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Full text of "Lehrbuch der Botanik für höhere Lehranstalten und die Hand des Lehrers"

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Sehmeil, 

Lehrbuch  der  Botanik 


Stuttgart  xmd  Ldpzig 
Verlag  vim  Erwin  Nägele. 


®t?p  8.  Ä.  HUI  ffitbrary 


Norttj  (Carolina  &tat*  ImoerHttij 


S350 
1903 


THIS  BOOK  IS  DUE  ON  THE  DATE 
INDICATED  BELOW  AND  IS  SUB- 
JECT  TO  AN  OVERDUE  FINE  AS 
POSTED  AT  THE  CIRCULATION 
DESK. 


Lehrbuch  der  Botanik 

für 

höhere  Lehranstalten  und  die  Hand  des  Lehrers. 


Von  biologischen  Gesichtspunkten  aus  bearbeitet 
von 

Dr.  Otto  Schmeil. 


Mit  38  farbigen  Tafeln  und  zahlreichen  Textbildern  von 
Kunstmaler  W.  Heubach-München. 


3.  unveränderte  Auflage 

(16 — 20000). 


Stuttgart  und  Leipzig. 

Verlag    von    Erwin  Nägele. 
1903. 


Alle  Rechte,  insbesondere  das  der 
Übersetzung  vorbehalten. 


Druck  von  A.  Bonz'  Erben  in  Stuttgart. 


Vorbemerkung  zur  zweiten  Auflage, 

Dank  der  außerordentlich  freundlichen  Aufnahme  waren  die  beiden  ersten 
Hefte  des  Buches  bereits  vergriffen,  bevor  noch  der  Schluß  teil  her  ausge- 
geben werden  konnte.  Daß  ich  bei  dieser  Sachlage  keine  Veranlassung  hatte, 
umfassende  Änderungen  vorzunehmen,  liegt  auf  der  Hand.  Von  Kleinigkeiten 
abgesehen,  ist  die  zweite  Auflage  daher  ein  unveränderter  Abdruck  der 
ersten.  Der  Schlußteil  ist  in  beiden  Auflagen  sogar  ein  Abzug  von  den- 
selben Platten. 

.Magdeburg,  den  20.  März  1903. 

Der  Verfasser. 


Vorwort  zur  ersten  Auflage, 

Die  Arbeit,  die  ich  hiermit  der  Schule  und  ihren  Lehrern  übergebe,  ist 
ein  Seitenstück  zu  meinem  „Lehrbuch  der  Zoologie".  Bei  der  Abfassung  beider 
Bücher  sind  daher  auch  die  gleichen  Erwägungen  maßgebend  gewesen.  Da  ich 
nun  meine  Ansichten  über  die  notwendige  Um-  und  Ausgestaltung  des  natur- 
geschichtlichen Unterrichts  in  einer  Broschüre*  ausführlich  entwickelt  habe, 
kann  ich  hier  von  einer  erneuten  Darlegung  absehen.  Ich  vermag  dies  umso 
eher,  als  die  Schulen  aller  Gattungen  sich  immer  mehr  einem  Unterrichte  zu- 
wenden, wie  er  durch  den  gegenwärtigen  Stand  der  Naturwissen- 
schaften und  der  Pädagogik  gefordert  wird,  einem  Unterrichte,  der 
dem  Schüler  ein  seiner  Fassungskraft  entsprechendes  Verständnis  der  Natur 
zu  eröffnen  vermag,  der  ferner  den  Natursinn  der  Jugend  kräftig 
und  nachhaltig  zu  beeinflussen  imstande  ist,  und  der  sich  endlich 
an  Bildungswert  getrost  mit  jedem  anderen  Unterrichtszweige 
messen  kann. 

Da  sich  meine  Arbeit  nun  in  den  Dienst  eines  solchen  Unterrichts  stellen 
möchte,  mußte  ich  wie  in  dem  „Lehrbuche  der  Zoologie"  (und  seinen  gekürzten 
Ausgaben)  mit  der  veralteten  Weise  trockenen  Beschreibens,  die  für  Schüler 
wie  Lehrer  eine  gleich  große  Qual  ist,  brechen  und  den  morphologischen 
Stoffen  durch  Hinzufügung  physiologischer  Momente  einen 
erhöhten  Wert  verleihen.    Ich  mußte,  um  dies  ganz  kurz  auszudrücken, 

*  Über  die  Refornibestrebungen  auf  dem  Gebiete  des  natnrgescMchtlichen  Unter- 
richts.    4.  Aufl.     Stuttgart.     Verl.  von  E.  Nägele. 


IV  Vorwort. 

die  Pflanzen  wie  die  Tiere  als  lebende  Wesen  darzustellen 
versuchen.*  Da  die  Lebenstätigkeiten  der  Pflanzen  aber  weit  weniger 
augenfällig  sind  als  die  der  Tiere  —  ein  Umstand,  der  im  botanischen  Unter- 
richte außerordentlich  zur  Geltung  kommt  —  so  war  dies  auch  z.  T.  ein  sehr 
schwieriges  Unternehmen. 

Auch  in  dem  allgemeinen  Teile  habe  ich,  um  ein  möglichst  greifbares 
Bild  „vom  Bau  und  Leben  der  Pflanze"  zu  schaffen,  Morphologie  und 
Physiologie  aufs  engste  zu  verschmelzenversucht.  Allerdings 
setzt  diese  Art  der  Darstellung  auch  einen  größeren  Raum  voraus,  als  diesem 
Stoffe  in  Schulbüchern  gewöhnlich  eingeräumt  zu  werden  pflegt.  Daß  ich  zu 
diesem  „Bilde"  auch  den  reichen  morphologischen  und  biologischen  Stoff  zu- 
sammenfassend verwendet  habe,  der  in  den  Einzelbetrachtungen  gewonnen 
worden  ist,  dürfte  allgemeine  Zustimmung  finden. 

Im  allgemeinen,  wie  im  speziellen  Teile  des  Buches  hoffe  ich  von  neuem 
dargetan  zu  haben ,  daß  die  gebührende  Betonung  des  Lebens  auch 
ohne  Vernachlässigung  der  Morphologie  möglich  ist.  Be- 
sonders die  Einzelbetrachtungen  enthalten  so  genaue  „Beschreibungen"  der 
Pflanzen,  wie  sie  in  Werken  rein  beschreibenden  Inhalts  nur  selten  zu  finden 
sind.  Die  „biologische  Betrachtungsweise"  zwingt  Lehrer  und  Schüler  gerade- 
zu, wie  ich  hier  wiederholt  betone,  erst  sorgfältig  das  Tatsächliche  festzu- 
stellen, bevor  an  die  Frage  nach  seiner  Bedeutung  herangetreten  werden  kann. 
Werden  über  der  Erklärung  der  Tatsachen  diese  selbst 
vernachlässigt,  dann  artet  der  Unterricht  wie  in  allen 
anderen  F ä c h er n  (z.  B.  in  Geographie  oder  Geschichte)  allerdings  in 
ein  leeres  Geschwätz  aus.  Dann  werden  die  Bahnen  sicheren  Wissens 
verlassen,  und  eine  hohle  Phantasterei,  eine  Sucht,  alles  erklären  zu  wollen, 
macht  sich  breit.  Gerade  bei  der  Beurteilung  biologischer  Verhältnisse  ist  in 
der  Schule  die  größte  Vorsicht  geboten.  Ist  eine  Erklärung  nicht  über  jeden 
Zweifel  erhaben,  so  ist  sie  ausdrücklich  als  das  zu  bezeichnen,  was  sie  ist:  als 
eine  Vermutung  oder  dgl.  Mehrere  neuere  Forschungsergebnisse  habe  ich  aus 
diesem  Grunde  gänzlich  unberücksichtigt  gelassen,  was  man  mir  wohl  kaum 
zum  Vorwurfe  machen  dürfte. 

Die  Systematik,  die  früher  einen  der  Hanptangelpunkte  des  botani- 
schen Unterrichts  bildete,  hoffe  ich  auf  das  ihr  gebührende  Maß  beschränkt  zu 
haben.  Daß  sie  keineswegs  vernachlässigt  ist,  geht  schon  aus  der  systematischen 
Anordnung  des  Stoffes,  sowie  daraus  hervor,  daß  ich  bei  jeder  sich  irgendwie 
nur  bietenden  Gelegenheit  das  Charakteristische  der  größeren  Abteilungen  heraus- 
gestellt und  die  natürliche  Einteilung  der  Pflanzen  planmäßig  aus  ihrem  Bau 
abgeleitet  habe  (s.  besonders  den  allgemeinen  Teil!).    Allerdings  auf  „Vollständig- 


*  Meine  im  Jahr  1896  erschienene,  aber  längst  vergriffene,  kleine  Arbeit :  ;.Pflan- 
zen  der  Heimat,  biologisch  betrachtet*  dürfte  der  erste  Versuch  gewesen  sein,  unsere 
bekanntesten  Pflanzen  in  dieser  Weise  ,.der  Schule  und  dem  Hause"   vorzuführen. 


Vorwort.  V 

keit"  habe  ich  weder  hier,  noch  in  einem  anderen  Stoffgebiete  irgend  welchen 
Wert  gelegt:  denn  der  Schüler  soll  durch  den  Unterricht  ja  nicht  zu  einein 
wandelnden  Lexikon  gemacht,  sondern  gründlich  und  allseitig  gebildet 
werden.  Auch  sonst  hat  sich  das  System  im  Interesse  möglichster  Verein- 
fachung mancherlei  Eingriffe  gefallen  lassen  müssen,  wie  dies  für  ein 
Schulbuch  ja  nicht  anders  sein  kann.  Im  übrigen  ist  es  dem 
Lehrer  gänzlich  unbenommen,  wie  viel  er  seinen  Schülern  von  dem  System 
bieten  will. 

Neben  den  trockenen,  geistlosen  Beschreibungen  und  einem  Übermaße 
von  Systematik  war  es  die  Terminologie,  die  früher  den  Unterricht  viel- 
fach gänzlich  beherrschte  und  dem  Schüler  die  Natur  oft  geradezu  verleidete. 
Durch  zahlreiche  neuere  Schulbücher,  die  sich  auch  in  anderer  Hinsicht  wesent- 
liche Verdienste  um  die  Fortbildung  der  Methode  erworben  haben,  ist  es  aller- 
dings besser  geworden ;  aber  immer  noch  trifft  man  in  vielen  von  ihnen  „Be- 
schreibungen" ,  die  sich  in  der  Tat  nur  als  eine  —  Anhäufung  botanischer 
Kunstausdrücke  darstellen.  Durch  die  Beschränkung  der  Terminologie  auf  das 
Notwendigste  hoffe  ich  auch  hier  gangbare  Bahnen  betreten  zu  haben.  Im  all- 
gemeinen Teile  ist  der  aus  diesem  Gebiete  früher  erarbeitete  Stoff  gleichfalls 
zusammengestellt  worden.  An  mehreren  Stellen  hat  auch  eine  Erweiterung  des 
Stoffes,  sowie  eine  schärfere  Fassung  der  Begriffe  stattgefunden;  denn  der 
Schüler,  für  den  dieser  Abschnitt  des  Buches  bestimmt  ist,  muß  unbedingt  auch 
imstande  sein,  ein  leichtes  Bestimmungswerk*  mit  Vorteil  zu  gebrauchen.  Be- 
tonen möchte  ich  bei  dieser  Gelegenheit,  daß  den  Bestimmungsübungen, 
die  nicht  selten  als  etwas  sehr  Überflüssiges  betrachtet  werden,  nicht  nur  ein 
ziemlich  hoher  formalbildender  Wert  zukommt,  sondern  daß  eine  gewisse  Arten- 
kenntnis ohne  Zweifel  auch  die  Grundbedingung  für  eine  erfolgreiche  Beschäfti- 
gung mit  der  Pflanzenwelt  ist. 

Wie  in  dem  „Lehrbuche  der  Zoologie"  bin  ich  auch  hier  bezüglich  der 
Abbildungen**  eigene  Wege  gegangen.  Bei  näherem  Zusehen  wird  man  leicht 
finden,  daß  die  Bilder  weit  mehr  sind  als  ein  Mittel,  das  Buch  ansehnlicher 
zu  machen,  sondern  daß  sie  einen  integrierenden  Bestandteil  des  Buches 
selbst  bilden.  Es  gibt  unter  den  vielen  Bildern  allerdings  mehrere,  durch  die 
der  Schüler  den  Naturgegenstand  einfach  kennen  lernen  soll  —  in  dieser  Hinsicht 
dürften  besonders  die  Abbildungen  der  schwierig   zu  bestimmenden  Gräser  dem 


*  Da  es  außerordentlich  wünschenswert  ist,  daß  das  dem  Unterrichte  zugrunde 
liegende  „Lehrbuch"  mit  der  vom  Schüler  gebrauchten  „Flora"  hinsichtlich  des  Systems 
und  der  Nomenklatur  übereinstimmt,  so  bin  ich  in  Gemeinschaft  mit  einem  hervorragen- 
den Kenner  unserer  Pflanzenwelt,  meinem  Freunde  J.  Fitschen-Altona,  z.  '/..  damit  be- 
schäftigt, ein  solches  Büchlein  herauszugeben.  Es  soll  das  Bestimmen  der  Pflanzen  in 
einfachster  und  1  eich  te  st  e  r  Weise  ermöglichen  und  in  einigen  Monaten  erscheinen. 

**  Einige  Abbildungen,  die  für  das  1.  und  2.  Heft  bestimmt  waren,  konnten  leider 
erst  nach  der  Herausgabe  beider  Hefte  fertiggestellt  werden.  Sie  wurden  daher  dem 
allgemeinen  Teile  beigefügt,  was  ich  freundlichst  zu  beachten  bitte. 


VI  Vorwort. 

Lehrer  nicht  unwillkommen  sein!  — ,  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  bringen  sie  aber 
bestimmte,  im  Texte  berührte  Erscheinungen  zur  Darstellung.  So  habe  ich 
z.  B.  durch  die  dem  Bliebe  beigegebenen  Tafeln  versucht,  die  in  Worten  aus- 
gedrückte Schilderung  der  betreffenden  Objekte  gleichsam  in  eindringlicher 
„Bilderschrift"  zu  wiederholen;  ich  bin  —  um  dies  ganz  kurz  auszudrücken  — 
aufs  eifrigste  bestrebt  gewesen,  die  Abbildungen  in  halt  reich  zu  ge- 
stalten und  sie  mit  dem  Texte  in  engste  Verbindung  zu  bringen. 
Daher  darf  ich  wobl  mit  Zuversicht  annehmen,  über  dem  Verdachte  er- 
haben zu  sein,  als  wollte  ich  mich  an  dem  kindlichen  Wettstreite  beteiligen, 
der  mit  großer  Heftigkeit  zwischen  den  Verlegern  und  Verfassern  der  ver- 
schiedenen naturgeschichtlichen  Leitfäden  entbrannt  ist,  und  der  darin  besteht, 
ihren  Büchern  durch  möglichst  viele  Bilder  und  in  jüngster  Zeit  noch  durch 
,,bunte"  Tafeln  einen  erhöhten  Wert  zu  verleihen.  Diese  schmückenden  Bei- 
gaben können  wohl  das  Auge  des  Unkundigen  bestechen,  irgendwelchen  metho- 
dischen Wert  kann  man  ihnen  aber  wegen  der  auffallenden  Inhaltlosigkeit  mit 
dem  besten  Willen  nicht  zuerkennen. 

Bilder  der  Art,  wie  ich  sie  meinem  Buche  gegeben  habe,  sind  —  von 
einigen  wenigen,  die  aus  anderen  Werken  erworben  oder  nach  solchen  gezeichnet 
worden  sind  —  selbstverständlich  nur  Originale,  deren  untrügliche  Vorbilder 
nicht  in  den  „Autoren",  sondern  in  der  Natur  selbst  gesucht  wurden.  Die 
Herstellung  solcher  Abbildungen  ist  allerdings  nicht  nur  viel  mühsamer  und 
zeitraubender  als  die  bekannte  „erbliche"  Übernahme  von  einem  Buche  in  das 
andere  —  man  braucht  oft  nur  ein  neues  Buch  aufzuschlagen,  um  darin  lauter 
alte  Bekannte  zu  ünden!  —  sondern  stellt  auch  an  die  Opferwilligkeit  des. 
Verlegers  ganz  andere  Anforderungen. 

Endlich  sind  die  Bilder  —  wie  ich  zu  meiner  großen  Freude  sagen  kann  — 
von  einem  wirklichen  Künstler  entworfen.  Sie  dürften  daher  wohl  auch 
imstande  sein,  das  künstlerische  Empfinden  der  Schüler  anregen  zu  helfen. 

Und  somit  entlasse  ich  denn  das  Buch  mit  den  Segenswünschen,  mit  denen 
nur  ein  Vater  sein  eigen  Kind  in  die  Welt  senden  kann !  Möge  es  Gutes  stiften 
in  Schule  und  Familie!  Möge  es  dem  Lehrer  die  Arbeit  leicht  machen,  der  Jugend 
Sinn  und  Herz  für  das  Verständnis  und  die  Schönheit  der  Natur  zu  öffnen, 
und  möge  es  alle,  die  Kleinen  und  die  Großen,  hinführen  zu  dem  ewig  frischen 
Quelle  der  Natur,  aus  dem  es  selbst  geschöpft  ist! 

Magdeburg,  den  20.  März  1903. 

Der  Verfasser. 


Inhaltsverzeichnis, 

zugleich 

eine  Übersieht  über  das  dem  Buche  zugrunde  liegende  System. 

Seite 

I.  Hauptabt.    Blüten-  (Hier  Samenpfl.  (Phanerogamae). 

PH.,  die  deutlich  sichtbare  Blüten  besitzen    uml    sich    durch   »Samen    fortpflanzen  1 
I.  Gruppe.    Bedecktsam.  Pft.  (Angiospermae). 

PH.,  deren  Samenknospen  in  einem  Fruchtknoten  eingeschlossen  sind  ....  1 
J.   Klasse.    Zweikeimbl.  Pfl.  oder  Blattkeimer  (Dicotyleae). 

Keimling  mit  2  Keimbl.  ;  Laubbl.    mit    fiederig    oder   fingerig  angeordneten 

Hauptnerven  ;  Blütenteile  meist  in  der  5-  oder  4-Zahl  vorhanden     ...  1 
1.   l'nterkl.    Getrenntblumenhl.  Pfl.  (Choripetalae). 

PH.  in  der  Regel   mit  doppelter  Blutenhülle   (Kelch  und   Blumenblätter 

Blumenblätter  nicht  miteinander  verwachsen 1 

1.  Familie.   Hahnenfußgew.  (Ranunculaceae) 1 

2.  ..          Sauerdorngew.  (Berberideae) 11 

3.  ..          Seerosen  (Nymphaeaceae) 12 

4.  ..         Kreuzbl.  (Cruciferae) 16 

5.  ..          Molingew.  (Papaveraceae) 23 

G. — S.  ..  Erdrauchgew.  (Fumariaceae),  Resedagew.  (Resedaceae)  und 

Hartheugew.  (Hypericaceae).     I.A.:    chines.    Teestrauch  27 

9.          ,.          Veilchengew.  (Violaceae) 2!) 

10.  .  Sonnentaugew.  (Droseraeeae)  und  einige  andere   ..insekten- 

fressende" Pfl 33 

11.  Nelkengew.  (Caryophyllaeeae) 36 

12.  Roßkastaniengew.  (Sapindaceae) •   .  41 

13.  „         Ahorngew.  (Aceraceae) 48 

14.  „          Orangengew.  (Rataceae) 49 

15.  ..          Lindengew.  (Tiliaceae)  u.  nächste  Verwandte 50 

16.  ..          Malvengew.  (Malvaceae).     I.  A. :  Kakaobaum 52 

17.  „          Storchschnabelgew.  (Geraniaceae) 54 

18.  ,.          Sauerkleegew.  (Oxalidaceae) 57 

19.  „          Leingew.  (Linaeeae) 58 

20.  ..          Weinrebengew.  (Vitaceae) 60 

21.  ,.         Wolfsmilchgew.  (Euphorbiaceae) 66 

22.  ,.          Doldengew.  (Umbelliferae) 69 

23.  „         Efeugew.  (Araliaceae) 75 

24.  ..         Dickblattgew.  (Crassulaceae) 78 

25.  ..         Kaktusgew.  (Gactaceae) 80 

26.  ..         Steinbrechgew.  (Saxifragaceae) 81 

27. — 29.         „         Nachtkerzengew.    (Onagraceae),     Weiderichgew.     (Lythra- 

ceae)  u.  Myrtengew.  (Myrtaceae).     I.A.:  Mapgrovebäume  83 


VIII  Inhalt. 

Seite 

30.  Familie.   Rosenartige  Gew.  (Bosaceae) 85 

31.  .         Schmetterlingsblütl.  (Papilionaceae)  u.  nächste  Verwandte      99 
2.  Unterkl.    Verwachsenblnmenbl.  Pfl.  (Sympetalae). 

Pfl.    mit    doppelter  Blutenhülle,    bei    denen    die    Blumenbl.  miteinander 
verwachsen  sind 113 

32.  Familie.   Heidekraotgew.  (Ericaceae) 113 

33.  „         Schlüsselblumenge  u.  (Primulaceae) 120 

34.  .,         Grasnelkengew.  (Plnmbaginaceae) 124 

35.  n.  36.  Ölbaumgew.  (Oleaceae) ,  Enziangew.    (Gentianaceae)    und 

nächste   Verwandte 124 

37.  „         Windengew.  (Convolvnlaceae) 127 

38.  -         Rauhblättr.  Gew.  (Asperifoliaceae) 13o 

39.  _         Nachtschattengew.  (Solanaceae) 135 

40.  ..         Lippenbl.  (Labiatae)  u.  nächste  Verwandte 146 

41.  .  Rachenbl.  (Serophulariaceae)  u.  nächste  Verwandte    .    .  153 

42.  ..         Wegerichgew.  (Plantaginaceae) 159 

43.  ..         Glockenblnmengew.  (Campanulaceae) 160 

44.  „         Kürbisgew.  (Cucurbitaceae) .  .  162 

45.  ..         Labkrautgew.  (Rubiaceae) 168 

46.  „         Geißblattgew.  (Caprifoliaceae) 171 

47.  n.  48.  .  Baldriangew.  (Valerianaeeae)   u.  Kardengew.  (Dipsaceae)  173 

49.  _  Korbblütler  (Compositae) 174 

3.  Unterkl.    Blumenblattlose  Pfl.   (Apetalae) 

Pfl.  mit  einfacher  oder  fehlender  Blütenhülle 190 

50.  Familie.   Becherfrüchtl.  (Cupuliferae)      190 

51.  n.  52.  „         Birkengew.  (Betulaceae)  u.  Walnußgew.  (Juglandaceae)  .     198 

53.  „  Weidengew.  (Salicaceae) 199 

54.  _  Nesselgew.  (Urticaceae) 205 

55.  ..  Hanfgew.  (Cannabinaceae) 207 

56.  u.  57.  _  Maulbeergew.  (Moraceae),  Ulmengew.  (Ulmaceae)  u.  nächste 

Verwandte 208 

58.  „         Mistelgew.  (Loranthaceae) 210 

59.  _         Osterluzeigew.  (Aristolochiaceae) 212 

60.  u  61.  „  Seidelhastgew.  iThymclaeaccae).  Lorbeerii'ew.  (Lauraceae). 

I.  A.:  Muskatnußbaum 213 

62.  „         Knöterichgew.  (Polygonaceae).     I.A.:  Pfefferstrauch  .    .     214 

63.  „         Gänsefußgew.  (Chcnopodiaceae) 216 

2.  Klasse.    Einkeimbl.  I'/l.  oder  Spitzkeimer  (MonocotyUae). 

Keimling  mit  nur  einem  Keimbl.  ;   Lanbbl.  in  der  Regel  mit  parallel  ver- 
laufenden Hanptnerven  ;    Blütenteile  meist  in  der  3-Zahl  vorhanden  .    .    218 

64.  Familie.   Liliengew.  (Liliaceae) 218 

<>5.         „         Binsengew.  (Jnncaceae)      229 

66.  _  Narzissengew.  (Amaryllidaceae)  a.  nächste  Verwandte    .  230 

67.  .  Schwertliliengew.  (Iridaceae) 235 

68.  „  Palmen  (Palmae).      I.A.:    Banane  u.   nächste  Verwandte  238 

69.  „  Arongew.  (Aracea;) 244 


Inhalt.  IX 

Seite 

70.  u.  71.  Familie.  Rohrkolbengew.  (Typhaceae),  Laichkrantgew.  i  Najadaceae)  246 

72.  „         Gräser  (Gramineae) 248 

73.  „         Riedgräser  (Cyperaceae) 271 

74.  „         Knabenkrautgew.  (Orchidaceae) 272 

75.  u.  76.  ,  Froschlöffelgewächse  (Alismaeeae)    u.    Froschbißgewächse 

(Hydrocharidaceae) 278- 

IL  Gruppe.     Nacktsamige  Pfl.  (Gymnospermae). 

Pfl.,  deren  Samenknospen  nicht    in    einem   Fruchtknoten  eingeschlossen   sind. 

sondern  sich  auf  dem  offenen  Frnchtblatte  linden 280 

77.  Familie.   Nadelhölzer  (Coniferae).     I.A.:   Palmfarne 28<> 

2.  Haiiptabt.   Blütenlose-  oder  Sporenpfl.  (Kryptogamae). 

Pfl.,  die  keine  Blüten  besitzen,  u.  .leren  Vermehrung  (vorwieg.)  durch  Sporen  erfolgt  294 

1.  Gruppe.    Farnart.  PH.  oder  Gefäß-Sporenpfl.  (Pteridophyta). 

Pfl.,  die  in  Stengel,  Blätter  u.  Wurzeln  gegliedert  sind  u.  Gefäßbündel  enthalten  294 

1.  Klasse.     Farne  (Filicinae)      294 

2.  Klasse.     Schachtelhalme  (Equhetinac) 304 

3.  Klasse.     Bärlappgew.  (Lycopodinae) 309- 

II.  Gruppe.    Moose  (Bryophyta). 

Pfl.,  die  in  Stengel  und  Blätter  gegliedert  sind  oder  ein  laubartiges  Gebilde 

darstellen,  denen  echte  Wurzeln  und  Gefäßbündel  fehlen 30!> 

1.  Klasse.     Laubmoose  (Musci) 309 

2.  Klasse.     Lebermoose  (Hepaticae)    ....     • 320 

III.  Gruppe.    Lagerpfl.  (Thallophyta). 

Pfl.,  die  nicht  in  Stengel    und  Blätter    gegliedert   sind,    also   ein    sog.  Lager 

darstellen 321 

1.  Kreis.     Algen  (Algae). 

Lagerpfl.,  die  meist  im  Wasser  leben  und  Blattgrün  enthalten 321 

1.  Klasse.     Grünalgen  ( Chlor ophgeeae) 321 

2.  u.  3.  Klasse.     Braunalgen  (Phaeophyceae)  u.  Rotalgen  (Rhodophgceac)      .    .  326 

4.  Klasse.     Kieselalgen  (Diatomaceae) 328 

2.  Kreis.     Pilze  (Fungi). 

Lagerpfl.  ohne  Blattgrün;  Schmarotzer  oder  Fäulnisbewohner 330 

1.  Klasse.     Fadenpilze  (Hyphomycetes) 330 

1.  Unterkl.     Ständerpilze  (Basidiomycetes) 330 

2.  ..  Schlauchpilze  (Ascomycetes) 338 

3.  n.  4.  .,  Rostpilze  (Uredinaceae)  u.  Brandpilze  (Ustilaginaceae)  .    .  34  J 

5.         „  Algenpilze  (Phycomycetes) 345 

2.  Klasse.     Spaltpilze  (Schizomycetes) 346 

3.  Klasse.     Schltimpilze  (Myxomycetes) 352" 

3.  Kreis.     Flechten  (Lichenes). 

Lagerpfl.,  die  aus  Fadenpilzen  u.  Algen  bestehen 353- 


X  Inhalt. 

Vom  Bau  und  Leben  der  Pflanze  (Morphologie  und  Physiologie). 

1.  Abschnitt.  Seite 

Vom  Bau  und  Leben  der  Zelle 357 

A.  Vom  Wesen  u.  von  der  Bedeutung  der  Zelle 357 

B.  Das  Protoplasma  u.  seine  Teile 359 

C.  Die  Zellhaut 363 

D.  Der  ..Zellstaat- 366 

2.  Alischnitt. 
Vom  Bau  und  Lehen  der  einzelnen  Pflanzenteile. 

Die  Grundformen  der  Pflanzen 367 

I.  Vom  Bau  u.  Leben  des  Blattes 368 

1.  Blattarten  u.  Blattstellung 368 

2.  Das  Blatt   als  "Werkzeug   der  Aneignung   oder  Assimilation  der  Nährstoffe  371 

A.  Die  Aneignung  oder  Assimilation  der  Nährstoft'e 371 

B.  Nur  grüne  Pflanzen  u.  Pflanzenteile  assimilieren 376 

C.  Die  Assimilation  erfolgt  nur  im  Lichte 377 

D.  Die  Assimilation  u.  der  feinere  Bau  des  Laubblattes 379 

E.  Welche  organischen  Körper  werden  bei  der  Assimilation  gebildet?  .    .  385 

F.  Die  Wanderung,    Verwendung   u.  Aufspeicherung  der  gebildeten  Stoffe  387 

3.  Das  Blatt  als  Werkzeug  der  Atmung  u.  d.  Atmung  der  Pflanzen  i.  allgemeinen  390 

4.  Das  Blatt  als  Werkzeug  der  Verdunstung  des  Wassers  (od.  der  Transpiration)  393 
II.  Vom  Bau  u.  Leben  der  Wurzel. 

A.  Die  Aufgaben  u.  Hauptformen  der  Wurzel „ 400 

B.  Die  Aufgaben  u.  der  feinere  Bau  der  Wurzel 401 

III.  Vom  Bau  u.  Leben  des  Stammes. 

A.  Aufgabe,  Wachstum  u.  Formen  des  Stammes 408 

B.  Die  Richtung  der  Stämme  u.  Zweige 411 

C.  Der  Bau  des  Stammes  in  seinen  Grundzügen 414 

D.  Die  Gefäßbündel 417 

E.  Leitungsbahnen  im  Stamme 422 

F.  Bekleidung  der  Stämme 425 

G.  Festigkeit  der  Stämme 427 

IV.  Vom  Bau  u.  Leben  der  Blüte. 

A.  Die  Fortpflanzung  u.  die  Blüte 429 

B.  Die  Teile  der  Blüte 431 

C.  Die  Blütenstände 436 

.      D.  Die  Bestäubung  der  Blüte 438 

E.  Die  Befruchtung  der  Blüte      444 

V.  Vom  Banu.  Leben  der  Frucht  u.  des  Samens ■  .  445 

Anhang. 

1.  Über  Pflanzensj-steine •    •    •    •  454 

2.  Über  die  geographische  Verbreitung  der  Pfl 457 


Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik 


Tafel  1. 


Scharbockskraut  (Ficaria  venia). 


1.  Hauptabteilung.  Blüten-  oder  Samenpflanzen 
(Phanerögamae). 

Pflanzen,  die  deutlich  sichtbare  Blüten  besitzen  und  sich  durch  Samen  fortpflanzen. 

I.  Gruppe.     Bedecktsamige  Pflanzen  (Angiospermae). 

Pflanzen,  deren  Samenknospen  in  einen  Fruchtknoten  eingeschlossen  sind. 

1.  Klasse.    Zweikeimblättrige  Pflanzen  oder  Blattkeimer 

(Dicotyleae). 

Keimling  mit  zwei  Keimblättern  (s.  Bohne).     Laubblätter  mit  fiederig  oder  fingerig  an- 
geordneten Hauptnerven.     Blütenteile  meist  in  der  5-  oder  4-Zahl  vorhanden. 

1.  Unterklasse.     Getrenntblumenblättrige  Pflanzen  (Choripetalae). 

Pflanzen    in    der    Regel    mit    doppelter    Blütenhülle    (mit    Kelch    und    Blumenblättern). 
Blumenblätter  sind  nicht  miteinander  verwachsen. 

1.  Familie.     Hahnenfußg-ewächse  (Rammculäceae). 

Blüten  mit  zahlreichen  Staubblättern,  mit  einfacher  oder  doppelter  Blütenhülle  und  meist 
zahlreichen  Fruchtknoten,  die  von  je  einem  Fruchtblatte  gebildet  werden  (s.  Abb.  S.  10). 

1.  Das  Scharbockskraut  (Ficäria  verna).  Taf.  1.*) 
A.  Blütezeit  und  Standort.  1.  Kaum  hat  die  höhersteigende  Sonne  den 
Wintersclmee  geschmolzen,  so  sprießt  auf  nassen  Wiesen,  besonders  aber  unter 
dem  Gebüsch,  als  erster  Frühlingsbote  das  Scharbockskraut  hervor.  Oft  schon 
im  März  bildet  es  saftig  grüne  Teppiche.  Im  Mai  aber  ist  für  die  Pflanze  be- 
reits —  der  Herbst  gekommen:  Die  Blätter  vergilben,  vertrocknen  und  sind 
bald  gänzlich  verschwunden.  Das  Scharbockskraut  ist  also  eine  Pflanze 
des  Vorfrühlings,  die  unter  Gebüsch  und  im  Grase  gedeiht. 

2.  Die  jungen  Pflanzen  kommen  (zu  allermeist)  aus  kleinen  Knollen 
(s.  Absch.  C.)  hervor,  die  den  Winter  überdauert  haben.  Genau  wie  die  junge 
Kartoffelpflanze  (s.  das.)  baut  sich  auch  das  junge  Scharbockskraut  vor  allen  Dingen 
aus  den  Vorratsstoffen  auf,  die  in  der  Knolle  aufgespeichert  sind.     Es  braucht 

*)  Die  im  Text  eingeklammerten  Ziffern  beziehen  sich  hier  und  in  allen  folgenden 
Betrachtungen  auf  die  Figuren  der  beigefügten  Tafel. 

Sclimeil.   Lehrbuch  der  Botanik.  1 


2  Taf.  1.     1.  Fam.  Hahnenfußgewächse. 

sich  also  nicht  erst  Baustoffe  zu  erwerben,  sondern  findet  solche  fertig  vor.  Da 
zudem  die  Knöllchen  bereits  im  Herbst  anfangen  zu  „treiben",  so  vermag  das 
Scharbockskraut  eben  so  früh  im  Jahre  zu  erscheinen.  (Vgl.  mit 
anderen  Frühlingspflanzen  und  solchen  Pflanzen,  die  erst  im  Friihlinge  aus 
Samen  hervorgehen !) 

3.  Im  März  und  April  steht  das  Gebüsch  noch  kahl  da.  Die  Sonnen- 
strahlen, ohne  die  keine  grüne  Pflanze  gedeihen  kann,  vermögen  also  bis  zum 
Erdboden  und  zum  Scharbockskraute  zu  gelangen.  Im  Mai  dagegen  bilden  die 
Blätter  der  Büsche  ein  so  dichtes  Dach,  daß  kaum  noch  ein  Lichtstrahl  den 
Boden  erreicht.  Auf  der  Wiese  ergeht  es  dem  Pflänzchen  ganz  ähnlich:  die 
benachbarten,  vordem  niederen  Gräser  und  Kräuter  sind  emporgeschossen  und 
rauben  ihm  das  Licht.  Darum  muß  das  Scharbockskraut  so  zeitig  im 
Jahre  erscheinen  und  so  zeitig  auch  seine  Lebensarbeit  beendigt 
haben.  (Vgl.  mit  anderen  zeitigen  Frühlingspflanzen!  Beachte,  wie  an  der- 
selben Örtlichkeit  dichtbeschattete  Pflanzen  des  Scharbockskrautes  früher  ver- 
gilben als  freistellende!) 

B.  Stengel  und  Blüten.  1.  Der  junge  Sproß  (6.  u.  7.),  der  bereits  im 
Herbst  aus  den  Knollen  hervorgeht,  hat  die  Form  eines  Keils  und  ist  somit  wohl 
befähigt,  den  Boden  zu  durchbrechen.  Da  er  einen  Mantel  aus  häutigen  farb- 
losen (weil  im  Dunkeln  wachsenden)  Hüllblättern  besitzt,  so  sind  die  zarten 
Teile  im  Innern  gegen  Verletzungen,  die  beim  Durchbohren  der  Erde  ja 
unvermeidlich  wären,  wohl  geschützt.  Hat  der  Sproß  die  Erdoberfläche  erreicht, 
dann  stellen  die  Hüllblättchen  ihr  "Wachstum  ein  (1  u.  8).  Je  tiefer  die  Knollen 
liegen,  desto  länger  sind  daher  auch  die  Hüllblätter.  (Stelle  entsprechende 
Versuche  an!) 

2.  Neben  dem  Scharbockskraut  wächst  bis  zu  beendeter  Blütezeit  keine 
andere  Pflanze,  die  ihm  das  Licht  streitig  machen  könnte.  Der  fleischige,  hohle 
Stengel  erhebt  sich  daher  vielfach  nur  an  der  Spitze  vom  Boden.  Trotzdem 
sind  aber  alle 

3.  Blätter  dem  Lichte  ausgesetzt;  denn  sie  besitzen  sehr  verschiedene 
Größe. 

a)  Die  unteren,  langen  Blattstiele  rücken  ihre  großen  Blattflächen 
weit  vom  Stengel  ab,  so  daß  die  kurzgestielten  und  kleinen  oberen  Blätter  in 
der  Nähe  des  Stengels  genügenden  Platz  finden.  Der  untere,  scheidenartige  Ab- 
schnitt der  Blattstiele  umgibt  schützend  die  jungen,  noch  zusammengefalteten 
Blättchen  (öffne  auch  einen  jungen,  keilförmigen  Sproß!)  und  später  die  in  den 
Blattwinkeln  sich  bildenden  Knollen  (s.  Absch.  C.  2  b). 

b)  Die  herzförmigen  und  meist  gekerbten  Blatt  flächen  sind  fleischig 
und  gänzlich  unbehaart.  Schutzmittel  gegen  eine  zu  starke  Verdunstung  finden 
wir  bei  ihnen  ebensowenig  wie  z.  B.  bei  den  Blättern  des  Windröschens  (s.  S.  7,  c); 
denn  der  Boden,  dem  das  Scharbockskraut  entsprießt,  ist  im  Frühjahre  stets 
feucht.  Zudem  findet  sich  die  Pflanze  immer  truppweis:  sie  beschattet  den 
Boden  und  schützt  ihn  infolgedessen  vor  Austrocknung. 


Scharbockskraut.  .'! 

c)  Die  saftigen  Blätter  müßten  —  so  sollte  man  meinen  —  für  Tiere 
eine  vortreffliche  Nahrung  bilden.  Dem  ist  jedoch  nicht  so.  Selbst  die  ge- 
fräßigen  Schnecken,  die  mit  dem  Scharbockskraute  oft  in  großer  Zahl  dieselbe 
Örtlichkeit  bewohnen,  verschmähen  sie.  Die  Blätter  sowohl,  wie  alle  übrigen 
Teile  der  Pflanzen  sind  nämlich  durch  einen  scharfen  (schwach  giftigen)  Stoff 
geschützt  (kaue  ein  Stück  der  Pflanze!),  wie  folgender  Versuch  lehrt:  Legt 
man  hungernden  Schnecken  frische  Blätter  vor  und  solche,  die  in  Alkohol  aus- 
gelaugt, getrocknet  und  dann  wieder  in  Wasser  ausgewaschen  und  aufgeweicht 
wurden,  so  findet  man,  daß  die  Tiere  letztere  verzehren,  erstere  aber  gänzlich 
anberührt  lassen  oder  doch  nur  wenig  benagen.  —  Früher  wurden  die  Blätter 
als  Heilmittel  gegen  den  Skorbut  oder  Scharbock  benutzt,  d.  i.  eine  Krankheit, 
die  besonders  durch  andauernden  Genuß  von  Pökelfleisch  bei  langen  Seereisen 
die  Schiffer  ergreift  (Name!).  „Feigwurz"  heißt  die  Pflanze,  weil  sie  als  Heil- 
mittel gegen  Feigwarzen  diente,  das  sind  eiternde  Geschwüre  bei  gewissen, 
schlimmen  Erkrankungen. 

C.  Blüte  und  Knollen.  1.  Blüte  (2.)  Ein  meist  dreiblätteriger  Kelch, 
sowie  8  oder  mehr  Blumenblätter  umgeben  die  zahlreichen  Staubblätter  und  die 
gleichfalls  zahlreichen  Stempel.  Jeder  Stempel  besteht 
(s.  Frucht  des  Bittersporns  S.  10!)  aus  einem  einzigen 
Fruchtblatte  (Hahnenfnßblüte).  Die  einsamige  Frucht 
(5  a  u.  b)  öffnet  sich  bei  der  Keife  nicht  (Schließfrucht) ; 
erst  durch  den  hervorbrechenden  Keim  wird  ihre  Hülle 
gesprengt. 

a)  Die  goldgelben,  außen  zum  größten  Teil  firnis- 
glänzenden Blumenblätter  (3.)  lassen  die  Blüte,  die  sich 
stets  ein  Stück  über  das  dunkelgrüne  Blattwerk  erhebt  Grundriß  (Dia- 
(warum?),  wie  einen  leuchtenden  Stern  („Sternblümchen'-)   gramm)  einer  Hahnen- 
erscheinen,   der   die   wiedererwachten   Insekten    zum  fujjblüte.*) 
Besuch  einladet.    Die  Stempel  bilden  meist  den  Anflugs- 
platz, Blütenstaub  (zahlreiche  Staubblätter!)  und  Honig  die  Kost  der  Gäste.    Der 
Honig  findet  sich  am  Grunde  der  Blumenblätter  in  je  einer  kleinen  Grube,   die 
von  einer  Schuppe  bedeckt  ist  (Bedeutung  der  Schuppe?). 

b)  Mit  Beginn  der  Dunkelheit  schließt  sich  die  Blüte  (4):  Kelch  und 
Blumenblätter  neigen  sich  zusammen  und  überdecken  die  inneren  Blütenteile  wie 
ein  Dach.  Auf  diese  Weise  wird  die  Blüte  gegen  zu  großen  Wärmeverlust  und 
das  Bliiteninnere   gegen  Befeuchtung    durch    nächtlichen  Tau  geschützt.     Wenn 

*)  Für  das  Verständnis  der  Blütengrundrisse  sei  folgendes  bemerkt:  Der  Blüten- 
grundritö  besteht  —  wie  z.  B.  in  dem  Diagramm  der  Rapsblüte  (S.  18)  deutlich  zu  sehen  — 
in  der  Regel  aus  5  konzentrischen  Kreisen.  Auf  dem  1.  Kreise  liegen  die  Kelchblätter 
(schraffiert),  auf  dem  2.  die  Blumenblätter  (schwarz),  auf  dem  3.  und  4.  die  Staub- 
blätter (an  der  Form  kenntlich)  und  auf  dem  5.  der  Fruchtknoten  mit  den  Samenanlagen. 
(In  der  EahnenfuIJblüte  sind  die  Staubblätter  in  einer  Spirale  angeordnet  und  mehrere 
Fruchtknoten  vorhanden.) 


4  1.  Farn.  Hahnenfußgewäehse. 

wir  bedenken,  daß  es  ohne  Wärme  kein  Pflanzenleben  gibt  (Beweis!),  daß  die 
Blüten  sehr  zarte  Gebilde  sind,  daß  es  nachts  jetzt  oft  noch  empfindlich  kalt 
ist,  und  daß  der  Blütenstaub  durch  Befeuchtung-  leicht  verdirbt:  so  wird  uns 
die  Wichtigkeit  dieser  Einrichtung  wohl  verständlich.  Da  die  Kelchblätter  auf 
der  Rückseite  grünlich  und  die  Blumenblätter  daselbst  ohne  Glanz  sind,  erscheint 
die  Blüte  jetzt  ganz  unauffällig!  Und  das  ist  durchaus  kein  Nachteil  für  dir 
Pflanze;  denn  die  wärmeliebenden  Insekten  haben  sich  in  sicherem  Schlupfwinkel 
gleichfalls  zur  Ruhe  begeben.  Bei  unfreundlichem  Wetter  bleiben  die  Blüten 
auch  tagsüber  geschlossen. 

2.  Knollen.  Die  Anzahl  der  blütenbesuchenden  Insekten  ist  im  März 
und  April  weit  geringer  als  in  den  wärmeren  Monaten.  Daher  unterbleibt  beim 
Scharbockskraut  auch  vielfach  die  Bestäubung.  Aber  auch  wenn  die  Blüten  von 
zahlreichen  Insekten  besucht  werden,  setzen  sie  doch  nur  selten  Früchte  an:  Die 
Pflanze  rettet  sich  meist  —  wie  wir  bereits  oben  gesehen  haben  —  mit 
Hilfe  von   Knollen   in   das   nächste   Jahr  hinüber. 

a)  Die  keulenförmigen  Wurzelknollen  sind  verdickte  Wurzelfasern,  die 
zumeist  in  einem  Büschelchen  vereinigt  bleuten.  Wie  aus  der  „alten"  Kartoffel 
(s.  das.)  baut  sich  aus  den  Vorratsstoffen,  die  in  den  Wurzelknollen  aufgespeichert 
sind,  die  junge  Pflanze  auf.  Infolgedessen  schrumpfen  die  „alten"  Knollen  immer 
mehr  zusammen,  bis  sie  endlich  gänzlich  verschwinden.  Unterdes  aber  haben  die 
Blätter  neuen  Baustoff  bereitet.  Er  wandert  nach  abwärts  und  wird  in  neuen 
Wurzelkuollcn  aufgesammelt,  die  sich  am  unteren  Ende  des  Stengels  bilden. 

b)  Die  Vorratsstoffe  lagert  die  Pflanze  noch  an  einer  anderen  Stelle  ab: 
In  den  Blattwinkeln  entstehen  schmutziggelbe  Knospen,  die  gleichfalls  die  Form 
von  Knollen  haben  und  Weizenkörnern  entfernt  ähnlich  sind  (1).  Da  aus  ihnen  im 
nächsten  Jahre  auch  Pflänzchen  hervorgehen,  werden  sie  als  Brutknospen 
oder  Brutknollen  bezeichnet.  Nach  dem  Absterben  der  Pflanze  findet  man 
sie  oft  in  großen  Mengen  am  Boden  liegen  („Himmelsgerste",  Sage  vom  Ge- 
treideregen). Durch  Regengüsse  werden  sie  oft  weithin  verschwemmt,  dienen 
daher  auch  der  Verbreitung  der  Pflanze. 

Die  nächsten  Verwandten  des  Scharbockskrautes 
haben  im  wesentlichen  den  gleichen  Blüten-  und  Fruchtbau.  Sie  besitzen  aber  5  Kelch- 
nnd  Blumenblätter.  In  sehr  wechselvoller  Gestalt  und  als  Bewohnerin  der  verschiedensten 
Ortlichkeiten  tritt  uns  die  Gattung  Hahnenfug  (Ranünculus)  entgegen.  Mit  Tausenden 
gelber,  leuchtender  Blüten  überstreut  der  scharfe  Hahnenfug  (R.  acer)  im  Frühjahre 
unsere  Wiesen.  Bei  Eintritt  der  Dunkelheit  sind  die  Blüten  aber  wie  verschwunden : 
sie  haben  sich  nicht  nur  wie  die  des  Scharbockskrautes  geschlossen,  sondern  sind  auch 
infolge  der  Krümmung  ihrer  Stiele  mehr  oder  weniger  nickend  geworden.  (Beachte  dar- 
aufhin auch  die  anderen  Hahnenfußarten!)  Durch  einen  scharfen,  giftigen  Stoff  (Name!)  ist 
die  Pflanze  gleich  den  meisten  anderen  Hahnenfußgewächsen  gegen  Tierfraß  geschützt. 
Im  Heu  dagegen  wird  sie  von  den  Weidetieren  verzehrt,  weil  der  Giftstoff  durch  Trock- 
nen verloren  geht.  Durch  den  runden  (ungefurchten,  Blütenstiel  unterscheidet  sich  der 
scharfe  Hahnenfuß  leicht  von  den  beiden  sehr  ähnlichen  und  gleichfalls  überall  häufigen 


Scharbockskraut  und  seine  nächsten  Verwandten. 

Arten,  dem  knolligen  und  dem  kriechenden  Hahnenfug  (lt.  bulbösus  und  repens),  die 

beide  gefurchte  Blütenstiele  besitzen.  Wie  schon  die  Namen  andeuten,  ist  erster» 
an  der  knolligen  Anschwellung  des  Stengelgrundes  (Vorratsspeicher!)  und  letztere  an 
den  langen  Ausläufern  leicht  zu  erkennen.  —  An  Gewässern  and  auf  feuchten  Wiesen 
findet  sieh  die  giftigste  Art,  der  Gifthalnienfnfj  (R.  scelerätus),  eine  bis  1  m  hohe, 
stark  verzweigte  und  saftige  Pflanze  mi1  vielen  kleinen  Blüten.  —  Mehrere  Hahnenfuß- 
arten sind  auch  die  Stammeltern  der  als  Gartenzierpflanze  bekannten  „Goldknöpfchcn". 
Der  Wasser-Hahnenfuß  (Baträehium  aquätile)  ist  ein  bekannter  Bewohner  unserer 
stehenden  und  langsam  fließenden  Gewässer.  Durch  zahlreiche  Wurzeln  ist  er  im  schlam- 
migen Grunde  verankert,  und  den  Wasserspiegel  überstreut  er  oft  auf  weite  Strecken 
hin  mit  zarten,  weißen  Blütensternen.     Seine  Stengel,  die  gleich  den  Blättern  außerhalb 


--^- 


wk 


Wasser-Hahnenfnß  L    dessen  „Landform"   (lj2  nat,  Gr.). 

des  Wassers  kraftlos  zusammenfallen,  sind  wie  die  Blattstiele  der  Seerose  (vgl.  beide 
Pflanzen  auch  nach  anderen  Punkten!)  von  Luftkanälen  durchzogen,  so  daß  sie  vom 
Wasser  getragen  werden  (darum  können  sie  auch  so  lange  Seitenzweige  treiben!),  und 
auf  der  Wasseroberfläche  breitet  er  meist  zarte  Schwimmblätter  aus,  die  alle  Eigenschaften 
der  Seerosenblätter  besitzen.  Durch  die  haarförmig  zerteilten,  untergetauchten  Blätter, 
die  sich  bei  zahlreichen  anderen  Wasserpflanzen  wiederfinden  (Beweis!),  unterscheidet 
sich  der  Hahnenfuß  aber  wesentlich  von  der  Seerose.  Welche  Bedeutung  diese  eigen- 
tümliche Blattform  hat,  ist  leicht  einzusehen,  wenn  man  folgendes  beachtet:  Schneidet 
man  einen  Zweig  der  Pflanze  ab,  so  wächst  er  weiter,  auch  wenn  er  keine  Wurzeln  be- 
sitzt, ein  Zeichen,  daß  die  Nahrungsaufnahme  nicht  durch  die  Wurzeln  stattfindet. 
Sie  erfolgt  vielmehr  durch  die  zarte  Oberhaut  der  Stengel  und  Blätter  und  wird  um  so 
erfolgreicher  sein,  je  größer  die  Oberfläche  dieser  Teile  ist.  Ferner:  im  Wasser  herrscht 
ein  gedämpftes  Licht,  und  in  ihm  ist  nur  eine  geringe  Menge  von  atmosphärischer 
Luft    gelöst,    deren    Sauerstoff   von    der    Pflanze    eingeatmet    wird.     Je    größer   aber   die 


6  Taf.  2.     1.  Farn.  Hahnenfoßgewächse. 

Oberfläche  der  Pflanze  ist,  desto  erfolgreicher  kann  auf  sie  das  Licht  wirken,  und  desto 
lebhafter  wird  auch  die  Atmung;  sein.  Da  nun  stark  zerteilte  Blätter  eine  größere  Ober- 
fläche besitzen  als  ungeteilte  von  gleicher  Blattmasse  (schneide  ein  scheibenförmiges  Stück 
einer  Kartoffelknolle  in  Streifen  und  beachte,  wie  sich  die  Oberfläche  vergrößert!),  so  leuchtet 
die  Bedeutung  dieser  Blattform  für  untergetauchte  Blätter  ohne  weiteres  ein.  Endlich 
wird  auch  ein  solches  Blatt  durch  die  Bewegungen  des  Wassers  bei  weitem  nicht  so 
Leicht  zerrissen,  wie  ein  ungeteiltes.  Die  schwimmenden  Blätter  dagegen,  die  mit  jeder 
Welle  auf  und  niedersteigen,  bedürfen  wie  die  Seurosenblätter  eines  solches  Schutzmittels 
nicht.  —  In  fließendem  Wasser  nimmt  die  Pflanze  oft  ein  verändertes  Aussehen  an: 
sie  bildet  gewöhnlich  keine  Schwimmblätter;  die  Stengel  sind  lang  und  riemenförmig 
und  die  Blattzipfel  stark  verlängert  und  fast  parallel  laufend.  (Erkläre  diese  „An- 
passungserseheinungen''  !)  —  Versiegt  das  Gewässer,  so  stirbt  der  Wasser- Hahnenfuß 
nicht:  Die  zarten  Blätter  gehen  freilich  zu  Grunde;  aus  den  Blattwinkeln  aber  wachsen 
kurze,  kräftige  Stengel  hervor,  an  denen  zwar  auch  zerteilte,  jedoch  weit  dickere  und 
steifere  Blätter  hervorsprossen.  Eine  gleiche  Veränderung  ist  auch  an  solchen  Teilen 
der  Pflanze  zu  beobachten,  die  über  das  Wasser  ragen  oder  auf  das  Trockene  geraten. 
Diese  „Landforrn"  wird  von  der  Winterkälte  getötet,  während  die  „Wasserform"  über- 
wintert (s.  Seerose). 

2.  Das  Busch -Windröschen  (Anemone  nemorosa).     Taf.  2. 

1.  Standort  und  Blütezeit.  Die  Pflanze  bewohnt  den  laubbedeckten 
Boden  in  Busch  (Name!)  und  Wald.  Sie  blüht  daher  wie  das  Scharbocks- 
kraut zeitig-  im  Jahre  (April  und  Mai  —  „Osterblume")  und  stirbt  mit  Eintritt 
des  Sommers  ab.  Da  sie  aber  das  dichteste  Gebüsch,  also  den  tiefsten  Waldes- 
schatten meidet,  so  kann  sie  auch  etwas  später  als  jene  Pflanze  erscheinen  und 
auch  später  wieder  vom  Schauplatze  abtreten;  denn  an  ihren  Standorten  dringen 
die  Lichtstrahlen  auch  später  im  Jahre  noch  bis  zum  Boden  hinab.  Das  früh- 
zeitige Erscheinen  wird  wie  bei  dem  Scharbockskraut  durch  das  Vorhandensein 
eines  Vorratsspeichers  bedingt.     Es  ist  dies 

2.  der  unterirdische  Stamm,  der  Wurzelstock,  der  von  der  Laubdecke 
wohl  geschützt  den  Winter  überdauerte.  Er  ist  federkieldick,  von  brauner  Farbe 
und  liegt  wagerecht  im  Boden,  in  den  er  zahlreiche  Wurzeln  sendet.  Gräbt  man 
ihn  im  Herbst  aus,  so  findet  man  an  einem  seiner  beiden  Enden  bereits  den 
jungen  Trieb,  an  dem  alle  oberirdischen  Teile  schon  zu  erkennen  sind  (s.  w.  u.), 
eine  Tatsache,  die  das  frühzeitige  Erscheinen  der  Pflanze  noch  mehr  erklärlich 
macht.  An  der  Stelle,  an  der  sich  der  Trieb  erhebt,  findet  sich  außerdem  eine  von 
weißen  Blättchen  umgebene  Endknospe.  Untersucht  man  den  Wurzelstock  zu  oder 
—  noch  besser  — ■  nach  der  Blütezeit  wieder,  dann  sieht  man,  wie  diese  Knospe 
durch  fortgesetztes  Wachstum  den  Wurzelstock  über  jenen  Punkt  hinaus  verlängert 
hat  (genau,  wie  dies  an  wachsenden  oberirdischen  Stämmen  geschieht):  der  Wurzel- 
stock verjüngt  sich  beständig  in  dem  Maße,  in  dem  er  am  Hinterende  abstirbt.  Die 
Pflanze  wandert  also  langsam  weiter  und  gelangt  somit  fortgesetzt  in  einen  Boden, 
dem  sie  die  nährenden  Bestandteile  noch  nicht  entzogen  hat.  Die  weißen  Hüll- 
blättchen schützen  die  im  Boden  allmählich  vordringende  Knospe  vor  Verletzungen. 


Schmal,   Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  2. 


Busch -Windröschen  (Anemone  nemorosa). 


Busch -Windröschen.  7 

Haben  sie  ihre  Aufgabe  erfüllt,  dann  sterben  sie  ab,  Narben  am  Wurzolstorke 
zurücklassend.  Durch  seitliche  Knospen  entstehen  am  Wurzelstocke  Zweige  (genau 
wie  an  den  oberirdischen  Stämmen).  Stirbt  der  Wurzelstock  an  der  Verzwei- 
gungsstelle ab,  so  wird  der  Zweig  selbständig.  Die  Verzweigung  ist  hier  also 
ein  Mittel  der  Vermehrung,  und  zwar  ein  außerordentlich  wichtiges,  weil 
die  Pflanze  wie  das  Scharbockskraut  nur  selten  Früchte  hervorbringt. 

3.  Die  zarte  Blüte,  die  fast  das  Aussehen  eines  Röschens  hat,  und  schon 
beim  leisesten  Winde  hin  und  herschaukelt  („Windröschen"),  stellt  am  Ende 
eines  langen  Stieles.  Wir  finden  an  ihr,  sowie  an  der  Frucht  (3.)  die  Verhält- 
nisse des  Scharbockskrautes  wieder  (Beweis!).  Sie  hat  aber  eine  einfache  Bluten- 
hülle, die  aus  sechs  weißen  und  außen  oft  rötlich  angehauchten  (1.  und  2.) 
Blättern  besteht.  Da  ihr  der  Honig  fehlt,  sind  die  besuchenden  Insekten  allein 
auf  den  Blütenstaub  angewiesen  (zahlreiche  Staubblätter!  vgl.  auch  mit  Klatsch- 
mohn!) Nachts  und  bei  regnerischem  Wetter  schließt  sich  die  Blüte  wie  die 
des  Scharbockskrautes.  Durch  Krümmung  des  Blütenstiels  neigt  sie  sich  aber 
seitwärts.  —  An  dem  Blütenstiele  ünden  sich  stets  drei  mehrfach  geteilte,  grüne 

4.  Blätter.  Untersucht  man  die  Pflanze  im  Herbst,  so  sieht  man,  wie 
diese  noch  sehr  kleinen  und  blassen  Gebilde  die  winzige  Blüte  schützend  um- 
hüllen. Man  bezeichnet  sie  daher  als  Hüllblätter.  Das  einzige,  den  Hüll- 
blättern sehr  ähnliche  eigentliche  Blatt  entspringt  mit  einem  langen  Stiele 
neben  dem  Blütenstiele  oder  an  einer  Verzweigung  des  WTurzelstockes  oder  fehlt 
auch  gänzlich.     Es    ist   im  Herbste  gleichfalls   schon  in  der  Anlage  vorhanden. 

a)  Sind  denn  aber  —  so  muß  man  sich  fragen  —  die  zarten ,  zerteilten 
Blattflächen  und  die  noch  zarteren  Blüten  imstande,  den  Erdboden  zu  durch- 
brechen, ohne  sich  dabei  stark  zu  verletzen?  Sie  wären  es  sicher  nicht,  wenn 
ihnen  hierbei  nicht  eine  Einrichtung  zu  Hilfe  käme,  die  wir  beim  Bohnen- 
keimling  wiederfinden :  Die  Stiele  krümmen  sich  stark  nach  oben,  so  daß  sie 
gleichsam  Erdbrecher  darstellen.  Bei  fortgesetztem  Wachstum  heben  sie  infolge- 
dessen die  Erde  empor,  so  daß  dieselbe  schließlich  auseinanderbricht. 

b)  Zum  Windröschen  können  —  zumal  wenn  die  Bäume  belaubt  sind  — 
Lichtstrahlen  nur  in  beschränktem  Maße  gelangen.  Je  größer  aber  die  Blätter 
sind,  desto  mehr  Lichtstrahlen  vermögen  sie  aufzufangen,  und  je  dünner  sie 
sind,  desto  besser  können  sie  durchleuchtet  werden.  Das  Windröschen  besitzt 
darum  verhältnismäßig  große   und    dünne   Blätter. 

c)  Pflückt  man  Windröschen  zum  Strauße,  so  welken  sie  viel  schneller 
als  Pflanzen,  die  auf  dem  Felde  oder  gar  an  öden  Stellen  wachsen.  Wie  er- 
klärt sich  diese  Erscheinung?  Da  der  Boden  des  Laubwaldes  stets  reich  an 
Feuchtigkeit  ist,  braucht  das  Windröschen  mit  dem  Wasser  nicht  haushälterisch 
umzugehen.  Es  bedarf  daher  auch  aller  der  Ausrüstungen  nicht,  die  zahlreiche 
andere  Pflanzen  besitzen  ,  um  die  Verdunstung  einzuschränken :  es  seien  nur 
genannt  die  Behaarung,  die  starke  Oberhaut  und  die  Kleinheit  der  Blattflächen 
(s.  z.  B.  Königskerze  und  Mauerpfeffer).  Das  Windröschen  besitzt  daher  nicht 
nur.    wie    erwähnt,    verhältnismäßig    große    Blätter,    sondern    diese 


Fam.     Halmen  fußgewächse. 


1 


Kuhsehelle  (wenig  verkl.).  Die  oberirdischen 
Teile  der  abgebildeten  Pflanze  waren  7  cm  boch; 
die  (bier  des  Raumes  wegen  abgescbnittene)Wurzel 
dagegen  maß  48  cm.    Daneben:  Frucbtstand. 


sind  auch  wie 
alle  anderen 
Teile  derPflanze 
nur  sehr  ge- 
ring behaart 
und  außer- 
ordentlich 
z  a  r  t,  (Ganz 
ähnliche  Blätter 
haben  darum 
auch  Lerchen- 
sporn, Einbeere, 
Frühlingsplatt- 
erbse und  zahl- 
reiche andere 
Waldpflanzen.) 


Die  nächsten  Verwandten   des  Windröschens. 

In  der  Gesellschaft  des  Busch-Windröschens  findet  sich  viel- 
fach das  ganz  ähnliche  gelbblühende  Windröschen  (A.  ranuncu- 
loides).  —  Trockenere  Laubwälder  als  beide  bewohnt  die  freundliche 
Leberblume  (Hepätica  triloba).  Die  Hüllblätter  der  prächtig  blauen 
Blüten  haben  ganz  die  Stellung  und  das  Aussehen  eines  wirk- 
lichen Kelches.  (Beweis !  Beachte,  wie  die  Blumenblätter  mit  den 
Staubblättern  wachsen  und  wie  sich  die  Blüte  abends  schließt  und 
nickend  wird !  Bedeutung  dieser  Erscheinungen  ?)  Während  des 
Blüliens  kommen  auch  die  eingerollten  und  stark  behaarten  jungen 
Blätter  zum  Vorschein  (Bedeutung  dieser  Eigenschaften  ?).  Da  die 
Blätter  erst  im  nächsten  Frühjahre  absterben,  sind  sie  lederartig 
wie  bei  dem  Epheu  (s.  das).  Früher  wurden  sie,  weil  sie  die  Form 
einer  Leber  haben,  als  Heilmittel  gegen  Leberleiden  benutzt  (Name!). 
—  Eine  Bewohnerin  sonniger  Hügel  und  lichter  Kiefernwälder  ist 
die  Kuhschelle  (Pulsatilla  pratensis),  die  ihres  giftigen  Saftes  wegen 
(Schutzmittel  gegen  Weidetiere  I)  in  der  Medizin  verwendet  wird. 
Infolge  der  außerordentlich  tiefgehenden  Wurzel,  der  seidenartigen 
Behaarung  und  der  Zerteilung  der  Blattflächen  vermag  sie  der 
Wasserarmut  ihrer  Standorte  zu  trotzen.  Die  hängende,  dunkelviolette 
Blüte  gleicht  einem  Glöckchen  (Name !  —  Aus  Kühchenschelle  ist 
Küchenschelle  geworden !).  '  Die  Früchte  besitzen  je  einen  langen, 
federigen  Anhang  (der  verlängerte  Griffel)  und  können  infolge- 
dessen durch  den  Wind  leicht  verweht  werden.  —  Dieselbe  Flug- 
ausrüstung finden  wir  bei  den  Früchten  der  Waldrebe  (Clematis 
vitälba).  Die  Pflanze  ist  eine  der  wenigen  Lianen  unserer  heimat- 
lichen Wälder  (fehlt  aber  im  Norden  und  Osten  Deutschlands).  Als 
Kletterwerkzeug  dienen  die  Stiele  der  gefiederten  Blätter.    Sie  werden 


Nächste  Verwandte  des  "Windröschens.     Sumpfdotterblume.  9 

wie  Ranken  um  andere  Gegenstände  geschlungen,  und  verholzen  und  verdicken  an 
der  betreffenden  Stelle  (vgl.  mit  Weinstock!).  Des  Klettervermögens  wegen  benutzt 
man  die  Pflanze,  obgleich  sie  nur  kleine,  weiße  Blüten  besitzt,  gern  zur  Bekleidung 
von  Lauben  und  dergl.  Die  vielfach  angepflanzten  großblumigen  Waldreben  sind  süd- 
europäische Arten. 

Ü.  Die  Sumpfdotterblume  (Caltha  palustris). 

A.  Wie  sie  grünt.  Im  Sumpfe  (Name!),  auf  feuchten  Wiesen,  an  den 
Rändern  von  Gräben  und  Bächen,  kurz  an  wasserreichen  Ortlichkeiten  ist  die 
allbekannte  Dotterblume  anzutreffen.  Diese  Stellen  fliehen  die  meisten  Pflanzen. 
Man  wird  daher  bei  der  Dotterblume  sicher  zahlreiche  Einrichtungen  finden, 
die   dem   Leben   im    Sumpfe   entsprechen. 

1.  Da  ihr  Wasser  stets  im  Überfluß  zur  Verfügung  steht,  braucht  sie 
wie  Pflanzen  trockener  Standorte  (z.  B.  Kuhschelle)  die  Wurzeln  nicht  tief  in 
die  Erde  zu  senken.  Die  Wurzeln  breiten  sich  daher  nur  in  der  obersten  Boden- 
schicht aus.  Um  in  dem  oft  sehr  weichen  Grunde  aber  Halt  zu  gewinnen,  muß 
die  Pflanze  stark  verankert  sein.  Daher  strahlen  von  dem  kurzen,  unterirdischen 
Stamme  (Wurzelstocke)  auch  zahlreiche,  strangartige  Wurzeln  nach  allen 
Seiten  aus. 

2.  Im  Gegensatz  zu  vielen  „dürren"  Pflanzen  trockener  Standorte  (s.  aber 
Mauerpfeffer)  sind  bei  der  Dotterblume  ferner  alle  grünen  Teile  saftstrotzend, 
fleischig.  Und  von  den  zahlreichen  Mitteln,  durch  die  sich  diese  Pflanzen 
gegen  eine  zu  starke  Ausdünstung  des  eingesogenen  Wassers  schützen ,  finden 
wir  hier  (wie  beim  Windröschen;  s.  S.  7,  c)  nichts.  So  ist  die  Dotterblume 
z.  B.  an  allen  ihren  Teilen  völlig   unbehaart  und  im  Besitz 

3.  sehr  großer  Blätter.  Die  nierenförmigen  und  meist  schwach  ge- 
kerbten Blattflächen  werden  (wie  beim  Scharbockskraute)  von  sehr  verschieden 
langen  Stielen  getragen;  je  weiter  oben  sie  an  dem  hohlen  Stengel  stehen,  desto 
kürzer  sind  sie  gestielt.  Die  längsten  Stiele  besitzen  die  großen  Blätter,  die 
direkt  aus  dem  Wurzelstocke  entspringen.  Infolge  dieser  Einrichtung  beschatten 
die  oberen  Blätter  die  unteren  nicht,  so  daß  alle  der  belebenden  Sonnenstrahlen 
teilhaftig  werden.  Die  rinnigen  Blattstiele  sind  nach  dem  Stengel  zu  stark  ver- 
breitert und  umfassen  ihn  wie  eine  Scheide.  Betrachtet  man  die  Pflanze  in 
ihrer  Entwicklung,  so  sieht  man,  daß  die  scheidenförmigen  Abschnitte  der  Blatt- 
stiele Schutzhüllen  für  die  zarten,  jungen  Teile  sind.  (Vgl.  nach  den  angegebenen 
Punkten  die  anderen  dir  bekannten  Pflanzen  feuchter  Stellen  und  des  Sumpfes ! ) 

B.  Wie  sie  blüht.  1.  Zur  Frühlingszeit  entfalten  sich  an  der  Pflanze 
zahlreiche  „Hahnenfußblüte  n",  die  gleich  der  des  Windröschens  eine  einfache 
Blutenhülle  besitzen.  Infolge  der  Größe  und  dottergelben  Farbe  der  5  Blätter 
(Name!  Daher  auch  Butterblume!)  leuchten  die  Blüten  weithin  und  locken 
zahlreiche  Insekten  zur  Bestäubung  herbei.  Der  Honig  wird  in  je  einer  Ver- 
tiefung zu  beiden  Seiten  der  zahlreichen  Fruchknoten  abgeschieden. 

2.  Solange  sich  die  Blüte  im  Knospe  nzustan de  befand,  Stempel  und 
Staubblätter  also  noch  nicht  völlig  entwickelt  waren,  solange  konnten  auch  die 


10 


1.  Fam.  Hahnenfußgewächse.    2.  Fatn.  Sauerdorngewächse. 


Insekten  der  Pflanze  jenen  wichtigen  Dienst  nicht  erweisen.  Darum  war  bis 
dahin  in  der  Blüte  kein  Honig  zu  rinden,  und  die  Blütenhülle,  welche  die  zarten, 
inneren  Organe  noch  schützend  umgab,  war  unscheinbar  grün  gefärbt.  —  Die  ge- 
schlossenen Blütenknospen  werden  in  Essig  eingelegt  und  als  „deutsche  Kapern" 
verspeist.  (Die  „echten"  Kapern  sind  die  Blütenknospen  des  Kapernstrauchs 
[Cäpparis  spinösa],  der  in  Südeuropa  und  Nordafrika  gedeiht.) 

3.  Ist  die  Bestäubung  vollzogen,  so  versiegt  der  Honigquell  und  die  nutz- 
los gewordenen  Blumenblätter  fallen  ab.  Die  nunmehr  sich  ausbildenden  Früchte 
besitzen  gleich  denen  der  nächsten  Verwandten  (s.  w.  u.)  zahlreiche  Samen. 
Würden  die  Samen  sämtlich  in  der  Fruchthülle  zu  keimen  beginnen,  wie  dies 
bei  den  bisher  betrachteten  Halmenfnßarten  geschieht,  so  würden  die  jungen 
Pflänzchen  auf  einem  Trupp  zusammenstehen  und  sich  gegenseitig  Licht,  Nah- 
rung und  Platz  streitig  machen.  Die  Früchte  können  daher  nicht  Schließ- 
früchte sein  wie  die  jener  Arten:  sie  müssen  sich  öffnen,  so  daß  die  Samen 
verstreut  werden  können  (Springfrüchte).  Das  Öffnen  geschieht  beim  Austrocknen 
der  Fruchthülle  durch  einen  Längsriß. 

Die  nächsten  Verwandten  der  Sumpfdotterblume. 
Der  Feld-Rittersporn  (Delphinium  consülida)  zählt  zu  den  bekanntesten  Acker- 
unkräutern,    seine    azurblaue    Blüte    aber   zu   den  schönsten  Feldblumen.     Während  zur 
Erntezeit  die  Sense  alle  größeren  Ackerpflanzen  tötet,  bleibt  der  Rittersporn  am  Leben: 

er  treibt  aus  dem  Stumpfe  des  Stengels  von 
neuem  Seitenzweige  und  blüht  bis  in  den 
Herbst  hinein.  Vermöge  der  langen  Pfahl- 
wurzel und  der  winzigen,  verteilten  Blatt- 
flächen vermag  er  diese  trockenste  Zeit  des 
Jahres  leicht  zu  überstehen  (vgl.  mit  an- 
deren Trockenlandpfianzen).  Die  Blumen- 
blätter (B.)  sind  zu  einem  kleinen,  helm- 
artigen Gebilde  verwachsen,  das  den  Blüten- 
staub gegen  Tau  und  Regen  schützt  und  am 
Hinterende  einen  Honigsporn  (Name!)  trägt. 
Die  Anlockung  der  Insekten  ist  in  erster  Linie 
dem  weit  größeren  Kelche  (K.)  übertragen, 
der  daher  gleichfalls  gefärbt  ist.  Sein  oberes 
Blatt  ist  in  einen  langen  Sporn  ausgezogen, 
der  den  Honigsporn  wie  eine  Scheide  schützend 
umgiebt.  Da  der  Honig  tief  geborgen  ist,  so 
vermögen  nur  langrüsselige  Insekten  his  zu 
ihm  vorzudringen.  In  jüngeren  Blüten,  in 
denen  die  Staubblätter  den  einzig  vorhandenen 
Stempel  noch  gänzlich  umhüllen,  stehen  die 
Staubbeutel  vor  der  Öffnung  des  Sporns.  In 
älteren  Blüten  dagegen  nimmt  die  nunmehr 
reife  und  freistehende  Narbe  diese  Stelle  ein. 
Es    kann    daher    nicht    ausbleiben ,    daß    das 


> 


> 


Feld-Rittersporn:  1.  Blüte  mit  reifen 
Staubblättern.  K.  Kelchblätter.  B.  Die 
verwachsenen  Blumenblätter.  2.  Blüte  mit 
reifer  Narbe.  Fr.  Frucht ;  der  "Wind  hat 
einige    Samen    ausgeschüttelt,    (nat.   Gr.). 


Sumpfdotterblume  und  seine  nächsten  Verwandten.     Sauerdorn. 


II 


saugende  Insekt  Blütenstaub  jüngerer  Blüten  zur  Narbe  älterer  trägt,  also  Fremdbestäubung 
herbeiführt.  Vor  allen  Dingen  ist  es  die  Gartenhummel,  die  der  Pflanze  diesen  Dienst 
erweist.  —  Ganz  ähnlich  erfolgt  die  Bestäubung,  und  zwar  gleichfalls  ausschließlich  durch 
Hammeln,  bei  zwei  bekannten  Gartenpflanzen,  der  Akelei  (Auuilegia  vulgaris)  und  dem 
Sturmhat  (Aconitum  napellas).  Die  Akelei  oder  „falsche  Glockenblume"  (warum?)  kommt 
wild  hier  und  da  auch  in  Wäldern  vor.  Die  Heimat  des  Sturmhuts,  dessen  sehr  scharfes 
Gift  in  der  Heilkunde  Verwendung  findet,  sind  die  Alpen,  sowie  die  Gebirge  Süd-  und 
Mitteldeutschlands.  —  Von  dorther  stammt  auch  die  vielfach  in  Gärten  angepflanzte 
schwarze  Nieswurz  (Helleboras  niger),  so  genannt,  weil  ihre  schwarze  Wurzel  im 
gepulverten  Zustande  Niesen  erregt.  Mitten  im  Winter  entfaltet  die  Pflanze  ihre  präch- 
tigen, schneeweißen  Blüten  („Schnee-  oder  Christrose"),  in  denen  sich  ein  Kranz  zier- 
lichster, tütenförmiger  Honigbehälter  (d.  s.  die  umgewandelten  Blumenblätter)  findet. 
(Reschreibe  die  interessanten  Blüten  der  letztgenannten  Pflanzen  näher  und  verfolge 
ihre  Bestäubung!)  —  Auch  die  in  unsern  Gärten  meist  mit  gefüllten  Blüten  gezogenen 
Pfingstrosen  (Paeönia)  sind  Hahnenfußgewächse  (Name!). 

Als  weitläufige  Verwandte  der  betrachteten  Pflanzen  wären  der  Tulpen- 
baum  (Liriodendron  tulipifera)  und  die  prächtige  Magnolie  (Magnölia  grandiflöra)  zu 
nennen,  die  beide  aus  Amerika  stammen  und  bei  uns  in  Parks  gepflegt  werden. 


2.  Familie.     Sauerdorn-  oder  Berberitzen-Gewächse  (Berberid 


eae 


Der  Sauerdorn  oder  die  Berberitze  (Berberis  vulgaris). 

1.  Der  Sauerdorn  findet  sich  wild  in  Hecken  und  Gebüschen  und  ist 
einer  unserer  beliebtesten  Ziersträucher.  In  der  Nähe  von  Getreidefeldern  sollte 
man  ihn  aber  nicht  dulden.     Auf  der  Unterseite  der 

2.  Blätter  kommen  näm- 
lich häufig  rostfarbene  Flecke 
vor,  die  Sporenlager  des  Ber- 
beritzenrostes, dessen  Ge- 
fährlichkeit wir  bei  der  Be- 
trachtung des  Getreiderostes 
noch  kennen  lernen  werden. 
Neben  den  gewöhnlichen,  scharf- 
gezähnten Blättern  finden  sich 
an  den  jüngeren  Zweigen  noch 
Blätter,  die  in  drei-  bis  sieben- 
teilige, scharfe  Stacheln  um- 
gewandelt sind.  (Sache  Über- 
gänge zwischen  beiden!)  Sie 
fallen  im  Herbste  nicht  ab  und 
stehen  am  Grunde  der  "Winter- 
knospen. Wenn  sich  nun  im 
Frühjahre  aus  den  Knospen 
Zweige    entwickeln,    so    bilden 


Sauerdorn. 

Links:     Zweigstück     mit 
Knospe    und  jungen  Blättern. 

(nat.  Gr.) 
Rechts:  Blüte  (nach  Ent- 
fernung der  vorderen  Blüten- 
teile). Das  zum  rechten  (halben) 
Blumenblatte  gehörige  Staub- 
blatt hat  sich  infolge  eines 
Reizes  der  Narbe  angelegt.  II. 
Honigdrüsen.    (4  mal   nat.  Gr.) 


12  Taf.  3.    2.  Fam.  Sauerdorngewftchse.     3.  Fam.    Soerosen. 

die  Dornen  für  sie  eine  vortreffliche  Schlitzwehr  gegen  Weidetiere,  sowie  gegen 
Raupen  und  Schnecken,  welch  letztere,  nach  dem  zarten  Lauhe  lüstern,  am 
Stengel  emporsteigen. 

3.  Die  eigentümlich  duftenden  Blüten  stehen  in  Trauben,  werden  also 
trotz  ihrer  Kleinheit  auffällig,  und  dies  umsomehr,  als  nicht  nur  die  sechs 
Blütenblätter,  sondern  auch  die  Kelchblätter  an  der  Innenseite  gelb  gefärbt  sind. 
Die  anfänglich  aufrecht  stehenden  Trauben  werden  später  hängend,  so  daß  die 
Blüten  wagerecht  oder  schräg  abwärts  zu  stehen  kommen.  Da  zudem  die  Staub- 
beutel von  den  umgebogenen  Zipfeln  der  Blütenblätter  überdeckt  werden,  so  ist 
der  Blütenstaub  gegen  Regen  vollkommen  geschützt.  Die  Weise,  in  der  die 
Blüten  bestäubt  werden,  ist  höchst  wunderbar.  Berührt  man  mit  einem  spitzen 
Hölzchen  den  Grund  eines  Staubblattes,  so  sieht  man,  wie  es  plötzlich  nach 
innen  schnellt.  Genau  dasselbe  erfolgt  natürlich,  wenn  das  Staubblatt  an  jener 
Stelle  von  einem  Insekt  berührt  wird.  Diese  Berührung  erfolgt  nun  zufällig, 
oder  —  was  die  Regel  ist  —  beim  Saugen  des  Honigs;  denn  der  süße  Saft 
wird  von  zwei  orangefarbenen  Anschwellungen  jedes  Blütenblattes  abgeschieden, 
die  unter  dem  reizbaren  Grunde  des  Staubblattes  liegen.  Dabei  kann  es  natür- 
lich nicht  ausbleiben,  daß  das  Insekt  mit  Blütenstaub  beladen  wird.  Fliegt  das 
Tier  darauf  zu  anderen  Blüten,  dann  werden  sicher  einige  Staubkörnchen  an 
der  Narbe  dieser  oder  jener  Blüte  abgestreift. 

4.  Der  Fruchtknoten  entwickelt  sich  zu  einer  eßbaren  Beere,  die  mit 
leuchtendem  Rot  Vögel  zum  Verzehren  des  saftigen,  säuerlichen  Fruchtfleisches 
(Sauerdorn!)  einladet  (s.  Weinstock). 

Eine  nahe  Verwandte  ist  die  Mahonie  (Mahonia  aquiföliuni),  die  wegen 
ihrer  immergrünen  Blätter  und  goldgelben  Blütentrauben  häufig  in  Parkanlagen  zu  finden 
ist.     Sie  stammt  aus  Nordamerika    und  ist   gleichfalls  ein  Träger  des  Berberitzenrostes. 

3.  Familie.     Seerosen  (Nymphaeäceae). 
Die  weiße  Seerose  (Nympti&a  alba).    Taf.  3. 

Der  stille  Weiher,  der  schilfumkränzte  Teich,  der  blinkende  See,  alle 
erhalten  erst  durch  die  Seerose  ihre  schönste  Zier.  Die  riesigen  Blätter,  die 
sich  gleich  schwimmenden  Schilden  auf  dem  Wasserspiegel  ausbreiten,  und  die 
wunderbar  zarten  Blüten,  die  gefüllten  Rosen  ähneln  (See-,  Teich-  und  Wasserrose), 
erhöhen  mächtig  den  geheimnisvollen  Zauber,  den  das  Wasser  auf  den  Menschen 
ausübt  (vgl.  Goethes  „Fischer"!).  Darum  ist  auch  die  prächtige  Pflanze  schon 
seit  uralten  Zeiten  durch  Sage  und  Märchen  verklärt :  Auf  den  Blättern  schaukeln 
sich  im  Mondenscheine  die  Elfen  und  Nymphen  (Nymphaea!),  und  unter  ihnen 
lauert  die  Nixe,  um  denjenigen  zu  sich  in  die  Tiefe  zu  ziehen,  der  die  herr- 
liche Blüte  brechen  will  („Nixblume"  —  Die  Nixe  heißt  auch  „Wassermuhme", 
die  Pflanze  daher  „Hummel"). 

Während  die  meisten  Pflanzen  (Beispiele!)  bald  zu  Grunde  gehen,  wenn 
sie  längere  Zeit  überflutet  werden,  spielt  sich  das  Leben  der  Seerose  (mit  Aus- 
nahme des  Blühens!)  im  Wasser  ab:  sie  ist  eine  Wasserpflanze. 


Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  3. 


Weiße  Seerose  (Nymphaea  alba). 


Sauerdorn.     Mahonie.     Weiße  Seerose.  13 

1.  Ihr  Stamm  ist  ein  armdickes  Gebilde,  das  mit  vielen  Blattnarben  be- 
deckt  und  im  schlammigen  Grunde  der  Gewässer  eingebettet  ist.  Da  er  durch 
zahlreiche  Wurzeln,  die  sich  tief  in  den  Boden  senken,  verankert  wird,  vermag 
die  Pflanze  nur  Gewässer  mit  lockerem  Untergrunde  und  im  Gegensatz  zu  den 
nichtwurzelnden  Wasserpflanzen  (z.  B.  der  Wasserprimel)  auch  langsam  fließende 
Gewässer  zu  bewohnen.  Da  die  Wurzeln  aber  auch  Werkzeuge  der  Nahrungs- 
aufnahme sind,  kann  die  Seerose  nur  auf  schlammigem  Untergrunde  gedeihen, 
nicht  etwa  auch  auf  nahrungsarmem  Sand-  oder  Geröllboden.  Am  Ende  des 
Stammes  erheben  sich  die  Stiele  der  Blüten  und 

2.  Blätter.  So  lange  sich  die  wachsenden  Blätter  unter  Wasser  beflnden, 
sind  ihre  jetzt  noch  sehr  zarten  Blattflächen  so  von  beiden  Seiten  nach  innen 
gerollt,  daß  man  die  Unterseite  sehen  kann.  Wären  sie  ausgebreitet,  so  würden 
sie  sicher  in  noch  weit  höherem  Grade  der  Gefahr  ausgesetzt  sein,  durch  Wellen 
und  Strömung  zerrissen  zu  werden,  als  sie  es  jetzt  schon  sind.  Sobald  die 
Blätter  die  Wasseroberfläche  erreicht  haben,  stellt  der  Stiel  das  Wachstum  ein, 
und  die  großen,  am  Grunde  tief  herzförmigen  Blattflächen  breiten  sieh  auf  dem 
Wasserspiegel  aus,  in  vollem  Genüsse  von  Licht  und  Luft.  Je  nach  der  Tiefe 
des  Wassers  sind  daher  die  Stiele  von  sehr  verschiedener  Länge.  Ins  Ungemessene 
können  sie  natürlich  nicht  wachsen;  denn  der  Pflanze  steht  ja  nur  eine  gewisse 
Menge  von  Baustoffen  zur  Verfügung.  Diese  Tatsache  macht  es  verständlich, 
daß  die  Seerose  nur  in  verhältnismäßig  flachen  Gewässern  oder  in  der  Uferzone 
tiefer  Gewässer  lebt.  Hat  das  Wasser  seinen  höchsten  Stand  inne,  so  stehen 
die  Stiele  fast  senkrecht;  sinkt  es,  so  rücken  die  Blattflächen  weiter  auseinander, 
und  die  Stiele  bewegen  sich  nach  außen  (etwa  wie  Stäbe  eines  Schirmes,  den 
man  mit   der  Spitze    auf  den  Erdboden   stellt 

und  öffnet). 

a)  Reißt  man  einen  Blattstiel  vom  Stamme 
los,  so  schwimmt  er  samt  seiner  Blattfläche 
auf  dem  Wasser.  Dies  ist  eine  Folge  zahl- 
reicher, großer,  luftgefüllter  Zwischen- 
zellräume, die  auf  zarten  Querschnitten 
schon  mit  bloßem  Auge  deutlich  zu  sehen 
sind.  (Vgl.  mit  einem  Schwimmgürtel!)  Der 
schwimmenden  Blätter  wegen  zählt  die  Seerose 
zu  den  „Schwimmpflanzen". 

Auf  den  Querschnitten  bemerkt  mau,  falls  ,„  ....  „.  „  „  , 

_  .  ,  ,    ,    ,  '  Querschnitt  aus  dem  Blattstiele 

mau   sie   gegen    das  Licht   hält,    wie  von  den  .  .„       «  ..         R 

°  ö  der  weißen  Seerose  mit  groben 

Zellwänden     der     Lufträume     sternförmige     Lufträumen  und  sternförmigen  Haa- 
Haare  ausstrahlen,  die  mit  körnigen  Rauheiten  ren  (etwa  5omai  nat.  Gr.) 

versehen  sind.    In  diesen  Gebilden  glaubt  man 

ein  Schutzmittel  der  Pflanze  besonders  gegen  Schnecken  zu  erkennen;  denn  wenn 
den  gefräßigen  Tieren  beim  Benagen  der  Stiele  beständig  jene  scharfen  Spitzen 


14  3.  Farn.    Seerosen. 

iu  den  weichen  Körper  dringen  —  und    das    ist    unausbleiblich!  —  so    werden 
sie  das  Zerstörungswerk  wohl  bald  aufgeben  müssen. 

b)  Da  das  Blatt  in  (Stiel)  oder  auf  dem  Wasser  (Blattfläche)  schwimmt, 
also  von  ihm  getragen  wird,  so  wird  uns  die  auffallende  Schlaffheit  und  Bieg- 
samkeit des  Stieles  (der  bei  den  Lnftpflanzen  bekanntlich  die  Blattfläche  und 
sein  eigenes  Gewicht  zu  tragen  hat)  wohl  verständlich.  Und  solch  ein  seil- 
artiger Stiel  ist  andererseits  durchaus  notwendig;  denn  er  ist  allein  imstande, 
den  Bewegungen  der  Blattfläche  (Wellen,  Wind!)  leicht  und  schnell  zu  folgen. 
(Was  würde  im  anderen  Falle  geschehen?) 

