'a>3av aitotj/siv tt^; sxsivoo lupawioo; otXX' siAovTo cpuYsTv
p,aXXov T^ Tou? -oAiTac losiv oouXsuovtoic. In dieser Stelle wird
allerdings hauptsächlich die Volksthümlichkeit und tyrannen-
feindliche Gesinnung der Alkmaioniden hervorgehoben, weil es
dem Sprecher, dem Sohne des berühmten Alkibiades, darauf
ankam, zu zeigen, dass seine Familie von jeher es mit der
Freiheit Athens gut gemeint habe, es treten auch die .Vlkmaio-
niden in einen wenigstens scheinbaien Gegensatz zu den Eupa-
triden. Allein dieses Gegenüberstellen wird durch meine Auf-
fassung erklärt, ohne die Alkmaioniden von den Eupatriden
auszuschliessen. Die Stelle zwingt luis also nicht anzunehmen,
dass Isokrates oder der Sprecher aussage die Alkmaioniden
seien keine Eupatriden gcAvesen. Herr Sauppe giebt selber zu,
dass man sich allenfalls meine Erklärung gefallen lassen müsste,
wenn sich die Stelle mit sonstiger Ueberlieferung nicht anders
vereinigen Hesse. Es kommt demnach darauf an dies zu be-
weisen, und das will ich in folgendem versuchen, wobei ich nun
freilich eigentlich Neues nicht beibringen kann . da das Ge-
schlecht der Alkmaioniden bereits mehreremal Gegenstand ge-
lehrter und gründlicher Untersuchiuigen gewesen ist \ . Da aber
trotz diesen seine hochadeliche Abstammung so bestimmt be-
stritten worden ist. wird eine Zusammenstellung der l^eweise
für dieselbe hinlänglich gerechtfertigt sein. Zugleich wird sich
daran die Frage knüpfen, ob die Alkmaioniden nie auf Seite
der Aristokraten gestanden, eine Frage, welche mit der ersten
keineswegs identisch ist. Es konnte auch ein Eupatridenge-
•) Palmerius exercit. p. 632 ff. Leyden 166S. Böckh Explicat. ad Pindar.
Pyth. p. 300 squ. Döderlein in der Hallischen Encyklopädie, Kraft in Pauly's
Realencyklopädie. Art. Alkmäon. Meier de gentil. Attica p. 3S. Ich be-
merke hier gelegentlich, dass es ein Irrthum ist , wenn Döderlein das Ge-
schlecht der Kallias und Hipponikos zu einer Nebenlinie der Alkmaioniden
macht; die Verschiedenheit der Geschlechter :ergiebt sich schon aus dem
Gegensatz, in den sie Herod. \1, 121 und Demosth. g. Midias. §. 144
bringen. Die Familie der Kallias und Hipponikos gehört vielmehr zum
Geschlechte der Keryken vgl. Meier de gentil. p. 44.
Vischer, Schriften I. 25
386 Ueber d. Stelling d. Geschlechts d. Alkmaioniden.
schlecht von der Zeit an . wo eme demokratische Partei sich
erhob, fortwährend bei dieser stehen. Dass es bei den Alk-
maioniden nicht der Fall gewesen sei. dass sie nicht nur
Eupatriden von Geburt, sondern eine Zeitlang auch Aristokra-
ten von Gesinnung gewesen . das hoffe ich klar und überzeu-
gend darzulegen.
Die Stelle des Aristophanes , welche ich gegen Herrn
Sauppe angeführt habe, hat nun. das gebe ich zu. nicht volle
Beweiskraft. Es Avird in derselben nur das Geschlecht der
Alkmaioniden als ein äusserst vornehmes und üppiges der ein-
fachen ländlichen, ja 1)äurischen Familie des Strepsiades ent-
gegengestellt: V. 47.
s'-c'.t' £77,1x7. MsYa/.Äio'j; tov» Mv^a/.Ki'j'jt
osavrjv. Tpucpu)37.v. iyxsy.oiaopoiixavrjV.
Doch bemerke ich. dass die Einwendung, in Aristophanes
Zeit habe der Adel bereits anderen Potenzen Raum gemacht,
nicht zutrifft, weil die Frau des Strepsiades dargestellt ist als
stolz auf ihre Abkvinft. auf ihre A'erwandtschaft mit dem Me-
gakles, der ihr Oheim genannt wird, und Ahnenstolz mit An-
sprüchen, welche das Vermögen überschreiten und zu Grunde
richten, wie es Aristophanes hei der Frau des Strepsiades schil-
dert, findet man ja überhaupt meist in den Zeiten, wo die Be-
deutung des Adels im Sinken begriffen ist. Die Stellung des
Geschlechts, um die es sich handelt . fällt also längst vor die
Zeit des Aristophanes. und unbefangen betrachtet, weist gewiss
diese Stelle auf altadeliches Geblüt. Ich will aber dennoch
keinen Aveitem Werth darauf legen.
Schwieriger schon möchte es sein bei nicht adelicher Ab-
stammung das Lob zu erklären. Avelches Pindar Pyth. ^'11. der
Familie giebt :
V. l. KaÄAi-Tov 0.1 [jLSYaÄo-To/.ic: AOavoi'.
TTpooiaiov 'AÄy.jj.ctvioav S'jp'ja!>£V£v -^zviol
• y.pTjTcTo' ao'.oav
£-£1 riva TtaTpav. Tiva r oixov
Äatov ov'jjxacoixa'. .
ir:i'iav£jT£oov E/.Äaoi -'jOisiia'. ;
ÜEBER D. Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioniden. 387
V. 13. ayovTi 8s [xs rsvTS [xiv 'Iai)p.oT
vlxai, [xta 8' ix~[jnzr^z
Aio; 'OXuixTCia;,
8uo o' aTTO Ki'ppa;,
(u McyaxXöcc ufiai rs xal TrpoYovouv.
Zu Piiidars Zeit war auf jeden Fall die Bedeutung des
Adels noch nicht andern Potenzen gewichen, schwerlich hätte
er in einem kurzen Gedichte bei einer nicht adelichen Familie
mit solchem Nachdrucke die weithinreichende Macht und
den unübertroffenen Ruhm des Geschlechts hervorgehoben.
Und die Wettkämpfe an den grossen Agonen. besonders mit
Pferden und Wagen Avaren überhaupt so sehr gleichsam ein
Privilegium adelicher Familien , dass noch Themistokles nach
Plutarch Tliem. 5 getadelt wurde, dass er mit Kimon in Olpu-
pia an Glanz wetteifern wollte. Es würde also auch diese
Anführung uns mit Wahrscheinlichkeit auf die adeliche, eupa-
tridische Abstammvnig der Alkmaioniden schliessen lassen.
Volle Beweiskraft enthält sie aber allerdings auch nicht.
Aehnlich verhält es sich mit mehreren Stellen Herodots,
in denen er den alten Glanz des Geschlechtes hervorhebt. V, 62.
'AAx[jLcu>vioai .... sovTsc avops; 6oxitj,oi av3xai>£v sri. VI. 125 oi
02 'AXxp-iiovi'oai T,aav [jlsv y.al ta avixaUcv Äoiix-pot Iv -yjai Aör^vifjai,
dro ok 'AAx[j.iwvo; xal aün; Mc-j'axÄso: sysvovto x7.'. xapra Xafxirpoi.
Danach Avar also bereits vor Alkmaion dem Zeitgenossen des
Kroisos und Solon das Geschlecht in glänzender Stellung. Wie
aber in Athen schon zu Solons Zeit ein Geschlecht berühmt
sein konnte, ohne den Eupatriden anzugehören . lässt sich
schAver begreifen, da ja bis auf ihn alle höhern Aemter allein
den Eupatriden zugänglich Avaren.
Damit stimmt überein die Aussage Plutarchs, dass Perikles
A'on väterlicher und mütterlicher Seite den ersten Geschlech-
tern angehört habe. Plut. Pericl. 3. Utpiv.lr^c yap t^v twv [xsv
ouAÄv AxajjLavTi'oTjC, täv os orjjxcDv XoXapYSü';, oi'xou os xal "i'ivou;
.Tou irptüTou xat aij-cporspouc. Seine Mutter Agariste Avar bekannt-
lich eine Alkmaionidin.
Sodann mache ich darauf aufmerkam. dass in den Partei-
zAA^sten zu Solon's Zeit die beiden Führer der strengaristokra-
tischen und der demokratischen Partei. Lykurg und Peisistratos
Eupatriden Avaren, es also darum schon höchst Avahrscheinlich
25*
388 Ueber d. Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioxiden.
ist, dass auch der dritte, Megakles der Alkmaioiiide, demselben
Stande angehörte. Endlich mag auch erwähnt werden, dass
der Fürst von Sikyon Kleisthenes, den Megakles schwerlich
nnter den zahlreichen Freiern, die aus ganz Griechenland sich
bei ihm versammelt hatten, bevorzugt und ihm seine Tochter
Agariste gegeben hätte, wenn er sich nicht durch adeliche Ab-
stammung ausgezeichnet hätte. Denn Kleisthenes fragte zuerst
nach eines jeden Freiers Vaterland und Geschlecht Trpuita \ikv
ta; -atoa? ts au-u)v avöTiuilöTo xai -[hoc s/aaiou und hatte zuerst
den Hippokieides auserkoren wegen seiner Tüchtigkeit und sei-
ner Verwandtschaft mit den K^^Dseliden in Korinth, y.ai y.ar
(XvSoaYaüirjV xai ort ~a. avexailsv iciTai sv Kopi'vüfu Ku'I^cXtOTjai r^v
KpoaTjXOiV, Herod. VI, 128.
Diese und andere ähnliche ' Nachrichten stellen zwar das
Alkmaionidengeschlecht so dar, dass sich nicht daran zweifeln
lässt, es habe zu den vornehmsten in Athen schon zu Solons
Zeit und früher gehört, und da, wie bereits bemerkt, in jener
Zeit der Glanz einer Familie oder eines Geschlechtes ^ eines
oly.oz oder eines ysvoc) mit nicht adelicher Abstammung sich
kaum vereinigen lässt, so Aväre auch bewiesen, dass die Alk-
maioniden zu den Eupatriden gehörten. Jene Stelle des Iso-
krates, auf die Herr Sauppe seine Behauptung allein stützt,
verliert dagegen alle Bedeutung, weil sie sich anders erklären
und mit der gewöhnlichen Ansicht in Uebereinstimmimg
bringen lässt. Ich gestehe, dass für mich es keiner w^eitem
Beweise bedürfte und ich in vielen zweifelhaften Fällen froh
wäre, so bestimmte Belege zu besitzen. Die Bedeutung der-
selben tritt um so mehr hervor, wenn man bedenkt, wie selten
1) So Argum. II zu Arist. AVolken. rOiS^örr,; -(dr, icTtv ä/8o,u.evo; raiol
dn-v/.o'j 'ipovr^aaTo; -fiii-C/vt'. y.ai -qz £ ü Y £''£'•'-' ? ^h "o/.'JTsXsiav äTTO/.E/.a'jy-ott,
r, f<ip "öJv 'A"/.y.u.a'.(uv'.ott)v oiy.ict 5&£v t,v t6 -pö; [jivjTpö? ^jvo; 6 [A£tpay.ir/.o; i^
äp/fj; (u? cfr|Siv 'HpoooTo; T£&p'.r:7:oTp6cfo; r,v •/. t. ).. Suid. s. v. 'A"/.xij.auijvioat
7£vi; iz-h £T:'.cpcf/£; A8r,v-^3'.v, d-b 'A>.v.ixoii(uvoc, ebenso Harpocration. Plu-
tarch de malign. Herod. c. 27.
-, Meier de gentilit. pag. 3S hat einige Zweifel, ob die Alkmaioniden
eines von den 36U Geschlechtern eine -[vtzd, fi-iOi im engern Sinn des
"Wortes gewesen oder nur ein oty.r>; eine Familie. Für unsere Frage ist
die Sache gleichgültig, indessen scheinen mir die von ihm selbst angeführ-
ten Stellen für ein -(ho^ zu sprechen.
Ueber d. Stellung d. Geschlechts Dj Alkmaionidex. 389
verhältnissmässig das Wort Eiipatride bei den alten Schrift-
stellern vorkommt';, nnd meistens dafür Ansdrücke stehen wie
-j'svo? XajxTrpdv, Inicpavsc, zpÄTov ; rXouaiot n. dgl. Trotz dem aber
gebe ich zu , dass man ganz vollständige Gewissheit daraus
nicht erhält, sondern nur grösste AVahrscheinlichkeit , -womit
man sich aber in historischen Dingen oft begnügen muss. und
darum will ich ihnen keine IJedeutung beilegen, da wir gerade
bei den Alkmaioniden. wie bei wenigen andern Geschlechtern
im Stande sind mit fast mathematischer Bestimmtheit nachzu-
weisen, dass sie zu den Eupatriden gehörten.
Einen vollkommenen lieweis hätten wir, wenn der sechste
lebenslängliche Archon Megakles und der letzte. Alkmaion. wie
Döderlein und A. Avegen der Namen angenommen haben,
Alkmaioniden gewesen wären. Allein bereits Böckh zu Pindar
S. 501 hat gezeigt, dass dies nicht glaublich sei. weil die le-
benslänglichen Archonten alle aus dem Geschlechte der Me-
dontiden genommen wurden, vielmehr seien sie wohl nur nach
Megakliden genannt, weil ihre Mütter diesem Geschlechte an-
gehört hätten. Also Avären die Alkmaioniden dem Königsge-
schlechte frühzeitig verschwägert gewesen, was gewiss nur der
Fall gewesen sein kann . wenn sie adelich waren '^. . Allein
auch dies ist Vermuthung. Avird man einwenden. Allerdings,
und so wahrscheinlich sie ist. kann sie doch nicht auf voll-
ständige Gewissheit Anspruch machen.
Unwiderlegbar sprechen aber folgende Thatsachen. Ein
Megakles war Archon, als Kylon den ^'ersuch machte sich der
Tyrannis zu bemächtigen, einige Zeit vor Solon. wahrscheinlich
Ol. 42, 1 oder 612 v. Chr. Dieser Megakles gehört der Fa-
milie der Alkmaioniden an. welche überhaupt die entschieden-
sten Gegner der Kylonischen Faktion Avaren 3) . Dem Archon
1) Von den wenigsten athenischen Adelsgeschl echtem wird mau Stellen
aufweisen können, wo sie geradezu Eupatriden genannt werden.
-j Schoemann de comit. p. IV : (äqi(e Eupatridas quidem eos fuisse
qui aut regio generi cognati aut stirpis vetustate et nohilitate clari essetit et
ratio vincit et veteittm scriptoriim testimonia docent, qui eos fuisse dicunt
fxe-csy^ovxa; ßaotXtxoD fi-^o'Ji aut xou? £7. tüiv d-icpavwv oiV-ujv -/.od ypT,[Aaoi
O'jvaTO'j;.
3; Plut. Solon 12. Pausan. VII, 25, 3. Herod. V, 70, Tl. Thucyd.
I, 126. Heraclid. Polit. I, S. 4 ed. Schneidew.
390 Ueber d. Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioniden .
Tind seiner Familie Avurde die Ei-mordiing der Anhänger Kylons,
die sich in den Schntz der Götter begehen hatten, Schuld ge-
geben* lind z-\vei Jahrhunderte lang lastet von da an der Fluch
auf dem Geschlechte, der von Zeit zu Zeit von politischen
Gegnern wieder als ParteiwafFe gebraucht wird^), wie nach
der Vertreibung der Peisistratiden, von Isagoras und Kleome-
nes, vor dem Ausbruch des peloponnesischen Kriegs von den
Spartanern und der oligarchischen Partei in Athen gegen Pe-
rikles. Bis auf Solon war aber das Archontat wie alle höhern
Staatsämter ausschliesslich und ohne irgend eine Ausnahme
bloss den Eupatriden zugänglich 2 . Also muss Megakles ein
Eupatride. und da er ein Alkmaionide war, das Geschlecht der
Alkmaioniden ein Eupatridengeschlecht gewesen sein. Diese
Thatsache allein ist genügend, wer sie bestreiten wollte, müsste
den Peweis führen , dass das Archontat schon damals Nicht-
adelichen offen gestanden habe.
Ferner aber Avissen wir nicht nur im Allgemeinen , dass
die Alkmaioniden den Eupatriden angehörten, sondern können
auch ihr Geschlecht bis auf die Einwanderung in Attika zu-
rückverfolgen. Es ist nämlich durchaus irrig, wenn man. was
die Meinung der Scholiasten zu Pindar. Pyth. ^"11. zu sein
scheint -^ , glaubt, sie hätten ihren Namen erst von dem Sohne
des Megakles, dem Zeitgenossen des Kroisos, erhalten. Sie
waren vielmehr schon vor ihm berühmt und mächtig, nur
wurde durch ihn der Glanz des Geschlechts noch erhöht, wie
ij Man vergleiche ausser den bereits angeführten Stellen Herodot. I^
61, der ei-zählt Peisistratos habe mit der Tochter des Megakles desshalb
keine Kinder erzeugen wollen, weil die Alkmaioniden fluchbelastet gewesen
seien und Aristoph. Ritter. 445, wo Kleon dem "Wursthändler droht , ihn
als einen Abkömmling der Schuldbefleckten 'ä/.'.Tr,pto'.; zu verzeigen, und
dazu den Scholiasten.
2) Hermann Lehrb. der Staatsalterth. §. 103. Schoemann de comit.
p. VIII. Antiquit. p. ]69.
3j Die Worte des Schol. lauten: ■(i-[oi--'xi [xb -q wot, MeYay.Xei 'A9r,-/aiu>
ävctcpepovTt t6 'fivo; ei; 'A).7.[j.0Ltt«'^a tov ycvöijl£vov a-^av rXo'jaKÜT'jCTOv. Es folgt
die Erzählung von Alkmaions Abenteuer bei Kroisos, darauf fährt er fort :
oia TOt toÜTO e-tciotviiTaro; 7.c.Ta tt,v 'Attiv.TjV 'jZ'ii\r^-'xi, «ü; T.-i'i't tuv T).o'J3ta)-
Taxo; d'x'o'J 'Aoli 01 "A/.x[jia'.(uv''i'jti, 01 vm -t,v t&v IletS'.STpaTioiüv rjpctvvtoa
xctT^A'joav, und zu v. 1 : e'JO'JoBivfj ok eTtte T-r|V '(v^^6.•^ a'jTöiv ota t6 tov
A"A"/[j.a'.«jva ävooeio-; xiva ■/.ni enctav-r, ■lt\i^%n.l , dtp oG v.al ot AAxaatwvioat.
Ueber d. Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioniden. 391
Herodot sagt. Auch von dem Sohne des Araphiaraos ^; , wie
Nielnihr in den Vorlesungen über alte Geschichte S. 354
meinte, leiteten sie sich nicht ab. sondern ihr Stammvater war
Alkmaion, der Sohn des Sillos . Enkel des Thrasyraedes . Ur-
enkel des Nestor. Als die Herakleiden den Peloponnes erober-
ten lind das Pylische Reich gestürzt A\'nrde. flohen die Neleiden
Melanthos . Peisistratos . Alkmaion und die Söhne des Paion,
eines Sohns des Antilochos, nach Athen. Alle fanden daselbst
gastliche inid ehrenvolle Aufnahme. Melanthos gewann das
Königthum und vererbte es auf seine Nachkommen . Avelche
auch nach der Umwandlung der Monarchie in eine Aristokratie
eine mächtige und angesehene Familie, die Melanthiden , Ko-
driden oder Medontiden genannt, blieben. Die andern, in den
athenischen Adel aufgenommen , wie später Appius Claudius
in den römischen, wurden Stammväter der Peisistratiden . der
Paioniden imd Alkmaioniden '^ . Diese drei Familien standen
demnach der königlichen zunächst . und es findet sich bestä-
tigt, was oben über das nahe \ erhältniss der Alkraaioniden zu
den Kodriden als sehr wahrscheinlich aufgestellt worden war.
Es steht also fest, dass die Alkmaioniden ein altadeliches
Eupatridengeschlecht imd zwar eines der allervornehmsten
waren. Die von Herrn Sauppe gegebene Erklärung der Iso-
kratischen Stelle lässt sich daher mit bestimmter sonstiger
1) An diesen Alkmaion, der weit berühmter als der Neleide war, dachte
wahrscheinlich auch die Quelle, aus der Hesych. und Suidas die Nachricht
entnommen haben, die Alkmaioniden stammten ä-' 'A/.y.p.aiojvj; toü ■/.r-Jx
ÖT]3£a.
'^) Pausan. II, 18, 8: ixßaXXousiv ('Hp'av./.eToai) o-jv k-/. jaev Aaxsoatu-ovoc
xai Ap^fO'j; Ttoafxevöv it. oe tt^i; MeasTjvia; to-j; Nea-ropo; äzo^ovo-j:, 'AXv.[j.a[cijva
SiXXo'j Toü öpas'jfXTjOO'j; xal nstoiaTpatov tov flststSTpaTOu '/.v. "oj; Ilaiovo?
Toä AvTtXo/^O'j 7:cä5a; , 3jv oe ajTOi; Ms/.iv&ov tov Avciporoa~o'j toü Bwpo'j
TOJ riEv&tXc'j Toij nepi7,/.'jjj.£vo..>. T'-3aix£v6c \ik-i O'jv fjX&t ojv T1^ OTpaTtä y.oc^
ol Traloec eic -t,v vüv 'Ayatav. oi 0£ NT,).£Toat -Xt,-; Ilsiat^TpaTO'j (toötov y^P
o'jy. oloa Trap' o'j;-tva; dreycupTjSöv) i; 'A&T,va; d'-^iv-o-no ot Xot-rol y.ai xö
OatoviOcäv •(i'toi vtal AXx[jiata)-noü)v d-o tojtcuv («voii.ot38r;aa-;. McXavi^o; o£ y.a't
TTjV flctsiXeiav et/ev, äc.£/.ö[i.£vo; 0'jfxoirr,v tov '0;'jvto'j. "Wenn Pausanias nicht
weiss, wohin Peisistratos geflohen sei, so sehen wir dagegen aus Herodot.
V, 65, dass entweder er oder seine Nachkommen ebenfalls in Athen eine
Zuflucht gefunden hatten, indem der Vater des Tyrannen Peisistratos sein
Geschlecht auf ihn zurückführte und seinen Sohn nach ihm benannt hatte.
392 Ueber d. Stelluxg d. Geschlechts d. Alkmaioxiden.
Leberlieferung nicht vereinigen, und wenn man nicht anneh-
men will Isokrates oder vielmehr der jüngere Alkibiades . der
die E-ede hielt, habe geradezu etAVas Unrichtiges gesagt, so
bleibt nur zweierlei übrig. EntAveder muss man unter Eura-
Tp'-oai, Avie einige Avollen. ein besonderes Geschlecht A-erstehen ;
AA'ie uiiAvahrscheinlich das ist. hat Meier de gentil. attica p. 37
hinreichend nachgeAviesen. Gesetzt aber auch es Aväre so zu
fassen, so Avürden dann die Alkmaioniden nur den Gegensatz
zu dem Ge schlechte der Eupatriden bilden, nicht zu dem
Stande derselben, und die Folgerung, die Herr Sauppe aus
der Stelle zieht, könnte nicht mehr daraus gezogen Averden.
Oder man Avird sich meine Erklärung gefallen lassen müssen.
Avelche ohne ZAveifel allein richtig ist und sehr natürlich er-
scheinen wird, sobald man sich der nachgCAviesenen hohen
Stellung der Alkmaioniden erinnert.
Dass nun aber die Stellung der Alkmaioniden gegenüber
den Aristokraten ohne Hemi Sauppe's Erklärung eine nicht
aufzuklärende sei. Avie er meint, kann ich in keiner AVeise zu-
geben und AA'ill sie daher, ohne ihre Geschichte ausführlich
zu erzählen, kurz zu beleuchten suchen , Avomit zugleich die
Frage ihre Lösung finden wird, ob sie nie auf Seite der Aristo-
kraten gestanden haben.
Die Alkmaioniden, als vornehmstes Adelsgeschlecht und
der königlichen Familie zunächst stehend, traten schon darum
in eine natürliche Opposition zu dieser, Avie wir das fast überall
bei den Nebenlinien regierender Häuser finden V- Sie hatten
zunächst Ansprüche auf Theilnahme an den Prärogativen des
Königthums. Als das Archontat aufliörte ausschliesslich den
Medontiden anzugehören und allen Eupatriden eröffnet Avurde
(712. a. Gh.; und als später 6S2) neun einjährige Archonten
statt eines zehnjährigen eingesetzt Avurden. und damit die
Aristokratie A'ollendet Avar. da Avaren sie durch Adel und Reich-
thum A"or allen andern berufen an die Spitze derselben zu tre-
ten, sie sind die natürlichen Vertreter der AdelsheiTschaft ge-
1; Niebuhr Vorträge über alte Geschichte I, S. 354. »Die entschieden-
sten Gegner der Pisistratiden Avaren die Alkmaeoniden, ein Geschlecht das
schon von sehr alter Zeit her in Nebenbuhlerschaft mit den Xeliden (sollte
heissen Melanthiden gestanden zu haben scheint.«
Ueber d. Stellung d. Geschlechts d. Alkmaionidex . 393
gen demokratische und tyrannische Gelüste, die in jener Zeit
ziemlich synonym sind. So erscheinen sie in der Tliat als
leidenschaftliche Vorkämpfer der bestehenden zur drückenden
Oligarchie gewordenen Ordnung, welche kurz zuvor durch
Drakons Gesetze nur noch härter geworden war. gegenüber
Kylon und seinem sehr bedeutenden Anhange. Sie siegten
für den Augenblick und drückten mit Energie die demokrati-
schen Regungen nieder. Allein die Zustände waren so. dass
sie auf die Dauer sich nicht behaupten Hessen. Die Härte der
Adelsherrschaft, die Strenge der Schuldgesetze, die Verschuldung
und daherige A'erknechtung des niedrigen Volks forderten ge-
bieterisch Abhülfe. Daher erstarkte bald wieder die Kylonische
Partei, das heisst jetzt die Partei, welche Hebung dieser Miss-
stände. Erleichteriuig des auf dem Volke lastenden Dnickes \nu\
dahm zielende "S'eränderungen in V'erfassung und Gesetz wollte.
Sie bestand wie natürlich zum grössern Theil aus den niedern
Volksklassen ; allein es schlössen sich ihren Betrebungen auch
Männer aus den hohem Ständen, selbst Eupatriden an . wozu
das UebergcM-icht und der vorwiegende Einfluss der Alkmaio-
niden gewiss mitgewirkt hat. Die Gleichheit unter den Oligar-
chen selbst mochte manchen bedroht scheinen, ein Umstand der
von Aristoteles Polit. VUI. G p. 205. i:Ui. 205. 30 ff. liekkermit
Recht unter die Gründe gezählt wird, wesshalb die Oligarchien
erschüttert Averden. So wurde etwa 15 Jahre nach dem Ky-
lonischen Frevel auf Antrag des Kodriden Solon ein Adels-
gericht von 300 Männern niedergesetzt, vor dem sich die Alk-
maioniclen stellen mussten; sie wurden venirtheilt das Land
zu meiden, angeblich wegen ihrer religiösen Befleckung, gewiss
aber eben so sehr wegen ihrer politischen Stellung. Zwar
dauerten die Zwiste noch einige Zeit fort, indem sich die drei
Parteien der Pedieer. der Diakrier und der Paralier jetzt bil-
deten, doch veimochte bald darauf Solon sein Verfassungswerk
durchzusetzen, Avelches seine bisherige politische Thätigkeit
krönte, die gedrückte Stellung der untern Classen aufliob und
an die Stelle der alten Geschlechterherrschaft den Gnindsatz
des Census setzte. Die Entfernung der Alkmaioiiiden scheint
eine nothAvendige Bedingung für das Gelingen desselben gCAve-
sen zu sein.
Bald nachdem Solons Verfassung in Kraft getreten Avar,
394 Ueber I). Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioniden.
müssen die Alkmaioniden zurückgekehrt sein. Avorin der deut-
lichste Beweis Hegt, dass ihre Entfernung mehr poHtischen als
religiösen Motiven zuzuschreiben ist. In dem sogenamiten hei-
ligen Kriege gegen Kirrha, der in diese Zeit fällt, führte Alk-
maion, wahrschemlich der Sohn des Megakles. die athenischen
Truppen 1 , und in den Zwistigkeiten . welche bald nach So-
Ions Gesetzgebung wieder ausbrachen, finden wir Alkmaions
Sohn Megakles wieder als Parteiführer. Aber jetzt steht dieser
Alkmaionide nicht mehr an der Spitze der eigentlichen aristo-
kratischen Partei . welche von Lykurg geführt wird , sondern
an der der Paralier, der Mittelpartei. Diese auf den ersten
Augenblick auffallende Erscheinung erklärt sich folgender-
maassen. Die Solonische Verfassung, welche eine bilUge Ver-
mittlung der bestehenden Gegensätze erstrebte, hatte eben da-
rum Aveder die Oligarchen. welche Befestigung ihrer wankend
gewordenen Macht erwarteten, noch die untersten Volksklassen,
welche noch vollständigere materielle Erleichterung wünschten,
befriedigt. Daher traten auch bald wieder diese zwei Gegen-
sätze hervor. Die ersten bilden die Partei der Pedieer, meist
begüterter Landbesitzer ; die zweiten die der Diakrier oder Hy-
perakrier. zum grossen Theil Hirten und kleine Bauern aus
den gebirgigen Gegenden des Landes. Die Pedieer enthalten
also zum grossen Theil diejenigen Bestandtheile, welche früher
die Oligarchie gebildet hatten und von den Alkmaioniden ge-
führt worden waren. Allein, wenn auch die Bestandtheile
dieselben waren, so war doch die alte Partei desorganisirt und
hatte neuen Verhältnissen Raum gemacht. Der alte Adel selbst
hatte, wie oben bemerkt, ohne Zweifel aus Eifersucht auf die
Macht jenes hervorragenden Geschlechts zu dessen Entfernung
gewirkt, sich dann während der Abwesenheit desselben unter
neuen Führern vereinigt und sich so natürlich die Alkmaioni-
den entfremdet. Dazu kam aber noch, dass in Folge der So-
lonischen Schnlderleichtemng. Seisachtheia, der Besitzstand
1 Plutarch Solon 11. Böckh a. a. O. S. 301. Einige Chronologen
setzen freilich den Anfang des Krieges vor Solons Gesetzgebung. Doch
fällt wenigstens die Eroberung von Kirrha ziemlich sicher nach derselben,
vgl. E. W. Fischer griech. Zeittafeln'. S. 114, 115. Ich vermuthe, dass,
nachdem Solons Gesetze angenommen waren, allen Verbannten die Rück-
kehr gestattet worden, also eine Art von Amnestie erlassen worden sei.
Ueber 1). Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioniden. 395
sich sehr verändert hatte. Im Adel selbst waren Familien
reich und dadurch einflussreich geworden, die früher unbe-
deutend waren, andere gesunken. Es ist also sehr leicht be-
greiflich, dass die Alkmaioniden nicht an die Spitze dieser
Partei treten wollten inid konnten, von deren Mitgliedern sie
früher Verstössen worden waren, und Avelche jetzt den Lykurg
zum Führer hatten, dem die stolzen Alkmaioniden sich auch
unter andern Verhältnissen schwerlich untergeordnet hätten.
An der Spitze der entgegengesetzten Partei der Diakrier stand
bereits der geschmeidige, populäre Peisistratos ; überdies wird
es nicht befremden , dass diese Partei , die man als die Fort-
setzung der Kylonischen betrachten kann, gerade zu den Alk-
maioniden kein sonderliches Zutrauen hatte. Sehr natürlich
also, dass diese, die mit einer untergeordneten Rolle sich nicht
begnügten , ihre Stärke bei den Paraliern suchten , welche in
Athen selbst, in Phaleron und den benachbarten Küstenorten
gegen Sunion zu. ihre Wohnsitze hatten und ebensowenig die
alte Oligarchie Avollten, bei der sie nichts zu bedeuten hatten,
als die von den Diakriern erstrebte Demokratie, die alle Unter-
schiede auflieben sollte. Bei dem bedeutenden Reichthum,
den die meist Handel und Gewerbe treibenden Paralier be-
sassen, mxisste ihnen die Solonische Censusverfassung beson-
ders zusagen, und wenn es heisst, sie hätten eine Mischung
von Demokratie und Aristokratie gewollt, so dürfen wir wohl
annehmen , dass sie durch Solons Anordnungen , die diesen
Wünschen entsprachen, im Ganzen befriedigt waren. So sehen
wir jetzt also die Alkmaioniden bereits von der strengen Adels-
partei gleichsam unAvillkürlich herübergedrängt zu der beweg-
lichen Partei des Mittelstandes, dem Athens Zukunft grossen-
theils angehörte. Sie, deren Gegenwart mit der Einführung
von Yerfassinigsreformen unverträglich schien , sind jetzt die
Führer der Partei, der eben diese Reformen am meisten
zu gute kamen. Wie früher an der Spitze der Adelspartei,
traten sie jetzt an der Spitze dieser Paralier der demago-
gischen Tyrannis entgegen , die ihnen jetzt so wenig als da-
mals zusagen konnte. Allein diesmal war der Erfolg für
den Anfang weniger glücklich , weil die Gegner der Tyrannis
selbst getrennt waren. Peisistratos erlangte die Gewaltherr-
schaft. Einer vorübergehenden Vereinigung der Lykurgischen
396 L'eber d. Stelll'xg d. Geschlechts d. Alk>luonii)ex.
lind Alkmaionidisclien Partei gelang es zwar ihn wieder zu
vertreiben; aber der Zwiespalt trat nach gewonnenem Siege
gleich Avieder her^'or. und wie wenig Anhang die Alkmaioniden
mehr beim Adel besassen. zeigt sich daraus, dass sie den kur-
zem zogen. Jetzt söhnte sich Megakles mit Peisistratos aus
und half ihn wieder zum Tyrannen emsetzen. ein Beweis, dass
Avir ihn uns nicht als uneigenützigen Tp-annenfeind zu denken
haben, wiewohl andrerseits nicht geläugnet werden kann, dass
für Athens Freiheit und ganze Zukunft die Tyrannis des Pei-
sistratos Aveit weniger gefährlich war als ein unbedingter Sieg
der Lykurgischen Partei. Allein auch diese Verbindung war
nicht von Dauer. Wegen eines persönlichen Schimpfes . den
ihm Peisistratos in seiner Tochter, die er geehelicht hatte, an-
that. vereinigte sich Megakles Avieder mit Lykurg. Peisistratos
musste zum ZAveitenmal Aveichen. und zehn Jahre blieb Athen
frei, ohne dass Avir die Stellung der Parteien genauer kennen.
Doch haben T^-ir keinen Grund zu zAveifeln. dass in dieser Zeit
die Solonische Verfassung unangetastet geblieben sei. und die
Alkmaioniden scheinen in höchstem Ansehen gestanden zu
haben. Aber im eilften Jahre geAvann Peisistratos mit bcAvaff-
neter Hand die Tyrannis AA-ieder. die er nun bis an seinen Tod
behauptete und auf seinen Sohn Hippias A-ererbte. Diese
ganze Zeit brachten die Alkmaioniden. Avelche gleich bei Pei-
sistratos Sieg die Stadt verlassen hatten, im Exil zu^ . Aber
hier Avaren sie nicht unthätig. Durch die Freundschaft des
Alkmaion mit Kroisos und durch die A'ennählung des Megakles
mit der Tochter des mächtigen Fürsten Kleisthenes Aon Sikyon
hatte das Geschlecht ebenso bedeutend an Reichthum als an
Ruhm und Einfluss in ganz Griechenland gCAvonnen. Diesen
Avandten sie mit grossartiger Freigebigkeit und unausgesetzter
Thätigkeit gegen die Gewaltherrschaft der Peisistratiden an. Ein
Versuch in Verbindung mit den übrigen Flüchtlingen die
Rückkehr mit beAvaffneter Hand zu erzwingen missglückte zwar.
Aber sie Hessen sich dadiuch nicht abschrecken. Mit dem
ly Herod. I, 64: 'A)}T,voi''a)v ii oi [xsv £•/ ~f^ ^-''J-'/Ti ^"^""'"''•-^av, ot os
a'jTwv tj.£T AA7.u.£wv'.o£o) i'j^Z'jyi't iv. tt,; riiv.r^lr^i. vro ich mit "Wesseling statt
'A).y.fxiojviO£(M lesen möchte 'A).v.ij.£tuv'.02ojv da Herodot, Avenn er den einen
Megakles gemeint hätte, gewiss wenigstens den Artikel gesetzt hätte.
Ueber d. Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioniden, 397
Delphischen Orakel schon durch Alkniaion's frühere Feldherrn-
schaft in Verbindung gewannen sie jetzt dessen Gunst in vol-
lem Maasse durch die glänzende Art. in der sie den abgebrann-
ten Delphischen Tempel Avieder aufliauten '^ . Denn während sie
nach dem Accorde sich nur verpflichtet hatten ihn in einer
geringern Steinart zu bauen, führten sie die Vorderseite in
Parischem Marmor auf. Diirch das Orakel wurden die Spar-
taner, deren Politik bekanntlich ohnedies den Tyrannen feind-
lich war, bewogen gegen die Peisistratiden aufzutreten. Hip-
pias, dessen Herrschaft in den letzten drei Jahren, in Folge
von Hipparchs Ermordung, hart geworden war, musste Athen
verlassen. Die Befreiung der Stadt war wesentlich das Werk
der Alkmaioniden . wie denn Thukydides , der von dem Ver-
dienst des Harmodios und Aristogeiton nichts wissen will,
VI, 59 geradezu sagt, Hippias sei von den Lakedaimoniern
und den Alkmaioniden gestürzt worden -j.
Bis hieher war nun auch der übrige athenische Adel mit
den Alkmaioniden einig gegangen, wie er sich bereits im An-
fang von Peisistratos Herrschaft mit ihnen vereinigt hatte. Nach-
dem aber der Sieg gewonnen war, trennten sich die Interessen
bald wieder. Die altadeliche Partei, ohne Zweifel zum grossen
Theil den ehemaligen Pedieern entsprechend, schloss sich an
Isagoras an und ihr Streben ging auf Herstellung oligarchi-
scher Einrichtungen, wie das fast überall der Fall Avar, wo die
Lakedaimonier Tyrannen stürzten. Kleisthenes dagegen, seit
seines Vaters Megakles Tod das Haupt der Alkmaioniden,
beim Adel an Einfluss dem Isagoras unterliegend, stellte sich
jetzt entschieden an die Spitze der Volkspartei, in der die alten
Paralier und Hyperakrier, die als solche nicht mehr existirten,
vereinigt waren, und befestigte die freie Verfassung durch eine
' Herod. V, 62. "Wenn Philochoros nach dem Schob zu Pindar.
Pyth. Yll, 'J berichtete, die Alkmaioniden hätten den Tempel erst nach
ihrer Rückkehr aufgebaut, so ist das wohl nur so zu verstehen, dass bei
der Rückkehr der Bau noch nicht ganz vollendet war, womit Aeschines
gegen Ktesiph. §. 116 und der Schob daselbst übereinstimmt. Vgl. Müller
Handbuch der Archäol. S. 58, 5.
-) Die Redner pflegen nach Bedürfniss den Alkmaioniden allein die
Befreiung zuzuschreiben, so Isokr. tteoI toj C^'jvo'j; §. 25, 26. Demosth.
g. Midias §. 144.
398 Ueber d. Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioniden.
Reihe grossartiger Massregeln . unter denen die neue Einthei-
lung des gesammten ^ olkes in Phylen und Demen den ersten
Rang einnimmt und ihm den Ruhm eines tiefblickenden Staats-
mannes sichert. Dass nun die Oligarchen gegen das Volk
Sparta's Hülfe suchten und unter Kleomenes Schutz gegen
Kleisthenes und seme Anhänger auf die unverantwortlichste
und kurzsichtigste Weise Gewalt ühten. machte diese nur um
so mehr zur eigentlichen athenisch-nationalen Partei gegenüber
der oligarchisch-lakonisirenden. Isagoras und sein Anhang unter-
lagen, und Sparta vermochte nicht mehr ihnen zu helfen. Die
streng oligarchische Partei ist gänzlich gebrochen, ihre Trüm-
mer, wohl zu unterscheiden von den gesetzlichen Aristokraten,
erscheinen nur noch hie und da als scliAvache Faktion, die
Demokratie wird als die natürliche Verfassung Athens be-
trachtet, und demokratisch und athenisch so zu sagen synonym.
Und diese feste Begründung der Demokratie, diese Sicherstel-
lung gegen alle Reaktion war das A^'erk des Kleisthenes i .
Welche persönlichen Motive ihn dabei geleitet, darüber zu
urtheilen sind wir nicht völlig im Stande. Aus Herodot's Er-
zählung geht nur das hervor, dass er erst, als Isagoras an An-
sehen ihm den Yorsprung abgewann, sich mit dem ^'olke
enger verbündete . und das nach einem willkürlich von Klei-
sthenes gemachten Ideale zu bezweifeln sind Avir durchaus nicht
berechtigt. Dagegen wird uns nicht berichtet wodurch es dem
Isagoras gelang, seinen Einfluss zu begründen. Sehr wahrschein-
lich ist aber, dass er eben durch streng oligarchische Tendenz
beim Adel mein- Gunst gewann, während Kleisthenes gleich
von Anfang an eine Aveniger engherzige Politik befolgte, wozu
denn auch das alte Misstraiien ^egen dies Geschlecht kommen
mochte. Als nun Kleisthenes seine Richtung von den Stan-
desgenossen aus Besclrränktheit verworfen und die Solonische
A'erfassungr selbst bedroht sah. da stellte er sich ohne Z^veifel
1) Auf eine Darstellung der Kleisthenischen Verfassung habe ich natür-
lich hier nicht einzugehen. Sie ist von K. F. Hermann. Schömann, "\^"ach3-
muth in ihren bekannten Werken . überdies von J. Th. Voemel und
A. Dietrich in Monographien genau behandelt ■«'orden. — Was die Zeit
ihrer Einführung betrifft, so sehe ich nicht liinlänglichen Grund um mit
Sauppe de demis urbanis Athenarum §. 4 von Herodots Erzählung abzu-
•weichen.
Ueber d. Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioniden. 399
entschieden an die Spitze des 'S'olkes und traf jene erwähnten
Einrichtungen, um dadurch jedes Zurückkehren zu einer Oli-
garchie zu verhindern. Es ist das der gewöhnliche Weg aristo-
kratischer Volksführer, welche in der Regel von ihrem eigenen
Stande . der nichts einräumen will , zu dem ^'olke gedrängt
werden und dann weiter gehen müssen . als zuerst ihre x\h-
sicht war.
So sehen wir die Alkmaioniden über ein Jahrhundert hin-
durch die erste Stellung unter den athenischen Geschlechtern
einnehmen und. zuerst die entschiedensten Vertreter der Adels-
herrschaft, allmählich und sehr natürlich auf die demokrati-
sche Seite kommen. In höchst merkwürdiger Weise stehen
sie immer da, avo in dem Entwicklungsgange der athenischen
Verfassung der Schwerpunkt des Staates lag. So lange die
Aristokratie lebensfähig war. sind sie an der Spitze derselben,
und treten kühn den Versuchen entgegen sie zu stürzen; als
durch Solon statt des Adels die begüterte Mittelklasse zu Be-
deutung erhoben ward , sind sie , die fast gleichzeitig durch
Kroisos zu grossem Reichthum gelangt waren . deren Führer,
und bekämpfen fast 50 Jahre lang die Tyrannis. Dass sie an
dieser keinen Antheil hatten, sondern ihr eine geraume Zeit
weichen mussten. war. wenn sie auch für den Augenblick ihre
Stellung in Athen verloren hatten, die Bedingung der spätem
Bedeutung. Die Herstellung der Freiheit und die letzte grosse
Verfassungsänderung, welche die Demokratie, wenn auch noch
immer mit gcAA'issen weisen Beschränkungen, feststellte , war
ihr Werk. Zu einer solchen Wirksamkeit waren sie neben
den ausgezeichneten Persönlichkeiten, an denen die Familie
reich war, durch die hochadeliche Stellung vorzugsweise be-
fähigt und berufen. Denn vermöge dieser genossen sie schon
so grosses Ansehen und hatten einen so mächtigen xinhang,
dass sie nicht nöthig hatten sich den Standesinteressen der
übrigen Eupatriden unterzuordnen. Darum waren sie von dem
Adel zum grossen Theil eifersüchtig und misstrauisch angesehen,
und in der That wäre der Gedanke an die Gründung einer Fa-
miliendynastie, wie wir sie in Korinth bei den Bakchiaden, an
andern Orten bei andern Geschlechtern finden, nicht so ferne ge-
legen. Die Eifersucht des Adels aber hinderte das und nöthigte
die Alkmaioniden seit der Zeit ihrer ersten Verbannung nach dem
400 Ueber d. Stelllng d. Geschlechts d. Alkmaioxiden.
Kylonischen Aufstände ihre Kraft beim Volke zu suchen und
ihrerseits wieder diesem Haltung und Sicherheit zu geben. So
hat also dieses Misstrauen wesentlich mitgewirkt zur Entwick-
lung der athenischen Yolkshenschaft. Dass aber auch nach
des Kleisthenes ^'erfassungsändeiiingen es nicht ruhte, sondern
die Persönlichkeit dieses Mannes und die Bedeutung des Ge-
schlechts Besorgnisse einflösste , ergiebt sich daraus . dass er
selbst als eines der ersten Opfer des damals eingeführten
Ostrakismos genannt Avird, und dass sein Sohn Megakles von
dem gleichen Schicksale betroffen Aviuxle ; es ergiebt sich aufs
deutlichste aus dem Gerüchte, dass nach der Schlacht bei Ma-
rathon die Alkmaioniden mit den Persern in verrätherischem
Verkehr gestanden hätten' und aus dem Schlüsse der 7ten
pythischen Ode Pindars- .
Weiter die Stellung des Geschlechts zu verfolgen ist hier
meine Aufgabe nicht. Seine männlichen Mitglieder. Avenn auch
zum Theil noch da und dort mit Auszeichnung genannt, haben
nicht mehr als Staatsmänner ersten Ranges gewirkt, wohl aber
sind ihm die ersten Staatsmänner und Feldherren Athens noch
ein Jahrhundert lang durch Verschwägerung verbunden, und
.der hohe Geist der Alkmaioniden tritt in den Abkömmlingen
von weiblicher Seite , in Perikles imd Alkibiades aufs glän-
zendste hervor.
So habe ich die Aufgabe, die ich mir gestellt, gelöst und
nachgeAviesen , li dass die Alkmaioniden ein Eupatridenge-
schlecht und ZAvar eines der vornehmsten 3) Avaren. 2 dass sie
ij Herod. VI, 115 fg. Neuerdings hat Tycho Mommsen in seiner Schrift
>'Pindaros« S. -10 flg. die Anklage gegen die Alkmaioniden wieder aufge-
nommen, Avie mir aber scheint, in sehr einseitiger und nicht überzeugender
AV'eise.
2) VII, 16. TÖ o' i'yvjaai,
cpavTt fz [j.av o'JTio v.z't ivool TTapj-KJvtjxav
ftaÄXoicav £'joataov(av
"d v.ai xd tt£p£0&a'..
3j [Vgl. Schoemann de iudic. heliast. p. 10 Opusc. I, 236, A\^elcher bei
Isokrates anstatt E'J-aTpiowv lesen Avill: E'jp-jaav.toöiv, was AÜel für sich hat,
nar dass der Beisatz ujv ttjv EJ-'svj'.ctv i; ct'jTf,; rr,; ircuvjaia; paoiov püJvat
nicht A\-ohl passt. K. F. Hermann Ztsch. f. Alt. Wiss. 184S S. 317 ff.
Ueber d. Stellung d. Geschlechts d. Alkmaioniden. 401
vor Solons Zeit die Vorkämpfer der Aristokraten waren, darauf
erst an die Spitze der Mittelpartei traten , und zuletzt unter
Kleisthenes die entschiedenen Führer der Demokratie wurden.
findet in den Worten Euza-oiotüv den Gegensatz der echt autochthonischen
Eupatriden zu den eingewanderten pylischen Alkmaioniden , die nie eine
völlig historische Gleichstellung und Verschmelzung mit der eingebornen
und von Theseus festgestellten Aristokratie erlangt haben sollen. Dies zu
beweisen ist ihm aber nicht gelungen. Westermann in Pauly's Realency-
clopädie stimmt Hermann bei ohne neue Gründe. Für die Ansicht aber,
dass gerade die Neleiden in Athen als besonders vornehmer Adel gelten,
spricht das in Athen cursirende Sprichwort ejY^vsti-repo; Koopou Zenob.
IV, 3 und die dort von Leutsch angeführten Stellen, besonders der Scholiast
zu Plato Sympos. p. 2(»8 d.]
Vis eher, Schriften I. 26
SITZEN ODER STEHEN IN DEN GRIECHISCHEN
VOLKSVERSAMMLUNGEN.
[Hhemisches Museum. N. F. XXVIII. 1873. S. 380— 390.j
Uie aristokratischen Römer in Ciceros Zeit heben nicht
ohne Geringschätzung als Eigenthümlichkeit der griechischen
Staaten hervor, dass man in den ^ olksversammhmgen sass.
Cicero pro Flacco 7, 16: Graecorum autem totae respublicae
sedentis contionis temeritate administrantur. — — Cum in
theatro imperiti homines rerum omnium rüdes ignarique con-
sederant. tum bella inutilia suscipiebant ; tum seditiosos
homines reipublicae praeficiebant ; tum optime meritos cives e
ci"\dtate eiiciebant. Roms Weisheit dagegen hat der Volks-
versammking keine Macht eingeräumt : Xullam enim ilU nostri
sapientissimi et sanctissimi viri vim contionis esse voluerunt.
Es kommt uns hier nicht darauf an. die Richtigkeit des cice-
ronischen Urtheils zu prüfen. Wir halten nur fest, dass bei
den Griechen das Volk in den Versammlungen sass. Diese
Thatsache bestätigt sich, so weit wir die griechische Geschichte
in ihre Anfänge verfolgen können.
Homer kennt nur sitzende Versammlungen (ayopai; . In
Ithake ist ein wohleingerichteter Platz. Der König und die
Geronten haben ihre Ehrensitze, i^w-zoi, Od. IL 14. Aber
auch das übrige Volk sitzt. Od. IL 240. Der Sprechende
steht auf vnid setzt sich wieder, nachdem er gesprochen. Od.
II; 224. Telemachos tritt, wie er sprechen will, in die Mitte
der A'ersammlung. das heisst doch wohl in die iVIitte vor den
Halbkreis, in dem wir uns das Volk sitzend zu denken haben.
Sitzen od. Stehen in den griech. Yolks^-ersammlungen. 403
Im Phaiakenland Scheria ist der Platz der "S^ersammlung,
die Agora, am Ufer bei den Schiffen angelegt und mit geglät-
teten steinernen Sitzen. b^toTai Xiöotai, versehen, auf denen
sich Alkinoos und seine Begleiter niederlassen. Od. VIII, 6.
Etwas einfacher mögen die ISpai zu denken sein. Vielehe die
Volksmasse anfüllt, Od. VIII. 16. Der gleiche Platz dient
auch für Spiele und Wettkämpfe. Od. Till. HO. 156. Das
heisst die Agora im weiteren Sinne umfasste den mit Sitzen
versehenen Platz für das versammelte Volk, den davor sich
ausbreitenden Raum für die Spiele und sicherlich auch den für
Kauf und Verkauf. Darum war sie am Hafen. In ähnlicher
Weise müssen wir es uns in anderen Städten denken.
Aber nicht nur in den Städten der Heimath, wo bleibende
Vorrichtungen getroffen waren, auch im Felde sitzen die
Achaier in ihren Versammlungen.
Es genügt auf die Schilderung der Heeresversammlung
im ersten, zweiten und neunzehnten Buch der Ilias hinzu-
weisen, II. I, 58. 68. 101. 246. 305. IL 95. 190 — 211. 398.
XIX, 50. 255. Man sieht, der Dichter kann sich eine Volks-
versammlung gar nicht anders als sitzend denken.
Nur einmal finden wir eine Ausnahme, aber sie ist gerade
recht geeignet, die Regel zu bestätigen. Nach der Schlacht,
in der Patroklos gefallen ist . schreckt Achilleus die hart an-
drängenden Troer durch dreimaligen Ruf vom Walle herab
zurück. Die Leiche des Patroklos wird gerettett, die Troer
weichen von Furcht ergriffen zurück. II. XVIII, 243 :
Tpois? 5' au^' £T£pa>i>£V a:ro y.patcpT,; U3|xtvr^c
j((i)pT^3avT£c iXuaav ucp' apixaaiv «ozia; Ttctcou;"
£? 0 ayoprjV dcYipovro, rcapo? oopTcoto [i.£0£a\)ar
6p{}u)V o' IsraoTojv ayopTj y£V£T ouO£ xic, etXtj
fCö^dai. TravT«; yap iyt -potj-o:, ouv£x' 'AyiÄXsu?
£^£cpavT,, 8T,pov OS [xa/r^; i-ir.oinr aA£Y£ivTj;.
Nicht dass es von Troern sich handelt, begründet etwa die
Ai;snahme . diese stehen in der Art . Avie sie ihre ^ olksver-
sammlungen abhalten, den Achaiem ganz gleich, II. III, 209 ff.
Der Grund, warum sie stehen, ist vielmehr allein die Furcht,
die ilinen nicht Ruhe zum Sitzen lässt, und der Dichter findet
sich veranlasst, diese stehende Agora als etwas ganz Be-
sonderes zu erwähnen und zu erklären. Und man beachte,
26*
404 Sitzen od. Stehen in den griech. Yolks\'ersammlungen.
dass die Sache nicht in der Stadt vorgeht, sondern im freien
Felde, wo von einem künstlich hergerichteten Platze keine
Rede sein kann. Selbst da also war es etwas Ausserordent-
liches, dass man stand.
AVie nun in der heroischen Zeit nach Homer das Sitzen
in der Agora allgemeine Regel war, so linden wir es auch in
der historischen Zeit überall, wo wir etwas Genaueres wissen,
ganz übereinstimmend mit Ciceros Worten.
Nur eine Ausnahme hat man in neuerer Zeit aufstellen
zu müssen geglaubt, Sparta.
Cur tili s Griech. Gesch. I^ S. 172 sagt: »Die Versamm-
lungen waren möglichst kurz, sie wurden stehend abgemacht.«
Schömann, der in den Antiquitates iuris publici Graecorum
noch nichts darüber hat, scheint später die gleiche Ansicht
gewonnen zu haben. Denn in den griechischen Alterthümem
I^ S. 235 oder I^ S. 247 liest man: »Vor Alters aber war der
Versammlungsplatz im Freien ohne allen architektonischen
Schmuck, und, anders als in den meisten anderen griechischen
Staaten , ohne Plätze zum Sitzen , y\-\e auch bei den Römern,
das Volk in den Comitien nicht sass, sondern stand.«
Fragt man aber nach Belegen für diese Ansicht, so findet
man gar nichts. Doch lässt sich allerdings erkennen, was zu
derselben veranlasst hat. Es ist die Stelle Plutarchs im Lykurg
c. 6: Ev |x£3(p 6s TO'jTcuv Ba,3uy.ac ~z /.cd Kvaxtuivo;^ toc; i•/.•/.).r^-
3iac r^'^r^ , outs rasraotuv ouauiv, oure aXXr^? xivoc v.a-a3y.£uf|?*
ouösv -ctp (Uc7o raüra rrpo; sußouXiav slvai, [laXXov 0£ ,3Äa7:-£iv,
cpXuctpcuocic a-ipY«^<^|J-£va xai }(auvou; (ppovrjj.aTi y.svw tac oiavoi'a;
Ttuv 3'ju7:op£uou,£va>v , oTttv cic «Yot/.uaTa xoü Ypacpa; r^ Trposxrjvia
ÖsctTpüjv Tf 3T£Ya; ,3o'jX£'jTr,pi(uv T(3XT,u,£va; -ipitttüc sxxXTjSiaCovTs;
,a::o^A£~u)3!..
Es war für die Volksversammlung kein Platz mit den
Mitteln der Architektur und Skulptur künstlich hergerichtet.
Offenbar denkt dabei Plutarch oder der Schriftsteller, dem er
die Notiz entnommen, an die später regelmässig zu den Ver-
sammlungen benutzten Theater, wie dasselbe bei Cicero an der
oben angeführten Stelle der Fall ist. Die AVorte ou-£ aXXr,;
nvo? xaTa3X£UT(? scheinen namentlich Schömann zu der Annahme
geführt zu haben, es seien keine Plätze zum Sitzen dagewesen.
Allein das hat Plutarch schwerlich gemeint, sondern, wie die
Sitzen ou. Stehen in den griech. Volksversammlungen. 405
folgenden Worte deutlich zeigen, neben den Säulenhallen
;-aaTaoö; anderen architektonischen, plastischen oder maleri-
schen Schmuck (ayocXp-a-a , -(pacpat . TrpoaxTjVia i>£7.Tpu)v' . Aber
selbst zugegeben, es seien keine bleibenden steinernen Plätze
zum Sitzen eingerichtet gewesen, konnten denn nicht für die
jedesmalige Versammlung hölzerne Bänke aufgestellt werden?
Scheinen doch selbst auf der athenischen Pnyx solche gebraucht
■worden zu sein. Arist. Acharn. 25. Poll. VIII. 133. Und wie
Avaren denn die oLyopai der Achaier und der Troer im Felde ?
Auch da Avaren weder -a^raos; noch aXXr^ ri; xa-ra-xsur] , und
doch sass das versammelte Volk. Ja selbst der Platz, wo der
mächtigste Demos waltete, die Pny.v in Athen, hatte von allem
jenem nach Plutarch zerstreuenden Schmucke nichts. Sie v.ar
ein )ra)&i'ov . . . xa~S3XiUa3[X£vov xaToi trjv raÄaiav a-Äorr^Ta , oux
SIC i>£ctTpo'j TToAoTrpayfxoauvTjV. Poll. A III. 132.
Aus der Einfachheit und Schmucklosigkeit des Platzes
kann daher durchaus nicht geschlossen werden, dass man in
den Volksversammlungen stand und nicht sass. Diese Frage
bleibt ganz unabhängig davon . wir müssen uns zu ihrer Lö-
sung nach anderen Mitteln umsehen.
Glücklicher Weise besitzen Avir die Beschreibung einer
spartanischen Volksversammlung, die merkwürdig genug von
Schömann und Curtius für die vorliegende Frage ganz unbe-
achtet geblieben ist. Vnd zwar giebt sie ein Schriftsteller,
dessen Zuverlässigkeit und Genauigkeit Niemand bestreitet.
Es ist Thukydides. der 1. 67 — S7 die wichtigen Verhandlungen
der Volksversammlung darstellt, welche schliesslich den Ent-
scheid aussprach, dass Athen den Frieden gebrochen habe.
Den grössten Theil der Darstellung nehmen freilich die meister-
haften Reden der Korinthier und Athener, des Archidamos und
Sthenelaidas ein. Aber doch erfahren wir auch nicht Un-
Avichtiges über den Geschäftsgang. Nachdem die fremden
Gesandten gesprochen , treten sie ab , und die Lakedaimonier
berathen nun unter sich allein. Eine Anzahl A'on Sprechern
tritt auf. A'on denen die Mehrzahl für den Krieg ist^ . Da
1) ■x.tX tü)v [i.£v TT/.etovoiv d-t t6 laÜTO ai y'^«»F'-0'i i'cpepo^ , äoiv.£Tv xe tou?
lA&Tjvaio'j; fjOTj xal 7:oX£jj.TfjTea eivai. at •(-^v)^).on. sind die A'or der Versamm-
lung ausgesprochenen Meinungen. Es treten also ziemlich viele Redner
406 Sitzen od. Stehen in den griech. Volksmbrsammlungen.
erhebt sich König Archidamos und warnt mit staatskhiger
Besonnenheit vor Uebereihmg. Den Eindruck seiner Rede
verwischt aber der Ephore Sthenelaidas , der in kurzen schla-
genden Worten an die Leidenschaften der Versammhing appel-
lirt. Dann lässt er als Ephore abstimmen. Das pflegte durch
Zuruf zu geschehen. Sthenelaidas aber, der eine entschiedene
Mehrheit für sich haben wollte, erklärt, er könnte nicht ent-
scheiden, welcher der beiden Anträge die Mehrheit habe.
Off'enbar waren also die beiden Parteien einander ziemlich
gleich. Er weist nun einen Platz an, auf den alle die treten
sollen . welche der Meinung sind , der Friede sei gebrochen,
einen anderen, wohin die gehen sollen, die das nicht meinen.
Und als die Versammlung auseinander trat, war die Zahl derer,
die den Frieden für gebrochen erklärten, weit grösser als die
der anderen. Viele, die im Grunde den Frieden wollten,
fürchteten ohne Zweifel, wenn sie offen dafür einständen, für
feig oder für schlechte Patrioten zu gelten. Der spartanische
Ephore zeigt sich in den Demagogenkünsten trefflich erfahren.
Die Worte, mit denen Sthenelaidas zu der Scheidung auf-
fordert, sind : »orco txsv uu.u)v, tu Aa/cootiaovtoi. ooxousi XeXuaöai
ai OTTOvoai xai oi AUtjVxToi aöiXcTv, c/.va3TrJTa) s; sxsTvo to ycupi'ov,
OTco 0£ iir 00X0U31V , e; ta £-1 batepa.« ') Dann folgt: »ava-
oTavTcc 0£ öi£3-r,aav«, nachdem sie aufgestanden, traten sie aus-
einander. Wollte man das ava3TTJTü> i; ixslvo ~o )^(üpiov un-
deutlich finden, die Worte avaatavTc; öieoTr^oav lassen nur eine
Auffassung zu. Ehe die Spartaner auseinander traten, standen
sie auf. Demnach müssen sie vorher gesessen haben. Zur
Zeit des peloponnesischen Krieges also sassen die Spartaner
in ihren Versammhmgen .
Nun ist aber diese Versammlung die einzige, über die wir
genauer unterrichtet sind. Was wir von ihr Avissen. muss also
zur Grundlage der Forschung gemacht werden. Nur wo be-
auf, und man darf nicht glauben, nur Archidamos und Sthenelaidas hätten
gesprochen.
\. Curtius I- S. 326 sagt : »Ja schon in der Fragestellung des Ephoren,
'ob Athen den Peloponnesiern Schaden zufüge und die Verträge ge-
brochen habe', lag eine absichtliche Unklarheit«. Es steht aber ausdrück-
lich äciixeiv , nicht S/.arteiv , y.ay.ü); zotEiv oder etwas ähnliches , und auf
jenes passt die folgende Ausführung bei Curtius durchaus nicht.
Sitzen od. Stehen in den griech. Volksversammlungen. 407
stimmte Zeugnisse AbAveichendes berichten, dürfen wir anneh-
men, dass es anders geAvesen sei. Kein einziges Zeugniss ist
aber dafür vorhanden, dass jemals die Spartaner ihre Volks-
versammlungen stehend abgehalten haben. Weit eher kann
für das Entgegengesetzte geltend gemacht werden, dass in
späterer Zeit, wir wissen nicht seit Avann, die Versammlungen
in der Skias, einem wohl ursprünglich für musikalische Auf-
führungen bestimmten Rnndgebäude stattfanden, wo sicherlich
nur an Sitzen zu denken ist, Paus. III, 12, 8. Schömann
Alterthümer I^ S. 24 7. Ich Avill aber darauf kein GcAvicht
legen, weil wir zu wenig darüber unterrichtet sind.
Das grösste GcAvicht aber lege ich auf die Analogie aller
anderen griechischen Staaten und Völkerschaften. Das Sitzen
war so sehr die Regel, dass es nicht nur in den ordentlichen
politischen Versammlungen stattfand, sondern auch bei ausser-
ordentlichen Versammlungen der Krieger im Lager. Als im
Jahre 4 1 1 die athenischen Soldaten zu Samos zusammentraten,
Sassen sie, wie sich aus den Worten des Thiikydides VIII, 76
)ixat zapaivsaöu aÄÄa; t skoioüvto ev acpi'aiv auroTi; aviatafis-
voi« deutlich ergiebt. Und wollte Jemand ein av enden, das
seien eben Athener gewesen und von der Pnyx her daran ge-
Avöhnt, so ist dagegen das merkAAÜrdige Beispiel der griechi-
schen Söldner anzuführen, die mit Kyros nach Oberasien zo-
gen. Denn auch die »Zehntausende« pflegten in ihren Ver-
sammlungen, die Xenophon nicht nur ixxXTjaia Anab. I, 3.
2.4. 12 . sondern auch mit dem alten Namen ayopcx (V, 7, 3)
nennt, zu sitzen. Nicht nur A\ird das Auftreten der Sprecher
in der Regel mit avia-aoöai bezeichnet z. B. V, 6, 34), son-
dern auch beim Auseiandergehen der Versammlung heisst es
avi'oTavTo oder aveatr|oav , und nicht oisXu^r^aav III, 3, 1.
V, 8, 26. Ja ZAveimal findet sich geradezu '/.abr^Qbal, VI, 2. 5.
VII, 1, 33. In diesen Versammlungen, avo selbstA-erständlich
ein eingerichteter Platz nicht da war, müssen wir uns die
Soldaten auf dem Boden oder auf Waffen- und Gepäckstücken
sitzend denken, gerade wie bei dem Zusammentritt von etAva
hundert Hauptleuten, III, 1, 33. Da heisst es: »sTrst os iravts?
aovTjX^ov, SIC 70 TTposOsv Ttuv 'o7rXo)v £xa{^sCovTo.« Das Heer
der Kyreer AAar aber in spartanischer Weise organisirt, mehrere
der bedeutendsten Führer waren Spartaner.
408 Sitzen od. Stehen in den greech. Volksversammlungen.
Ueberclies haben "svir oben gesehen, dass Homer die ^'er-
sammlungen nur sitzend kennt, wo nicht ganz ausserordent-
liche Umstände das Stehen veranlassten. Sollte nun in Sparta,
wo mehr als irgendwo sonst Gebräuche der von Homer dar-
gestellten Heroenzeit sich erhielten, nicht auch die alte Art
der Volksversammlungen fortgedauert haben ? Alles spricht
für die Annahme, dass, wie die Spartaner im Jahre 432 v. Chr.
ihre Versammlung sitzend abhielten, sie so es auch früher und
später gethan haben.
Hier drängt sich nun aber noch die Frage auf, ob denn
überhaupt das Sitzen in der Volksversammlung die pohtische
Bedeutung gehabt habe, welche Curtius gegenüber dem Stehen
ihm beimisst. Er hat sich darüber mit Scharfsinn eine voll-
ständige Theorie ausgedacht, die er nicht nur in seiner grie-
chischen Geschichte, sondern auch in den Arbeiten über die
Topographie von Athen mit Consequenz anwendet. Wenn das
versammelte ^ olk stand, war es nach seiner Meinung nur zu-
sammenberufen. um die Erlasse der regierenden Behörde zu
vernehmen und dann nach Hause zu gehen, allenfalls, was
bei Sparta zugegeben wird, über wichtige Fragen mit Ja oder
Nein zu entscheiden und Beamtenwahlen zu treffen. Solche
stehende Versammlungen gehören monarchischen oder aristo-
kratischen Zuständen an. Sitzende ^ olksversammlungen sind
ein demokratisches Institut, zu längeren Verhandlungen be-
stimmt, Griech. Gesch. HI S. 26. Attische Studien 1 S. 56. 57.
Diese Theorie hat etwas Bestechendes, aber historisch
nachweisen lässt sie sich bei den Griechen nicht, sondern die
Thatsachen stehen ihr entschieden entgegen. In der heroischen
Zeit wird das Volk nur berufen um anzuhören, was die Fürsten
und Edlen ihm mitzutheilen haben, allerdings so, dass diese
seinen guten Willen zu gewinnen bemüht sind. Nur die Fürsten,
Edlen und Priester sprechen. Wenn Thersites Aufti-eten da-
gegen angeführt wird , so darf man nicht vergessen . dass er
keineswegs aus der sitzenden Versammlung sich erhebt . son-
dern umgekehrt, während die durch Agamemnons Rede auf-
geregte Menge wieder zum Sitzen gebracht ist. stehen bleibt
rmd fortschimpft. Das Sitzen bezeichnet die Ordnung und
Ruhe. Auch der Vorgang in Od. II. 229 ff. spricht durchaus
nicht für eine in die Handlung eingreifende Versammlung.
Sitzen od. Stehen in den griech. Volksa'ersammlungen. 409
Mentor macht allerdings dem Volke Vorwürfe . dsss es dem
Treiben der Freier ruhig zusehe. 'Aber dieses rührt sich nicht,
weil es eben in die Handlung einzugreifen nicht gewohnt war.
Auf die Aufforderung des Leiokritos geht es ruhig auseinander.
Wenn Curtius I'^ S. 130 sagt: »Freilich genügen Avenige Worte
der Freier, um sofort die sich [zusammenschaarende
Menge zu zerstreuen. u so hat er das jedenfalls nicht in Homer
gefunden, bei dem von keinerlei Bewegung, geschweige von
einem Zusammenschaaren die Rede ist. In der vierundzwan-
zigsten Rhapsodie v. 420 aber werden ganz revolutionäre Er-
eignisse erzählt , aus denen sich für die regelmässigen \'er-
hältnisse ein Schluss nicht machen lässt.
Ist also historisch nachgewiesen . dass sitzende "S'ersamm-
lungen bei den Griechen keineswegs schon eine selbständige
Stellung des Volkes bedingen, so lässt sich ebenso w^enig be-
weisen, dass die stehenden ^'ersammhuigen nur zum Anhören
und schnellen Auseinandergehen bestimmt waren, aus dem
einfachen Grunde, weil wir von solchen gar nichts wissen,
mit einziger Ausnahme jener oben erwähnten Troerversamm-
lung, und gerade in der erscheint das A olk wenigstens so
selbständig, ja selbständiger als in den sitzenden der Heroen-
zeit. Denn es entscheidet durch Zuruf für Hektors Meinung
gegen Polydamas.
Bei dem gänzlichen Mangel an Nachrichten aus dem grie-
chischen Alterthum mag es aber gestattet sein, eine Analogie
aus der neueren Zeit herbeizuziehen. In den demokratischen
Cantonen der Schweiz steht durchweg das Volk in den Lands-
gemeinden ij . Die Magistrate sitzen auf der Tribüne und um
V Eine Notiz über zwei Landsgemeindeplätze interessirt vielleicht auch
den philologischen Leser. In Schwyz wurden früher die Landsgemeinden
(jetzt giebt es dort keine mehrl und jetzt noch die Bezirksgemeinden 'bei
Ibach an der Brücke' abgehalten. Der Platz liegt am linken Ufer der
Muotta, ganz nah der Brücke , offenbar so gewählt , um den Bewohnern
von beiden Seiten des reissenden '^^'assers den Zugang leicht zu machen.
Ein dem Kreis sich annäherndes Oval, 3S Schritte lang, 34 Schritte breit,
ist von einer aus rohen Steinen errichteten etwa 3 Fuss hohen Mauer um-
gränzt. Der Boden des innern Raumes reicht ringsum bis an die Höhe
dieser Mauer, senkt sich aber nach der Mitte zu. Fünf oder sechs schmale
Eingänge führen von aussen in den Kreis hinein. — Auf dem Landenberg,
410 SiTZEX OD. Stehen in den griech. Volksversammlungen.
dieselbe. Höchstens werden dieser zunächst, also im innersten
Theil des ganzen Platzes , eine Anzahl Bänke aufgestellt . wo
die zuerst ankommmenden Gemeindemänner sich hinsetzen.
So in Glarus. -Jedermann Aveiss aber, dass in diesen Lands-
gemeinden das Volk durchaus nicht bloss zum Anhören zu-
sammenkommt, sondern oft sehr energisch den Anträgen der
Regierung entgegentritt, sie auch amendirt. und dass Unter-
brechung der Redner so gut vorkommt, wie einst bei der
sitzenden Ekklesia in Athen.
Andererseits ist auch daran zu erinnern, dass im Alter-
thum wie heutzutage gerade die nur zum Hören und Sehen
versammelte Menge zu sitzen pflegte, im Theater, Odeion,
Stadion und Hippodrom. Warum sollte nun das Volk nicht
ebenso ruhig gesessen haben, um die Mittheilungen seiner
Vorgesetzten anziihören? Ich kann daher den politischen Ge-
gensatz von stehenden und sitzenden Volksversammlungen
nicht als begründet ansehen und finde bei den Griechen über-
all nur sitzende.
Eine nothwendige Folge davon ist. dass ich auch der An-
wendung, die Curtius von seiner Theorie auf die Pnyx macht,
nicht beistimmen kann. Natürlich meine ich dabei nicht die
Lage dieser, sondern , ohne mich über diese Frage auszuspre-
chen , gehe ich von der von Curtius als Pnyx gesetzten Oert-
lichkeit aus. Sie liegt bekanntlich am Abhänge des Museions
gegenüber der Akropolis. Hier sollen die halbkreisförmigen
Sitze hintereinander aufgestiegen sein \ind unten, etwa in der
Mitte der Kreissehne, die Rednerbühne gestanden haben, so
dass der Redner mit dem Rücken gegen die Akropolis gewandt
war, mit dem Gesichte gegen das Museion. Dies ist auch,
sobald man die Pnyx hierher setzt, das einzig Denkbare. Allein
dabei bleibt Curtius nicht stehen, sondern behauptet in ältester
Zeit habe der Redner nach der Akropolis zvi gewendet zu dem
auf der alten Agora stehenden Volke gesprochen, bei der
Ausbildung der Demokratie erst seien die Sitze am Bergabhang
wo Obwalden seine Landsgemeinden hält, steigen an einer Seite des vier-
eckigen Platzes einige Stufen hinter einander auf. Bei etwas starkem Be-
suche der Landsgemeinde fassen sie aber die Menge nicht, die dann auch
den Platz daneben einnimmt.
Sitzen od. Stehen in den griech. Volks\'ersammlungen . 411
eingerichtet und das Kema nach Süden gestellt worden, und
nach dem Sturze der Demokratie hätten die Ureissig wieder
die ßednerbühne nach der anderen Seite gekehrt. »Das Local
der A'olksversammhmg « , sagt er , >> Avurde umgestaltet ; denn
man wollte nicht, dass die Bürgerschaft Avie bisher auf den
theaterförmig aufsteigenden Sitzstufen der Pnyx ihren Platz
behalte : man wollte überhaupt keine sitzende Bürgerversamm-
lung, Avelche zu längeren A'erhandlungen ziisammen bleibe;
man schloss also die alte Pnyx, indem man die Rednerbühne
umdrehte, so dass der Redner nun mit seinem Gesichte nach
der Burg gerichtet Avar, Avie es in ältester Zeit gewesen AAar,
ehe die Pnyx für die Sitzungen einer berathenden Bürgerschaft
eingerichtet Avorden Avar. Nun konnten die Bürger nur stehend
anhören. AAas ihnen A^om Rednerstuhle aus an Erlassen der
regierenden Behörde mitgetheilt AAerden sollte, damit sie dann
nach kurzem VerAAeilen ihren Geschäften wieder nachgehen
könnten. Es Avar also diese Umdrehung eine echt reactionäre
Maassregel. AA-elche mit einem Schlage den Unruhen der Ver-
sammlungen ein Ende machen sollte, und es AA-ar nur eine
AA'itzige Ausschmückung dieser Maassregel, aacuu man ihr die
Absicht unterschob . dass die Redner nicht mehr AA"ie früher
nach der See hinweisen und damit a\if die frühere Macht
Athens sollten hindeuten können. Denn dafür, dass der
Athener nicht mehr an See und Flotte denken sollte , AAar
schon in wirksamerer Weise gesorgt AA'orden,« Griechische Gesch.
III S. 26. 27. Vgl. Attische Studien I S. 56. wo überdies
noch beigefügt Avird. dass der Stein der Rednerbühnen jedes-
falls bcAveglich gcAAesen sei. Wie man sich das denken soll,
ist schAAcr zu ersehen.
Für diese ganze Darstellung ist nun aber kein einziges
Zeugniss A'orhanden. Curtius folgert sie nur mit Hülfe seiner
Theorie aus der Erzählung des Plutarch Themist. 19), die
Dreissig hätten die früher nach der See schauende Redner-
bühne nach dem Binnenlande gedreht. Weil von keinem
Punkte an der inneren Seite der südlich von der Burg hin-
ziehenden Hügelkette . an der nach allgemeiner Annahme ir-
gendwo die Pnyx gelegen haben muss, die See gesehen Averden
kann , hat man die ganze Erzählung für einen Irrthum ange-
sehen. Curtius aber glaubt sie als eine AA-itzige Ausschmückung
412 Sitzen od. Stehen in den griech. Volksversammlungen.
des in Wirklichkeit Geschehenen retten zu können. Wo der
Witz liegt, sehe ich nicht. Denn ge%Aiss pikanter als die
Beziehung auf die See wäre das gewesen, dass der attische
Demos, der früher behaglich oben sass, jetzt schweigend unten
stand. Aber Curtius begründet seine Meinung (Att. Studien
a. a. O.; mit folgenden Worten: »So lange die Redner mit
dem Gesichte gegen das Museion standen, konnten sie mit der
rechten Hand nach dem Peiraieus zeigen, und dieser Gestus
mit den entsprechenden Hinweisungen auf die meerbeherr-
schende Macht des attischen Demos war ohne Zweifel ein sehr
gewöhnlicher ( ? ) . Diese Wendung wurde nun unmöglich und
insofern konnte also mit Recht von den Tyrannen gesagt wer-
den: a~£aT[i£'{>av to ßr^jxa rpoc ttjv j^cupav.«
Est ist wahr, mit der rechten Hand konnten nach Lm-
drehung des Bema die Redner nicht gut nach der Richtung
des Peiraieus weisen, ganz gut aber mit der linken, gewiss
ebenso gut. als der der Akropolis den Rücken kehrende Redner
der demokratischen Zeit auf die Propyläen (Demosth., rspl auv-
TaicO): §. 2S 1 . Da man die See in einem Falle so wenig als
im anderen sah. war es für einen oratorischen Gestus ganz
gleichgültig, nach welcher Seite der Sprechende gerichtet war.
Daher kann man aus dieser Erzählung Plutarchs gewiss nicht
aiif die Umkehrung des Bema schliessen; oder mit anderen
Worten, die Umkehrung des Bema, von dem man in keiner
Weise auf die See sah , w^äre nicht geeignet , die Entstehung
jener Erzählung zu erklären 2j ,
1) Ich weiss -wohl , dass bei Harpokration , Suidas , Photius unter
rporuXaia -a^Ta die Erklärung vorgezogen wird, wonach es nur heissen
solle, jene bekannten Propyläen. So zulässig diese Erklärung auch sprach-
lich ist , so glaube ich doch , dass sobald an einem Platze , von dem aus
man die Propyläen sah, -ooTtj/.aia Taj-a gesagt wurde, dies gar nicht anders
als hinweisend gefasst werden konnte, auch wenn der Redner selbst sie im
Rücken hatte. Die versammelte Menge musste den Blick unwillkürlich
dorthin richten.