Versiegt  das  Gewässer,  dann  sinken  freilich  die  langgestielten  Blätter  in 
den  Schlamm  und  gehen  bald  zu  Grunde.  Die  Seerose  stirbt  aber  nicht,  falls 
nur  der  Boden  feucht  bleibt.  Sie  treibt  kleinere  Blätter,  deren  (kurze)  kräftige 
Stiele  die  (kleinere)  Blattfläche  wohl  zu  tragen  vermögen;  man  sagt:  sie  wird 
zur  Landform.  (Häutiger  als  die  Landform  der  weißen  Seerose  ist  die  der 
gelben  Teichrose  zu  beobachten.  Warum  kann  man  diese  Pflanzen  als  „amphi- 
bische" Gewächse  bezeichnen?) 

c)  Schwimmende  Blattflächen  haben  durch  die  auf-  und  absteigenden  Wellen 
mehr  oder  minder  heftige  Erschütterungen  auszuhalten,  und  niederfallende  Begen- 
tropfen  treffen  sie  mit  voller  Kraft.  (Durch  welche  Mittel  geht  bei  den  Luft- 
pflanzen ein  Teil  der  Kraft  des  Wxindes  und  der  Regentropfen  verloren  ?  Vgl.  z.  B. 
Birnbaum.)  Zarte  Blätter  würden  daher  bald  von  den  Wellen  zerrissen  und  von 
größeren  Regentropfen  durchlöchert  sein:  Die  starke,  lederartige  Be- 
schaffenheit der  Blätter  erscheint  uns  daher  als  ein  wichtiges  Schutzmittel 
gegen  jene  Kräfte. 

d)  Hält  man  ein  abgeschnittenes  Seerosenblatt  unter  Wasser  und  bläst 
durch  den  Stiel  kräftig  Luft  ein,  so  sieht  man,  wie  sie  von  der  Oberseite  der 
Blattfläche  in  Form  glänzender  Perlen  wieder  emporsteigt  (vgl.  Absch.  2  a).  Im 
Gegensatz  zu  den  Blättern  der  Landpflanzen,  bei  denen  die  Spaltöffnungen  zumeist 
an  der  Unterseite  liegen,  finden  sich  die  S p a  1 1 ö f f n u n g e n  hier  also  an  der 
Oberseite,  die  ja  allein  von  Luft  umspült  wird.  —  Da  der  Seerose  Wasser  im 
Überfluß  zur  Verfügung  steht,  so  finden  wir  bei  ihr  auch  keines  der  Mittel, 
die  bei  zahlreichen  Landpflanzen  eine  allzu  starke  Ausscheidung  von  Wasserdampf 
verhindern  ('s.  z.  B.  S.  7,  4  c).  Im  Gegenteil,  je  mehr  Wasser  durch  die  Blätter 
verdampft,  desto  besser  ist  es  für  die  Pflanze;  denn  desto  mehr  Nahrungs- 
stoffe werden  ja  mit  dem  Wasser  durch  die  Wurzeln  eingesaugt.  Daher  be- 
sitzt das  Seerosenblatt  nicht  nur  eine  sehr  große  Menge  von  Spaltöffnungen 
(etwa  zehn  Millionen),  sondern  auch  mehrere  Einrichtungen,  die  ein  Verstopfen 
dieser  Öffnungen  durch  Wasser  verhindern: 

c)  Die  Oberseite  ist  mit  einem  Wachsüberzuge  versehen.  Ein  Versuch 
zeigt,  daß  Wasser  von  ihr  abrollt  wie  von  dem  eingefetteten  Gefieder  der  Ente 
oder  Gans.     Und  dies  geschieht  um  so  leichter,  als 

f)  die  Blattfläche  an  der  Verwachsungsstelle  mit  dem  Stiele  meist  etwas 
erhöht  ist,  und  als 


Weiße  Seerose.  15 

g)  der  Blattrand  wellenartige  Krümmungen  zeigt,  also  zahlreiche 
Rinnen  für  das  abfließende  Wasser  bildet. 

h)  Im  Gegensatz  zu  der  grünen  Oberseite  ist  die  Unterseite  des  Blattes 
meist  violett  gefärbt.  Das  Licht,  welches  die  Blattmasse  durchleuchtet, 
würde,  wenn  der  violette  Farbstoff  fehlte,  durch  das  Blatt  hindurch  nutzlos  in 
das  Wasser  fallen.  Durch  ihn  aber  wird  es  wie  von  jedem  dunklen  Farbstoffe 
aufgefangen  und  —  wie  wir  aus  Erfahrung  wissen  —  in  Wärme  umgesetzt  (so 
sind  z.  B.  dunkle  Kleider  im  Sommer  wärmer  als  helle).  Eine  Erhöhung  der 
Temperatur  hat  aber  stets  auch  eine  Erhöhung  der  Verdunstung  im  Gefolge. 
Die  violette  Färbung,  die  sich  zumeist  auch  an  dem  Blattstiele  findet,  gibt  sich 
demnach  als   ein  Förderungsmittel   der  Wasserdampfausscheidung   zu   erkennen. 

o.  Überwinterung.  Auch  die  Weise,  in  der  die  Seerose  den  Winter 
übersteht,  hängt  mit  ihrer  Natur  als  Schwimmpflanze  innig  zusammen.  Die  auf 
dem  Wasserspiegel  schwimmenden  Blätter  würden  durch  die  Winterkälte  umso 
sicherer  zerstört  werden,  als  sich  ja  das  Wasser  mit  einer  Eisdecke  überzieht. 
Die  Blätter  sterben  daher  im  Herbste  ab.  Am  Grunde  der  Gewässer  dagegen 
sinkt  selbst  im  kältesten  Winter  die  Temperatur  nicht  bis  auf  den  Nullpunkt, 
also  so  tief,  daß  sie  das  dort  herrschende  Pflanzenleben  vernichtete.  Dort 
können  demnach  Gewächse  überwintern,  und  dort  vermag  auch  der  Stamm  der 
Seerose  seinen  „Winterschlaf"  zu  halten.  Die  Seerose  zählt  daher  wie  alle 
Wasserpflanzen  (mit  Ausnahme  einiger  Uferbewohner)  zu  den  ausdauernden 
Gewächsen. 

4.  Die  Blüte  steht  am  Ende  eines  langen  S  ti eis,  der  alle  Eigenschaften 
der  Blattstiele  besitzt  (wieso?  warum  nötig?).  So  lange  sich  die  Blüte  unter 
Wasser  befindet,  bilden  die  4  Kelchblätter  für  das  Blüteninnere  einen  fest- 
schließenden  Mantel;  an  der  geöffneten  Blüte  dagegen  stellen  sie  gleichsam 
kleine,  auf  dem  Wasser  schwimmende  Boote  dar  (Bedeutung?).  Da  sie  innen 
weiß  gefärbt  sind,  helfen  sie  die  Augenfälligkeit  der  Blüte  (Insekten !)  erhöhen. 
Die  zahlreichen,  schneeweißen  Blumenblätter  werden  nach  innen  zu  beständig 
kleiner  (Bedeutung?)  und  gehen  allmählich  in  Staubblätter  über  (2),  ein  Zeichen, 
daß  auch  diese  Blütenteile  nichts  weiter  wie  (umgewandelte)  Blätter  sind.  Der 
Fruchtknoten,  der  oben  die  strahlig-schildförmige  Narbe  trägt,  ist  einer 
Mohnkapsel  sehr  ähnlich.  Seiner  Außenwand  sind  die  Blumen-  und  Staubblätter 
in  einer  Spirale  angeheftet  (Fruchtwand  daher  mit  zahlreichen  Blattnarben). 

Wenn  die  Morgensoune  goldig  am  Himmel  steht,  öffnen  sich  die  weithin 
leuchtenden,  schwach  duftenden  Blüten.  Fliegen  und  Käfer,  die  sich  aber  mit 
Blütenstaub  (zahlreiche  Staubblätter!)  begnügen  müssen,  kommen  bei  ihnen  zum 
Mahle.  Gegen  Abend  schließen  sich  die  Blumen  wieder,  so  daß  der  leicht  ver- 
derbende Blütenstaub  gegen  den  Tau  der  Nacht  und  die  aus  den  Gewässern 
aufsteigenden  Nebel  wohl  geschützt  ist. 

5.  Die  Frucht  reift  im  Schutze  des  Wassers.  Sie  ist  ein  beerenartiges 
Gebilde,  das  im  Innern  mehrere  Fächer  mit  zahlreichen  Samen  enthält.  Jeder 
Same  ist  von  einer  weißen,  schleimigen  Hülle,  einem  Samenmantel,  umgeben  (4). 


16  3.  Farn.  Seerosen,     4.  Farn.  Kreuzblütler. 

Platzt  die  Frucht  bei  der  Reife,  so  werden  die  Samen  frei.  Da  sich  aber  unter 
ihrem  Mantel  je  eine  große  Luftblase  bildet,  so  steigen  sie  zur  Oberfläche  empor, 
schwimmen  dort  umher  und  werden  von  der  Strömung  oder  von  Wind  und 
Wellen  oft  weithin  verschlagen.  Entweicht  die  Luft,  so  sinken  die  Samen  zu 
Boden  und  können  an  einer  anderen  Stelle  des  Wohngewässers  eine  neue  Pflanze 
ins  Dasein  rufen.  Da  die  Hülle  klebrig  ist,  so  kann  es  ferner  auch  nicht  aus- 
bleiben, daß  die  Samen  am  Schnabel  oder  Gefieder  der  Wasservögel  haften  und 
zu  anderen  Gewässern  getragen  werden :  die  Seerose  gibt  sich  also  auch  durch 
die  Verbreitung  ihrer  Samen  als  eine  echte  Wasserpflanze  zu  erkennen. 

Andere  Seerosen. 

Gleich  der  weißen  Seerose  ist  die  gelbe  Teichrose  (Nuphar  luteum)  eine  bekannte 
Zierde  unserer  Gewässer.  Sie  stimmt  mit  ihrer  weiß-blumigen  Schwester  in  Bau  und 
Lebensweise  fast  vollkommen  überein  ;  nur  in  der  Bildung  von  Blüte  und  Frucht  (be- 
schreibe beide!)  zeigen  sich  einige  Abweichungen.  —  An  Schönheit  werden  beide  noch 
von  den  Seerosen  der  warmen  Gegenden  übertroffen.  Unter  diesen  ist  wieder  der  ameri- 
kanischen Seerose  (Victoria  regia)  der  Preis  zuzuerkennen.  Sie  bewohnt  die  großsn 
Ströme  des  warmen  Südamerika.  Ihre  kreisrunden  Blätter,  die  mit  einem  erhöhten  Rande 
versehen  sind,  haben  einen  Durchmesser  bis  zu  2  m,  und  die  wohlriechenden,  anfangs 
weißen,  später  rosafarbenen  Blüten  einen  solchen  bis  zu  40  cm.  —  Hohe  Berühmtheit 
hat  die  ägyptische  Seerose  oder  die  Lotosblume  (Nymphsea  lotus)  erlangt.  Wenn 
der  Nil  das  Land  überschwemmt,  so  grünt  und  blüht  die  herrliche  Pflanze  bald  in  allen 
Gräben  und  Kanälen ;  wenn  aber  das  Wasser  wieder  in  seine  Ufer  zurückkehrt,  so  ver- 
schwindet auch  sie  wieder.  Nur  der  im  Boden  eingebettete  Stamm  vermag  die  lange 
Zeit  der  Trocknis  zu  überdauern.  Gleich  dem  heiligen  Strome  selbst  galt  die  Lotos- 
blume als  ein  Sinnbild  der  Fruchtbarkeit  und  war  den  hohen  Göttern  geweiht.  Ihr 
mehlreicher  Stamm  und  ihre  Samen  wurden  besonders  früher  von  den  Bewohnern  des 
Landes  verzehrt.  —  Häufiger  allerdings  bautem  an  zu  diesem  Zwecke  die  indische  See- 
rose (Nelümbo  nucifera)  an,  die  heut  noch  einem  großen  Teile  Südasiens  eine  wertvolle 
Nahrungspflanze  ist.  Die  trichterförmigen  Blätter  und  roten  Blüten  hebt  die  herrliche, 
von  den  Indern  heilig  gehaltene  Pflanze  über  den  Wasserspiegel  empor. 

4.  Familie.     Kreuzblütler  (Cruciferae). 

Blüten  mit  4  Kelchblättern ,  4  kreuzweis  gestellten  Blumenblättern ,  2  kürzeren  und 
4  längeren  Staubblättern  und  einem  Fruchtknoten,  der  aus  2  durch  eine  häutige  Scheide- 
wand verbundenen  Fruchtblättern  besteht;   Frucht  eine  Schote  oder  ein  Schötchen. 

Der  Raps  (Brassica  napus). 

A.  Bedeutung.  Zerdrückt  man  einige  Samenkörner  des  Rapses,  die  als 
Futter  für  Stubenvögel  allgemein  bekannt  sind,  zwischen  Papier,  so  entsteht  ein 
bleibender  Fettfleck.  Das  Öl,  das  diesen  Fleck  verursacht,  bezeichnet  man  (im 
Gegensatz  zu  dem  flüchtigen  Öle;  s.  Rose)  daher  als  fettes  Öl.  Dieses 
sog.  „Rüböl"  war  bis  zur  Entdeckung  des  Steinöls  das  wichtigste  Mittel  zur 
Beleuchtung  der  Wohn-  und  Arbeitsräume,   der  Straßen  und  dgl.     Darum  war 


Andere  Seerosen.     Raps.  17 

auch  der  Raps  (samt  dem  gleichfalls  Öl  liefernden  Rübsen;  s.  S.  20)  für  den 
Menschen  bis  dahin  eine  überaus  wichtige  Pflanze.  Heutzutage  wird  das 
„Rüböl"  vorwiegend  nur  noch  zum  Schmieren  von  Maschinen,  zur  Bereitung  von 
Seife  und  zu  anderen  gewerblichen  Zwecken  verwendet.  Es  wird  in  Ölmühlen 
durch  Zerstampfen  oder  Zerquetschen  der  Samen  gewonnen.  Die  zurückbleiben- 
den festen  Bestandteile  preßt  man  zu  „Ölkuchen",  die  als  Viehfutter  geschätzt 
werden.  —  In  einigen  Gegenden  verspeist  man  auch  die  jungen  Rapsblätter  als 
das  erste  Gemüse,  das  der  Frühling  liefert. 

B.  Anbau.  Je  nachdem  der  Landmann  Winter-  oder  Sommerraps 
baut,  sät  er  die  Samen  im  Spätsommer  oder  Frühling  aus.  Da  ohne  Wärme 
ein  Wachstum  der  Pflanzen  nicht  möglich  ist  (Beweis!),  so  sind  die  Pflanzen 
der  ersteren  Form  zu  einer  Winterruhe  genötigt.  Ihre  Stengelglieder  bleiben 
so  kurz,  daß  die  Blätter  fast  in  derselben  Höhe  stehen.  Da  nun  an  der  hoch 
aufstrebenden  Rapspflanze  die  Blätter  am  Stengel  in  einer  Spirale  angeordnet 
sind,  so  müssen  sie  auch  an  dem  verkürzten  Stengel  nach  allen  Seiten  aus- 
strahlen, also  eine  Rosette  bilden.  (Denke  dir  den  Stengel  von  oben  nach 
unten  in  sich  zusammengedrückt!)  Wenn  man  bedenkt,  daß  die  ausgebildete  Raps- 
pflanze nur  ein  schwaches  Gewächs  ist,  das  im  Winter  durch  die  auf  ihm  lastende 
Schneemasse  unbedingt  zerknickt  und  vernichtet  werden  müßte,  so  wird  man 
die  Bedeutung  dieser  Erscheinung  leicht  einsehen.  (Bestimme,  welche  Unkräuter 
die  zierlichen  Rosetten  bilden,  die  du  im  Herbst  oder  Winter  auf  dem  Felde 
findest !)  Sobald  aber  im  Frühlinge  die  höhersteigende  Sonne  die  Erde  zu  neuem 
Leben  erweckt,  setzt  auch  die  Rapspflanze  das  unterbrochene  Wachstum  fort: 
sie  treibt  gleich  dem  Sommerraps,  der  jetzt  erst  aus  Samen  hervorgeht,  einen 

C.  Stengel,  der  eine  Höhe  von  1,50  m  erreicht  und  im  oberen  Teile  et- 
was verzweigt  ist.     Seine 

D.  1.  Blätter  nehmen  von  unten  nach  oben  beständig  an  Größe  ab. 
Infolgedessen  rauben  sie  sich  gegenseitig  nicht  das  zum  Leben  notwendige  Son- 
nenlicht. Die  oberen  Blätter  sind  ganzrandig,  die  unteren  dagegen  stark  ein- 
gebuchtet. (Da  sich  die  Ausschnitte  wie  die  Blättchen  der  Fiederblätter  gegen- 
überstehen, nennt  man  solche  Blätter  „fiederspaltig".) 

2.  Taucht  man  eine  Rapspflanze  in  das  Wasser,  so  bleibt  sie  auffallender 
Weise  vollkommen  trocken.  Die  Wassertropfen  rollen  von  ihr  ab  wie  von  dem 
eingefetteten  Federkleide  der  Ente  oder  Gans.  Dasselbe  ist  bei  einem  Regen 
zu  beobachten.  Wischt  man  aber  mit  dem  Finger  auf  einem  Blatte  oder  Stengel 
einigemale  hin  und  her  und  taucht  die  Pflanze  von  neuem  ins  Wasser,  so  findet 
man,  daß  die  abgewischte  Stelle  feucht  geworden  ist.  Durch  das  Wischen  ist 
nämlich  der  blaugrüne  Anflug  entfernt  worden,  der  dem  Raps  eigen  ist  und 
von  einer  dünnen  Wachsschicht  herrührt.  Der  Wachsüberzug  ist  also  ein 
Schutzmittel  gegen  Befeuchtung:  er  verwehrt  dem  Wasser,  die  Spaltöffnungen 
zu  verstopfen,  die  sich  auf  beiden  Seiten  der  Blätter  und  am  Stengel  finden, 
und  mithin  den  Luftwechsel  aufzuheben  (s.  das.),  der  durch  diese  Öffnungen 
vermittelt  wird.  —  Wie  genaue  Untersuchungen  ergeben  haben,  ist  der  Wachs- 

Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik.  o 


IS 


4.  Farn.  Kreuzblütler. 


Überzug  zugleich  ein  Schutzmittel  gegen  zu  starke  Verdunstung  des  in  den  Blättern 
enthaltenen  Wassers. 

3.  Träufelt  man  Wasser  auf  die  Blätter,  so  sieht  man,  wie  es  zum  Stengel 
abfließt  und  schließlich  zur  Wurzel  geleitet  wird.  Genau  dasselbe  geschieht 
mit  den  Regentropfen,  die  auf  die  Blätter  fallen.  Die  Pflanze  „begießt" 
sich  also  selbst.  Diese  Arbeit  vermögen  die  Blätter  vortrefflich  zu  leisten; 
denn  sie 

a)  stehen  am  Stengel  schräg  aufwärts  und 

b)  bilden  (zumeist)  flache)  Rinnen; 

c)  die  oberen  umfassen  den  Stengel  mit  herzförmigem  Grunde  etwa 
zur  Hälfte,  und 

d)  bei  den  unteren  Blättern  zieht  sich  die  Blattfläche  in  kleinen  Lappen 
beiderseits   bis   zum   Stengel   herab  (sie  sind  undeutlich  gestielt). 

E.  Wurzel.  Die  Rapspflanze  leitet  also  das  auf  sie  fallende  Regenwasser 
nach  innen  (zentripetal),  nach  der  Mitte  zu  ab.  Dort  müssen  darum  auch  die 
feinen  Saugwurzeln  liegen,  durch  welche  die  Pflanze 
das  Wasser  aufnimmt.  Wir  finden  daher  beim  Raps 
kein  weitverzweigtes  Wurzelgeflecht  wie  z.  B.  bei  ei- 
nem Baume,  sondern  eine  möhrenförmige  Haupt- 
wurzel, von  der  sich  die  Nebenwurzeln  niemals  weit 
entfernen.     (Vgl.  dag.  Birnbaum!) 

F.  Blüte.  1.  Blütezeit.  Das  Rapsfeld  gleicht 
im  April  und  Mai  (Winterraps)  oder  im  Juli  und  Au- 
gust (Sommerraps)  einem  gelben  Blütenmeere. 

2.  Blüten  bau.  Mit  den  4  schmalen,  aufrecht- 
stehenden Kelchblättern  wechseln  die  4  sich  kreuz- 
weis gegenüberstehenden  Blumenblätter  ab  (Name 
der  Familie!).  Die  unteren,  schmalen  Abschnitte  der 
Blumenblätter  bilden  mit  dem  Kelche  eine  Röhre: 
die  oberen,  breiten  Abschnitte  sind  rechtwinklig  ab- 
gebogen. Von  den  6  Staubblättern  sind  2  (äuße- 
rer Kreis)  kürzer  als  die  4  anderen  (innerer  Kreis). 
Der  langgestreckte  Fruchtknoten  ist  von  2  Frucht- 
blättern gebildet,  deren  verwachsene  Ränder  je  eine 
Reihe  Samen  tragen  (im  ganzen  also  4  Reiheu)  und 
durch  eine  häutige  Scheidewand  verbunden  sind.  Oben 
trägt  der  Fruchtknoten  die  knopfförmige  Narbe. 

3.  Bestäubung.  An  warmen,  sonnigen  Tagen 
ist  das  blühende  Rapsfeld  von  vielen  Tausenden  von  Insekten  besucht.  Ganz 
besonders  zahlreich  stellt  sich  die  Honigbiene  ein.  Den  hochwillkommenen  Gästen 
macht  sich  die  Blüte  weithin  bemerklich: 

a)  Die  Blumenblätter  sind  von  leuchtend  goldgelber  Farbe. 

b)  Solange   der  Kelch  die  anderen  Blütenteile  noch  schützend  umhüllte, 


Blüte  und  Blütengrund- 

riß    vom    Raps.      Von    der 

Blüte  sind  ein  Kelchblatt  und 

zwei  Blumenblätter  entfernt 

(etwa  3 mal  nat.  Gr.). 


Raps.    Gattung  Kohl.  |ü 

war  er  unscheinbar  grün;  jetzt  aber  ist  er  gelb  oder  wenigstens  gelbgrün  ge- 
färbt.    Er  tritt  also  mit  in  den  Dienst  der  Insektenanlockung. 

c)  Die  einzelnen  Blüten  sind  verhältnismäßig  klein.  Da  sie  aber  am 
Ende  des  Stengels  und  seiner  Zweige  zahlreich  beieinander  stehen,  sind  sie 
doch  weithin  sichtbar.  —  Sie  stehen  auf  gleichlangen  Stielen,  die  am  Haupt- 
blütenstiele oder  der  Achse  des  Blütenstandes  in  verschiedener  Höhe  entspringen. 
Die  unteren,  weil  älteren  Blüten  öffnen  sich  zuerst,  die  oberen  zuletzt.  Einen 
solchen  Blütenstand  bezeichnet  man  als  Traube. 

d)  Die  Blüten  machen  sich  den  (kurzsichtigen)  Insekten  um  so  bemerk- 
barer, als  sie  einen  weithin  vernehmbaren  Duft  aushauchen. 

e)  Außer  Blütenstaub  bieten  sie  den  Gästen  Honig  zum  Mahle,  der 
von  4  grünen  Drüsen  am  Grunde  der  Staubblätter  abgeschieden  wird.  Senkt 
aber  ein  Insekt  den  Rüssel  in  die  Blütenröhre,  um  den  süßen  Saft  zu  trinken, 
so  muß  es  auch  eine  Bestäubung  der  Pflanze  herbeiführen;  denn  vor  und  in 
dem  Eingange  der  Röhre  haben  ja  Staubbeutel  und  Narbe  ihren  Platz.  —  Da  der 
Honig  am  Grunde  einer  Röhre  geborgen  ist,  können  kurzrüsselige  Insekten 
(Käfer,  die  meisten  Fliegen  u.  a.),  die  eine  Bestäubung  nicht  vermitteln  würden, 
auch  nicht  zu  ihm  gelangen.  (Des  Honigreichtums  wegen  ist  der  Raps  für  den 
Bienenzüchter  eine  der  wichtigsten  Pflanzen.) 

G.  Frucht.  1.  Der  Fruchtknoten  entwickelt  sich  zu  einer  sogen.  Schote, 
deren  Bau  wir  bereits  kennen  gelernt  haben  (s.  Absch.  F.  2).  Bei  der  Reife 
lösen  sich  die  Fruchtblätter  wie  Klappen  von  unten  nach  oben  ab,  so  daß  die 
häutige  Scheidewand  mit  den  Samen  auf  dem  Fruchtstiele  stehen  bleibt.  Die 
Samen  sitzen  aber  so  locker  auf  ihren  Stielchen,  daß  sie  schon  von  einem  leisen 
Winde  abgeschüttelt  werden.  Darum  schneidet  der  Landmann  den  Raps  auch 
vor  völliger  Reife  der  Früchte.  Das  fette  Öl,  das  die  Samen  enthalten  (s.  Absch.  A), 
dient  dem  Keimling  als  Baustoff. 

Die  Gattung  „Kohl"  (Brassica). 

1.  Wie  heutzutage  mußten  sich  auch  in  grauer  Vorzeit  die  umherschwei- 
fenden Völker  mit  dem  begnügen,  was  ihnen  die  Natur  zur  Nahrung  gerade 
bot.  Genau  wie  heute  floß  diese  Quelle  aber  sehr  verschieden  stark,  und  es 
gab  sicher  auch  Zeiten,  in  denen  sie  gänzlich  versiegte.  Der  Mensch  suchte 
sich  daher  von  den  zufälligen  Gaben  der  Natur  unabhängig  zu  machen :  er  wurde 
Viehzüchter  und  baute  die  Pflanzen  an,  die  ihm  Nahrung  lieferten.  Auf  diese 
Weise  sind  auch  die  Kohlarten  in  die  Pflege  des  Menschen  gekommen. 

2.  Nach  und  nach  lernte  der  Mensch  die  Verhältnisse  kennen,  unter  denen 
die  Pflanzen  am  besten  gedeihen :  er  pflanzte  sie  auf  den  geeignetsten  Boden, 
den  er  zu  bearbeiten,  zu  düngen,  von  Unkraut  reinzuhalten  lernte  imd  dgl. 
mehr.  Infolgedessen  erhielten  seine  Kohlpflanzen  dickere  und  saftreichere  Wur- 
zeln und  Stengel  oder  zartere  und  wohlschmeckendere  Blätter  oder  ölreichere 
Samen,  kurz:  es  fand  eine  allmähliche  Veredlung  der  Pflanzen  statt. 

3.  Je  nachdem  der  Mensch  nun  Wurzel,  Stengel,  Blätter  oder  Samen  be- 


20  4.  Farn.    Kreuzblütler. 

nutzte,  je  nachdem  verfuhr  er  auch  bei  der  Fortzucht  seiner  Pfleglinge:  er 
suchte  diejenigen  Pflanzen  zu  vermehren,  die  ihm  die  dicksten  und  saftreichsten 
Wurzeln  und  Stengel,  die  zartesten  und  wohlschmeckendsten  Blätter  oder  die 
ölreichsten  Samen  lieferten.  Aus  deren  Nachkommen  wählte  er  immer  wieder 
die  geeignetsten  Pflanzen  zur  Nachzucht  aus:  und  so  sind  die  zahlreichen  Spiel- 
arten und  Sorten  des  Kohls  entstanden,  die  wir  heute  bauen.  Immerfort  noch 
arbeitet  der  Gärtner  planmäßig  an  ihrer  Veredlung,  und  immer  neue  Sorten  ent- 
stehen unter  seiner  kunstgeübten  Hand.  —  Genau  auf  dieselbe  Weise  ist 
auch  die  Veredlung  aller  anderen  Kulturpflanzen  erfolgt,  und  durch 
dieselbe  planmäßige  und  beständige  Auslese  der  geeignetsten  Pflan- 
zen zur  Nachzucht  sind  die  vielen  Sorten  und  Spielarten  ent- 
standen,  die   wir   heu te  besitzen. 

4.  Die  zahlreichen  Spielarten  des  Kohls  (beschreibe  sie  näher!),  die  wir  im  Garten 
und  auf  dem  Felde  bauen,  und  die  in  den  einzelnen  Gegenden  oft  recht  verschieden  be- 
nannt werden,  lassen  sich  auf  4  Stammformen  zurückführen: 

a)  Der  Rapskohl  (B.  napus)  ist  wie  die  beiden  folgenden  Arten  wahrscheinlich 
aus  Südeuropa  zu  uns  gekommen  und  tritt  in  2  Formen  auf:  Die  eine  Form, 

den  Raps,  haben  wir  oben  ausführlich  besprochen;  die  andere  Form  ist 
die  Kohlrübe,   die    eine  fleischige,    eßbare  Rübenwurzel  besitzt.  —  Dem  Raps- 
kohl zum  Verwechseln  ähnlich  ist 

b)  der  Rübenkohl  (B.  rapa).  (Bei  ihm  stehen  die  entfalteten  Blüten  mit  den 
Blütenknospen  in  gleicher  Höhe  oder  überragen  dieselben  noch ;  seine  unteren  Blätter  sind 
grasgrün  und  steifhaarig.  Beim  Rapskohl  dagegen  werden  die  geöffneten  Blüten  von  den 
Blütenknospen  überragt;  alle  Blätter  sind  blaugrün,  und  nur  die  unteren  besitzen  ein- 
zelne Haare.) 

Er  tritt  uns  in  3  Formen  entgegen : 

als  Rübsen  (Sommer-  und  Winterrübsen)  der  als  Ölfrucht  gebaut  wird  ; 
als  weiße  Rübe,  die  als  Viehfutter  dient,  und 

als  Teltower-  oder  märkisches  Rübchen,  eine  Gemüsepflanze,  die  ihren 
Namen  nach  der  in  der   „Mark"   Brandenburg  gelegenen  Stadt  Teltow  hat. 

c)  Den  Gemüsekohl  (B.  oleräcea)  bauen  wir  in  besonders  zahlreichen  Spielarten; 
die  wichtigsten  sind  : 

Der  Kopfkohl  mit  gewölbten,  glatten,  grünweißen  oder  roten  Blättern  (Grün- 
und  Rotkohl),  die  einen  festen  Kopf  bilden; 

der  "Welsch-  oder  Wirsingkohl  mit  blasigen  Blättern,  die  sich  zu  einem 
lockeren  Kopfe  vereinigen  ; 

der  Rosenkohl,  dessen  Seitenknospen  rosenartige  Köpfchen  bilden; 

der  Braunkohl   mit  krausen,  fiederspaltigen  Blättern; 

der  Kohlrabi,  dessen  Stengel  über  dem  Boden  stark  verdickt  ist,  und 

der  Blumenkohl,  dessen  Blütenstiele  und  obere  Blätter  zu  einer  weißen, 
fleischigen  Masse  umgebildet  und  dessen  Blüten  verkümmert  sind. 

d)  Der  Senfkohl  oder  schwarze  Senf  (B.  nigra)  ist  ein  Glied  der  heimischen 
Flora.  Wild  kommt  er  hie  und  da  an  Flußufern  vor;  häufiger  aber  wird  er  seiner 
Samen  wegen  angebaut  (s.  weißer  Senf).  Von  den  anderen  Kohlarten  ist  er  leicht  da- 
durch zu  unterscheiden,  daß  seine  Blätter  sämtlich  gestielt  sind,  während  bei  jenen  dies 
nur  für  die  unteren  Blätter  gilt. 


Gattung  Kohl.     Andere  Kreuzblütler. 


21 


Andere  Kreuzblütler 

A.    Kreuzblütler   mit    Schoten    (s.  S.   19,  G). 

Eine  dem  schwarzen  Senf  sehr  ähnliche  und  gleichfalls  vielfach  angebaute  Pflanze 
ist  der  weiße  Senf  (Sinäpis  alba).  Beide  enthalten  in  ihren  Samen  ein  scharfes  Öl, 
dessen  Geruch  zu  Tränen  reizt  (Schutzmittel  gegen  körnerfressende  Vögel).  Dieses 
Öles  wegen  werden  die  Samen  vielfach  zu  Heil-  und  Gewürzzwecken  benutzt.  Die  sehr 
scharfen,  schwarzen  Samen  der  ersteren  Art  (Name!)  dienen  besonders  zur  Bereitung 
von  Senfpflaster  und  Senfspiritus,  die  milderen,  gelblich  weißen  der  letzteren  Art  (Name!) 
vorwiegend  als  Küchengewürz  und  zur  Herstellung  von  Tafelsenf 
oder  Mostrich.  —  Der  nächste  Verwandte  des  weißen  Senfs  ist  der 
Ackersenf  (S.  arvensis),  das  allbekannte  Unkraut,  das  oft  ganze 
Felder  gelb  färbt.  Fälschlicherweise  wird  die  Pflanze  zumeist 
„Hederich"  genannt.  —  Der  Hederich  oder 
Ackerrettich  (Raphanistrum  lämpsana) 
ist  dem  Ackersenf  zwar  sehr  ähnlich  und 
gleichfalls  ein  lästiges  Ackerunkraut, 
unterscheidet  sich  von  ihm  aber  leicht 
durch  die  hellere  Blütenfarbe,  durch  den 
der  Blumenkronenröhre  anliegenden  Kelch 
und  die  Schote,  die  perlschnurartig  ein- 
geschnürt ist  und  bei  der  Reife  in  soviel 
Glieder  zerfällt,  als  „Perlen"  vorhanden 
sind  (Ackersenf:  Kelch  abstehend,  ohne 
„Gliederschote").  —  Eine  ähnliche  Schote 
besitzt  der  Garten-Rettich  (Räphanus 
sativus),  der  aus  China  stammt  und  in 
mehreren  Spielarten  (Winter-  und  Sommer- 
rettich, Radieschen)  als  beliebte  Gemüse- 
pflanze gebaut   wird. 

Gleichfalls  Fremdlinge  in  unsern 
Gärten  sind  Goldlack  (Cheiränthus  cheiri), 
sowie  Sommer-  und  Winterlevkoje 
(Matthiola  ännua  und  incäna).  Beide  stam- 
men aus  Südeuropa.Ihre  meist  gefüllten  und 
sehr  mannigfach  gefärbten  Blüten  hauchen 

einen  angenehmen  Veilchenduft  aus.  Darum  nannte  der  Volksmund  den  Goldlack  früher 
auch  treffend  „Gelbveigelein",  und  Levkoje  heißt  in  Übersetzung:  weißes  Veilchen.  — 
Ganz  ähnlich  ist  der  Duft,  der  besonders  am  Abend  (Name!)  den  lilafarbenen  Blüten 
der  Nachtviole  (Hesperis  matronälis)  entströmt.  Die  Heimat  der  bekannten  Zierpflanze 
ist  Südeuropa,  Österreich  und  das  südliche  Deutschland. 

Einen  prächtigen  Schmuck  nasser  Wiesen  bilden  zur  Frühjahrszeit  die  Blüten- 
trauben des  Wiesen-Schaumkrauts  (Cardämine  pratensis).  Bei  Regenwetter  und  mit 
Anbruch  des  Abends  aber  verschwindet  der  Schmuck :  die  Blütenachsen  krümmen  sich, 
so  daß  die  sich  gleichzeitig  schließenden,  lilafarbenen  Blüten  nickend  werden  (Schutz 
gegen  Nässe  und  Kälte).  Ans  einer  Rosette  gefiederter  Blätter  erhebt  sich  der  Stengel, 
dessen  Blätter  und  Fiederblättchen  nach  oben  hin  immer  kleiner  werden  (Bedeutung  für 
die  Belichtung?).    Alle  Blätter  sind  wie  die  der  Sumpfdotterblume  (s.  das.),    die  gleich- 


Blatt     vom     Wiesen- 
Schaumkraut,  aus  dem 
drei  junge  Pflanzen  her- 
vorsprossen, 
(nat.  Gr.) 


Frucht   vom 
Hederich,  in 

einzelne   Glie- 
der zerfallend, 
(nat,  Gr.) 


22 


4.  Fam.  Kreuzblütler.     5.  Farn.  Mohngewächs 


falls  nur  auf  feuchtem  Boden  gedeiht,  saftstrotzend  und  völlig  unbehaart.  Mit  dem  Stand- 
orte hängt  auch  die  eigentümliche  Vermehrungsweise  des  zierlichen  Pflänzchens  innig 
zusammen,  die  man  häutig  beobachten  kann:  kommen  die  grundständigen  Blätter  auf 
"Wasser  oder  feuchtem  Boden  zu  liegen,  so  bilden  sich  an  den  Ansatzstellen  der  Fieder- 
blättchen  bald  Knospen,  die  sich  zu  neuen  Pflanzen  entwickeln  (Versuch!).  Die  Schaum- 
klümpchen,  die  man  vielfach  am  Stengel  findet,  und  in  denen  sich  die  Larve  der  Schaum- 
zirpe versteckt  halt  (s.  Lehrbuch  d.  Zoologie!),  haben  der  Pflanze  mit  zu  ihrem  Namen 

verholfen !  —  Die  Brunnenkresse  (Nastürtium 
ofticinäle)  gedeiht  in  Quellen  und  Wassergräben. 
Sie  ist  daher  in  allen  ihren  Teilen  noch  saft- 
strotzender als  das  Wiesen -Schaumkraut  und 
gleichfalls  völlig  kahl  und  glatt.  Da  ihre  Blätter 
einen  schmackhaften  Salat  liefern ,  wird  die 
Pflanze  hier  und  da  (besonders  bei  der  Blumen- 
stadt Erfurt)  im  Großen  angebaut.  —  Wie  die 
Brunnenkresse  als  Wasserpflanze,  so  gibt  sich 
die  Knoblauchsrauke  (Alliäria  ofticinälis)  durch 
die  großen,  zarten  Blätter  sofort  als  Schatten- 
pflanze zu  erkennen  (s.  S.  7  c).  Sie  gedeiht 
überall  häufig  unter  Gebüsch  und  unter  dem 
Unterholze  des  Laubwalds  und  ist  durch  einen 
scharfen  Knoblauchsgeruch  (Name!)  gegen  Weide- 
tiere geschützt.  —  Gerade  das  Gegenteil  in  der 
Belaubung  zeigen  die  zahlreichen  Kreuzblütler, 
die  trockene  Stellen  (Schutthaufen,  Wegränder, 
Mauern  und  dergl.)  bewohnen.  Sie  müssen,  um 
nicht  zu  verdorren,  mit  der  geringen  Wassermenge, 
die  ihnen  der  oft  ausgedörrte  Boden  liefert,  sehr 
sparsam  umgehen.  Darum  finden  wir  bei  ihnen 
zumeist  ein  gering  entwickeltes  Blattwerk  und 
oft  noch  eine  starke  Behaarung.  Als  Beispiel  für 
diese  unschönen,  sparrigen,  aber  ihrem  Standorte 
vortrefflich  angepaßten  Pflanzen  sei  hier  nur 
die  Besen-  oder  Schuttkresse  (Sisymbrium 
söphia)  genannt,  die  ein  vielfach  zerteiltes  Laub 
besitzt.  Weitere  Beispiele  finden  wir  unter  den 
B.  Kreuzblütlern  mit  Schötchen  (d.  s. 
Schoten,  die  nicht  oder  wenig  länger  als  breit  sind). 
Da  ist  zunächst  die  Graukresse  (Berteroa  incäna).  Sie  ist  an  allen  Teilen  so 
dicht  mit  sternförmigen  Haaren  bedeckt,  daß  sie  graufilzig  erscheint.  —  Ein  anderes 
Beispiel  ist  das  niedliche  Hungerblümchen  (Eröphila  venia),  das  selbst  mit  „hungrigstem1' 
Boden  fürlieb  nimmt.  Kaum  ist  der  Schnee  geschmolzen,  so  entfaltet  es  seine  winzigen 
Blüten,  reift  schnell  Früchte  und  Samen,  und  wenn  der  Sommer  kommt,  der  es  infolge 
seiner  Trocknis  vernichten  würde,  hat  es  seine  Lebensarbeit  bereits  abgeschlossen.  Seine 
Blätter  sind  mehr  oder  weniger  dicht  mit  gegabelten  Haaren  bedeckt  und  zu  einer  zier- 
lichen Rosette  geordnet.  —  Ein  solches  „Hungergewächs"  ist  auch  das  Hirtentäschel- 
kraut  (Capsella  bursa  pastöris  —  Name!),  wenn  es  auf  trockenem  Boden  wächst.   Findet 


Hungerblümchen  (1.)   und   Knob- 
lauchsrauke (2.)  (nat.  Gr.). 


Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  4. 


Klatschmohn  (Papaver  rhoeas). 


Andere  Kreuzblütler.     Klatschmohn. 


■2:; 


es  sich  aber  auf  feuchtem,  frachtbarem  Ackerlande,  so  ist  es 
üppig  ist  es  „in  das  Kraut  geschossen".  —  Einen  ähnlichen 
zeigt  auch  das  Heller-  oder  Pfennigkraut  (Thläspi  arven.se), 
kraut  zu  unsern  bekanntesten  und  lästigsten  Unkräutern  zählt. 
Seine  Früchte  (Name!)  bilden  infolge  breiter  Flügelränder 
flache  Scheiben,  die  durch  den  Wind  weithin  verweht  werden 
können  (Verbreitung  der  Art). 

Zu  der  Gruppe  der  „Schötchenfrüchtler"  gehören  auch 
mehrere  Nutzpflanzen:  Der  Meerrettich  (Cochleäria  armoräcia) 
liefert  uns  in  seinem  scharfschmeckenden  Wurzelstocke  ein 
beliebtes  Gemüse  und  Küchengewürz.  Er  stammt  aus  Süd- 
europa, findet  sich  bei  uns  aber  an  Flußufern  und  dgl.  häufig 
verwildert.  Richtiger  sollte  man  ihn  wohl  Mähr-  d.i.  Pferde- 
Rettich  nennen;  denn  der  Volksmund  verknüpfte  gern  den 
Namen  einer  Pflanze,  die  einer  andern  ähnlich,  aber  minder- 
wertiger als  diese  ist  (hier  also  „Rettich"),  mit  einem  Tier- 
namen  (Beispiel!).  —  Als  Salatpflanze  wird  an  vielen  Orten 
die  Gartenkresse  (Lepidium  sativum)  angebaut,  deren  Samen 
sehr  schnell  keimen.  —  Der  Leindotter  (Camelina  sativa) 
liefert  ein  geschätztes  Brenn-  und  Speiseöl.  In  Thüringen 
flechtet  man  aus  den  getrockneten  Stengeln  kleine  Besen. 


kaum  wiederzuerkennen,  so 
Unterschied  im  AVachstum 
das  mit  dem  Hirtentäschel- 


Schötchen  vom  Heller- 
kraut.    1.    geschlossen. 
2.  Klappen  sich  ablösend, 
(wenig  vergr.) 


5.  Familie.     Mohng-ewächse  (Papaveräceae). 

Blüten  mit  2-blättrigem,    abfallendem  Kelche,    4  kreuzweis    gegenüberstehenden  Blumen- 
blättern,   zahlreichen   Staubblättern,    einem  Fruchtknoten,    der  aus  2  bis  vielen  Frucht- 
blättern   gebildet   ist    und   zu  einer  mit  Löchern    aufspringenden    Kapsel   oder   zu  einer 
Schote  auswächst. 


Der  Klatschmohn  (Papäver  rhceas).     Tat'.  4. 

1.  Pflanze  und  Mensch,  a)  Herrlich  leuchten  die  Blüten  des  Klatsch- 
nu  i  zwischen  den  hohen  Halmen  des  Roggens  hervor,  und  das  grüne  Klee- 
feld abergießen  sie  oft  wie  mit  feuerrotem  Schein!  Die  Kinder  pflücken  die 
prächtigen  Blumen  gern  zum  Strauße,  machen  sich  aus  den  Blütenknospen 
Puppen  zum  Spiel  und  legen  die  zarten  Blütenblätter  auf  den  durch  Daumen 
und  Zeigefinger  gebildeten  Ring,  schlagen  darauf  und  erfreuen  sich  an  dem 
klatschenden  Schall  (Klatschmohn,  Klatschrose,  Klatschblume).  —  Auch  der 
Gärtner  hat  sich  der  schönen  Feldblume  angenommen.  Seine  Kunst  schuf  ge- 
füllte Blumen  von  mannigfachster  Färbung,  die  eine  bekannte  Zierde  unserer 
Gärten  bilden. 

b)  Für  den  Landmann  dagegen  ist  die  Pflanze  nichts  weiter  als  ein  lästiges 
Unkraut;  denn  sie  nimmt  ja  den  angebauten  Gewächsen  Nahrung,  Licht  und 
Platz  weg.  Obgleich  der  Kampf  zwischen  ihr  und  dem  Menschen  sicher  schon 
so  lange  währt,  so  lange  überhaupt  Getreidebau  getrieben  wird:  so  vermochte 
sie  der  Mensch  doch  noch  nicht  auszurotten;  denn  ihr  Leben  hält  mit  dem  des 


24  Taf.  4.    5.  Farn.  Mohngewächse. 

Getreides,  zwischen  dem  sie  wächst,  gleichen  Schritt.  Mit  dem  Getreide  sprießt 
der  Mohn  im  Herbst  oder  Frühjahr  aus  dem  Boden  hervor,  und  mit  dem  Keifen 
des  Getreides  reifen  auch  seine  Samen.  Wenn  nicht  schon  vorher,  so  werden 
sicher  bei  der  Getreideernte  Tausende  von  Mohnkörnern  über  den  Acker  ver- 
streut, und  andere  Tausende  nimmt  der  Mensch  mit  in  die  Scheuer.  Die  Mehr- 
zahl der  letzteren  geht  freilich  beim  Reinigen  oder  Verbrauch  der  Getreidesamen 
zu  Grunde;  es  bleiben  aber  immer  noch  genug  übrig,  die  bei  der  Aussaat  wieder 
auf  den  Acker  zurückgelangen.  So  muß  der  Mensch  das  Unkraut  selbst  erhalten 
und  ausbreiten  helfen!     (Von  welchen  anderen  Unkräutern  gilt  dasselbe?) 

2.  Wurzel,  Stengel,  Blatt,  a)  Die  jungen  Molinpflanzen,  die  im  Herbst 
aus  Samen  hervorgehen,  bilden  vor  Eintritt  des  Winters  je  eine  zierliche,  dem 
Boden  aufliegende  Blattrosette,  deren  Bedeutung  wir  beim  Raps  (s.  S.  17) 
bereits  erkannt  haben.  Wenn  aber  im  Frühjahre  die  Saat  zu  sprießen  beginnt, 
dann  strecken  sie  sich  auch  zum  Lichte  empor  (warum  notwendig?;:  sie  treiben 
je  einen  bis  1  m  hohen  Stengel,  dessen  fiederspaltige,  gezähnte  Blätter  nach 
oben  zu  immer  kleiner  werden  (s.  S.  17,  D  1).  Die  Mohnpflanzen  dagegen,  die 
erst  im  Frühlinge  aus  Samen  entstehen,  also  keine  Winterruhe  durchzumachen 
haben,  sprießen  sofort  empor. 

b)  Eine  kräftige  Pfahlwurzel  gibt  der  Pflanze  im  Boden  festen  Halt. 
Je  nachdem  aber  der  Boden  für  Wasser  durchlässig  ist,  je  nachdem  ist  auch 
die  Wurzel  ausgebildet:  Auf  durchlässigem  Sandboden  senkt  sich  die  WTurzel 
fast  unverzweigt  tief  in  den  Grund;  auf  undurchlässigem  Lehmboden  dagegen 
breitet  sie  sich  stark  verzweigt  in  der  obersten  Erdschicht  aus.  (Versuch:  Fülle 
Blumentöpfe  mit  beiden  Bodenarten  und  beobachte,  wie  sich  letztere  gegen 
Wasser  verhalten !) 

c)  Stengel,  Blütenstiele  und  Blätter  sind  mehr  oder  weniger  dicht  mit 
stacheligen  Haaren  besetzt.  An  den  jüngsten  Blättern  findet  sich  stets  eine 
sehr  dichte  Behaarung,  ein  Mittel,  durch  das  die  zarten  Gebilde  wie  die  jungen 
Blätter  der  Roßkastanie  (s.  das.)  gegen  eine  zu  starke  Wasserabgabe  und  so- 
mit gegen  das  Vertrocknen  geschützt  sind.  (Beachte  auch,  wie  die  jungen 
Blätter  zusammengefaltet  sind  und  vergleiche  deshalb  gleichfalls  die  Roßkastanie!) 
Hier  sowohl,  wie  bei  den  ausgebildeten  Pflanzenteileu,  sind  die  Haare  zweitens 
aber  noch  ein  Schutzmittel  gegen  Pflanzenfresser,  die  —  wie  die  Erfahrung 
lehrt  —  rauhhaarige  Gewächse  gern  meiden  (s.  Schwarzwurz).  Ein  anderes 
und  zwar  weit  wirksameres  Schutzmittel  gegen  diese  Zerstörer  besitzt  die 
Pflanze  in 

d)  dem  weißen,  giftigen  Milchsäfte  (s.  Schlafmohn),  der  bei  Verletzungen 
aus  der  Wundstelle  hervordringt.  Er  verleiht  der  Pflanze  einen  bitteren  Ge- 
schmack und  einen  widerlichen  Geruch,  durch  den  sich  sicher  manches  Tier 
zurückschrecken  läßt. 

3.  Die  Blüten  stehen  am  Ende  je  eines  langen  Stieles,  der  die  Fortsetzung 
des  Stengels  bildet  oder  aus  den  Blattwinkeln  entspringt.  So  lange  sich  die 
Blüte  im 


Klatschmohn. 


25 


Blütengrundrig  vom 
Klatschmohn. 


a)  Knospenzustaiide  befindet,  ist  sie  von  2  kahnartigen  Kelchblättern 
schützend  umhüllt  und  infolge  der  Krümmung  des  Stieles  abwärts  geneigt  (1.). 
Öffnet  sie  sich,  so  streckt  sich  der  Stiel,  die  nutzlos  gewordenen  Kelchblätter  fallen 
ab,  und  die  Blumenblätter,  die  in  dem  engen  Räume  nur  dadurch  Platz  fanden, 
daß  sie  wie  ein  Stück  Papier  zusammengeknittert  waren,  breiten  sich  aus. 

b)  Die  entfaltete  Blüte  ist  durch  die  4  großen,  feuerroten,  kreuzweis 
gestellten  Blumenblätter,  die  im  Grunde  oft  noch  einen  schwarzen  Fleck  mit 
weißem  Rande  besitzen  (Erhöhung  der  Auffälligkeit!),  weithin  sichtbar.  Sie 
bietet  den  besuchenden  Insekten  nur  Blütenstaub  zur  Nahrung  dar.  Darum  be- 
sitzt sie  auch  so  zahlreiche  Staubblätter,  und  diese  erzeugen  eine  so  große 
Menge  von  Blütenstaub,  daß  die  Insekten  ohne  Schaden 
für  die  Pflanze  davon  speisen  könnnen.  Der  bei  dem 
Mahle  verstreute  Staub  wird  von  den  muschelförmigen 
Blumenblättern  aufgefangen  und  bis  zum  Abholen  durch 
andere  Insekten  aufbewahrt,  ein  Umstand,  der  die  auf- 
rechte Stellung,  sowie  die  Schalenform  der  Blüte  als 
sehr  zweckmäßig  erscheinen  läßt.  Vergleicht  man  die 
Molinblüten  mit  Blüten,  die  Honig  enthalten  (z.  B.  mit 
denen  des  Veilchens,  der  Erbse  u.  v.  a.),  so  findet  man 
sie  höchst  einfach  gebaut;  denn  sie  bedarf  ja  keiner  der 
vielfachen  Einrichtungen,  die  wir  bei  jenen  Blüten  zur 

Aufbewahrung   und   zum  Schutze  des  Honigs  antreffen. 

(Nenne  andere  Pflanzen  mit  honiglosen  Blüten  ähnlicher  Form!) 

Die  Blumenblätter  sind  von  solcher  Zartheit,  daß  sie  schwere  Insekten, 
die  sich  auf  die  Blüte  niederlassen,  nicht  zu  tragen  vermögen.  Als  Anflugsplatz 
dient  den  Besuchern  daher  ein  anderer  Blütenteil :  der  Stempel,  und  zwar 
dessen  schildförmige  Narbe,  die  dem  Fruchtknoten  aufsitzt  (2.).  Lassen  sich  nun 
Insekten,  die  von  anderen  Mohnblüten  kommen  und  oft  gänzlich  mit  Blütenstaub 
eingepudert  sind,  auf  dem  Stempel  nieder,  so  kann  es  nicht  ausbleiben,  daß 
einige  Blütenstaubkörnchen  an  den  strahlenförmigen  Haarleisten  der  Narbe  haften 
bleiben  und  Fremdbestäubung  verursachen.     An  einem  Querschnitte  der 

4.  a)  Frucht  (3.)  ist  leicht  zu  erkennen,  daß  der  Fruchtknoten  aus  mehreren 
Blättern  besteht,  die  an  ihren  Rändern  so  mit  einander  verwachsen  sind,  daß 
sie  kulissenartig  in  die  Fruchtknotenhöhle  ragen.  Die  Höhle  wird  dadurch  in 
mehrere  Kammern  geteilt,  die  jedoch  unvollkommen  voneinander  getrennt  sind. 
An  den  kulissenartigen  Wänden  sitzen  die  Samen.  Sie  lösen  sich  zur  Zeit  der 
Reife  von  ihren  Stielchen  und  harren  der  Ausstreuung.  Um  diese  zu  ermög- 
lichen, haben  sich  unter  dem  gelappten  Narbenrande,  der  sich  etwas  in  die  Höhe 
gebogen  hat,  unterdes  mehrere  kleine  Löcher  gebildet,  so  daß  der  „Mohnkopf" 
einer  Streusandbüchse  ähnlich  geworden  ist  (3.  u.  4.).  Biegen  wir  jetzt  einen  Frucht- 
stiel nach  der  Seite  und  lassen  ihn  zurückschnellen,  so  sehen  wir,  wie  Samen  aus 
den  Öft'nungen  herausgeschleudert  werden  (4.).  Genau  dasselbe  geschieht  bei  heftigen 
Windstößen.     Jetzt  verstehen  wir  auch,  warum  die  Pflanze  so  auffallend  lange 


26 


5.-8.  Farn.  Mohn-,  Erdrauch-,  Reseda-  und  Hartheugewächse. 


Blüten-(Frucht-)stiele  besitzt,  und  warum  diese  bei  der  Eeife  der  Samen  so 
elastisch  werden.  Und  da  alle  Samen  über  einen  möglichst  großen  Raum  ver- 
streut werden  müssen,  falls  sich  die  jungen  Pflanzen  gegenseitig  nicht  Licht, 
Nahrung  und  Platz  wegnehmen  solleu,  so  wird  uns  auch  klar,  warum  sich  die 
Offnungen  gerade  oben  an  der  aufrechtstehenden  Fruchtkapsel  bilden.  Anderer- 
seits sind  aber  auch  die 

b)  Samen  (5.)  für  diese  Art  der  Ausstreuung  geeignet;  denn  es  sind  kleine 
und  leichte  Gebilde,  die  daher  weit  fortgeschleudert  werden  können.  Zu  Boden 
gefallen,  werden  die  Samen  bald  vom  Regen  verschwemmt.  Da  sie  nun  an  der 
Oberfläche  zahlreiche  Vertiefungen  besitzen,  in  denen  sich  Erdteilchen  festsetzen, 
so  verkitten  sie  gleichsam  mit  dem  Boden  und  vermögen  ungestört  zu  keimen. 
Und  wenn  auch  Tausende  von  Samen  verloren  gingen:  schon  eine  Pflanze  er- 
zeugt deren  soviele,  daß  ihre  Nachkommen  bald  ein  ganzes  Feld  rot  färben 
könnten ! 

Andere  Mohngewächse. 
Der  Schlafmohn    (P.  somniferum),    der  in  unsern  Gärten  mit  gefüllten   und  sehr 
mannigfach  gefärbten  Blüten  häuüg  als  Zierpflanze  gezogen  wird,  enstammt  dem  Orient. 

Im  großen  baut  man  ihn  bei  uns  nur  seiner  Samen 
wegen,  die  das  wertvolle  Mohnöl  liefern  und  !zu 
mancherlei  Gebäck  verwendet  werden.  In  süd- 
lichen Ländern  dagegen,  besonders  in  Vorder-,  Süd- 
und  Ostasien,  ist  er  eine  der  wichtigsten  Kultur- 
pflanzen ,  denn  er  liefert  das  wertvolle  Opium. 
Um  diesen  kostbaren  Stoff  zu  gewinnen,  ritzt  man 
die  halbreifen  Molinköpfe  mit  feinen  Messern  und 
schabt  nach  einiger  Zeit  den  ausgeflossenen  und 
eingetrockneten  Milchsaft  ab.  Das  Opium  ist  gleich 
dem  Morphium,  das  aus  ihm  gewonnen  wird,  ein 
wichtiges  Arzneimittel,  das  selbst  die  unerträg- 
lichsten Schmerzen  stillt  und  dem  Kranken  den 
ersehnten  Schlaf  bringt.  Dieser  "Wirkungen  wegen 
dient  es  aber  auch  im  Orient  als  ein  Mittel,  sich 
zu  berauschen.  Der  Opiumesser  oder  -raucher  sinkt 
bald  in  eine  angenehme  Betäubung :  er  glaubt  sich 
den  Sorgen  und  Leiden  der  Zeit  entrückt,  und  süße 
Träume  umgaukeln  seinen  Geist.  Dem  Erwachen 
folgt  jedoch  ein  unerträgliches  Übelbefinden,  das 
meist  durch  erneuten  Opiumgenuß  beseitigt  wird. 
Langsam  aber  sicher  untergräbt  der  dem  Laster 
Verfallene  seine  Gesundheit,  bis  er  endlich,  an 
Geist  und  Körper  zerrüttet,  vorzeitig  in  das  Grab 
sinkt. 
An  Mauern,  sowie  unter  Hecken  und  Zäunen,  findet  sich  häufig  das  Sehellkraut 
(Chelidonium  majus),  das  seines  gelben  Milchsaftes  wegen  allgemein  bekannt  ist.  Es 
blüht  gelb  und  hat  schotenförmige  Früchte.  Die  schwarzen  Samen  besitzen  einen  kamm- 
artigen,   weißen,    fleischigen    Anhang.     Dieses  Gebilde  wird  von  Ameisen  gern  verzehrt, 


Blatt  vom  Sehellkraut 
(*/i  nat.  Gr.). 


Andere  Mohnge wachse.    Lerchensporn.    Erdrauch.    Fl.  Herz.    Reseda.     Wau, 


27 


welche  die  Samen  daher  oft  weit  verschleppen  und  somit  die  Pflanze  verbreiten.  (Vgl. 
mit  Veilchen.)  Beachte,  wie  die  mittleren  Abschnitte  der  fiederteiligen  Blätter  nahe  der 
Mittelrippe  einen  Lappen  tragen,  an  der  entgegengesetzten  Seite  dagegen  einen  Ausschnitt 
besitzen  und  erkläre  diese  Erscheinung! 


6.,  7.  und  8.  Familie.     Erdrauch-,   Reseda-  und   Hartheug-ewäehse 
(Fumariäceae,  Resedäceae  und  Hypericäceae). 

1.  Erdrauchge wachse.  Der  Lerchensporn  (Corydalis  cava)  ist  wie 
das  Windröschen  (s.  das.)  eine  Pflanze  des  Laubwaldes.  Kein  Wunder  darum, 
daß  sich  zwischen  beiden  zahlreiche  Übereinstimmungen  finden:  Der  Lerchen- 
sporn blüht  wie  das  Windröschen  im  zeitigen  Frühjahr;  er  überwintert  mit 
Hilfe  eines  Wurzelstocks,  der  freilich  die  Form 
einer  Knolle  besitzt  und  zur  Blütezeit  hohl  ist 
(„Hohlwurz"),  und  besitzt  gleichfalls  große,  mehr- 
fach geteilte,  dünne  und  leicht  welkende  Blätter. 
Die  purpurroten  oder  weißen,  seitlich  symme- 
trischen Blüten  dagegen  sind  viel  kleiner  als  die 
des  Windröschens.  Da  sie  aber  in  einer  großen 
Traube  beieinander  stehen  und  einen  zarten  Duft 
aushauchen,  werden  sie  den  Insekten  wohl  bemerk- 
lich.  Der  Honig  wird  in  einem  Sporne  geborgen 
(Name !),  der  von  dem  oberen  der  beiden  äußeren 
Blumenblätter  gebildet  wird.  Die  beiden  inneren 
Blätter  bilden  eine  kapuzenförmige  Schutzhülle 
für  den  Blütenstaub,  der  auf  der  noch  unreifen 
Narbe  abgelagert  wird.  Läßt  sich  aber  auf  der 
Blüte  ein  Insekt  (Biene)  nieder,  dann  klappt  die 
Kapuze   nach   unten,   so   daß   das  Tier   mit   dem 

Blütenstäube  in  Berührung  kommen  muß.  Beim  Saugen  an  einer  älteren  Blüte 
wird  der  Staub  an  der  (später  reifenden)  Narbe  abgestrichen  —  und  die  Be- 
stäubung ist  erfolgt. 

.  Denselben  Blütenbau  und  infolgedessen  auch  dieselbe  Art  der  Bestäubung  (Be- 
weis!) finden  wir  bei  einem  allbekannten  Unkraute  unserer  Gärten  und  Felder,  dem 
Erdrauch  (Fumäria  offieinälis),  wieder.  Da  die  zierliche,  einjährige  Pflanze  aber  auf 
stärker  besonntem  Boden  gedeiht,  so  besitzt  sie  auch  weit  kleinere  und  derbere  Blatt- 
flächen als  der  Lerchensporn.  —  Auch  die  aus  China  zu  uns  gekommene  Zierpflanze, 
die  man  ihrer  schönen  Blüten  wegen  „flammendes  Herz"  (Dicentra  speetäbilis)  nennt, 
zeigt  im  wesentlichen  dieselbe  Blüteneinrichtung  (Beweis  !). 

2.  Ein  allbekanntes  Glied  der  Reseda-  oder  Waugewächse  ist  die  wohl- 
riechende Reseda  (Reseda  odoräta),  die  zu  unseren  geschätztesten  Gartenpflanzen  zählt. 
Das  anscheinbare  Gewächs  stammt  aus  Nordafrika.  Statt  einer  leuchtenden  Blumenkrone 
übernimmt  es  weithin  wahrnehmbarer  Duft,  die  Insekten  anzulocken.  —  Eine  ganz  ähn- 
liche, nur  größere  und  kräftigere  Pflanze  ist  der  gelbe  Wau  (R.  lutea),  der  an  Wegen 
und  ähnlichen  trockenen  Orten  gedeiht. 


Blüte  vom  Lerchensporn 

1.  in  der  Ruhe.  2.  „Kapuze" 

herabgedrückt,  (l'/omal 

nat.  Gr.) 


28  8.  Fani.  Hartheugewächse.     9.  Farn.  Veilchengewächse. 

3.  Hartheugewächse.  Das  Tüpfel-Hartheu  (Hypericum  perforätum)  wächst 
an  Wegen  und  anderen  trockenen  Stellen.  Die  hohe,  sparrige  Pflanze  hat  ihrem  Stand- 
orte entsprechend  (Beweis!)  trockene  Stengel  und  kleine  Blätter  (Gattungsname!).  Zahl- 
reiche helle  Öldrüsen  lassen  die  Blätter,  gegen  das  Licht  gehalten,  wie  durchlöchert  er- 
scheinen (Artname!).  An  den  Blättern  sowohl,  wie  an  den  5  Kelch- und  Blumenblättern, 
finden  sich  viele  schwarze  Punkte  und  Striche,  die  beim  Zerreiben  einen  roten  Farbstoff 
liefern.  Das  ist  das  „ Johannisblut",  dem  man  früher  wie  der  ganzen  Pflanze,  dem 
„Johanniskraute",  besondere  Zauberkräfte  zuschrieb.  Die  gelben  Blüten  enthalten  zahl- 
reiche Staubblätter,  deren  Fäden  am  Grunde  zu  3  Bündeln  verwachsen  sind.  Die  drei- 
fächerige Kapsel  verhält  sich  gegen  Trockenheit  und  Feuchtigkeit  wie  die  Frucht  der 
Stein-Nelke  (Versuch !).  —  Zu    den  Hartheugewächsen   steht   in  näherer  Verwandtschaft 

Der  chinesische  Teestrauch  (Thea  sinensis). 

Von  dem  Teestrauche  können  wir  uns  durch  die  Betrachtung  der  Kamelie 
(Th.  oder  Camellia  japönica),  die  der  prächtigen  (gefüllten)  Blüten  wegen  zu 
unsern  beliebtesten  Topfpflanzen  zählt ,  leicht  eine  Vorstellung  verschaffen :  er 
ist  wie  sie  eine  Pflanze  mit  elliptischen,  immergrünen,  lederartigen  Blättern 
(vgl.  mit  Orange)  und  weißen,  rosenähnlichen  Blüten.  In  seiner  Heimat, 
dem  südlichen  Asien,  wächst  er  zu  einem  stattlichen  Baume  empor.  In  den 
Ländern  dagegen,  in  denen  er  angebaut  wird,  in  China,  Japan,  dem  ganzen 
südlichen  Asien  und  auf  den  vorgelagerten  Inseln,  sowie  am  Südabhange  des 
Kaukasus,  wird  er  nur  als  kaum  1 — 2  m  hoher  Strauch  gehalten. 

Wenn  man  von  dem  Tee,  wie  er  zu  uns  in  den  Handel  kommt,  etwas 
im  "Wasser  aufweicht  und  vorsichtig  auseinander  breitet,  so  sieht  man,  daß  er 
aus  getrockneten  und  zusammengerollten  Blättern  besteht.  Das  Laub, 
das  den  Knospen  entnommen  ist  oder  sich  soeben  entfaltet,  liefert  die  wertvollste 
Ware;  denn  es  ist  am  reichsten  an  dem  flüchtigen  Öle  (s.  Rose),  das  dem  Tee 
den  bekannten  Wohlgeruch  verleiht,  und  an  dem  Stoffe  (The'in) ,  der  mit  dem 
Öle  die  belebende  Wirkung  des  Teeaufgusses  bedingt. 

Die  Verarbeitung  der  Blätter  ist  in  den  einzelnen  Ländern  sehr  ver- 
schieden. In  China,  dem  wichtigsten  Teelande  der  Welt,  verfährt  man  in  der 
Regel  in  folgender  Weise:  Man  nimmt  dem  Strauche  im  Jahre  gewöhnlich  drei- 
mal das  junge  Laub.  Die  eingesammelten  Blätter  werden  an  der  Luft  getrocknet 
und  erhalten  dadurch  eine  braune,  fast  schwarze  Färbung  (schwarzer  Tee). 
Alsdann  werden  sie  in  Pfannen  über  einem  Feuer  geröstet,  zwischen  den  flachen 
Händen  gerollt,  nochmals  geröstet  und  schließlich  langsam  getrocknet.  Setzt 
man  die  eingeernteten  Blätter  der  Einwirkung  heißer  Wasserdämpfe  aus,  so 
bleibt  die  grüne  Färbung  mehr  oder  weniger  erhalten,  und  man  gewinnt  so  den 
„grünen  Tee".  Von  diesen  beiden  Teearten  unterscheidet  man  wieder  eine 
große  Menge  Sorten,  deren  wertvollste  nur  im  Hofhalte  des  chinesischen  Kaiser- 
hauses verwendet  und  darum  Kaisertee  (Imperial)  genannt  wird. 


SchmeiL  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  5. 


Wohlriechendes  Veilchen  (Viola  odorata). 


Hartheu.     Teestrauch.     Wohlriechendes  Veilchen.  29 

9.  Familie.     Veileheng-ewäehse  (Violäceae). 

Blüten    seitlich   symmetrisch,    mit    5    Kelchhlättern,    5    Blumenblättern,    von    denen   das 

unterste  gespornt  ist,  und  5  Staubblättern.    Frucht  eine  einfächerige  Kapsel ;  Samen  in 

der  Mitte  der  3  Fruchtblätter. 

Das  wohlriechende  Veilchen  (Viola  odoräta).     Taf.  5. 

A.  Das  Veilchen,  eine  Lieblingspflanze  des  Menschen.  Keine  Blume 
unserer  Heimat  begrüßen  wir  mit  so  großer  Freude  wie  das  erste  Veilchen, 
das  wir  im  jungen  Grase  des  Gartens  oder  draußen  auf  dem  Wiesenplane,  an 
der  Hecke  oder  am  Waldesrande  finden:  erblicken  wir  doch  in  ihm  einen  un- 
trüglichen Boten  des  langersehnten  Lenzes.  Dichter  haben  das  „kleine  Blau- 
Veilchen"  darum  besungen,  und  in  zahlreichen  Frühlingsliedern  ist  es  verherr- 
licht (Beispiele!).  Obgleich  durch  die  zarte  Farbe  und  den  köstlichen  Duft  der 
Blüte  mit  hohen  Gaben  ausgestattet,  blüht  es  doch  still  im  Verborgenen.  Darum 
gilt  es  uns  auch  als  ein  Sinnbild  der  Demut  und  Bescheidenheit.    Jener  Gaben 

Agen  ist  es  auch  seit  altersher  eine  der  beliebtesten  Gartenblumen,  und  fort- 
gesetzt arbeitet  man  daran  (s.  S.  19),  immer  größere,  schönere  und  duftendere 
Blüten  zu  erzielen,  die  sich  je  nach  der  Spielart  zu  jeder  gewünschten  Jahres- 
zeit entfalten.  Der  köstliche  Duft  der  Blüte  wird  auch  zur  Herstellung  wohl- 
riechender Wässer,  Salben,  Seifen  u.  dgl.  benutzt. 

B.  Das  Veilchen,  eine  Pflanze  des  Frühlings.  1.  Ginge  das  Veilchen 
in  jedem  Frühjahr  aus  Samen  hervor,  so  könnte  es  unmöglich  so  zeitig  im  Jahre 
grünen  und  blühen.  Es  ist  aber  eine  ausdauernde  Pflanze,  die  der  Lenz 
bereits  fertig  vorfindet. 

2.  Die  Baustoffe  für  Blätter  und  Blüten  sind  in  dem  Stengel  auf- 
gespeichert. Er  ist  zum  größten  Teil  im  Erdboden  verborgen  und  treibt  hier 
zahlreiche  feine  Wurzeln.  Unrichtigerweise  wird  er  meist  selbst  als  Wurzel, 
und  zwar  als  die  stärkste,  angesehen.  Da  er  aber  zahlreiche  Blattnarben  be- 
sitzt, früher  also  mit  Blättern  besetzt  gewesen  sein  muß,  kann  er  keine  Wurzel 
sein ;  denn  eine  solche  trägt  niemals  Blätter.  Der  kleinere  Teil  des  Stengels  ragt 
aus  dem  Boden   hervor  und  trägt  an  seinem  Ende  einen  Büschel  von  Blättern. 

Die  vorjährigen  Blätter,  die  sich  meist  bis  zum  Frühjahre  erhalten,  sterben 
jetzt  ab,  und  über  ihnen  bildet  sich  ein  Büschel  neuer.  Der  Stengel  wächst 
also  in  jedem  Frühjahre  ein  Stück  nach  oben.  Am  entgegengesetzten  Ende 
dagegen  stirbt  er  beständig  ab  (genau  wie  wir  dies  am  unterirdischen  Stamme 
des  Windröschens  gesehen  haben).  Und  wenn  das  Fortwachsen  und  Absterben 
noch  so  langsam  erfolgte,  so  müßte  sich  der  Stengel  doch  wohl  schließlich  aus 
dem  Boden  hervorschieben,  so  daß  er  auf  ihm  zu  liegen  käme?  Dies  geschieht 
jedoch  nicht!  In  demselben  Maße  nämlich,  wie  er  unten  abstirbt,  wird  er 
von  den  Wurzeln  in  den  Boden  gezogen. 

3.  Blätter,  a)  Die  hervorsprießenden  jungen  Blätter  sind  von  beiden 
Seiten  her  tütenförmig  zusammengerollt  (1.).   Welche  Bedeutung  dies  hat, 


30  Taf.  5.    9.  Fam.  Veilchengewächsc. 

wird  uns  folgender  Versuch  lehren.  Wir  nehmen  2  gleich  große  Blätter,  die 
jene  Zusammenrollung  zeigen,  legen  beide,  nachdem  aber  das  eine  ausgebreitet 
und  vielleicht  durch  eine  Stricknadel  oder  dgl.  beschwert  worden  ist,  an  irgend 
eine  Stelle,  so  daß  sie  von  den  Sonnenstrahlen  getroffen  werden.  Nach  einiger 
Zeit  werden  wir  beobachten,  daß  das  zusammengerollte  Blatt  noch  ziemlich 
„frisch"  aussieht,  während  das  andere  schon  stark  verwelkt  ist.  Wie  durch 
einen  anderen  einfachen  Versuch  festzustellen  ist  (lege  beblätterte  Zweige  irgend 
eines  Strauches  oder  Baumes  unter  eine  Glasglocke  und  beobachte,  wie  die 
Glaswand  beschlägt,  während  die  Pflanzenteile  verwelken!),  beruht  das  Ver- 
welken auf  zu  starker  Abgabe  des  in  den  Blättern  enthaltenen  Wassers.  Die 
Tütenform  des  jungen  Blattes  ist  also  ein  Schutzmittel  gegen  zu  starke 
\V  a  s  s  e  r  a  b  g  a  b  e. 

Der  erste  Versuch  zeigt  uns  auch,  warum  gerade  das  junge  Blatt  eines 
solchen  Schutzmittels  bedarf:  an  dem  künstlich  ausgebreiteten  Blatte  welken  und 
vertrocknen  die  Teile,  die  sonst  eingerollt  waren,  zuerst.  Sie  sind  sehr  zart, 
geben  darum  am  meisten  Wasser  in  Dampfform  ab,  gehen  daher  auch  am  ersten 
zu  Grunde  und  —  bedürfen  deshalb  eines  besonderen  Schutzmittels. 

b)  Nach  und  nach  breitet  das  junge  Blatt  seine  herzförmige,  gekerbte 
Fläche  aus.  Je  nachdem  das  Veilchen  in  kurzem  oder  langem  Grase  wächst, 
je  nachdem  sind  auch  die  Blattstiele  von  verschiedener  Länge:  stets  aber 
sind  sie  so  lang,  um  die  Blattfläche  in  den  vollen  Genuß  des  Sonnenlichtes  zu 
setzen  (Bedeutung?).  Am  Grunde  jedes  Blattstieles  sitzen  2  kleine,  lanzettliche 
Nebenblätter. 

C.  Das  Veilchen,  eine  Pflanze  mit  mehrfacher  Vermehrung.  1.  Aus- 
läufer. Aus  den  Winkeln  der  unteren  Blätter  wachsen  Zweige  hervor,  die 
an  den  Stengelknoten  Wurzeln  schlagen.  Die  Zweige  bleiben  aber  auf  dem 
Erdboden  liegen  und  treiben  im  Gegensatze  zu  dem  kurzgliedrigen  Stengel  (kurz- 
gliedrig;  denn  die  Blätter,  die  ja  stets  an  Stengelknoten  entspringen,  stehen 
dicht  beieinander!)  sehr  lange  Glieder  (Kurz-  und  Langtriebe).  Infolgedessen 
entfernt  sich  die  Spitze  des  „Ausläufers"  weit  von  der  Mutterpflanze.  Am 
Ende  desselben  bildet  sich  bald  ein  Blattbüschel,  aus  dem  im  nächsten  Jahre 
Blüten  hervorbrechen:  es  ist  eine  neue  Pflanze  entstanden,  die  allerdings  mit 
der  Mutterpflanze  noch  lange  im  Zusammenhang  bleiben  kann  (1.) 

2.  Frühlingsblüte.  So  prächtig  die  Blüte  des  Veilchens  ist,  so  wunder- 
bar ist  auch  ihr 

a)  Bau.  Wie  der  Körper  des  Menschen  und  zahlreicher  Tiere  (Bei- 
spiele !)  kann  die  Blüte  nur  durch  einen  Schnitt  (führe  ihn !)  in  2  spiegel- 
bildlich gleiche  Teile  zerlegt  werden:  sie  ist  seitlich  symmetrisch.  Ein 
langer  Stiel,  der  in  der  Mitte  2  schuppenartige  Blättchen  trägt,  hebt  sie  aus 
dem  Grase  empor.  (Bedeutung?  Beachte  hier  wie  bei  den  Blattstielen  die  ver- 
schiedene Länge!)  Die  5  Kelchblätter  umschließen  anfänglich  die  inneren 
Blütenteile  gänzlich  (Bedeutung?).  Später  werden  sie  von  den  violetten  (selten 
weißen)  Blumenblättern  auseinandergedrängt,  von  denen  an  der  entfalteten 


Wohlriechendes  Veilchen.  31 

Blüte  je  2  nach  oben  und  nach  der  Seite  gerichtet  sind  und  eins  nach  unten 
steht,  Das  untere  Blumenblatt  verlängert  sich  in  einen  Sporn  (3.),  in  den  die 
beiden  unteren  der  5  Staubblätter  (4.)  je  einen  langen,  grünen  Fortsatz  I  II.) 
senden.  Wie  man  sich  durch  den  Geschmack  leicht  überzeugen  kann,  sondern 
diese  Fortsätze  Honig  ab.  Der  süße  Saft  fließt  in  den  Sporn,  den  man  darum 
treffend  auch  als  „Safthalter"  bezeichnet.  Die  sehr 
kurzen  Staubblätter  umstehen  den  Fruchtknoten  und 
besitzen  am  Vorderrande  je  einen  orangefarbenen  Fort- 
satz (4.  F.).  Die  Fortsätze  greifen  etwas  übereinander 
und  bilden  einen  kegelförmigen  Hohlraum,  dessen  Spitze 
von  dem  fadenförmigen  Griffel  durchbrochen  wird.  Das 
Ende  des  Griffels  ist  die  hakenförmig  nach  unten  ge- 
krümmte Narbe.  Öffnen  sich  die  Staubbeutel  (4  B.),  so 
fällt  der  trockene,  mehlartige  Blütenstaub  in  diesen  Bliitengrundrig  vom 
Hohlraum.  —  Nicht   weniger   wunderbar   als    der  Bau,  Veilchen. 

ist  auch  die 

b)  Bestäubung  der  Blüte  (3.).  Durch  die  Färbung  der  Blumenblätter  (vio- 
lett, Blütenmitte  weißlich,  unteres  Blatt  mit  dunkelblauem  Streifen;  selten  ganz 
weiß)  und  den  weithin  wahrnehmbaren  Duft  werden  die  Bestäuber  angelockt. 
Da  der  Honig  im  Sporn  verborgen  ist,  können  kurzrüsselige  Insekten  nicht  bis 
zu  ihm  gelangen.  Bienen  und  Hummeln  sind  die  Hauptbestäuber.  Sie  lassen 
sich  entweder  auf  dem  unteren  Blumenblatte  nieder  oder  hängen  sich  an  die 
beiden  oberen  Blätter,  wobei  sie  sich  an  den  Härchen  der  seitlichen  Blätter 
festhalten. 

Wie  die  Bestäubung  erfolgt,  läßt  sich  leicht  durch  folgenden  Versuch 
feststellen:  Man  halte  eine  (junge)  Blüte  in  ihrer  natürlichen  Stellung  so  hoch, 
daß  man  bequem  hineinschauen  kann,  und  führe  mit  der  andern  Hand  ein  zu- 
gespitztes Hölzchen  (Insektenrüssel!)  in  den  Sporn.  Sobald  nun  die  Narbe,  die 
den  Eingang  versperrt,  vom  Hölzchen  getroffen  wird,  bewegt  sich  der  Griffel 
ein  wenig  nach  oben.  Dadurch  weichen  die  orangefarbenen  Fortsätze  der  Staub- 
blätter auseinander,  d.  h.  der  von  ihnen  gebildete  kegelförmige  Hohlraum  öffnet 
sich,  so  daß  etwas  von  dem  mehlartigen  Blütenstäube  herausfallen  muß.  Ge- 
nau dasselbe  erfolgt,  wenn  ein  Insektenrüssel  in  die  Blüte  eindringt:  ein  Teil 
des  Blütenstaubes  fällt  dem  Tiere  auf  Eüssel  und  Kopf.  Fliegt  das 
Insekt  nun  zu  einer  zweiten  Blüte,  so  kann  es  nicht  ausbleiben,  daß  einige  Körnchen 
davon  an  der  Narbe,  die  gerade  im  Wege  zum  Honig  steht,  abgestrichen  werden, 
daß  also  Fremdbestäubung  erfolgt.  Jetzt  wird  uns  auch  verständlich,  warum 
das  Veilchen  trockenen  Blütenstaub  besitzt,  während  wir  bei  „insektenblütigen 
Pflanzen"  der  Regel  nach  klebrigen  Staub  (warum?)  antreffen,  weshalb  die  Blüte 
nicht  aufrecht  stehen  oder  senkrecht  nach  unten  hängen  darf  (wohin  würde  der 
Blütenstaub  fallen?),  sondern  schräg  nach  unten  geneigt  sein  muß,  warum  also 
—  mit  anderen  Worten  ausgedrückt  —  der  Blütenstiel  an  seinem  oberen  Ende 
die  eigentümliche  Krümmung  macht. 


32  9.  Fam.  Veilchengewächse.     10.  Farn.  Sonnentaugewächse. 

3.  Sommerblüten.  Außer  den  prächtigen  Frühlingsblüten  bringt  das 
Veilchen  später  im  Jahre  noch  andere,  aber  sehr  unscheinbare  Blüten  hervor  (2  S.). 
Ihr  Kelch  bleibt  geschlossen;  die  Blumenblätter  färben  sich  nicht  bunt;  die 
Staubblätter  und  der  Stempel  aber  sind  wohl  entwickelt,  so  daß  regelmäßig 
Früchte  entstehen.  Da  die  Bestäubung  dieser  „Sommerblüten"  ohne  Hilfe  der 
Insekten  erfolgt  (Selbstbestäubung),  so  fehlen  ihnen  selbstverständlich  auch  die 
Anlockungsmittel  der  Frühlingsblüten:  die  bunte  Färbung,  der  Duft  und  der  Honig. 

4.  Frucht,  a)  Der  Fruchtknoten  ist  aus  3  Fruchtblättern  gebildet, 
die  an  ihren  Rändern  zahlreiche  Samen  tragen.  Die  unreifen  Fruchtkapseln 
hängen  an  gekrümmten  Stielen  nach  unten  oder  liegen  gar  auf  dem  Boden. 
Sobald  sie  aber  reif  sind,  richten  sich  die  Stiele  empor.  Die  3  Klappen 
(d.  s.  die  verwachsenen  Hälften  je  zweier  benachbarter  Fruchtblätter),  durch  die 
sich  die  Frucht  öffnet,  schrumpfen  von  der  Seite  her  nach  und  nach  zusammen. 
Infolgedessen  geraten  die  Samen  zwischen  die  Klappen  und  werden  durch  den 
Druck,  der  durch  das  fortgesetzte  Eintrocknen  erzeugt  wird,  fortgeschnellt,  ähn- 
lich wie  Kirschkerne,  die  wir  mit  den  Fingern  „fortschnippen".  Darum  müssen 
sich  auch  die  Fruchtstiele  bei  der  Reife  der  Samen  aufwärts  bewegen.  Und 
wenn  man  bedenkt,  daß  das  Veilchen  an  geschützten  Orten  wächst,  an  denen  ein 
Aussäen  der  Samen  durch  den  Wind  (wie  z.  B.  bei  der  Steinnelke)  kaum  mög- 
lich ist,  wird  man  leicht  erkennen,  daß  diese  Verbreitungsweise  außerordentlich 
zweckentsprechend  ist.  Gleich  wie  sich  aber  nur  glatte  Körperchen  „fort- 
schnippen" lassen  (Kirschkerne  sind  feucht!),  sind  auch 

b)  die  Samen  außerordentlich  glatte  Gebilde.  Sie  besitzen  je  einen 
weißen,  fleischigen  Anhang,  der  ohne  Schaden  für  die  Keimung  entfernt  werden 
kann.  Man  hat  nun  beobachtet,  daß  gewisse  Ameisenarten  den  Anhang  gern 
verzehren  und  deshalb  die  Samen  in  ihre  Baue  tragen  oder  verschleppen.  Und 
das  ist  für  die  Pflanze  ein  Vorteil;  denn  viele  Samen  gelangen  auf  diese  Weise 
an  einen  Ort,  an  dein  sie  keimen  können:  gewiß  eine  noch  eigentümlichere  Art 
der  Verbreitung! 

Andere  Veilchen. 

Im  schattigen  Walde,  wie  auf  ödem  Sandboden,  auf  nassen,  wie  trockenen  Wiesen, 
in  der  Ebene,  wie  im  Gebirge :  überall  treten  uns  Veilchen  entgegen,  die  —  weil  ge- 
ruchlos —  der  Volksmund  gewöhnlich  als  „wilde  Veilchen"  bezeichnet.  Sie  gehören 
sehr  verschiedenen  Arten  an,  die  schwer  voneinander  zu  unterscheiden  sind.  Am  häu- 
figsten ist  das  Hunds-Veilchen  (V.  canina)  mit  seinem  langgliedrigen  Stengel  und  den 
hellblauen,  weißgespornten  Blüten.  —  Am  bekanntesten  jedoch  ist  das  Stiefmütterchen 
(V.  tricolor),  das  auf  Feldern  und  Triften  überall  zu  finden  ist.  (Wie  ist  es  der  Sage 
nach  zu  seinem  Namen  gekommen  ?)  Unter  den  Stiefmütterchen  macht  sich  aber  ein  be- 
merkenswerter Unterschied  geltend :  die  einen  besitzen  große,  prächtig  blau  oder  blau  und 
weiß  (gelb)  gefärbte  Blüten ;  die  anderen  dagegen  haben  kleine,  unscheinbare,  meist  gelb- 
lichweiße oder  auch  blaue  und  gelbe  Blumenblätter.  Mit  dieser  Verschiedenheit  steht 
die  Art  der  Bestäubung  in  innigstem  Einklang!  Die  großen,  auffallenden  Blüten 
sind  nur  durch  Fremdbestäubung  zu  befruchten;  die  kleinen,  unscheinbaren  dagegen  be- 
stäuben sich  selbst!  Untersuche  den  Bau  ihrer  Griffel  und  führe  dies  näher  aus!  —  Die 


Andere  Veilchen.     Rundblättriger  Sonnentau. 


33 


großblumige  Form  des  Feldstiefmütterchens  und  einige  verwandte  Arten  sind  die  Stamm- 
eltern der  Gartenstiefmütterchen  (Pensees).  Eine  planmäßige  Veredlung  (s.  S.  19) 
dieser  herrlichen  Gartenpflanze  hat  erst  zu  Anfang  des  19.  Jahrhundorts  begonnen,  und 
welchen  Erfolg  diese  Arbeit  gehabt  hat,  davon  legen  die  erstaunliche  Größe  und  wechsel- 
volle Farbenpracht  der  samtenen  Blumen  beredtes  Zeugnis  ab. 

10.  Familie.     Sonnentaugewächse  (Droseräceae). 
Der  rundblättrige  Sonnentau  (Drosera  rotundifölia) 

und  einige  andere   ^insektenfressende  Pflanzen". 


Die   zierlichen  Blattrosetten   des 
dem   feuchten   Boden   des  Moores   oder 


1.  Ein  Bewohner  des  Moores. 

eigentümlichen  Pflänzchens  finden  sich 
den  weichen  Polstern  des  Torfmooses 
(Sphagnum)  aufgelagert,  oder  auch  in  dem 
niedrigen  Grase,  das  den  schwankenden 
Grund  bedeckt.  Zur  Sommerzeit  erheben 
sich  aus  der  Mitte  der  Rosette  einige 
kaum  spannenlange  Blüten  schaffe.  Die 
weißen,  unscheinbaren  Blüten  entfalten 
sich  aber  nur  im  warmen  Sonnenschein 
und  zwar  je  nur  auf  einige  Stunden.  Die 
grünen  Blätter  tragen  auf  langen  Stie- 
len kreisrunde,  etwas  ausgehöhlte  Blatt- 
flächen, die  an  der  Oberseite  mit  zahl- 
reichen roten  Haaren  bedeckt  sind.  Die 
Haare  nehmen  vom  Rande  nach  der 
Mitte  zu  beständig  an  Größe  ab  und 
sind  von  je  einem  roten  Köpfchen  ge- 
krönt. (Vgl.  die  Blätter  mit  Löffelchen, 
die  Haare  mit  Stecknadeln  und  die 
Blattflächen  mit  Nadelkissen!)  Da  die 
Köpfchen  von  einer  farblosen  Flüssig- 
keit umhüllt  sind,  glänzen  und  glitzern 
sie   im    Sonnenscheine   wie   der   Tau   in 

der  Morgenfrühe  (Name!)  oder  wie  der  Honig  in  zahlreichen  Blüten  (z.  B. 
der  Doldenpflanzen).  Die  Flüssigkeit  verdunstet  aber  selbst  an  warmen  Tagen 
nicht  und  schmeckt  auch  nicht  süß:  sie  kann  also  weder  Tau,  noch  Honig 
sein.  Berühren  wie  sie,  so  gibt  sie  sich  als  eine  klebrige,  fadenziehende  Masse 
zu  erkennen,  die  von  den  Köpfchen  ausgeschieden  wird.  Die  Köpfchen  sind 
also  Drüsen,  die  auf  langen  Stielen  stehen.  —  Sehr  häufig  findet  man  auf 
den  Blättern  Panzer  von  Insekten  oder  Teile  davon.  Wie  sind  diese  Körper 
dorthin  gelangt? 