2j Die Erzählung des Plutarch a. a. O. otö xal tö ßf,|j.a t6 h li^'j'/X
7:e7Tonfj[jievov mzz droßXsreiv tt^o; tt,'j daXascav SsTepov oi Tptaxov-a zoö; tTjV
yöjrjfxs 6.-iz^:p^<\l'X'^ liesse sich am ehesten halten, wenn man annähme, dass
ä-oßXsretv bloss die übertragene Bedeutung habe: irgendwohin gerichtet
sein, spectare, auch ohne dass der Gegenstand, nach dem etwas gerichtet
ist , wirklich gesehen wird. In diesem Falle würde die Erzählung zur
Sitzen od. Stehem in den griech. Volksversammlungen. 413
Es lässt sich aber auch kein Grund absehen, warum die
Dreissig die Bühne hätten umdrehen sollen, selbst -wenn man
meint, eine stehende Menge sei zahmer als eine sitzende.
Denn dafür, dass keine Unruhen in der Versammlung ent-
ständen, war, um mit Curtius zu reden, »schon in wirksamerer
Weise gesorgt Avorden«. Und es lässt sich wohl fragen, ob
unter den Dreissig überhaupt je eine Ekklesia auf oder an der
Pnyx abgehalten worden sei. Kein Schriftsteller berichtet
davon, und nöthig war es keineswegs ; denn ihre Erlasse konn-
ten die Regenten durch Heroldsruf oder Anschläge hinlänglich
bekannt machen.
Aber einmal kommt doch eine ^ ersammlung der im Bürger-
recht belassenen, d. h. der dreitausend Hopliten aus dem Ka-
talog und der Reiter vor, nur nicht auf der Pnyx oder in
deren Nähe, sondern im Odeion, wo man natürlich sass.
Dorthin Avurden sie von den Dreissig berufen , um die aus
Eleusis herübergeschleppten dreihundert Verhafteten zu ver-
urtheilen. Das geschah in offener Abstimmung unter den
Augen der Dreissig, in GegeuAvart der lakonischen Besatzungs-
truppen, Xen. Hell. II, 4, 9. Das ganze Verfahren zeigt, Avie
Avenig die Dreissig diese Bürgerschaft fürchteten. Von einem
eigentlichen gerichtlichen Verfahren Avar keine Spur vorhanden.
Die Versammelten sind nicht als Gerichtshof zu betrachten,
sondern in scheusslichem Zerrbilde als die souveräne Bürger-
schaft, wie in der Demokratie die Versammlung aller volljähri-
gen Bürger auf der Pnyx.
Ausser dieser Versammlung im Odeion ist die erste, von
der wir vernehmen, die nach der Niederlage der Dreissig im
Peiraieus und nach dem Tode des Kritias, Xen. Hell. II, 4, 23.
Leider sagt uns Xenophon nicht, avo sie statt fand, AA^ahr-
scheinlich doch Avohl auf der Pnyx. Sie setzte die Dreissig
ab und die Zehn ein. Sie begnügte sich also nicht mit
Hypothese von Curtius sehr wohl passen , aber dafür nicht in den Zu-
sammenhang der Stelle Plutarchs selbst, avo es gerade auf das Sehen des
Meeres ankommt. Man müsste sich mit der Annahme behelfen, Plutarch
habe irgendwo die Nachricht gefunden, das früher in der Richtung nach
dem Meere orientirte Bema sei A'on den Dreissig nach dem Binnenlande
gerichtet worden und habe dies missverstanden, als ob man früher das
Meer von dort aus gesehen hätte.
414 Sitzen od. Stehen ix den griech. Volks%'ersammlungen.
"blossem Anhören. Aber von einer Verändening des Platzes
hören wir nichts und ebenso wenig später, als bald nachher
die Demokratie hergestellt A\nirde und die Ekklesien auf der
Pnyx wieder ihren regelmässigen Verlauf nahmen. Und hätte
wohl Lysias bei seiner Schilderung des Gewaltregiments von
der lächerlichen volksfeindlichen Maassregel geschwiegen ? Ich
kann daher der ganz vereinzelten Erzählung des Plutarch, von
der durchaus nicht erwiesen ist. dass sie in Athen verbreitet
war, keinen Werth beimessen.
Schliesslich fasse ich das Ergebniss meiner Untersuchung
dahin zusammen, dass die Griechen zur Zeit ihrer Unabhängig-
keit unter den verschiedensten Verfassungen in ihren A'olks-
versammlungen immer sassen, und dass Ausnahmen von dieser
Regel ebenso wenig in Sparta als in Athen nachweisbar sind.
UEBER DAS HISTOEISCHE IN DEN REDEN DES
THUKYDIDES.
[Schweizerisches Museinn. 1S39. III. S. 1 — 49.]
Dei dem eifrigen Studium , welches in unserer Zeit allen
Theilen besonders der alten Geschichte zugewendet worden ist,
muss es als eine sehi- natürliche Erscheinung angesehen wer-
den, dass manche Punkte, welche für ausgemacht galten, be-
zweifelt, manche Charaktere, über welche nur eine Stimme zu
heiTschen schien, von neuen Seiten betrachtet und oft in einem
ganz von dem früheren abweichenden Lichte dargestellt wur-
den. So wohlthätig und achtungswerth nun an und für sich
das Bestreben ist, sich nicht vom Glänze der Tradition be-
stechen zu lassen, sondern, unbekümmert um den Schein, dem
Wesen jeder historischen Erscheinung nachzugehen und es in
seiner ganzen Objektivität zu erfassen, so leuchtet doch eben
so leicht ein . dass dabei mit grosser Vorsicht zu Werke ge-
gangen werden muss. ^'orzüglich gilt das da. wo ein bis da-
hin in der Geschichte hochgestellter Mann seines Ruhmes be-
raubt und herabgesetzt werden soll ; denn wo das ohne genü-
gende Gründe geschieht, wird offenbar ein eigentliches Unrecht
geübt, da der historische Name ein Besitzthum ist, welches so
wenig als die Ehre des Lebenden leichtsinnig angetastet wer-
den sollte. Es dürfte Behutsamkeit hier um so mehr erwartet
werden, als sich in der Regel das L'rtheil. welches sich im
Laufe der Zeiten gebildet hat . auch bei genauerer Forschung
bestätigt. Allein die Leichtigkeit, mit einigem Scheine der
Wahrheit vom Gegebenen abzuweichen, kam gerade hier der
allgemeinen Sucht, Neues und Pikantes aufzustellen, allzuver-
416 Ueber das Historische in den Reden des Thukydides.
führerisch zu Statten, und daraus erklärt es sich ohne Zweifel,
dass besonders eine Eeihe von Arbeiten jüngerer Männer sich
durch die Tendenz bemerklich machen, das Hochstehende
herabzuziehen und das . was bis dahin für verworfen galt, zu
erheben. Und weil in der Regel dieser schiefen Auffassung
etwas Wahres zu Grunde liegt, so findet sie nur gar zu oft
vorschnelle l^illigung. So sind in neuerer Zeit Versuche ge-
macht worden, dem Sokrates die durch Jahrhunderte gezollte
Bewunderung zu entziehen; so hat man sich, im Gegensatz
zu übertriebenem Lobe, nicht gescheut, den Demosthenes die
traurigste Gestalt der Geschichte zu nennen; man hat Cicero
als einen erbärmlichen Menschen dargestellt, dagegen allen
Scharfsinn aufgewandt, um axis Tiberius einen grossen Mann zu
machen. Leicht könnten die Beispiele vervielfältigt werden,
es genügt aber, auf die ganze Richtung aufmerksam gemacht
z\i haben. Bei dieser kann es nun nicht auffallen, auch den
Thukydides, der Jahrtausende hindurch als ein »rerwm
gestarum pronunciator sincerus et grandisv^, als ein werum ex-
plicator prudens^ severus et gravis« galt, von verschiedenen Sei-
ten angegriffen zu sehen. Höchst bemerkenswerth ist aber,
dass, während alle wirklichen Historiker in seinem Werke das
Höchste erreicht sahen, was dem Historiker zu eiTeichen ver-
gönnt sei, es in neuerer Zeit einige jüngere Philologen,
die sich einen gewissen philosophischen Anstrich geben,
gewesen sind, welche ihn herabzuziehen bemüht Avaren. An
Tadlern des grossen Historikers hatte es zwar nie ganz gefehlt,
allein bis dahin hatten diese mehr die Form als das innere
Wesen seines Werkes angegriffen. Den Ruhm der Unpartei-
lichkeit, der unbedingtesten Wahrheit, so weit sie menschlichen
Kräften erreichbar ist, hatten sie unangetastet gelassen, ja
eigentlich ist es gerade diese über die Vaterstadt und über das
Vaterland erhabene Wahrheitsliebe, welche dem ersten und
heftigsten Tadler. dem Dionysios, Stofi" zu seinen Angriffen
gegeben, da es dem eitlen Rhetor verwerflich schien, einen
Krieg zum Gegenstand historischer Darstellung zu Avählen,
welcher nicht zum Ruhme des Landes gereiche. Wurden hie
und da in einzelnen Punkten Zweifel über des Historikers Un-
parteilichkeit erhoben, z. B. in Betreff der Peisistratiden , so
war das doch nur ausnahmsweise xind brachte dem Gesammt-
Ueber das Historische in den Reden des Thukydides. 417
Tirtheil keinen Eintrag, oder es A\iirde nachgewiesen, dass sie
auf unrichtigen Voraussetzungen beruhten. Dem Thukydides
l)Heb fortwährend der Name des ersten Historikers des Alter-
thums. So mussten also l^ehauptungen, av eiche des Thukydi-
des Zuverlässigkeit nicht nur in Zweifel zogen , sondern ge-
radezu in Abrede stellten , Aufsehen erregen , und beinahe
möchte man versucht sein, darin einen l^eweggrund mehr für
das Aufstellen derselben zu finden. AVenigstens erregt die Art,
wie man sich zum Theile nicht einmal die Mühe gegeben hat,
dergleichen Urtheile zu begründen , leicht diesen Argwohn .
Damit man uns nicht vorwerfe, selber leichthin Beschuldi-
ginigen zu erheben, mögen hier einige Beispiele folgen.
Das erste nehmen wir von Herrn Adolf Schmidt in l^erlin.
aus seiner Eecension des Brücknerischen Werks über Philipp
AmyTQtas Sohn, König von Makedonien, in Zimmerm. Zeitschr.
f. Alterth. W. 1837. Nr. 94. S. 763. Herr Schmidt behauptet
dort, Theopomp sei trotz seiner krassen Parteilichkeit würdiger,
der Geschichte Philipps zu Grunde gelegt zu werden, als Thu-
kydides der des peloponnesischen Krieges. »Denn« sagt er »wer
den Thukydides für unparteiisch hält, ist in einem entschiedenen
Irrthume befangen, wie er sich leider durch alle Zeiten hin-
durch fest gehalten hat. Nun erhellt aber aus allem, was wir
von Theopomp wissen und kennen, dass seine Parteilichkeit
sehr grobartig Avar. wogegen dieselbe bei Thukydides so ge-
schickt versteckt und überbaut ist, dass man ihrer nur ent-
weder durch eine ausserordentliche Mühe der Forschung oder
durch einen glücklichen Zufall geAvahr wird. Je schwieriger
die Controlle, je verführerischer ist die Kunst, welche es ver-
steht , geheim geschürzte Knoten auf feine und unmerkliche
Weise in das Gewebe der Fäden hineinzuschlingen. Gerade
aber eine handgreifliche Parteisucht, eine gi'obkörnige Lüge
wird den gesunden Forscher nie in Versuchung führen, nie im
Stande sein, ihn zu bestechen, und vorausgesetzt, wie dies bei
Thukydides und Theopomp vorausgesetzt werden darf, dass
Avenigstens das rein Faktische nicht geradezu umgedreht ist,
müssen die krassen Schattirungen jederzeit dem Historiker
AA'illkommener sein, als die zarten unmerklich in einander über-
gehenden. Denn jene sind leichter zu erkennen, die offene
Falle leichter zu vermeiden, als das versteckte Netz«. Also
A'ischer, Schriften I. 07
418 Ueber das Historische ix dex Redex des Thukydides.
Thiikydides hat nicht geradezu das Factische verdreht, so viel
bleibt uns noch von ihm übrig, wir können ihn etwa dazu
brauchen, um zu erfahren, wie viele Schiffe in einer Seeschlacht
einander gegenüber standen, den politischen Zustand Griechen-
lands aber, den wir bis dahin mit Meisterhand von ihm ge-
zeichnet glaubten, sei keiner mehr so thöricht. aiis ihm ken-
nen lernen zu wollen. Leider hat Hen* Schmidt nicht für gut
befunden, uns mit "der ausserordentlichen Mühe der Forschung«
oder mit »dem glücklichen Zufalle« bekannt zu machen . avo-
diu'ch er entdeckte, dass das Urtheil von Jahrtausenden ein
verkehrtes sei . indem er meint . es sei jene Eecension nicht
der Ort dazu. Ganz recht, aber noch viel Aveniger Avar es am
Platze eine solche Behauptung ohne allen Beweis hinzuAverfen,
da Thukvdides mit Philipp und Theopomp gar nichts zu
schaifen hat. Billiger Weise Avird das Urtheil als grundlos und
jeder Berücksichtigung uiiAverth betrachtet, bis Beweise dafür
vorgebracht Averden .
Was Herr Schmidt sagt , ist aber eine Kleinigkeit gegen
die llaisonnements , welche Herr Dr. Immanuel Ogienski, in
seiner 1837 zu Breslau erschienenen Schrift »Pericies et Plato,
inquisitio historica et philosophicm^ führt. Der Verfasser hat
die Absicht, zu zeigen, dass Perikles keineswegs ein trefflicher
Staatsmann . sondern nichts mehr und nichts Aveniger als ein
— gemeiner »routinier« gcAvesen. Da dieses Lrtheil im schnur-
geradesten Widerspruche mit den Aussprüchen aller Historiker
von Bedeutung steht, so werden die neuern. z. B. Schlosser,
mit einigen hochmüthigen Bemerkungen bei Seite geworfen,
und dann alle Anstrengung darauf verAvendet. zu beweisen —
doch nein, nur zu behaupten, dass Thukydides kein Avahrer
Geschichtsschreiber, sondern ein parteiischer Memoirenverfas-
ser sei , wie es deren in Franki'eich so viele gebe : denn das
hat Herr Ogienski erkannt, dass Perikles nicht nach seiner
Weise beurtheilt Averden könne, so lange Thukydides Glauben
verdiene. Ist Thukydides ein Avalu-er Historiker, so bleibt
auch Perikles ein grosser Staatsmann ; verdient Perikles die
Geringschätzung der XachAvelt. so ist auch Thukydides Ruhm
vernichtet. Darum eben Avird nun S. 59 — 70 alles Mögliche
zTisammengeführt. um den Thukydides von der bisherigen Höhe
seines Ansehens recht eigentlich in den Koth heninterzureissen.
Ueber das Historische in den Reden des Thukydides. 419
Er wird nicht etwa mir z\im vollkommenen Parteimann ge-
macht, nein, er wird ein charakterloser, durch iinstäten Ehr-
geiz von einem ]^ernfe in den andern geworfener Mensch ohne
Sinn für Recht inid Sitte, für Glauben iind Religion, ein Yer-
räther nnd Feigling genannt. Und dies alles gieht der Ver-
fasser mit einer Sicherheit, als ob daran gar nicht gezweifelt
werden dürfte, nnd bekümmert sich weder nm die Widerlegung
entgegenstehender Nachrichten, noch um die Begründung sei-
ner Behauptungen. So z. 15. stand ihm höchst unbequem der
von Krüger unumstösslich bewiesene Umstand im Wege, dass
Ihukydides sein Werk erst nach Beendigung des Kriegs aus-
gearbeitet habe. Anstatt aber eine Widerlegung wenigstens zu
versuchen, glaubt Herr Ogienski in Avegwerfender Manier mit
einigen Frage- und Ausrufungszeichen die Sache abthun zu
können. Und es darf noch verhältnissmässig als viel betrach-
tet werden, dass er nur diess thut; denn andere unliebsame
Punkte ignorirt er ganz. So kommt ihm viel darauf an, dass
Thukydides beim Ausbruch des peloponnesischen Krieges noch
ein Jüngling gewesen sei. womit bekanntlich die Angabe der
Pamphila in starkem Widerspruche steht. ^Er schweigt also
ganz von dieser und nimmt von vorne herein die andere Nach-
richt bei Markellinos als die wahre an. Ein eigenthümliches
Talent zeigt er aber besonders darin in die Worte alter Schrift-
steller Dinge zu legen, die auch von ferne nicht darin liegen
können. Ein glänzendes Muster dieser Hermeneutik giebt er
an den Worten des Diogenes Laert. H. 57, wo es von Xeno-
phon heisst: Asye-ai o' ort xai ra Oouxuoioou ßißXi'a Xav^avovta
oozXijbai ouvotfi-svoc auToc sie o6;av tJ-|'oiy£v. Diese Worte können
nach vernünftiger Auslegung nichts Anderes heissen als. Xe-
nophon habe die bis dahin noch nicht ins Publikum gekom-
menen Geschichtsbücher des Thukydides bekannt gemacht;
offenbar aber Avaren sie noch nicht in's Publikum gekommen,
also noch Xavilavovra, weil Thukydides voi der Vollendung ge-
storben Avar. Herr Ogienski aber erklärt AavDctvovra , prae ti-
more celata,h und findet in diesen Worten den BcAveis dafür,
dass Thukydides aus Furcht vor den Parteien sein Werk nicht
vollendet habe. Trotz aller der Sicherheit fühlt indess der
•) [Ogiensky 1. c. S. 6S.]
420 Ueber das Historische in den Reden des Thukydides.
Verfasser, wie es scheint, doch, dass seine Urtheile -wenig An-
klang finden werden, und schliesst daher seine üiatiibe in
sehr naiver Weise mit folgenden Worten: Qui hoc de Thucy-
dide iudiciwm indignum putat, ex eo quaerimus^ quo iure libera-
lius et honestius sibi postulet , qui ipse de natura humana illi-
beraliter et inhoneste iudicat?^)
Doch ich habe mich nur zu lange schon bei dieser Schrift
aufgehalten, welche auf recht augenscheinliche Weise zeigt,
auf welche Abwege das Bestreben führt, selbst auf Kosten der
Wahrheit originell sein zu wollen. Eine Widerlegung dersel-
ben zu unternehmen . Aväre verlorene Zeit und Mühe ; denn
Beifall ^\'ird sie bei keinem besonnenen Alterthumsforscher
finden, und den Verfasser eines Andern zu überzeugen möchte
schwerlich gelingen, da er bei seiner Interpretationsmethode
Alles aus Allem machen kann.
Weit besonnener ist Herr J. A. l^fau zu Werke gegangen
in einer IS 36 zu Quedlinburg u. Leipzig erschienenen Schrift,
betitelt: »Meditationes criticae de orationibus Thucydideis«.
Namentlich stellt er nirgends gewagte Behauptungen axif. ohne
den Beweis dafür %wenigstens zu versuchen. Indessen scheint
auch er in seiner negativen Kritik die richtigen Gränzen weit
überschritten zu haben und zu einem Kesultate gekommen zu
sein, welches sich nicht behaupten lässt. Nachdem er näm-
lich dem Thukydides gleich auf der ersten Seite das höchste
Lob gespendet, als streng wahrheitsliebendem, nicht weniger
durch seinen Geist als seine Unparteilichkeit bewundernswer-
them Historiker, sucht er zu zeigen, dass man eben desswegen
seinem Werke in Betreff der Reden Eigenschaften beigemessen
habe, die es in der That nicht besitze. Man habe nämlich
allgemein angenommen, es seien seine Reden zwar nicht wört-
lich Avieder gegeben, w^ie sie gehalten worden, aber doch habe
Thukydides überall die Gedanken und den Charakter der
wirklich gehaltenen Reden so genau als möglich wiederzugeben
gesucht, und namentlich seien alle seine Reden auf wirklich
gehaltene begründet.
Dieser Ansicht tritt nun Herr Pfau entgegen und stellt die
Meinung auf, dass die Reden, Avelche Thukydides seiner Ge-
1) iOgienf3ky S. 70.
Ukber das Historische in den Reden des Thukydides. 421
schichte eingeflochten habe, nicht nur frei behandelt, sondern
zvim grossen Theile auch ohne alle historische Basis , vom
Redner nnr erfunden seien. Im Grunde ist diese Meinung
schon sehr alt, Dionysios sagt bereits. Perikles habe im pelo-
ponnesischen Kriege keine Leichenrede gehalten. Neuere Ge-
lehrte haben sich mehr oder weniger entschieden ähnlich
ausgesprochen; Heilmann in den »Kritischen Gedanken von
dem Charakter und der Schreibart des Ihukydides« S. 25
[Üebersetznng HI. Ausgabe. Lemgo 1S23 I. S. LXXXV]
sagt: »so sind die eingeschalteten Reden beim Thukydides,
Avie es scheint, grossentheils zu diesem Ende erfunden, ^^^e-
nigstens sehr vortheilhaft genutzet worden « , ungefähr ebenso
Meierotto in dem »Memoire sur Thucydide« : (Memoires de
lAcademie Royale des sciences et belles-lettres l7!Jü — 1791
S. 518 — 538) und neuerdings spricht Hermann Llrici in seiner
Charakteristik der antiken Historiographie von »langen, oft rein
erdichteten Reden« des Thukydides und von seiner GeAvohn-
heit, »Reden nach Belieben einzuschalten.« Niemand hat aber
den Gedanken mit solcher Bestimmtheit hingestellt und ihn
auch aus dem Historiker selber zii bcAveisen gesucht, wie Herr
Pfau. Da nun die Reden in Thukydides Werk einen so we-
sentlichen Theil ausmachen, und durch ihre richtige Beurthei-
lung das Gesammturtheil über Thukydides grossentheils be-
dingt wird, so ist es Avohl der Mühe werth. sie mit sorgfältiger
Beachtung aller gegen die gewöhnliche Meinung gemachten
Einwürfe einer neuen Prüfung zu unterwerfen und vor Allem
nachzuforschen, in welchem Verhältnisse zu der Wirklichkeit
sie stehen. Der richtigste Gang, der dabei zu befolgen ist,
scheint der, dass zuerst untersucht Averde, als was Thukydides
selber diese Reden giebt. und dann das gewonnene Resultat
mit den einzelnen Reden zusammengehalten, und geprüft
werde, in wie fern es mit denselben in Uebereinstimmung stehe.
Für die Beantwortung der ersten Frage haben wir zuerst
die bekannte Stelle des Thtikydides I. 22 zu betrachten. Sie
lautet: Kai osa [xsv X6'((o siirov ex7.3Toi r^ [xsXXovtc; KoXsjxr^asiv r^
£V aUT(p TjOTj 0V-£? J^aXsTTOV TTjV aXplßöiaV aUTTjV TU)V Äc/OivTOJV 017.-
}i.VT,jj.0Viuaai t^v efioi xs aiv auro? TJ/.ouaa xal roic aXÄof^sv 7:oi>£v
etxol 7.7ra-j"|'£XÄou3iv • (oc 5' av sooxouv i\i.oi fxaaTot Trspi tu>v asi
~apovTu)v xa oiovta ficiXtsr sittsTv iyo\iB'iio oti syyuTaTa ~rc EujxTra-
422 Ueber das Historische i>' den Reden des Thukydides.
(jT^c, Yvojix"/;; täv aXrfiijK ÄsyiisvToJV, o'jtoj; cl'prj-at. Darin fand man
bis dahin ziemlich allgemein die Erklärung des Thukydides, dass
er die Reden nicht wörtlich wiedergebe, sondern die Redner
das sagen lasse, was in den jeweiligen Verhältnissen ihm am
passendsten geschienen habe, doch so, dass er sich bei dieser
freien Behandhing immer so nahe als möglich an den Haupt-
inhalt der wirklich gehaltenen Reden halte. Eine nothAvendige
Folge dieser Erklärung war die Annahme, dass also jeder thu-
kydideischen Rede eine historisch wahre zu Grunde liege ; denn
an den Gesammtinhalt einer Rede konnte er sich nicht halten,
Avenn eine solche gar nie existirt hatte. Darum sagt Poppo
zu dieser Stelle ganz richtig : IIi?ic conciones tales fecit. quales,
ut ipse quidem iuclicabat^ si habitae essent , singulis locis atque
temporihus maxime consentaneae fuissent. Noluit tarnen eas, ut
ah aliis Jiistoricis factum est, proratts confingere , sed etiam hic^
quantum ßeri poterat, Verität is studio sus , quum verba ipsa ora-
torum reddere neque passet et fortassis interdum etiam nollet,
certe uniter sam sententiam s. argumentum den Hauptinhalt, die
Hauptgedanken) orationum vere habitarum quam maxime serva-
vit. Dieser Auffassung der Stelle ist nun Herr Pfau entgegen-
getreten. Er sagt, 1 ta aXr,i>u)c Xs/fiivTa, orationes reveru habi-
tae, stehen entgegen den oox aÄr^tlu); Iv/pv/ra i. e. ficta vel a
scriptore sie instituta , Lz, av sooxouv cutä £7.7.3701 -col tu)v 7.31
7:apovTtt)v -a oirj^)~>j. jj-aAisT sitccTv. Dieser Satz heisse aber : yjroz<^
singuli mihi videbantur maxime consentanea dicturi fuisse [seil,
si dixissent] sie dixi. Also Avolle Thukydides mit diesen Wor-
ten nichts Anderes bezeichnen als seine eigene Erfindung, oder
die für die jcAveiligen Verhältnisse passend erdichteten Reden,
orationes in res praesentes aptissime fictas. txaXi3Ta fasse man
am richtigsten Avie unser deutsches »immerhin, meinetAA'egen»,
der Sinn der ganzen Stelle sei dann folgender ^j : ^^Ad singu-
lorum quod attinet conciones historiae meae interpositas difßcile
erat accuratissime recordari et memorare, quae dicebayitur quare
facere non studui). Mea vera orationum compone7idarum ratio
sie est instituta ourto; sipr^xa) prout singulos putabam dicturos
forte fuisse i. e. AAie ich glaubte, dass sie etwa gesprochen
haben AAÜrden sc. si dixissent. Parvi autefn refert, eos fortasse
1; iPfau 1. c. S. 5.1 2j iPfaa 1. c. S. 6.^
Ueber das Historische in den Reden des Thukydides. 423
aliter dixisse per suam cUcencli facultatem a mea dwersam in res
personasque praesentes consentanea , consectans seu consectahar
tarnen ubi revera habehantur orationes, quam proxime
universam se^itentiam seu argumentum. Quare quae in his nos
docet Thucydides tria sunt: accuratissime non servasse dicta ob
difficidtatem quandam: alias concioties exhibuisse quo-
datnmodo fictas ; alias retulissc pro argumenta revera
habitas.
Er stellt also zwei Klassen von Reden anf: 1) rein er-
dichtete; denn das meint er, -vvie auch der Fortgang seiner
Abhandhing zeigt, wenn er sie hier schon sonderbarer Weise
bloss quodammodo ßctas nennt; 2j wirklich gehaltene, von
Thukydides in ihrem Hauptinhalte wiedergegebene.
Obwohl er nun selber Avenig Gewicht auf diese Erklärung
legt, so ist es dennoch zweckmässig, sie zu untersuchen und
genau zu prüfen. Avas Thukydides eigentlich sagt. Denn, um
zu einem richtigen Urtheile über die Reden überhaupt zu ge-
langen, ist es unumgänglich nothwendig, zu wissen, wie der
Geschichtschreiber selber sie angesehen haben Avollte.
Zunächst ist nun allerdings kein Zweifel, dass den aK•r^-
%(}ic XtyJ}i^-rx gegenüberstehen die oux aÄrjöu); Xzyßiv-a, dem
wirklich Gesprochenen das nicht Avirklich gesprochene , son-
dern von dem Histoiiker nur dem Redner in den Mund Ge-
legte. Allein damit wird noch nicht zugegeben, dass es den
Gegensatz ausspreche zwischen Reden, die wirklich gehalten
w'orden und Reden, die ganz erfunden sind. Das müsste Hr.
Pfau erst beweisen, hat es aber unterlassen; auch lässt es sich
in der That nicht beweisen. Denn Thukydides spricht nir-
gends von zwei Arten von Reden, sondern bezeichnet sein
\ erfahren als ein allgememes. durchgängig angewandtes. Hätte
er jenen Gegensatz ausdrücken wollen, so hätte er gewiss nicht
so ohne weiteres den Participialsatz s/otj,£v(u — Xä/i>£v-a>v an-
geknüpft, sondern wenigstens angedeutet, dass er in gewissen
Fällen sich an den Gedanken der wirklichen Reden gehalten
habe. Wie die Worte jetzt stehen, bilden sie eine Beschrän-
kung, die ganz allgemein und ohne Ausnahme zu dem Haupt-
satze gehört, und sagen also aus, dass der Geschichtschreiber,
obwohl er die Reden nicht wörtlich Aviedergab, doch sich
immer so eng, als es thunlich war ;oti EYYutaTaj , an den
424 Leber das Historische in den Keden des Thukydides.
Hauptinhalt der Avirklich gehaltenen Reden anschloss. folglich
auch nur da Keden halten Hess . avo solche wirklich gehalten
worden waren , keineswegs aber nach Belieben solche erfand.
Jetzt wird es auch klar, wie jene 7.ATjI>(u; Xs/iliv-a sich zu den
oox akr^bthc hzyhvna verhalten: ersteres sind die wirklich von
den Rednern gesprochenen Worte . wozu den natürlichen Ge-
gensatz die Reden in der Form, wie sie Thukydides giebt.
bilden, und die könnte' man ganz passend als oux 6.\r^\i^^i- as-
ybiv-a bezeichnen. Dieser Unterschied findet sich nun aber
überall, ist ein durchaus durchgreifender. Aviewohl, wie Avir
später sehen Averden. die einen der thukydideischen Reden den
ä/.Tjild); Xs/üivra näher, die andern ferner stehen.
Die Hypothesis in den Worten («; av loo/.ouv . . . eittsTv.
Avorauf Herr Pfau mit besonderm Nachdrucke hinAveist, darf
allerdings nicht übersehen Averden; aber nur darf man nicht
bloss ergänzen si dixissent, sondern si ita dixissent. Poppo hat
die Stelle ganz richtig erklärt in den oben angeführten Worten :
qiiules si hahitae essent. »Ich habe sie so sprechen lassen. Avie
sie nach meiner Meinung passend oder am passendsten gespro-
chen haben würden« enthält doch ganz klar den hA-]Dothetischen
Gedanken : Avenn sie s o gesprochen hätten . Avie ich sie spre-
chen lasse. Avürden sie nach meiner Meinung am passendsten
oder passend gesprochen haben. Also lässt sich auch aus
diesen Worten keinesAvegs herausdeuten, dass Thukydides Red-
ner habe aiiftreten lassen . die in der Wirklichkeit nicht ge-
sprochen hatten.
Die Erklärung von jjL7.Äi3ra durch »immerhin« möchte ich
eben so Avenig billigen. Hr. Pfau beruft sich auf zwei Stellen
des Sophokles. Passender Aväre gewesen. Belege A'on ThukA-
dides oder einem andern Prosaiker anzuführen, was aber Avohl
schAA'ierig gCAvesen wäre. Allein selbst mit jenen zwei Stellen
des Sophokles hat es eine eigene BcAA-andtniss , die eine . im
Philoct. A'. 617, lautet:
oloiTo [xsv [xaAi3i>' sy.o'j-iov Xajiiuv ,
£1 }iT| OsAoi o\ äx^vTa.
Während hier geAA'öhnUch [xctAista mit oIoito A'erbunden
AA'urde, hat G. Hermann es zu ixouaiov gezogen, wo dann A^on
»immerhin« gar nicht mehr die Rede sein kann. Allein auch
zugegeben, es gehöre zu oioito. muss ich die Bedeutung »im-
Ueber das Historische in dek Reden des Thukydides. 425
merliin« bestreiten und die gewöhnliche »am ehesten am lieb-
sten« vindiziren. Odysseiis verspricht, auf jeden Fall den
Philoctet ins Lager zur bringen . am ehesten aber , oder am
liebsten hoffe er, er Averde ihn freiwillig dazu bewegen, avo
aber das nicht gehe, sei er zu GeAAalt entschlossen. Uebrigens
ist es nur ^Vex, der hier die Bedeutung «immerhin« hineinlegt,
AA'ährend andere Erklärer (z. B. Ellendt im Lex. Soph.), auch
AA-enn sie oI'oito [x£v [xaXtsTa zusammennehmen, doch das letztere
auf geAAÖhnliche Weise fassen.
Die zAA'eite »Stelle findet sich in der Antigene a'. 327.
Nachdem Kreon den Wächter mit dem Tode bedroht, Avenn
nicht der gefunden Averde, der der Polyneikes mit Erde be-
deckt, sagt dieser:
aXX' £upEt)öir, |j,£v [xotXiar , iav os toi
Xr^csÖ'^l T£ X7.1 [xrj. TouTo yap ~'V/( '/-p'-VcI,
oux sjB' oüto; o'^ci au osup' eXUovra [xs.
Dies erklärt Wex . auf den sich Herr Pfau beruft : »Nun
meinetAvegen findet ihn immerhin« oder, AAde er beisetzt, noch
bezeichnender im Berliner ^'olksdialekte : »Nun findet ihn man
zu«. Auch Ellendt im Lex. Sophocl. s. y. jjLctXa stimmt hier
mit Wex überein, indem er [xocXiara durch utique sane übersetzt.
Indessen halte ich auch hier diese Erklärung für unrichtig,
Aveil diese Bedeutung gar nicht nachgeAAiesen ist, und sogar
die gewöhnliche einen AAeit bessern Sinn giebt: der Wächter
AAÜnscht, dass der Thäter ertappt Averde, das aaüI er am lieb-
sten, darum jj-aXtata. Aber, fügt er bei, mag er gefangen
AAcrden oder nicht, mich soll Kreon nicht mehr zu Gesichte
bekommen . Das Ganze heisst also : Am liebsten wäre mir es
freilich, er AAÜrde gefunden, aber er mag gefangen AA'erden oder
nicht, denn das hängt A^om Glücke ab, so AA-irst du mich nicht
mehr hieher zurückkommen sehen^).
1) Als die ganze Arbeit schon beendigt Avar, fand ich zufällig, dass
Wex in seiner Uebersetzung der Antigene 1834 die frühere Erklärung von
fjLä>aGTot an beiden Stellen, durch Neue A'eranlasst, zurückgenommen hat.
Da indessen diese Uebei'setzung wohl Aveit Aveniger verbreitet ist als die
griechische Ausgabe der Antigone , und daher die in dieser gegebene Er-
klärung auch von Hrn. Pfau als Beweis für seine Auffassung von [j.a)aGT7.
in Thukydides angeführt worden ist, da überdiess Andere, wie Ellendt,
immer noch in der letztern Stelle [j.7."/.ist7. in der ungewöhnlichen Bedeutung
fassen, so glaubte ich die obige Widerlegung stehen lassen zu dürfen.
426 Ueber das Historische in den Reden des Thukydides.
So sind also die aus Sophokles lierbeigezogenen Stellen
nicht geeignet, die Bedeutung »immerhin« zu erhärten. Wozu
aber auch diese dem Thukydides aufdringen, da die geAvöhn-
liche, so bald man nicht einen bestimmten Smn herauszwingen
will, vollkommen passt i Man kann nämlich entweder tiaAi^ra
unmittelbar zu 77. oiovra ziehen, dann heisst diess, wie es die
meisten Erklärer fassen, «das Passendste«, ist also eine Um-
schreibung für den Superlativ; oder man kann [loÄiito. zu dem
Gedanken -a Siovra ti-th ziehen, dann heisst es : yijiotissimum,
am ehesten«, und der ganze Satz : »wie ich glaubte , dass je-
gliche am ehesten das Passende gesagt haben Avürden« oder
»am ehesten passend gesprochen haben würden«. Im Ganzen
bleibt bei beiden Erklärungen der Gedanke derselbe, und für
unsern Zweck ist es ziemlich gleichgültig, welche man wählt ;
doch halte ich die letztere für die richtige, weil ~a osovra schon
genug aussagt und nicht durch [iaÄiaroc gesteigert zu werden
braucht , während nach der letztem Erklärung auf eine sehr
passende Weise die möglichste Annäherung an das Richtige
ausgedrückt wird. Demnach heisst nun die ganze Stelle: »Und
in Betreff dessen niui. was jegliche in Reden gesprochen haben,
theils, als sie im Begriffe standen, den Krieg zu beginnen,
theils in demselben selbst, sich an das Gesagte genau zu er-
innern, war schwer, sowohl für mich da, wo ich selber es an-
gehört hatte, als für die, welche mir anderswoher Nachrichten
brachten. Wie ich aber glaubte , dass der Einzelne über die
jeweiligen Verhältnisse das Passende am ehesten gesagt haben
Avürde, so habe ich. indem ich dabei so eng als möglich mich
an den Hauptinhalt des wirklich Gesprochenen gehalten habe,
ihn sprechen lassen«.
Also Thukydides hat, von der Unmöglichkeit überzeugt, die
Reden Avörtlich wiederzugeben, nur so weit, als es möglich
war. den Hauptinhalt derselben zu Grunde gelegt und auf die-
ser Basis dann den Redner so sprechen lassen, wie es ihm
angemessen schien. Er hat also gewissermassen die wirklichen
Reden idealisirt. Und zwar ist diess Verfahren von ihm als
ganz allgemein angegeben. Die Erklärung des Herrn Pfau
und die daraus gezogenen Folgerungen fallen hiemit zusammen,
vmd m der Hauptsache ist die Stelle von den frühern Aus-
legern ganz richtig gefasst worden.
Ueber das Historische ix den Reden des Thukydides. 427
Ans dem Bisherigen folgt nun aber nnabweislicli :
1 dass Thukydides nur die Absicht hatte, da Eeden hal-
ten zu lassen, avo wirklich solche gehalten worden waren,
keineswegs aber nach Gutdünken etwa wie die spätem rheto-
risirenden Historiker solche einzuschalten ;
2) dass seine Reden mehr oder Aveniger von den ihnen zu
Grunde liegenden abweichen mussten, je nachdem er diese mit
mehr oder weniger Genauigkeit kannte, und je nachdem diese
besser oder schlechter Avaren. War seine Kunde davon nur
gering, so blieb der freie Spielraum für das eigene künstle-
rische Gestalten um so grösser; war sie ihm näher bekannt,
hatte er sie selber angehört, oder lag sie vielleicht sogar ge-
schrieben vor ihm, so waren demselben engere Gränzen ge-
steckt. Traf ferner die Avirklich gehaltene Rede die Haupt-
punkte, auf die es ankam, so konnte Thukydides sich enger
anschliessen, als Avenn dieselbe mangelhaft Avar und also Man-
cherlei hineingelegt Averden musste , Avenn der Redner das
sagen sollte. Avas sich am ehesten zu den Verhältnissen
schickte. Daraus folgt z. B., dass die Reden des Perikles ge-
nauer reproduzirt sind als die des Athenagoras in Syrakus.
Ehe ich nun aber dazu übergehe, die einzelnen Reden mit
dem gCAVonnenen Resultate zusammenzuhalten und nachzu-
sehen, ob der Historiker dem in dem Proöm ausgesprochenen
Grundsatze auch in der Ausführung treu geblieben , AA'ill ich
noch eine Bemerkung hinzufügen, die zur Bestätigung des bis
dahin gefundenen dient. Der Geschichtschreiber ist in der
Erforschung der Wahrheit sehr streng geAvesen, er hat, AAie
selbst die zugeben. Avelche ihm Parteilichkeit A^orAverfen, die
Thatsachen mit möglichster Genauigkeit geprüft, und diese
Genauigkeit giebt sich auch in den kleinsten, oft scheinbar
unbedeutenden Ausdrücken kund. Diess zeigt sich nun be-
sonders auch bei der Einführung aou Reden, und hier un-
terscheidet sich Thukydides von Herodot und Xenophon. Wo
diese Reden anführen, da heisst es bald bloss: IXc^s, iXs^av,
ct-ö. ci-civ^ bald ist vor der Rede -dtos. nach derselben rau-a
dem Yerbum beigegeben, bald -oiaos und toiaura \ . Diese und
1 Man vergleiche nur folgende auf's GeratheAvohl herausgegriffene
Stellen: Herod. I, 27: itra-z-ot raos und KpoTiov oe £i-at. I, 71 : cjvsßou/.e'j'ji
428 Leber das Historische in den Reden des Thikydides.
ähnliche Ausdrücke wechseln, ohne alle Gründe. Ganz anders
Thnkydides. \oy allen eigentlichen Reden hat er regelmässig
die Formel: iXzca oder ein entsprechendes Verbum -oiaos;
am Schlüsse xoiau-a sIttsv oder ein ähnliches Verbum . bis-
weilen, doch weit seltener, -oaauta, was aber bei vorausgegan-
genen Toiaos nicht bestimmter ist, als Toiaoza. sondern vielmehr
nur eine Beziehung, die der Grösse der Rede, bezeichnet. Es
kann daher dieser Ausdnick eben so gut da stehen, wo eine
Rede wörtlich getreu wiedergegeben wird, als da. wo sie frei
nachgebildet oder idealisirt ist ') . Dass nun aber Thukydides
diese unbestimmten Demonstrativa mit Absicht gebraucht, lässt
sich leicht erkennen durch Vergleichung der Stellen, wo das
bestimmte Demonstrativum, oder auch das blosse Verbum mit
und ohne oti angewandt ist. Th\ikydides bedient sich nämlich
der Demonstrativa oos und outoc erstens überall da, wo er
Verträge, Bündnisse, Friedensschlüsse, mit einem Worte Akten-
stücke mittheilt, also wo er etwas wörtlich Gegebenes anführt.
Beispiele davon finden sich besonders zahlreich im fünften
Buche, wo namentlich das zwischen Argos und Sparta ge-
schlossene im dorischen Dialekte abgefasste Verkommniss je-
räoe und ■zaÜTCi \i'(m^i. I, 87: eipsoftat -raos und 6 0£ elr.s. I, 88: b [iks
TctüTot 0.efz , sehr selten hat Herodot -otcioe , wie VII, 158. Xenophon hat
Totaoe Hell. I, 6, 4. ToiaÜTa II, 4, 22. -dos oder TaO-a I, 6, S 12. I, 7,
16, 34. (x)0£ II, 3, 24. bloss d-su Hell. II, 3, 51. r/.£?£v II, 4, 13. Diese
Beispiele genügen, wiewohl sich eine Menge anderer aus der griechischen
Geschichte so-\vohl als den übrigen Schriften Xenophons anführen Hessen.
1, Eine Ausnahme findet statt bei der Rede des Sthenelaidas, welche
I, 85 eingeleitet wird mit den Worten; D.iU-' w^£ ; nach Beendigung aber
heisst es I, 87 : ToiaO-a ok '/.izaz, der gewöhnlichen Formel conform. Ueber-
diess würde gerade bei Sthenelaidas Rede eine Abweichung am wenigsten
auffallen können, da sie sich offenbar den gleich nachher genannten Fällen,
wo nicht eigentliche Reden, sondern kurze Aussprüche, Aufforderungen
u. dgl. vom Geschichtschreiber angeführt werden, sehr nahe anschliesst. —
Eben so leicht erklärt sich, warum in dem Gespräche der Athenisohen
Abgeordneten mit den Meliern es zuerst (V, 84,, heisst zUfo^ TOtaoe, am
Schlüsse aber 'c. 112; d-£7.[>ivav-o -do£ und (c. 113 oi AS^viio'. — £c;aoav.
Das Gespräch selber ist frei behandelt, die letzte nach reifer Ueberlegung
von den Meliern gegebene Antwort wieder ist, wenn auch nicht wörtlich,
doch dem Sinne nach offenbar als rein historisch zu betrachten, und ähn-
lich auch die Schlussworte der Athener.
Ueber das Historische in den Reden des Thukydides. 429
den Zweifel gegen Aechtheit und wörtliche Genauigkeit nie-
derschlagen muss 1 .
Der zweite Fall ist der, wo Thukydides kurze Schreiben
anführt, so die zAvischen Pausanias und Xerxes gewechselten
IJriefe I, 128. 129. , wo er sich auf Entdeckung dieser Kor-
respondenz beruft. »Es war«, sagt er, «in dem Briefe Folgen-
des geschrieben , wie später 'natürlich bei dem Processe' ge-
funden wurde«. Man könnte Zweifel aufwerfen, ob denn dem
Thukydides diese Briefe bekannt sein konnten, da die Spar-
tiaten überall so geheimnissvoll thaten . und ganz besonders
da , wo es sich um das Capitalverbrechen eines Mannes aus
königlichem Geblüte, eines sieggekrönten Feldherrn, wie Pau-
sanias . handelte , kaum einem Fremden die Aktenstücke mit-
theilen mochten. Allein diese Bedenken verscliAvinden, sobald
wir in Erwägung ziehen, dass die Spartiaten auch den The-
mistokles in des Pausanias Process zu verwickeln suchten, dass
sie zu diesem Zwecke sicherlich die belastenden Aktenstücke
den Athenern übergaben. Diese bewahrten sie ohne Zweifel
in dem Archive, und so gut als noch Phavorinos die Anklage
des Meletos gegen den Sokrates daselbst im Originale las,
mochte auch Thukydides Abschriften der Ik-iefe des Pausanias
und des Königs Xerxes einsehen. Ein anderer Einwurf mag
von dem attischen Dialekte hergenommen sein, in welchem
diese Briefe abgefasst sind, und dieser hat mehr Gnuid, indem
von Pausanias und Xerxes Seite schwerlich dieser angewandt
Avar. Zwar Hesse sich eimvenden, dass wenigstens im pelo-
ponnesischen Kriege derselbe in diplomatischen Gebrauch ge-
kommen zu sein scheine, indem das zwischen Tissaphernes und
den Peloponnesiern abgeschlossene l^ündniss darin abgefasst
war. Da aber Zeit und Verhältnisse doch bedeutend ver-
schieden, so möchte ich daraus keinen Schluss ziehen und
gebe gerne zu , dass die genannten Briefe in den attischen
Dialekt übersetzt seien. Da vielleicht der Brief des Xerxes
gar nicht in griechischer Sprache geschrieben war, mochte das
um so nöthiger sein, und wahrscheinlich hatten ihn schon die
1) VIII, 59 hat Bekker aus dem Vatican. und Arund. TotaiiTai aufge-
nommen; allein mit Recht haben Goeller imd Poppo die von den übrigen
Handschriften gegebene vulg. ctuTai in Schutz genommen.
430 L'eber das Historische in den Reden des Thukydides.
Athener in einer Uebersetzung im Archive , wie sie ja auch
einmal aufgefangene l^riefe des Königs an Sparta während des
peloponnesischen Krieges übersetzen lassen ^ . Jedenfalls aber
ist nicht der mindeste Gnind vorhanden, anzunehmen, dass
Ihukydides ausser der Sprache irgend etwas an den beiden
Schreiben geändert habe. Etwas mehr Zweifel lassen sich
gegen die Aechtheit des Briefes des Themistokles erheben, da
sich nicht leicht absehen lässt. auf welche ^^'eise ein von
Ihemistokles nach seiner Ankunft in Asien an den Grosskönig
geschriebener Brief wörtlich hätte sollen in Griechenland be-
kannt Averden. Aber hier hat auch Thukydides den unbe-
stimmten Ausdruck gewählt : lorjXou o' r^ ';o'^J.or^ o~i . womit er
das. Avas der Brief nach den zuverlässigsten Nachrichten ent-
hielt, ausdrückt. Auch diesen Brief hat er sicherlich nicht
so behandelt, dass er eigene Gedanken hineingelegt hat, noch
viel weniger willkürlich ersonnen. Dagegen ist der Brief des
Nikias aus Sicilien, Avie seine ganze BeschaiFenheit zeigt, frei
bearbeitet und gehört in eine Linie mit den Reden, wie mit
vollem Rechte schon Dionysios ihn betrachtet. Es wäre ohne
Zweifel wohl möglich geAvesen. den wirklichen J>rief des Nikias
zu erhalten ; allein Thukydides benutzte die Gelegenheit . um
die Lage des athenischen Heeres und der Verhältnisse in Si-
cilien allseitiger darzustellen, als es Nikias selbst gethan haben
mochte. Darum sagt er aber auch VH 10. i-iz-okr^w . . . ot^-
Xouactv Toicitoc 2; . Endlich führt Thukydides in einer Reihe von
Fällen, die gewissennassen in der Mitte zAA-ischen diplomati-
scher Genauigkeit und freier IJearbeitung stehen, in der Regel
die Worte anderer auf eine Weise an, die ebenfalls die Mitte
hält zAA'ischen dem ganz bestimmten oos und dem allgememen
Toiococ TCiiouTo; . Er setzt nämlich geAvöhnlich das blosse
Verbum eizs, scpr,, oder dazu noch oti. auch wohl to-ovos sitts
und dergleichen Ausdrücke da. avo er nicht eine eigentliche
1) Thuc. IV, 50 : 7.7.1 aÜTOü -/.otjua&iv-o; ot 'Aör^vaio'. TÖt; (aev £7:iaTC/'/.d;
[ifZ'Xfpccldii.Z'/oi iy. töjv 'AsTjpiu)*« yP^,"-,"-^"'"^ äv^Yvcu-av.
-) Diodor XIII, S giebt den Inhalt des Briefes etwas anders au , als
er bei Thukydides erscheint. Bei der Nachlässigkeit desselben möchte ich
aber daraus nicht schliessen, dass er das Avirkliche Schreiben des Nikias
benutzt habe.
Ueber das Historische ix den Redex des Thukydides. 431
Rede , sondern einen kurzen Ausspruch , eine Aufforderung,
Antwort und Aelniliches anführt. Eine nähere IJetrachtung
dieser Fälle zeigt , dass der Geschichtschreiber hier nirgends
eigene Gedanken hinzufügte oder unterlegte , sondern dass er
Aviedergab , was er als Thatsache ausgeniittelt hatte , Avobei er
aber unmöglich für jedes Wort stehen konnte, da diese Aus-
sprüche grösstentheils ihrer Natur nach nicht niedergeschrieben
waren, sondern sich nur im Gedächtnisse derer, die sie selbst
gehört oder aus Erzählung kannten, fort erhielten. Da sie aber
in der Regel nur einen einzigen Gedanken enthalten und
keineswegs irgend einen Gegenstand einlässlich behandeln, so
konnte der Historiker gar nicht einmal in Versuchung kommen,
hier etwas Eigenes beizufügen. Zum Beispiel H, 12. erzählt
Tlnxkydides , als der spartanische Gesandte Melesippos unver-
richteter Sache von Athen weggeschickt Avorden sei. habe er
an der Gränze die denkAvürdigen Worte gesprochen «v-os vj
T,|j.ipa ToT; 'EÄXy,ji «jLSYaÄojv y.a/.u)v ap^si.« Dazu konnte er nichts
thun, der Gedanke gehört ganz und gar dem Melesippos ; AA'äre
das nicht der Fall , so Aerlöre er allen Werth : ob aber die
AVorte ganz genau diese AAaren, mochte Thukydides selbst nicht
AA^ssen können, und darauf kommt auch gar nichts an. Ebenso
IV, 38., da fragen die auf Sphakteria eingeschlossenen Spar-
tiaten ihre Vorgesetzten auf dem Festlande. AA-as sie thun sollen.
Nach mehrmaligem Hin - und Herschicken heisst es nun :
0 TsXsoTaToc oia-Acuaac czüroT; a-o T(ov kv. tt,: rjrsipoo Aa/soai-
[lovioiv aYTjp d-r] YYciXcV , oTi oi Aaxsoctijxovioi xsAiUO'jaiv ufiac
auro'j; r^zpl uawv otuTuiv ßouXsusai^ai, |i.TjO£V aiaypov -oiouvtac.
Aehnliches findet man I. 87. HI, 113. VHI, 53, und das Näm-
liche habe ich schon oben beim Briefe des Themistokles be-
merkt. Gerade aber AA'eil solche angeführte Reden Anderer
sich mehr oder AA-eniger den eigentlichen . frei bearbeiteten
Reden nähern, kann es nicht aiiffallen, einigemal auch -oidot
und ToiauTCt zu finden, AA-ie diess der Fall ist I, 53 und in den
ZAvischen Archidamos und den Plataiern A'or der Belagerung
der letzteren gepflogenen Unterhandlungen II, 71 — 75., avo
einigemal ToictOc sÄcyov, anderemal das blosse Verbum. und end-
lich Xsytüv (uos steht. In beiden Fällen liegt es in der Natur
der Sache , dass der Inhalt des Gesagten rein historisch ist ;
aber die Form kann wenigstens wegen des etAA-as grösseren
432 Ueber das Historische ix den Reden des Thukydides.
Umfangs des Gesprochenen von Thukydides freier gehalten
sein als in den vorigen Beispielen.
Ans dem Gesagten geht nun aber, denke ich, zur Genüge
heiTor, dass der Historiker mit Absicht roiaos und toiauta sagt,
um eben die Reden als nur ungefähr den wirklich gehaltenen
entsprechend zu bezeichnen. Wozxi aber diese fast scrupulöse
Genauigkeit in der Anwendung der Pronomina, Avenn in dem
gleichen »Satze diirch das ^'erbum entschieden von der histori-
schen Wahrheit abgeAvichen wurde ? Und das Aväre doch offen-
bar der Fall. Avenn gesagt Avird : oi Kipxopaloi lXc;av toiaoe,
die Kerkyraier aber in der That gar nicht gesprochen hätten,
oder wenn er die Korinthier, die Athener, den Archidamos
und den Sthenelaidas in Sparta reden lässt, Reden aber in der
That von allen diesen gar nicht gehalten Avorden Avären.
Offenbar kann diess in den Verben nicht liegen, sondern wir
müssen dem Thukydides glauben, dass die Redner, die er auf-
treten lässt. Avirklich gesprochen haben, wir müssten ihm denn
alle GlaubAvürdigkeit absprechen, avozu wir trotz der Dekla-
mationen der Herren Schmidt und Ogienski gar keinen Grund
haben. So AA'ird uns also auch hier das früher aus der rich-
tigen xVuffassung A'on Thukydides eigener Erklärung gCAvonnene
Ergebniss bestätigt, dass er keine Reden ohne histori-
schen Grund und Boden erfunden, sondern bloss
Avirklich gehaltne in freier idealisirter Umarbei-
tung Av i e d e r g e b e n av o 1 1 1 e .
Ich gehe zu dem zAveiten Theile der Untersuchung über,
in welchem geprüft werden muss , ob die einzehien in dem
thukydideischen Geschichtsw^erke enthaltenen Reden nun mit
dem im ersten gewonnenen Resultate übereinstimmen, oder ob
irgend Avelche Gründe da seien, die uns nöthigen, anzuneh-
men, bei der Ausführung sei Thukydides seiner Absicht nicht
überall nachgekommen.
Ehe ich zu der IJetrachtung der einzelnen Reden selber
schreite, muss noch ein EiiiAA^urf berücksichtigt Averden. der Aon
ihrer grossen Zahl und Länge im Vergleich zu der Grösse des
ganzen GeschichtSAverkes hergenommen ist. Meierotto in der
oben angeführten Abhandlung hat sich die Mühe genommen,
herauszuzählen, dass A'on den drei und zAvanzig tausend neun-
hundert Zeilen der acht Geschichtsbücher fünftausend fünf-
Ueber das Historische in den Kedex des Thukydides. 433
hundert auf die Reden fallen. (Nach der Ausgabe des Ste-
phauus.) Derselbe meint, Thukydides habe die Gelegenheit,
Beden halten zu lassen, «gleich als wäre es die Göttin des
Glücks selbst, an den Haaren herbeigezogen«, und bemerkt,
es Averde doch wohl niemandem einfallen , zu glauben , dass
Griechenland unter seinen »Soldaten und Piloten« in so kurzer
Zeit so treffliche Redner gehabt. Dagegen lässt sich nun sehr
kurz erAviedern, dass etliche und vierzig Reden in mehr als
2U Jahren, und zwar in einer Zeit, avo in Athen allein kaum
ein Tag verging, an dem nicht in der Volksversammlung oder
vor Gericht Reden gehalten wurden, Avahrlich nicht viel sind,
dass femer keine Rede des Thukydides so lang ist als die
kürzeste demosthenische , dass endlich kein einziger »Soldat«
oder »Pilot« eine Rede halt, sondern Feldherrn und Admiriile.
Gerade aber die freie Umarbeitung, die Thukydides sich er-
laubte, machte, dass er ja auch Aveiiiger gute Reden den sei-
nigen zu Grunde legen konnte. Ob endlich je die Gelegen-
heit »bei den Haaren« herbeigezogen wird, Averden Avir nachher
sehen.
Um nun die einzehien Reden leichter zu übersehen, Avird
es am zAveckmässigsten sein, sie in verschiedene Klassen einzu-
theilen. Die Gattungen, Avelche spätere griechische Rhetoren
gcAvölinlich unterscheiden , nämlich : symbuleutische und par-
ainetische [X6'(oi aufjLßouXöunxoi und TrafiaivsTixoi'j , gerichtliche
(Xo-jOi ör/.avixoi'i und Prunkreden ^oyoi s-iosixTixoi), Avürden sich
hier nicht wohl aiiAvenden lassen. Denn epideiktische Reden
existiren eigentlich gar keine in dem ganzen Yv^erke, und auch
gerichtliche kommen im strengen Sinne keine vor. Die ein-
zigen, Avelche man hieher rechnen könnte, die der Plataier und
Thebaner , unterscheiden sich so sehr davon , dass wir nicht
um ihretAvillen eine besondere Klasse aufstellen möchten. Da-
gegen drängt sich beim ersten Anblicke schon als eine sehr
natürliche Unterscheidung der thukydidei^ chen Reden , die in
politische und in kriegerische Reden, auf ; die letzteren
im Ganzen, 12, sind lauter unmittelbar Aor Schlachten gehal-
tene Ermahnungen der Feldherrn und Avürden also nach der
oben berührten Klassification zur parainetischen Gattung ge-
hören. Die ersteren hingegen, die grösstentheils , doch nicht
ausschliesslich, dem symbuleutischen Genus angehören, unter-
AMscher, Schriften I. 28
434 Ueber das Historische in den Reden des Thukydides.
scheiden wir am passendsten wieder in verschiedene Unter-
abtheilungen, nach den Personen, von denen . und den Gele-
genheiten, hei denen sie gehalten wurden, iind nach dem
Gegenstande, den sie behandeln.
Zuerst die Staats reden im engeren Sinne des Wortes,
d. h. solche, die von den Rednern in der eigenen Vaterstadt
und in deren Angelegenheiten gehalten werden. Dahin ge-
hören die drei des Perikles im ersten und zweiten Buch , die
des Kleon und Diodotos im dritten Buch, die zwei des Nikias
und die des Alkibiades im sechsten Buch, endlich die des
Hermokrates, des Athenagoras und des syrakusanischen Feld-
herrn im sechsten l)uch, im Ganzen elf.
Zweitens Gesandtschaftsreden oder diplomati-
sche, d. h. solche, welche theils wirklich von Gesandten in
fremden Staaten oder bei Bundesversammlungen gehalten wer-
den, theils durch solche veranlasst sind und sich auf sie be-
ziehen, obwohl die Redner in ihrer Heimath auftraten . wie
z. 1^. Archidamos und Sthenelaidas in Sparta. Ich weiss avoIiI,
dass die Gränze zwischen dieser und der vorigen Klasse sich
nicht genau ziehen lässt; und man z. B. mit einigem Rechte
die des Nikias und Alkibiades in diese Klasse stellen könnte,
allenfalls selbst die erste des Perikles. Ich habe aber alle die
in die erste Klasse gereiht, welche nicht mit wirklichen Ge-
sandtschaftsreden ein unzertrennliches Ganze bilden. In die
zweite Klasse gehören nun die Reden der korkyraiischen und
korinthischen Gesandten in Athen. I, 31 — 43, die 4 Reden vor
der Versammlung der Spartiaten. I, 68 — 86, die der Korinthier
am peloponnesischen Bundestage, I, 120 — 124. die der myti-
lenaiischen Abgeordneten in Olympia, III, 9 — 14, die der lake-
daimonischen Gesandten in Athen, IV, 17 — 20, die des Her-
mokrates in Gela, IV, 59 — 64, des Brasidas in Akanthos.
IV, So — 87 , des Hermokrates und Euphemos in Kamarina.
VI, 78 — 87. Ferner rechne ich noch hierher die des Alki-
biades in Sparta, VI, 89 — 92, im Ganzen vierzehn. Auch das
eigenthümliche Gespräch der athenischen Gesandten mit den
Meliern am Ende des fünften Buches gehört in diese Rubrik.
Eine dritte Abtheilung, die sich aber eng an diese
anschliesst, bildet die Rede der Plataier mit der Gegenrede der
Thebaner, III. 53 — 67, indem sie sich mehr der gerichtlichen
Ukber das Historische in den Reden des Thukydides. 435
Gattung annähert. In engem Zusammenliange damit steht die
schon oben berührte Aufforderung plataiischer Gesandter an
Archidamos , sich des Krieges zu enthalten , nebst der noch
kürzeren Antwort des Königs, II, 71 ff.
Also zuerst von den Staatsreden. Hier treten uns zii-
nächst die des Perikles entgegen. Perikles hat. Avie wir aus
Plutarch Avissen, ziemlich selten gesprochen, indem er nur bei
sehr wichtigen Fällen selber auftrat, sonst aber befreundete
Männer seine Ansichten vertreten Hess. Damit stimmt überein,
dass Thukydides 4 Reden von ihm erwähnt. Avelche alle dxirch
ungeAvöhnliche Umstände veranlasst sind, die zum Iheil ge-
radezu unmöglich machten, einen Anderen statt seiner sprechen
zu lassen, ^'on diesen giebt er eine nur dem Inhalte nach
an II, 13. Perikles sprach in derselben in dem Augenblicke,
als sich das peloponnesische Heer auf dem Isthmos versam-
melte, dem athenischen Volke Muth und Zuversicht zu, be-
sonders dadurch, dass er ihm die reichen Hülfsquellen für den
Krieg schilderte. Gerade wegen dieses Inhaltes konnte diese
Rede mit eben so viel Wirkung bloss in dieser Weise ange-
führt werden, Avährend sie sich wegen der vielen Zahlen Ave-
niger für directes Reproduziren eignete. Die drei anderen
Reden dagegen giebt der Historiker so. dass er den Perikles
direkt redend einführt. Hier lässt sich nun im Allgemeinen
bemerken, dass Thukydides alle drei hören konnte und ohne
Zweifel gehört hat, und dass er auf jeden Fall Mittel genug
besass, ihren Inhalt und Gedankengang sich sorgfältig aufzu-
schreiben, mag nun Avalir sein oder nicht, Avas Aristeides und
dessen Schohasten melden, dass er in enger Freundschaft mit
Perikles stand. Ton nicht sehr grosser Wichtigkeit ist für uns
die Frage, ob die Reden des Perikles schriftlich existirten oder
nicht. Bekanntlich berichtet Plutarch bestimmt, dass er nichts
Geschriebenes hinterlassen habe, mit Ausnahme Aveniger A'on
ihm abgefasster A'olksbeschlüsse. Cicero freilich spricht Aon
geschriebenen Reden ; aber Quintilian erklärt die, Avelche seinen
Namen tnigen, für unecht ^j . Hingegen hat Suidas die Nach-
richt, es habe Perikles zuerst vor Gericht eine geschriebene
Rede gehalten. Diese Angabe lässt sich aber sehr wohl mit
1) ac. de orat. U, 23, 93. Brut. 8, 27. Quintil. III, 1, 12.
2S*
436 Ueber das Historische in den Reden des Thukydides.
jener des Plutarcli vereinigen ; denn es konnte Perikles für
seinen Gebrauch Reden niederschreiben, ohne sie danim zu
veröffentlichen, oder aiich nnr, wenn einmal ihr Z^veck eiTeicht
war, aufzubewahren. Mit einer schriftlichen Ausarbeitung-
■würde sehr gut übereinstimmen die grosse Sorgfalt, mit der
er Alles überdacht haben soll, was er in der Versammlung
sprechen wollte, und die fast ängstliche Genauigkeit, mit der
er seine Ausdrücke wählte. Von Wichtigkeit ist aber, wie
gesagt, für uns dieser Punkt nicht, da Thukydides genug Ge-
legenheit hatte , den Inhalt der Reden kennen zu lernen , sie
mochten geschrieben vorhanden sein, oder nicht. Also konnte
jedenfalls Thukydides Perikles Reden in der Hauptsache, in
dem vom Redner befolgten Gedankengange wiedergeben ; aber
ohne ZAveifel AvoUte er es auch; denn Grund, von dem ihm
bekannten wirklich Gesprochenen abzuweichen, hatte er, wie
Avir oben gesehen haben, hauptsächlich nur da, wo die Redeu
den Umständen nicht besonders angemessen, mit einem Worte,
von geringerem Werthe waren. Perikles aber war nicht nur
der scharfsichtigste Staatsmann seiner Zeit, der mit einem
Adlerblicke die gesammte Politik Griechenlands überschaute,
sondern auch der vorzüglichste Redner, auf dessen Lippen
nach Eupolis die Beredsamkeit thronte . und der nach Aristo-
phanes gleich dem olympischen Zeiis donnerte und blitzte.
Seine Reden müssen daher Trspi tuiv dst -apovTtuv xo. oeovra
durchaus enthalten . und Thukydides mochte seine Gedanken,
um so eher reproduzii^en . als seine ganze Denkweise mit der
des Perikles nahe verwandt war. Daher sind die meisten
Kritiker darüber einig, dass die Reden des Perikles bei Thu-
kydides uns ein ziemlich getreues Bild der Beredsamkeit des
grössten Demagogen geben; und auch Herr Pfau ist in dieser
Beziehung vollkommen mit uns einverstanden. Nur Eines,
meint er. fehle denselben, was Cicero den wirklichen Reden
nachrühmt , der anmuthige Scherz lepor , welcher auf seinen
Lippen geruht. Es mag das sein, doch möchte ich nicht zu
\Aq\ darauf geben. Denn erstens ist wohl Cicero' s Stelle auf
Eiipolis bei Diodor XH, 40. gegründet, der aber nicht einen
dem lepor entsprechenden Ausdruck , sondern TTiit^o) , suada,
hat. Dann Avar aber bekanntlich Perikles ganzer Charakter
sehr ernst und AAÜrdevoll, so dass AA'ir jedenfalls dem lepor
Ueber das Historische in den Reden des Thukydides. 437
keinen sehr grossen Raum geben dürfen. Endlich dürfte auch
•wohl behauptet werden , dass gerade in den drei Fällen , wo
Thukydides ihn sprechend einführt, wenig Gelegenheit zu an-
muthiger Heiterkeit Avar ^] . Indessen will ich darauf keinen
Werth legen inid zugeben , dass die perikleische Anmuth den
Reden bei Thukydides etwas fehle. Wenn dagegen Kutzen
über Perikl. p. 40 behauptet, die ganze interna ratio beweise,
dass Perikles nicht so gesprochen habe , weil das "S'olk ihn
nicht verstanden hätte, so kann ich dies nur theilweise zugeben.
Allerdings hat Thukydides sicherlich seine Reden etwas ge-
drängter wiedergegeben und in so fern etwas schwerer verständ-
lich; aber dass die interna ratio dabei aufgegeben Avorden sei.
folgt daraus doch keineswegs. Der Grund, den Kutzen da-
gegen anführt, verschwindet theils eben durch diese Annahme,
dass Thukydides die wirklichen Reden in eine etwas gedrängtere
Form gebracht. Der Historiker konnte für den Leser manche
Uebergänge u. dergl., welche für den Zuhörer nothwendig
waren, Aveglassen, und doch den Geist des Ganzen beAvahren.
Anderntheils aber möchte ich bemerken, dass wir das attische
Volk nicht etAva nach dem unsrigen beurtheilen dürfen. Dieses
AA-ürde freilich die Reden des Perikles , Avie Avir sie uns nach
Thukydides vorstellen müssen , nicht verstehen ; aber gerade
«ben so Avenig auch die eines Isaios, Demosthenes und anderer
Hedner. Ein Volk dagegen, das fast täglich in Gerichten und
Versammhingen sprechen hörte, verstand sicherlich auf den
ersten Moment manches , Avas uns selbst beim Lesen scliAver
scheint. Das bcAveisen Adele Reden des Demosthenes und in
noch höherem Grade die Gedichte eines Pindaros , Aischylos
') Cic. de orat. III, 3J, 13S: Quid Periclcs? de cuiits dicendi vi sie
acce^nmus , ut cum contra voluntatem Atheniensium loqueretur pro salute
patriae severius, tarnen id ipsum quod ille contra j^opulares homines diceret,
populäre 07n7iibies et iucundum videretnr : cuius in labris veteres C'omici, etiani
cum Uli male dicere^it [quod tum Athenis ßeri Hcebat) leporem habitasse
dixerunt, tantamqtte in eo vim fuisse , ut in eorum tnentibus , qui audissent,
quasi aculeos quosdam relinqueret.
Ganz nach Eupolis bei Diodor XII, 40 :
IletStt) TU i~vm%\.^vi irl xolq, yeiXeoiv.
OUTU)? IxTjXei -Aol [i.6vo; t<öv pTjTopcuv
TÖ y.bi-rjV) b^7.'t.-i).z\.T.t toI; äxpowj^ivoi;.
Beispiele A-on Scherzen des Perikles finden sich bei Plut. Pericl. c. 8.
438 T^EBER DAS Historische in den Reden des Thukydides.
und Sophokles. Wer dem Gedankenfliige aischylischer Chöre
folgen konnte, war sicher auch im Stande, Reden zu verstehen,
die im Ganzen den Gang befolgten , welchen Avir in den drei
des Perikles l)ei Thukydides finden. Es steht also nach all-
gemeinen Gründen fest, dass der Historiker diese drei Reden
nicht willkürlich fingirt, sondern mit enger Anschliessung an
die Wirklichkeit uns darin ein Abbild perikleischer Diktion
gegeben hat.
Die einzelnen Reden enthalten aber auch nichts, was da-
gegen spräche, l^ei der ersten giebt Thukydides mit grosser
Genauigkeit die verschiedenen Umstände, unter denen sie ge-
halten wurde, an, er nennt die drei spartanischen Gesandten,
die nach Athen kamen, um die letzte Aufforderung zum Nach-
geben zu überbringen, mit Namen, er erzählt, dass die Athener
beschlossen, eine definitive Antwort zu geben, dass Redner für
und wider Sparta's Begehren sprachen, bis endlich Perikles
auftrat und die Versammlung bewog, nicht zu willfahren.
Fürwahr eine Mächtigere Veranlassung zum Sprechen konnte
Perikles nicht finden. Die Rede ist dabei sehr klar und ver-
ständlich; sie führt den Gedanken aus, dass jedes Nachgeben
in einer gerechten Sache als Schwäche ausgelegt werde und
so zur Unterjochung führe, dass man daher durch die Furcht
vor dem Kriege sich nicht dazu solle verleiten lassen, um so
weniger, als dieser Krieg den Athenern bei verständiger Füh-
rung mehr Aussicht auf Erfolg biete als den Gegnern ^) . Eine
Einwendung Hesse sich hernehmen aus Diodor XII, 39. 40.,
welcher diese Rede und die von Thukydides II, 13. ihrem
Inhalte nach erwähnte in eine zusammenwirft. Allein Thuky-
dides giebt bei beiden die Veranlassung genau an : hier handelt
es sich um eine Antwort an Sparta, dort aber versammelt sich
nach Thukydides das peloponnesische Heer bereits auf dem
Isthmos , die Frage über Krieg oder Frieden Avar schon ent-
schieden. Was Perikles bei Thuk. II. 13 den Athenern sagt,
bezieht sich meist auf die Massregeln, welche sie beim bevor-
I
'; In die Disposition im Einzelnen einzutreten, ist um so weniger
nöthig, als darüber auf Pfau p. 29 fF. verwiesen werden kann, der nur
darin zu weit geht , dass er die einzelnen Gedanken des Thukydides von
denen des Perikles ausscheiden will, wofür es kein sicheres Kriterium giebt.
Ueber das Historische in den Reden des Thukydides. 439
stehenden Einfalle der Peloponnesier zu ergreifen hatten; zu-
gleich setzt er ihnen ihre reichen Hülfsquellen und A erthei-
digungsmittel auseinander. Da nun Diodor in dem Inhalt der
Reden offenbar dem Thukydides folgte, den er überhaupt hier
als Hauptquelle benutzte, so geht klar hervor, dass ihm in
seiner nachlässigen Weise hier, Avie so oft, begegnet ist. Ver-
schiedenes mit einander zu verwechseln. Selbst aber wenn
man die Abweichung Diodor's auf die Rechnung des Ephoros
bringen wollte, den er XII, 4 1 . nennt, möchte man doch des
Thukydides Darstellung als die richtige ansehen; oder nicht
nur die beiden Reden verbinden, sondern eine ganze Reihe
von Thatsachen geradezu als verkehrt annehmen, Avofür aber
keine Gründe da sind. Es steht also fest, dass Periklcs wirk-
lich zwei Reden gehalten hat.
Ueber die zweite Rede, den sogenannten Xo^o? s-iracpioc
kann ich ganz kurz sein, da dieses Meisterwerk so oft behan-
delt und besprochen worden ist, dass ich mich auf frühere
Untersuchungen, namentlich die Abhandlung von Weber , be-
rufen darf; daraus stellt sich nun das nämliche Resultat her-
aus, das ich für die vorige Rede nachgewiesen habe. Auch
Pfau stimmt damit vollkommen überein. Die aus der Luft
gegriffene Behauptung des Dionysios von Halikarnass, Thuky-
dides habe die Rede ganz und gar erfunden imd Perikles da-
mals überhaupt gar nicht gesprochen, ist bereits zur Genüge
widerlegt und erklärt sich aus der Art, Avie zu seiner Zeit die
Geschichte von Rhetoren seines Schlages behandelt Avurde.
Die dritte Rede endlich, II, 60 — 64, lässt Thukydides
den Perikles halten in einem Momente , avo das ^ olk , durch
die Leiden des Krieges und der Pest fast in YerzAveiflung ge-
bracht, seinen ganzen Unmuth gegen ihn als den venneinten
Urheber des Unglücks richtete. Thukydides erzählt, Perikles
habe das Volk versammelt , und fügt erklärend bei , er sei
Stratege gewiesen. Die Strategen hatten nämlich bekanntlich
das Recht, die Ekklesia zu berufen. Er sagt, die Rede habe
den Erfolg gehabt, dass die Athener sich von ihrem Klein-
muthe erholten und nicht mehr, Avas sie vorher gethan, Unter-
handlungen mit Sparta versuchten , aber doch ihren persön-
lichen Missmuth gegen Perikles nicht aufgaben, bis sie ihn in
eine Geldstrafe verfällt hatten. Eine Rede hat er also ganz
440 T-Ei'EK DAS Historische in den Reden des Thukydides.
gewiss gehalten, womit auch Phitarch c. 35 übereinstimmt.
Aber die Beschaffenheit derselben, wie sie bei Thukydides er-
scheint, hat Dionysios hart angegriffen. Es spricht nämlich
darin Perikles mit hohem Selbstgefühle von sich selber und
trachtet nicht sowohl, das Volk sich zu versöhnen, als viel-
mehr, demselben zu zeigen, dass es im Unrechte sei, dass seine
Staatsverwaltung imtadelhaft und nur auf Athens Grösse und
Wolilfahrt berechnet sei. Das hat dem Khetor nicht gefallen.
Er tadelt dieses Selbstvertrauen als ganz unpassend und meint,
so hätte Perikles durchaus nicht sprechen können ; denn er
sei in einer Lage gewesen, wo es vielmehr unzähliger Thränen
und fielen Jammers bedurft hätte. • Allein wie wir den Perikles
nicht nur aus Thukydides , sondern auch aus andern Quellen
und namentlich aus den Komikern kennen. Avar er nicht der
Mann, sich vor dem A'olke zu erniedrigen, und hätte Thuky-
dides ihn so sprechen lassen, wie Dionysios es wünschte, dann
gerade müsste ihn der YorAvurf treffen, der spätem Historikern
mit Recht gemacht wird, ohne Rücksicht auf die einzelnen
Charaktere und besondern Verhältnisse. Reden als blosse Schau-
stücke einer müssigen Rhetorik eingeflochten zu haben. Ge-
rade der Umstand, dass das Volk in Betreff des politischen
Benehmens sich eines ]iessern besann . aber seinen Unmuth
gegen Perikles nicht aufgab, beweist uns deutlich, dass dieser
mehr darauf bedacht Avar, sein politisches System zu erhalten,
als seine eigene Person zu schützen, und diesen ZAveck hat er
erreicht. Also dürfen wir wohl mit Sicherheit annehmen, dass
auch diese Rede sich nicht nur auf eine Avirklich gehaltene
basirt, sondern auch deren Inhalt in den Hauptzügen Avieder-
giebt.
Nicht ganz so leicht ist das Urtheil über die meisten übri-
gen Staatsreden, Aveil uns die Redner und deren Beredsamkeit
Aveniger bekannt sind; doch kommen Avir Avenigstens bei den
athenischen , imd diese bilden die Mehrzahl , mit ziemlicher
Sicherheit ungefähr zu dem gleichen Resultat.
Die nächsten sind die Rede des Kleon und die Gegen-
rede des ])iüdotos über das Schicksal der Mytilenaier, die
sich an Paches ergeben hatten, HI. 37 — 40 und 42 — 4S. Die
nähern Umstände, welche über deren Veranlassung Thukydides
angiebt. bcAveisen A'ollkommen. dass die beiden genannten
Ueber das Historische in den Reden des Thukydides. 441
Männer damals -wirklich gesprochen haben. lii einer ersten
^'ersammlnng hatten die Athener in der Erbitterung des Angen-
blicks besonders auf Kleons Betrieb beschlossen, sämmtliche
erwachsene Mytilenaier zu tödten, Weib und Kind in Sklaverei
zu bringen. Ein Schiif ging ab, diese Nachricht an Faches
zu bringen. Aber nachdem die Leidenschaft verrauscht war,
ergriff Reue das athenische A'olk. Eine zweite Versammlung kam
am folgenden Tage zusammen, verschiedene Redner traten auf.