Schm eil,  Lehrbuch  der  Botanik.  3 


Blatt  vom  Sonnentau 

5  mal  nat.  Gr.). 


34 


10.  Fam.  Sonnentaugewächse. 


2.  Eine  „insektenfressende"  Pflanze,  a)  Wie  die  Beute  gefangen 
wird.  Durch  die  rote  Färbung  der  Haare  und  die  klebrige,  wie  Honigsaft 
glänzende  Masse  der  Drüsenköpfchen  werden  Insekten  angelockt.  Sobald  sich 
aber  ein  Tierchen  niederläßt,  den  vermeintlichen  Nektar  zu  trinken,  fühlt  es 
sich  gefangen  und  sucht  zu  entfliehen.  Einem  kleinen  Insekt  ist  dies  aber 
nicht  mehr  möglich:  es  wird  von  den  Drüsen,  die  es  berührt,  wie  von  Leim- 
ruten festgehalten.  Die  Köpfchen  nehmen  jetzt  eine  dunkelrote  Farbe  an  und 
scheiden  eine  größere  Menge  Flüssigkeit  aus;  ihre  Stiele  krümmen  sich  wie 
Finger  der  Mitte  der  Blattfläche  zu;  die  be- 
nachbarten Haare  krümmen  sich  gleichfalls  und 
drücken  ihre  Köpfchen  auf  die  Beute;  dasselbe 
tun  die  entfernteren  Haare:  und  nicht  lange 
währt  es  (bestimme  die  Zeit  bei  deinen  Ver- 
suchen !),  so  ist  das  Insekt  wie  von  hundert  und 
mehr  Saugnäpfen  eines  Polypen  gepackt,  zur  Mitte 
des  Blattes  befördert  und  in  der  ausgeschiedenen 
Flüssigkeit  ertränkt  (erstickt). 

b)  Wie  die  Beute  „verzehrt"  wird. 
Nach  ein  paar  Tagen  finden  wir  auf  dem  Sonnen- 
taublatte, dessen  Drüsenhaare  sich  unterdes  wie- 
der aufgerichtet  haben,  nur  noch  den  Hautpanzer 
des  gefangenen  Insekts.  WTo  sind  aber  die  WTeich- 
teile  des  Tieres  so  schnell  hingekommen?  Die 
Flüssigkeit,  die  nach  dem  Fange  des  Insekts  von 
den  Drüsen  ausgeschieden  wurde,  enthält  einen 
Stoff,  der  wie  unser  Magensaft  imstande  ist,  ei- 
weißhaltige Körper  (Fleisch  und  dgl.)  aufzulösen. 
Durch  seine  Einwirkung  wurden  in  der  Höhlung 
der  Blätter  die  Weichteile  verflüssigt,  und  indem 
die  ausgeschiedene  Flüssigkeit  von  den  Drüsen  wieder  zurückgesogen  wurde, 
wurden  auch  die  eiweißhaltigen  Stoffe  des  Insektenleibes  mit  aufgenommen. 
Mit  Becht  nennt  man  daher  den  Sonnentau  eine  „insektenfressend  e" 
Pflanze.  —  Genau  wie  gegen  lebende  Tiere  verhält  sich  die  Pflanze  auch 
gegen  andere  stickstoffhaltige  Körper  (Fleischstückchen,  gekochtes  Hühner- 
eiweiß, geronnenes  Blut  und  dgl.).  Bringt  man  dagegen  stickstoffreie  Körper 
(Sandkörnchen,  Holz,  Zucker  und  dgl.)  auf  die  Blätter,  so  stellen  sich  jene 
Veränderungen  zwar  auch  ein,  aber  in  einem  viel  schwächeren  Grade  und  ohne 
daß  diese  Körper  irgendwie  verändert  oder  gar  aufgesogen  würden.  (Stelle 
entsprechende  Versuche  an!  Wie  verhält  sich  das  Blatt,  wenn  man  ihm  zwei 
Speisebrocken  gibt?  Inwiefern  sind  die  ausgehöhlte  Blattfläche  und  die  An- 
ordnung der  Blätter  zu  einer  Rosette  für  die  Pflanze  von  Vorteil?) 

Dienen  dem  Sonnentau  die  aufgesogenen  Tierstoffe  aber  auch  wirklich  zur 
Ernährung?     Daß  dies  der  Fall  ist,   haben   zahlreiche  Versuche  bewiesen:    die 


Blatt    vom    Sonnentau:    Die 

gestielten    Drüsen    haben    sich 

z.    T.    über    einem    Stückchen 

Fleisch    nach     innen    gebogen. 

(etwa  5 mal  nat.  Gr.) 


Rundblättriger  Sonnentau  und  andere  „insektenfressende"   Pflanzen.  35 

mit  tierischer  Kost  „gefütterten"  Pflanzen  waren  stets  kräftiger  und  erzeugten 
größere  Samen  und  Winterknospen  als  die  Pflanzen,  denen  man  eiweißhaltige 
Stoffe  vorenthielt.  (Stelle  solche  Versuche  an !)  Wir  können  hiernach  auch  ver- 
stehen, wie  die  Pflanze  mit  so  dürftig  entwickelten  Wurzeln  auskommt.  Und 
wenn  wir  erfahren,  daß  der  Moorboden  sehr  arm  an  Stickstoff  ist,  ohne  den 
sich  in  den  grünen  Blättern  kein  Eiweiß  bilden  kann,  so  werden  wir  auch 
die  Wichtigkeit  des  Insektenfanges  für  die  Pflanze  als  für  einen  Moor- 
bewohner verstehen. 

3.  Andere  „insektenfressende"  Pflanzen.  Auf  sumpfigen  Wiesen  und  in 
der  Gesellschaft  des  Sonnentaus  findet  sich  häufig  das  niedliche  Fettkraut  (Pingaicula 
vulgaris).  Wie  die  violette  Blüte  deutlich  zeigt,  ist  das  Pflänzchen  gleich  dem  w.  u. 
erwähnten  Wasserschlauch  den  Lippenblütlern  nahe  verwandt.  Da  beide  aber  Tierfänger 
sind,  sollen  sie  trotzdem  hier  kurz  betrachtet  werden.  Die  hellgrünen,  fleischigen  Blätter 
des  Fettkrautes  (Name!)  bilden  eine  dem  Boden  aufliegende  Rosette.  Sie  sind  an  den 
Seitenrändern  etwas  aufgebogen  und  an  der  Oberfläche  mit  zahlreichen  Drüsen  bedeckt, 
die  einen  klebrigen  Saft  ausscheiden.  Kleine  Insekten,  die  auf  das  Blatt  geraten  und 
in  den  Saft  einsinken,  suchen  zu  entfliehen.  Sobald  sie  aber  den  Blattrand  berühren, 
„bekommt  das  Blatt  Leben":  der  Blattrand  überdeckt  das  Tier  und  schiebt  es  nach  der 
Mitte  des  Blattes,  von  den  Drüsen  wird  ein  Verdauungssaft  ausgeschieden,  und  bald  ist 
die  Beute  getötet  und  verzehrt. 

Aus  dem  Wasser  der  Teiche,  Tümpel  und  Gräben  ragen  in  den  Sommermonaten 
nicht  selten  die  prächtigen,  gelben  Lippenblüten  des  Wasserschlanchs  (Utriculäria 
vulgaris)  hervor.  Die  Pflanze  schwebt  ohne  Wurzeln  frei  im  Wasser,  bewohnt  daher  nur 
stehende  Gewässer  (warum?)  und  besitzt  wie  der  Wasserhahnenfuß  (s.  das.)  fein  zer- 
teilte Blätter.  Einzelne  Blattzipfel  sind  aber  zu  eigentümlichen  Blasen  oder  kurzen 
Schläuchen  (Name!)  umgewandelt,  die  etwa  die  Größe  von  Pfefferkörnern  besitzen  und 
Tierfallen  darstellen.  In  das  Innere  jeder  Blase  führt  eine  Öffnung,  die  von  mehreren 
kleinen  und  2  verzweigten,  größeren  Borsten  umstellt  und  durch  eine  Klappe  verschlossen 
ist.  Schon  durch  den  Anstoß  eines  Wasserinsekts,  eines  Ruder-,  Blattfuß-  oder  Muschel- 
krebschens öffnet  sich  die  Klappe  nach  innen.  Die  Tierchen  dringen  auch  zahlreich  in 
die  Blase  ein,  sind  aber  alsbald  gefangen ;  denn  die  Klappe  öffnet  sich  nicht  nach  außen. 
Nach  einigen  Tagen  verenden  sie ;  die  Verwesungsstoffe  aber  werden  von  der  Pflanze 
aufgesogen  und  zum  Aufbau  ihres  Körpers  verwendet. 

In  wärmeren  Ländern  gibt  es  eine  Reihe  von  Pflanzen,  die  den  Tierfang  mit 
Hilfe  sehr  verschieden  gestalteter  Fallgruben  betreiben.  Unter  diesen  sind  wieder  die 
bei  uns  häufig  in  Gewächshäusern  gezogenen  Kannensträucher  (Nepenthes)  am  seltsamsten. 
Sie  gedeihen  auf  dem  Sumpfboden  der  Urwälder  oder  klettern  auch  in  dem  niedrigen 
Buschwerk  empor.  Ihre  Blattstiele  sind  im  ersten  Abschnitt  blattartig  verbreitert,  im 
mittleren  strangartig,  im  Endteile  aber  zu  der  kannenförmigen  Fangvorrichtung  um- 
gewandelt, deren  Deckel  durch  die  kleine  Blattfläche  gebildet  wird.  Wie  die  Blumen,  so 
bedient  sich  auch  die  Kanne  besonderer  Mittel,  die  Insekten  anzulocken :  der  Deckel 
und  besonders  der  gewulstete  Rand  sind  oft  mit  Honig  bedeckt,  und  die  Buntfärbung  des 
ganzen  Gebildes  zeigt  den  Tieren  an,  daß  hier  eine  Nahrungsquelle  fließt.  Der  Kannen- 
rand ist  aber  an  der  Innenseite  abschüssig  und  durch  einen  Wachsüberzug  geglättet. 
Es  kann  daher  nicht  ausbleiben,  daß  zahlreiche  Näseher  in  die  Kanne  stürzen,  die  oft 
bis  zur  Hälfte  mit  Flüssigkeit  gefüllt  ist.     Da   die    Innenwand    der   Kanne    durch  einen 


36 


11.  Fam.  Nelkengewächse. 


"Wacksüberzng    gleichsam    poliert  ist  und  vom  Rande  oft  noch  große  Zähne   nach    innen 
starren,  so  giebt  es  für  die  Gefangenen  kein  Entkommen.    Sie  ertrinken;  ihre  "Weichteile 

werden  von  dem  ausgeschiedenenVerdauungs- 
safte  aufgelöst  und  von  der  Pflanze  aufge- 


ll. Familie.     Nelkengewäehse 

(Caryophyllaceae). 
Blüten:    4  oder  5    freie    oder   verwachsene 
Kelchblätter;  4  oder  5  Blumenblätter;  Staub- 
blätter in  2  Kreisen,  meist  10 ;  Früchte  ein- 
fächerig; mit  meist  vielen  Samen  an  einer 

mittelständigen  Säule. 

1.  Unterfamilie.     Eigentliche  Nelken 

(Sileneae). 
Kelchblätter    zu    einer   Röhre    verwachsen. 

Die  Stein-Nelke  (Diänthus 
carthusianörum). 

Die  allbekannte*,  auch  Karthäuser**- 
Nelke  genannte  Pflanze   findet  sich, 
wie  schon  der  Name  andeutet  auf  stei- 
nigem Untergrunde,    grasigen  Bergab- 
hängen, in  Straßengräben  und  an  ähn- 
lichen trockenen  und  dem  Sonnenbrande 
voll  ausgesetzten  Stellen.     Sie  ist  also 
A.  eine  Odlanrtpflanze.    1)  Unter- 
sucht man  den  Boden   ihres  Standorts 
im  Sommer,  wenn  es  längere  Zeit  nicht 
geregnet  hat,    so    wundert   man   sich, 
dali  auf  einem  (nach  unserer  Meinung) 
so  „völlig"  ausgetrockneten  Grunde  noch 
nicht  alles  Pflanzenleben  erloschen  ist; 
die  Nelke  dringt  aber  mit  ihrer  starken 
Hauptwurzel,   in    die   sich  der  verzweigte   unter- 
irdische Stamm  (s.  Absch.  2)  fortsetzt,  bis  zu  den 
tieferen  Erdschichten  hinab,   die  selbst  während  der 
trockensten  Jahreszeit   etwas   Feuchtigkeit  besitzen. 
Auf  Felsuntergrund  freilich,  der  nur  mit  einer  dünnen 
Schicht    Erde    überzogen    ist,    können    die    "Wurzeln 

*  An  den  wenigen  Orten,  an  denen  sie  fehlt,  kann 
die  Heidenelke  (s.  w.  u.)  an  ihre  Stelle  treten. 

**  Nach  den  beiden  Naturforschern  Karthauser,    die 
im   18.  Jahrhundert  lebten. 


Stein-Nelke.  37 

nicht  tief  hinabsteigen.  Dort  müssen  sich  die  Pflanzen,  die  darum  auch  außer- 
ordentlich dürftig  sind,  dann  mit  dem  nächtlichen  Tau  begnügen,  der  von  den 
oberflächlich  liegenden  Wurzeln  aufgesogen  wird.  Und  die  geringe  Menge  von 
Feuchtigkeit  genügt  der  Pflanze,  wie  der  Augenschein  lehrt,  das  Leben  zu 
erhalten. 

2)  Andererseits  werden  wir  aber  nicht  fehl  gehen,  wenn  wir  annehmen, 
daß  die  Pflanze  an  allen  Orten  mit  der  geringen  Wassermenge,  die  ihr  zur 
Verfügung  steht,  sehr  sparsam  umgehen  wird.  Wir  finden  bei  ihr  keine  großen 
Blattflächen,  wie  sie  die  Schatten-  oder  Wasserpflanzen  (s.  Windröschen  und 
Sumpf-Dotterblume)  besitzen,  sondern  schmale,  grasartige  Blätter.  Und 
diese  Blätter  sind  —  wieder  im  Gegensatz  zu  jenen  Pflanzen  —  sehr  derb; 
selbst  wenn  wir  einen  Strauß  Stein-Nelken  stundenlang  in  der  Hand  tragen, 
so  bringen  wir  ihn  doch  „frisch"  mit  nach  Hause,  ein  Zeichen,  wie  gering  die 
Wasserverdunstung  durch  die  Blätter  sein  muß.  —  Die  Blätter  stehen  sich 
paarweis  gegenüber  und  sind  am  Grunde  zu  einer  kurzen  Röhre  verwachsen, 
die  den  Stengel  umschließt  (vgl.  mit  Roggen).  Neben  solchen  Zweigen,  die 
sich  in  einem  hohen,  Blüten  tragenden  Stengel  fortsetzen,  bildet  der  unterirdische 
Stamm  (Wurzelstock)  stets  auch  einige  Äste  mit  sehr  kurzen  Gliedern,  die  erst 
im  nächsen  Jahre  blühen  (d.  s.  bei  der  Gartennelke  die  sog.  Absenker  oder 
Ableger). 

B.  Eine  Tagfalterblume.  Bunte  Tagfalter  und  träge  Widderchen 
(Zygsena)  besuchen  häufig  die  Blüte  der  Steinnelke.  (Bestimme  die  beobachteten 
Schmetterlingsarten !) 

1.  Wie  sie  die  Falter  anlockt,  a)  Die  blütentragenden  Stengel 
erheben  sich  —  wie  wir  schon  gesehen  haben  —  hoch  über  die  niederen  Pflanzen 
der  Umgebung.  (Beachte  an  verschiedenen  Örtlichkeiten,  wie  die  Länge  der 
Stengel  stets  zu  der  Höhe  der  umgebenden  Pflanzen  im  Verhältnis  steht  \) 

b)  Die  oberen,  breiten  und  am  Rande  ausgezackten  Abschnitte  der  5  Blum en- 
blätter  sind  von  leuchtend  karminroter  Färbung.  (Wie  sind  die  unteren 
schmalen  Abschnitte  gefärbt?) 

c)  Die  Blüten  stehen  in  Büscheln  beisammen,  und  zwar  sind  fast 
stets  einige  zugleich  entfaltet,  so  daß  die  Auffälligkeit  erhöht  wird. 

2.  Was  sie  den  Faltern  bietet,  a)  Die  10  Staubblätter  sind  an  ihrem 
untersten  Teile  zu  einem  Ringe  verwachsen,  der  in  reichem  Maße  Honig  ab- 
sondert. 

b)  Wie  in  der  bekannten  Curtmannschen  Er- 
zählung vom  „Storch  und  Fuchs"  der  Fuchs  allein  von 
flachen  Tellern,  der  Storch  aber  aus  langhalsigen  Fla- 
schen speisen  konnte,  so  vermögen  die  kurzrüsseligen  In- 
sekten (Fliegen,  Käfer)  den  Honig  nur  aus  flachen 
Schalen  (Beispiele !)  zu  lecken ,  während  die  langrüsse- 
ligen  ihn  am  liebsten  aus  tiefen  Gefäßen  entnehmen.  Riste  <>•  u  irifl  1-- 
Die  Schmetterlinge   besitzen  nun   aber   unter  allen  In-  Stein-Nelke 


38  11.  Farn.  Nelkengewächse. 

sekten  den  längsten  Rüssel.  Sie  saugen  daher  den  Honig  bequem  aus  langen 
Blumenrohren,  wie  wir  eine  solche  auch  bei  der  Nelke  finden.  Die  Röhre 
wird  hier  aus  den  sehr  schmalen  unteren  Abschnitten  (den  sog.  Nägeln)  der 
Blumenblätter  gebildet.  Diese  Blütenteile  sind  aber  (schlitze  den  Kelch  auf!) 
von  so  großer  Zartheit,  daß  sie  sich  ohne  fremde  Hilfe  nicht  aufrecht  erhalten 
können.  Sie  wird  ihnen  von  dem  fünfzipfligen  Kelche  gewährt,  dessen  Blätter 
zu  einer  steifen  Röhre  verwachsen  sind.  Die  an  sich  schon  enge  Blütenröhre 
wird  durch  die  Staubblätter  und  Stempel  noch  mehr  verengt.  Darum  kann  nur 
ein  Schmetterlingsrüssel  in  ihr  vordringen.  Unnützen  Näschern  aber  ist  durch 
diese  Einrichtung  der  Weg  zum  Honig  von  oben  versperrt. 

c)  Und  von  unten  vermögen  die  beißkräftigen  Hummeln  und  Bienen,  die 
bei  zahlreichen  Blumen  (bei  Taubnessel,  Leinkraut  u.  v.  a.)  Einbruch  verüben, 
nicht  zum  Honig  vorzudringen;  denn  die  Blüten  sind  am  Grunde  von  festen, 
lederartigen   (braunen)   Schuppen  umgeben. 

3.  Wie  die  Bestäubung  erfolgt,  a)  Die  10,  zu  2  Kreisen  geordneten 
Staubblätter  und  die  beiden  Narben  reifen  (wie  bei  fast  allen  Gliedern  der 
Unterfamilie)  in  einer  bestimmten  Reihenfolge:  Zuerst  strecken  die  5  äußeren 
Staubblätter  die  Beutel  aus  der  Blütenröhre  hervor,  bieten  den  grünblauen  Blüten- 
staub aus  und  verschrumpfen  bald.  Ihnen  folgen  die  Staubblätter  des  inneren 
Kreises,  und  erst  nachdem  sie  verblüht  sind,  kommen  die  Narben  hervor. 

b)  Da  die  Staubbeutel  und  Narben  vor  dem  Zugange  zum  Honig  stehen, 
müssen  sie  erstlich  von  den  saugenden  Schmetterlingen  gestreift  werden.  Und 
da  beide  Blütenteile  ungleichzeitig  reifen,  kann  es  zweitens  nicht  ausbleiben, 
daß  die  Tiere  beim  Flug  von  Blume  zu  Blume  Blütenstaub  von  jüngeren  Blüten 
zu  den  Narben  älterer  Blüten  tragen.  Kurz:  die  Besucher  müssen  unfrei- 
willig Fremdbestäubung  vermitteln.  (Warum  ist  Selbstbestäubung  völlig 
ausgeschlossen?) 

C.  Frucht  und  Same.  1.  a)  Der  Anzahl  der  Narben  entsprechend,  ist 
der  Fruchtknoten  (die  Frucht)  aus  2  Fruchtblättern  gebildet.  In  seine  Höh- 
lung ragt  eine  Verlängerung  des  Blütenstiels,  die  zahlreiche  Samenanlagen  trägt. 

b)  Da  sich  die  reife  Kapsel  an  der  Spitze  mit  4  Zähnen  öffnet,  so  können 
die  Samen  allein  nicht  ausfallen.  Die  Pflanze  bedarf  hierzu  wie  der  Klatsch- 
mohn der  Hilfe  des  Windes.  Dieser  Ausstreuungsweise  entsprechend  finden  wir 
(s.  a.  B.  1.  a.)  bei  der  Nelke  auch  einen  hohen  und  elastischen  Stengel,  der 
leicht  vom  Winde  erschüttert  werden  kann. 

c)  Legt  man  Samen  von  Landpflanzen  (Versuch !)  längere  Zeit  ins  Wasser, 
so  gehen  sie  durch  Fäulnis  zu  Grunde.  Daher  erscheint  es  für  die  Nelke  doch 
sehr  unvorteilhaft  zu  sein,  daß  ihre  Fruchtkapseln  nach  oben  geöffnet  sind! 
Denn  es  kann  doch  wohl  nicht  ausbleiben,  daß  die  Samen  bei  jedem  Regen 
vollkommen  durchnäßt  werden?  Das  ist  jedoch  nicht  der  Fall.  Betrachtet 
man  nämlich  Kapseln,  die  gestern  bereits  geöffnet  waren,  nach  Eintritt  eines 
Regenwetters,  so  findet  man  sie  sämtlich  wieder  geschlossen:  ihre  Zähnchen 
haben  sich  (weil  sehr  hygroskopisch)  wieder  nach  innen  gekrümmt,  so  daß  dem 


Stein-Nelke.     Andere  Nelken.  39 

Wasser  der  Eintritt  in  das  Fruchtinnere  verwehrt  wird.  (Durch  Eintauchen  der 
Kapseln  in  Wasser  und  nachheriges  Trocknen  kann  man  den  Vorgang  im  Zimmer 
beliebig  oft  wiederholen.  —  Beobachte  daraufhin  auch  andere  Nelken!) 

2.  Da  die  kleinen  Samen  rings  von  je  einer  trockenen  Haut  umgeben 
sind,  so  bilden  sie  flache  Scheiben.  Sie  bieten  dem  Winde  somit  eine  große 
Angriffsfläche  dar  und  können  infolgedessen  weit  verweht  werden. 

Andere  Nelken. 

Schon  von  alters  her  ist  die  vielgestaltige  Gartennelke  (D.  caryophyllus),  die 
aus  Südeuropa  stammt,  ein  Liebling  des  Mensehen.  Wegen  des  herrlichen  Duftes  ihrer 
Blüten,  der  lebhaft  an  den  der  Gewürz-Nelken  oder  Gewürz-Nägelein  (so  genannt  nach 
der  Ähnlichkeit  mit  einem  Nagel)  erinnert,  erhielt  die  Pflanze  (samt  ihren  nächsten  Ver- 
wandten) den  Namen  „Nägelein",  aus  dem  durch  Verkürzung  das  "Wort  „Nelke"  ent- 
standen ist.  —  An  ähnlichen  Örtlichkeiten  wie  die  Steinnelke  findet  sich  die  zierliche 
Heidenelke  (D.  deltoides).  Ihre  einzeln  stehenden  Blüten  sind  aber  in  ein  helleres  Rot 
gekleidet,  mit  weißen  Punkten  überstreut  und  oft  noch  durch  einen  purpurnen  Ring 
verziert.  —  Unter  der  Saat  findet  sich  als  schöne  Feldblume,  aber  auch  als  lästiges 
Unkraut  die  Kornrade  (Agrostenima  githägo).  Ihre  schwarzen  Samen  sind  schwach  giftig. 
Finden  sie  sich  daher  in  Menge  unter  dem  Getreide,  so  machen  sie  das  Mehl  für  den 
menschlichen  Genuß  unbrauchbar.  —  Ein  prächtiger  Schmuck  feuchter  Wiesen  sind 
im  Frühlinge  die  rosafarbenen  Blüten  der  Kuckucksnelke  (Coronäria  flos  cüculi).  Den 
Artnamen  führt  die  Pflanze  von  dem  „Kuckucksspeichel",  den  man  häufig  an  ihren 
Stengeln  findet,  der  aber  nicht  vom  Kuckuck,  sondern  von  der  Larve  der  Schaumzirpe 
herrührt  (s.  S.  22).  Die  zarten  Blüten  besitzen  zerschlitzte  Blumenblätter.  Da  die  Blütenröhre 
verhältnismäßig  kurz  ist,  vermögen  auch  langrüsselige  Bienen  und  Fliegen  bis  zum 
Honig  vorzudringen.  —  Noch  mehr  gilt  dies  von  dem  bekannten  Taubenkropt'  (Silene 
vulgaris),  der  auf  trockenen  Wiesen,  an  Wegrändern  und  dgl.  häufig  anzutreffen  ist.  Da 
sein  netzadriger  Kelch  kropfartig  (Name!)  aufgeblasen  ist,  können  nur  ausnahmsweise 
sehr  langrüsselige  Hummeln  durch  Einbruch  bis  zum  Honig  vordringen.  —  Das  Seifen- 
kraut (Saponäria  officinälis)  dagegen,  das  an  Flußufern,  zwischen  Gebüsch  und  dgl. 
wächst,  hat  eine  so  lange  Blütenröhre,  daß  es  nur  von  den  langrüsseligsten  Schmetter- 
lingen, den  Schwärmern,  bestäubt  werden  kann.  Die  Wurzel  der  Pflanze,  die  beim  Reiben 
im  Wasser  wie  Seife  schäumt  (Name !),  ist  durch  einen  giftigen  Bitterstoff  gegen  Mäuse 
und  andere  Nager  geschützt. 

Eine  häufige,  aber  sehr  interessante  Pflanze  sonniger  Hügel  und  trockener  Wälder 
ist  das  nickende  Leimkraut  (Silene  nutans).  Wenn  der  Abend  anbricht,  macht  es 
sich  zum  Empfang  seiner  Bestäuber,  der  Nachtschmetterlinge,  bereit:  es  entfaltet  die  weißen 
Blütensterne,  streckt  wie  die  Steinnelke  5  seiner  Staubblätter  oder  die  3  Narben  aus 
der  Blütenröhre  hervor  und  sendet  einen  köstlichen  Duft  aus.  Da  in  der  Nacht  alle 
Blumen  bis  auf  die  hellsten  den  Blicken  entschwinden  (beobachte  dies!),  so  wird  uns  die 
weiße  Farbe  der  tiefgeteilten  Blumenblätter  wohl  verständlich.  Wer  ferner  jemials 
Nachtschmetterlinge  „geködert"  hat  (bestreiche  in  einer  Sommernacht  Baumstämme  am 
Waldesrande  mit  etwas  Apfeläther  oder  einer  ähnlichen  stark  duftenden  Flüssigkeit  und 
beobachte  den  Anflug  der  Nachtinsekten!),  der  kennt  auch  die  Bedeutung  des  weithin 
wahrnehmbaren  Duftes.  Und  wer  endlich  weiß,  daß  zahlreiche  Schmetterlinge  (Schwärmer) 
beim  Saugen  des  Honigs  nur  mit  schnellem  Flügelschlage  vor  der  Blüte  schweben, 
der  versteht  auch,   warum    sich  die  anfänglich   aufrechtstehenden  Blüten  beim  Entfalten 


40  11.  Fam.  Nelkengewächse.     12.  Farn.  Roßkastaniengewächse. 

nach  der  Seite  richten  (Artname!).  —  Sobald  es  Tag  wird,  gehen  mit  den  Blüten  in 
der  Regel  merkwürdige  Yercänderungen  vor:  sie  hören  auf  zu  duften;  die  Blumen- 
blätter schrumpfen  zusammen  und  rollen  sich  so  ein,  daß  sie  die  grünliche  Rückseite 
nach  außen  kehren;  kurz,  die  Blüten  erscheinen  jetzt  wie  verwelkt  und  werden  in  diesem 
Zustande  von  keinem  Insekt  besucht.  Erst  wenn  die  Nachtfalter  wieder  erwachen,  „er- 
wachen" auch  die  Blüten  wieder.  —  Gleich  den  fliegenden  Taginsekten  verwehrt  die 
Pflanze  auch  den  am  Stengel  emporkriechenden  Kerbtieren  den  Zutritt  zur  Honigquelle. 
Und  zwar  bedient  sie  sich  hierzu  eines  Mittels,  das  auch  der  Mensch  anwendet,  um  seine 
"Wald-  und  Obstbäume  gegen  ankriechende  Schädlinge  zu  schützen,  der  Teer-  oder  Leim, 
ringe.  Von  der  Stelle  an,  an  welcher  der  erste  Blutenzweig  entspringt,  ist  nämlich  der 
Stengel  mit  einer  stark  klebenden  Masse  überzogen  (daher:  Leimkraut!).  An 
dieser  „Leimrute"  kleben  die  emporkriechenden  Insekten  fest,  so  daß  sie  bald  zu  Grunde 
gehen.  Ist  das  Blühen  vorbei,  so  verschwindet  auch  der  nunmehr  überflüssige  Klebstoif. 
Einen  noch  weit  stärkeren  Leimüberzug  finden  wir  an  den  Stengeln  der  (darum 
so  genannten)  Pechnelke  (Viscäria  vulgaris).  Sie  wächst  an  denselben  Örtlichkeiten 
wie  das  nickende  Leimkraut  und  ist  wegen  ihrer  zahlreichen,  purpurroten  Blüten  schon 
von  alters  her  eine  beliebte  Gartenzierpflanze.  —  Eine  Nachtfalterblume,  die  (wenn  auch 
meist  nicht  mit  gleicher  Deutlichkeit)  alle  jene  Veränderungen  zeigt,  die  wir  beim  Leim- 
kraut gesehen  haben,  ist  die  weißblühende  Nachtlichtnelke  (Meländryum  album),  die 
als  oft  meterhohe  Pflanze  an  Wegrändern  und  dgl.  wächst.  —  Ihre  nächste  Verwandte 
dagegen,  die  Tagliehtnelke  (M.  rubrum),  ist  wie  alle  rotblühenden  Nelken  (warum?) 
eine  Tagfalterblume.  Sie  bewohnt  feuchte  Gebüsche  und  Wälder  und  zählt  gleichfalls 
zu  unsern  gemeinsten  Pflanzen. 

2.  Unterfamilie.     Mieren    (Alsineae). 
Kelchblätter  nicht  verwachsen  (frei). 

Die  Vogelmiere  (Stelläria  media) 
ist  das  gemeinste  Unkraut  unserer  Gärten  und  Felder.  Da  sich  die  schwachen 
und  darum  zum  Teil  niederliegenden  Stengel  darmartig  verschlingen,  so  daß 
meist  große  Rasen  entstehen,  führt  sie  auch  die  Namen  „Hühner-  oder  Mäuse- 
darm". „Vogel"-Miere  heißt  sie,  weil  ihre  jungen  Triebe  gern  von  Stuben- 
vögeln verzehrt  werden.  Im  März  entfaltet  die  einjährige  Pflanze  bereits  ihre 
unscheinbaren  Blüten,  und  im  Spätherbst,  ja  selbst  unter  dem  Schnee  findet 
man  sie  oft  immer  noch  blühend.  Die  Blüten  und  Früchte  sind  im  wesent- 
lichen wie  bei  der  Steinnelke  gebaut  (Beweis!);  der  getrenntblättrige  Kelch 
aber  erlaubt  den  kleinen,  weißen,  tiefgespaltenen  Blumenblättern,  sich  aus- 
zubreiten. Infolgedessen  ist  der  Honig  selbst  den  kurzrüsseligsten  Insekten  zu- 
gänglich. Die  rinnenförmigen  Stiele  der  kleinen  Blätter  sind  seitlich  mit  Haaren 
besetzt.  Ähnliche,  nur  weit  längere  Haar  leisten  ziehen  sich  (in  der  Ein-  oder 
Zweizahl)  von  einem  Stengelknoten  zum  andern  herab.  Läßt  man  von  oben 
Wasser  auf  einen  Zweig  der  Pflanze  tropfen,  so  sieht  man,  wie  sich  die  Haar- 
leisten voll  Wasser  saugen,  und  wie  das  Wasser,  das  nicht  mehr  festgehalten 
werden  kann,  an  ihnen  wie  an  Dochten  herab  und  zur  Wurzel  fließt.  Ein  Teil 
des  Wassers  wird  auch  von  den  Haaren  selbst  aufgesogen;  kurz,  wir  haben  es 
hier  mit   einem  jener  mannigfachen  Mittel  zu  thun,   durch  das  die  Pflanze  den 


Schmeil,   Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  ö. 


Roßkastanie  (Aesculus  hippocastanum). 


Mieren.     Roßkastanie.  41 

Regen  und  Tau,  der  sie  benetzt,  auf  das  sorgfältigste  verwendet.  Diese  Ein- 
richtung macht  uns  auch  das  Vorkommen  der  Pflanze  an  ganz  trockenen  Orten 
verständlich. 

Ihre  nächste  Verwandte,  die  Sternmiere  (St.  holöstea),  besitzt  nicht  allein 
weit  größere  Blüten,  sondern  als  Bewohnerin  lichter  Wälder  und  Gebüsche  auch  viel 
größere  Blätter  (Bedeutung ?).  —  Hinsichtlich  der  Blüten  ähnelt  die  schöne  Frühlings- 
pflanze im  hohen  Grade  dem  allbekannten  Acker-Hornkraut  (Cerästium  arvense),  das 
aber  5  Griffel  und  seinem  Standorte  entsprechend  (Wegränder  und  dgl.)  weit  kleinere 
Blätter  besitzt.  —  Auf  ödestem  Sandboden  (Blätter  fast  nadeiförmig!)  gedeiht  der  Acker- 
Spark  (Spergula  arvensis),  der  hier  und  da  auch  als  Futterpflanze  angebaut  wird. 

12.  Familie.    Roßkastanieng-ewächse  (Sapindäceae). 
Die  Roßkastanie  (Aesculus  kippoeästanum).     Taf.  6. 

A.  Die  Roßkastanie  und  der  Mensch,  Obgleich  die  Roßkastanie  erst 
vor  etwa  300  Jahren  ihren  Einzug  in  Europa  gehalten  hat,  weiß  man  doch 
nicht  genau,  woher  sie  stammt.  Die  Gebirge  Nord-Griechenlands,  in  denen  man 
sie  in  großen  Beständen  antrifft,  können  kaum  ihre  Heimat  sein;  denn  dann 
wäre  sie  dem  kunstsinnigen  Volke  der  alten  Hellenen  sicher  nicht  unbekannt  ge- 
blieben. Heutzutage  findet  man  den  prächtigen  Baum,  der  eine  Höhe  von  mehr 
als  20  m  erreichen  kann,  bei  uns  fast  überall  da,  wo  Menschen  wohnen.  Wegen 
des  schnellen  Wachstums,  des  dichten  Schattens  der  mächtigen  Krone  und  der 
herrlichen  Blütensträuße,  die  wie  Weilmachtskerzen  in  die  Frühlingspracht 
leuchten,  pflanzt  man  ihn  hier  in  Alleen,  dort  in  Gärten  und  Anlagen,  hier  auf 
öffentlichen  Plätzen  und  dort  auf  den  stillen  Friedhof. 

Da  sein  Holz  sehr  weich  ist  (schneide  einen  Zweig  ab !),  kann  es  wie  das 
Lindenholz  fast  nur  zu  Schnitzarbeiten  verwendet  werden,  und  die  bitteren  Samen 
(Kastanien)  dienen  zumeist  nur  als  Winterfutter  für  die  hungernden  Hirsche, 
Rehe  und  Wildschweine. 

R.  Die  Knospen.  1.  Wenn  im  Herbste  die  Blätter  fallen,  stehen  bereits  die 
Knospen  da (1.).  Sie  müssen  sich  also  (beobachte  dies!)  schon  während  des  Sommers 
und  zwar  in  den  Blattwinkeln  gebildet  haben.  Öffnet  man  eine  Knospe,  so  hat  man 
zuerst  eine  Anzahl  schuppen  förmig  er  Blätter  zu  entfernen,  von  denen  die 
äußeren  pergamentartig  hart  und  braun  sind.  Dasselbe  gilt  auch  von  den  inneren 
Blättern,  soweit  sie  sich  nicht  decken.  Alle  sind  durch  eine  harzige  Masse  ver- 
klebt und  halten  umso  fester  zusammen,  als  sie  zum  großen  Teil  mit  zottigen 
Härchen  bedeckt  sind.  (Bestimme  die  Verteilung  der  Haare  genauer!)  Durch- 
schneidet man  eine  Knospe,  so  sieht  man  mit  Verwunderung,  eine  wie  starke 
und  feste  Hülle  diese  „Knospenschuppen"  um  den  jungen  Trieb  im  Innern  der 
Knospe  bilden.  Die  einzelnen  Teile  des  Triebes  sind  in  dem  engen  Räume  fest 
zusammengelegt.  Bei  einiger  Vorsicht  (und  mit  Hilfe  einer  Nadel!)  gelingt  es 
aber,  sie  voneinander  zu  trennen.  Wir  sehen  dann  einen  winzigen  Zweig  mit 
Blättern  (Laubknospen)  oder  mit  Blättern  und  Blüten  (Blutenknospen)  vor 
uns,   dessen  einzelne  Teile  von  seidenartigen  Haaren   umhüllt  sind.     Die  Natur 


42  Taf.  C.     12.  Fam.  Roßkastaniengewächse. 

hat  also  den  jungen  Trieb  so  fest  und  sicher  verpackt,  wie  wir  es  mit  zer- 
brechlichen Gegenständen  thun.  (Führe  den  Vergleich  näher  aus!)  Welche 
Bedeutung  hat  nun  dieses  sorgfältige  „Verpacken"? 

a)  Der  junge  Trieb  ist  ein  ungemein  zartes  Gebilde.  Da  er  aber  von  einer 
festen  Hülle  umgeben  ist,  deren  Schuppen  zudem  noch  verklebt  sind,  so  können 
ihn  die  Winterstürme  nicht  zerzausen,  und  es  vermag  kein  Wasser 
(Regen,  Tau,  Reif,  Schnee)  bis  zu  ihm  vorzudringen  oder  sich  gar  zwischen 
seinen  Teilen  anzusammeln.  Gefrierendes  Wasser  würde  den  zarten  Trieb  aber 
unbedingt  zerstören. 

b)  Um  Rosen-  und  Weinstöcke  oder  andere  Pflanzen  gegen  das  Er- 
frieren zu  schützen,  biegen  wir  sie  zum  Erdboden  herab  und  bedecken  sie  mit 
schlechten  Wärmeleitern  (Erde,  Stroh,  Laub  u.  dgl.),  oder  wir  tun  nur  das 
letztere.  Da  in  einem  strengen  Winter  der  Erdboden  selbst  in  unsern  Breiten 
l/a  m  tief  oder  noch  tiefer  fest  gefriert,  so  kühlen  sich  auch  die  „eingeschlagenen" 
Pflanzen  oft  weit  unter  0  °  ab.  Trotzdem  erfrieren  sie  aber  —  wie  die  Er- 
fahrung lehrt  —  weit  seltener  als  nicht  umhüllte  Pflanzen.  Den  weniger 
strengen  und  anhaltenden  Frösten  des  zeitigen  Frühjahrs  dagegen  vermögen  die 
Hüllen  zu  trotzen,  und  das  ist  umso  wichtiger,  als  zu  dieser  Zeit  der  Saft  be- 
reits in  die  Bäume  gestiegen  (wie  man  an  jedem  Weidenzweige  sehen  kann) 
und  infolgedessen  die  Gefahr  des  Erfrierens  besonders  groß  ist.  —  Wenden 
wir  dies  auf  die  Knospen  der  Roßkastanie  an,  so  müssen  wir  sagen,  daß  der 
in  ihnen  eingeschlossene  junge  Trieb  bei  strenger  Kälte  trotz  Schuppenhülle  und 
Haarkleid  sicher  unter  0  o  abgekühlt  wird,  daß  diese  Mittel  aber  wohl  imstande 
sind,  die  schwachen  Frühjahrsfröste  abzuhalten.  Und  dieser  Schutz  ist  von  umso 
größerer  Bedeutung,  weil  zu  dieser  Zeit  das  Erfrieren  des  saftreichen,  aus  dem 
„Winterschlafe  erwachten"  Triebes  leicht  möglich  wäre. 

c)  Welche  dritte  Bedeutung  endlich  noch  die  Hülle  hat,  lehrt  folgender 
einfache  Versuch:  Man  schneide  2  noch  festgeschlossene,  gleich  große  Knospen 
an  der  Ansatzstelle  ab,  entferne  von  der  einen  sämtliche  Knospenschuppen  und 
lege  beide  in  ein  Zimmer.  Ist  das  Zimmer  geheizt,  so  wird  man  schon  nach  wenigen 
Tagen  die  Knospe  ohne  Schuppen  vollkommen  vertrocknet,  die  andere  aber  noch 
ganz  „frisch"  finden.  Dies  ist  ein  deutlicher  Beweis  dafür,  ein  wie  wichtiges 
Schutzmittel  gegen  das  Vertrocknen  (Wasserabgabe)  die  Hülle  ist.  Da  die 
Schuppen  verklebt  und  die  Außenschuppen  zudem  pergamentartig  sind,  so  ist 
der  Abschluß  des  jungen  Triebes  fast  luftdicht.  Und  dies  ist  durchaus  nötig; 
denn  während  der  Wintermonate  vermögen  die  Wurzeln  des  Baumes  aus  dem 
stark  abgekühlten  oder  sogar  gefrorenen  Boden  kein  Wasser  aufzusaugen 
(s.  Kirschbaum). 

2.  Ende  April  oder  Anfang  Mai  —  im  Süden  früher,  im  Norden  später 
(warum?)  —  beginnt  die  Knospe  nach  langer  Winterruhe  sich  zu  öffnen. 
Schon  vorher  ist  sie  stark  angeschwollen  und  trieft  von  Harz.  Die  inneren, 
grünen  Knospenschuppen  haben  sich  mit  dem  wachsenden  Triebe,  um  ihn  weiter 
gegen  die  Unbilden  der  Witterung  schützen  zu  können,  stark  in  die  Länge  ge- 


Roßkastanie.  43 

streckt;    endlich  brechen  sie  auseinander,    und   wie   der  Schmetterling   aus  der 
Puppenhülle   drängt  sich  der  junge  Trieb  zum  Lichte  empor  (2). 

a)  Der  Umstand,  daß  jetzt  die  harzige  Masse  in  großer  Menge  abge- 
schieden wird,  deutet  darauf  hin,  daß  sie  nicht  nur  —  wie  bisher  angenommen  — 
ein  Klebmittel  ist.  Sie  überzieht  das  Ganze  wie  ein  Firnis,  schließt  den  jungen 
Trieb  somit  von  der  Außenwelt  ab  und  schützt  ihn  infolgedessen  gegen  eine 
zu  starke  und  zu  schnelle  Abgabe  des  Wassers  oder  kurz:  gegen  Vertrocknen. 

b)  Auch  wenn  sich  die  Knospe  bereits  zu  öffnen  beginnt,  sind  die  stark 
vergrößerten  Knospenschuppen  noch  nicht  bedeutungslos.  Sie  halten  von  dem 
jungen  Triebe  den  Anprall  des  Windes  und  die  austrocknenden  Sonnenstrahlen 
ab;  sie  sind  also  für  das  überaus  zarte  Gebilde  Wind-  und  Sonnenschirm 
zugleich. 

Ist  der  junge  Trieb  den  Schuppen  aber  „über  den  Kopf  gewachsen",  so 
haben  sie  keine  Bedeutung  mehr:  sie  fallen  ab  und  lassen  am  Grunde  des 
Jahrestriebes  eine  ringförmige  Narbe  zurück. 

C.  Die  Blätter.  1.  Das  junge  Blatt  weicht  von  dem  völlig  entwickelten 
seinem  Aussehen  nach  erheblich  ab :  es  ist  —  wie  bereits  erwähnt  —  mit  weißen 
oder  gelblichen  Haaren  bedeckt ;  seine  Einzelblättchen  (s.  Absch.  C  2,  b)  sind  in 
der  Mittelrippe  zusammengefaltet  und  treten  senkrecht  aus  der  Knospe  her- 
vor (3.);  dann  breiten  sie  sich  aus,  hängen  aber  noch  eine  Zeitlang  senkrecht 
nach  unten  (4.).  Endlich  nimmt  das  Blatt  die  Lage  der  ausgebildeten  Blätter 
ein,  und  kurze  Zeit  darauf  sind  von  dem  Haarkleide  nur  noch  in  den  Ader- 
winkeln an  der  Unterseite  Spuren  zu  finden.  Welche  Bedeutung  diese  Erschei- 
nungen haben,  ist  leicht  einzusehen : 

a)  Feuchtet  man  2  gleichgroße  Schwämme  gleichstark  an,  umwickelt  so- 
dann einen  mit  einem  Tuche  und  legt  beide  endlich  an  dieselbe  Stelle  in  das 
Freie  oder  das  Zimmer,  so  findet  man,  daß  der  in  das  Tuch  geschlagene  weit 
länger  feucht  bleibt  als  der  andere.  Wie  geht  dies  zu?  Aus  beiden  Schwäm- 
men entweicht  Wasser  in  Dampfform,  so  daß  beide  bald  von  einer  feuchten 
Luftschicht  umgeben  sind.  Bei  dem  eingehüllten  Schwämme  wird  die  feuchte 
Luftschicht  zwischen  den  Fäden  des  Tuches  und  den  einzelnen  Teilen  der  Fäden 
gleichsam  festgehalten,  erneuert  sich  also  nur  sehr  langsam.  Bei  dem  anderen 
Schwämme  dagegen  entweicht  der  Wasserdampf  ungehindert  ins  Freie ;  infolge^ 
dessen  muß  die  eingesogene  Wassermasse  auch  viel  schneller  verdunsten  als  die 
des  eingehüllten  Schwammes.  Genau  dasselbe  findet  auch  bei  2  (sonst  gleichen) 
Blättern  statt,  von  denen  das  eine  kahl  und  das  andere  von  einem  Haarkleide 
umgeben  ist.  In  der  Behaarung  der  jungen  Kastanienblätter  haben  wir  also 
ein  Schutzmittel   gegen   zu   starke   Wasser  abgäbe  vor   uns. 

b)  Wie  die  tütenförmig  zusammengerollten  Veilchenblätter  (s.  das.)  bieten 
auch  die  gefalteten  jungen  Einzelblätter  der  Koßkastanie  dem  Winde  eine 
viel  kleinere   Verdunstungsfläche  dar,  als  wenn  sie  ausgebreitet  wären. 

c)  Die  Sonnenstrahlen  (S)  treffen  zur  Mittagszeit  —  also  wenn  sie  am 
kräftigsten  wirken  —  das  senkrecht  aus  der  Knospe  tretende  (a  b)  oder  Bpätei 


44  12.  Farn.  Roßkastanie. 

senkrecht  nach  unten  hängende  Blatt  (a  c)  unter  viel  spitzerem  Winkel  als 
das  vollkommen  ausgebildete  Blatt,  das  zu  den  einfallenden  Sonnenstrahlen 
schräg  gestellt  ist  (a  d).  Nun  wissen  wir  aber,  daß  die  Sonnenstrahlen  einen 
Körper  umso  stärker  erwärmen,  je  „senkrechter" 
sie  ihn  treffen.  (So  schmilzt  z.  B.  der  Schnee  auf 
dem  schrägen  Dache  in  der  Mittagssonne,  wäh- 
rend dieselben  Sonnenstrahlen  den  Schnee  auf 
dem  wagerechten  Erdboden  nicht  zu  schmelzen 
vermögen.)  Ein  senkrecht  gestelltes  Blatt  kann 
zur  Mittagszeit  also  nicht  in  dem  Grade  erwärmt 
werden  wie  ein  wagerecht  oder  schräg  gestelltes, 
folglich  auch  nicht  soviel  Wasser  verdun- 
sten als  jenes.  (Pflanzenteile  welken  in  einem 
kühleren  Zimmer  oder  im  Schatten  langsamer  als 
in  einem  wärmeren  Zimmer  oder  im  Sonnenscheine. 
—  Von  wieviel  Strahlen  werden  die  beiden  senk- 
recht gestellten  Blätter  [a  b  und  a  c]  und  das  schräg 
gestellte  Blatt  [ad]  getroffen?) 
Also :  alle  drei  Einrichtungen  laufen  darauf  hinaus,  die  Wasserdampfabgabe 
des  jungen  Blattes  möglichst  zu  beschränken.  Wenn  wir  bedenken,  wie  leicht 
junge  Blätter  welken,  werden  wir  auch  die  Bedeutung  dieser  Schutzeinrichtungen 
verstehen;  denn  verwelken  bedeutet  für  das  Blatt  —  den  Tod!  Je  mehr 
die  jungen  Blätter  erstarken,  desto  mehr  sehen  wir  dann  auch  die  nunmehr  über- 
flüssig werdenden  Schutzmittel  verschwinden. 

2.  Das  ausgebildete  Blatt,  In  unserer  Heimat  finden  wir,  abgesehen 
von  dem  Walnußbaum,  neben  der  Roßkastanie  keinen  zweiten  Baum  mit  so 
auffallend  großen  Blättern.  Daher  wirft  die  Krone  auch  einen  so  tiefen 
Schatten,  daß  unter  älteren  Bäumen  nicht  einmal  mehr  das  genügsame  Gras 
gedeiht  (vgl.  dag.  z.  B.  den  grasbewachsenen  Obstgarten!). 

a)  Ein  Baum  mit  solchen  Blättern  kann  keine  hohe,  pyramidenförmige 
Krone  bilden  etwa  wie  die  „lichte",  locker  belaubte,  kleinblättrige  Birke ;  denn 
die  oberen  Blätter  würden  ja  dann  den  unteren  das  zum  Leben  durchaus  not- 
wendige Licht  rauben  (Beweis!).  Die  meist  nur  am  Ende  beblätterten  Zweige 
„drängen"  sich  im  Gegenteil  nach  außen,  so  daß  eine  breite,  weit  aus- 
greifende  Krone  entsteht. 

b)  Jedes  Blatt  ist  aus  meist  7,  am  Kande  gezähnten  Einzelblättern 
zusammengesetzt,  durch  deren  Lücken  selbst  auf  tiefer  gestellte  Blätter  noch  ab 
und  zu  Lichtstrahlen  fallen.  Die  Einzelblätter  stehen  am  Ende  eines  langen 
Stiels  wie  die  Finger  an  der  Hand  (gefingertes  Blatt) ;  sie  sind  meist  etwas 
schräg  nach  unten  geneigt  und  stets  so  geordnet,  daß  keins  das  andere  ver- 
deckt.    Darum  sind  sie  auch  nach  dem  Grunde  zu  keilförmig   verschmälert. 

c)  Auch  die  Blätter  als  Ganzes  betrachtet,  nehmen  sich  trotz  ihrer 
Größe  gegenseitig  nich    da    Licht  weg ;  je  2  stehen  sich  am  Zweige  gegenüber ; 


Roßkastanie. 


IT. 


jedes  Blattpaar  bildet  mit  dem  vorhergehenden  und  nachfolgenden  ein  Kreuz; 
die  einzelnen  Blattpaare  sind  meist  weit  auseinandergerückt  (lange  Stengelglieder), 
und  die  Endblätter  der  Zweige  sind  stets  viel  kleiner  und  viel  kürzer  gestielt  als  die 
weiter  unten  am  Zweige  stehenden,  großen  und  Langgestielten  Blätter.  Infolge 
dieser  Anordnung  werden  an  s  e  n  k  r  e  c  h  t  e  n  Z  w  e  i  g  e  n  —  wie  man  leicht  beobachten 
kann  —  sämtliche  Blätter  belichtet.  An  wagerechten  Zweigen  (s.  Abb.  S.  46) 


Senkrechter  Zweig  der  Roßkastanie,  von  der  Seite  gesehen  (verkl.). 


ist  die  Blattstellung  natürlich  genau  dieselbe.  Biegt  man  aber  einen  senkrechten 
Zweig  soweit  herab,  daß  er  wagerecht  zu  liegen  kommt,  so  stellen  die  nach  oben 
gerichteten  Blätter  die  unteren  in  den  Schatten.  Eine  solch  ungünstige  Blatt= 
Stellung  bedarf  hier  darum  gleichsam  einer  Korrektur,  die  in  der  Tat  auch  ein- 
tritt: Die  Blätter  legen  sich  oft  vollkommen  in  die  Ebene,  in  die  man  sich  den 
Zweig  gelegt  denken  kann;  die  von  der  Zweigspitze  entfernteren  Blatter  rücken 
ihre  Blattflächen  auf  sehr  langen  Stielen  aus  dem  Schattenbereiche  in  das  Licht, 
und    alle  Blätter    des  Zweiges   ordnen   sich   oft  überaus  regelmäßig  so  an,   daß 


46  12-  Fam.  Roßkastaniengewächse. 

keins  von  dem  anderen  beschattet  wird.  Die  Blätter  schräggestellter 
Zweige  nehmen  zwischen  denen  an  senkrechten  und  wagerechten  Ästen  die 
mannigfachsten  Zwischenstellungen  ein;  kurz:  überall  sehen  wir,  wie  sich  die 
Blätter  zum  Lichte  drängen  und  stets  dorthin  stellen,  wo  sie 
am  meisten  von  den  belebenden  Sonnenstrahlen  getroffen  werden. 
(Sehr  deutlich  und  leicht  sind  diese  Erscheinungen  an  Zweigen  zu  beobachten, 
die  aus  einem  Baumstumpfe  hervorgehen,  an  sog.  „Stockausschlag''.  —  Beobachte 
daraufhin  auch  Ahorn,  Schneebeere  und  andere  Pflanzen!) 


Waagerechter  Zweig  der  Roßkastanie,  von  oben  gesehen  (verkl.). 

3.  Beim  herbstlichen  Laubfalle  (s.  Kirschbaum)  lösen  sich  die  Einzel- 
blätter von  den  Stielen  und  diese  von  den  Zweigen.  Die  Narben,  welche  die 
Blätter  an  den  Zweigen  zurücklassen,  haben  die  Form  eines  Pferdehufes.  Und 
die  Narben  der  Gefäßbündel  (s.  das.),  die  sich  in  die  Adern  der  Einzelblätter 
fortsetzen,  kann  man  als  die  Nägel  des  kleinen  Hufes  deuten.  (Daher  vielleicht 
Roßkastanie!     Vgl.  auch  Absch.  E.  3.) 

D.  Die  Blüte.  1.  Blütezeit.  Da  an  dem  jungen,  in  der  Knospe  liegen- 
den Triebe  die  Blüten  bereits  ausgebildet  sind,  so  wundert  es  uns  gar  nicht, 
daß  die  Roßkastanie  kurz  nach  dem  Entfalten  ihrer  Blätter  bereits  in  voller 
Blütenpracht  dasteht.     (Vgl.  dag.  Linde.) 

2.  Die  jungen   Blüten   verlieren   wie   die  Blätter  bald   das   schützende 


Roßkastanie.  47 

Haarkleid.  Nur  an  den  Blütenstielen  bleiben  Überreste  davon  zurück.  Auch 
der  fünfzipflige  Kelch,  der  anfänglich  die  Blüte  ganz  umschloß,  bei  ihrem 
Öffnen  aber  seine  Aufgabe  (welche?)  erfüllt  hat,  fallt  meist  ab. 

3.  a)  Die  entfaltete  Blüte  (6.  u.  7.)  macht  sich  durch  die  5  ungleich 
großen,  weißen  Blumenblätter,  die  mit  einem  anfänglich  gelben,  später  roten 
Fleck  geziert  sind,  weithin  kenntlich  (Anlockung  der  Insekten).  Und  dies  ge- 
schieht umso  mehr,  als  die  Blüten  große,  pyramidenförmige  Sträuße  bilden  (5.). 
die  stets  an  der  Außenseite  der  Krone  stehen  und  sich  prächtig  von  dem  grünen 
Hintergrunde  abheben. 

b)  Zwitter-  und  Staubblüten.  Untersucht  man  die  einzelnen  Blüten 
eines  Blütenstraußes,  so  findet  man,  daß  nur  wenige  von  ihnen  neben  (meist) 
7  Staubblättern  einen  wohl  ausgebildeten  Stempel  besitzen  (Zwitterblüten) 
Bei  allen  anderen  Blüten  ist  der  Stempel  verkümmert  (Staubblüten).  Wenn  man 
bedenkt,  wie  groß  und  schwer  die  Früchte  der  Roßkastanie  sind,  wird  man 
diese  Erscheinung  leicht  verstehen:  würde  jede  Blüte  eine  Frucht  liefern,  so 
müßten  die  Zweige  unter  der  Last  brechen.  Darum  finden  sich  die  fruchtbaren 
Blüten  auch  nur  im  unteren  Teile  der  Blütenstände.  Die  unfruchtbaren  Blüten 
sind  aber  nicht  etwa  ohne  Bedeutung:  sie  helfen  den  Blütenstand  vergrößern 
(s.  Absch.  3  a)  und  liefern,  da  sie  sich  stets  zuerst  entfalten,  Blütenstaub  für  die 

c)  (Bestäubung)  zuerst  reifenden  Narben  der  fruchtbaren  Blüten.  Die 
Narbe  ist  das  zugespitzte  Ende  des  langen  Griffels,  der  weit  aus  der  Blüte 
hervorragt.  Die  später  reifenden  Staubbeutel  sind  jetzt  (6.)  noch  nach  unten  ge- 
schlagen, lieben  sich  aber  später  bis  zur  Höhe  der  Narbe  empor  (7).  Da  die  Narbe 
und  die  geöffneten  Staubbeutel  weit  von  der  Blütenöffnung  abstehen,  so  können 
sie  auch  nur  von  größeren  Insekten  beim  Saugen  des  Honigs  berührt  werden. 
Hummeln,  welche  Griffel  und  Staubblätter  als.  bequeme  „Sitzstange"  benutzen 
(vgl.  mit  dem  Anflugbrett  am  Taubenschlag!),  vermitteln  daher  besonders  die 
Bestäubung  (8j.  Da  nun  —  wie  erwähnt  —  Narbe  und  Staubbeutel  nacheinander 
reifen,  so  müssen  die  Hummeln  auch  den  Blütenstaub  (an  der  Unterseite  des 
Hinterleibs)  von  einer  Blüte  zur  andern  tragen  (Fremdbestäubung).  —  Alle 
kleinen  Insekten  sind  unnütze  Näscher.  Der  Honig  wird  im  oberen  Teile  des 
Blütengrundes  abgeschieden.  Er  ist  durch  die  wagerechte  Stellung  der  Blüte 
und  durch  Haarbesatz,  der  sich  an  Blumen-  und  Staubblättern  findet,  gegen 
Regen  geschützt. 

E.  Die  Frucht.  1.  Der  Fruchtknoten  zeigt  im  Querschnitt  3  Fächer 
mit  je  2  Samenanlagen,  von  welchen  sich  aber  nur  1 — 2  zu  Samen  entwickeln. 

2.  Die  Fruchthülle  (9.)  ist  mit  spitzen  Stacheln  bedeckt.  Diese  Gebilde 
stellen  —  nach  ähnlichen  Erscheinungen  der  heimatlichen  Pflanzenwelt  zu 
schließen  (Beispiele!)  —  in  der  (unbekannten)  Heimat  des  Baumes  sicher  Schutz- 
mittel der  unreifen  Frucht  gegen  Tiere  dar.  Bei  der  Reife  löst  sich  die  Frucht 
vom  Stiele,  die  Hülle  zerspringt  in  3  Stücke,  und 

3.  die  großen,  dunkelbraunen  und  glänzenden  Samen  werden  frei.  Der 
helle  Fleck  kennzeichnet  die  Stelle  an,  an  welcher  die  Samen  mit  der  Fruchthülle 


IS 


13.  Fam.  Ahorngewächse.     14.  Farn.  Orangengewächse. 


verwachsen  waren.  Wegen  der  Ähnlichkeit  der  Samen  mit  denen  der  edlen 
Kastanie  heißt  unser  Baum  „Kastanie";  „Roßkastanie"  nennt  man  ihn  wahr- 
scheinlich, weil  seine  Samen  für  uns  ungenießbar  sind  (s.  auch  Meerrettich). 

Eine  nahe  Verwandte  ist  die  rote  Kastanie  (Pavia  rubra),  die  gleichfalls 
häufig  als  Zierbaum  angepflanzt  wird.  Sie  stammt  aus  Nordamerika,  hat  schmutzig-rote 
Blüten  und  unbestacholte  Früchte. 


13.  Familie.     Ahorngrewächse  (Aceräceae). 

Der  Spitz-Ahorn  (Acer  platanoides) 
kommt   vereinzelt  in   den  Waldungen  der  Ebenen  und  Mittelgebirge  vor  und 
ist  seines  festen,  zähen  Holzes  wegen,  besonders  aber  als  Alleebanm  überall  hoch 
geschätzt.     Den  Artnamen  führt  er  von  den  schön  geformten  Blättern,  deren 

5 — 7  Lappen  in 
feine  Spitzen  aus- 
gezogen, und  die 
denen  der  Platane 
sehr  ähnlich  sind. 
(Beobachte  das  Auf- 
brechen der  großen, 
klebrigen  Knospen, 
die  Entfaltung  der 
Blätter  und  ihre 
Stellung  an  senk- 
rechten und  wage- 
rechten Zweigen ! 
Vgl.  mit  Roßka- 
stanie!) Die  Blü- 
ten (beschreibe  sie!)  sind  trotz  der  unscheinbaren,  gelbgrünen  Färbung  doch 
auffällig;  denn  sie  öffnen  sich  vor  der  Entfaltung  des  Laubes  und  stehen 
in  großen,  aufrechten  Sträußen  beieinander.  An  dem  Fruchtknoten  bilden 
sich  nach  dem  Verblühen  2  kleine  Erhebungen,  die  allmählich  zu  großen 
Flügeln  aus  wachsen.  Bei  der  Reife  zerfällt  die  Frucht  (ähnlich  wie  die  der 
Möhre;  s.  das.)  in  2  Teile,  die  in  dem  inneren,  angeschwollenen  Abschnitte  je 
einen  Samen  enthalten.  Fallen  die  Teilfrüchte  von  dem  Baume  herab  (laß  einige 
aus  größerer  Höhe  fallen!),  so  geraten  sie  gleich  Windmühlenflügeln  in  kreisende 
Bewegung  und  sinken  infolgedessen  viel  langsamer  (etwa  4mal  so  langsam)  zum 
Erdboden  herab,  als  ein  gleichgroßer  und  gleichschwerer  ungeflügelter  Körper. 
Sie  erhalten  sich  also  infolge  der  Flugausrüstung  lange  in  der  Luft  schwebend. 
Werden  sie  nun  dabei  von  einem  Winde  ergriffen,  so  werden  sie  weit  verweht. 
Infolge  dieser  Einrichtung  vermag  der  Ahorn  also  seine  verhältnismäßig 
schweren  Samen,  die  sonst  sämtlich  unter  den  Baum  fallen  würden,  über  einen 
großen  Bezirk  auszustreuen.  (Warum  ist  das  für  die  Pflanze  von  Vorteil? 
Warum   besitzen   nur  Bäume  solche  Früchte?)     Bei  näherer  Betrachtung  findet 


Frucht    vom    Spitz  -  Ahorn.     Teilfrüchtchen   von   einander  ge- 
trennt,  aber    noch    an    den  Stielchen    hängend.      Fruchtfach    des 
linken  Früchtchens  geöffnet,  um  den  Samen  S  zu  zeigen. 


Spitz-,  Berg-  und  Feld-Ahorn.  Kreuzblume.  Zitronen-,  Orangen-, Mahagonibaum.         49 

man  auch,  daß  die  Flügel  ihrer  Aufgabe  entsprechend  äußerst  „zweckmäßig" 
gebaut  sind:  sie  sind  sehr  groß,  bieten  der  Luft  also  eine  große  Angriffsfläche 
dar,  auffallend  leicht,  können  folglich  vom  Winde  getragen  werden  (vgl.  mit 
Flugtieren !) ,  und  trotzdem  sehr  fest,  so  daß  sie  dem  Angriffe  des  "Windes  wider- 
stehen können.  Letzteres  wird  besonders  durch  eine  verstärkte  Randleiste  er- 
reicht, mit  der  die  schraubenförmig  sich  drehende  Frucht  die  Luft  durchschneidet 
(vgl.  mit  Vogel-,  Insekten-  und  Windmühlenflügel !). 

Der  Berg- Ahorn  (A.  pseudoplätanus)  ist,  wie  schon  sein  Name  sagt,  ein  Gebirgs- 
baum.  Er  bildet  in  den  Alpen  größere  Bestände,  ist  aber  in  Parkanlagen  überall  häufig 
anzutreffen.  Sein  weißes,  festes  Holz  wird  besonders  hoch  geschätzt.  Die  5  Lappen  der 
Blätter  sind  grob  gesägt  und  enden  in  stumpfe  Spitzen.  Die  stark  duftenden  Blüten 
stehen  in  hängenden  Trauben  und  öffnen  sich  erst  nach  der  Baubentfaltung.  —  Der 
Feld- Ahorn  (A.  campestre)  kommt  in  Feldgehölzen  (Name !),  in  Wald  und  Gebüsch  als 
Strauch  und  Baum  vor.  Seine  verhältnismäßig  kleinen,  4-lappigen  Blätter  sind  ganzrandig. 

Eine  entfernte  Verwandte  ist  die  zierliche,  blau,  rot  oder  weiß  blühende 
Kreuzblume  (Polygala  vulgaris),  die  häufig  an  trockenen  Stellen  gedeiht.  (Wie  ist  sie 
der  Örtlichkeit  „angepaßt"  ?)  Da  die  kleine  Blumenkrone  als  Schutzmittel  des  Stempels 
und  der  Staubblätter  dient ,  haben  zwei  große  ,  buntgefärbte  Kelchblätter  die  Aufgabe 
übernommen,  Insekten  anzulocken. 

14.  Familie.     Orang-enge wachse  (Rutäceae). 

Aus  den  Küstenländern  und  von  den  Inseln  des  Mittelmeers  kommen  in  jedem 
Jahre  riesige  Mengen  von  Zitronen  und  Orangen  zu  uns.  Die  geschätzten  Früchte  ent- 
stammen niedrigen  Bäumen  oder  Sträuchern,  die  sich  von  dem  östlichen  Asien  aus 
über  alle  wärmeren  Erdstriche  verbreitet  haben.  Die  Pflanzen  besitzen  immergrüne 
Blätter,  die  wie  die  des  Epheus  von  lederartiger  Beschaffenheit  sind.  Gleich  wie  der 
Epheu  (s.  das.),  vermöge  dieser  eigenartigen  Blätter  der  „Winterdürre"  unserer  Breiten 
zu  trotzen  vermag,  so  vermögen  diese  Pflanzen  die  Trocknis  auszuhalten,  die  im 
Mittelmeergebiete  fast  die  ganze  warme  Jahreszeit  hindurch  ununterbrochen  anhält.  — 
Die  Zitrone  (beschreibe  sie !)  ist  die  Frucht  des  meist  strauchig  gehaltenen  Zitronen- 
baums (Citrus  medica).  Das  flüchtige  Öl  (s.  Rose)  der  Schale  dient  besonders  als 
Gewürz.  Die  gleiche  Verwendung  findet  auch  das  saure  Fruchtfleisch,  dessen  durststillender 
Saft  namentlich  zur  Herstellung  von  Limonade  gebraucht  wird  (die  Zitrone  heißt  italie- 
nisch „Limone").  Die  kopfgroßen  Früchte  einer  Spielart  geben,  mit  Zucker  zubereitet, 
das  Zitronat  (Verwendung?).  —  Der  Orangenbaum  (C.  auräntium)  wird  besonders  in 
zwei  Spielarten  angebaut.  Die  eine  liefert  die  Pomeranze  oder  bittere  Orange,  die  andere 
die  Apfelsine  oder  süße  Orange.  Die  Pomeranze  wird  besonders  zur  Herstellung  von 
Likören  und  eines  wertvollen  Öls  benutzt,  das  in  der  Parfümerie  verwendet  wird.  Die 
Apfelsine  (d.  i.  Apfel  aus  China  oder  Sina,  weil  von  dort  der  Baum  nach  Europa  ge- 
kommen ist)  wird  als  wohlschmeckendes  Obst  überall  hoch  geschätzt  (beschreibe  die 
Frucht!).  Aus  den  weißen,  stark  duftenden  Blüten  beider  Spielarten  gewinnt  man  in 
großen  Mengen  ein  wertvolles  Öl,  das  gleichfalls  in  der  Parfümerie  Verwendung  findet. 
Orangen-  und  Zitronenbäume  werden  bei  uns  vielfach  in  Treibhäusern  (Orangerien)  ge- 
halten. 

Von    den   entfernteren  Verwandten    der    Orangengewächse    seien  nur  folgende 
genannt :  Der  Mahagonibaum  (Swiotenia),  der  das  bekannte  wertvolle  Holz  liefert  und 
Schmeil,    Lehrbuch  der  Botanik.  ^ 


50  Tat'.  7.    14.  Fam.  Orangengewächse.    15.  Fam.  Lindengewächse. 

sich  in  den  Urwäldern  des  heißen  Amerika  findet ;  der  Cedrelabaum  (Cedrela)  Brasiliens, 
aus  dessen  wohlriechendem  Holze  man  die  Cigarrenkisten  herstellt;  der  Götterbaum 
(Aihinthus  glandulosa)  aus  China  und  Japan,  der  in  unsere  Parks  eingewandert  ist, 
sowie  die  Essigbäuiue  (Rhus),  die  in  mehreren  Arten  gleichfalls  häulig  in  Anlagen  zu 
finden  sind. 

15.  Familie.     Lindeng-ewächse  (Tiliäceae). 
Die    Sommer-   und  Winterlinde  (Tilia   platyphyllos  und  ulmifölia).    Taf.   7. 

A.  Die  Linde,  unser  Lieblingsbaum.  Während  die  Linde  in  Osteuropa 
große  Wälder  bildet,  treffen  wir  sie  bei  uns  fast  nur  in  der  Nähe  des  Menschen. 
Sie  ist  der  Lieblingsbaum  des  deutschen  Volkes.  Der  schnelle  Wuchs  in 
der  Jugend,  das  ehrwürdige  Alter  und  die  gewaltige  Höhe,  die  sie  erreichen  kann 
(1000  Jahre;  30  m  und  mehr),  die  dichte  Krone,  das  zarte  Laub  und  die  vielen 
Tausende  von  Blüten,  die  weithin  die  Luft  mit  süßem  Duft  erfüllen,  haben  ihr 
diese  Stellung  in  unsern  Herzen  erobert.  Deshalb  pflanzen  wir  sie  als  Schatten- 
spenderin an  Straßen,  als  Schmuckbaum  auf  freie  Plätze  und  vor  das  Wohnhaus, 
sowie  auf  die  Gräber  unserer  Toten.  Deshalb  knüpfen  sich  an  sie  auch  so  zahl- 
reiche Sagen  und  Lieder  (z.  B.  Siegfried  —  „Am  Brunnen  vor  dem  Tore"), 
und  deshalb  pflanzen  wir  sie  (neben  der  Eiche)  als  Gedenkbaum  an  große 
Ereignisse  (Beispiele!).  Unsern  Altvordern  war  die  Linde  ein  heiliger  Baum. 
Unter  der  ehrwürdigen  Dorflinde  berieten  die  Alten  der  Gemeinde,  und  noch 
heute  versammelt  sich  unter  ihr  in  vielen  Gegenden  die  Jugend  zu  Lust  und 
Freude. 

Das  weiche  H  o  1  z  des  Baumes  wird  vornehmlich  zu  Schnitzarbeiten  verwendet; 
seine  Kohle  dient  zum  Zeichnen  und  früher  besonders  zur  Bereitung  des  Schieß- 
pulvers. Aus  dem  Bast  (s.  Lein)  bereitet  man,  namentlich  in  Rußland,  Decken 
und  andere  Flechtwerke.  Die  Blüten  sind  für  die  Bienen  eine  reiche  Honig- 
quelle; getrocknet  liefern  sie  einen  schweißtreibenden  Tee. 

B.  Die  beiden  einheimischen  Lindenarten.  Die  Gattung  „Linde"  ist 
bei  uns  durch  2  Arten  vertreten:  Die  Sommerlinde  entfaltet  ihr  Laub  bereits 
anfangs  Mai  (Frühlinde)  und  hat  unterseits  kurzbehaarte,  große  Blätter  (groß- 
blättrige Linde);  die  andere  Art,  die  Winterlinde,  schlägt  erst  Mitte  Mai  aus 
(Spätlinde),  und  ihre  beiderseits  kahlen  Blätter  sind  viel  kleiner  als  die  der 
anderen  Form  (kleinblättrige  Linde).  Sonst  aber  stimmen  beide  in  allen  Stücken 
fast  völlig  überein. 

C.  Aon  den  Blättern  der  Linde.  1.  Wenn  im  Frühjahre  der  junge 
Trieb  in  der  Knospe  zu  wachsen  beginnt,  drängt  er  die  beiden  braunen 
Knospenschuppen  auseinander  (1.).  (Beachte  ihre  verschiedene  Größe  und  dem- 
entsprechend ihre  Stellung  zu  einander!)  Statt  des  Triebes  werden  jetzt  aber 
erst  grüne  oder  rötlich  angehauchte,  schuppenförmige  Blätter  sichtbar,  die  sich 
stark  in  die  Länge  strecken  und  den  umhüllten  Trieb  gegen  die  Unbilden  der 
Witterung  schützen  (2.).  Endlich  tun  auch  sie  sich  auseinander,  und  die  jungen 
Blätter   treten   zwischen   ihnen    hervor    (3.).     Nunmehr   erkennt    man    deutlich 


Schmeil.  Lehrbuch  der  Botanik 


Tafel  7. 


Winterlinde  (Tilia  ulmifolia) 


Cedrela-,  Götter-  und  Essigbaum.    Sommer-  und   Winterlinde.  51 

(noch  deutlicher,  wenn  sich  die  jungen  Stengelglieder  bereits  gestreckl  haben), 
daß  je  2  dieser  „Schuppen"  am  Grunde  der  Blattstiele  stehen.  Wir  haben  es 
in  ihnen  also  nicht  mit  Knospenschuppen  zu  tun,  die  den  Trieb  von  außen 
umhüllen,  sondern  mit  Nebenblättern,  wie  wir  solche  bei  zahlreichen  anderen 
Pflanzen  (Beispiele!)  linden.  Ihrer  Aufgabe  entsprechend  (Schutzmitteil)  haben 
sie  hier  aber  die  Gestalt  von  Knospenschuppen.  Ist  der  junge  Trieb  genügend 
erstarkt,  dann  fallen  die  Knospenschuppen  und  Nebenblätter,  weil  nunmehr  über- 
flüssig geworden,  ab.  Die  jungen  Blätter  sind  mit  langen,  seidenartigen 
Haaren  bedeckt,  senkrecht  gestellt  und  in  der  Mitte  zusammengefaltet:  wir 
treffen  hier  also  fast  alle  die  Schutzeinrichtungen  wieder,  die  wir  bei  den  Knospen 
und  jungen  Blättern  der  Roßkastanie  (s.  das.)  kennen  und  verstehen  gelernt 
haben.  (Offne  auch  eine  Knospe  im  Winter  und  beachte,  wie  zwischen  den 
großen  Nebenblättern  die  winzigen  Laubblätter,  die  fast  wie  kleine  Haarbüschel 
aussehen,  „verpackt"   sind!) 

2.  Die  Blätter  stehen  abwechselnd  links  und  rechts,  zu  zwei  „Zeilen" 
geordnet,  an  den  Zweigen,  so  daß  die  Blattflächen  wie  an  den  wagerechten 
Zweigen  der  Roßkastanie  (s.  S.  45)  in  eine  Ebene  fallen  (4.).  Bei  dieser 
Anordnung  wäre  es  aber  sehr  leicht  möglich,  daß  sich  die  Blätter  gegenseitig 
teilweise  bedeckten  und  somit  des  Sonnenlichts  beraubten.  Dies  geschieht  jedoch 
nicht:  die  herzförmigen  Blattflächen  sind  nicht  nur  wie  bei  jenem  Baume  un- 
gleich groß  und  ungleich  lang  gestielt,  sondern  ihre  „Hälften"  sind  auch  von 
ungleicher  Größe.  Die  Blätter  sind  also  unsymmetrisch.  Wenn  man  sich 
das  fehlende  Stück  ergänzt  denkt,  dann  erst  würde  jener  Fall  eintreten.  Die 
Natur  würde  dann  aber  etwas  Unnützes  oder  Überflüssiges  gebildet  haben. 

D.  Von  den  Blüten  der  Linde.  1.  Blütezeit.  In  den  Winterknospen 
der  Linde  werden  wir  trotz  eifrigsten  Suchens  keine  Blütenanlage  linden.  Die 
Blüten  bilden  sich  nämlich  erst  an  dem  jungen  Triebe,  der  aus  der  Knospe 
hervorgeht,  und  zwar  sprießen  sie  aus  den  Blattwinkeln  neben  den  Knospen 
hervor,  die  den  nächstjährigen  Trieb  enthalten  und  sich  jetzt  bereits  bilden. 
Diese  Tatsache  erklärt  uns  die  verhältnismäßig  späte  Blütezeit  der  Linde  zur 
Genüge.     (Wann  blühen  Sommer-  und  Winterlinde  in  deiner  Heimat?) 

2.  Hlüte.  a)  Von  einem  Hauptstiele  strahlen  bei  der  Sommerlinde  ge- 
wöhnlich 2  oder  3,  bei  der  Winterlinde  dagegen  5 — 7  Nebenstiele  aus,  die  je 
eine  Ülüte  tragen  (5.).  Der  Hauptstiel  ist  zum  Teil  mit  einem  bandförmigen,  perga- 
mentartigen, bleichen  „Deckblatte"  verwachsen,  dessen  Bedeutung  wir  später 
(s.  Absch.  E)  kenneu  lernen  werden. 

b)  Da  die  Blüten  zumeist  nach  unten  hängen  und  von  den  Laubblättern  oft 
völlig  überdacht  werden  (4.),  sind  sie  (Honig,  Blütenstaub!)  vortrefflich  gegen 
Regen  geschützt.  Diesem  Vorteil  steht  jedoch  der  Nachteil  gegenüber,  daß 
die  I Hüten  in  ihrem  „Verstecke"  den  Blicken  der  Insekten  entzogen  sind.  Sie 
besitzen  daher  auch  keine  prächtige  Blütenfarbe,  die  ja  doch  nicht  zur  Geltung 
kommen  könnte.  Kelch  und  Blumenkrone,  die  aus  je  5  kleinen,  gelblichen 
Blättern    bestehen,    sind    im  Gregenteil   ganz    unscheinbar.     Da    aber   die   I Hüten 


52  15.  Fam.  Lindengewächse.     16.  Farn.  Malvengewachse. 

einen  weithin  wahrnehmbaren  Duft  aushauchen,  wird  dieser  Nachteil  völlig  wieder 
ausgeglichen. 

c)  Die  zahlreichen,  langen  Staubblätter  stehen  in  dichtem  Kranze  um 
den  Stempel.  Sie  sind  sämtlich  nach  außen  gerichtet,  überragen  die  kleine 
Blütenhülle  und  überdecken  den  Honig,  der  in  großer  Menge  von  den  mulden- 
förmigen Kelcbblättern  abgeschieden  wird.  Infolgedessen  müssen  sich  die  zahl- 
reichen Insekten  (Bienen  und  Fliegen),  die  auf  der  hängenden  Blüte  Fuß  fassen 
wollen,  an  ihnen  und  dem  Stempel  festklammern.  Da  nun  die  Staubbeutel  vor 
der  Narbe  reifen,  kann  es  kaum  ausbleiben,  daß  Blütenstaub  von  den  jüngeren 
Blüten  auf  die  Narbe  der  älteren  übertragen,  also  Fremdbestäubung  herbei- 
geführt wird. 

E.  Von  den  Früchten  der  Linde  (6.).  Der  Fruchtknoten  (stelle  einen 
Querschnitt  her!)  enthält  5  Fächer  mit  je  2  Samenanlagen.  Von  diesen  10  An- 
lagen entwickelt  sich  jedoch  gewöhnlich  nur  eine;  die  übrigen  verkümmern. 
Die  nußartige  Frucht  (Lindennüßchen)  braucht  sich  bei  der  Reife  daher 
nicht  zu  öffnen  (s.  S.  10,  3).  Die  lederartige  Fruchthülle  wird  durch  Verwesen 
zerstört. 

Im  Herbste  löst  sich  der  Fruchtstand  mit  dem  flügelartigen  Hüllblatte 
vom  Zweige  und  fällt  wie  die  Ahornfrucht  (s.  das.)  langsam  herab.  Wird  er 
dabei  vom  Winde  erfaßt,  so  gelangt  er  oft  erst  in  großer  Entfernung  vom 
Baume  zum  Erdboden.  Das  Hüllblatt  ist  also  gleich  dem  Flügel  der  Ahorn- 
frucht ein  Mittel  zur  Ausbreitung  der  Samen  und  damit  zur  Weiterverbreitung 
der  ganzen  Pflanze. 

16.  Familie.     Malvengewächse  (Malväceae). 

Die  Weg-Malve  (Malva  neglecta) 
findet  sich  —  wie  schon  der  Name  andeutet  —  als  eine  unserer  gemeinsten 
Pflanzen  an  Wegen  und  in  der  Nähe  der  menschlichen  Wohnungen.  Vermöge 
einer  sehr  tiefgehenden  Wurzel  kann  sie  auf  dem  festen,  dürren  Boden  wohl 
gedeihen.  Macht  ihr  keine  andere  Pflanze  das  Licht  streitig,  so  liegen  die 
schwachen  Stengel  fast  völlig  dem  Untergründe  auf;  im  anderen  Falle  aber 
sind  sie  genötigt,  sich  emporzurichten.  Die  rundlichen  5 — 71appigen  Blätter 
sind  gleich  den  Stengeln  mehr  oder  weniger  dicht  mit  sternförmigen  Haaren 
bedeckt  (Verdunstungsschutz!).  In  den  Blattwinkeln  stehen  stets  mehrere  lang- 
gestielte Blüten,  die  unter  dem  fünfzipfligen  Kelch  noch  je  3  Nebenblättchen 
besitzen.  Die  5  rosafarbenen  Blumenblätter  sind  am  Grunde  mit  den  zahl- 
reichen Staubblättern  verschmolzen,  deren  Fäden  wieder  zu  einer  die  Griffel 
umschließenden  Röhre  (zu  einem  „Bündel")  verwachsen  sind.  (Beweise,  daß 
die  Bestäubung  in  derselben  Weise  wie  beim  Rittersporn  erfolgt!)  Die  Frucht 
reift,  vom  Kelche  bedeckt,  zurückgebogen  im  Schutze  der  Blätter  und  ist  einem 
kleinen  Käse  nicht  unähnlich  („Käsepappel").  Sie  besteht  aus  einer  mittel- 
ständigen  Scheibe   (einer  Verlängerung   des  Fruchtstiels),    die   von   zahlreichen 


Sommer-  und  Winterlinde.    Weg-Malve.     Baumwolle.     Affenbrotbaum.  53 

Fruciitknotenfächern  umgeben  ist.  Die  einzelnen  Fächer  umschließen  je  einen 
Samen  und  lösen  sich  bei  der  Eeife  ab.  Sie  werden  vom  Regen  verschlämmt 
und  von  Menschen  oder  Tieren  mit  dem  aufgeweichten  Boden  leicht  verschleppt. 
Diese  Tatsache  erklärt  uns  auch  das  Vorkommen  der  Pflanze  (s.  oben). 

Auf  feuchten  Wiesen,  besonders  auf  Salzboden,  findet  sich  der  Eibisch  (Altha-a 
officinalis)  als  eine  mehr  denn  meterhohe  Pflanze,  deren  grüne  Teile  mit  weißem  Filz 
überzogen  sind  („Sammetpappel").  Blätter,  Blüten,  besonders  aber  die  Wurzeln  sind 
von  alters  her  wegen  des  Schleimes,  den  sie  beim  Kochen  liefern,  ein  wichtiges  Heil- 
mittel. Deshalb  baut  man  die  stattliche  Pflanze  auch  im  großen  an.  —  Gleiche  Heil- 
wirkung besitzen  auch  die  Blüten  der  Stockrose  (A.  rösea),  die  aus  dem  Morgenlande 
zu  uns  gekommen  und  eine  bekannte  Zierpflanze  ist.  —  Ein  Malvengewächs  ist  auch 


Die  Baumwolle  (Gossypium). 

1.  Die  artenreiche  Gattung  umfaßt  eine  Anzahl  kraut-,  Strauch-  und  baum- 
artiger Pflanzen,  die  in  den  heißen  Gegenden  der  alten  und  neuen  Well 
heimisch  sind.  Die  Formen,  deren  Samenhaare  wir  als  wichtigsten  Spinnstoff 
verwenden  —  kleidet  sich  doch  die  Mehrzahl  der  Menschen  in  baumwollene 
Gewebe!  —  haben  sich  weit  über  ihr  ursprüngliches  Gebiet  verbreitet  und 
selbst  einen  großen  Teil  der  wärmeren  gemäßigten  Zonen  erobert  (z.  B.  Süd- 
europa und  Nordamerika). 

2.  Die  Pflanzen  werden  in  Strauchform  gezogen  (warum  nicht  als  Bäume  V), 
haben  große,  3 — ölappige  Blätter  und  (bis  auf  eine  weißblühende  Art)  gelbe 
Malvenblüten.  Die  Frucht  ist  eine  Kapsel,  aus  der  bei  der  Reife  ein 
mächtiger  Haarschopf  hervorquillt.  Die  Haare  haben  eine  Länge  bis  zu  5  cm, 
sitzen  an  der  Oberfläche  der  erbsengroßen  Samen  und  dienen  der  Verbreitung 
der  Pflanze  durch  den  Wind  (vgl.  mit  Löwenzahn,  Weide  u.  a.). 

3.  Verwendung.  Sobald  sich  die  Kapseln  zu  öffnen  beginnen,  werden 
sie  eingesammelt,  und  sofort  trennt  man  mit  Hilfe  von  Maschinen  die  Haare 
von  den  Samen.  Der  größte  Teil  der  gewonnenen  Haare  wird  gesponnen  und 
entweder  als  Garn  verwendet  (Strick-,  Häkelgarn  und  dgl.)  oder  zu  Zeugen 
verwebt  (Kattun,  Barchent,  Musselin  u.  s.  w.).  Auch  zur  Herstellung  von  Watte, 
Schießbaumwolle  und  anderen  gewerblichen  Erzeugnissen  finden  die  wertvollen 
Haare  Verwendung.  Aus  den  Samen,  die  man  nicht  zur  Aussaat  benutzt,  wird 
Öl  gepreßt  (Baumwollsaatöl),  und  die  Rückstände  dienen  noch  als  nahrhaftes 
Viehfutter. 

Zu  den  Malvengewächsen  zählt  auch  der  Affenbrotbaum  oder  Baobab  (Adan- 
sönia  digitäta),  der  in  den  Steppen  des  heißen  Afrika  heimisch  ist.  Er  bildet  im  Alter 
eine  riesige  Krone  und  dementsprechend  einen  sehr  starken  Stamm.  In  der  trockenen 
Jahreszeit  verliert  er  das  Laub  (vgl.  mit  Kirschbaum,  Absch.  3  c),  und  dann  hängen  die 
bis  40  cm  langen,  spindelförmigen  Früchte  gespenstig  von  den  gewaltigen  Zweigen  herab. 
Die  Früchte  sind  nicht  nur  für  die  Affen  (Name!),  sondern  auch  für  die  Menschen  ein 
wichtiges  Nahrungsmittel.  —  Ein  entfernterer  Verwandter  der  Malven  ist 


54 


Taf.  8      17.  Fam.  Storchschnabelgewächse. 