Kleon eiferte für die Aufrechterhaltung des Beschlusses, den
er vorzüglich am vorigen Tage durchgesetzt hatte. Ihm trat
Diodotos entgegen, der Sohn des Eukrates, der ebenfalls schon
in der ersten Versammlung für Milde geredet hatte. Seinen
auch von andern Rednej'n unterstützten Anstrengungen gelang
es. die Zurücknahme des grausamen Beschlusses, wenn auch
mit ganz geringer Mehrheit, zu bewirken. Ein Eilschiff brachte
noch eben im rechten Momente die Nachricht davon nach
Mytilene. Offenbar hat sich hier Thukydides wieder streng
an den faktischen Hergang der Sache gehalten; dass Kleon
sprach und in diesem Sinne sprach, ist an und für sich schon
sehr wahrscheinlich. Die Angabe des Scholiasten zu Lucian
(ed. Jacobitz IV, pg. 47 , dass er sich über Nacht von den
in Athen wohnenden Lesbiern um 10 Talente habe bestechen
lassen , für Abänderung des A'olksbeschlusses zu wirken , hat
um so weniger Gewicht, als dieser Scholiast zum Gewährs-
mann den Thukydides anführt, der gerade das Gegentheil sagt.
Auch würde, im Falle Kleon selber für die Aufliebung ge-
sprochen hätte , Thukydides nicht nur eine Rede erfunden,
sondern ein historisches Faktum geradezu verdreht haben.
Ueberhaupt war Kleon. so verAverflich er in vieler Beziehung
erscheint, doch im Ganzen ein consequenter Demagoge und
würde sich schwerlich eine so grosse Blosse gegeben haben,
wie die von dem Scholiasten ihm beigemessene. Endlich sieht
man aber gar nicht ein. wozu in diesem Falle Thukydides von
der historischen Wahrheit hätte abAveichen sollen. Hätte er
die Frage selbst von beiden Seiten beleuchten wollen, so konnte
er die Rede für Aufrechterhaltung des Beschlusses einem an-
dern Redner in den Mund legen , da ja viele sprachen , oder
er konnte auch die ^'erhandlungen des ersten Tages zu diesem
Zwecke benutzen ; wollte er hauptsächlich ein Bild kleonischer
442 Leber das Historische ix den Redex des Thukydides .
Demagogie und Volksberedsamkeit geben, so eignete sich da-
zu ja ganz vortrefflich eine Rede, in der er einen selbst durch-
gesetzten Yolksbeschluss wieder umstürzen half. Die Stellung
des Redners wäre höchst eigenthümlich und ungewöhnlich ge-
wesen. Da nun also auch nicht ein einziger vernünftiger
Grund für die Annahme einer reinen Verkehmng des That-
sächlichen vorhanden ist, so steht fest, dass Kleon gesprochen
hat. Ebenso aber auch die Rede des Diodotos. Denn wie
hätte Thukydides auf den Gedanken kommen können, einem
sonst ganz unbekannten Manne , wie er , eine fingirte Rede
beizulegen ? Wir wissen nicht einmal, wer sein Vater Eukrates
war. Bloomfield meint, es sei darunter der Bruder des Nikias,
der diesen Namen trägt, zu verstehen, und es stimmt wohl
mit Nikias Charakter überein , dass von seiner Partei , zu der
der Neffe gehören mochte, die Vorschläge zur Milde ausgingen.
Uebrigens Hesse sich auch bei Eiikrates an den ziemlich be-
kannten Demagogen und Flachshändler dieses Namens denken.
Was nun die Reden selbst betrifft, so ist zunächst zu be-
merken, dass Thukydides damals noch in Athen lebte, folglich
sie hören konnte ; sodann stimmt der turbulente Charakter der
kleonischen und die darin ausgesprochene rücksichtslose Con-
sequenz zur Erhaltung der Herrschaft ganz überein mit dem,
was Avir sonst von des Demagogen Beredsamkeit wissen , und
ohne ZAveifel Avollte Thukydides ein Bild derselben hinterlassen.
Die vielen paradoxen Behauptungen, die Art, Avie er die Reden
der Gegner verdreht . die Unverschämtheit , mit der er ihnen
vorAvirft, sie seien bloss aufgetreten , um mit ihrer Beredsam-
keit zu glänzen, oder Aveil sie bestochen seien, diess und an-
deres Aehnliches gehört offenbar dem Avahren Kleon an, und
so dürfen Avir mit Bestimmtheit annehmen , dass hier Thuky-
dides sich eng an die W^irklichkeit anschloss. imd diese Rede
eine derjenigen ist. die am allerge treusten Aviedergegeben sind.
Die de.s Diodotos lässt sich Aveniger beurtheilen , da Avir des
Mannes ]5eredsamkeit so Avenig als seine übrigen Verhältnisse
kennen. Es liegt aber die Vermuthung nahe, dass der Ge-
schichtschreiber Alles, Avas für die unglücklichen Mytilenaier
gesprochen AA'urde , diesem einen Redner in den Mund legt,
den er als Repräsentanten dieser Meiniing allein nennt. Aveil
er mit der grössten Entschiedenheit aufgetreten AA-ar.
Ueber das Historische ijv den Reden des Thukydides. 443
Es folgen die Reden des Nikias und Alkibiades gegen
lind für die sicilische Unternehmung und die zweite des Nikias
über die dazu erforderlichen Mittel. Auch hier erzählt Thuky-
dides die Veranlassung mit grosser Umständlichkeit. Die
Athener hatten, auf die früheren Bitten der Egestaier um
Hülfe, eine Gesandtschaft nach Sicilien geschickt. Diese war
mit günstigen Nachrichten zurückgekehrt, mit ihr Abgeordnete
aus Egesta. In einer Volksversammlung beschlossen die Athener,
die nachgesuchte Hülfe zu geAvähren, inid ernannten den Alki-
biades, Nikias und Lamachos zu Eeldherm. Nach fünf Tagen
Miirde eine zweite Versammlung gehalten, um das Nähere über
die Expedition zu bestimmen. Nikias ^i trat in dieser gegen
die ganze Unternehmung auf, die er als viel bedeutender und
gefahrvoller darstellte, als sie den meisten Athenern vorkommen
mochte. Ihm gegenüber erhob sich, auch persönlich durch
ihn angegriffen, Alkibiades für den Krieg. Wie Nikias sieht,
dass die Menge unbedingt die Meinung dieses ihres Lieblinges
theile, nimmt er zum zAveitenmal das Wort und sucht die
Athener von dem Vorhaben dadurch abzuschrecken, dass er
die zu günstigem Erfolge nothwendigen Hülfsmittel als imge-
mein gross angiebt. Allein das Resultat dieser Rede war,
wie einst in einem ähnlichen Falle bei Pheidias, gerade das
entgegengesetzte von dem , welches er wünschte : das Volk
meinte , Avenn es alles aufstelle , was Nikias , der vorsichtige
und ängstliche Heerführer, fordere, dann könne es ihm nicht
fehlschlagen. Nach mehrfachem Hin- und Herreden fordert
ein Bürger ihn auf, zu sagen, was er alles brauche, und da
er antwortet, darüber müsse er sich mit seinen Mitfeldherrn
besprechen, so wird den drei Heerführern unbedingte Voll-
macht für die Aushebung und Ausrüstung von Heer und Flotte
gegeben. Hier sind nun, und zwar bei Verhältnissen, welche
Athens Schicksal entschieden und von Thukydides durch^veg
mit einer besondern Genauigkeit erzählt werden, alle Einzel-
heiten so bestimmt angegeben, dass wieder klar in die Augen
springt, Thukydides konnte gar keinen Personen, die nicht
'; Liest man VI, 8 dxouict; , was aber kaum richtig ist, so wüi*de
Thukydides sagen, dass Nikias der ersten Versammlung nicht beigewohnt,
was an sich wahrscheinlich ist.
444 Ueber das Historische ik dex Reden des Thukydides.
■wirklich gesprochen hatten. Reden in den Mnnd legen, wenn
nicht die ganze Darstellnng allen historischen Werth verlieren
sollte. Die Reden sind so wichtige Thatsachen . greifen so
folgenreich in den Gang des Ganzen ein. dass diess mit ihnen
steht und fällt. Zufällig bestätigen nun Diodor XII. S3 und
Plutarch Ale. 17. 18, Nikias 12, dass die beiden genannten
Männer Mirklich gesprochen, und zugleich ergiebt sich, dass
wenigstens der letztere dabei noch andere Quellen als Thuky-
dides benutzte; denn den Ijürger, welchen dieser nur vmbe-
stimmt mit tu tcLv 'Ai>r,v7.iu>v anführt, bezeichnet er näher als
den Demagogen Demostratos. Allerdings erwähnen Diodor
und Plutarch nicht zwei Reden des Nikias, sie erzählen aber
überhaupt diese Gegebenheiten weit Aveniger genau als Thuky-
dides, und man sieht nicht em, Avaiaim Thukydides zwei Reden
hätte geben sollen, Aveiui Nikias nur einmal gesprochen hätte.
Der Gang der Verhandlungen ist im Gegentheil . wie er ihn
darstellt, vollkommen natürlich und sachgemäss. L'eberdiess
haben wir oben schon an einem Beispiele gesehen, dass Diodor
in dergleichen Dingen eben nicht genau ist. Also auch hier
darf an rein erdichtete Reden nicht gedacht werden. Die
Anlage und Ausführung derselben entspricht durchaiis dem
Charakter der Redner. Thukydides hat sie zwar nicht selber
gehört, aber es war ihm leicht, darüber Nachricht einzuziehen.
Die Aengstlichkeit; mit der Nikias entschuldigt, dass er noch
einmal die ganze Sache in Frage stelle, die Besorglichkeit,
mit der er vor dem Ehrgeize junger Männer . vor den Vor-
spiegelungen der nur für sich interessirten Fremden warnt,
die an Unverschämtheit gi'änzende Keckheit, mit der der ver-
wöhnte Alkibiades von seiner eigenen Person spricht , sind
individuelle Züge, die der Wirklichkeit angehören. Zu ent-
scheiden aber, welche Theile der Reden im Einzelnen den
Rednern angehören. Avelche dem Geschichtschreiber, ist oben
schon im Allgemeinen als unmöglich bezeiclmet worden und
hier um so unthunlicher , als wir über die Beredsamkeit des
Alkibiades und Nikias keine genauen Nachrichten haben. Als
bestimmtes Ergebniss bleibt nur , dass diese drei Reden auch
auf Avirklich historischem Grund und Boden stehen.
Es ist nun noch zu reden von den drei in Syrakus gehal-
tenen Reden des Hermokrates, Athenagoras und eines
Ueber das Historische in den Keden des Thukydides. 445
nicht mit Namen genannten Strategen 1. VI, 33 — -41. Als
die athenische Flotte bereits bei Kerkyra vor Anker lag, glaub-
ten die leichtsinnigen Syracusaner noch immer nicht an die Ge-
fahr. In einer "S'ersammlnng Avurde die Sache besprochen, und
unter andern Kednern, die auftraten, suchte Hermokrates sei-
nen verblendeten Mitbürgern die Augen zu öffnen und sie zu
kräftigen Massregeln zu bewegen. Gegen ihn erhob sich der
Demagoge Athenagoras, welcher behauptete, es sei Alles eine
Lüge, von den Aristokraten ersonnen, um die Volksherrschaft
zu stürzen. Diesem Streite machte einer der Strategen ein
Ende, indem er nach einer kurzen Erklärung, es sei nicht recht,
sich gegenseitig zu verleumden, die Feldherni würden übrigens
für alles Nöthige sorgen, die Versammlung auflöste. Bei der
genauen Kunde, die Thukydides von den sicilischen Verhält-
nissen überall zeigt, ist kein Grund vorhanden, hier seine
Glaubwürdigkeit zu bezweifeln. Die bestimmte Bezeichnung
der beiden Redner, von denen Athenagoras sonst nie genannt
wird, spricht ferner für historische Treue, dass aber der Stratege
nicht mit Namen angeführt ist , kann bei den paar Worten,
die er sagt . nicht auffallen . da es nur darauf ankommt , zu
berichten, dass durch höhere Autorität dem Streite , der ver-
derblich zu werden drohte, ein Ende gemacht wurde. Aeussere
Bestätigung durch die Berichte anderer Schriftsteller fehlt uns
hier freilich; darin kann man aber keinen Grund finden, die
Reden für erfunden zu erklären ; denn es kommt nirgend auch
nur das geringste vor, was gegen die Wahrscheinlichkeit spräche,
dass damals die genannten Redner vor dem Volke aufgetreten
seien. Es würde aber die Geschichtsforschung eine wunder-
liche Wendung nehmen, wenn man an dem zweifeln wollte,
was nur bei einem Schriftsteller vorkommt, wenn auch keine
inneren Gründe für die Un Wahrscheinlichkeit vorhanden sind.
Da nun also auch gar kein x\rgument gegen die Erzählung des
Thukydides angeführt werden kann, so folgt daraus, dass auch
diese drei Reden ihre historische Basis haben. In der Aus-
führung mag dagegen Thukydides hier freier verfahren sein,
als bei den athenischen Reden, da es schwerer war, genaue
Kunde über das Gesprochene zu erhalten. Von der Bered-
samkeit der beiden Männer wissen wir zu wenig , um weitere
Vermuthungen mit einiger Sicherheit aufzustellen . Bekanntlich
446 Ueber das Historische ix den Reden des Thukydides.
aber war Syrakus ein Hauptsitz der Redekunst, und also liegen
selbst kunstreiche Reden in der dortigen A'ersammlung voll-
kommen im Bereiche der Möglichkeit ; der ausgezeichnete Staats-
mann Hermokrates aber, den Thukydides mehnnals sprechen
lässt , war sehr wahrscheinlich auch als Redner nicht unbe-
deutend. Jedenfalls hat Thukydides diese Reden benutzt, um
eine Schilderung zu geben von dem damaligen innern Zustande
von Syrakus.
Alle politischen Reden stimmen also mit dem oben ge-
wonnenen Resultate überein; sie begründen sich auf wirklich
gehaltene, von denen sie nach äussern und innern Gründen
in der Ausführung mehr oder weniger abweichen.
Die Gesandtschaftsreden sind noch zahlreicher. Was
ich darunter verstehe, habe ich oben gesagt. Hier müssen
gleich von Anfang einige allgemeine Einwendungen besprochen
werden. Zuerst sagt Thukydides mehrmals, ohne die Gesand-
ten mit Namen zu nennen . bloss : »die Gesandten« oder )'die
Korinthier. die Kerkyraier u. s. f. sprachen«. Man hat daraus
Zweifel abgeleitet und behauptet, wenn die Reden sich auf
Thatsachen gründeten, so würden die Männer genannt sein,
überdiess spreche es auch danim gegen die Wirklichkeit der
Reden, weil ja nur einer, nicht mehrere haben sprechen
können. Dagegen ist zu bemerken, dass auf die Persönlichkeit
der Gesandten wenig ankam, sie sprechen nicht als Individuen,
sondern als Repräsentanten ihres Staates, und daioim ist ganz
passend , dass sie eben meist mit dessen Namen bezeichnet
werden. Gerade so heisst es heutzutage auf der eidgenössischen
Tagsatzung z. B.. der Gesandte von Bern bemerkt u. s. w.,
ohne den Namen des Gesandten. Dazu kommt, dass Thuky-
dides sehr oft Namen übergeht, wo sie nicht von besonderer
Wichtigkeit sind, wie wir vorher bei Demostratos gesehen haben.
Des Plural bedient sich aber Thukydides. um die Gesandtschaft
dadurch als ein Ganzes zu bezeichnen, wie man auf äluiliche
Weise jetzt bei Bundesversammlungen »die Gesandtschaft« spre-
chen lässt. Ohne Zweifel sprachen in solchen Fällen oft meh-
rere Abgeordnete nach emander; ihre Reden fasst dann der
Historiker in eine zusammen, die allerdings gerade darum schon
mehr idealisirt sein mussten als die bisher behandelten, beson-
ders die des Perikles. Ich will nun nicht alle der Reihe nach
Ueber das Historische in den Reden des Thukydides. 447
durchgehen, sondern nur die bedeutendsten, die des ersten
Buches, -welche Hr. Pfau speciell angegriffen hat. Da diese
allgemeiner gehalten sind als die meisten andern, so werden
alle feststehen, sobald wir für diese ihre historische Wahrheit
in dem oben modifizirten Sinne nachgeM-iesen haben.
Hr. Pfau wirft zuerst als Gnind des Misstrauens auf, dass
Thukydides selber sage, er habe beim Anfange des peloponne-
sischen Krieges angefangen . denselben genau zu beobachten
und Material für sein Werk zu sammeln, der Anfang des
Krieges falle mit der Ueberrumplung Plataias durch die The-
baner zusammen. Das ist richtig, aber nicht, was Hr. Pfau
daraus zu schliessen scheint, dass Th\ikydides nicht schon vor-
her die Ereignisse beobachtete. Ohne Zweifel hat ein Mann
von seinem politischen Sinne das gethan . auch ehe er den
Plan fasste. Geschichtschreiber zu werden . imd die Rede der
Kerkyraier und Korinthier in Athen hat er höchst wahrschein-
lich selber gehört. Selbst aber zugegeben, das Aväre nicht der
Fall, so musste es doch nach einigen Jahren noch sehr leicht
sein, Nachrichten, und zwar sehr genaue, zu erhalten über die
wichtigen Unterhandlungen, die dem Kriege vorangehen. Ich
möchte fragen, ob es für uns schwer wäre, aus dem Munde
von Ohrenzeugen zu erfahren, was seit dem Jahre dreissig in
den verschiedenen Versammhnigen der Schweiz von den Haupt-
führem der Parteien gesprochen worden ist. Und in jener
Zeit, wo noch verhältnissmässig so Avenig geschrieben wurde,
sollte das nicht möglich gewesen sein! Diese Einwendungen
fallen also in sich selbst zusammen.
Wir gehen nun zu den ersten zwei Reden , denen der
Kerkyraier u n d K o r i n t h i e r . über. In Krieg mit Korinth
verwickelt, wenden sich im Jahre 4 32 a. Ch.. Ol. S6, 4^,
die Kerkyraier um Bundesgenossenschaft nach Athen. Die
Korinthier, davon untemchtet , schicken gleichfalls Gesandte,
und beide reden vor dem Volke ; die Athener schwanken zu-
erst, in einer zweiten "N'ersammlung aber entscheiden sie sich
zu Gunsten der Kerkyraier. Gegen diese Reden I, 32 — 42,
sowie gegen ähnliche Antilogien. wendet Hr. Pfau ein, es sei
doch wunderbar miramur , wie Gesandte aus verschiedenen
1) Man vergl. Krüger historisch-philol. Studien p. 2 IS ff.
448 Ueber das Historische ix den Reden des Thukydides.
Orten an einem Tage, zu einer Stunde und in einer Ver-
sammlung hätten zusammentreffen können, und wie die Heden
mit einander so genau correspondirten. Es ist aber doch nichts
Wunderbares , wenn die Korinthier erfuhren zuüotxsvoi. . dass
die Kerkyraier in Athen Hülfe suchten, und eben so wenig,
dass sie dann auch ihrerseits Gesandte schickten, um die ge-
fährliche Verbindung Kerkyra's mit Athen zu hintertreiben;
dass man sie aber in ein und derselben Versammlung auftreten
liess, das versteht sich von selber, und wunderbar bleibt höch-
stens, dass man sich über so etwas Avundern kann. Es konnte
das um so eher geschehen, als von den drei regelmässigen
Versammlungen jeder Prytanie die dritte für die Verhandlungen
mit auswärtigen Staaten, also namentlich für das Auftreten
fremder Gesandten, bestimmt war'?, und warum sollten das
die Kormthier und Kerkyraier nicht gewusst haben l dass die
Reden aber mit einander correspondiren, ist nicht bloss erklär-
lich, sondern absolut nothwendig. Denn da die koiinthischen
Gesandten gekommen Avaren , um die Absicht der Kerkyraier
zu vereiteln, so mussten sie natürlich deren Gründe widerlegen,
wovon die Folge war. dass die Reden genau correspondirten.
Dazu war aber gar nicht nöthig, dass die Korinthier die Rede
der Kerkyraier schon vorher studirten. Haben wir doch täg-
lich Gelegenheit, Reden zu hören oder zw lesen, welche sich
Stück für Stück auf einander beziehen, ohne darum vorher
ausgearbeitet zu sein. Die Art. wie im Einzelnen sich die
Sätze entsprechen, ist dann allerdings des Thukydides Werk ;
aber das beweist nichts für Herrn Pfau s Behauptung. Dieser
führt nun ferner als einen sehr gewichtigen Grund an, dass
Cicero im Krutus c. 13. 50 sagt: »quis em?7i aut A7'givum ora-
torem aut Corinthium aut Tliehanum seit fuisse Ulis temporibus<^ .
Das ist denn aber doch gar zu leicht, um etwas daraus zu
folgern. Die Korinthier konnten recht vernünftige und schla-
gende Gründe für ihre Sache aufführen iind diese auf eine
recht angemessene Weise vortragen, ohne dass dennoch ihre
Rede als Kunstwerk irgend in Betracht kam. Die inneren
Gründe, die Hr. Pfau noch anführt, sind wo möglich noch
schwächer als die äussern. Er hält es für unmöglich, dass
*) Schömann antiqu. p. 219, coli. 234.
Ueber das Historische in l>en Keden des Thukyuides. 449
die Kerkyraier Avirklich damals schon von dem bevorstehenden
Ausbruche eines Krieges zwischen Athen und Sparta gespro-
chen haben sollen» das müsse erst Thukydides , als der Krieg
wirklich schon ausgebrochen war, ihnen untergelegt haben.
Diese Behauptung ist rein unbegreiflich, wenn man einen Blick
auf die Geschichte Griechenlands seit den Perserkriegen wirft;
Avenn man erwägt, dass der dreissigj ährige Friede im Grunde
nur den höchst schwankenden Status quo sanktionirte , und
keine der Fragen, um die man sich schon so oft blutig ge-
schlagen hatte, entschied; dass endlich bei Anlass des sami-
schen Krieges wenig daran fehlte, dass der peloponnesische
[>und Partei für die abtrünnige Pisel ergriffen hätte , und so
der allgemeine Krieg schon neun Jahre früher ausgebrochen
Aväre. als es wirklich geschah. Sollten die schlauen Kerkyraier
von dem allen nichts gemerkt haben? Die ZAveite Einwendung
ist nicht besser: die Kerkyraier legen ein besonderes Gewicht
darauf, dass ihre Insel trefflich gelegen sei für die Ueberfahrt
nach Italien und Sicilien. Das, meint Hr. Pfau, hätte ihnen
gewiss nicht in Sinn kommen können, den Athenern zu sagen,
und noch weniger genützt; denn wenn auch die Athener wirk-
lich bereits an die Erobening der Insel gedacht, so habe doch
Perikles diesen Gedanken unterdrückt; es habe den Gorgias
ausserordentliche Anstrengung gekostet, die Athener Ol. SS, 2
zur Hülfeleistung für die Leontiner zu bewegen. Diess beides
ist an und für sich wahr, aber beweist noch lange nicht, dass
darum den Athenern auch unter Perikles Leitung der Besitz
dieses trefflichen Verbindungspunktes mit Italien und Sicilien
nicht sehr wichtig und erwünscht sein musste; denn wie die
Gesandten richtig bemerken, konnte von Kerkyra aus beson-
ders die Verbindung der Peloponnesier mit den sicilischen und
italischen Griechen, welche meist peloponnesischen Ursprungs
waren, gehemmt werden. Die Politik des Perikles, so sehr
sie auch einen Krieg in jenen Gegenden, besonders seit ein-
mal der peloponnesische ausgebrochen war, vermied, brauchte
es darum gar nicht von der Hand zu weisen, auf anderm Wege
Athens Einfluss in jenen Gegenden zu begründen. Die An-
lage von Thurioi giebt den ersten Beweis dafür. Zufällig aber
wissen wir, dass die Athener noch weiter gingen; denn es
existirt noch eine Inschrift unter den Monumenten der Elgini-
Vi Seher, Scliriften I. 29
450 Ueber das Historische ix den Reden des Thukydides.
sehen Sammlung, welehe einen im Jahre 433. Ol. 86, 4, unter
Archon Apseudes zwischen Athen und Rhegion abgeschlosse-
nen Vertrag enthält' , also fast zu derselben Zeit, avo die
Kerkyraier Athens Bündniss suchten. Das beweist denn zur
Evidenz, dass die alten Politiker so blind nicht waren, als
Hr. Pfau möchte glauben machen. — Was soll man endlich
dazu sagen, wenn Hr. Pfau aus dem Umstände, dass zur Zeit
der sicilischen Expedition nach Plutarch die meisten Athener
keinen Begriff von der Grösse und Lage Siciliens hatten,
schliesst: pleroaque Athenienses ante bellum peloponnesiacum
ignorasse niim forte existeret insula quaedam Süilia nee 7ie!
Er scheint ganz vergessen zu haben , dass athenische und
spartanische Boten zur Zeit des Perserkrieges von Gelon Hülfe
verlangten; ganz vergessen zu haben den lebhaften A'erkehr
zwischen den griechischen Dichtem und den Höfen von Syra-
kus und Agrigent. imd der herrlichen Schilderung des Aetna-
ausbruchs bei Pindaros und Aischylos, um von vielem Andern
gar nicht zu sprechen. Es ist das ungefähr, als wollte man
behaupten, die Franzosen wissen nicht, dass es ein Land Polen
gebe , weil die meisten unter ihnen in eben so grosser Ver-
legenheit sein würden, darüber nähere Auskunft zu geben, als
die Athener über Sicilien. Das sind nun die Gründe, welche
beweisen sollen, die beiden Reden seien rein erdichtet. So
lange nichts Besseres beigebracht wird, müssen wir auch hier
annehmen, dass es sich gerade umgekehrt verhalte. Denn
dass Gesandte von Kerkyra und von Korinth nach Athen ge-
kommen sind, steht fest, ebenso, dass sie redeten. Ausser
Thukydides berichtet es zum Ueberfluss axich noch Diodor,
XH, 33; also ist die Rede nicht rein erfunden. Die beider-
seits angeführten Gründe sind der Art, dass sie nicht nur vor-
gebracht werden konnten, sondern auch vorgebracht werden
mussten. sobald die Gesandten ihre Sache ordentlich vertraten.
Ohne ZAveifel hatte darum auch im Inhalte Thukydides keine
Ursache . viel von dem Gesprochenen . das ihm bekannt war,
abz\igehen. dagegen ist die Disposition der Rede von Thuky-
dides entworfen und das Einzelne von ihm ausgeführt. Das
schliesse ich besonders daraus, dass er von 2 Versammlimgen
1) Schoell Gesch. der griech. Litt, in der deutsch. Uebersetzung I, p. 1G3
nach Visconti catalogrue raisonne Nr. 39.
Ueber das Historische ix den Reden des Thukydides. 451
erzählt, aber nur einmal die Gesandten reden lässt . indem er
alles zusammenfasst. "was sie beidemal sagten und sagen konnten.
Ganz dieselbe Bewandtniss hat es mit den Reden der K o -
rinthier. Athener, des Archidamos imd des Sthenelai-
das in Sparta. I, 6S — S6. Nachdem die Korinthier durch die
Streitigkeiten über Kerkyra und Potidaia aufs höchste gegen
Athen erbittert waren, riefen sie die Bundesgenossen nach
Sparta, damit erklärt werde, die Athener hätten den Frieden
gebrochen und man müsse sie bekriegen. Die Spartaner hiel-
ten nun ihre gewöhnliche eigene Versammlung, zu der sie
auch die Gesandten der Bundesgenossen einluden TTpocrapa-
y.aA£3(xvTs;] . Dort nahmen nun nach verschiedenen Andern,
deren Reden nicht ausgeführt werden, die Korinthier das Wort
und suchten auf jede U eise zum Kampfe aufzureizen , indem
sie mit Heftigkeit das träge und gleichgültige Benehmen des
Bundesvorortes Sparta tadelten. Ihnen gegenüber erbaten sich
athenische Gesandte, die zufälliger Weise in andern Geschäf-
ten in Sparta waren, die Erlaubniss, zu reden, und rechtfer-
tigten Athens Verfahren, indem sie zugleich auf die Wechsel-
fälle eines Krieges hinwiesen. Darauf Hessen die Lakedaimo-
nier alle Fremden abtreten und berathschlagten unter sich.
Während die meisten für den Krieg sprachen, widersetzte sich
der besonnene König Archidamos, dessen Rede Thukydides
ausführlich giebt. Zuletzt aber trat der Ephore Sthenelaidas
auf und liess, nach einer kurzen Ennahnung zum Kriege, ab-
.stimmen. Da bei der gewöhnlich üblichen Weise der Abstim-
mvmg durch Geschrei er angeblich nicht unterscheiden konnte,
wo das Mehr sei. gebot er beiden Theilen, auseinander zu
treten, und da ergab sich eine grosse Mehrheit für die Mei-
nung, der Friede sei gebrochen. Diesen l^eschluss theilten die
Lakedaimonier den Boten der Bundesgenossen mit und eröff-
neten ihnen zugleich ihre x\bsicht, in einer Versammlung
sämmtlicher Bimdesglieder darüber abstimmen zu lassen, ob
der Krieg erklärt werden solle oder nicht. Darauf reisten die
verschiedenen Gesandtschaften nach Hause ; auch die Athener
kehrten bald zurück, nachdem sie das Geschäft, wegen dessen
sie in Sparta gewesen waren, beendigt hatten. Nach einiger
Zeit kamen nun aber wieder die sämmtlichen Biuidesgesandten
zu einer Tagsatzung in Sparta zusammen, und jetzt sprachen
29*
452 Uebeh ])a.s Historische ix den Reden des Thuk'ydides.
bereits die meisten für den Krieg, am leidenschaftlichsten die
Korinthier, welche Thukydides redend einführt. Nachdem alle
ihre Meinnng ausgesprochen hatten, Hessen die Lakedaimonier
als Bundesvorstand abstimmen, mid die Mehrheit entschied für
den Krieg. Diese Erzählung ist für den unbefangenen Leser
so klar, dass, was er auch von den Keden denken mag. er
doch an dem ganzen Hergange keinen Augenblick zweifeln
kann. Herr Pfau hat indessen auch hier in den äussern Um-
ständen eine Menge von Schwierigkeiten entdeckt, die jedoch
meist auf Missverständniss beiiihen oder doch eben so leicht
zu heben sind, als die oben behandelten Einwendungen gegen
die Eeden der Kerkyraier und Korinthier. Er behauptet näm-
lich zuerst, Ihukydides habe, eben weil das Ganze seine Er-
findung sei. bei der ersten Anwesenheit der Gesandten in
Sparta die Bundesversammlung, die beiden Ekklesien, die
grosse und die sogenannte kleine, und endlich die Gerusia
bunt durcheinander geworfen. Freilich, wenn das wahr wäre,
hätte Thukydides nicht nur willkürlich Reden ersonnen, son-
dern die Wahrheit arg verletzt und sich dabei der gröbsten
Nachlässigkeit schuldig gemacht. Ohne ZAveifel hätte er aber
gerade bei Erfindungen solche handgreifliche ^'erstösse ver-
mieden. Allein die ganze "Serwirnnig existirt nur bei Hrn. Pfa\i.
Sehr genau unterscheidet Ihukydides die Bundesversammhnig
von der spartanischen Ekklesie. Bei der ersten Zusammen-
kimft nämlich traten die Gesandten vor der spartanischen Be-
hörde auf, und es ist unbegreiflich, wie Herr Pfau aus
Thukydides Worten c. b7 . -apsxaXo'jv touc l'jiiii'xyouc, xnid
-po:z7.pay.7.Äi3avT£c rwv ;uu.u.ay(üv xai £i Tic Ti äkho sot^ r^riiy.r^-j\)'j.<.
Uko Ai}r,vc(iüjv ;oäXoyov aciwv a'J7U)v -oir^-avTs; 7ov £i(ui>o~a Äi-siv
£-/£XiUov schliesst: itorationem der Korinthier; ad sociorum con-
cionem hahitum legimus.a^ Davon hätte ihn schon der Umstand
abhalten sollen, dass in diesen Reden die Anrede (o Aaxcoat-
aovioi lautet, während es c. 120 in der zweiten Rede der Ko-
rinthier heisst CO avop£; cojxixa/^oi, ein Beweis, dass Thukydides
sehr wohl unterschied. Die ganze Sache verhält sich aber
ganz einfach folgendermassen. Zuerst kamen von Korinth ein-
geladen Boten der Bundesgenossen nach Sparta, um überhaupt
die politischen Verhältnisse und die Stellung zu Athen zu be-
sprechen. Ohne Zweifel hatten sie hier auch ihre besondere
I
Ueber das Historische ix den Reden des Thukydides. 453
"N'ersammhing ; doch sagt Thiikydides nichts davon . weil doch
nichts in derselben beschlossen -wnrde. Dagegen lässt er sie
in der spartanischen Versammlung auftreten. Es kam nämlich
vor Allem darauf an. dass das Bundeshaupt selber sich aiis-
spreche. da die Stimmen der schwächern Ijundesgenossen
sich in der Regel darnach zu richten pflegten. Die Spartaner
aber lassen die Bundesgenossen selbst vor ihrer competenten
Behörde sprechen, damit diese die Stimm\ing derselben genau
kennen lerne. Dass die zufällig in Sparta anwesende atheni-
sche Gesandtschaft die Erlaubniss zu reden begehrt, ist sehr
natürlich. Die Einwürfe, die Herr Pfau dagegen macht, sie
hätten nicht eher wissen können, was die Korinthier ge-
sprochen, als nachdem die Bundesgenossen entlassen Avaren,
fällt in sich selbst zusammen; denn sie wohnten begreiflich
der Versammlung von Anf;\ng an bei. da sie erfahren hatten.
es werde über die Frage gehandelt werden , ob Athen den
Frieden gebrochen habe. Nachdem nun die Fremden geendet,
Hess man sie abtreten, und es begann die Verhandlung der
Sjiartaner unter sich, und sie. ohne die Bundesgenossen, spra-
chen sich aus. der Friede sei gebrochen. HeiT Pfau meint
auch hier wieder, es sei höchst unpassend, dass die Spartaner
nun beschlossen haben sollten, der Friede sei gebrochen, das
hätten sie schon vorher gewusst. Das ist zum wenigsten eine
unbesonnene Aeusserung; denn dämm handelt es sich eben,
ob durch die Feindseligkeiten gegen einige ]jundesglieder auch
der Friede mit dem Bunde gebrochen sei; der Ausspriich, es
sei diess der Fall, enthielt aber zugleich die Kriegserklärung,
so weit diese von Sparta selbst abhing, er enthielt eine Mani-
festation seiner Gesinnung und lässt sich den Resolutionen
englischer ^Versammlungen vergleichen. — Immerhin Avar das
aber nur noch der Ausspruch emes einzigen . wenn auch des
mächtigsten, Bundesgenossen, gleichsam die Instruction, die es
seiner Gesandtschaft gab. Ein Bundesbeschluss ward noch gar
nicht gefasst; wahrscheinlich, weil die Gesandten nicht bevoll-
mächtigt waren, über Krieg und Frieden zu entscheiden. Da-
rüber Instruktionen zu holen , schickt Sparta sie noch einmal
nach Hause, und bei ihrer zweiten Zusammenkunft erst wird
in der Bundesversammlung, avo die Korinthier ihre ZAveite Rede
halten, von Seite des Bundes der Krieg beschlossen.
454 Ueber das HisTORiscirc in den Reden des Thukydides.
Aber die grosse und kleine Ekklesia und die Gerusia sind
nicht geschieden ? Zuerst die Gerusia , meint Herr Pfau , sei
desshalb mit jener verwechselt, weil sie über jeden Gegen-
stand, der vor die Ekklesia kam, zuerst ein Probuleuma geben
musste. Davon sage Thukydides nichts, also Averfe er die
Thätigkeit beider Behörden unter einander. War es denn aber
nothwendig, den ganzen Geschäftsgang in extenso herzuerzählen ?
Auch in Athen sollte die Gemeinde nichts ohne Probuleuma
des Raths beschliessen , und doch erwähnt Thukydides nicht
ein einzigesmal des Raths und seines Vorschlages. In dem
vorliegenden Falle konnte nun die Genisia ihren Vorschlag
schon vor den Reden der Gesandten bereit haben, diese aber
noch auftreten lassen, um die Ekklesia möglichst selber ur-
theilen zu lassen und die "S'erantAvortlichkeit in dieser wich-
tigen Sache ihr zu überlassen. Wir haben nicht einmal nö-
thig, anzunehmen , was Andere gethan haben , es seien die
Ephoren und der Rath uneinig gewesen, und desshalb sei kein
Probuleuma eingegeben Avorden, wiewohl es auch möglich
ist. Den Unterschied endlich zwischen der kleinen und
grossen Ekklesia hierher zu ziehen, ist ganz unpassend. Wir
erfahren von der kleinen Ekklesia erst bei Xenophon, längere
Zeit nach dem peloponnesischen Kriege, etwas und kennen
sie im Grunde gar nicht. Sie scheint beim Ausbruche dieses
Krieges noch gar nicht existirt zu haben. Es kann uns über-
diess für die Frage über das A'erhältniss der Reden ganz gleich-
gültig sein, welche Versammlung hier zu verstehen sei. Thu-
kydides bezeichnet sie kurz und bündig als tov siojÖora «uä/.oyov,
d. h. die in Sparta für solche Fälle übliche Versammlung oder
die competente Behörde, und das genügt. Daher trete ich
über diesen Gegenstand nicht näher ein, zumal da er von
Schömann in der : »dissertatio de ecclesiis Lacedsemoniorum«
genügend erörtert ist. Fast spasshaft ist endlich, wenn Herr
Pfau darum des Thukydides Darstellung für unhistorisch hält,
weil es unmöglich wäre, über eine Frage, wie die vorliegende.
durch Geschrei abzustimmen. Er scheint nämlich zu meinen,
nach Thukydides Darstellung hätten alle mit emander ge-
schrieen, und da hätte man ja nicht unterscheiden können,
ob mehr für Krieg oder Frieden schrieen. Das wäre nun
freilich wahr ; aber wir trauen den Lakedaimoniern so viel ge-
Ueber das Historische ix den Reden des Thukydides. 455
siinde Vernunft zu, dass sie eine Meinung nach der anderen
zur Abstimmung brachten, wofür auch die Analogie ihrer
Gerontenwahlen spricht. Zuerst also schrieen die, welche für
einen Vorschlag, etwa hier für die Meinung, der Friede sei
gebrochen, waren, dann die, welche entgegengesetzter Meinung
waren, und da Hess sich die Mehrheit, so bald sie irgend ent-
schieden war, recht wohl unterscheiden. Um sich davon zu
überzeugen, braucht man nur an die Landsgemeinden einiger
schAveizerischer Cantone zu gehen, wo das Handautheben mit
lautem Jubel begleitet Mird, und man auch mit geschlossenen
Augen eine bedeutende Mehrheit vollkommen sicher unter-
scheidet. Nur bei ungefähr gleicher Stärke beider Tlieile ge-
nügt dies Unterscheidungsmittel nicht mehr, iind darum liess
Sthenelaidas die Parteien auseinander treten, avo dann manche,
die vorher im Haufen für den Frieden geschrieen hatten, aus
Scham sich auf die Seite des Krieges stellten. Endlich führt
Herr Pfau noch gegen Thukydides an, dass Diodor nur eine
Versammlung zu nennen scheine, und dass bei Plutarch die
Gesandten nicht in derselben Ordnung aufgeführt seien, Avie
bei Thukydides. Wie Avenig darauf ankommt, sieht aber
Jedermann ein. Eben so sonderbar ist, Avenn er sagt, nach
Plutarch hätten die Korinthier die Athener hart beschuldigt,
bei Thukydides dagegen lobten sie dieselben. Das Lob, das
sie ihnen spenden, gilt ja aber nur ihrer Thätigkeit und ihrem
rastlosen Untemehmungsgeiste im Gegensatz zu Sparta's Träg-
heit und soll dazu dienen, sie als recht gefährliche Feinde
darzustellen.
Also ist die ganze Erzählung des Thukydides in bester
Ordnung, und die Reden gründen sich auch hier auf Avirklich
gehaltene. In der Ausführung aber hat er sich sicherlich hier
mehr Freiheit genommen als in den bisher behandelten. Das
schliesse ich einmal daraus, dass es schAvieriger für ihn Avar,
den Inhalt genau zu erfahren ; dann aus ihrer ganzen Beschaf-
fenheit, indem die der Korinthier und Athener eine scharfe
Zeichnung der beiden Hauptstaaten Griechenlands und ihrer
politischen Stellung enthalten, und die des Archidamos für
einen Spartaner fast zu lang scheint. Hingegen tragen die
paar Worte, die Sthenelai.das spricht (eine eigentliche Rede ist
es nicht) durchaus den Charakter historischer Wirklichkeit und
456 Ueber das Historisch?: ix den Reden des Thukydides.
■weichen daher höchstens in der Form etwas von dem wirklich
Gesprochenen ab.
Da es so gelungen ist. die Angriffe gegen die historische
Basis dieser Reden als \nibegründet abzuweisen, so begnüge
ich mich, zu bemerken, dass bei den übrigen dieser Classe
es grossentheils eben so leicht oder noch leichter ist. zu be-
weisen, dass sie nicht aixs der Luft gegriffen sind. Und zwar
vindizire ich die historische IJasis auch dem Gespräche der
athenischen Abgeordneten mit den Meliern. indem die ge-
naue Angabe . wo diess Gespräch statt hatte , deutlich dafür
spricht. Und bedenkt man den damaligen Standpunkt der
sophistischen Rhetorik, so wird man sich eben so -wenig über
die Form des Dialogs als über die nackt ausgesprochenen
Grundsätze des Rechtes des Stärkeren wundem. Es ergiebt
sich also, dass auch die Gesandtschaftsreden von Thukydides
nur da eingeführt werden, -wo wirklich solche gehalten worden
sind, dass er sie aber freier behandelt hat als die der ersten
Abtheilung, besonders wo nicht ein einzelner namhafter Mann,
sondern Gesandte in der Mehrzahl sprechend eingeführt werden.
Ganz dasselbe gilt nun von der Vertheidigungsrede der
Plataier und der Gegenrede der Thebaner 1. III. 53 — 67.
Abgesehen von der inneren Wahrscheinliclikeit. dass die Pla-
taier sich nach der Uebergabe zu rechtfertigen und das Mit-
leid der Spartiaten zu erregen suchten, beweist der Umstand,
dass Thukydides zwei Plataier, Astymachos. den Sohn des
Asopolaos, und Lakon, den Sohn des Aeimnestos. mit Namen
als Redner anführt, die geschichtliche Giamdlage. Ebenso
sprechen dafür andere angeführte Einzelheiten, namentlich dass
die Thebaner sich dem Gesuche der Plataier, sprechen zu dür-
fen, M-idersetzten. Zugleich liegt aber auch in der Zweizahl
der Redner und darui. dass nachher es nur heisst: »die The-
baner sprachen« angedeutet, dass Thukydides wie bei den Ge-
sandtschaftsreden frei zu Werke ging, was seine Bestätigmig
in der ausgezeichneten Vortrefflichkeit dieser von jeher viel
bewunderten Reden findet.
Die zweite Hauptclasse der Reden , die K r i e g s r e d e n .
können wir sehr kurz behandeln. Dass im Allgemeinen vor
den Schlachten die Feldhemi zu reden pflegten, braucht nicht
nachgewiesen zu werden, es liegt das in der Natur der Sache
UeBER das HiSTOPaSCHE IN DEN ReDEN DES ThUKYDIDES. 457
besonders bei Heeren kleiner Republiken, wo der einzelne
Krieger eine viel grössere Bedeutung hatte als bei stehenden
Truppen grosser Reiche, und wo fast nur durch moralische
Mittel gewirkt werden konnte. Es ist daher vorauszusetzen,
dass selbst, avo Thukydides keine Reden giebt, doch solche
gehalten worden waren : und in der That bemerkt er auch
einigemal bloss, die Feldherni hätten ihre Leute ermahnt.
Besonders zu beachten ist in dieser Hinsicht die Erzählung
der Schlacht bei Mantineia, avo sogar der Inhalt der Reden
kurz angedeutet ist. Es Aväre also höchst verkehrt, Avenn man
annehmen AvoUte . in der Regel sei ZAvar von den Feldherrn
gesprochen Avorden . nur gerade in den Fällen nicht . avo sich
Reden in Thukydides finden. Vielmehr hat er nur eben die-
jenigen Fälle ausgeAvählt. avo die Lage der Dinge besonders
interessanten Stoff darbot, also die Avichtigsten oder in sonst
einer Beziehimg merkAvürdigen Kämpfe. Darum führt er eine
Rede des Archidamos an bei dem ersten Einfall, gleichsam die
Parodos zu dem blutigen Drama , das sich entfaltet ; darum
redet Phormion, der grösste Admiral der Athener, zu jener
Zeit . AVO er im l^egriffe steht . mit zAvanzig Schiffen fünfund-
siebenzig feindlichen ein Treffen zu liefern; darum ermuntert
mit Avenigen Worten Demosthenes seine Leute, nachdem er
Pylos besetzt hat inid von den Lakedaimoniern mit Aveit über-
legenen Streitkräften zu Land und See angegriffen Avird; da-
rvim spricht Brasidas mehreremal und am meisten Nikias in
dem verhängnissvollen Kampfe vor Syrakus. Dass aber Thu-
kydides sich dabei auf Thatsachen stützte. beAveist besonders.
Avas er von Hippokrates IV. 95 sagt. Dieser ermahnt dort
A'or der Schlacht bei Delion in kurzen , kräftigen Worten die
Athener zum m\ithigen Kampfe. Dabei, erzählt Thukydides,
sei er der Front entlang gegangen und erst bis in die Mitte
gekommen , als das Anrücken der Boioter ihn nothigte . auf-
zuhören und seine Leute auch zum Angiiff zii führen. Das
kann nicht erfunden sein und lehrt uns zugleich, dass Thuky-
dides, Avas die Feldherrn zu einzelnen Abtheilungen sprachen,
in einer Rede zusammenfasse. Ebenso ergiebt sich ganz sicher
das Thatsächliche bei der Rede des Nikias vor der letzten
Seeschlacht im Hafen A^on Syrakus VII, 61 — 64. Da. erzählt
Thukydides , habe zuerst Nikias das ganze Heer zusammen-
45S Ueber das Historische in den Keden des Thukydides.
heriifen und zxi demselben gesprochen , dann aber, als bereits
die Schiffe bemannt gcAvesen, habe er noch die einzelnen
Trierarchen mit ihrem und ihres "S'aters und ihrer Phyle Na-
men angeredet, ihnen ihre eigenen und ihrer ^'orfahren Thaten
ins Gedächtniss gerufen, kurz auf alle Art sie zu ermuthigen
gesucht. Auch das ist nicht erfunden, wenn nicht etwa Thu-
kydides ganzes Werk ein Roman ist. Wir können also
schliessen, dass es sich ähnlich auch mit den übrigen verhalte.
Wenn wir nun aber auch für diese Reden mit Sicherheit
eine historische Jiasis gewonnen haben, so liegt andrerseits in
der Natur der Sache, dass die Form, in der wir sie haben,
vielleicht einige ganz kurze, wie die des Demosthenes IV, 10,
ausgenommen, durchaus dem Geschichtschreiber angehört.
Denn solche Reden wurden meist aus dem Stegreife gehalten,
wurden also weniger ausgearbeitet, über manche musste es fast
unmöglich sein , Näheres zu erfahren , und wo der Feldherr,
Avie Ilippokrates , nicht eine eigentliche Rede hielt, sondern
an der Front hingehend die Leute ermunterte, da war enges
Anschliessen an die Form des Gesprochenen unmöglich.
Blicken wir nun auf die ganze Untersuchung der einzelnen
Reden zurück, so bestätigt sie vollkommen das aus Thvikydides
eigener Aussage gewonnene Resultat. Wir haben auch nicht
bei einer einzigen Ursache sie als rein erfunden anzunehmen,
sondern alle stehen auf historischem Boden. Zugleich aber
weichen sie alle in der Form von den wirklich gehaltenen ab,
denen sie stufenweise näher oder ferner stehen : am nächsten
ohne Zweifel die des Perikles. weiter schon die übrigen Reden
athenischer Staatsmänner, noch weiter die Gesandtschaftsreden ;
unter diesen wieder die näher, welche einzelnen Personen ge-
hören, als die, welche ganzen Gesandtschaften zugeschrieben
sind. Am freiesten scheinen endlich, mit einigen Ausnahmen,
die Kriegsreden behandelt.
Zum Schlüsse bemerke ich, dass ich die Untersuchung
über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit solcher Reden in
Geschichtswerken absichtlich ganz bei Seite gelassen habe,
indem sie, eng zusammenhängend mit der Frage, ob die Ge-
schichtschreibung ein Kunstwerk sein soll, hier viel zu weit
geführt haben würde. —
ÜEBER DIE BENUTZUNG DER ALTEN KOMÖDIE
als geschichtliolier (Quelle.
[Einladungsschrift zur Eröffnung des Jihrescurses des Paedagogiums.
Basel. Schweighauser 1840.]
tpavepöv oTi O'J tÖ to: yevo,u.tva Xi-^tvi , to'jto ;i&tT,TO'J epyov
sa-fv, ä).X' Ol« ov ydvoiTO xai tÄ CüvaTot xocxä to eixo?
7; TO ävoYXoiov.
Aristot. Poet. 9.
iLs ist allgemein anerkannt, dass zur richtigen und tiefem
Erkenntniss der athenischen und somit der griechischen Ge-
schichte überhaupt, die alte Komödie von besonderer Wich-
tigkeit sei. Alte v:\e neue Historiker haben in ihr eine Haupt-
quelle gefunden, und sie aufs mannichfaltigste benutzt. Es
fragt sich aber, ob dies in der richtigen Art geschehen und
ob dabei immer bestimmte Grundsätze befolgt worden seien.
Das glaube ich in Abrede stellen zu müssen und weise in
dieser Hinsicht unter andern nur auf Diodor von Sicilien und
Plutarch, welche öfters Stellen der Komiker so als Zeugnisse
anführen, als wären die Dichter Historiker gCAvesen ; und auch
neuere Schriftsteller scheinen oft die Scherze des Aristophanes
gar zu Avörtlich genommen zu haben. Es ist daher wohl der
Mühe werth zu untersuchen, in welcher Weise denn die alte
Komödie wirklich als historische Quelle zu benutzen sei. Meine
Absicht ist nicht, diesen Gegenstand hier ganz zu erschöpfen,
indem dazu der Umfang eines Programmes nicht hinreichen
würde, sondern nur einige Hauptgrundzüge aufzustellen, welche
sich meiner Ansicht nach, aus dem Wesen der Komödie selbst
ergeben und sich mir bei der Yergleichung mit anderweitigen
Quellen bestätigt haben. Dabei will ich mich durchaus auf
Aristophanes beschränken. Aveil wir nur von ihm vollständige
460 Ueber die Benutzung der alten Komödie.
Stücke haben, und die Betrachtung solcher nöthig ist, um zu
einem genügenden Resultate zu kommen. "Was sich hei ihm
als Ergehniss herausstellt, das -wird im Ganzen auch für die
übrigen alten Komiker gültig sein.
Das Wesen der alten Komödie war durch und durch po-
litisch. Das Staats- und Volksleben in allen seinen Kreisen
war ihr Gegenstand. Dass gerade Aristophanes dies in seinen
Stücken im weitesten Umfange dargestellt hat. ist von Rötscher,
in seiner geistreichen Schrift über diesen Dichter, sehr schön
gezeigt worden. Es versteht sich nun aber von selber, dass
die Komödie, welche Heiterkeit und Gelächter unter den Zu-
hörern und Zuschauern zu erregen hatte, ihren Gegenstand
von derjenigen Seite auffassen musste, welcher zum Spott und
Scherz Anlass gal). Sie konnte also die Erscheinungen nicht,
wie der Historiker, unparteiisch und allseitig aufnehmen, son-
dern musste ihre Kehrseite herausheben, und diese in ihrer
Schwäche dem Gelächter preisgeben. Sie musste also ihrer
Natur nach zu dem Bestehenden in eine gcAvisse Opposition
treten und eine mehr negative als positive Stellung annehmen.
In jeder hervortretenden Richtung ihrer Zeit, mochte sie sein
von welcher Art sie wollte , musste sie ihren Stoff suchen,
nur dadurch konnte sie Interesse erregen. Jedes bedeutende
Individuum im Staate, in der Wissenschaft und der Kunst,
jede politische, religiöse oder philosophische Erscheinung, kurz
Alles was in Athen sich Geltung zu verschaffen -«-usste, hatte
ihren Angriff zu gewärtigen. Ob dies für Athen nützlich oder
schädlich war. das geht uns hier nichts an, es genügt es als
Thatsache aufzustellen. Der Behauptung von der angreifenden
und negativen Richtung der Komödie könnte nun aber der
Umstand zu widersprechen scheinen, dass sie, und auch hier
wieder besonders Aristophanes , eine entschieden feindselige
Richtung gegen alle Neuerungen nahm. Perikles und die
ganze streng demokratische Entwicklung. Exiripides mit den
übrigen neuen Tragikern. Sokrates und die Philosophen über-
haupt, werden von ihr oft mit furchtbarer Energie angegiiffen.
die gute alte Zeit eines Aristeides und Myronides. eines Aischy-
los und Simonides wird gelobt und gefeiert. Allein diese
Stelhmg ist nur scheinbar conservativ, um diesen modernen
Ausdruck zu gebrauchen. Athens innerstes Wesen zur Zeit der
I
Ueber die Benutzu>:g der alten Komödie. 461
alten Komödie war eben die freieste Entwicklnng des Geistes nach
allen Seiten. Die Komödie selbst ist dafür der beste Beweis;
denn ohne eine solche Ungebnndenheit hätte sie nicht existiren
können. Diese allerdings oft bis znm Ungestüm hervortretende
Natur zu zügeln und in die rechte Bahn zu leiten, das war
die freilich unendlich schwierige Aufgabe derjenigen, die im
Ernste dem einreissenden Verderben Einhalt thun wollten.
Zurückhalten Hess sie sich nicht. Die Komödie aber trat un-
bedingt gegen sie in die Schranken , und als Gegensatz feiert
sie die gute alte Zeit. So herrlich aber diese war, so begei-
sternd auf jeden Athener die Erinnerung an die Heldenkämpfe
gegen Persien wirkte, so konnte doch ein Zurückrufen der-
selben ebensowenig der Komödie Ernst sein, als es überhaiipt
möglich gewesen wäre. Hätte jene alte Zeit sich wieder er-
neuern können, und der Komödie ihre Zügellosigkeit gelassen,
diese hätte sie eben so heftig bekämpfen müssen, als sie sie
wirklich, im Gegensatz zu der neuen Zeit, gelobt hat. Die
scheinbar erhaltende und das Bestehende schützende Stellung
der Komödie ist daher im Grunde nur eine Folge ihres angreifen-
den Wesens. So erklärt sich, wie sie mit anscheinender Un-
parteilichkeit alle politischen Parteien. Demokraten und Oli-
garchen, Demagogen und mit Sparta heimlich verbündete
Clubmänner , geisselt ; denn sie selbst gehörte keiner positiven
Partei an. So löst sich die sonst unerklärliche Schwierigkeit,
dass einerseits so heftig gegen Philosophen und Sophisten, als
Peligionszerstörer und Götterverächter geeifert wird, Avährend
andrerseits diese Götter des A'olks mit ihrem Cultus oft genug
dem Gespötte preisgegeben werden. Damit ist gar nicht ge-
sagt, dass nicht der Dichter auf einem sittlichen Standpunkte
stehen, oder dass nicht eine sittliche Idee einer ganzen Ko-
mödie zu Grunde liegen konnte. Die Zustände der Zeit boten
genug Stoff zu Tadel und zu Entrüstung , um auch edle Ge-
müther zu veranlassen, sie mit der Geissei des Spottes zu ver-
folgen. Nur thut man sicherlich Unrecht, wenn man dieses
als das Grundwesen der Komödie ansieht und bei allen ihren
Erzetignissen immer tief sittliche Triebfedern erkennen will.
War nun also der Komödie die Bekämpfung der herr-
schenden Zustände und Richtungen eigenthümlich , so geht
daraus hervor, dass sie diese auf eine Art darstellen musste,
462 Ueber die Benutzung der alten Komödie.
wodurch sie kenntlich wurden. Wären sie nicht kenntlich
gewesen, so hätte auch der ganze Angriff nicht getroffen. Um
sie kenntUch zu machen, mussten also wahre Züge zu Grunde
gelegt werden, und insofern steht eben die alte Komödie
immer auf historischem Grund und Boden. Es ist aber auch
zugleich klar, dass der Dichter nicht die Pflichten des Histo-
rikers hat, er bleibt Dichter, auch wenn er den Stoff aus der
Gegenwart, aus der Wirklichkeit nimmt. Er wählt nur das-
jenige, was zu seinem Zwecke taugt; der Komiker also die
Kehrseite; er gestaltet sich dann seinen .Stoff mit schöpferi-
schem Geiste zu einem poetischen Kunstwerke . dessen ganze
Handlung dem Gebiete der Phantasie angehört. Es bildet
auch hierin die Komödie den Gegensatz zur Tragödie. Diese
nimmt ihren Gegenstand in der ßegel aus dem rein idealen
Kreise cfer Mythenwelt, ist aber in der Handlung mehr oder
weniger an die Tradition gebunden . die Komödie findet die
Grundlage ihrer Dichtungen in der reellen Gegenwart, ist aber
in der künstlerischen Composition ihrer Handlung durchaus
ungebunden .
Es ist demnach nothwendig. dass die Komödie insofern
einen wichtigen Beitrag zur Geschichte ihi-er Zeit liefere, als
sich die Zustände im Ganzen in ihr spiegeln, allein selbst
diese nicht rein und unparteiisch, sondern vielmehr bedingt
durch den Standpunkt des Dichters, also von ihrer schwachen
und lächerlichen Seite. Und auch in der Darstellung dieser
schwachen Seite müssen wir uns auf Uebertreibungen und Ver-
zerrungen überall gefasst machen, die ganz am Platze sind,
sobald sie nicht verhindern, den Gegenstand wirklich als den
zu erkennen, den der Dichter lächerlich machen will; ja sol-
ches Uebertreiben und auf die Spitze Treiben war geradezu
nöthig, wenn die Verhältnisse aus der Wirklichkeit zu poeti-
schen Schöpfungen erhoben werden sollten. Der Dichter musste
nur dafür sorgen, dass in diesen der historische Kern sichtbar
blieb. Man betrachte das erste beste Stück, z. B. die Wespen,
wo die nur allzubegründete athenische Richtwuth gleichsam
ins Komische idealisirt ist.
Ist nun also schon zur Beurtheilung der allgemeinen Zu-
stände bei der Benutzung der Komiker Vorsicht anzuwenden,
so gilt dies noch weit mehr für die Einzelheiten; denn da
Ueber die Benutzung der alten Komödie. 463
der Dichter in der Composition der Ilandhmg durchaus frei
schaltet, so sind ihm darin keine anderen Schranken als die der
Kunst gezogen; AVirkliches und Erfundenes, Züge der Gegen-
wart und die freiesten Schöpfungen der Phantasie laufen hier
bunt durch einander, und scheinen der Eingriffe des Historikers
zu spotten, welcher die Meisterwerke des menschlichen Witzes
zu Hiilfsmitteln für seine Wissenschaft anwenden will. Nichts
destOAveniger wird sich auch hier ein nicht ganz imsicheres
Kriterium auffinden lassen zur Unterscheidung desjenigen, was
auf Thatsachen beruht und des reinen Erzeugnisses der dich-
terischen Phantasie. Und dieses Kriterium ist dasselbe, das
ich schon oben aufgestellt habe zur richtigen Beurtheilung der
allgemeinen Zustände. Der Dichter muss wie jene, so auch
das Einzelne, welches er angreift, auf eine Art zeichnen, welche
der Wirklichkeit so weit entspricht, dass der Zuschauer den
Angriff versteht. Die Einzelheiten sind nun aber theils solche,
wodinch Personen charakterisirt werden, theils solche, welche
auf Sachen gehen, ohne dass die Persönlichkeiten, wenn auch
solche dabei vorkommen, von Bedeutung sind. So, iim es
durch ein Beispiel zu erläutern, wird in den Wolken des So-
krates Persönlichkeit vorgeführt, es werden gelegentlich dem
Kleonymos . Theoros , Simon , Kleisthenes und Andern Hiebe
gegeben, es wird aber auch v. 607 u. folg., die damalige
Kalenderverwirrung in Athen verspottet. Sehr häufig sind
natürhch Sachen und Personen auch zu gleicher Zeit mit ein-
ander verbunden. Bei den Personen müssen wir nun. wie der
erste Blick lehrt, zwei Fälle wohl unterscheiden. Entweder
führt der Dichter sie in seinem Stücke handelnd auf. oder er
erwähnt sie nur gelegentlich.
Zuerst von den Personen, so weit sie selbst auftreten.
Es ist schon oft darauf aufmerksam gemacht worden, dass die
Komödie es mehr mit allgemeinen Charakteren . die Tragödie
dagegen mit Individuen, wenn auch idealisirten. zu thun habe';.
Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als gehe das nur auf
1] Schon Aristoteles Poet. IX, 5 , welcher im Allgemeinen als Unter-
schied der Geschichte und Poesie hervorhebt, dass erstehe das Geschehene,
Einzelne, letztere das was geschehen könne, das Allgemeine, darstelle, be-
merkt, dass dies vorzüglich in der Komödie der Fall sei.
464 Ueber die Benutzung der alten Komödie.
die mittlere und neuere Komödie, von Aristophanes Stücken
also höchstens auf den Plntos und die Ekklesiazusen. Treten
doch in den übrigen häufig historische Personen, ein Kleon,
Lamachos, Demosthenes, Nikias, Euripides, Sokrates u. a. auf.
Allein schon in mehreren früheren Stücken tragen alle oder
doch die Hauptpersonen erdichtete Namen, wie z. 1>. im
Frieden . in den Wespen , den Vögeln , ohne dass sich , diese
Aeusserlichkeit abgerechnet, ein durchgreifender Unterschied
zwischen diesen Stücken und den Kittern . den Wolken , den
Thesmophoriazusen entdecken Hesse. Uas hat seinen Grund aber
darin, dass jene aus der Wirklichkeit herausgegriffenen drama-
tischen Personen nicht ganz diejenigen vorstellen, deren Na-
men sie tragen, dass sie nicht blosse Individuen als solche
sind , sondern vielmehr diese Individuen als Vertreter einer
ganzen Richtung, einer Idee, mit einem Worte allgemeine
Charaktere. Insofern treffen sie also mit denen zusammen,
welche ganz erfundene Namen tragen, inid Avie diese sehr
oft, trotz der unhistorischen Namen, einzelne Züge von
historischen Personen haben, z. V>. I'heidippides unläugbar
manches von Alkibiades, so umgekehrt jene, trotz der histori-
schen Namen , manche unhistorische Züge. Wozu nun aber
diese Verschiedenheit ? Wenn Aristophanes allgemeine Eich-
tungen personifiziren wollte, warum hat er denn nicht so gut
als einen Dikaiopolis, als einen Kleonsfreund und Kleons-
verabscheiier , einen Strepsiades. Pheidippides , eine Lysistrate
und Praxagora . für die in seinen Stücken vorkommenden
historischen Namen eigene erfunden .' Vielleicht aus persön-
lichem Hasse ? Der mag hier und da mitgewirkt haben, allein
die Ursache ist er nicht gewesen . da ein solcher noch nicht
diese Leute zxi passenden Personen eines Schauspiels gemacht
hätte. Der wahre Grund liegt tiefer, in der Bedeutung dieser
Leute selber, oder wenigstens der ^'orstellung , welche sich
Aristophanes von derselben gemacht hatte. Sie erschienen in
irgend einer Beziehung in der Wirklichkeit als Führer und
Leiter einer ganzen Richtung, als die hervorstechendsten Per-
sonen irgend einer Tendenz, so dass sie um der grösseren An-
schaulichkeit Avillen mit ihren Namen oder doch in allgemein
keinitlichen Zügen auf die Bühne gebracht wurden. Dies gilt
von den Hauptpersonen. Andere aber standen mit diesen in
Ueber die Benutzung der alten Komödie. 465
so enger Beziehung , dass sie "weniger xim ihrer seihst Avilleii,
als znr Vervollständigimg und Ergänzung jener, ebenfalls mit
in das Stück aufgenommen wurden. Bei sehr vielen kam dann
noch der gihistige Umstand dazu, dass ihr ganzes Wesen leicht
Anlass zu komischer Auffassung gab. So Kleon. Er Avar der
eigentliche Typus der Demagogie nach Perikles Tode. Sein
polterndes, zwischen Frechheit und Feigheit in der Mitte lie-
gendes Wesen, sein gemeines Herkommen und seine niedrigen
Sitten im Contrast zu der hohen Stellung, die er im Staate
einnahm und an der man erst kurz noch den Perikles zii sehen
gewohnt war, erscheinen selbst bei dem ernsten Thukydides
komisch. Und wollte nun Aristophanes diese Demokratie an-
greifen mit den Waffen seines Spottes, sollte er da ihn bei
Seite lassen und sich eine Person dafür erfinden, während der
blosse Gedanke an Kleon schon von vorne herein ein leben-
diges Bild gab? Und wie köstlich sind nun im Gegensatze
zu ihm ein Nikias und Demosthenes, wie anschaulich stellt
sich in der ängstlichen Behutsamkeit des ersteren, eines der
reichsten und edelsten Männer Athens , und in den schlauen
Einfällen des anderen, des ersten Feldherrn seiner Zeit, der
Druck dar, in dem die vornehmen Klassen Athens damals von
dem Gerber gehalten wurden' ! Oder um ein anderes Bei-
spiel zu nehmen . wie hätte die neuere Tragödie besser ange-
griffen werden können, als in ihren wirklichen Repräsentanten,
dem reflektirenden Euripides mit Kephisophon und Mnesilochos,
und dem üppigen Agathon? Dasselbe springt bei Lamachos,
Sokrates, Aischylos in die Augen, und Hesse sich ohne grosse
Schwierigkeiten auch bei Anderen nachweisen. Unmöglich
hätten Avillkürlich erfinidene Namen dieselbe Wirkung haben
können. Aristophanes hat also diese Personen gewählt, weil
sie eine solche Bedeutung hatten, dass sie ganze allgemeine
Zeitrichtungen repräsentiren konnten. Man Avird bei genauerer
1 Kleon, Demosthenes und Nikias werden allerdings in den Rittern
als handelnde Personen nicht ausdrücklich so genannt, sondern erscheinen
als Diener des Demos , und zwar ersterer unter dem Namen des Paphla-
goniers ; auch trug er keine Portraitmaske. Allein sie waren vom Dichter
so gezeichnet, dass man sie auf den ersten Moment erkennen musste, wie
es sogar von Kleon v. 233 bestimmt gesagt wird. Darum habe ich nicht
angestanden sie als Beispiel zu gebrauchen.
Vi scher, Schriften I. 30
466 Ueber die Benutzung der alten Komödie.
Betrachtung finden, dass in den meisten Fällen, wo wirklich
ein historisches Individuum mehr oder Aveniger als Vertreter
einer solchen Richtung angesehen -werden kann , Aristophanes
dasselbe in seine Stücke aufnahm. Avährend dagegen erdichtete
Namen gebraucht werden, wo ein solches fehlte. Darum sind
fast alle neueren Bestrebungen durch historische Namen ver-
treten. Avährend dagegen die alte Zeit, oder richtiger der Ge-
gensatz gegen das neuere Treiben, welcher sich mehr in der
Gesammtheit als in einzelnen hervorragenden Männern aus-
prägt, mehr in fingirten Namen auftritt. Ueberhaupt finden
wir diese überall da. wo Charaktere des niedrigeren Volkes
dargestellt werden sollen. Dass diese Wahrnehmung auch
einzelne Ausnahmen erleide, und hervorragende Männer hier
und da geschont werden, lässt sich nicht in Abrede stellen,
und hat ohne Zweifel seinen Grund in persönlichen "S'erhält-
nissen. Ueber manches würden wir übrigens auch noch be-
stimmter urtheilen können, wenn uns alle aristophanischen
Komödien erhalten wären. Hat nun Aristophanes die histori-
schen Personen aus den angegebenen Gründen, statt fingirter
gewählt, so ergiebt sich daraus, dass er sie nicht in ihrer
reinen Individualität darstellen konnte, sondern dass er diese
erweiterte, statt des Besonderen das Allgemeine, statt des Wirk-
lichen ta YsvotXiVa; das Mögliche [olrj. av y^voito y.ara to zv/sjz
r^ 70 avayxaTov setzte. In welcher Weise dies geschah, wollen
wir am Beispiele des Sokrates betrachten. Denn so vielfach
auch über dessen Darstellung bei Aristophanes gestritten Mor-
den ist , so eignet sich doch gerade er von allen aristophani-
schen Personen, die aus der Wirklichkeit gegriffen sind, darum
am besten für diese Betrachtung, weil ims über seine Persön-
lichkeit von anderer Seite her weit mehr Züge bekannt sind
als bei allen übrigen.
Aristophanes hat den Sokrates zimächst in seinem Aeusseni
so dargestellt, dass auf den ersten Anblick jeder Athener ihn
erkennen musste. Abgesehen von der Maske, die ohne Zweifel
seine Gesichtszüge wieder gab Pollux IV. 147 , finden wir
seine strenge LebensAveise. Er erscheint unbeschuht, yvie, mit
seltenen Ausnahmen, der Avahre Sokrates. er schreitet stolz
einher (ßocvöostai und wirft die Augen stier um sich, gerade
AA'ie das Alkibiades in Piaton" s Gastmahl . mit ausdrücklicher
Ueber die Benutzung der alten Komödie. 467
Beziehung aiif die Wolken . von seinem Freunde und Lehrer
als Thatsache erzählt. Die Enthaltsamkeit jeder Art, das stand-
hafte Ertragen der Kälte, stimmen ganz mit der Wirklichkeit
iiberein. und wenn Strepsiades sagt, weder Sokrates noch seiner
Schüler einer salbe sich je. oder gehe in ein Bad. so ist auch
dieses mit einer kleinen Uebertreibung vom Avahren Sokrates
genommen, der nach Piaton sich nur bei besonderen Anlässen
zu baden pflegte. Zu diesen und noch mehreren äluilichen
Zügen, die den Philosophen äusserlich charakterisiren, hat der
Dichter nun aber auch Manches von seinen geistigen Eigen-
schaften . von seiner Lehrmethode und seinen philosophischen
Forderungen mit solcher JJestimmtheit aufgenommen, dass sich
derselbe keinen Augenblick verkennen Hess. Die dialektische
Ausbildung, welche er als Grundlage jeder Erkenntniss be-
trachtete, tritt in dem ganzen Stück mit Entschiedenheit her-
vor; das Gewicht, welches er auf ein gutes Gedächtniss und
eine leichte Fassungsgabe legte, wird mehr als einmal nach-
drücklich herausgehoben; die Hinweisung auf Selbsterkennt-
niss, worauf Sokrates so sehr drang, ist nicht vergessen, und
die A'ergleichung der Gedankenentwicklung mit der Entbin-
dungskunst, ein Lieblingsbild desselben, hat der Dichter gleich-
falls auf komische Weise benutzt. Und so Hesse sich noch
ein und anderer Zug anführen, den der Dichter für die Person
seines Sokrates von dem historischen entlehnt hat, um ihn
deutlich zu zeichnen. Er hat aber mit diesen wahren Zügen
eine Reihe rein unhistorischer verbunden. So gleich die Exi-
stenz einer geschlossenen Schule, in die man durch allerlei my-
stische Ceremonien aufgenommen wurde, während Sokrates mit
Leuten aller Alter und Stände täglich an den öffentlichen Orten
zu verkehren pflegte. So Avird von seinen Schülern gefordert,
sie sollen sich der Gymnasien enthalten und keinen Wein
trinken, während der Avahre Sokrates in den Gymnasien sich
besonders gern aufliielt. und bei aller Massigkeit .es doch, wo
es darauf ankam, den grössten Weintrinkern zuvorthat. Die
Beschäftigung mit Meteorologie und Naturphilosophie, welche in
den Wolken eine so grosse Rolle spielt, ist dem wahren So-
krates fremd. Hat nun wohl Aristophanes das nicht gewusst.
und aus Unkenntniss seinen Sokrates halb wahr-, halb unwahr
dargestellt? Das ist kaum zu glauben. Zwar mag die per-
30*
468 ÜEBER DIE 13eXUTZU>"G DER ALTEN KOMODlE.
sönliche Berührung, in welche Piaton den Dichter mit ihm
bringt, in spätere Zeit fallen; aber doch ist nicht anzunehmen,
dass Aristophanes , der in so vielen Einzelheiten das Wahre
fein aiiffasste, in anderen, und zwar zum Theil ganz äusser-
lichen, dem oberflächlichsten Beobachter bemerklichen, wie dem
Besuch der Gymnasien, dasselbe so ganz verfehlt haben sollte.
A'ielmehr hat er das absichtlich gethan, indem er die Person.
gewählt, um eine ganze C'lasse von Menschen zu vertreten.
Er hat also so weit nach dem Leben gezeichnet, als er für
nöthig erachtete , \im ihn erkennen zu lassen , hat dann aber
nach freier AVillkür diejenigen A'eränderungen und Zusätze
gemacht, die ihm zu seinem gegenwärtigen Zwecke dienten.
Sein ZAveck war aber ein komisches Gemälde von dem dama-
ligen Wesen und Treiben der Sophistik und Philosophie und
besonders ihrem Einflüsse auf die J\igendbildung aufzustellen.
Diese beiden Begriff'e galten natürlich demjenigen, der sich
nicht selbst damit befasste, damals durchaus für ein und das-
selbe, und so wenig als jetzt die Masse die verschiedenen
philosophischen Richtungen zu unterscheiden vermag, vielmehr
alle zusammen als unpraktische Spitzfindigkeit zu verwerfen
pflegt, ebensoAvenig unterschied das athenische Volk zwischen
den sogenannten Sophisten und Sokrates, wie denn mit dem
Namen Sophist an sich gar kein Tadel verbunden war und
Aischines noch weit später ohne irgend eine besondere Absicht
den Sokrates so genannt hat. Die sämmtlichen Züge aber,
die den Sokrates des Aristophanes von dem Avirklichen unter-
scheiden, lassen sich auf verschiedene andere philosophische
Schulen und Individuen zurückführen. Wir müssen also an-
nehmen, dass der Dichter mit Absicht und Bewusstsein in
seine dramatische Person mehi* und anderes gelegt habe, als
der Wirklichkeit angehörte. Wenn sich nun also schon hieraus
ergiebt, dass man in derselben mehr ein komisches Ideal als
ein Portrait suchen darf, so ist zur Ermittlung der historischen
Wahrheit noch ein zweites in Betracht zu ziehen. Das ist die
Frage, Avie weit Aristophanes den Sokrates richtig als Vertreter
jener Richtung gcAvählt habe. Es ist hier keineswegs meine
Absicht, diese schon so viel besprochene Frage von neuem
einer erschöpfenden Erörterung zu unterwerfen , sondern ich
habe sie nur angeführt, um ihre Bedeutung für die historische
Ueber die Benutzung der alten Komödie. 469
Benutzung der aristophanischen Charaktere überhaupt zu zeigen.
\ind in so fern mögen hier emige Worte ihre Rechtfertigung
linden. Der Dichter muss auch hier wieder als Dichter, und
in der oben bezeichneten Weise als Gegner aller neiieren sich
geltend machenden Tendenzen beurtheilt werden; ihn in eine
Linie mit Philosophen oder Historikern zu stellen und demnach
Ansprüche zu machen, wäre ebenso irrig als unbillig. Selbst
nicht Philosoph, aber A'ertheidiger der alten Zeit und ihrer
Eigenthümlichkeiten gegen die Eingriffe des neueren Geistes,
fasst er die gesammte Philosophie, welche sich nicht mit der
blossen Annahme des bisher Gültigen in Religion. Moral und
Politik begnügte, sondern nach Gründen suchte, zusammen.
Ob. wie von ^•ielen der Sophisten, bei diesem Bestreben die
geltenden Grundsätze als Thorheit verworfen wiirden, oder ob.
vrie von Sokrates, dahin gezielt wurde, das, was die Menge
ohne klares Bewusstsein für gut und recht hielt, auf eine sichere
Basis zurückzuführen und zur Erkenntniss zu gelangen, warum
es gut und recht sei. das konnte dem femer stehenden nicht
philosophisch gebildeten ]>etrachter gleich gelten. Er sah eben
nur. dass Alles untersucht, angegriffen, vertheidigt wurde, mit
«inem Worte, dass es seine Geltung an und für sich verloren
hatte. Er brachte damit den Verfall der alten Ziicht und
Sitte, des alten Glaubens und der alten Redlichkeit, welche
alle in dem Nimbus der Vergangenheit erschienen , in \er-
bindung; \ind sah er sich nun nach den Personen um, welche
bei jenem ihm verderblich dünkenden Treiben thätig Avirkten,
wer bot sich da dem Blicke eher dar, als Sokrates.' Ihn.
einen gebornen Athener, sah man täglich an den besuchtesten
Orten der Stadt mit Untersuchungen jener Art beschäftigt, im
eifrigsten Gespräche mit Leuten aller Stände und Alter, ihn
sah man mit gewandter Dialektik die berühmtesten der übrigen
Philosophen und Sophisten . einen Gorgias , Protagoras und
Hippias bekämpfen und überwinden, um ihn scharten sich die
vornehmsten, reichsten, geistreichsten und übermüthigsten
jungen Leute, ein Kritias und Alkibiades und so manche an-
dere, welche in mannichfaltiger Art dem Herkommen und der
Sitte im Staat und in der Religion Hohn sprachen. Niemand
entging seinen oft recht zudringlichen Fragen und Prüfungen,
imd Hunderten, die da glaubten sehr gescheidte und gebildete
470 Veber die Bexutzun'g der alten Komödie.
Leute zu sein, wies er nach, dass sie nichts wüssten und nur
die Einbiklvmg hätten etwas zu wissen. Musste sich nicht
dieser Mann ganz natürlich der Menge als der bedeutendste
aller Sophisten darstellen? So hat ihn denn auch der Dichter
genommen und so beurtheilt ihn noch vier und zwanzig Jahre
später das athenische Volk. Dazu kam aber denn noch sein
komisches Aeussere, über das nichts zu sagen nöthig ist. Dass
aber ein solches dem Dichter erAvünscht sein musste, versteht
sich von selbst, und in dieser Beziehung boten alle jene ele-
ganten und vornehmen Sophisten, welche mit dem niedrigen
A'olke in wenig Berühi-ung kamen und vielmehr in den Prunk-
sälen der Kelchen auftraten, nicht von ferne die Vortheile eines
Sokrates. Er war ein öffentlicher Charakter, ein Mann des
^ olks , den vom gemeinsten Trödler auf dem Markte bis zum
edelsten Eupatriden Alle kannten. Auf diese Weise erklärt
sich vollkommen, dass Aristophanes den Sokrates zu seinem
Zwecke auswählte , ohne dass damit eingeräumt ist , dass er
mit Kecht ein A'ertreter der Sophistik genannt werde. Zwar
sind gerade hierüber die Meinungen der Neueren getheilt. wie
über Avenige Punkte der Alterthumskunde. Nichts destoweniger
scheinen selbst die entgegengesetztesten zuzugeben, dass wir den
Sokrates sehr unrichtig erkennen würden, wenn wir nur den
Aristophanes hätten. Mag er auch mit den Sophisten den Bo-
den der Subjectivität, gegenüber der alten Objectivität, getheilt
haben. Niemand behauptet doch, dass die Tendenz seiner
Lehre dahin ging. Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht
zu machen, wie doch Aristophanes sie darstellt. Man hat
vielmehr zu zeigen versucht, dass Sokrates in so fem mit den
Sophisten übereinstimmte , als er das Bestehende nicht darum
bestehen Hess, Aveil es bestand, sondern an die Stelle des
objektiven Glaubens das individuelle oder subjektive Bewusst-
sein setzte, aber sich darin unterschied, dass er an die Stelle
der zufälligen Subjectivität die allgemeine setzte ^ . Gerade von
1, Rötscher Arist. p. 246, 247. «Es war die Xothwendigkeit vorhanden,
das Princip der zufälligen Subjektivität und des Raisonnements aus Gründen
in die Allgemeinheit zu erheben. Dies war die unsterbliche Arbeit des
Sokrates. Indem er eingeweiht in die Systeme der frühern und in die
sophistischen Principien , sich diesen schlechthin widersetzte , und sie
auf alle "Weise bekämpfte, hielt er dennoch mit ihnen ein und denselben.
LIEBER DIE Benutzung der alten Komödie. 471
diesem so ungeheuer Avichtigen Unterschiede erscheint aber in
dem ganzen Stücke des Aristophanes keine Spur und demnach
muss des Aristophanes »Berechtigung«, den Sokrates als Vertreter
der Sophisten darzustellen, jedenfalls sehr beschränkt werden.
Er Avar es durchaus nicht in der Art, wie er es in der Komödie
ist. Hingegen stand Sokrates allerdings mit den Sophisten dem
Aristophanes gegenüber auf einem Grund und Boden, insofern
alle und jede Philosophie dem bloss praktischen Verstände als
eitle Posse erscheint und namentlich damals mit dem Bestehenden
in vielfachen Conflikt kommen musste. In gleichem Sinne
waren auch Anaxagoras und andere ältere Philosophen, die
man sonst nicht zu den Sophisten rechnet, den Hieben der
Komödie nicht entgangen. Sokrates erkannte das Verderbliche
der Sophistik; aber er erkannte zugleich auch, dass eine gei-
stige Macht, wie sie Avar, nicht durch blosses Negiren könne
gebrochen und unschädlich gemacht Averden, dass sie zu die-
sem ZA\ecke Aielmehr mit ihren eigenen Waifen, mit Gründen
besiegt AAcrden müsse. Zu diesem ZAACcke schuf er seine von
Piaton Aveiter ausgebildete Dialektik, und mit dieser hat er,
wie sein grosser Schüler, die Sophisten siegreich bekämpft.
Aber eben darum kam er nothwendig in feindlichen Gegensatz
zvi den absoluten Anhängern des Alten, Avelche dieses ohne Unter-
suchung geltend erhalten Avollten und denen darum ein jeder,
der es der Prüfung unterwarf, als Angreifer erscheinen musste.
Denn Avas geprüft Avird, das kann auch verAvorfen Averden. Zu
diesen absoluten Vertheidigern des Alten gehörte aber auch
Aristophanes , nicht Aveil er das Alte Avollte , sondern Aveil er
das Neue nicht Avollte. Er bekümmert sich also nicht um
das eigentliche Wesen der sokratischen Philosophie, sondern
griff sie an, Aveil sie Philosophie als solche Avar und zAvar da-
Boden der Subjectivität fest. Dieser harte Gegensatz, in welchen Sokrates
mit den Sophisten getreten ist, hat allein in der Bekämpfung ihres Prin-
cipes der einzelnen empirischen Subjektivität seinen Grund, welche Sokrates
in die Allgemeinheit erhob und an die Stelle des zufälligen Menschen den
denkenden setzte , und den abstrakten Einzelwillen zur Selbstbestimmung
aus dem Bewusstsein der Allgemeinheit reinigte. So hat Sokrates anstatt
wie es gewöhnlichvorgestellt zu werden pflegt, den reinen Gegensatz gegen
die Sophisten gebildet zu haben, nur den von ihnen betretenen Boden der
Subjektivität weiter erobert, und aus ihren Principien vielmehr das Positive
und das dem denkenden Bewusstsein angehörige hervorgehoben.«
472 Ueber die Benutzung der alten Komödie.
mals die einflussreichste und in Aveiterem Ki'eise bemerkbarste.
Er streitet gegen sie von dem negativen Boden aus, den er
überall einnimmt und vertheidigt in diesem Sinne das unhalt-
bare oder nicht wieder herzustellende Alte. Wir mögen also,
vom philosophischen Standpunkt aus, den Sokrates mit den
Sophisten in einen reinen oder bloss bedingten Gegensatz brin-
gen, "S'ertreter der zerstörenden Sophistik, wie er in den Wolken
erscheint, ist er nie gewesen, und an jene feinen philosophischen
Distinktionen , wie man sie neuerdings zu Aristophanes Xer-
theidigung aufgestellt hat, hat dieser nie auch von Ferne ge-
dacht, wie sich in dem ganzen Stücke auch keine Spur davon
entdecken lässt. Die xlufFassung des Sokrates ist also schief und
einseitig. Avenn sie sich von dem besondem Standpunkte des
Dichters aus auch erklären lässt. Fassen wir sonach das Ge-
sagte zusammen, so werden Avir als Ergebniss aufstellen müs-
sen, dass des Aristophanes Sokrates eine Person ist. welche in
den hervorspringenden äussern Zügen dem wirklichen Sokrates
entsprach , aber mit diesen eine Reihe fremdartiger verband,
w^odurch sie aus dem historischen Individuum zum poetischen
Gebilde Avard; und dass ferner die ganze Auffassinig desselben,
als Vertreter der Aerderblichen Sophistik, eine ZAvar aus den
^ erhältnissen der Komödie leicht zu erklärende, aber für den
tieferblickenden dennoch unbegründete ist. Es Avürde sich also.
Avenn Avir keine andere Quellen hätten als Aristophanes , von
Sokrates ein höchst unrichtiges Bild ergeben, aus dem es un-
möglich Aväre über die Hauptpunkte auch nur annähernd die
Wahrheit zu ermitteln. Glücklicher Weise haben wir nun hier
zahlreiche andere Schriftsteller, die uns die Mittel an die Hand
geben auch bei Aristophanes Wahres und Falsches zu scheiden.
Aber selbst so bleibt bei diesem Manches dunkel. So wird
sich scliAverlich je ermitteln lassen. AA'orauf sich die v. 175 —
ISO erzählte Dieberei bezieht. Man könnte annehmen, sie sei
ohne alle historische Bedeutung, aber der Umstand, dass auch
Eupolis den Sokrates stehlen lässt, scheint auf irgend ein be-
kanntes Ereigniss, oder wenigstens ein Stadtgeschwätz zu deu-
ten. Dass Sokrates AA-irklich einmal gestohlen, Aväre es auch
nur in Folge eines später überwundenen Jugendfehlers . Avie
F. A. Wolf meinte, hat gar keine Wahrscheinlichkeit. Weit
eher lässt sich mit einigen andern Gelehrten annehmen, es
Ueber die Benutzung der alten Komödie. 473
gehe auf ein von Sokrates in seiner bekannten Zerstreutheit
begangenes Versehen. Möglich aiich wäre , dass der Dichter
den bei manchen Philosophen geltenden Giiindsatz, dass die
Güter der Freunde gemeinsam seien xoiva xa t(«v cptXoDv , da-
mit verspotten wollte. Aber Sicheres lässt sich nicht sagen.
Was nun von Sokrates sich als Resultat herausgestellt hat,
das wird im Ganzen auch für die übrigen mit historischen
Namen auftretenden Personen gelten. IJei allen muss man so-
wohl die absichtliche poetische Umbildung, als die subjektive
Auffassung des Dichters in Anschlag bringen; sie sind eines-
theils durch Lebertragung fremder Züge zu allgemeinen Cha-
rakteren erweitert, andenitheils einseitig, meist nur von der
lächerlichen Seite, oft geradezu falsch dargestellt. Dabei tritt
von selbst ans Licht, dass ein Unterschied je nach der Stel-
lung und dem Wesen dieser Personen statt fand. Je einfacher
ein solcher Charakter war, je mehr das Thun und Lassen des-
selben vor Jedermanns l^lick offen und unzweideutig da lag,
desto mehr -wird des Dichters Auffassung sich der geschicht-
lichen Wirklichkeit nähern. Die Staatsmäimer und Feldher-
ren, deren Wirken ein jeder Athener beurtheilen konnte, wer-
den, wenn auch parteiisch und feindselig dargestellt, doch in
der Komödie der Wahrheit näher stehen, als die Dichter und
Philosophen. Und so ist auch in der That das Bild eines
Kleon, Lamachos, Demosthenes , Nikias , Avie wir es von Ari-
stophanes erhalten, mit dem. was Avir sonst von ihnen wissen,
weit leichter in Einklang zu bringen, als das eines Sokrates
und Euripides , deren AVerth oder UnAverth nur bei tieferem
Studium erkannt werden konnte. Wie man sich hüten muss,
von dem Spotte des Dichters sich zu leicht bestechen zu lassen,
das kann aus ihm selbst nachgeAA'iesen Averden. So Avird z. B.
Lamachos. den er in den Achamern, als er noch lebte, ziem-
lich arg mitnimmt, nach seinem Tode (in den Fröschen v. 1039)
als trefflicher Held gepriesen.
Diese Andeutungen mögen genügen um zu zeigen, Avie
ungemein vorsichtig man zu Werke gehen muss, Avenn man
die von Aristophanes auf die Bühne gebrachten Personen für
die Geschichte benutzen Avill. Es AA'ird sich aus ihm im All-
gemeinen zunächst ihr Aeusseres erkennen und abnehmen las-
sen, Avas sie in Athen für eine Stellung einnahmen, welche
474 Ueber die Benutzung der alten Komödie.
Geltung sie beim Volke hatten, ganz besonders, was irgend
Böses von ihnen gesagt oder gedacht Avurde. Es werden na-
mentlich diejenigen Personen, welche an der Spitze neuer Be-
strebungen standen, mit allen Schwächen und Fehlem, sowohl
den eigenen als denjenigen, die der Kichtung im Ganzen an-
gehörten, uns vor Aiigen treten. Das wahre, eigentliche We-
sen derselben, in seinen guten und schlechten Seiten wird
man aus Aristophanes allein nie kennen lernen ; aus ihm allein
wird man nicht zu unterscheiden vermögen, in Avie fem die
Geltung, in der sie standen, richtig oder unrichtig Avar, ob die
Aon den Gegnern ihnen gemachten Vorwürfe begründet oder
unbegründet Avaren, und endlich Avird sich von einer Menge
einzelner Züge aus ihm allein nie ausmitteln lassen, ob sie
ihnen angehören oder nicht, Avie z. B., Avenn die Wolken un-
sere einzige Quelle über Sokrates Avären. wir glauben Avürden,
er habe die Gymnasien Aermieden, Avährend Avir jetzt das Ge-
gentheil mit Bestimmtheit AA'issen. Es ist also durchaus noth-
wendig, unparteiische Quellen, wo solche vorhanden sind, bei
der Beurtheilung zu Grunde zu legen, avo solche fehlen, aac-
nigstens alle andern Nachrichten sorgfältig zu vergleichen.
Wo aber andere Nachrichten, Avie das bei untergeordneten
Charakteren mehrmals der Fall ist, uns im Stiche lassen, da
wird es unmöglich sein, eine ganz richtige Vorstellung von
den durch Aristophanes dargestellten Personen zu erhalten,
und man muss sich bescheiden, das, Avas er über sie giebt, als
parteiisches einseitiges Bild hinzunehmen. — Auf diese Weise
benutzt, Avird Aristophanes Darstellung von grösstem Interesse
sein, indem sie uns zeigt, aaIc eine Person . sei es mit Recht
oder Lnrecht, Aon den Gegnern beurtheilt Avurde, aaIc man im
Gedränge der Parteien von ihr sprach und dachte; indem sie
ferner in manchen Punkten ergänzend und verAollständigend
nachhilft, avo die allgemeinen Züge von unparteiischerer Seite
her feststehen. —
Ganz anders als bei denjenigen Personen, welche Aristo-
phanes handelnd auftreten lässt, verhält es sich mit den gele-
gentlichen ErAvähnungen , Verhöhnungen und Anspielungen,
die nicht wesentlich zur Handlung des Stückes gehören. Diese
sind unzählig. Kaum giebt es eine Person jener Zeit in Athen,
die nicht einmal Avenigstens vorkommt. Bald sind diese gele-
Ueber die Bei^utzung der alten Komödie. 475
gentlichen Bemerkungen kürzer, bald länger, bald bloss in
einem Worte enthaltene Anspielungen, bald kleine Erzählungen
einzelner charakteristischer Züge und Handlungen. Es ist
klar, dass hier zunächst das ganz wegfällt, was bei jenen han-
delnden Personen Wahrheit und Dichtung so sch^ver unter-
scheiden liess, ich meine die komische Idealisirung , die Ver-
wandlung der wirklichen Individuen in poetische Charaktere.
Es handelt sich hier nur um Einzelheiten, Avelche mit dem
ganzen Stücke in einem bloss äusserlichen Zusammenhange
stehen. Um verstanden zu werden mussten diese durchaus
irgend begründet sein ; rein erdichtet hätten sie keinen Zweck
und keinen Sinn gehabt. Einige Beispiele Averden das am besten
erläutern. In den Fröschen, v. 1035 u. folg., sagt Aischylosi):
und der göttliche Sänger Homeros,
1035. Was ehrt man ihn hoch, was ist sein Ruhm, wenn nicht, dass er
Grosses gelehrt hat,
Schlachtordnung, Gefecht, Muth, Wappnung des Heers?
und Dionysos entgegnet:
Doch den Pantakles wenigstens hat er
Nichts Grosses gelehrt; den verschrobenen ! letzt als führen er sollte
den Festzug,
Band fest er zuerst sich den Helm, um sodann sich den Helmbusch
darüber zu stecken.
Hier wird Pantakles als Beispiel eines linkischen Menschen
angeführt, was unmöglich geschehen konnte, wenn er nicht
wenigstens für einen solchen gegolten hätte. Das bestätigt
sich durch die Nachricht des Schollasten, dass auch Eupolis
ihn so genannt habe. Auch dass er an einem Festzuge eni-
mal jene Ungeschicklichkeit begangen habe, ist höchst wahr-
scheinlich, wenigstens wird dann die Stelle viel treffender.
Wenn in den x\charnern von den Lumpen geredet wird, m
denen Oineus, Phoinix, Philoktetes, Bellerophontes und Tele-
phos in des Euripides Stücken auf der Bühne erschienen wa-
ren, so hätte das keinen Verstand und Witz gehabt, falls der
Dichter sie nicht AvirkHch in einem solchen Aufzuge hätte auf-
treten lassen, wie uns das auch hinlänglich bekannt ist. — In
den Wolken Avundert sich Strepsiades, dass der Chor der Wol-
1; Nach Droysens Uebersetzung , die ich auch bei den andern Stel-
len gebe.
476 Ueber die Bekutzung der altex Komödie.
ken in der Gestalt von Franen erscheine; da belehrt ihn So-
krates :
Sie gestahen sich so wie sie wollen; erschaun sie demnach so'nen
modischen Laften,
So'nen Wüstling dort von den tolligen Herrn , zum Exempel den
Sohn Xenophantens,
350. So verwandeln zum Spott auf die Lüderlichkeit sie sich gleich in
Kentauren, in Schweine-^.
Strepsiades.
Wenn sie Simon sehn , der die Kassen bestiehlt , was nehmen sie
dann für Gestalt an?
Sokrates.
Gleich bilden sie nach die ihm eigne Natur und verwandeln sich
plötzlich in "N^'ölfe.
Strepsiades.
Drum, drum: nun begreif ich das Ding; da sie letzt den Kleonymos
sahen, den Werfschild.
So versahn sie sich auch an der Memme sogleich und verwandelten
rasch sich in Hasen.
Sokrates.
'6bb. So jetzt, da sie drüben den Kleisthenes sehn, so sind sie in AVeiber
verwandelt.
Die ganze Stelle wäre verfehlt, wenn nicht die genannten Lente
im Rufe der Liederlichkeit, des Unterschleifes, der Feigheit
und des weibischen Wesens gestanden hätten, so dass der
Grund der verschiedenen Wolkengestalten den Zuhörern gleich
einleuchtete. Oder wenn Sokrates. v. 39S folg., die gewöhn-
liche Yolksansicht. dass Zeus mit dem Blitze die Meineidigen
strafe, mit folgenden Worten widerlegt :
Wie ! was ! o du Narr ! altmodischer Kauz I Altweibergeschichtenerzähler I
AVenn er Meineid straft mit dem schmetternden Strahl, wie denn kommts,
dass er nicht den Theoros,
Kleonj-mos, Simon längst schon traf, die doch erzmeineidiges Volk sind.
Doch den eigenen Tempel dafür oft trifft und die heilige Sunionsspitze
Und die grössten der Eichen? was ficht ihn denn an? wo denn giebts
meineidige Eichen?
SO wird da der Meineid des Kleonymos. Simon. Theoros mit
eben derselben Bestimmtheit als eine ganz ausgemachte Sache
hingestellt, wie die Unschuld der Eichen, was nicht hätte ge-
2) Die Schweine sind eine Zuthat des Uebersetzers , im Griechischen
lautet es nur : oy.iuTTTO'j'ci tT|V jxaviav aöroj KevTaupot; siy.aJav a'jra;. v. o50
sind es im Griechischen Hirsche statt Hasen.
Ueber die Benutzung der alten Komödie. 477
schehen können, Avenn die Beispiele nicht in der allgemeinen
Yolksansicht ihre Begründung gehabt hätten.
V. 859 antwortet Strepsiades dem Sohne auf die Frage,
wo er die Schuhe gelassen habe :
Die sind, wie weiland Perikles sprach, zweckmässig — verthan.
Da bezieht sich der Ausdruck »zweckmässig«, si; to Seov
— auf jene bekannte Rechnung des Perikles. Er hatte näm-
lich die 10 Talente, womit er die Spartiaten Pleistonax und
Kleandrides zum Abzüge aus Attika bewogen , ganz einfach
unter diesem Titel angebracht. Und das athenische Volk hatte
den leider in Republiken so seltenen Takt, über den Gebrauch
dieser geheimen Gelder nicht weiter nachzufragen.
Diese Beispiele, die sich ins unzählige vermehren Hessen,
genügen. Es muss einem solchen Angriffe oder Scherze d^lrch-
aus etwas zu Grunde liegen, wenn er treffen sollte. Damit ist
aber noch nicht gesagt, dass das die reine und ganze Wahrheit
sein musste, \T.elmehr lässt sich auch hier nur behaupten,
dass Aristophanes sich soAveit an Thatsachen halten musste,
dass seine Absicht, sein Spott, seine Anspielung allgemein
verstanden wurde. Mehr dürfen wir von ihm nicht fordern,
um so Aveniger. als Avir gesehen haben, Avie er bei den Per-
sonen, die er aiif die Bühne gebracht, sich gar nicht ge-
scheut hat, auch ohne hinlänglichen Grund schAver zu ver-
letzen. Weit entfernt also, Alles, Avas Avir an solchen Stellen
des Dichters lesen, gleich für baare Wahrheit zu nehmen. Aver-
den Avir trachten müssen in jeder herauszufinden, Avas daran
thatsächlich ist und Avas nicht. Bei der zügellosen Freiheit,
welche die Komödie genoss, lässt sich leicht denken, dass der
Dichter gerade bei solchen gelegentlichen Hieben sich nicht
immer sehr scrupulös um die Wahrheit bekümmerte. War
über irgend Jemanden ein Gerücht im Umlauf, kam ihm eine
Anekdote zu Ohren, so genügte das zu einem Scherze oder
Angriffe; denn er Avurde verstanden. Ich habe darum absicht-
lich oben bei Simon, Kleonymos u. s. av. gesagt, sie mussten
im Rufe der Feigheit u. s. w. stehen; eine ganz andere Frage
ist aber, ob sie in der That so schlecht gcAvesen seien, als sie
bei Aristophanes erscheinen. In der Natur der Sache liegt be-
sonders, dass die ärgsten Uebertreibungen nicht gescheut wur-
den; die geringste Thatsache konnte Anlass zu den heftigsten
478 Ueber die Benutzung der alten Komödie.
Beschuldigungen geben. Den besten Beweis dafür liefert die
Wahniehmiing. dass, wenn wir dem Dichter wörtlich glauben
wollten , ganz Athen von lauter Schurken , Feiglingen . Lüst-
lingen und andern! Gesindel strotzen musste. während doch,
bei aller Verdorbenheit jener Zeit, aus andern Quellen erhellt,
wie viel Gutes und Schönes auch damals noch in der Stadt
zu finden Avar. während die athenischen Heere und Flotten
sich überall noch aufs tapferste schlagen und Beispiele von
edler xlufopferung nicht selten vorkommen. Lässt doch der
Dichter in den Fröschen v. 807 von Aischylos sagen, dass er
einen grossen Theil der Athener für Diebe und die andern für
zu albern gehalten habe, um über Dichter zu urtheilen. Und
doch hatte Aischylos in der guten alten Zeit gelebt , wie arg
musste es da nicht erst in der verdorbenen neuen sein ! —
Dieses angebliche Urtheil des Aischylos beruht übrigens auch
auf einer historischen Thatsache . nämlich seinem Unmxithe.
als er einmal den Preis nicht erhalten hatte.
Es geht aus dem Gesagten klar hervor, dass zu allen sol-
chen Einzelheiten etwas Historisches die Veranlassung gab.
dass aber dies sehr oft einzig und allein in dem Rufe bestand,
den ein Mann hatte, oder in Gerüchten und Stadtgeschwätzen,
und dass Uebertreibungen ganz gewöhnlich waren. Auch was
über Jemanden gesagt und gedacht wird, sei es wahr oder
falsch, ist eine Thatsache, und für den Historiker, der in das
innere Leben eines Volkes eingeht, von grosser Wichtigkeit,
und in dieser Hinsicht lässt sich von Aristophanes unendlich
viel lernen. Hingegen werden wir in unzähligen Fällen nicht
entscheiden können, ob das Vergehen, der Fehler, oder irgend
eine Eigenschaft, welche Aristophanes dem oder jenem Manne
beimisst , begründet war oder nicht . und man thut Unrecht
Leute, die uns fast nur aus dem Komiker bekannt sind, auch
in die Geschichte nach seiner Darstellung einzuführen, und
wie sie uns etwa die Scholiasten noch ausmalen, die leider gar
zu oft nur den Inhalt des Textes umschreiben, ohne andere
Quellen zu haben. Es ist also für den Historiker auch hier
wieder V ergleichung anderer Nachrichten unumgängHch nöthig,
um das Wahre mit Sicherheit zu erkennen; avo diese fehlen,
kann es nur nach dem jeweiligen Zusammenhange mehr oder
weniger annaheiiings weise geschehen.
Ueber die Benutzung der alten Komödie. 479
Sollte Manchem diese Meinung über den historischen
'S^'erth solcher Notizen bei Aristophanes zn gering erscheinen,
so möge er eine analoge Erscheinung der neueren Zeit erwä-
gen. Würde man nicht nach den Oppositionsorganen, der
Länder, welche Pressfreiheit haben, besonders nach denjenigen,
welche sich mehr der Waffe des AVitzes bedienen, (man denke
an das Charivari. an die furchtbaren Juniusbriefe u. dgl.)
glauben, die Männer der Regierung seien lieinah durchweg
entweder Schurken oder Dummköpfe ! Kommen nicht fast
täglich eine Menge Züge vor, die oft so ins Einzelne eingehen,
dass man nicht daran zweifeln zu dürfen glaubt .' Und doch
sind sie häufig rein erfunden, meist aber ganz entstellt. AVie
zahlreich sind Reklamationen der Betroffenen l — und solche
waren bei dem athenischen Oppositionsorgan, der Komödie,
nicht möglich. Und doch machen Journale darauf Anspruch,
Tagesgeschichte zu gel)en, dagegen die Komödie war Dichtung
und will als solche beurtheilt sein. W^as sich also bei jenem
findet, wird man bei diesen zugeben, zumal bei einem so leicht
beweglichen über Alles Avitzelnden und spöttelnden Volke, wie
das athenische damals war. dessen Wohlgefallen an Persön-
lichkeiten aller Art die Redner hinlänglich beweisen.
Haben wir also gefunden, dass die Komödie für die Be-
urtheilung der Personen , allein genommen . nicht als lautere
Quelle betrachtet werden darf, wohl aber in A^erbindung mit
andern Nachrichten höchst wichtige Beiträge liefert, so wird
es sich ganz ähnlich mit den Sachen verhalten. Ich meine
damit nicht die allgemeine Darstellung von Zuständen, über
welche schon im Eingange gesprochen worden ist^ sondern die
Erwähnung einzelner Fakta, die Erzählung von Ereignissen.
Davon muss man zuerst ausscheiden, was bloss zu der Hand-
lung des Stückes gehörig und rein poetische Fiktion ist, wie
z. B. die Erzählung des Wursthändlers von seinem Kampfe mit
Kleon in dem Rathe, Ritter v. 624 ff., darin ist natürlich keine
Geschichte zu suchen. Hieher gehört nur die Erwähnung von
wirklichen Fakten, die oft vorkommen, bisweilen so, dass Per-
sonen in der oben dargestellten Weise damit verwoben sind, bis-
weilen so, dass sie dabei nur als Nebensache mitgenannt oder
auch ganz weggelassen sind. Allein auch dabei ist der Dichter
auf verschiedene Art verfahren. Entweder nämlich macht er sich
480 Ueber die Benutzung der alten Komödie.
ans irgend einer historischen Thatsache mit freiem schöpferi-
schem Geiste eine neue Geschichte, er formt das Geschehene,
Wirkliche, in das bloss Mögliche, oia av ^svoito xai ~a ouvara
xaxa To £i-/o; um. So dargestellte Ereignisse entsprechen also
gewissermassen den handelnd eingeführten Personen. Oder es
werden Thatsachen nur gelegentlich ohne solche freie dichterische
Umwandlung eingeführt, avo sie dann mit den eben so gelegent-
lich herbeigezogenen Personen in gleichem \'erhältnisse stehen.
Ein Beispiel jener ersteren Art ist die -wunderhübsche Er-
zählung in den Acharnern 5 1 5 ff . von dem Ausbruche des pe-
loponnesischen Krieges :
Indess — denn lauter gute Freunde hören's an —
Was klagen wir um alles das die Spartaner an?
Denn hier die — Stadt, ihr Herrn, die mein' ich nicht.
Behaltet mir's, ich meine die Stadt ausdrücklich nicht, —
Nein, Wichtelmännchen, Lumpenvolk, gewippt und gekippt,
Verprägt, verschlifFen, ehrlos, falsch hier eingesippt,
Die spürten und schnüffelten jede Jacke von Megara,
Und wo so einer einen Hasen, ein Ferkel sah,
Ein bischen Bollen, ein Körnchen Salz, ein Schnittchen Lachs,
Gleich war's megarisch und wurde verkauft desselben Tags.
Dergleichen war denn noch gering und heimisch Ding,
Als aber ein Haufe junger Leute gen Megara ging
Und kottabostrunken da die Hure Simaitha fing.
Da wurden die Megarer bollenwild ob so grossen Leids,
Und raubten Aspasien zween Huren ihrer Seits.
So kam der Anfang dieses Kriegs gewitterschwer
Von den drei Lohnhuren über alle Hellenen her.
Denn Perikles, der Olympier, jähen Zorns entbrannt.
Der blitzte, donnerte, schütterte wild das Hellenerland,
Gab Kriegsmanifeste recht im Trinkliedstil verfasst:
»Nicht zu Wasser und Land, nicht in Hafen und Markt, nicht als
Wandrer noch Gast,
»Nie suche noch finde sich hier ein Megarer Ruh noch Rast.«
Die Megarer drauf, da sie allgemach zu hungern begann,
Da lagen sie den Spartanern, die es von ferne sahn.
Um Widerruf des Hurenvolksbeschlusses an ;
Allein so oft sie baten, wollten wir nimmermehr.
Da endlich begann der wilde Lärm von Schild und Speer.
In dieser Schilderung ist die durchaus wahre Thatsache
zu Grunde gelegt, dass die Streitigkeiten Athens mit Megara
und die von Athen gegen den armen Nachbarstaat verhängte
Handelssperre (ein hlocus hermetique eine Hauptveranlassung
Uebek die Benutzung der alten Komödie. 481
zu dem Ausbruche des peloponnesischen Krieges war. Denn
dass die Ursachen desselben weit tiefer lagen, das hat schon
Thukydides zur Genüge gezeigt. Jene Thatsache gestaltet nun
aber der Dichter im Einzelnen ganz willkürlich; denn wenn
vielleicht an dem Dimenraube auch irgend etwas Wahres ge-
wesen ist, was dahin gestellt bleiben muss, so ist auf jeden Fall
doch der Zusammenhang, in den derselbe mit dem Ausbruche
des Krieges gesetzt wird, ganz und gar unhistorisch, Avas jetzt
noch beweisen zu wollen überflüssige Mühe wäre, obschon einst
die Megarer sich auf Aristophanes berufen haben sollen. Vgl.
Plut. Pericl. 30. Die poetische Ausbildung des Ereignisses passte
aber vortrefflich zu der ganzen Tendenz des »Stückes, zu zeigen,
dass der ganze Krieg ein Elend und um der elendesten Ursachen
willen unternommen worden sei. So ist sie vollkommen ge-
rechtfertigt und der Dichter verdient keinen Vorwurf, wohl aber
der, welcher ihn wie einen Historiker benutzen will. — Die-
selbe ßewandtniss hat es mit mehreren ähnlichen Erzählungen
und Darstellungen, die je nach dem Zusammenhange und
dem Bedürfnisse des Dichters sich mehr oder weniger an das
Thatsächliche anschliessen. Sie sollen und wollen nicht eine
Geschichte geben, sondern eine dichterische meist scherzhafte
Darstellung ihres Gegenstandes. Man wird also in ihnen sorg-
fältig die zu Grunde liegende historische Thatsache von der
poetischen Zuthat und Ausschmückung unterscheiden müssen.
Bloss gelegentliche Erwähnungen von Ereignissen und
Handlungen Averden dagegen in der Kegel der Wahrheit näher
liegen. Die Gränze zAvischen diesen und den längern poeti-
schen Erzählungen lässt sich freilich nicht scharf ziehen, und
der Ziisammenhang muss da oft entscheiden, Avie etwas auf-
gefasst Averden muss. Am meisten reinhistorische Wahrheit
enthalten, wie leicht einzusehen, solche Stellen, avo etAA^as
gar nicht um seiner selbst Avillen , sondern bloss als Neben-
bestimmung für etAvas anderes angeführt AA'ird. So heisst es in
den Achaniern 501 folg.
Und Avas ich sage, Avird, Avenn hart auch, Avahr doch isein ;
Denn nicht, Avie sonst, kann heute Kleon mich A^erschrein,
Ich AvoUe die Stadt in Gegenwart der Fremden schmähn,
Da AV'ir unter uns heut sind am Feste der Lenä'n ;
Noch sind ja keine Fremden hier, noch kommen ja
Die Tribute nicht, die Bündner nicht von fern und nah.
A'i scher. Schriften I. 31
482 Ueber die Benutzung der alten Komödie.
Daraus kann man mit der vollkommensten Sicherheit abneh-
men, dass das Stück an den Lenäen gegeben worden ist. und
dass zu dieser Zeit die Bundesgenossen noch nicht in Athen
zu sein pflegten. Denn dies ist durchaus uxw angeführt, um
die folgende freie Sprache, welche Dikaiopolis im Namen des
Dichters führt, gleich von vorne herein gegen solche An-
schuldigungen sicher zu stellen . was ja nicht im Mindesten
geschähe , wenn die dafür angeführten Gründe nicht wahr
wären; vielmehr wäre dann die Behauptung eine Absurdität.
— Dasselbe gilt von den an den Wursthändler gerichteten
Worten des Demosthenes. v. 230 folg.
Nur fürchte dich nicht; er (Kleon) ist ja gar nicht portraitirt;
Kein Maskenmacher -wollt , aus Furcht, er würde dann
Ihn maltraitiren, ihn portraitiren. —
Daraus geht klar hervor, dass der Paphlagonier Kleon)
nicht die Portraitmaske des Kleon trug ; denn sonst wäre dieser
Grund, warum der AVursthändler sich nicht fürchten solle,
nichtig und durch den Augenschein Aviderlegt gewesen. Und
dass die Furcht der Maskenverfertiger die Ursache Avar, dürfen
wir dem Dichter wohl glauben . wiewohl in dieser Beziehung
eine Abweichung von dem Thatsächlichen eher möglich wäre.
V. 83 sagt Xikias bei der Berathung mit Demosthenes. wie sie
sich wohl der Tyrannei des Paphlagoniers entziehen können :
O Freund, am schönsten ists, wir trinken Ochsenblut,
\Vie Themistokles zu sterben, das sei unsre Wahl.
Dies zeigt klar . dass damals in Athen die Meinung ver-
breitet war. Themistokles habe sich durch Ochsenblut den Tod
gegeben, wie das bekanntlich auch von anderen Schriftstellern
gemeldet Avird. Aehnhche Beispiele Hessen sich in Menge an-
führen. Bisweilen enthält ein einzelnes Wort eine Anspielung,
die Licht auf historische Verhältnisse wirft. In den Rittern
v. 44 7, wirft der Paphlagonier dem Wursthändler vor:
Von den Frevlern stammst du, sag' ich aus.
Die mit Blut befleckt der Göttin Haus.
Diese Frevler ah.rr^oirji tt^; Oeou sind die Alkmaioniden.
von denen Thukydides I. 126 sagt: xal a~o routoo sva-sT; v.al
aÄirr^pioi tt^c ilsoü IxsTvoi -t ExaÄouvro y.a't to '(i^^ot -o o.t. sxst'vojv.
Wir ersehen aber daraus, dass zu ihnen zu gehören noch da-
mals als Vorwurf vorkam . Avie beim Beginn des peloponnesi-
L'eber die Benutzung der alten Komödie. 483
sehen Krieges auch die Spartaner durch Erinnerung an diesen
Frevel den Perikles zu stürzen versucht hatten.
In anderen Fällen mrd dagegen das gelegentlich erwähnte
Ereigniss schon weiter ausgemalt, und nähert sich mehr den
ersterwähnten poetisch ausgebildeten Erzählungen. Ein hüb-
sches Beispiel dieser Art bietet die Lysistrate, v. 387 folg., wo
der Probiile spricht :
Ist endlich jetzt auch klar der "Weiber Uebermuth
Und Paukentaumel und Sabaziosschwärmerei
Und jenes Adonisheulen auf den Dächern i'ings,
Das ich ja jüngst selbst in der Ekklesia hab' gehört?
Da rieth der Unglücksredner Demostratos zum Zug
Gen Syrakus ; di-ein schrien die AVeiber in wildem Tanz :
»Todt, tüdt, Adonis !« Wieder rieth Demostratos,
Die Schwerbewaffneten aufzubieten auf Zakynth;
Und wieder die A^t'eiber trunken auf den Dächern rings :
»Klagt, klagt den Adonis 1« Endlich überschi-ie sie doch.
Der Gottverhasste, erzverworfne RasetollI
Das haben wir von deren verwünschter Singerei I
Hier Avird also als Beispiel für das verderbliche Treiben
der Frauen angeführt, dass sie die Adonisfeier begangen hatten,
an dem Tage, als Demostratos in der Ekklesia für den Zug
nach Sicilien sprach. Das hat nur dann einen Sinn, wenn es
wirklich so statt gehabt hatte. Plutarch im Alcib. IS und
Nie. 12. 13 bestätigt es auch vollkonanen. und namentlich dass
man darin ein Unglückszeichen sah. —
Doch genug der Beispiele. Es ist klar, dass in solchen
Erwähnungen immer etwas Thatsächliches enthalten ist , das
häufig ohne alle poetische Zuthat erscheint, oft aber mehr oder
weniger zurücktritt und in poetischer Hülle versteckt ist. Auch
hier gilt im Allgemeinen der oben bei den Personen aufge-
stellte Satz, dass der Dichter die Sachen meist Aon der komi-
schen Seite und oft mit Uebertreibungen darstellt; femer. dass
nie an eine kritische Sichtung der Wahrheit zu denken ist,
sondern aus Gerüchten, Stadtgeschwätzen, Traditionen aufge-
nommen wurde, was eben für den vorliegenden Zweck passte.
Die Gränze zwischen dem rein Thatsächlichen und der dich-
terischen Willkür aufzufinden ist auch hier oft sehr schwer,
ja unmöglich, doch sieht man leicht, dass je gleichgültiger
eine Sache an und für sich ist, je weniger sie unmittelbar mit
31*
484 Ueber die Benutzung der alten Komödie.
dem Z-weck des Komikers zusammenhängt, um so mehr dieser
der historischen Wahrheit sich angeschlossen haben wird,
je bedeutender dagegen dieselbe für sich oder durch ihre
Verbindung mit dem ganzen Zusammenhange ist, destomehr
poetische Freiheit in der Behandlung vorausgesetzt werden
muss. Auch hier ist im Ganzen der Gebrauch anderer Quellen
nicht zu entbehren, wiewohl in manchen Fällen der Dichter
allein genügt, was der Zusammenhang lehren muss.
Der Wirklichkeit am nächsten stehen in der Komödie
die Parabasen im engem Sinne des Wortes, wo der Dichter
in seinem eigenen Namen zu dem Publikum spricht. Was in
ihnen gesagt Avird, muss man als reell vom Standpunkte des
Dichters aus betrachten. Das heisst, der Dichter handelt da-
rin von seinen Vorzügen, von seinen ^'erdiensten überhau])t,
von seinem Verhältnisse zum Volke , in der für ihn vortheil-
haftesten Weise; es sind gleichsam poetische Apologien und
Enkomien, in denen er gleich dem Kedner, Alles zu seinem
Vortheile dreht und darstellt, aber doch nie sich rein dem
Fluge der Phantasie überlassen darf und kann. Es wird also
hier ungefähr die gleiche Behutsamkeit beim Gebrauche nöthig
sein . wie bei den Rednern und ausserdem noch die poetische
Form in Anschlag gebracht werden müssen.
Wenn die aufgestellten Grundsätze richtig sind, so Mird
also der unmittelbare historische Gewinn, der aus der Komödie
zii ziehen ist, nicht so gross sein, als er Manchen schei-
nen mag. Für Beurtheilung der einzelnen Charaktere und für
Ausmittlung einzelner Thatsachen müssen wir sie für eine im
Ganzen unlautere Quelle erklären, welche nur durch V'erbin-
dung mit andern Nachrichten und auch da nicht immer ge-
läutert Av erden kann. Weit entfernt aber, damit ihr einen
Vorwurf zu machen, behaupten war, dass das in ihrem Wesen
als Poesie liege ; wer ihr mehr historische Bedeutung geben
wollte, würde sie in ihrem Werthe als Poesie herabsetzen. Sie
verliert aber auch durch unsere Bestimmung in ihrem Avahren
historischen Werthe nicht. Der ist nicht darin zu suchen, dass
sie uns über einzelne Personen und Ereignisse in Gewissheit
setze, sondern darin, dass sie mehr als irgend eine andere
Gattung der Literatur ein 13ild darbietet des inneren Lebens
und Treibens der Zeit. Wir erhalten es freilich von seiner
Ueber die Benutzung der alten Komödie. 485
■schwachen und lächerlichen Seite ; allein sobald "vvir das nicht
vergessen, können Avir uns, besonders in Verbindung mit an-
dern Schriftstellern, auch die bessere daraus abnehmen und
selbst aus rein unrichtigen Darstellungen wichtige Eesultate
gewinnen. Vorausgesetzt z. B. auch, die AngriiFe auf die be-
deutendsten Demagogen und Feldherren wären durchaus \n\-
gerecht , so eröffnet ims doch schon der Umstand , dass man
damals Männeni . die an der Spitze des gemeinen AVesens
standen, öffentlich Schurkereien aller Art vorwerfen durfte,
einen weiten J^lick. Wo das geschehen konnte, da war das
Vertrauen zwischen dem Volke und seinen Führern tief er-
schüttert, und das zu erkennen all'^in ist ein historischer Ge-
wann, weit wichtiger als hundert Einzelheiten. Und so ist
es mit einer Reihe anderer Verhältnisse; da. wie im Eingange
bemerkt, der Boden der Komödie der der Wirklichkeit ist. da
die allgemeinen Zustände immer so weit dieser entsprechend
geschildert werden mussten, dass die Zuschauer sich darin
fanden, so ist die Komödie für Sitten, Gebräuche und Ein-
richtungen aller Art eine Avahre geschichtliche Fundgrube.
Den Hergang in den Volksversammlungen, das Treiben der
Gerichtshöfe und der Parteien, die Erziehung des athenischen
Knaben, die Beschäftigungen und Vergnügungen des Jüng-
lings, die Bedürfnisse und Genüsse des A'olks. die Anordnung
lind den Charakter mancher Feste, mit einem Worte , das in-
nere Leben Athen' s lernt man aus Aristophanes und aus der
alten Komödie überhaupt besser erkennen, als aus den Histo-
rikern. In dem Smne muss sie daher benutzt werden, und
wem es darum zu thun ist, das geistreichste Volk, das je
existirt hat, in seinem täglichen Treiben zu erforschen, der
muss den Aristophanes studiren. Vor Missbrauch und Ueber-
schätzung werden Thukydides und seine Nachfolger hüten; und
nehmen wir dazu noch Flaton, so dürfen Avir M'ohl behaupten,
dass für keine Zeit der gesammten Geschichte so herrliche
Hülfsmittel zur Erforschung des Gesammtlebens eines A'olks
vorhanden sind, als für jene Periode der sinkenden Grösse
Athens. —
zu ISOKEATES PAXEGYßlCUS §. 106.
|i.£-a fio -a'jtr,; sc. -o'i.i-cdo.i, oiy.oüvTc; £,iociar,7.ov-' ettj o'.£T£X£aa(jL£v Bekker
oe rpö; 3'fä; 'vt-JToy;. £'.pT,vT,v o' a-fo-zTc; rpo; ravTa; *vi)pojT:o'j;.
Fhilologns X, 1S55 p. 245—249.;
VV eiin je eine Conjectur glücklich genannt Aveiden konnte,
so war es die von Bekker, der an der genannten Stelle otsri-
ÄE3C/.V anstatt des von den Handschriften gegebenen otsTeXsaa-
ijLiV schnei). Damm sind denn auch alle späteren Herausgeber
ihm gefolgt, bis IJenseler Avieder zu der Lesart der Hand-
schriften zurückgekehrt ist. Darüber -wäre freilich bei dem
vielen Sonderbaren . das seine Ausgabe enthält . sich nicht zu
verwundern; da aber Rauchenstein in seiner für die Schule
bestimmten Ausgabe 2. ed. IS 55 in die folgenden Ausgaben
hat er indessen oiöTi/.ssav aufgenommen auffallender Weise
gefolgt ist und sagt, Benseier habe die Lesart aller Hand-
schriften scharfsinnig wieder in ihr Recht eingesetzt, lohnt
es sich Avohl der Mühe, die Stelle näher zu betrachten. Benseier
behauptet. Avenn i^oouTlxov: i-r^ auf die Zeit zAvischen den Perser-
kriegen und dem Ende des peloponnesischen bezogen würde, so
wäre das die grösste Unwahrheit. »Fällt doch in jene Zeit der
peioponnesische Krieg mit allen seinen inneren Aufständen und
äusseren Greueln und blutigen Kämpfen, und gleichwohl soll
Isokrates gesagt haben, man l habe in dieser Zeit nichts von
inneren Unruhen geT\-usst und Friede mit aller Welt gehabt.
Eine solche Behauptung wäre ganz der gleich, wenn ein heu-
tiger Redner von der Zeit von 1760 — IS 50 dasselbe behaupten
wollte« u. s. w. Man müsse also an die Zeit z'o'ischen der
Aufhebung des zehnjährigen Archontates und dem Kylonischen
'
Zu ISOKRATES PaNEGYRICUS §.106. 487
Aufstand denken, Avie schon Monis getlian, auf die passe dann
die Schilderung vortrefflich. — Dass mit Beibehaltung von oiets-
Äsaau-öv die 70 Jahre auf jene Zeit der attischen Hegemonie
nicht bezogen werden können, ist vollkommen richtig. Sehen
wir aber zu, ob die 70 Jahre von Abschaffung des zehnjähri-
gen Archontats bis auf Kylons Zeit passen. Ich will dabei
die Möglichkeit zugeben, dass Isokrates hier eine Schilderung
der attischen Verfassung beabsichtige, obwohl jeder Leser viel-
mehr eine des Zustandes der Bundesgenossen erAvartet, und
unstreitig die A'ertheidigung des athenischen Verfahrens viel
bündiger ist, wenn der Zustand der Bundesgenossen unter der
gegebenen Verfassung ein gedeihlicher war, als Avenn Athen
selbst sich einmal bei dieser Verfassung glücklich befand.
Die Verfassung, Avelche Athen bei den Bundesgenossen
einführte, Avar die Demokratie, das sagt Isokrates selbst deut-
lich, und es ist anderAvärts her bekannt genug, die, Avelche in
jenen 70 Jahren 683 — 612; in Athen bestand, Avar eine
Oligarchie, und ZAvar eine strenge. Hauchenstein sagt freilich,
es sei keine reine Oligarchie, sondern eine aus aristokratischen
und demokratischen Elementen gemischte TzoXizeia gcAvesen vmd
beruft sich auf Schömann's Verfassungsgeschichte Athens
S. 30 ff., Avo aber nichts derartiges steht. Wer es noch nö-
thig findet, vergleiche dagegen Schömann antiqu. jur. publ.
Graec. p. 169 oder Hermann Staatsalterthümer § 102. Ben-
seier hilft sich etAvas anders. Wenn es auch nicht eine De-
mokratie Avirklich Avar, so soll doch Isokrates sie in der Art
aufgefasst haben; doch hören wir ihn selbst: »Man hat dieser
Erklärung erstens entgegengesetzt, dass dies ja eine viel zu
vmbekannte Zeit sei, als dass die Leser daran hätten denken
können, und dass damals mehr eine Aristokratie unter den
neun Archonten Thuc. I, 126, als Demokratie in Athen ge-
herrscht habe. Allein Isokrates hat gerade diese Zeit
offenbar auch anderAvärts gelobt, als die der glücklichsten Ver-
fassung, aus Avelcher ein Aristeides, Themistokles und Miltiades
hervorgingen, üb. Fried. § 75, avo die Wahl der Obrigkeiten
noch die Besten traf, die ZAvar nach Demokratie strebten, aber
dabei die alte monarchische und aristokratische Fürsorge für
das Volk beibehielten. Panathen. 139 u. ff.« Das ist grund-
falsch. In der Rede über den Frieden stellt Isokrates der
4S8 Zu ISOKRATES PaXEGYRICUS §. 106.
Zeit der attischen Thalassokratie die Zeit vor derselben ent-
gegen, also die Zeit vor den Perserkriegen und zwar, da
Miltiades , Aristeides . Tliemistokles aus ihr*, hervorgingen,
hauptsächlich die Zeit vor den Perserkriegen , jedenfalls
nicht gerade die Zeit der 7 0 Jahre zwischen Abschaffung
des zehnjährigen Archontats und Kylon. A'ielmehr liegt da-
zwischen mehr als ein Jahrhundert , und zwar das für die
Yerfassungsentwicklung wichtigste Jahrhundert der Gesetz-
gebung Solons, der Tyrannis des Peisistratos und Hippias und
der Verfassung des Kleisthenes. Aber im Panathenaikos ?
Benseier fährt fort: »Nun gibt er ihr zwar Panath. § 148,
wo er sie vom Sturze des Königthums 1132 nach Larcher
bis Solons Gesetzgebung (594 bestimmt 1000 Jahre; allein
hier, wo er die Zeit der schon etwas mehr ausgebildeten De-
mokratie (mit einjähngen Archonten) ins Auge fasst ( ? , und
die Zeit der Peisistratiden abrechnet, waren eben nur 70 Jahre
anzunehmen.'! Man traut hier seinen Augen kaum. Aon
1132 — 594 sollen 1000 Jahre sein, imd von der Zeit bis Solon
soll die spätere Zeit der Peisistratiden abgerechnet sein ! und
von der tausendjährigen Demokratie wird der Uebergang zu
den 70 Jahren der schon etwas ausgebildeten Demokratie mit
bewundeniswerther Naivetät gemacht, iim zvi zeigen, dass es
gerade dieselbe Zeit ist. Wer ohne Voruitheil die Sache an-
sieht, wird freilich leicht erkennen, dass Isokrates im Pan-
athenaikos die ganze Zeit vor der Tyramiis des Peisistratos als
Demokratie ansieht nach emer den Athenern geläufigen Fiktion,
dass These US der Gründer derselben sei, § 129 -r^v [ih tto/.'.v
(u; ki';=.~ai oioixslv -(o -Är^üci rapsotuxcv. Auch so freilich erge-
ben sich nach der uns überlieferten Chronologie noch lange
nicht tausend Jahre. Will man diese nicht als eine ganz un-
genaue runde Zahl fassen, so muss man annehmen, dass Iso-
krates auch die Königszeit vor Theseus i; , die er ja als Vor-
bereitung und Grundlage der spätem Entwicklung betrachtet,
mitgerechnet habe. Also die ganze Zeit vor Peisistratos hat
er als eine glückliche, gesetzliche geschildert. Das ist freilich
historisch nicht richtig, aber vom rhetorischen Standpunkt aus
1) [Nach der alexandrinischen Chronologie fällt Kekrops 1-5.57, Peisi-
stratos in das Archontat des Komias = 560.^
Zu ISOKRATES PanEGYRICUS §.106. 489
ZU begreifen. Es bildet diese ganze Zeit einen Gegensatz
sowohl zur Tyrannis, als zur späteren schrankenlosen Demo-
kratie. Aber ganz unstatthaft ist es, aus dieser langen, ge-
nauer historischer Betrachtung ziemlich entzogenen Zeit, nun
willkürlich einen Zeitraum von 70 Jahren herauszuheben, den
man überdies durchaus nicht als den schon etwas ausgebilde-
terer Demokratie betrachten kann, der nicht einmal einem
Rhetor Anlass geben konnte, ihn so darzustellen. Vielmehr
ist es gerade die Zeit der härtesten Oligarchie, als deren Folge
die Drakonische Gesetzgebung und der Kylonische Aufstand
sich ergeben. Nie und nimmer konnte der Redner gerade
diese Zeit im Gegensatz zu früherer oder späterer als die be-
zeichnen, deren ^'erfassung Athen bei den Kundesgenossen vor
Augen gehabt. Selbst aber vorausgesetzt, es könnte die \ei--
fassung dieser Zeit vorzugsweise als Demokratie bezeichnet
werden, -wie unpassend Aväre es zu sagen : wir haben den Bun-
desgenossen eine Verfassung gegeben, deren VortrefFlichkeit
wir an uns selbst erprobt haben. Denn wir haben einmal
anderthalb Jahrhunderte, bevor wir sie bei den Bundesgenossen
eingeführt, 70 Jahre lang glücklich unter ihr gelebt! Die
Frage läge auf der Hand, warum denn die Athener sie dann
nicht bei sich selbst behalten, oder falls jemand trotz Solon
und Kleisthenes die spätere als dieselbe betrachten wollte,
warum sie denn später nicht mehr dieselben Folgen gehabt
habe ? Und welcher Leser hätte je errathen können , dass
Isokrates eine so obscure Zeit, die nie und nirgends sonst als
eine abgeschlossene ^ ein Ganzes bildende Periode erwähnt
wird . gemeint habe ! Diese Sch\A ierigkeit hat Benseier zwar
berührt, aber auch nicht im Geringsten entfernt.
Endlich aber passen auch die Worte aTreipoi - ävi)p(u7:ou;
gar nicht. Denn was soll bei Athen und zwar bei Athen im
siebenten Jahrhundert e^^suOspoi irpo; touc ßapßapouc? In einer
Zeit, wo von Angriifen der Barbaren auf Griechenland noch
die Rede gar nicht war, wo das Perserreich noch nicht
existirte, und wie kann das vernünftiger Weise als ein Vorzug
jener Verfassung gepriesen werden? Denn darauf kommt es
an. Benseier sagt freilich, die Stelle enthalte einen Seiten-
blick auf die nachfolgenden Zeiten, wo Persien für Hellas die
Ursache mannichfaltiger Beunruhigung wurde und später eine
490 Zu ISOKRATES PaNEGYRICUS §. 106.
Art indirecter Abhängigkeit eintrat! Auch dataata^Toi -po;
a'ia; auioii; ist keinesAvegs von dieser Zeit wahr. Denn so
wenig uns auch das Einzelne bekannt ist, so wissen wir doch,
dass die Drakonische Verfassung xind der Kylonische Aufstand
mit vorhergegangenen inneren Zwisten zusammenhingen, und
dass die 3-7.331; , die zwischen Kylon und Solon entstanden,
schon früher existirt hatten, sagt ganz bestimmt Phitarch,
Solon 13.
Jene Zeit kann also unmöglich gemeint sein . und wir
Averden nothwendig auf die ungefähr 70 Jahre der attischen
Hegemonie geführt, als den einzigen ein geschichtliches Ganze
bildenden Zeitraum von diesem Umfange, dass dann nicht
0'.cTsÄS37.jjLcv gelesen werden kann, ist unbestritten, das ergäbe
einen selbst bei dem kecksten Redner nicht zu ertragenden
Widerspruch mit der Wahrheit. Es fragt sich also nur, ob
bei oi£T£A£3'av die »Schwierigkeiten wegfallen und die Schilde-
rung a-£tpa-avUp(ju-ou; erträglich wird. Dabei dürfen wir na-
türlich nicht den streng historischen, sondern den oratorischen
Maassstab anlegen, und dass Isokrates nicht eben scnipulös ist,
ist bekannt genug. Um aber auch oratorisch erträglich zu
sein, muss die Darstellung doch eine gewisse Grundlage haben,
die man durch Uebertreiben des einen, Verschweigen des an-
deren und einseitige Auffassung sich beliebig zurecht macht,
und das ist hier der Fall. Tyrannen hatten die Bundes-
genossen unter Athens Herrschaft gar keine, das ist streng
historisch wahr, kurz vorher Avaren sie fast alle unter solchen
gcAvesen. Frei gegenüber den Barbaren Avaren sie auch, vorher
und bald nachher Avaren sie zum grossen Theil Unterthanen
der Perser: a3Ta3ia3to'. roo: 3'ia; auTO'J; ist ZAvar nicht streng
historisch richtig, aber doch nicht mehr, als ein etwas hyper-
bolischer Ausdruck. Bis zum Jahre 412. dem Ausgange des
sicilischen Krieges, waren die l^)undesgenossen unter attischer
Hegemonie ruhiger in ihrem Innern, als kaum sonst je. ihr
Zustand erscheint besonders ruhig, wenn man ihn mit dem
etwas späteren vergleicht, wo während Spartas Herrschaft
Greuel aller Art die Städte A'erödeten. Dass Isokrates es so
ansah , Avorauf es denn doch ankommt , beweisen deutlich die
§ 102. 103, wo dass Gedeihen der Bundesgenossen unter Athen
gepriesen Avird. Und ähnlich verhält es sich mit dem £i&T]vr;v
Zu ISOKRATES PaNEGYRICUS §. 106. 491
a-j-ov-sc ■TTpo; T.ävTac av&ptu-oo;. In den früheren Jahrhunderten
waren die asiatischen Städte iinaufliörlich von Lydern und
Persern bekriegt und unterjocht worden, von den Kriegen
unter ihnen selbst zu schweigen. Seit Athen die Hegemonie
übernommen hatte, war das anders geworden. Sein mächtiger
Schutz gab ihnen Sicherheit gegen äussere Feinde, hinderte
Fehden unter ihnen selbst. Athen selbst führte freilich viele
Kriege; aber diese berührten die Bundesgenossen sehr wenig,
am wenigsten gerade die cpopou utiotöAsI?, die durch ihre Tribut-
zahlungen in der Regel von weiteren Leistungen frei waren,
und deren Gebiet bis zu dem genannten Jahre 4 1 2 vom Kriege
mit geringen Ausnahmen ganz vc-schont blieb.
So ist also die Lesart otsTöXsaafj-sv unbedingt zu verwerfen,
dagegen öisriÄs-av aufzunehmen, bei der Alles aufs Beste zu-
sammenpasst.
zu POLYB. Y. 94.
[Philologus II, 1S47. S. 46'.»— 472.]
To TouTov uTToaTpa-T, "("ov sTvoct Tore TTj; auvTEAsiac tt, c
ra-pr/Y):. Casaubonus übersetzt das: tnercenarios vero Lyco
Phare?isi commendat. qtila is pro praetore tunc ditioni praeerat,
patriae ipsius contrihutae. Ebenso hat Reiske einen Unterfeld-
herm der einzelnen Stadt Pharai verstanden. K. F. Hermann
Staatsalterth. § 1S6. 10. dagegen vermnthet mit Rücksicht auf
Polyb. W. 59. "vvo ein uroarpotTTjYo; tu)v 'A/aiiuv genannt wird,
es seien unter sovriÄeia raTpi/rj die ursprüngUchen Achaier im
engeren Sinne im Gegensatz des ganzen l^undes zu verstehen.
— Mich befriedigt keine dieser Erklärungen. Bei der ersten
wäre TrarpixT^c in einer ganz ungewöhnlichen Bedeutung, weni-
ger bei der von Hermann vorgeschlagenen, doch bleibt der
Ausdruck zum mindesten sehr dunkel. Versuchen wir daher
eine andere. Zuerst ist zu bestimmen, Avas ouvriÄsia hier ist.
2uv7c)>£Tc heissen solche Personen oder Staaten, die gemeinsam
gewisse Steuern. Beiträge bezahlen. auvTsÄsia bezeichnet theils
die Handlung des 3'jvtsasiv 'Haii^okration auvTöXsT;). theils und
zwar gewöhnlich die zu einem solchen gemeinsamen Zahlen
zusammengetretenen Personen oder Gemeinden, besonders be-
kannt sind die zin- Trierarchie in Athen gebildeten Spitelien.
Al>er auch bei den attischen Bundesgenossen kommt der Aus-
druck 3'jv-sAsT; bereits vor. Boeckh Staatshaushalt I S. 445.
Ob das Substantiv auvriXsia von ihnen gebraucht wurde
in dem Sinne einer Steuergenossenschaft; ist nicht nachzu-
weisen, aber sehr wahrscheinlich, da das Wort von anderen
Zu POLYB. Y, 94. 493
Genossenschaften und ^'ersaminlungen öfters vorkommt. Später
ist der Gebrauch häufig und zwar so, dass nicht mehr der
Begriif des gemeinsamen Zahlens ausschUesslich darin liegt,
sondern der der politischen Zusammengehörigkeit überhaupt, dass
es also einen Bezirk, ein Gebiet einer Bundesgenossenschaft
bezeichnet, wie die Verba -tXzh und auvTsXcIv iic »wozu ge-
hören« heissen. So Plutarch compar. Phil. etFlam. l. <I)iXo7roi-
[xr^v oe TTj? Traxpiooc Si opyr^v acpsiXsTo tt,v -öptoixioa aüVTeXsiav,
womit zu vergleichen Philop. 13. sx ok toutou 7rapop(U|X£voc utco
-a)v ^oAiTu)v b <I>iXo7roiaTjV a-h■:r^oz TroXXac täv TTspioixiotov xtuiiÄv
Xs-j-siv oioa^a? «)c ou auvstiXouv ouo Vjoav i? ^p/J(? sxiivaiv. Es
bezeichnet also hier das mit Megalopolis ein Gemeinwesen
bildende Gebiet, ohne dass sich entscheiden Hesse, ob dasselbe
unterthänig gewesen (wie üroysen Hellenismus II S. 464 meint)
oder nicht. Ferner Pausan. VII, 15, 2 acpiivai xsXeutuv tt;?
-poc ocpa? (tou? 'A/aiouc) ouvTsXst'ac Aaxsoaiixovi'ouc er hiess sie
die Lakedaimonier aus dem achaiischen Bunde entlassen, vgl.
denselben YII, 15, 2 'HpcxxXciav ok Trpoc£xai>r,vTo TroXiopxouvxe?
ou ,3ouXo[ji£vouc U -0 'Ayaixbv auvTcXsTv. So wird nun auch an
unserer Stelle auvTsXcia die Bedeutung einer solchen poUtischen
Gemeinschaft eines zusammengehörigen Gebiets im engeren
oder Aveiteren Sinne haben. Nun glaube ich aber, dass auvis-
Xcict rarpixT ebenso wenig das dem Vaterlande jemandes an-
gehörige Gebiet bezeichnen könne, als dass darunter die
ursprüngliche auf Achaia beschränkte Eidgenossenschaft im
Gegensatz zu den ausserachaiischen Orten gemeint sei, und
ich weiss mit dem Adjectiv -a-pixr] nichts anzufangen, dagegen
scheint mir sehr nahe zu liegen statt Trarpixr)? zu lesen IlaTpi.-
xT,c oder riaTpaixr,:, des Bezirks von Patrai. Die Adjectivfonn
naxpixo; oder Ila-paixoc von Ilatpai ist mir zwar sonst nirgends
her bekannt, allein die eine wie die andere ist ganz sprach-
richtig. Die Einwohner von Patrai heissen geAvöhnlich natpelc,
ionisch riatpssc, so bei Herodot, Thukydides, Strabo, Pausa-
sanias u. a. auch auf einer Inschrift C. I. G. SSO, bei Poly-
bios scheinen die Formen riarpsTc (II, 41 u. a.j und naipaisT?
IV. 6. 9. 25 u. a.) ganz ohne Unterschied gebraucht zu sein,
letzteres analog der Form (I)apai5T? von Octpai. Auf einer lako-
nischen Inschrift C. I. G. 133S finden wir den Genetiv Pluralis
riaToaiojv von Ila-oaToc weniger richtig wäre wohl es als con-
494 Zu POLYB. V, 94.
trahirten Genetiv statt üarpaisojv zu nehmen, "wie Xa/.SKJuv statt
XaXai2£(üv C. I. G. I, 1567. Ahrens de dial. dor. p. 237).
Also ist sowohl das Adjectiv riarpiy.o; als Unxpo.iY.oc richtig
gebildet, mit ersterem vergleiche man unter andern FlaTapa
IlaTapEuc OaTapixo; . Tavaypa Tavayp'j'.to; Tavayptxd; . f-aÄaopai
FaXctopaTo; FoiÄaopiy.o? bei Steph. ]>yz.. mit ITaTpoiixo; wäre
unter andern Oapal'xoc Strabo VIII p. 3SS C. <:)y),3a'.. 0rj,3aixoc
zusammenzustellen. Die 3uvT£X£t7. Oa-pixT] oder narpatxr^ wäre
nun also das Gebiet, das mit Patrai einen Bezirk, sei es zur
zur Entrichtung von Steuern, sei es zu sonstigen politischen
Zwecken bildete. Was Avar das nun aber für ein Bezirk?
Hier bietet sich uns zunächst eine andere Stelle aus l^olyb.
XXXIX, 9. 4 dar. IlaTpsT; Zk xoti ~o asroi toütojv 3'jvt=Ä'.xov '^irjo.yti
'/Jjö''i<^ -poTSpov i-xo.i/.ti xara -t,v (l>a)x''o7.. üazu sagt Droysen
Geschichte des Hellenismus II S. 447 n. S4 : »Das Fragment des
Polybios XXXIX. 9. 4 sagt die naTpsT; xat to |x3T7. toutcov j-jvtc-
Xixov hätten in Phokis eine X'iederlage erlitten und Pausanias
VII. 15. 5, der hier sonst dem Polybios folgt, giebt an. Arkadier
seien es gewesen. Man könnte daraus folgern wollen, dass
die zehn (zwölfy achaiischen Städte die Gmudlage der A'er-
fassung geblieben, und die zukommenden Orte diesen zuge-
wiesen seien, dass die Repräsentation, die Abstimmung, die
Verwaltung u. s. w. nach diesem Schema gehandhabt worden
sei. Aeluiliche "N'erfassungsformen in ganz fremden Zeiten
können nichts beweisen. Sie ist für die Eidgenossenschaft
gewiss nicht vorhanden gewesen, das beweisen die Münzstädte
und vieles andere.« Dieser von Droysen also selbst verworfene
Gedanke verdient um so weniger Beachtung als durchaus nicht
erhellt, dass Pausanias mit seinen 1000 auserwählten Arkadiem
dieselben Leute meine, die Polybios mit dem s'jvts/.ixov der
Patraier bezeichnet. Sehen wir uns also nach einer anderen
Erkhirung um. so könnte man zunächst bloss an das eigent-
liche Gebiet von Patrai denken und unter dem auvzEÄixov die
Truppen aus den Landstädten und Dörfern verstehen, besonders
wenn man sich an Pausanias ^TI, IS. 6 erinnert. Er erzählt
daselbst, dass die Patraier im gallischen Kriege den Aitoleni
allein Hülfe geleistet und durch den Krieg bedeutend gelitten
hätten. Darum hätten sie zum grossen Theil Patrai verlassen
und sich in den umliegenden Landstädtchen des patraiischen
Zu POLYB. V. 94. 495
Gebiets, in Mesatis, Antheia. Boline. Argyra und Arba nieder-
gelassen. An dieses Gebiet liesse sich also denken, da in-
dessen die Bewohner dieser Orte gewiss alle wirkliche Bürger
von Patrai blieben, so zweifle ich, dass Polybios sie den Ila-
TpcT; als -0 [XcTol -outu)v auvTöÄixov entgegengesetzt hätte.
Daher ist mir wahrscheinlicher, dass die auvTsÄsio-. von
Patrai nicht nur das Gebiet dieser Stadt bezeichne . sondern
einen grösseren Strich des achaiischen Landes, nämlich den
westKchen Theil des eigentlichen Achaia. der ausser dem Ge-
biete von Patrai auch noch das von Pharai. Tritaia und Dyme
in sich fasste. Diese vier Städte Avaren durch ihre Lage auf
ein enges Zusammenhalten gewiesen, sie sind es. die zuerst in
einen ]]und traten, daher keine .Säule ihren Beitritt zum
achaiischen Bunde bezeugte, sie bildeten vielmehr den kleinen
Kern, an den allmählich die andern Städte sich anschlössen.
Polyb. IL 41. Sie waren im Kriege, besonders Avährend des
Bundesgenossenkriegs, den Angriffen der Feinde von Elis und
Aitolien her vorzugsweise ausgesetzt. Daher sehen wir einmal
die Dymeer, Tritaier und Pharaier beschliessen : su zy.; tj,lv
y.oiva; iic^opac ~olc W.yj.'.ol: ixt) tsÄsTv, loia os a'jarrsaailai uisiio-
cpdpou;. Polyb. IV, 60. Etwas später, Y, 30, erzählt derselbe
Schriftsteller, wie das Gebiet von Patrai. Dyme. Pharai ver-
wüstet wird und daher die Städte ihre Bundesabgaben schlecht
zahlen. Augustus endlich, der die Stadt Patrai zur römischen
Colonie machte, theilte ihr die Städte Dyme, Pharai. Tritaia
zu, was auf einen früheren engeren ^ erband zu weisen scheint,
Pausan. VII, 17, 5. 22. 1. 6. Nicht unAvahrscheinlich ist es
daher, dass diese Städte auch während der Existenz des Bundes
einen Bezirk für administrative und militärische Zwecke 1)il-
deten, der nach der bedeutendsten Stadt benannt war. und
dass diesem Bezirke ein L'nterfeldherr vorstand. Möglich, dass
der ganze Bund in eine Anzahl solcher juvtsÄiiai eingetheilt
war, denen, als Militärbezirken u-o:j~oa.~r'(o<. vorgesetzt waren.
Das }ji£-7. Twv narpstov j'jvtsÄ'.v.ov würde dann die Truppen
aus den Städten bezeichnen , die ausser Patrai zur Syntelie
gehörten .
Dass Polyb. IV. 50 ein üro^TpctrrjYoc röjv A/aiaiv erwähnt
wird, scheint mir kein Hinderniss für die aufgestellte Ansicht,
da aus der Stelle nicht hervorgeht, dass es nur einen 0-0-7^7'-
496 Zu POLYB. V, 94.
ttjYoc gab. Der einem einzelnen Bezirke vorgesetzte u-03Tpa-
'Yioc, war nichts desto weniger auch uTroaTpa-r^Yo; xuiv 'A/aiuiv.
Die Worte lauten: o ok Mi'xxo; o AujxaTo; 'o3-£p Ituy/^-vs xat
szöivou? Tou; xaipouc u-oaTparr^YO? u)v töjv 'A)^aiu)v. Ganz ähnlich
sagt Thukydides IV, 66 : touc ~u)v 'A^r^vai'wv 3Tplx^rr^yJ6c, \--o-
xpaTTjV TS Tov 'Apicppovo; xai Atj}xo3i>£vt,v tov AXxi3i>£vo'Jc, obgleich
es nicht nur zwei sondern zehn Strategen gab.
DIE OLIGAßCHISCHE UMWÄLZUNG ZU ATHEN
am Ende des peloponnesischen Krieges und das Arcliontat des
Eukleides.
Nach dm Quellen dargestellt von Karl Friedrich Scheibe. — Leipzig
T. O. Weigel. 1S41. IX und 169 S. 8.
[Zeitschrift für Alterthumswissensch. 1844. n. 127. 128. 8.1009-1020.]
Die Ereignisse in den letzten Jahren des peloponnesischen
Krieges, welche für die Geschichte Athens und ganz Griechen-
lands so ausserordentliche Bedeutung hahen, sind bekanntlich
vielfach in Dunkel gehüllt. Die Ursachen sind doppelter Art,
theils in dem Gange der Dinge selbst, theils in der Beschaf-
fenheit der Quellen begründet. Mehr als in den früheren Zei-
ten zieht sich die Leitung der Geschäfte von der demokrati-
schen Oeffentlichkeit zurück in den geheimen Kreis der oli-
garcliischen Clubs, die von Lysandros geschützt imd geleitet
ihr Netz über ganz Griechenland ausbreiteten. Die Fäden der
Verschwörungen und Intriguen bleiben auch dem nicht einge-
weihten Zeitgenossen vielfach verborgen. Die Quellen, obwohl
an Zahl nicht unansehnlich, bleiben daher häufig schon wegen
dieser Beschaffenheit des Stoffes ungenügend, nicht minder
durch die Stellung und den Charakter ihrer Verfasser. Weder
Kritias noch Theramenes, weder Lysandros noch Agis haben
uns Memoiren hinterlassen. Xenophon, der ohne Zweifel mehr
hätte sagen können, geht mit sichtUchem Unbehagen so kurz
als möglich über die inneren Verhältnisse der Zeit weg, wo
die feingebildeten philosophischen Oligarchen durch Gift und
Verbannung ein aristokratisches Staatsideal erstrebten. Lysias,
Vischer, Schriften I. ^2
498 I^IE OLIGARCHISCHE UMWÄLZUNG IN AtHEN.
bei aller Reichhaltigkeit seiner Nachrichten, ist doch durch-
aus Parteiadvocat , ebenso Isokrates, und noch weniger genau
nimmt es Andokides mit der Wahrheit. Die Andeutungen des
Aristophanes mit den Erläuterungen der Scholiasten, die einzel-
nen Notizen bei den späteren Rednern, bei den Lexicographen
und Grammatikern, die Dialoge Piatons, endlich die späteren
Historiker, namentlich Diodor und Plutarch , helfen uns zwar
im Allgemeinen ein Bild der Zeit gewinnen, aber Widersprüche
und Lücken bleiben \iele, und erregen immer von Neuem das
Bedauern, dass dem Meister der alten Historiographie nicht
beschieden war, sein Ziel zu erreichen. Es ist daher sehr er-
freulich, dass in der neuesten Zeit mehrfache Versuche ge-
macht worden sind, jene Periode aufzuhellen und unter diesen
verdient vorliegende Schrift besondere Beachtung. Da sie be-
reits vor längerer Zeit erschienen, wohl schon in den Händen
der Meisten ist, die sich für alte Geschichte interessiren , so
will ich mich nur kurz bei der allgemeinen I>eui*theilung des
Buches aufhalten, um Raum zur Besprechung einiger wichti-
ger Punkte zu gewinnen , in denen ich mit dem Herrn Ver-
fasser nicht übereinstimmen kann.
In einer kurzen Einleitung, S. 1 — 13, weist der Verfasser
zuerst darauf hin, dass die Erscheinungen in diesem kurzen
aber reichen Zeiträume der Hauptsache nach dieselben seien,
wie in allen revolutionären Zeiten, imd giebt dann eine Ueber-
sicht der Entwickelung der oligarchischen Richtung von Klei-
sthenes an, Avobei die früheren Arbeiten, soAveit sie ihm zu
Gebote standen, im Ganzen mit Gewissenhaftigkeit benutzt
sind. Ein AA-iuiderliches Versehen hat sich indessen hier ein-
geschlichen, welches sich nur daraus erklärt, dass Scheibe nicht
immer seine Hülfsmittel mit der erforderlichen Besonnenheit
benutzt hat. S. 4 nämlich nennt er unter den Hetairienfüh-
rem, welche die jüngeren Adelichen Attika's gegenüber dem
Nikias um sich vereinigten, neben Phaiax, Alkibiades und
Euphiletos, auch Ismenias und Leontiades, offenbar von Krü-
ger zu Dion. Hai. p. 362 Anm. 4 verleitet. Hätte er aber
die von Krüger angeführte Stelle Xenophons nachgeschlagen,
so hätte er, worauf die Namen ihn schon leiten mussten, ge-
funden, dass es thebanische und nicht athenische Parteiführer
waren. Vgl. Plut. Pelop. 6. Sievers' Gesch. Griechenlands, 256.
Die ölig archische Umwälzung in Athen. 499
Nach dieser Einleitung wird dann die oligarchische Um-
wälzung selbst von den der Schlacht bei Aigospotamoi unmit-
telbar vorangehenden Ereignissen bis aiif die Reorganisation
des ganzen Staates unter dem Archontat des Eukleides in 19
Kapiteln vollständig dargestellt, und in drei Beilagen sind
chronologische Untersuchungen über die Einnahme Athens, die
verschiedenen Volksversammlungen und Lysandros Aufenthalt in
Sparta nach der Eroberung Athens beigefügt. Die Beurthei-
lung und Auffassung der Parteien und Charaktere ist unbe-
fangen, nicht auf vorgefasste Meinungen, sondern auf die Re-
sultate der Forschungen begründet, oft aber nicht klar und
bestimmt genug, wofür nur die höchst schwankende Art an-
geführt zu werden braucht, in der der Verfasser den Ausdruck
»Aristokraten« anwendet; bisAveilen ist er ihm synonym mit
Oligarchen, bisweilen versteht er unter ihnen die Anhänger
einer gemässigten Demokratie, welche zu den Oligarchen den
schneidendsten Gegensatz bilden. Der Grund, weshalb Scheibe
diese letzteren Aristokraten nennt, ist ohne Zweifel darin zu
suchen, dass sie eben so sehr, wie den verschworenen Oligar-
chen, auch den Ultrademagogen entgegenstanden, ja dass zu
gemssen Zeiten dieser Gegensatz noch klarer hervortritt als
der andere. Allein das berechtigt zu dem Namen Aristokraten
nicht, vielmehr lässt sich hier, wenn irgendwo, der neue Partei-
name »Conservative« mit Recht anwenden, dem der griechische
Ausdruck t« oirapj^ovTa, oder xa xaösaTuiTa owCeiv entspricht.
Das Bestehende erhalten wollten diese Männer und je nach dem
Uebergewicht des einen oder andern der zerstörenden Extreme,
des demagogischen oder des oligarchischen, dem sie sich entge-
genstellten, erscheinen sie mehr demokratisch oder aristoki-atisch.
— Die Quellen hat der Verfasser fleissig und gewissenhaft zu
seinem Zwecke erforscht, sie aber nicht immer so ausgelegt,
dass er auf allgemeine Zustimmung rechnen kann, einigemal
auch sie geradezu missverstanden oder aas Uebereilung unrich-
tig angewandt. So heisst es S. 6, nachdem erzählt worden,
wie Alkibiades mit den athenischen Oligarchen auf Samos in
Verbindung getreten sei : »zwar gingen die Oligarchen auf Sa-
mos, von Phrynichos gewarnt, auf Alkibiades Wunsch nicht
ein.« Das ist aber unrichtig, denn Thukydides VIII, 49 sagt
bestimmt: oi 8s ouXXsYevts? ruiv h r(j ^u}A[xa/i5f. , (uairsp xai to
32*
500 Die oligarchische Umwälzung in Athen.
•;rpu)Tov auToIc eooxci , ra te Tiapovra Ios/ovto xai ic, xa; 'Aiir^votc
Tcpsaßsic Ilst'aavopov xat aXXou; TrapssxöuaCovTO Trsixiretv, otku; Tzepi
T£ r^? Tou AXxiJ5iaoou xai^ooou Tipaaaotsv xat tt? tou sxsT öT|[j.ou
xataAuaso);. Eben Aveil die Verschworenen seinen Wamiin^on
kein Gehör schenkten, wollte dann Phrynichos die athenische
Flotte den Peloponnesiem verrathen. Erst später trennt sich
Alkibiades von den Oligarchen. — S. 21, Anm. 17 sagt Scheibe
Xenophon Hell. II, 1, 32 spreche von einigen Anklägern
des Adeimantos, im Gegensatz zu Demosthenes, der den einen
•Konon nenne. Allein Xenophon's Worte lauten: Y^riai)-/) utto
Ttvu)v, d. h. er wurde von Einigen beschuldigt, der Begriff
einer gerichtlichen Anklage liegt darin nicht. Auf Missver-
ständniss beruht die Erzählung S. 25 , Lysandros habe die
Bundesgenossen mit Zuziehung der Synedren berufen , um
über das Schicksal der Gefangenen zu berathen. Xenophon
nennt nur die Bundesgenossen, Flutarch nur E'->v£opo'jc. Jieides
meint Scheibe müsse man verbinden , vielleicht indem er sich
dabei an die auvsopot. der Amphiktyonen erinnert, die bei
Demosthenes pro Corona §.154 neben den Pylagoren vorkommen.