Der  Kakaobauni  iTheobröma  cacäo). 
Der  Kakaobaum  hat  in  den  Urwäldern  des  tropischen  Amerika  seine 
Heimat,  wird  jetzt  aber  in  fast  allen  heißen  Ländern  angebaut.  Seine  gurken- 
ähnlichen, bis  20  cm  langen  Früchte  enthalten  in  einem  säuerlichen  Frucht- 
fleische zahlreiche,  sehr  bittere  Samen,  die  sog.  Kakaobohnen.  Die  ein- 
geernteten Früchte  legt  man  auf  Haufen  oder  schüttet  sie  in  Gruben  und  läßt 
sie  hier  einige  Tage  liegen.  Dadurch  erhalten  die 
Bohnen,  die  sodann  von  dem  Fruchtfleische  getrennt 
werden,  einen  angenehmeren,  milderen  Geschmack,  so 
daß  sie  nunmehr  zur  Herstellung  von  Schokolade 
tauglich  sind.  Zu  diesem  Zwecke  werden  sie  geröstet, 
von  den  Schalen  befreit,  zerrieben  und  mit  Hilfe  hy- 
draulischer Pressen  entölt.  Der  zurückbleibende  „Press- 
kuchen" wird  gepulvert  und  liefert  das  Kakaopulver; 
mit  Zucker  vermischt  und  gewürzt  (durch  Vanille  oder 
andere  Stoffe)  gibt  er  die  Schokolade.  Wie  Kaffee 
und  Tee  enthält  auch  der  Kakao  einen  Stoff  (Theo- 
b romin),  der  auf  den  Menschen  eine  belebende 
Wirkung  ausübt.  Da  man  aber  vom  Kakao  nicht 
nur  einen  Aufguß  trinkt,  sondern  ihn  als  Ganzes 
genießt,  so  ist  er  zugleich  ein  Nahrungsmittel. 


Frucht  des  Kakao- 
bauines,  geöffnet,    um    die 
Samen,,  die  „ Kakaobohnen", 
zu  zeigen  ('/3  nat.  Gr.). 


17.  Familie.     Storehsehnabelg'ewächse 

(Geraniäceae). 


Blüten :  je  5  freie  Kelch-  und  Blumenblätter ;  10  am 
Grunde  verwachsene  Staubblätter;  Fruchtknoten  aus  5 
verwachsenen  Fruchtblättern  zusammengesetzt;  die  ge- 
schnäbelte Frucht  spaltet  sich  bei  der  Reife  in  5  „be- 
grannte"  Teilfrüchte,  die  sich  von  der  stehenbleibenden  Verlängerung  des  Blütenstieles 
(Mittelsäule)  lösen. 


Der  Reiherschnabel  (Erödium  cicutärium).     Taf.  8. 

1.  Standort.  Der  Reiherschnabel  ist  auf  Äckern,  an  Wegen  und  Rainen, 
besonders  auf  Sandboden,  häufig  anzutreffen. 

2.  Wurzel.  Obgleich  die  oberen  Bodenschichten  dieser  Örtlichkeiten 
während  der  Sommermonate  fast  völlig  austrocknen,  geht  die  Pflanze  doch  nicht 
zu  Grunde;  denn  sie  sendet  eine  sehr  lange  Pfahlwurzel  bis  in  die  Boden- 
schichten hinab,  die  stets  etwas  feucht  bleiben.  Ein  weiteres  Schutzmittel 
gegen  das  Vertrocknen  ist  die  sehr  dichte,  graue 

3.  Behaarung  aller  grünen  Teile  bei  denjenigen  Pflanzen,  die  auf  sehr 
sonnigem  und  dürrem  Boden  stehen  (s.  S.  43,  C  a).  Wachsen  die  Pflanzen  unter 
günstigeren  Bedingungen,   so  sind  sie  stets  viel   geringer,    oft  nur  ganz  wenig 


Schmeil.  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel 


Reiherschnabel  (Erodium  cicutarium). 


Kakaobaum.     Reiherschnabel.  55 

behaart.     Einen   ähnlichen    unterschied  finden    wir   meist    auch    bezüglich   der 
zierlich  gefiederten 

4.  Blätter,  deren  Fiedern  wieder  mehr  oder  weniger  tief  eingeschnitten 
sind.  In  den  kleinen  Blattflächen,  die  natürlich  weniger  Wasser  verdunsten  als 
sonst  gleiche,  aber  größere,  besitzt  der  Reiherschnabel  —  an  welchen  Orten  er 
auch  wachsen  mag  —  ein  drittes  Schutzmittel,  l'nd  dieses  Mittel  muß  umso 
wirksamer  sein,  je  kleiner  die  Blattflächen  sind.  Die  kleinsten  Flächen  finden  wir 
nun  abermals  bei  den  Pflanzen  der  sonnigsten  Stellen:  die  Fiederblätter  sind 
bis  auf  den  Grund  geteilt,  so  daß  jedes  abermals  gefiedert  ist.  (Vgl.  bezüglich 
dieser  Punkte  andere  Pflanzen  trockener  Standorte!) 

Im  Herbste  und  Winter  bilden  die  Blätter  des  veränderlichen  Pflänzchens 
oft  außerordentlich  regelmäßige,  dem  Boden  aufliegende  Rosetten  (2).  In- 
folge dieser  Lage  kann  kein  Blatt  dem  andern  auch  nur  einen  Lichtstrahl  rauben, 
und  so  allein  vermag  die  winterliche  Schneelast  dem  schwachen  Gewächse  keinen 
Schaden  zuzufügen  (Beweis!  s.  S.  17,  B;  s.  auch  Löwenzahn!).  Im  Frühjahr 
setzt  die  Pflanze  das  Leben  fort,  das  durch  die  Kälte  zum  Stillstand  gebracht 
wurde :  sie  treibt  langgliedrige,  meist  rot  angelaufene,  beblätterte 

5.  Stengel  (1.)  Wächst  der  Reiherschnabel  zwischen  anderen  Pflanzen,  die 
ihm  das  Licht  streitig  machen,  dann  richten  sich  die  Stengel  hoch  empor;  im 
anderen  Falle  dagegen  bleiben  sie  meist  dem  Boden  angedrückt.  Über  Stengel 
und  Blätter  ragen,  dem  Insektenvolke  sichtbar  (Bedeutung?),  die 

6.  Blüten  empor.  Neben  Pflanzen  mit  kleinen  Blüten  findet  man  solche, 
die  weit  größere  Blüten  tragen.  Während  erstere  von  Insekten  wenig  beachtet 
werden  und  darum  in  der  Regel  auf  Selbstbestäubung  angewiesen  sind,  erfreuen 
sich  die  anderen  eines  regen  Insektenbesuchs.  (Untersuche  die  Blüten  auf  Fremd- 
und  Selbstbestäubung  genauer!  Vgl.  auch  mit  Stiefmütterchen!)  Mehrere  der 
kurz  gestielten  Blüten  (3)  stehen  auf  einem  langen,  ge- 
nieinsamen Stiele.  Schon  wenige  Stunden  nach  dem  Auf- 
blühen verlieren  sie  die  5  rosafarbenen,  oft  dunkler  ge- 
streiften oder  gefleckten  und  verschieden  großen  Blu- 
menblätter, die  am  Grunde  je  einen  Büschel  seitlich 
gerichteter  Härchen  tragen.  Diese  Haare  überdecken  die 
5  Honigdrüsen  am  Grunde  der  Staubblätter  und  ver- 
wehren somit  den  Insekten ,  von  unten  her  zum  Honig 

vorzudringen  (Bedeutung  ?).    Die  10  am  Grunde  mitein-       Blütengrundril  vom 
ander  verwachsenen  Staubblätter  sind  nur  zur  Hälfte 
mit   Staubbeuteln    ausgerüstet.      Sie    umschließen    den 

Stempel,  dessen  merkwürdigen  Bau  uns  die  reifende  Frucht  (1  a — c)  deutlich 
erkennen  läßt.  Wir  sehen,  wie  der  Fruchtknoten  nach  und  nach  in  5  Teilfrüchte 
zerfällt ,  die  um  eine  Verlängerung  des  Fruchtstiels ,  eine  Mittelsäule,  geordnet 
sind.  Lösen  wir  die  noch  unreifen,  einsamigen  Teilfrüchte  (eine  £.  Samenanlage 
gelangt  nicht  zur  Entwicklung!)  ab,  so  sehen  wir  weiter,  wie  ihre  Hüllen  (die 
5  Fruchtblätter)  in  je  einen  langen  Fortsatz,   eine  „Granne",  ausgezogen  sind. 


56  17.  Fam.  Storchschnabelgewächse.     18.  Fam.  Sauerkleegewächse. 

Jede  Teilfrucht  besteht  also  aus  2  deutlich  geschiedenen  Abschnitten:  aus  dem 
Fruchtfache  mit  dem  Samen  (4  a)  und  der  Granne  (4  b  und  c).  Die  5  Grannen 
bilden  mit  dem  oberen  Teile  der  Mittelsäule  den  Griffel,  und  ihre  obersten  Ab- 
schnitte stellen  die  5  Narben  dar.  Nach  dem  Verblühen  wächst  der  Griffel 
weiter,  so  daß  er  samt  der  Frucht  schließlich  einem  langgeschnäbelten  Vogel- 
kopfe ähnelt  (Reiherschnabel  —  Storchschnabel).  Auch  der  5-blättrige  Kelch 
vergrößert  sich  noch  nach  dem  Verblühen  und  umhüllt  schützend  die  sich  aus- 
bildende 

7.  Frucht,  a)  Bringt  man  einen  reifen  Fruchtstand  (vgl.  die  Stellung 
von  Blüte  und  Frucht!)  in  das  geheizte  Zimmer,  auf  den  warmen  Ofen,  oder 
sorgt  man  sonstwie  dafür,  daß  er  schnell  austrocknet,  so  beobachtet  man,  wie 
sich  die  Teilfrüchte  von  der  Mittelsäule  ablösen  (1  b),  wie  sich  der  untere  Teil 
der  Granne  korkzieherartig  aufrollt  (1  c  und  4),  und  wie  das  ganze  Gebilde  ein 
Stück  fortgeschleudert  wird.  Dasselbe  erfolgt  natürlich  auch  im  Freien,  bei 
warmem,  trockenem  Wetter.  In  dem  eigentümlichen  Bau  der  Frucht  erkennen 
wir  erstens  also  ein  Mittel  zur  Verbreitung    der   Samen. 

b)  Befeuchtet  man  eine  Teilfrucht,  so  streckt  sich  die  Granne:  die  Win- 
dungen  werden  immer  weiter  und  verschwinden  schließlich  vollständig.  Läßt 
man  die  Granne  wieder  austrocknen,  so  rollt  sie  sich  wieder  auf.  (Die  gegen 
Feuchtigkeit  sehr  empfindlichen  [hygroskopischen]  Teilfrüchte  werden  darum 
auch  zur  Herstellung  von  Feuchtigkeitsmessern  oder  Hygrometern  benutzt.) 
Wiederholt  man  denselben  Versuch  in  der  Weise,  daß  man  den  rechtwinklig 
abgebogenen,  geraden  Endteil  der  Granne  festhält,  so  wird  das  Fruchtfach  in 
drehende  Bewegung  versetzt.  Stellt  man  nun  endlich  eine  angefeuchtete  Teil- 
frucht mit  der  Spitze  des  Fruchtfaches  in  Sand  oder  lockere  Erde  und  dicht  da- 
neben ein  Stäbchen,  das  den  Endteil  der  Granne  hindert,  sich  beim  Strecken 
des  korkzieherartigen  Abschnittes  zu  drehen,  so  muß  dasselbe  erfolgen,  d.  h.  das 
Fruchtfach  in  den  Sand  oder  die  Erde  gebohrt  werden.  Dasselbe  erfolgt  natür- 
lich auch  im  Freien,  wenn  der  Endteil  der  Granne  durch  Pflanzen  oder  Uneben- 
heiten des  Erdbodens  festgehalten  wird  (stelle  einen  entsprechenden  Versuch  an !), 
und  wenn  Tau-  oder  Regentropfen  die  Granne  strecken,  und  der  Sonnenschein  sie 
wieder  trocknet  (5  a — d).  Man  findet  daher  in  der  Umgebung  der  Pflanze  zur 
Zeit  der  Fruchtreife  meist  auch  einige  eingebohrte  Früchte.  Der  eigentümliche 
Bau  der  Frucht  und  ihre  große  Empfindlichkeit  gegen  Befeuchtung  sind  also 
zweitens  ein  Mittel ,  die  Samen  in  den  Erdboden,  also  an  den  Ort  zu 
bringen,  an  dem  sie  zu  keimen  vermögen. 

Diese  Erkenntnis  macht  uns  weitere  Einzelheiten  im  Bau  der  Teilfrucht 
verständlich:  1)  der  gerade  End teil  der  Granne  bewirkt,  daß  die  Spitze  des 
Fruchtfaches  stets  schräg  gegen  den  Erdboden  gerichtet  ist  (5  a).  2)  Die  als  Erd- 
bohrer dienende  Spitze  des  Fruchtfaches  ist  scharf  (4  a).  3)  Das  Frucht- 
fach ist  mit  kurzen,  steifen  Haaren  besetzt,  die  wie  Widerhaken  wirken. 
Rollt  sich  nämlich  die  austrocknende  Granne  auf,  so  verhindern  sie,  daß  das  Fruch- 
fach  wieder   aus  dem  Boden  gedreht  werde.     Durch    abwechselnde  Befeuchtung 


Reiherschnabel  und  seine  nächsten  Verwandten.     Sauerklee.  57 

und  Austrocknung  muß  das  Fruchtfach  (Same)  also  immer  tiefer  in  die  Erde 
eindringen  (5  b— d).  4)  Die  kurzen  und  langen  Haare  an  dem  korkzieher- 
artigen Grannenteile  (4  und  5)  verhindern  ein  Abspringen  der  Regentropfen. 
5)  Das  Fruchtfach  ist  vollkommen  geschlossen,  so  daß  ein  Herausfallen 
des  Samens  verhindert  wird  (vgl.  dag.  Wiesen-Storchschnabel).  Kurz :  wir  haben 
es  hier  mit  einem  wahren  Wunderwerke  der  Natur  zu  tun! 

Die  nächsten  Verwandten  des  interessanten  Pflänzchens  sind  die  Storch- 
SChnabelarten  (Geränium),  die  Wald  und  Feld,  trockene  und  feuchte  Örtlichkeiten  be- 
wohnen. Wie  bei  ihnen  die  Samenverbreitung  erfolgt,  mag  uns  der  Wiesen-Storchschnabel 
(G.  pratense)  lehren,  der  mit  seinen  großen,  blauen  Blumen  Wiesen  und  lichte  Gebüsche 
schmückt.  (Durch  welche  Einrichtung  wird  Selbstbestäubung  verhindert?  Beachte  den 
klebrigen  Stengel!  Vgl.  mit  Leimkraut!)  Die  sich  ablösenden  Teilfrüchte  schnellen 
an  der  sich  bogenförmig  krümmenden  Granne  mit  ziemlicher  Gewalt  nach  oben,  bleiben 
aber  an  dem  oberen  Grannenteile  mit  der  Mittelsäule  verbunden.  Dadurch  werden  sie 
in  ihrer  Bewegung  aufgehalten,  so  daß  ein  heftiger  Ruck  entsteht.  Da  nun  die  Frucht- 
fächer auf  der  Innenseite  einen  großen  Spalt  besitzen,  so  werden  die  Samen  in  weitem 
Bogen  fortgeschleudert,  etwa  wie  ein  Stein,  den  man  aus  der  hohlen  Hand  mit  einem 
kurzen  Ruck  des  Annes  fortwirft.  Dieselbe  Verbreitung  finden  wir  bei  allen  groß- 
blumigen Storchschnabelarten.  Bei  den  kleinblumigen  Arten  dagegen  lösen  sich  die  Grannen 
vollständig  ab,  so  daß  die  Teilfrüchte  fortschnellen.  Um  das  Herausfallen  der  Samen  zu 
verhindern,  sind  bei  ihnen  die  Fruchtfächer  wie  beim  Reiherschnabel  völlig  geschlossen.  — 
Als  bekanntestes  Beispiel  dieser  Formen  sei  das  Ruprechtskraut  (G.  robertiänum)  ge- 
nannt, das  an  feuchten,  schattigen  Orten  überall  vorkommt.  Durch  den  widerlichen  Geruch 
(Schutz  gegen  Tiere!)  und  die  tiefgeteilten,  fiederspaltigen  Blätter  unterscheidet  es  sich 
leicht  von  dem  sonst  sehr  ähnlichen  Reiherschnabel.  —  Zahlreiche  ausländische,  meist 
aus  dem  Kaplande  stammende  „Geranien"  (Pelargönium)  zählen  zu  unsern  beliebtesten 
Topfpflanzen. 

18.  Familie.    Sauerkleege wachse  (Oxalidäceae). 

Den  Sauerklee  (Öxalis  acetosella) 
kennzeichnet  die  große  Zartheit  aller  Teile  schon  als  einen  Bewohner 
schattiger,  feuchter  Wälder  und  Gebüsche  (s.  S.  7,  c).  Von  den  kleeartigen 
Blättern  und  dem  Reichtum  an  sauerschmeckendem,  giftigem  Kleesalz  (Schutz- 
mittel gegen  Tiere !)  hat  er  seinen  Namen.  An  sonnigen  Tagen  kann  man  leicht 
beobachten,  wie  dicht  beieinanderstehende  Pflanzen  ein  sehr  verschiedenes  Aus- 
sehen haben:  die  beschatteten  breiten  ihre  Blätter  so  aus,  daß  die  drei  herz- 
förmigen Einzel-Blättchen  in  einer  Ebene  liegen;  die  von  den  warmen  Sonnen- 
strahlen getroffenen  dagegen  haben  die  Blättchen  senkrecht  nach  unten  ge- 
schlagen und  falten  sie  dabei  (des  Platzes  wegen!)  in  der  Mittellinie  etwas  ein. 
Die  Blätter  dieser  Pflanzen  werden  infolgedessen  weniger  besonnt  und  mithin 
auch  weniger  erwärmt,  daher  werden  sie  auch  weniger  Wasser  verdunsten, 
als  wenn  sie  ausgebreitet  wären  (s.  S.  43,  C  c).  (Vgl.  auch  die  jungen  Blätter 
nach  Stellung  und  Faltung  mit  denen  der  Roßkastanie!)  Nachts  nehmen  die 
Blätter   die   gleiche  „Schlafstellung"  ein  (s.  Gemüsebohne).     Auch    die  weißen, 


58  Taf.  9.    18.  Farn.  Sauerkleegewächse.     19.  Faru.  Leingewächse. 

rot  geäderten  Blüten  (beschreibe  sie!)  schließen  sich  und  werden  nickend,  so- 
bald es  Abend  wird.  Bei  Eintritt  eines  Regenwetters  tun  sie  dasselbe,  und 
bei  kaltem,  unfreundlichem  Wetter  öffnen  sie  sich  gar  nicht  (s.  S.  3,  b).  Drückt 
man  eine  ziemlich  reife  Frucht  ein  wenig,  so  werden  die  Samen  mit  großer 
Heftigkeit  ausgeschleudert,  Dasselbe  geschieht  bei  völliger  Reife  von  selbst: 
die  äußere  Schicht  der  Samenschale  reißt  an  der  Außenseite  auf  und  rollt 
blitzschnell  zurück :  dadurch  erhalten  die  glatten  Samen  einen  so  heftigen  Stoß, 
daß  sie  durch  die  Spalten  der  Kapsel  ins  Freie  geschleudert  werden.  Diese 
Ausstreuungsweise  der  Samen  macht  uns  auch  verständlich,  warum  sich  der  ge- 
krümmte Fruchtstiel  zur  Zeit  der  Fruchtreife  emporrichtet. 

Eine  nahverwandte  Pflanze  ist  das  Springkraut  oder  das  Kräutchen 
„Rühr  mich  nicht  an"  (Impätiens  noli  tängere),  das  an  Waldbächen  und  anderen 
feuchten  Waldstellen  gedeiht.  Es  ist,  seinem  Standorte  entsprechend  (s.  S.  7,  c),  ein 
überaus  saftreiches,  zartes  Gewächs,  dessen  hellgrüne  Teile  von  einer  bläulichen  Wachs- 
schicht überzogen  sind  (s.  S.  17,  2).  Die  gelben,  trompetenähnlichen  Blüten  stehen  unter 
den  Blättern  wie  unter  einem  schützenden  Regendache.  Berührt  man  die  schotenähn- 
lichen  Früchte,  so  lösen  sich  die  5  Klappen  von  der  Mittelsäule  ab,  rollen  sich  spiralig 
zusammen  und  schleudern  die  Samen  nach  allen  Seiten.  Dasselbe  geschieht,  wenn  der 
Wind  die  Pflanzen  schüttelt,  oder  wenn  ein  vorbeistreifendes  Tier  die  Kapseln  berührt 
(Namen!).  —  Eine  gleiche  Samen  Verbreitung  findet  man  bei  der  Garten-Balsaniine 
(J.  balsamina),  die  aus  Ostasien  stammt.  —  Gespornte  Blüten  besitzen  auch  die  Kapu- 
zinerkressen (Tropteolum),  die  zu  unseren  beliebtesten  Zierpflanzen  zählen.  Ihre  Heimat 
ist  Peru.  Sie  besitzen  meist  schildförmige  Blätter.  Die  Blütenknospen  und  jungen  Früchte 
werden  wie  Kapern  verwendet  (s.  S.  10). 

19.  Familie.     Leing-ewächse  (Linäceae). 

Der  Lein  oder  Flachs  (Linum  usitatissimum).     Taf.  9. 
A.  Die  Pflanze  selbst. 

„Auf,  kommt  in  die  Felder  und  blühenden  Au'n, 
Das  liebliche  Pflänzchen  der  Mädchen  zu  schau'n!" 
Einen  so  prächtigen  Anblick   das  blühende  Flachsfeld  gewährt,    einen  so 
bescheidenen  Eindruck   macht  die   einzelne   Pflanze  (1.).     Der  schwache,   aber 
sehr  elastische 

1.  Stengel,  der  im  oberen  Teile  mehrfach  verzweigt  ist,  wird  bis  zu 
1  m  hoch. 

2.  Die  Blätter  sind  klein  und  schmal.  Infolgedessen  beschatten  sie  sich 
gegenseitig  bei  weitem  nicht  so  stark  wie  große  Blätter  und  sind  daher  in  ver- 
hältnismäßig großer  Anzahl  vorhanden.  (Vgl.  mit  anderen  klein-  und  groß- 
blättrigen Pflanzen!) 

3.  Die  Blüten  stehen  an  den  Zweigenden  oder  auf  langen  Stielen  und 
sind  aus  5  Kelchblättern,  ebensovielen  himmelblauen  Blumen-  und  Staubblättern 
und  einem  Stempel  zusammengesetzt.  Da  auch  die  am  Grunde  verwachsenen 
Staubblätter  und  die  5  Griffel  (2.)  mit  den  Narben  prächtig  blau  gefärbt  sind  — 


Schmeil.  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  9. 


Lein  oder  Flachs  (Linum  usitatissimum). 


Lein  oder  Flachs.  59 

aber  nur  soweit,  als  sie  von  außen  gesehen  werden  können  —  so  treten  sie 
mit  in  den  Dienst  der  Insektenanlockung.  Selbst  wenn  sich  kein  Insekt  ein- 
stellt, bleibt  die  Pflanze  doch  nicht  unfruchtbar:  die  Blüten,  die  sich  bei  den 
ersten  Strahlen  der  Morgensonne  öffnen,  schließen  sich  bereits  am  Nachmittage 
wieder,  indem  die  Blumenblätter  die  zusammengedrehte  Haltung  wie  in  der  Knospe 
einnehmen  (3.);  dadurch  kommen  aber  Narben  und  Staubbeutel  in  innige  Beruh-  ■ 
rang,  so  daß  Selbstbestäubung  eintritt.  An  naßkalten  Tagen  und  bei  Regen- 
wetter öffnen  sich  die  Blüten  gar  nicht  (s.  S.  3,  b). 

4.  a)  Die  Frucht  (4.)  ist  bis  zur  Reife  schützend  vom  Kelche  umhüllt.  Sie 
ist  eine  kugelige  Kapsel  („Flachsknoten"),  die  in  jedem  der  5  Fruchtfächer  2 
Samen  enthält  (5.).  Die  Fächer  sind  aber  durch  eine  unvollständige  Scheidewand 
nochmals  geteilt,  so  daß  scheinbar  10  einsamige  Fächer  vorhanden  sind.  Bei 
der  Reife  öffnen  (6.)  sich  die  Kapseln  entweder  mit  einem  knackenden  Geräusch 
oder  sie  bleiben  geschlossen,  so  daß  die  Samen  durch  Ausschlagen  gewonnen 
werden  müssen.  Ersteres  ist  bei  dem  kleineren  „Klang-  oder  Springlein",  letzteres 
beim  größeren  „Schließ-  oder  Dreschlein"  der  Fall.  Da  wildwachsende  Pflanzen 
ihre  Samen  verstreuen  müssen  (warum?),  ist  die  zweite  Spielart  ohne  Zweifel 
eine  vom  Menschen  noch  mehr  veränderte  Form  als  die  erste. 

b)  Befeuchtet  man  die  glatten,  bräunlichen  Samen  (6.),  so  wird  die  Ober- 
fläche bald  im  hohen  Grade  klebrig.  Bei  der  Aussaat  verkittet  infolgedessen 
der  Same  mit  dem  Boden,  so  daß  das  Keimen  sicher  von  statten  gehen  kann 
(vgl.  mit  Kürbis).  Des  Schleimes  wegen  benutzt  man  die  Samen  auch  in  der 
Heilkunde  (zu  Tee  und  Umschlägen).  Besondere  Bedeutung  erhalten  sie  aber 
durch  den  großen  Reichtum  an  dem  fetten  Leinöl,  das  ausgepreßt  zur  Her- 
stellung von  Ölfarben,   Druckerschwärze,   Seife  und  dgl.  mehr  verwendet  wird. 

B.  Der  Lein  als  (iespinstpflanze.  1.  Die  Flachsfasern.  Zerreißt 
man  einen  Flachsstengel,  so  schauen  aus  den  Rißstellen  (ähnlich  wie  beim 
Durchreißen  der  Blattstiele  des  Wegerichs)  dünne  Fäden  hervor.  Betrachtet 
man  einen  solchen  Faden  unter  dem  Mikroskope,  so  giebt  er  sich  als  aus  zahl- 
reichen Zellen  bestehend  zu  erkennen  (7.).  Die  Zellen  sind  sehr  lang  (bis  4  cm), 
mit  den  zugespitzten  Enden  gleichsam  ineinander  gekeilt  und  so  dickwandig, 
daß  ihr  Innenraum  nur  noch  als  eine  dunkle  Linie  erscheint.  Sie  bilden  daher 
nicht  nur  sehr  lange,  sondern  auch  sehr  feste  Stränge,  die  man  als  Flachs- 
fasern oder  —  da  sie  in  dem  (zwischen  Rinde  und  Holz  befindlichen)  Bast 
eingelagert  sind  —  Bastfasern  bezeichnet.  Infolge  der  Länge  und  Festigkeit 
eignen  sich  die  Fasern  vortrefflich  zur  Herstellung  von  Geweben  und  machen 
den  Lein  zu  einer  der  wichtigsten  Gespinstpflanzen.  Soll  die  Pflanze  diesem 
Zwecke  dienen,  so  müssen  die  Flachsfasern  von  den  umgebenden  Geweben  selbst- 
verständlich befreit  werden. 

2.  Die  Gewinnung  der  Flachsfasern  geschieht  nun  von  alters  her 
in  folgender  Weise:  Sobald  die  Stengel  anfangen  gelb  zu  werden,  rauft  man 
die  Pflanzen  aus  dem  Boden  und  beseitigt  („riffelt")  die  Samenkapseln  mit  Hilfe 
eiserner  Kämme.     Bündelweis   legt   mau  die  Pflanzen   sodann  in  stehendes  oder 


60  19.  Fam.  Leingewächse.     20.  Farn.  Weinrebengewächse. 

langsam  fließendes  Wasser,  oder  man  breitet  sie  auf  Feldern  und  Wiesen  aus 
und  überläßt  sie  einige  Wochen  dem  Regen  und  Tau.  In  den  durchfeuchteten 
I'tlanzenteilen  tritt  (unter  Einwirkung  von  Spaltpilzen;  s.  das.)  bald  eine  Gärung 
ein :  die  Rinde  und  die  weichen  Bastteile  werden  zerstört,  so  daß  sich  die  Flachs- 
fasern leicht  abziehen  lassen.  Nachdem  dieser  Vorgang,  der  als  das  „Rösten" 
.  des  Flachses  bezeichnet  wird  („Wasser-  und  Tauröste"),  beendigt  ist,  kommt  es 
noch  darauf  an,  den  Holzkörper  zu  beseitigen.  Zu  diesem  Zwecke  werden  die 
Stengel  zunächst  getrocknet  („gedörrt")  und  sodann  gebrecht,  d.  h.  das 
mürbe  gewordene  Holz  wird  durch  besondere  Vorrichtungen  (Flachsbreche)  in 
kleine  Stücke  zerbrochen.  Die  somit  freigewordenen  Flachsfasern,  die  aber  noch 
miteinander  netzförmig  verbunden  sind,  werden  nunmehr  durch  Schlagen  mit 
einem  schwertförmigen  Holze  („Schwingen")  von  den  anhängenden  Holz- 
und  Rindeteilchen  befreit  und  endlich  durch  die  Zähne  einer  Hechel  gezogen. 
Hierdurch  wird  das  Netzwerk  in  einzelne  Stränge  zerrissen;  die  langen  Fasern 
erhalten  eine  gleichmäßige  Lage  und  werden  von  den  kurzen  Fasern,  dem 
Werg  oder  der   Hede,  getrennt. 

3.  Die  Verwendung  von  Flachsfasern.  Schon  seit  undenklichen 
Zeiten  hat  der  Mensch  verstanden,  die  Bastfasern  des  wahrscheinlich  aus  dem 
Mittelmeergebiete  stammenden  Leins  (und  seiner  nächsten  Verwandten)  zu  Garn 
zu  spinnen  und  Leinwand  daraus  zu  verfertigen.  Jahrtausende  hindurch  be- 
diente man  sich  zum  Spinnen  der  Handspindel.  Sie  mußte  dem  um  das  Jahr 
1530  erfundenen  Spinnrade  weichen,  das  in  der  Gegenwart  wieder  von  sinnreich 
konstruierten  Spinnmaschinen  fast  völlig  verdrängt  worden  ist.  Wie  diese 
Maschinen  ein  billigeres  Garn  liefern,  als  dies  mit  Hilfe  des  Spinnrads  möglich 
ist,  so  vermag  auch  der  alte  Handwebstuhl  nicht  mehr  gegen  die  mechanischen 
Webstühle  der  Fabriken  den  Wettbewerb  aufzunehmen.  Da  die  Leinwand  im- 
mer mehr  von  der  billigeren  Baumwolle  verdrängt  wird,  so  ist  auch  der  Flachs- 
bau stark  zurückgegangen,  und  jetzt  schon  giebt  es  weite  Bezirke,  in  denen 
das  schnurrende  Spinnrad  und  das  blaue  Flachsfeld  nur  noch  von  Hörensagen 
bekannt  sind.  —  Von  den  zahlreichen  Leinwandsorten,  die  man  herstellt,  seien 
nur  genannt:  der  Zwillich  und  der  Drillich  oder  Drell,  das  sind  —  wie  schon 
der  Name  sagt  —  Zeuge,  die  mit  2  bezw.  3  schräg  verlaufenden  Fäden  gewebt 
sind;  sehr  feines  Leinen  nennt  man  Batist;   das  stärkste  ist  das  Segeltuch. 

Das  minderwertige  Werg  verwendet  man  zur  Füllung  von  Polstern,  so- 
wie zur  Herstellung  von  Stricken  und  Packleinwand.  Aus  unbrauchbar  ge- 
wordenen Leinengeweben  (Lumpen)  bereitet  man  bekanntlich  das  Papier. 

20.  Familie.     Weinrebeng-ewächse  (Vitäceae). 
Der  Weinstock  (Vitis  vinifera). 

1.  Heimat  und  Verbreitung.  Die  Heimat  des  Weinstockes  glaubt  man 
in  den  Ländern  um  das  Mittelmeer  gefunden  zu  haben.  Vollkommen  wild  soll 
er  heutzutage  noch  in  den  Wäldern  von  Westasien   vorkommen,  in  denen  er  als 


Lein  oder  Flachs.    Weinstock.  61 

üppig  wuchernde  Schlingpflanze  bis  zu  den  Kronen  der  höchsten  Bäume  empor- 
steigt. Auch  die  Weinstöcke,  die  man  in  den  Uferwäldern  der  Donau  und  des 
Rheins  antrifft,  sollen  wirklich  wilde  Pflanzen  sein.  Verwildert  kommt  die  Rebe 
in  allen  Ländern  vor,  in  denen  Weinbau  getrieben  wird. 

Der  köstlichen  Früchte  wegen  hat  der  Mensch  den  Weinstock  schon  seit 
uralten  Zeiten  (Noah)  in  Pflege  genommen  und  über  einen  großen  Teil  der 
Erde  verbreitet.  Als  eine  Pflanze  wärmerer  Gegenden  meidet  er  sowohl  den 
kalten  Norden,  als  auch  die  heiße  Zone.  Etwa  der  52.  Breitengrad  bildet  in 
Deutschland  die  Grenze  seines  Gedeihens,  und  zwar  vermag  er  bis  zum  51.  Grad 
herab  meist  nur  an  der  Wand  der  Häuser,  die  von  den  Sonnenstrahlen  stark 
erwärmt  wird,  seine  Trauben  zu  reifen.  Südlich  von  dieser  Linie  dagegen,  am 
rebenumkränzten  Rhein,  an  der  Mosel  und  Ahr,  am  Main  und  Neckar,  in  Franken 
und  Baden  und  an  vielen  anderen  Orten,  bewohnt  er  das  freie  Feld  oder  den 
sonnigen  Bergeshang.  Dort,  wo  die  Sonne  kräftiger  wirkt,  wie  in  Südtirol, 
zieht  man  ihn  in  Laubengängen ;  in  der  lombardischen  Tiefebene  umschlingt  er 
den  Maulbeerbaum,  und  noch  weiter  südlich  klettert  er  an  Ulme  und  Pappel 
empor.  Und  wie  in  Deutschland  und  dem  alten  Weinlande  Italien,  reift  er  seine 
köstlichen  Früchte  auch  (gib  die  Gegenden  näher  an !)  in  Frankreich,  in  Spanien 
und  Portugal,  in  der  Schweiz,  in  Österreich  und  Ungarn,  in  Griechenland  und 
auf  den  Inseln  des  Mittelmeeres,  in  Rumänien  und  dem  südlichen  Rußland,  in 
ganz  Vorderasien,  auf  Madeira  und  im  Kaplande,  in  Nordamerika  und  an  vielen 
anderen  Orten  der  Erde. 

Ein  so  weit  verbreitetes  Gewächs  lebt  natürlich  unter  den  verschiedensten 
Verhältnissen  (Boden,  Wärme,  Feuchtigkeit,  Pflege  und  dgl.).  Er  tritt  daher 
auch  in  einer  großen  Zahl  von  Spielarten  oder  Sorten  auf,  die  sich  be- 
sonders durch  die  Form,  Größe  und  Behaarung  der  Blätter,  sowie  durch  die 
Form  und  Färbung  der  Beeren  und  die  Größe  der  Trauben  voneinander  unter- 
scheiden. 

2.  Wurzel.  In  den  wärmeren  Ländern  fällt  während  eines  großen  Teiles 
des  Jahres  und  zwar  in  der  Zeit,  in  der  der  AVeinstock  Blüten  trägt  und  Früchte 
reift,  meist  kein  Regen.  Auch  in  unsern  Weinbergen  sind  in  den  Spätsommer- 
und  ersten  Herbstmonaten  die  oberflächlichen  Erdschichten  oft  im  hohen  Grade 
ausgetrocknet.  Da  aber  die  Wurzeln  des  Weinstockes  tief  in  den  Boden  dringen, 
so  vermögen  sie  selbst  während  dieser  Zeit  genügend  Wasser  zu  beschaffen. 

3.  Stamm  uud  Äste  (Reben)  sind  von  einer  graubraunen  Borke  bedeckt, 
deren  abgestorbene  Lagen  in  bandartigen  Streifen  abgestoßen  werden.  Wohl 
kann  der  Stamm  bei  hohem  Alter  baumartige  Stärke  erreichen,  die  Reben  aber 
bleiben  stets  verhältnismäßig  schwach.  Besonders  gilt  dies  für  die  jüngsten 
Reben  („Lotten"),  die  im  Frühjahre  aus  braunbeschuppten  Knospen  hervor- 
brechen (vgl.  mit  Roßkastanie!).  Da  es  nun  für  den  wildwachsenden  oder 
verwilderten  AVeinstock  ein  ATorteil  ist,  möglichst  bald  den  besonnten  Gipfel  des 
Baumes  zu  erreichen,  an  dem  er  emporklettert,  so  wächst  der  Jahrestrieb  den 
ganzen  Sommer  hindurch   fort  (vgl.  dag.   mit  Roßkastanie,    Linde   und   andern 


62  20.  Farn.  Weinrebengewäcbse. 

Bäumen !).  Der  angebaute  Weinstock  hat  diese  Eigenschaft  beibehalten  und  bildet 
nicht  selten  Jahrestriebe  von  4  und  mehr  Meter  Länge.  Diese  Triebe  sind  aber 
so  schwach,  daß  sie  weder  die  eigene  Last,  noch  die  der  Früchte  zu  tragen 
vermögen.  Wir  geben  daher  den  baumartigen  Stöcken,  die  wir  an  WTänden 
ziehen,  ein  Spalier,  und  den  strauchartigen  der  Weinberge  Stäbe,  an  denen  sie 
Halt  und  Stütze  finden.  Außerdem  ist  der  Weingärtner  das  ganze  Jahr  hin- 
durch aufs  eifrigste  bemüht,  jeden  Weinstock  in  den  Vollgenuß  von  Licht  und 
Luft  zu  setzen,  die  zu  gutem  Gedeihen  nötig  sind :  er  schneidet  zu  dem  Zwecke 
die  überflüssigen  Eeben  ab,  bindet  die  fruchttragenden  fest  und  dgl.  mehr. 
Dem  wildwachsenden  oder  verwilderten  Weinstocke  dagegen  läßt  niemand  eine 
solche  Pflege  angedeihen.  Er  müßte  am  Boden  liegen  bleiben  und  würde  bald 
von  den  benachbarten  Pflanzen  überwuchert  und  erstickt  sein,  wenn  er  nicht 
in  den 

4.  Ranken  ein  Hilfsmittel  besäße,  sich  an  anderen,  stärkeren  Pflanzen 
(Bäumen)  anzuklammern  und  zum  Lichte  emporzudringen.  Die  Eanken  sind 
fadenförmige  Gebilde,  die  den  Blättern  gegenüberstehen.  In  der  Mitte  besitzen 
sie  ein  Blättchen,  aus  dessen  Achsel  ein  kleiner  Ast  hervorsproßt,  so  daß  sie 
wie  gegabelt  erscheinen.  Da  die  Trauben  gleichfalls  den  Blättern  gegenüber- 
stehen und  dieselbe  Gliederung  wie  die  Ranken  zeigen,  so  ist  dies  ein  Zeichen, 
daß  wir  es  in  den  Ranken  mit  umgewandelten  Blütenstielen  zu  tun  haben 
( „  S  tengelranken  " ). 

a)  Betrachtet  man  ein  Weinspalier,  so  findet  man,  daß  alle  Ranken  sich 
nach  der  Wand,  also  dorthin  wenden,  wo  eine  Stütze  zu  finden  ist.  Dasselbe 
beobachtet  man  auch  an  jedem  Stocke  im  WTeinberge.  Ihrer  Aufgabe  entsprechend 
ist  also  die  Ranke  im  Gegensatz  zu  den  lichtliebenden  Blättern  ein  licht- 
scheues  Gebilde. 

b)  Die  Rankenäste  bewegen  sich  wie  der  Uhrzeiger  langsam, 
aber  stetig  im  Kreise.  Je  mehr  sie  in  die  Länge  wachsen,  desto  größer 
werden  die  Kreise,  und  desto  größer  wird  auch  die  Möglichkeit,  eine  Stütze  zu 
finden.  Die  Zeit,  in  der  ein  solcher  Umlauf  vollendet  wird,  ist  je  nach  der 
Temperatur  verschieden.  (Wie  lange  brauchte  der  von  dir  beobachtete  Ranken- 
ast dazu?) 

c)  Bringen  wir  der  kreisenden  Ranke  ein  Holzstäbchen  in  den  Weg,  so 
beobachten  wir  folgendes:  Einige  Stunden,  nachdem  die  hakenartige  Spitze  oder 
eine  andere  Stelle  des  Astes  den  Stab  berührt  hat,  hat  ihn  die  Ranke  in  einer 
Schlinge  umwunden.  Einige  Stunden,  oder  auch  einen  Tag  später  (stelle 
die  Zeit  bei  deinem  Versuche  genauer  fest!)  hat  sich  der  Endteil  des  Astes  in 
weiteren,  sehr  engen  Windungen  um  die  Stütze  gelegt.  Dasselbe  er- 
folgt, wenn  die  Ranke  einen  anderen  Gegenstand,  einen  Zweig,  einen  Blattstiel 
oder  dgl.  erfaßt. 

d)  Nach  Verlauf  einiger  Tage  hat  sich  der  zwischen  Stütze  und  Pflanze 
ausgespannte  Rankenteil  korkzieherartig  zusammengezogen. 
Infolgedessen   wird  die  Pflanze  enger  und  fester  an  die  Stützen  gefesselt,   und 


Weinstock.  63 

da  die  korkzieherartigen  Ranken  federn,  so  vermag  der  Wind  den  Weinstock 
bei  weitem  nicht  so  leicht  von  seinen  Stützen  loszureißen  als  im  anderen  Falle. 
Dies  ist  umso  weniger  möglich,  als  die 

e)  anfangs  sehr  zarten  Rauken  nicht  nur  stärker  werden,  sondern  auch 
verholzen.  Dadurch  erhalten  sie  fast  die  Festigkeit  von  Eisendraht.  Die 
Ranken  aber,  die  keine  Stütze  ergreifen  konnten,  vertrocknen  und  fallen  ab. 
Dies  ist  für  die  Pflanze  kein  sonderlicher  Verlust;  denn 

f)  an  jeder  Rebe  werden  eine  größere  Anzahl  von  Ranken  ge- 
bildet. Dem  unteren  Rebenteile  aber  fehlen  die  Ranken;  denn  er 
vermag  sich  ja  ohne  Hilfe  dieser  „Hände"  dem  Lichte  entgegen  zu  strecken. 

5.  a)  Das  Blatt  ist  von  prächtiger  Form,  so  daß  es  in  der  Kunst  viel- 
fache Verwendung  findet  (Beispiele!).  Durch  2  tiefere  und  2  flachere  Einschnitte 
ist  es  in  5  Lappen  geteilt,  in  die  je  eine  Hauptrippe  vom  Blattgrunde  aus  ein- 
tritt. Der  Blattrand  ist  gesägt.  (Welche  Eigenschaften  des  jungen  Blattes  der 
Roßkastanie  finden  wir  am  Weinblatt  wieder?) 

b)  Obgleich  die  Blätter  verhältnismäßig  groß  sind,  rauben  sie  sich  doch 
nicht  gegenseitig  das  Licht:  Sie  stehen  abwechselnd  an  der  Rebe  und  sind 
in  2  Zeilen  angeordnet.     Außerdem  nehmen  sie 

c)  eine  ganz  bestimmte  Stellung  zu  den  Sonnenstrahlen  ein.  Dies 
ist  deutlich  zu  sehen,  wenn  die  Reben  angebunden  werden.  Durch  diesen  Ein- 
griff wird  das  gesamte  Blattwerk  in  „Unordnung"  gebracht,  so  daß  der  Stock 
struppig  und  unschön  aussieht.  Nach  einigen  Tagen  aber  schon  ist  die  alte 
„Ordnung"  wieder  hergestellt:  Die  Blätter  haben  sich  so  gedreht,  daß  die  Stiele 
wieder  schräg  aufwärts  gerichtet  und  die  Blattflächen  schräg  abwärts  geneigt 
sind.  Infolgedessen  werden  sie  von  den  Sonnenstrahlen  senkrecht  getroffen,  also 
unter  einem  Winkel,  unter  dem  die  Strahlen  ihre  größte  Wirkung  ausüben 
(Beweis!).  —  In  den  Blattwinkeln  bildet  sich  je  eine  Knospe,  aus  der  noch  in 
demselben  Sommer  ein  Trieb,  die  sogenannte 

<i.  Geize,  hervorgeht.  Da  dieser  Trieb  im  Herbst  zum  Teil  abstirbt  und 
bei  uns  fast  niemals  „reifes"  Holz  entwickelt,  das  der  Winterkälte  widerstehen 
könnte,  so  entfernt  ihn  der  Gärtner  („geizen"),  um  für  die  anderen  Reben 
(„Lotten")  Platz  zu  schaffen.  Am  Grunde  der  Geize  entsteht  die  Winterknospe, 
aus  der  im  nächsten  Jahre  eine  neue  Rebe  hervorgeht. 

7.  Die  Blüten  sind  sehr  klein  und  zu  aufrecht  stehenden  Rispen  (im  ge- 
wöhnlichen Leben  „Trauben",  in  den  Weingegenden  „Gescheine"  genannt)  ver- 
einigt. So  lange  sie  sich  im  Knospenzustande  befinden,  erhebt  sich  über  dem 
iiapf förmigen,  fiinfzipfligen  Kelche  je  eine  kleine  Kappe  oder  Haube.  Sie 
wird  von  den  verwachsenen  Blumenblättern  gebildet  und  überdeckt 
schützend  die  5  noch  eingebogenen  Staubblätter  und  den  flaschenförmigen 
Stempel,  an  dessen  Grunde  sich  5  gelbe  Honigdrüsen  vorfinden. 
Während  sich  bei  den  allermeisten  Pflanzen  die  Blumenblätter  beim  Aufblühen 
auseinander  tun,  um  den  Zugang  zum  Blütengrunde  freizugeben,  bleiben  sie 
hier  an  dem  oberen  Teile  fest  miteinander  verbunden.    Dadurch  würde  aber  die 


64 


20.  Farn.  Weinrebengewächse. 


2.  3. 

Blüte   des    Weinstocks  (vergr.)    1.   geschlossen, 
2    Die  Blumenblätter    werden    abgeworfen,    3.  ent- 
faltet. 


Bestäubung-  erschwert,  wenn  nicht  gar  unmöglich  gemacht  werden!  Als  Gebilde, 
die  ihre  Aufgabe  erfüllt  haben,  lösen  sich  die  Blumenblätter  daher  beim  Auf- 
blühen  an  der  Ursprungsstelle  los  und  werden  als  flache  Hauben  von  den  sich 

streckenden  Staubblättern  em- 
porgehoben und  schließlich  ab- 
geworfen. Da  die  Blumenblätter 
grün  gefärbt  sind  und  mithin 
die  Aufmerksamkeit  der  Insek- 
ten nicht  erregen  können,  so  ist 
es  auch  aus  diesem  Grunde  kein 
Verlust  für  die  Pflanze,  daß 
sie  abfallen.  Wie  bei  der  gleich- 
falls unscheinbaren  Lindenblüte 
besorgt  ein  köstlicher  Duft  die 
Anlockung  der  Bestäuber  (Käfer, 
Fliegen  und  Bienen).  Vielfach 
fällt  auch  der  Blütenstaub  auf  die  Narbe  derselben  Blüte,  und  es  ist  selbst  be- 
obachtet worden,  daß  sich  die  Staubblätter  strecken  und  krümmen  und  infolge- 
dessen mit  Narben  benachbarter  Blüten  in  Berührung  kommen. 

8.  Die  Frucht  des  Weinstocks  ist  eine  Beere  von  gelber,  grüner,  roter  oder 
blauer  Färbung.  Sie  ist  mit  einem  abwischbaren  Wachsüberzuge  wie  mit  einem 
Reif  versehen  (Schutz  gegen  Befeuchtung  und  damit  verbundener  Fäulnis,  sowie 
gegen  Verdunstung  der  Fruchtsäfte;  (Beweis!)  und  enthält  1 — 4  Samen.  Durch  das 
Gewicht  der  Beeren  wird  der  anfänglich  aufrechte  Traubenstiel  abwärts  gezogen, 
a)  Verbreitung.  Die  Pflanzen  —  und  somit  auch  der  Weinstock  — 
erzeugen  Samen,  damit  daraus  neue  Pflanzen  (derselben  Art)  entstehen.  Werden 
die  Weintrauben  vom  Menschen  verspeist  oder  sonstwie  verwendet,  so  gehen  die 
Samen  zu  Grunde,  ohne  ihre  Aufgabe  erfüllt  zu  haben.  Anders  aber,  wenn  die 
Beeren  von  Staren,  Sperlingen,  Drosseln  oder  anderen  Vögeln  verzehrt  werden : 
während  das  saftige  Fruchtfleisch  verdaut  wird,  können  die  Samen  infolge  der 
steinharten  Hülle  von  den  scharfen  Verdaungssäften  nicht  zerstört  werden;  sie 
gehen  unverletzt  durch  den  Körper  des  Vogels  und  werden  mit  dem  Kote  wieder 
ausgeschieden.  Geschieht  dies  nun  an  einem  Orte,  an  dem  die  Samen  keimen  und 
sich  zu  neuen  Weinstöcken  entwickeln  können,  so  ist  nicht  nur  eine  Vermehrung, 
sondern  auch  eine  Weiterverbreitung  der  Pflanze  eingetreten.  Durch  Hilfe 
der  Vögel  werden  die  Samen  der  wildwachsenden  Weinstöcke  allein  ver- 
breitet, und  die  verwilderten  sind  nur  durch  Vögel  ausgesät.  (Warum  sind 
aber  die  Wespen,  die  gleichfalls  den  Beeren  eifrig  nachstellen,  unnütze  Näscher? 
—  Die  angebauten  Reben  vermehrt  man  ausschließlich  durch  Stecklinge.) 

Einer  Pflanze  aber,  die  nichts  zu  bieten  vermag,  werden  die  Vögel  einen 
solchen  Dienst  nicht  erweisen.  Wie  die  Insekten  die  Blumen  nur  besuchen,  weil 
sie  hier  Nahrung  finden,  so  besuchen  auch  die  Vögel  den  Weinstock  allein,  um 
die    süßen,    saftigen    und    wohlschmeckenden  Beeren    zu  verzehren. 


Weinstock.  65 

Und  wie  die  Blumen  ihre  Bestäuber  durch  (Duft  und)  leuchtende  Farben  anlocken,  so 
lockt  der  Weinstock  seine  Verbreiter  dadurch  zum  süßen  Mahle,  daß  seine  Früchte 
eine   Färbung'  besitzen,  die  von  der  des  Laubes  mehr  oder  weniger  absticht 

Würden  die  Vögel  die  Beeren  bereits  verzehren,  ehe  die  Samen  reif,  d.  h. 
keimfähig  wären,  so  würde  das  für  den  (wildwachsenden)  Weinstock  ein  großer 
Nachteil  sein  (warum?).  Wir  sehen  daher,  daß  die  Früchte  erst  zur  Reife- 
zeit wohlschmeckend  werden  und  „Lockfarben"  annehmen.  Vor- 
dem sind  sie  zusammenziehend  sauer,  ungenießbar  und  heben  sich  der  grünen 
Färbung  wegen  von  dem  Blattwerke  nicht  ab.  (Vgl.  in  diesen  Punkten  andere 
Pflanzen  mit  fleischigen  Früchten,  sowie  die  Pflanzen,  die  sich  zur  »Samen- 
verbreitung nicht  der  Hilfe  der  Vögel  bedienen!) 

b)  Verwendung  der  Trauben.  Die  Trauben  preisen  wir  mit  Recht 
als  das  vornehmste  Erzeugnis  der  Pflanzenwelt.  Frisch  genießen  wir  sie  als 
schmackhaftes  Obst,  getrocknet  als  Rosinen  und  Korinthen.  In  dieser 
Form  kommen  sie  besonders  aus  dem  weinreichen  Griechenland  und  Kleinasien. 
Die  Korinthen  haben  ihren  Namen  nach  der  Stadt  Korinth,  in  deren  Nähe  die 
kernlose  Spielart  zuerst  gebaut  wurde.  —  Ihre  Hauptbedeutung  erhalten  die 
Trauben  jedoch  erst  dadurch,  daß  aus  ihnen  das  edelste  Getränk,  der  Wein, 
gewonnen  wird,  der  —  in  kleinen  Mengen  genossen  —  den  Gesunden  erfreut 
und  den  Kranken  labt,  der  den  „niedergesunkenen  Mut  emporhebt  und  den  Be- 
trübten erquickt".  Unmäßiges  Weintrinken  ist  aber  wie  der  übermäßige  Genuß 
aller  anderen  alkoholischen  Getränke  der  Gesundheit  des  Menschen  in  hohem 
Grade  nachteilig  und  eine  Quelle  vielen  Elendes  (führe  dies  näher  aus!).  Für 
Kinder  ist  sogar  der  beste  Wein  schädlich,  selbst  wenn  er  in 
kleinsten  Mengen  genossen  wird. 

Zum  Zwecke  der  Weinbereitung  werden  die  Trauben  ausgepreßt. 
Der  hierdurch  erhaltene  süße  Saft  (Most)  beginnt  schon  nach  einigen  Stunden 
sich  zu  trüben.  Unzählige  mikroskopische  Weinliefepilze  (s.  Bierhefe)  beginnen 
nämlich  ihre  Arbeit.  Die  Keime  dieser  Pfiänzchen  ruhen  im  Boden  des  Wein- 
berges, werden  durch  den  Wind  verweht,  fallen  u.  a.  auch  auf  die  Schalen  und 
Stiele  der  Beeren,  werden  durch  Insekten  von  Frucht  zu  Frucht  verschleppt  und 
gelangen  somit  beim  Auspressen  in  den  Most.  Dort  vermehren  sie  sich  außer- 
ordentlich schnell  und  bringen  eine  wichtige  Änderung  hervor,  die  man  bekannt- 
lich als  Gärung  bezeichnet.  Sie  zerspalten  nämlich  den  Traubenzucker  in  Alkohol 
(Weingeist!)  und  Kohlensäure,  die  unter  Brausen  und  Schäumen  entweicht. 
Durch  diesen  Vorgang  verwandelt  sich  der  süße  Saft  allmählich  in  klaren,  alko- 
holreichen Wein.  Will  man  Rotwein  bereiten,  so  läßt  man  die  Schalen  blauer 
und  roter  Beeren  eine  Zeitlang  mitgären.  (Warum  ist  die  übliche  Bezeichnung 
„Weißwein"  ungenau?) 

9.  Die  Feinde,  die  dem  edlen  Weinstocke  Schaden  zufügen  oder  ihn  gar 
vernichten,  sind  außerordentlich  zahlreich.  Ein  Pilz,  der  Rebenmehltau 
(Oidinm  tückeri),  überzieht  wie  ein  weißer  Schimmel  Blätter  und  Früchte,  denen 
er  durch  eingesenkte  Fortsätze  Nahrung  entzieht.    Die  Blätter  verdorren  schließ- 

Schmeil,  Lehrbuch  der  üotanik.  5 


66  Taf.  10.     20.  Farn.  Weinrebengewächse.     22.  Fam.    "Wolfsmilchgewächse. 

lieh,  die  Beeren  zerplatzen  und  verfaulen,  und  oft  schon  hat  der  winzige  Schma- 
rotzer die  Weinernte  weiter  Bezirke  gänzlich  vernichtet.  Man  tötet  ihn  durch 
Bestreuen  mit  Schwefelpulver.  Ein  ähnlicher  Verwüster  ist  der  sog.  falsche 
Rebenmehltau  (Peronospora  viticola),  der  im  Innern  der  Blätter  lebt.  Gegen 
ihn  ist  nur  aufzukommen,  wenn  man  seine  Sporen  vernichtet,  die  durch  den  Wind 
auf  die  Blätter  getragen  werden.  Das  wirksamste  Mittel  hat  man  in  dem  Be- 
sprengen der  Reben  mit  einer  Lösung  von  Kupfervitriol  gefunden.  —  Von  den 
tierischen  Feinden  seien  nur  genannt  der  Traubenwickler  (Heu-  und  Sauerwurm) 
und  das  schlimmste  Übel  von  allen:  die  Reblaus  (s.  „Lehrbuch  der  Zoologie"). 

Ein  naher  Verwandter  der  edlen  Rebe  ist  der  sog.  wilde  Wein  (Ampelöpsis 
quinquefölia).  Er  stammt  aus  Nordamerika  und  wird  zur  Bekleidung  von  Mauern,  Lauben 
und  dgl.  allgemein  verwendet.  Da  er  selbst  an  glatten  Wänden  emporklettern  kann, 
müssen  seine  Ranken  wesentlich  anders  als  die  des  Weinstocks  gebaut  sein.  Sie  sind 
mehrfach  verästelt  und  an  den  Enden  hakig  gekrümmt.  Kommen  sie  mit  der  Wand  in 
Berührung,  so  spreizen  die  Rankenäste  weit  voneinander,  und  ihre  Enden  schwellen  zu 
kleinen  „Haftballen"  an,  die  einen  klebrigen  Stoff  ausscheiden  (vgl.  mit  dem  Laub- 
frosch!). Die  schwarzen,  für  uns  ungenießbaren  Beeren  fallen  bei  der  Reife  umso  mehr 
auf,  als  sich  die   „gefingerten"  Blätter  im  Herbst  in  ein  leuchtendes  Rot  kleiden. 

Entferntere  Verwandte.  Ein  weit  verbreiteter  Strauch  der  Gebüsche  und 
Hecken  ist  das  Pfaffenhütlein  (Evönymus  europseus).  Der  Name  rührt  von  den  rosa- 
farbenen Fruchtkapseln  her,  die  geöffnet  einige  Ähnlichkeit  mit  den  viereckigen  Hüten 
der  katholischen  Geistlichen  haben.  Die  Auffälligkeit  der  an  sich  schon  auffälligen 
Früchte  (Färbung!)  wird  noch  dadurch  erhöht,  daß  die  orangefarbenen  Samen,  an  kleinen 
Fäden  hängend,  aus  den  Kapseln  hervortreten.  Die  breiige  Hülle  des  Samens,  der 
Samenmantel,  ist  für  das  Rotkehlchen  eine  beliebte  Speise  („Rotkehlchenbrot").  Ja,  es 
steht  sogar  fest,  daß  die  Verbreitung  der  Pflanze  mit  der  des  Vogels  genau  überein- 
stimmt. —  In  Gebüschen  feuchter  Stellen  findet  sich  häufig  der  Faulbaum  (Frängula 
alnus),  an  den  erst  grünen,  dann  roten  und  endlich  schwarzen  Beeren  leicht  kenntlich. 
Der  Genuß  der  Beeren  bewirkt  beim  Menschen  Durchfall  (daher  als  Abführmittel  ver- 
wendet) ;  Drosseln  und  andere  Vögel  verspeisen  sie  aber  ohne  Schaden.  —  Die  Stech- 
palme (Hex  aquifölia)  ist  ein  beliebter  Zierstrauch  der  Anlagen,  der  in  den  Wäldern  an  der 
Ost-  und  Nordseeküste  und  im  Rheingebiete  wild  wächst.  Die  immergrünen,  lederartigen 
Blätter  (s.  Efeu)  sind  in  stachelige  Spitzen  ausgezogen.  Da  sie  in  den  Alpenländern  am 
Palmsonntage  statt  wirklicher  Palmen  benutzt  werden,  ist  der  Name  „Stechpalme"  voll- 
kommen gerechtfertigt.  Die  leuchtend  roten  Beeren  heben  sich  im  Herbst  von  dem  dunklen 
Laube  prächtig  ab  (vgl.  mit  „wildem  Wein").  Eine  andere  Art  der  Gattung  liefert  den 
Paraguay-Tee  oder  Mate,  der  in  einem  großen  Teile  von  Südamerika  Volksgetränk  ist. 

21.  Familie.     Wolfsmilchgewächse  (Eupliorbiäceae.) 

Meist  Milchsaft  enthaltende  Pflanzen.  Blüten  in  der  Regel  einhäusig.  Meist  mehrere 
Staubblüten  (die  nur  aus  je  einem  gestielten  Staubblatte  bestehen)  und  eine  Stempel- 
blüte (die  von  einem  gestielten  Stempel  dargestellt  wird)  zu  einem  blütenähnlichen 
Blütenstande  vereinigt  und  von  einer  gemeinsamen  Hülle  umgeben.  Fruchtknoten  ü-fächerig; 
bei  der  Reife   lösen    sich    die  Kapselwände    von  einer   stehen  bleibenden  Mittelsäule  ab. 

Die  Sonnen-Wolfsmilch  (Euphorbia  helioscopia).     Taf.  10. 
1.  Vorkommen.     Die   einjährige  Pflanze  ist   eines    der  gemeinsten  und 
lästigsten  Unkräuter   in  Garten   und  Feld.     Verletzt  man   sie  an  irgend  einem 


Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel   10. 


Sonnen -Wolfsmilch  (Euphorbia  helioscopia). 


Verwandte  des  Weinstocks.     Sonnen -Wolfsmilch.  67 

Teile,  so  dringt  aus  der  Wunde  sofort  ein  weißer  Saft  hervor,  der  wegen  der 
Ähnlichkeit  mit  Tiermilch  als 

2.  Milchsaft  bezeichnet  wird.  Er  ist  aber  ätzend  und  giftig.  Daher 
wird  die  Pflanze  „Wolfsmilch"  genannl  und  gleich  ihren  Verwandten  von  den 
Weidetieren  sorgsam  gemieden.  Da  der  Milchsaft  etwas  Federharz  oder  Kaut- 
schuk (s.  w.  u.)  enthält,  so  ist  er  sehr  klebrig  und  gerinnt  schnell.  Infolge- 
dessen verschließt  er  die  Wunde,  aus  der  er  hervorquillt,  und  verwehrt  den 
Fäulnis  erregenden  Spaltpilzen  (s.  das.),  in  das  Innere  der  Pflanze  zu  dringen. 
(Vgl.  mit  dem  Blute,  das  aus  der  Wunde  fließt   und  gerinnt.)  i 

3.  Aussehen.  Der  etwa  spannenhohe  Stengel  besitzt  nur  im  unteren 
Teile  1  oder  2  Ästchen,  die  zumeist  blütenlos  bleiben  (1).  Beide,  Stengel  und 
Äste,  tragen  einige  Blätter,  die  sich  nach  dem  Grunde  zu  keilartig  ver- 
schmälern  und  am  abgerundeten  oberen  Teile  fein  gezähnt  sind.  An  der  Spitze 
des  Stengels  erheben  sich  in  gleicher  Höhe  5  Blütenzweige,  zwischen  denen 
sich  eine  einzelne  „Blüte"  befindet.  Jeder  Zweig  teilt  sich  in  der  Weise  des 
Stengels  abermals,  und  diese  Teilung  kann  sich  —  je  nachdem  die  Pflanze  kräftig 
ist  —  noch  ein  oder  mehrere  Male  wiederholen.  Am  Ende  der  feinsten  Verzweigungen 
steht  wie  zwischen  den  Zweigen  je  eine  „Blüte".  Der  Blütenstand  ist  also  einer 
zusammengesetzten  Dolde  (s.  Möhre)  sehr  ähnlich  (wodurch  unterscheidet  er  sich 
aber  von  ihr?),  und  wie  dort  finden  wir  auch  hier  unter  jeder  Teilung  eine  Hülle, 
die  aus  mehreren  Blättern  (gib  die  Anzahl  genau  an!)  gebildet  wird.  —  Da 
die  Pflanze  gleich  vielen  anderen  Gewächsen  den  Blütenstand  der  Sonne  zu- 
wendet, führt*  sie  den  Namen  Sonnen-Wolfsmilch. 

4.  a)  „Blüte".  Betrachten  wir  jetzt  das  Gebilde,  das  wir  bisher  als 
„Blüte"  bezeichnet  haben,  genauer!  Auf  dem  Boden  einer  becherförmigen  Hülle 
(3)  erhebt  sich  um  einen  langgestielten  Stempel  eine  Anzahl  von  Staubblättern, 
die  auffallenderweise  gleichfalls  gestielt  sind.  Da  nun  obendrein  am  Grunde  der 
(meisten)  Staubblätter  noch  je  ein  zerschlitztes  Blättchen  zu  finden  ist,  so  faßt  man 
jedes  Staubblatt  als  Staubblüte  und  den  Stempel  als  Stempelblüte  auf.  Die  „Blüte" 
der  Wolfsmilch  ist  demnach  ein  Blütenstand,  der  aus  zahlreichen 
Staubblüten  und  einer  Stempelblüte  zusammengesetzt  und  von  einer 
krugförmigen  Hülle  umgeben  ist.  (Zu  dieser  Auffassung  drängt  auch  der  Ver- 
gleich mit  verwandten  Gattungen,  bei  denen  die  sonst  gleich  gebauten  Einzelblüten  je 
eine  einfache  Blütenhülle  besitzen.    Untersuche  z.  B.  die  Blüten  des  Bingelkrauts!) 

b)  Aus  der  Hülle  wird  zuerst  der  Stempel  hervorgestreckt  (2.).  Er  be- 
steht aus  einem  dreiteiligen  Fruchtknoten  und  3  Griffeln  mit  je  2  Narben.  Nach 
kurzer  Zeit  vertrocknen  die  Narben;  der  Stiel  des  Stempels  streckt  sich  stark 
in  die  Länge,  und  der  Fruchtknoten  neigt  sich  nach  unten.  1  »adnrch  wird  für  die  jetzt 
reifenden  Staublätter  Platz  geschaffen  (3.).  Eins  nach  dem  anderen  erhebt  sich 
über  die  Öffnung  der  Hülle,  und  die  getrennten  Stanbbentelfächer  bieten  den 
Blütenstaub  aus.  Selbstbestäubung  ist  demnach  ausgeschlossen  (führe  dies  näher  aus!). 

Die  unscheinbar  gelbgrüne  Färbung  der  Hülle  lälit  Bchon  vermuten,  daß 
Insekten,   die   bunte  Farben   lieben  (Schmetterlinge   und   Bienen),    die   Blüten- 


68  21.  Farn.  "Wolfsmilchgewächse.     22.  Farn.  Doldengewächse. 

stände  meiden.  Fliegen  sind  daher  besonders  die  Vermittler  der  Bestäubung:. 
Den  kurzrüsseligen  Gästen  erreichbar  liegt  der  Honig  offen  zu  Tage.  Er  wird 
von  4  rundlichen  Honigdrüsen  ausgeschieden,  die  den  Rand  der  Hülle  krönen. 
Infolge  der  Lage  dieser  Drüsen  kann  es  nun  wieder  nicht  ausbleiben,  daß  die 
Besucher  in  jüngeren  Blüten  die  Narben  oder  in  älteren  Blüten  die  Staubbeutel 
berühren,  also  beim  Besuch  mehrerer  Blüten  Fremdbestäubung  herbeiführen  müssen. 

5.  Frucht.  Bei  beginnender  Fruchtreife  streckt  sich  der  Stiel  der  Stempel- 
blüte wieder  senkrecht  (s.  die  älteste  Blüte  in  Abb.  1).  Bringt  man  zu  dieser 
Zeit  einige  Pflanzen  (in  einem  Glase  mit  Wasser)  in  das  Zimmer,  so  kann  man 
den  Vorgang  der  Samenausstreuung  leicht  beobachten :  Von  der  stehenbleibenden 
Mittelsäule  (4.)  lösen  sich  die  3  Fächer  des  Fruchtknotens  mit  solcher  Kraft  los, 
daß  sie  oft  mehr  als  V*  m  weit  fortgeschleudert  werden  (5;  a  von  außen, 
b  von  innen  dargestellt).  Dabei  reißt  die  Kapselwand  in  2  Stücke,  so  daß  der 
eingeschlossene  Same  frei  wird  (6.).  Soll  das  Ausstreuen  der  Samen  aber  un- 
behindert von  statten  gehen,  so  muß  die  Frucht  völlig  frei  stehen,  der  Stiel 
also  die  oben  erwähnte  Bewegung  ausführen. 

Der  Same  ist  ein  kleines,  schwarzes  Körnchen,  dessen  Oberfläche  zahl- 
reiche Vertiefungen  zeigt  (s.  S.  26,  b). 

Andere  Wolfsmilchgewächse. 

An  denselben  Stellen,  an  denen  die  Sonnen-Wolfsmilch  gedeiht,  findet  sich  als  gleich 
lästiges  Unkraut  die  sehr  ähnliche  Garten- W.  (Eu.  peplns).  Durch  die  halbmondförmigen 
Drüsen  der  Hülle  und  die  3  Doldenstrahlen  ist  sie  aber  leicht  von  jener  zu  unterscheiden. 
—  Auf  Sandboden ,  an  "Wegrändern  und  dgl.  wächst  oft  in  großen  Beständen  die 
Cypressen-W.  (Eu.  cyparissias),  auf  der  die  bunten  Raupen  des  schmucken  Wolfsmilch- 
Schwärmers  leben.  Wie  zahlreiche  andere  Pflanzen  der  Ödung  (vgl.  mit  Steinnelke, 
Heidekraut,  Kiefer  u.  a.)  besitzt  sie  viele,  fast  nadeiförmige  Blätter  (Name!).  Im 
Frühjahre  findet  man  nicht  selten  Pflanzen,  die  ein  völlig  verändertes  Aussehen  haben  : 
sie  sind  blütenlos,  unverzweigt  und  besitzen  dicke,  rundliche  Blätter  mit  bräunlichen 
Flecken  auf  der  Unterseite.  Diese  Veränderungen  hat  ein  Pilz,  der  Erbsenrost  (s.  das.), 
hervorgebracht ,  der  seine  Entwicklung  zum  Teil  auf  der  Cypressen-"W.  durchmacht.  — 
In  Norddeutschland  wird  die  Pflanze  durch  die  größere  Esels-W.  (Eu.  esula)  vertreten, 
die  etwas  breitere  Blätter  besitzt.  —  Auf  Schutthaufen  und  als  Unkraut  in  Gärten 
findet  sich  häufig  das  einjährige  Schutt-Bingelkraut  (Mercuriälis  ännua),  das  keinen 
Milchsaft  enthält.  Bei  ihm  sind  Staub-  und  Stempelblüten  auf  verschiedene  Pflanzen 
verteilt  und  besitzen  —  wie  bereits  erwähnt  —  je  eine  einfache  Blütenhülle. 

Im  Gegensatz  zu  den  meist  niedrigen  Arten  unserer  Breiten  beherbergen  die  heißen 
Länder  zahlreiche  strauch-  und  baumartige  Formen  von  außerordentlicher  Vielgestaltig- 
keit. Diejenigen  unter  ihnen,  die  in  den  Steppen  und  "Wüsten  besonders  von  Afrika  leben 
und  mit  der  größten  Trocknis  zu  kämpfen  haben,  besitzen  völlig  das  Aussehen  der 
ausgeprägtesten  Trockenlandpflanzen,  der  Kaktusgewächse  (s.  das.).  —  Afrika  gilt  auch 
als  das  Vaterland  des  weit  verbreiteten  Wunderbauines  (Ricinus  communis),  der 
seiner  prächtigen  Blätter  wegen  vielfach  als  einjährige  Zierpflanze  gezogen  wird.  Bei 
uns  bleibt  er  strauchartig,  während  er  in  den  Tropen  schnell  zu  einem  stattlichen  Baume 
emporwächst  („ Wunderbaum"  wegen  seines  schnellen  "Wuchses!).  Aus  den  Samen  preßt 
man  das  Ricinusöl,  das  als  wichtigstes  Abführmittel  allgemein  bekannt  ist.  —  Ein  anderes 


Sonnen -Wolfsmilch  und  andere  Wolfsmilehgewächse.     Möhre.  69 

Glied  der  großen  Familie,  der  Maniok-  oder  Cassavcsf nuicli  (Manihot  utilissima),  wird 
seiner  stärkemehlreichen  Knollen  wegen  in  allen  heißen  Ländern  als  wichtige  Nahrungs- 
pflanze angebaut.  —  In  den  Wäldern  des  tropischen  Südamerika  finden  sich  mehrere 
Wolfsmilch-Bäume,  die  unter  dem  Sammelnamen  Federharz-  oder  KautscliukhiimiM- 
zusammengefaßt  werden ,  und  von  welchen  der  wichtigste  (Hevea  brasiliensis)  nur  im 
Überschwemmungsgebiete  des  Amazonenstromes  vorkommt.  Der  Milchsaft  dieser  Bäume 
enthält  in  großer  Menge  das  bereits  erwähnte  Federharz  oder  den  Kautschuk,  ein  Harz, 
das  wegen  seiner  großen  Elastizität  außerordentliche  Bedeutung  erlangt  hat.  Der  wert- 
volle Stoff,  der  den  Eingebornen  bereits  vor  ihrer  Berührung  mit  Europäern  bekannt 
war,  wird  in  sehr  verschiedener  Weise  gewonnen.  Die  älteste,  aber  immer  noch  vielfach 
angewendete  Art  ist  folgende :  Man  macht  Einschnitte  in  den  Baumstamm,  fängt  den  aus- 
tretenden Milchsaft  in  Gefäßen  auf  und  bestreicht  damit  Bretter  oder  Formen  aus  un- 
gebranntem Ton.  Werden  diese  Gegenstände  sodann  über  ein  rauchendes  Feuer  gehalten, 
so  trocknet  die  Flüssigkeit  nicht  nur  sehr  schnell,  sondern  der  Kautschuk  gerinnt  auch 
und  bleibt  als  dünne  Schicht  zurück.  Durch  fortgesetztes  Eintauchen  und  Trocknen  wird 
die  Lage  immer  dicker.  Schließlich  werden  die  wertlosen  Tongefäße  zertrümmert  und 
entfernt.  Letzteres  geschieht  auch  mit  den  Brettern,  die  man  aus  der  aufgeschnittenen 
Kautschukschicht  leicht  hervorziehen  kann.  Lange  Zeit  diente  der  Kautschuk  nur  als 
Radiergummi,  zur  Anfertigung  von  Gummibällen  u.  dgl.  Seitdem  man  aber  durch  Zu- 
satz von  Schwefel  (Vulkanisieren)  verstanden  hat,  ihn  auch  unter  0°  elastisch  zu  er- 
halten und  gegen  hohe  Temperaturen  widerstandsfähig  zu  machen,  ist  seine  Verwendung 
ungemein  mannigfaltig  geworden ;  man  benutzt  ihn  zur  Herstellung  von  Schläuchen, 
Gummischuhen,  wasserdichten  Überzügen  und  hundert  anderen  Sachen.  Vermengt  man 
ihn  bis  zur  Hälfte  seines  Gewichts  innig  mit  Schwefel,  so  erhält  er  fast  die  Härte  von 
Hörn  und  Fischbein.  Man  verwendet  diesen  Hartgummi  oder  „Ebonit"  daher  zur  An- 
fertigung von  Kämmen ,  Knöpfen  und  vielen  anderen  Gegenständen.  —  (Außer ,  wie 
angegeben,  von  mehreren  Wolfsmilcharten  wird  der  Kautschuk  auch  noch  von  zahl- 
reichen anderen  Pflanzen  gewonnen.  Von  diesen  seien  hier  nur  die  meist  kletternden 
Landolphia-Sträucher  Afrikas  und  der  Gummibaum  Ostindiens  [Ficus  elastica;  s.  das.] 
genannt.  —  Ein  ähnlicher  Stoff  wie  der  Kautschuk  ist  die  Guttapercha,  die  aus 
dem  Milchsafte  mehrerer  ostindischer  Bäume  gewonnen  wird.  Sie  läßt  sich  gleichfalls 
härten  und  wird  daher  ganz  ähnlich  wie  Kautschuk  verwendet.  Vor  allen  Dingen  dient 
sie  als  ein  schlechter  Leiter  der  Elektrizität  zur  Umhüllung  von  Kabeln  u.  dgl.) 

Ein  entfernter  Verwandter  der  Wolfsmilchgewächse  ist  der  in  allen  Teilen 
giftige  Buchsbaum  (Buxus  sempervirens),  der  aus  dem  Orient  stammt.  Eine  Zwergform 
dient  zur  Einfassung  von  Gartenbeeten  u.  dgl.  Sein  außerordentlich  hartes,  gelbes  Holz 
wird  besonders  zur  Herstellung  von  Holzschnitten  verwendet. 

22.  Familie.     Doldengewächse  (Umbelliferae). 

Pflanzen  mit  meist  mehrfach  zerteilten  Blättern.  Blüten  in  der  Regel  in  zusammen- 
gesetzten Dolden.  Je  5  Kelch-,  Blumen-  und  Staubblätter.  Fruchtknoten  unterständig, 
auf  der  Oberfläche  mit  einer  fleischigen  Scheibe  und  aus  2  Fruchtblättern  gebildet,  die 
je  einen  kurzen  Griffel  tragen.  Bei  der  Reife  trennen  sich  die  beiden  Fruchtblätter:  es 
entstehen  2  einsamige  Teilfrüchtchen. 

Die  3Iühre  oder  Mohrrübe  (Daucus  caröta).     Taf.  11. 
1.  Standort.     Wildwachsend  findet  sich  die  Möhre  auf  Wiesen,  an  Weg- 
rändern und  ähnlichen  Stellen.     Vermöge  der  sehr  tiefgehenden 


70  Taf.  11.     22.  Farn.  Doldengewächse. 

2.  a)  Wurzel  vermag  sie  die  heißen  Sommermonate  zu  überdauern,  in  denen 
die  oberen  Bodenschichten  dieser  Örtlichkeiten  ineist  gänzlich  austrocknen.  Die 
Wurzel  (Fig.  6  ist  ein  Querschnitt  der  Wurzel)  ist  holzig,  gelb  und  rübenförmig 
(daher  „gelbe  Rübe,  gelbe  Wurzel"  oder  auch  nur  „Wurzel"  genannt).  Sät  man 
Samen  (Teilfrüchte)  wildwachsender  Pflanzen  in  gutbearbeiteten  Garten-  oder 
Ackerboden,  so  verliert  sich  die  holzige  Beschaffenheit  der  Wurzel  etwas.  Streut 
man  den  von  diesen  Pflanzen  gewonnenen  Samen  wieder  aus,  und  fährt  man 
mit  dieser  planmäßigen  Veredlung  (s.  S.  19)  fort,  so  hat  man  schon  nach 
wenigen  Jahren  eine  fleischige,  wohlschmeckende  Wurzel  geschaffen,  die  für  den 
menschlichen  Genuß  tauglich  ist:  Auf  diese  Weise  ist  aus  der  wildwachsenden 
Möhre  die  wichtige  Gemüse-  und  Futterpflanze  entstanden,  die  sie  jetzt  ist.  (In 
einigen  Gegenden  wird  der  Möhrensaft  zu  Syrup  eingedickt.  —  Die  Spielart  mit 
kurzen,  dicken  und  sehr  zarten  Wurzeln  nennt  man  Karotte.) 

b.  Pflanzt  man  im  Frühjahre  eine  angebaute  Wurzel,  die  man  an  einem 
frostfreien  Orte  überwintert  hat,  so  treibt  sie  einen  hohen,  beblätterten  und 
blütentragenden  Stengel.  Untersucht  man  sie  nach  einigen  Wochen  wieder, 
so  ist  sie  wie  ausgesogen:  sie  ist  dünner,  holzig  und  zäh  geworden.  Die 
ihr  entnommenen  Stoffe  sind  nämlich  zum  Aufbau  der  oberirdischen  Teile 
verwendet  worden.  Dieselbe  Erscheinung  ist  auch  bei  den  wildwachsenden 
Pflanzen  zu  beobachten.  Die  Wurzel  ist  demnach  ein  Nahrungs- 
speicher, und  die  Möhre  eine  zweijährige  Pflanze:  Im  1.  Jahre  ihres 
Lebens  treibt  sie  nur  einen  kurzen  Stengel  mit  einer  Blattrosette  und  speichert 
die  in  den  Blättern  bereiteten  Vorratsstoffe  in  der  Wurzel  auf,  die  sich 
darum  verdickt;  im  2.  Jahre  setzt  sie  das  Leben  fort,  das  durch  die  Winter- 
kälte  unterbrochen  wurde  und  in  der  Erzeugung  von  Samen  (Nachkommen!) 
seinen  Abschluß    findet:    die   Pflanze   stirbt   samt   der  ausgesogenen  Wurzel  ab. 

3.  Der  Stengel  wird  oft  mehr  als  l/z  m  hoch;  er  ist  gefurcht,  mit  steifen 
Haaren  besetzt  und  hohl  (s.  Roggen). 

4.  Die  Blätter  sind  auffallend  groß.  Trotzdem  werden  die  unteren 
von  den  oberen  nicht  in  den  Schatten  gestellt;  denn 

a)  Die  Blattflächen  sind  in  viele,  kleine  Abschnitte  geteilt,  zwischen 
denen  das  Sonnenlicht  einen  Weg  findet:  Die  Blätter  sind  doppelt-gefiedert 
und  die  Blättchen  meist  nochmals  tief  gespalten.  (Durch  welche  Mittel  wird 
bei  ungeteilten  Blättern  eine  Besonnung  aller  Blätter  herbeigeführt?  Vgl. 
Scharbockskraut,  Linde,  Weinstock  und  andere  Pflanzen!) 

b)  Die  Blattstiele  sind  im  unteren  Teile  zu  Scheiden  verbreitert.  Wie 
sich  leicht  beobachten  läßt,  umhüllen  diese  Gebilde  den  weiterwachsenden  Stengel 
mit  seinen  Blättern  und  Blütenständen.  Sie  schützen  somit  die  zarten  Teile  gegen 
Verletzung,  Wärmeverlust  und  zu  große  Wasserabgabe  (vgl.  mit  Roßkastanie). 

5.  Die  Blüten  sind  sehr  klein.  Ständen  sie  wie  die  großen  Blüten  zahl- 
reicher anderer  Pflanzen  (Klatschmohn  u.  v.  a.)  einzeln,  so  würden  sie  die  Auf- 
merksamkeit  der  Insekten  wohl  kaum  erregen  können.     Da  sie  aber  in  großen 

a)  Blütengemeinschaften  beieinander  stehen,  wird  dieser  Übelstand 


Schmeil.  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  1  1 


W.ftndacJ,, 


Möhre  oder  Mohrrübe  (Daucus  carota). 


Möhre  oder  Mohrrübe.  7.1 

vollkommen  ausgeglichen.  Der  Stengel  und  seine  Zweige  enden  je  in  einer 
Verdickung,  von  der  eine  Anzahl  Blütenstiele  ausstrahlen.  Einen  solchen  Blüten- 
stand nennt  man  eine  Dolde  („Doldengewächse"  —  vgl.  mit  einem  Schirm! 
daher  auch  „Schirniblütler").  Jeder  Doldenstrahl  trägt  nochmals  eine  Dolde, 
die  man  zum  Unterschiede  von  dem  Hauptblütenstande  als  „Döldchen"  be- 
zeichnet. Die  Möhre  hat  daher  (wie  die  meisten  anderen  Doldenpflanzen)  eine 
zusammengesetzte  Dolde. 

Die  Auffälligkeit  des  Blütenstandes  wird  noch  dadurch  erhöht,  daß  die 
Blüten  am  Rande  der  Dolde  (4.)  und  besonders  deren  äußere  Blumen- 
blätter   stark   vergrößert   siud.     (Solchen  Blütenstand   nennt  man  „strahlend".) 

Unter  der  Dolde  findet  sich  eine  Anzahl  geteilter  Blätter,  die  man  als 
Hülle  bezeichnet.  Unter  jedem  Döldchen  steht  ein  ähnliches  „Hüllchen". 
Wenn  man  die  noch  unentwickelten  Blütenstände  betrachtet,  wie  sie  von  diesen 
Blättern  schützend  umhüllt  werden  (1  a),  so  erkennt  man,  daß  diese  Bezeich- 
nungen wohl  berechtigt  sind. 

Junge  Blütendolden  werden  durch  Krümmung  der  Blütenstiele  mit  Beginn 
der  Dunkelheit  nickend  (2.).  Dadurch  werden  die  Blüten  gegen  Begen  ge- 
schützt und  vor  zu  großem  Wärmeverlust  bewahrt  (warum  ist  beides  von  Wich- 
tigkeit?). Nach  erfolgter  Bestäubung  nehmen  die  Dolden  diese  Schutzstellung 
nicht  mehr  ein  (warum  ist  dies  auch  nicht  mehr  nötig?). 

b)  Die  einzelne  Blüte  (3.  und  4.):  Der  Kelch  ist  nur  durch  5  Zähn- 
chen angedeutet  und  gleich  den  5  weißen,  etwas  eingefalteten  oder  geteilten 
Blumenblättern  dem  oberen  Rande  des  Fruchtknotens  eingefügt.  (Den 
Fruchtknoten  bezeichnet  man  daher  als  „unterständig",  d.  h.  unter  den  anderen 
Blütenteilen  stehend.  —  Wann  nennt  man  ihn  wohl  oberständig?  Beispiele!) 
Mit  den  Blumenblättern  wechseln  die  5  Staubblätter  ab.  Der  Frucht- 
knoten trägt  oben  eine  fleischige  Scheibe,  die  eine 
glänzende  Lage  von  Honig  absondert.  Über  die  Scheibe 
erheben  sich  die  beiden  Griffel  mit  den  Narben.  Der 
offenen  Lage  des  Honigs  entsprechend  (s.S.  37, B2b)  werden 
die  Blüten  besonders  von  kurzrüsseligen  Insekten  besuch^ 
(Fliegen,  Käfern  und  manchen  Bienen).  Da  alle  Blüten 
in  einer  Ebene  liegen  (Dolde!),  vermögen  die  Tiere  leicht 
von  Blüte  zu  Blüte  zu  schreiten.  Hierbei  müssen  sie  un-  Blütengrundri{$ 
bedingt  Staubbeutel  und  Narben  streifen  und  somit  unfrei-  der  Möhre. 

willig  Bestäubung  vermitteln. 

Die  mittelste  Blüte  der  Dolde  ist  oft  stark  vergrößert  und  von  purpur- 
roter Farbe  (1.).  Welche  Bedeutung  diese  nicht  überall  auftretende  Erscheinung 
für   die  Pflanze  hat,   vermochten   die  Naturforscher   bisher  nicht  zu  ergründen. 

6.  Frucht,  a)  Fruchtstand.  Sind  die  Blüten  mit  Erfolg  ausgeboten 
(Bestäubung!),  dann  neigen  sich  die  Doldenstrahlen  wie  zu  einem  Vogelnest e 
zusammen.  Auf  diese  Weise  werden  die  noch  nicht  keimfähigen  Samen  ge- 
schützt,   von   der   Mutterpflanze   getrennt   zu   werden.     Die   reifen   Samen   da- 

I 


72 


22.  Fam.  Doldengewächse. 


gegen  müssen  verbreitet  werden  (warum?).  Zur  Zeit  der  Fruchtreife  breiten 
sich  die  Strahlen  darum  wieder  aus,  wenn  auch  nicht  so  weit  wie  -während 
des  Blühens.  Dies  geschieht  jedoch  nur  bei  trockenem  Wetter;  bei  feuchtem 
schließt  sich  das  „Vogelnest"  wieder.  (Durch  Befeuchten  des  Fruchtstandes  und 
nachheriges  Trocknen  kann  man  diesen  Vorgang  beliebig  oft  wiederholen.) 

b)  Die  beiden  Fruchtblätter  verwachsen  nach  und  nach  fest  mit  dem  Samen, 
den  sie  umschließen,  und  trennen  sich  bei  der  Reife  voneinander  (Spaltfrucht). 
Die  Trennung  erstreckt  sich  auch  auf  die  Verlängerung  des  Fruchtstiels,  den 
fadenförmigen  Fruchtträger,  an  dem  die  beiden  „Teilfrüchtchen"  gleichsam 
aufgehängt  sind  (5.).  Die  Oberfläche  der  Teilfrüchtchen  ist  mit  5  Reihen  kurzer 
und  4  Reihen  langer  Stacheln  besetzt,  die  oft  in  einfache  oder  doppelte  oder 
gar  dreifache  Widerhäkchen  enden.  Infolge  dieser  Aus- 
rüstung haften  die  Früchtchen  wie  Kletten  leicht  in 
dem  Haarkleide  der  Tiere  (Hasen,  Kaninchen  u.  a.) 
und  können  so  weithin  verbreitet  werden  (Bedeutung?). 
Die  keimenden  Samen  werden  durch  die  Stacheln  am 
Boden  gleichsam  verankert  (Bedeutung?). 