Den Pylagoren kann man nun recht wohl suvsopoi, ohne Zweifel
die Hieromnemonen, entgegenstellen, nicht aber den ^u[xixa/oi.
Der ganze Rath besteht aus Bundesgenossen, und die Ausschüsse
der Bundesgenossen, sofern sie versammelt sind, heissen ?uv£opoi.
Plutarchs ?uv£opoi sind also nur ein anderer Ausdruck für Xeno-
phon's ^6\i.\iayoi. AehnHch, nur mit adjectivischem Gebrauch
des Wortes, sagt Herodot III, 34 : Ilcpaaoiv oi auviopotv sovtoov.
— Im 3. Kap. S. 31 heisst es: Lysandros sandte seinen Unter-
feldheiTn Eteonikos mit 1 0 Trieren nach Thrakien ab , wahr-
scheinlich Aveil dort nach der Einnahme von Byzantion auch
in den übrigen Städten Feindseligkeiten zwischen der demo-
kratischen und spartanischen Partei ausgebrochen waren. Wenn
dies der Grund nicht gewesen wäre, so hätte Lysandros entweder
selbst die Eroberung der widerspenstigen Städte noch während
seines dortigen Aufenthaltes ausführen, oder, wenn ihm jetzt
die Beschleunigung grösserer Pläne am Herzen lag, wenigstens
den Eteonikos in jener Absicht gleich damals zurücklassen
können. Um also die lakedaimonische Partei zu unterstützen,
die demokratische, jedenfalls schwächere, zu unterdrücken,
ging Eteonikos nach Thrakien ab , und gewann alle Plätze
Die oligarchische Umwälzung in Athen. 501
jener Gegend. Hier hat sich der Verfasser nnnöthige Mühe
gegeben , einen Gmnd für die Absendnng des Eteonikos zu
finden, weil er den Ausdruck ra eirt 8pax7j; yuipia nicht beachtet
oder missverstanden hat. Ta ettI 0pr<xT|;; oder xa im OpaxY]?
-/(üpia sind bekanntlich sehr bestimmt von Thrakien selbst zu
unterscheiden, und bezeichnen die an der südlichen und west-
lichen Gränze dieses Landes , namentlich die auf C!halkidike
und an der benachbarten Küste gelegenen Orte, vorzüglich
auch Amphipolis. Vergl. Poppo Prol. zu Thukyd. I, 2. S.
346 sq. Ausdrücklich unterscheidet davon Thukydides den
Hellespont II, 9, worunter die sämmtlichen Städte am Helle-
spont selbst, an der Propontis und dem Bosporus mitbegriffen
sind, vgl. Poppo a. a. O. 431, und Xenophon's Sprachgebrauch
ist so ziemlich derselbe, cf. Hell. I, 3, 17. 4, 9, Eteonikos
wird also keineswegs in den Hellespont und die Propontis ge-
sandt, wo Lysandros gewesen war, sondern nach jener oben
bezeiclmeten Gegend, welche noch während Alkibiades Ober-
befehl Tlirasybul den Athenern wiedergenommen hatte. Hell.
l, 4, 9. — S. 79 wird gesagt, es sei gewiss, dass die Dreissig
die Häuser und das ganze Besitzthum der ermordeten Metöken
unter sich getheilt hätten, und als Belegstelle Lys. c. Erat.
§. 8 angeführt. Die Worte lauten: oiaXaßovce? 82 xac, oixia?
sßaoi^ov. d. h. sie vertheilten die Häuser zur Ausführung
ihres Planes unter sich, dass sie nicht das ganze Vermögen
dieser Leute unter sich theilten, geht ganz deutlich aus §. 19
hervor. — S. 118 heisst es: »Nach diesen Vorfällen (der
Schlacht in Munychia) gaben die Demokraten einer Ileberein-
kunft gemäss die Todten heraus, und von beiden Seiten kamen
Abgeordnete in zahlreicher Menge zu einer Unterhandlung
zusammen.« Allein bei Xenophon , auf den Scheibe sich be-
ruft , ist von Abgeordneten nirgends die Hede , sondern Aväh-
rend des zum Bestatten der Todten geschlossenen Waffenstill-
standes traten von beiden Seiten viele Leute zusammen, sirst
0£ TOUTO e^EVSTO xai TOUC V£XpOU(; OTTOaTTOVOOU? aTTEoiooaav, 7:p0Ct0VT£?
aXXijXoi? TToXAot ois^^syovTo. Hell. II, 4, 19. — Dass bei Xenoph.
Hell. II, 4, 39 avcAÖovTsc ^uv xolc, oizloic eic ttjV axpoiroXiv heisse,
sie zogen mit den heiligen Geräthschaften |7ro[i7r£Ta) in die
Burg, möchte Scheibe schwer fallen zu beweisen. S. 150 sagt
Scheibe: »diese Commission (zur Prüfung der Gesetze) sollte
502 DiK üLiGAKciiifcjCHp: Umwälzung I^ Athek.
aus einem Aiisschusse des Senats und ans 500 von den
Demoten gewählten und vereidigten Nomotheten bestehen«, ob-
wohl er in der Note 1 4 selbst bemerkt, aus dem Dekret selbst,
nämlich dem Psephisma des Tisamenos. könnte man schliessen
der ganze Senat sei damit beauftragt gewesen. Allein dass
nur ein Ausschuss aus demselben die Prüfung besorgt habe,
gehe aus den Worten ßouXTjv a-ExÄTipwaaTs §. 82 hervor. Aber
ßouXr^v aTroxXr^poiiv kann durchaus nichts Anderes heissen als
einen E.ath auslosen, durchs Loos aus einer grösseren Zahl
von liewerbern wählen. aTroxXrjpouv tiva heisst nie etwas an-
deres als einen durchs Loos aus einer grösseren Zahl wozu
bestimmen. Vergl. Thuc. YIII, 70. Plato de leg. VI, 756.
E. 763 E. Demosth. adv. Aristog. 1. §.27 p. 778 und Schäfer
dazu. Demnach ist von einem Ausschuss die Kede nicht.
Diese Beispiele, die sich leicht vermehren Hessen, mögen das
Urtheil rechtfertigen, dass der Verfasser bei der Auslegung und
Anwendung seiner Quellen nicht immer mit der nöthigen Um-
sicht zu Werke gegangen sei.
Die Darstellung ist meist einfach und klar und glücklicher
Weise nicht, wie so manche neuere Schriften, durch undeut-
liche oder pretentiöse Schulausdrücke ungeniessbar. Wenn
etwas auszusetzen ist , so ist es . dass die Erzählung fast zu
zerstückelt ist. Die Eintheilung des kurzen Zeitraums in 19
Kapitel, wodurch der Xerf. die Uebersicht wohl erleichtern
wollte , scheint mir eher den Gang des Ganzen zu sehr zu
unterbrechen, und eine Gruppirung des Stoffes in einige grössere
Abschnitte wäre vorzuziehen gewesen.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen will ich nun noch
einige einzelne Punkte aus Scheibe' s Arbeit einer näheren
Prüfung unterwerfen. Eine der wichtigsten, noch immer unter
den Gelehrten streitigen Fragen aus der Geschichte von Athen
zu jener Zeit ist die über die Verfassung zwischen dem Sturz
der 400 und der Einsetzung der Dreissig. Scheibe sagt hier-
über S. 7: »Jene aus Demoki'atie und Oligarchie gemischte
Verfassung der Fünftausend ist sicherlich vor der Herrschaft
der Dreissig nicht abgeschafft worden . . . Und wie zwei sich
gänzlich entgegenstehende Parteien meistens sich verbinden,
wenn sie als gemeinschaftliches nächstes Ziel den Sturz einer
dritten ihnen beiden feindlichen Macht betreiben, um nach
Die oligakchische Umwälzung in Athen. 503
Erreichung dieses Zieles sich selbst zu bekämpfen, so bildete
sich auch hier diese sonderbare Coalition der Oligarchen und
Demagogen« u. s. av. — Ich hatte mich früher in dem Schrift-
chen über die Hetairien der Meinung angeschlossen, dass die
vollständige Demokratie hergestellt worden sei, und kann diese
auch jetzt nicht aufgeben. Wie mir aber dünkt, ist Scheibe
selber von dieser Ansicht im Grunde nicht weit entfernt.
Wenigstens kann ich nicht begreifen, wie eine »Ochlokratie«
entstehen konnte, so lange die von Thukydides angegebenen
Beschränkungen beibehalten wurden, wie eine »ungezügelte
Volksherrschaft« in Athen sein soll und doch die Demokratie
nicht hergestellt. Es kommt daher am Ende nur darauf an,
was man unter der Herstellung der Demokratie versteht. Be-
trachten wir die Sache genauer. Zwei Hauptpunkte sind es
offenbar, in denen sich die Ordnung nach dem Sturze der
Vierhundert von der früheren Demokratie unterschied. Die
höchste Gewalt, die Souverainetät , war nicht melir bei dem
gesammten Volke, sondern nach einem gewissermassen timo-
kratischen Principe , bei allen denen , welche Hoplitendienst
hatten, oTroaoi otzXol Tzapiyo^iai , und die man jedenfalls höchst
ungenau die Fünftausend nannte , weil so vielen die Vier-
hundert jene Gewalt zu überlassen versprochen hatten. Zwei-
tens sollte Niemand, ausser denen, welche Kriegsdienste tha-
ten, Sold erhalten. Die Frage ist nun, in wie weit diese
Beschränkungen der früheren Demokratie in Kraft blieben und
die massig gemischte Verfassung die [xsTpia sc touc oÄi'yooi; xoti
Touc TloXXou; ^uyzpaai; zu halten vermochten. Was zunächst
die Beschränkung der an der höchsten Gewalt theilnehmenden
betrifft, so leuchtet ein, dass die Bestimmung oiroaoi 0T:Aa Ttapi-
yovTcti eine sehr vage war. Bedenken wir, dass beim Anfange
des peloponnesischen Krieges nach Thukydides II, 13 Athen
13000 Hopliten zählte, ohne die in den Gräuzfestungen (<ppou-
pia) und die 16000 zur Bewachung der Mauern bestimmten,
wozu die jüngste und älteste lUirgermannschaft nebst den
schwerbewaffneten Metöken gehörten, so werden wir selbst
nach den grossen Verlusten , die der Staat erlitten hatte , an-
nehmen müssen, dass die Zahl der Bürger, Avelche an der
Ekklesia Theil zu nehmen berechtigt waren, der früheren zur
Zeit der vollen Demokratie weit näher stand, als der von
504 ^^^^ OLIGARCHISCIIE UmwÄLZUKG IN AthKN.
Fiinftausenclen. Diese ganze Beschränkung musstc daher, so-
bahl der Geist der Mässigiing vorüber war, und sobald es vor-
theilhaft war, die Versammhing zu besuchen, sehr wenig Wir-
kung haben. Dazu kommt, dass, wie früher und später, oft
Unbefugte sich in unglaublicher Zahl das Bürgerrecht anmass-
ten (Böckh, Staatshaush. 1. 8. 50), so noch viel leichter jetzt
ärmere Bürger sich unter die Ekklesiasten mischen konnten.
— Allein, dass auch diese Beschränkung aufgehoben wurde,
und die sämmtlichen Bürger an die Stelle der sogenannten
Fünftausend traten, lässt sich mit ziemlicher Sicherheit nach-
weisen. Allerdings erzählt weder Xenophon noch sonst ein
Schriftsteller etwas von dieser Veränderung ; allein auch andere
eben so wichtige Vorgänge im Inneren werden von ihm ver-
schwiegen, und müssten wir nicht glauben, Epameinondas
wäre bei Leuktra gar nicht zugegen gewesen, wenn wir Xeno-
phon allein hätten? Sein Schweigen beweist also nichts. —
Hingegen haben wir bestimmte Zeugnisse, wenn nicht über
die Herstellung der alten Ordnung, doch über ihr Bestehen,
d. h. über die Theibiahme aller Bürger an der Ekklesia.
Xenophon selbst erzählt bei dem Processe der 10 Feldherm,
dass der Rath darauf angetragen, es sollen sämmtliche
Athener nach Phylen über dieselben abstimmen, öia'}r/f iaaai>at
'A&Yjvaiou? iravta? xaza cpuXa? (Hell. 1, 7, 9), und dies wird
nicht als eine Ausnahme bezeichnet; weder in der Rede des
Euryptolemos , noch von einem der Schriftsteller, welche das
damalige Verfahren in anderer Hinsicht als gesetz'VA'idrig schil-
dern, wird daran im Geringsten Anstoss genommen. Es
musste also die Theilnahme aller Athener an der Ekklesia
damals verfassungsgemäss sein. Bei diesem bestimmten Aus-
drucke Xenophons kann es denn ganz gleichgültig sein, ■s\ie
viel oder wenig Glauben der Verf. des Axiochos verdient,
wenn er 30000 Athener ihre Stimmen abgeben liess. Immerhin
beweist auch seine Angabe, dass dem Verfasser kein Gedanke
daran kam, es sei die Zahl der Ekklesiasten damals beschränkt
gewesen. — Neben diesem bestimmten Zeugnisse will ich nur
kurz darauf hinweisen, dass bei allen Schriftstellern in jenen
Zeiträumen nur von Sr^fxo? oder ttät^öoc, nie von den Trsv-axi'c-
^iXioi oder den ottgooi oirAa ■KapiyjovTai die Rede ist, und dass
oft genug die Verfassung jener Zeit von Zeitgenossen Demo-
Die üligarchisciie Umwälzung in Athen. 505
kratie genannt und als solche der Oligarchie entgegengesetzt
wird. Vergl. Lys. adv. Erat. §4.5. Plat. Apol. Soor. p. 32 c.
Auch das Psephisma des Diophantos hat Schömann Antiq. jur.
publ. Graec. S. 183, Anm. 7 mit Eecht geltend gemacht.
Die zweite mit der ersten aufs engste zusammenhängende
Frage ist, ob der Sold für bürgerliche Amtsverrichtungen ab-
geschafft blieb ([xiaUov \ir^oiwa (pepeiv {XT|8[i.ia apX'^)- Die Mass-
regel hatte bei ihrer Einführung zunächst den Zweck der Er-
sparnisse ; weniger ausgesprochen Avar gewiss, dass man dadurch
die Aennereu von den ap/ai ausschliessen wollte, obwohl es
die natürliche Folge war. Auch allen sonstigen Aufwand
überflüssiger Art hatte man gleich nach der sicilischen Nieder-
lage zu vermeiden beschlossen. Thuc. YIII, 1. Eine bestimmte
Nachricht über Wiedereinführung des Soldes ist nun meines
Wissens allerdings nicht vorhanden ; dennoch glaube ich sie
ziemlich sicher nachweisen zu können. Bekanntlich wurde
auch nach dem Sturze der üreissig der Sold sehr bald wieder
eingeführt, ja erhöht. Indem nun Aristophanes in den Ekkle-
siazusen darüber seine Missbilligung ausspricht, sagt er v. 302
fg.: »Wahrlich zu der Zeit, da der edle Myronides an der
Spitze stand, da hätte keiner es gewagt um Gold die Geschäfte
des Staats zu vertvalten.« Myronides Bedeutung fällt in die
erste Zeit des Perikles, um 450. Hätte nun Aristophanes,
wenn 411 bis 403 kein Sold bezahlt worden wäre, wohl da-
von ganz geschwiegen? Ich zweifle sehr. Vielmehr scheint
in der Stelle zu liegen, dass in der ganzen Zeit nach Myro-
nides der Sold Regel war , wobei natürlich kurze Unter-
brechungen nicht in Betracht kommen. Ich könnte nun noch
die Stelle aus den Fröschen 141 anführen: «Viel vermögen
überall die ZAvei Obolen« , welche der Scholiast auf einen
ßichtersold von zwei Obolen bezieht. Indessen hat Böckh
Staatsh. 1. S. 310 die Stelle so gedeutet, dass unter den zwei
Obolen an das Theorikon, die sogenannte Diobelie zu denken
sei, hauptsächlich darum, weil die Richter bereits früher drei
Obolen erhielten, und sich eine Herabsetzung des Soldes zum
Schaden ihres Beutels nicht hätten gefallen lassen. Die Sache
scheint mir nun so ganz ausgemacht nicht. Denn die vorher-
gehenden Worte des Aristophanes ev TrAotapio) TovvouTtui a avr^p
yipwv vauTT^: oia^si ou' oßoAw [iiai)ov XaßtuVj lassen eher auf
506 l^IE OLIGARCHISCHE UmWÄLZUNG IN AtHEN.
einen Sold, }j,ioi>ocj als ein Festgeld schliessen, und wäre nicht
möglich, dass man bei Wiedereinführung desselben ihn von
dem früheren Triobolon auf zAvei Obolen herabgesetzt hätte?
könnte man nicht vielleicht auch an ein Ekklesiastikon denken ?
doch zugegeben, es sei das Theorikon gemeint, so mache ich
gerade dessen Existenz für die Auszahlung des Soldes überhaupt
geltend. Man kann wohl sagen, dass von allen Ausgaben des
athenischen Demos das Theorikon sich am wenigsten recht-
fertigen lasse. Dass es aber in der Zeit zwischen dem Sturze
der Vierhundert und den Dreissigen in reichlichem Maasse
gespendet wurde, bew^eisen die Inschriften C. I. A. I, 188. 189
zur Genüge. Geschah das , so wird gewiss Jedermann ein-
räumen, dass auch Sold für Gerichte. Volksversammlungen
u. s. w. gegeben wurde. Kemerkenswerth ist, dass n. 188 in
Ol. 92. 3 fällt, also nur ein Jahr nach dem Sturze der ^'ier-
hundert. und unmittelbar nach den glänzenden Erfolgen des
Alkibiades im Hellespont und der Propontis, welche bereits
Freret, K. F. Hennann und Sievers für die Ursache der her-
gestellten absoluten Demokratie angesehen haben. — Dass die
Nomotheten Sold erhielten, will ich. da sie eine ausserordent-
liche Behörde Avaren, nicht in Anschlag bringen, obwohl es
mit den Worten des Thukydides jxta&ov [xr^osva cpspeiv |XT,0£fiia
apyjy im Widerspruche ist.
So scheint also ausgemacht, dass die beiden wesentlichen
Schranken, die man der Demokratie gesetzt hatte, bald ge-
fallen waren, und zwar höchst Avahrscheinlich bereits Ol. 92. 3
oder 410. — Aber einen Punkt, Avird Scheibe sagen, haben
wir noch nicht berührt, die Einsetzung der Nomotheten, auf
welche er nach dem Vorgange Peter s in den Commentat. Crit.
vorzüglich Gewicht legt. Offenbar hatten aber diese Nomo-
theten bei weitem nicht den Einfluss. den Peter und Scheibe
ihnen beilegen. Irrig setzt Peter sie ganz den Nomotheten
gleich. Avelche nach dem Sturze der Dreissig eingesetzt wurden.
Denn mit diesen -«-urde zugleich eine C'ommission von 20 Män-
nern erwählt, Avelche einstweilen eine Art Oberaufsicht über
den Staat führen sollte, und bestimmt, dass nach P)eendigTuig
der Gesetzesre\ision der Areopag über die Beobachtung der
Gesetze wachen sollte. Von beiden ist bei den früheren No-
motheten die Rede nicht. Ebensowenig lässt sich nachweisen,
Die üLiGARCHiscHE Umwälzung in Athen. 507
dass bis zur lieendigung der Gesetzesrevision eine Aenderung
in einzelnen Gesetzen unmöglich gewesen sei. Denn selbst,
wenn eigentliche v6\ioi nicht gegeben werden sollten, stand
immer der Weg der ^Ti(fio\iaTa offen, auf dem gewiss der Sold
für bürgerliche Amtsverrichtungen und die Theilnahme sämmt-
licher Bürger an der höchsten Gewalt hergestellt wurden.
Ueberhaupt muss die Existenz der Nomotheten, Aveil sie, an-
statt ihr Geschäft vorschriftsgemäss in 4 Monaten zu beendi-
gen, dasselbe als eine Geldqvielle betrachteten und 6 Jahre
lang hinzogen, den regelmässigen Gang der Behörden wenig
gestört haben. Ich denke mir, es sei denselben in der ersten
Volksversammlung jedes Jahres die Vollmacht erneuert worden,
unterdessen aber übte die Ekklesia ihre Rechte ohne irgend
welche Beschränkung aus, und dass sie sich in dem vollsten
Besitze der Macht fühlte , liegt deutlich genug in jenem Ge-
schrei, Ssivov etvai, s.1 [xrj nc laaei tov or^fiov TTparrsiv, o av ßoo-
Xr^xai, ausgesprochen. Die Existenz der Nomotheten beweist
also nichts Anderes als dass eine Revision der Gesetzgebung
stattfinden sollte, welche indess so gut als keinen Erfolg hatte.
Wenn endlich, um auch noch das zu berühren, Forch-
hammer in der Schrift: »Die Athener und Sokrates« S. 29
meint, der Rath sei zwischen dem Sturze der Vierhundert und
dem Ende des Krieges nicht durchs Loos, sondern durch Wahl
besetzt worden, so lässt sich eine solche Vermutluing nur aus
dem Bestreben erklären, den Sokrates nun einmal durchaus
zum Oligarchen zu machen. Denn die von ihm selbst ange-
führte Stelle aus Piaton Gorg. S. 473, e. hätte ihm das Ge-
gentheil zeigen können, indem Socrates sagt: w FluiXe oux eijxl
TÄv TToXiTixcuv xai TTspuai ßouXsueiv A.a)(«>v, IttslStq tj cpuXrj lirpu-
xaveus xai iSst |xs sTri'jiTjCpiCsiv, '(iXioza TrapeT)(ov xai oux r^nioxdiir^v
iTTnj^YjcpiCeiv. Jene Stelle aus Thukydides VIII, 93 aber, die er
zum Beweis für seine Meinung anführt, bezieht sich auf Vor-
schläge, welche den erbitterten Ilopliten von den Vierhundert
gemacht wurden, nicht auf Einrichtungen nach dem Sturze
dieser.
Wie endlich Peter und Scheibe die Worte des Thukydides
VIII, 97 : xai ou^ Yjxiata or^ tov TrpÄTov ^(povov iiti ys l[i,ou
'A&Tjvaloi cpai'vovtai eu TroÄiTsuaavrec für ihre Meinung anführen
können, begreife ich nicht, tov TrpöjTov )(p6vov bezeichnet die
508 l^IE OLIGARCHISCHE UmwÄLZUNG IN ATHEN.
erste Zeit nach dem Sturze der Vierhundert; dass es die erste
Zeit der gemischten Verfassung bedeute, ist eine willkürliche
Erklärung, der der ganze Zusammenhang Aviderspricht ; denn
der folgende Satz fisTpia yap r) rz s? tou; oX(.-(ooc xat tou; tzoX-
Xoos ^u-f/paai? eyeveTo ist gerade die Erkläning des su ttoXitsosiv
in der ersten Zeit. Das Itti ys sixoü beschränkt den Gedanken,
dass die Verfassung Athens damals die beste gewesen sei, avif
die Zeit des Geschichtschreibers. Es ist also die Stelle zu
fassen: und es haben die Athener offenbar ihren
Staat in der ersten Zeit, wenigstens während mei-
nes Lebens, am besten verwaltet. Denn es be-
stand eine massige Mischung von Oligarchie und
Demokratie. — Darin liegt aber enthalten, dass diese Mi-
schung nur in der ersten Zeit bestand, und später aufhörte.
Demnach halte ich für erwiesen, dass die von Thukydides
angeführten Beschränkungen der Demokratie nur von kurzer
Dauer waren. Ihre Aufhebung darf man sich aber nicht als
gewaltsam denken, vielmehr geschah sie wohl ziemlich unver-
merkt, weshalb sich Xenophons Stillschweigen um so leichter
erklärt. Als man wieder Geld hatte, zahlte man wieder Sold
und Festgelder, jetzt hatte auch der Aermere wieder Interesse
an der Staatsverwaltung Theil zu nehmen, und es wurde ihm
gestattet. Die Behörden übten alle ihre Befugnisse, wie vor
der Oligarchie und Hessen daneben der Gesetzesrevision ihren
nihigen Gang, die aber wegen der Gewissenlosigkeit der Re-
visoren nichts leistete. — Soviel hierüber. — Wenn der A'erf.
S. 21 die Behauptung des Lysias, Alkibiades habe an dem
Verrath des Adeimantos bei Aigospotamos Theil gehabt, nicht
für ungegründet hält, so irrt er gewiss. Bedenkt man, dass
Lysias immittelbar vorher in der Leidenschaft so weit geht
zu sagen, Alkibiades habe der A'aterstadt gar nichts Gutes
erwiesen, so kann man auch auf die Anklage des Verrathes
nichts geben, gegen Avelche alle andere Zeugnisse und die
Umstände selbst sprechen. Denn es lässt sich gar nicht ein-
sehen, wie er, der vom Lager w^eggewiesen war, selbst wenn
er es gewollt hätte, die Flotte dem Feinde hätte überliefern
können.
Die fünf nach der Niederlage ernannten Ephoren sieht
Scheibe mit K. F. Hermann für eine öffentliche Behörde an,
Die oligarchische Umavälzung in Athen. 509
ohne class mir aber seine Gründe genügend scheinen. Er
macht für seine Meinimg besonders geltend »den diplomatischen
Ausdruck ouvaytuYsT? taiv ttoXitäv« den Gegensatz von jxsv und
0£ in Lysias Stelle, und dass sie ohne öffentliche Behörde zu
sein nicht ouXd^yo'Jz (Avenn nicht besser ^ppoupapj^ouc gelesen
wird) hätten aufstellen können. Allein in jener Stelle des
Lysias liegt nichts Anderes, als dass sie angeblich nur zur
Versammlung der Bürger eingesetzt worden, in der That aber
Führer der Verschwornen gewesen seien. Titel und Name
war 3i)vaY«)Y£l; t<uv TroXtruiv keineswegs , sondern sie wurden
Icpopoi genannt. Was aber das Zusammenbringen , ouvotystv,
der Bürger und das Aufstellen vor. Befelilshabeni der \Yachen
betrifft, so lag solches freilich nicht in der Befugniss von
Privatleuten , konnte aber eine in Folge des Einflusses der
Hetairien durchgesetzte Usurpation sein, und ist kaum auffal-
lender als das irapaYysXXciv o ti osoi ^sipotovsTailai xal ou; tivac
yjtzir^ ctp/siv, das jedenfalls angemaasst war, da auch eine öffent-
liche Behörde nie die Macht erhalten konnte, der Ekklesia vor-
zuschreiben was sie thun solle ; die Worte des Lysias xaTsorrp
aav u~o "(Juv xaXouixivujv sToti'pwv heissen doch wörtlich genommen
nicht, dass sie durch Einfluss der Hetairen, sondern voxi
diesen selbst eingesetzt worden, und auch die Stelle adv.
Erat. § 76: TTapTjYYsX£~o T<ip aotolc osxa {xsv ouc Or^pafxevr^? ar.i-
0£iEö )^sipo~ov7Jaat , osxa os ouc ot xai>£a-r^xo-£? scpopoi, beweist
nichts, da ja auch Theramenes hier eine ganz usurpirte Gewalt
übt. Nach meiner Meinung ist hier zu absoluter Gewissheit
nicht zu gelangen , indem Lysias zwar für seine mit den Er-
eignissen bekannten Zuhörer ganz klar war, nicht aber für
uns. Am wahrscheinlichsten und mit Lysias Ausdrücken am
meisten vereinbar ist mir aber, dass die Hetairen zuerst von
sich aus die fünf Ephoren einsetzten und unter dem Schein
besonderen Eifers für das Wohl des Staates, und dass diese
dann besonders durch Mithülfe des für ihre Interessen gewon-
nenen Rathes bald die von Lysias genannten Funktionen an
sich rissen, sei es blos faktisch oder durch eine nachträgliche
Bestätigung der verfassungsmässigen Behörden. Li ähnlicher
Weise hatten die Verschworenen schon vor der Einsetzung der
Vierhundert faktisch den Staat regiert.
Noch in mehreren anderen Stücken kann ich der Meinung
510 I^IE OLIGARCHISCHE UMWÄLZUNG IN AthEN.
des Vf. 's nicht beipflichten, und namentlich hat mich seine
zweite Beilage über die verschiedenen Versammlungen des
Volks nicht überzeugt, da ich unter der i/.yXrpio. rrspi ~r^c
£tpY]VT^? nicht die Tispti tt^; -oXiTcia: verstehen kann , und aus
Lysias Darstellung deutlich hervorgeht, dass die von Agoratos
verklagten Strategen und Taxiarchen an der Friedensversamm-
lung nicht mehr Theil nahmen. Um indessen diese Anzeige
nicht zu weit auszudehnen, schliesse ich hier mit dem Wunsche,
dass Scheibe in dem mehrfach erhobenen AViderspruche nur
einen liew^eis das Interesses finden möge, mit dem ich seine
Schrift gelesen.
UEBER DIE NEUEREN BEARBEITUNGEN DER
GRIECHISCHEN GESCHICHTE ').
[Neues Schweizerisches Museum. 1861. I. S. 109 — r29.]
JLs liegt in der Natur des menschlichen Geistes begründet,
dass die Darstellung früherer Geschichtsperioden von Zeit zu
Zeit einer Erneuerung bedarf. Einerseits erweitern, berichti-
gen, verändern die fortlaufenden Forschungen den Stoflf, an-
drerseits gestalten sich die Anschauungen der Menschen und
damit ihre Anforderungen an die Geschichtschreibung anders.
So muss mit der Zeit auch das trefflichste historische Werk
in gewissem Sinne veralten und ungenügend erscheinen, das
Kedürfniss nach neuer Darstellung sich fühlbar machen. Das
gilt natürlich auch von der Geschichte der Griechen.
Sehen wir von den allgemeinen Weltgeschichten ab, in
denen auch der griechischen Geschichte mit mehr oder weniger
Einsicht und A'erständnis ihr Platz eingeräumt wird, so w^aren
es am Ende des voiigen Jahrhunderts vorzüglich die Eng-
länder, welche dieselbe in besonderen Werken bearbeiteten.
Denn zu der hohen Achtung, welche in jenem Lande des
1) [Philologus XIX, 1863 pg. 350 wird dieser Aufsatz in folgender
Weise besprochen: »nach einem Blicke auf die Leistungen der Engländer
Thirlwall, G. Grote, und nach kurzer Erwähnung von Niebuhr's Vor-
lesungen über alte Geschichte und Kortüm's Geschichte Griechenlands
werden die Werke von M. Duncker und E. Curtius besprochen , daneben
die politische Richtung in deutschen Schriftstellern bespöttelt und mit
lobender Ezwähnung der griechischen Geschichte von L. Schmitz ge-
schlossen.!
512 Ueber t). neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte.
Handels und der Indnstne die classischen Studien gemessen,
kam dort das lebendige politische Leben , welches zum Ver-
ständniss der vielbewegten Geschichte republikanischer Staaten
unumgänglich noth wendig ist. Im Laufe zweier Jahrzehnten
erschienen dort das gefällig geschriebene , aber oberflächliche
Werk von Oliver Goldsmith, die ausführlichere Darstel-
lung von John Gillies und die beide weit überragende Ge-
schichte Griechenlands von W i 1 1 i a m Mitford, eine in vieler
Beziehung vortrefi"liche Leistung, der aber der torystische
Standpunkt des Verfassers doch mehr als billig einen Partei-
stempel aufdrückte.
Deutschland begnügte sich längere Zeit mit Ueber-
setzungen dieser Werke. Indessen Hess der UmschTi\'ung, den
die Alterthumsstudien seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts
unter Friedrich August Wolfs ^'organg erfuhren , sie
allmählich als ungenügend erscheinen. Es kam dazu die fran-
zösische Kevolution mit allen ihren Folgen , der auch in
Deutschland neu erwachte Sinn für politisches Leben. Die
Aufmerksamkeit wandte sich in der Geschichte mehr und mehr
von dem, was ehemals als Hauptsache gegolten hatte, von den
äiisseren Ereignissen und Kriegen auf die tieferliegenden Ur-
sachen derselben, auf das Volksleben in allen seinen Verzwei-
gungen, auf die Einrichtungen des Staats und der Gemeinde,
auf Sitten und Bildung, Kunst und Wissenschaft. Niebuhr's
zuerst im Jahre 1811 erschienene Römische Geschichte erschüt-
terte zugleich den Glauben an die Zuverlässigkeit der Quellen,
und eröffnete eine Reihe kritischer und hyperkritischer For-
schungen. Aber gerade weil eine durchaus neue Anschauungs-
weise sich Bahn gebrochen hatte, äusserte sich die rastlose
Thätigkeit zunächst fast ausschliesslich in Specialforschungen.
Man sah ein, dass erst die einzelnen Theile genauer gekannt
sein müssen, ehe man an eine befriedigende Gesammtdarstel-
lung gehen könne. Die Entwicklung einzelner Stämme und
Staaten wurde Gegenstand einer Reihe von Arbeiten, wobei
besonders Otfried Müller mit be^Tindemswerthem Eifer
voranging. Bald erhielt fast jede irgend bedeutende Stadt ihre
Monographie, während Böckh's meisterhaftes Werk über die
Staatshaushaltung der Athener eine bisher fast ganz vernach-
lässigte Seite des griechischen Lebens beleuchtete und auch
Ueber d. neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte. 513
die Rechtsverhältnisse ihre verdienstlichen Bearbeitungen fan-
den. Auch 's\-nrde seit den Z^vanziger- Jahren in mehreren
tüchtigen Werken unternommen , die Einrichtungen der ver-
schiedenen Staaten zusammenzufassen; es erschienen Dar-
stellungen der »griechischen Alterthümer « , die sich von den
früheren geistlos zusammengestoppelten Handbüchern der An-
tiquitäten sehr vortheilhaft unterschieden.
Aber die Behandlung der Gesammtgeschichte blieb aus
begreiflichen Gründen hinter den Monographieen zurück; die
Masse dieser wurde so gross . dass selbst dem Gelehrten von
Fach die Uebersicht scliAver -wurde , luid vor Allem fehlte es
an Werken, welche auch dem gebildeten, aber nicht selbst
mitforschenden Leser eine klare Gesammtübersicht der Ge-
schiclite nach dem Standpunkte der neueren Wissenschaft ge-
geben hätten.
Auch jetzt waren es wieder die Engländer, welche da-
mit vorangingen. Die Forschungen der Deutschen machten
sich bei ihnen allmählich geltend und luden zu einer Ver-
arbeitung ein. Das Verdienst, auf dieser Basis mit grosser
Gelehrsamkeit, besonnenem, kritischem Sinne und selbstän-
digem, unbefangenem Lrtheile eine griechische Geschichte ge-
liefert zu haben, gebührt Connop Thirlwall, zur Zeit der
Abfassung seines Werkes (1835) Professor am Trinity College
in Cambridge, später zum Bischof von St. Davids in Wales
erhoben.
Ihm folgte der gelehrte Londoner Banquier George
Grote, der in seinem 1846 angefangenen Riesenwerke von
12 starken Bänden die Geschichte Griechenlands bis auf den
Tod Alexanders des Grossen dargestellt hat. Gründliche
Kenntniss der alten Quellen und umfassende, wenn auch nicht
immer vollständige Berücksichtigung der neueren Forschungen
bilden die Grundlage seiner Arbeit. Damit verbindet er ein
durchaus selbständiges, scharfes Urtheii und, was ihn ganz
besonders auszeichnet, einen ungewöhnlich klaren, praktischen
Blick in die politischen Verhältnisse, wie er kaum bei einem
anderen Verfasser einer Geschichte des Alterthums zu finden
ist. Im Vorbeigehen sei bemerkt, dass Grote diesen Blick
auch in der Beurtheilung neuerer Vorgänge in einem uns nahe
liegenden Falle bewährt hat. Dem Geschichtschreiber Grie-
Vischer, Schriften I. 33
514 Ueber d. neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte.
chenlands sind die ^ielfachen Analogieen zwischen griechischen
nnd schweizerischen StaatsverhäUnissen nicht entgangen, und
er hat die Entwicklung der letzteren in den Vierziger - Jahren
mit Aufmerksamkeit verfolgt. Durch die Nachrichten der
Zeitungen nicht befriedigt, hat er sich im Jahre 1847 bei
dem drohenden Herannahen des Sonderbundskrieges selbst in
die Schweiz begeben und die Ergebnisse seiner Beobachtungen
zuerst in einer Reihe von Briefen in dem Londoner Blatte
»The Spectator«, dann zusammengefasst in einem besonderen
Werkchen veröffentlicht i] . Obwohl ich die Ansichten und
Schlüsse des Verfassers nicht alle für richtig ansehen kann,
so ist doch die kleine Schrift entschieden das beste, was ich
in fremden Journalen über jene Verwicklungen gelesen habe,
und steht namentlich an Unbefangenheit hoch über den zahl-
reichen Artikeln, welche zu jener Zeit in einer von gefeierten
deutschen Historikern geschriebenen Zeitung zu lesen waren.
Doch um -wieder J[;ur griechischen Geschichte zurück-
zukehren, so tritt bei Grote zu den vorhergenannten Eigen-
schaften ein lebendiger Sinn für die "Wahrheit, die Fähigkeit
sich vollständig in die antiken Verhältnisse hineinzuversetzen,
mit den Alten zu denken und zu fühlen , ein trefflicher kriti-
scher Takt, der bei widersprechenden oder mangelhaften Nach-
richten in der Regel das Wahrscheinliche zu treffen weiss und
mit glücklichem Scharfsinn die Ursachen der Abweichungen
zu enträthseln versteht. Was ich aber besonders schätze ist,
dass er auch die Schranken historischer Erkenntniss anzuer-
kennen weiss, und da wo die Mittel zur Erforschung der
Thatsachen uns fehlen, dies unumwunden ausspricht, sein
Nichtwissen gesteht und nicht Hypothesen dem Leser für ge-
schichtliche Wii'klichkeit darbietet. Die Darstellung ist eine
einfache , allgemein verständliche , nicht durch Schultheorieen
1) Seven Letters on the recent Politics of Svritzerland. ;Orginally
published in »the Spectator«.) By George Grote, Esq., author of a History
of Greece. London. T. C. Newby, "2, Mortimer Street, Cavendish Square.
1847. In der Vorrede (S. IVj heisst es unter Anderm: »To myself in
particular, tliey [the Swiss) i)resent an additional ground of interest, from a
certain political analogy [nowhere eise to he foutid in JEurope) with those who
prominently occupy my thougths , and on the history of whom I am still
engaged — the ancient Greeks.K
Ueber d. neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte. 515
und nicht durch Schulausdrücke getrübte, aber von einer edlen.
Wühl wollenden Gesinnung getragene. Wenn diese Eigen-
schaften das Grote'sche Werk unbedingt zu einer der beach-
tenswerthesten Erscheinungen der neueren historischen Litte-
ratur machen, so dürfen wir darüber seine Mängel und
Schattenseiten nicht unberührt lassen. Dahin rechne ich bei
aller sonstiger Vortreiflichkeit der Darstelhuig eine übermässige
Breite, die oft zur Weitschweifigkeit wird. Nicht selten wird,
"besonders bei Lieblingsideen des Verfassers, eine überflüssige
Wiederholung des bereits Gesagten bemerklich, als ob er fürch-
tete, der Leser möchte es vergessen haben.
Sodann hat das kritische Verfahren, das ich im Ganzen
vorher gerühmt habe, auch seine Schwächen, welche zum Theil
aus Uebertreibung der angedeuteten richtigen Grundsätze ent-
springen. Grote hat die Schwierigkeiten eingesehen, Avelche
die sogenannte mythische Zeit jeder historischen Forschung
entgegenstellt, er hat zugleich die Mangelhaftigkeit aller
neueren Versuche der Kritik, Sage und Mythos von dem Ge-
schichtlichen zu scheiden, erkannt, und darüber ist er zu der
Ueberzeugung gekommen, dass bis zu der sogenannten dori-
schen Wanderung, ja sogar bis zur Zeit der ersten Olympiade
es gar keine Geschichte gebe, das heisst keine positiv sichern
historischen Thatsachen. Er spricht sich kurz und entschieden
dahin aus, dass er in dieser ganzen Zeit Mythos und Sage von
der Geschichte nicht zu trennen wisse und giebt dann eine
ausführliche Erzählung der alten Sagen und Mythen, aus den
verschiedenen alten Nachrichten in ihrer allmählichen Ent-
wicklung zusammengesetzt, eine sogenannte »legendary history«,
ohne irgend einen Versuch, historische Thatsachen auszumittehi.
»Ich weiss nicht«, sagt er z. B., »ob Troja existirt hat, aber
die Griechen glaubten, dass es ein mächtiges Reich gewesen
sei, das nach einem langen Krieg durch die vereinigten An-
strengungen ihrer Vorfahren zerstört worden sei, und das ist
Alles, was wir versichern können.« Wohlverstanden, nur dass
die späteren Griechen es glaubten, das will er versichern,
nicht etwa, dass die Zerstörung statt gefunden habe. Conse-
quenz lässt sich einem solchen Verfahren nicht absprechen;
aber Grote giebt diese Consequenz auf in der Behandlung der
Zeit von der dorischen Wanderung bis auf die erste Olympiade.
33*
516 Ueber d. neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte.
Denn obwohl er auch diese noch zur "legendary histor}'« rech-
net, anerkennt er doch hier eine Reihe von Thatsachen als
historisch. Gewiss mit vollem Rechte. Aber damit giebt er
zugleich die Waffen gegen sein eigenes Verfahren in der fm-
heren Zeit. Hätte er mit eigenen Augen die Ueberreste jener
Zeit in Mykenai und an anderen Orten geschaut, Ueberreste,
von denen er gar keine Notiz nimmt, er hätte vielleicht anders
geurtheilt. Offenbar ist Grote, um die Fehler vieler Vorgänger
zu vermeiden, in das entgegengesetzte Extrem gefallen, er hat,
wie man zu sagen pflegt, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Auch aus der historischen Zeit Hessen sich Beispiele einer zu
weit getriebenen negativen Kritik anführen, wohin das gänz-
liche Verwerfen einer Aeckertheilung in »Sparta gehört.
Ein anderer Punkt, den wir berühren müssen, ist die Un-
parteilichkeit. Grote ist, wie oben bemerkt, von einem auf-
richtigen und lebendigen Sinne für die Wahrheit beseelt, aber
eben dieser hat ilin \ielleicht unbewusst hier und da zu einer
gewissen einseitigen Beurtheilung geführt. Mit vollem Rechte
hat er sich der lange Zeit üblichen Beurtheilung des Atheni-
schen Volkes und seiner Einrichtungen widersetzt und ist darin
besonders der von seinem Landsmann M i t f o r d befolgten Auf-
fassung entgegengetreten. Aber im Eifer die Vorwürfe von
Undankbarkeit, Leichtsinn, von Justizmorden und anderem
derartigen zu widerlegen, ist er bisweilen so weit gegangen,
dass er fast mehr als der Advokat des Athenischen Demos,
immer freilich der scharfsinnige ernste Advokat, denn als der
ruhig und parteilos abAvägende Historiker erscheint. ,Die Vor-
liebe für demokratische Einrichtungen durchzieht sein ganzes
Werk und giebt ihm eine wohlthuende Wärme, eine Vorliebe,
welche wir bei einem Geschichtschreiber Griechenlands nicht
tadeln können, da hier unzweifelhaft die Demokratie in ihrer
gemässigten Form die höchste politische Entwicklung darstellt :
aber nicht selten geht diese Vorliebe über die dem Histoiiker
gezogene Grenzlinie hinaus und verleitet ihn zu zwar scharf-
sinnigen und interessanten, aber kaum richtigen, wohl auch
paradoxen Urtheilen. Es lässt sich noch hören, wenn er den
Demagogen Kleon gegen manche Vorwürfe vertheidigt, sogar
gegenüber Thukydides, er thut es mit Mass und Besonnenheit,
und ist nicht bemüht, die Kleonische Demagogie über die
Heber d. neueren Bearbeitungen d. greech. Geschichte. 517
Perikleische Staatsleitung zu setzen; aber sehr bedenklich ist
die Art und Weise, wie er mit allem Aufwand von Scharfsinn
und Beredsamkeit zu beweisen sucht, dass die Sieger bei den
Arginusen keineswegs schuldlos gewesen seien. Denn das ist
gar nicht einmal der Hauptpunkt in der ganzen Sache. Dieser
liegt vielmehr in dem formellen Verfahren; dieses war durch
und durch gesetzv\'idrig, und wären die sämmtlichen Feldherrn
unbestritten todeswürdige Verbrecher gewesen, so bliebe ihre
Verurtheihmg , wie sie geschah, doch ein unverantwortlicher
Justizmord ; die Beschönigung solcher Fehltritte der Demoki-atie
kann aber nur der gerechten Beurtheilung derselben nach-
theilig sein, da sie auch misstrKuisch macht gegen ihre Ver-
theidigimg in Fällen, wo sie eine wohlberechtigte ist, Avie
z. B. im Process gegen Miltiades. — Paradox erscheint die
Beurtheilung der Sophistik des Sokrates. Wir haben dabei
nicht das im Auge, dass er die Verurtheilung des Sokrates
zu entschuldigen sucht. Aber in der ganzen Sophistik will
er von dem zerstörenden, auflösenden Elemente nichts finden.
Die Sophisten, meint er, hätten nur das Bestreben gehabt, den
vorhandenen Vorrath der populären Kenntnisse in passender
Foi-m zu lehren und zu überliefern, wälu-end dagegen Sokrates
mit seiner Lehre von der Selbsterkeimtniss subversiv gegen den
alten Staat aufgetreten sei. Zu verwundern habe man sich
nicht darüber, dass Soki-ates vor Gericht gezogen und ver-
urtheilt worden, sondern nur, dass das nicht schon viel frü-
her geschehen sei; es erkläre sich das nur aus der unver-
gleichlichen Toleranz, die in Athen geherrscht habe. Dabei
fasst er aber den Sokrates allerdings in einer sehr würdigen
Weise auf und sucht ihm eben so sehr als den Athenern ge-
recht zu werden, ganz anders als die, welche, um die Athener
zu rechtfertigen, den Sokrates möglichst schlecht machen.
Dass sich über manche Punkte erhebliche Bedenken auf-
drängen, versteht sich von selbst; bei einer so umfassenden
Arbeit kann das nicht anders sein. Aber bei alledem steht
das Grote'sche AVerk als ein würdiges, grossartiges Erzeugniss
der neueren Historiographie da und wird von Jedem, dem es
um Kenntniss des alten Griechenlands zu thim ist, studiert
werden müssen, wird auch dem gebildeten Manne überhaupt
reichen Genuss gewähren; niemand wird es ohne vielfache
518 Veber d. neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte.
Belehrung aus der Hand legen. Einer wirksamen allgemeinen
Verbreitung stellt aber wohl die grosse Ausführlichkeit ent-
gegen, für Deutschland auch der theure Preis. In England
wird es viel gekauft; denn bald nach dem Erscheinen der ersten
Bände wurde eine zweite Auflage nöthig. Sehr wünschenswerth
Aväre, dass eine billigere Ausgabe, etwa in der Tauchnitzischen
Sammlung, veranstaltet würde.
Während so Thirlwall und Grote für England Glänzendes
leisteten, musste in Deutschland das Bedürfniss nach zusam-
menfassenden Bearbeitungen der griechischen Geschichte nur
um so fühlbarer werden. Die Uebersetzungen der englischen
Werke konnten um so weniger genügen, als sie auch billigen
Anforderungen nicht entsprechen; aber wären sie auch besser,
so können Lebersetzungen aus fremder Sprache Originalwerke
nie ganz ersetzen.
Ungefähr gleichzeitig mit Grote' s ersten Bänden erschienen
die Vorlesungen Niebuhr's über alte Geschichte, welche in
ihrem weitaus grösseren Theile sich mit Griechenland beschäf-
tigen, geistreich, gelehrt und in hohem Grade anregend, wne
Alles, was von dem grossen Historiker ausgegangen ist. Aber
abgesehen davon, dass sie fast zwei Decennien früher gehalten
waren, wäre es ungerecht an diese A orlesungen den Massstab
eines fertigen Werkes anzulegen. Es sind freie Vorträge im
vollsten Sinne des Wortes, ohne dass ein Wort vorher nieder-
geschrieben war, für Studenten berechnet, trotz sorgfältiger
Vorbereitung doch der unmittelbare Erguss der jeweiligen
Stimmung, reich an scharfen, lehrreichen Winken und Beob-
achtungen, aber nicht von gleichmässiger Ausfühning aller
Theile , ohne strenge Anordnung im Einzelnen , ohne die ge-
messene Abwägung des Ausdruckes, wie sie ein abgeschlosse-
nes Geschichtswerk fordert. An zahlreichen Ungenauigkeiten
fehlt es nicht, und nirgends sind Niebuhr's ürtheile rücksichts-
loser und einseitiger, als in den Vorlesungen. Er erzählte mit
lebhafter Theilnahme, als ob er selbst die Ereignisse mit durch-
lebt hätte. Wie ein Athenischer Demokrat im peloponnesi-
schen Kriege hasste er Sparta, wie ein Patriot der Demosthe-
nischen Partei war er voll Grimmes gegen die genialen Un-
terdrücker griechischer Selbständigkeit, gegen Philipp und
Alexandres von Makedonien. Hätte er selbst diese Geschichte
Ueber d. neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte. 519
zum Drucke gefördert, Unzähliges hätte er geändert, berichtigt,
gemässigt. Nur weim man an der Hand der Quellen diese
Vorlesungen liest, wird man wahren Gewinn davon haben,
aber dann auch reichen.
Weit weniger Beachtung als sie verdient hat die 1854 in
drei Bänden erschienene »Geschichte Griechenlands von der
Urzeit bis zum Untergang des Achäischen Bundes «^ von Fr.
Kortüm, Professor in Heidelberg, gefunden. Der seither
verstorbene Verfasser ist durch seine lange Wirksamkeit in der
Schweiz, an der Kantonsschule in Aarau, im Fellenbergischen
Institut in Hofwyl und an den Universitäten von Basel und
Bern, i'noch bei zahlreichen ehemaligen Schülern in gutem
Andenken. Viel weniger ist es ihm gelungen sich in Deutsch-
land Anerkennung und einen gedeihlichen Wirkimgskreis zu
verschaffen, und besonders seit 1848 hat er durch seine herbe,
feindliche Stimmung gegen die dort vorherrschenden Bestre-
bungen sich immer mehr isolirt und sich die gelehrte Welt
entfremdet. Ob mit Recht oder Unrecht, ist hier nicht der
Ort zu untersuchen. In dieser Stellung ist aber gewiss ein
wesentlicher Grund der geringen Verbreitung und Berücksich-
tigung seines Geschichtswerkes zu suchen. Für den grösseren
Kreis der Gebildeten, an den er doch bei der Abfassung vor-
züglich gedacht hatte, macht die originelle, oft ans Sonderbare
streifende Manier der Darstellung und die eine grosse Gedan-
kenfülle in wenige Sätze zusammendrängende, an ungewöhn-
lichen Ausdrücken reiche Sprache das Buch überdies wenig
geeignet, und so ist es in die für einen weiteren Leserkreis
bestimmte Litteratur fast nicht eingetreten. Und doch enthält
es neben manchen Einseitigkeiten viel Vortreffliches und zeich-
net sich besonders durch ein ernstes Streben nach strengster
Unparteilichkeit aus , welches sowohl den verschiedenen poli-
tischen Parteien als den streitenden Personen und Völkern
gerecht zu werden bemüht ist. Ohne in das Einzelne einzu-
treten heben wir hier nur aus dem ersten Buche, »die Pelasgisch-
morgenländische Welt und die Hellenische (Griechische) Ritter-
oder Herrenentwicklung in ihren Gegensätzen und Kämpfen«
hervor, dass Kortüm darin abweichend von den Verfassern der
beiden nachher zu nennenden Werke einen specifischen
Nationalitätsunterschied zwischen den ältesten Bewohnern
520 ÜEBER D. NEUEREN BEARBEITUNGEN D. GRIECH. GESCHICHTE.
Griechenlands, den Pelasgern und den Hellenen ainiimmt.
Indem er die Pelasger aber nicht wie Roth und seine An-
hänger für Semiten hält, sondern vielmehr eine Verwandtschaft
mit dem Zendvolke vermuthet, treten sie im Grunde doch in
nahe Verwandtschaft mit den Hellenen; daher muss es auf-
fallen an einer anderen Stelle zu lesen, dass die Hellenen dem
Pelasgisch-Phöuikischen Morgenländertimm weder sinnes- noch
stammverwandt gewesen seien.
Einer weit grösseren Theilnahme haben sich [gleich bei
ihrem ersten Erscheinen die beiden noch nicht vollendeten
Geschichten Griechenlands von Max D u n c k e r und Ernst
Curtius zu erfreuen gehabt. Die allgemeine Aufmerksamkeit,
welche sie erregt haben und noch erregen , und ihre weite
Verbreitung beweisen schon, dass die Verfasser es verstanden
haben, den Ton zu treffen, welchen ein Geschichtswerk a\is
dem engeren Kreise der bloss gelehrten Litteratur in den wei-
teren der Nationallitteratur hinausträgt und es zu einem Be-
sitzthum der Gebildeten überhaupt macht, und ein etwas
genauer prüfender P)lick wird zeigen, dass sie trotz gewisser
Mängel durch wirkliche \'orzüge eine günstige Aufnahme ver-
dienen .
Das von den beiden zuerst begonnene Werk von Duncker
— der erste Theil erschien 1856, der zweite 1857 i; — bildet
unter dem besonderen Titel »die Geschichte der Grie-
chen« einen Bestandtheil eines grösseren Ganzen, einer »Ge-
schichte des Alterthums«, welche der Verfasser bis zur
Begründung der Hen-schaft der Cäsaren zu führen beabsichtigt.
Mit voller Berechtigung spricht er sich dahin aus, dass wenn
auch die einzelnen von ihm behandelten Theile im wohl-
erworbenen aber getheilten Besitz der Orientalisten und Theo-
logen, der Mythologen und Archäologen, der Philologen und
Romanisten seien, es doch nothwendig sei, dass auch zusam-
menfassende Arbeiten unternommen werden, dass der Versuch
einer genetischen Darstellung, einer Reconstruction jenes alten
Lebens und jener alten Culturformen. auf welchen die Bildung
1) Die im Jahre 1S6Ü erschienene zweite Auflage, in -welcher der erste
Band sehr wesentlich verändert , der zweite fast unverändert wiederholt
sein soll, ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen und konnte also nir-
gends berücksichtigt werden.
Ueber d. neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte. 521
der Gegenwart noch immer bernhe, von Zeit zu Zeit erneuert
werde. Seine Absicht ist also eine zusammenhängende Ent-
\\-icklung der gesammten alten Geschichte nach den sorgfältig
geprüften Ergebnissen der Specialforschungen zu geben, und
zwar mit Rücksicht auf die Bedeutung der alten AVeit für die
spätere Geschichte, für die Gegenwart. Es erhält dadurch das
AVerk eine praktische Tendenz, die, wenn sie sich auch nicht
in NutzanAvendungen ergeht, doch vielfach hervortritt. Der
Zusammenhang, in den die griechische Geschichte mit den
übrigen gebracht ist, bewahrt zugleich den Verfasser vor einer
Einseitigkeit und Ueberschätzung seines Thema's, in die leicht
der Specialforscher verfällt. Um so erfreulicher ist es, zu
sehen, dass er deshalb die Bedeutung der griechischen Ge-
schichte nicht unterschätzt und nicht auf die Abwege einer
gCAvissen orientalisirenden Schule geräth, die, von hochmüthi-
gem Dünkel getrieben. Alles aus dem Orient ableitet, luid uns
neuerdings sogar zumuthet, die attische Tragödie als ein
ägyptisches Produkt zu betrachten. Schon der äussere Um-
fang der grichischen Geschichte Duncker's zeigt, welche Stel-
lung er ihr einräumt. Während die gesammte orientalische
Geschichte bis auf König Dareios zwei Bände umfasst, sind
eben so viele für die Geschichte Griechenlands bis ans Ende
der Perserkriege in Anspruch genommen.
Duncker verbindet mit dem für den Historiker unentbehr-
lichen Ernst der Gesinnung ein gründliches Studium der
Quellen und eine sehr umfassende Kenntniss der neueren
Forschungen in den verschiedensten Gebieten des Alterthums,
und hat in der Regel, ohne sie namentlich anzuführen, die
Resultate derselben in geschickter Weise und mit selbständi-
gem Urtheile zu einem Ganzen zu verarbeiten gewusst. Alle
Richtungen des Volkslebens, Sitte und Religion, Litteratur
und Kunst, Staat, Gesetzgebung und Kriegsereignisse sind ins
Auge gefasst; aber der vorzüglichste Theil ist doch ohne
Zweifel die eigentliche politische Geschichte , avo die Partei-
verhältnisse, die Verfassungen und Gesetze, die Beziehungen
der Staaten zu einander mit grosser Klarheit und Bestimmtheit
geschildert sind. Und hier müssen wir besonders die Unbe-
fangenheit rühmen, womit die verschiedenen politischen Rich-
tungen ihre Anerkennung finden. So entschieden liberal
522 Heber d. xeueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte.
Dunckers eigentliche politische Meinung ist, ebenso entschie-
den weiss er die Berechtigung verschiedener politischer Rich-
tungen und Verfassungen unter verschiedenen Verhältnissen
zu würdigen und verfällt nie in jene flache Betrachtungsweise,
welche Alles nach Schlagwörtern und Parteischablonen bemisst.
So ist denn namentlich die Darstellung der griechischen Ari-
stokratie in ihrer Blüthezeit eine sehr schöne. Weniger ge-
lungen scheint mir die Beurtheilung der Tyrannis, die mehr
als billig im Lichte eines neuen Königthums auf demokrati-
scher Basis aufgefasst ist. Offenbar aber steht an politischer
Unbefangenheit Duncker über Grote.
Die Anordnung des Stoffes ist übersichtlich und klar, die
Darstellung, im Ganzen einfach und würdig, ist doch oft gar
zu breit und leidet hier und da an einer gewissen Manier, wie
hier nur ein Beispiel [zeigen mag. Band I. Seite 590 lesen
wir: »der Adel hatte zu diesem Zwecke nichts weiter nöthig
als seine Knaben und Jünglinge zu frommen Männern zu
machen^ als ihnen das Wesen der Götter so anschaulich als
möglich vorzuführen, den Willen der Götter so eindringlich
als möglich in die Seele zu prägen. Dadurch mussten
ihre Seelen richtig gestimmt, dadixrch mussten sie mit den
edelsten Gefühlen erfüllt werden« u. s. w.
Es hängt diese oft zur Ermüdung vorkommende Manier
mit dem Bestreben zusammen, möglichst anschaulich in der
Erzählung zu sein, und denselben Gegenstand gleichsam von
allen Seiten dem Leser vor Augen zu stellen. Duncker hat
sich den mit gi-osser Mühe und Arbeit aus hundert und aber
hundert Quellen zusammengesuchten Stoff vollkommen ange-
eignet und ihn in seinem Geiste verarbeitet, und das Produkt
dieser Geistesarbeit giebt er nun objectiv gleichsam als ur-
sprünglicher Erzähler in der Regel ohne uns weiter in das
mühselige Geschäft des Zusammenstellens, Sichtens und Ord-
nens, des Verwerfens und Annehmens einen Blick zu eröffnen.
Er hat sich so lebendig in die Verhältnisse hineingedacht, so
hineingelebt und von der Wahrheit seiner Auffassung so über-
zeugt, dass er dem Leser nun auch zumuthet, mit völligem
Zutrauen seine Erzählung anzunehmen. Es giebt dieses Ver-
fahren dem Werke freilich eine gewisse Frische und Unmittel-
barkeit, welche den Leser anzieht und mitten in die Ereignisse
Ueber d. neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte. 523
hinein versetzt. Aber es lassen sich billige Zweifel aufwerfen,
ob es vor den strengen Gesetzen der Geschichte sich verthei-
digen lasse, nicht der Phantasie zii grossen Spielraum gewähre
und bisweilen an den historischen Eoman streife. Wir wollen,
um uns deutlich zu machen, ein aufs Gerathewohl herausge-
griflfenes Beispiel anführen. Nachdem König Kleomenes von
Sparta die Peisistratiden aus Athen vertrieben hatte, unterstützte
er bekanntlich die aristokratische Partei des Isagoras gegen-
über der demokratischen des Kleisthenes. Als er aber die An-
hänger des Kleisthenes vertrieben hatte und auch den Eath
ändern wollte , fand er bei diesem Widerstand und unwillig
erhob sich das Athenische Volk. Kleomenes und Ilsagoras
besetzten nun die Burg, wo sie von den Athenern belagert
und am dritten Tage zur Uebergabe gezwungen Avurden. Nun
lesen wir bei Duncker, nachdem schon die ersten Massregeln
des Kleomenes mit einigen Amplificationen erzählt sind : »Ein
wüthender Aufstand erhob sich; Isagoras musste mit seinen
Anhängern hinter den Mauern der Burg Schutz suchen. Dichte
Massen drängten sich um die Akropolis zusammen. In tiefen
Colonnen, siebzehn [Schilde hoch, versuchten die
Bauern die neun Thore, die pelasgische Mauer zu
nehmen. Schon am dritten Tage sank den Spartanern der
Muth.« Da glaubt wohl ein mit den Quellen nicht vertrauter
Leser, wir hätten über diese Belagerung und Bestürmung der
Burg eine genaue Schilderung bei einem alten Geschicht-
schreiber. Allein schlägt man Herodot nach, der uns fast
allein das Ereigniss erzählt, so findet man von dem Detail
nichts. Und doch hat Dimcker nichts aus der Luft gegriifen.
In der Lysistrate des Aristophanes hat er etwas der Art ge-
lesen. Dort haben die Weiber, um die Männer zum Frieden
mit Sparta zu zwingen, die Akropolis besetzt. Der Chor der
Greise ist darüber ausser sich und will die Burg stürmen.
Denn auch Kleomenes, singt er, der sie einst besetzt hatte,
kam nicht ungestraft fort, »so grimmig hab' ich jenen Mann
belagert, siebzehn Schilde hoch an den Thoren« — nicht etwa
stürmend, sondern — »schlafend.« Dass die Athener in tiefen
Massen vor den festen Thoren der Akropolis lagerten, ist ganz
natürlich; der Zugang ist schmal, sie konnten nicht anders
die Burg blokiren. Dass die siebzehn Schilde des Dichters
524 ^EBER D. NELEREN BEARBEITUNGEN D. GRIECH. GeSCKICHTE.
auf einer Ueberlieferimg beruhen , ist möglich , -wer will es
entscheiden, eben so möglich aber ist es auch bloss dichteri-
sche Fiction. Dass sie aber siebzehn Schilde hoch die Thore
gestürmt, das sagt niemand, nicht einmal der Dichter. Es
wäre auch ein höchst unzweckmässiges Manöver gewesen, da
eine blosse Einschliessung ohne alle Gefahr die Uebergabe
herbeiführen musste , indem die Eingeschlossenen sich ohne
Zweifel nicht hatten verproviantiren können. Und nun die
Bauern? Sie sind durchaus Dunckers Zuthat. Dass die
Masse der attischen Bevölkerung damals noch dem Bauern-
stand angehörte, ist wahr; dieser Stand war durch die Gesetze
Solons vom Verderben gerettet worden. Das hebt Duncker
wiederholt ganz richtig hervor; aber dass darum gerade die
Belagerer der Akropolis gerade Bauern genannt werden, ist
nicht zu rechtfertigen. Sicherlich machten die zunächst woh-
nenden zahlreichen Bewohner der Stadt einen Haupttheil der
Belagerer aus . und unter ihnen waren schon damals eine
grosse Anzahl Gewerbe- und Handeltreibender, die vorzugs-
weise zur Partei des Kleisthenes gehörten. Auch für die Ca-
pitulationsbedingungen des Kleomenes hat Duncker über den
Bericht des Herodot hinaus den Aristophanes mehr, als dem
Historiker gestattet war, benutzt.
Es betrifft dieses Beispiel eine verhältnissmässig unbedeu-
tende Sache, aber genügt um die Methode zu bezeichnen, die
nur zu oft angewandt ist, auch in viel wichtigeren Fällen.
Die oben an Grote gerühmte Kimst des Nichtwissens am
rechten Orte wird ganz bei Seite gesetzt, die imgewissesten
Hypothesen werden mit apodiktischer Sicherheit vorgetragen.
Indem wir uns vorbehalten, nachher noch auf Duncker
zurückzukommen, wenden wir uns einstweilen zu Curtius.
Seine griechische Geschichte . deren erster und noch einziger
Theil 1857 erschienen ist, gehört zu der Sammlung von Wer-
ken über das Alterthum. welche in der Weidmann' sehen Ikich-
handlung herauskommen. Durch den Beifall, mit dem einige
andere Bücher derselben Sammlung aufgenommen worden
waren, und durch den wohlverdienten Namen, welchen das
vortreffliche Werk über den Peloponnesos dem Verfasser er-
worben hatte, waren schon im A'oraus die Erwartungen ziem-
lich hoch gespannt und sie sind auch nicht getäuscht worden,
Ueber d. neuerkn Bearbeitungen d. griech. Geschichte. 525
wenn auch das Buch zu manchen Bedenken Veranlassung giebt
und auch bald nach dem Erscheinen desselben sich mehrere
harte und ungerechte Urtheile haben vernehmen lassen. Die
Aufgabe, die sich der Verfasser gestellt hat, ist die, im Ge-
gensatz zu Monographien sowohl, als zu bändereichen Ge-
schichten, wie die von Grote, in einem Werk von massigem
Umfang das überaus reiche Material zusammenzufassen und
ein lebendiges Bild von dem griechischen Volke und seiner
Geschichte zu entrollen; er will die Ergebnisse eigener und
fremder Forschung, so weit sie ihm probehaltig erscheinen,
übersichtlich darstellen und durch das Nebeneinanderstellen
grösserer Gruppen den inneren Zusf.mmenhang selbst sprechen
und wirken lassen. Auch er Avill, wie Duncker, nicht sowohl
Forschungen für Gelehrte, als Resultate von Forschungen für
Gebildete geben. Diese Absicht tritt schon äusserlich in dem
ziemlich knappen Umfange hervor. Der erste massige Band
führt uns bis zur Unterdrückimg des Ionischen Aufstandes
durch die Perser. Duncker hat demselben Zeiträume fast
zwei, Grote sogar vier Bände gewidmet. Es ist ferner aus
dieser Absicht zu erklären, dass Curtius, wie Mommsen in
seiner römischen Geschichte, keine Belege für seine Darstel-
lung und Auffassung giebt. Der Leser soll in dem Genuss
des Buches nicht durch kritische Erörterungen gestört, nicht
in die Arbeit eingeführt Averden, durch Avelche der Verfasser
zu seinen Resultaten gelangt ist. So Manches sich für dieses
Verfahren sagen lässt, kann es doch wohl nur da ganz gerecht-
fertigt erscheinen, wo sichere Resultate vorgetragen werden.
Der Fachgelehrte weiss, wo er die Quellen zu suchen hat, für
die übrigen Leser hat deren Nachweisung keinen Werth. Es
wird aber die Methode höchst gefährlich, wo, wie das bei
Curtius vielfach der Fall ist, ganz neue Sätze und Vermuthun-
gen aufgestellt werden, und führt zu einem Vermengen des
Sichern und des bloss Hypothetischen, das wir bei ihm wie
bei Duncker oft nicht genug vennieden finden. Es ist sehr
häufig für den Gebildeten rein unmöglich zu unterscheiden,
Avas blosse H)-]3othese und was überlieferte Thatsache ist, und
selbst der Mitforscher vermag oft kaum zu finden, worauf diese
oder jene Darstellung begründet ist. Dieser Uebelstand tritt
um so mehr hervor, als das Buch an neuen, überraschenden
526 Ueber d. neueren Bearbeitungen d. griecii. Geschichte
Auffassungen und Behauptungen überreich ist. Curtius hat
das später selbst gefühlt und mit dem zweiten Abdrucke des
ersten Bandes einen Anhang mit rechtfertigenden und erläu-
ternden Bemerkungen nachgeliefert, der niu- mit Dank auf-
genommen werden konnte.
Sieht man über diesen Punkt hinweg, so hat der Verfasser
seinen Stoff, den er vollkommen behen'scht, mit grosser Kunst
zu gestalten und zu gruppiren verstanden. In passendem ^ er-
hältniss sind die verschiedenen Seiten des Volkslebens berück-
sichtigt und mit warmer Theilnahme gezeichnet. Wie der
Ausdruck durchweg kunstreich und gewählt, so ist die ganze
Haltung eine ruhige, man möchte sagen von griechischer
Sophrosyne durchwehte, die Urtheile über Völker und Indivi-
duen sind sorgfältig erwogen. In meisterhafter Weise hat der
Verfasser in dem ersten »Land und Volk« überschriebenen
Abschnitte den Boden geschildert, auf dem die Griechen ge-
lebt und gewirkt haben; sein mehrjähriger Aufenthalt auf
demselben hat ihm in dieser Beziehinig einen grossen Vorzug
vor Duncker und Grote gegeben. Die klarste Anschauung
tritt aus den kurzen Schilderungen dem Leser entgegen. Sehr
schön ist der peloponnesischen und der attischen Geschichte
von der Zeit der Wandenmgen an die Geschichte der Hellenen
ausserhalb des Archipelagus , das heisst die Geschichte der
Colonien entgegengestellt. Durch sie erhält der Leser einen
rechten Begriff von der gewaltigen Ausbreitung des hellenischen
Lebens, und ebenso geschickt folgt diesem Bilde der Expansion
die Darstellung der griechischen Einheit, wie sie in der Re-
ligion, der Erziehung und den Künsten enthalten ist, worauf
dann in den Kämpfen der asiatischen Griechen mit den lydi-
dischen und persischen Reichen der erste Theil seinen passen-
den Abschluss erhält.
Wenn vrii also . jenen oben berührten Punkt ausgenom-
men, dem Werke in formeller Beziehung die vollste Anerken-
nung zollen müssen, so ist es uns andererseits freilich unmög-
lich, uns mit manchen materiellen Resultaten desselben ein-
verstanden zu erklären. AVenn gegen dieselben mannichfaltige
Einwendungen erhoben worden suid, so ist das sehr begreif-
lich, sobald man bedenkt, dass dieser erste Band zum grossen
Theil die Perioden behandelt, für welche die sichere historische
Ueber d, neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte. 527
Basis fehlt, und dass Curtius so wenig als Duncker darauf
verziclitet hat, aus der sogenannten mythischen Zeit gewisse
Thatsachen zu ermitteln. Hier überall Resultate zu fordern,
die keine Einwendungen zulassen, wäre unbillig. Aber Curtius
hat doch offenbar die Lücken, welche die Quellen lassen, durch
allzukühne Combinationen auszufüllen getrachtet, den Nach-
richten der Alten nicht selten eine bedenkliche Deutung ge-
geben, aus vereinzelten, sehr kunstvoll zusammengestellten
Notizen zu weitschichtige Folgerungen gezogen und daraus
mehr als ein Gebäude aufgeführt, dessen Grundlage schwer-
lich feststeht. Auch er hat sich von dem Bestreben, Alles zu
ergründen und alle Widersprüche m egzuräumen, zu weit führen
lassen, weiter als mit den Forderungen der Geschichte ver-
träglich ist.
Curtius und Duncker sind gewiss in ihrem Rechte, wenn
sie, im Gegensatz zu Grote, auch für die Zeiten, wo geschicht-
liche Nachrichten. Mythos und Dichtung so verwoben sind,
dass eine völlige Scheidung nie gelingen wird, gCAvisse histo-
rische Thatsachen festzustellen suchen, und wir lassen uns in
dieser Ansicht auch dadurch nicht irre machen, dass sie in
ihren Ergebnissen sehr weit auseinander gehen und auch von
Anderen, die sich mit dem gleichen Gegenstand beschäftigt
haben, abweichen. Es beweist das eben nur die Schwierigkeit
der Aufgabe. Und wenn andererseits von einer Schule, die
sich einbildet an historischer Ueberlieferung festzuhalten, weil
sie etwa die Nachrichten des Diodor ohne Weiteres für Ge-
schichte nimmt, über Willkür der Kritik geklagt \^drd, so
müsste von dieser Seite erst einmal gezeigt werden, auf welche
Weise denn Uebereinstimmung in die sich widersprechenden
und kreuzenden Nachrichten gebracht werden kann. Ohne
Kritik wird das nie abgehen und die grosse SchAvierigkeit liegt
eben darin, sie richtig zu üben. — Mit vollem Rechte haben
auch die beiden Verfasser die Ergebnisse der orientalischen
Alterthumskunde und der Si^rachforschung für die ältesten
griechischen Verhältnisse benutzt.
Ins Einzelne einzugehen erlaubt uns der Raum nicht und
ist um so weniger nöthig, als beide Werke Jedem, der sich
darum interessirt, zu Gebote stehen. Wir wollen nur darauf
aufmerksam machen, wie Curtius und Duncker darin über-
528 TJeberu. xeleren Eearbeitu>ge>" d, griech. Geschichte.
einstimmen, dass sie schon die älteste Bevölkerung Griechen-
lands, die man unter dem Namen der Pelasger zusammen-
zufassen pflegt, als eine von den Hellenen nicht national ver-
schiedene, sondern stammvenvandte ansehen, welche durch den
Einfluss einiger besonders thatkräftiger Stämme zum Hellenen-
thum erhoben wurde. In der Art, wie das geschah, schliesst
sich Duncker mehr den gewöhnlichen Ansichten an, während
hier Curtius einen durchaus neuen Weg einschlägt und den
loniern, gegenüber den anderen Stämmen, eine ganz besonders
hohe Stellung anweist. Im Gegensatz zu den anderen Stäm-
men, die nach ihm über den Hellespont auf dem Landwege
nach Griechenland gekommen sind, haben die lonier zuerst
die kleinasiatische Küste besetzt und von da aus sich , über
das Meer kommend, besonders in den Uferländern und Fluss-
thälem angesiedelt. Sie sind es, die nach ihm den Verkehr
mit dem Orient vermitteln , und ihnen weist er so ziemlich
Alles zu. was gewöhnlich den orientalischen Colonisten, Phö-
nikiem und Aegyptiem beigeschrieben wird : die ganze ältere
Cultur Griechenlands soll von ihnen ausgegangen sein. So
viel Richtiges in dieser Hypothese ist und so gelehrt imd
scharfsinnig sie entwickelt M-ird, so hat ihr doch der Verfasser
eine Ausdehnung gegeben, , die wir hier nicht weiter verfolgen
können, die aber offenbar geeignet ist, auch das Berechtigte
an der Sache in Frage zu stellen und der Absicht des Ver-
fassers selbst zu schaden. Wir zweifeln aber nicht, dass sie
bei einem Ziirückführen auf ein beschränkteres Mass mehr und
mehr Anerkennung finden werde.
Wenn in der Zeit bis zu der dorischen Wanderung der
Boden ein sehr unsicherer ist, so darf man deshalb nicht
glauben, dass er nach derselben nun unbedingt feststehe. Die
spätere Zeit ist freilich nicht mehr in gleichem Masse Gegen-
stand poetischer L eberlieferung gewesen ; aber die historischen
Quellen fliessen ungemein spärlich und mit der gewöhnlich
recipirten Erzählung stehen manche Avohlbeglaubigte Einzel-
nachrichten in schwer auszugleichendem Widerspruche. Es
zeigt sich das nii-gend schlagender als in dem -«"ichtigsten
Theile dieser Periode, der Entwicklung des spartanischen
Staates, und in dem grössten Ereignisse derselben, der festen
Begründung dieses Staates durch Lykurg, und es ist höchst
Ueber d. neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte. 529
interessant zu sehen , A\-ie sehr über diesen vermeintlich so
klaren Gegenstand die Ansichten auseinander gehen. Während
Grote und Kortüm das, was nach der gewöhnlichen Meinung
eine Hauptgrundlage der ganzen Verfassinig Avar. die Aecker-
theilung verwerfen und als eine Erfindung der Staatstheoretiker
des dritten Jahrhunderts ansehen, lassen Curtius iind Duncker
sie, gewiss mit gutem Grunde, in mehr oder weniger grossem
Umfange bestehen. Aber darauf beschränkt sich die Ver-
schiedenheit nicht. Curtius hat das ganze Gesetzgebungs-
Merk des Lykurg dadurch in einem durchaus neuen Lichte
a\ifgefasst ;, dass er den damaligen spartanischen Staat noch
nicht als einen dorischen betrachtet, sondern vielmehr als
einen wesentlich achaiischen, den nur durch dorische Waifen-
macht zu stützen die Absicht des Lykurg gewesen sei. Diesen
lasse schon sein weiter staatsmännischer lilick als Nichtdorier
erkennen. Die überlieferte Thatsachej dass die Könige, wenig-
stens die des einen Hauses, Achaier gewesen, — denn in
denen des andern vermuthet Curtius Aiolier — ist die Haupt-
grundlage dieser Auffassung. Erst als an den tyrannischen
Gelüsten der Könige »das grosse lykurgische Yersöhnungswerk«
scheiterte, sei durch die Erstarkxuig und Erhebung des früher
unbedeutenden Ephorenamtes mehr und mehr dorische Volks-
kraft durchgedrungen, imd der Staat, »welcher ursprünglich
seinen wesentlichen Institutionen nach ein achaiischer war«,
immer mehr- ein dorischer geworden. Diese Ansicht steht na-
mentlich der von Otfried Müller, der seinerseits alles
Herrliche von vome herein an die Dorier knüjjfte, schroff
entgegen und verdient noch weitere genauere Prüfung, in die
hier nicht eingetreten Averden kann. Nur der Bemerkung
können wir uns nicht enthalten, dass der Gegensatz des do-
rischen und achaiischen, wie anderwärts des dorischen und
ionischen Charakters und Wesens ims in einer zu schroffen
Weise durchgeführt und gar zu wenig R.uf die Assimilation der
mehrere Generationen durch untereinander lebender Geschlech-
ter geachtet zu sein scheint.
Weit mehr schliesst sich der herkömmlichen Darstellung,
dass Sparta seit der dorischen Wanderung und noch mehr seit der
lykurgischen Gesetzgebung ein dorischer Staat gewesen sei, Dun-
cker an, löst aber dann eine ganze Reihe specifisch spartanischer
V i s c h e r , Schriften I. 34
530 Ueber d. neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte.
Einrichtungen von der lykurgischen Gesetzgebung ab, um sie
dem zu den sieben Weisen gereclmeten Cheilon zuzuweisen. —
Wie viel des Unsicheren und Hj-pothetischen ist da noch, und wie
schwer muss es dem gebildeten Leser, der aber nicht Fachgelehr-
ter ist, werden, sich in solchen Gegensätzen zurecht zu finden !