Betrachtet  man  feine  Querschnitte  der  Teil- 
früchtchen bei  geringer  Vergrößerung,  so  bemerkt 
man  in  der  Fruchthülle  dunkle  Stellen,  d.  s.  Kanälchen, 
die  mit  einem  flüchtigen  Öle  (s.  Rose)  gefüllt 
sind.  Dieses  Ol  flndet  sich  auch  in  allen  anderen 
Teilen  der  Pflanze,  die  darum  beim  Zerreiben  einen 
eigentümlichen,  würzigen  Geruch  hat. 

Andere  Doldengewächse. 

Gleich  der  Möhre  liefert  die  angebaute  Pastinake 
(Pastinäca  sativa)  in  ihren  weißen  Wurzeln  ein  geschätztes 
Gemüse.  Wild  findet  sich  die  meterhohe  Pflanze,  die  nur 
einfach-gefiederte  Blätter  besitzt,  häufig  auf  Wiesen  und  an 
Wegen.  Die  Teilfrüchte  bilden  flache,  große  Scheiben,  die 
von  einem  häutigen  Saum  umgeben  sind  und  daher  leicht 
vom  Winde  verbreitet  werden  können.  Sie  entbehren  daher  auch  der  Stacheln.  — 
Aus  der  fleischigen  Wurzel  des  Sellerie  (Apium  graveolens)  bereitet  man  einen  schmack- 
haften Salat.  Wild  wächst  die  Pflanze  auf  salzhaltigem,  feuchtem  Boden  und  am  Meeres- 
strande. Sie  hat  daher  (vgl.  mit  Sumpfdotterblume !)  saftige  Blätter  (Verwendung?), 
und  die  angebaute  Pflanze  bedarf  deshalb  zum  Gedeihen  auch  hinreichender  Boden- 
feuchtigkeit. Der  Sellerie  besitzt  wie  die  Möhre  einen  eigentümlichen  Geruch,  der  gleich- 
falls von  einem  flüchtigen  Öle  herrührt.  Diese  Erscheinung  ist  auch  an  fast  allen  anderen 
Doldengewächsen  zu  beobachten.  Wie  die  Erfahrung  lehrt,  ist  das  Öl  bei  einigen  dieser 
Pflanzen  ein  wirksames  Schutzmittel  gegen  Tierfraß  (welche  der  angeführten  Formen 
werden  z.  B.  von  Weidetieren  nicht  angerührt?).  Andererseits  aber  werden  durch  den 
Ölreichtum  zahlreiche  Arten  für  uns  zu  wichtigen  Gewürzpflanzen.  Als  solche  seien 
zuerst  Dill  (Anethuni  graveolens)  und  Fenchel  (Foeniculum  capilläceum)  genannt.  Beide 
entstammen  dem  Mittelmeergebiete  und  zeichnen  sich  durch  haarförmig  feine  Blattzipfel 


Teilfrüchtchen  der  Möhre 

(etwa  10  mal  nat.  Gr.)  Vgl. 
auch  den  Blütengrundriß. 


Möhre-  und  andere  Doldengewächse.  73 

und  gelbliche  Blüten  aus.  Das  Kraut  sowohl,  wie  die  Blutendolden  und  reifen  Früchto 
finden  besonders  beim  Einmachen  von  Gurken  Verwendung.  Der  Fenchel  wird  auch  zu 
Heilzwecken  benutzt.  —  Dieselbe  Heimat  haben  auch  Anis  (Pimpinella  anisum)  und 
Coriander  (Coriändrtun  sativum),  deren  Samen  besonders  in  der  Bäckerei  Verwendung 
finden.  —  Anisduft  hat  auch  der  Gartenkerbel  (Antbriscus  cerefölimn),  der  gleichfalls 
aus  dem  Süden  stammt  und  als  Gewürzpflanze  bei  uns  angebaut  wird.  —  Der  Kämme! 
(Carum  carvi)  dagegen  scheint  in  Mitteleuropa  heimisch  zu  sein.  Er  wird  zwar  seiner 
gewürzhaften  Samen  wegen  (Verwendung?)  im  Großen  angebaut,  kommt  aber  auch  häufig 
wild  oder  verwildert  auf  Wiesen  vor.  Leicht  zu  erkennen  ist  er  daran,  daß  die  fieder- 
teiligen  Blättehen  an  der  Hauptrippe  des  Blattes  ein  Kreuz  bilden.  —  Die  Petersilie 
( Petroselinum  sativum)  ist  wieder  aus  Südeuropa  eingeführt.  —  Diese  wichtige  Gewürz- 
pflanze (Verwendung?)  wird  leicht  mit  dem  sehr  giftigen  Gartenschierling  oder  der 
Bundspetersilie  (Aethüsa  cynäpinm)  verweehselt,  die  gern  zwischen  jener  (und  dem 
Kerbel)  wächst,  und  deren  Genuß  sogar  den  Tod  herbeiführen  kann  (s.  Abb.  S.  74).  Darum 
sollte  man  nur  die  krausblättrige  Spielart  der  Petersilie  anbauen,  die  mit  dem  Giftkraut 
nicht  verwechselt  werden  kann!  Sicher  zu  unterscheiden  ist  die  Hundspetersilie  von 
der  Petersilie  durch  den  unangenehmen,  knoblauchartigen  Geruch,  der  beim  Zerreiben 
der  Blätter  entsteht,  durch  die  glänzenden  (daher  auch  „Gleiße")  und  viel  schmaleren 
Blättehen,  durch  die  2  oder  3  langen  und  einseitig  herabhängenden  Blätter  der  Hüllchen, 
sowie  durch  die  weit  dünneren  Wurzeln  (einjährige  Pflanze,  die  in  den  Wurzeln  keine 
Vorräte  für  das  nächste  Jahr  aufspeichert!).  —  An  Zäunen  und  Gräben,  sowie  auf  Schutt- 
haufen und  Gemüseland  befindet  sich  der  gefleckte  Schierling  (Conium  maculätum). 
Alle  Teile  sind  für  den  Menschen  ein  fürchterliches  Gift  (Schutzmittel  gegen  Pflanzen- 
fresser!), das  aber  in  der  Hand  des  Arztes  zu  einer  wirksamen  Medizin  wird.  Der 
Giftbecher,  den  Sokrates  trinken  mußte,  war  mit  dem  Safte  des  Schierlings  gefüllt.  Zu  er- 
kennen ist  die  Pflanze  an  den  hohlen  Blattstielen,  dem  braun  gefleckten  Stengel  (Name!), 
dem  mäuseartigen  Geruch  und  den  welligen  Rippen  der  Früchte.  —  Die  giftigste  aller 
Doldenpflanzen  ist  der  Wasserschierling  (Cicüta  virösa),  der  an  Wassergräben  und 
ähnlichen  feuchten  Stellen  gedeiht.  Der  giftigste  Teil,  der  quer-gefächerte,  sellerie- 
ähnliche Wurzelstock,  ist  zugleich  das  sicherste  Erkennnngsmerkmal  der  mehr  als  meter- 
hohen Pflanze.  —  Durch  geringere  Giftigkeit  ist  der  betäubende  Kälberkropf  oder 
Taumelkerbel  (Chaerophyllum  temulum)  gegen  Tierfraß  geschützt.  Die  kerbelartige 
Pflanze  (Name!)  wächst  in  Gebüschen,  Hecken,  an  Mauern  u.  dgl.  und  hat  sehr  lang- 
gestreckte Früchte. 

Von  den  zahlreichen  Gliedern  der  großen  Familie,  die  für  den  Menschen  geringe 
Bedeutung  haben,  seien  nur  folgende  genannt:  Der  Giersch  (Aegopodium  podagräria), 
eine  stattliche  Pflanze  (Höhe  bis  1  m)  an  Hecken  und  auf  Wiesen,  die  an  den  dreizähligen 
Blättern  leicht  zu  erkennen  ist.  Da  sie  unterirdische  Ausläufer  treibt  (Vermehrung!), 
ist  sie  von  bebautem  Boden  nur  schwer  zu  entfernen.  —  Die  Bärenklau  (Heracleum 
sphondylium)  ist  eine  unserer  größten  Doldenpflanzen  (bis  1 1/2  m  hoch).  Sie  wächst  auf 
Wiesen  und  an  lichten  Waldstellen  und  hat  einfach  gefiederte  Blätter  mit  großen,  mehr- 
lappigen Blättchen.  —  An  dürren,  sandigen  Orten  und  Wegrändern  findet  sich  häufig 
die  Feld-Männertreu  (Eryngium  campestre),  die  einer  Distel  viel  ähnlicher  ist  als  einer 
Doldenpflanze.  In  den  dornigen  Blättern  besitzt  sie  eine  so  vortreffliche  Schutz  wehr 
gegen  Pflanzenfresser,  daß  sie  auf  Viehweiden  oft  die  Oberhand  über  die  nützlichen 
Gräser  gewinnt.  Da  die  Blüten  ungestielt  und  von  breiten  Hüllblättern  umgeben  sind, 
haben  die  Dolden  ganz  das  Aussehen  kleiner  Blütenköpfchen. 


74 


22.  Fam.  Doldengewächse.     23.  Fam.  Efeuge wachse. 


>-w;  .    ,., 


Hundspetersilie  (1.)    und  Petersilie  (2.).    Rechts  unten  neben  letzterer  ein  Blättchen 
der  krausblättrigen  Spielart. 


Efeu. 


75 


23.  Familie.  Efeug-ewächse  (Araliäceae). 
Der  Efeu  (Hedera  helix). 
A.  Die  Pflanze  im  Schalten.  1.  Stamm.  Abgesehen  von  sehr  alten 
Pflanzen ,  wie  man  sie  nicht  selten  an  Burgruinen  und  ähnlichen  Bauwerken 
findet,  ist  der  vielfach  verzweigte  Stamm  des  Efeus  so  schwach,  daß  er  sich 
selbst  nicht  zu  tragen  vermag.  Er  liegt  darum  auf  dem  Waldboden,  auf  dem 
man  die  Pflanze  nicht  selten  wildwachsend  antrifft.  Sobald  er  jedoch  einen  Baum- 
staram, eine  Felswand  oder  dgl.  erreicht,  klettert  er  daran  empor,  dem  Lichte 
entgegen.     Hierzu  wird  er  durch  zahlreiche,  kleine 

2.  Wurzeln  befähigt,  die  wie  die  Zweigenden  das  Licht  fliehen  und  sich 
daher  stets  dem  Stamme  oder  Felsen  zuwenden.  Sie  schmiegen  sich  allen  Un- 
ebenheiten der  Unterlage  gleich  einer  wachsartigen  Masse  an,  so  daß  die  Pflanze 
wie  mit  tausenden  von  Fingern  festgeheftet  wird.  (Daher  die  Verwendung  des 
Efeus  zur  Bekleidung  von  Mauern  und  dgl.)  Da  diese  Klammer-  oder 
Luftwurzeln  nicht  in  die  Unterlage  eindringen,  der  zumeist  auch  keine  Nah- 
rung entzogen  werden  könnte,  (wieso?),  so  ist  der  Efeu  kein  Schmarotzer  wie 
z.  B.  die  Flachsseide  (s.  das.).  Er  entnimmt  vielmehr  wie  die  meisten  Pflan- 
zen seine  Nahrung  dem  Boden  durch  weit  längere  Saugwurzeln.  Schneidet 
man  eine  kletternde  Efeupflanze  dicht  über  der  Erde  ab,  so  geht  sie  daher  zu 
Grunde;  sie  müßte  denn  auf  ihrem  Wege  zum  Lichte  nährendes  Erdreich  ge- 
troffen und  in  dasselbe  Saugwurzeln  gesandt  haben. 

3.  Blätter,  a)  Im  Gegensatz  zu  den  meisten  unserer  Pflanzen  hat  der 
Efeu  immergrüne,  „winterharte"  Blätter.  Wenn  man  bedenkt,  daß  er  im 
Schatten  des  Waldes  gedeiht,  so  wird  man  leicht  einsehen,  daß  dies  für  ihn 
von  größtem  Vorteile  ist:  so  lange  die  Bäume  belaubt  sind,  dringt  nur  wenig 
Licht  zu  ihm  hinab;  dafürkann  er  aber  auch  während  der  kälteren  und  kalten 
Jahreszeit  jeden  Lichtstrahl  ausnützen,  der  ihn  trifft,  und  dies  ist  jetzt  in  be- 
sonders reichem  Maße  möglich,  weil  die  Waldbäume  ja  entlaubt  sind.  Daher 
kann  er  seine  Früchte  sogar  während  des  Winters  reifen,  und  daher  meidet  er 
auch  den  immergrünen  Nadelwald. 

b)  Wie  wir  bei  der  Betrachtung 
des  Kirschbaums  sehen  werden,  stellen 
die  Saugwurzeln  der  Pflanzen  bei  Eintritt 
der  Kälte  ihre  Arbeit  ein.  Die  Efeu- 
wurzeln vermögen  daher  im  Winter  dem 
Boden  nur  sehr  wenig  oder  —  wenn  er 
gefroren  ist  —  gar  kein  Wasser  zu  ent- 
nehmen. Soll  der  Efeu  in  dieser  Zeit 
nicht  vertrocknen,  so  müssen  seine  Blätter 
die  Abgabe  von  Wasserdampf  möglichst 
einschränken.  Dies  geschieht  nun  in- 
folge der  sehr  starken  Oberhaut,  die  für  Wasserdampf  fast  undurchlässig 
und  den  Blättern  eine  le derartige  Beschaffenheit  verleiht. 


Teil    vom    Querschnitt    durch   ein    Efeu- 
blatt, die  verdickte  Oberhaut  0.  zeigend 
(240  mal  vergr.). 


76 


23.  Fam.  Efeugewächse. 


c)  Die  Blattfläche  ist  fünf  läpp  ig,  und  die  Lappen  stoßen  meist  unter 
scharfen  Winkeln  zusammen.  (Wegen  der  edlen  Form  findet  das  Efeublatt  in 
der  Kunst  mannigfache  Verwendung !  Beispiele!)  Betrachtet  man  die  am  Wald- 
boden hinkriechenden  Pflanzen,  so  siebt  man,  -wie  die  Lappen  des  einen  Blattes 
in  die  Buchten  der  benachbarten  Blätter  gestellt  sind.  Diese  Anordnung  ist  oft 
so  genau  wie  bei  den  Tausenden  von  Steinchen,  die  zu  einem  kunstvollen  Mo- 
saikbilde zusammengefügt  sind.  Darum  redet  man  hier  treffend  von  einer 
„Blattmosaik".  Infolge  dieser  Anordnung  raubt  einerseits  kein  Blatt  dem  an- 
deren das  belebende  Sonnenlicht,  und  andererseits  wird  die  gesamte,  spärlich  be- 


^ 


Efeu:  Schattentriebe,  dem  Waldboden  aufliegend;  Blätter  bilden  eine  Mosaik. 


leuchtete  Fläche  aufs  vollkommenste  ausgenützt.  (Die  Blattmosaik  ist  oft  auch 
sehr  gut  auf  Friedhöfen  zu  beobachten;  denn  mit  immergrünem  Efeu,  dem 
Sinnbilde  der  Hoffnung,  überkleiden  wir  gern  die  Grabhügel  unserer  Toten.  — 
Beachte  auch  die  Stellung  der  Blätter  an  mehr  einzeln  stehenden  Zweigen,  die 
an  Mauern  oder  dgl.  emporklimmen!) 

d)  Eine  solche  Stellung  ist  aber  nur  bei  langgestielten  Blättern  mög- 
lich (wieso?).  Betrachtet  man  die  Stiele  genauer,  so  sieht  man,  welche  viel- 
fachen Drehungen,  Wendungen  und  Streckungen  nötig  waren,  um  aus  den  in 
2  Zeilen  angeordneten  Blättern  ein  solch  kleines  Kunstwerk  zu  schaffen. 

B.  Die  Pflanze  im  Lichte.  1.  Sobald  die  Pflanze  die  Höhe  der  Mauer 
oder  des  Felsens  erklommen  hat  oder  sich  vom  Baumstamme  abwendet  und 
nun  allseitig  vom  Lichte  umflutet  wird,  nimmt  sie  ein  ganz  fremdartiges  Aus- 
sehen an:    Die  Zweige  sind  so  kräftig,   daß   sie   sich   ohne  Stütze   zu   halten 


Efen  uinl  Beine  nächsten  Verwandten. 


77 


vermögen.  Sie  erzeugen  darum  auch  keine  Luftwurzeln.  Die  Blätter  sind 
allseitig  um  den  Stengel  geordnet,  haben  kurze  Stiele  und  ganzrandige,  eiförmige 
Blattflächen.     Diese  „Lichttriebe"  sind  es  auch,  die  allein 

2.  Blüten  tragen.  Die  unscheinbaren  Blüten  stehen  in  Dolden,  sind 
denen  der  Doldengewächse  sehr  ähnlich  gebaut  (Beweis!)  und  entfalten  sich  erst 
in    den  Monaten  August  bis  November.     Da   von  ihnen  ein  weithin  wahrnehm- 


Efen,    der    die  Höhe    einer  Wand   erklommen  und  einen  „Lichttrieb*  gebildet  hat.     Am 

unteren  Teile    des  Stengels  noch  zwei    gelappte  Blätter  und  Klamm  er  wurzeln.     Daneben 

in  nat.  Gr.  eine  Blüte  und  eine  Frucht. 


barer,  fast  fauliger  Geruch  ausgeht,  stellen  sich  besonders  Fliegen  ein,  die  sich 
gern  auf  Strohdünger  und  ähnlichen  faulenden  Stoffen  aufhalten.  Da  wir  nun 
wissen,  daß  diese  Blumengäste  die  Bestäuber  der  Pflanzen  sind,  erkennen  wir 
auch,  daß  es  für  den  Efeu  höchst  vorteilhaft  ist,  nur  an  den  Enden  der  Licht- 
triebe Blüten  zu  tragen;  denn  von  dort  aus  allein  vermag  sich  der  Duft  nach 
allen  Seiten  auszubreiten,  und  dort  können  die  Blüten  von  den  Insekten,  die 
der  Duft  anlockt,  weit  besser  gesehen  werden,  als  wenn  sie  an  den 
„Schattentrieben"  ständen.     Letzteres  gilt  auch  für  die 

3.  Früchte,  kleine,  schwarze  Beeren,  deren  Samen  durch  Vögel  ver- 
breitet werden  (vgl.  mit  Weinstock!).  Sie  reifen,  wie  bereits  erwähnt,  während 
des  Winters  und  sind  für  den  Menschen  giftig. 

Nahe  verwandt  sind  die  Hartriegelgewächse  oder  Hornsträucher 
(Cornäceae),  so  nach  ihrem  außerordentlich  harten  Holze  genannt.  Die  eine  Art,  die 
Kornelkirsche  (Cornus  mas),  ist  ein  bekannter  Strauch  unserer  Anlagen,  kommt  jedoch 
auch  wild  in  Bergwäldern  vor.     Die  gelben  Blüten  sind  zu  kleinen  Dolden  gehäuft,   die 


78  Taf.  21.    24.  Fam.  Dickblattgewächse. 

sehr  dicht  an  den  Zweigen  stehen.  Da  sie  sich  aber  vor  den  Blättern  entfalten,  kommen 
sie  trotzdem  genügend  zur  Geltung  (Insekten!).  Die  eßbaren,  kirschenartigen  Früchte 
sind  scharlachrot  und  leuchten  infolgedessen  vortrefflich  aus  dem  Grün  des  Laubes 
(Vögel!).  —  Die  andere  Form,  der  rote  Hartriegel  (C.  sanguinea),  ist  gleichfalls  häufig 
in  Anlagen,  aber  auch  in  Laubwäldern  und  Gebüschen  zu  finden.  Sie  blüht  nach  dem 
Ausbruche  des  Laubes.  Die  kleinen,  weißen  Blüten  sind  dementsprechend  zu  weit 
größeren,  doldenartigen  Blütenständen  vereinigt,  und  diese  finden  sich  an  den  Enden 
der  Zweige.  Im  Herbste  färbt  sich  das  Laub  rot  und  gelb,  so  daß  sich  die  schwarzen 
Früchte  deutlich  von  ihm  abheben.  Während  des  "Winters  sind  die  Zweige  gleichfalls 
von  lebhaft  roter  Färbung  (Name!). 

24.  Familie.     Dickblattgewäehse   (Crassulaceae). 
Der  scharfe  Mauerpfeffer  (Sedimi  acre).    Taf.  12. 

1.  Standort.  Das  Pflänzchen  wächst  auf  Mauern  (Name!)  und  ähnlichen 
dürren,  unfruchtbaren  Stellen:  in  engen  Felsspalten,  an  trockenen  Abhängen  und 
auf  ödem  Sandboden.  Es  hat  in  den  meisten  Fällen  also  einen  sehr  ungünstigen 
Standort;  denn  von  den  Mauern  und  Felsen  läuft  das  Regenwasser  schnell  ab, 
und  in  den  Sandboden  sickert  es  fast  ebenso  schnell  ein.  Schon  wenn  eine 
kurze  Zeit  kein  Regen  fällt  und  die  Sonne  heiß  auf  die  dürstende  Erde  herab- 
scheint, brütet  über  der  Pflanze  eine  heiße,  trockene  Luft,  welche  die  Ver- 
dunstung stark  befördert  (Beweis!).  Dem  Mauerpfeffer  steht  Wasser  aber 
kaum  noch  zur  Verfügung;  denn  die  geringe  Erdmenge,  welche  die  Mauer-  und 
Felsenritzen  ausfüllt,  oder  die  oberste  Schicht  des  Sandbodens  ist  gänzlich  aus- 
getrocknet. Auf  trockenem  Untergrunde  könnte  sich  der  Mauerpfeffer  wie  andere 
Ödlandpflanzen  (Beispiele!)  wenigstens  noch  durch  lange 

2.  Wurzeln  helfen,  welche  die  belebende  Feuchtigkeit  aus  tiefen  Boden- 
schichten heraufbeförderten.  Jedoch  solche  Wurzeln  suchen  wir  vergeblich.  Sie 
sind  im  Gegenteil  verhältnismäßig  kurz  und  fadenförmig.  Trotzdem  übersteht 
das  zarte  Gewächs  wochenlange  Trocknis  mit  Leichtigkeit.  Selbst  aus  dem 
Boden  gerissen  vermag  es  weiter  zu  grünen,  ja  sogar  Blüten  zu  treiben.  (Be- 
obachte dies  an  Pflanzen,  die  du  in  das  Zimmer  legst!  Suche  die  Pflanze  zu 
pressen  und  beobachte  ihre  Widerstandsfähigkeit!)  Diese  außerordentliche 
Lebenszähigkeit  verdankt  die  Pflanze  in  erster  Linie  den  eigentümlich  gebauten 

3.  a)  Blättern.  Da  sie  sehr  kleine  Gebilde  sind,  geben  sie  auch 
weniger  Wasser  in  Dampfform  ab,  als  dies  vonseiten  großer  Blätter  geschehen 
würde. 

b)  Sie  liegen  dem  Stengel  meist  dicht  an  und  decken  sich  sogar 
zum  Teil  gegenseitig.  Infolgedessen  können  sie  von  der  Luft  nicht  in  dem 
Maße  bestrichen  werden,  als  wenn  sie  weit  und  frei  vom  Stengel  abständen. 
Je  mehr  aber  ein  Körper,  der  Wasser  durch  Verdunstung  abgibt  (z.  B.  trock- 
nende Wäsche),  von  der  Luft  bestrichen  wird,  desto  öfter  wird  die  durch  die 
Verdunstung  feucht  gewordene  Luftschicht,  die  den  Körper  umgibt,  erneuert, 
desto  mehr  also  die  Verdunstung  befördert. 


Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  12. 


Scharfer  Mauerpfeffer  (Sedum  acre). 


Mauerpfeffer.  79 

c)  Die  Blätter  sind  dicke,  fleischige  Körper,  die  als  Wasserspeicher 
dienen:  sobald  Regen  fällt,  nehmen  sie  (durch  Vermittlung  der  Wurzeln)  soviel 
als  möglich  Wasser  auf,  das  während  der  Trockenzeit  allmählich  verbraucht 
wird.  Die  Blätter  eignen  sich  aber  nicht  nur  vortrefflich  zur  Aufnahme 
großer  Wassermengen,  sondern  in  der  eigentümlichen  Blattform  besitzt  die 
Pflanze  auch  ein  wichtiges  Schutzmittel  gegen  zu  schnelle  Wasserabgabe. 
Ein  einfacher  Versuch  wird  uns  dies  leicht  verständlich  machen:  Formt 
man  aus  einer  knetbaren  Masse  (Teig,  Ton  oder  dgl.)  eine  kleine,  dünne 
Platte,  die  man  sodann  zu  einem  festen  Stabe  von  gleicher  Länge  umformt,  so 
sieht  man  deutlich,  daß  dieser  Körper  eine  weit  geringere  Oberfläche  hat  als 
vordem  die  Platte.  So  hat  auch  ein  dünnes,  „flächenförmiges"  Blatt  (Beispiele!) 
eiue  verhältnismäßig  größere  Oberfläche  als  ein  dickes,  mehr  „körperliches". 
(Denke  dir  auch  ein  dickes  Blatt  durch  Längsschnitte  in  eine  Anzahl  dünner 
Blätter  zerlegt!)  Da  nun  bei  sonst  gleichem  Bau  das  Blatt  umso  mehr  Wasser 
verdunstet,  je  größer  seine  Oberfläche  ist,  so  werden  wir  die  Richtigkeit 
obiger  Behauptung  wohl  bestätigt  finden.  —  Pflanzen  mit  solchen  Blättern  be- 
zeichnet man  als  Fettpflanzen,  Saftpflanzen  oder  Succulenten.  —  Trotz  des  Saft- 
reichtums wird  der  Mauerpfeffer  von  Tieren  nicht  berührt;  denn  die  grünen  Teile 
besitzen  einen  pfefferartig  scharfen  Geschmack  (Name!). 

d)  Zerschneidet  man  ein  Blatt  vorsichtig,  so  sieht  man  nicht  selten,  wie 
sich  der  Zellsaft  in  Fäden  auszieht.  Dies  rührt  von  dem  Reichtum  an  Schleim 
her.  Pflanzenschleime  geben  das  Wasser  aber  nur  sehr  langsam  ab.  Hiervon 
kann  man  sich  leicht  überzeugen,  wenn  man  einen  „blattartigen"  Kaktus  oder 
das  Blatt  einer  anderen  größeren  Fettpflanze,  z.  B.  einer  Aloe  oder  Agave, 
zerbricht.  —  Als  weiteres  Mittel,  die  Verdunstung  einzuschränken,  kommen  in 
Betracht : 

e)  die  verhältnismäßig  dicke  Oberhaut  (vgl.  mit  Efeu), 

f)  die  auffallend  geringe  Zahl  der  Spaltöffnungen,  durch  die  mit  der 
austretenden  Luft  Wasser  in  Dampfform  entweicht,  sowie  der  Umstand,  daß  die 

4.  Stengel  sehr  niedrig  bleiben  und  die  Pflanze  einen  dichten  Rasen 
bildet;  denn  eine  Pflanze,  die  sich  dem  Boden  anschmiegt,  wird  (s.  Absch.  2  b) 
bei  weitem  nicht  so  stark  vom  Winde  umspült  als  eine  höhere  Pflanze,  und  die 
Luftschicht,  die  sich  zwischen  den  Stengeln  und  Blättern  des  Rasens  findet  und 
durch  die  Wasserabgabe  der  Pflanze  feucht  geworden  ist,  wird  infolgedessen 
nicht  so  oft  erneuert,  als  dies  bei  einer  höheren  Pflanze  der  Fall  sein  würde.  — 
Die  einzelnen  (wurzelschlagenden)  Triebe  der  Pflanze  haben  ein  zweijähriges 
Leben;  im  ersten  Jahre  bleiben  sie  kurz,  sind  dicht  beblättert  und  tragen  keine 
Blüten;  im  zweiten  dagegen  strecken  sie  sich,  so  daß  die  Blätter  weiter  aus- 
einanderrücken, blühen  und  sterben  ab,  sobald  die  Samen  gereift  sind.  Durch 
die  sich  streckenden  Triebe  werden  die 

5.  Blüten  über  den  Rasen  emporgehoben  und  mithin  den  Insekten  sicht- 
bar gemacht.  Da  sich  nun  viele  Blüten  (Rasen !)  zugleich  entfalten,  so  werden 
sie,   obgleich    verhältnismäßig   klein ,    doch   weithin   sichtbar.     Sie  bestehen  (2) 


80        24.  Fam.  Dickblattgewächse.    25.  Fam.  Die  Fackeldisteln  oder  Kaktusgewächse. 

aus  einem  5-teiligen  Kelche,  5  goldgelben  Blumenblättern,  10  Staubblättern,  die 
zu  2  Kreisen  geordnet  sind,  und  5  Stempeln.  Die  großen  Fruchtknoten  werden 
aus  je  einem  Fruchtblatte  gebildet  (vgl.  mit  Hahnenfußgewächsen)  und  en- 
digen in  je  eine  kleine  Narbe.  Zwischen  den  Blumenblättern  und  den  Staub- 
blättern des  inneren  Kreises  finden  sich  die  kleinen  Honigdrüsen. 

6.  Frucht.  Nach  dem  Verblühen  spreizen  die  sich  vergrößernden  Frucht- 
knoten auseinander  und  bilden  einen  5-strahligen  Stern  (3.).  Bei  trockenem 
Wetter  bleiben  die  Fruchtfächer  geschlossen.  Bei  Regenwetter  dagegen  (tauche 
einige  reife  Früchte  ins  Wasser!)  öffnen  sie  sich  so  weit  (4),  daß  die  kleinen, 
braunen  Samen  von  den  Kegentropfen  leicht  ausgespült  werden  können.  Auf 
diese  Weise  werden  die  Samen  in  Spalten  des  Bodens,  Mauerritzen  und  dgl. 
geschwemmt,  also  au  Orte,  an  denen  sie  sich  zu  neuen  Pflanzen  entwickeln 
können.  (Daher  auch  das  Auftreten  des  Mauerpfeffers  an  senkrechten  Wänden!) 
Hat  der  Regenguß  noch  nicht  alle  Samen  ausgewaschen,  dann  schließen  sich 
die  Fruchtfächer  wieder,  um  sich  bei  einem  zweiten  oder  dritten  Regen  aber- 
mals zu  öffnen.  (Versuch!  Warum  wäre  die  Verbreitung  der  Samen  durch 
den  Wind  für  die  Pflanze  viel  unvorteilhafter?  Könnte  wohl  der  Wind  bei 
dem  niedrigen  Pflänzchen  mit  den  kurzgestielten  Früchten  diese  Arbeit  über- 
haupt verrichten?) 

Verwandte.  Auf  sonnigen  Hügeln  und  Felsen,  sowie  in  trockenen  Wäldern 
wächst  häufig  die  weit  größere  Fetthenne  (S.  maximum).  Sie  besitzt  breite  und  flache, 
aber  gleichfalls  sehr  fleischige  Blätter  (Name  !),  und  ihre  kleinen,  grüngelben  Blüten  sind 
zu  großen  Blütenständen  gehäuft.  —  Auf  Dächern  und  Mauern  findet  man  vielfach  die 
Hauswurz  (Sempervivum  tectörum)  angepflanzt ;  denn  das  zarte  Pflänzchen  galt  in  alten 
Zeiten  für  ein  sicheres  Mittel,  allerlei  Unglück,  besonders  aber  den  Blitzstrahl  von  dem 
Hause  abzuhalten  („Donnerkraut").  Wild  kommt  es  auf  Alpenfelsen,  sowie  am  Rhein 
und  an  der  Mosel  vor.  Die  ungestielten  Blätter  sind  an  den  „Furztrieben"  so  dicht  und 
regelmäßig  gestellt,  daß  sie  zierliche  Rosetten  bilden.  Aus  den  ältesten  Rosetten  erhebt 
sich  je  ein  „Langtrieb",  der  zahlreiche,  rosafarbene  Blüten  trägt  und  nach  der  Frucht- 
reife abstirbt.  Die  Pflanze  vermehrt  sich  auch  durch  Ausläufer,  die  aus  den  unteren 
Blattwinkeln  der  Rosetten  hervorkommen,  und  an  denen  sich  wieder  Rosetten  bilden. 

25.  Familie.     Die  Fackeldisteln  oder  Kaktusg-ewächse  (Cactäceae) 

sind  bis  auf  wenige  Ausnahmen  im  warmen  Amerika  heimisch.  Und  zwar  bewohnen 
sie  daselbst  die  weiten  Wüsten  und  Steppen,  in  denen  nur  während  weniger  Monate  des 
Jahres  Regen  fällt.  Sie  gedeihen  also  an  ganz  ähnlichen  Orten  wie  der  Mauerpfeffer 
und  seine  Verwandten,  und  es  ist  darum  vollkommen  erklärlich,  daß  sie  gleichfalls 
„Fettpflanzen"  (Succulenten)  sind.  Da  sie  aber  mit  einer  noch  weit  größeren  Dürre  zu 
kämpfen  haben  als  diese,  so  müssen  sie  auch  in  erhöhtem  Grade  gegen  zu  starke  Ver- 
dunstung des  aufgenommenen  Wassers  geschützt  sein.  Betrachten  wir  daraufhin  z.  B. 
die  Kaktusformen,  die  wir  in  Blumentöpfen  ziehen,  so  finden  wir  wie  beim  Mauer- 
pfeffer einen  schleimigen  Saft  und  verhältnismäßig  wenig  Spaltöffnungen,  eine 
stark  verdickte,  fast  wasserdichte  Oberhaut  und  nicht  selten  ein  dichtes  Haar- 
kleid, das  die  ganze  Pflanze  umhüllt  (vgl.  mit  Turban  und  Burnus  der  Beduinen!). 
Das    wichtigste  Schutzmittel   liegt    bei    allen   aber    in  dem  Verluste  der  Teile,    die  das 


Mauerpfeffer  und  Verwandte.     Fackeldisteln.     Stachelbeerstrauch.  81 

meiste  Wasser  verdunsten,  nämlich  der  Blätter,  die  zu  dürren  Dornen  umgewandelt 
sind.  (Vgl.  mit  den  Bäumen,  die  mit  Eintritt  der  trockenen  Jahreszeit  ihr  Laub  ab- 
werfen! s.  Kirschbaum.)  Als  Wasserspeicher  dient  daher  der  Stamm,  der  zumeist 
Kugel-,  Säulen-  oder  Cylinderform  besitzt  (geringe  Oberfläche !),  oder  in  scheibenförmige, 
blattartige  Teile  (s.  u.)  gegliedert  ist  und  den  Pflanzen  das  eigentümliche  Aussehen  verleiht. 
Und  dieser  Speicher  vermag  so  viel  Wasser  zu  fassen,  daß  die  Pflanze  lustig  weiter 
grünt,  wenn  um  sie  her  alles  Leben  bereits  in  Staub  zerfallen  ist.  Die  Kaktusgewächse 
sind  daher  auch  die  „Quellen  der  Wüste",  an  denen  die  lechzenden  Tiere  den  brennenden 
Durst  zu  stillen  suchen.  Doch  die  „Quelle"  ist  durch  die  „Stachelblätter"  wohl 
geschützt;  denn  aus  Verletzungen,  die  sich  ein  Tier  an  diesen  nadelspitzen  und  oft  noch 
mit  Widerhaken  versehenen  Gebilden  zuzieht,  entstehen  oft  gefährliche  Wunden.  Da  der 
Stamm  die  Arbeit  der  „verkümmerten"  Blätter  übernehmen  muß,  ist  er  mit  Blattgrün 
ausgerüstet.  Während  der  Regenzeit  entfalten  die  Pflanzen  ihre  herrlichen,  trichter- 
förmigen Blüten,  die  oft  einen  köstlichen  Duft  aushauchen. 

Der  seltsamen,  wechselvollen  Gestalt  und  der  herrlichen  Blüten  wegen  gehören 
die  Kaktusgewächse  zu  unsern  beliebtesten  Gewächshaus-  und  Topfpflanzen.  Von  Wichtig- 
keit für  den  Menschen  sind  aber  nur  wenige  Formen.  Dies  gilt  besonders  für  einige 
Arten  der  Gattung  der  Fackeldisteln  (Opüntia),  die  einen  aus  ovalen,  flachgedrückten 
Gliedern  zusammengesetzten  Stamm  haben.  Auf  ihnen  leben  die  Cochenille-Schildläuse, 
die  getrocknet  das  wertvolle  Karmin  liefern.  Den  Namen  tragen  die  Pflanzen  von  dem 
Reichtum  an  Stacheln  und  von  der  Verwendung,  den  die  getrockneten,  mit  Öl  getränkten 
Stämme  in  früheren  Zeiten  in  Amerika  gefunden  haben  sollen.  Die  feigenartigen  Früchte 
(„Feigendistel")  werden  gegessen.  In  Südeuropa  und  Nordafrika,  wohin  die  Pflanzen 
eingeführt  wurden,  dienen  sie  wie  in  ihrer  Heimat  zur  Cochenille-Zucht  und  zur  Her- 
stellung von  Hecken  und  Umzäunungen.  —  Der  Riesen-Kaktus  (Cereus  gigänteus)  hat 
einen  nur  wenig  verzweigten  Stamm ,  der  eine  Höhe  von  20  m  erreichen  kann.  — 
Durch  wunderbare  Blüten,  die  nur  während  der  Nacht  geöffnet  sind ,  zeichnet  sich  die 
Königin  der  Nacht  (C.  grandiflörus)  aus,  und  an  Schlangen  und  Melonen  erinnern  die 
Stämme  anderer  Arten  (Schlangen-  und  Melonen-K.),  die  bei  uns  gleichfalls  häutig 
gezogen  werden. 

26.  Familie.     Steinbrechgewächse  (Saxifragäceae). 

1.  Der  Stachelbeerstrauch  (Ribes  grossuläria)  wird  seiner  wohl- 
schmeckenden Früchte  wegen  (Verwendung?)  überall  angebaut,  kommt  aber 
auch  verwildert  (oder  wild?)  in  Wäldern  und  Gebüschen  vor.  Im  Schutze 
scharfer  Stacheln  (Name!)  entfaltet  er  bereits  im  Vorfrühlinge  die  gelappten  und 
eingekerbten  Blätter  (beobachte,  wie  dies  erfolgt!).  Gleichzeitig  kommen  auch  die 
unscheinbaren  Blüten  zum  Vorschein.  Sie  gleichen  hängenden  Glöckcken 
(Schutz  des  Blütenstaubes!).  Fruchtknoten  und  Kelch  sind  mit  gestielten, 
klebrigen  Drüsen  dicht  besetzt,  die  ankriechenden  Insekten  (Honignäschern !) 
den  Zutritt  zum  Blüteninnern  erschweren.  Die  5  kleinen,  weißen  Blumen- 
blätter stehen  am  Rande  des  glockenförmigen  Kelches,  dessen  zurückgeschlagene 
5  Zipfel  innen  meist  rötlich  angehaucht  sind  und  daher  mit  in  den  Dienst  der 
Insektenanlockung  treten.  Da  im  zeitigen  Frühjahre  erst  wenige  Blumen  Honig 
ausbieten,  stellen  sich  zahlreiche  Gäste  ein  (welche  Insektenordnung  ist  am  zahl- 

Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik.  ß 


82  22. — 26.  Farn.  Steinbrech-,  Nachtkerzen-  und  Weiderichgewächse. 

reichsten  vertreten?).  Wollen  aber  die  Besucher  den  süßen  Saft  im  Kelch- 
grunde lecken,  so  müssen  sie  die  Narbe  oder  eines  der  5  Staubblätter  streifen 
(Bestäubung!).  Die  grüne  oder  rote  Frucht  ist  eine  saftige  Beere,  die  gern 
von  Vögeln  verzehrt  wird  (s.  Weinstock !).  Daher  findet  man  den  Stachelbeer- 
strauch auch  häufig  verwildert  auf  altem  Gemäuer,  in  der  Gabelung  hohler  Bäume 
und  an  ähnlichen  Orten. 

Mit  der  Stachelbeere  wird  stets  auch  die  Johannisbeere  (R.  rubrum)  ihrer 
saftigen,  roten  oder  weißen  Früchte  wegen  angebaut  (warum  Johannisbeere?).  — 
Seltener  trifft  man  in  Gärten  die  schwarze  Johannisbeere  (R.  nigrum),  deren  Blätter 
und  Beeren  einen  wanzenartigen  Geruch  haben.  —  Ein  beliebter  Zierstrauch  ist  die  gelbe 
Johannisbeere  (R.  aureum),   deren  Heimat  Nordamerika  ist. 

2  Auf  sonnigen  Hügeln,  "Wiesen  u.  dgl.  wächst  häufig  der  Körner-Steinbrech 
Saxifraga  granuläta).  „Steinbrech"  heißt  die  zierliche  Pflanze,  weil  viele  ihrer  nächsten 
Verwandten  Gebirgsbewohner  sind,  und  diesen  sagt  man  irrtümlicherweise  nach,  sie  hätten 
sich  die  Felsenspalten,  in  denen  sie  wurzeln,  selbst  gebrochen.  Den  Artnamen  hat  sie 
von  den  rötlichen  Brutzwiebeln ,  die  sich  in  den  Winkeln  der  untersten  (zur  Blütezeit 
meist  schon  abgestorbenen)  Blätter  entwickeln  und  der  Erhaltung  und  Verbreitung 
der  Art  dienen  (vgl.  mit  Scharbockskraut).  Im  unteren  Teile  ist  die  Pflanze  zottig 
behaart  und  im  oberen  wie  die  Blüte  der  Stachelbeere  (s.  das.)  mit  gestielten,  roten 
Drüsen  dicht  besetzt.  Die  Blätter  sind  etwas  fleischig  (vgl.  mit  Mauerpfeffer)  und 
nehmen  von  unten  nach  oben  an  Größe  ab  (vgl.  mit  Raps).  Aus  den  zarten,  weißen 
Blüten  (beschreibe  sie!)  entwickelt  sich  eine  Kapselfrucht,  die  mit  einem  Loche  zwischen 
den  bleibenden ,  hörnerartigen  Griffeln  aufspringt  (Verbreitung  der  Samen  durch  den 
Wind!). 

3.  Im  Spätsommer  und  Herbst  (vgl.  mit  Herbstzeitlose)  erhalten  die  nassen  Wiesen 
durch  das  Herzblatt  (Parnässia  palustris)  nicht  selten  einen  letzten  Schmuck.  Auf 
schwanken  Stengeln,  die  in  der  Mitte  je  ein  herzförmiges,  saftstrotzendes  Blatt  tragen 
(Name !  —  vgl.  mit  Sumpfdotterblume) ,  erheben  sich  wunderbar  zarte  Blütensterne. 
Innerhalb  der  weißen  Blumenblätter  stehen  5  grüngelbe  Blättchen,  die  in  mehrere  lang- 
gestielte Drüsen  ausgezogen  sind  (vgl.  mit  dem  Fuße  des  Laubfrosches!).  Die  Drüsen- 
köpfchen locken  durch  ihren  Glanz  Insekten  herbei,  für  die  sich  an  der  Innenseite  der 
Blättchen  etwas  Honig  vorfindet.  Kleine  Insekten  sind  meist  unnütze  Näscher,  größere 
aber  durchaus  notwendige  Vermittler  der  Bestäubung.  Betrachtet  man  eine  Blüte  genauer 
so  findet  man  in  der  soeben  entfalteten,  daß  die  Beutel  der  5  Staubblätter  auf  den 
noch  unentwickelten  Narben  liegen.  Am  nächsten  Tage  öffnet  sich  ein  Beutel  und 
bietet  den  Staub  aus.  Am  folgenden  Tage  biegt  sich  das  Staubblatt  zurück,  und  ein 
zweiter  Beutel  öffnet  sich,  und  so  kommen  nach  und  nach  alle  Beutel  an  die  Reihe. 
Dann  erst  reifen  die  Narben.  Da  diese  nun  genau  an  der  Stelle  stehen,  an  der  vordem 
die  Beutel  standen,  so  muß  ein  größeres  Insekt,  das  die  Blütenmitte  als  Sitzplatz  benutzt, 
Fremdbestäubung  herbeiführen. 

4.  Der  Pfeifenstrauch  (Philadelphias  coronärius),  so  genannt,  weil  man  die 
schlanken  Schosse  zq  Pfeifenrohren  verwendet,  findet  sich  häufig  in  unsern  Anlagen. 
Er  stammt  aus  Südeuropa.  Der  stark  duftenden  weißen  Blüten  wegen  nennt  man  ihn 
auch  fälschlich  „ wilden  Jasmin".  (Der  echte  Jasmin  [Jasminum  grandiflörum]  ist  eine 
südasiatische  Pflanze,  die  bei  uns  nicht  im  Freien  wächst.) 


Arten  der  Steinbrech.-,  Nachtkerzen-  und  Weideriebgewächse.  SS 

27.-29.  Familie.  Nachtkerzen-,  Weiderich-  und  Myrteng-ewächse 
(Oaagräceae,  Lythräceae  und  Myrtäceae). 
1.  Nachtkerzen-Gewächse.  Das  Wald-Weidenröschen  (Epilöbium 
angustifölium)  findet  sich  —  wie  schon  der  Artname  sagt  —  auf  Waldblößen 
und  an  Waldrändern  als  eine  mehr  denn  meterhohe  prächtige  Pflanze.  Von  den 
weidenartig-schmalen  und  daher  zahlreichen  Blättern  (s.  S.  58,2)  und  den  herr- 
lichen, purpurroten  Blüten  ist  der  Gattungsname  abgeleitet.  Da  stets  mehrere 
Blüten  der  langen  Traube  zugleich  entfaltet  sind,  und  da  auch  der  Kelch,  der 
unterständige  Fruchtknoten,  der  Blütenstiel  und  der  Stengel  wenigstens  soweit, 
als  er  mit  Blüten  besetzt  ist,  meist  lebhaft  rot  gefärbt  sind,  so  wird  die  Pflanze  auf 
große  Entfernung  sichtbar.  (Bedeutung?  Beschreibe  die  Blüte  und  beobachte, 
wie  an  die  Stelle  der  zuerst  reifenden  Staubblätter  die  sternförmige  Narbe  tritt ! 
Vgl.  mit  Rittersporn!)  Die  Früchte  sind  schotenförmige  Kapseln.  Sobald  sich 
ihre  4  Klappen  von  der  Mittelsäule  ablösen,  werden  die  zahlreichen  Samen  frei. 
Sie  breiten  ihre  Federkrönchen  schnell  aus  und  werden  bald  ein  Spiel  der  Lüfte. 
Daher  braucht  nur  irgendwo  ein  Stück  Wald  niedergeschlagen  zu  sein ,  so 
stellt  sich  auch  das  Weidenröschen  sofort  ein.  Wenn  aber  die  jungen  Bäume 
emporschießen  und  die  Pflanze  beschatten,  und  wenn  infolgedessen  die  licht- 
liebenden Hummeln  und  Bienen  sich  immer  seltener  einstellen,  dann  verkümmern 
die  Blüten.  Dafür  treibt  das -Weidenröschen  jetzt  aber  weit  längere  unterirdische 
Ausläufer  als  vordem:  ein  Mittel,  durch  das  es  sich  aus  dem  Schatten  an  eine 
besonnte  Stelle  „zu  retten  sucht". 

Die  Nachtkerze  (Oenothera  biennis)  ist  eine  unserer  bekanntesten  Zierpflanzen. 
Sie  stammt  aus  Nordamerika,  hat  sich  bei  uns  aber  so  vollkommen  eingebürgert,  daß 
man  sie  nicht  selten,  besonders  auf  Sandboden,  verwildert  antrifft.  Im  ersten  Jahre  treibt 
sie  eine  Blattrosette  (s.  S.  17),  im  zweiten  dagegen  einen  hohen  Stengel  mit  zahlreichen, 
großen  Blüten,  um  nach  erfolgter  Fruchtreife  abzusterben.  Gleich  dem  nickenden  Leim- 
kraut (s.  das.)  ist  sie  eine  Nachtfalterblnme  (Name!).  Dementsprechend  sind  die  Blüten 
auch  nur  während  der  Nacht  geöffnet  (wie  oft  öffnet  und  schließt  sich  die  einzelne 
Blüte?),  seitlich  gerichtet  und  stark  duftend;  die  Blumenblätter  sind  hell  (blaßgelb) 
gefärbt,  nnd  der  Honig  ist  im  Grunde  einer  sehr  langen  Röhre  geborgen.  —  Zu  den 
Nachtkerzengewächsen  gehört  auch  die  Wassernuß  (Trapa  natans) ,  die  in  Seen  und 
klaren  Teichen  wächst.  Gleich  dem  Wasserhahnenfuß  (s.  das.)  hat  sie  stark  zerteilte 
untergetauchte  und  große ,  ungeteilte  schwimmende  Blätter.  Letztere  haben  einen 
langen,  aufgeblasenen  Stiel,  der  als  Schwimmwerkzeug  dient.  Die  Früchte  der  immer 
mehr  verschwindenden,  weißblühenden  Pflanze  sind  mit  4  „Hörnern"  (umgewandelte 
Kelchzipfel)  ausgerüstet,  durch  die  sie  im  Schlamme  verankert  werden  (Bedeutung?). 
Die  nußartigen  Samen  sind  eßbar.  —  Auch  die  Fuchsien  (Füchsia),  die  aus  Südamerika 
stammen  und  wegen  ihrer  prächtigen  Blüten  zu  unsern  beliebtesten  Topfpflanzen  zählen, 
sind  Nachtkerzengewächse. 

2)  Weiderich-Gewächse.  Zwischen  Weidengebüsch  (Name!)  und  an  anderen 
feuchten  Stellen  ist  häufig  der  Weiderich  (Lythrum  salicäria)  zu  finden.  An  den 
ungestielten  Blättern  und  den  zahlreichen  roten  Blüten,  die  beide  quirlartig  um  den 
Stengel  gestellt  sind,  ist  die  mehr  als  meterhohe  Pflanze  leicht  zu  erkennen.    Betrachtet 


84 


Fam.  Myrtengewächse.     30.  Farn.  Rosengewächse. 


man  die  Blüten  genau,  so  findet  man,  daß  wie  hei  der  Schlüsselblume  ein  erheblicher 
Unterschied  in  der  Länge  der  Stempel  und  Staubblätter  obwaltet.  Hier  sind  jedoch 
diese  Organe  in  3  Höhen  angeordnet.  Und  wie  bei  der  Schlüsselblume  ist  die  Bestäubung 
auch  hier  nur  von  günstigem  Erfolg,  wenn  Blütenstaub  auf  eine  Narbe  gelangt,  die  mit 
den  betreffenden  Staubbeuteln  in  gleicher  Höhe  steht. 

3.  Die  Myrten-Gewächse  sind  Bewohner  der  warmen  und  wärmeren  Länder. 
Ein  Glied  der  großen  Gruppe  ist  in  der  „bräutlichen "  Myrte  (Myrtus  communis) ,  mit 
der  geschmückt  die  Jungfrau  vor  den  Traualtar  tritt,  allgemein  bekannt.  Die  Pflanze 
ist  ein  immergrüner  Strauch  oder  Baum  der  Mittelmeerländer  (vgl.  mit  Orange).  — 
Hier  ist  auch  die  Heimat  des  Granatbaunis  (Pünica  granätum),  der  wegen  des  dunkel- 
grünen Laubes  und  der  prächtigen,  scharlachroten  Blüten  bei  uns  gleichfalls  in  Töpfen 
gezogen  wii'd.    Die  Früchte  (Granatäpfel)  waren  schon  im  alten  Israel  ein  beliebtes  Obst. 

—  Der  Gewürznelkenbaum  (Caryophyllus  aromäticus) 
liefert  uns  in  den  getrockneten  Blütenknospen  die  be- 
kannten Gewürz-Nelken  oder  -Nägelein  (s.  Gartennelke), 
die  wegen  des  Reichtums  an  Nelkenöl  als  vielverwen- 
detes Gewürz  dienen.  (Beim  Durchschneiden  einer  auf- 
geweichten „Nelke"  kann  man  die  einzelnen  Blütenteile 
erkennen.)  Die  Heimat  des  Baumes  sind  die  Molukken; 
jetzt  ist  er  über  alle  Tropenländer  verbreitet.  —  Die 
erbsengroßen ,  nelkenartig  riechenden  Früchte  des 
Nelkenpfefferbaums  Westindiens  (Pimenta  officinälis) 
sind  als  Nelkenpfeffer--  Piment  oder  Neugewürz  (weil 
erst  nach  der  Entdeckung  Amerikas  bekannt  geworden!) 
im  Gebrauch.  —  Zu  den  Myrtengewächsen  gehören 
auch  die  riesigen  (bis  1 50  m  hoch)  Eukalyptusbäume 
(Eucalyptus)  Australiens  und  der  benachbarten  Inseln. 
Da  sie  einem  außerordentlich  trockenen  Klima  ausge- 
setzt und  zudem  immergrün  sind,  treffen  wir  bei  ihnen 
zahlreiche  Einrichtungen ,  die  wir  bei  heimischen 
Pflanzen  als  Schutzmittel  gegen  zu  starke  Wasser- 
abgabe  finden;  sie  besitzen  lederartig  steife,  sehr  schmale, 
stielrunde  oder  senkrecht  gestellte  Blätter  (vgl.  mit 
Efeu,  Kiefer  und  Stachel-Lattich),  die  oft  noch  mit 
einer  bläulichen  Wachsschicht  überzogen  sind  (daher  auch  „neuholländische  Gummibäume"). 
Infolge  der  Form  und  Stellung  der  Blätter  geben  die  Bäume  nur  sehr  wenig  Schatten,  so  daß 
man  mit  gewissem  Recht  von  den  „schattenlosen"  "Wäldern  des  trockenen  Australiens  redet. 
Da  die  Bäume  in  der  trockenen  Zeit  blühen,  so  fehlen  ihnen  auch  die  mannigfachen  Ein- 
richtungen (Beispiele!),  durch  die  bei  unsern  Pflanzen  der  Blütenstaub  gegen  Befeuchtung 
und  damit  vor  Verderben  geschützt  ist.  Bei  ihnen  ragen  vielmehr  die  Staubblätter  weit 
über  die  winzigen  Blumenblätter  hinaus.  Auf  sumpfigem  Boden  wachsen  die  seltsamen 
Bäume  außerordentlich  schnell.  Darum  wird  auch  eine  Art,  der  blaue  Gummibaum 
(Eu.  glöbulus),  in  den  Sumpf-  und  Fiebergegenden  Südeuropas  häufig  angepflanzt. 

4.  Einer  anderen  verwandten  Familie  gehören  die  Mangrovebäunie  (Rhizöphora) 
an,  die  mit  anderen  sehr  ähnlich  gebauten  Bäumen  (woher  diese  Übereinstimmung?)  die 
durch  ihre  Fieberluft  berüchtigten  Mangrovewälder  bilden.  Diese  Wälder  erheben  sich 
über  dem  salzigen    oder    brackigen  Wasser   an  tropischen  Küsten ,    die    sie  oft  auf  viele 


Blütenknospe  vom  Gewürz- 
nelkenbaum. Bb.  Blütenboden. 
F.  Fruchtknoten  mit  Samen- 
anlagen. G.  Griffel.  Sb.  Staub- 
blätter. B.  Blumenblätter.  K. 
Kelch,     (etwa  5  mal  nat.  Gr.). 


Schmeil,    Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel    13. 


Birnbaum  (Pirus  communis' 


Myrten-Arten.     Mangrovebäume.     Birnbaum.  85 

Meilen  hin  wie  eine  grüne  Mauer  umzäunen.  Vorbedingung  für  ihr  Auftreten  sind 
ein  verhältnismäßig  ruhiges  Wasser  und  ein  lockerer,  schlammiger  Boden  (warum?). 
Daher  trifft  man  sie  auch  besonders  in  Buchten  und  an  Flußmündungen  an.  Auf 
dem  weichen  Untergrunde  finden  die  Bäume  aber  nur  dadurch  Halt,  daß  sie  aus  dem 
Stamme  oder  auch  noch  ans  den  Ästen  zahlreiche  "Wurzeln  in  den  Boden  senken.  Bei 
der  Ebbe  erhebt  sich  darum  der  Wald,  wie  auf  unzähligen  Stelzen  stehend,  über  das 
Wasser  oder  den  schwankenden  Sumpfboden.  Bei  der  Flut  dagegen  sind  die  Stütz- 
wurzeln zumeist  vom  Wasser  bedeckt.  Als  eine  weitere  Anpassung  an  das  Leben  auf 
diesem  sonderbaren  Boden  sind  die  eigentümlichen  Früchte  zu  erwähnen.  Während  sie 
noch  am  Baume  hängen,  keimt  bereits  der  Same,  den  sie  einschließen.  Er  entwickelt 
sich  zu  einem  dolchartigen  Gebilde,  das  sich  schließlich  ablöst  und  infolge  seiner  Schwere 
wie  ein  Pfahl  in  den  Boden  dringt. 

30.  Familie.     Rosenartige  Gewächse  (Rosäceae). 

Pflanzen  mit  Nebenblättern.  Blütenboden  scheibenförmig,  stielförmig  verlängert,  becher- 
oder  krugförmig;    auf  seinem  Rande  stehen   (meist)  5  Kelch-,    5  Blumen-  und  zahlreiche 

Staubblätter. 

1.  Unterfamilie.     Kernobstgewächse  (Pömeae). 
Der  mehrfächerige  Fruchtknoten  ist  aus  2 — 5  Fruchtblättern  gebildet  und  mit  dem  Blüten - 
boden  verwachsen.     Fruchtknoten  und  Blütenboden  bilden  bei  der  Reife   zusammen  eine 

Scheinfrucht. 

Der  Birnbaum  (Pirus  communis).     Taf.  13. 

1.  Arorkommen  und  Bedeutung.  Der  Birnbaum  ist  eine  einheimische 
Pflanze,  die  wild  in  Laubwäldern  und  Feldgehölzen  vorkommt.  Die  kleinen 
und  herben  Früchte  (1.  zeigt  eine  Frucht  in  nat.  Gr.),  die  reich  an  steinigen  Ein- 
schlüssen sind  und  daher  „Holzbirnen"  genannt  wer- 
den, dienten  in  alten  Zeiten  dem  Menschen  zur  Nah- 
rung. (Die  Einschlüsse  bestehen  —  wie  man  sich  mit 
Hilfe  des  Mikroskops  leicht  überzeugen  kann  —  aus 
sehr  dickwandigen  Zellen.)  Daher  ist  der  Baum  auch 
schon  außerordentlich  früh  in  menschliche  Pflege  über- 
gegangen, und  durch  jahrtausendelange  Zucht  (s.  S.  19) 
ist  schließlich  unser  „edler"  Birnbaum  mit  seinen 
großen,  saftig-süßen  und  zartfleischigen  Früchten 
entstanden,  die  zu  unserm  wichtigsten  Obste  zählen. 
(Gib  an,  wie  die  Birnen  verwendet  werden!)  Wahr-  Ein  „Stein"  aus  dem 
scheinlich  haben  bei  dieser  Fruchtfleische  der  Birne, 

2.  Veredlung  die  Reiser  anderer,  aus  Asien  aus  sehr  dickwandigen  Zellen 
stammender  Arten  mit  eine  Rolle  gespielt.  Darauf  bestehend  (270  mal  vergr.l 
deutet  u.  a.  die  Tatsache   hin,   daß  aus  dem  Samen 

selbst  der  edelsten  Sorte  stets  Bäume  hervorgehen,  deren  Früchte  mehr  oder 
weniger  die  Gestalt  und  den  Geschmack  der  „Holzbirnen"  haben.  Alle  unsere 
zahlreichen  Sorten  (nenne  solche  und  beschreibe  ihre  Früchte!)  lassen   sich  nur 


86 


Taf.  13.     30.  Farn.  Rosenartige  Gewächse. 


dadurch  erhalten,  daß  man  Reiser  von  ihnen ,  d.  s.  kleine  Zweige 
oder  Teile  solcher,  auf  Bäume  überträgt,  die  aus  Samen  gezogen  sind. 
Hierzu  bedient  man  sich  zahlreicher  Verfahren,  von  denen  nur  die 
wichtigsten  hier  kurz  erwähnt  werden  sollen. 

a)  Haben  Wildling   und  Edelreis   nahezu   gleiche  Stärke   (I.), 
so  bedient  sich  der  Gärtner  meist  des  Kopulierens  (kopulieren  = 
vereinigen,  verbinden) :  er  schneidet  Wildling  (W.)  und  Edelreis  (E.), 
mit   einem   scharfen  Messer   glatt   und  schräg  (warum?)   durch  und 
setzt  sie  so  aufeinander,   daß  die  Schnittflächen  genau  aufeinander 
passen.     Indem   er   die  Verbindungsstelle   fest  mit  Bast   oder   dgl. 
umwickelt,  sucht  er  das  Edelreis  in  der 
Lage  zu   erhalten,   die   er  ihm  gegeben 
hat,  und  indem  er  die  Wundstelle  sorg- 
fältig mit  Baumwachs  überstreicht,  will  er 
das  Verdunsten  des  aufsteigenden  Saftes 
(Vertrocknen    des   Edelreises!)   und    das 
Eindringen   von   Pilzsporen    verhindern. 
Wildling  und  Edelreis  verwachsen  dann 
bald  fest  miteinander. 

b)  Das  Pfropfen  (unter  die  Rinde) 
wendet  der  Gärtner  an,  wenn  der  Wild- 
ling stärker  als  das  Edelreis  ist  (H.).    Zu 
diesem  Zwecke  stutzt  (schneidet  oder  sägt) 
er  den  Wildling  (W.)  wagerecht,  spaltet 
und  löst  die  Rinde  auf  eine  kurze  Strecke 
und  fügt  das  Reis  (E.),  das  er  zuvor  so 
zugeschnitten  hat,  wie  es  die  Abbildung 
zeigt,  in  den  Spalt  ein.  Sodann 
legt    er   wie   beim    Kopulieren 
einen  Verband  um  die  Pfropf- 
stelle und  bestreicht  endlich  die 
Schnittfläche  des  Wildlings  mit 
Baumwachs. 

c)  Beim  Okulieren  (HI.) 
schneidet  man  eine  Knospe  oder 
ein  „Auge"  (daher:  Okulieren) 
mit  einem  schildförmigen  Stück 
Rinde  (A.)  aus  dem  Edelreise 
(E.),  macht  am  Wildling  (W.) 
einen  T- förmigen  Schnitt,  hebt 
die  Rinde  etwas  empor,  schiebt 
I.  Kopulieren.  II.  Pfropfen  (unter  die  das  „Auge"  darunter  und  ver- 
Rinde).    III.  Okulieren.      Die  Bezeich-       ,  .    ,  ,      ■,.       „7      ,  ,  ., 

nungen  sind  im  Text  erklärt.  bindet     die     Wundstelle     sorg- 


A. 


Birnbaum.  87 

fältig.    Ist  das  „Auge"  angewachsen,   dann  schneidet  man  den  Wildling  dar- 
über ab. 

3.  Dornen.  So  lange  der  wilde  Birnbaum  jung  ist  und  einen  kleinen 
Strauch  bildet,  enden  die  holzigen  Zweige  in  scharfe,  stechende  Dornen,  die  eine 
vortreffliche  Schutzwehr  gegen  Weidetiere  bilden.  Auch  wenn  sich  der  Strauch 
höher  über  den  Boden  erhebt,  sind  die  Zweige  etwa  so  weit,  als  die  größten 
Weidetiere,  die  Rinder,  reichen  können,  stark  bedornt.  Darüber  hinaus  aber 
werden  die  Dornen  immer  seltener,  bis  sie  endlich  ganz  verschwinden.  Ebenso 
fehlen  sie  an  dem  Baume,  in  den  der  Strauch  allmählich  übergeht:  der  Stamm 
ist  durch  die  harte,  rissige  Rinde  wohl  geschützt,  und  bis  zur  Krone  vermögen 
die  Weidetiere  nicht  emporzureichen.  Auch  der  angebaute  Birnbaum,  der  ja 
im  Schutze  des  Menschen  steht,  ist  meist  völlig  dornenlos.  Der  Birnbaum  ver- 
hält sich  eben  wie  der  Mensch,  der  „in  der  Wildnis  die  Waffen  nicht  aus  der 
Hand  gibt,  im  sicheren  Schirm  der  Städte  dagegen  sie  ablegt". 

4.  Knospen.  Im  Frühjahre  lassen  sich  an  dem  Birnbäume  deutlich  zweier- 
lei Knospen  erkennen  (4.):  kurze,  spitze,  aus  denen  lange,  beblätterte  Zweige 
(Blattknospen,  4  a.)  und  größere,  dickere,  aus  denen  kurze,  blätter-  und  blüten- 
tragende Zweige  hervorgehen  (Blüten-  oder  Tragknospen,  4  b.).  Wie  bei  der  Roß- 
kastanie (s.  das.)  sind  die  Knospen  von  schuppenartigen  Blättern  umhüllt,  die 
entweder  ganz  oder  teilweise  pergamentartig  sind  und  später  abfallen.  Blüten- 
knospen treten  jedoch  erst  auf,  wenn  der  Baum  ein  gewisses  Alter  erreicht  hat. 

5.  Die  Äste  sind  steil  aufwärts  gerichtet.  Infolgedessen  hat  die  Krone, 
die  bei  alten  Bäumen  einen  mächtigen  Umfang  erreicht,  meist  die  Form  einer 
Pyramide. 

6.  Blätter.  Das  junge  Blatt  (2.  und  3.)  tritt  senkrecht  zwischen  den 
Knospenschuppen  hervor.  Es  ist  nach  dem  Hauptnerv  zu  zusammengerollt,  an 
der  Unterseite  mit  seidenartigen  Härchen  bedeckt  und  am  Grunde  des  Stieles 
mit  2  fadenförmigen  Nebenblättern  versehen,  alles  Erscheinungen,  die  wir  be- 
reits früher  (s.  Veilchen,  Roßkastanie  und  Linde)  kennen  und  verstehen  gelernt 
haben.  Am  ausgebildeten  Blatte  sind  Nebenblättchen  und  Härchen  ver- 
schwunden: es  hat  sich  aufgerollt  und 

a)  schräg  gestellt,  so  wie  es  von  den  Sonnenstrahlen  am  besten 
durchleuchtet  werden  kann  (s.  S.  63,  c).  Diese  günstige  Stellung  einzunehmen 
wird  ihm  besonders  durch  den  langen  Blattstiel  ermöglicht ;  denn  er  erlaubt  der 
(eiförmigen,  am  Rande  gesägten)  Blattfläche,  sich  zu  heben  oder  zu  senken,  zu 
wenden  oder  zu  drehen,  ganz  wie  die  Belichtungsverhältnisse  es  erfordern. 

b)  Wenn  ein  heftiger  Wind  weht,  zeigt  sich,  daß  der  Blattstiel  noch 
eine  zweite,  wichtige  Bedeutung  hat.  Obgleich  der  Wind  Ziegel  von  den  Dächern 
reißt  und  anderes  Unheil  anrichtet,  spotten  die  zarten  Blätter  des  Birnbaums  (wie 
die  aller  anderen  größeren  Pflanzen)  zumeist  seinem  Toben :  Sobald  sie  von  einem 
Windstoße  getroffen  werden,  stellen  sie  sich  vermöge  der  biegsamen  Stiele  wie 
eine  Wetterfahne  in  die  Richtung  des  Windes,  so  daß  der  Anprall  ohne  Wir- 
kung1 bleibt.     Ist  der  Windstoß  vorüber ,   so  kehren  sie ,    da   der  Stiel  zugleich 


88  30.  Fam.  Rosenartige  Gewächse. 

elastisch  ist,  in  die  ursprüngliche  Lage  zurück.  (Beurteile  hiernach  die  Elastizität 
der  Stämme  und  Äste.)  Ein  ebenso  wichtiges  Schutzmittel  sind  die  elastischen 
Stiele  gegen  den  Anprall  schwerer  Eegentropfen.  (Führe  dies  näher  aus ! 
Beachte,  wie  leicht  der  Sturm  Birnen  und  Äpfel,  die  auf  kurzen  und  unelastischen 
Stielen  sitzen,  vom  Baume  wirft!  Vgl.  dag.  die  langgestielten  Kirschen  und 
Pflaumen!  Warum  können  niedrige  Pflanzen  oder  solche  mit  kleinen  Blättern 
der  Blattstiele  entbehren?     Beispiele!) 

Das  Blatt  weicht  also  den  beiden  feindlichen  Kräften,  dem  Winde  und 
den  aufschlagenden  Eegentropfen,  aus.  Trotzdem  bedarf  es  aber  einer  gewissen 
Festigkeit,  um  von  ihnen  nicht  zerrissen  oder  durchschlagen  zu  werden.  Diese 
erlangt  es  (wie  die  Blätter  aller  anderen  Landpflanzen)  durch  das  Gerüst  der 
Adern  oder  Nerven,  von  dem  die  Blattfläche  durchzogen  wird.  (Beschreibe 
den  Verlauf  der  Adern  im  Blatte  des  Birnbaums  und  anderer  bekannten  Pflan- 
zen! Vgl.  die  Adern  mit  den  Stäben  eines  aufgespannten  Schirms!  Gegen 
welche  Gewalten  erweisen  sich  die  erwähnten  Schutzmittel  als  unzureichend! 
Beobachte,  wie  die  zarten,  jungen  Blätter  vom  Winde  zerzaust  werden!) 

c)  Die  oben  (Absch.  a)  erwähnte  Schrägstellung  der  Blätter  ist  für  den 
Baum  auch  noch  aus  einem  anderen  Grunde  vorteilhaft.  Werden  schräg  nach 
außen  gerichtete  Blätter  vom  Begen  getroffen,  so  fließt  das  Wasser  nach 
außen  ab,  so  daß  es  auf  tiefer  stehende  Blätter  fallen  muß.  Diese  leiten 
es  weiter  nach  außen,  und  so  geht  es  fort,  bis  am  Umfange  der  Krone  alles 
Wasser,  das  den  Baum  trifft,  wie  von  einem  Dache  oder  aufgespannten  Schirme 
zur  Erde  tropft.  Erst  ein  heftiger  oder  anhaltender  Regen  vermag  durch  die 
Krone  zu  dringen  und  die  Erde  unter  ihr  zu  nässen.  (Darum  flüchten  wir, 
wenn  wir  im  Freien  vom  Begen  überrascht  werden,  unter  einen  Baum.)  Gräbt 
man  nun  an  der  Stelle  vorsichtig  nach,  an  der  die  Traufe  niedergeht,  so  f i n d e t 
man  dort  stets  die  feinen  Saugwurzeln,  die  allein  imstande  sind,  Feuch- 
tigkeit aus  dem  Boden  aufzunehmen,  während  die  stärkeren  Wurzeln  durch  die 
dicke  Rinde  daran  gehindert  werden.  Diese  Art  der  Wasserableitung  bezeichnet 
man  im  Gegensatz  zu  der  nach  innen  gerichteten,  der  „centripetalen",  wie  wir 
sie  beim  Raps  kennen  gelernt  haben,  als  „centrifugale".  Wir  finden  sie  bei 
allen  Bäumen  wieder,  und  sie  erscheint  uns  um  so  zweckentsprechender,  wenn 
wir  bedenken,  daß  nur  ein  weit  ausgebreitetes  Wurzelwerk  imstande  ist,  den 
Angriffen  der  Winde  auf  die  schwere  Krone  zu  widerstehen.  (Bei  was  für 
Pflanzen  ist  die  Ableitung  centripetal?  Wo  finden  sich  bei  ihnen  die  Saug- 
wurzeln ?  Warum  bedürfen  Wasser-  und  Sumpfpflanzen  dieser  Einrichtung  nicht  ? 
Warum  gibt  der  Gärtner  der  Laub-  und  Wurzelkrone  von  Bäumen,  die  er 
pflanzen  will,  gleichen  Umfang?) 

7.  a)  Die  Blüten  (2.)  stehen  in  kleinen  Sträußen  an  kurzen  Zweigen. 
(Das  „Beschneiden"  der  Bäume  bezweckt,  sie  zu  zwingen,  solche  „Kurztriebe" 
oder  —  wie  der  Obstzüchter  sagt  —  „kurzes  oder  Frucht-Holz"  zu  bilden.) 
Von  den  Blättern,  die  gleichzeitig  aus  den  Knospen  hervorbrechen,  sich  aber 
viel  langsamer  entwickeln,   werden  sie  nicht  verdeckt.     Infolgedessen  erscheint 


Birnbaum.  89 

der  blühende  Birnbaum  wie  ein  wahres  Blütenmeer  (vgl.  mit  anderen  Obst- 
bäumen!). Da  die  Blüten  zudem  duften  und  honigreich  sind  (wo  findet  sich  der 
Honig?),  ist  der  blühende  Baum  oft  von  Hunderten  naschender  Insekten  um- 
schwärmt. (Vgl.  W.  Müllers  „Frühlingsmahl" :  Wer  hat  die  weißen  Tücher  ge- 
breitet über  das  Land  etc. !)  Wie  notwendig  den  Blüten  der  Besuch  dieser  Gäste 
ist,  beweist  folgende  Tatsache:  In  Australien  wollten  die  Obstbäume  trotz  aller 
Mühe  der  Ansiedler  keine  Früchte  tragen  (weil  die  zur  Bestäubung  nötigen  In- 
sekten fehlten).  Da  wurden  von  einem  deutschen  Iraker  Bienen  eingeführt  —  und 
in   demselben  Jahre  zeigten  die  Obstbäume  jener  Gegend  reichen  Fruchtansatz. 

b)  Durchschneiden  wir  eine  einzelne  Blüte  der  Länge  nach  (5.),  so  sehen 
wir,  wie  der  oberste  Teil  des  Blütenstiels,  der  Blütenboden,  an  den  Seiten  em- 
porgewachsen ist,  so  daß  er  einen  kleinen  Becher  bildet.    Der  Becherrand  trägt 
5  kleine  Kelchblätter,  etwas  weiter  nach  innen  5  große, 
weiße   Blumenblätter    und    hinter   diesen   wieder   etwa 
20  Staubblätter  mit  roten  Staubbeuteln.    (Man  sagt  da- 
her  auch   ungenauer  Weise,    die  [Blumen-  und]  Staub- 
blätter ständen  auf  dem  Kelchrande.)    Aus  der  Öffnung 
des  Bechers  ragen  5  Griffel  hervor,  die  zu  dem  Frucht- 
knoten   im    Grunde    des    Bechers    führen.      An    einem 
Querschnitte   (s.  Diagramm)   ist   deutlich   zu   erkennen,       Bliitengrundriß  des 
daß  der  5-fächerige  Fruchtknoten  aus  5  Fruchtblättern  Birnbaums. 

gebildet    wird,    und    daß   er   mit    dem   becherförmigen 

Blütenboden  verschmolzen  ist.  Aus  beiden  Teilen,  aus  Fruchtknoten  und  Blüten- 
boden, geht  die 

8.  a)  Frucht  hervor:  Der  Fruchtknoten  wird  zu  dem  „Kernhause",  dessen 
5  Fächer  je  2  braune  Samen  enthalten,  und  der  Blütenboden  zu  dem  Frucht- 
fleische. Am  oberen  Ende  der  Frucht  finden  wir  daher  selbst  noch  zur  Reife- 
zeit den  vertrockneten  Kelch.  Da  an  der  Bildung  der  Frucht  also  noch  ein 
anderer  Blütenteil  als  der  Fruchtknoten  beteiligt  ist,  bezeichnet  man  sie  als 
„Scheinfrucht".  (Warum  schneidet  der  Obstzüchter  einen  Teil  der  Früchte  ab, 
wenn  der  Fruchtansatz  zu  reich  ist?) 

b)  Verbreitung  der  Samen.  Sollen  sich  die  Samen  (Obst kerne  —  Kern- 
obst!) zu  einer  neuen  Pflanze  entwickeln,  so  muß  das  Fruchtfleisch  samt  der 
pergamentartigen  Hülle  der  Fruchtfächer  verfaulen,  oder  ein  Vogel  muß  das 
Fleisch  verzehren,  das  Kernhaus  öffnen  oder  die  mitverzehrten  Kerne  wieder 
von  sich  geben.  Und  dabei  leiden  die  Kerne  durchaus  keinen  Schaden;  denn 
sie  sind  gegen  die  Verdauungssäfte  durch  eine  pergamentartige  Hülle  geschützt. 
Gleich  dem  Weinstocke  (s.  das.)  erzeugt  der  Birnbaum  das  saftige  Frucht- 
fleisch allein  seiner  Verbreiter  wegen,  die  er  durch  leuchtende  Färbung  (gelb, 
an  der  Außenseite  oft  noch  mit  roten  „Backen")  und  angenehmen  Duft  der 
Früchte  anzulocken  sucht.  So  lange  die  Samen  noch  unreif  sind,  schützen  — 
wieder  wie  beim  Weinstocke!  —  saure,  zusammenziehende  Säfte  die  unschein- 
bar grünen  Früchte,  vorzeitig  verspeist  zu  werden. 


90  30.  Farn.  Rosenartige  Gewächse. 

9.  Feinde.  Der  Birnbaum  ist  gleich  seinem  nächsten  Verwandten,  dem 
Apfelbaume,  von  einem  Heer  von  Feinden  bedroht.  Der  Maikäfer,  sowie  die 
Raupen  von  Frostspanner,  Baumweißling,  Goldafter,  Ringelspinner  zehren  von  den 
Blättern ;  der  Apfelblütenstecher  vernichtet  die  Blüten ;  der  Weidenbohrer  durch- 
wühlt den  Stamm  und  der  Apfelwickler  die  saftigen  Früchte  (6.  u.  7.).  Von  den 
schädlichen  Pflanzenläusen  sei  nur  die  schädlichste,  die  Blutlaus,  genannt,  die 
in  einigen  Gegenden  an  Apfelbäumen  große  Verheerungen  angerichtet  hat. 
(S.  „Lehrbuch  der  Zoologie".)  Pilze  (s.  das.)  bilden  auf  Blättern  und  Früchten 
„Rostflecke"    und  Schorfe   und  erzeugen   in  Wundstellen  krebsartige  Bildungen. 

Andere  Kernobstgewächse. 

Eine  noch  weit  größere  Bedeutung  als  der  Birnbaum  hat  für  uns  der  Apfelbaum 
(P.  malus).  Beweis!  Er  ist  gleichfalls  ein  einheimisches  Gewächs  (Holzäpfel!)  und  wird 
in  vielen  Sorten  angebaut  (beschreibe  die  Früchte  der  dir  bekannten  Sorten !).  Im  Gegen- 
satz zum  Birnbäume  hat  er  eine  breite,  niedrige  Krone,  und  die  prächtigen  Blüten  zeigen 
außen  einen  roten  Anfing.  —  Quitte  (üydönia  vulgaris)  und  Mispel  (Mespilus  germanica), 
von  denen  letztere  ab  und  zu  auch  verwildert  in  "Wäldern  vorkommt ,  entstammen  den 
Mittelmeerländern.  Sie  haben  große  Blüten,  die  (s.  Rose)  darum  auch  einzelnstehend  die 
Aufmerksamkeit  der  Insekten  erregen.  Die  gelben,  duftenden  Quitten  sind  nur  eingemacht 
und  die  Mispeln  nur  bei  beginnender  Fäulnis  (wenn  sie  „teigig"  werden)  genießbar.  — 
Bei  Weißdorn  (Crataegus  oxyacäntha)  und  Eberesche  (Sorbus  aucupäria)  sind  die 
Blüten  verhältnismäßig  am  kleinsten.  Wir  finden  sie  daher  gleich  den  leuchtend  roten 
Früchten  auch  zu  großen ,  doldenartigen  Ständen  gehäuft.  Der  Weiß-  oder  Hagedorn 
(erkläre  die  Namen!  vgl.  mit  „Schwarzdorn"  !)  wird  gern  zur  Anlage  von  Hecken  benutzt. 
Seine  rotblühende  Abart,  der  Rotdorn,  ist  in  Baum-  oder  Strauchform  eine  bekannte 
Zierpflanze.  Die  Eberesche  (d.  i.  After-Esche,  wegen  der  eschenartigen  Blätter)  oder  der 
Vogelbeerbaum  (warum  wohl?)  steigt  in  den  Gebirgen  bis  zur  Baumgrenze  empor. 

2.  Unterfamilie.     Steinobstgewächse  (Prüneae). 

Der  einfächerige  Fruchtknoten  ist  aus  einem  Fruchtblatte    gebildet   und    nicht  mit  dem 

Blütenboden  verwachsen.     Frucht  eine  Steinfrucht. 

Der  Süßkirschbaum  (Prunus  avium). 

1.  Heimat  und  Bedeutung.  Gleich  Birn-  und  Apfelbaum  hat  der  Süß- 
kirschbaum im  mittleren  Europa  seine  Heimat.  Er  findet  sich  hier  und  da  in 
Waldungen  und  ist  der  Stammvater  der  zahlreichen  Spielarten,  die  wir  in  Gärten, 
an  Straßen  und  Bergabhängen  der  veredelten  (d.  h.  größeren,  fleischigeren  und 
wohlschmeckenderen)  Früchte  wegen  anbauen.  (Welche  Spielarten  sind  dir  be- 
kannt? Wie  verwendet  man  die  Früchte?)  Sowohl  die  wilde,  als  auch  die  an- 
gebaute Pflanze  wächst  zu  einem  stattlichen  Baume  heran.  (Stelle  Stamm- 
umfang und  -durchmesser  einiger  größerer  Bäume  fest!)  Die  kugelige  Krone 
wird  von  einem  entsprechend  starken 

2.  Stamme  getragen,  der  mit  einer  glatten,  graubraunen  Rinde  bedeckt 
ist.  Bei  Verletzungen  lösen  sich  die  oberen  Rindenschichten  in  ringförmigen, 
lederartig-biegsamen  Streifen  ab.  Häufig  fließt  aus  dem  Stamme  ein  klebriger 
Stoff,    das    Kirsch gummi,    das    in    Wasser    leicht    löslich    ist    und    darum 


Andere  Kernobstgewächse.     Süßkirschbaum.  91 

wie  das  arabische  Gummi  (s.  das.)  als  Klebmittel  verwendet  werden  kann.  (Der 
Ausfluß  von  Gummi  ist  bei  allen  Steinobstgewächsen  zu  beobachten  und  zumeist 
wohl  als  Krankheitserscheinung  zu  deuten.) 

3.  Blatt,  a)  Die  jungen  Blätter  treten  (gleich  den  Blüten,  die  sich  in 
blattlosen  Knospen  entwickeln  —  vgl.  dag.  Sauerkirsche!)  aus  Knospen  her- 
vor, die  von  Schuppen  umhüllt  sind  (Schutzmittel;  vgl.  mit  Roßkastanie). 
Zwischen  den  Schuppen  und  den  Laubblättern,  die  am  Grunde  mit  2  später  ab- 
fallenden, kleinen  Nebenblättern  versehen  sind,  findet  ein  vollständiger  Übergang 
statt:  ein  Zeichen,  daß  wir  es  in  ersteren  gleichfalls  nur  mit  Blättern  zu  tun 
haben.  Die  Flächen  der  jungen  Blätter  sind  in  der  Mittelader  gefaltet,  senkrecht 
gestellt  und  mit  einem  firnisartigen  Überzuge  versehen :  Einrichtungen,  in  denen 
wir  bereits  früher  (s.  Roßkastanie)  Schutzmittel  der  zarten  Gebilde  erkannt  haben. 

b)  Die  entwickelten  Blätter  sind  eiförmig  und  am  Rande  gesägt.  Am 
oberen  Ende  des  langen  Blattstiels  finden  sich  2  meist  rote  Drüsen,  die  eine 
zuckerhaltige  Flüssigkeit  ausscheiden.  (Welche  Bedeutung  diesen  Gebilden  zu- 
kommt, ist  bisher  nicht  sicher  erwiesen;  s.  dag.  Wicke.  Wo  finden  sich  die 
Drüsen  am  Blatte  des  Sauerkirschbaums?) 

b)  Laubfall.  Sobald  der  Herbst  in  das  Land  zieht,  verändern  sich  die 
Blätter  des  Kirschbaumes  wesentlich:  alle  wertvollen  Stoffe,  die  sie  enthalten, 
werden  in  den  Stamm  und  die  Aste  geleitet,  um  im  nächsten  Frühjahre  zum 
Aufbau  der  jungen  Zweige,  Blätter  und  Blüten  wieder  verwendet  zu  werden. 
Infolge  dieses  Verlustes  erscheinen  die  Blätter  wie  ausgetrocknet;  sie  färben 
sich  gelb  und  rot  und  lösen  sich  schließlich  vom  Baume.  Die  Trennung  erfolgt 
in  einer  Korkschicht,  von  welcher  der  Blattstiel  am  Grunde  quer  durchsetzt 
wird.  Da  diese  Schicht  sehr  leicht  reißt,  wird  das  Blatt  schon  durch  einen 
leisen  Windstoß  oder  die  eigene  Schwere  zu  Fall  gebracht.  (Dieselben  Erschei- 
nungen sind  an  allen  unsern  Laubbäumen  und  den  meisten  Sträuchern  —  s.  aber 
Efeu  und  andere  immergrüne  Gewächse  —  zu  beobachten.  Die  Stauden  — 
Beispiele!  —  sterben  bis  auf  die  unterirdischen  Teile  ab.) 

Durch  das  Abfallen  der  Blätter  verliert  der  Baum  eine  Menge  von  Stoffen, 
die  er  sich  aus  dem  Boden  oder  der  Luft  (Kohlenstoff)  erworben  hat.  Es  scheint 
daher,  als  ob  der  herbstliche  Laubfall  für  ihn  von  großem  Nachteil  wäre. 
Daß  dies  jedoch  nicht  der  Fall  ist,  werden  wir  einsehen,  wenn  wir  die  Ur- 
sachen des  Laubfalls  kennen  gelernt  haben.  Leicht  anzustellende  Beobach- 
tungen sollen  uns  dabei  leiten. 

Die  Blätter  von  Goldlackpflanzen,  die  wir  während  des  Winters  im  Garten 
belassen,  werden,  sobald  Kälte  eintritt,  welk,  runzelig  und  hängen  schlaff  herab. 
Dasselbe  beobachten  wir  an  Goldlackpflanzen,  die  wir  im  Zimmer  halten,  sobald 
wir  ihnen  nicht  genügend  Wasser  zuführen.  Tritt  wieder  milde  Witterung  ein, 
oder  begießen  wir  die  dürstenden  Zimmerpflanzen,  so  werden  die  Blätter  auch 
wieder  straff  und  richten  sich  empor.  Bohnen-  und  Tabakpflanzen  vertrocknen 
sogar,  sobald  sich  die  Luft  auf  einige  Grad  über  Null  abkühlt.  (Man  sairt 
ungenauer    Weise    —    warum?    —    sie   seien    ., erfroren".)      Nun    wissen    wir. 


92 


30.  Farn.  Eosenartige  Gewächse. 


daß  die  Blätter  dann  welk  werden,  wenn  sie  mehr  Wasser  verdunsten,  als  die 
Wurzeln  aufnehmen  können  (Zimmerpflanzen!).  Wasser  stand  aber  den  Gold- 
lackpflanzen im  Freien,  sowie  den  Bohnen  und  dem  Tabak  genügend  zur  Ver- 
fügung. Daß  sie  dennoch  welkten,  ist  ein  Zeichen  dafür  daß  ihre  Wurzeln  doch 
nicht  soviel  Wasser  aufnahmen,  wie  nötig  war,  um  den  Verlust  zu  ersetzen. 
Wie  unsere  Lebenstätigkeiten  stocken  und  schließlich  ganz  aufhören,  sobald 
die  Blutwärme  unter  37  °  C.  sinkt ;  wie  Eidechsen  und  Lurche  bei  eintretender 
Kälte  in  Erstarrung  verfallen :  so  stellen  nämlich  auch  die  Wurzeln  ihre  Arbeit 
ein,  sobald  sich  der  Erdboden  stark  abkühlt.  Das  kann  bei  der  einen  Pflanze 
(Bohne,  Tabak)  früher,  bei  der  anderen  (Goldlack)  später  geschehen,  genau 
wie  dies  bei  den  verschiedenen  Tieren  der  Fall  ist.  Entzieht  man  nun  einer 
Pflanze  längere  Zeit  das  Wasser  (Versuch!),  so  vertrocknet  sie  schließlich, 
d.  h.  sie  geht  an  Wassermangel  zu  Grunde.  So  würde  es  dem  Kirschbaum  und 
anderen  Bäumen  auch  ergehen,  wenn  sie  nicht  im  Herbste  ihr  Laub  verlören:  die 
Blätter  würden  immerfort  Wasser  verdunsten;  da  die  Wurzel  aber  aus  dem 
Boden,  der  sich  schon  im  August  und  September  (kurze  Tage,  lange  Nächte!) 
stark  abzukühlen  beginnt,  keinen  Ersatz  schaffen  kann,  so  würden  die  Pflan- 
zen schließlich  vertrocknen,  absterben.  Infolge  des  herbstlichen  Laub- 
falls verlieren  die  Pflanzen  zwar,  wie  oben  erwähnt,  eine  Menge  von  Stoffen; 
aber  dieser  Verlust  ist  bei  weitem  nicht  so  schlimm, 
als  wenn  sie  ihr —  Leben  verlieren  würden!  (Vgl. 
aber  unsere  Nadelhölzer;  s.  Kiefer.  —  Wie  bei  uns 
die  kalte  Jahreszeit,  ist  in  sehr  trockenen  Tropen- 
gegenden die  heiße  Jahreszeit  die  ungünstige  für  die 
Pflanzen.  Dort  werfen  daher  die  Bäume  das  Laub 
mit  dem  beginnenden  Sommer  ab.) 