Eine sehr einlässliche Würdigung haben Duncker und
Curtius dem delphischen Orakel zu Theil werden lassen, und
ganz besonders hat der letztere es im weitesten Sinne als
den geistigen Mittelpunkt der Griechenstämme , von dem alle
Culturfäden auslaufen, in überraschender geistvoller Weise
hingestellt. Mag man auch gegenüber manchen Einzelheiten
gegründete Zweifel hegen, so ist ihm doch damit eine so be-
deutungsvolle Stellung angewiesen, dass es jedenfalls als einer
der wichtigsten Faktoren in der älteren griechischen Geschichte
wird anerkannt werden müssen. Nicht recht reimen können
wir es, wie der \'ei'fasser, der nachdrücklichst den allgemeinen
hellenischen, amphiktyonischen Charakter des delphischen Hei-
ligthums hervorhebt und Seite 427 sagt: »die delphischen
Grundsätze waren in Kreta und Sparta verwirklicht; das waren
die Staaten nach dem Herzen des pythischen Apollon und
darum wird auch von den ihm zugethanen Weisen berichtet,
sie seien lakonisch gesmnt gewesen, w — wie derselbe an
einer anderen Stelle ^S. 407 die Gründung der Isthmischen
und Nemeischen Feste als eine Oppositionshandliuig des dori-
schen Sparta erklären und sagen kann: »sie sollten zur neuen
Verherrlichung der dorischen Halbinsel, als des eigentlichen
Hellenenlandes, dienen und dem paruassischen Feste, wo der
ionische Einfluss vorwaltete, den \ oirang streitig machen.«
Der heilige Krieg war allerdings mehr von ionischen als do-
rischen Staaten für Delphi gefülirt worden, aber deshalb doch
nicht der ganzen heiligen Stätte ein so einseitiger Charakter
aufgeprägt worden, dass es einer Oppositionsmassregel bedurfte.
Die Haltung des Orakels gegen die TjTannien beweist das hin-
länglich. Mit ebenso viel Recht könnte man aus den reichen
Stiftungen der Kypseliden und der Orthagoriden zu Ohonpia
einen vorliegend antidorischen Einfluss an dieser Stätte folgern.
Unter den Bildungselementen, welche in enger Verbindung
mit den heiligen Stätten waren, hebt Curtius auch mit Recht
die Schrift hervor. Er gesteht ihr eine frühe Einführung für
Ueber d. neueren Bearbeitungen d. greech. Geschichte. 531
geschäftliche Zwecke , aber erst eine sehr späte Anwendung
für die Mittheilung von Gedanken zu. Aber die Gründe, die
für eine vermeintliche Abneigung der Griechen gegen eine
solche angeführt werden, sind nicht eben überzeugend. Denn
der Satz: »das Wort selbst schien den Griechen, sowie es in
Schriftzeichen übergegangen war, getödtet und abgestorben,« ist
doch nur eine petitio principii. Und wenn dann gesagt wird :
»Wie lange sich daher ihr Sinn gegen einen ausgedehnteren
Schriftgebrauch gesträubt hat, erkennt man schon daraus, dass
sie für den Begriff des Schreibens in ihrer reichen Sprache
niemals ein ganz bezeichnendes Wort und für den Begriff des
Lesens immer nur einen umständlichen und schwerfälligen
Ausdruck, welcher wiedererkennen bedeutet, gehabt haben,«
so möchte man fragen , ob aus den deutschen Wörtern Buch-
stabe und Lesen sich nicht die gleichen Folgerungen ziehen
Hessen, und doch sind es unter den neueren Völkern die
Deutschen, wie unter den alten die Griechen, welche am
meisten sclireiben und lesen.
Doch wir wollen nicht in Einzelheiten eintreten, so oft
gerade die reiche Fülle von Gedanken zu Einwendungen reizt.
Je mehr man sich den Perioden nähert, für welche die Ueber-
lieferung sicherer, die Grundlage fester wird, um so mehr kann
man sich mit voller Beistimmung der Darstellung freuen, und
so gewährt namentlich der Theil, welcher die attische Ge-
schichte von der Gesetzgebung Solons an behandelt, vollste
Befriedigung. Duncker in ausführlicher Erzählung, Curtius in
gedrängterer knapperer Form, anerkennen beide Solon als den
grössten Gesetzgeber des Alterthums.
Mit gerechten Erwartungen sieht man daher den Fort-
setzungen der beiden Werke entgegen, weiche zunächst die
grösste und herrlichste Zeit Griechenlands behandehi werden,
die Periode, welche auch im Ganzen durch zeitgenössische Be-
richte und Documente aller Art eine ganz andere Basis hat
als die bisherige. Duncker 's Arbeit scheint durch die ver-
änderten Verhältnisse des Verfassers etwas ins Stocken ge-
kommen zu sein. Der zweite Band von Curtius, der im
dritten Buche die Zeit bis zum peloponnesischen Kriege be-
handelt, im vierten diesen Krieg selbst, ist vollendet oder
wenigstens fast vollendet und wird vielleicht schon vor diesen
34*
532 Ueber d. neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte.
Zeilen an die OefFentlichkeit getreten sein. Durch die Güte
des Verfassers ist dem Unterzeichneten die Einsicht in einen
grossen Theil desselben bereits gestattet gewesen. Obgleich
es nun nicht passend erscheint, ehe der Band ausgegeben ist,
in eine nähere Besprechung einzutreten, so glauben wir doch
versichern zu dürfen, dass er auch hohe Ansprüche befriedigen,
auch bei Solchen Anerkennung finden wird , die gegen den
ersten Theil vielfach Einsprache erhoben haben. Hier handelt
es sich nicht mehr darum, mit- divinatorischem Geiste aus
einzelnen oft widersprechenden Nachrichten oder mythisch-
poetischen Ueberlieferimgen em mehr oder Aveniger haltbares
neues Gebäude aufzuführen und grosse Lücken durch Ver-
muthungen auszufüllen, sondern vielmehr darum, einen unsäg-
lich reichen Stoff mit scharfem Blicke zu sichten und zu durch-
dringen und sich völlig anzueignen, ihn lichtvoll und über-
schaulich zu ordnen, das Wesenthche vor dem Unwesentlichen
hervorzuheben, die bewegenden Kräfte und Ideen zu erkennen,
die leitenden Individuen zu begreifen und richtig zu beur-
theilen. Und das ist Curtius in ausgezeichneter Weise ge-
lungen. Namentlich ist der dritte Abschnitt des zweiten Buches,
die »Friedensjahre«, mit der Schilderung des unvergleichlichen
Lebens der Perikleischen Zeit in Wissenschaft, Litteratur und
Kunst meisterhaft.
Indem väv also diesen Band der verdienten Aufnahme
empfehlen und uns vorbehalten, em andermal darauf zurück-
zukommen, sprechen wir den Wunsch aus, dass bei einer neuen
licarbeitung des ersten sich Curtius entschliessen möge, melir
als früher Hypothese und sicher ermittelte Thatsache ausein-
ander zu halten , wodurch gewiss sein Werk nur gewinnen
könnte. Ueberhaupt möchten wir allen Bearbeitern der altem
Geschichte dringend den Epicharmischen Spruch va^s xal
}ji£ijLvaa aüiatclv ans Herz legen, nicht nur gegenüber den Nach-
richten der Alten, wo er genug und oft nur zu viel angewandt
wird, sondern eben so sehr gegenüber den eigenen Ver-
muthungen und Combinationen.
Zum Schlüsse sei noch »die Geschichte Griechenlands von
der ältesten Zeit bis zur Zerstörung Korinths von Leonhard
Schmitz, Leipzig 1859«, kurz erwähnt. Der wackere Ver-
fasser, ein Schüler Niebuhr's und Welcker's, seit langem in
Ueber d. neueren Bearbeitungen d. griech. Geschichte. 533
England angesiedelt xind seit mehreren Jahren Rector der hohen
Schule (high school) , d. h. des Gymnasiums in Edinburgh,
hat sein zuerst 1850 in englischer Sprache erschienenes und
seither in einer Reihe von Auflagen wiederholtes Handbuch
der griechischen Geschichte jetzt auch dem deutschen Publikum
vorgelegt. Er schliesst sich wesentlich dem grossen Werke
von Thirhvall an, aber in durchaus selbständiger Weise und
mit Beachtung der neueren Forschimgen, ^\'ie z. B. die An-
sicht von Curtius über die frühesten Wohnsitze der lonier,
darin adoptirt ist. Für die Tüchtigkeit des Buches spricht
schon der Umstand, dass es an den meisten höhern Schulen
Englands eingeführt ist. Trotz der gedrängten Darstellung —
es bildet nur einen massigen Band — finden wir darin keines-
wegs die Trockenheit eines Compendiums, sondern eine wohl-
thuende Wärme luid Liebe für den Gegenstand, die neben der
Gründlichkeit, es für den Gebrauch in den Schulen sehr em-
pfehlen. Der eigentlichen Geschichte ist ein Anhang in neun
Kapiteln über Civilisation, Religion, Litteratur und Kunst der
Griechen, von einem jungen englischen Gelehrten, C. K. Wat-
son, beigegeben. In einem grössern Werke würde man ihn
lieber in das Ganze verarbeitet sehen, bei einem Handbuche
lässt sich aber gegen diese Form nichts sagen. Den Schluss
bildet eine recht vollständige chronologische Tabelle. Die
deutsche Bearbeitung ist so selbständig gemacht, dass man in
sprachlicher Beziehung wenig von dem englischen Ursprünge
bemerkt, und man darf das Werk daher nicht in eine Linie
mit gewöhnlichen Uebersetzungen stellen. Eine recht hübsche
Beigabe sind 1 3 1 in den Text gedruckte englische Holzschnitte,
welche alte Gebäude, Kunstwerke, Münzen und O ertlichkeiten
darstellen. Wir können daher dieses Werk für unsere Schulen
bestens empfehlen.
HISTOßY OF FEDEEAL GOVEENMENT,
from the Foundation of tlie Achaian Leagiie to the Disruption
of the United States. Bj Edward A. Freemau, M. A. Late
Fellow of Triuity College. Oxford.
Volume I. Genei'al Introduction. — History of the Greek Fedsrations
Macmillan and Co. London and Cambridge. 1S63.
[Neues Schweizerisches Museum IV. S. 281 — 328.]
i'as in der Ueberschrift genannte Buch von Freeman ver-
dient eine nähere Besprechung in unserem Museum in zväe-
facher Hinsicht , einmal ■weil es für uns Schweizer eine ganz
besondere Bedeutung hat, dann aber weil es die Geschichte
der antiken Bundesstaaten mit ebenso \\e\. Gründlichkeit als
Unbefangenheit behandelt. Der Verfasser Edward A. Freeman,
ehedem FelloAv des Trinity College in Oxford, hat es unter-
nommen eine Darstellung der Bundesstaaten von den ältesten
Zeiten bis auf die Spaltung der vereinigten Staaten Nord-
amerikas zu geben und sich zu diesem Zwecke ebensowohl
mit den verschiedensten schriftlichen Quellen vertraut gemacht,
als sich im Leben selbst umgesehen. Noch im letzten Früh-
ling haben unsere Zeitungen erwähnt, -n-ie er nicht zum ersten-
mal mehrere der noch in der SchMeiz existirenden Lands-
gemeinden besucht hat. Bis jetzt ist von dem Werke der
erste Band (722 Seiten) erschienen, der ausser der allgemeinen
Einleitung die Geschichte der griechischen Bundesstaaten ent-
hält. Der nächste Band soll die Geschichte der schweizeri-
schen Eidgenossenschaft und der deutschen Städtebünde geben.
Kaiim nöthig ist zu bemerken, dass eine solche Geschichte
HisTORY OF Federal Go\'ernment. 535
sich wesentlich von einer allgemeinen Geschichte unterscheiden
muss und vielfach an die Form einer historisch-staatsrechtlichen
Abhandlung streift. Ganz und gar trägt diesen Charakter die
Einleitung; aber auch in dem eigentlich historischen Theile
tritt er entschieden hervor, indem stets die Einrichtungen der
verschiedenen liundesstaaten mit einander verglichen werden,
und dies führt bisAveilen den Verfasser zu einer allzugrossen
Ureite.
Schon die AYahl des Gegenstandes lässt erwarten, dass
Freeman Sinn und Verständniss für die Entwicklung kleinerer
Staaten hat; denn diese sind es ja hauptsächlich, welche durch
das Bedürfniss der äusseren Sicherheit zur Conföderation ge-
trieben werden; und die ganze Ausführung der Aufgabe be-
stätigt in hohem Grade diese Erwartung. Das Werk tritt
dadurch in einen entschiedenen Gegensatz zu einer Anzahl
neuerer deutscher Arbeiten, in denen das Streben der deutschen
Völker nach Einheit nur zu oft den unbefangenen historischen
Blick getrübt hat^ indem so zu sagen als das einzige Ziel der
Staaten die Kraftentmcklung nach aussen betrachtet und da-
rüber vergessen wird, welch unendlich reiches Geistesleben
aus der » Kleinstaaterei o, zunächst der griechischen Klein-
staaterei erwachsen ist. Freeman selbst ist sich dieses Gegen-
satzes wohl bcAVUsst und wir begegnen daher wiederholt einer
sehr entschiedenen Polemik gegen Droysen und Mommsen,
indem er ebenso sehr des ersteren übermässige Vorliebe für
Makedonien verwirft ^) , als gegen des letzteren »Idololatrie der
•) S. 229, Note 1. On the position of 3Iacedo7iia in this age see
Droysens Hellenismus II, 553. Allmvance must of course he made for the
writers ultra- Macedonian bius, Just as for Mr. Grote's ultra- Athenian hias.
When Droysen however goes on to compare the progress of Macedonia in
Greece with the progress of Prussia in Germany he forgets or despises the
difference betiveen small principalities and small republics. A German County
or Bishuprick loses nothing , but rather gains by being incorporated with a
great German hingdom; a Greek city lost everything, by being incorporated
with Macedonia. The sympathy which would attend the King of Italy in
any attempt to recover Home und Venice — / might add Dalmatia and the
Italian Tyrol — would not extend to an attempt to annex a Swiss Canton,
even of Italian speech, or to an attempt to overthrow the immemorial liberties
of San 3farino. Vgl. S. 129, N. 4. S. 376, N. 2. The tale is well told
by l'iutarch, Ar. 17. It naturally tnoves the indlgnation of the 3Iucedonian
Droysen JI, 37 1\
536 HiSTORY OF FeDERAL Go^^iRNMENT.
reinen Gewalt w Protest erhebt * , ohne deswegen andererseits
ihren grossen Verdiensten seine Anerkennung zu versagen.
Ob deshalb Freeman auch zu den »politisirenden Philologen^
gezählt werden wird , auf welche der am meisten politisirende
Philologe mit stolzer Geringschätzung herabblickt, müssen wir
dahingestellt sein lassen. Uns freut es, wieder einen Geschichts-
schreiber anzutreffen, bei dem das Recht auch des Schwächern
seine Geltung findet. Ueberhaupt geht durch das ganze Buch
ein wohlthuender Siim für Recht und Freiheit, verbunden mit
einer Unbefangenheit in der Würdigung der verschiedenen
Parteien, die wir unten hervorzuheben Anlass haben werden.
In dieser Unbefangenheit steht er auch entschieden über seinem
gelehrten Landsmanne, dem vortrefflichen Grote, den seine
BeA^imderung der athenischen Demokratie bekanntlich melir als
einmal zum geschickten Advocaten derselben hat werden lassen.
Nur wo Freeman von den heutigen Zuständen spricht, ist er
nicht frei von den V'orurtheilen der englischen Politik; unbe-
greiflich wäre es sonst , wie ein Mann von so hellem Blicke
die neueste griechische Revolution be"WTindern und von einer
dreissigjährigen bayrischen Corruption sprechen könnte. Ge-
radezu komisch erscheint die Vergleichung des Advocaten
Rufos aus Patras mit dem anderwärts als Washington des
achaiischen Bundes geschilderten Markos von Keryneia. Auch
die im Uebermass wiederholten leidenschaftlichen Ausfälle auf
Napoleon und Oesterreich würde gewiss mancher Leser gerne
entbehren '-) , besonders wenn er sich erinnert , dass die eng-
Ksche Politik vor dem moralischen Richterstuhle gerade auch
nicht sehr glänzend besteht. Glücklicher Weise war das Buch
geschrieben, bevor die letzten schleswig-holsteinischen Ver-
wicklungen b egannen .
1) S. 565, N. 1. Tlie gradual Steps of the j^f'ocess hy which Rome gra-
dually and systeniatically sivalloiced up both friends arid enemies is perhaps
best sei forth in the History of Moinmsen. But the reader must be altcays
on his gnard agaüist Jloininsen's idolatry of mere force. S. 639, N. 4.
I cantiot help protesting agaitist the way vi ichich this whole period is dealt
tvith by Moinmsen in his Roman History. He really seems unable to under-
stand that a small stute can have any rights, or that a generous or patriotic
sentiment can ßnd u place anywhere except in the breast of a fool. Vgl.
S. 608, N. 4. S. 684, N. 2.
"-] Vgl. beispielshalber S. 95. 98. 99. 110. 111. 130. 488.
HiSTORY OF Federal Government. 537
Doch gehen Avir zur Sache. In den ersten zwei Capiteln,
Avelche auf hundertzweiiindzwanzig Seiten die allgemeine Ein-
leitung und die Charakterisirung des Bundesstaates enthalten,
sucht der Verfasser den Begriff dieses festzustellen und seine
Vorzüge und ScliAvächen auseinander zu setzen. Zu diesem
Zwecke geht er von einer Betrachtung der Einzelstaaten aus
und unterscheidet, ohne Rücksicht auf die gewöhnliche Ein-
theilung in Monarchie, Aristokratie und Demokratie, oder in
absohlte und constitutionelle Staaten, zwei Ilauptklassen,
kleine und grosse Staaten, von denen die ersteren in der
Hauptsache den Staaten der alten Welt entsprechen, die letz-
teren denen der heutigen Zeit. Die höchste Entwicklung hat
das System der kleinen Staaten im alten Griechenland erreicht
und dort Avieder in Athen, das der grossen Staaten in den
modernen grossen Monarchien. Denn kleine Staaten sind ihm
die, wo die gesammte Bürgerschaft sich zur Behandlung öffent-
licher Geschäfte ohne Schwierigkeit versammelt, also jeder
Berechtigte sich persönlich an den Geschäften betheiligen
kann, grosse die, avo eine solche persönliche Betheiligung
unmöglich ist und avo, unter der Voraussetzung der Berechti-
gung zur Theilnahme an den Staatsgeschäften, also sogenannter
constitutioneller Verfassung, diese Theilnahme nur auf dem
Wege der Vertretung stattfinden kann. Es macht dabei keinen
Unterschied, welche Verfassung der Staat hat. In dem kleinen
Staate mag Aristokratie, Demokratie oder Monarchie, diese in
der Eegel als Tyrannis, bestehen. Selbst der Tyrann, — den,
beiläufig gesagt, Freeman nicht übel genau dem^ »Kaiser« der
Neuzeit entsprechend findet, nur dass sich nicht Avohl von
einem Kaiser von Megalopolis sprechen lasse — fühlt sich
durchaus als Fürst seiner Stadt, und andere etAva seiner Herr-
schaft unterAvorfene Städte sind deshalb nicht den Bürgern
seiner Stadt gleich, sondern erscheinen als die Unterthanen
der von ihm beherrschten Stadt. Doch lässt sich nicht in
Abrede stellen, dass die Republik die vorzugsAveise dem kleinen
Staat entsprechende Verfassungsform ist; denn es ist natürlich,
dass, wo die äusseren Bedingungen eine unmittelbare Betheili-
gung des Bürgers an den Geschäften ermöglichen, er eine
solche auch erstreben wird. Ebenso natürlich ist, wie die
Erfahrung zeigt, die Monarchie, absolute oder constitutionelle.
538 IIisTORY OF Federal Gov^rnment.
vorziigSAveise die Verfassung grosser Staaten. Der Verfasser
fügt freilich bei, es sei der Versuch einer Republik in einem
grossen Einheitsstaate noch so selten gemacht worden, dass
uns kaum ein Urtheil darüber zustehe, ob sie passend sei oder
nicht. Allein eben die Seltenheit des Versuchs beweist, dass
die Republik dort nicht die adäquate Staatsform ist.
Sehr interessant entwickelt der Verfasser nun die Vor-
theile und Nachtheile der beiden Staatensysteme, wobei er,
wenn schon selbst Angehöriger eines blühenden grossen Staa-
tes, doch ein offenes Auge für die guten Seiten der Klein-
staaten hat, vielleicht sogar aus der Ferne über manche schwa-
chen hinwegsieht.
Abgesehen von der reichen Mannigfaltigkeit, welche ein
aus kleinen Staaten, besonders aus Städtestaaten, bestehendes
Land darbietet, ist der erste und bedeutendste Vorzug des
kleinen Staates der, dass jeder Vollbürger in ihm den höchst-
möglichen Grad politischer lUldung erreicht. Die athenische
Volksversammlung in der lilüthezeit der Demokratie hält der
Verfasser für eine Versammlung von Bürgern, bei denen die
durchschnittliche politische l^ildung höher stand, als das je in
irgend einem anderen Staate der Fall gewesen sei, ja er steht
nicht an, durchschnittlich dem einfachen athenischen Bürger
einen höheren Grad dieser Bildung beizumessen, als dem ein-
fachen Mitgliede des englischen Parlaments; denn jener habe
nach bestem Ermessen in jedem einzelnen Falle sein Urtheil
abzugeben gehabt, wälirend das englische Parlamentsmitglied
im Grunde ein für allemal sein Urtheil fälle, wenn es sich
entscheide, ob es das Ministerium unterstützen oder ihm Oppo-
sition machen wolle. Dass das ein hoher Grad politischer
Moral sei, bezAveifelt er ; aber es sei einmal die angenommene
politische Moral. Wir empfehlen diese Betrachtungen unseren
schweizerischen Landsleuten zur Beherzigung. Denn während
theoretisch und nach dem Wortlaute der Verfassung in unseren
verschiedenen politischen Körpern auch jeder nach bester
Ueberzeugung . stimmen soll, wird jetzt von vielen als allein
selig machende Maxime gepriesen und verlangt, dass man nach
der Parole der Parteiführer stimme. Man nennt das dann
Parteidisciplin ; es ist aber offenbar eine Fälschung unserer
republikanischen Einrichtungen durch Einführung ihnen frem-
HisTORY OF Federal Government. 539
der Grundsätze. Durch diese individuelle Theilnahme wird
aber nicht nur der gewöhnliche ]Jürger durchschnittlich auf
eine höhere Stufe gehoben, sondern auch der, welcher sich
über die Durchschnittshöhe erhebt, hat viel mehr Gelegenheit
seine Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. »Grosse Staats-
männer wachsen viel dichter in Republiken dieser Art als in
grossen Monarchieen« (S. 48. 49). Freilich ist Athen das
glänzendste Beispiel eines solchen Staates. «Das athenische
Volk scheint alle anderen Völker an natürlichen Gaben über-
troffen zu haben und die Verhältnisse der Republik brachten
jeden Bürger in tägliche Berührung mit grösseren politischen
Geschäften, als es bei den Bürgern der übrigen griechischen
Republiken in der Regel der Fall war.« »Aber bei der Wür-
digung der Wirkungen irgend eines politischen Systems muss
man diese nach seiner vollkommensten Erscheinung für beides,
das Gute und Schlechte, abschätzen. Und unzweifelhaft
müssen auch Republiken, welche ihren Bürgern viel weniger
politische Erziehung gegeben haben, als man in Athen erhielt,
ihnen doch noch viel mehr gegeben haben, als man in irgend
einer modernen Monarchie oder Republik erhalten kann. Wir
vergöttern (idolize) die Tagespresse als das grosse Werkzeug
modemer Cultur; aber seine Zeitung zu lesen ist bei alle dem
bei weitem keine so erhebende Sache, wie mit eigenen Ohren
einem grossen Staatsmanne zu lauschen und dann seine eigene
unabhängige Entscheidung für oder gegen seinen Antrag zu
geben.« Diese hohe politische Bildmig und Entwicklung des
Charakters ist der bedeutendste Vorzug kleiner Staaten und
ein reiner, ungemischter. Doch wird auch er und besonders
in seiner höchsten Entwicklung in der Demokratie kaum an-
ders möglich, als durch die Existenz einer niedrigeren, unfreien
Menschenklasse, der Sklaven, Avodurch das Volk auch der ab-
solutesten Demokratie gewissermassen ein aristokratischer Kör-
per A^ärd. Es ist das ein Punkt, auf den meist bei der Be-
urtheilung der alten Staaten viel zu wenig geachtet mrd.
Ein zweiter, aber nicht so reiner Vorzug der kleinen
Staaten ist die Intensität des Patriotismus, der da, wo die
einzelne Stadt dem Bürger Alles in Allem ist, weit kräftiger
sein muss, als in einem grossen Staate. Er ist die Quelle
alles edelsten in der Geschichte der kleinen Republiken, aber
540 HiSTORY OF FeDEKAL GoVEliXMEXT.
auch der niedrigsten Thaten. Keine Selbstaufopferung er-
scheint zu gross, aber auch kein Unrecht zu schwarz, um das
Wohl der Vaterstadt zu fördern.
Gegenüber diesen Vorzügen wird vom Verfasser unter den
schwachen Seiten zuerst hervorgehoben , dass die Blüthe der
kleinen Staaten eine kürzere Dauer habe, als die der grossen.
Die Behauptung einer hohen Stellung erfordert eine so gewal-
tige Anspannung aller Kräfte. Avie sie nicht leicht lange Zeit
anhalten kann ; ein kleiner auf eine erbliche Bürgerschaft be-
schränkter Staat kann sich auch nicht so leicht durch Auf-
nahme frischen lilutes von aussen wieder kräftigen ; eine ein-
zige Erobeiimg kann einen kleinen Staat vertilgen , während
sie einen grossen nicht selten verjüngt. Das eine Jahrhundert
Athens von der ^'ertreibung der Tyrannen bis zur Schlacht von
Aigospotamos ist Jahrtausende des Lebens von Aegypten oder
Assyrien werth; aber die Grösse war zu ruhmvoll um zu
dauern. Sodann gestattet das reine System den »kleinen Staa-
ten« keine ^ erbindung mehrerer solcher Staaten zu einer festen
Einheit auf gleichem Fusse . Die Verbindung ist nur als theil-
weise Unterwerfung durchführbar, wie in der athenischen
Symmachie. Hierin liegen wirkliche Schwächen der kleinen
Staaten, die in ihrem AVesen begründet sind. Dagegen weist
Freeman als irrig die Betrachtungsweise ab, welche nur vom
äusseren Umfange der Staaten ausgehend, im Vergleiche mit
colossalen Reichen, -wie das despotische Kussland oder Frank-
reich, kleine freie Staaten, wie die Schweiz oder Norwegen,
geringschätze und also noch viel mehr die kleinen Staaten
Griechenlands. Das sei eine rein physische Betrachtung, wo-
bei die höhere Seite der menschlichen Natur vergessen Averde.
»Franki-eich und Russland haben in der That unvergleichlich
mehr physische Macht als die Schweiz oder Norwegen ; aber
der Schweizer oder Norweger ist ein Wesen von einem höheren
politischen Rang als der Franzose oder Russe.« Aber es sei
die Betrachtmig überdies falsch, weil sie von einer missver-
standenen Analogie kleiner Staaten in einer Zeit ausgehe, wo
sie von grossen mit gleicher materieller Bildung umgeben seien,
und kleiner Staaten zu einer Zeit, wo sie das Ganze der civi-
lisirten Welt bildeten. Um das Wesen der freien Städte oder
kleinen Staaten richtiar zu beurtheilen. müsse man von einer
HisTüRY OF Federal Government. 541
Zeit ausgehen, wo sie nicht bloss Ausnahme, sondern Regel,
wenigstens vorherrschend gewesen seien, und da zeige sich,
dass die griechischen Republiken in Wirklichkeit stärker ge-
wesen seien als die gleichzeitigen Königreiche. Eine einzelne
Stadt sei heutzutage schwach im Vergleich mit einem kleinen
Königreich , gerade wie ein kleines Königreich im Vergleich
mit einem grossen. Die Thatsache, dass kein Staat einer
Macht widerstehen könne, die physisch stärker sei, als er selbst^
beweise nichts für die Vorzüge besonderer Regierungsformen.
So ^'iel emzelnes Richtiges hierin ist und so gern man dem
A erfasser zugiebt, dass ein »kleiner Staat« relativ eine grössere
Stärke entwickelt als ein »grosser«, so ist doch offenbar seine
BcAveisführung unklar, ja geradezu irrig. Er spricht hier von
verschiedenen Regierungsformen und vergisst, dass er nur von
»kleinen Staaten« gegenüber grossen handeln wollte, und er
verwechselt die individuelle Tüchtigkeit des Bürgers mit der
Macht des Staates. Es liegt Avirklich im V^esen, oder wie er
sich ausdrückt, im System des » kleinen »Staates «, dass er nicht
die gleiche äussere Macht haben kann, wie der grosse. Dass
ein kleineres Königreich kleiner und damit schwächer als ein
grösseres ist, das ist, sofern es überhaupt mit zu den »grossen
Staaten« gehört, etwas Accidentelles ; dass aber der »kleine
Staat« schwächer ist auch als ein relativ kleiner Grossstaat,
ist etwas in seinem Wesen begründetes. Und wo »kleine
Staaten« eine wirkliche grosse Macht gewonnen haben, ist es
dadurch geschehen, dass sie im Grunde über die Schranken
des »kleinen Staates« hinausgegangen sind. Wo aber bei sonst
gleichen Verhältnissen »grosse Staaten« entstehen, verschwan-
den allmählich die kleinen , wie das nachher Freeman selbst
ganz richtig sagt.
Andere Nachtheile sind bei dem Systeme kleiner, unab-
hängiger, nebeneinander stehender Staaten die unaufhörlichen
Kriege und der unbändige Hass, der sich um so intensiver
entwickelt, je näher die rivalisirenden Staaten einander liegen.
Auch die Parteikämpfe innerhalb der Staaten selbst pflegen
einen besonders hohen Grad von Wildheit anzunehmen, und
oft durch lange Zeiten sich erblich fortzupflanzen ohne einen
vernünftigen Grund .
Nachdem nun diese Sätze ausführlicher entwickelt, fasst
542 HisTORY OF Federal Governme^;t.
er (S. 62) die beiden Seiten der kleinen Staaten, oder wie er
hier sie geradezu nennt, der Städterepubliken schön in folgen-
der Weise zusammen :
»Eine kleine Republik entwickelt alle Anlagen der ein-
zelnen Bürger bis zum höchsten Gipfel; der durchschnittliche
Bürger eines solchen Staates ist ein höheres Wesen als der
durchschnittliche Unterthan eines grossen Königreichs; er steht
in einer Linie nicht mit dessen durchschnittlichen Unterthanen,
sondern wenigstens mit dessen durchschnittlichen Gesetzgebern.
Die Stadtrepvxblik entzündet die höchsten und am meisten ver-
edelnden Gefühle des Patriotismus; sie weckt jede Kraft und
jedes Streben (emotion) der menschlichen Natur; sie giebt dem
menschlichen Genie jeder Art den weitesten Spielraum; sie
bringt einen Aischylos und Demosthenes, einen Dante und
Maccliiavelli hervor. Aber auf der anderen Seite ist der Glanz
eines solchen Staats selten dauernd; er ist zu steter Krieg-
führung versucht, und zu einer Kriegführung von einer in ge-
wisser Beziehung grausamen Art; er ist zu Ehrgeiz und Er-
werbung von Gebiet wenigstens eben so anhaltend als ein
grösserer Staat verlockt und Einverleibung annexation durch
eine Stadtrepublik bringt gemeiniglich mehr Uebel mit sich
als Einverleibung in em Königthum. Femer ist bürgerlicher
ZAvist heftiger und Parteihass wird zugleich bitterer und an-
dauernder. Und wir können beifügen , dass Städterepubliken
nicht wirklich blühen können , ausser wenn sie entweder die
ganze Lage beherrschen oder doch eine entschiedene Ueber-
legenheit in Bildung über die sie umgebenden Monarchien
besitzen. Das erstere war der Fall im alten Griechenland,
das letztere im mittelalterlichen Italien. Im mittelalterlichen
Deutschland und Flandern war die Ueberlegenheit der Städte
weniger entschieden. Darum war ihre Freiheit weniger voll-
ständig und ihre Geschichte weniger glorreich. Wie die um-
liegenden Monarchien an Macht wachsen, wie sie an Ordnung
und Bildung zunehmen, vor Allem, wenn sie zur Aufstellung
stehender Heere kommen — verschwinden allmählich die
Städterepubliken oder bestehen nur noch durch verächtliche
Duldung der benachbarten Machthaber. Mögen die Mächte,
welche sie umringen, despotische Staaten, constitutionelle
Königreiche , oder selbst consolidu'te EepubUken sein . die
HisTORY OF Federal Government. 543
Riclitungen eines Zeitalters grosser Staaten sind der Erhaltung
irgend einer wirklichen Unabhängigkeit einzelner nicht ver-
bündeter Städte gleich sehr entgegengesetzt.«
Kürzer verweilt der Verfasser bei der "Würdigung der
Staaten, die er grosse nennt, weil sie dem modernen Yerständ-
niss ^del näher liegen. Er versteht darunter, wie schon gesagt,
alle Staaten, die zu gross sind um den sämmtlichen Bürgern
ein regelmässiges Zusammenkommen an einem Platze zur
Behandlung der Geschäfte möglich zu machen, gleichviel ob
Republiken, constitutionelle oder absolute Monarchien euro-
päischer Art. Die orientalischen Despotien schliesst er von
der Betrachtung ganz aus, weil dort von Gesetz und Regierung
im wahren Sinn die Rede nicht sein könne.
Das Wesen solcher Staaten bringt es mit sich, dass das
ganze Land rechtlich der Hauptstadt durchaus gleichsteht, ob-
wohl faktisch es sich selir oft zum grossen Nachtheil des
Landes anders gestaltet, und dass, wo überhaupt die Bewohner
Rechte haben, sie diese nur durch Stellvertretung ausüben.
Staaten wie Rom, Karthago, Venedig oder Bern, wo eine ein-
zelne Stadt über ein Aveites Territorium herrscht, kommen nicht
in Betracht ; denn sie sind keine eigentlichen gi'ossen Staaten,
sondern eine entartete Form der Städterepubliken (a corrupted
form of the city-commonwealth S. 65). Diese kurze Andeutung
macht den Leser nothwendig auf eine empfindhche Lücke in
der Betrachtung der kleinen Staaten aufmerksam. Das Ver-
hältniss der »kleinen Staaten«, welche sich zu herrschenden
Mächten erhoben haben, ist fast ganz übergangen, indem
(S. 23 — 25) im Grunde nur von der Stellung der untergebenen
Städte, nicht aber von der der herrschenden gehandelt wird.
Zugleich geräth der Verfasser in einen eigenthümlichen Wider-
spruch, da Athen, das er überall als das höchste Beispiel der
Städterepublik aufstellt, während der Zeit seiner Blüthe in die
gleiche Kategorie mit Rom, Karthago, Venedig und Bern ge-
hört und also eine entartete Form der Städterepublik wäre.
Was die Nothwendigkeit der Ausübung der politischen Rechte
durch Stellvertretung betrifft, so betrachtet sie der Verfasser
als luiumgängliche und consequent durchzuführende Regel.
Die wenigen Ausnahmen, die vorkommen, stehen im Wider-
spruch mit dem Staatsprincipe und sind höchst verderblich.
544 HisTORY OF Federal Government.
-wie die einstige polnische Königswahl, oder blosse Komödie,
wie das napoleonische SufFrage universel bei der Kaiserwahl
und der Annexation von Savoyen und Nizza. Sonderbar ist,
dass von der Anwendung desselben Mittels in Italien ganz
geschwiegen wird. Als es in Griechenland angewendet wurde,
war vielleicht das Euch schon geschrieben; in Mexiko hat es
bestimmt erst nach dem Erscheinen desselben stattgefunden,
dieser Fall wäre nicht vergessen. .Selbst die Wahl des ameri-
kanischen Präsidenten, die zwar nicht gesetzlich, wohl aber
faktisch eine unmittelbare geworden ist, wird für eine schäd-
liche Anomalie erklärt.
In einem solchen Staate, mögen sonst auch die wichtigsten
Unterschiede bestehen, mag die straffste Centralisation herrschen
oder die freiste ]5ewegung der einzelnen Theile, steht alle
Staatsgewalt beim Souverän und bei der gesetzgebenden Ver-
sammlung, sofern eine solche da ist; die municipalen Frei-
heiten, mögen sie noch so gross sein, sind vollständig der
Staatsgewalt untergeordnet ; sie können vermindert oder ver-
mehrt, ja ganz beseitigt werden ohne eine Rechtsverletzung.
Auch ein relativ kleiner Staat dieser Art umfasst in der Regel
ein Gebiet, das grösser ist als eine ganze Masse »kleiner Staaten«
zusammen.
Dies bringt im direkten Gegensatze zu den »kleinen
Staaten« als Vorzüge mit sich die Ruhe und den Frieden eines
grossen Landes und die Beseitigung oder wenigstens Abschwä-
chung der Localeifersuchten ; die Kriege werden weniger grau-
sam, weil sie in der Regel nicht durch den Hass der Revöl-
kerungen hervorgerufen sind, bürgerliche Streitigkeiten durch-
schnittlich weniger bitter. Dagegen ist ein ebenso entschiedener
Mangel dieser Staaten der germge Grad von pohtischer Bil-
dung, die durch eine periodisch eintretende Ausübung des
Wahlrechts nicht gcAvonnen werden kann. Daraus entsteht
nothwendig Verkehrtheit und Corruption der Wahlkörjjer,
welche als inhärente Laster der repräsentativen Verfassungen
erscheinen. Eine interessante . aber offenbar nicht ganz halt-
bare Bemerkung , die der Verfasser hier macht , ist die . dass
in der Stadtrepublik oder in der Despotie Bestechung in der
Regel gegenüber den l^eamten in Anwendung komme, in re-
präsentativen Staaten gegenüber den Wählern und wohl auch
HisTORY OF Federal Government. 545
den repräsentativen Körpern. Sehr richtig ist jedenfalls, dass
Avenn anch die Bestechung eines hohen Staatsmannes mehr
unmittelbaren Schaden bringen kann, die Gewohnheit der
Massen sich kaufen zu lassen , für den ganzen sittlichen Zu-
stand des Volkes viel verderblicher ist.
Fast ist man nach dieser xVuseinandersetzung erstaunt zu
sehen, wie der Verfasser bei der schliesslichen Bilanz zwischen
den Vortheilen und Nachtheilen der kleinen und grossen
Staaten unbedingt zu Gunsten der letztern entscheidet. Die
Erklärung liegt hauptsächlich in folgenden Worten (S. 87. 88) :
»die griechischen Republiken scheinen der Welt für einen
Augenblick gezeigt worden zu seiu wie ein Vorbild der ver-
klärten Menschheit, aus dem Alle die höchsten Lehren ziehen
sollen, das man aber nie hoffen kann in seiner Vollkommen-
heit zu reproduziren.« »Der Unterthan eines grossen modernen
Staates lebt ein weniger erregtes und weniger glänzendes, aber
ein nicht Aveniger nützliches und ein geordneteres und fried-
licheres Leben als der Bürger einer alten Ilepublik.«
Richtiger als eine solche Abschätzung wäre ohne Zweifel
gewesen, auf die verschiedenen Bedingiuagen einzugehen, unter
denen das eine und das andere System von Staaten möglich
und der Entwicklung der Menschheit förderlich ist.
Während also die Stadtrepublik Alles der vollen persön-
lichen Entwicklung des Bürgers opfert, das grosse moderne
Königreich (er braucht hier selbst diese Ausdrücke) dem Frie-
den, der Ordnung und dem allgemeinen Wohlbefinden eines
ausgedehnten Gebietes, giebt es ein drittes System von Staaten,
welches zwischen beiden zu veimitteln, die Vorzüge beider zu
verbinden sucht, das ist der Bundesstaat. Dieser entsteht
da, wo eine Anzahl unabhängiger Staaten in der Weise sich
verbinden, dass die Souveränetätsrechte getheilt Averden zwischen
den Einzelstaaten und einer gemeinsamen Gewalt. Diese Art
der Verfassung ist aber eine kunstreichere als irgend eine an-
dere , eine späte Frucht hoher politischer Cultur und nur in
ganz besondem Fällen anwendbar, nur da, wo bisher getrennte
Staaten einer engern Verbindung und Kräftigung bedürfen.
Lud zwar passt sie auch da nur, Avenn zwischen den verschie-
denen Einzelstaaten eine gewisse Gemeinschaft der Denkart
und der Literessen vorhanden ist und doch keine Identität
Vis eher, Schriften I. 35
546 HisTORY OF Federal Government.
derselben. Im erstem Falle bleiben die Einzelstaaten besser
im Zustande der Trennung mit deren Vortheilen und Nach-
theilen, im letztem ist die vollständige Vereinigung zum Ein-
heitsstaate das Angemessene. Natürlich tritt auch der Bundes-
staat in sehr verschiedener, mehr oder minder vollkommener
Form auf.
In seiner vollkommensten Erscheinung lässt der Bundes-
staat jedem einzelnen Staat volle Freiheit in Allem, was ihn
allein betrifft, er unterwirft einer gemeinsamen Gewalt Alles
was die Gesammtheit der Glieder mit einander betrifft; das
heisst die, äusseren Verhältnisse, die Stellung zu andern Staaten
wird durch die BundesgeAvalt geleitet und durch sie allein, die
inneren Verhältnisse verbleiben ganz der Competenz der Ein-
zelstaaten. Nach aussen erscheint der Bundesstaat als ein ein-
ziger Staat, nach innen als eine Mehrheit von einzelnen Staa-
ten. Und zwar ist diese innere Freiheit der Einzelstaaten nicht
etwa wie die Municipalrechte in Einheitsstaaten, Sache der
Einräumung von Seite einer hohem Gewalt, sondern sie ge-
hört ihnen als absolutes Recht vermöge der ihnen als unab-
hängigen Staaten inhärirenden Befugnisse. Es ist eben so
sehr dem Princip des Bundesstaates zuwider, eben so rechts-
widrig, dass die Centralgewalt sich in die innere Gesetzgebung
luid Verwaltung der Einzelstaaten einmische , als dass der
Einzelstaat m äussere Verhältnisse eingreife luid z. B. in di-
plomatischen Verkehr mit fremden Staaten trete. Auch unter
Festhaltung dieser wesentlichen Gnindsätze giebt es nieder
zwei Hauptklassen: 1) die, wo die Bundesgewalt nur die Re-
gierungen der Einzelstaaten repräsentirt und nur mit ihnen
verhandelt, ohne je mit den einzelnen Bürgern in direkte Ver-
bindung zu treten. Das neiuit der Verfasser das System ver-
bündeter Staaten (the System of Confederated States) . 2] Die,
wo die Bundesgewalt eine selbständige Regierung im eigent-
lichen Sinne gegenüber den Einzelregierungen bildet und inner-
halb ihrer Sphäre sich frei beAAegt und auch mit den einzelnen
Bürgern der Einzelstaaten direkt verkehrt. Das nennt der
Verfasser den zusammengesetzten Staat oder den höchsten
Bundesstaat (the Composite State or Supreme Federal Govern-
ment). Jene erste losere Form nähert sich mehr dem blossen
Staatenbunde, diese engere mehr dem Einheitsstaate. Beide
HisTORY OF Federal Goverxment. 547
aber sind doch vollständige Bundesstaaten, sofern sie nach
aussen als Einheit erscheinen, nach innen den Gliedern ihre
volle Unabhängigkeit lassen. Sie berühren sich so nahe, dass
die Unterscheidung oft schwer wird.
Theoretisch betrachtet lässt sich nun ebensowohl ein aus
Monarchien als aus Republiken bestehender Bundesstaat den-
ken ; doch weist faktisch die Geschichte nxir republikanische
auf, da verwandte monarchische Erscheinungen sich nie bis
zum wirklichen Bundesstaate ausgebildet haben, und mit Recht
bemerkt der Verfasser, dass ein aus Monarchien zusammenge-
setzter Bundesstaat mit einem erblichen oder gewählten Könige
als Bundessouverän an der Spitze eine so delikate Maschinerie
wäre, dass sie kaum eine einzige Generation durch dauern
würde. Er setzt daher bei seinen weitern Betrachtungen immer
republikanische Verfassung voraus.
Die republikanischen Bundesstaaten sind wieder sehr ver-
schieden nach der Grösse der Einzelstaaten, aus denen sie zu-
sammengesetzt sind. Diese können nach dem System der
Kleinstaaten durch die unmittelbare Theilnahme der Bürger
regiert Averden. oder nach dem System der Grossstaaten durch
Repräsentation. Ersteres war der Fall im achaiischen Bund,
letzteres ist es in Nordamerika; eine Mischung findet sich in
der Schweiz. Danach nähern sie sich wieder einerseits mehr
den reinen grossen Staaten, andrerseits mehr den kleinen,
bleiben aber immer entschieden eine besondere zwischen jenen
stehende Art. Die Stellung von Megalopolis und New- York,
beide in ihren innern Angelegenheiten souverän und blosse
Municipalitäten gegenüber fremden Mächten, hat trotz der ver-
schiedenen Grösse mehr gegenseitige Aehnlichkeit als die von
Megalopolis mit der Athens, oder die des Staates New-York
mit der Englands.
Ein solcher Bundesstaat also sichert nun zwar nicht die
gleiche Ruhe und Ordnung AA-ie ein modernes Königreich, nicht
die gleiche individuelle politische Ent^-icklung ^xie die alte
Stadtrepublik, aber er gewährt mehr Ruhe als die alte Stadt-
republik und giebt durchschnittlich ihren Bürgern eine höhere
politische EntAA^cklung, als die Unterthanen einer ausgedehnten
Monarchie sie erreichen.
Selbst in einem grossen Einzelstaate eines Bundes wird
35*
548 HisTORY OF Federal Govekxmemt.
die Theilnahme der einzelnen Bürger an den öffentlichen An-
gelegenheiten eine weit unmittelbarere sein, als in einem grossen
Königreich oder einer grossen einheitlichen Republik (ConsoK-
dated liepublic , "svie Frankreich "vvar. In einem wie im andern
Falle bleibt auch dem Einzelstaate eine ganz andere unab-
hängige Stellung als selbst der freisten Municipalität in einem
Einheitsstaate. Und der Bundesstaat ist zugleich die günstigste
Staatsftjrm für die Entwicklung des )Selfgovemment im ausge-
dehntesten Sinne. Der Verfasser meint nämlich, am wenigsten
geneigt solche freie Bewegung zu ertragen sei die allmächtige
Nationalversammlung einer grossen Republik; weit weniger
Eifersucht ihr gegenüber habe das an gewisse Schranken seiner
Macht gewohnte Parlament einer constitutionellen Monarchie
und noch weniger hätten eine bundesstaatliche Centralversamm-
lung Federal Congressj und eine legislative Versammlung eines
einzelnen Gliedes des Bundesstaates, weil beide an gegenseitige
rechtliche Begränzungen gewohnt seien.
Selbst das, was in gewissem Sinne als eine Schwäche der
Bundesstaaten erscheint, den weniger festen Zusammenhang
der einzelnen Theile im Vergleiche mit dem Einzelstaate, be-
zeichnet der Verfasser als eine bloss scheinbare Schwäche, in-
dem verschiedenartige Theile durch das bundesstaatliche Band
willig und dauernd zusammengehalten werden , die in einen
Einzelstaat nur widerstrebend und mit Gewalt zusammen-
gezwängt würden. Und so erscheint ihm sogar die grössere
Leichtigkeit einer Secession eher als ein \'ortheil, denn als ein
Nachtheil, wie andrerseits die Leichtigkeit, da wo das Bedürf-
niss es gebietet, die Umwandlung in den Einheitsstaat zu voll-
ziehen. Die Vorgänge in Amerika haben aber ohne Zweifel;,
seit er das geschrieben, seine Memung über die Leichtigkeit
der Secession wesentlich modifizirt.
So ungefähr entT^'ickelt der Verfasser das Wesen und die
Wirkungen des Bundesstaates, wobei er indessen doch wohl
zu sehr die Verhältnisse so betrachtet hat, wie sie theoretisch
sein sollen, und nicht genug beachtet, wie sich aus dem Da-
sein zweier gesetzlich in ihrer Sphäre gleichberechtigter Arten
von höchster Gewalt nothwendig, wenn auch nicht gleich ein
Conflikt, doch eine gewisse Concurrenz ergeben muss. Denn
sobald einmal eine starke Centralgewalt , welcher immer der
HisTORY OF Federal Go vernment . 549
wichtigere Theil der Souveränetätsrechte zufällt, geschaffen ist.
hat sie den natürlichen Drang, den Kreis ihrer Thätigkeit
weiter auszudehnen und namentlich in einer Zeit, wo alles
Bestreben vorzugSAveise auf Machtentwicklung gerichtet ist.
Andet sie nur zu sehr Förderung auch da, wo ruhige Ueber-
legung das Gegen theil gebieten sollte.
Der Verfasser schildert, nachdem er einen Blick auf Nord-
amerika geworfen, was wir hier übergehen wollen, mit be-
geisterten Worten die Avohlthätigen und einzigen Wirkungen
des Bundesstaates an dem Beispiel der Schweiz. »Unter dem
föderalen System«, sagt er, »können der Katholik und der
Protestant, der Aristokrat und der Demokrat, der Bürger von
Bern und der Landmann von Uri, der Schwabe von Zürich,
der Lombarde von Tessin, der Burgunder von Genf *■ und die
Leute, welche die unbekannte Zunge der rhätischen Ihäler
sprechen — sie alle können unter einander als freie und gleiche
Bundesgenossen sitzen. Sie können ihre locale L'nabhängig-
keit. ihre localen Verschiedenheiten, ja wenn sie wollen, locale
Eifersucht und Hass behalten und dennoch bei allen äussern
Fragen als eine Nation auftreten, deren Glieder alle gleich
bereit sind, ihr Bergbollwerk zu besetzen, wenn der geringste
Angriff gegen irgend einen ihrer Brüder gemacht wird. Das
föderale System, kurz gesagt, hat hier aus den verschiedensten
ethnologischen, politischen und religiösen Elementen eine künst-
liche Nation geschaffen, so voll von wahrer und heldenmüthiger
nationaler Gesinnung als je ein Volk vom allerungemischtesten
Blut beseelt hat.«
Einen Ausdruck müssen wir hier ablehnen, den einer
künstlichen Nation 'artificial nation^ , sofern damit etwas will-
kürlich gemachtes gedacht wird. So gern dem Verfasser zu-
gegeben wird, dass die höhere Stufe des Bundesstaats einen
hohen Grad politischer Entwicklung voraussetzt und ein kunst-
reicher Organismus ist, so folgt daraus noch nicht, dass die
dadurch vereinigte Nation eine künstliche sei. Auch die höchste
Entwicklung kann , oder vielmehr sie muss naturgemäss vor
1) Der Verfasser gebraucht den Namen »Burgunder« von den französiscli
redenden Schweizern mit Absicht, im Gegensatz zu Franzosen. Man ver-
gleiche seine Bemerkimg über das burgundische Reich S. 31. 1.
550 HisTORY OF Federal Government.
sich gehen, -vvenu etwas Haltbares daraus hervorgehen soll;
und so gut Natur und nicht Kunst Bevölkerungen der ver-
schiedensten Zungen in den engen Gränzen der Schweiz zu-
sammengebracht, ist auch die historische Entwicklung, welche
diese Ijevölkerungen zu einer freien Verbindung zusammen-
gekettet hat , eine natürliche , und darum hat diese so lange
gehalten. Will man nur die Nation im ethnologischen Sinne
eine natürliche nennen, so mag man im Gegensatz dazu die
schweizerische eine historisch gewordene nennen, am
besten ist aber wohl, den Ausdruck Nation gar nicht anzu-
wenden, sondern nur von einem schweizerischen Volke zu
sprechen. Doch das ist am Ende ein Wortstreit, der noch da-
zu vom verschiedenen Gebrauche des gleichen Wortes in ver-
schiedenen Sprachen abhängt. Sprechen doch unsere welschen
Eidgenossen ganz ernsthaft von einer Nation Vaudoise und
Nation Genevoise. Hingegen -«-ird jeder Kenner der schweize-
rischen Verhältnisse fühlen , wie jene Schilderimg schon jetzt
nicht mehr ganz passt, — Aristokratien sind nicht mehr ge-
stattet — und die Unabhängigkeit der Cantone wesentlich be-
droht ist, man darf wohl sagen, mehr als bedroht, seitdem der
schweizerische Rundesrath mit nicht eben feiner Sophistik die
Theorie aufgestellt hat. dass vermöge des Rechts Verträge mit
dem Auslande zu schliessen die Eundesgewalt durch die übri-
gen Bestimmmigen der Verfassung nicht mehr gebunden sei,
tmd also die cantonale Unabhängigkeit nur noch von der Dis-
cretion dieser abhänge, und — seitdem die Bundesversammlung
diese Theorie acceptirt hat. Mögen die sich täuschen, welche
fürchten, es sei damit der Pfad betreten, der vom Bundesstaat
zum Einheitsstaat führt.
Hören wir noch, was der ebenso einsichtige als für unser
Land wann fühlende Verfasser von einem solchen Falle sagt.
Nachdem er ausgesprochen , dass zweiundzwanzig vollständig
unabhängige Staaten sich unmöglich erhalten könnten , fährt
er fort : »Aber würde Verbindung zu einem Einheitsstaat (con-
solidation' dem Zweck entsprechen? Sollen wir der Schweiz
die stereotyjie Segnung eines erblichen Königs, eines verant-
wortlichen Ministeriums, eines erwählten und eines ernannten
Parlamentshauses geben? Oder sollen "«"ir zur Abwechslunar
ihr die niedlich entworfene Foiin einer einen im.d untheilbaren
HisTORY OF Federal Government. 551
Ilepiiblik geben? Solch ein Königreich oder solch eine Re-
publik würde nur in kleinerem Massstabe einen Anblick dar-
bieten, wie die Reiche von Oesterreich und der Türkei. Die
burgundischen und italienischen Provinzen würden gegen eine
vorherrschend deutsche Regierung sich empören und sich um
Hülfe an ihre stammverwandten Nachbaren jenseits der Gränze
wenden . Frankreich würde für Waadt werden , was Fiemont
für die italienischen Provinzen von Oesterreich, was Russland
für die slavischen Provinzen der Türkei« (S. 120).
Ich habe mich absichtlich länger bei der Einleitung auf-
gehalten, um den Standpunkt deutlich zu machen, von dem
der Verfasser ausgeht. Mit dem dritten Capitel beginnt der
eigentlich historische Theil, der in sechs Capiteln die Ge-
schichte des Bundesstaates in Griechenland von den
ersten Anfängen bis zum Untergang ]des achaiischen Bundes
darstellt. Da der Verfasser sich keineswegs auf eigentliche
Bundesstaaten im engem Sinne beschränkt, sondern auch ver-
wandte Institute und blosse entfernte Versuche bespricht, so
ist nicht zu billigen, dass er die grossen hegemonischen Bünde
oder Symmachien ganz bei Seite gelassen hat. Denn wenn
auch die attische Symmachie so Avenig wie die peloponnesische
es je zum wahren l^undesstaate gebracht hat, so gehörten sie
doch wenigstens so gut als mehrere der besprochenen Verbin-
dungen hieher und Avären besonders interessant gewesen wegen
geAA-isser Analogien mit dem vorörtlichen System der schweize-
rischen Eidgenossenschaft. Wenn Freeman wiederholt von
einer athenischen Herrschaft sijricht, so übergeht er, dass diese
Herrschaft in Folge mangelhafter Bundeseinrichtungen aus einer
ursprünglich freien Bundesgenossenschaft durch Uebergriffe des
Vororts und Schlaffheit der kleinen Bundesglieder hervorge-
gangen ist. Eine Bundesbehörde, der Tagsatzung entsprechend,
war im Synedrion da, und sogar eine Finanzbehörde in den
Hellenotamien. Es hätte liier gezeigt werden müssen, wie jede
Hegemonie nothwendig zur Herrschaft des Hegemonen und
zur Unterdrückung derer führt, welche die Leitung ihrer Kriegs-
macht an einen Stärkern abgeben, und es daher der grösste poli-
tische Fehler eines kleinen Staates ist, die militärische und diplo-
matische Führung an einen mächtigeren abzutreten, wenn man
nicht von vorn herein eine völlige Absorption in diesen bezweckt.
552 HisTORY OF Fbderal Government.
Die delphische A m p h i k t y o n i e , den ältesten Staa-
tenverein, den wir in Griechenland genauer kennen, beurtheilt
Freeman richtig, wenn er sie als eine religiöse, nicht eigent-
lich politische Verbindung ansieht, die in späterer Zeit nur
missbränchlich als politisches Werkzeug benutzt Murde ^] . Nur
lässt sich nicht verkennen, dass in jener ältesten Zeit ReU-
giöses und Politisches so wenig streng geschieden waren, dass
auch die Amphiktyonie bis auf einen gewissen Grad eine
politische Verbindung wurde. Dagegen hat der Verfasser
schwerlich mit Recht die Erscheinung, dass später sich aus
1) Ueber die delphische Amphiktyonie resp. die Stimmen der theil-
nehmenden Völker giebt neuen, höchst interessanten Aufschluss ein i*^''2
von dem unermüdlicheu verdienstvollen Inschriftenforscher Carl Wäscher
in Delphi aufgefundenes Document, von dessen Inhalt er mir im vei*flossenen
October mündliche Mittheilung gemacht hat und über das man jetzt einen
kxirzen vorläufigen Bericht in der Revue Archeologique, November 1864,
S. 407 ff. findet. [Jetzt C. Wescher: etudes sur le monument hilingue de
Delphes suivics d eclaircissements sur la decouverte du niur oriental etc.
3Iemoires presetiies par divers savants ä V academie des inscriptions et belles-
lettres. prämiere Serie VIII. Paris 1869. S. 1 — 218. Schon zu Aischines
Zeit waren es aber 24 Stimmen ; er sagt, jedes £&>;o!; habe zwei Stimmen ;
aber diese haben nur Sinn bei der Theilung einzelner sövt] cf. Trept -apctrp.
§. 116. — Wescher meint, die Doloper und Perrhaiber gehörten zusammen.
Schwerlich richtig. Denn die Delphier (eine blosse Stadt , nicht Völki. r-
schaft, waren keine ursprünglichen Theilnehmer. Mit mir überein stimmt
Foucart: Memoire sur Delphes S. 162.] Zur Zeit dieses Documents, das
jedenfalls vor die Keconstituirung durch Augustus gehört, hatten sieben
Völkerschaften je zwei Stimmen, zehn je eine, zusammen also vierundzwan-
zig. Die erstem mit je zwei Stimmen waren die Delphier, die Thessaler,
die Phokier, die Boiotier, die phthiotischen Achaier, die Magneten und die
Ainianen. Die letztern waren die Dorier am Parnass und die Dorier im
Peloponnes, die Athener und die Euboier, die Malier, die Oitaier, die
Doloper, die Perrhaiber, die hypoknemidischen Lokrer und die westlichen
Lokrer. Bei den Doriern, loniern tAthenern und Euboiern und Lokrern
erkennt man deutlich die Trennung früher einheitlicher Glieder in je zwei ;
dasselbe scheint der Fall zu sein bei den Maliern und Oitaiern : die Doloper
und Perrhaiber, die sonst beide unter den ursprünglichen zwölf Völker-
schaften genannt werden, sind vielleicht bei der Aufnahme von Delphi zu
«Halbständen« herabgesetzt worden. Es ist diese Verdoppelung der ur-
sprünglichen zwölf Stimmen und die Theilung einiger ganz analog dem
Verfahren in der Schweiz bei der neuen Bundesverfassung, wo statt der
zweiundzwanzig Stimmen der Tagsatzung den Cantonsrepräsentanten im
Ständerath vierundvierzig Stimmen gegeben Avurden, den ganzen Cantonen je
zwei, den sechs Halbkautonen von Unterwaiden, Basel und Appenzell je eine.
HisTORY OF Federal Government. 553
der delphischen iVmphiktyonie kein wirklicher Bundesstaat
entA^ ickelte . als Beweis dafür geltend gemacht, wie wenig
Sinn die Griechen in der Zeit ihrer grössten Blüthe für eine
engere staatliche ^'erhindnng gehabt hätten. Man möchte sich
umgekehrt verwundern, dass nach den Umwälzungen, welche
die thessalische und dorische Wanderung mit sich führten, und
bei den gänzlich veränderten Machtverhältnissen der theil-
nehmenden Völkerschaften jener alte apollinische Verein sich
überhaupt auch in der losesten Form erhalten hat.
Wirklich politische Bünde, theilweise selbst B>undesstaaten,
finden sich dagegen in mehreren Landschaften des nördlichen
und mittleren Griechenlands , vor denen der Verfasser nur
Phokis, Akarnanien und E p e i r o s etwas eingehender be-
handelt. Aitolien, dass sich später über die landschaftliche
Bedeutung erhoben, wird in einem späteren Abschnitt bespro-
chen. Diese Bundesstaaten haben alle das gemeinsam, dass sie
einen in einer zusammenhängenden Landschaft niedergelassenen
Stamm umfassen, avo das Gefühl der Zusammengehörigkeit
und Gleichartigkeit immer lebendig geblieben war, auch keine
bedeutenden Städte bestanden, in denen sich Sonderinteressen
entwickeln konnten. Von einem kunstreichen Organismus ist
also hier keine Spur. Die Verbindung scheint sich früher
hauptsächlich auf die Vertheidigung gegen äussere Feinde be-
schränkt zu haben. Erst in späterer Zeit, als das föderative
System überhaupt sich mehr verbreitet hatte, scheinen die
Formen weiter ausgebildet worden zu sein. Epeiros "SAiirde
überdies erst um 229 l^undesstaat.
Bei den sehr dürftigen Nachrichten . welche die Schrift-
steller uns über diese Staaten erhalten haben, ist zu bedauern,
dass Freeman eine wichtige Quelle nur sehr mangelhaft be-
nutzt hat, die Inschriften, von denen er fast nur die im Cor-
pus Liscript. Graec. enthaltenen zu kennen scheint. Nun
findet das freilich seine Erklärung in der grossen Zerstreutheit
dieses Materials ; aber gerade für diese Bundesstaaten gewähren
manche noch nicht in jene Sammlung aufgenommene Inschrif-
ten reiche Aufschlüsse. So erwähnt eine in Troas aufgefun-
dene, jetzt in Cambridge befindliche Inschrift ij Bundesstaaten
1 Von E Curtius in Gerhards Arch. Zeitung 1855, S. 33 fF. veröffent-
554 HisTORY or Federal Government.
(xoiva) der Dorier am Oite, der Ainianen, der Athamanen, der
Oitaier, der östlichen Lokrer, von denen der Verfasser nur
ganz zweifelhaft gesprochen hat, und dieselbe Inschrift zeigt
uns , dass in dem nach dem Ende der Aiakidenherrschaft in
Epeiros gegründeten Bundesstaate die Stadt Phoinike der Sitz
der Bundesbehörden war, wodurch die Darstellung bei Freeman
wesentlich ergänzt würde und eine später (S. 667, Anm. 1)
aufgeworfene Frage ihre Lösung erhalten hätte.
Auch für den phokischen Bundesstaat der makedonischen
Zeit, so wie für die ozolischen Lokrer und die Dorier ist
reichliches Material in den delphischen Lischriften enthalten,
die aber freilich zum grösseren Theil erst nach dem Erscheinen
des l^uches 1863 von Wescher und Foucart herausgegeben wor-
den sind.
Thessalien will Freeman gar nicht als Bundesstaat
gelten lassen, ich glaube aber mit Unrecht. Denn schon der
Umstand, dass die thessalischen Städte gemeinsame Einkünfte
und Unterthanen, den gemeinen Yogteien der Schweiz ent-
sprechend, hatten, beweist eine bündische Einigung, und die
Oberfeldherrnschaft , Tageia, wenn auch faktisch oft in eine
Tyrannis ausartend, vermochte dem Bimde nach aussen eine
Kraft zu verleihen, wie sie keine andere Landschaft mit bün-
dischen Einrichtungen besass. Dass die einzelnen Städte sich
dem Tagos nur widerstrebend unterordneten, was der Verfasser
für seine Meinung geltend macht, beweist gegen einen thessa-
lischen Bund so wenig als die Feindschaft Plataias gegenüber
Theben etwas gegen einen boiotischen ').
Eingehender als von diesen uns nur dürftig bekannten
Bünden wird von Boiotien gesprochen, das seit der Be-
setzung des Landes durch die Boiotier, so \iel vdr "uissen,
stets einen Bundesstaat mit Theben an der Spitze gebildet hat,
in dem aber früh die Ansprüche der Bundesstadt mit den Un-
licht, weniger genau von Churchill Babington in den Inscriptiones Sprattia-
nae. Den Kassandros aus Alexandreia Troas, zu dessen Ehren die Inschrift
verfasst ist, findet man in einer delphischen Inschrift wieder bei Wescher
und Foucart Inscriptions de Delphes, n. 18. Z. 39. 40.
1) Näheres über die thessalische Bundesverfassung und besonders die
Einrichtungen des alten Aleuas habe ich in der Schrift über Staaten und
Bünde im alten Griechenland S. 19 ff. '= Kl. Sehr. I S. .^35 ff.) gegeben.
HisTORY OF Federal Go^-erxment . 555
abhängigkeitsbestrebiingen einiger anderen Städte in einen
Confiict traten, um den sich die ganze Geschichte des Landes
dreht; denn auch die änssere Politik ist dadurch wesentlich
bedingt. Den Grund der Avenig gedeihlichen Entwicklung des
Bundes findet der Verfasser in der unverhältnissmässigen Macht
Thebens gegenüber den anderen Orten, was ihn zu beachtens-
werthen Betrachtungen über den Sitz der Bundesregierungen
überhaupt veranlasst. Indem er diesen nie in einer Stadt
haben will, welche sich durch Grösse oder andere Bedmgungen
zu einer eigentlichen Hauptstadt eignet, äussert er sogar sehr
ernste Bedenken, ob die Wahl Berns zum bleibenden Sitz der
schweizerischen Bundesbehörden eine weise gewesen sei und
neigt entschieden mehr für den früheren Wechsel der Vororte.
Die politische Entwicklung des boiotischen Bundes theilt
er in drei Perioden : erstens die von seiner Entstehung bis
zum Frieden des Antalkidas, 387 v. Chr., zweitens die kurze
Zeit der Grösse Thebens von der Befreiung durch Pelopidas
bis zur Zerstörung der Stadt durch Alexander, 334 v. Chr.,
drittens den Zeitraum von da bis zur Auflösung des Bundes
bei Anlass des dritten makedonischen Krieges 171. Ursprüng-
lich, meint er, hätten die Städte nur eine religiöse Verbindung
um den Tempel der itonischen Athene bei Koroneia gebildet
und daraus sei erst der politische Bund erwachsen. Es ist
dies möglich, aber durchaus nicht zu erweisen, ja gar nicht
wahrscheinlich, da die als Eroberer ins Land gekommenen
Boiotier immer als ein einheitliches Ganzes erscheinen und
das Bedürfuiss bündischer Verbindung hatten. Vgl. Thuc.
III, Bl. — So weit unsere historischen Kenntnisse über den
Bund reichen, war Boiotien formell ein wirklicher Bundesstaat
mit durchaus nicht unbilligen Vorrechten Thebens, und blieb
es den grössten Theil der ersten Periode hindurch; aber im
Gegensatz zu der formellen Berechtigung der Glieder wurde
der Blind wesentlich im Interesse des Vororts geleitet. Das
muss man dem Verfasser zugeben. Aber er zieht nun auch
aus dem bekannten Schiedssprüche der Korinthier im Streite
Plataias mit Theben (519 ?i den Schluss, dass unparteiische
Beurtheiler den boiotischen Bund gar nicht als wirklichen
Bundesstaat betrachtet hätten. Die Korinthier entschieden
nämlich dahin, es solle nicht nur den Plataiern, sondern allen
556 HiSTORY OF Federal Government.
Bundesgliedern nach Belieben auszutreten freistehen. Darin ist
offenbar nur zii erkennen, wie stark bei den meisten Griechen
damals noch die Vorliebe für absohite Städteautonomie Avar.
Den Korinthiern erschien das Recht jeder Stadt auf unbe-
schränkte Selbständigkeit als etwas selbstverständliches, unver-
äusserliches; eine föderative Verpflichtung war ihnen undenk-
bar. An ein Urtheil über den boiotischen Bundesstaat haben
sie sicherlich nie gedacht. Mit der Anerkennung jenes
Principes war der Bund aufgelöst und darum versagten sie die
Thebaner. Denn etwas anderes kann man in ihrem Angriffe
auf die abziehenden Athener, die den Plataiern zu Hülfe ge-
kommen w^aren, nicht sehen. Die gewaltsame Trennung von
Plataia, aWc sie in Folge des Sieges der Athener eintrat , war
viel weniger gefährlich, weil sie kein Princip sanctionirte.
Uebrigens muss man bei der Beurtheilung der Stellung Pla-
taias zum Jjiinde sich, mehr als der Verfasser gethan hat, er-
innern , dass wir nur einseitige , der secessionirenden Stadt
günstige Berichte besitzen.
Auffallend ist, dass die Zeit von den Perserkriegen bis
-zur ersten Schlacht von Koroneia, 448 v. Chr., ganz mit Still-
schweigen übergangen ist, wo doch Thebens Stellung zu
Boiotien wiederholt sehr erschüttert und verändert war. Ohne
mich indessen hierbei aufzuhalten, will ich zur zweiten Periode
übergehen, über die ich eine vom Verfasser ganz abweichende
Ansicht habe. Dieser meint nämlich, in dieser Zeit der glän-
zendsten MachtentAA^cklung Thebens seien die anderen boioti-
schen Städte unter dem Namen einer Conföderation in eigent-
liche Unterthänigkeit gebracht worden. In der Hauptsache
mit seinen Landsleuten Grote ' iind Thirlwall in Ueberein-
stimmung , behauptet er , die Massregeln , die Theben damals
getroffen, seien nicht dahin gegangen, die kleineren boiotischen
Städte in sich zu einem Einheitsstaate zu absorbiren, sondern sie
sich in der Form einer Conföderation zu unterwerfen. Allein
schon die von Freeman und Grote selbst angeführten Stellen
beweisen bei richtiger Auffassung das Gegentheil . namentlich
hätte Freeman durch die ausführlich besprochene Stelle des
') Die Polemik gegen Grote S. 173 ff. bezieht sich nicht auf die födera-
tive Form, sondern auf den unter dieser Form faktisch eingetretenen
-Zustand.
HisTORY OF Feder.\l Goverxment. 557
Isokrates (Plat. §. 8) belehit werden müssen \). Aber obwohl
er ganz richtig sagt: »wir hören nichts mehr von einem boio-
tischen Bunde, sondern von einem thebanischen Staate, in
welchem wider Willen die anderen iStädte aufzugehen ge-
zwungen sind,a so hält er doch diese richtige Auffassvmg nicht
fest, sondern glaubt in der Stelle, die durch plataiische oder
isokratische Rhetorik gefärbt sei, bloss die Thatsache zu finden,
dass Theben emen harten Druck geübt habe. Das hätte der
berühmte Redekünstler aber nie so ungeschickt ausgedrückt.
Die Wendungen »am thebanischen Staate Theil nehmen (ttjc
o'^sTspa? au-u)v Tzo/atEiac xoivwvsTv) und »zu Theben gehören«
(ör^pai'oi? auvTsXsIv, st; ta; örjßa; ruvtsXiTv nicht etwa si; Boio)-
Touc wie in früheren Zeiten Herodot VI, J08 sagt) können
nichts anderes bezeichnen als das gänzliche Verschmelzen aller
boiotischen Städte in einen Gesammtstaat , wie es auch von
vielen Gelehrten ganz richtig verstanden wird. Wie alle Be-
wohner Attikas seit Theseus Athener waren, so sollten nun
alle Boiotier Thebaner werden , was in der Theorie durchaus
keinen Druck voraussetzte , wie bekanntlich ein solcher in
Attika auch nie von ferne bestand. In Boiotien hatten nun
aber einmal die Einzelstädte ihre Autopolitie seit undenklichen
Zeiten gehabt und lieb gewonnen, zum Theil auch seit Jahr-
hunderten in Opposition mit Theben gelebt. Ihnen musste
daher das Aufgehen in der thebanischen Bürgerschaft als
schwerer Druck erscheinen. Hatte auch der einzelne Bürger
mit dem einzelnen Thebaner gleiche Rechte, so galt er doch
nichts mehr als Plataier, Thespier, Orchomenier, Avar überdies
1) Isokr. Plat. §. 8 : dviOTS y°'P ^T^t/etpoüai "ki^iti^ wj oia toüJto Ttpo; "/jfAä;
o'jTtu TTpocYjNe^&Yjaav, ort ouvTeXeiv aüxoi; oOx TjftlXofAev. üfieii; S'lv&u[A£ia&£
TTpwTOV ^£V ei Sixatov saxiM ÜTiep ttjXixoutujv lY"'^XTj(j.aTa)V o'jtous dvöpiou; xat
SeiNd; TTOteTa&ai xac Tifxtopia; , t-tiT ei 7ipo;fjX£tv üijiTv ooy.£r [xr^ r^eia^eiaa-i
rrjv nXa~at£tt)V toXiv txXXd ßtao&eiaav B'fjßaiotj a'JVT£X£rv. i'fo) [i.£v yötp
O'JOtva; T^f'^^Jf^'-^' "'^oXfj.Tjpoxepo'j; £ivai To'jxojv, oixive; xa; |i.£v lOiac tjp.tt)v exd-
ax(ov 7:6X£t; äcpa^ iCouo i, xtj; Se acpexepa? aiixöjv TtoXixEiot; oüSev
S£0[X£vo'J? xotvtuvEiv dva-f^dC^uaiv. lipo; §£ xo6xoi; oio' 6[j.oXofO'j[A£vot
cpaivovxat 0[aTrpaxxo[ji£^ot Ttpos x£ xoü? dXXou; xal Trpö; ■f\i>.äi. ^XP"?]'^ Y^^P '^'üxou;
iT:£i8T] Tt£i8£tv T?][jiü)v zr^v -oXtv o'jy olot x' -^aav, ojaTiEp xo'jc 0£OTct£ac xal touc
TavaYpaio'Ji , ouvxeXeiv (j.6>;ov eU "^äc 9f]ßotc dvaYV-dC^i"'- O'josv Y^tp «v twv
dvT)X£5X0)v xa'AÖJV r^[A£v ■7r£7rov&ox£5. vüv 0£ spavepoi -{t16^a':l^^ oü xoüxo öiaTipd-
^aoDai ßo'jXYjft£vx£S, dXXd xfj; -/(upa; -/nj-tüv d7rt&'j[j.r,aavx£i.
558 HisTORY OF Federal Government.
durch die Entfernung von Theben im Nachtheile , wenn er
nicht dorthin übersiedelte. Die einzelnen Städte als solche
verschwanden, za; ixev t^ij-wv s/aariuv -oÄsic a'favi!^oi>ji , was
genau das Nämliche bedeutet wie das Auflösen der liathhäuser
und der Magistrate der attischen Einzelstädte diirch Theseus bei
Thukydides 2, 15 xaTaXuaa; Tuiv aÄÄojv -oäeojv ra ts ,3ooÄc'JTT]pia
y.ai xa; oip/ac . Für die luiteren Volksklassen Avar eine solche
Massregel wenig drückend, ja in den bisher oligarchisch re-
gierten Städten erwünscht, vrie denn auch ein grosser Theil
des Volks frei^Aällig nach Theben übersiedelte. Für die \ov-
nehmen aber, besonders die Geschlechter, welche bisher in
den kleinen Orten Aemter und Ehren imie gehabt und dort
ihren Grundbesitz hatten, war die Aenderung eine sehr harte.
Die hohen Stellen in den Einzelstädten hörten auf, m dem
Gesammtstaate hatten sie freilich die Berechtigung zu allen
Aemtern, aber blutwenig Aussicht sie zu erhalten ; denn in der
Volksversammlung, welche alle Wahlen hatte, waren faktisch
die eigentlichen alten Thebaner ohne Zweifel in der Majorität
und übten ihr Wahlrecht ohne Rücksicht aus. Wenigstens
hören wir nicht, dass irgend ein Angehöriger eines kleinen
Ortes in dieser Zeit ein bedeutendes Amt erhalten hätte.
Was den Namen des Gesammtstaates betrifft, so scheint
er officiell als der thebanische bezeichnet worden zu sein,
Ol 0Tj,3aIoi. So Avenigstens steht in der bekannten Steinurkunde
jener Zeit über den unter Archon Nausinikos geschlossenen
grossen athenischen Bund, der einzigen mir bekannten, wo
eine officielle Unterschrift sich findet ^^ . Damit stimmt auch
wohl überein, dass, während bei Thukydides, also in den Zeiten
des peloponnesischen Krieges , Boiotien als Staat immer mit
BoKüTot bezeichnet wii'd, und bei Xenophon bis zur Zeit des
antalkidischen Friedens der Gebrauch zwischen Boicutoi und
ör^paToi schwankt, seit der Befreiung vom spartanischen Joch
bei diesem 0r,,3aloi das regelmässige ist, und ebenso bei den
Rednern immer Qr^^ioXo'. vorkommt 2).
1) Die Inschrift ist an verschiedenen Orten abgedruckt. Es genügt auf
Rangabe Antiq. Hell. n. 3S1 und 381b 11 S. 40 und 373 ff.l und Meier
Comment. Epigr. n. 1 zu verweisen.
-) Danach ist zu berichtigen, was Freeman S. ItJO über den Gebrauch
von Bo'.cuTof und 0r,ßaroi sagt.