Selbst  wenn  die  Wurzeln  ihre  Tätigkeit  in 
der  kalten  Jahreszeit  nicht  einstellen  würden,  könnten 
die  Bäume  unserer  Gegenden  mit  dem  Laube  den 
Winter  nicht  überdauern.  Schon  bei  geringem 
Schneefall  würden  die  Kronen  so  stark  belastet 
werden,  daß  Zweige  und  Stamm  brechen  müßten. 
(Vgl.  dag.  die  Kiefer!     S.  auch  S.  17,  B.) 

4.    Blüte.      Die    rein    weißen,    langgestielten 
Blüten  besitzen  einen  angenehmen  Duft  und  sind  wie 
die  des  Birnbaums  gebaut  (Beweis!).    Nur  bezüglich 
des  flaschenförmigen  Fruchtknotens   macht    sich   ein 
Unterschied  geltend:   er  ist  aus  nur  einem  Frucht- 
blatte gebildet  und  steht  vollkommen  frei  im  Grunde 
des  kelcbförmigen  Blütenbodens.    Nach  erfolgter  Be- 
stäubung (welche  Insekten  vermitteln  sie?)  löst  sich  der  Blütenboden  samt  den 
Blütenteilen,  die  er  trägt,  am  Grunde  ab,  so  daß  der  Fruchtknoten  allein  auf  dem 
Blütenstiele  zurückbleibt. 


Blüte   und  Blütengrund- 
riß vom  Kirschbaum. 

Die  Blüte  ist  halb  durch- 
schnitten. Bb.  Blütenboden 
K.  Kelch  (etwa  2mal  nat.  Gr.) 


Süßkirschbaum.     Andere  Steinobstgewächse.  93 

5.  Frucht.  Die  Verbreitung-  der  Pflanze  erfolgt  wie  die  des  Weinstockes 
und  Birnbaumes  (s.  das.)  durch  Vögel,  besonders  durch  Drosseln  („Vogelkirsche"). 
Zu  diesem  Zwecke  erfährt  die  von  dem  Fruchtblatte  gebildete  Wand  des  reifen- 
den Fruchtknotens  eine  eigentümliche  Ausbildung.  Sie  spaltet  sich  in  3  deutlich 
voneinander  getrennte  Schichten:  eine  äußere,  abziehbare  Haut  von  auffallender 
Färbung  (gelblich  mit  roten  Backen,  heller  oder  dunkler  rot  bis  fast  schwarz), 
eine  saftige,  süße,  fleischige  Mittelschicht  und  eine  steinharte  Hülle,  die  den 
Samen  umschließt.  (Steinfrucht;  Steinobst.  —  Welche  Aufgaben  haben  die 
einzelnen  Teile  zu  erfüllen?  Vgl.  auch  die  unreife  Frucht  mit  Weinbeere 
und  Birne!)  In  der  Regel  entwickelt  sich  von  den  beiden  Samenanlagen  nur 
eine.     (Beachte  daraufhin  Aprikose  und  Mandel!) 

Die  Vögel,  die  nur  das  süße  Fruchtfleisch  naschen  (Sperlinge,  Stare  u.  a.) 
oder  wie  der  Kirschkernbeißer  gar  die  Kerne  zertrümmern  und  der  Samen  be- 
rauben, sind  Feinde  des  Baumes.  Die  Made  der  Kirschfliege,  die  in  dem 
Fruchtfleische  lebt,  macht  die  wohlschmeckenden  Früchte  für  den  Menschen  oft 
ungenießbar. 

Andere  Steinobstgewächse. 

Die  meisten  und  wichtigsten  Steinobstgewächse  sind  aus  Asien  zu  uns  gekommen. 
Aus  Vorderasien  stammen  die  Sauerkirsche  (P.  cerasus),  die  der  Sage  nach  Lukullus 
aus  Kerasunt  (daher  „Kirsche")  zuerst  nach  Europa  gebracht  haben  soll,  und  die 
echte  Pflaume  oder  Zwetsche  (P.  domestica).  Die  Aprikose  (P.  armeniaca)  und 
Pfirsiche  (Amygdalus  persica)  haben  in  Ostasien  oder  auch  —  worauf  die  Namen  hin- 
weisen —  in  Armenien,  bezw.  Persien  ihre  Heimat.  Alle  diese  Bäume  zählen  zu  unseren 
wichtigsten  Obstarten  und  werden  in  zahlreichen  Sorten  gebaut.  (Beschreibe  die  Bäume, 
besonders  deren  Früchte!  Verwendung?)  —  In  Süd-  und  Mitteleuropa  ist  wahrscheinlich 
die  Kriechenpfiaume  (P.  insititia)  heimisch ,  die  bei  uns  besonders  in  2  Spielarten 
gezogen  wird:  mit  gelben,  kleinen  (Mirabelle)  oder  grünen,  großen  Früchten  (Reine-claude). 
—  Der  Mandelbaum  (Amygdalus  communis)  wird  bei  uns  zumeist  nur  der  prächtigen 
Blüten  wegen  als  Ziergehölz  angepflanzt.  Für  die  Länder  um  das  Mittelmeer  dagegen 
bilden  seine  großen,  eßbaren  Samen,  die  Mandeln,  eins  der  wichtigsten  Erzeugnisse 
(Verwendung?).  Der  bei  anderen  Steinobstgewächsen  fleischige  Teil  der  Frucht  ist  bei 
ihm  lederartig  und  ungenießbar.  Die  Mandeln  sind  entweder  von  süßem  oder  bitterem 
Geschmack.  Die  bitteren  Mandeln  sind  infolge  ihres  Gehaltes  an  blausäurereichem  Bitter- 
mandelöl giftig.  Diese  Eigenschaft,  die  auch  den  Samen  der  anderen  Steinobstgewächse 
in  geringem  Grade  zukommt,  geht  aber  durch  Kochen,  Rösten  und  Backen  verloren.  Bei 
den   „Krach-  oder  Knackmandeln"   ist  die  Steinschale  dünn  und  zerbrechlich. 

An  Waldrändern  und  trockenen  Orten  bildet  die  Schlehe  (P.  spinösa)  oft  undurch- 
dringliche Hecken.  Wegen  der  schwarzen  Rinde  (im  Gegensatz  zum  „Weißdorn")  und 
der  dornigen  Äste  (s.  Birnbaum)  führt  die  sehr  zeitig  im  Frühjahr  blühende  Pflanze  auch 
den  Namen  „Schwarzdorn".  Ihr  zähes  Holz  benutzt  man  zur  Anfertigung  von  Spazier- 
stöcken. Die  schwarzen,  herben  Früchte  werden  erst  nach  einem  Froste  genießbar.  — 
In  Anlagen  findet  man  häufig  die  duftende  Weichselkirsche  (P.  mähaleb),  aus  deren 
Schößlingen  man  besonders  Pfeifenrohre  anfertigt,  und  die  Traubenkirsche  (P.  padus), 
deren  Blüten  in  großen  Trauben  stehen.  Letztere  Pflanze  wird  hier  und  da  unrechtmäßig 
auch  „Faulbaum"  (s.  das.)  genannt.  Die  schwarzen  Früchte  beider  sind  für  den  Menschen 
nicht  genießbar,  werden  aber  von  Vögeln  gern  verzehrt. 


94  30.  Farn.  Rosenartige  Gewächse. 

3.  Unterfamilie.     Rosengewächse  (Röseae). 

Mehrere  einfächerige  Fruchtknoten,  die  aas  je  einem  Fruchtblatte  gebildet  sind  und  frei 

auf  dem  Blütenboden  stehen. 

Die  Rose  (Rosa). 
A.  Die  Hundsrose  (R.  canina). 

1.  Rosenhecke.  Au  Waldrändern,  in  Gebüschen,  an  Wegen  und  ähn- 
lichen Orten  findet  sich  die  wilde  oder  Hunds-Rose  (Gegensatz  zur  „edlen"  Rose), 
oft  große,  undurchdringliche  Hecken  bildend.  Wie  kommt  eine  solche  Hecke 
zustande?  Die  jungen,  weichen  Sprosse  kommen  senkrecht  aus  dem  Boden  her- 
vor. Bald  aber  verholzen  sie  und  neigen  sich  in  großem  Bogen  mit  der  Spitze 
zur  Erde  herab.  Von  der  oberen  Seite  der  Bogen  erheben  sich  im  nächsten 
Jahre  kurze,  blütentragende  Zweige  und  sehr  lange,  aufrechte  Triebe,  die  sich 
wieder  bogenförmig  herabkrümmen  und  meist  an  den  Enden  vertrocknen.  Die 
jungen  Bogen  legen  sich  auf  die  alten  und  treiben  wieder  senkrechte  Zweige,  die 
sich  abermals  herabbiegen.  So  baut  sich  die  Hecke  immer  höher  auf,  und  so 
geben  sich  die  sehr  langen,  aber  verhältnismäßig  schwachen  Stämme  gegenseitig 
Halt  und  Stütze.  Auch  an  Umfang  und  Dichte  nimmt  die  Hecke  stetig  zu ;  denn 
aus  dem  Boden  kommen  alljährlich  neue  Sprosse  hervor,  die,  weil  unverzweigt,  sich 
leicht  durch  das  Gewirr  der  Stämme  und  Äste  hindurcharbeiten  können.  (Märchen 
von  „Dornröschen".)  Die  Undurchdringlichkeit  der  Hecke  wird  wesentlich  durch  die 

2.  Stacheln  erhöht,  die  sich  in  besonders  großer  Anzahl  an  den  jungen 
Trieben,  aber  auch  an  der  Mittelrippe  der  Blätter  und  an  den  Blütenstielen 
finden.  Im  Gegensatz  zu  den  Dornen,  die  kurze,  stechende  Zweige  darstellen 
(s.  Birnbaum),  sind  die  Stacheln  Auswüchse  der  Rinde  und  daher  leicht  abzu- 
brechen. (Beurteile  hiernach  das  bekannte  Sprichwort:  „Keine  Rose  ohne  Dorn"!) 
Sie  sind  scharf  stechend,  hakenförmig  herabgebogen  und  stellen  somit  vortreff. 
liehe  Schutzwaffen  dar:  sie  verwehren  den  Weide tieren  und  anderen  Pflanzen- 
fressern von  den  grünen  Teilen  zu  naschen,  sowie  den  gefräßigen  Schnecken  zu 
den  saftigen  Blättern  und  den  Mäusen  zu  den  wohlschmeckenden  Hagebutten  empor- 
zukriechen.  (Goethes  „Heideröschen"!)  Älteren  Stämmen  fehlt  die  Schutzwehr;  sie 
sind  durch  die  harte,    trockene  Rinde  genügend  geschützt  (vgl.  mit  Birnbaum). 

3.  Das  Blatt  ist  unpaarig  gefiedert,  d.  h.  es  besteht  aus  einer  langen 
Mittelrippe  und  5 — 7  einzelnen  Blättchen,  von  denen  sich  je  2  und  2  gegenüber 
stehen,  während  das  einzelne  oder  unpaare  Blättchen  das  Ende  der  Mittelrippe 
einnimmt  (vgl.  mit  einer  Feder!).  Die  Fiederblättchen  sind  eirund  und  am 
Rande  scharf  gezähnt.  Am  Grunde  des  Blattes  finden  sich  2  Nebenblätter, 
die  mit  der  Mittelrippe  der  ganzen  Länge  nach  verwachsen  sind.  Welche  Be- 
deutung diese  Gebilde  haben,  ist  an  wachsenden  Zweigen  (besonders  wenn  sie 
aus  der  Knospe  hervortreten)  deutlich  zu  sehen:  die  Nebenblätter  des  äußersten, 
ältesten  Blattes  umfassen  wie  eine  Scheide  das  nächst  jüngere  Blatt;  zwischen 
dessen  Nebenblättern  ist  wieder  das  nächst  jüngere  Blatt  geborgen  u.  s.  f.  Auf 
diese  Weise  sind  alle  Blätter  des  jungen  Zweiges  gleichsam  ineinander  geschachtelt 


und  die  innersten,  sehr  zarten  Blätter  durch  die  äußeren,  schon  mehr  erstarkten 
geschützt.  Die  jungen  Fiederblätter  sind,  wie  wir  dies  bereits  bei  der  Roß- 
kastanie (s.  das.)  kennen  und  verstehen  gelernt  haben,  in  der  Mittelrippe  gefaltet 
und  wie  die  Blätter  eines  Buches  eng  zusammengelegt.  —  An  den  Zweigspitzen 
finden  sich  häufig  die  wie  mit  Moos  umkleideten  Rosen-  oder  Schlafäpfel. 
Sie  sind  durch  den  Stich  der  Rosengallwespe  entstanden  und  beherbergen  in 
mehreren  Höhlen  die  Larven  des  Insekts  (s.  „Lehrbuch  der  Zoologie"). 

4.  a)  Blüte.  An  den  Blüten  erkennen  wir  den  Bau  der  Birnblüte  mit 
geringen  Abweichungen  deutlich  wieder 
(Vergleich!).  Wir  finden  einen  krugförmigen 
Blütenboden,  der  mit  einem  gelben,  fleischigen 
Ringe  abschließt  und  5  Kelchblätter,  5  rosa- 
farbene Blumenblätter  und  sehr  zahlreiche 
Staubblätter  trägt.  (Beobachte  an  der  Knospe, 
wie  die  zum  Teil  fiederspaltigen  Kelchblätter, 
sowie  die  Blumenblätter  an  den  Rändern  über- 
einandergreifen  und  somit  das  Blüteninnere 
gegen  Nässe  und  andere  Schädigungen 
schützen!)  In  der  Höhlung  des  Blütenbodens 
finden  sich  zahlreiche,  freie  Fruchtknoten, 
deren  Griffel  durch  die  Öffnung  des  „Kruges" 
ins  Freie  treten  und  dort  zu  hellgelben 
Narben  anschwellen.  Jeder  Fruchtknoten 
besteht  aus  einem  Fruchtblatte  und  enthält 
eine  Samenanlage. 

b)  Wie  beim  Birn-  und  Kirschbaume 
stehen  auch  hier  meist  mehrere  Blüten  bei- 
einander. Sie  entfalten  sich  aber  stets  nach- 
einander; denn  da  sie  von  beträcht- 
licher Größe  sind,  vermögen  sie  auch 
einzeln  die  Aufmerksamkeit  der  Insekten  zu 
erregen.     (Vgl.  mit  anderen   großblumigen 

Pflanzen!)  Mit  der  prächtigen  Blütenfarbe  wirkt  der  köstliche  Duft  als  An- 
lockungsmittel (s.  S.  97,  3). 

Die  zarten  Blumenblätter  können  wie  die  der  Klatschmohnblüte  (s.  S.  25,  b) 
großen  Insekten  nicht  als  Anflugsplatz  dienen.  Ein  solcher  wird  vielmehr 
von  den  zahlreichen  Narben  und  dem  fleischigen  Ringe  gebildet.  (Inwiefern  wird 
durch  diese  Einrichtung  die  Möglichkeit  der  Fremdbestäubung  erhöht?) 

Den  Bestäubern  gewährt  die  Rose  nur  Blütenstaub  als  Gegengabe  (welche 
Insekten  hast  du  in  ihr  beobachtet '?).  Wir  finden  daher  bei  ihr  auch  viel  mehr 
Staubblätter  als  in  den  honigreichen  Blüten  des  Birn-  und  Kirschbaums  und 
wie  bei  der  Mohnblüte  große,  muschel förmige  Blumenblätter,  die  den 
verstreuten  Staub  auffangen. 


Blüte     und     Blüteiigrundriß     der 
Hundsrose.  Die  Blüte  ist  halb  durch- 
schnitten. Bb.  Blütenboden.  K.  Kelch. 
(Vi  nat.  Gr.). 


96  30.  Farn.  Rosenartige  Gewächse. 

"Wenn  irgend  möglich,  folgt  die  geöffnete  Blüte  dem  Laufe  der  Sonne. 
Gegen  Abend  schließt  sie  sich.  Die  Blumenblätter  neigen  sich  zusammen 
und  bilden  ein  schützendes  Dach  für  den  Blütenstaub,  den  der  nächtliche  Tau 
leicht  verderben  könnte. 

5.  Frucht.  Wie  die  Frucht  vom  Birn-  und  Kirschbaume  wird  auch  die 
der  Rose  durch  Vögel  verbreitet.  Dementsprechend  färbt  sich  der  schwellende 
Blütenboden  scharlachrot  (Anlockung  der  Vögel)  und  wird  fleischig  und  wohl- 
schmeckend (Nahrung  der  Verbreiter).  Im  Innern  des  fleischigen  „Kruges"  finden 
sich  die  zahlreichen,  behaarten  Früchte,  die  je  ein  kleines,  hartschaliges  Nüßchen 
darstellen  (Schutz  gegen  Verdauungssäfte).  Die  „Hagebutte"  ist  also  eine 
Scheinfrucht  wie  die  Birne  und  zugleich  eine  „Sammelfrucht".  (Gib  weitere 
Unterschiede  zwischen  Birne  und  Hagebutte  an !)  —  Nach  Entfernung  der  steif- 
haarigen Früchte  wird  die  Hagebutte  auch  vom  Menschen  genossen. 

B.  Die  edle  Rose. 

1.  Die  edle  Rose  gilt  schon  seit  dem  grauen  Altertume  als  die  Königin 
unter  den  Blumen.  Der  zarte  Bau,  die  Farbenpracht  und  der  köstliche  Duft 
der  Blüten  haben  ihr  diesen  Rang  erobert.  Sie  gilt  daher  als  das  Sinnbild  der 
Jugend  („Rosenzeit  des  Lebens"),  der  Unschuld  und  Schönheit,  und  in  zahllosen 
Liedern  ist  sie  gefeiert.  Mit  Rosen  schmücken  wir  uns  und  unser  Heim  bei 
fröhlichem  Feste,  und  Rosen  legen  wir  unsern  Lieben  auf  den  stillen  Grabhügel. 

2.  In  fast  unendlicher  Mannigfaltigkeit  findet  sich  die  Rose  in  den 
Gärten.  Von  den  zahlreichen  Sorten  —  man  zählt  deren  mehr  als  6000  — 
seien  nur  die  beiden  bekanntesten  genannt,  die  rote  Gartenrose  oder  Centifolie 
(d.  h.  die  Hundertblättrige)  und  die  allbekannte  „weiße  Rose".  Von  den  meisten 
Sorten  kennen  wir  weder  Heimat,  noch  Herkunft.  Nur  soviel  ist  sicher,  daß 
die  edle  Rose  viel  mehr  ein  Erzeugnis  menschlicher  Kunst  als  eine  „Schöpfung 
der  Natur"  ist.  Das  beweist  schon  die  Tatsache,  daß  es  keine  wilde  Rosen- 
art gibt,  die  wie  unsere  edle  Rose  gefüllte  Blüten  besitzt.  Solche  Blüten 
sind  entweder  dadurch  zustande  gekommen,  daß  Staubblätter  in  Blumenblätter 
umgewandelt  sind,  oder  daß  eine  Vermehrung  der  Blumenblätter  über  die  Fünf- 
zahl der  wilden  Formen  hinaus  erfolgt  ist.  Für  ersteres  sprechen  die  Übergänge, 
die  sich  vielfach  zwischen  Blumen-  und  Staubblättern  finden,  für  das  zweite, 
daß  es  zahlreiche  Sorten  gibt,  die  wohl  eine  erhöhte  Zahl  von  Blumenblättern 
besitzen,  zugleich  aber  die  Staubblätter  wohl  ausgebildet  und  vollzählig  er- 
halten haben. 

Die  Züchtung  der  zahllosen  Sorten  ist  einesteils  in  derselben  Weise  wie 
die  aller  anderen  Kulturpflanzen  erfolgt  (s.  S.  19):  man  pflanzte  wilde  Rosen- 
arten (unsere  heimatliche  Pflanzenwelt  weist  deren  schon  eine  ganze  Anzahl 
auf,  die  sich  aber  sehr  stark  ähneln)  in  besseren  Boden,  ließ  ihnen  eine  sorg- 
same Pflege  angedeihen  und  wählte  stets  nur  die  Pflanzen  zur  Fortzucht  aus, 
bei  denen  eine  Vermehrung  der  Blumenblätter  eingetreten  war.  Anderenteils 
suchte  man  die  Arten  unter  einander  zu  „kreuzen" :  man  brachte  Blütenstaub 
einer  Art  auf  die  Narben  einer  anderen,  und  aus  den  dadurch  entstehenden  Samen 


Edle  Rose.     Ändere  Rosengewäehse.  97 

gingen  Pflanzen  hervor,  welche  die  Eigenschaften  beider  „Eltern"  zeigten.  Mit 
diesen  Mischlingen,  Hybriden  oder  Bastarden  verfuhr  man  nun  weiter  in 
der  zuerst  angedeuteten  Weise,  und  noch  heutzutage  werden  bei  der  Zucht  neuer 
Sorten  genau  dieselben  Wege  eingeschlagen.  Die  Vermehrung  der  edlen 
Sorten  erfolgt  stets  durch  „Augen",  die  man  wilden  Rosenstämmen  mit  Hilfe 
des  Okulierens  (s.  S.  86)  einpflanzt. 

3.  Der  Duft  sowohl  der  wilden,  als  auch  der  edlen  Rosen  rührt  von  einem 
Öle  her,  das  sich  leicht  verflüchtigt  und  auf  Papier  keinen  bleibenden  Fettfleck 
zurückläßt  (flüchtiges  Öl  im  Gegensatz  zu  den  fetten  Ölen;  s.  S.  16,  A.).  Dieses 
„Rosenöl"  wird  (durch  Destillation  mit  Wasser)  als  ein  überaus  teurer  und 
wertvoller  Stoff  besonders  in  der  Türkei  und  Persien,  aber  auch  in  zahlreichen  ande- 
ren Ländern  aus  den  Blüten  bestimmter  Sorten  gewonnen  und  zur  Herstellung 
wohlriechender  W^ässer,  zum  Parfümieren  von  Seifen,  Salben  und  dgl.  benutzt. 
Andere  Rosengewächse. 

In  sonnigen  Wäldern  und  Gebüschen,  an  Bergabhängen  und  ähnlichen  Orten  findet 
sich  die  Wald-Erdbeere  (Fragäria  vesca)  als  eine  unserer  gemeinsten  Pflanzen.  Aus 
den  Achseln  der  dreizähligen  Blätter  (beobachte,  wie  sie  sich  entfalten !)  entspringen 
lange  Ausläufer,  die  wie  beim  Veilchen  zahlreiche  junge  Pflanzen  ins  Dasein  rufen.  Die 
weißen  Blüten  sind  nachts  und  bei  Regenwetter  nickend  (Bedeutung!).  Nach  erfolgter 
Bestäubung  richten  sie  sich  nicht  wieder  empor  (warum  ist  dies  auch  nicht  nötig?),  so 
daß  die  reifende  „Frucht"  von  dem  Kelche,  zu  dem  noch  ein  5-blättriger  „Außenkelch" 
tritt,  wie  von  einem  Dache  überdeckt  ist.  Der  stielförmig  verlängerte  Blütenboden  ver- 
größert sich  jetzt  immer  mehr,  indem  er  zugleich  fleischig  und  saftig  wird.  In  ihm  sind 
die  zahlreichen  Früchte,  die  je  ein  winziges  Nüßehen  darstellen,  zur  Hälfte  eingesenkt. 
Das  so  entstehende  Gebilde  nennen  wir  bekanntlich  „Erdbeere".  In  ihr  haben  wir  also 
wie  in  der  Hagebutte  eine  Schein-  und  Sammelfrucht  vor  uns. 
Die  scharlachroten,  duftenden  Beeren  erscheinen  für  uns  viel-  /         \ 

fach  zwischen  dem  Laube  versteckt ;    nicht    so    aber    für   die 

Vögel  (Drosseln  u.  a.),  die  sich  gern  am  Waldboden  aufhalten  J  )     -JZ 

und  die  Verbreitung  der  Pflanze  besorgen.    (Wie  ist  die  Erd-  (Jf  v'ish 

beere  im  einzelnen    dieser  Verbreitung    „angepaßt"?)    —  Die  ^: '■'  1 

Erdbeeren,    die    wir   im    Garten    bauen    (Verwendung?),    ent- 
stammen zumeist  ausländischen  Arten.   Sie  zeichnen  sich  durch  .  ■■  fl  """ — *J 
besondere  Größe  aus,   stehen  aber  an  Duft  und  Wohlgeschmack           (       iSa^ 
(„Aroma")    weit   hinter   den    Walderdbeeren    zurück.    —    An  7  j 
feuchten  Waldstellen  und  besonders  gern  auf  Waldblößen  bildet                   " 
die  Himbeere  (Rubus  idabus)  oft  ausgedehnte  Bestände  (Aus-       Schein-   und  Sammel- 
läufer 1).     Die  Stämme  sind  dicht   mit  Stacheln    besetzt    (vgl.       frucht    der   Erdbeere. 
mit  Rose),  tragen  erst  im  2.  Jahre  Blüten  und  sterben    nach       Bb    der  fleischig  gewor- 
der Fruchtreife  ab.     (Warum  kommen  die  Blüten    später    als       dene    Blütenboden.      Fr. 
bei  der  Stachel-  und  Johannisbeere  zum  Vorschein  ?)  Die  Blät-            Eine  Einzelfrucht, 
ter    sind    wie    bei    der    Salweide  (s.  das.)  auf  der  Unterseite 

weißfilzig.  Aus  jedem  der  zahlreichen  Fruchtknoten,  die  auf  dem  stielförmig  verlängerten 
Blütenboden  stehen,  bildet  sich  bei  der  Reife  eine  kleine  Steinfrucht  (s.  Kirsche).  Die 
Gesamtheit  der  Früchtchen  bildet  die  „Himbeere",  die  also  eine  Sammelfrucht  ist  (warum 
nicht  auch  eine  Scheinfrucht?).  Der  wohlschmeckenden  Früchte  wegen  (Verbreitung 
Schmeil,   Lehrbuch  der  Botanik.  7 


98 


30.  Fani.  Rosenartige  Gewächse.     31.  Farn.  Schmetterlingsblütler. 


Ijw: 


durch  Vögel!)  zählt  die  Pflanze  zu  unseren  wichtigsten  Beerenobstarten.  Sie  gehört  mit 
der  Brombeere  (R.  fruticösus),  die  von  den  Botanikern  in  zahlreiche,  schwer  zu  unter- 
scheidende Arten  gespalten  ist,  zu  derselben  Gattung  (weise  dies  aus  dem  Bau  der 
Frucht  nach  !). 

Im  Gegensatz  zu  den  besprochenen  Pflanzen  haben  die  folgenden  Arten  saft-  und 
schinacklose  Früchte.  Daher  werden  sie  auch  nicht  durch  Vögel  verbreitet.  Dies 
sehen  wir  z.  B.  deutlich  an  den  Fingerkräutern  (Potentilla),  deren  Sammelfriichte 
genau  wie  die  der  Erdbeere  gebaut  sind,  aber  vollkommen  trocken  bleiben.  Von 
den  zahlreichen  Arten  seien  nur  genannt :  das  gelbblühende  Frühlings-F.  (P.  venia"), 
das  an  trockenen  Stellen  wächst  und  zu  unsern  ersten  Frühlingsblumen  zählt, 
und  das  Gänse -F.  (P.  anserina),  das  sich  häufig  in  der  Nähe  der  Menschen 
findet  (auf  Gänseweiden  —  Name !)  und  zierlich  gefiederte ,  unterseits  silberweiße 
Blätter,  sowie  gleichfalls  gelbe  Blüten  hat.  —  Eine  unserer  bekanntesten  Pflanzen, 
die  geineine  Nelkenwurz  (Geum  urbänum),  wird  wie  die  Möhre  durch  vorbeistrei- 
fende Tiere  verbreitet.  Dies  geschieht  vermittelst  des  Griffels,  der  nach  dem  Ver- 
blühen weiter  wächst  und  schließlich  ver- 
holzt. Indem  sich  sein  oberer  Teil  ablöst 
(a,  b),  gestaltet  sich  der  untere  zu  einem 
kräftigen  Haken  um  (c).  Die  Pflanze  fin- 
det sich  unter  Gebüsch  (große ,  zarte 
Blätter!  beachte  die  Form  der  Fieder- 
blättchen besonders  an  den  herbstlichen 
Rosetten!).  Die  nelkenartig  riechende 
Wurzel  (Name !)  wird  vom  Volke  gegen 
allerlei  Krankheiten  angewendet  („Heil 
aller  Welt").  —  Ihre  nächste  Verwandte, 
die  Bach-Nelkenwurz  (G.  riväle),  hat 
nickende  Blüten  (Bedeutung?).  Da  sie 
einen  großen,  abwärts  geschlagenen  Kelch 
besitzt,  der  die  gelben  Blumenblätter  zum 
großen  Teil  verdeckt,  so  ist  auch  dieser  farbig  (rotbraun)  entwickelt.  Der  obere 
Abschnitt  des  Griffels  fällt  bei  der  Fruchtreife  nicht  ab.  Er  dient  vielmehr,  da  er  mit 
langen  Haaren  dicht  besetzt  ist,  der  Verbreitung  durch  den  Wind.  —  Der  gelbblühende 
Odermennig  (Agrirnönia  eupatöria),  der  sich  häufig  an  Hecken  und  Wegrändern  findet, 
häkelt  seine  Früchte  gleichfalls  Tieren  an.  Hier  ist  es  der  Blütenboden,  der  zahlreiche, 
widerhakige  Stacheln  trägt.  —  Mehrere  Rosengewächse  haben  sehr  kleine  Blüten.  Da 
letztere  aber  zu  großen  Blütenständen  gehäuft  sind,  werden  sie  den  Insekten  doch  auf- 
fällig. Das  sehen  wir  z  B  an  den  prächtigen  Blütensträußen  der  allbekannten  Sumpf- 
Spierstaude  oder  des  Mädesüß  (Ulmäria  pentapetala).  Gleich  zahlreichen  anderen  Ge- 
wächsen feuchter  Standorte  (Beispiele !)  hat  die  stattliche  Pflanze  Blätter  mit  weiß- 
filziger Unterseite  (s.  Salweide).  —  Unterseits  helleres  Laub  hat  auch  der  Wiesenknopf 
(Sanguisörba  officinälis),  der  gleichfalls  auf  nassen  Wiesen  häufig  vorkommt,  und  dessen 
sehr  kleine,  rotbraune  Blüten  zu  Köpfchen  vereinigt  sind  (Name!).  —  Beim  Frauen- 
mantel (Alchemilla  vulgaris)  werden  die  unscheinbaren  Blüten  trotz  der  Häufung  (für 
uns!)  wenig  auffällig.  Am  Morgen  findet  man  im  Grunde  der  Blätter,  die  einem  ausge- 
breitetem Mantel  nicht  unähnlich  sind  (Name !),  je  eine  große,  glänzende  Wasserperle, 
die  aus  den  zusammengeflossenen  Tautröpfchen  entstanden  ist  („Taubecher"). 


Fruchtstand  und  Einzelfrüchte  der 
meinen  Nelkenwurz. 

Bezeichnungen  sind  im  Texte  erklärt 


Andere  Rosengewächse.     Gemüsebohne.  99 

31.  Familie.     Schmetterlingsblütler  (Papilionäa 

Pflanzen,  die   „Schmetterlingsblüten"   besitzen  (s.  S.  105)  und  deren  Frucht   eine   „Hälse" 

ist  (s.  S.   108). 

1.  Die  Geiniisebohne  (Phaseolus  vulgaris). 

1.  Heimat  und  Bedeutung.  Die  Geinüsebohne  hat  gleich  der  Feuer- 
bohne (Ph.  multiflörus),  die  meist  als  Schlingpflanze  an  Lauben  und  dgl.  ge- 
zogen wird,  ihre  Heimat  im  tropischen  Amerika.  Wie  schon  ihr  Art-Name  an- 
deutet, ist  sie  eine  wertvolle  Gemüsepflanze:  sowohl  die  grünen  Früchte,  als 
auch  die  reifen  Samen  („Bohnen")  dienen  uns  als  nahrhafte  Speise.  Wie 
von  allen  anderen  wichtigen  Nutzpflanzen  hat  man  auch  von  ihr  eine  große 
Menge  von  Sorten  gezogen  (s.  S.  19).  Einige  derselben,  die  Zwerg-  oder  Busch- 
bohnen (Gegensatz:  Kletter-  oder  Staugenbohnen),  haben  unter  der  zwingenden 
Hand  des  Menschen  sogar  eine  wichtige  Eigenschaft  der  Art,  das  Emporklettern 
an  Stützen,  abgelegt. 

2.  Same.  Legen  wir  einige  „Bohnen"  (oder  „Feuerbohnen")  etwa  12  Stun- 
den in  das  Wasser,  so  läßt  sich  die  verschieden  gefärbte,  lederartige  Haut,  die 
Samenhaut,  von  der  die  Bohnen  rings  umgeben  sind,  leicht  abziehen.  Ander 
Stelle,  an  der  die  Bohnen  zumeist  etwas  eingebuchtet  sind,  besitzt  die  Samen- 
haut einen  matten  Fleck,  den  sog.  Nabel,  d.  i.  die  Stelle,  an  der  die  Bohnen 
durch  je  ein  Stielchen  an  der  Fruchtwand  festsaßen.  Nach  Entfernung  der 
Samenhaut  erblicken  wir  2  große,  halbnierenförmige  Körper,  die  Keimblätter 
(Kotyledonen  —  Zweikeimblättrige  Pflanzen,  Blattkeimer  oder  Dikotylen;  s.  dag. 
Roggen!).  Beseitigen  wir  eins  derselben,  so  sehen  wir  deutlich  das  zukünftige  Pflänz- 
chen:  wir  erblicken  einen  winzigen  Stiel,  aus  dessen  unterem  Ende,  dem  Würzel- 
chen, die  Wurzel  der  Pflanze  hervorgeht,  der  in  der  Mitte  die  beiden  großen 
Keimblätter  und  am  oberen  Ende  eine  Knospe  trägt,  an  der  die  ersten  Laub- 
blätter bereits  deutlich  zu  erkennen  sind.  Der  Same  der  Bohne  ist  also 
die  von  der  Samenhaut  umschlossene  Anlage  oder  der  Keim  der 
jungen  Pflanze.  Wenn  wir  bedenken,  wie  zart  die  einzelnen  Keimteile  sind, 
so  wird  uns  die  Bedeutung  der  lederartigen  Samenhaut  als  einer  Schutzhülle 
wohl  verständlich.  Der  zarteste  Keimteil,  die  Knospe,  ist  wieder  zwischen  den 
derberen  Keimblättern  geborgen.  —  Um  die  weitere  Entwicklung  des  Keims  zum 
jungen  Pflänzchen  oder 

3.  die  Keimung-  zu  verfolgen,  legen  wir  abermals  einige  Bohnen  in  das 
Wasser.  Schon  nach  einiger  Zeit  haben  sie  sich  so  voll  Wasser  gesogen,  daß 
sie  an  Umfang  und  Gewicht  (Beweis  durch  WTiegen!)  stark  zugenommen  haben. 
Schließlich  sprengt  der  sich  immer  mehr  ausdehnende  Keim  die  Samenhaut,  und 
das  Würzelchen  kommt  zum  Vorschein. 

Legen  wir  die  Bohnen  jetzt  in  lockere  Gartenerde  (oder  gut  durchfeuchtete 
Sägespäne),  so  sehen  wir,  wie  die  Wurzel  abwärts  in  den  Boden  dringt  und  bald 
nach  allen  Seiten  Nebenwurzeln  ausschickt.  Der  Stengelteil  unter  den  Keim- 
blättern   beginnt    sodann    stark   in   die  Länge    zu   wachsen.     Er   krümmt   sich 


100  31.  Farn.    Schmetterlingsblütler. 

hakenförmig,  durchbricht  den  Boden  und  zieht  —  sich  immer  mehr  streckend  — 
schließlich  die  nach  unten  gerichteten  Keimblätter  samt  der  Knospe,  die  sich 
unterdes  stark  vergrößert  hat,  aus  der  Erde  hervor.  Die  Keimblätter  tun 
sich  jetzt  auseinander;  das  Stengelstück  über  ihnen  wächst  in  die  Länge  und 
streckt  sich  gerade;  das  erste  Blattpaar  entfaltet  sich;  alle  oberirdischen  Teile 
ergrünen:  und  die  junge  Pflanze  steht  fertig  da.  Während  der  Stengel  kräftig 
weiter  wächst  und  Blatt  um  Blatt  treibt,  verschrumpfen  die  Keimblätter  nach 
und  nach  und  fallen  schließlich  vom  Stengel  ab.  (Bei  der  Feuerbohne,  der 
Erbse  und  zahlreichen  anderen  zweikeimblättrigen  Pflanzen  bleiben  die  Keim- 
blätter unter  der  Erde). 

Diese  Vorgänge  geben  uns  mancherlei  zu  denken: 

a)  Legen  wir  Bohnen  (oder  irgend  welche  andere  Samen)  an  einen  trockenen 
Ort,  so  keimen  sie  niemals.  Erst  nachdem  sie  befeuchtet  (in  feuchte  Erde  ge- 
legt) werden,  geschieht  dies.  Warum  versorgt  aber  die  Mutterpflanze  den 
Keimling  nicht  gleich  mit  dem  zum  Keimen  notwendigen  Wasser?  Die  Ant- 
wort auf  diese  Frage  gibt  uns  leicht  folgender  Versuch:  wir  legen  an  einem 
kalten  Wintertage  einige  trockene  und  einige  aufgequollene  Bohnen  mehrere 
Stunden  ins  Freie.  Bringen  wir  die  Bohnen  darauf  in  Blumentöpfe,  die  wir  in 
das  erwärmte  Zimmer  stellen,  so  werden  die  trockenen  Samen  bald,  die  aufge- 
quollenen aber  niemals  keimen.  Letztere  sind  durch  die  Kälte  zerstört,  sie 
sind  erfroren.  Dasselbe  Schicksal  hätten  selbstverständlich  auch 
die  Samen,  wenn  sie  das  Wasser  von  der  Mutterpflanze  erhalten 
hätten.  —  Beide  Versuche  zeigen  uns  ferner,  daß  Wasser  und  Wärme  es 
sind,  welche  die  im  Samen  schlafende  Pflanzenanlage  erwecken. 

b)  Das  Würzelchen  kommt  zuerst  aus  der  Samenhaut  hervor;  denn  die 
junge  Pflanze  muß  bereits  im  Boden  befestigt  sein,  wenn  sie  die  Erde 
durchbricht.  Da  nun  die  Verlängerung  des  Würzelchens,  die  „Hauptwurzel", 
nach  allen  Seiten  fast  rechtwinklig  abgehende  Nebenwurzeln  aussendet,  so  ist 
die  Verankerung  um  so  sicherer:  der  Wind  kann  wehen,  aus  welcher 
Richtung  er  will,  er  wirft  das  Pflänzchen  nicht  um.  (Denke,  die  Nebenwurzeln 
strahlten  nur  nach  einer  oder  nach  2  oder  3  Seiten  aus  oder  stiegen  senkrecht 
in  den  Boden  hinab!  Vgl.  mit  einem  Fahnenmaste,  der  durch  Taue  be- 
festigt ist!) 

Die  Wurzel  hat  aber  noch  die  zweite  Aufgabe,  dem  Boden  im  Wasser 
gelöste  Nährstoffe  zu  entnehmen,  die  in  den  grünen  Blättern  weiter  ver- 
arbeitet werden  (s.  den  letzten  Absch.  des  Buches!).  Da  sich  die  Wurzel  nun 
zuerst  entwickelt,  kann  sie  den  Blättern  auch  sofort  Nährstoffe  zuführen,  so- 
bald sich  die  Blätter  über  den  Boden  erhoben  haben  und  ergraut  sind.  Und 
da  von  der  Hauptwurzel  nach  allen  Seiten  Nebenwurzeln  ausstrahlen,  so  ver- 
mag die  Pflanze  auch  einer  weit  größeren  Bodenmenge  Wasser  und 
Nährstoffe  zu  entziehen,  als  wenn  die  Neben  wurzeln  mit  der  Hauptwurzel 
nach  unten  wüchsen. 

c)  Die  Knospe  ist  ein  ungemein  zartes  Gebilde.    Wenn  sie  —  ihrer  Stel- 


Gemüsebohne.  101 

lung  entsprechend  und  wie  später  oberirdisch  —  beim  Durchbrechen  der  Erde 
vorangehen  würde,  müßte  sie  unbedingt  verletzt  werden.  Diese  Arbeit 
ist  daher  dem  weit  festeren  Stengel  übertragen,  der  darum  hakenartig  gebogen 
ist.  Hat  er  aber  die  Erde  gespalten  und  die  Keimblätter  samt  der  zwischen 
ihnen  geborgenen  Knospe  aus  dem  Boden  hervorgezogen,  so  streckt  er  sich 
auch  sofort  gerade.  (Welcher  Stengelteil  krümmt  sich  beim  Keimen  der  Feuer- 
bohne und  Erbse?) 

d)  Alle  Teile  des  Keimes  sind,  solange  sie  von  der  Samenhaut  umhüllt 
oder  von  Erde  umgeben  werden,  vollkommen  farblos.  Die  Teile  der  jungen 
Pflanze  dagegen,  die  sich  über  den  Boden  erheben,  ergrünen.  Lassen  wir  aber 
Bohnen  im  Finstern  keimen  (in  Blumentöpfen,  die  wir  in  einen  Schrank  stellen), 
so  bleiben  die  oberirdischen  Teile  blaß.  Stellen  wir  diese  Pflanzen  darauf  ins 
Licht,  so  ergrünen  sie  alsbald.  Das  Licht  bewirkt  also  das  Ergrünen 
der  Pflanzen.     (Andere  Beispiele!) 

e)  Die  wachsende  Pflanze  baut  sich  aus  den  Stoffen  immer  weiter  auf, 
die  in  den  grünen  Blättern  bereitet  werden  (s.  den  letzten  Absch.  des  Buches !). 
Woher  nimmt  aber  der  Keim  die  zum  Wachstum  nötigen  Stoffe,  da  er  ja  noch 
keine  solchen  Blätter  besitzt?  Die  Antwort  auf  diese  Frage  erhalten  wir,  wenn 
wir  die  Keimblätter  genauer  beobachten.  Die  anfangs  festen,  prallen  Gebilde 
werden  immer  weicher  und  schlaffer,  bis  sie  schließlich  gänzlich  verschrumpft 
vom  Stengel  abfallen :  die  wachsenden  Teile  haben  sich  auf  Kosten  der 
in  den  Keimblättern  aufgespeicherten  Stoffe  gebildet.  Die  Mutter- 
pflanze gibt  nämlich  den  Samen,  auf  daß  sie  die  „ersten  Ausgaben"  bestreiten 
können,  Vorratsstoffe  mit,  die  bei  der  Bohne  (wie  bei  allen  Schmetterlings- 
blütlern, den  Kreuzblütlern  u.  a.)  in  den  Keimblättern  eingelagert  sind.  (Bei 
zahlreichen  anderen  Pflanzen  sind  die  Vorratsstoffe  vom  Keimlinge  gesondert, 
also  nicht  in  das  Keimblatt  oder  die  Keimblätter  eingelagert;  s.  z.  B.  Roggen. 
Man  nennt  diese  Masse  „Eiweiß",  weil  sie  der  jungen  Pflanze  zum  Aufbau 
dient,  wie  das  Eiweiß  im  Vogelei  dem  sich  bildenden  Tiere.)  Läßt  man  Bohnen 
in  Sägespänen  oder  besser  (warum?)  in  ausgeglühtem  Sande  keimen,  und  be- 
gießt man  die  jungen  Pflanzen  nur  mit  destilliertem  W'asser,  so  können  sie  dem 
Boden  keine  Nährstoffe  entnehmen.  Trotzdem  wachsen  sie  aber  zu  beträcht- 
licher Höhe  empor,  ehe  sie  „an  Hunger"  zu  Grunde  gehen:  ein  Zeichen,  daß 
in  den  Keimblättern  große  Mengen  von  Vorratsstoffen  enthalten  sind.  Lassen 
wir  Samen  der  Erbse,  Linse  oder  eines  anderen  Schmetterlingsblütlers  ebenso 
keimen,  so  sehen  wir  dasselbe:  eine  Tatsache,  die  uns  den  großen  Nährwert 
der  „Hülsenfrüchte"  hinreichend  erklärt. 

4.  Stengel,  a)  Bei  den  Zwerg-  oder  Buschbohnen  (s.  Absch.  1)  ist  der  Stengel 
so  niedrig  und  kräftig,  daß  er  sich  selbst,  sowie  die  ihm  ansitzenden  Blätter,  Blüten 
und  Früchte  zu  tragen  vermag.  Die  Kletter-  und  Stangenbohnen  dagegen  besitzen 
einen  so  langen  und  schwachen  Stengel,  daß  sie  wie  der  Weinstock  (s.  S.  61,  3) 
genötigt  sind,  andere  Gegenstände  als  Stützen  zu  benutzen.  Dieses  Empor- 
steigen  geschieht   bei   der  Bohne   aber   in   ganz   anderer  Weise   als   bei  dieser 


102  31.  Fam.  Schmetterlingsblütler. 

Pflanze.  Um  es  genau  verfolgen  zu  können,  lassen  wir  Samen  in  Blumentöpfen 
keimen  und  stecken  neben  jede  junge  Pflanze  einen  dünnen  Stab  in  den  Boden. 
Anfangs  wächst  der  Stengel  gerade  empor ;  dann  aber  neigt  sich  die  Stengel- 
spitze zur  Seite  und  beginnt  langsam  kreisende  Bewegungen  auszuführen. 
In  etwa  1V> — 2  Stunden  ist  ein  Umzug  beendet.  (Bestimme  die  Zeit  an  den 
Versuchspflanzen  bei  verschiedener  Temperatur!)  Der  Stengel  „sucht"  wie  die 
Ranke  der  Weinrebe  eine  Stütze.  Hat  er  sie  gefunden,  so  wird  er  an  der 
Berührungsstelle  festgehalten.  Da  die  Stengelspitze  aber  weiter  kreist,  so  ist 
die  Stütze  bald  ein-  oder  mehrfach  locker  umwunden.  Der  Richtung  der 
kreisenden  Stengelspitze  entsprechend  verlaufen  die  Windungen  fast  wagerecht 
und  zwar  in  der  entgegengesetzten  Richtung,  in  der  sich  der  Uhrzeiger  bewegt. 
Man  sagt  daher:  die  Bohne  ist  links  w  in  den  d  (vgl.  dag.  Hopfen). 

Betupft  man  den  Stengel  in  den  wagerechten  Windungen  an  beliebiger 
Stelle  mit  Tusche  oder  Tinte  und  merkt  die  Stelle  an  der  Stütze  gleichfalls 
durch  ein  Zeichen  an,  so  wird  man  bald  finden,  daß  das  Zeichen  am  Stengel 
über  das  am  Stabe  gerückt  ist:  ein  Beweis,  daß  sich  der  Stengel  in  den 
wagerechten  Windungen  etwas  emporgerichtet  hat.  Er  hat  nämlich  wie 
jeder  wachsende  Stengel  das  Bestreben,  sich  gerade  nach  oben  zu  strecken. 
Was  die  Folge  dieses  Streckens  ist,  wird  uns  ein  anderer  Versuch  lehren:  Avil* 
winden  einen  Faden  locker  um  einen  Stab,  halten  das  untere  Fadenende  fest 
und  ziehen  das  andere  kräftig  nach  oben ;  dann  werden  die  Windungen  des 
Fadens  steiler,  und  der  Faden  legt  sich  fester  um  den  Stab.  So  werden  auch 
die  Windungen  des  sich  streckenden  Bohnenstengels  immer  steiler,  und  die 
Pflanze   schlingt  sich    immer  fester  um   die   Stütze. 

b)  Als  Hilfsmittel  beim  Festhalten  dienen  die  kurzen,  steifen  Haare,  mit 
denen  der  Stengel  dicht  besetzt  ist  (vgl.  mit  anderen  windenden  Pflanzen). 

c)  Erleichtert  wird  den  Pflanzen  das  Winden  um  die  Stütze  dadurch,  daß  die 
Blätter  an  dem  kreisenden  Stengelabschnitte  auffallend  klein  sind 
ihn  also  nur  unwesentlich  beschweren  (vgl.  mit  anderen  windenden  und  mit 
nicht  windenden  Pflanzen,  z.  B.  mit  der  Erbse!). 

5.  Blätter,  a)  Die  beiden  ersten  Blätter,  die  am  Stengel  der  jungen  Bohnen- 
pflanze entspringen,  sind  sehr  groß  und  „einfach"  ;  alle  folgenden  dagegen  sind 
aus  3  Blättchen  zusammengesetzt  (dreizählige  Blätter).  Im  Gegensatz 
zu  dem  Endblättchen  sind  die  beiden  seitlichen  ähnlich  wie  das  Lindenblatt  (s. 
S.  51)  unsymmetrisch,  und  zwar  findet  sich  die  größere  „Hälfte"  auf  der 
dem  Endblättchen  abgekehrten  Seite.  Wären  die  „Hälften"  gleich,  so  würden 
sich  die  Blättchen  (ihre  jetzige  Größe  und  Stellung  vorausgesetzt)  zum  Teil 
gegenseitig  bedecken  das  wäre  aber  für  die  Pflanze  durchaus  ungünstig,  wie 
wir  bereits  bei  der  Betrachtung  des  Lindenblattes  gesehen  haben. 

Am  Grunde  des  langen,  gemeinsamen  Blattstiels  und  der  kurzen  Stiele 
der  Einzelblättchen  finden  sich  winzige  Nebenblättchen.  Wenn  man  sieht, 
wie  in  der  Gipfelknospe  des  Stengels  die  Nebenblätter  des  ganzen  Blattes  die 
zarten,  noch  zusammengefalteten  Blättchen  umhüllen,  so  wird  man  selbst  diesen 


Gemüsebolinc     Erbse.  103 

scheinbar  wertlosen  Gebilden  jegliche  Bedeutung  für  die  Pflanze  nicht  absprechen 
können.  (Vgl.  mit  der  Knospe  der  Roßkastanie.  —  Bei  anderen  Schmetterlings- 
blütlern,  z.  B.    bei  Erbse   und  Wiesenklee,   sind  die  Nebenblätter  viel  größer.) 

b)  Am  Tage  sind  die  dreizähligen  Blätter,  wenn  sie  nicht  direkt  von  den 
Sonnenstrahlen  getroffen  werden  (im  „zerstreuten"  Lichte  stehen),  meist  wage- 
rechl  ausgebreitet.  Bei  anbrechender  Dunkelheit  aber  richtet  sich  der  gemein- 
same Blattstiel  empor,  so  daß  der  Winkel,  den  er  mit  dem  Stengel  bildet,  kleiner 
wird  (stelle  dies  mit  Hilfe  des  Transporteurs  fest!),  und  die  3  Blättchen  senken 
sich,  so  daß  sie  fast  senkrecht  herabhängen.  Indem  man  diese  Erscheinung  mit 
dem  Schlafe  der  Menschen  und  Tiere  vergleicht,  sagt  man:  die  Blätter  schlafen, 
Diese  Stellung  der  Blätter  bezeichnet  man  daher  als  Nacht-  oder  Schlaf  stellung. 
Am  Morgen  senkt  sich  der  Blattstiel,  und  die  Blättchen  richten  sieh  wieder 
empor:  das  Blatt  nimmt  die  Tagstellung  ein.  Diese  regelmäßig  sich  wieder- 
holenden Bewegungen  erfolgen  in  dem  angeschwollenen  Grunde  des  gemeinsamen 
Blattstiels  und  in  den  gleichfalls  verdickten  Stielchen  der  Einzelblätter,  in  den 
sogen.  Gelenken  des  Blattes. 

Welche  Bedeutung  hat  diese  seltsame  Erscheinung?  Wir  wissen,  daß  die 
Pflanze  dem  Boden  Nährstoffe  entnimmt,  die,  in  Wasser  gelöst,  zu  den  Blättern 
emporgehoben  werden.  Je  mehr  Wasser  also  von  den  Blättern  verdunstet  wird, 
desto  mehr  Nährstoffe  müssen  auch  in  die  Blätter  gelangen  und  hier  verar- 
beitet werden.  Jede  Hemmung  des  Stroms  ist  für  die  Pflanze  demnach  ein 
Nachteil.  Eine  solche  Hemmung  tritt  aber  ein,  wenn  die  Blätter  stark  betaut 
sind.  Nun  betauen  aber  —  wie  die  Erfahrung  lehrt  —  senkrecht  gestellte 
Blätter  viel  weniger  als  wagerecht  gestellte.  Bei  ersteren  ist  demnach  am 
Morgen  die  Verdunstung  nicht  in  dem  Grade  gehemmt  wie  bei 
letzteren. 

c)  Werden  die  Pflanzen  aber  an  warmen  Tagen  direkt  von  den  Son- 
nenstrahlen getroffen,  so  könnten  sie  leicht  mehr  Wasser  verdunsten,  als 
die  Wurzeln  aufzusaugen  vermöchten.  (Was  wäre  die  Folge?)  Dann  drehen 
sich  die  Blättchen  —  besonders  die  beiden  seitlichen  —  meist  so,  daß  ihre 
Flächen  senkrecht  zu  stehen  kommen.  Infolgedessen  werden  sie  —  wie  wir 
S.  44  gesellen  haben  —  von  den  Sonnenstrahlen  unter  spitzerem  Winkel  ge- 
troffen, nicht  so  stark  erwärmt  und  demnach  auch  weniger  Wasser  durch 
Verdunstung  verlieren,  als  wenn  sie  die  eigentliche  Tagstellnng  innebehalten 
hätten. 

6.  Die  Blüte  ist  bei  den  einzelnen  Sorten  von  sehr  verschiedener  Färbung. 
Sie  ist  eine  Schmetterlingsblüte,  die  bis  auf  geringe  Abweichungen  (stelle  sie 
fest!)  ganz  wie  die  der  Erbse  gebaut  ist  (s.  das.).  Ein  Gleiches  gilt  auch  von 
der  Frucht. 

2.  Die  Erbse  (Pisuni  sativum). 

1.  Die  Erbse,  eine  Nutzpflanze.  Die  Erbse  entstammt  den  Mittelmeer- 
Ländern  und  dient  dem  Menschen  schon  seit  undenklichen  Zeiten  als  wichtige 
Gemüsepflanze.     Wir  verspeisen  ihre  reifen  und  halbreifen  Samen;    von  einigen 


104  31.  Farn.  Schmetterlingsblütler. 

der  zahlreichen  Sorten  werden  hier  und  da  auch  die  noch  weichschaligen  Früchte 
ganz  verzehrt. 

2.  Die  Erbse,  eine  rankende  Pflanze,  a)  Der  hohe,  vielfach  verzweigte, 
hohle,  schwache  und  saftige  Stengel  kann  sich  bei  fortschreitendem  Wachs- 
tum nicht  aufrecht  erhalten.     Um 

b)  die  Blätter  dem  Lichte  und  der  Luft,  sowie  die  Blüten  den  Blicken 
der  Insekten  darzubieten,  bedient  sich  die  Pflanze  wie  der  Weinstock  (s.  das.) 
der  Hilfe  von  Banken.  Diese  Gebilde  finden  sich  an  den  Enden  der  gefiederten 
Blätter  und  umschlingen  benachbarte  Pflanzen  oder  Reiser,  die  wir  dem  schwachen 
Gewächs  als  Stütze  darbieten.  Da  sie  an  der  Mittelrippe  des  Blattes  genau 
wie  die  Fiederblättehen  angeordnet  sind  (mitunter  stehen  sich  sogar  ein  Fieder- 
blättchen und  eine  Ranke  gegenüber!),  und  da  sich  an  Stelle  des  Endblättchens 
gleichfalls  eine  Ranke  findet,  so  faßt  man  sie  als  Fiederblättchen  auf,  deren 
Blattfläche  bis  auf  die  Mittelrippe  geschwunden  ist.  Im  Gegensatz  zu  den 
„Stengelranken"  des  Weinstocks  sind  die  Ranken  der  Erbse  (wie  aller  anderen 
Schmetterlingsblütler)  also  „Blattranken". 

Als  Ersatz  für  die  in  Ranken  umgewandelten  Fiederblätter  treten  sehr 
große  Nebenblätter  auf,  die  den  Stengel  meist  umfassen.  Anfangs  sind  sie 
senkrecht  gestellt  und  umgeben  schützend  die  jungen  Blätter,  Zweige  und  Blüten ; 
dann  tun  sie  sich  auseinander,  bieten  ihre  ganze  Fläche  dem  Sonnenlichte  dar 
und  verrichten  die  Arbeiten  der  eigentlichen  Blätter.  (Beachte  die  Faltung  der 
jungen  Blätter  und  den  Wachsüberzug  aller  grünen  Teile;  vgl.  mit  Roß- 
kastanie und  Raps!) 

3.  Die  Erbse,  ein  Stickstoffsamniler.  Zieht  man  eine  kräftige  Erbsen- 
oder andere  schmetterlingsblütige  Pflanze  (Bohne,  Lupine  und  dgl.)  aus  dem 
Boden,  so  erblickt  man  an  den  Wurzeln  zahlreiche  Knöllchen  sehr  verschie- 
dener Größe  (bei  der  Lupine  werden  sie  bis  haselnußgroß),  deren  Wesen  und  Be- 
deutung man  erst  in  jüngerer  Zeit  erkannt  hat:  In  jedem  Krümchen  Ackererde 
sind  Tausende  von  Spaltpilzen  (s.  das.)  vorhanden.  Gewisse  Formen  dieser 
winzigen  Lebewesen,  die  sog.  Wurzelbakterien,  haben  die  Gewohnheit,  in  die 
feinsten  Wurzeln  der  Schmetterlingsblütler  einzudringen,  der  „Wirtspflanze" 
nährende  Stoffe  zu  entziehen  und  sich  stark  zu  vermehren.  Ähnlich  wie  an 
dem  Eichblatte,  in  das  die  Eichgallwespe  ein  Ei  gelegt  hat  (s.  „Lehrbuch  der 
Zoologie'-'),  infolge  des  Reizes  eine  Wucherung,  eine  Galle,  entsteht,  so  entstehen 
hier  durch  den  von  den  Spaltpilzen  verursachten  Reiz  jene  Knöllchen.  Die 
Wurzelspaltpilze  entnehmen  der  „Wirtspflanze"  aber  nicht  sämtliche  Stoffe,  die 
zum  Aufbau  ihres  Körpers  dienen.  Sie  besitzen  nämlich  die  wunderbare  Kraft, 
Stickstoff  aus  der  atmosphärischen  Luft  aufzunehmen  und  in  Stickstoffverbindungen 
(Eiweiß)  überzuführen,  eine  Fähigkeit,  die  allen  anderen  Pflanzen  abgeht.  Nach 
einiger  Zeit  sterben  die  Spaltpilze  ab,  die  Knöllchen  verwesen,  und  die  stick- 
stoffhaltigen Verwesungsprodukte  werden  von  der  Pflanze  aufgesogen.  Unter- 
des haben  sich  wieder  neue  Knöllchen  gebildet,  die  abermals  zu  Grunde  gehen : 
so     wird     den     schmetterlingsblü  tigen     Pflanzen     durch     Vermitt- 


Erbse. 


105 


lung  der  Spaltpilze  fortgesetzt  Stickstoff  der  Luft  zugeführt. 
Die  Pflanze  hat  also  durch  deu  Spaltpilz,  den  sie  in  den  Knöllchen  beherbergt 
und  zum  Teil  ernährt,  einen  großen  Vorteil.  Beide,  Pflanze  und  Spaltpilz,  sind 
nehmend  und  gebend  zu  gleicher  Zeit. 
Sie  haben  sich  zu  gegenseitigem  Nutzen 
vergesellschaftet;  sie  bilden  eine 
.. P  I  la  nzengenossenschaft"  und 
führen  ein  „Genossenschaftsleben" 
(Symbiose),  ähnlich  wie  wir  es  zwi- 
schen gewissen  Tieren,  sowie  zwischen 
einigen  Tier-  und  Pflanzenformen  fin- 
den (s.  „Lehrbuch  der  Zoologie"). 

Die  Tatsache  der  Stickstoffauf- 
nahme aus  der  atmosphärischen  Luft 
hat  nun  für  die  Landwirtschaft 
eine  ganz  außerordentliche  Bedeutung. 
Mit  jeder  Ernte  entnimmt  der  Land- 
mann  dem  Felde  eine  große  Menge 
stickstoffhaltiger  Verbindungen  (beson 
ders  in  der  Form  von  Eiweiß.)  Soll 
das  Feld  im  nächsten  Jahre  wieder 
eine  gute  Ernte  bringen,  so  muß  er 
dem  Acker  neue  Stickstoffverbindungen 
zuführen.  Dies  geschieht  bekanntlich 
durch  Düngung  mit  tierischen  Auswurf- 
stoffen und  verwesenden  Pflanzenteilen. 
Baut  der  Landmann  aber  schmetter- 
lingsblütige  Pflanzen,  die  er  nicht  ab- 
erntet, sondern  unterpflügt,  so  be- 
sorgen diese  durch  Vermitt- 
lung der  Wurzelbakterien  die 
Düngung  des  Bodens.  Als  der 
beste  „Stickstoffsammler"  hat  sich  die 
Lupine  bewährt.  Da  sie  eine  sehr  „ge- 
nügsame" Pflanze  ist,  vermag  der  Land- 
mann mit  ihrer  Hilfe  selbst  dem  san- 
digsten Acker  noch  einen  Ertrag  abzuringen:  er  baut  sie  als  Viehfutter 
oder  pflügt  sie  als  Dünger  für  „anspruchsvollere"  Gewächse  (Getreide,  Rüben 
u.  s.  w.)  in  den  Boden.  Finden  sich  in  dem  Ackerlande  keine  Wurzelbakterien, 
so  vermögen  die  Hülsenfrüchte  hier  auch  nicht  ihre  segensreiche  Tätigkeit  zu 
entfalten. 

I.    Die   Erbse,  ein  Schmetterlingsblütler.      Die  seitlich   symmetrische 
Blüte  (s.  30,  a)  hat  einige  Ähnlichkeit  mit  einem  Schmetterlinge  (Familienname  1). 


Wurzel  der  Erbse  mit  Wurzelknöll- 
chen  (nat.  Gr.).  Daneben:  Z.  Zelle  aus 
einem  Wurzelknöllchen,  dicht  mit  Spalt- 
pilzen erfüllt.  (120mal  vergr.).  B.  Spalt- 
pilze bei  starker  (etwa  800  maliger)  Ver- 
größerung. 


106 


31.  Fam.  Schmetterlingsblütler. 


Der  becherförmige  Kelch  (der  Kopf  des  Schmetterlings!)  ist  in  5  Zipfel  aus- 
gezogen, ein  Zeichen,  daß  er  durch  Verwachsung  ebenso  vieler  Blättchen  ent- 
standen ist.  Die  Blumenblätter  sind  meist  sämtlich  weiß  gefärbt  und 
unter  sich  an  Größe  und  Gestalt  sehr  verschieden.  Das  obere,  aufgerichtete 
Blatt  wird  als  Fahne  bezeichnet;  die  beiden  seitlichen  Blätter  heißen  Flügel,. 


Blüte  der  Erbse,  in  die  einzelnen 
Teile  zerlegt  (P/2  mal  nat.  Gr.).  Fa. 
Fahne.  Fl.  Flügel.  Seh.  Schiffchen. 
K.  Kelch,  von  dem  der  vordere  Teil 
entfernt  ist. 


JHS6. 


Schiffchen  der  Erbsenblüte,  3  mal  nat. 
Gr.  und  durch  Beseitigung  der  rechten 
Hälfte  geöffnet.  Gr.  Griffel  mit  Narbe  und 
Griffelbürste.  RSb.  die  ans  den  9  ver- 
wachsenen Staubblättern  gebildete  Röhre. 
(Von  den  Staubblättern  sind  nur  4  zu 
sehen.)  f.Sb.  freies  Staubblatt.  H.  Zu- 
gang zum  Honig. 


und  die  unteren  sind  zu  einem  kahnförmigen  Gebilde,  dem  Schiffchen,  ver- 
wachsen. Das  Schiffchen  umschließt  schützend  (Regen,  Tau,  Näscher!)  den 
Stempel  und  die  Staubblätter.  Der  langgestreckte  Fruchtknoten,  über 
dessen  Bau  uns  am  besten  die  Frucht  belehrt  (s.  das.),  setzt  sich  in  einen  langen 
Griffel  fort.  Unter  der  Narbe  am  Griffelende  findet  sich  ein  einseitiger 
Haarbesatz,  den  man  treffend  als  Grif felbürste  bezeichnet.  Staub- 
blätter sind  10  vorhanden.  Die  Fäden  von  9  derselben  sind  miteinander  zu 
einer  oben  offenen  Bohre  verwachsen,  die  den  Frucht- 
knoten wie  eine  Scheide  umschließt.  Der  Spalt  zwi- 
schen den  Rändern  der  Röhre  wird  von  dem  Faden  des 
10.  (freien)  Staubblattes  bedeckt.  Der  Honig  wird 
von  der  Innenseite  der  Staubblätter  am  Grunde  der 
Röhre  abgesondert. 

Der  verwickelte  Blütenban  der  Erbse,  von  dem 
wir  in  folgendem  noch  weitere  Einzelheiten  kennen  lernen 
werden,  ist  (wie  der  Blütenbau  der  Schmetterlingsblütler 
überhaupt)  nur  zu  verstehen,  wenn  wir  die  Be- 
stäubung genau  verfolgen : 

, Insektenblütlern"  werden  auch  hier  die  Bestäuber  durch 
die  bunten  Blumenblätter  angelockt.  Und  zwar  ist  es  besonders  die  Fahne, 
welche   die   Blüte   auffällig   macht:   sie   ist   groß,   breit    und   senkrecht  empor- 


Blütengrundrig  der 
Erbse. 

a)  Wie  bei  allen 


Erbse.  107 

gerichtet,  ein  wirkliches  „Aushängeschild".  —  An  Blüten,  die  sich  noch  nicht 
geöffnet  haben,  umhüllt  die  Fahne  die  übrigen  Teile  wie  eine  schützende  Decke; 
sie  setzt  also  die  Arbeit  fort,  die  zuerst  der  Kelch  verrichtete. 

1))  Die  Flügel,  die  das  Schiffchen  vollkommen  überdecken,  dienen  dem 
saugenden  Insekt  als  „Sitzbrett".  Sie  besitzen  —  von  anderen  Unebenheiten 
abgesehen  —  da,  wo  sie  sich  zu  verbreitern  beginnen,  eine  tiefe,  nach  innen 
gerichtete  Einbuchtung,  die  genau  in  eine  entsprechende  Vertiefung 

c)  des  Schiffchens  eingreift.  Hierdurch  werden  Kahne  und  Schiff- 
chen fest  miteinander  verbunden,  gleichsam  verankert.  Drückt  man  daher  mit 
einem  Stäbchen  die  Flügel  etwas  herab,  so  wird  auch  das  Schiffchen  nach 
unten  bewegt.  Dasselbe  geschieht  aber  auch,  wenn  sich  ein  kräftiges  Insekt 
auf  den  Flügeln  niederläßt,  den  Kopf  in  den  Blütengrund  drängt  und  zu  saugen 
beginnt.  Sobald  aber  das  Schiffchen  herabgedrückt  wird,  tritt  aus  der  Öffnung 
an  seiner  Spitze 

d)  der  Griffel  hervor.  Zuerst  berührt  die  Narbe  die  Unterseite  des 
Insekts.  Bringt  das  Tier  vom  Besuch  einer  anderen  Erbsenblüte  an  jener  Kör- 
perstelle bereits  Blütenstaub  mit,  so  ist  die  Bestäubung  vollzogen.  Dann  kommt 
auch  die  Griffelbürste  mit  dem  Insekt  in  Berührung.  Da  nun  die  Bürste  mit 
Blütenstaub  bedeckt  ist,  so  kann  es  nicht  ausbleiben,  daß  ein  Teil  desselben 
im  Haarkleide  des  Tieres  hängen  bleibt.  Vor  Entfaltung  der  Blüte  haben  sich . 
nämlich 

e)  die  Beutel  der  Staubblätter  bereits  geöffnet  und  ihren  Staub  in 
den  kegelförmigen  Hohlraum  der  Schiffchenspitze  entleert,  so  daß  Narbe  und 
Griffelbürste  damit  bedeckt  sind.  (Daher  ist  auch  Selbstbestäubung  möglich ;  s. 
Absch.  g.  —  Öffnet  man  Blüten,  die  sich  noch  im  Knospenzustande  befinden,  so 
findet  man  die  Beutel  noch  prall  mit  Staub  gefüllt ;  in  völlig  entfalteten  Blüten 
dagegen  sind  sie  leer  und  verschrumpft.)  Fliegt  das  Insekt  wieder  von  dannen, 
so  bewegen  sich  Flügel  und  Schiffchen  auch  wieder  aufwärts  (warum  ?),  und  der 
Griffel  kehrt  in  seine  Schutzhülle,  das  Schiffchen,  zimick.  Bei  jedem  folgen- 
den Insektenbesuche  fegt  er  stets  von  neuem  Blütenstaub  aus  dem  Schiffchen 
hervor,  bis  der  Vorrat  schließlich  erschöpft  ist. 

Da  die  Staubfäden  miteinander  verwachsen  sind ,  werden  die  Staub- 
blätter in  ganz  bestimmter  Lage  gehalten,  so  daß  sämtliche  Beutel  ihren  Inhalt 
in  den  vorderen  Abschnitt  des  Schiffchens  entleeren  müssen.  (Welche  Bedeutung 
hat  das  Verwachsensein  der  Staubblätter  bei  den  3  anderen  Arten  der  Bestäu- 
bung, die  wir  S.  109  bis  111  noch  kennen  lernen  werden?) 

f)  Da  sich  der  Honig  im  hintersten  Teile  der  Staubfadenröhre  findet, 
darf  die  Röhre  nicht  völlig  geschlossen  sein.  Das  Insekt  würde  ja  sonst  nicht 
zu  dem  süßen  Safte  gelangen  können!  Dieser  notwendige  Zugang  zum  Honig 
ist  nun  dadurch  geschaffen,  daß  ein  Staubblatt  — ■  wie  oben  bemerkt  —  nicht 
mit  in  den  Verband  der  anderen  eintritt.  Am  Grunde  dieses  „freien-  Staub- 
blattes finden  sich  rechts  und  links  je  eine  Öffnung,  die  zu  dem  Honig  führt. 
(Eine   gleiche   Einrichtung   treffen    wir   auch    bei    allen   anderen    honighaltigen 


108  31.  Farn.  Schmetterlingsblütler. 

Schmetterlingsblüten.  Bei  denjenigen  Blüten  aber,  die  des  Honigs  entbehren 
—  z.  B.  beim  Besenginster,  bei  den  Ginsterarten,  bei  Lupine  und  Hauhechel  — 
sind  stets  alle  Staubblätter  verwachsen;  die  Staubfadenröhre  ist  also  ge- 
schlossen.) 

g)  Der  „hinterste  Winkel"  der  Blüte  ist  auch  der  rechte  Ort  für  den 
Honig.  Diejenigen  Insekten,  die  sich  auf  der  Blüte  nicht  niederlassen,  (Schwär- 
mer), oder  die  zu  schwach  sind  (Fliegen,  Tagfalter,  kleine  Käfer  u.  a.),  das 
Schiffchen  niederzudrücken,  wären  unnütze  Näscher.  Ihnen  ist  darum  der  Weg 
zum  Honig  versperrt.  Nur  die  Bienen  vermögen  den  Verschluß  der  Schmet- 
terlingsblüte zu  öffaen  und  eine  Bestäubung  zu  vermitteln.  Für  diese  mit  mittel- 
langem Rüssel  ausgerüsteten  Insekten  liegt  der  Honig  an  jener  Stelle  aber  ge- 
rade recht.  Kurz,  man  kann  die  Schmetterlingsblüte  betrachten,  wie  man  will : 
sie  ist  in  allen  Stücken  so  recht  eine  „Bienenblume".  — Da  bei  der  Erbse 
Flügel  und  Schiffchen  sehr  fest  zusammenhalten,  so  kann  hier  der  Verschluß 
nur  durch  kräftige  Bienen  geöffnet  werden.  Solche  Bienenarten  gibt  es  wohl 
in  der  Heimat  der  Pflanze;  bei  uns  aber  selten.  Daher  ist  die  Erbse  in  nörd- 
licheren Gegenden  zumeist  auf  Selbstbestäubung  angewiesen.  (Leicht  nach- 
zuweisen, indem  man  einige  Blüten  mit  Gaze  umhüllt  und  somit  den  Insekten 
den  Zutritt  verwehrt.)  ■ —  Manche  Bienen  suchen  den  Honig  auch  auf  unrecht- 
.  mäßige  Weise  durch  Anbeißen  der  Blüte  zu  erlangen. 

h)  Soll  eine  Bestäubung  wirklich  herbeigeführt  werden,  so  ist  nötig,  daß 
die  einzelnen  Blütenteile  ihre  Lage  zueinander  genau  innehalten.  (Denke  z.  B. 
die  „Verankerung"  zwischen  Flügel  und  Schiffchen  wäre  gelöst!)  Es  ist  daher 
von  Wichtigkeit,  daß  die  5  Blättchen,  aus  denen  der  Kelch  besteht,  mit- 
einander verwachsen  sind.  (Spalte  den  Kelch  vorsichtig  an  mehreren  Stellen 
und  untersuche,  ob  der  Verband  der  Blumenblätter  nicht  gelockert  ist!) 

i)  Das  Insekt  vermag  den  notwendigen  Druck  auf  das  Schiffchen  umso 
eher  auszuüben,  als  die  Blüte  wagerecht  gestellt  ist.  (Denke,  sie  wäre 
senkrecht  auf-  oder  abwärts  gerichtet!  Beobachte  daraufhin  andere  Schmetter- 
lingsblütler! Wie  stehen  die  Ei'bsenblüten  vor  dem  Blühen?  wie  die  Fruchtstiele?) 
5.  Die  Erbse,  ein  Hülsenfrüchtler.  Wie  man  an  der  reifenden  Frucht 
(Fruchtknoten!)  deutlich  sehen  kann,  besteht  sie  aus  einem  langen  Blatte,  das 
in  der  Mittelrippe  derartig  „geknifft"  ist,  daß  die  Bänder  zusammenstoßen. 
An  den  Rändern  sitzen  in  je  einer  Reihe  die  Samen,  die  sogen.  Erbsen.  Eine 
so  gebildete  Frucht  nennt  man  „Hülse"  (in  einigen  Gegenden  ungenau  „Schote"; 
s.  Raps).  —  Bei  der  Reife  spaltet  sich  das  Fruchtblatt  sowohl  an  der  Ver- 
wachsungsstelle, wie  an  der  Mittelrippe,  so  daß  die  Hülse  mit  2  Klappen  auf- 
springt. —  Die  „Maden",  die  häufig  die  Samen  zerstören,  sind  meist  die  Raupen 
des  Erbsenwicklers  (s.  „Lehrbuch  der  Zoologie"). 

Andere  Schmetterlingsblütler. 

Um  vielfache  Wiederholungen  zu  vermeiden,  seien  die  Schmetterlingsblütler,  denen 
wir  noch  kurz  unsere  Aufmerksamkeit  schenken  wollen,  nach  der  besonderen  Weise,  in 
der  bei  ihnen  die  Bestäubung  erfolgt,  zusammengestellt. 


Erbse.     Andere  Schmetterlingsblütler.  I  u '. » 

1.  Bluten  mit  Bürsteneinrichtung  (Griffelbürste  wie  bei  Erbse  und  Bohne). 

Als  wichtige  Futterkräuter  bauen  wir  die  Saatwieke  und  die  Pferd«-  oder  Sau- 
bohne ("Vicia  sativa  und  faba)  an.  Die  großen,  grünen  Hülsen  der  letzteren  werden 
hier  und  da  wie  die  der  Gemüsebohne  verspeist.  Die  Blüten  beider  sind  infolge  greller 
Farbenzusammenstellungen  besonders  auffällig  (Bedeutung?).  —  Von  den  zahlreichen  wild- 
wachsenden Wickenarten  seien  nur  die  beiden  häutigsten,  die  Vogel-  und  Zaunw  iok<- 
(V.  cräcca  und  sepium),  genannt.  Erstere  tritt  auf  Äckern  oft  als  lästiges  Unkraut 
(Ranken!)  auf.  Ihre  prächtig  blauen  Blüten  sind  zu  großen  Trauben  angeordnet,  und 
ihre  Samen  werden  besonders  gern  von  der  Feldtauhe  verzehrt  (Name  !).  Letztere  wächst 
auf  Wiesen,  in  Gebüsch  und  an  Hecken  (Name!).  Ihre  Blutenstände  bestehen  nur  aus 
wenigen  rötlich-violetten  Blüten.  Betrachtet  man  die  Pflanze  genauer,  so  findet  man 
vielfach  kaum  ein  Exemplar,  das  nicht  von  Ameisen  bevölkert  wäre.  Die  Tiere  stellen, 
wie  man  sich  leicht  überzeugen  kann,  dem  süßen  Safte  nach,  der  von  braunen  Honig- 
drüsen auf  der  Rückseite  der  Nebenblätter  oft  in  großen,  glänzenden  Tropfen  abge- 
schieden wird.  Bisher  fanden  wir  den  Honig  stets  in  der  Blüte  und  erkannten  in  ihm 
eine  Gegengabe  der  Pllanze  an  ihre  Bestäuber.  Warum  scheidet  aber  die  Zaunwicke 
gleich  der  Saatwicke,  der  Pferdebohne  und  mehreren  anderen  Wicken  außerhalb  der 
Blüte  Honig  ab?  Ist  das  nicht  eine  zwecklose  Verschwendung?  Die  Naturforscher,  die 
sich  diese  Fragen  lange  vergeblich  vorlegten,  glauben  jetzt  eine  Antwort  darauf  ge- 
funden zu  haben  :  die  Ameisen  sind  den  Forstleuten  als  eifrige  Vertilger  blattfressender 
Insekten  und  deren  Larven  (Raupen  u.  a.)  längst  bekannt.  Die  Pflanzen,  die  fleißig 
von  Ameisen  besucht  werden,  sind  daher  vor  anderen,  die  nicht  besucht  werden,  im  Vor- 
teil:  sobald  sich  auf  ihnen  ein  Verwüster  ansiedelt,  wird  er  meist  alsbald  eine  Beute  der 
bissigen  Tiere.  Die  Ameisen  sind  daher  für  die  Wicken  gleichsam  eine  „Schutzgarde", 
und  der  Honig  das  Anlockungsmittel  derselben.  —  In  der  heißen  Zone  giebt  es  sehr  viele 
solcher  „Ameisenpflanzen".  Einige  derselben  liefern  ihren  Beschützern  nicht  nur 
Honig,  sondern  erzeugen  sogar  besondere  Futterkörperchen  und  Wohnräume  für  sie. 

Eine  gleichfalls  sehr  häufige  Pflanze  unserer  Wiesen  ist  die  gelbblühende  Wiesen- 
Platterbse  (Läthyrus  pratensis).  —  Ihre  nächste  Verwandte,  die  rankenlose  Frühlings- 
Platterbse  (L.  vernus),  giebt  sich  durch  die  breiten,  zarten  Fiederblätter  ohne  weiteres 
als  Waldpflanze  zu  erkennen  (vgl.  mit  Windröschen).  —  Aus  den  Mittelmeerländern 
ist  die  Linse  (Lens  esenlenta)  zu  uns  gekommen  (Verwendung?).  —  Aus  Nordamerika 
stammt  die  Robinie  (Robinia  pseud-acäcia),  die  fälschlich  allgemein  „Akazie"  genannt 
wird  und  wegen  der  zarten  Fiederblätter  („Kugelakazien")  und  der  weißen,  duftenden 
Blüten  ein  allbekannter  Zierbaum  geworden  ist.  Am  Grunde  der  Blattstiele  —  ein 
Zeichen,  daß  wir  es  hier  mit  umgewandelten  Nebenblättern  zu  thun  haben !  —  finden 
sich  je  2  scharfe  Stacheln,  die  wie  eine  Schntzwehr  die  Knospe  und  das  junge  Blatt  um- 
schließen. Erreicht  die  Pflanze  eine  gewisse  Höhe,  so  bilden  sich  keine  Stacheln  mehr 
(vgl.  mit  den  Dornen  des  Birnbaums).  Die  Fiederblätter  senken  sich  nachts  herab; 
in  den  heißen  Mittagsstunden  dagegen  richten  sie  sich  senkrecht  empor,  während  sie  in 
südlichen  Ländern  meist  vom  Morgen  bis  zum  Abend  in  dieser  Stellung  verharren  (Be- 
deutung? s.  Bohne!).  —  Der  Blasenstraucb  (Colütea  arborescens),  gleichfalls  eine  be- 
kannte Parkpflanze,  stammt  aus  Südeuropa.  Die  blasig  aufgetriebene  Hülse  (Name!) 
dient  als  „Flugausrüstung"  zur  Verbreitung  der  kleinen  Samen. 
2.  Blüten  mit  einfacher  Klappvorrichtung. 

Diese  einfachste  Weise  der  Bestäubung  wollen  wir  am  Wiesenklee  (Trifolium 
patense)  kennen  lernen  (Taf.  14):  Drücken  wir  das  Schiffchen  nieder  (4.),  so  treten 


HO  Taf.  14.     31.  Farn.  Schmetterlingsblütler. 

Stempel  und  Staubblätter  hervor;  hört  der  Druck  auf,  so  kehren  beide  wieder  in 
ihre  Schutzhülle  zurück  (3.).  Die  roten,  duftenden  Blüten  dieser  unserer  wich- 
tigsten Futterpflanze  sind  wie  bei  allen  anderen  Kleearten  verhältnismäßig  klein. 
Da  sie  aber  zu  „Köpfchen"  zusammengestellt  sind,  werden  sie  doch  weitbin 
sichtbar  (Bedeutung?).  Die  hinteren  Teile  der  Blumenblätter  sind  sowohl  unter 
sich,  als  auch  mit  den  9  unteren  Staubfäden  zu  einer  etwa  9  mm  langen  Röhre 
verschmolzen  (3.  und  4.).  Daher  sind  die  laugrüsseligen  Hummeln  die  ausschließ- 
lichen Bestäuber  der  Pflanze.  Vielfach  findet  man  die  Blumenröhre  von  der 
kurzrüsseligen  Erdhummel  und  der  Honigbiene  angebissen  (3.),  die  beide  also 
„Einbruch  verüben".  Da  die  Hülse  von  der  vertrockneten  Blnmenkrone  um- 
hüllt bleibt,  bietet  sie  dem  Winde  eine  große  Angriffsfläche  dar  und  kann  so- 
mit leicht  verweht  werden  (5.  und  6.).  Die  dreizähligen  Blätter  („Kleeblatt") 
nehmen  wie  die  Bohnenblätter  abends  Schlafstellung  ein  (2.),  richten  sich  dabei  aber 
(wie  bei  allen  anderen  Kleearten,  sowie  beim  Stein-,  Schnecken-  und  Hornklee, 
beim  Goldregen,  Ginster  und  zahlreichen  anderen  Schmetterlingsblütlern)  senk- 
recht empor.  Wie  man  in  dieser  Einrichtung  ein  Förderungsmittel  der  Ver- 
dunstung erkannt  hat,  so  auch  in  den  weißen  Bändern,  die  sich  über  die  Blatt- 
flächen hinwegziehen  (1.).  Da  sich  dunkle  Gegenstände  schneller  abkühlen  als 
helle  (Versuch!),  so  werden  weißgefleckte  Blätter  die  Wärme  auch  eine  längere 
Zeit  zurückhalten  als  gleichmäßig  grüne  Blätter.  Erstere  werden  daher  bei 
Eintritt  der  nächtlichen  Kühle  noch  längere  Zeit  stark  verdunsten.  Hiermit 
steht  auch  im  Zusammenhange,  daß  man  bei  Kleepflanzen,  die  auf  beschattetem 
oder  feuchtem  Grunde  wachsen,  breitere  Bandzeichnungen  findet  als  bei  solchen 
auf  sonnigem,  trockenem  Boden.  Die  Nebenblätter  (2.  und  7.)  sind  mit- 
einander verwachsen  und  können  daher  die  Aufgabe,  als  Schutzhülle  der  jungen 
Blätter  zu  dienen,  vortrefflich  erfüllen. 

Von  den  zahlreichen  anderen  Kleearten  sei  nur  noch  der  Weifjklee  (T.  repens) 
erwähnt.  Da  er  eine  weit  kürzere  Blütenröhre  besitzt  als  der  Wiesenklee,  so  kann  sein 
Honigreichtum  auch  von  der  Honigbiene  ausgebeutet  werden.  Die  kriechende,  sehr  ver- 
änderliche Pflanze  (vgl.  mit  Reiherschnabel  u.  a. !)  hat  daher  für  die  Bienenzucht  besondere 
Bedeutung.  —  Dasselbe  gilt  für  die  rotblühende  Esparsette  (Onöbrychis  sativa),  die 
gleichfalls  eine  wichtige  Futterpflanze  ist.  —  An  Wegen  und  auf  Wiesen  findet  sich  häufig 
der  Steinklee  (Melilötus),  dessen  weiße  oder  gelbe,  duftende  Blüten  in  langen  Trauben 
beieinander  stehen.  —  Der  Goldregen  (Cytisus  labürnum)  ist  wegen  seiner  prächtigen, 
goldgelben  Blütentrauben  (Name !)  ein  allgemein  beliebter,  aber  in  allen  Teilen  giftiger 
Zierstrauch.  Die  anfangs  aufrechten  Trauben  werden  später  hängend,  so  daß  bei  der 
Entfaltung  der  Blüten  die  Fahne  nach  unten  gerichtet  sein  würde.  Der  Blütenstiel 
macht  daher  eine  Drehung  und  bringt  die  Blüte  wieder  in  die  „richtige"  Lage  (s.  S.  108,  i). 
Die  Blüten  sind  scheinbar  honiglos  (s.  S.  107,  f),  und  freien  Honig  besitzen  sie  auch  in  der 
Tat  nicht.  Trotzdem  sieht  man  an  ihnen  aber  Insekten  saugen.  Die  Tiere  bohren 
nämlich  das  zarte  Gewebe  am  Grunde  der  Fahne  an  und  saugen  den  erbohrten  Saft. 

3.  Blüten  mit  Schnell -Vorrichtung. 

Drückt  man  in  den  Blüten  des  weit  verbreiteten  Besenginsters  (Sarothämnus 
scoparius)  die  Flügel  und  das  Schiffchen  nieder,  so  schnellen  Staubblätter  und  Stempel, 
die  in  ihrer  Hülle  zum  Teil  wie    gespannte  Uhrfedern   liegen,    hervor   und    streuen   den 


Schmal,   Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel   14. 


hC/ieuba 


Wiesenklee  (Trifolium  pratense). 


Andere  Schmetterlingsblütler. 