HisTORY OF Federal Government. 559
Im Widerspruch damit scheint nur der bekannte Vorfall
am Friedenscongress vor der leuktrischen Schlacht zu sein,
wie ihn Xenophon (Hell. VI, 3, 19) erzählt. Die thebanischen
Gesandten verlangten, dass im Protokoll für Br^ßaToi., wie zuerst
geschrieben stand, Boiojtoi gesetzt werde. In der That, meint
A. Schäfer (Demosth. I. S. G7) , nicht die Thebaner hätten
sich zuerst als ör^ßaToi unterschrieben, sondern für sie die
präsidirenden Spartaner diesen Ausdruck gesetzt, nicht was
sie selbst geschrieben, hätten sie im Protokoll ändern wollen,
sondern was die Spartaner für sie eingetragen hatten. Denn
ihr Anspruch im Namen aller Boiotier zu unterschreiben, sei
ihnen nicht erst über Nacht hergekommen. Allein dieses
Auskunftsmittel steht im vollsten Widerspruche mit Xenophons
deutlichen Worten 1 1 , denen zufolge die Thebaner sich selbst
eingeschrieben hatten. Vielmehr ist die Sache so zu verstehen,
dass die Thebaner, als sie sich 6r||3aIoi unterschrieben, gerade
wie im Bunde mit Athen, damit den in Theben concentrirten
boiotischen Staat verstanden ; Agesilaos aber nahm es nicht
in diesem Sinne und verlangte, dass die einzelnen Städte nun
auch noch schwören und sich einzeichnen sollten. Da erst
stellten die Thebaner, um jeder Missdeutung zu begegnen, die
Forderung, dass Boiu>toi anstatt Or^ßaToi geschrieben werde.
Ganz ähnlich setzte nach Aischines geg. Ktes. §. 142 Demo-
sthenes in den vor der Schlacht bei Chaironeia mit Theben
abgeschlossenen Bundesvertrag, dass, wenn eine boiotische
Stadt von den Thebanern abfalle, Athen den Boiotiern in
Theben (BokdtoT; toT: ev ©rjßai;;) Hülfe leisten sollte , womit
das Verhältniss vortrefflich ausgedrückt war, obwohl Aischines
es als eine Täuschung bezeichnet, üebrigens erklärt Freeman
selber nur von seinem Standpunkte aus die Stelle Xenophons
in ähnlicher Weise. S. 175, N. 1. Dass Diodor in dieser
Zeit einmal (XV, 80) von einer xoivr| auvooo; tuiv Bokdtäv und
an einer anderen (XVI; 85) von dem xoivov täv Boiw-tov spricht,
darf uns nicht irre machen, da bei einem so ungenauen Schrift-
steller der Ausdruck nicht urgirt werden darf. Ueberdies
560 HisTüRY OF Federal Goverxment.
nennt bei dem Vorfall, der an der ersten Stelle erzählt Avird,
Plutarch Pelop. 31 '}T/^toa}x£vo>v -(uv Örjj'jctiajv aiisdrücklich die
Thebaner, und in der zweiten wirft Diodor zwei ganz ver-
schiedene Vorgänge untereinander. Möglich bleibt, dass der
Sprachgebrauch sich nicht vollkommen fixirte. Die obersten
Beamten behielten immer den alten Namen der Boiotarchen.
Dem Wahren näher ist Freeman bei der auf den boioti-
schen Bund folgenden Betrachtung der ziir Zeit des Königs
Amyntas von Makedonien von 0 1 y n t h o s unternommenen
Centralisirungsversuche , obwohl er auch hier sich nicht hat
entschliessen können, es entschieden anzuerkennen. Die Rede
des Akanthiers Kleigenes in Sparta (Xenoph. Hellen. V, 2,
12 ff.) zeigt aufs deutlichste, dass auch hier nur an eine Ver-
bindung zu einem Staate gedacht Averden kann. Mehr noch
als die Worte toT; auroT; votxoi; ypr^obal xai o'jjiTzoXiTäustv (§. 12)
beweist das der Ausdruck -Tj? -oXiTsia; xoivwvcTv (§. 16), der-
selbe, den Isokrates in seiner plataiischen Rede gebraucht.
Freeman thut Unrecht, wenn er, wie es scheint, durch Thirl-
walls Autorität bewogen, sich vorstellt, die chalkidischen Städte
hätten gegenüber OhTith nur eine civitas sine suffragio gehabt.
L ebrigens ist auffallend , dass er von diesen Bestrebungen
Olynths nur bis zu dem erzwungenen Anschluss an Sparta
und der damals erfolgten Auflösung der Vereinigung spricht,
von der späteren Wiederaufnahme derselben aber schweigt,
obwohl sie sehr bald eintrat und nach Demosthenes (tt. irapaTip.
§ 264j zu einer noch mächtigeren Verbindung führte, als sie
früher erreicht worden Avar.
Die Griechen, bei denen gerade zu jener Zeit, in der
ersten Hälfte des Aierten Jahrhunderts . sich vielfach das Be-
dürfniss nach engeren Staatsverbindungen geltend machte,
kannten eben für eine feste und doch gleichrechtliche Einigung
damals kaum eine andere Form, als die Verschmelzung in
einen Staat. Die landschaftlichen Bünde , wie sie in Phokis
und ähnlichen von gleichartigen hauptsächlich von Viehzucht
und Ackerbau lebenden Stämmen ohne bedeutende Städte sich
gebildet hatten, konnten in ihrer bisherigen einfachen Form
dem Bedürfniss namentlich da nicht genügen, wo es sich um
die Verbindung bisher ganz selbständiger ansehnlicher Städte
handelte. Weil man aber als nothwendige Bedingung der
HisTORY OF Federal Governmext. 561
Freiheit die persönliche Theihiahme an den Geschäften ansah,
die höchste Gewalt also bei emer Gemeinde stand, in der das
Stimmrecht persönlich nnd nicht durch irgend eine Repräsen-
tation ausgeübt ^^airde, führte eine solche Verschmelzung noth-
Avendig zu einer Bevorzugung des Regierangssitzes , und den
anderen Orten erschien daher nicht ohne Grund auch eine
theoretisch völlig gleichrechtliche ^'erbindung als Unter-"
drückung.
Auch in den neuen Schöpfungen aus der Zeit des Epa-
mein ondas zeigt sich das. Der neue messenische Staat
war bei seiner Gründung ein durchaus einheitlicher und selbst
bei Arkadien mit der neuen Hauptstadt Megalopolis
scheint das zuerst beabsichtigt gewesen zu sein. Das Arka-
dikon sollte Arkadien als Einheitsstaat darstellen, und als dessen
Mittelpunkt wurde die neue Hauptstadt gegründet. Das scheint
unter Anderem aus Xenophons Schilderung der Zwiste in Tegea
hervorzugehen 1), wo die eine Partei will, dass ganz Arkadien
zusammentrete und was die Gesammtheit beschliesse, alle
Städte binde, die andere aber darauf liinarbeitet, dass man die
Stadt unverändert bestehen und ihren ererbten Gesetzen folgen
lasse. Das unverändert bestehen lassen, lav xarot yiüpcnv , in-
volvirt als Gegensatz das acpavi^^siv ta; ttoAsi;, wie es in Boio-
tien genannt wurde, und da in Tegea auch von der Einheits-
partei nicht eine Uebersiedelung der Bevölkenmg nach Mega-
lopolis beabsichtigt wurde, so handelt es sich offenbar um das
Aufgeben der städtischen Selbständigkeit, um mehr als um
blosse föderale Vereinigung im Innern selbständiger Orte. Da-
her finden "v^ir genau die gleichen Erscheinungen wie beim
boiotischen und olynthischen Staate. Wie dort Plataia, The-
spiai , Orchomenos oder Akanthos imd Apollonia , so wider-
streben hier mit aller Entschiedenheit Heraia und Orchomenos
und in einzelnen anderen Städten die oligarchisch- lakonische
Partei. Leider sind luis die Einrichtmigen im Einzelnen so
gut als gar nicht bekannt, und namtlich wissen wir nicht, wie
'J Xen. Hell. VI, 5. 6. Twv ok TsY'OtTwv ol [xsv rreol tov KaXXißiov -aoli
Iloofevov evTJYOv e-i t6 o-jvtEvai ts -äv t6 'ApxaStv.ov , -/ai '6 ti vizc^jt) i\ tu'
•/COlvÜi, TOÜTO -/.UpiOV ElVat Xal TCÜ-^ -oXeoJV. Ol 0£ -£pl TOV Staatä-OV ETipaTTOV
läv -£ -AaTot ytnpav tt^v roXtv y.al toT? -atpio'.; voao'.; yofia&ai.
Vischer, Schriften I. 36
562 HisTORY OF Fedekal Government.
weit den einzelnen Städten, die nicht zum unmittelbaren Ge-
biete von Megalopolis geschlagen wurden, noch eine munici-
pale Stellung gewahrt blieb. Gewiss aber war Freeman nicht
berechtigt, im Gegensatz zu ]3oiotien und Olynth hier eine
wahre Bundesverfassung a real federal govemment, anzuneh-
men und eine höhere Entwicklung der bündischen Principien,
als sie bisher irgendwo vorgekommen sei, so dass Arkadien,
so kurz seine Einheit dauerte, ein Vorbild für spätere Zeiten,
das heisst für den achaiischen Bund geworden sei. Ich mache
besonders darauf aufmerksam, dass nirgend von besonderen
megalopolitischen Behörden im Gegensatz zu den gesammt-
arkadischen die Rede ist, sondern die arkadischen Behörden
auch die von Megalopolis gewesen zu sein scheinen, während
im achaiischen Bunde die Bundesbehörden streng von denen
aller Einzelstädte geschieden waren. Ein wesentliches Merk-
mal eines Bvmdes Staates der höheren Stufe gegenüber dem
hegemonischen Bunde liegt aber eben darin, dass die Bundes-
behörde nicht zugleich die eines einzelnen Staates sei. Die
Gründung einer verhältnissmässig mächtigen Hauptstadt in
Arkadien sucht der Verfasser mit seiner sonstigen Ansicht über
diesen Punkt dadurch einigermassen in Einklang zu bringen,
dass er hervorhebt, wie eine ganz neu geschaffene Stadt nicht
die Sympathien und Antipathien schon bestehender gehabt
habe, offenbar nur sehr imzulänglich.
Mit besonderer Vorliebe verweilt er, wie einst schon
Montesquieu, bei dem Bundesstaat des zwar nicht griechischen,
aber doch vielfach in Bildung und Sitte den Griechen ver-
wandten lykischen Volkes, in dem nicht alle Einzelstaaten
gleich viel Stimmen hatten, sondern nach ilu-er verschiedenen
Grösse und ihren Leistungen entsprechend in drei Classen mit
je einer, zwei oder drei Stimmen an der Bundesversammlung
zei-fielen. Während manche sich diese Versammlung (auveoptov)
von so viel Deputirten, als die Staaten Stimmen hatten, ge-
bildet denken, also als rein repräsentativ, hält Freeman sie
für eine vollkommen primäre Landsgemeinde, an der jeder
Lykier habe Theil nehmen können, die Abstimmung aber nach
Städten stattgefunden habe; das heisst, die aus jeder einzelnen
Stadt AuAvesenden hätten als je ein Körper unter sich abge-
stimmt, und was ihre Mehrheit gewollt, dann beim Schluss-
HisTORY OF Federal Government. 563
resultat je für eine, zwei oder clrei Stimmen gezählt. Die
Darstellung Strabo's (XIV, 3. p. S64, 665 C), unsere einzige
Quelle, macht einen sicheren Entscheid unmöglich, obwohl sich
nicht läugnen lässt, dass der Geschäftskreis der Versammlung,
Entscheidung über Krieg und Frieden, und die Wahl des
Lykiarchen und der übrigen Bundesbeamten und Richter dieser
Auffassung nicht ungünstig ist. Ist sie richtig, so setzt Free-
man mit Recht daneben noch einen bündischen Rath (ßooXr]^
voraus, der sogar vielleicht unter den von Strabo genannten
«p;(ovT£c; mitbegriffen ist. Besonderen Beifall schenkt er der
Einrichtung, dass Lykien keine Bundesstadt hatte, sondern das
Synedrion nach Belieben bald da bald dort zusammentrat.
Die Einführung dieser, so weit die Verhältnisse zu Rom es
gestatteten, noch in der ersten Kaiserzeit bestehenden Verfas-
sung setzt er übrigens gewiss mit Recht in die Zeit der Los-
trennung Lykiens von Rhodos, 168 v. Chr. Die ältere Ver-
fassung ist uns unbekannt, obwohl sie Aristoteles interessant
genug gefunden hatte, um sie in seine Politien aufzunehmen.
Die bis dahin dargestellten Bundesstaaten sind grössten-
theils solche gewesen, die seit ältesten Zeiten je eine einzelne
Völkerschaft der grossen griechischen Nation zusammenhielten.
Die bündischen Landschaften standen in einer Linie mit den
einzelnen unverbündeten Städterepubliken; keine hat sich zu
einer hervorragenden über ihre Gränzen hinaus leitenden Be-
deutung erhoben. Denn Boiotien war, als es nicht ohne Erfolg
nach der ersten Stelle in Griechenland strebte, wie ich gezeigt
zu haben glaube, nicht Bundes- sondern Einheitsstaat. Die
in einen Staat concentrirten einheitlichen Landschaften von
Lakonien und Attika, das heisst die Staaten von Athen und
Sparta hatten eine unvergleichlich grössere Kraft entwickelt
imd sie daher Griechenlands Geschicke bestimmt. Auch
Städte zweiten Ranges hatten eine viel reichere Geschichte
als jene bündischen Landschaften. Aber die glänzende Periode
jener Städterepubliken mit allem ihrem Schönen und mit ihrem
Argen ging vorüber. Die durch ihre gegenseitigen Kriege ge-
schwächten Städte veraiochten dem erstarkten Makedonien nicht
zu widerstehen , Giiechenland erlag dem König Philipp , und
Alexandros konnte als anerkannter griechischer Oberfeldherr
Asien unterwerfen. Griechenland ist hinfort nicht mehr der
36*
564 HisTORY OF Federal Goverxmext.
Mittelpimkt der Weltgeschichte, im Osten sind mächtige helle-
nistische Monarchien entstanden, im Westen breitet sicher und
stätig die römische Republik ihre Hen'schaft aus. Griechen-
lands Geschichte ist nur noch ein Theil der allgemeinen Ge-
schichte, deren Centrum sich immer mehr Rom zuwendet.
Sie hat einen ganz anderen Charakter als früher bekommen,
bietet aber auch so noch grosses Interesse dar. Griechenland
ist jetzt eng mit Makedoniens Geschicken verbunden, in Grie-
chenland selbst ist der Schwerpunkt von jenen Städterepubliken
in die lUmdesstaaten von Aitolien und Achaia ge-
lückt. So bildet denn die Darstellung des achaiischen und
aitolischen Bundes und ihrer Geschichte den A^•ichtigsten Theil
von Freemans erstem Bande , den er um so ausführlicher be-
handelt, als er den Gegenstand in England über Gebühr ver-
nachlässigt findet, wo Polybios fast ungelesen sei.
Die Verhältnisse Griechenlands und Makedoniens waren
ganz andere gCAvorden, als sie zur Zeit Philippos und Alexan-
dros noch gewesen waren. Athen war für immer, Sparta we-
nigstens für längere Zeit in Ohnmacht versunken, von den
Staaten zweiten Ranges hatte keiner vermocht sie zu ersetzen.
Es fehlte jeder politische Zusammenhang und Griechenland
war in den Weltereignissen eine Null. Die nördlichen Staaten
waren zum Theil geradezu dem makedonischen Reiche einver-
leibt. Besser behaupteten ihre Selbständigkeit die landschaft-
lichen Bundesstaaten des mittleren Griechenlands, unter denen
jetzt Aitolien ein entschiedenes Uebergewicht zu gewinnen be-
gann und durch seine kriegerische Tüchtigkeit die Vormacht
des Landes hätte Averden können, wenn nicht seine Rohheit ein
unübersteigliches Hindemiss gebildet hätte. Der Peloponnes,
der alte Kern von Hellas , war fast atomistisch auseinander-
gefallen , die ehemalige Unterordnung unter Sparta seit der
Lostrennung Messeniens und der Gründung von Megalopolis
um so weniger denkbar, als die spartanischen Zustände selbst
auf's äusserste zerrüttet waren, ein grosser Theil der Städte
entweder von Makedonien! besetzt oder in den Händen von
Tyrannen, die dem Interesse Makedoniens ergeben waren, auf
das sie sich stützten.
Aber auch Makedonien hatte grosse Veränderungen er-
litten. Die Kämpfe der Diadochen und die gallische Invasion
HiSTORY OF FeDERAL GoA-ERNlSIENT. 565
hatten es furchtbar zerrüttet, bis es durch Antigoiios Gonatas
(seit 377) wieder in einen geregelten Zustand gebracht wurde.
Es war nicht mehr eine welterobernde Macht, aber immer noch
ein kräftiges Königreich, das mit aller Energie sich Griechen-
land zu unterAverfen trachtete und im Peloponnes festen Fuss
gefasst hatte.
Der gänzlichen Unterwerfung konnte von griechischer
Seite nur durch eine engere Verbindung der Einzeistaaten
entgegengewirkt werden, und bei dem Mangel eines hervor-
ragenden . zur Hegemonie befähigten Staates nur durch eine
gleichrechtliche Verbindung im Bundesstaate. Und diese Auf-
gabe übernahm Achaia. Kurz vor Antigonos Regierungsantritt
traten (281) vier kleme achaiische Städte zusammen und wur-
den der Kern eines Bundesstaates , der Griechenlands innere
und äussere Freiheit zu behaupten, Ordnung und Gerechtigkeit
zu schützen längere Zeit mit Erfolg bemüht war. Die Ge-
schichte bewegt sich in den zwei nächsten Menschenaltern
wesentlich um das Verhältniss zwischen Makedonien und Grie-
chenland. Es ist zu gleicher Zeit ein Kampf zwischen Mo-
narchie imd republikanischem Bundesstaat, und verdient, wenn
auch das Glänzende früherer Zeiten auf beiden Seiten fehlt,
volle Aufmerksamkeit. Das schöne Ziel, das Achaia erstrebt,
wird freilich nur mangelhaft erreicht. Aitolien und Sparta
greifen in die Ereignisse in eigen thümlicher, verhängnissvoller
Weise ein, und in einem Momente der Verblendung geht
Achaia selbst wieder die", verderbHche Verbindung mit dem
makedonischen Gegner ein und zerstört sein eigenes Werk,
bis zuletzt beide Theile römischer Politik und Kriegsmacht
erliegen. »Griechenland.« sagt der Verfasser S. 236;, »sollte
in seiner scliAvachen Nachblüthe auch noch das erste Beispiel
eines wohlgegliederten Biindesstaates geben. — Es hatte sein
AVerk als Land der autonomen Städte gethan, es sollte jetzt
dem Menschengeschlecht eine weniger glänzende aber prakti-
schere Lehre einer freien Regierung in ausgedehnterem Mass-
stabe geben.«
Grosse Sorgfalt verwendet Freeman nun auf die Unter-
suchung und Charakterisirung der achaiischen Bundes-
verfassung. Bekanntlich sind auch hier unsere Kenntnisse
lückenhaft und lassen uns hier nicht bloss die Nachrichten der
566 HisTORY OF Federal Government.
Schriftsteller oft im Stiche, sondern leider bieten uns gerade
für den achaiischen Bund die bisher bekannten Inschriften fast
gar nichts, was für eine Zeit, wo so viel geschrieben wurde,
fast unbegreiflich ist. Erfahren wir doch selbst über den aito-
lischen Bund aus dieser Quelle viel mehr. Neue positive
Thatsachen dürfen wir also beim Verfasser nicht erwarten,
wohl aber weiss er dem Gegenstand durch die Art seiner Be-
trachtung, besonders auch durch die ^'ergleichung mit anderen
Bundesstaaten neue Seiten abzugewinnen und die Aufmerk-
samkeit zu fesseln. Ich übergehe, was er über die älteren
"N'erhältnisse der achaiischen Städte sagt und wende mich gleich
zu dem im engeren Sinne so geheissenen achaiischen Bunde,
jenem Bundesstaat, der im dritten Jahrliundert vor Christus
die Schranken einer bloss völkerschaftlichen Einigung über-
schreitend Staaten der verschiedensten Stämme mit einem
Band zu umschlingen bestimmt war.
Dieser Bund hatte eine bundesstaatliche Organisation im
vollen Sinn, gänzliche Gleichberechtigung aller einzelnen Glie-
der in ihrer Stellung zum ])unde, volle Freiheit in ihren inneren
Verhältnissen, hingegen für die gemeinsamen Interessen, also
hauptsächlich für Krieg und Frieden, für die ganze Vertretung
nach aussen, eine von jeder Einzelregieiiing vollständig ge-
trennte einheitliche Gewalt mit bestimmt begränzten Befug-
nissen. "Wie die ersten Städte in völlig gleichrechtlicher Stel-
lung zusammengetreten waren, ebenso wurde es mit den
späteren gehalten. Es gab keine Bundesgenossen minderen
Rechtes. Selbst die mit Gewalt zum Beitritt gezwungenen
wurden den anderen gleich. Einen bevorzugten Vorort gab
es nicht. Aigion, wo bis in Philopoimens Zeit die regel-
mässigen Landsgemeinden gehalten wurden, so zu nennen, ist
durchaus irrig. Auf Philopoimens Anti'ag wurde auch jene
}')estimmung geändert und die Landsgemeinde sollte abwech-
selnd an verschiedenen Orten gehalten werden. Merwürdiger-
weise hören wir trotzdem nichts von Eifersucht bei den ur-
sprünglich achaiischen Städten, als die Leitung des Blindes
vorzugsweise in die Hände von Bürgern später beigetretener
Städte, erst Sikyons, dann des arkadischen Megalopolis über-
ging. Denn etwas anderes war es, dass einige jener Städte,
die gegen äussere Feinde von den Bundesbehörden nicht ge-
HisTORY OF Federal Government. 567
schützt wurden, sich zu eigenem Schutze vorübergehend in
einer Art von Sonderbund zusammenschlössen.
Wie die Einzelstaaten einander an Rechten absolut gleich-
standen , so war auch ihre innere Unabhängigkeit gegenüber
dem ]5unde gesetzlich anerkannt. Die IJundesbehörden durften
sich in die inneren Fragen der Einzelstaaten so wenig ein-
mischen, als diese sich Eingriffe in die der l^undessouveränetät
vorbehaltenen Kechte erlauben. Freeman giebt der Souveränetät
der einzelnen Staaten eine so weite Ausdehnung, dass er meint,
sie hätten sich ganz unbeschränkt ihre Verfassungen und Ge-
setze geben können und nur der faktische Einfluss der demo-
kratischen Bundesverfassung und der Verhältnisse überhaupt
habe allmählich eine analoge demokratische Gestaltung herbei-
geführt. Ob er glaubt, selbst monarchische Verfassung Aväre
gestattet gewesen, sagt er nicht. Die Tyrannien wird er selbst-
verständlich nicht als erlaubt ansehen, da ihre Aufhebung mit
oder ohne Willen der Tyrannen mit dem Eintritte der Städte
in den Bund Hand in Hand geht, der Bund recht eigentlich
gegen sie gerichtet war. Sie Avaren aber eben nicht regel-
mässige Verfassungen, sondern nur auf Gewalt gegründete
Herrschaften. Sparta allein könnte in dieser Hinsicht in ]3e-
tracht kommen. Als es sich aber um eine Verbindung dieses
Staates unter Kleomenes mit dem achaiischen Bimde handelte,
waren die Verhältnisse so ausserordentliche, dass sie keinen
Rückschluss auf die normalen Zustände gestatten, und als er
später in den Bund aufgenommen -s^iirde, war das Königthum
und das darauf folgende Tyrannenthum bereits gestürzt. All-
gemeine Bestimmungen kennen wir keine, und es ist möglich,
dass es keine gab, sondern das Verhältniss des Einzelstaates
in dieser Hinsicht nur jeweilen in dem speciellen Beitritts-
vertrag bestimmt war. Das herrschende Princip war aber ent-
schieden, nur republikanische Staaten aufzunehmen, wie das
auch durch die wiederholte Hinweisung auf die allgemein gül-
tige lar^yopia, laovojjiia und Sr^fxoxparia bei Polybios bestätigt
wird. Jedesfalls übte der Bund eine gewisse Aufsicht über
die Erhaltung der gesetzlichen Ordnung, vermittelte bei Zwi-
sten, und auf eine Art von Bundesgarantie weist hin, dass die
Megalopoliten nach Wiederherstellung ihrer von Kleomenes
zerstörten Stadt, die Bedingungen . auf die unter Aratos Ver-
568 HiSTORY OF FeDERAL Go^'ERNME^'T.
mittluiig die Parteien sich vereinigt hatten, beim Ahar der
llestia im Bundesheiligthum des Homarions aufstellten. Da-
raus Hessen sich denn sehr leicht Einmischungen ableiten. Avie
deren verschiedene vorkommen, ohne dass Avir immer beur-
theilen können, in Avie weit sie durch die Bundesverfassung
gerechtfertigt Avaren oder nicht. Wenn Plutarch Philop. 16)
die Aufliebiuig der lykurgischen Gesetze über die Jugend-
erziehung in Sparta durch Philopoimen und ihre Ersetzung
durch achaiische ein l'pyov Tapavojiaj-arov nennt, so hat er da-
bei gcAA'iss nicht die Verfassung des Bundes, sondern die durch
Jahrhunderte geheiligten Ordnungen Lykurgs im Auge. Dass
bei diesem Anlasse achaiische Gesetze über einen speciellen
Theil des Staatsorganismus genannt AAerden, bcAAcist auch
nichts für die Annahme , dass sie bundesrechtlich in allen
achaiischen Städten gegolten hätten. Ein ganz ungesetzliches,
reA'olutionäres Verfahren Avar es auf jeden Fall. Avenn in der
allerletzten Zeit des Bundes Diaios durch ein Decret eine ge-
wisse Classe von SklaA^en im ganzen Bunde in Freiheit setzte.
Eine andere Frage, die ebenfalls schAver mit Sicherheit zu
erledigen, ist die, ob die einzelnen Bundesglieder nur gleich-
berechtigte Bürger, Avie jetzt die SchA\'eiz und Nordamerika,
gehabt haben, oder auch unterthänige Distiicte. Avie die alten
ScliAveizercantone . Freeman entscheidet sich, mehreren deut-
schen Gelehrten folgend, für letzteres und meint, bei Megalo-
polis sei es sicher, bei Korinth A\^ahrscheinlich. Es A\äre das
den griechischen Verhältnissen der früheren Zeit durchaus
entsprechend, ist aber doch mit der Schilderung des Polybios
von der durchgängigen Gleichheit des Peloponneses fll, 37,
§. 10, 11) schAA'er zu Aeremigen. und überhaupt AAaren diese
Unterthanenstellungen seit der Zeit des Epameinondas sehr
erschüttert AAorden. Ein positiver BcAA'eis ist aber auch Aveder
für Megalopolis noch Korinth geleistet. Für ersteres AAird
einzig die Erzählung des Plutarch (Pliilop. 13) geltend ge-
macht, dass Philopoimen viele der zum Stadtgebiet gehörigen
Flecken von demselben abtrünnig gemacht, und ihnen eine
Stellung als selbständige Bundesglieder Aerschafft habe. Allein
dies bcAveist noch lange nicht, dass sie nicht A^orher den Stadt-
beA\'ohnem ganz gleich gestellt Avaren und A^olles BürgeiTecht
des Staats von Megalopolis hatten, AAie das Freeman später
HiSTORY OF FeDERAL GoVER^-MEXT. 569
(S. 627 selbst zugiebt. Dass clie Stadtbewohner die Los-
trennung ungern sahen, ist so leicht zu begreifen, als dass
Bern eine Erhebung des Jura oder Oberlandes zu besonderen
Cantonen nicht zugeben würde. Auch von Messene wurden
später Abia. Thuria und Fharai getrennt, die doch sicher seit
der Neugründung des messenischen Staates ein volles Bürger-
recht hatten und nicht Unterthanen waren. Bei Megalopolis,
das mit Messene in einer Zeit gegründet worden war, wo man
überall die Unterthanenverhältnisse zu beseitigen bemüht war.
darf man ohne die sichersten Beweise solche am allerwenigsten
statuiren. Offenbar hat sich Freeman zu der Annahme durch
den Ausdiiick tts&ioixi'Öc: 7.u)aai verleiten lassen, in welchem er
auch sonst mehr, als richtig ist. immer em Unterthanenver-
hältniss zu finden geneigt ist, während eigentlich nur ein
locales ^ erhältniss ^ , dann erst die Zugehörigkeit zu einer
Hauptstadt ohne staatliche Selbständigkeit darin liegt, gleich-
viel ob in unterthänigem oder freiem ^ erbande. Viel eher
Hesse sich mit dem Verfasser das ^'erhältniss von Tenea zu
Korinth als ein unterthäniges denken und ist es auch gewiss
in früheren Zeiten gewesen ; allein die einzige angeführte Stelle
des Strabo (VIII. p. 380 C] beweist auch nichts, am wenig-
sten für die Zeiten des achaiischen Bundes.
In anziehender Weise wird der ganze Organismus der
Bundesbehörde entwickelt und durch ^'ergleichung mit moder-
nen Staaten erläutert, denen der achaiische Bund viel näher
steht, als die früheren souveränen Städterepubliken. Von
diesen, namentlich von der athenischen Demokratie, unter-
scheidet ihn hauptsächlich die weit grössere Machtsphäre der
höchsten Beamten. In Athen hatte eigentlich die Volks-
versammliuig regiert, in Achaia regiert der Stratege mit den
Damiorgen. Die höchste Gewalt nihte freilich auch hier bei
der allgemeinen Landsgemeinde, welche Freeman mit Hecht
für eine primäre Versammlung erkennt, an der jeder Bürger
eines Bundesstaates, der das dreissigste Jahr zurückgelegt hatte.
Theil zu nehmen berechtigt war. Sie hatte die Wahl der
^1 [C. Herod. V, 91: oi Tieptoixoi aÜTöiv (seil 'A&TjVotfojv, BotiuTol v.i'i
XaXxto££?. Strabo X, p. 4S5: evoocov iro'i-^sav aö'T,v (Af,/.ri'^ ctt -£ptot7.io£;
v?jaot.]
570 HisTORY or Federal Government.
Biindesbeamten und die Entscheidung ühcr ]3undesgesetze,
über Krieg, Frieden und Verträge mit fremden Staaten, über-
haupt über alle wichtigsten Fragen im Bundesleben. Die Ab-
stimmung- geschah unzweifelhaft nach Staaten, was aus Livius
XXXII, 22. 23. XXXYIII, .32) evident hervorgeht. Jeder
Staat hatte eine Stimme, die durch die Mehrheit der aus dem-
selben Anwesenden bestimmt wurde; wofür die Mehrheit der
so ermittelten Staatenstimmen sich entschied, das hatte Gültig-
keit. Ob bei den Wahlen dasselbe Verfahren stattfand, wissen
Avir freilich nicht und hat Freeman gar nicht berührt.
So wichtig also die liefugnisse der Landsgemeinde waren,
so vermochte sie doch schon wegen der räiimlichen Ausdehnung
des Bundes unmöglich sich mit den Geschäften so zti liefassen,
wie die Ekklesia einer Stadtrepublik, die sich so zu sagen
täglich versammeln konnte. Ordentliche Landsgemeinden fan-
den zweimal des Jahres , im Frühjahr und Herbst statt und
dauerten nur je drei Tage; ausserordentliche zu berufen war
freilich den Beamten gestattet, geschah aber natürlich nur in
dringenden Fällen. So musste den Beamten eine grössere
GeAvalt eingeräumt werden, bei ihnen die eigentliche Regierung
stehen.
Diese die eigentliche Regierung bildenden Beamten stellen
sich im Strategen imd den zehn Damiorgen dar. Nach-
dem die ersten fünfmidzAvanzig Jahre hindurch je zwei Stra-
tegen neben einander gestanden hatten, machte sich das Be-
dürfniss nach einer einheitlichen obersten Stelle geltend; hin-
fort gab es bis ans Ende des Bundes immer nur einen, von
der Landsgemeinde auf ein Jahr gewählt und ein Jahr nach
Niederlegung seines Amtes Avieder wählbar, sehr häufig dann
auch wirklich wieder gcAvählt. Er vereinigte die höchste, fast
unumschränkte Militärgewalt mit der Regierungspräsidentschaft,
während der Befehlshaber der Reiterei und der Unterfeldherr
oder wohl richtiger die Unterfeldherrn nur mihtärischen
Charakter gehabt zu haben scheinen; denn in Fällen, wo ein
Stratege vor Ablauf der Amtszeit starb, trat der abgetretene
Stratege des vorigen Jahres an seine Stelle. Der Kanzler
Ypa(xjxa-£uc), auch auf ein Jahr von der Landsgemeinde ge-
wählt, scheint, so wichtig auch die Stelle war, doch nie eine
hervorragende politische Rolle gespielt zu haben.
HiSTORY OF Federal Goyernmext. 571
Ueber die Damiorgen sind wir nicht so unterrichtet, wie
zu ^viinschen wäre, v:ie Avir denn namenthch die Art ihrer
Wahl nicht kennen. Aus der Zehnzahl und dem Namen hat
man nicht ohne Grund geschlossen, dass sie anfangs Vertreter
der zehn altachaiischen Städte gewesen seien ; aber mit Yollem
Rechte tritt Freeman der Meinung entgegen, dass auch nach
Erweiterung des Bundes sie nur aus jenen genommen worden
seien. Ohne allen Zweifel sind sie später ohne Rücksicht auf
die Einzelstaaten gewählt worden. Wenn in einer Stelle de^
Polybios (XXIII, 10) unter den ci.p'/ai die Damiorgen zu ver-
stehen sind, wie Freeman meint, so ist dies vollständig be-
wiesen, da dort nicht weniger als drei in dem Collegium
Megalopoliten sind. Leider bedient sich Polybios zur Bezeich-
nung der Behörden keineswegs immer der streng officiellen
Titel, sondern gebraucht oft die allgemeinern Ausdrücke oi
äp'/ovTzc, oX oip/cti, Ol auvapyovTs?, ai auvapj(iai und andere mehr,
so dass man bisweilen in Zweifel ist, welche zu verstehen.
Die zehn Damiorgen vergleicht nun Freeman in ihrer Stellung
zum Strategen mit den Ministem modemer Staaten, namentlich
Englands und Nordamerikas und nennt sie auch geradezu so,
obgleich er bedeutende Verschiedenheiten nicht verkennt. Eine
sehr wesentliche hat er aber nicht berührt, dass die Damiorgen
nicht nur als Rathgeber dem Strategen zur Seite standen,
sondern er sich ihrer Mehrheit zu fügen hatte ; und dass er
nicht immer die Mehrheit für sich hatte, davon haben Avir
Beispiele. Wenn einmal Philopoimen (Liv. XXXVIII, 30) im
AViderspruche mit ihnen handelt, so ist das offenbar eine frei-
lich erfolgreiche Eigenmächtigkeit gewesen. Gesetzlich schei-
nen Damiorgen und Stratege als Collegium gehandelt zu haben ;
daher wird man die Bezeichnung als Minister besser aufgeben
und wenn man eine moderne Analogie haben will, Stratege
und Damiorgen zusammen den Bürgenneistem (Schultheissen.
Landamtmännern, jetzt Präsidenten) und Räthen der Schweizer
Cantone oder allenfalls dem Bundesrathe mit seinem Präsidenten
vergleichen, wobei freilich nicht zu übersehen, dass der Stratege
schon als Befehlshaber der Kriegsmacht eine viel selbständigere
und höhere Stellung einnahm, als jene obersten Magistrate.
Offenbar steht aber die achaiische Verfassung den schweizeri-
schen viel näher, als der englischen und selbst der amerikani-
572 HisTORY OF Federal Government.
sehen, in welcher der Präsident und sein Cabinet den monar-
chischen Ursprung auf der Stirne tragen, der in Achaia ganz
fehlte.
Auch die Stellung des Strategen und der Damiorgen zur
Landsgemeinde ist nicht ganz klar. Freeman meint, der Stra-
tege mit den Damiorgen the general acting Math the con-
cui-rence of his ministers) habe die ausserordentlichen Ver-
sammlungen berufen; ohne Zweifel richtig, sofern man darunter
ein collegialisches Zusammenwirken versteht, aber schwerlich
ist seine Annahme begründet , dass der Stratege durch das
Organ der Damiorgen die Zusammenberufung veranlasst habe.
Wenigstens beweist die zweimal dafür angeführte Stelle nichts') .
Das formelle Präsidium in den Landsgemeinden und das Recht
die Fragen zu stellen und darüber abstimmen zu lassen, meint
er, habe nur bei den Damiorgen ohne Mitwirkung des Strategen
gestanden, und sucht das durch die grosse exekutive Gewalt
des letztern zu begründen , wobei er sich aber ohne Zweifel
zu sehr durch englische Anschauungen hat leiten lassen. Der
Stratege ist ihm der »Leader« nicht der »Speaker of the house«.
Solche Unterscheidung war aber den Achaiem gewiss eben so
fremd, als den schweizerischen Landsgemeinden. Läugnen lässt
sich nun allerdings nicht, dass eine Stelle des Livius (XXXII.
22) für die Ansicht Freemans spricht. Dort stehen fünf
Damiorgen den fünf andern entgegen und weigern sich hart-
näckig die Frage über ein Bündniss mit Rom und dessen
Freunden zur Abstimmung zu bringen. Bei der Stimmen-
gleichheit giebt nicht, Avie man erwarten sollte , der Stratege
') Polyb. V, 1,6. S'j-/fj£ TO'j; 'Ayato'j; oid töjv dp/ovrujv si; iv.y./.TjCJtotv.
Dazu ergänzt Fr. S. 275 o aTparrjo; als Subject, S. 296 Aoaro; 6 ViOjTsoo;,
der gar nicht mehr Stratege war. Er hat aber die Stelle flüchtig ange-
sehen, denn es steht das Subject da, nämlich 6 ßaatleu; $1X17:7:0;. Die
ap-/ovT£c sind also der Stratege und die Damiorgen, was bestätigt wird
durch XXIII, 5, 16 (Tito;) lypcfiie töj OTparrjöj y.ai toI; or,ij.to'Jp-|'or; tAv
'Ayaicjv, TceXeutuv a'j\d'(zn to-j; 'Ayaioü; ei; ly.-/."/.rjO[av. Für ein gemeinsames
Zusammenwirken als Regel spricht selbst die Erzählung bei Liv. XXXM^II.
30. Philopoimen wollte ein Gesetz beantragen, dass in Zukunft die Lands-
gemeinden nicht mehr bloss in Aiglon, sondern abwechselnd in verschie-
denen Städten sollten abgehalten werden. Nun beriefen die Damiorgen
die Gemeinde nach Aigion, Philopoimen als Stratege nach Argos, und da-
hin strömte die grosse Masse.
HisTORY OF Federal Go\ternmext. 573
Diophanes den Stichentscheid, sondern zuletzt wird einer der
sich weigernden Damiorgen durch Drohungen seines Vaters
bewogen, auf die andere Seite zu treten und so eine Mehrheit
zu Stande zu bringen, worauf dann die Abstimmung stattfand.
Hier also haben die Damiorgen allein ohne den Strategen ent-
schieden. Allein dieser Stelle des Livius stehen mehrere des
Polybios gegenüber, wo ihm das oioovai, avaoioovai oiaßouXiov,
eine Sache zur Berathung vorlegen, beigemessen wird, und
einmal verhindert er die Abstimmung über einen Vertrag, weil
er ihn nicht für bestimmt genug abgefasst hält^ . Es fragt
sich daher ob, wenn der von Livius erzählte Vorgang uns in
der Erzählung des Polybios vorläge, die Sache nicht anders
erschiene 2), und ob nicht ^ielleicht der Stratege Diophanes,
um den Schein der UnparteiUchkeit zu wahren, sich ganz ausser-
ordentlicher Weise des Entscheides enthielt.
Noch dunkler als die Stellung der Damiorgen ist uns in
der achaiischen Verfassung die ganze Beschaffenheit des zwi-
schen ihnen und der Landsgemeinde in der Mitte stehenden
Rathes, weil die ungenaue Ausdrucksweise der Schriftsteller
auch hier öfter im Zweifel lässt. Auch Freeman hat nichts
wesentlich Neues liierüber beigebracht; denn wenn er S. 307
sagt, eine Stelle des Polybios iXXII, 10. 3, zeige, dass der
Eath aus himdertundzwanzig imbesoldeten Mitgliedern bestan-
den habe, so beruht das auf einem IVÜssverständniss. Es wn-d
dort erzählt, dass König Eumenes den Achaiern ein Geschenk
von hundertundzwanzig Talenten angeboten habe, um aus den
Zinsen dieser Summe dem Rath bei seinen Zusammenkünften
Taggelder zu geben. Von hundertundzwanzig Rathsgliedern
ist aber die Rede nicht, und es lässt sich nicht einmal mit
voller Sicherheit daraus entnehmen, dass sonst keme Taggelder
verabreicht wurden. Zwei der gründlichsten Kenner der grie-
chischen Staatseinrichtungen, K. F. Hermann (Lehrb. der gr.
Alterth. I. §. 186 §. 2) und Schömann (Griech. Alterth. 11.
S. 121) haben gerade den umgekehrten Schluss gezogen. Doch
1) Polyb. XXII, 12, 12: oüv. ei'aae ■/.•jpwH^ctt t6 otaßo'jXiov , aKK £tc
2) AuchSchorn, Gesch. Griechenl. S. 64, hält die Erzählung bei Livius
für ungenau.
574 HisTORY OF Federal Government.
halte ich hier allerdmgs Freemans Auffassung für die richtige.
Sicher dagegen geht aus den Worten des Polybios hervor, dass
der Rath nicht immer versammelt war, sondern nur zu gewissen
Zeiten und ausserordentlicher AVeise nach Massgabe der Ge-
schäfte zusammentrat. Seine Bestimmung war unzweifelhaft,
die der Landsgemeinde vorzulegenden Sachen vorzuberathen,
geringere selbst zu entscheiden, auch wohl bisweilen, mit be-
sondeni Vollmachten betraut, im Namen der Landsgemeinde
zu sprechen.
Treffend sind die Betrachtungen, welche Freeman über den
gemässigten Charakter der achaiischen Demokratie anstellt. Es
ist nicht selten vermuthet worden . es sei diese Demokratie
ausser dem Erforderniss eines Alters von dreissig Jahren auch
noch durch ein timokratisches Element . einen Census , be-
schränkt gewesen. Der Verfasser zeigt aber, wie diese An-
nahme durch nichts gerechtfertigt sei, sondern die Erschei-
nungen, welche zu derselben veranlassten, sich auf andere Ai't
vollkommen erklären. Die hohem Aemter sind, so^'iel sich er-
kennen lässt. durchweg in den Händen von Männern ange-
sehener Familien, die Landsgemeinde ist vorzugsweise von den
wohlhabenderen Leuten besucht"', ochlokratisch-demao'oafische
Vorgänge sind mit Ausnahme der unglücklichen letzten Zeiten
selten. Aber alles dies war nicht die Folge positiver Ver-
fassvmgsbeschränkungen, sondern nur der geographischen Aus-
dehnung des Bundes und der unentgeltlichen Verwaltung der
Aemter. Der gleiche Giimd, der zu einer grossem Macht-
sphäre der eigentlichen Regierung nöthigte. gab auch den ge-
wöhnlichen Versammlungen einen aristokratischem Charakter,
da unbemittelte Leute, die sich nicht besonders eifrig an der
Politik betheiligten, nicht leicht aus entfernten Orten an die
Landsgemeinde kamen, man kann beifügen mit Recht denken
mochten, es komme auf ihre Anwesenheit wenig an . da ihr
Staat eine Stimme hatte, ob \ie\e oder wenige Bürger zugegen
Avaren. Das luibe schränkte Recht aber, vom dreissigsten Jahi'e
an der Landsgemeinde beizuwohnen, von dem auch wirklich
in wichtigen Fällen bisweilen ein ausgedehnter Gebrauch ge-
macht wurde, musste nothAvendig jede oligarchische Absonde-
rung der Vornehmem A'on der Masse des Volks unmöglich
machen. Dass die Erwähnung der besitzenden Classen xTraci-
HisTORY OF Feder AL Goaernmext. 575
Tixoi) im Gegensatz zu dem Proletariat (ßavauao; oyloc für
timokratische Beschränkung nichts beweist, sieht heutzutage
wohl jedermann ein. Die erwähnte Altersbestimmung musste
überdies sehr wesentlich dazu beitragen, den Versammlungen
einen ruhigen Charakter zu geben.
Kürzer als zu wünschen, hat Freeman das Finanz- und
Militär System des Bundes behandelt, das doch für den
Charakter des Bundesstaates von der grössten Bedeutung sein
musste. Er neigt zu der Annahme, dass der Bund keine un-
mittelbaren Einkünfte gehabt, sondern den Einzelstaaten be-
stimmte Geldcontingente auferlegt habe, welche diese dann
aufbringen mochten, wie es ihnen beliebte. Die Kriegsmacht
bestand theils aus Bürgermilizen, theils aus den damals allge-
mein gebrauchten geworbenen Truppen. Die erstem wurden
von den Einzelstaaten unter eigenen Befehlshabern gestellt,
Avährend die letztern unmittelbar im Solde und unter Commando
des Bundes standen. Wenn Freeman ausserdem noch von
emer kleinen stehenden Armee spricht (8.310), so beruht das
auf einem Missverständniss .
Eine sehr- wesentlich bundesstaatliche Einrichtung-, die von
Polybios gerühmte Einheit von Gewicht, Maass und
Münze, wird kaum berührt, obwohl der Verfasser mit dem
Münzwesen woht vertraut ist, me ein Anhang zeigt. Es ver-
diente aber wohl hervorgehoben zu werden, Avie fein man in
den Münzen die Einheit des Ikmdes und die A ielheit der
Staaten verbunden auszudrücken wusste. Die einzelnen Staaten
schlugen ihre Münzen nach dem gleichen Fusse, alle tragen
auf der einen Seite den Kopf des Bundesgottes, des Zeus
Homarios, auf der andern die Chiffre des achaiischen Namens
in einem Kranze, daneben aber im Felde die Typen oder An-
fangsbuchstaben der Einzelstaaten, auch Avohl ihrer Magistrate,
seltener auch eine solche Bezeichnung neben dem Zeuskopfe.
Gegenüber der sonstigen Zersplitterung war eine solche Ein-
heit in den Mitteln des täglichen Verkehrs ausserordentlich
wichtig und musste das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit
in hohem Grade fördern.
Gar nichts erfahren wir über die b u n d e s g e r i c h 1 1 i c h e n
Einrichtungen, obwohl die wenigen gelegentlichen Erwäh-
nungen einer genaueren Untersuchung sehr Averth gewesen Avären.
576 HiSTORY OF FeDERAL GoVER>'MENr.
Seihst bei unserer lückenhaften Kenntniss werden -wir
durchaus Freeman beistimmen, dass die ^'erfassung des achaii-
schen Bundes die eines wohlgeordneten Bundesstaates war und
die Bedingungen besass, um auch über die engere völkerschaft-
liche Gränze des alten Achaia hinaus bisher souveränen Stadt-
gemeinden den Beitritt wünschenswerth zu machen, indem er
ihnen Gewähr für Freiheit, Sicherheit und Ordnung nach innen
und aussen, für innere Unabhängigkeit wie für Theilnahme an
der Lenkung der äussern Bimdespolitik bot. Die Grundzüge
blieben während der ganzen Dauer des Bundes dieselben, ein-
zelne ^Veränderungen sind eigentlich nur weitere Entwicklungen
der Grundgedanken gewesen , die durch die veränderten Ver-
hältnisse gefordert wurden. Einen Uebelstand erkennt nämlich
auch der Verfasser in der bei der ursprünglichen ]»eschränkung
ganz natüi'lichen Stimmengleichheit aller Einzelstaaten, klein
oder gross, und in der excentrischen Lage des Ortes der Lands-
gemeinden, Aigion. Dass nicht gleich beim Beitreten der ersten
relativ grössern Staaten, wie Sikyon und Korinth, an Aende-
rungen gedacht win*de, begreift sich leicht; sie suchten ja
Schutz durch den Beitritt, konnten also nicht wohl Vorzüge
vor den bisherigen Gliedern verlangen. Weit fühlbarer musste
das Missverhältniss werden, als es sich um den Beitritt von
Staaten handelte, die nicht sowohl Schutz suchten als Macht
bringen sollten. Und doch finden wir auffallender Weise nir-
gend Andeutungen von einem Versuche solchen Staaten mehr
Stimmen zu geben. AVohl aber glaubt der Verfasser die gleiche
Absicht einer billigen Ausgleichung in einer andern Massregel
zu erkennen, die wir von Philopoimen und seiner Partei ange-
wandt sehen, nämlich der Lostrennung kleinerer Gemeinden
von den grössern Staaten und ihrer Erhebung zu selbständigen
Bundesgliedern mit einer eigenen Stimme. Wir finden das,
wie oben schon erwähnt, bei Megalopolis und Messene. und
ähnlicher Art ist auch die Trennung der eleutherolakonischen
Städte von Sparta. Im Verhältniss zum Bunde selbst erscheint
allerdings diese Massregel sehr zweckmässig, auch darum, weil
sie die zu grosse Machtverschiedenheit der Glieder beschränkte ;
allein gegenüber den Einzelstaaten selbst Avar es unverkennbar
ein starker Eingriff in ihre innere Selbständigkeit, in ihre
Existenz eben als Einzelstaaten, die darum »•rosse Unzufrieden-
HiSTORY or Federal Government. 577
heit erregte und wohl mehr geschadet als genützt hat ; es war
fast ein Schritt über den F>undesstaat hinaus. Weit Aveniger
verletzend und mit den Principien in keinerlei Widerspruch
war der Antrag, auch die regelmässigen Versammhmgen nicht
immer bei Aigion, sondern abAvechselnd in verschiedenen
Städten zu halten, von dem wir freilich nicht wissen in Avie
weit er Avirklich ausgeführt wurde.
Der achaii sehen Verfassung gegenüber wird im sechsten
(Kapitel die des a i t o 1 i s c h e n i 5 u n d e s entwickelt, die, theore-
tisch betrachtet, grosse Aehnlichkeit mit ihr hat, imd sogar
eine energischere Entwicklung der Jiundesgewalt gestattete.
Demokratische Grundlage, einen Strategen nebst Hipparchen
und Staatskanzler, eine Landsgemeinde und einen Rath, hier
Apokleten genannt, hnden wir auch bei den Aitolern. Nur
eine den Damiorgen entsprechende Behörde können wir nicht
mit Sicherheit nachweisen. Freeman ist geneigt, die in einigen
[nschriften genannten Synedren >uv£0[>ot} für eine solche zu
nehmen. Dabei ist ihm aber eme sehr wichtige von Ussing
(Inscription. gi'aec. ined. n. 2)i) herausgegebene Inschrift ent-
gangen, in welcher das S>Tiedrion und eine siebengliedrige
Vorsteherschaft '^j desselben genannt ist, zu der der Hipparch
und ein vom Staatskanzler verschiedener Schreiber gehörten.
Daraus folgt, dass das Collegium ein ziemHch zahlreiches,
jedenfalls viel zahlreicheres als die Damiorgen Avar. Andere
haben dämm das Synedrion für den Rath der Apokleten ge-
nommen. Dagegen scheint kaum zu sprechen, dass in der-
selben Inschrift das Mitglied des Rathes nicht aüvsopoc, sondern
r^ouXsiiTa? heisst. Vielleicht dürfte daher angenommen werden,
dass die Vorsteher des Synedrions, die sieben -f.oara-7.1, eine
den Damiorgen analoge Stellung gehabt haben. Derselben In-
schrift entnehmen Avir ferner die höchst interessante Thatsache,
dass die Rathsglieder von den einzelnen Staaten deputirt wur-
'den, und zwar in verschiedener Zahl nach der Grösse, womit
dann auch die Geldbeiträge an die Bundeskasse in einem
Wechselverhältniss standen.
1, r= Rhangabe II, 672. j . , v
2) iDie Siebenzahl ist nicht sicher ; denn möglicher Weise sind die drei
letzten Zeugen der Inschrift, was Rhangabe annimmt, nur Privatleute..
'in
Vis eher, Schriften I.
578 HisTORY OF Feueral Government.
Ein Avesentlicher Unterschied des tiitolischeu Bundes vom
achaiischen, nachdem heide die Gränze der ursprünglichen
Landschaft überschritten hatten , bestand darin , dass. während
letzterer mit unbedeutenden Ausnahmen immer ein zusammen-
hängendes Gebiet umfasste, der erstere dagegen auch sehr weit
entfernte, durch Land und Meer getrennte, theils durch Gewalt,
theils durch freien Willen zum Beitritt gebrachte Glieder zählte.
Das hat zu der auch von Freeman getheilten Vermuthung
geführt, dass es sehr verschiedene Abstufungen der Bundes-
verhältnisse gegeben habe. Auf jeden Fall musste dieser Um-
stand faktisch die Betheiligung an der Landsgemeinde sehr
modificiren; er mag auch die Ursache sein, dass nur eine
ordentliche Landsgemeinde jährlich., im Herbst bei Thermon
abgehalten wurde und dass Avir sehr oft den Rath der Apokleten
die Befugnisse der Landsgemeinde ausüben sehen. Uebrigens
ist es ein Irrthum. wenn Freeman (S. 343) Teos, das er über-
dies wunderlich genug anstatt an die Küste loniens »mitten
in's ägäische Meer« (in the middle of the Aegaean) setzt, zu
den aitolischen Bundesstaaten rechnet. Es hatte nach der In-
schrift im C. I. Gr. n. 3046 nur durch einen besondeni Ver-
trag mit den Aitolern Asylie und Anspruch auf Genugthuung
bei etwaigen Plünderungen erhalten. Dass der Bund eigent-
liche Unterthanen gehabt habe, ist nichts weniger als ausge-
macht und mir sogar unwahrscheinlich. Eine dafür geltend
gemachte Stelle des Folybios (IV, 25) zeigt nur, dass man
IStädte mit Gewalt zum Beitritt zwang, Besatzungen hinein
legte und ihre volle Souveränetät natürlich aufhob, aber nicht,
dass sie als Unterthanen behandelt wurden; selbst die hier
angedeuteten Tribute cpopoi) sind wohl nichts anderes als die
von allen Gliedern entrichteten Beiträge an den Bund.
Dass bei sehr vieler Aehnlichkeit in der Verfassung der
aitolische Bund mit der leidenschaftlich kiiegerischen, zu Eaub-
zügen und Abenteuern geneigten Bevölkerung seines Kern-
landes eine ganz andere Politik befolgte als die friedlichen
Gewerben ergebenen Achaier, ist bekannt genug. Der Ver-
fasser macht darauf aufmerksam, dass trotz verAvandter Bundes-
institutionen doch ein Avesentlicher Unterschied darin lag, dass
Aitolien ursprünglich eine ^'erbindung von imgebildeten länd-
lichen Gauen Avar. Achaia aber von sehr- civilisirten Städten.
HiSTORY OF Federal Government. 579
bemerkt dann aber sehr richtig, class wenn auch National-
charakter und Sitte nicht ohne Einflnss auf die Verfassung zu
sein pflegen, und umgekehrt wieder von dieser gewisse Ein-
flüsse erleiden, sie doch zwei wesentlich verschiedene Dinge
sind und keine Form der Regierung eine Panacee für alle
menschlichen Uebel ist, und gerne wird man ihm in dem Satze
beistimmen, dass die trefflichste Verfassung eines Landes keine
Garantie für ein weises und ehreuAverthes Benehmen in der
äusseren Politik giebt.
Lesenswerth sind einige schliesslich hervorgehobene Ana-
logien zAvischen dem aitolischen Bimd und der schAveizerischen
Eidgenossenschaft, die er indessen gerade in ihren unvortheil-
haftesten Seiten findet.
Die weitere Darstellung der Geschichte der beiden grossen
Bundesstaaten will ich nicht im Einzelnen verfolgen;, sondern
nur noch einige Hauptpunkte hervorheben. Indem mit Recht
darauf hingewiesen wird , wie die Geschichte des achaiischen
Bundes , im Gegensatz zu der Blüthezeit Griechenlands und
Roms, durch die leitenden Männer ihren Charakter erhält, ist
eine natürliche Consequenz hiervon, dass eine besondere Sorg-
falt auf die Erforschung und Würdigung dieser Führer ver-
wendet wird. Als den eigentlichen Gründer des Bundes be-
trachtet er den Markos von Keryneia, den er mit Washington
vergleicht. Indessen ist dieser höchst ehren werthe Charakter
uns nur wenig bekannt. Um so deutlicher tritt Aratos in
den Vordergrund; Avelcher mehrere Jahrzehnte die eigentliche
Seele des Bundes war und dem der Gedanke angehört, ihn
zu einer möglichst allgemeinen Einigung freier griechischer
Staaten zum Schutze der Ordnung und Gesetzlichkeit im In-
nern, der Unabhängigkeit, zunächst gegen Makedonien, nach
aussen zu machen. Bei ihm verweilt der Verfasser besonders
lange , und offenbar gehört dieser Theil zu den gelungensten
Abschnitten des Buches. Freeman anerkennt ebenso sehr die
Vorzüge und Verdienste des Mannes, als er seine Schwächen
offen zugiebt. Vom edlen Ehrgeize getrieben, sein Vaterland
von der Herrschaft Makedoniens und dessen AVerkzeugen, den
>Städtetyrannen, zu befreien vmd unter gemässigt demokratischen
Verfassungen zu einem wohlgeordneten Bundesstaate zu ver-
einigen, unbestechlich und aufopferungsfähig, Meister in Unter-
37*
580 HiSTORY OF Fedekal Goveknmknt.
handlungen und im kleinen Kriege, in Ueberlallen und Hinter-
halten, brachte er in der ersten Hälfte seiner staatsmännischen
Laufbahn den liund zu einer überraschenden Ent-\vicklung und
gewann das unbeschränkteste Zutrauen "bei den Städten der
Eidgenossenschaft, obgleich schon damals seine gänzliche Vn-
fähigkeit zur Leitung eines Krieges in grösserem Massstabe.
zum Commando in einer Feldschlacht zu Tage trat. Freeman
steht nicht an, das geradezu als Feigheit im oifenen Kampfe
zu bezeichnen, so verwegen er sein Leben sonst aufs Spiel
setzte. Es war ein Fehler der Verfassung, dass der oberste
politische Beamte zugleich Oberfeldherr war; allein es war ein
Fehler, den sie mit fast allen alten Staaten theilte. Aber noch
verderblicher als diese Feigheit war ein anderer Fehler im
Charakter des Aratos. Er Avollte das Beste seines Vaterlandes
aufrichtig ; aber es sollte allein durch ihn geschehen ; die Ty-
rannis verabscheute er; aber in den verfassungsmässigen For-
men wollte er alles leiten und scheute zu diesem Zwecke
geschickte Litriguen und selbst sehr anmassliche Eingriffe in
die Befugnisse anderer Beamten nicht. Daher das Fernhalten
geschickter Kriegsleute, daher vornelimlich seine miglückliche
Eifersucht auf den kriegstüchtigen, edlen Lydiadas von Mega-
lopolis, der freiwillig die Tyraimis niedergelegt hatte, um sich
und seine Stadt dem achaiischen Bunde zu übergeben, eine
Eifersucht, die erst mit dem nicht ohne des Aratos Schuld
erfolgten Tod des Lydiadas in der Schlacht bei Ladokeia,
226 V. Chr., endigte. Selbst Philopoimens Zurückhaltung und
seine frei-«dllige Abwesenheit aus der Heimat in der ersten
Zeit führt Freeman nicht ohne Grund auf die Eifersucht des
Aratos zurück. Zu den traurigsten Ergebnissen aber führten
seine Schwächen in dem Zusammenstosse des achaiischen Bun-
des mit Sparta und dessen heldenmüthigem Könige Kleomenes,
dessen Darstellung vortrefflich ist. Trotz seiner Vorliebe für
den achaiischen Bund anerkennt Freeman die ganze Grösse
des Kleomenes, zeigt aber, -wie schwer die ganz verschiedenen
politischen Interessen und Principien der gemässigt demokra-
tischen, friedlichen Staaten des achaiischen Bundes mit völli-
ger Gleichberechtigung und der aus der Revolution hen^or-
gegangenen kriegerischen und thatkräftigen Monarchie Sparta
zu vereinigen waren, wie sie fast nothwendig zu einem Kampfe
HiSTORY OF Fedekal Goveknment. 581
führen mussten. Dennoch »hätte damals Griechenland« (oder
wenigstens ein grosser Theil desselben) «ohne die achaiische
Eifersucht geeinigt werden können , unter der Führung eines
seiner edelsten Söhne, eines Königs freilich, aber eines Königs
von seinem eigenen Blute, eines Königs von Sparta, nicht von
Makedonien« (S. 561;. Der überall siegreiche junge König
bot, von seinem Standpunkte aus betrachtet, den Achaiern sehr
billige Friedens- und Bundesbedingungen. Ihre volle Freiheit
sollte unangetastet bleiben, er veriangte nichts als die Kriegs-
hauptmannschaft, die Hegemonie. Aber freilich diese Hege-
monie war eine Aufhebung aller Grundsätze, auf denen der
achaiische Bund beruhte; der Peloponnes unter spartanischer
Hegemonie war etwas ganz anderes, als ein nach den Gesetzen
des achaiischen Bundes geeinigter Peloponnes. Dennoch war
in den achaiischen Städten ausser Megalopolis grosse Neigung
zur Annahme der Anträge vorhanden, da man mit Recht darin
das einzige Mittel sah, einen verderblichen und unrühmlichen
Krieg loszuwerden, und da den Meisten wohl diese Frage fast
als ein persönlicher Streit zwischen Kleomenes und Aratos
erschien, wo der herzgeA\innende junge Held gewiss selbst bei
vielen bisherigen Feinden mehr Sympathie fand, als der schlaue
Diplomat, der jede Feldschlacht zu einer Niederlage machte.
Und namentlich blickten einestheils die Tpannenfreunde, de-
nen Kleomenes als Gewaltherrscher erschien, anderntheils die
verai-mten und verschuldeten Classen, deren Ideal Schulden-
tilgung und Gütertheilung war, voll Hoffnungen auf den Kö-
nig, beide ohne Zweifel mit Unrecht. Man begreift diese
Stimmung. Aber ebenso begreift man, dass vielen aus den
besitzenden Classen vor der in Aussicht stehenden Zukunft
bangte, und dass den bisherigen Trägern der achanschen
Bundesprincipien ein solcher Compromiss als unerträglich er-
scheinen musste, vor Allen Aratos, dem seit zwanzig Jahren
fast unbeschränkten Lenker der Eidgenossenschaft; man be-
greift, wie er, als es ihm klar war, dass Achaia mit eigenen
Kräften nicht länger widerstehen könne, zuletzt den König
von Makedonien zu Hülfe rief und zum Protektor und Herrn
des Bundes machte, lieber als sich dem siegreichen Neben-
buhler, den Bund Sparta unterzuordnen. Man begreift es,
ohne es zu billigen, aber auch ohne Aratos nur schlechte Mo-
582 HisTORY OF Federal Goverxmext.
tive unterzulegen. Die Annahme der spartanischen Hegemonie
hätte eine Selbstverläiignung erfordert, die er nicht besass.
Er zog vor, Achaia dem makedonischen Könige zu überliefern,
ohne Zweifel in der Hoffnung, nach Erreichung seines Zieles
durch seine diplomatischen Künste sich Makedoniens wieder
zu entledigen. »Die Bedingungen des Kleomenes anzunehmen,«
sagt Freeman, »bedurfte es allerdings persönlicher und natio-
naler Opfer, aber es waren Opfer des Patriotismus, sobald es
sich nur um die Wahl zwischen Kleomenes und Antigonos
handelte. Die Verfassung des Bundes soweit zu verändern,
dass Kleomenes dessen Führer geworden wäre, wäre eine weit
geringere Sünde gegen die Freiheit im Allgemeinen, selbst eine
Aveit geringere Sünde gegen die besondere Form des Bundes
gewesen, als die Verfassung in den äusseren Formen aufrecht
zu erhalten, aber die Eidgenossenschaft zu einer blossen De-
pendenz einer fremden Macht zu machen. Es ist schwer in
der ganzen Geschichte einen so traurigen Fall zu finden, als
den des Aratos von 251 zum Aratos von 223. Er rettete sein
Land, erhob es zumi höchsten Punkte des Ruhms und stiess
es dann wieder in den Koth. Dennoch war er im Herzen
kein Verräther, er war nur das traurigste Beispiel des Weges,
auf welchem Stolz, Leidenschaft und Eigensinn bisweilen das
Urtheil selbst ehrenAverther, ruhmreicher Männer verdunkeln.«
(S. 490.)
Seine Unbefangenheit zeigt bei diesen Vorgängen der Ver-
fasser auch in dem Urtheil über König Antigonos, dem er
volle Gerechtigkeit widerfaln-en lässt V • Vollständig Avird man
ihm beistimmen müssen, dass die ganze damalige unglückselige
Politik durchaus keine nothwendige Folge der Bundesverfassung
war, sondern viel eher gerade der Abweichung von deren Prin-
cipien - .
1 S. 472. In all this Antigonos acted m a perfectly straightfortrard
icay, wortliy of a rider of a nation tcho called a spude a spade. Macedoiiior
dkl not profess to make tvar for an idea; her King made no rhetorical
ßourishes ahout liberating Peloponnesos from the Isthmus to t/ie Cretan sea.
Antigonos like an honest trader , named his terms; his ])rice was fixed, no
abatment tcould he taken from the simple demand of Akrokorinthos . Vgl.
S. 4SS.
-] Die Beurtheilung der damaligen Politik Achaias zeigt zur Genüge,
HisTORY OF Federal Governisient. 583
Mit dem lUinclniss zwischen Achaia und Makedonien, mit
der Ueberlieferung der Festung von Korinth an Antigonos ist
im Grunde die unabhängige Entwicklung des Bundes beendigt.
Obgleich formell ein gleicher Bundesgenosse , steht er in der
nächsten Zeit doch ganz unter der Leitung der makedonischen
Könige , erst der schonendem des Antigonos , dann der rück-
sichtslosen des genialen aber frevelhaften Philippos. Der wilde
Bundesgenossenkrieg, zwischen den unter Philippos Leitung
stehenden griechischen Staaten und Aitolien geführt, befestigte
Makedoniens Herrschaft noch mehr. Durch des Königs Ver-
trag mit Hannibal (216) kam nun Griechenland und auch
Achaia in die Sphäre der römischen Macht und damit war,
wie Freeman richtig bemerkt, seine Unterwerfung unter diesen
Staat nur noch eine Frage der Zeit. Sobald einmal erkannt
war, dass Achaia, Griechenland überhaupt, nicht mehr allein
seine Existenz behaupten konnte, wäre das Richtige gewesen,
sich fest an Makedonien anzuschliessen. Dadurch allein wäre
ein erfolgreicher Widerstand gegen Rom möglich geworden.
Dass es nicht geschah, war keineswegs nur der Fehler der
Achaier und anderer griechischer Bundesstaaten, sondern ganz
besonders des Königs Philipp, der, um mich hier einer treffen-
den ]iemerkung Mommsens zu bedienen (R. G. I, S. 620),
die schwierige Aufgabe nicht verstand, sich aus einem Unter-
drücker in den Vorfechter Griechenlands umzuwandeln. So
schwankten die giiechischen Staaten zwischen Makedonien und
Rom hin und her, suchten auch wohl eine unhaltbare Neutra-
lität zu behaupten. Aitolien, das zuerst durch schmählichen
Vertrag sich mit Rom verbündet, büsste billig aiich zuerst mit
völligem Verlust seiner äusseren Unabhängigkeit. Länger hielt
sich Achaia, das. anfangs ohne sein Zuthun Roms Feind,
später aber in den makedonischen und syrischen Kriegen sein
Verbündeter, jedenfalls unter den griechischen Staaten noch
die ehrenwertheste Rolle spielt, was entschieden zu Gunsten
seiner Einrichtungen spricht. Ja es erreicht unter Philopoimen,
dass Freeman den Polybios mit Kritik zu benutzen weiss und macht
unnöthig auf diesen Punkt weiter einzugehen. Dass er sich deswegen
nicht Brandstätters Standpunkt angeeignet hat, braucht kaum gesagt zu
werden.
584 HiSTORY OF Federal Goverxmext.
der nach Aratos Tod die erste »Stelle einnimmt, änsserlich seine
grössten Erfolge, indem es gelang den ganzen l'eloponnes nebst
Megara dem Bunde einzuverleiben, ja sogar, freilich nicht zu
seinem YortheiL in Pleuron und Herakleia ein Paar detachirte
Aussenposten zu gewinnen. Allein diese Ausdehnung und
Abrundung kam zu spät; sie war zum Theil nur noch eine
von Rom geduldete, auch nicht ganz auf dem freien Willen
der neugewonnenen Mitglieder, sondern theilweise auf Zwang
beruhende. Immerhin zeigen sich noch Lichtpunkte, welche
auch nicht verblendeten A'aterlandsfreunden Hoffnungen ein-
flössen konnten. Die Reorganisation des Heerwesens durch
Philopoimen, unter dem die achaiischen Waffen sich -v^äedor
volle Achtung erkämpften und verschiedene oben angedeutete
Versuche die Verfassung zweckmässig zu modifiziren . beweisen
immer noch das Dasein mancher gesunden Elemente, auf deren
Basis der Biind eine längere Dauer hätte haben können, wenn
der ganze Entwicklungsgang der alten Geschichte ein System
unabhängiger Staaten neben einander gestattet und nicht un-
erbittlich alle Völker unter eine HeiTSchaft getrieben hätte ' .
Auch Philopoimen selbst, »der letzte Grieche«, ist bei manchen
Schwächen noch ein so vortrefflicher Krieger und Feldherr und
eine so tüchtige Persönlichkeit, dass er mit Recht bei Freeman
eine anerkennende Würdigxxng findet und wahrlich nicht das
wegAverfende Urtheil Mommsens verdient.
Allein Alles half nicht mehr, seitdem der Bund in den
Zauberkreis der römischen Politik gerathen war, und die Ge-
schichte des letzten halben Jahrhunderts bis zur Auflösung durch
Mummius bietet ein trauriges Schauspiel dar, wo jeder Erfolg
der achaiischen Politik und der achaiischen Waffen unmittelbar
durch eme römische Intrigue oder Gewaltthat gelähmt wird.
Der ^ erfasser geht den inneren und äusseren Verwicklungen
bis ins Einzelste nach und stellt namentlich die edleren Per-
sönlichkeiten der Patriotenpartei und ihre Bestrebungen in das
gehörige Licht. Unbeirrt durch den Spott Mommsens weist er
den unheilvollen Einfluss nach . den die römische Politik auf
1) Man vergleiche darüber die sehr richtigen Bemerkungen von Monim-
sen R. G. I, S. "TS, die ihn aber doch selbst zu billigerem Urtheil über
die kleineren Staaten hätten bringen sollen.
HisTORY OF Feder AL Government. 585
die griechischen Verhältnisse, speciell anf die Geschicke des
achaiischen Bundes ausübte und bezeichnet die Politik unbe-
dingt als eine treulose . » Römische Eitelkeit war verletzt durch
die Existenz eines Volkes, das man nicht Avie Sklaven be-
handeln konnte und das als Feind zii behandeln kein "\'or-
"vvand da Avar. Der römische Senat machte sich keine Scrupel
daraus, jede niedrige und übelwollende Kunst anzuwenden,
um eine Macht herabzusetzen und zu schwächen, die in
zAvei gefährlichen Kriegen sich immer als treuer Alliirter
obwohl nie als niedriger Schmeichler Roms gezeigt hatte«
i'S. 639;.
Zu Avenig sind vielleicht in diuser Zeit die iimeren Partei-
verhältnisse in Betracht gezogen, indem die Parteien fast nur
nach der äusseren Politik bemessen Averden und dabei über-
sehen ist, dass diese bei fielen durch ihre Ziele im Innern
bedingt Avar.
Nach dem dritten makedonischen Krieg und der Vernich-
timg des immer noch gefürchteten Reiches, musste Achaia, das
AA'ieder auf Roms Seite gestanden hatte, aufs grausamste füh-
len, Avessen es sich von diesem zu versehen hatte. Tausende
seiner Bürger , darunter die besten , AA'urden ohne allen A or-
wand nach Italien geschleppt, AA'ie Mommsen sich ausdrückt,
um die kindische Opposition der Hellenen mundtodt zu machen.
Avas Freemans tiefste Indignation erregt. Er hätte einfach auf
die eigenen Worte des berühmten Historikers Aveisen können,
der drei Zeilen Aorher sagt: «nach Rom Avurde beschieden,
Aven die Papiere des Königs oder die Angaben der zum De-
nunciren herbeiströmenden politischen Gegner compromittir-
ten. Der Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos zeich-
neten sich aus in diesem GeAverbe.« Von den Achaiern Avar
aber kein einziger in den Papieren des Königs compro-
mittirt. Damit ist Avohl Roms Verfahren hinlänglich charak-
terisirt.
Freeman nennt diese Deportation nur einen Act, obwohl
den schmählichsten einer langen Reihe von verrätherischen
Angriffen auf die Einheit und Freiheit des Bundes. Er mag
zu weit gehen. Avenn er, darin Schorn folgend, auch in der
endlichen Freigebung des Restes der Gefangenen im siebzelui-
ten Jahr nach der Abfühiimg eine böse Absicht des Senates
586 HisTORY OF Federal Government.
vermuthet ' ' . »Es mag sein,« sagt er, »dass der Senat vorher-
sah was kommen würde nnd seine Opfer nur in Freiheit setzte,
um neuen Anlass zu Intriguen und endlicher Eroberung zu
finden.« Die Freilassung wurde ja betrieben und unterstützt
von der Scipionenpartei und Cato. Und überdies ging damals
Rom schon so rücksichtslos vor, dass es sich kaum noch um
Vorwände bemühte. Aber sicherlich ist die Bemerkung richtig,
dass es jetzt für Achaia besser gewesen wäre, wenn auch die
noch übrigen Deportirten im Exil gestorben wären. Denn sie
hatten in der Mehrzahl nichts gelernt und nichts vergessen und
kamen voll tödlichen Hasses gegen Rom zurück, was zu der
letzten ebenso thörichten als unglücklichen Erhebung wesentlich
mitwirken musste.
Achaia fiel iinrühmlich. »Wenn es übel starb.« sagt Free-
raan, »so war es hauptsächlich die Schuld seiner Mörder, und
wenn es übel starb , so hat es wenigstens rühmlich gelebt.
Denn hundertvierzig Jahre — kein kurzer Zeitraum im Leben
irgend einer Nation und ein sehr langer Zeitraum in den we-
nigen Jahrhunderten, die v.ir alte Geschichte nennen — hatte
der ]?und einem grösseren Theile Griechenlands , als irgend
eine frühere Zeit es gesehen hatte , ein Mass von Freiheit,
Einheit und im Ganzen guter Regierung gegeben, welche wohl
Entschädigung geben mögen für den blendenden Ruhm der
alten athenischen Demokratie. Es war kein kleiner Ruhm,
so viele Staaten in eine Einigung zusammenzuschweissen,
welche sie gegen fremde Könige und Senate kräftigte , und
welche ihnen doch die innere Unabhängigkeit erhielt, die dem
hellenischen Sinn so theuer war. Es war kein kleiner Fort-
schritt, so viele Städte so lange Zeit gleichmässig frei zu hal-
ten von fremden Besatzungen, von einheimischem Pöbel, ein-
heimischen Tpannen und einheimischen Oligarchen. Wie
wirksam das bündische Princip für Erhaltung der Kraft und
Freiheit der Nation war, wird am besten gezeigt durch den
bittern Hass , den es zuerst bei den makedonischen Königen
und dann beim römischen Senat erzeugte. Es war kein ver-
ächtliches System, gegen das so viele Könige und Consuhi
'' Auch C. Peter, Studien zur röm. Geschichte, S. !"6, theilt diese
Ansicht.
HisTORY OF Federal Governmext. 587
successiv conspirirten. Es war kein schwaches Band, zu
dessen Auflösung der schlauste von allen diplomatischen Se-
naten so viele Intriguen und Kunstgriffe anwandte. Und wenn
der Bund ruhmlos fiel , so fiel er wenigstens minder ruhmlos
als die Königreiche xmd Republiken um denselben. Besser
war es in offener Schlacht besiegt zu werden, selbst unter
einem Diaios, als das verächtliche Leben der Könige von Bi-
thynien und Pergamos und der Betteldemokratie von Athen
hinzuschleppen .«
TOPOGRAPHISCHE SKIZZE DER INSEL EUBOIA
von Au(just Baumeister , Dr. Mit zwei lithographischen Tafeln. Lübeck
im Fehruar 1S(34. 74 S. in Qiiai't.
'.Goettingisclie Gelehrte Anzeigen 1864. S. 1361 — 1383.]
Lieber Eiiboia sind in neuerer Zeit, abgesehen von grossem
Reisewerken . welche die Insel mit in ihren Bereich ziehen,
verschiedene Arbeiten erschienen von Verfassern, die das
schöne Land selbst durchwandert und durchforscht haben, so
von dem Franzosen M. J. Girard. von Rhangabe. von Ijursian.