111 


Blütenstaub  aus.  Dasselbe  geschieht  natürlich  auch,  wenn  eine  Hummel  oder  Biene  den 
„Verschluß"  der  Blüte  öffnet.  Hierbei  wird  das  Tier  mit  Blütenstaub  förmlich  über- 
schüttet. Flügel  und  Schiffchen  kehren  darauf  aber  nicht  wieder  in  ihre  ursprüngliche 
Stellung  zurück.  Die  prächtigen,  gelben  Blüten  der  Pflanze  sind  honiglos,  dafür  aber  be- 
sitzen sie  —  der  Art  der  Bestäubung  entsprechend  —  sehr  viel  und  zwar  mehlartig 
trockenen  Blütenstaub.  Da  der  mannshohe  Strauch  in  sandigen  Wäldern  und  an  ähn- 
lichen Orten  gedeiht,  besitzt  er  wie  zahlreiche  andere  Ödlandpflanzen  (Beispiele!)  nur 
kleine  Blätter.  Als  Ersatz  dafür  treffen  wir  aber  in  der  Rinde  der  kantigen,  ruten- 
förmigen  Stengel,  die  zur  Herstellung  von  Besen  (Name!)  benutzt  werden,  Blattgrün  an. 
Die  Hülsen  drehen  sich  im  Augenblicke  des  Öffnens  schraubig  zusammen,  so  daß  die 
Samen  fortgeschleudert  werden.  (Bedeutung?  Beobachte  auch  diese  Erscheinung  bei 
Platterbse,  Hornklee  und  Lupine!)  —  Wie  schon  die  Bezeichnung  „Ginster"  andeutet,  ist 
die  Pflanze  mit  den  Ginsterarten  (Grenista)  nahe  verwandt.  Die  zum  Teil  dornigen 
Sträucher  gedeihen  an  denselben  Örtlichkeiten  und  besitzen  daher  gleichfalls  sehr  kleine 
Blätter  und  grüne  Stengel.  -  Gleiche  Blüteneinrichtung  zeigen  auch  die  zahlreichen 
kleeartigen  Gewächse,  die  nach  den  schneckenartig  (oder  sichelartig)  gewundenen  Hülsen 
Schneckenklee  (Medicägo)  genannt  werden.  Eine  Art,  die  aus  Südeuropa  stammende, 
blaublühende  Luzerne  (M.  sativa),  wird  als  Futterpflanze  im  großen  angebaut. 

4.  Blüten  mit   P  u  m  pen-Einrichtun g. 

Diese  Art  der  Bestäubung  zeigt  sehr  deutlich  der  Hornklee  (Lotus  corniculätus), 
der  allenthalben  auf  Wiesen  und  Grasplätzen  seine  gelben,  meist  rötlich  angehauchten 
Blüten  entfaltet.  Die  Staubbeutel  entleeren  wie 
bei  der  Erbse  bereits  in  der  Knospe  ihren  In- 
halt in  den  vorderen  Abschnitt  des  Schiffchens, 
worauf  sie  verschrumpfen.  Fünf  Staubfäden  da- 
gegen wachsen  mit  der  Blüte  weiter  und  schwel- 
len keulenförmig  an.  Wird  nun  das  Schiffchen 
niedergedrückt,  so  pressen  sie  wie  der  Kolben 
einer  Pumpe  einen  Teil  des  Staubes  als  band- 
artige Masse  aus  der  Schitl'chenspitze  hervor.  Ist 
die  Biene  an  der  Bauchseite  mit  dem  klebrigen 
Staube  beladen,  so  kehren  die  Blütenteile  wieder 
in  ihre  ursprüngliche  Lage  zurück.  —  Ganz 
ähnlich  erfolgt  die  Bestäubung  bei  der  Lupine 
(Lupinus  lüteus),  die  aus  Südeuropa  stammt,  und 
deren  Bedeutung  für  die  Landwirtschaft  bereits 
früher  kurz  gekennzeichnet  worden  ist;  des- 
gleichen bei  den  Hauhechelarten  (Onönis),  jenen 
allbekannten,  zum  Teil  stark  dornigen  Pflanzen, 
die  an  Wegrändern  und  ähnlichen  Orten  wachsen. 


Schiffehen  ans  der  Blüte  des  Horn- 
klees. 1.  In  der  Ruhe;  2  herab- 
gedrückt. Der  von  oben  wirkende 
Druck  ist  durch  einen  Pfeil  ange- 
deutet. Die  einzelnen  Blütenteile  wie 
bei  der  Erbsenblüte. 


Von  den    zahlreichen    ausländischen 
Schmetterlingsblütlern    seien    kurz  fol- 
gende   erwähnt:    Das    Süßholz    (Glycyrrhiza    glabra)    ist    ein    Strauch    der    Mittelmeer- 
länder, der  aber  auch   in  einigen  Gegenden  von  Mitteleuropa    angebaut  wird.     Der  ein- 
gedickte   Saft    der    süßschmeckenden  Wurzeln    (Name?)    ist    als    Lakritze    allgemein    be- 
kannt. —  Die  Indigopflanzen   (Indigöfera)  sind  Sträucher  und  Kräuter  der  Tropen,  aus 


112  31.  Farn.  Schmetterlingsblütler. 

deren  Blättern  man  den  Indigo  gewinnt.  Man  bringt  die  abgeschnittenen  Pflanzen  za 
diesem  Zwecke  in  Bassins,  die  mit  "Wasser  gefüllt  sind.  Nachdem  das  Wasser  eine  grün- 
liche Färbung  angenommen  hat,  leitet  man  es  in  ein  zweites  Bassin  und  bringt  es  durch 
Räder  und  Schaufeln  mit  dem  Sauerstoff  der  Luft  in  innige  Berührung.  Infolgedessen 
geht  die  grünliche  Färbung-  bald  in  eine  blaue  über:  es  ist  der  Indigo  entstanden,  der 
sich,  weil  im  Wasser  unlöslich,  bald  als  tiefblauer  Schlamm  absetzt.  Dieser  für  die  Zeug- 
färberei überaus  wichtige  Farbstoff  wird  jetzt  auch  künstlich  hergestellt. 

Verwandte  der  Schmetterlingsblütler:  In  den  Ländern  um  das  Mittelmeer 
wächst  der  Johannisbrotbaum  (Ceratönia  siliqua),  dessen  große  Hülsen  bei  uns  fast 
nur  als  Leckerei  für  Kinder,  in  der  Heimat  der  Pflanze  dagegen  als  Nahrung  für  Men- 
schen und  Vieh  dienen.  —  In  Gewächshäusern  trifft  man  oft  merkwürdige  Pflanzen,  die 
von  ihrer  Empfindlichkeit  gegen  Berührung  den  bezeichnenden  Namen  Sinnpflanzen 
(Mimösa)  erhalten  haben.  —  Die  Steppengegenden  der  heißen  Zone  sind  die  Heimat  der 
Akazien  (Acäcia),  von  denen  besonders  afrikanische  Arten  das  wertvolle  Gummi  arabi- 
cum liefern  (Verwendung?).  Es  sind  Bäume  und  Sträucher,  die  mit  unserer  Robinie 
(s.  das.)  große  Ähnlichkeit  haben.  Gleich  dieser  Pflanze  besitzen  sie  die  Fähigkeit,  die 
Fiederblättchen  senkrecht  zu  stellen,  eine  Tatsache,  deren  Wichtigkeit  wir  ermessen 
können,  wenn  wir  an  die  große  Trockenheit  ihres  Wohngebiets  denken.  Wir  linden  bei 
ihnen  auch  wie  bei  den  Eukalyptusarten  (s.  das.)  winzige  Blütenhüllen,  aber  zahlreiche, 
freistehende  und  buntgefärbte   Staubblätter. 


Schmal,   Lehrbuch  der  Botanik, 


Tafel   15. 


Heidekraut  (Calluna  vulgaris). 


2.  Unterklasse.    Verwachsenblumenblättrige  Pflanzen  (SympStalae). 

Pflanzen  mit  doppelter  Blutenhülle  (mit  Kelch  und  Blunienkrone),  bei  denen  die  Blumen- 
blätter (wenigstens  am  Grunde)  miteinander  verwachsen  sind. 

32.  Familie.     Heidekraut-Gewächse  (Ericäceae). 

1.  Unterfamilie.     Eigentliche  Heidekräuter  (Ericeae). 

Das  Heidekraut  (Callüna  vulgaris).    Taf.  15. 

A.  Verbreitung-.     Auf  trockenem   Sandboden,    wie    auf  schwankendem 

Torfmoor,  auf  sonniger  Ebene,  wie  im  Schutze  des  Kiefernwaldes,  auf  niedrigem 
Hügel,  wie  auf  sturmumbrauster  Höhe  findet  sich  das  anspruchslose  Heidekraut. 
Es  ist  über  ganz  Europa  und  darüber  hinaus  verbreitet  und  bildet  stets  kleinere 
oder  größere  Bestände.  In  Norddeutschland  besonders  bedeckt  es  zahlreiche, 
oft  viele  Quadratmeilen  große  Gebiete,  „Heiden"  genannt,  von  denen  auch  die 
Pflanze  ihren  Namen  erhalten  hat.  (Gib  die  Verbreitung  der  Heiden  genauer 
an!)  Soweit  das  Auge  reicht,  erblickt  man  dort  fast  nichts  weiter  als  Heidekraut. 
Nur  hier  und  da  wird  das  Einerlei  unterbrochen  von  einer  verkrüppelten  Kiefer, 
von  Wacholder-  und  Ginsterbüschen,  von  Weidengestrüpp,  das  sich  nur  wenig 
über  den  Boden  erhebt,  von  stechenden  Gräsern,  von  Flechten-  und  Moospolstern, 
vom  gelbblühenden  Mauerpfeffer  und  duftenden  Thymian,  von  Preiselbeere  und 
Johanniskraut  oder  von  anderen  „Heidepflanzen".  Das  „gesellige"  Heidekraut 
aber  ist  stets  das  „herrschende"  Gewächs.     Hieraus  ergibt  sich  auch  die 

B.  Bedeutung,  welche  die  Pflanze  für  den  Menschen  hat.  Kurz  gesagt, 
sie  macht  jene  öden,  unfruchtbaren  Gegenden  erst  bewohnbar. 
Wenn  die  sengenden  Strahlen  der  Sommersonne  die  Heide  fast  ausgedörrt 
haben,  brennt  der  Heidebauer  den  Pflanzenwuchs  auf  einem  Teile  seines  Besitz- 
tums nieder  („Höhenrauch!".)  In  den  Boden,  der  durch  die  untergepflügte  Asche 
einige  Fruchtbarkeit  gewonnen  hat,  sät  er  im  nächsten  Frühjahre  dann  das 
„Heidekorn",  den  Buchweizen,  dessen  mehlreiche  Samen  das  Hauptnahrungs- 
mittel  der  Heidebewohner  bilden.  Die  jungen  Triebe  des  Heidekrautes  liefern  ferner 
ein  dürftiges  Futter  für  Rinder  und  Schafe  (Heidschnucken  der  Lüneburger 
Heide!),  und  wenn  sich  im  Spätsommer  die  Heide  mit  Millionen  honigreicher  Blüten 
wie  mit  einem  „rosenroten  Schimmer"  überzieht,  dann  finden  endlich  die  Bienen 
der  Bauern  einen  reichgedeckten  Tisch.  (Daher  in  Heidegegenden  zumeist  starke 
Bienenzucht.)  Heidekraut  streut  der  Heidebewohner  auch  dem  Vieh  in  die  Ställe 
und  dann  als  nährenden  Dünger  auf  den  sandigen  Acker:  mit  Heidekraut  deckl 
er  das  Dach  seiner  Hütte,  und  mit  Heidetorf  erwärmt  er  im  Winter  die  ärm- 
liche WTohnung. 

Dieser  Torf  verdankt  gleichfalls  der  unscheinbaren  Pflanze  seine  Ent- 
stehung: Zwischen  den  dünnen,  stark  verzweigten  Wurzeln,  die  nahe  der  Erd- 

S  chm  eil,  Lehrbuch  der  Botanik.  g 


114      Taf.  15.  2.  Unterkl.  Verwauhsenblumenblätt.  Plianz.  32.  Farn.  Heidekraut-Gewächse. 

Oberfläche  liegen,  sowie  zwischen  den  Stämmen  nnd  Zweigen,  die  sich  dem 
Boden  vielfach  eng  anschmiegen,  sammeln  sich  allerlei  Pflanzenreste,  so  daß  bald  ein 
dichter  Filz  entsteht.  Sterben  die  Wurzeln  und  unteren  Stengelteile  ab,  und  wächst 
die  Pflanze  auf  diesen  Resten  dann  weiter,  so  wird  der  „Filz"  immer  mehr  von 
der  Luft  abgeschlossen.  Was  die  Folge  dieses  Luftabschlusses  ist,  lehrt  ein 
einfacher  Versuch:  Erhitzt  man  Sägespäne  in  einer  Eetorte,  so  verkohlen  sie 
wie  das  Holz  in  dem  Kohlenmeiler.  Durch  den  Luftabschluß  geht  nämlich 
die  Zersetzung  der  Holzteile  (d.  i.  Verbrennung  im  chemischen  Sinne)  nur  un- 
vollständig vor  sich.  Es  wird  infolgedessen  Kohlenstoff  angehäuft,  oder  kurz, 
es  entsteht  „Holzkohle".  So  geht  auch  die  Zersetzung  der  Pflanzenreste  unter 
der  lebenden  Heidekrautdecke  nur  unvollkommen  vor  sich:  es  erfolgt  gleichfalls 
eine  Anhäufung  von  Kohlenstoff  und  zwar  in  der  Form  von  (Heide-)  Torf,  der  eben 
wegen  seines  Reichtums  an  Kohlenstoff  ein  wertvolles  Brennmaterial  liefert. 
(Vgl.  mit  Moostorf;  s.  Moose.) 

C.  Troekenlaiidpflanze.  So  verschieden  auch  der  Boden  ist,  auf 
dem  das  Heidekraut  wächst,  eins  zeichnet  ihn  stets  aus:  die  auffallend 
große  Trockenheit.  Wie  aber  oben  erwähnt,  gedeiht  die  Pflanze  auch  auf 
Torfboden,  der  sich  oft  wie  ein  Schwamm  voll  Wasser  saugt.  Einen  solchen 
Boden  kann  man  aber  doch  unmöglich  als  trocken  bezeichnen  wollen,  und  doch 
ist  er  es  —  für  die  Pflanze!  Dieser  Widerspruch  klärt  sich  leicht  auf,  wenn 
man  sich  folgendes  klar  macht:  Setzt  man  z.  B.  einen  feuchten  Körperteil  — 
etwa  die  schweißbedeckte  Stirn  —  der  Luft  aus,  so  kühlt  er  sich  bald  stark 
ab;  denn  überall  da,  wo  Wasser  verdunstet,  wird  Wärme  verbraucht  (andere 
Beispiele!).  Nasse  Erde  gibt  nun  sehr  viel  Wasser  in  Dampfform  an  die  Luft 
ab;  dies  zeigen  z.  B.  die  Nebel,  die  von  feuchten  Wiesen,  aus  Mooren  u.  dgl. 
emporsteigen.  Durch  die  Verdunstung  dieses  Wassers  wird  also  dem  Boden  viel 
Wärme  entzogen:  nasser  Boden  ist  darum  kalter  Boden.  Da  wir  nun 
aus  der  Betrachtung  des  Kirschbaums  (s.  S.  91)  wissen,  daß  kalter  Boden 
ebenso  auf  die  Pflanzen  einwirkt  wie  trockener  Boden,  so  ist  jener 
Widerspruch  vollkommen  gelöst:  Wir  können  daher  das  Heidekraut  mit  Recht 
für  eine  Trockenlandpflanze  erklären. 

Trockenheit  des  Bodens  ist  für  eine  Pflanze  aber  stets  sehr  ungünstig 
(warum?).  Das  Heidekraut  besitzt  daher  besondere  Einrichtungen,  die  ihm  eine 
Existenz  unter  diesen  ungünstigen  Umständen  erlauben: 

1.  Alle  seine  Teile  sind  auffallend  dürr  und  trocken,  geben 
daher  an  die  umgebende  Luft  auch  nur  wenig  Wasser  in  Dampfform  ab.  (Die 
Sumpfdotterblume  und  zahlreiche  Pflanzen  trockener  Standorte  haben  aber 
dicke,  fleischige  Stengel  und  Blätter,  ein  Zeichen,  daß  die  Natur  mit  ver- 
schiedenen Mitteln  dasselbe  erreicht.) 

2.  Das  Heidekraut  ist  ein  Strauch,  der  —  wie  bereits  oben  bemerkt  — 
in  dichten  Beständen  auftritt  und  sich 

3.  meist  nur  wenig  über  den  Boden  erhebt.  Infolgedessen  wird  er  — 
wie  wir  dies  schon  beim  Mauerpfeffer  gesehen  haben  —  auch  weit  weniger  unter 


Seidekraut. 


115 


den  austrocknenden  Winden  zu  leiden  haben,  als  wenn  jede  Pflanze  einzeln 
stände  und  sich  hoch  über  die  Erde  erhöbe.  Es  kann  uns  daher  auch  nicht 
wunder  nehmen,  wenn  das  Heidekraut  auf  stürmischem  Bergesrücken  oft  nur 
handhoch  wird,  im  Schutze  von  Kiefernschonungen  dagegen  eine  Höhe  von 
l/a  m  und  mehr  erreicht. 

4.  Das  wichtigste  Mittel  gegen  zu  starke  Verdunstung  ist  aber  wie  beim 
Mauerpfeffer  in  dem  eigentümlichen  Bau  der  Blätter  (2.)  zu  erblicken.   Es  sind  dies 

a)  sehr  kleine  Gebilde  (s.  S.  78,  3  a),  die  in  4  Längsreihen  an  den 
Zweigen  stehen  und  hinten  in  2  Spitzen  ausgezogen  sind  (besonders  deutlich  an 
den  Blättern  zu  sehen,  aus  deren  Achseln  junge  Zweige 
hervorgehen). 

b)  Da  sie  ungestielt  und  an  der  den  Zweigen 
zugekehrten  (Ober-)  Seite  so  gebogen  sind,  daß  sie  wie 
ausgehöhlt  erscheinen,  vermögen  sie  sich  den  Zweigen 
eng  anzuschmiegen  und  z.  T.  gegenseitig  zu  decken 
(s.  S.  78,  3  b).  —  An  Pflanzen  dagegen,  die  im  Schatten 
des  windstillen  Kiefernwaldes  wachsen,  flndet  man  meist 
weit  größere  und  rechtwinkelig  von  den  Zweigen  ab- 
stehende Blätter.  Da  diese  Pflanzen  wegen  der  geringen 
Besonnung  zudem  keine  Blüten  tragen,  sehen  sie  dem 
Heidekraut  nur  noch  wenig  ähnlich. 

c)  Stellt  man  durch  ein  Blatt  dünne  Querschnitte 
her,  so  sieht  man  die  Ränder  nach  der  Unterseite  zu 
so   umgebogen,   daß   sie   zusammenstoßen.     Ein  solches 

„Rollblatt"  bietet  der 
Luft  nur  die  Fläche  der 
Oberseite  dar,  wird  dar- 
um auch  weit  weniger 
Wasser  verdunsten,  als 
wennesausgebreitetwäre. 
Bei  Anwendung  mikro- 
skopischer Vergrößerung 
sieht  man  weiter,  daß  das 
Blatt  nur  auf  der  Unter- 
seite Spaltöffnungen  be- 
sitzt, und  daß  der  Zu- 
gang zu  ihnen  durch  haar- 
artige Bildungen  versperrt  ist.  Die  Spaltöffnungen,  durch  die  besonders  der 
Wasserdampf  aus  der  Pflanze  entweicht,  münden  hier  also  nicht  direkt  ins 
Freie,  sondern  in  einen  fast  geschlossenen,  „windstillen  Raum":  eine  Ein- 
richtung, durch  welche  die  Verdunstung  gleichfalls  stark  herabgesetzt  wird. 

Wie  schon  mehrfach  erwähnt,  steigen  die  von  der  Wurzel  aufgesogenen 
Nährstoffe  in  einem  Wasserstrome  zu  den  Blättern   empor,   woselbst  eine  Ver- 


Querschnitt  aus  dem  Blatte 

des    Heidekrautes     (250  mal 

vergr.).      In   dem    „windstillen 

Räume"   2  Spaltöffnungen 


„Schattenform"      des 
Heidekrautes  aus 

einem  Kiefernhochwalde 
(nat.  Gr.). 


l|(i  32.  Fam.     Heidekraut-Gewächse. 

dunstung  des  Wassers  erfolgt.  Jede  Unterbrechung  dieses  Stromes  ist  für  die 
Pflanze  daher  von  Nachteil.  Eine  solche  würde  aber  eintreten,  wenn  Tau- 
oder Regentropfen  die  Spaltöffnungen  verschlössen.  Da  nun  bei  den  Blättern 
des  Heidekrautes  die  Feuchtigkeit  nicht  bis  zu  den  Spaltöffnungen  vordringen 
kann,  so  gibt  sich  das  Rollblatt  auch  als  ein  Mittel  zu  erkennen,  die  Bahn 
für  den  Wasser  dampf  frei  zu  halten.  Wenn  wir  weiter  bedenken,  daß 
die  Moore  regenreiche  Örtlichkeiten  sind,  daß  es  auf  ihnen  fast  allnächtlich 
stark  taut,  und  daß  ihnen  selbst  an  klaren  Sommerabenden  dichte  Nebel  ent- 
steigen, so  werden  wir  die  Bedeutung  dieser  Einrichtung  für  die  hier  wachsen- 
den Heidekrautsträucker  wohl  ermessen.  Für  diese  Pflanzen  ist  es  auch  von 
großer  Wichtigkeit,  daß  sie 

d)  immergrüne  Blätter  besitzen:  Auf  dem  kalten  Moorboden  zieht  der 
Frühling  später  ein  als  in  den  umliegenden  Feldern  und  Wäldern.  Wollte 
das  Heidekraut  jetzt  erst  Blätter  treiben,  so  könnte  es  in  den  wenigen  Monaten, 
die  zwischen  diesem  Zeitpunkte  und  dem  Herbste  liegen,  unmöglich  Blüten  bilden 
und  Früchte  zur  Reife  bringen.  Vermöge  der  immergrünen  Blätter  dagegen 
ist  es  beim  Eintritt  des  Frühlings  sofort  imstande,  die  Arbeit  aufzunehmen, 
und  selbst  während  der  kälteren  und  kalten  Jahreszeit  vermag  es  jeden  Sonnen- 
blick auszunützen. 

Für  das  Heidekraut,  das  auf  trockenen  Stellen  wächst,  sind  solche  Blätter 
gleichfalls  von  Vorteil.  Dort  erwärmt  sich  der  Boden  im  Hochsommer  außer- 
ordentlich stark  und  wird  so  trocken,  daß  er  zu  Staub  zerfällt.  Da  heißt  es 
für  das  Heidekraut,  mit  der  geringen  Wassermenge,  die  es  der  Erde  entnehmen 
kann,  sparsam  umzugehen.  Je  weniger  aber  —  wie  oben  bemerkt  —  die  Pflanzen 
Wasser  aufsaugen,  desto  weniger  Nährstoff  nehmen  sie  auch  auf.  Dafür  dehnen 
sich  aber  beim  Heidekraut,  weil  es  eben  immergrüne  Blätter  besitzt,  die  Arbeiten 
der  Nährstoffaufnahme  und  -Verarbeitung  über  einen  viel  größeren  Teil  des 
Jahres  aus  als  z.  B.  bei  den  Bäumen  und  Sträuchern,  die  im  Herbst  das  Laub 
abwerfen. 

D.  Blüte.  1.  Im  August  verschwindet  das  Grün  der  Blätter  fast  vor  dem 
zarten  Rosenrot  der  Blüten  (2.  und  3.).  Die  4  kleinen  Blumenblätter,  die  in 
der  unteren  Hälfte  miteinander  verwachsen  sind,  werden  von  den  4  größeren 
Kelchblättern  fast  verdeckt.  Das  ist  für  die  Pflanze  aber  ein  großer  Nach- 
teil (warum?),  der  darum  wieder  ausgeglichen  werden  muß.  Dies  geschieht 
dadurch,  daß  der  Kelch  gleichfalls  bunt  gefärbt  ist.  Die  Stelle  des  Kelches 
wird  wieder  durch  2  Blattpaare  ausgefüllt,  die  sich  von  den  gewöhnlichen  Laub- 
blättern durch  beträchtlichere  Größe  und  meist  auch  durch  eiuen  Anflug  von 
Buntfärbung  unterscheiden. 

Aus  der  Blütenmitte  ragt  der  Griffel  mit  der  Narbe  hervor  (3).  Er 
ist  von  den  Beuteln  der  8  Staubblätter  umgeben,  die  zusammen  einen 
kleinen ,  braunroten  Kegel  bilden  und  sich  an  der  Spitze  mit  je  2  Löchern 
öffnen.  Jeder  Staubbeutel  besitzt  am  Grunde  2  Anhängsel,  die  den  Weg  zum 
Honig  im  Blütengrunde   versperren   und   daher   von   dem   saugenden  Insekt  be- 


Heidekraut.     Glocken-Heide. 


117 


rührt  werden  müssen.  Sobald  dies  aber  geschieht,  werden  auch  die  Staub- 
beutel erschüttert,  so  daß  aus  ihnen  der  Blütenstaub  wie  aus  einer  Streu- 
sandbüchse auf  das  Insekt  herabrieselt  (5.).  Stößt  das  mit  Blütenstaub  beladene 
Tier  beim  Besuche  einer  zweiten  Blüte  an  die  im  Blüteneingange  stehende 
Narbe,  so  hat  es  die  von  der  Pflanze  „gewünschte"  Fremdbestäubung  vollzogen. 
Mit  dieser  Art  der  Bestäubung  hängt  es  innig  zusammen,  daß  das  Heidekraut 
im  Gegensatz  zu  den  meisten  anderen  „Insektenblütlern"  trockenen  Blütenstaub 
besitzt,  und  daß  die  Staubfäden  eine  schwanenhalsartige  Krümmung  zeigen. 
Infolge  dieser  Einrichtung  werden  die  Staubfäden  nämlich  zu  federnden  Ge- 
bilden, so  daß  die  von  ihnen  getragenen  Staubbeutel  bereits  bei  der  geringsten 
Erschütterung  ins  Schwanken  geraten. 

2.  Obgleich  die  Blüten  verhältnismäßig  klein  sind,  ist  das  blühende  Heide- 
kraut  doch   weithin   sichtbar,   so   daß    es  sich   eines 
außerordentlich  regen  Besuchs  zu  erfreuen  hat: 

a)  Jeder  Zweig  der  Pflanze  trägt  zahlreiche  Blüten, 
die  sämtlich  nach  einer  Seite  gerichtet  sind. 

b)  Das  Heidekraut  wächst  —  wie  oben  erwähnt  — 
in  mehr  oder  weniger  großen  Beständen,  so  daß  die 
blühende  Pflanze  schon  auf  eine  größere  Entfernung  hin 
sichtbar  wird. 

c)  Die  Blüten  werden  —  im  Gegensatz  zu  denen  der 
meisten  anderen  Pflanzen  —  nach  dem  Verblühen 
nicht  unscheinbar  (1.  und  4.).  Ein  Besuch  dieser 
Blüten  wäre  für  das  Heidekraut  aber  nicht  allein  voll- 
ständig wertlos,  sondern  sogar  von  Nachteil;  denn  die 
Insekten  würden  —  so  zu  sagen  —  damit  die  kostbare 
Zeit  nur  vertrödeln.  Durch  Einwärtskrümmen  der  (etwas 
verblauten)  Kelchblätter  wird  daher  der  Eingang  zum 
Blüteninnern  verschlossen,  so  daß  die  Insekten  genötigt 
sind,  nur  den  geöffneten  Blüten  zu  dienen.  —  Im  Schutze 
des  Kelches  reift  auch  die 

E.  Frucht.  Sie  ist  eine  kleine  Kapsel,  die  zur  Zeit 
der  Keife  mit  4  Klappen  (Fruchtblätter!)  aufspringt,  so 
daß  der  Wind  die  winzigen  Samen  leicht  verstreuen  kann  (6.). 

Andere  Heidekraut-Gewächse. 

Von  den  nächsten  Verwandten  des  Heidekrauts  sei 
nur  die  Glocken-Heide  (Erica  tütralix)  erwähnt,  die  auf  Torf- 
and Moorboden  gedeiht  (daher  auch  Sumpf-H.).  Ihre  immer- 
grünen Blätter  sind  nur  an  den  Rändern  zurückgerollt,  dafür 
aber  sind  sie  wie  alle  jungen  (diesjährigen)  Teile  mit  Ausnahme 
der  Blumenkrone  dicht  von  kurzen  einfachen,  sowie  von  langen 
Drüsenhaaren  (s.  S.  33)  bedeckt.  Am  Ende  der  Stengel  stehen  wie 
zierliche  Glöekchen  (Name!)   die   fleischfarbigen  Blüten   in  einem 


Glocken-Heide 

fnat.  Gr.) 


118 


32.  Familie.     Heidekraut-Gewächse. 


Büschel.  —  Die   zahlreichen  Heidearten,   die   bei   uns  als  Topfpflanzen  gezogen  werden, 
entstammen  zumeist  dem  trockenen  Kaplande. 

2.  Unterfamilie.  Heddelbeergewächse  (Vaccinieae).  In  lichten  Wäldern, 
aber  auch  auf  Heiden  (Name!)  und  Mooren  bedeckt  die  Heidelbeere  (Vaccinium  myrtillus) 
den  Boden  oft  auf  weite  Strecken.  Gegen  die  Trockenheit  des  Standorts  ist  sie  durch  die 
starke  Oberhaut  der  Blätter,  die  infolgedessen  lederartig  hart  erscheinen,  im  Winter  aber 
abfallen,  wohl  geschützt  (s.  S.  75).  Zudem  leitet  die  Pflanze  —  wie  folgender  einfache 
Versuch  zeigt  —  fast  jeden  Regentropfen,  der  sie  trifft,  zur  Hauptwurzel  herab.  Taucht 
man  einen  abgeschnittenen  Heidelbeerstrauch  in  das  Wasser  und  hält  ihn  sodann  senkrecht 
frei  hin,  so  wird  man  bemerken,  daß  —  von  wenigen  Tropfen  abgesehen  —  das  Wasser 
in  einem  starken  Strome  am  Stamme  abläuft:  Die  schräg  stehenden,  rinnigen  Blätter 
leiten  es  über  den  kurzen,  gleichfalls  rinnenförmigen  Blattstiel  zu  dem  Zweige,  dem  sie 
ansitzen;  in  einer  tiefen  Furche,  die  sich  von  Blatt  zu  Blatt  zieht,   fließt  es  an  diesem 

hinab  und  sammelt  sich  von  sämtlichen  Zweigen 
am  Hauptstamme,  der  es  schließlich  der  Wurzel 
zuführt.  Die  rot  angehauchten  Blüten,  die  denen 
des  Heidekrauts  sehr  ähnlich  gebaut  sind  (Beweis!), 
gleichen  hängenden  Glückeken  (Schutz  des  Blüten- 
staubes gegen  Befeuchtung!).  Die  blauschwarzen 
Früchte  („Blaubeeren")  dienen  dem  Menschen  als 
willkommene  Speise,  so  daß  das  Sammeln  der  wohl- 
schmeckenden Beeren  für  viele  Gegenden  eine  wich- 
tige Erwerbsquelle  bildet.  Bestimmt  jedoch  sind 
die  Früchte,  die  sich  von  dem  herbstlich  roten  Laube 
scharf  abheben,  für  die  Verbreiter  der  Pflanze,  für 
Drosseln  und  andere  Waldvögel  (s.  S.  64,  8).  — 
Die  Preigelbeere  (V.  vitis  idäa)  teilt  mit  der 
Heidelbeere  Bedeutung  (Beweis!)  und  Standort.  Viel- 
fach überdeckt  sie  jedoch  auch  Bergrücken.  Ferner 
besitzt  sie  im  Gegensatz  zu  jener  Pflanze  immer- 
grünes Laub,  aus  dem  die  roten  Beeren  prächtig  hervorleuchten  (Bedeutung?).  —  Letz- 
teres gilt  auch  für  die  zierliche  Moosbeere  (V.  oxycöccus),  deren  schwache  Stämme 
besonders  zwischen  Torfmoos  dahinkriechen. 

3.  Unterfamilie.  Wintergrüngewächse  (Piröleae).  Im  Moder  des  Wald- 
bodens wurzeln  die  zahlreichen  Arten  des  Wintergrüns  (Pirola).  Die  zierlichen 
Pflanzen  besitzen  zarte,  nickende  Blüten  (verfolge  die  interessante  Bestäubung!)  und 
immergrüne  Blätter  (Name),  die  dementsprechend  von  lederartiger  Beschaffenheit  sind.  — ■ 
In  der  Gesellschaft  der  Wintergrünarten  findet  sich  zumeist  auch  der  nahe  verwandte, 
seltsame  Fichtenspargel  (Monötropa  hypöpitys).  Da  er  kein  Blattgrün  besitzt,  erscheint 
er  in  allen  Teilen  blaß,  wachsgelb,  so  daß  die  jungen  Triebe  hervorbrechenden  Spargel- 
sprossen nicht  unähnlich  sind  (Name!).  Infolgedessen  vermag  er  einerseits  selbst  im 
dunkelsten  Waldesdickicht  zu  gedeihen,  das  von  allen  grünen  Pflanzen  gemieden  wird,  ist 
aber  andererseits  auch  genötigt,  wie  z.  B.  die  Hopfenseide  (s.  das.)  seine  Nahrung  in 
„fertiger  Form"  aufzunehmen.  Gräbt  man  jedoch  nach,  so  findet  man,  daß  der  korallen- 
förmige,  brüchige  Wurzelstock  der  Wurzel  anderer  Pflanzen  nicht  aufsitzt.  Dagegen  zeigt 
das  Mikroskop,  daß  er  mit  Pilzfäden,  die  den  Waldboden  durchwuchern,  in  innigster 
Verbindung   steht:    ihnen    entzieht   der  Fichtenspargel    alle   zum  Aufbau  seines  Körpers 


Zweig  der 
Preigelbeere 

mit  Früchten 
(nat.  Gr.) 


Andere   Heidekraut-Gewächse. 


119 


notwendigen  Stoffe.  Wir  haben  es  hier  also 
mit  einer  Blutenpflanze  zu  thun,  die  auf  Pilzen 
schmarotzt ,  ein  Fall ,  der  in  der  heimischen 
Natur  einzig  dasteht.  Der  saftige  Stengel  des 
seltsamen  Gewächses,  der  sehuppenförmige,  auf- 
rechtstehende Blätter  trägt,  ist  zur  Blütezeit 
am  oberen  Ende  abwärts  geneigt,  so  daß  die 
Blüten  nach  unten  gerichtet  sind  (Bedeutung?) 
Da  sich  die  blasse  Pflanze  von  dem  dunklen 
Waldboden  genügend  abhebt,  so  wird  uns  auch 
der  Mangel  einer  leuchtenden  Blütenfarlie  ver- 
ständlich. Nach  erfolgter  Bestäubung  richtet 
sich  der  Stengel  empor  und  streckt  sich  (be- 
sonders in  dem  blütentragenden  Abschnitte)  stark 
in  die  Länge.  Dadurch  werden  die  Fruchtkapseln 
nicht  allein  senkrecht  gestellt  (warum  nötig?), 
sondern  auch  höher  über  den  Boden  gehoben, 
so  daß  dem  Winde  leichter  Gelegenheit  ge- 
geben ist,  die  staubförmigen  Samen  aus  den 
sich  öffnenden  Kapseln  zu  blasen.  Diese  Aus- 
streuungsweise setzt  aber  einen  widerstands- 
fähigen Stengel  voraus ;  daher  wird  der  anfangs 
saftige  und  brüchige  Stengel  nach  der  Bestäubung 
hart,  steif  und  elastisch. 

4.  Unterfamilie.  Alpenrosengewächse 
(Rhodöreae).  Eine  herrliche  Zier  der  Alpenberge 
bilden  die  vielbesungenen  Alpenrosen  (Rhododendron), 
die  mit  ihren  prächtigen  Blüten  oft  weite  Flächen  mit 
leuchtendem  Rot  überkleiden.  Vermöge  der  außer- 
ordentlich biegsamen  Zweige ,  die  sich  dem  Boden 
dicht  anschmiegen,  können  die  Sträucher  den  Druck 
der  mächtigen  Schneemassen,  die  alljährlich  monate- 
lang auf  ihnen  lasten,  wohl  ertragen.  Und  da  sie 
(wie  Heidekraut,  Preißelbeere  u.  a.)  immergrüne 
Blätter  besitzen ,  deren  Spaltöffnungen  infolge  be- 
sonderer Einrichtungen  gegen  Verschluß  durch  Feuch- 
tigkeit geschützt  sind,  können  sie  selbst  unter  den 
außerordentlich  ungünstigen  Verhältnissen  leben,  die 
auf  den  Alpenbergen  herrschen  (kurzer  Sommer,  in 
dem  die  Früchte  nicht  einmal  reifen ;  regenreiche  Orte; 
selbst  im  Sommer  oft  in  Wolken  gehüllt  und  allnächt- 
lich mit  Tau  oder  Reif  beschlagen).  —  Zahlreiche 
ausländische  Alpenrosen  zählen  gleich  den  farben- 
prächtigen Azaleen  (Azälea)  zu  unseren  beliebtesten 
Topfpflanzen. 


Fichtenspargel. 

1.  blühende  Pflan- 
ze   mit     Wurzel- 
stock  und  jünge- 
ren  Trieben. 

2.  oberirdischer 
Teil  des  Stengels 
z.  Z.  der  Frucht- 
reife. Der  Wind 
bläst  die  Samen 
aus  den  Kapseln. 


120  Taf.  16.     33.  Familie.     Schlüsselblumen-Gewächse. 

33.   Familie.     Schlüsselblumen-Gewächse  (Primuläceae). 

Alle  Blütenteile  5-zählig.     Fruchtknoten  1 -fächerig  mit  mittelständigem  Samenträger 
und  einfachem  Griffel.     Frucht  eine  Kapsel. 

Die  duftende  Schlüsselblume  (Primula  officinalis).*).     Taf.  16. 

A.  Eine  Frühlingspflanze.  Wenn  die  Schlüsselblume  draußen  auf  der 
Wiese  oder  im  Walde  wieder  blüht,  so  ist  der  Frühling  endlich  da.  Die  freund- 
liche Blume  ist  gleichsam  der  Schlüssel,  der  den  Himmel  des  Frühlings  mit  all' 
seiner  Herrlichkeit  öffnet.  Daher  wird  sie  auch  treffend  Schlüsselblume  oder 
Himmelschlüsselchen  genannt.  „Primel"  heißt  sie,  weil  sie  ein  Erstling  unter 
den  Blumen  ist  (primula  ist  die  Verkleinerung  von  prima,  die  erste). 

Gleich  zahlreichen  anderen  Pflanzen  (Beispiele!)  vermag  die  Schlüsselblume 
so  früh  im  Jahre  zu  erscheinen;  denn  sie  ist 

1.  eine  ausdauernde  Pflanze,  die  während  des  Vorjahres  in  dem 

2.  unterirdischen  Stamme  oder  Wurzelstocke  (1.)  reichlich  Baustoffe 
aufgespeichert  hat.  Es  ist  dies  ein  kurzes,  dickes,  mit  zahlreichen  Wurzeln  und 
Blattresten  besetztes  Gebilde,  das  sich  in  jedem  Jahre  am  oberen  Ende  um  ein 
Stück  verlängert  und  am  entgegengesetzten  Ende  allmählich  abstirbt  (s.  S.  29,  2). 
Aus  den  Vorratsstoffen  bestreitet  die  Pflanze  die  ersten  Ausgaben  zur  Bildung 
der  Blüten  und 

3.  Blätter.  Die  jungen  Blätter  (2.  und  3.)  stehen  senkrecht,  und  ihre 
Flächen,  die  an  den  Blattstielen  als  Säume  herablaufen,  sind  nach  der  Unter- 
seite zu  beiderseits  eingerollt:  Eigentümlichkeiten,  in  denen  wir  bereits 
Schutzmittel  gegen  das  Vertrocknen  kennen  gelernt  haben  (s.  Roßkastanie  und 
Veilchen). 

Eine  gleiche  Bedeutung  hat  auch  die  Runzelung  der  Blattfläche.  WTollen 
wir  Wäsche  trocknen,  so  legen  wir  sie  nicht  etwa  zusammengeknittert  an  irgend 
einen  Ort,  sondern  hängen  sie  auf,  d.  h.  wir  setzen  sie  vollkommen  ausgebreitet 
den  Sonnenstrahlen  und  der  bewegten  Luft  aus;  denn  ein  feuchter  Körper  ver- 
liert umso  mehr  Wasser  durch  Verdunstung,  je  mehr  er  von  der  Sonne  be- 
schienen (erwärmt)  und  von  bewegter  Luft  umspült  wird.  Da  ein  gerunzeltes 
Blatt  den  Sonnenstrahlen  und  dem  Winde  nun  eine  geringere  Fläche  darbietet 
als  ein  gleich  großes,  aber  vollkommen  ausgebreitetes,  so  wird  es  unter  den- 
selben Verhältnissen  auch  weniger  Wasser  verdunsten  als  dieses. 

Größer  geworden  breiten  sich  die  eiförmigen  Blattfiächen  immer  mehr 
aus,  die  Runzelung  verschwindet  und  die  Blätter  ordnen  sich  —  je  nach  der  Höhe 
der  umgebenden  Pflanzen  —  zu  einer  mehr  oder  weniger  deutlichen  Rosette 
(vgl.  mit  Reiherschnabel,  Wegerich  und  Löwenzahn!). 

B.  Von  der  Blüte.  1.  Blütenstand.  Aus  der  Mitte  der  Blattrosette 
erhebt  sich  ein  blattloser  Stengel  (ein  sog.  Schaft),  der  am  Ende  eine  Dolde 

*)  An  feuchteren  Stellen  wächst  die  ganz  ähnliche  hohe  Schlüsselblume 
(*.  w.  n.),  die  an  Stelle  der  betrachteten  Art  treten  kann. 


Schmcil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel   16. 


Duftende  Schlüsselblume  (Primula  officinalis). 


Duftende  Schlüsselblume.  121 

(s.  s.  71)  gestielter  Blüten  trägt.  Die  Blüten  entspringen  aus  den  Achseln 
winziger  Blättchen  und  sind  meist  seitwärts  oder  schräg  abwärts  geneigt,  bo 
daß  Blütenstaub  und  Honig  gegen  Regen  geschützt  sind. 

2.  Einzelblüte  (4.  -7.).  Der  röhrenförmige  Kelch  endet  in  5  Zipfel. 
In  der  jungen  Blütenanlage  waren  diese  5  Zipfel  zuerst  vorhanden;  später  wurden 
sie  von  einem  röhrenförmigen  Walle  emporgehoben,  der  sich  am  oberen  Kode  des 
Blütenstiels,  auf  dem  sog.  lilütenboden,  bildete,  so  daß  der  Kelch  in  Beiner  jetzigen 
Form  entstand.  In  derselben  Weise  bildete  sich  auch  die  dottergelbe  Blumen- 
krone. (Solche  Gebilde  bezeichnet  man  kurz,  aber  ungenau  als  „verwachsen- 
blättrig". „Verwachsenbluinenblättrige  Pflanzen"!)  Sie  hat  die  Form  einer 
Langen   Röhre,   die  sich   oben  glockenförmig  erweitert 

und  in  5  Zipfel  gespalten  ist.  Durch  eine  kleine,  bald 
in  der  Mitte,  bald  im  oberen  Teile  der  Röhre  liegende 
Erweiterung  ist  den  5  Staubblättern,  die  der  Innen- 
wand der  Röhre  zu  entspringen  scheinen,  Platz  geschaffen. 
I  >a  wir  nun  wissen  (s.  Seerose  und  edle  Rose),  daß  die 
Staubblätter  Blattgebilde  sind,  die  stets  aus  einem  Stengel 
hervorgehen,  so  können  sie  an  der  Blütenröhre  auch 
nicht  ihre  Entstehung  haben.  Sie  bildeten  sich  —  wie  Blüfcenffrundrifi  der 
dies   von    allen  Staubblättern   gilt  —  auch  in  der  Tat  Schlüsselblume. 

auf  dem  Blütenboden,   wurden   aber   von   dem   röhren- 
förmigen Abschnitte  der  Blumenkrone  mit  emporgetragen, 

so  daß  sie  dieser  eingefügt  erscheinen.  Der  Stempel  besteht  aus  einem  kuge- 
ligen Fruchtknoten  (s.  Absch.  C),  an  dessen  Grunde  der  Honig  abgesondert  wird, 
einem  mehr  oder  minder  langen  Griffel  und  einer  knopfförmigen  Narbe. 

3.  Bestäubung,  a)  Die  Bestäuber  werden  durch  den  Duft  und  die 
leuchtende  Färbung  der  Blüten  angelockt.  Auf  der  Innenseite  des  glocken- 
förmigen Abschnittes  der  Blumenkrone  finden  sich  5  orangefarbene  Streifen,  die 
sich  nach  dem  Eingange  zur  Blütenröhre  hinziehen.  Ähnliche  Zeichnungen 
finden  sich  bei  zahlreichen  anderen  Blüten  (Beispiele!).  Ob  sie  aber  wirklich 
den  Insekten  den  Weg  zum  Honig  zeigen,  wie  vielfach  angenommen  wird,  und 
ob  sie  daher  mit  Recht  als  „Honig-  oder  Saftmale"  bezeichnet  werden,  ist  eine 
kaum  zu  entscheidende  Frage  (warum?). 

b)  Da  der  Honig  am  Grunde  einer  langen,  engen  Blütenröhre  ab- 
geschieden wird,  sind  auch  nur  die  langrüsseligen  Hummeln  und  Falter  im- 
stande, bis  zu  ihm  vorzudringen  (vgl.  mit  Stein-Nelke). 

c)  In  den  Weg,  der  zum  Honig  führt,  sind  die  Staubblätter  und  die 
Narbe  gestellt.  Sie  müssen  daher  beim  Saugen  gestreift  werden.  Die  Insekten, 
denen  der  Honig  zugängig  ist,  sind  infolgedessen  auch  die  Bestäuber  der  Pflanze. 
Damit  sie  sich  mit  Blütenstaub  beladen,  öffnen  sich  die  Staubbeutel  nach  innen. 

d)  Wie  bereits  oben  erwähnt,  sind  in  den  einzelnen  Blüten  die  Griffel 
von  verschiedener  Länge  und  die  Staubblätter  in  verschiedener  Höhe  der  Blüten- 
röhre  eingefügt.      In   diesen  Verhältnissen    herrscht  nun  nicht  etwa  der  Zufall. 


122  33.  Familie.     Schlüsselblumen- Gewächse. 

sondern  eine  bestimmte  Gesetzmäßigkeit:  Neben  solchen  Pflanzen,  deren  sämt- 
liche Blüten  lange  Griffel  besitzen,  und  bei  denen  die  Staubblätter  in  der  Mitte 
der  Blumenröhre  eingefügt  sind  (4.  und  6.),  trifft  man  andere,  bei  denen  die 
Griffel  kurz  sind,  die  Staubblätter  dagegen  am  oberen  Ende  der  Blütenröhre 
stehen  (5.  und  7.).  Man  unterscheidet  daher  eine  langgriffelige  und  eine 
kurzgrif feiige  Form  der  Schlüsselblume. 

Um  die  Folgen  dieser  „Verschiedengrifflichkeit"  (Heterostj'lie) 
zu  erkennen,  brauchen  wir  nur  ein  Insekt,  z.  B.  eine  Hummel,  auf  dem  Fluge 
von  Blüte  zu  Blüte  etwas  genauer  zu  verfolgen.  Saugt  die  Hummel  zuerst  an 
einer  langgriffeligen  Blüte  (6.),  so  muß  sie  mit  dem  Kopfe  die  gerade  im  Eingang 
zur  Blütenröhre  stehende  Narbe,  mit  der  Mitte  des  Rüssels  dagegen  die  Staub- 
beutel berühren  und  sich  daselbst  mit  Blütenstaub  behaften.  Hält  die  Hummel 
darauf  bei  einer  kurzgriffeligen  Blüte  Einkehr  (7.),  so  berührt  sie  hier  umgekehrt 
mit  dem  Kopfe  die  Staubblätter,  mit  der  Rüsselmitte  dagegen  die  Narbe.  Da 
sie  nun  von  der  ersten  Pflanze  an  derselben  Rüsselstelle  Blütenstaub  mitgebracht 
hat,  so  muß  sie  eine  Bestäubung  der  2.  Blüte  herbeiführen.  Fliegt  darauf  die 
Hummel,  am  Kopfe  mit  Blütenstaub  beladen,  wieder  zu  einer  langgriffeligen 
Blüte  (6.)j  so  muß  sie  diese  gleichfalls  bestäuben:  kurz,  sie  wird  bei  fortge- 
setztem Besuche  der  Schlüsselblume  den  Staub  von  der  langgriffeligen  Form 
zur  kurzgriffeligen  und  umgekehrt  tragen  und  damit  eine  Fremd-  (Wechsel-) 
Bestäubung  beider  Formen  herbeiführen  (in  der  Abb.  4.  und  5.  durch  punk- 
tierte Linien  angedeutet). 

Welche  Bedeutung  hat  nun  diese  seltsame  Einrichtung'?  Naturforscher 
haben  durch  sorgfältige  Versuche  die  Antwort  auf  diese  Frage  gefunden:  brachten 
sie  Blütenstaub  auf  die  Narbe  derselben  Blütenform  (führe  dies  näher  aus!),  so 
entwickelten  sich  nur  wenige  Samen,  aus  denen  (ausgesät)  schwächliche  Pflanzen 
hervorgingen;  ahmten  sie  aber  die  Tätigkeit  der  Insekten  nach,  d.  h.  brachten 
sie  Staub  der  langgriffeligen  Form  auf  die  Narbe  der  kurzgriffeligen  und  umge- 
kehrt, so  bildeten  sich  zahlreiche  Samen,  aus  denen  sich  kräftige  Pflanzen  ent- 
wickelten. Die  Verschiedengrifflichkeit  ist  also  eines  jener  mannig- 
faltigen Mittel  (gib  andere  an!),  deren  sich  die  Natur  bedient,  die 
für  die  Samenbildung  günstige  Fremd-  (Wechsel-)  Bestäubung  her- 
beizuführen. (Warum  ist  bei  den  Blüten  der  Schlüsselblume  Selbstbestäubung 
nicht  völlig  ausgeschlossen?  Wann  kann  sie  leicht  bei  der  langgriffeligen 
Form,  wann  bei  der  kurzgriffeligen  eintreten?) 

Daß  Fremd-  (Wechsel-)  Bestäubung  der  von  der  Natur  „gewollte"  Vor- 
gang ist,  geht  auch  noch  aus  einer  anderen  interessanten  Tatsache  hervor: 
Wie  das  Mikroskop  zeigt,  ist  der  Blütenstaub  der  langgriffeligen  Form  kleiner 
als  der  der  kurzgriffeligen;  umgekehrt  aber  hat  die  Narbe  der  ersteren  Form 
größere  Rauhigkeiten  (Narbenhaare)  als  die  der  letzteren.  Wenn  man  einer- 
seits bedenkt,  daß  die  kleinen  Staubkörner  nur  einen  verhältnismäßig  kurzen, 
die  großen  dagegen  einen  langen  Keimschlauch  bis  zu  den  Samenanlagen  im 
Fruchtknoten    zu    treiben    haben    (s.  den   letzten  Absch.  des  Buches),   so   wird 


Duftende  and  hohe  Schlüsselblume.     Chinesische  Primel.     Wasserfeder. 


123 


man  es  wohl  verstehen,  daß  ihnen  die  Natur  auch 
eine  verschiedene  Menge  von  Baustoff'  für  diese 
Schläuche  gegeben  hat.  Und  wenn  man  anderer- 
seits erwägt,  daß  die  Narbenrauhigkeiten  der 
langgriffeligen  Form  große  Staubkörner,  die  der 
kurzgriffeligen  dagegen  kleine  Körner  festzuhalten 
haben,  so  wird  man  auch  die  Bedeutung  dieser 
Verschiedenheit  leicht  einsehen. 

C.  Von  der  Frucht.  1.  Die  Frucht  (Frucht- 
knoten) ist  eine  Kapsel  (8.),  deren  Wand  aus 
5  Fruchtblättern  gebildet  ist.  Durchschneidet  man 
sie  senkrecht  (5.),  so  sieht  man,  daß  der  ver- 
längerte Fruchtstiel  in  den  Hohlraum  ragt,  da- 
selbst kugelig  angeschwollen  ist  und  zahlreiche 
Samen  trägt. 

2.  Im  Schutze  des  Kelches,  der  hart  und  derb 
wird,  reift  die  Frucht  heran.  Schließlich  öffnet 
sie  sich  an  der  Spitze  mit  10  Zähnen  und  über- 
läßt es  dem  Winde,  die  Samen  auszustreuen  (9.). 
Damit    letzteres     mit    Erfolg     geschehen    kann, 

haben  sich  die  Blüten-  (Frucht-)  Stiele  bereits  nach  dem  Verblühen  senkrecht 
emporgerichtet  (was  würde  geschehen,  wenn  sie  ihre  ursprüngliche  Stellung  bei- 
behielten?), und  sie  sowohl,  als  auch  der  Schaft  sind  zu  festen,  elastischen  Ge- 
bilden herangereift:  der  Fruchtstand  ist  also  eine  Schleuder  einfachster  Alt 
geworden  (vgl.  mit  Klatschmohn).  Die  nach  oben  geöffneten  Fruchtkapseln 
schließen  sich  bei  Eintritt  feuchter  Witterung,  indem  sich  die  Zähne  einwärts 
krümmen  (vgl.  mit  Stein -Nelke).  Die  kleinen  Samen  haben  gleich  denen  des 
Klatschmohns  (s.  das.)  eine  rauhe  Oberfläche. 


Narben  und  Blütenstaub  der 
Schlüsselblume:  kg. F.  von  der 

kurzgriffeligen,   lg.  F.  von  der 

langgriffeligen   Form.     (Narben 

etwa  20  mal,  Blütenstaub 

300  mal  vergr.) 


Andere  Schlüsselbluinen-<j!ewächse. 


Mit  der  duftenden  Schlüsselblume  stimmt  die  hohe  Seh.  (P.  elätior)  in  allen 
Stücken  überein.  Sie  wächst  jedoch  auf  feuchterem  Grunde,  ist  etwas  größer  als  jene 
und  besitzt  geruchlose,  schwefelgelbe  Blüten,  deren  Blumenkronen  im  vorderen  Abschnitte 
nach  ausgebreitet  sind.  Von  ihr  stammt  die  buntblütige  Garten -Primel  ab.  — 
Die  dickblättrige  G  a  r  t  e  n  -  A  u  r  i  k  e  1 ,  die  in  einer  noch  viel  größeren  Anzahl  von 
Farbenspielarten  gezogen  wird,  ist  der  Abkömmling  eines  Bastards  (s.  S.  97),  der  durch 
Kreuzung  zweier  Alpen-Primeln  entstanden  ist.  —  Eine  allgemein  bekannte  Topfpflanze 
ist  die  chinesische  Primel  (P.  sinensis).  —  Über  den  Spiegel  stehender  Gewässer  hebt 
die  Wasserfeder  (Hottönia  palustris)  ihre  weißen,  oft  rosenrot  angehauchten  Blüten 
empor,  die  zn  weithin  sichtbaren  Trauben  gehäuft  und  wie  die  erwähnten  Schlüssel- 
blumen-Arten „verschieden-grifflig"  sind.  Da  die  prächtige  Pflanze  unter  denselben  Be- 
dingungen wie  der  Wasser-Hahnenfuß  (s.  S.  5)  wächst,  so  finden  wir  bei  ihr  auch  einen 
schwachen  Stengel  mit  großen  Lufträumen  und  tiefzerteilte  Blätter  (Name!).  Sobald 
die  kalte  Jahreszeit   eintritt,    sinkt  das  zarte  Gewächs  in  die  frostfreie  Tiefe;  versiegt 


124        34.  Farn.    Grasnelken.     35.  u.  36.  Fam.     Ölbaum-  und  Enziangewächse, 

das  Wohngewässer,  so  bildet  es  eine  Landform  mit  kurzen  Stengelgliedern  und  steiferen 
Blättern.  —  Unter  der  Saat  und  auf  Brachäckern  wächst,  der  Vogelmiere  sehr  ähnlich 
(ri-ote  Miere"),  der  Ackergauchheil  (Anagällis  arvensis).  Seine  kleinen,  meist  ziegel- 
roten Blüten  schließen  sich  nachts  und  werden  zugleich  nickend  (Bedeutung V).  Die 
Pracht  ist  eine  zierliche,  kugelförmige  Kapsel,  deren  obere  Hälfte  sich  bei  der  Reife 
wie  ein  Deckel  ablöst.  —  Auf  feuchten  Wiesen,  in  Straßengräben  und  an  ähnlichen 
Orten  entfaltet  das  Pfennigkraut  (Lysimachia  nummuläria)  seine  großen,  gelben  Blüten. 
Die  Blätter  stehen  sich  zu  je  2  gegenüber,  und  je  2  aufeinander  folgende  Paare  bilden 
ein  Kreuz.  Da  nun  der  schwache  Stengel  dem  Boden  (zumeist)  dicht  aufliegt,  so  müßte 
stets  eines  von  je  4  Blättern  abwärts  gerichtet  sein.  Das  ist  jedoch  nicht  der  Fall. 
Das  betreffende  Stengelglied  macht  nämlich  eine  halbe  Drehung  um  seine  Längsachse, 
so  daß  auch  dieses  Blatt  emporgehoben  wird.  Übrigens  stellen  sich  auch  alle  Blatt- 
stiele senkrecht  zum  liegenden  Stengel,  und  die  rundlichen  Blattrlächen  (Name!)  sind 
wagerecht  gelagert :  alles  Einrichtungen,  die  eine  möglichst  vollkommene  Ausnützung 
des  belebenden  Sonnenlichts  ermöglichen.  —  Der  nächste  Verwandte  des  Pflänzchens  ist  der 
oft  mehr  als  meterhohe  Gilbweiderich  (L.  vulgaris),  der  an  Flußufern,  in  Weidenbe- 
ständen  (Name!)  und  an  anderen  nassen  Stellen  gedeiht.  —  Einen  prächtigen  Schmuck 
feuchter  Wälder  und  schattiger  Matten  der  Voralpen  bildet  das  Alpenveilchen  (Cyclämen 
europ&um),  das  mit  anderen  Arten  seines  Geschlechts  eine  unserer  beliebtesten  Topf- 
pflanzen geworden  ist.  Aus  dem  scheibenförmigen  Knollenstamme  („Erdscheibe")  er- 
heben sich  schöngeformte,  weißgefleckte  und  unterseits  rote  Blätter  (vgl.  mit  Wiesenklee 
und  Seerose),  sowie  zahlreiche  nickende,  rote  Blüten  von  zierlichem  Bau  und  lieb- 
lichem Duft. 

Ein  Glied  der  nahe  verwandten 

34.  Familie  der  Grasnelken  (Plumbaginaceae) 

ist  die  gemeine  Grasnelke  (Armeria  vulgaris),  eine  allbekannte  Pflanze  trockener  Gras- 
plätze und  anderer  derartiger  Orte.  Daher  finden  wir  bei  ihr  wie  bei  der  überaus  äbnlichen 
Steinnelke  (Name!)  eine  sehr  tiefgehende  Wurzel  (beobachte  daraufhin  besonders  Pflanzen, 
die  in  trockenstem  Sande  wachsen !)  und  schmale,  grasartige  Blätter.  Die  kleinen,  rosa- 
farbenen Blüten  (beschreibe  sie!)  sind  zu  ansehnlichen  Köpfen  gehäuft,  die  von  je  einem 
hohen  Blütenschafte  über  die  Umgebung  emporgehoben  werden  (Bedeutung?).  Unterhalb 
des  Köpfchens  stehen  einige  Hüllblättchen,  deren  obere  Abschnitte  die  Blüten  vor  dem 
Entfalten  wie  ein  Kelch  schützend  umgeben  und  deren  untere  Abschnitte  zu  einer 
häutigen  Scheide  verwachsen  sind.  Untersucht  man  einen  jungen  Blütenschaft,  so  findet 
man,  daß  er  allein  unter  der  Scheide  noch  weich  und  zart  ist,  hier  also  fortgesetzt 
wachsen,  und  somit  den  Blütenkopf  emporheben  kann:  die  Scheide  giebt  sich  demnach 
als  ein  Schutzgebilde  ohne  weiteres  zu  erkennen.  Der  trichterförmige  Kelch  bleibt  an 
der  Frucht  sitzen  und  bildet  einen  kleinen  Fallschirm,  der  die  Verbreitung  der  Pflanze 
durch  den  Wind  (hoher,  elastischer  Schaft !)  befördert. 

35.  und  36.  Familie.     Ölbaum-  und  Enziang-ewächse.     (Oleaceae 

und  Gentianäceae.) 

1.  Ölbaumge wachse.     Der  Flieder   (Syringa  vulgaris),   hier   und   da 

fälschlich    auch    Holunder   genannt    (s.    das.),    hat   sich    als    überall    beliebter 

Schmuckbaum  vom   südöstlichen  Europa   aus  über  alle  wärmereu  und 


Andere  Schlüsselblumen-Gewächse.    Grasnelke.    Flieder.  Liguster.    Esche.  Ölbaum.       125 

gemäßigten  Länder  unseres  Erdteils  verbreitet.  Irn  warmen  Süden  stellen  die 
Saugwurzeln  mit  Beginn  der  kälteren  Jahreszeit  ihre  Tätigkeit  nicht  ein,  so 
daß  der  Baum  dort  das  ganze  Jahr  hindurch  seine  großen,  herzförmigen 
Blätter  behält  (vgl.  S.  91).  Die  lilafarbenen,  rötlichen  oder  weißen  Blüten 
(beschreibe  sie!)  sind  an  sich  zwar  klein;  da  sie  aber  zu  großen  Sträußen  ge- 
häuft sind,  einen  angenehmen  Duft  aushauchen  und  im  unteren  Teile  der  engen 
Bliitenröhre  oft  mehrere  Millimeter  hoch  mit  Honig  aD gefüllt  sind,  werden  sie 
fleißig  von  Insekten  besucht.  An  dem  durch  das  Saugen  klebrig  werdenden 
Kassel  tragen  die  Besucher  den  Blütenstaub  von  Blüte  zu  Blüte  (Staubbeutel 
und  Narbe  stehen  im  Zugange  zum  Honig).  Bleibt  Insektenbesuch  aus,  dann 
fällt  der  Staub  auf  die  unter  den  Beuteln  stehende  Narbe,  so  daß  Selbst- 
bestäubung eintrit.  Die  Frucht  ist  eine  Kapsel.  Sie  öffnet  sich  bei  der  Reife 
mit  2  Klappen,  so  daß  der  Wind  die  Samen  ausstreuen  und  verwehen  kann. 
Letzteres  geschieht  umso  eher,  als  die  Samen  sehr  leichte,  flachgedrückte  Gebilde 
darstellen,  die  zudem  noch  von  einem  Flügelrande  umgeben  sind  (vgl.  mit 
Spitzahorn).  Häufiger  jedoch  als  durch  Samen  pflanzt  sich  der  Baum  durch 
Schößlinge  fort,  die  sich  meist  in  großer  Zahl  aus  dem  Wurzelstocke  erheben 
und  ein  dichtes  Gebüsch  bilden. 

Noch  stärker  tritt  diese  Art  der  Vermehrung  beim  Liguster  oder  der  Kaimveide 
(Ligiistrum  vulgare)  in  die  Erscheinung,  so  daß  sich  die  Pflanze  vortrefflich  zur  Anlage 
^lebender  Hecken"  eignet.  Die  weidenartigen  Blätter  (Name!)  sind  etwas  lederartig. 
Infolgedessen  überdauert  an  jedem  Strauche  stets  eine  Anzahl  von  ihnen  selbst  den 
kältesten  Winter  (vgl.  mit  Efeu).  Aus  den  weißen  Blüten,  die  nach  Bau  und  Häutung 
denen  des  Flieders  gleichen,  entwickeln  sich  schwarze  Beeren,  die  für  zahlreiche  Vögel 
in  der  kalten  Jahreszeit  eine  willkommene  Speise  bilden  (vgl.  mit  Weinheere). 

Die  Esche  (Fräxinus  excelsior)  findet  sich  in  Wäldern  und  Anlagen  oft  als  ein 
mehr  denn  30  m  hoher  Baum  mit  mächtiger  Krone.  Sie  besitzt  unpaarig  gefiederte 
Blätter,  deren  Hauptstiel  auf  der  Oberseite  eine  deutliche  Rinne  bildet.  Nur  da,  wo  die 
Fiederblätter  ontspringen,  ist  die  Rinne  geöffnet.  Hier  tritt  das  von  den  Fiederblättern 
aufgefangene  Regenwasser  in  die  Rinne,  woselbst  es  von  haar-  und  schildförmigen  Zell- 
gruppen aufgesogen  wird.  Die  Bestäubung  der  Pflanze  wird  wie  bei  den  meisten  Wald- 
bäumen durch  den  AVind  vermittelt  (s.  Haselnuß).  Daher  blüht  die  Esche  auch  vor  der 
Entfaltung  des  Laubes  und  besitzt  sehr  einfach  gebaute  Blüten  (beschreibe  sie!),  die 
entweder  nur  einen  Stempel  oder  2  Staubblätter  oder  beide  Blütenteile  zugleich  ent- 
halten. Der  Wind  besorgt  auch  die  Verbreitung  der  flachen,  geflügelten  Früchte.  Eine 
Spielart  der  Esche  ist  die  bekannte  Traueresche,  die  wir  als  ein  Sinnbild  der  Trauer 
(hängende  Zweige!)  gern  auf  die  Ruhestätten  der  Toten  pflanzen. 

Eines  der  wichtigsten  Gewächse  der  Mittelmeerländer  ist  der  Öl-  oder  Oliven- 
batUD  (Olea  europiea),  der  besonders  in  den  Küstengegenden  oft  weite  Strecken  bedeckt, 
Er  erreicht  ein  außergewöhnlich  hohes  Alter  und  ähnelt  mit  seinem  oft  hohlen  Stamme, 
den  sparrigen  Asten  und  schmalen  Blättern  einem  Weidenbaume  im  hohen  Grade.  Da 
er  aber  alljährlich  eine  lange  Sommerdürre  zu  überstehen  hat,  ist  sein  immergrünes 
Laub  lederartig  (s.  Orange)  und  —  ein  zweites  wichtiges  Schutzmittel  gegen  zu  starke 
Wasserdampfabgabe  —  besonders  unterseits  dicht  mit  schuppent'örinigen  Haaren  bedeckt. 
Gleich  der  Ölweide  (Eheägnus),  die  bei  uns  vielfach  als  Ziergehölz  angepflanzt   wird. 


126       35.  u.  36.  Pam,    Ölbaum-  u.  Enzian-Gewäcl 


37.  Farn.    Windengewächse. 


erscheint  der  Ölbaum  daher  grau  belaubt,  so  daß  den  Olivenhainen  das  belebende  Grün 
unserer  Wälder  fehlt.     Die  Blüten  gleichen  nach  Färbung,  Bau  und  Häufung  ganz  denen 

des  Ligusters.  Die  pflau- 
menähnlichen Steinfrüch- 
te sind  in  allen  Teilen 
außerordentlich  ölreich. 
Sie  liefern  das  wertvolle 
Oliven-  oder  Baumöl.  Die 
besseren  Ölsorten,  unter 
denen  wieder  das  Pro- 
venceröl  hervorragt  (so 
genannt,  weil  besonders 
in  der  Provence  gewon- 
nen), erhält  man  durch 
gelindes  Pressen  der  ent- 
steinten Früchte.  Sie 
dienen  besonders  als 
Speiseöle.  Die  geringe- 
ren Sorten,  die  man 
durch  Auspressen  der 
ganzen  Früchte  gewinnt, 
werden  zur  Herstellung 
von  Seifen  oder  als  Brenn- 
und  Schmieröle  verwen- 
det. Auch  das  feste, 
schön  geäderte  und  poli- 
turfähige Olivenholz  wird 
hoch  geschätzt  (Spazier- 
stöcke und  andere 
Drechslerarbeiten).  Es 
ist  daher  nicht  zu  ver- 
wundern ,  daß  ein  so 
wichtiger  Baum  in  den 
Mittelmeerländern  be- 
reits seit  dem  grauen 
Altertume  (Juden,  Grie- 
chen) in  hohem  Ansehen 
steht.     Ein    aus    seinen 

Zweigen   geflochtener 

Kranz     war     der     Lohn 

des  Siegers  in  den  Olym- 

Sinnbild    des    Friedens 


Blühender  Zweig  vom  Ölbaume.     Daneben  eine  geöffnete 
Frucht   (nat.  Gr.) 

;ilt    der    Ölzweig    als    ein 


pischen    Spielen ,    und    noch    heute 
(Taube  Noahs). 

2.  Enziangewächse.  Die  zahlreichen  Enzianarten  (Gentiäna),  die  zumeist 
prächtig  blaue  Röhrenblüten  besitzen,  sind  vorwiegend  Gebirgspflanzen.  Besonders  für 
die  Alpenmatten  bilden  sie  eine  herrliche  Zier.  Die  Wurzeln  der  Arten,  die  einen 
wirksamen  Bitterstoff  enthalten,  werden  in  der  Heilkunde  und  zur  Bereitung  des  Enzian- 


Enzian.  Tausendgüldenkraut.    Immergrün.    Oleander.  Brcchnnßhanm.  Ackerwinde.       127 

Branntweins  verwendet.  —  Auf  sonnigen,  sandigen  Triften  und  an  ähnlichen  Orten  ent- 
faltet das  Tausendgüldenkraut  (Krythrsea  centaurium)  seine  zierlichen,  rosafarbenen 
Blüten,  die  sich  abends  zum  „Schlafe"  schließen  (Bedeutung?).  Da  alle  Teile  der  Pflanze 
stark  bitter  schmecken  (Schutzmittel  gegen  Weidetiere),  finden  sie  eine  ahnliche  Ver- 
wendung wie    die    Enzianwurzeln. 

3.  Glieder  nahe  verwandter  Familien.  Am  Boden  lichter  Wälder 
kriecht  das  Immergrün  (Vinca  minor)  dahin.  Das  blaublühende  Pflänzchen,  das  auch 
häufig  an  schattigen  Stellen  der  Gärten  angepflanzt  wird,  hat  wie  der  Efeu  (s.  das.) 
immergrünes  (Name !),  lederartiges  Laub.  —  Gleiche  Blätter  (s.  Orange)  hat  auch  der 
Oleander  (Neriuni  Oleander).  Dieser  aus  Südeuropa  stammende,  rotblühende  Zierstrauch 
enthält  in  allen  Teilen  ein  scharfes  Gift.  —  Weit  stärker  allerdings  ist  das  Gift,  das 
aus  den  Samen  des  ostindischen  Brechnnjbaums  (Strychnos  nux  vömiea)  gewonnen 
wird.  In  größeren  Gaben  dient  das  „Strychnin"  zur  Vertilgung  von  Raubtieren, 
Mäusen  und  anderen  Schädlingen,  in  kleinen  Gaben  dagegen  ist  es  ein  wichtiges  Heilmittel. 

37.  Familie.     Windengewächse  (Convolvuläceae). 

1.  Die  Ackerwinde  (Convülvulus  arvensis). 

1.  Ein  windendes  Unkraut,  a)  Die  Ackerwinde  findet  sich  als  lästiges 
Unkraut  überall  auf  Äckern  (Name!)  und  in  Gärten,  wächst  ebenso  gern  aber 
auch  an  Wegen,  auf  Schutthalden  und  an  ähnlichen  Stellen. 

b)  Dir  dünner,  weitverzweigter  unterirdischer  Stamm  (Wurzelstock) 
durchzieht  den  Boden  sehr  tief  und  sendet  in  noch  tiefere  Erdschichten  lange 
Wurzeln  hinab.  Infolgedessen  vermag  die  zarte  Pflanze  selbst  auf  dürrem 
Grunde  zu  leben  und  ist  außerordentlich  schwer  auszurotten. 

c)  Aus  dem  Wurzelstocke  erheben  sich  zahlreiche  Stengel.  Da  sie  sehr 
lang  und  schwach  sind,  vermögen  sie  weder  die  eigene  Last,  geschweige  denn 
die  der  Blätter,  Blüten  und  Früchte  zu  tragen.  So  lange  die  Winde  von 
Nachbargewächsen  nicht  beschattet  wird  (an  Wegen  und  ähnlichen  Orten),  bleibt 
der  Stengel  daher  ohne  Nachteil  für  die  Pflanze  am  Boden  liegen.  Sobald  dies 
aber  geschieht,  sucht  sie  genau  wie  die  Bohne  (s.  S.  101)  durch  Umwinden  (Name!) 
fremder  Gegenstände  zum  Lichte  emporzudringen.  Dann  entfaltet  sie  auf  an- 
gebautem Boden  ihre  ganze  Schädlichkeit:  sie  umstrickt  die  Nutzpflanzen,  zieht 
das  Getreide  zum  Boden  herab  und  verhindert  die  Halme,  die  sich  infolge  eines 
heftigen  Regengusses  „gelagert"  haben,  sich  wieder  aufzurichten.  (Diwiefern 
bedingt  dies  eine  Schädigung  der  angebauten  Pflanzen?) 

d)  Bei  gleichmäßiger  Belichtung  sind  die  pfeilförmigen  Blätter  auch 
gleichmäßig  um  den  windenden  Stengel  geordnet;  bei  ungleichmäßiger  dagegen 
ist  die  Blattstellung  mannigfach  gestört.  Dasselbe  gilt  auch  für  die  Blätter 
an  solchen  Stengeln,  die  wagerecht  am  Boden  liegen.  Da  sie  nur  von  oben 
belichtet  werden,  haben  sich  die  langen  Blattstiele  alle  senkrecht  gestellt,  so  daß  die 
Blattflächen  in  einer  Ebene  liegen  (vgl.  S.  44,  c).  (Bringe  den  Stengel  aus  der  ein- 
genommenen Lage   und   beobachte,  wie  auch  die  Blätter  ihre  Stellung  ändern!) 

2.  Von  der  Blüte  und  der  Frucht,  a)  Die  langen  Blütenstiele,  die  aus 


12* 


Taf. 


37.  Familie.     Windengewächse. 


den  Blattwinkeln  entspringen,  machen  oft  merkwürdige  Krümmungen,  um  die 
Blüten  aus  dem  Blattgewirr  herauszuheben  (Bedeutung?).  Sie  tragen  deren  1—3 
und  ebensoviele  Paare  winziger  Nebenblättchen,  die  weit  unter  dem  kurzen, 

fünfzipfeligen  Kelche  stehen  (vgl. 
dag.  Zaunwinde).  Die  große,  trichter- 
förmige Blumenkrone,  die  im 
Knospenzustande  in  Falten  gelegt  und 
zusammengedreht  ist,lockt  durch  bunte 
Färbung  (gib  sie  näher  an !)  und 
zarten  Duft  zahlreiche  Insekten  her- 
bei. Den  Besuchern  ist  jedoch  der 
Honig,  der  von  einem  orangefarbenen 
Polster  unter  dein  Fruchtknoten 
abgeschieden  wird,  nicht  ohne  weiteres 
zugängig.  Die  Fäden  der  5  Staub- 
blätter sind  nämlich  am  unteren 
Teile,  da  wo  sie  mit  der  Blumenkrone 
verwachsen  sind,  so  stark  verbreitert 
und  legen  sich  weiter  oben  so  dicht 
an  den  Griffel,  daß  nur  5  enge 
Zugänge  zum  Honig  vorhanden  sind. 
An  den  zusammenstoßenden  Seiten- 
wäuden  sind  sie  aber  mit  kleinen  Stacheln  besetzt,  vor  denen  die  Insekten  ihren 
empfindlichen  Rüssel  wohl  in  acht  nehmen.  Wollen  die  Tiere  Honig  saugen,  so 
müssen  sie  mithin  den  Rüssel  durch  eine  jener  Öifnungen  stecken.  Dabei  muß 
sich  aber  wenigstens  jedes  größere  Insekt  mit  Blütenstaub  beladen;  denn  die 
violetten  Staubbeutel  öffnen  sich  nach  außen.  Streift  das  Tier  den  anhaftenden 
Staub  beim  Verlassen  der  Blüte  an  einem  der  beiden  großen  und  weit  ge- 
spreizten Narbenäste  ab,  so  muß  Selbstbestäubung  erfolgen.  Geschieht  dies 
erst  beim  Besuch  einer  zweiten  Blüte,  so  tritt  Fremdbestäubung  ein. 

b)  Gegen  Abend   (bestimme   die  Zeit  für  deinen  Wohnort  näher!)   begibt 


Blüte  der  Ackerwinde  (2 


1  vergr.) 


wieder  die  Knospenlage  einnimmt,  und,  da  sie  jetzt  keinen  Besuch  mehr  „wünscht'', 
hört  sie  auch  auf  zu  duften.  Bei  Regenwetter  öffnet  sich  die  Blüte  gar  nicht 
(Bedeutung?). 

c)  Die  Frucht  ist  eine  Kapsel,  die  sich  bei  der  Reife  mit  2  Klappen 
öffnet.     Der  Wind  schüttelt  die  Samen  aus. 

Verw  a  nute.  Die  Zaunwinde  (C.  sepinni)  umspinnt  besonders  an  feuchten 
Orten  Büsche  und  Zäune  in  dichtem  Gewirr.  Sie  ähnelt  der  Ackerwinde  in  allen 
Stücken,  ist  von  ihr  u.  a.  aber  leicht  durch  die  großen  Nebenblätter  zu  unterscheiden, 
die  unmittelbar  unter  dem  Kelche  stehen.  Ihr  Hauptbestäuber  ist  der  schmucke  Winden- 
schwärmer. Daher  ist  wie  bei  allen  Falterblumen  (s.  Steinnelke)  auch  bei  ihr  der  Honig 
in    einer    tiefen    Blütenröhre    geborgen,    die    Blüte    also    weit   größer    als   bei  jener  Art. 


Schmal,   Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel   17. 


Hopfenseide  (Cuscuta  europaea). 


Acker-,  Zaun-  und   Purpurwindo.     Batate.     Hopfenseide.  121* 

Da  der  Windenschwärmer  erst  mit  Eintritt  der  Dämmerung  zu  fliegen  beginnt,  besitzt 
die  Blüte  wie  alle  Nachtfalterblumen  (vgl.  mit  Leimkraut)  eine  Färbung  (schneeweiß), 
die  selbst  im  Dunkeln  auffällig  ist,  und  sie  schließt  sich  auch  —  von  ganz  finsteren 
Nächten  abgesehen  —  im  Gegensatz  zu  der  der  Ackerwinde  nicht.  —  Die  Winde,  die  wir 
gern  zur  Bekleidung  von  Lauben  u.  dgl.  verwenden,  und  die  uns  durch  prächtige, 
wechselvolle  Blütenfarbe  erfreut,  ist  die  Purpurwinde  (C.  oder  Ipomüsa  purp  Urea).  Sie 
stammt  aus  Nordamerika.  —  Ein  Windengewächs  ist  auch  die  Batate  oder  süße  Kar- 
toffel (Ipomüea  batätas),  deren  stärkemehlhaltige  Wurzelknollen  in  allen  Tropenländern 
ein  wichtiges  Nahrungsmittel  bilden. 

2.  Die  Hopfenseide  (Cüscuta  europäVa).     Tafel  17. 

Das  Dickicht,  das  vom  Hopfen,  von  Weiden  und  Brennesseln  (1.)  gebildet 
wird,  findet  man  nicht  selten  wie  mit  zahlreichen,  unentwirrbaren,  blaßroten 
Fäden  (,,Seide")  umsponnen.  Bei  näherem  Zusehen  erkennt  man,  daß  diese  Fäden 
Pflanzenstengel  sind,  die  zahlreiche  Knäuel  kleiner  Blüten  (2.)  tragen  (vgl. 
die  Blüten  mit  denen  der  Winde!),  aber  der  Blätter  und  selbst  des  Blatt- 
grüns (bis  auf  geringe  Spuren)  entbehren.  Das  ist  die  seltsame  Hopfenseide, 
die  im  Volksmunde  treffend  auch  „Teufelszwirn"  genannt  wird.  Nun  ist  aber 
das  Blattgrün  derjenige  Körper  (s.  den  letzten  Absch.  des  Buches),  in  dem  unter 
Einwirkung  des  Sonnenlichts  aus  Wasser,  den  aus  dem  Boden  entnommenen 
Salzen  und  der  Kohlensäure  der  Luft  alle  die  Stoffe  (Stärke,  Zucker,  Zellstoff 
u.  s.  w.)  bereitet  werden,  aus  denen  sich  die  Pflanze  aufbaut.  Da  die  Hopfen- 
seide —  wie  erwähnt  —  des  Blattgrüns  entbehrt,  so  ist  sie  auch  nicht  imstande, 
die  zum  Aufbau  und  Leben  nötigen  Stoffe  selbst  herzustellen.  Sie  ist  daher 
genötigt,  sie  anderswo  herzunehmen.  Zu  dem  Zwecke  bilden  sich  an  dem 
fadenförmigen  Stengel  zahlreiche  kleine  Anschwellungen,  die  sich  dem  Stengel 
der  Wirtspflanze  eng  anschmiegen.  (In  Fig.  3  einem  Brennessel-,  in  4  einem 
Hopfenstengel;  4  etwa  10 mal  vergr.)  Aus  der  Mitte  dieser  Gebilde  erhebt 
sich  je  ein  kleiner  Zapfen,  der  die  Rinde  der  Wirtspflanze  durchbricht  und  bis 
zum  Holzkörper  derselben  vordringt.  Mit  Hilfe  dieser  „Saugwärzchen"  entzieht 
die  Hopfenseide  wie  mit  ebensovielen  Schröpfköpfchen  den  befallenen  Pflanzen 
alle  zum  Leben  und  Wachstum  nötigen  Stoffe:  sie  nährt  sich  also  auf  Kosten 
anderer  Wesen;  sie  ist  ein  Schmarotzer  (Parasit).  Dieser  Lebensweise  ent- 
sprechend entbehrt  sie  auch  der  Wurzeln,  wie  sie  andere  Pflanzen  besitzen, 
und  fügt  den  befallenen  Gewächsen  großen  Schaden  zu.  Ja,  es  ist  nichts 
Seltenes,  daß  sie  die  Ernte  von  Hopfen-  und  Hanffeldern  ganz  oder  teilweise 
vernichtet.  Hat  der  Schmarotzer  bis  zum  Herbst  auf  Kosten  seines  Wirtes  ge- 
lebt, dann  stirbt  er  ab. 

Wie  aber  kommt  er  im  nächsten  Jahre  wieder  auf  andere  Pflanzen?  Die 
Antwort  auf  diese  Frage  erhalten  wir  leicht,  wenn  wir  im  Frühjahre  einige  im 
Herbst  gesammelte  Samen  auf  feuchtgehaltener  Erde  aussäen.  Schon  nach  einigen 
Tagen  sehen  wir,  wie  aus  der  zersprengten,  braunen  Samenhülle  der  faden- 
förmige Keimling  hervortritt  und  ein  kleines  Stück  in  den  Boden  wächst 
(5  a.).    (Der  Hopfenseide  fehlen  also  die  bei  allen  Pflanzen  der  Klasse  vorhandenen 

Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik.  o 


130  Taf.   IS.     38.   Familie.     Rauhblättrige  Gewächse, 

beiden  Keimblätter.  Dasselbe  gilt  auch  für  die  anderen  Arten  der  Gattung.) 
Nach  wieder  ein  paar  Tagen  (b.  und  c.)  hat  der  Keimling  bereits  die  Samenhülle 
abgeworfen  und  sich  zu  einem  fadenförmigen  Körper  entwickelt,  dessen  oberes 
Ende  sich  wie  die  Ranke  des  Weinstocks  (s.  das.)  langsam  im  Kreise  bewegt: 
der  Keimling  „sucht"  eine  Wirtspflanze.  Hat  er  sie  gefunden  (d.),  so  ist  sie 
auch  alsbald  umschlungen.  Indem  sein  unterer  Teil  nunmehr  abstirbt,  entwickelt 
sich  der  obere  zum  Schmarotzer,  wie  wir  ihn  kennen  gelernt  haben.  Gelingt 
es  dem  Keimling  nicht,  eine  Wirtspflanze  zu  ergreifen,  dann  geht  er  —  da  er 
nicht  selbst  Blätter  treibt  und  Baustoffe  bereitet  —  nach  einiger  Zeit  zu  Grunde. 
Da  dieser  Fall  sicher  nun  sehr  oft  eintritt,  so  wird  uns  auch  die  außerordentlich 
große  Anzahl  der  Blüten  und  die  noch  weit  größere  Menge  der  Samen  ver- 
ständlich, welche  die  Hopfenseide  hervorbringt;  denn  je  größer  die  Anzahl  der 
Samen  ist,  desto  größer  ist  für  die  Pflanze  auch  die  Möglichkeit,  ihre  Art  zu 
erhalten  (vgl.  mit  tierischen  Schmarotzern,  z.  B.  dem  Bandwurm!). 

Die  nächsten  Verwandten  der  Hopfenseide  sind  ihr  überaus  ähnliche 
Schmarotzer.  In  Klee-  und  Luzernefeldern  richtet  die  Kleeseide  (C.  epithymum)  oft 
großen  Schaden  an,  und  Flachsfelder  werden  von  der  Flachsseide  (C.  epilinum)  nicht 
selten  gänzlich  verwüstet,  Durch  Abbrennen  oder  Abmähen  der  befallenen  Pflanzen, 
bevor  der  Schmarotzer  noch  Samen  angesetzt  hat,  läßt  sich  dem  Übel 
allein  Einhalt  tun. 

38.  Familie.    Rauhblättrig-e  Gewächse  (Asperifoliäceae). 

Meist  rauhhaarige  Pflanzen.   Kelch,  Blumenkrone  und  Staubblätter  5 -zählig.    Frucht  eine 
in  4  Teilfrüchtchen  zerfallende  Spaltfrucht. 

Die  Schwarzwurz  (Symphytum  ofücinäle).    Tafel  18. 

A.  Standort  und  Wurzel.  Die  Schwarzwurz  ist  auf  nassen  Wiesen, 
sowie  an  den  Ufern  der  Gräben  und  Bäche  überall  häufig  anzutreffen. 
Da  die  Pflanze  also  auf  lockerem  Boden  wächst  und  zudem  nicht  selten  die 
Höhe  von  1  m  erreicht,  so  muß  sie  im  Untergrunde  sicher  „verankert"  sein. 
Darum  setzt  sich  auch  der  kurze,  unterirdische  Stamm  oder  Wurzelstock 
(d.  i.  der  mit  Blättern  und  Blattresten  besetzte  obere  Teil  des  im  gewöhnlichen 
Leben  ungenau  als  „Wurzel"  bezeichneten  Gebildes)  in  eine  tiefgehende,  spindel- 
förmige Wurzel  fort.  Bei  älteren,  großen  Pflanzen  strahlen  an  der  Stelle,  an 
der  der  Stamm  in  die  Wurzel  übergeht,  meist  noch  starke  Seitenwurzeln  aus, 
die  gleichfalls  ziemlich  senkrecht  in  den  Boden  hinabsteigen  (vgl.  mit  einem 
Fahnenmaste,  der  im  Boden  steckt  und  noch  durch  Taue  gehalten  wird!).  Die 
unterirdischen  Teile  sind  außen  schwarz  gefärbt  (Schwarzwurz!)  und  wurden 
früher  für  ein  Heilmittel  bei  Knochenbrüchen  gehalten.  Dieser  Verwendung 
verdankt  die  Pflanze  auch  den  Namen  „Beinwurz". 

B.  Stengel  und  Blätter.  Aus  dem  unterirdischen  Stamme  erheben  sich 
ein  Büschel  (grundständiger)  Blätter  und  ein  oder  mehrere  verzweigte  Stengel, 
die  gleichfalls  Blätter  tragen  (1.). 


Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  18. 


n 


Schwarzwurz  (Symphytum  officinale). 


Klee-  um]  Flachsseide.     Schwarzwurz.  131 

I.  Belichtung.  Obgleich  die  Stengelglieder  nach  oben  bin  immer  kürzer 
werden,  die  Blätter  also  Daher  beieinander  stehen  als  am  unteren  Stengelabschnitte, 
werden  doch  sämtliche  Blätter  des  zum  Leben  notwendigen  Sonnenlichts  teil- 
haftig; denn 

a)  sie  nehmen  von  unten  nach  oben  an  Größe  (Länge,  Breite!  gib  die 
Blattform  näher  an!)  allmählich  ab. 

li)  Die  grundständigen-  und  unteren  Stengelblätter  sind  gestielt.  Die 
oberen  Stengelblätter  dagegen  entbehren  der  Stiele:  sie  sind  „sitzend'-. 

c)  Bindet  man  um  den  Stiel  eines  der  unteren  Stengelblätter  einen  Faden, 
den  man  zum  zweiten,  dritten  Blatt  u.  s.  w.  führt,  BO  sieht  man,  dal)  die  Blätter 
in  einer  Schraubenlinie  am  Stengel  stehen. 