Auch die Reiseskizzen von H. X. Ulrichs mögen noch erwähnt
werden, die allerdings schon früher, theils im Rheinischen
Museum . theils in den Annalen des archäologischen Instituts
A'eröffentlicht. doch erst im vorigen Jahre vereinigt und ganz
in deutscher Sprache im zweiten Theile der Reisen und For-
schungen des verdienten Verstorbenen durch A. Passow heraus-
gegeben worden sind. Aber nur die etwas flüchtige Skizze
von Girard behandelt die ganze Insel, und so kann eine voll-
ständige Topographie derselben nur mit Freude begrüsst wer-
den, zumal von einem Verfasser, der. Avie Herr Baumeister,
mit gründlicher Kenntniss des vorhandenen Materials die un-
entbehrliche Autopsie verbindet. Denn im Jahre 1S54 hat er
drei Wochen lang alle Theile der Insel durchwandert und ist
von noch weiterer Durchforschung , die er beabsichtigte . nur
durch die damals im Zusammenhang mit dem orientalischen
Kriege eingetretene Unsicherheit abgehalten worden. Die Dar-
stellung beschränkt sich auf die alte Topographie, die Ge-
schichte ist nur so weit herbeiarezoffen . als zum ~\'erständniss
jener nöthig ist. So nahe niin Euboia dem griechischen Fest-
lande liegt, so reich einst seine Geschichte, so vielfach seine
Topographische Skizze der Insel Euboia. 589
Beziehinigen zu den anderen griechischen Staaten, besonders
zu Athen waren, so sind wir doch kaum über einen anderen
Theil von Griechenland in topographischer Hhisicht so wenig
unterrichtet. Wir können die alten Namen einiger Berge und
^'orgehirge nachweisen, mit annähernder Sicherheit die einiger
Flüsschen, wir kennen die Lage der bedeutendsten Ortschaften,
etwa acht bis neun, die grösstentheils ihre alten Namen we-
nig oder gar nicht yerändert behalten haben ; aber vergleichen
wir die Insel mit den Landschaften des gegenüberliegenden
Festlandes oder des Peloponneses , so fällt es auf, wie weit
auseinander die mit einiger Sicherheit zu bestimmenden Funkte
liegen. Ein Blick auf die Karte von Kiepert zeigt das, imd
doch finden sich hier noch viele Namen, deren Ansetzung auf
sehr imsicherer Yermuthung beruht. Der Grund liegt zum
Theil darin, dass in Folge der natürlichen Beschaffenheit
der Insel ihre Geschichte sich in Avenigen Hauptstädten con-
centrirte. die übrigen zahlreichen Ortschaften wohl nicht viel
mehr als Dörfer waren, die zu erwähnen wenig Anlass vor-
handen war. zum Theil aber auch in dem Mangel an Nach-
richten bei den alten Schriftstellern. Pausanias hat leider die
Insel nicht in den Kreis seiner Periegese gezogen, Strabo, der
Euboia gewiss nicht selbst besucht hat, ist dürftig und un-
sjenau. Ausserdem ist die Zahl der uns erhaltenen Inschriften,
die uns so oft allein einen topographischen Anhalt geben, ge-
ring, offenbar nicht bloss in Folge von Zerstörung, die freilich
auch in hohem Grade statt gefunden hat, sondern auch, weil
die Hauptblüthe der Insel in eine frühe Zeit fiel, wo noch
wenig geschrieben wurde. Die Zahl der von den Alten uns
überlieferten Namen ist gering, das Verzeichniss bei Hrn. Bau-
meister giebt hundert und fünf, worunter überdies manche nur
verschiedene Formen, und wobei auch die allgemeinen Namen
der Insel mitgezählt sind. Und von diesen Namen ist bei
verhältnissmässig sehr vielen keine Möglichkeit gegeben, ihnen
ihren Platz anzuweisen. Umgekehrt finden wir manche Spuren
alter Ortschaften, ohne sie benennen zu können. Bedeutend
freilich sind die wenigsten dieser Ueberbleibsel, fast jede Land-
schaft des Festlandes bietet mehr. In der Hauptstadt Chalkis,
die ununterbrochen bewohnt war. ist von der alten Pracht der
Tempel, Säulenhallen. Theater und FestungSAverke fast gar
V
590 Topographische Skizze der Insel Eubol\.
nichts übrig geblieben . nur was in den Felsboden eiuge-
hauen "war, hat der Zeit getrotzt. Ansehnliche Ruinen fin-
den sich hauptsächlich von Eretria und an einigen Orten des
südlichen Theiles der Insel, diese meist aus sehr alter Zeit.
Es liegt daher in der Natur der Sache, dass auch die sorg-
fältigste Arbeit Vieles unbestimmt lassen muss. xmd weit ent-
fernt dem Verfasser der vorliegenden Schrift daraus einen Vor-
wurf zu machen, halten wir es vielmehr für einen Vorzug, dass
er das Unsichere nicht für sicher ausgegeben hat.
Nach einer kurzen Uebersicht über die natürliche Beschaf-
fenheit der ganzen Insel bespricht Ilr. V>. das Einzehie nach
den drei Haupttheilen. Mitteleuboia, Nordeuboia, Südeuboia.
wobei nur auffällt, dass er diese Gliederung fast mehr durch
die Rücksicht auf die Uebersichtlichkeit, als durch die natür-
liche Gestaltung begründet. Damit hängt denn auch zusam-
men, dass eine Charakteristik der drei einzelnen Theile. die
erwünscht gewesen wäre, fast ganz fehlt. Und doch ist die
Dreitheilung, in der Hauptsache wie sie Hr. 1^ annimmt, sehr
entschieden durch die Natur gezeichnet, besonders auch zwi-
schen Nord- und Mitteleuboia. wo es nach Hm. B. weniger
der Fall sein soll. Mitteleuboia nämlich öffnet sich mit der
fruchtbaren Ebene von Chalkis gegen die Westküste und Avird
in weitem Bogen vom Delphi, dem alten Dirphys. und seiner
östlich von Vathya ans Meer stossenden \'erlängerung um-
zogen. Im Nordwesten bildet die ebenso bestimmte Gränze
der niedrigere Bergzug, der von dem an der Westküste sich
erhebenden Kandili quer durch die Insel streicht und sich dem
nördlichen Zweige des Dirjjhys anschliesst. Das auf der einen
Seite von diesen Gebirgen umschlossene, im Westen und Sü-
den vom Meere bespülte Land . in der Nähe der Küste sich
in fruchtbaren Ebenen ausbreitend, in welchen aber doch von
den Hauptgebirgen niedrigere Ausläufer herabziehen . durcli
den schmalen Sund des Euripos auf die Verbindung mit dem
gi'iechischen Festlande hinweisend, durch die sichern Buchten
und Häfen aber zugleich zum Seeverkehr auffordernd, bildet
zu allen Zeiten das eigentUche Centrum der Insel und auf ihm
erheben sich die beiden bedeutendsten Städte Chalkis und
Eretria . die freilich ihre Gebiete bedeutend darüber hinaus
ausgedehnt zu haben scheinen. Ausserdem hat Hr. B. auch
Topographische Skizze der Insel Euboia. 591
die östlichen Abfälle des Dirphys mit dem heutigen Kumi mit
zu Mitteleuboia gezogen, Avas allerdings bloss geometrisch an-
gesehen richtig ist ; aber nach seiner physischen ]3eschaffenheit
gehört dieser durchaus gebirgige Landstrich eher zu Südeuboia,
das, durch schroffere, Avildere Gestaltung der Berge charakte-
risirt, die Thalsohlen nirgends zu breiteren Flächen sich er-
weitern lässt, keine weitere Gliederung in kleinere Einheiten
darbietet und für grössere städtische EntAvicklung wenig geeig-
net ist. Wo an der Südwestküste das von der See etwas zu-
rücktretende Gebirge einigen Eaum darbot, lagen die Dryoper-
städte Karystos und Styra, deren Gebiete der südlichste schmale
Theil der Insel bildete. Jene östliche Abdachung des Dirphys
aber mag in früheren Zeiten das Gebiet des kaum genannten
Kyme gebildet haben, das nach dem A'organge von Ross und
anderen Gelehrten Hr. 13. mit Recht in der Nähe des heutigen
Kumi (KoufjLTj aiol. Form für Ku[xr^ wie -roupa für ^Tupaj vor-
aussetzt, in welchem sich der im späteren Alterthum fast ver-
schollene Name bis in unsere Zeit erhalten hat. Nicht zu
billigen ist aber, dass er (Anm. 42) unter der Kufj-r^ AioAt; bei
Hesiod. Opp. 634, welche man bisher allgemein für die klein-
asiatische Stadt genommen hat, nun auch die euboiische ver-
stehen will, Avomit die Worte ttoXuv 8ia ttovtov avusaa; im Wi-
derspruche Avären. Später scheint die Herrschaft von Chalkis
und Eretria sich in diesen Gegenden bis ans ägäische Meer
ausgedehnt zu iiaben, ohne dass Avir im Stande Avären das Ge-
nauere darüber festzusetzen ; denn dass Skylax die Insel Skyros
-/.0.T 'Epsrpiav gelegen nennt, zeigt nur, dass er das Gebiet von
Eretria bis ans östliche Meer reichen lässt, keineswegs aber,
AA'ie Hr. B. meint, dass es über Kumi hinausging. Möglich
ist auch, dass die in den attischen Tributlisten vorkommenden
Ataxpioi und Aiaxpr,; a.~o XaXxioiwv in die Gebirgsgegenden
des Dirphys gehören, AAie Hr. B. meint, nur durfte er aus
Herodots Ausdruck ta axpa xr^c, Eußoi'ac (YL 100^ keinen
Schluss aiif die Lage der Diakria machen, da das Wort axpa
ohne alle Beziehung auf einen Eigennamen die ]3erghöhen be-
zeichnet und von Herodot auch sonst Aviederholt gebraucht
wird, z. B. VII. 219. VHI. 32.
Während so in Mittel- und Südeuboia die grösseren und
kleineren für Städtegründung geeigneten Flächen sich an der
592 Topographische Skizze der Insel Euboia.
Westküste finden, streichen dagegen im nördlichen die hohen
Rücken des Kandili und Galzades der ganzen Länge nach so
dicht an dem westlichen Meere hin, dass sie kaum an drei
Stellen spärlichen Platz für kleine Ortschaften gewähren,
meistens aber nicht einmal einen Pfad übrig lassen. Sie
zwingen daher die Gewässer nach Osten und Norden abzu-
fliessen und dahin öffnen sich denn auch die beiden Haupt-
theile, in welche sehr bestimmt Nordeuboia gegliedert ist.
Unmittelbar nördlich von dem obengenannten vom Kandili
aus quer durch die Insel streichenden Gebirgszweige . dessen
Höhe man heutzutage bei der Quelle Hagios übersteigt, be-
ginnt das Gebiet des bedeutendsten Flüsschens der Insel, das
an der Ostküste beim heutigen Hafen Peleki mündet und un-
zweifelhaft richtig für den alten IJudoros gehalten wird. Es
wird durch zwei Hauptzuflüsse gebildet, welche, der eine von
Süden, der andere von Norden herkommend , sich etAva drei
Viertel Stunden oberhalb der Mündung mit einander ver-
einigen. Wenn Hr. B. in Uebereinstimmung mit der officiel-
len neuhellenischen Geographie in diesen beiden Flüsschen
den Neleus und Kereus der Alten vermuthet, so ist das frei-
lich sehr unsicher, und man möchte eher geneigt sein für das
eine den Namen des vereinigten Flusses, Budoros, in Anspmch
zu nehmen, immerhin ist es viel wahrscheinlicher als die Yer-
muthung Kieperts, dass der Kereus der Bach nördlich von
Chalkis sei, der Neleus ein südlich von Kumr ins Meer flies-
sender, oder die von Bursian, der für den Neleus Kiepert bei-
stimmt, den Kereus aber zwischen Chalkis und Eretria ansetzt,
Avofür gar nichts als eine höchst unwahi'scheinliche Conjectur
in einem Fragment des Antigonos von Karj-stos geltend ge-
macht werden kami. Nach der Art wie die beiden Flüsschen
von den Alten erwähnt werden, sind sie offenbar nahe bei
einander zu suchen. Das Budorosgebiet erstreckt sich fast
über die ganze Breite der Insel, indem es vom westlichen
Meere durch den schmalen Kücken des Kandili geschieden
wird. In den oberen Theilen üppig bewaldete Berge und
Thäler umfassend, in den unteren besonders beim heutigen
Achmet -x\ga und Mandudi fruchtbares Ackerland, und durch
grossen Wasserreichthum ausgezeichnet ist es der einzige
grössere Theil der Insel , der sich nach dem östlichen Meere
Topographische Skizze der Insel Euboia. 593
öffnet, an dem dann aucli die Ruinen seines einstigen Haupt-
ortes , der Stadt Kerinthos liegen , über welche weiter unten
einige Bemerkungen folgen sollen.
Im Norden Avird es durch ansehnliche Gebirge, denen ein
gemeinsamer Name fehlt, von dem zweiten Haupttheile Nord-
euboias geschieden, dessen Mittelpunkt die schöne Ebene von
Xerochori mit dem Xeriasflusse , dem alten Kallas , bildet,
während östlich davon die Verzweigungen des Gebirges nir-
gends eine grössere Fläche übrig lassen. Dieser nach der
Nordküste geöffnete Theil der Insel bildete einst das Gebiet
der bedeutendsten Stadt Nordeuboias, Histiaia-Oreos. End-
lich schliesst sich dann noch westl'ch, nur durch eine schmale
Landenge verbunden, als dritter sehr untergeordneter, aber
scharf gesonderter Theil Nordeuboias die Halbinsel Kenaion,
jetzt Lithada, an, welche sich auch durch ihre dürre, felsige
Beschaffenheit sehr bestimmt von den zwei anderen unter-
scheidet. Auf ihr lagen die Städte Dion und Athenai Diades;
später gehörte sie mit zum Gebiet von Histiaia. Dass übrigens
der Name Kenaion nicht nur , Avie gewöhnlich und , wie es
scheint, auch von Hrn. B. angenommen Avird, das westliche
Vorgebirge bezeichnet, sondern die ganze Halbinsel, geht wohl
devitlich aus Strabo S. 60 und 446 C. hervor und auch So-
phokles stimmt damit gut überein, der es axtr^ ofi.cpixXuoTo?
nennt Trach. v. 753 vgl. 237. Die Gebirgsabfälle Nordeuboias
nach dem westlichen Meere sind so schmal, dass sie neben
den genannten drei Theilen nicht als selbständig in Betracht
kommen können imd die daran gelegenen Ortschaften Aide-
psos, Orobiai und Aigai hatten kaum je eine unabhängige
Entwicklung. Es liegt in der Natur der Sache begründet,
dass von den drei Haupttheilen der Insel der Verfasser dem
mittleren und südlichen in seiner Darstellung einen grösseren
Raum gewidmet hat, als dem nördlichen, da der mittlere in
der Geschichte am bedeutendsten hervortritt, und im südlichen
die merkwürdigsten Ueberreste des Alterthums geblieben sind.
Ueberdies aber hat er offenbar diese Theile durch eigene An-
schauung genauer kennen gelernt als den Norden. Mit be-
sonderer, dankenswerther Sorgfalt und Vollständigkeit be-
schreibt er den Süden und die erst in der neuesten Zeit
genauer erforschten dieser Gegend eigenthümlichen Baureste
Vi scher, Schriften I. 38
594 Topographische Skizze der I>'sel Euboia.
einer uralten Zeit , den Tempel auf dem Ochaberge . die
»Drachenhäuser« bei Stura und mehrere andere in der liauart
diesen verwandte Ruinen, die mit Recht nach Bursians Vor-
gange den als Bewohner dieses Landes bezeugten Dryopem
zugeschrieben werden. Unbekannt scheinen Hrn. B. die höchst
interessanten mit Namen beschriebenen Bleitäfelchen geblieben
zu sein, welche vor einigen Jahren in einem ^dereckigen Denk-
mal bei Stura gefunden worden und in der neuen archäologi-
schen Ephemeris von Rhusopulos beschrieben und facsimilirt
mitgetheilt sind S. 272 ff. 301. 302. Taf. 3S. 39. 45 . Das
vorattische Alphabet bcAveist, dass sie in eine frühe Zeit fallen,
aus der sich in Euboia fast keine schriftlichen Denkmäler
finden. A gl. Kirchhoff Studien zur Gesch. des griech. Alpha-
bets S. 252. 253. Nicht weniger als 121 Stücke sind von
ßhusopulos mitgetheilt und andere scheinen zerstreut worden
zu sein. Ueber ihre Bestimmung sagt der Herausgeber nichts.
Ich vermuthe , es seien die Namen der in dem Polyandiion
beigesetzten Männer, die gemeinsam in einem Kriege den Tod
gefunden hatten. Merkwürdig ist freilich, dass die Namen in
dem Grabe verborgen waren ; aber man darf wohl voraussetzen,
dass sie ausserdem auch auf der Aussenseite des Denkmals,
vermuthlich mit Angabe des Anlasses, bei dem sie gefallen,
für den Beschauenden verzeichnet waren.
Aon Einzelheiten in Mittel - und Südeuboia will ich hier
nur Eines benihren. wo ich eine von dem Vei^fasser ab^vei-
chende Meinung habe. An dem steinigen Hügel. Karababa,
dem alten Kanethos. gegenüber von Chalkis. hatte Ross Ein-
schnitte im Felsboden bemerkt, die er für Grundlagen der
Mauern der alten auf diesem Hügel gelegenen Feste hielt.
Bursian hat dagegen Gräber zu erkennen geglaubt und ihm
folgt Hr. B. Ich habe diese Felsbearbeitung im Frühling
IS 62 ebenfalls in Augenschein genommen, kann mich aber der
Ansicht , dass es Gräber seien , durchaus nicht anschliessen.
Allerdings giebt es auf dem Hügel auch eine Anzahl von
Gräbern, die aber Bursian selbst (Berichte der Verhandl. der
Sachs. Gesellsch. d. W. IS 59 S. 120. 121' schon ganz richtig
in ihrer Anlage von den hier in Frage kommenden Einschnit-
ten imterscheidet. Ross hat nun freilich, so^-iel ich gesehen
habe, darin geirrt, dass er sagt, diese liefen lings um den
Topographische Skizze der Insel Euboia. 595
Hügel. Solche habe ich so wenig als Bursian gesehen. Viel-
mehr laufen die von mir bemerkten an der Ostseite von der
Höhe in der Richtung nach der Euriposhrücke hinunter und
andere an der Südseite nach dem Meere. Die Einschnitte sind
ungefähr zAvei Fuss breit und treppenförmig abgestuft, indem
ihre Sohle durchaus horizontal läuft, also bei der geneigten
Fläche des Felsbodens in gewisser Entfernung jeweilen ein
senkrechter Abschnitt gemacht werden musste. Dadurch ist
nothwendig bedmgt, dass auf^värts die Sohle in den Felsboden
eingesenkt werden musste, und hier also Seitenwände ent-
standen, die zu oberst genau der Höhe der senkrechten Ab-
stufung entsprechend abwärts immer niedriger werden, bis sie
zuletzt, da wo die horizontale Sohle des Einschnittes mit der
natürlichen Oberfläche des Felsens zusammentrifft, ganz auf-
hören, worauf dann wieder ein neuer senkrechter Abschnitt
folgt. Bvu'sian sagt, die einzelnen Vertiefungen seien je durch
einen kleinen ebenen Platz von einander getrennt , allein dieser
vermeinte Trennungsplatz ist nichts anderes, als das untere
Ende, wo die Sohle des Einschnittes mit der natürlichen Fels-
oberfläche so zusammentrifft, dass keine Seitenwände mehr da
sind. Er selber bemerkt, die vordere, das heisst die an der
schmalen Seite nach unten gerichtete Seitenwand fehle »mei-
stens« ganz; ich glaube er hätte sagen sollen »immer«, wenig-
stens habe ich nirgends etwas Derartiges gesehen. Die Länge
der einzelnen horizontalen Stücke giebt Hr. Bin-sian durch-
schnittlich auf 7 Y2 Fuss an , lässt aber einige kürzere gelten ;
ich habe mir ausdrücklich angemerkt, dass sie je nach dem
mehr oder minder steilen Abfall des Hügels sehr verschieden
seien. Eine solche Anlage eignet sich nun in keiner Weise
für Gräber, und Bursians Auskunftsmittel, dass die geringe
Höhe der Seitenwände durch aufgesetzte Platten von Tuffstein
erhöht gewesen sei, über welche dann gleiche Platten als Decke
gelegt gewesen, ist durchaus nicht so »natürlich« als er meint.
Man findet in Griechenland tausend und abertausend Gräber
sargföiinig in den Felsen eingehauen; aber überall sind sie
vollständig in den Boden eingesenkt und die vier Seiten oben
horizontal abgefalzt, so dass nur eine Platte darüber gelegt
wurde, auch da, wo der natürliche Boden mehr oder weniger
abhängig ist, so z. B. an den Südwestabhängen des Pnyx-
3S*
596 Topographische Skizze der Insel Euboia.
und Museionhügels in Athen. Nirgends sonst findet man auch
Gräber in solcher Weise an einander gereiht, sondern vielmehr
umgekehrt so , dass sie mit ihren Langseiten neben einander
sind. Hier laufen nun aber überdies zwei solche Einschnitte
in der Entfernung von vier Fuss genau parallel, -wofür bei
Cxräbern nicht der entfernteste Grund einzusehen wäre, und
endlich würde der auffallende Umstand eintreten, dass die am
Ostabhange ganz anders orientirt wären als die am Süd-
abhange. Ich kann daher in den Einschnitten nichts Anderes
erkennen, als die Bettung zu Fundamenten von Maueni. Um
diesen einen sicheren Halt zu geben, wurde die Sohle hori-
zontal eingeschnitten, was bei der Neigung des Bodens noth-
wendig zu der treppenartigen Anlage führte. Jetzt begreifen
wir auch, wanim zwei Parallellinien vorhanden sind. Sie
waren gemacht um die Quader für die Aussenflächen der
Mauer aufzunehmen, der vier Fuss breite Zwischenraum war
mit unregelmässigem Material aufgefüllt , eine Constructions-
art, die bekanntlich oft genug bei griechischen Befestigungen
angewandt ist. Die ganze Mauer Avar dann acht bis neun
Fuss dick. Wenn an der Südseite, was ich nicht beachtet
habe, wirklich drei Linien neben einander laufen, so war hier
Adelleicht aus besonderen Gründen die Mauer stärker gebaut,
vielleicht auch der eine Zwischenraum als gedeckter Gang
nicht aufgefüllt. Diese Mauern waren aber offenbar dazu be-
stimmt, die auf der Höhe des Hügels gelegene Feste, die
Euriposburg, mit Chalkis selbst zu verbinden und sie innerhalb
der Befestigungen desselben aufzunehmen, Avas nach Strabo
(S. 447, C), zur Zeit von Alexandros Uebergang nach Asien
geschah. Zu den gleichen ISefestigungswerken scheint ein
mehrere Fuss tief in den Felsen eingehauener, aus der Nähe
der Brücke den Hügel hinaufziehender Graben zu gehören,
dessen Sohle aber nicht horizontal angelegt ist und daher keine
Stufen hat. Er gleicht durchaus einem Laufgi'aben, und ich
will nicht unbedingt behaupten, dass er antik sei, obwohl die
Felsenarbeit für die venetianische oder türkische Zeit fast zu
bedeutend scheint.
Einige etwas eingehendere Bemerkungen mögen über Nord-
euboia, das vom Verfasser am kürzesten behandelt ist, hier
Platz finden, da ich zweimal diesen Theil ziemlich nach allen
Zu. Seite ydl
F. //. BrocTthauä' Geogr - artist ATutait, Zeipzi^.
Plan von Kerinthos.
Topographische Skizze der Insel Euboia. 597
Seiten durchwandert habe und in einigen Punkten von den
Ansichten des Herrn li. abweiche. Oben schon ist auf die
GHederung des Landes aufmerksam gemacht worden, wonach
sich die freihch nur dürftig bekannte geschichtliche Entwick-
hing in den beiden Städten Histiaia-Oreos und Kerinthos con-
centrirte. Ueber die Verhältnisse von Histiaia und Oreos
spricht der Verfasser S . 17. 18 klar und überzeugend ; für das
officielle Fortbestehen des alten Namens Histiaia oder Hestiaia
in später Zeit konnte er noch die von mir in den Epigr. und
Archäol. Beiträgen N. 59 mitgetheilte Inschrift anführen, wo
im dritten Jahrhundert nach Chr. noch 'Eanaituv rj ttoAi? vor-
kommt.
Weniger zu billigen scheint dagegen, was er über das
Schicksal von Kerinthos sagt. Die Lage, die zuerst Ulrichs
erkannt hat, setzt er ganz richtig an der Küste über dem
rechten Ufer der Budorosmündung an und beschreibt die noch
vorhandenen Rxiinen in der Hauptsache gut nach Bursian.
Hingegen hat er schwerlich wohl daran gethan als historisches
Factum anzugeben, dass die in Homers Zeit nicht ganz unbe-
deutende Stadt später in Abhängigkeit von Chalkis gekommen
und »nach einem glaubhaften Zeugniss in dessen Fall hinein-
gezogen worden sei, als im Jahre 506 die aufstrebende atheni-
sche Demokratie ihre Herrschaft mit Sturmeseile über die ganze
Insel ausbreitete.« Von einem glaubhaften Zeugnisse hiefür
kann überall die Rede nicht sein, vielmehr beruht die ganze
Annahme auf einer durchaus unbeAviesenen Deutung von zwei
Distichen, die zuerst, Avenn ich nicht irre, Hertzberg in Prutz
litterar. Taschenbuch 1845 S. 354 m Verbindung mit der Er-
oberung von Chalkis durch die Athener gebracht hat, wonach
dann Duncker Alte Gesch. IV. S. 462 sich die Sache in seiner
Weise zurechtgelegt hat. Leider lässt sich aber die Combina-
tion mit dem was sicher überliefert ist durchaus nicht in Ueber-
einstimmung bringen. Herodot nämlich berichtet V, 77, dass,
nachdem das Athen bedrohende peloponnesische Heer bei Eleusis
sich aufgelöst, die Athener gegen Chalkis gezogen seien, die
ihnen entgegentretenden Boiotier geschlagen und am gleichen
Tage den Euripos überschritten, auch die Chalkidier besiegt
und dann viertausend Kleruchen auf die bisherigen Güter des
chalkidischen Adels gesetzt hätten. Damit stimmen auch die
598 TOPOGRAPPIISCHE SkIZZE DER InSEL EuBOIA.
vaticanischen Fragmente Diodors üherein. [Diod. X, 24, 3
Dind.] Mögen bei Herodot die Worte zr^c, auTr^c tauir^c Tjasprj?
nur zu oiaßavTs; gehören oder auch zu au}x|^aXXouaL , soviel ist
deutlich, dass die Besiegung und Unterwerfung der Chalkidier
sehr rasch vor sich ging; von einem Verwüsten des Gebietes
weiss Herodot so wenig, als von einem Zuge nach dem Norden
Euboias oder .gar einer Unterwerfung der ganzen Insel. Bei
Duncker aber lesen war : »Aber die Athener setzten noch an
demselben Tage, an welchem sie die Boeoter geschlagen, über
den Sund. Die AVafFen Athens waren auch auf Euboea glück-
lich. Die Chalkidier wurden vollständig geschlagen und ver-
loren viele Gefangene. Die Athener konnten ihr Gebiet ver-
wüsten und den Hafen der Chalkidier auf der Ostküste,
Kerinthos, zerstören. Endlich vermochte sich auch die
Hauptstadt nicht länger zu halten.« Und weiterhin : »Theognis
von Mogara beklagt den Fall von Chalkis, den Fall der Adels-
herrschaft in Chalkis in folgenden Versen: 'O der Feigheit!
Kerinthos ist zu Grunde gegangen , das treffliche Weinland
von Lelantos ist verwüstet; die Edeln ziehen in die Ver-
baiuiung, es herrschen die Gemeinen! Möchte doch Zeus das
Geschlecht des Kypselos vernichten!' Theognis bezeichnet in
seinem Unwillen die Korinthier, denen er die Schuld alles
Unheils beimisst, mit diesem Namen.« Merkwürdiger Weise
stimmt sowohl Hr. Bursian als Hr. Baumeister dieser kühnen
Construction bei und wir riskiren sie als beglaubigte Geschichte
in die Lehrbücher übergehen zu sehen. Ja Hr. Baumeister
lässt, wie wir oben sahen, die Athener ihre Herrschaft über
die ganze Insel ausbreiten. Betrachten wir aber nüchtern die
Quellen, so haben die Athener Chalkis und nur Chalkis unter-
worfen, und jene Verse, die schon Welcher ohne Zweifel mit
Recht aus dem Theognideischen Nachlass ausgeschieden hat,
haben mit dem Ereignisse gar nichts zu thun. Die zwei
Distichen :
Ol jxoi avaXxiVjC' a~o jxiv Kr^piv&o; oXtüXcV ,
ArjXavToo ö' ocYaDov xsi'p£~oi'. otvoTtcOov.
Ol 6' ayoiBol osuyooai, -oÄiv oi 7.7.7.01 oiizousiv^
u)c OTj Ku'^cXiOuiv Zcuc oXiozit •(iyoz.
klagen, dass Kerinthos zu Grunde gegangen sei und das lelan-
tische Gefilde verwüstet werde, nicht verwüstet worden sei.
Topographische Skizze der Insel Euboia. 599
Sie sind also während eines Krieges geschrieben und müssten,
wenn Theognis sie anf jene athenische Eroberung gedichtet
hätte, in der kurzen Zeit zwischen dem Uebergang der Athener
auf die Insel oder genauer der vermeinten Zerstörung von
Kerinthos und der Uebergabe von Chalkis gedichtet sein, wäh-
rend doch die Ereignisse sich so rasch folgten, dass man sie
in Megara ohne Zweifel mit einander erfiihr. Hätte die Ueber-
gabe von ^Chalkis an die Athener und die Vertheilung des
Landes an die athenischen Kleruchen schon statt gehabt, so
hätte natürlich dieser schwere Schlag neben dem viel kleinern
Unglück von Kerinthos und dem Verwüsten 'der Weinfelder
nicht verschAviegen werden können. Das Fliehen der Edeln
und die Herrschaft der Gemeinen trat aber damals doch Avohl
erst bei der Uebergabe ein und so wären 'die Verse mit sich
selbst im Widerspruche. Dann aber ist die Bezeichnung der
damaligen Korinthier als Geschlecht der Kypseliden ^denn die
Lesart Kutj^eXioÄv oder Ku<|;£XiO£o)v statt des metrisch unerträg-
lichen -/u']>£Xi!^ov ist ohne Zweifel die richtige) rein unmöglich.
Denn es war ja gerade die Partei am Buder, welche die Kyp-
seliden vertrieben hatte. Wer die Lesart Ku^J^sXiowv für richtig
hält, muss consequenter Weise unbedingt an eine Zeit denken,
wo diese noch die Herrschaft hatten. Aber die vermeinte Er-
oberung und Zerstörung von Kerinthos Hesse sich auch schwer
mit der Erzähhmg Herodots vereinigen. Dieser erzählt mit
sichtlicher warmer Theilnahme für Athen den Krieg. Hätten
die Athener damals Kerinthos erobcit, er hätte es nicht ver-
schwiegen; denn es wäre eine kühne That gewesen. Vergesse
man nicht, dass der Weg vom Euripos nach Kerinthos nicht
viel kürzer ist, als der von Eleusis nach jenem, und durch
einen leicht zu vertheidigenden Engpass über das Gebirge führt.
Die Athener hätten jedenfalls 'einen bedeutenden Theil ihres
Heeres zur Cerninnig von Chalkis zurücklassen müssen und
niir wenige Truppen zum Angriff auf das wohlbefestigte Kerin-
thos verwenden können, dessen Eroberung sich nxir durch
Ueberraschung ausgeführt denken Hesse. Beim Misslingen des
Ueberfalls wäre eine Abschneidung der Heeresabtheilung von
der bei Chalkis gebliebenen zu fürchten gewesen. Und von
einer solchen That hätte Herodot kein Wort gesagt? Es kommt
dazu, dass man gar keinen Grund sieht, weshalb die Athener
600 Topographische Skizze der Insel Euboia.
den gefährlichen Zug hätten unternehmen sollen; denn von
Korinthos konnte ihnen beim Krieg gegen Chalkis kaum eine
Gefahr drohen, und dass es der Hafen der Chalkidier auf der
Ostküste gewesen sei, ist eine durch gar nichts begründete
Voraussetzung, der ein sehr gewichtiges 13cdenken entgegen-
steht. Strabo nämlich berichtet 8. 445 C. Ellops der Gründer
von Ellopia habe Histiaia, Periasi), Kerinthos, Aidepsos und
Orobiai mit seiner Herrschaft vereinigt, was deutlich auf eine
ziemlich frühe Vereinigung von Kerinthos mit Histiaia weist.
]^ei der Zerstörung scheint es daher zu Histiaia gehört zu haben
oder noch unabhängig gewesen und jetzt unter dasselbe ge-
kommen zu sein. Zu Chalkis hat es schwerlich je gehört.
Nicht deutlich ist, welche Zeit Hr. B. meint, wenn er S. 22
sagt, es habe bei der veränderten Machtstellung zum Gebiete
von Histiaia gezählt. Die Veranlassung, bei der Kerinthos
zerstört wurde, hat ohne Zweifel K. F. Hermann, obgleich er
in den dem Theognis zugeschriebenen Versen noch die falsche
Lesart xu'i/sXiCov befolgt (Gesammelte Abhandlungen 8. 198.
199, richtig in den Kriegen zwischen Chalkis und Eretria er-
kannt, auf welche die Worte Ay,Ä7.v:'j'j oiYaiiov XiiosTa'. oivottöSov
hinweisen, und für die Zeit giebt die richtige Lesart Ku^eXioäv
ysvo; einen Anhaltspunkt. Die Zerstörung muss zur Zeit der
Kj-j^selidenherrschaft , also nicht nach Ol. XLIX, 4 stattge-
funden haben und die K^^jiseliden müssen irgendwie dabei
betheiligt gewesen sein. Von Kriegen dieses Tyraimengeschlech-
tes auf Euboia ist nun freilich keine Nachricht erhalten.
Allein da Avir wissen, dass ein grosser Theil Griechenlands
sich an den Kriegen zwischen Chalkis und Eretria betheiligte,
so liegt die Annahme sehr nahe, dass auch die Kj^Dseliden
sich nicht fern davon gehalten haben, und zwar sind sie aus
verschiedenen Gründen ohne Zweifel auf Seite der Eretrier zu
suchen 2) . ]Mit einer solchen Betheiliginig trifft auch in höchst
^; Für das in den Handschriften gegebene Dspiaoa schi-eibt Meineke
Ttsoidoa , -was Hr. Baumeister billigt. Ich zweifle aber sehr , dass das
Appellativ -eotdoa zwischen den Eigennamen 'Ei-taix/ und Kf,pw&ov hier
an seinem Platze sei.
-} [Anderer Meinung ist E. Curtius, der Korinth auf Seite der Chal-
kidier glaubt. Gr. Gesch. I* S. 252. 2.56. 410 ff. Dagegen vgl. Herodot
in, 48 ff.]
Topographische Skizze der Ixsel Euboia. ßOl
bemerkenswerther Weise die Gründung der korinthischen
Colonie Potidaia durch Periandros zusammen, in einer Gegend,
die grossentheils von chalkidischen und eretrischen Städten
besetzt war. Ihre Lage ist so gewählt, als sei ihre Bestim-
mung gewesen, die vorzugsweise von Eretria aus colonisirte
Halbinsel Pallene gegen Angriffe der benachbarten Chalkidier
zu schützen. In diesem Zusammenhange lässt sich auch eine
VerAvendung korinthischer Streitkräfte auf der Ostküste Euboias
leicht begreifen. Das Ereigniss Avürde sonach in die Zeit der
Herrschaft des Periandros fallen ^01. XXXVHI, 4 — Ol. XLVni,
4), den Aristoteles bekanntlich als einen kriegerischen Fürsten
bezeichnet*;.
Dass die beiden Disticha unter den Versen des Theognis
stehen, kann nicht als Einwendimg gegen die vennuthete Zeit
gebraucht werden; der blosse Gebrauch von ttoAic ohne eme
nähere liezeichninig zeigt, dass sie nicht von Theognis sind,
bei dem -oXic nur Megara sein könnte, während hier der Zu-
sammenhang auf eine euboiische Stadt und zwar wahrschein-
lich Chalkis weist, wo längst vor dem Kriege mit Athen poli-
tische Umwälzungen erwähnt werden. \'on einer solchen wird
geradezu berichtet, dass sie von Eretria ausgegangen sei : Aen.
Tact. 4. Die Verse sind daher ohne Zweifel von einem unbe-
kannten chalkidischen Dichter.
Seit Kerinthos seine Unabhängigkeit verloren hatte, scheint
der ganze Norden Euboias zu Histiaia-Oreos gehört zu haben,
nur mit zeitenweiser Ausnahme der Halbinsel Kenaion, deren
Städte Dion und Athenai Diades wenigstens in den athenischen
Tributlisten besonders vorkommen. Sicherlich dürfen wir es
von den beiden Städtchen Orobiai und Aigai an der "W^est-
küste annehmen , die nirgends als selbständige Gemeinwesen
erscheinen. Von diesen ist die Lage von Orobiai, dessen Name
sich im heutigen Roviaes erhalten hat, unzweifelhaft. Aigai
glaubte man bis vor kurzem ebenso bestimmt an die Stelle des
heutigen Limni setzen zu müssen, bis Bursian die Vermuthung
aufstellte, es habe etwa anderthalb Stunden weiter nach Süd-
osten, in der Schlucht imterhalb des dem H. Nikolaos ge-
') [Bergk zu Theognis Poet. Lyr. ed. 3 II pg. 540 setzt den Krieg
unter Kypselos selbst.]
602 Topographische Skizze der Ixsel Euboia.
weihten Klosters Galataki gelegen. (Berichte der Verhandl.
d. Sachs. Gesellschaft d. Wissensch. 1859. S. 152 . Sein
Hauptgrund ist, dass die von Strabo angegebene Entfernung
zwischen Anthedon und Aigai auf die Lage von Limni nicht
passe. HeiT Baumeister, obgleich er selbst bemerkt, dass
Strabos Angaben über Euboia höchst ungena\i seien, folgt
nichts desto weniger der Annahme Bursians. Diese ist aber
zuverlässig inig, wie ich mich durch den Augenschein über-
zeugt habe, indem ich mich 1862 durch Bursians Hypothese
veranlasst von Achmet-Aga aus nach Galataki begeben und
die Umgebung des Klosters , sowie die ganze Küstenstrecke
von da bis Limni genau untersucht habe. Dass das Kloster
an der [Stelle des Poseidontempels liegt, hat Bursian richtig
erkannt. Der h. Nikolaos ist, worauf Hr. Baumeister mit
Recht aufmerksam macht, der Nachfolger des alten Poseidon.
und die herrliche Lage hoch über den am Felsgestade sich
brechenden Wogen war für ein Heiligthum des Meergottes
vortrefflich geeignet und stimmt ganz mit Strabos Angabe.
Allein in der schmalen Schlucht, die unmittelbar nördlich da-
von sich nach dem Meere zieht, hat die Stadt Aigai sicherlich
nie gelegen. Der Eaum ist auch für ein bescheidenes Städt-
chen, ja selbst für ein heutiges griechisches Dorf viel zu eng,
er hat kein Acker- und Gartenland und kein Wasser; denn
der von Hm. B. angeführte Bach fliesst nur bei Eegen und
war bei meiner Anwesenheit ganz trocken, obwohl es die
vorangegangenen Tage geregnet hatte. Auch findet man da-
selbst keinen bearbeiteten Stein, keinen Ziegel, keine Scherbe,
die sichern aber auch unerlässlichen Kennzeichen jeder alten
Wohnstätte. Auch an der Küste zwischen Galataki und Limni
ist nirgends für eine Ortschaft Raum, obAvohl Hr. Baumeister
zu weit geht, wenn er sagt, er fehle auch für einen Pfad.
Ich habe den Weg selbst gemacht und nur an einer Stelle
nahe bei Limni treten die Felsen so unmittelbar ans Meer,
dass man eine kurze Strecke durch das seichte Wasser reitet,
also nur bei ruhigem Wetter durchkommen kann. Ein einziges-
mal, etwa eine halbe Stunde von Galataki, erweitert sich der
ebene Küstensaum zwischen Meer und Gebirge zu einer Breite
von vielleicht fünfzig bis hundert Schritt, und da steht von
Oelbäumen umgeben ein Kirchlein des h. Georg. Spuren des
Topographische Skizze der Insel Euboia. 603
Alterthxims konnte ich aber keine entdecken und Wasser fehlt
anch hier. Sobald man sich aber Limni nähert, ist das san-
dige Ufer voll verschliffener Ziegel und Scherben, und dem
Städtchen selbst fehlen keineswegs antike Reste so sehr, wie
die Hrn. Bursian und Baumeister meinen. Sowohl an der
auf einer Terrasse schön gelegenen Hauptkirche, als sonst im
Orte sah ich alte Stelen und andere bearbeitete Steine und
vor einigen Jahren ist ein ziemlich bedeutendes Gebäude mit
einem wohlerhaltenen Mosaikboden, mehreren kleinen Säulen,
Ziegeln und Röhren aufgedeckt Avorden, was Alles 1862 noch
an Ort und Stelle zu sehen war. Ein ebenda gefundener
Torso einer männlichen Marmorstatue wird in der Demarchie
bewahrt. Ein schöner Brunnen oberhalb des Städtchens ver-
sieht dieses mit reichlichem Wasser, inid fruchtbare Gärten
und Weinberge steigen in Terrassen um dasselbe auf. Endlich
geAvähit die Bucht, Avelche die Küste hier bildet, kleinem
Schiffen einigen Schutz, -was in der Nähe des Klosters ganz
fehlt. Es ist also kein Zweifel, dass hier im Alterthum schon
eine Ortschaft lag, Avogegen weiter südöstlich an den Abhängen
des Kandili keine liegen konnte. Da nun Aigai bestimmt in
dieser Gegend zu suchen ist, da ferner Strabo sagt, Orobiai
liege nahe dabei, wodurch das DazAvischenliegen eines andern
Ortes ausgeschlossen Avird , so folgt nothAvendig , dass es nur
an der Stelle von Limni gestanden haben kann. Dass nun
aber der Tempel des Poseidon etAva anderthalb Stunden von
der Stadt entfernt war, darf uns nicht irre machen. Denn
Avenn Strabo sagt, der Tempel sei sv AiyaT?, so heisst das eben
nur in seinem Gebiete, wie er S. 448 sagt, Kenaion liege
£V 'Qp£(|).
Beiläufig erAvähne ich hier noch, dass Hr. B. den von
Aischylos im Agamemnon genannten Berg Makistos, Avelcher
das Feuersignal vom Athos nach dem Messapion vermittelt, in
dem heutigen Kandili zu erkennen glaubt. Es ist Avahr, dass
der Name unter den euboiischen Bergen auf diesen am besten
passt; allein wie unsicher es ist, daraus einen Schluss zu
ziehen, entgeht Niemand, und der andere Grund, der geltend
gemacht AA-ird, trifft nicht zu, dass nämlich die übrigen Berge
des nördlichen Euboia durch den Kandili so verdeckt AAurden,
dass man das Feuer vom niedrigen Messapion in Boiotien nicht
^04 Topographische Skizze der Insel Euboia.
gesehen hätte. Die Gipfel des Galzades, des Cavallari ober-
halb Orobiai. auf denen ich gewesen bin. und gewiss auch
noch andere im nördlichen Euboia haben ganz unbehinderten
Blick sowohl nach dem Athos als dem Messapion , und bei
der grossen Entfernung des Athos von Euboia liegt die Ver-
muthung nahe, dass einer der nördlichsten, dem Athos näch-
sten Punkte zur Station gewählt worden sei. Ich muss daher
bei der früher ausgesprochenen Meinung bleiben, dass es un-
möglich sei zu entscheiden, welcher Berg bei Aischylos zu
verstehen sei.
Gegenüber der Vollständigkeit, mit der Hr. B. im süd-
lichen Euboia fast jeden erhaltenen Stein registiirt , fällt es
auf, im nördlichen fast nur die namhaften alten Ortschaften
angeführt, andere Leberbleibsel aber kaum erwähnt zu finden.
Es scheint das seinen Gi^und darin zu haben, dass der Verfasser
diesen Theil der Insel weniger genau aus eigener Anschauung
kennt, als den südlichen; doch sind mehrere Punkte dieser
Art von mir und Bursian bezeichnet worden. Die Ueberreste
sind freilich überall sehr gering, aber nichtsdestoweniger be-
merkenswerth, weil sie einen deutlichen Beleg für die dichte
Bevölkerung geben. Meist sind es nur Spuren alter Woh-
nungen, hie und da auch von Befestigungen. In der Umgelnmg
von Achmet-Aga lassen sich zum Beispiel wenigstens vier
solche Stellen nachweisen. Auf eine nähere Nach Weisung kann
aber hier nicht eingetreten werden, da so schon die Anzeige
länger geworden ist, als m-sprünglich beabsichtigt war. Ich
schliesse daher, indem ich Allen, die sich für Geographie und
Topographie des alten Griechenlands interessiren , die kleine
Schrift bestens empfehle.
REGISTER.
A.
Abydos, Schlacht bei, 119; zweite Schiacht 120.
Achaier, Bund der, 334 u. A. 1, 375 ff. ; -50.5 ff.
Adeimantos verräth die athenische Flotte bei Aigospotamoi 19S ff.
Agariste (Hermokopidenprozess , 17S u. A. 4.
Agariste, Frau des Megakles 3SS.
Agesandridas, spartanischer Admiral 193.
Agesias von Acharnai, Mitglied der oligarchischen Verschwörung 162.
Agesilaos, wird König 144; asiatischer Feldzug 145 ff., Eifersucht
gegen Lysandros 145 ff. ; Hass gegen Theben 277 ff. ; Feldherr gegen
Epameinondas 297.
Agis, spartanischer König 59; 144.
Aide p SOS auf Euboia 593.
Aigai , s. Edessa.
Aigai auf Euboia 593, 601 ff.
Aigion , Versammlungsort der achaiischen Landsgemeinde 376 u. A. 1 ; 566.
Aigospotamoi, Schlacht bei, 127,198, 199; Zeitpunkt derselben 199 A. 2.
Aiolier, Bundeseinrichtung, 324 u. A. 5 ff.
Aischines von Lamptrai, Mitglied der oligarchischen Verschwörung 162.
Aitoler, Bund der, 334 u. A. 1; Verfassung 373 ff. 577 ff. Panai-
tolika 374.
Akarnanen, Krieg mit Amprakia 62 ff.; Schlacht bei Olpai 64; bei
Idomene 65; Bund mit Amprakia 66 ; Bundesverfassung 333 u. A. 1 u. 2.
Aleuas, der Rothkopf 339 u. A. 3.
Alexikles, 193 A. 2; 194 u. ob hingerichtet?) A. 3.
Alexandros von Makedonien, leistet d*>n Persern Heeresfolge 245; wie-
der souverain 246; ob thätig beim Abfall von Thasos von Athen? 246;
Zeit seines Todes 247 u. A. 2.
Alexandros von Pherai 303.
Alketas, Bruder des Perdikkas, 248.
Alkibiades, Abstammung 96; Stammtafel 152; Zeit seiner Geburt 97
A. 2; Anfang öffentl. Thätigkeit 104 u. A. 1 ff. ; Gemahlin : Hipparete
104 u. A. 2; Uebermuth 104; Schönheit 105 u. A. 1; Charakteristik
106 ff.; politische Stellung 107 ff., 173 ff. ; Härte gegen die Bun-
desgenossen 104 A. 1, 109, 110 u. A. 1; Hermokopidenprozess 111 u.
A. 1 ff. ; 177 ff. Flucht nach Sparta 113; Verhältniss zu Timaia
114 A. 2; geht zu Tissaphernes 115; vom athen. Heer zurückberufen
117, 186, 191; die Samier errichten ihm eine Bildsäule 118_A. 1; von
den Athenern zurückberufen IIS, 194; persönliche Tapferkeit 118 A. 3.
Schlacht bei Abydos u. Kyzikos 119; zweite Schlacht bei Abydos 120^
letzte Schicksale 126 ff.
Alkibiades, Sohn, 385.
ß(j5 Register.
Alkmaioniden, Stellung des Geschlechts :jS2 — 401.
Anytüs 10(1, wendet zuerst Bestechung an 172 u. A. 1.
Amphiktyonien :i-öH fF. die delphische Amphiktyonie 5.52 u. A. 1 ff.
Amphipolis, Gründung desselben verhindert 240 und 247; von Hagnon
gegründet 250: Eroberung durch Brasidas 264; Schlacht bei Amphi-
polis 208.
Amprakioten, Zag gegen Arges Amphilochikon 62 ff. Schlacht bei
Olpai 64. Ueberfall bei Idomene 65 : Verrath des Menedaios Spartaner
64 ; Bündniss mit den Akarnanen u. Amphilochiern 66.
i^myntas I., bietet den Peisistratiden Anthemus an 245; unter persischer
Herrschaft 245.
Amyntas, Sohn des Philippos, Kronprätendent, von Sitalkes unterstützt
259 ff. u. 261.
Amyntas, Sohn des Alexandros, 249 u. A. 3.
Amyrtaios, von Athen unterstützt 4S.
Apokleten = Synedren? Behörde des aitolischen Bundes 374 u. A. 2. 577.
Apollodoros, Mörder des Phr}Tiichos. 193 A. 1.
Ära tos 579 ff.
Archelaos, bemächtigt sich des makedonischen Throns 271 u. A. 1.
Archeptolemos, Oligarch 190 u. A. 6, hingerichtet 194.
Archestratos 200, A. 3.
Archidamos 406, 451.
Archontat allen Athenern zugänglich 160 u. A. 4.
Areopag, in seiner Macht gebrochen 44.
Arg OS und Korinth zu einer Stadt verbunden 347.
Argos Amphilochikon, Gebietsgrenze 63 A. 1. Verhältniss zu den
Akarnanen 03 A. 2 ; bedroht von Eurjlochos u. den Amprakioten 62 ff. ;
Bündniss mit Amprakia 66.
Ariphron, Vormund des Alkibiades 9S u. A. 2.
Aristarchos, athenischer Oligarch 191, überliefert Oinoe den Boiotiern
194 u. A. 5.
Aristeides macht das Archontat allen Athenern zugänglich 160 u. A. 4,
entdeckt eine oligarchische Verschwörung 162.
Aristeus von Korinth, Commandant in Potidaia 256 u. 257.
Aristo dikos, Mörder des Ephialtes 166.
Aristoteles, Oligarch in Athen 190, i94; Begleiter des Lvsandros 196
A. 3. = ;
Arkadier, Bund der, 351 ff., 324, 561, 296 ff.
Arrhabaios s. Arrhibaios.
Arrhibaios, Fürst von Lynkos 24S u. A. 1: empört sich gegen Make-
donien 261, 262, Bündniss mit Brasidas 263; Einfall des Brasidas
265 ff'.
Artaxerxes Longimanus, Regierungsantritt 2S A. 2.
Astyochos, lakedaimonischer Admiral 1S6.
Athamanen, Bund der, 334 u. A. 1; 554.
Athen, Hegemonie 14. Bundesorganisation 15, 367 ff.; Theten zu den
Aemtern zugelassen 19: Naxos u. Karjstos unterworfen 2S u. A. 1;
unterstützt Sparta im 3. messenischen Krieg 41 ff., 41 A. 1; Bünd-
niss mit Argos u. Thessalien 42 u. A. 2. Expedition nach Aegypten 43 :
Krieg mit Sparta 46 ff'. Schlacht bei Tanagra 47 ; Expedition nach
Kypros 4S ; unterstützt Amyrtaios 4S. Bündniss mit Kerkyra öS u. A. 2 ;
1. Expedition nach Sicilien 5S u. A. 3; Krieg mit den Altoliern 6u ff'.
Kythera erobert 74, Pylos besetzt 6S, ebenso Xisaia 76; ebenso Anak-
torion 79; Angriff auf Boiotien, Schlacht bei Delion Sl u. S2. Stellung
vor dem peloponnesischen Krieg 90 ff.; oligarchische Revolution 116.
Friedensantrag Spartas zurückgewiesen 119 u. A. 2. Sturz der Demo-
kratie 1S7 ff'. Einsetzung der 40U : ISS u. A. 3, 1S9, 206. der 5000:
IsS, 194 u. A. 1, 2U6, .503 ff. Sturz der 400: 194, 195 A. 2. Prozess
Register. gQY
gegen die Feldherrn 198 u. A. 1; 216; Belagerung von Athen 138,
199 tf. ; 5 Ephoren 20U, 508 ff. Friedensbedingungen mit Sparta201 ff.
die 30 Tyrannen 202 ff. Beschränkung der Bürger auf 3000: 203 u. A. 1,
ob die ßule erloost? 209, Nomotheten 210 ff., 231 ff., 506 ff.; die SOOÖ
u. örrooot or/.a -apsyovxat 220 ff. ; über Besoldung der Aemter 227,
505 ff. Ansiedelungen in Makedonien 246 u. 247. Abfall von Potidaia
254 ff. Krieg mit Makedonien 255 ff. Synoikismos 316 ff. Phylenein=
theilung 31 S.
Athenai Diades auf Euboia 593, 601.
B.
Beroia, vergeblich von den Athenern zu erobern gesucht 256 u. A. 1.
Bestechung der Richter 172.
Boges, Commandant von Eion 15.
Boiotarchen 278. 288. 342 ff.
Boiotien, Bundeseinrichtung 341 ff., 554 ff., 288 ff.
Boiotier in Theben 289. 344 A. 3. 345. 559.
Brasidas, erster Zug gegen Arrhibaios 262 ff.; erobert Amphipolis
264 ; zweiter Zug gegen Arrhibaios 265 ff. Schlacht bei Amphipolis 268.
Bundesgenossen der Athener: auch die j^oteXsi; stellen Landtruppen
27 A. 1.
Bundesstaat 545; Vortheile und Nachtheile 547.
Byzanz von Alkibiades erobert 120.
0.
C hairede mos Hermokopiden-Prozess) 181.
Chalkidier in Thrake 255, 257, 259 fi".
Chalkis auf Euboia 589.
Charikles, Gegner des Alkibiades 176. 177 u. 180.
Charon, Thebaner 273, 280.
Chrysopolis, Zollstätte von Alkibiades eingerichtet 120 u. A. 1.
Curtius, Griechische Geschichte 524 ff.
D.
Damiorgen, achaiische Behöi'de 378 A. 1, 3; 570 ff.
Dekadarchien, resp. Dekarchien, von Lysandros eingerichtet 138, 196,
199, abgeschafft 143 u. A. 1; im Peloponnes nicht existirend 296 A. 2.
Dekeleia von den Spartanern befestigt 113.
Delion, Schlacht bei, 81 u. 82.
Demonides von Oie 163 u. A. 6.
Demo p hantos, Psephisma des, 209, 213, 235.
Demosthenes 55, sein Vater 56, Demos 56; führt die Flotte nach
Akarnanien 59 ; Gefecht bei Ellomenon 59 ; verwüstet Leukas 59 ; Zug
nach Aitolien 60, 61 ff., Niederlage durch die Aitoler 62, rettet
Naupaktos 62; desgl. Argos Amphilochikon, Schlacht bei Olpai 63 ff. ;
Ueberfall der Amprakioten 64; Gefecht bei Idomene 65. Befestigung
von Pylos 68; in Pylos belagert 69; Angriff auf Nisaia 75; Angriff
auf Boiotien 79 ff. Verdienste und Charakter 85, 86.
Derdas, Fürst der Elimioten 247 u. A. 3.
Diakrier, Partei der, 394, auf Euboia 591.
Diakritos (Hermokopiden-Prozess) 181.
Diognetos, Ankläger des Alkibiades 177.
ßQg Register.
Diokleides 'Hermokopidenprozess ISO.
Dion auf Euboia 591. 601 in Makedonien 252.
Dolo per, Seeräuber auf Skyros 16.
Dorische Hexapolis, Bundesverhältnigse 324.
Dorische Tetrapolis 334 u. A. 2.
Drakontides, beantragt Einsetzung der Dreissig 202.
Duncker, Griechische Geschichte 520 tf.
E.
Edessa, makedonisches Fürstenhaus von Aigai oder Edessa 244 ff.
Eetioneia, Castell im Peiraieus 192; zerstört 193.
Eion von Kimon erobert 15 u. A. 1.
Eleios, Sohn des Kimon 21.
Elis, Unterthanenverhältnisse 322.
Elpinike, Halbschwester des Kimon S, Gattin des Kallias S A. 1 u. 9.
Ehe mit Kimon 9. Vermittlerin zwischen Kimon und Perikles? 47 A. 2
u. 4S A. 1.
Epameinondas, Geschlecht, Jugend, Charakter 2S1 ff.; Verhältniss
zu Pelopidas 2S6; Schlacht bei Leuktra 294 ff. Einfälle im Pelo-
ponnesos 297 ; Zug gegen Sparta 29S, 299, 304 ; Gründung von Megalo-
polis 296, von Messene 299 ; angeklagt 300 ; bei Mantineia 304. Tod 305.
Epariten, Kerntruppe der Arkadier 354 u. A. 3.
Epeiros, Bundesverhältnisse 333, 554.
Ephialtes 39, 163, 166, ermordet 46.
Ep hören, die 5 Ephoren in Athen, 200 u. A. 1; SOS ff.
Epikrates , Verurtheilung 25 ; zur Hetairie des Themistokles gehörig? 161.
Eratosthenes unter den 5 Ephoren in Athen 200.
Eretria auf Euboia, Stadtgebiet, 590, 591.
ETaipta u. etaipEia, ob verschieden 155 A. 3.
Efeonikos 500 ff.
Euboia, Abfall von Athen 193; Bundesverhältnisse 333 u. A. 8.
Eukrates, ob hingerichtet? 202 x\. 1.
Euphiletos {Hermokopiden-ProzesSj 181 u. A. 2 u. 4.
Eurylochos, spartanischer Feldherr, Angriff auf Naupaktos 62, aufAkar-
nanien u. Argos Amphilochikön 62 ff. ; besiegt u. getödtet 64.
Eurymedon, Schlacht am, 29.
Euthippos von Anaphlystos, Freund des Kimon 162 A. 3; 165.
G.
Gillies, John, Griechische Geschichte 512.
Goldsmith, Oliver, Griechische Geschichte 512.
Gorgidas, Thebanischer Feldherr 290.
■CpafJ.[J.aT£u ; des aitolischen Bundes 375, des achaiischen 378; in Akar-
nanien 333.
Grossstaat, Yortheile u. Nachtheile 543.
Grote. George, Griechische Geschichte 513 ff.
Gylippos nach Sicilien geschickt 113.
H.
Hagnon, Probule 1S3 A. 4, 190; Hagnon Gründer von Amphipolis
250; 259.
Haliartos, Schlacht bei 148.
Register. ß()9
Hegesipyle, Mutter Kimons 5.
Hellanodiken 362.
Heloten 321.
Herakleia fPontisches), 13 A. 3.
Hermokopidenpro zess 111 ff., 177 ff.
Hermon 193 A. 2.
Hetairie des Kimon 162, des Themistokles 161, des Perikles 163 ff.,
des Lysandros 144, des Thukydides 166, des Alkibiades 174, des Phaiax
175, des Androkles 176 A. 1, des Euphiletos 181 ; des Nikias 170 u.
A. 1—7.
Hipparch des achaiischen Bundes 378 u. A. 1, des aitolischen 375, in
Epeiros 333 A. 6.
Hippare te, Gattin des Alkibiade» 104 u. A. 2.
Hippokieides 3, Philaide 4 A. 1.
Hippokrates, Feldherr der Athener 57, seine Abstammung 57 A. 2,
thätig bei der Eroberung von Nisaia 75 ff. Angriff auf Boiotien 79 ff. ;
fällt bei Delion 82.
Hippokrates von Kos Arzt, am Hofe des Perdikkas 270 u. A. 2.
Hipponikos 104.
Hydros Syedra? = Idyros? 30 A. 1.
Hyperakrier 394.
Hyperbolos, exostrakisirt 108 ff. 109 u. A. 1.
HypoStrategen des achaiischen Bundes 377 A. 4. 495.
I.
las OS u. Kedreia nicht die gleiche Stadt 131 A. 2.
Idomene, Schlacht bei 65.
Idyros s. Hydros.
lolaos, Eeiteroberst in Potidaia 256.
lonier in Asien, Bundesverhältnisse 323.
I sagoras 157, 158, 397.
Ischagoras, lakedaimonischer Feldherr 267.
K.
Kallaischros, Oligarch 190 u. A. 1.
Kallias, Gemahl der Elpinike, 8.
Kallias, Aaxvco-Xo'jxo; 8 A. 1.
Kallikratidas 136, 137.
Kallixenos, Ankläger der 10 athenischen Feldherrn 198 u. A. 1.
Kalydon, Achaia einverleibt 348.
Ka nethos 594.
Kannonos, Psephisma desselben 213 A. 1 u. 226.
Karababa s. Kanethos.
Karystos von Athen unterworfen 28 u. A. 1. Lage 591.
Kedreia, s. lasos.
Kenaion 593, 6ül.
Kereus, Bach in Euboia 592.
Kerinthos Stadt in Euboia), Lage 593, 597, Zerstörung 598 ff.
Kerkyra, Bündniss mit Athen 58 u. A. 2.
Kimon Koalemos, Grossvater Kimons 4, 7.
Kimon, Abstammung 3; Datum seiner Geburt 5 A. 2; Jugend und
Jugendbildung 6 ; Schuldhaft u. Atimie 7 ; Anschluss an Themistokles'
Politik 10; Anregung zum Kampf gegen die Perser 12; Führer der
attischen Flotte 12; Gesandter nach Sparta 12 A. 2; erobert Eion 15;
Vi seh er, Schriften I. 39
^ j (j Register.
erobert Skyros 16; Siegesehren 18; Rivalität mit Themistokles 20 flF. ;
innere u. äussere Politik 21. 22, 161 ; Verhältniss zu Aristeides 20 A. 1 ;
.seine Söhne 2 1 ; Betheiligung an Themistokles Hochverrathsprozes-S 25 ;
Verfahren gegen Epikrates 25; alleiniger Leiter der attischen Politik
26 ff. ; Krieg gegen die Perser , Schlacht am Eurj^medon 29 ff. Sieg
bei Hydros 'öO u. A. 1. Preisrichter zwischen Aeschylos u. Sophokles
31; Feldzug nach dem Chersonnes 31 u. 32; Freigebigkeit 32 u. A. 1 ;
Verschönerung u. Befestigung der Stadt, Zeitpunkt derselben 33 ff.
Thasischer Krieg 34, Zeit desselben 34 u. A. 1; Prozess desselben
Avegen Bestechung 35 ff., 16:i; wegen Verfassungänderung auf Paros 35
A. 1 ff. Zeitpunkt seiner Verbannung und Zurückberufung 42 A. 3.
Vertheidigung des Areopags 44 fi'., ostrakisirt 46 u. 45 A. 2: seine
Hetairie, ob Verräther? 46 A. 1, 162 ff. Zurückberufung 47: Tod 48.
Verdienste 49 ff. In Kition als Heros verehrt 49 A. 1. Grabstätte
49 A. 1. Stammtafel 51 ; bei Tanagra 165 ff.
Kimonischer Frieden (sogen.; 31 u. A. 1.
Kition belagert 48.
Kl einlas, Vater des Alkibiades 97 u. A. 1 u. Stammtafel 152.
Kleinias, Bruder des Alkibiades 98 u. Stammtafel 152.
Kleinstaat, Vortheile u. Nachtheile desselben 538 ff.; 540.
Kleisthenes, Phyleneirtheilung 3] 8; seine Partei 397 ff.; 157.
Kleis thenes, Tyrann von Sikyon 388.
Kleombrotos 279; gegen Theben 293; fällt bei Leuktra 295.
Kleomenes besetzt Athen 158; 398.
Kleon 55; bei Sphakteria 71 If. Staatsleiter 169; in Makedonien 267 ff.
Kleon von Halikarnass, Rhetor verfasst eine Rede für Lvsandros 148
u. 149.
Kleon y mos 176.
Kleophon, Demagoge in Athen 201 u. A. 3 u. 6; hintertreibt den Frie-
den zwischen Athen u. Sparta 119.
y. otvöv Ausdruck für Bundesstaat 323 A. 1.
■/. (uar,, staatsrechtlicher Begriff 312 u. A. 2.
Korinth, Vereinigung mit Argos 347 u. A. 1.
Koroneia, Schlacht bei, 277.
Kor tum, Griechische Geschichte 519 ff.
Koryphasion, Verhältniss zu Pylos 67 A. 1.
Kritias, Oligarch 190 u. A. 1 u.' 5; 195 A. 1; unter den 5 athenischen
Ephoren 200 u. A. 1.
Kreusis, von Kleombrotos erobert 293.
Kynossema, Gefecht bei, 119.
Kyros, verbündet mit Lysandros 135 ff. u. 136 A. 1.
Kyrrhos, = Paläo-Castro 249 A. 2.
Kythera, von den Athenern erobert 74.
Kyzikos, Schlacht bei 119, Eroberung von, 119.
L.
Tachartos, Korinther 42 A. 1.
Lac hes 55.
Lakedaimon, Art seiner Hegemonie 361 ff., verliert die Hegemonie 14,
conservative Partei gegen die Seezüge 14 A. 2. Schlacht bei Tanagra 47.
Stellung vor dem peloponnesischen Kriege 90 ff. Belagerung von Pylos
69 ff. Vernichtung der Flotte vor Pylos 70. Subsidienvertrag mit Tissa-
phernes 113. Gylippos nach Sicilien geschickt 113. Friedensantrag an
Athen 119. Krieg mit Boiotien 14^, 293 ff. Politik gegen Theben 276 ff.
Besetzung der Kadmeia 278. Abfall Messeniens 299. Staatsverfas-
sung o'JO.
Register. 611
Lakedaimonios, Sohn des Kimon 21.
Lakiaden, von Kimon bewirthet 32 A. 1.
Lamachos 55.
Lelantischer Krieg 600.
Leobotes 24 A. 1. Ankläger des Themistokles 25.
Leokrates 164.
Leontiades 273.
Leotychides, Sohn des Agis 144.
Lenkt ra, Schlacht, 294 fF.
Lithada 8. Kenaion.
X oip.6<; od. Xi[xo; im Orakel 17 A. 1.
Lokrer, Bunde3verhältnisse_ 331 ff. 319.
Loos, Bedeutung desselben im Staate 158.
Lydia das, Tyrann von Megalopolis 5S0.
Lydos (Hermokopiden-ProzesS; 178 u. A. 4.
Lykier, Bundesverfassung 562 ff.; 377, 1.
Lykomedes aus Mantineia 290, 30 1, 351 ft\, 352 A. 1.
Lvsandros 125, 128, Geburt 128 A. 1. Abstammung 128 u, A. 2; p.o,>ac
128 u. 129 A. 1; Charakter 130 ff.; Demokratenmord in Milet 131
u A 2 196 ff., 197 A. 1; oligarchische Clubs 134 u. A. 2 ff. 197
A 2 Erstes öffentliches Auftreten 135 u. A. 2. Verbindung mit Kyros
135 u. 136- Schlacht bei Notion 136; i~iizolfk 137; Schlacht bei
Ai"-ospotam'oi 137 u. 138 u. A. 1. Fall Athens 138; Samos erobert 138;
Verfahren gegen die Sestier 138; heroische Ehren 139 u. A. 1 ; seme
Thätigkeit zwischen der Schlacht bei Aigospotamoi und der Eroberung
von Athen 139 A. 2; Opposition in Sparta 141 ff'. Reise zum Ammons-
orakel 142 u. A. 1; sein Sturz 142 ff'.; bringt Agesilaos auf den
Thron 144 u A. 3 ; asiatischer Feldzug 144 ff. Rückkehr nach Spsrta 146;
Revolutions-Pläne 146 ff. 144 A. 2; Tod 148; Einrichtung der Deka-
darchien 13S, 143 u. A. 1, 196, 199.
Lysis, in Theben, Lehrer des Epameinondas 282.
Lysistratos (Hermokopidenprozess) 181.
M.
Makedonien, Gränzen, Landschaften und Bevölkerung 242 ff. Fürsten-
haus von Edessa oder Aigai 244 ff., unter persischer Herrschatt 24o ;
athenische Ansiedelungen 246 ff., Heeresbestandtheile 252, feste Städte
252 ff. Einkünfte 253 ; Krieg mit Athen 255 ff'.
Makistos, Berg auf Euboia 603.
LiäXiaTa, Bedeutung 424 ff.
Mantineia, Dioikismos 276; Belagerung und Gefecht 286 u. A. ; Wie-
dervereinigung zu einer Stadt 296; Schlacht bei Mantineia 304 u. 30d.
Widerstand gegen Centralisation 355.
Markos von Keryneia, Stifter des achaiischen Bundes 0.9 _
Me<-akles 386, lebenslänglicher Archon 389, Archon von 612 . 389 ; Freier
der Agariste 38S. Zeitgenos.se des Peisistratos u. Kroisos 390 u. o96.
Megalopolis, Gründung_ 296, 351 ff.; 356, 561.
Megara, innere Wirren 75.
Melanippides, Dithyrambendichter 270 u. A. 2.
Melon, Thebaner 273, 280. , ,. . ,• , -n
Menedaios, spartanischer Feldherr, verräth die Amprakioten an Demo-
Mes\en?en.'ein Staat, 356, 561; dritter messenischer Krieg 41 u. 41
* A. 1 u. 2. Unabhängigkeit erklärt 299, die Stadt Messene gegründet .99.
Methone fin Argolis) von Nikias besetzt 74
■ Miltiades, Stifter des thrakischen Fürstenthums 4.
39*
Q\2 Register.
Miltiades, Vater Kimons 4.
Mindaros, spartanischer Flottenführer 118.
Minoa, erobert von Nikias öS.
Mitford, AVilliam, griechische Geschichte 512.
Museion in Athen 410 if.
Mykene, Hegemonie der Atreiden in Mykene 360 ff.
(Auptot, Arkadische Volksgemeinde 353 u. A. 3 ; 355 A. 3; 356.
Myronides, attischer Stratege 164, 22n.
N.
Naxos, von Athen unterworfen 28.
Neleus, Bach in Euboia 592.
Isiebuhr, Vorlesungen über alte Geschichte 518.
Nikias 55. 57; erobert Minoa 58; Flottencommandant gegen Melos 59,
besetzt Methone ;in Argolisj 74, erobert Kvthera 74, Frieden des Nikias
83; Gegner des Alkibiades 108 ff., Gegner Kleons 170. seine Hetairie 170.
Nikomachos Nomothete 211 ff.; 233 u. A. 1.
Nisaia von den Athenern erobert 76.
Nomotheten 210 ff.; 231 ff.; 506 ff.
Notion, Gefecht 125 u. A. 1. 136.
Nymphodoros von Abdera 258.
0.
"üa u. O'i'r, oder "Or] 163 A. 6.
Oitaier, Bund 334 u. A. 1.
Oligar chen-Clubs des Lysandros 134 u. A. 2 ff. ; oligarchische Ver-
schwörung gegen die athenische Demokratie 161 u. 162, Führer der
Oligarchen l'JO u. 191 ; gestürzt 194 ff., Zeitpunkt des Sturzes 195 A. 2.
Olpai, Sieg des Demosthenes über Eurylochos 63 ff.
Olynth. Auflösung seines Staatsverbandes 276 u. 276 A. 2 u. 279; Bun-
desstaat 348 ff., 5dO. Synoikismos der Chalkidier in OljTith 255.
Opuntische Lokrer, Staatseinrichtung 319.
Orobiai auf Euboia 593, 601.
Ostrakismos lu9 A. 1.
P.
Faches 55.
Pagondas. Commandant der Thebaner bei Delion 81 u. 82.
Paläo- Castro = Kyrrhos 249 A. 2; = Sphakteria ;?; 69 A. 1.
Pammenes, thebanischer Feldherr 286, 290, 297.
Panaitios 181 u. A. 3.
Paralier 394.
Pausanias erobert Byzanz 13; Conflikt mit den Bundesgenossen 13;
bringt Sparta um die Hegemonie 14.
Pausanias, König, Gegner des Lvsandros 140, 142.
Pedieer 394.
Peisandros, Ankläger des Alkibiades 176 ff.; 180; 186 ff.; 194, ob
hingerichtet? 194 A. 3.
Peisistratos 396.
Pelopidas 280, 290, fällt 302.
Peloponnesischer Krieg, zur Chronologie der letzten Jahre desselben
12u A. 2 u. 3.
Register. Q13
Peltasten, erstes Auftreten Sl u. A. 1.
Perdikkas II., König von Makedonien 247; Heeresbestandtheile 252;
Politik gegenüber Athen und Sparta 255 ff. ; Hippokrates , Arzt,
Freund des Perdikkas 270. Melanippides Dithyrambendichter 270.
Perikles, Parteiführer gegen Kimon 39, 163; des Mordes an Ephialtes
beschuldigt 46; beantragt Zurückberufung des Kimon 47, Kriegssystem
53 ff. Vormund des Alkibiades 98 u. A. 1; seine Hetairie 39, 163;
Anklage und Verurth eilung 168.
Perioeken 320 ff.
Phaiax Führer einer Hetairie 175.
Philaiden 3 u. A. 2. Gegner des Peisistratos 4.
Philippos, Bruder des Perdikkas 249; 258.
Philolaos in Theben 282.
Philopoimen 566, 568, 571, 580, 584.
Phlius, Verfassungsänderung 276.
Phoibidas 278.
Phoinike Bundeshauptstadt von Epeiros 554, 333 u. A. 6 u. 7.
Ph okier, Stellung zu Sparta im pel-^ponnesischen Kriege 60 u. A. 1.
Bundesverhältnisse 328 ff.
Phormion 55, vor Potidaia 256 ff.; in Akarnanien 57.
Phrynichos 116; Gegner des Alkibiades, Versuch des Verraths 186, 190;
Gesandter nach Sparta 192; ermordet 193 u. A. 1.
Phyleneintheilung in Attika 318.
Pleistoanax, König, von Perikles bestochen 167.
Pnyx 410 ff.
Polemarchen in Theben 344, 288; in Thessalien 339 A. 3.
TToXt;, Begriff 312 ff.
Polymnis, Vater des Epameinondas 281 u. 282.
Potidaia, Abfall von Athen 254 u. 255, Belagerung 255 ff.; erobert
259, Gründung 601.
Probulen in Athen 115 A. 1; 183 u. A. 4; 206.
Pronomos, Lehrer des Alkibiades auf der Flöte (?) 99 A. 4.
Prothoos 293.
Pulytion (Mysterienentweihung) 178 ff. 182.
Pydna, das erste zerstört, das zweite = Kitron 253 A. 1.
Pylos, Verhältniss zu Koryphasion 67 A. 1, von den Athenern befestigt
68, belagert von den Lakedaimoniern 69 ff. , Ausfallsburg gegen Lake-
daimon 73.
Pythagoreer zu Theben 282 ff.
Pythonikos (Hermokopidenprocess) 178.
s.
Salamis (auf Kypros), Schlacht bei 49.
Salynthios, Fürst der Agraier, Bundesgenosse Spartas 65 ; Anschluss an
die attische Symmachie 80.
Samos, Aufstand gegen die 01igarchen_ 184.
Schmitz, Leonhard, griechische Geschichte 532 u. 533.
Schuldhaft auf die Kinder sich vererbend 7 A. 1.
Selybria von Alkibiades erobert 118 A. 3 u. 120.
Seuthes, Neffe des Sitalkes 260; König der Odrysen 261.
Sicilien, erste athenische Expedition 58 u. A. 3, zweite athenische Ex-
pedition 110 Ö".
Sikyon, Eintritt in den achaiischen Bund 376.
Sitalkes, Fürst der Odrysen 251, Bundesgenosse Athens 257; Einfall in
Makedonien 259 ff'.
Skione, Abfall von Athen 264, Bestrafung 268.
614
Register.
Skopas thessalischer Tagos 336, 339.
Skyros erobert von Kimon 10, von Dolopern bewohnt 16, Seeräuber 16,
attische, Kleruchie 16. Grabstätte des Theseus 17 u. A. 2. Zeit der
Eroberung 17 A. 2.
Sokrates, Buleute 20S ff., zu Perdikkas eingeladen ;?) 270; in der Ko-
mödie 4üS ff.; Verhältniss zu Alkibiades 100 ff.; 100 A. 2,102 A. 1.
Sparta s. Lakedaimon. Eroberung^vers .eh des Epameinondas 298, 304.
Art seiner Volksversammlung 404 ff.
Spartiaten 320.
Spartolos, Niederlage der Athener bei 259.
Sphakteria 69 ff., Spartaner in Sphakteria eingeschlossen 71 ff.
Sphodrias, Anschlag auf Athen 2bS.
Staatsform in Griechenland. Sj-noikismos 314 ff., Unterordnung unter
die Hauptstadt 319 ff.
Stesagoras 4, 51.
Ste simbrotos von Thasos Lügenhaftigkeit 26 A. 2.
Sthenelaidas 406, 451.
Strategen in Thessalien 339 A. 3, in Phokis 329 ff., in Akarnanien 333
A. 1 ? in Epeiros 333 A. 6. In Arkadien 354 u. A. 2, in Aitolien 332
A. 5, 374 ff. 577, in Achaia 377 u. A. 3, 570 ff.
Strepsa 256 A. 1.
Strombichides, von den Oligarchen angeklagt 202 u. A. 1.
Styra auf Euboia 591.
Syedra s. Hydros.
Synedroi, Behörde des aitolischen Bundes 374 A. 2; 577.
Synoikismos, Begriff 314 ff., in Athen 316 ff., im Opuntischen Lokris
319, Versuch eines Synoikismos in lonien 319.
o-jvT£/.£ia, Begriff 341 A. 4. 492 ff.
T.
Tagos in Thessalien 338 u. A. 2 ff.
Tanagra, Schlacht 47; Schlacht 59, 165.
Tegyrai, Sieg der Boiotier 290.
Teres, Fürst der Odrysen 251 u. 257.
Teukros Hermokopiden 17S A. 4. ^
Thaies, Versuch eines Synoikismos in lonien 319.
Thasischer Krieg 34, Zeitpunkt 34 A. 1.
Theben, Krieg mit Sparta 14S; befreit von den Tyrannen 273 ff. Stel-
lung zu Sparta 276 ff. Stellung zu Boiotien 2SS ff. ; Bruch und Krieg
mit Sparta 291 ff. Bundeshauptstadt von Boiotien 344 ff.
Themistokles, Vorschlag, die griechische Hotte zu verbrennen 19 u.
A. 1. Rivalität mit Kimon 20 ff. Politik 20, 21 ff. Laster 23 u.A. 1,
ostrakisirt 24 ; wann?24A. 1. Hochverrathsprocess 25, seine Hetairie 161.
Theodoros (Herniokopidenprocess) 182.
Theodote s. Timandra.
Theramenes, 190, 192; beantragt die Hinrichtung des Antiphon u.
Archeptolemos 194; oligarchische Umtriebe 195. Ankläger der 10 Feld-
herrn 198 u. A. 1 ; Gesandter nach Sparta u. Verrath 201; Einsetzung
der 30 TjTannen 202 ff.
Theseion iS u. A. 1.
Theseus' Gebeine, zurückgeführt von Skyros 17 A. 2; Sj-noikismos von
Athen 316 ff.
Thessalien, Bund von 335 ff., 554; Unterthanen der Thessaler 336 ff.
Thessalos, Sohn des Kimon 21; Ankläger des Alkibiades 182.
Thirlwall, Connop, Griechische Geschichte 513.
Thrasybulos von Kalydon, Mörder des Phrynichos, 193 A. 1.
Register. 615
Thrasybulos von Steiria 277.
Thukydides, Sohn des Melesias 166 ff.; Gegner des Perikles 166,
verbannt 167; Zeitpunkt der Verbannung 167 A. 3; Mitfeldherr des
Perikles 16S.
Timaia, Frau des Agis, Verhältniss mit Alkibiades 114 A. 2.
Timandra, Gefährtin des Alkibiades 127, nach Andern Theodote.
Tisamenos, Psephisma 211, 212.
Tissaphernes, hubsidien- Vertrag mit Sparta 113; seine Politik 115 ff,
Tithraustes, persischer Feldherr 29.
Tydeus verräth die athenische Flotte bei Aigospotamoi 198 u. 199.
Tyrannen, die 30, Einsetzung 2ü2 ff.
X.
Xenophon, Urtheil über Alkibiades 101 u. A. 1.
Xerochori-Ebene auf Euboia 593.
z.
Zopyros, Pädagoge des Alkibiades 99.
I
Druck von Ereitkopf ifc Härtel in Leipzig.
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