•2.  Wasser abl ei tnng.  Träufelt  man  auf  die  Blätter  eines  abgeschnit- 
tenen Stengels  Wasser,  so  fließt  es  —  von  wenigen  Tropfen  abgesehen  am 
unteren  Stengelende  in  einem  starken  Strome  ab.  Die  Wasserableitung  ist  also 
wie  beim  Raps  eine  nach  innen  gerichtete,  eine  „centripetale",  und  entspricht 
der  Richtung  der  mit  Saugwurzeln  besetzten  Wurzel  (s.  S.  88,  c).  Bedingt  wird 
diese  Art  des  Wasserabflusses  durch  folgende  Einrichtungen: 

a)  Die  Blätter  stehen  am  Stengel  schräg  aufwärts. 

b)  Sie  besitzen  gleich  den  Blattstielen  (soweit  solche  vorhanden  sind)  die 
Form  von  Rinnen.  —  Bei  den  grundständigen  und  unteren  Stengelblättern 
ist  die  äußere  Hälfte  der  Blattfläche  meist  abwärts  gebogen.  Die  auf  diesen 
Abschnitt  der  Blätter  fallenden  Regentropfen  werden  daher  nicht  der  Wurzel 
zugeführt. 

c)  Die  Blattflächen  setzen  sich  in  die  Blattstiele  fort  und  laufen  wie  bei 
den  sitzenden  Blättern  in  Form  zweier  Säume  an  dem  Stengel  herab,  so  daß 
dieser  „geflügelt"  erscheint.  Die  Säume  verhindern  ein  Abspringen  der 
Wassertropfen  und  leiten  sie  am  Stengel  herab. 

3.  Behaarung.  Alle  grünen  Teile  sind  dicht  mit  stacheligen  Borsten- 
haaren bedeckt,  so  daß  sich  die  Pflanze  sehr  rauh  anfühlt  („Rauhblättrige  Ge- 
wächse-'). Wie  sich  leicht  feststellen  läßt,  sind  die  Borsten  mehr  oder  weniger 
rückwärts  dem  Boden  zu)  gerichtet  und  —  wie  schwache  mikroskopische  Ver- 
größerung zeigt  —  von  doppelter  Form:  neben  sehr  großen,  mehr  geraden 
finden  sich  kleinere  von  der  Gestalt  eines  Gemskorns  (Fig.  2:  Stück  aus  der 
Oberhaut  des  Stengels  bei  etwa  70facher  Vergr.).  Da  die  Wände  aller  Borsten 
reichlich  Kieselerde  enthalten,  sind  sie  sehr  hart  und  ihre  Spitzen  scharf  und 
stechend. 

Hieraus  läßt  sich  schon  erkennen,  welche  Bedeutung  die  Borsten  für  die 
Pflanze  haben:  wenn  die  größeren  von  ihnen  selbst  in  die  Haut  unserer  Hände 
einzudringen  vermögen,  wie  viel  mehr  müssen  sie  die  zarte  und  empfindliche  Mund- 
schleimhaut  der  Tiere  verletzen,  die  das  rauhe  Gewächs  verzehren  wollen! 
Unsere  größten  Pflanzenfresser,  Rind  und  Pferd,  lassen  sich  durch  den  Borsten- 
besatz freilich  nicht  zurückschrecken ;  anders  jedoch  die  gefräßigen  Schnecken. 
Setzt  man  eine  Garten-  oder  Weinbergschnecke  auf  den  Stengel  der  Pflanze,  so 


132  38.  Familie.     Raubblättrige  Gewäcbse. 

dringen  die  langen,  scharfen  Borsten,  die  infolge  ihrer  Sichtung  dem  Tiere  wie 
Lanzenspitzen  entgegenstanden,  in  die  weiche  „Kriechsohle",  und  die  gemshorn- 
artigen  mögen  nicht  unempfindliche  Wunden  reißen!  Das  Tier  bewegt  sich  daher 
sehr  unbeholfen  fort,  zieht  bei  jeder  Berührung  mit  einer  Borste  die  Fühler  ein 
und  verläßt  den  gefahrvollen  Boden,  sobald  sich  ihm  die  Möglichkeit  dazu  bietet. 
Ganz  ähnlich  verhalten  sich  die  Schnecken,  wenn  man  ihnen  die  Pflanze  als 
Futter  vorsetzt:  sie  vermögen  dem  stacheligen  Gewächs  nicht  recht  beizukommen. 
Schneidet  man  aber  von  einem  sonst  unverletzten  Blatte  ein  Stück  ab,  so  wird 
es  sofort  verzehrt,  weil  man  den  Tieren  einen  Angriffspunkt  geschaffen  hat. 
Dasselbe  ist  an  Blatt-  oder  Stengelteilen  zu  beobachten,  die  vorher  in  einem  Mörser 
zerrieben  wurden :  ein  deutlicher  Beweis,  daß  nur  die  Borstenhaare  es  sind, 
welche  die  Schnecke  abhalten,  an  der  Pflanze  emporzukriechen  und  sie  zu  ver- 
zehren. In  den  Borstenhaaren  haben  wir  also  wichtige  Sc  hu  tzw  äffen  der 
Pflanze  vor  uns.  (Stelle  mit  anderen  rauhblättrigen  Gewächsen  dieselben  Ver- 
suche an!) 

C.  Blüte  und  Frucht.  1.  Blütenstand  (1.).  Die  zahlreichen  kurzge- 
stielten Blüten  stehen  in  einer  Traube,  die  anfänglich  etwas  spiralig  eingerollt  ist 
(„Wickeltraube").  Daher  müssen  die  Blüten  auch  alle  nach  einer  Seite  des 
Hauptblütenstiels  (nach  welcher?)  gerichtet  sein.  In  dem  Maße,  in  dem  sich 
die  Blüten  entfalten,  rollt  sich  auch  die  Traube  auf.  Da  immer  nur  einige 
Blüten  geöffnet  sind,  währt  das  Blühen  eine  lange  Zeit.  Infolgedessen  werden 
selbst  bei  ungünstigster  Witterung  sicher  einige  Blüten  von  Insekten  besucht 
und  bestäubt,  so  daß  die  oberirdischen  Teile  der  Pflanze  im  Herbste  nicht  ab- 
sterben, ohne  eine  Anzahl  von  Samen  (Nachkommen !)  gebildet  zu  haben. 

2.  Einzelblüte  (3.).  a)  Die  geöffnete  Blüte  ist  nach  unten  geneigt,  so  daß 
der  leicht  verderbende  Blütenstaub  gegen  Befeuchtung  wohl  geschützt  ist.  Ein 
kurzer,  fünfzipfeliger  und  rauhhaariger  Kelch  umschließt  die  glockenförmige 
Blumenkrone,  die  sich  im  vorderen  Abschnitte  etwas  erweitert,  in  5  zurück- 
gebogene, kleine  Zipfel  endigt  und  bald  gelblich-weiß  (4.),  bald  rosa  bis  fast  violett 
gefärbt  ist.  Und  zwar  findet  sich  die  purpurne  Färbung  nur  an  der  sichtbaren 
Außenseite,  soweit  sie  nicht  vom  Kelche  verdeckt  ist 
(Bedeutung?  vgl.  mit  Blüten,  bei  denen  die  Innenseite  der 
Blumenkrone  sichtbar  ist!). 

b)Von  der  Unterlage  des  Fruchtknotens  (s.Absch.  3) 
wird  der  Honig  abgeschieden.  Da  der  Griffel  sehr 
lang  ist,  ragt  die  Narbe  weit  aus  dem  Eingange  der 
Blütenglocke  hervor.    Sie  wird  daher  von  einem  anfliegen- 

„....  -,  .0   1      den  Insekt  zuerst  berührt  (Fremdbestäubung).  DieöStaub- 

Blutengrundriß  der  ,   '     ,     „  .,_,    _ 

Schwarzwurz.       blattet  sind  mit  der  Blumenkrone  verwachsen  (s.  S.  121,  2). 
Ihre  Beutel    sind    nach    innen   geneigt   und   bilden   einen 
Kegel,  dessen  Spitze  von  dem  Griffel  durchbrochen  wird.    Sie  öffnen  sich  bereits 
in  der  Knospe,  und  zwar  nach  innen,  so  daß  ein  Teil  des  Blütenstaubes  in  die 
Spitze  des  Kegels  fällt. 


Schwarzwurz.     Lungenkraut.  133 

c)  Würde  ein  Insekt  den  Rüssel  zwischen  den  Staubfäden  hindurch  zum 
Honig  senken,  so  könnte  es  sich  nicht  mit  Staub  beladen ;  der  Honig  würde  also 
nutzlos  verloren  gehen.  Um  dies  zu  verhindern,  ist  eine  sehr  interessante 
Einrichtung  getroffen :  An  der  Stelle,  an  der  sich  die  Blumenglocke  erweitert, 
springt  ihre  Wand  in  Form  von  5  Hohlschuppen  nach  innen  vor, 
die  sich  wie  eine  Kuppel  als  ein  zweiter  Kegel  über  die  Staubbeutel  legen. 
(Vgl.  die  Schuppen  mit  Handschuhfingern!  Die  Öffnungen  der  „Handschuhfinger" 
sind  außen  an  der  Blütenröhre  als  Eindrücke  sichtbar.)  Da  nun  die  Schuppen- 
wilnde  mit  harten,  stacheligen  Spitzen  besetzt  sind  (streiche  an  ihnen  mit  einer 
Nadel  entlang!),  hüten  sich  die  Insekten  wohl,  diese  gefährlichen  Gebilde  zu 
berühren,  also  zwischen  den  Staubfäden  hindurch  zum  Honig  vorzudringen.  Sic 
führen  den  Rüssel  vielmehr  an  der  Spitze  der  Kuppel  ein.  Dabei  müssen  sie 
aber  die  Staubbeutel  auseinanderdrängen,  so  daß  ihnen  etwas  von  dem  Blüten- 
stäube auf  den  Kopf  fällt.  (Ahme  die  Tätigkeit  der  Insekten  mit  Hilfe  eines 
spitzen  Hölzchens  nach!)  Infolge  der  Anwesenheit  der  Schuppen  wird  also 
nur  langrüsseligen  Insekten  (gewissen  Hummeln  und  Bienen),  die  den  Pflanzen 
einen  Gegendienst  (welchen?)  leisten  können,  der  Honig  zugänglich.  Mit  der 
Art  der  Bestäubung  hängt  es  auch  innig  zusammen  (Beweis!),  daß  die  Pflanze 
trockenen,  mehlartigen  Blütenstaub  und  hängende  Blüten  besitzt. 

d)  Sehr  häufig  findet  man  die  Blumenkrone  von  der  kurzrüsseligen  Erd- 
hummel angebissen,  die-  den  süßen  Saft  auf  „ungesetzlichem"  Wege  zu  erreichen 
sucht.     Diese  Löcher  benutzt  auch  die  Honigbiene,  um  zu  saugen  (4.). 

3.  Frucht,  a)  Nach  einiger  Zeit  fällt  die  Blumenkrone  ab.  Da  sich 
nun  —  wie  oben  bemerkt  —  der  Hauptblütenstiel  weiter  aufrollt,  so  wird  der 
übrig  bleibende  Kelch  mit  emporgehoben.  Ist  die  Blüte  aber  vorher  bestäubt 
worden,  so  wird  der  Kelch  durch  Krümmung  seines  Stielchens  wieder  nickend. 
Gleichzeitig  wächst  er  kräftig  weiter  und  seine  Zipfel  legen  sich  zusammen,  so 
daß  er  zu  einem  Schutzdache  für  die  sich  entwickelnde  Frucht  wird  (5.).  Ist 
die  Frucht  gereift,  so  daß  sie  sich  von  der  Mutterpflanze  trennen  muß,  so 
biegen  sich  auch  die  Kelchzipfel  wieder  auseinander  (6.  im  Durchschnitt  gez.). 

b)  Der  Fruchtknoten  ist  bereits  während  des  Blühens  durch  tiefe  Spalten 
in  4  Teile  geschieden,  aus  deren  Mitte  sich  der  Griffel  erhebt.  Indem  die  Teilung 
immer  vollkommener  wird,  entwickelt  sich  die  Frucht,  die  also  eine  Spaltfrucht 
darstellt,  zu  4  Teilfrüchtchen.  Diese  enthalten  je  einen  Samen,  sind  also 
Schließfrüchte  oder  Nüßchen  (s.  S.  10,  3).  Die  glänzend  schwarzen  Gebilde 
sind  am  Grunde  ausgehöhlt  und  besitzen  daselbst  einen  weißen,  fleischigen 
Anhang  (7.).  Ob  der  Anhang  wie  der  am  Samen  des  Veilchens  (s.  das.)  von 
Ameisen  verzehrt  wird,  also  der  Verbreitung  der  Pflanze  dient,  ist  mit  Sicher- 
heit nicht  erwiesen. 

Andere  rauhblättrige  Gewächse. 

Im  schattigen  Laubwalde  erschließt  das  Lungenkraut  (Pulmonäria  officinälis) 
als  eine  der  ersten  Frühlingspflanzen  seine  anfänglich  roten,  später  blauen  Blüten,  die 
gleich  denen  der  Schlüsselblume  (s.  das.)  verschieden  lange  Griffel  besitzen.     Wie  zahl- 


134      Taf.  19.    38.  Fam.    Rauhblättrige  Gewächse.     39.  Farn.     Nachtschattengewächse. 


reiche  andere  Waldpflanzen  (s.  S.  7,  b.  und  c.)  ist  das  Lungenkraut  ein  zartes  Gewächs 
mit  großen  Blättern  und  im  Gegensatz  zu  den  Trockenlandpflanzen  der  Familie  (s.  w.  u.) 
nur  gering  behaart.  Die  Blätter,  die  früher  für  ein  Heilmittel  gegen  Lungenkrankheiten 
galten  (Name!),  sind  meist  weißfleckig,  eine  Erscheinung,  in  der  wir  bereits  beim 
Wiesenklee  (s.  das.)  ein  Förderungsmittel  der  Verdunstung  kennen  gelernt  haben.  Deshalb 
finden  sich  solche  Blätter  auch  besonders  an  Pflanzen,  die  an  sehr  schattigen  und  daher 
feuchten  Orten  wachsen.  —  Von  ähnlicher  Zartheit  ist  das  Sumpf -Vergißmeinnicht 
(Myosötis  palustris),  das  Uferränder  und  andere  nasse  Stellen  bewohnt.  Durch  die  prächtig- 
blauen,  mit  gelbem  Stern  geschmückten  Blüten  hat  es  sich  schon  von  alters  her  die 
Zuneigung  der  Menschen  erworben,  die  in  ihm  ein  Sinnbild  der  Treue  und  Liebe  er- 
blicken (Name!).  Der  „Stern",  der  die  Auffälligkeit  der  „tellerförmigen"  Blumenkrone  erhöht 
(Bedeutung?),  wird  durch  Hohlschuppen  gebildet.  Da  diese  Gebilde  den  Eingang  der 
kurzen  Blütenröhre  stark  verengen,  so  verwehren  sie  (Blüte  nach  oben  geöffnet!)  den 
Regentropfen,  zu  Blütenstaub  und  Honig  vorzudringen  und  diese  wichtigen  Stoffe  zu 
verderben.  Zugleich  nötigen  sie  auch  die  saugenden  Insekten,  Narbe  und  Staubbeutel 
zu  berühren.  —  Die  zahlreichen  Vergißmeinnicht -Arten,  die  an  trockenen  oder  gar 
sandigen  Orten  wachsen,  haben  weit  kleinere  Blätter  (s.  S.  22)  und  sind  viel  stärker 
behaart,  als  die  Schatten  und  Feuchtigkeit  liebenden  Formen,  ein  Zeichen,  daß  bei  ihnen 
die  Behaarung  nicht  nur  ein  Schutzmittel  gegen  Tierfraß,  sondern  auch  gegen  zu  starke 
Wasserdampfabgabe  ist  (s.  S.  43,  C  1  a).  —  Dasselbe  gilt  auch  von  anderen  Trockenland- 
bewohnern der  Familie.  Von  ihnen  seien  nur  Ochsenzunge,  Natterkopf  und  Hundszunge 
genannt,  die  an  Wegen  und  ähnlichen  trockenen  Orten  häufig  anzutreffen  sind.  Es  sind 
ausdauernde  oder  2-jährige,  hohe  Pflanzen,  die  darum  auch  sehr  tiefgehende  Wurzeln  be- 
sitzen. Die  Ochsenzunge  (Anchüsa  officinälis)  weiß  sich  den  Verhältnissen  ihres 
Standortes  insofern  innig  anzuschmiegen,  als  sie  auf  trockenem  Sandboden  schmälere 
und  stärker  behaarte  Blätter  treibt  als  z.  B.  im  feuchten  Thalgrunde.  Die  prächtig 
blauen  Blüten  haben  in  der  Mitte  einen  aus  Hohlschuppen  gebildeten,  weißen  Stern 
(Bedeutung?).  —  Der  allbekannte,  stachelhaarige  Natter- 
kopf (Echium  vulgäre)  hat  gleichfalls  blaue  Blüten.  Sie 
entbehren  aber  der  Schuppen  und  haben  mit  dem  Kopfe 
einer  Schlange  entfernte  Ähnlichkeit  (Name!).  Die  weit 
aus  der  Blütenröhre  hervorragenden  Staubgefäße  dienen 
gleich  dem  Griffel  den  saugenden  Insekten  als  „Sitz- 
stangen" (Bestäubung?).  —  Die  braunroten  Blüten  der 
Hundszunge  (Cynoglössum  officinäle)  sind  wieder  mit 
Hohlschuppen  ausgerüstet.  Im  Gegensatz  zu  den  honig- 
duftenden Blüten  riechen  die  grünen  Teile  ekelhaft  nach 
Mäusen  (Schutzmittel  gegen  Tierfraß).  Da  die  großen 
Teilfrüchtchen,  deren  Oberseite  mit  ankerartigen  Stacheln 
dicht  besetzt  ist,  vorbeistreifenden  Tieren  angeheftet  werden, 
drängt  die  wachsende  Frucht  den  Kelch  auseinander.  In- 
folgedessen stehen  die  Teilfrüchtchen  schließlich  voll- 
Frucht  der  Hundszunge,  kommen  frei  da  (wie  dag.  bei  den  anderen  erwähnten 
in  4  Teilfrüchtchen  zer-  Arten  der  Familie?).  Und  wie  fest  die  Früchtchen  haften, 
fallen  (etwa  3  mal  vergr.).  kann  man  leicht  an  den  eigenen  Kleidern  beobachten.  ■ — 
Daneben  2  ankerartige  Sta-  Als  bekannte  Feldunkräuter  sind  noch  zu  erwähnen  der 
cheln  (stärker  vergr.).  Ackersteinsaine    (Lithosperruum    arvense)    mit    kleinen, 


Schineil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  19. 


Kartoffel  (Solanum  tuberosum). 


Amlcre  rauhblättrige  Gewächse.     Kartoffel,  135 

weißen   Blüten    und    steinähnlichen    Samen,    sowie    der    Ackerkrummhala    (Anchüsa 

arvensis),  dessen  blaue  Blüten  wie  die  der  Ochsenzange  gebaut  sind,  aber  eine  ge- 
bogene Blütenröhre  besitzen  (Namen!).  —  Der  Boretsch  (Borägo  oflieinälis)  wird 
wegen  der  gurkenartig  schmeckenden  Blätter  (Terwendung?)  und  der  prächtigen  blauen 
Blütensterne  vielfach  in  Gärten  angebaut.     Er  stammt  aus  dem  Mittelmeergebiete. 

39.  Familie.     Nachtschattengewächse  (Solanaci-nn. 

Kelch   4-    oder    5-spaltig.     Blumenkrone    rühren-    oder    trichterförmig,    4-  oder  5-zipfelig 

5  Staubblätter.     Fruchtknoten    aus  2  Fruchtblättern   gebildet,    mit  dickem  Samenträger 

und  zahlreichen  Samenknospen.     Frucht  eine  Beere  oder  Kapsel. 

Die  Kartoffel  (Solanum  tuberosum).     Taf.   t9. 

A.  Von  eleu  Knollen  und  der  Bedeutung'  der  Kartoffel.  Die  Knollen 
der  Kartoffeln  zählt  man  mit  den  Rüben,  Möhren,  Zwiebeln  u.  s.  w.  zu  den 
„Feldfrüchten" ;  oft  werden  sie  sogar  als  die  „Früchte"  der  Kartoffel  selbst 
bezeichnet.  Daß  wir  es  hier  aber  nicht  mit  „Früchten"  im  botanischen  Sinuc 
zu  tun  haben,  zeigt  schon  ihre  Entstehung:  sie  gehen  —  im  Gegensatz  zu 
wirklichen  Früchten  —  nicht  aus  dem  Fruchtknoten  der  Pflanze  hervor.  Fragen 
wir  uns  daher: 

1.  Was  ist  die  Knolle?  Eine  Antwort  auf  diese  Frage  erhalten  wir. 
wenn  wir  verfolgen,  wie  sich  die  Knollen  bilden  (1.). 

a)  Im  Frühjahre  fangen  die  Knollen,  die  wir  im  Keller  aufbewahren,  an 
zu  „keimen",  d.  h.  aus  den  „Augen"  gehen  beblätterte  Stengel  hervor.  (Warum 
ist  der  Ausdruck  „keimen"  ungenau?).  Die  Stengel  suchen  das  spärliche  Licht 
auf,  das  durch  das  Kellerfenster  einfällt,  und  sind,  weil  im  Dunkeln  wachsend, 
blasse  und  zarte  Gebilde.  Genau  so  gehen  —  wie  wir  uns  leicht  überzeugen 
können  —  auch  aus  den  „Augen"  der  Knollen,  die  wir  (etwa  einen  Spatenstich 
tief)  in  die  Erde  legen,  Stengel  hervor.  Nehmen  wir  eine  solche  junge  Pflanze, 
nachdem  sie  einige  Blätter  entwickelt  hat,  aus  dem  Boden,  so  sehen  wir,  wie 
an  dem  unterirdischen  Stengelteile  (Abb.  S.  136,  St)  schuppenartige 
Blättchen  (B)  sitzen,  und  wie  aus  deren  Achseln  fadenförmige  Seitenzweige  (A) 
hervorgehen,  die  sich  niemals  über  den  Boden  erheben.  (Warum  sind  alle  diese 
unterirdischen  Teile  farblos?).  Diese  „Ausläufer"  tragen  hier  und  da  gleich- 
falls wieder  schuppenförmige  Blättchen  und  am  Ende  eine  Knospe  (E),  ge- 
nau wie  die  oberirdischen  Stengel  und  Zweige  solche  Endknospen  besitzen. 
Beides  sind  Zeichen  dafür,  daß  wir  es  hier  wirklich  mit  Stengelteilen  und 
nicht  mit  Wurzeln  zu  tun  haben;  denn  diese  sind  stets  unbeblättert.  In  den 
Achseln  der  schuppenförniigen  Blätter  finden  sich  ferner  ebenso  wie  an  ober- 
irdischen Stengeln  Seitenknospen,  die  zumeist  wieder  zu  Zweigen  auswachsen. 
Und  an  der  Stelle  endlich,  an  der  die  Blätter  dem  Stengelteile  ansitzen 
(Stengelknoten),  brechen  Wurzeln  hervor,  wie  dies  gleichfalls  vielfach  an 
oberirdischen  Stengeln  zu  beobachten  ist  (besonders  an  solchen,  die  man  eben- 
falls als  Ausläufer  bezeichnet;  Beispiele!).  Die  schuppenförniigen  Blätter  gehen, 
weil   für  die  Pflanze  wertlos,  nieist  bald  zu  (irunde. 


136 


89.  Familie.     Nachtschattengewächse. 


b)  An  den  Ausläufern  und  ihren  Seitenzweigen  bemerkt  man  nun  am 
freien  Ende  je  eine  kleine  Anschwellung  (vor  E).  Nimmt  man  einige  Zeit  darauf 
eine  zweite  „gleichalterige"  Pflanze  aus  der  Erde, 
so  sieht  man,  wie  die  Anschwellungen  größer  ge- 
worden sind  und  sich  zu  je  einer  jungen  Knolle  (K) 
ausgebildet  haben.  (Die  Anschwellung  kann  sich 
auch  etwas  entfernt  vom  Ende  des  Ausläufers 
bilden.     Ebenso    kann    der    kurze 


Bildung  der 

Kartoffel- 

knollcn. 

(Bezeichnungen 

sind  im  Texte 

erklärt.) 

& 


Stengelteil  der  Seitenknospen,  ohne 
zu  einem  Zweige  auszu- 
wachsen, sich  zu  einer 
Knolle  (SK.)  verdicken.) 
Die  Kar- 
toffelknol- 
le ist  also 
ein  ver- 
kürzter 
und  stark 
angeschwollener  Stengelteil.  („Stengel- 
knolle" im  Gegensatz  zur  „Wurzelknolle" ;  s.  Schar- 
bockskraut.) Diese  Erkenntnis  zeigt  uns  auch,  daß 
der  Landmann  wohl  tut,  die  jungen  Kartoffelpflanzen  zu  „behäufeln",  d.  h. 
Erde  um  die  unteren  Teile  der  oberirdischen  Stengel  anzuhäufen;  denn  die 
Zweige,  die  sich  in  den  mit  Erde  bedeckten  Blattachseln  bilden,  entwickeln 
sich  gleichfalls  zu  (unterirdisch  bleibenden)  Ausläufern,  so  daß  eine  erhöhte 
Knollenbildung  eintreten  muß.  (Warum  werden  die  Kartoffeln  „gehackt",  d.  h. 
warum  wird  der  Boden  mit  Hilfe  der  Hacke  gelockert  und  von  Unkraut  gereinigt?) 

c)  Die  unterirdischen  Stengel  tragen,  wie  wir  soeben  gesehen  haben, 
Seitenknospen  in  den  Achseln  der  schuppenförmigen  Blätter.  Da  nun  die  Knollen 
nichts  anderes  als  Stengelteile  sind,  so  müssen  wir  an  ihnen  diese  Gebilde 
wiederfinden :  es  sind  die  „Augen"  der  Knolle,  die  —  wohlgeschützt  gegen 
Verletzung  —  in  einer  Vertiefung  der  Knolle  liegen.  Somit  wird  es  uns  voll- 
kommen verständlich,  wie  aus  einer  Knolle  und  sogar  aus  einem  Teile  einer 
solchen  (was  muß  ein  solcher  Teil  aber  besitzen?)  eine  neue  Pflanze  hervor- 
gehen kann.  Die  schuppenförmigen  Blättchen  sind  an  ganz  jungen  Knollen 
noch  deutlich  sichtbar,  an  älteren  verschrumpfen  sie  wie  an  den  sich  nicht 
verdickenden  Stengelteilen  gleichfalls  bald. 

d)  Im  Herbst  geh  endieAusläuferzuGrunde,  so  daß  bei  Pflanzen, 
deren  oberirdische  Teile  gänzlich  abgestorben  sind,  die  Knollen  getrennt  im 
Boden  liegen. 

2.  Welche  Bedeutung  hat  die  Knolle  für  die  Pflanze?  a)  Schon 
wenn  in  einer  Frühjahrsnacht  das  Thermometer  auf  einige  Grad  unter  Null 
sinkt,   sind   am   nächsten  Morgen   die  grünen  Teile  der  Kartoffeln  gänzlich  er- 


Kartoffel. 


137 


froren.  Die  viel  niedrigeren  Temperaturen  unseres  Winters  könnte  die  Pflanze 
demnach  noch  viel  weniger  ertragen.  Sie  stirbt  daher  im  Herbste  ab,  hinterläßt 
aber  (von  den  Samen  abgesehen;  s.  Absch.  B,  3)  zahlreiche  Knollen.  Werden 
diese  von  dem  Menschen  vor  Kälte  bewahrt  —  denn  durch  Kälte  werden  sie 
oft  selbst  im  Keller  vernichtet  —  und  im  nächsten  Frühjahre  wieder  gepflanzt, 
so  geht  aus  ihnen  je  eine  neue  Pflanze  hervor.  Etwas  ganz  Ähnliches  findet 
natürlich  auch  bei  der  wild  wachsenden  Kartoffel  statt  (führe  dies  näher  aus!). 
Die  Knollenbildung  ist  also  eine  Veranstaltung  der  Pflanze,  durch  die 
sie  die  ungünstige  Jahreszeit  übersteh  t,  und  zugleich  ein  Mittel 
der  Vermehrung. 

b)  Bei  der  wildwachsenden  Kartoffel  gehen  aus  den  Knollen  im  nächsten 
Jahre  also  zahlreiche  junge  Pflanzen  hervor.  Wenn  diese  auf  einem  Trupp 
ständen,  so  würden  sie  sich  gegenseitig  Nahrung,  Licht  und  Luft  streitig  machen. 
Es  ist  daher  von  größter  Wichtigkeit  für  die  Pflanze,  daß  sich  die  Knollen 
(meist)  am  Ende  langer  Ausläufer  bilden. 

c)  Wenn  man  die  Bedeutung  der  Knolle  im  Auge  behält,  wird  man  auch 
leicht  ihren  Bau  verstehen.  Nimmt  man  2  gleich  große  Knollen  (derselben 
Sorte)  und  legt  sie,  nachdem  man  eine  davon  geschält  hat,  an  einen  warmen 
Ort,  so  findet  man  die  geschälte  nach  einiger  Zeit  gänzlich  verschrumpft, 
während  die  andere  fast  unverändert  geblieben  ist.  Die  erstere  hat  —  wie 
die  Wage  zeigt  —  sehr  viel,  die  andere  dagegen  nur  wenig  von  der  Flüssig- 
keit verloren,  von  der  die  Knollen  durchtränkt  sind.  Pflanzt  man  eine  solche 
geschälte,  vertrocknete  Knolle,  die  aber  alle  ihre  Augen  behalten  hat,  so  geht 
daraus  keine  neue  Pflanze  hervor;  denn  die  Augen  sind  mit  vertrocknet.  (Vgl. 
mit  den  Knospen  eines  abgeschnittenen  oberirdischen  Zweiges,  der  längere  Zeit 
trocken  gelegen  hat!)  Die  „Scha- 
le" der  Knolle  ist  also  ein 
Schutzmittel-gegen  das  Ver- 
trocknen. Und  wenn  man  be- 
denkt, daß  die  Knolle  bei  uns  etwa 
7  Monate  im  Jahr 
außerhalb  der  Erde 
zubringt,  so  wird 
man  die  Wichtig- 
keit eines  solchen 
Mittels  leicht  er- 
messen. (Warum 
bedarf  die  Pflanze 
im  wilden  Zustande 
gleichfalls  dieses 
Schutzmittels?) 

Wie  uns  das 
Mikroskop  an  einem 


Mikroskopischer  Schnitt  aus  einer  Kartoffelknolle. 

K.  Korkzellen.     St.    Stärkehaltige    Zellen   (140  mal    vergr.)      Die 

würfelförmigen    Gebilde    sind    Eiweißkristalle.        Links    daneben 

ein  Stärkekorn  in  500 facker  Vergr. 


138  39.  Familie.     Nachtschattengewächse. 

feinen  Schnitte  zeigt,  ist  die  Schale  aus  mehreren  Schichten  von  Zellen  zu- 
sammengesetzt, deren  Wände  aus  Kork  bestehen.  Nun  kennen  wir  diesen  Stoff 
(Flaschenkorke!)  aber  als  ein  vortreffliches  Mittel,  Flüssigkeiten,  die  wir  in 
Flaschen  und  Büchsen  aufbewahren,  gegen  Verdunstung  zu  schützen.  Die  Natur 
hat  der  Knolle  also  eine  Hülle  aus  einem  sehr  geeigneten  Stoffe  gegeben. 
(Da  aber  die  Knollen  während  des  Winters,  auch  wenn  sie  noch  keine  Stengel 
getrieben  haben,  etwas  einschrumpfen,  so  ist  dies  ein  Zeichen,  daß  sie  trotz  der 
Korkhülle  einiges  Wasser  durch  Verdunstung  verlieren.)  Auch  gegen  Verletzungen, 
sowie  gegen  das  Eindringen  von  Pilzsporen  und  Spaltpilzen  ist  der  blaue,  rote 
oder  weiße  „Korkmantel"  der  Knolle  ein  wichtiges  Schutzmittel  (vgl.  mit  der 
Schale  saftiger  Früchte;  Beispiele!). 

d)  Die  Stengel,  die  aus  der  im  Keller  keimenden  Knolle  hervorgehen, 
können  die  Stoffe,  aus  denen  sie  sich  aufbauen,  nirgends  anders  hernehmen  als 
aus  der  Knolle.  Dasselbe  gilt  auch  für  die  Stengel,  die  aus  einer  in  die  Erde 
gelegten  Knolle  hervorbrechen;  denn  erst  nachdem  sie  grüne  Blätter  gebildet 
und  Wurzeln  geschlagen  haben,  sind  sie  imstande,  sich  selbst  zu  ernähren.  Bis 
dahin  sind  sie  auf  die  Knolle  angewiesen.  Mit  dieser  beständigen  Abgabe  von 
Baustoffen  steht  im  Einklänge,  daß  die  „alte"  Knolle  schließlich  wie  aus- 
gesogen erscheint.  Hat  sie  endlich  nichts  mehr  abzugeben,  so  ist  sie  für  die 
junge  Pflanze,  die  sich  jetzt  selbst  ernähren  kann,  wertlos  geworden,  und 
ihre  Beste  gehen  durch  Fäulnis  zu  Grunde  (vgl.  mit  Samen  und  Keimling! 
s.  S.  101,  e).  Welcher  Art  sind  nun  die  Bau-  und  Vorratsstoffe,  die  in 
der  Knolle  aufgespeichert  liegen? 

Schneidet  man  eine  Knolle  durch  und  betupft  die  Schnittfläche  mit  Jod- 
lösung, so  tritt  sofort  starke  Blaufärbung  ein,  ein  Zeichen,  daß  die  Knolle  sehr 
reich  an  Stärke  ist  (vgl.  den  letzten  Absch.  des  Buches).  WTenn  wir  ferner 
einen  sehr  dünnen  Schnitt  aus  der  Knolle  durch  das  Mikroskop  betrachten, 
können  wir  uns  leicht  davon  überzeugen,  daß  in  der  Tat  fast  alle  Zellen  mit 
Stärkekörnchen  gleichsam  vollgestopft  sind  (s.  Abb.  S.  137).  Und  wenn  wir  endlich 
einige  rohe  Knollen  zerreiben  und  den  Brei  wiederholt  im  Wasser  auswaschen,  so 
bleibt  die  Stärke  als  ein  weißes  Pulver  zurück.  Der  Stärkegehalt  der  Knollen 
beträgt  durchschnittlich  etwa  20°/o.  Nur  2°/o  sind  Eiweiß  (in  den  Zellen  unter 
der  Korkhaut);  alles  übrige  ist  —  von  den  Stoffen  abgesehen,  die  in  noch 
geringerer  Menge  vorhanden  sind  —  Wasser  (etwa  75°/o).  (Wiege  eine  ge- 
schälte Knolle,  lege  sie  auf  den  warmen  Ofen,  bis  sie  gänzlich  eingetrocknet 
ist,  und  bestimme  den  Gewichtsverlust!)  —  Aus  diesen  Tatsachen  geht  nun 
ohne  weiteres  hervor, 

3.  welche  Bedeutung  die  Kartoffel  für  den  Menschen  hat. 
a)  Wie  bekannt,  ist  die  Stärke  ein  wichtiger  Nährstoff,  der  uns  außer  von  der 
Kartoffel  besonders  vom  Getreide  und  von  den  Hülsenfrüchten  geliefert  wird. 
Da  nun  die  Knollen  sehr  reich  an  Stärke  sind,  so  ist  die  Kartoffel  eine  unserer 
wichtigsten  Nährpflanzen.  Damit  ist  aber  ihre  Bedeutung  bei  weitem  noch 
nicht  erschöpft!    Da  wir  nämlich  mit  ihrer  Hilfe  von  einer  Ackerfläche  erheblich 


Kartoffel.  139 

mehr  Nährstoffe  gewinnen,  als  von  einer  gleich  großen,  selbst  mit  Getreide 
bestellten  Fläche;  da  sie  selbst  noch  auf  magerstem  Sandboden  und  in  Höhen 
(Gebirge!)  gedeiht,  auf  denen  kein  Getreide  mehr  wächst;  da  sie  fast  alljähr- 
lich eine  reiche  Ernte  liefert;  da  die  eingeernteten  Knollen  verhältnismäßig 
leicht  und  lange  haltbar  sind  und  selbst  bei  täglichem  Genuß  gleich  dem  Brote 
eine  Speise  bilden,  die  uns  nie  zum  Ekel  wird:  so  ist  die  Kartoffel  nächst  dem 
Getreide  unsere  wichtigste  Volksnahrungspflanze.  So  lange  sie  auf 
unseren  Feldern  gedeiht,  hat  eine  Hungersnot  wie  vordem  unser  Land  nicht 
wieder  verwüsten  können. 

Wenn  wir  uns  nun  noch  vergegenwärtigen,  welches  wichtige  Futtermittel 
die  Knollen  für  die  Haustiere  sind,  wie  sie  zur  Herstellung  von  Stärke  (Kartoffel- 
stärke oder  Kartoffelmehl)  dienen,  und  wie  die  Stärke  zu  Stärkezucker  und 
in  den  Brennereien  weiter  zu  Spiritus  (Alkohol)  verarbeitet  wird:  dann 
haben  wrir  etwa  ein  Bild  von  der  außerordentlichen  Bedeutung  der  unschein- 
baren Pflanze.  Darum  arbeitet  man  auch  unablässig  an  ihrer  Veredlung  weiter 
(s.  S.  19),  und  fort  und  fort  züchtet  man  Sorten,  deren  Knollen  einen  immer 
höheren  Stärkegehalt  aufweisen. 

Da  aber  die  Knollen  sehr  arm  an  Eiweiß  sind  und  gar  kein  Fett 
enthalten,  so  können  sie  uns  als  einzige  Nahrungsquelle  nicht  dienen;  denn 
diese  beiden  Stoffe  sind  neben  der  Stärke  (oder  einem  anderen  Kohlenhj'drat,  z.  B. 
dem  Zucker)  für  die  Erhaltung  unseres  Körpers  unbedingt  notwendig  (Näheres 
hierüber  s.  „Der  Mensch",  Absch.  über  die  Verdauung).  Dasselbe  gilt  auch  für 
die  Tiere.  Da  die  Stärke  besonders  fettbildend  wirkt,  so  wird  uns  auch  die 
Verwendung  der  Kartoffel  beim  Mästen  der  Haustiere  verständlich. 

B.  Von  den  übrigen  Teilen  der  Kartoffel  (2.).  1.  Stengel  und  Blätter, 
a)  Die  kantigen  Stengel  tragen  zahlreiche,  große,  rauhhaarige  Blätter,  deren 
Flächen  so  tief  geteilt  sind,  daß  sie  sich  an  der  Mittelrippe  nur  noch  als 
schmale  Säume  entlang  ziehen.  Wir  haben  es  hier  also  nicht  mit  gefiederten, 
sondern  wie  beim  Raps  mit  fiederspaltigen  Blättern  zu  tun.  Zwischen  den 
größeren  fiederartigen  Abschnitten  sind,  soweit  Platz  vorhanden  ist  (das  heißt?), 
kleinere  eingefügt,  so  daß  der  Raum,  welcher  der  Pflanze  für  die  Besonnung 
zur  Verfügung  steht,  nach  Möglichkeit  ausgenützt  ist.  Andererseits  werden  die 
Lücken  zwischen  den  großen  Abschnitten  doch  nicht  so  ausgefüllt,  daß  nicht 
noch  genug  Licht  zu  den  tiefer  stehenden  Blättern  gelangen  könnte.  Nach  dem 
Blattgrunde  zu  werden  die  größeren  Abschnitte  allmählich  kleiner;  denn  in  der 
Nähe  der  Stengel  werden  ja  Licht  und  Raum  von  mehreren  Blättern  beansprucht. 
Sollen  sich  die  (tief  geteilten)  Blattflächen  daselbst  nun  nicht  gegenseitig  decken 
(Nachteil?),  so  muß  eben  eine  Verschmälerung  eintreten. 

b)  Stengel  und  Blätter  enthalten  ein  Gift  (Solanin),  so  daß  sie  —  von 
einigen  w-enigen  Insekten  abgesehen  (s.  Absch.  D.)  —  kaum  von  einem  Pflanzen- 
fresser berührt  werden.  Wahrscheinlich  merken  die  Tiere,  daß  sie  es  hier  mit 
etwas  Ungenießbarem  zu  tun  haben,  schon  an  dem  eigentümlichen  Geruch, 
der  den  grünen  Teilen  entströmt.    In  noch  größerer  Menge  findet  sich  das  Gift 


140  39.  Familie.     Nachtschattengewächse. 

in  deii  Früchten,  in  den  „Keimen"  und  in  denjenigen  Knollen,  die  vom  Sonnen- 
licht getroffen  wurden  und  (wie  andere  Stengelteile)  ergrünt  sind.  (Wie  hat 
man  sich  daher  gegen  gekeimte  und  ergrünte  Knollen  zu  verhalten  ?) 

2.  Blüte  (3.).  Die  Blüte  besteht  aus  einem  5-zipfeligen  Kelch,  einer  rad- 
förmigen  Blumenkroue,  deren  Rand  in  5  Ecken  ausgezogen  ist,  5  Staub- 
blättern, deren  große  Beutel  einen  Kegel  bilden,  und 
einem  Stempel,  dessen  Griffel  den  Staubbeutelkegel 
an  der  Spitze  durchbricht.  Obgleich  die  Blüte  durch 
das  Weiß  oder  Blaß  violett  der  Blumenkrone,  sowie 
durch  das  leuchtende  Gelb  der  Staubbeutel  ziemlich  auf- 
fällig ist,  wird  sie  doch  nur  selten  von  Insekten 
(Fliegen)  besucht;  denn  sie  besitzt  keinen  Honig  und 
nur   wenig  Blütenstaub.     Bei  mehreren  Spielarten  der 

Blütengrundril  der  Pflanze  tritt  regelmäßig  Selbstbestäubung  ein:  der  Staub 
rieselt  aus  2  Löchern  an  der  Spitze  der  Beutel  hervor 
und  fällt,  da  die  Blüten  meist  schräg  oder  gar  senk- 
recht nach  unten  gerichtet  sind,  auf  die  darunter  befindliche  Narbe.  Bei  anderen 
Kartoffelsorten  findet  überhaupt  keine  Bestäubung  statt,  und  bei  wieder  anderen 
fallen  die  Blüten  sogar  ab,  bevor  sie  sich  noch  geöffnet  haben:  die  Pflanzen 
sind  unter  der  Hand  des  Menschen,  für  den  die  Blüten  und  Früchte  völlig 
wertlos  sind,  entartet.     (Vgl.  mit   ähnlichen  Erscheinungen   an  Haustieren!) 

3.  Frucht  (4.  und  5.).  Stellt  man  durch  die  Frucht  einen  Querschnitt  her,  so 
sieht  man,  daß  ihre  Wand  aus  2  Fruchtblättern  gebildet  ist,  die  an  den  Rändern 
miteinander  verwachsen  sind  und  sich  als  eine  Scheidewand  quer  durch  das 
Fruchtinnere  erstrecken.  Die  Scheidewand  ist  an  beiden  Seiten  zu  halbkugeligen 
Samenträgern  angeschwollen,  die  dicht  mit  Samenknospen  besetzt  sind.  Zur  Zeit 
der  Reife  werden  Fruchtblätter  und  Samenträger  fleischig,  so  daß  die  Frucht 
eine  vielsamige,  2  fächerige  Beere  darstellt.  Sie  ist  von  grüner  Färbung  und, 
weil  giftig  (s.  Absch.  1  b),  ungenießbar.  Auch  die  Samen  haben  für  uns  keine 
Bedeutung.  Die  aus  ihnen  hervorgehenden  Pflänzchen  bringen  zwar  gleichfalls 
Knollen  hervor;  doch  sie  sind  so  klein,  daß  diese  Art  der  Vermehrung  durch- 
aus unwirtschaftlich  wäre. 

C.  Von  der  Heimat  und  Verbreitung-  der  Kartoffel.  Schon  die  oben 
erwähnten  Tatsachen,  daß  die  grünen  Teile  der  Kartoffel  bereits  durch  einen 
gelinden  Frost  getötet  werden,  und  daß  die  Knollen  selbst  im  Keller  oft  er- 
frieren, weisen  darauf  hin,  daß  die  überaus  wichtige  Pflanze  kein  Glied  der 
heimatlichen  Natur,  sondern  ein  Kind  wärmerer  Gegenden  ist.  Erst  etwa  in 
der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  wurde  sie  aus  ihrer  südamerikanischen  Heimat 
durch  Spanier  nach  Europa  gebracht  und  anfänglich  nur  als  Zierpflanze  ange- 
baut. Von  Spanien  kam  sie  bald  nach  Italien  und  erhielt  hier  wegen  der 
Ähnlichkeit  der  Knollen  mit  den  Trüffeln  den  Namen  „Tartuffoli",  woraus 
unsere  Bezeichnung  „Kartoffel"  entstanden  ist.  Langsam  verbreitete  sie  sich 
weiter;  ihre  Knollen  galten  aber  geraume  Zeit  hindurch  nur  für  einen  Lecker- 


Kartoffel.     Schwarzer  und  bittersüßer  Nachtschatten.     Tollkirsche.  1  1  1 

bissen.  Erst  als  im  18.  Jahrhundert  große  Teile  von  Deutschland  durch  Miß- 
ernten heimgesucht  wurden,  denen  Hungersnot  und  Teuerung  folgten,  erkannte 
man  allmählich  den  Wert  der  Pflanze.  Ihr  Anbau  wurde  jetzt  allgemeiner. 
Vorher  aber  galt  es,  in  einem  langen,  hartnäckigen  Kampfe  den  Widerstand  zu 
brechen,  der  von  seiten  der  Landbevölkerung  der  Einführung  des  neuen  Ge- 
wächses entgegengesetzt  wurde.  Es  war  ein  Kampf,  der  vielfach  nur  durch 
Anwendung  von  Gewaltmitteln  entschieden  werden  konnte,  und  in  dem  sich  be- 
sonders die  beiden  Preußenkönige  Friedrich  Wilhelm  I.  und  Friedrich  der  Große 
unsterbliche  Verdienste  erworben  haben.  Heutzutage  ist  die  Kartoffel  über  den 
größten  Teil  der  Erde  in  zahllosen  Spielarten  verbreitet  (nenne  die  dir 
bekannten  und  beschreibe  ihre  Knollen!).  Nur  in  den  wärmsten  Ländern  ver- 
mag sie  nicht  zu  gedeihen. 

I).  Von  den  Krankheiten  und  Feinden  der  Kartoffel,  Wie  auf  allen 
anderen  Pflanzen  schmarotzen  auch  auf  der  Kartoffel  zahlreiche  niedere  Pilze, 
die  verschiedenartige  Krankheiten  hervorrufen.  Die  gefürchtetste  unter  ihnen 
ist  der  Pilz  der  eigentlichen  Kartoffelkrankheit  (s.  das.).  Er  tritt 
besonders  in  nassen  Jahren  auf,  bewirkt  ein  Schwarzwerden  des  Laubes  und 
durchwnchert  die  Knollen,  so  daß  sie  sich  schließlich  in  eine  jauchige  oder 
bröcklige  Masse  verwandeln  (nasse  und  trockene  Fäule). 

Von  den  tierischen  Feinden  seien  nur  der  Engerling  und  die  Erd- 
raupen, die  an  den  Knollen  nagen,  sowie  der  Kolorado -Kartoffelkäfer 
genannt  (s.  Lehrb.  d.  Zoologie).  Der  schmucke  Käfer  (6  a.)  ist  in  Nordamerika 
heimisch  und  nährt  sich  gleich  seiner  Larve  (6  b.)  von  den  Blättern,  an  die  er 
auch  seine  Eier  legt  (6  c).  Das  Auftreten  des  überaus  gefährlichen  Schädlings 
in  Europa  war  glücklicherweise  stets  nur  von  kurzer  Dauer. 

Andere  Nachtschattengewächse. 

A.Nachtschattengewächse    mit   Beeren  fr  ächten. 

Wie  die  Kartoffel  enthalten  zahlreiche  andere  Glieder  der  Familie  in  allen  oder 
vielen  ihrer  Teile  ein  scharfes  Gift  (Schutzmittel  gegen  Pflanzenfresser),  das  auf  den 
Menschen  je  nach  seiner  Art  und  je  nach  der  Menge,  in  der  es  genossen  wird,  sehr  ver- 
schieden einwirkt.  Solche  Giftgewächse  sind  die  beiden  nächsten  Verwandten  der 
nützlichen  Kartoffel,  der  schwarze  und  der  bittersüße  Nachtschatten  (Solanum 
nigrum  und  dulcamära).  Ersterer  kommt  auf  Schutt,  sowie  als  lästiges  Unkraut  in  Gärten 
und  Feldern  häutig  vor,  ist  einjährig  (schwache  Wurzel!),  hat  weiße  Blüten  und  schwarze, 
giftige  Beeren;  letzterer  wächst  in  Gebüschen,  besonders  an  Flußufern,  ist  eine  aus- 
dauernde Kletterpflanze  (tiefgehende,  holzige  Wurzel!),  hat  meist  sehr  verschiedengestaltete 
Blätter,  violette  Blüten  und  rote,  aber  nicht  giftige  Beeren,  die  anfangs  bitter  und  nach- 
her süßlich  schmecken  („Bittersüß").  —  Als  das  gefährlichste  Gewächs,  das  die 
heimatliche  Pflanzenwelt  überhaupt  besitzt,  ist  die  Tollkirsche  (Atropa  belladonna)  zu 
nennen.  Die  meterhohe  Pflanze  wächst  in  schattigen  Bergwüldern  und  besitzt  dem- 
entsprechend (s.  S.  7,  b.  u.  c.)  große  und  verhältnismäßig  zarte  Blätter.  Die  Blüten  bilden 
bräunliche,  hängende  Glocken  (Bedeutung?).  Die  Frucht  ist  eine  glänzend  schwarze 
Beere,    die    aber   in    dem    bleibenden  Kelche    sitzt.     Da    sie    einer  Herzkirsche    (Name!) 


142 


39.  Familie.     Nachtschattengewächse. 


ähnelt,    wird    sie    besonders    von  Kindern    leicht    dafür    gehalten.     Sie    ist  aber  mit  der 
Wurzel  der  giftigste  Teil  der  ganzen  Pflanze.    Ihr  Genuß  bewirkt  Sehwindel,  Betäubung 

und  oft  den  Tod  (Gegenmittel:  Brechmittel  und 
starker  Kaffee!).    Da  sich  bei  Vergifteten  regel- 
mäßig   auch    die    Pupille    stark    erweitert,    hat 
das  Gift    der    Pflanze   (Atropin)    in    der   Augen- 
heilkunde    eine    überaus    wichtige    Verwendung 
gefunden:  in  allen    den   Fällen,  in  denen  es  auf 
eine  Erweiterung  der  Pupille  ankommt,  wird  es 
den  Kranken  in   das  Auge  geträufelt. 
Früchte  von  solcher  Giftigkeit  —  sollte 
man  meinen  —  müßten  auch  den  Tieren 
schädlich  sein.    Das  ist  auch  meist  der 
Fall.    Drosseln  und  Amseln  jedoch  ver- 
speisen sie  mit  sichtlichemWohlbehagen 
und  besorgen  dadurch  unfreiwillig  die 
Aussaat    der    Samen 
(s.  S.  64,  8).    Darum 
besitzen    auch    diese 
Früchte,  so  giftig  sie 
für    uns    sind,    auf- 
fällige   Färbung,    so- 
wie    süßes,     saftiges 
Fruchtfleisch.  Früher 
benutzte  man  in  Ita- 
lien   die  Beeren   zum 
daher  „bella   donna", 
d.  h.  schone  Frau. 

Neben  diesen  Nachtschatten- 
irten  gibt  es  aber  auch  mehrere 
andere,  die  kaum  giftig  sind  und 
deren  Beeren  z.  T.  sogar  vom  Men- 
schen genossen  werden.  Als  die  wich- 
tigste wäre  zuerst  der  Liebesapfel 
oder  die  Tomate  (Solanum  lyco- 
persicum)  zu  nennen.  Die  Pflanze 
ist  der  Kartoffel  überaus  ähnlich, 
stammt  aus  Südamerika  und  wird 
der  prächtig  roten  Früchte  wegen  (Name!  Verwendung?)  bei  uns  immer  mehr  angebaut.  — 
Eßbar  sind  auch  die  Früchte  der  bei  uns  heimischen  Judenkirsche  (Physalisalkekengi),die 
zumeist  aber  nur  als  Zierpflanze  bekannt  ist.  Zur  Zeit  der  Reife  sind  die  roten,  kirschen- 
großen Beeren  von  dem  aufgeblasenen,  gleichfalls  roten  Kelche  umhüllt,  welcher  der 
Kopfbedeckung  ähnelt,  wie  sie  im  Mittelalter  die  Judenfrauen  trugen  (Name!). —  Die  roten, 
schotenähnlichen  Früchte  der  Paprikapiianze  oder  des  spanischen  Pfeffers,  (Capsicum) 
sind  von  sehr  scharfem  Geschmack  und  werden  wie  die  Früchte  des  Pfefferstrauchs 
als  Gewürz  verwendet.  Die  Pflanze  entstammt  dem  tropischen  Amerika  und  wird  u.  a. 
in  großer  Menge   bei  Cayenne    („wo  der  Pfeffer  wächst1'),    aber  auch  in  Südeuropa  und 


Schminken 


Schwarzer  Nachtschatten.    (Nat.  Gr.) 


Liebesapfel.     Judenkirsche.     Span.  Pfeffer.    Teufelszwirn.    Tabak. 


143 


besonders  in  Ungarn  angebaut.  —  Der  Teufelszwirn  (Lycium  bärbarum),  der  vielfach 
zur  Bildung  von  Hecken  (Name!)  angepflanzt  ist,  aber  auch  oft  verwildert  vorkommt,  hat 
im  Mittelmeergebiete  seine   Heimat. 

B.  Nachtschattengewächse  mit  Kapsel  fr  ächten. 
Nächst  der  Kartoffel  hat  kein  Nachtschattengewächs  ••ine  so  große  Be- 
deutung für  den  Menschen  erlangt  wie  der  Tabak  (Nicotiäna).  Von  seinen 
zahlreichen  Arten  werden  bei  uns  besonders  zwei  angepflanzt:  am  häutigsten  der 
1—2  in  hohe  virginische  T.  (N.  täbacnm),  seltener  der  kleinere  (Höhe  nur  bis 
1  in),  aber  breitblättrigere  Bauern -T.  (N.  rüstica).  Beide  sind  einjährige 
Pflanzen,  die  in  Amerika  ihre  Heimat  haben.  Alle  grünen  'Feile  sind  dicht  mit 
klebrigen  Drü- 
senhaaren  besetzt 
(Schutz  gegen 
Pflanzenfresser). 
Die  sehr  großen 
Blätter  nehmen 
nach  oben  hin  all- 
mählich an  Größe 
ab,  eine  Einrich- 
tung, die  wir  als 
vorteilhaft  für  die  Belichtung 
bereits  kennen  gelernt  haben. 
Da  sie  sich  —  von  den  obersten 
abgesehen  —  mit  der  Spitze  zum 
Erdboden  herabneigen,  so  leiten 
sie  das  Regenwasser,  von  dem 
sie  getroffen  werden,  nach  außen 
(centrifngal).  Denientsprecheiu 
verlaufen  auch  die  Seitenwur- 
zeln, die  meist  am  oberen  Teile 
der  tiefgehenden  Pfahlwurzel 
entspringen,  wagerecht  im  Boden 
und  gehen  samt  ihren  Ver- 
zweigungen nicht  über  den  Um- 
kreis der  Pflanze  hinaus  (s. 
S.  88,  c).  Der  Stengel  und  seine  Zweige  tragen  am  Ende  große  Sträuße 
von  Röhrenblüten,  die  beim  virginischen  T.  lang  und  von  roter,  beim  Bauern -T. 
wesentlich  kürzer  und  von  gelb -grüner  Färbung  sind.  Die  Frucht  ist  eine 
Kapsel,  die  sich  im  Schutze  des  Kelches  entwickelt,  in  2  Klappen  aufspringt 
und  zahlreiche,  sehr  kleine  Samen  enthält. 

Haben  die  Pflanzen  ihre  volle  Größe  erreicht,  so  werden  die  Blätter  ab- 
gebrochen, auf  Schnüre  gereiht  und  unter  einem  Dache  zum  Trocknen  aufgehängt. 
In  der  Fabrik  werden  sie  wieder  angefeuchtet  und  zu  großen  Hauten  aufge- 
schichtet, in   denen  sich,  durch  Spaltpilze  veranlaßt,  unter  Entwicklung  hoher 


Virginischer 
Tabak.    Blüten  and 

Früchte.   (Nat.  Gr.) 


144 


39.  Familie.     Nachtschattengewächse. 


Wärme  (vgl.  mit  feuchtem  Heu!)  bald  eine  Gärung  einstellt.  Sind  die  Haufen 
einigemal  umgeschichtet,  dann  sind  die  Blätter  zum  Gebrauch  fertig,  so  daß 
sie  nunmehr  als  Rauch-,  Kau-  und  Schnupftabak  verwendet  werden  können. 
Als  die  Spanier  zuerst  mit  den  Eingeborenen  von  Amerika  in  Berührung 
kamen,  war  unter  diesen  die  Sitte  des  Tabakrauchens  bereits  üblich.  Es  währte 
nicht  lange,  so  fand  sie  auch  in  Europa  Eingang.  Obgleich  der  Genuß  des 
Tabaks  in  mehreren  Ländern  selbst  mit  den  schwersten  Strafen  bedroht  wurde, 
breitete  er  sich  doch   unaufhaltsam  immer  weiter  aus,   und  jetzt  gibt  es  wohl 

kaum  noch  ein  Land, 
in  dem  ihm  nicht  ge- 
huldigt würde.    Hand 
in  Hand  hiermit  ging 
auch  die  Verbreitung 
der     Pflanze      selbst, 
deren   Anbau   heutzu- 
tage in  fast  allen  war- 
men  und   gemäßigten 
Gegenden  des  Erdballs 
erfolgt.  (Welche  Län- 
der liefern  den  besten 
Tabak?      In    welchen 
deutschen    Landschaf- 
ten    wird     besonders 
Tabakbau  getrieben?) 
Der  Tabak  enthält 
ein  Gift,  das 
Nikotin,  von 
dem      schon 
ein    einziger 
Tropfen    ge- 
nügt,    einen 
Hund  zu  tö- 
ten. Fortge- 
setzter star- 
ker     Genuß 
von  Tabak  — 
ganz    gleich 
in      welcher 
Form  —  ruft 
daher    nicht 
selten  Darm-  und  Herzerkrankungen   hervor,  ja   er  kann  sogar  eine  gänzliche 
Zerrüttung   des  Körpers   herbeiführen.      Für  Kinder  ist  der  Tabak  selbst 
in  kleinen  Mengen  ein  gefährliches  Gift. 


Tabak.     Bilsenkraut.     Stechapfel.     Petunie. 


1  l: 


Auf  Schutthaufen  und  an  Wegen  findet  sich  das  Bilsenkraut  (Hyoscyamus  niger), 
eine  allbekannte,  sehr  giftige  Pflanze  mit  klebrigen  Blättern  und  von  ekelkaftem  Geruch. 
Die  schmutzig-gelben,  violett  geäderten  Blüten  sind  alle  nach  einer  Seite  gerichtet.    Die 
vom  stachelspitzigen  Kelch  umhüllte  Kapsel  springt  mit    einem  Deckel  auf.  —  An  den- 
selben örtlichkeiten  wächst  auch  der  gleichfalls 
sehr  giftige  Stechapfel  (Datlira  stramönium).  Er 
wird  bis  1  m  hoch  und  ist  ein  übelriechendes  Kraut 
mit  gabeligen    Verzweigungen.      Die    ausgebuch- 
teten Blätter  sind  von  sehr  ver- 
schiedener   Größe    und    bilden 
meist  eine  regelmäßige  Mosaik. 
(Vgl.     mit      Roßkastanie      und 
Efeu.     Die    Mosaik    ist    in    der 


Abbildung  nicht  zu 
sehen,  weil  —  um 
alle  Teile  sichtbar 
zu  machen  —  die 
Pflanze  von  der  Seite 
gezeichnet  ist.)  Die 
Blüte  wird  von  Nacht- 
faltern bestäubt, 
besitzt  daher,  wie 
die  des  Leimkrautes 
(s.    das.)    eine    lange 

Blütenröhre  und 
weiße  Färbung,  öti'- 
net  sich  mit  beginnen- 
der Dunkelheit  und  haucht  besonders  während  der  Nacht  einen  starken  Duft  aus.  Die 
Fruchtkapseln,  die  mit  4  Klappen  aufspringen,  sind  außen  mit  vielen  spitzen  Stacheln 
besetzt  (Name!),  ein  Schutzmittel  der  zahlreichen  Samen,  die.  so  giftig  sie  für  uns 
sind,  von  mehreren  körnerfressenden  Vögeln  ohne  Schaden  verzehrt  werden.  —  Als 
letztes  Glied  der  Familie  sei  endlich  die  Petunie  (Petiinia)  erwähnt,  die  in  zahlreichen 
Spielarten  unsere  Gärten  schmückt.     Ihre  Heimat  ist  Südamerika. 


Zweig  vom  Stechapfel.  (Daneben  eine  aufgesprungene  Frucht.) 
(Nat.  Gr.) 


Solimeil,   Lehrbncti  clor  Botanik. 


10 


146  Taf.  20.     40.  Familie.     Lippenblütler. 

40.  Familie.     Lippenblütler  (Labiatae). 

Pflanzen  mit  4-kantigem  Stengel,  gegenständigen  Blattern  und  Lippenblüten.    Die  Blüten 

besitzen  (in  der  Regel)  2  lange  und  2  kurze  Staubblätter,  sowie  einen  Fruchtknoten,  der 

bei  der  Reife  in  4  Teilfrüchtchen  zerfällt. 

Die  weiße  Taubnessel  (Lamium  älbum).  Tafel  20. 
Die  Taubnessel,  die  sich  an  Zäunen  und  Hecken,  an  Wegen,  Gräben  und 
ähnlichen  Orten  findet,  zählt  zu  unseren  bekanntesten  Pflanzen.  Gibt  es 
doch  wohl  kaum  ein  Kind,  das  aus  ihren  weißen  Blüten  mit  den  Hummeln  und 
Bienen  nicht  schon  den  süßen  Honig  genascht  hätte  („weißer  Bienensaug")! 
Und  jedermann  ist  auch  genötigt,  sich  die  Pflanze  genauer  anzusehen;  denn  sie 
gleicht  täuschend  der  Brennessel,  vor  deren  Brennhaaren  (s.  das.)  sich  jeder 
wohl  in  acht  nimmt.  Ihr  fehlen  aber  diese  giftigen  Waffen  („Taubnessel") 
und  darum  wird  sie  auch  von  den  meisten  Weidetieren  gern  verzehrt.  Der 
unangenehme  Geruch,  der  ihr  entströmt,  und  die  kurze,  rauhe  Behaarung 
aller  grünen  Teile  sind  ihr  wenigstens  gegen  diese  Zerstörer  kein  genügendes 
Schutzmittel  (vgl.  mit  Schwarzwurz).  —  Die  Ähnlichkeit  mit  der  Brennessel 
beruht  vor  allen  Dingen  in  der  Form  und  Stellung  der 

A.  Blätter:  sie  sind  gestielt,  eiförmig,  am  Rande  sägezähnig  eingeschnitten, 
stehen  sich  paarweise  gegenüber,  und  jedes  Paar  bildet  mit  dem  vorhergehenden 
oder  nachfolgenden  Paare  ein  Kreuz  (1.).  Infolge  dieser  Anordnung  der  Blätter  ist 
einerseits  der  Stengel  gleichmäßig  belastet  (Vorteil?),  und  andererseits  können  die 
Blätter  trotz  der  verhältnismäßig  großen  Breite  doch  alle  von  den  Sonnen- 
strahlen getroffen  werden.  Aus  den  Achseln  besonders  der  unteren  Blätter 
gehen  vielfach  Seitenzweige  hervor.  —  Wie  wir  w.  u.  sehen  werden,  sind  die 
Wurzeln  weit  im  Boden  verstreut;  wir  linden  daher  an  den  Blättern  auch  keine 
besonderen  Einrichtungen,  die  eine  Ableitung  des  Regenwassers  zu  den  Wurzeln 
bewirken  könnten  (vgl.  dag.  z.  B.  mit  Raps,  Birnbaum  und  Schwarzwurz!). 

Vergleicht  man  Taubnesseln,  die  an  schattigen  und  feuchten  Standorten 
wachsen,  mit  solchen  trockener  und  sonniger  Stellen,  so  findet  man,  daß  jene 
stets  größere  und  viel  zartere  Blätter  besitzen  als  diese.  Diese  Verschieden- 
heit in  der  Belaubung  wird  uns  sofort  erklärlich,  wenn  wir  bedenken,  daß 
ersteren  wie  den  Pflanzen  des  feuchten  Waldbodens  (s.  S.  7,  b.  u.  c.)  genügende 
Feuchtigkeit,  aber  schwaches  Licht,  letzteren  dagegen  wie  allen  „Sonnenpflanzen" 
wenig  Feuchtigkeit,  aber  ungeschwächtes  Licht  zur  Verfügung  stehen.  Daß 
wirklich  die  derberen  und  meist  etwas  gerunzelten  Blätter  der  letzteren  weit 
weniger  Feuchtigkeit  an  die  umgebende  Luft  abgeben  als  die  Blätter  der  ersteren, 
läßt  sich  leicht  nachweisen.  Man  braucht  nur  je  eine  dieser  Pflanzen  ab- 
zuschneiden, dann  wird  man  finden,  daß  die  Schattenpflanze  viel  früher  welk 
wird  als  die  „Sonnenpflanze". 

B.  Stengel.  1  a)  Der  oberirdische  Stengel  hat  nicht  nur  die  eigene 
Last  und  die  der  Blätter  zu  tragen,  sondern  muß  auch  gegen  den  Wind,  der 
die  Blätter  zur  Seite  weht   und   ihn  daher  selbst  biegt,  widerstandsfähig  sein: 


Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  20. 


Weiße  Taubnessel  (Lamium  album). 


Weiße  Taubnessel.  147 

er  muß  Trag--  und  Biegungsfestigkeit  besitzen.  Bei  einer  Biegung  werden  die 
Zellen  an  der  konkaven  Seite  stark  zusammengedrückt,  die  an  der  konvexen 
dagegen  ausgedehnt.  Die  zwischen  den  beiden  Seiten  liegenden  Zellen  haben 
unter  der  Biegung  umso  weniger  zu  leiden,  je  mehr  sie  der  Mitte  des  Stengels 
genähert  sind.  Daher  müssen  die  festesten  Teile  in  der  äußersten  Stengel- 
schicht liegen.  Stellt  man  nun  durch  den  Stengel  einen  sehr  dünnen  Querschnitt 
her,  so  sieht  man  b°i  schwacher  mikroskopischer  Vergrößerung,  daß  dies  auch 
der  Fall  ist:  man  erblickt  am  Umfange  des  Stengels  4  Stränge,  die  aus  Zellen 
mit  (besonders  in  den  Ecken)  stark  verdickten  Wänden  bestehen.  Da  diese 
Zellstränge  über  den  Umfang  des  Stengels  etwas  hervortreten,  so  erscheint  der 
letztere  vierkantig  und  zwischen  den  Kanten  rinnig  vertieft. 

b)  Wie  jeder  Baumeister  mit  möglichst  wenig  Material  die  größte  Festig- 
keit seines  Bauwerks  zu  erreichen  sucht  —  man  braucht  nur  an  den  Bau  von 
eisernen  Brücken  zu  denken!  — ,  so  auch  die  Natur.  Sie  vermeidet  sorgfältig 
alles  Entbehrliche  oder  gar  Überflüssige.  Nun  haben  wir  gesehen,  daß  bei  der 
Biegung  des  Stengels  die  im  Innern  liegenden  Teile  umso  weniger  auszuhalten 
haben,  je  weiter  sie  von  den  Seiten  entfernt  sind.  Die  in  der  Mitte  liegenden 
haben  überhaupt  nichts  mehr  auszuhalten;  sie  tragen  demnach  auch  nichts  zur 
Festigung  des  Ganzen  bei  und  können  daher  fehlen.  Der  Stengel  ist  also  un- 
beschadet seiner  Festigkeit  hohl. 

c)  Wie  ein  einfacher  Versuch  zeigt,  ist  eine  lange  (Glas-)  Röhre  weit 
leichter  zu  zerbrechen  als  eine  kurze.  Dasselbe  gilt  natürlich  auch  für  röhren- 
förmige Stengel.  Wir  sehen  daher  den  Stengel  der  Taubnessel  durch  Querwände 
in  mehrere  kleine  Röhren  geteilt.  Diese  Querwände  liegen  in  den  Knoten  der 
Stengel,  an  denen  die  Blätter  entspringen. 

d)  Vielfach  —  besonders  bei  hohen  Pflanzen  —  liegt  der  untere  Stengel- 
teil dem  Boden  auf.  Dann  brechen  aus  den  Knoten  dieses  Abschnittes  zumeist 
Wurzeln  hervor,  die  das  schwankende  Gewächs  am  Boden  gleichsam  verankern. 

2.  Gräbt  man  eine  Taubnessel  aus  der  Erde,  so  sieht  man,  daß  die 
oberirdischen  Stengel  aus  einem  Wurzelstocke  hervorgehen.  Da  dieses  Gebilde 
nichts  anderes  als  ein  unterirdischer  Stengel  ist,  so  linden  wir  an  ihm 
auch  dieselbe  Blattstellung  und  Verzweigung  wie  am  oberirdischen  Stengel  (7.). 

a)  Die  Zweige  des  unterirdischen  Stengels  erheben  sich  entweder  über 
den  Boden  (oberirdische  St.)  oder  kriechen  wie  der  Stengel  selbst,  von  dem  sie 
entspringen,  wagerecht  in  der  Erde  dahin,  bilden  also  unterirdische  Ausläufer. 
Stirbt  der  Mutterstock  ab,  so  werden  die  Ausläufer  selbständig.  Die  Bildung 
von  Ausläufern  ist  also  mit  einer  Vermehrung  der  Pflanze  gleichbedeutend. 
Da  sich  nun  die  Ausläufer  wieder  verzweigen,  so  wird  uns  das  truppweise 
Auftreten  der  Taubnessel  wohl  verständlich. 

b)  Die  Blätter  der  unterirdischen  Stengel  sind,  weil  im  Dunkeln 
wachsend,  schuppenförmig  und  wie  alle  unterirdischen  Teile  der  Pflanze  farblos. 
Sie  schützen  die  im  Boden  vordringenden  Enden  der  Ausläufer  und  die  in  ihren 
Achseln  sich  bildenden  Knospen  der  Zweige  gegen  Verletzung.    Haben  sie  diese 


148  40.  Familie.     Lippenblütler. 

Aufgabe  erfüllt,  dann  sind  sie  für  die  Pflanze  ohne  Bedeutung  und  verschruinpfen. 
Darum  findet  man  sie  auch  nur  an  den  jüngsten  Ausläufern. 

c)  Von  den  Knoten,  aber  auch  von  anderen  Stellen  der  unterirdischen 
Stengel  entspringen  zahlreiche  fadenförmige  Wurzeln  (Bedeutung?). 

C.  Blüte».  1.  Blütenstand  (1.).  In  den  Achseln  der  oberen  Blätter  stehen 
je  3 — 7  Blüten,  an  deren  Grunde  sich  meist  noch  einige  borstenförmige  Blättchen 
finden.  Da  die  Blüten  auch  die  Stengelseiten,  an  denen  keine  Blätter  entspringen, 
meist  gänzlich  verdecken,  so  sieht  es  aus,  als  ob  sie  in  einem  „Quirle"  rings 
um  den  Stengel  ständen. 

2.  L  i  p  p  e  n  b  1  ü  t  e  (2. — 4.).  Ein  glockenförmiger,  fünfzipfeliger  Kelch 
umschließt  die  weiße,  seitlich  symmetrische  Blumen- 
krone (s.  S.  30,  a).  Ihr  unterer  Teil  ist  eine  knie- 
förinig  gebogene  Röhre,  deren  Seitenwände  oben  zwei 
in  je  ein  Zähnchen  ausgezogene  Lappen  bilden.  Die 
Hinterwand  der  Röhre,  deren  Öffnung  man  mit  dem 
Maule  eines  Tieres  vergleichen  kann,  setzt  sich  in  die 
helmartige  „Oberlippe",  die  Vorderwand  in  die  herz- 
förmig   ausgeschnittene  „Unterlippe"    fort    („Lippen- 

Bliitengrundrig  der        blöte«  .  Familienname I).    Unter  der  Oberlippe  finden  sich 
Taubnessel.  die  Beutel  der   4   Staubblätter,    deren  Fäden   mit 

der  Röhre  z.  T.  verwachsen  sind.  Zwischen  den  Staub- 
beuteln hat  die  zweigespaltene  Narbe  ihren  Platz.  Der  Fruchtknoten 
(s.  Absch.  D)  findet  sich  im  Blütengrunde  und  ist  z.  T.  von  der  gelappten, 
helleren  Honigdrüse  umgeben. 

3.  Hummelblume.  Da  sich  der  Honig  am  Grunde  einer  langen  Röhre 
findet,  ist  er  nur  langrüsseligen  Insekten  erreichbar.  Die  Schmetterlinge  jedoch 
sind,  obgleich  sie  den  längsten  Rüssel  besitzen,  wieder  ausgeschlossen:  schon 
die  großen  und  steifen  Flügel  hindern  sie,  soweit  in  die  Blüte  einzudringen, 
als  zum  Saugen  notwendig  wäre.  Es  bleiben  daher  nur  die  großen  Hummel- 
arten übrig,  die  auch  leicht  als  die  ausschließlichen  Besucher  der  Taub- 
nesselblüte festzustellen  sind.  Und  wenn  man  das  Verhältnis,  das  hier  zwischen 
Tier  und  Pflanze  besteht,  näher  verfolgt,  dann  wird  man  auch  zahlreiche  Einzel- 
heiten im  Bau  der  Blüte  verstehen  und  die  Blüte  selbst  als  eine  vollendete 
„Hummelblume"  erkennen  lernen. 

a)  Die  blaßgelbe  Unterlippe  bildet  die  „Anflugstange"  und  das  „Sitz- 
brett" der  Hummel.  Daher  ist  dieser  Blütenteil  auch  wagerecht  gestellt.  Grün- 
liche Punkte  und  Striche,  die  sich  auf  ihm  und  im  Eingange  zur  Blütenröhre 
finden,  werden  als  „Honigmale"  gedeutet  (s.  S.  121,  3). 

b)  Die  beiden  Seitenlappen  der  Blütenröhre  sind  genau  so  weit  von- 
einander entfernt,  daß  Kopf  und  Brust  der  saugenden  Hummel  zwischen  ihnen 
Platz  haben. 

c)  Hat  die  Hummel  die  zum  Saugen  notwendige  Stellung  eingenommen, 
so  füllt  sie  mit  der  Rückenseite  gerade  die  Höhlung  der  Oberlippe  aus,  oder 


Weiße  Taubnessel.  149 

anders  ausgedrückt:  die  Entfernung-  zwischen  Unter-  und  Oberlippe  entspricht 
erstlich  genau  der  Größe  der  Bestäuber,  und  zweitens,  die  Oberlippe  ist  gleich- 
sam nach  dem  Hummelrücken  „modelliert".  —  Da  die  saugende  Hummel  den 
Rücken  an  die  Unterseite  der  Oberlippe  drücken  muß,  so  ist  diese  Stelle 
auch  der  geeignetste  Ort  für  die  Narbe  und  die  Staubbeutel;  denn  diese  Blüten- 
teile müssen  von  dem  Insekt  berührt  werden,  falls  dessen  Besuch  für  die  Pflanze 
nicht  wertlos  sein  soll.*)  —  Zugleich  ist  auch  die  Oberlippe  ein  vortreffliches 
Regendach  für  den  leicht  verderbenden  Blütenstaub.  Am  Rande  ist  sie  mit 
wimperartigen  Haaren  besetzt,  eine  Einrichtung,  durch  welche  die  auffallenden 
Regentropfen  verhindert  werden,  auf  die  Unterseite  überzutreten  (Versuch!). 

d)  Soll  die  Hummel  die  zur  Bestäubung  durchaus  notwendige  Stellung  ein- 
nehmen, so  muß  der  Blüteneingang  seitwärts  gerichtet  sein. 

e)  Um  die  von  den  Pflanzen  „gewünschte"  Fremdbestäubung  herbeizuführen. 
muß  das  mit  fremdem  Blütenstaub  behaftete  Insekt  zuerst  die  Narbe  berühren 
(führe  dies  näher  aus!).  Daher  ist  hier  einer  der  beiden  Narbenäste  senkrecht 
nach  unten  gerichtet,  so  daß  er  früher  als  die  Staubbeutel  vom  Hummelrücken 
berührt  werden  muß. 

f)  Damit  sich  die  saugende  Hummel  wirklich  mit  Blütenstaub  belade, 
öffnen  sich  erstlich  die  Staubbeutel  nach  unten.  Alle  Beutel  „wollen" 
aber  vom  Rücken  des  Insekts  berührt  sein:  sie  liegen  daher  zweitens  in  einer 
Ebene.  Der  geeignetste  Ort  für  eine  solche  Berührung  ist  nun  aber  ohne 
Zweifel  die  Mitte  der  Oberlippe.  Um  dort  jedoch  Platz  zu  finden,  können  die 
Beutel  nicht  neben-,  sondern  müssen  hintereinander  liegen:  2  Staubblätter  be- 
sitzen  längere,   2   kürzere  Fäden  (eine  Eigentümlichkeit  der   ganzen  Familie!). 

g)  Wie  oben  erwähnt,  ist  der  Honig  wegen  der  Länge  der  Blütenröhre 
nur  langrüsseligen  Hummeln  zugängig ;  kurzrüsselige  (darunter  auch  die  Honigbiene) 
suchen  ihn  wie  z.  B.  aus  der  Blüte  der  Schwarzwurz  durch  Einbruch  zu  erlangen. 

h)  Nicht  weit  von  ihrem  Unterende  ist  die  Blütenröhre  plötzlich  verengt 
und  innen  (öffne  sie!)  mit  einem  schräg  verlaufenden  Ringe  feiner  Haare 
ausgerüstet.  Schneidet  man  sie  dicht  über  dieser  Stelle  quer  durch,  so  sieht 
man,  daß  der  Haarring  gleichsam  eine  Reuse  darstellt,  die  den  untersten,  honig-, 
gefüllten  Teil  der  Röhre  abschließt.  Kleine  Insekten,  die  in  der  Röhre  hinab- 
gekrochen  sind,  können  den  Haarzaun  nicht  durchdringen:  für  den  Rüssel  der 
kräftigen  Hummel  dagegen  bildet  diese  „Saftdecke"  kein  Hindernis. 

Kurz:  man  kann  die  Taubnesselblüte  betrachten  wie  man  will, 
sie  ist  in  allen  Stücken  ihren  Bestäubern  aufs  innigste  „angepaßt". 

D.  Frucht.    Der  Fruchtknoten  ist  genau  wie  bei  der  Schwarzwurz  (s.  das.) 


*)  Die  in  Fig.  4  dargestellte  Hummel  hat  sich  soeben  auf  der  Unterlippe  nieder- 
gelassen und  ist  im  Begriff,  zum  Honig  vorzudringen.  Erst  wenn  sie  den  Kopf  noch 
tiefer  in  die  Blütenröhre  senkt,  füllt  sie  die  Höhlung  der  Oberlippe  aus.  Sie  hat  von 
einer  andern  Blüte  Blütenstaub  mitgebracht  (beachte  die  Rückenseite  des  Hinterleibs!), 
kann  hier  also  Fremdbestäubung  vermitteln. 


150  40.  Familie.     Lippenblütler. 

gebaut  und  zerfällt  bei  der  Reife  gleichfalls  in  4  Teilfrüchtchen  (5.).  Da  sie  vom 
bleibenden  Kelche  fest  umschlossen  werden,  platten  sie  sich  gegenseitig  ab  und 
steigen,  wenn  sie  sich  bei  der  Reife  vom  Blütenboden  lockern,  in  der  Kelchröhre 
gleichsam  empor.  Dann  genügt  schon  ein  leiser  Wind,  sie  aus  ihrem  Behältnis 
zu  schütteln.  Es  sind  olivenfarbene  Gebilde  (6.)  mit  einem  weißen,  fleischigen 
Anhange,  über  dessen  Bedeutung  aber  wie  bei  den  Nüßchen  der  Schwarzwurz 
keine  sicheren  Beobachtungen  vorliegen.  (Man  bekommt  die  Früchte  am  leich- 
testen zu  Gesicht,  wenn  man  verblühte  Pflanzen  in  ein  Glas  mit  Wasser  steckt.) 

Andere  Lippenblütler. 

Die  Gattung  Taubnessel  (Lämium)  wird  bei  uns  noch  durch  3  rotblühende  Arten 
vertreten.  Eine  überaus  stattliche  Pflanze  ist  die  gefleckte  T.  (L.  maculätum),  die  der 
weißblühenden  Form  sehr  ähnlich  ist.  Sie  wächst  in  Laubwäldern  und  feuchten 
Gebüschen  und  hat  dementsprechend  große  und  zarte  Blätter,  die  zudem  häufig  noch 
weiß  gefleckt  sind  (Name!  vgl.  mit  Wiesenklee  und  Lungenkraut).  Die  beiden  anderen 
rotblühenden  Arten  sind  weit  kleiner  und  kommen  auf  bebautem  Lande  als  Unkräuter, 
sowie  an  Wegen  und  Hecken  überall  häufig  vor.  Sie  lassen  sich  leicht  dadurch  von- 
einander unterscheiden,  daß  die  eine  Form,  die  stengelumfassende  T.  (L.  amplexicäüle), 
am  oberen  Teile  stengelumfassende  Blätter  besitzt,  während  bei  der  anderen  Art,  der 
roten  T.  (L.  purpureum),  sämtliche  Blätter  gestielt  sind.  An  der  stengelumfassenden 
Taubnessel  finden  sich  häufig  unscheinbare  Blüten,  die  sich  ähnlich  wie  die  Sommerblüten 
des  Veilchens  nie  öffnen.  —  Eine  prächtige  Frühlingspflanze  ist  die  gelbblühende  (Name!) 
Goldnessel  (Galeöbdolon  luteum).  Da  sie  dieselben  Örtlichkeiten  wie  die  gefleckte 
Taubnessel  bewohnt,  so  ist  sie  gleichfalls  ein  überaus  zartes  Gewächs.  Auch  ihre  Blätter 
sind  oft  weiß  gefleckt. 

Bereits  im  April  entfaltet  der  überall  häufige  Gundermann  (Glechoma  hederäcea) 
seine  zarten,  blauen  Lippenblüten.  Nur  die  blütentragenden  Triebe  sind  kräftig  genug, 
sich  senkrecht  vom  Boden  zu  erheben;  sonst  liegt  das  Pflänzchen,  aus  allen  Knoten 
Wurzeln  schlagend,  der  Erde  auf.  Diese  Lage  ist  aber  für  ein  Gewächs,  dessen  Blätter 
wie  bei  allen  Lippenblütlern  kreuzweis  gestellt  sind,  sehr  ungünstig.  Hier  muß  ein 
Ausgleich  geschaffen  werden,  und  das  ist  auch  der  Fall :  die  langen  Blattstiele  stellen 
sich  senkrecht  naoh  oben;  die  Blattflächen  nehmen  die  wagerechte  Lage  ein,  und  die 
Blätter,  die  der  Blattstellung  entsprechend  nach  unten  wachsen  würden,  sind  durch  eine 
Drehung  der  Stengelglieder  zur  Seite  gerückt,  so  daß  sie  gleichfalls  das  Licht  aufsuchen 
können.  Wie  sehr  sich  die  Pflanze  den  Verhältnissen,  unter  denen  sie  gedeiht,  an- 
zuschmiegen „versteht",  ist  auch  aus  folgender  Tatsache  ersichtlich:  an  schattigen 
Orten  sind  die  Blätter  (oft  auffallend)  groß  und  zart,  an  sonnigen  dagegen  viel  kleiner 
und  derber  (s.  S.  146,  2).  —  Eine  andere  bekannte  Frühlingspflanze  unserer  Wiesen  und 
Laubwälder  ist  der  kriechende  Günsel  (Ajüga  reptans).  Seine  leuchtend  blauen  Blüten 
besitzen  eine  so  kurze  Oberlippe,  daß  Staubblätter  und  Narbe  weit  aus  der  Röhre 
hervorragen.  Dafür  stehen  sie  aber  so  dicht  zusammen,  daß  sie  durch  die  darüber 
befindlichen  Blätter  vor  Regen  geschützt  sind.  Am  unteren  Teile  des  aufrechten  Stengels 
brechen  lange  Ausläufer  hervor  (Artname!),  an  denen  dieselbe  „Korrektur"  der  Blätter  wie 
beim  Gundermann  zu  beobachten  ist.  Am  Ende  der  Ausläufer,  die  im  Herbste  absterben, 
bilden  sich  Blattrosetten,  aus  denen  im  nächsten  Frühjahre  neue  Pflanzen  hervorgehen 
(Vermehrung!).  —  Später   im  Jahre    entfaltet  an  denselben  Örtlichkeiten  die  Brunelle 


Taubnesseln  und  andere  Lippenblütler.  151 

(Brunella  vulgaris)  ihre  violetten  Blüten.  Sie  stehen  dicht  übereinander,  werden  aber 
von  den  Blättern,  aus  deren  Achseln  sie  entspringen,  nicht  verdeckt;  denn  diese  bleiben 
nicht  nur  klein,  sondern  sind  gleich  den  Kelchen  meist  sogar  bunt  (rotbraun)  gefärbt 
(Bedeutung  ?). 

An  Wegen,  auf  Schutt  und  an  ähnlichen  Orten  macht  sich  häufig  die  Schwarz- 
nessel (Ballöta  nigra)  breit.  Die  der  weißen  Taubnessel  sehr  ähnliche  Pflanze  hat  aber 
schmutzig  rote  Blüten.  —  An  denselben  Stellen,  wie  auch  als  Unkraut  unter  der  Saat 
findet  sich  der  (gemeine)  Hohlzahn  (Galeopsis  tetrahit).  Die  Unterlippe  der  roten 
Blüten  besitzt  2  zahnartige  Ausstülpungen  (Name!),  durch  welche  die  Hummeln  genötigt 
werden,  den  Kopf  so  in  die  ßlütenöffnung  einzuführen,  daß  die  Staubbeutel  unbedingt 
berührt  werden  müssen.  —  Über  Wald  und  Heide,  über  Feld  und  Sumpf,  über  Berg  und 
Tal  sind  die  zahlreichen  Ziestarten  (Stachys)  verbreitet.  —  Die  formenreiche  Gattung 
der  Minzen  (Mentha)  liebt  das  Wasser  (Ufer  der  Bäche  und  Flüsse,  Sümpfe,  feuchte 
Äcker  u.  dgl.).  Alle  Arten  haben  einen  eigentümlichen  Geruch,  der  wie  bei  der  Rose 
von  einem  flüchtigen  Öle  herrührt.  Das  Öl  (Verwendung?)  wird  besonders  von  der 
Pfefferminze  gewonnen  (M.  piperita),  die  wahrscheinlich  aus  dem  Mittelmeergebiete 
stammt  und  hier  und  da,  vorwiegend  aber  in  England  und  Nordamerika  im  Großen  an- 
gebaut wird.  —  Sehr  reich  an  flüchtigen  Ölen  und  daher  wertvolle  Gewürz-  oder  Arznei- 
pflanzen sind  ferner  das  Bohnenkraut  (Satureja  hortensis),  der  Majoran  (Origanum 
majoräna),  der  Garten-Thymian  (Thymus  vulgaris)  und  der  Garten-Salbei  (Sälvia 
offlcinalis).  Die  Heimat  dieser  allgemein  bekannten  Pflanzen  sind  die  Länder  um  das 
Mittelmeer.  Das  vielfach  als  Topfgewächs  gezogene  Basilienkraut  (Ocimum  basilicnm) 
dagegen  stammt  aus  Ostindien. 

Indem  wir  uns  fragen,  welche  Bedeutung  der  große  Ölreichtum  für  die 
Pflanzen  selbst  hat,  wollen  wir  uns  wieder  der  Heimat  und  damit  den  beiden 
letzten  Gliedern  der  großen  und  wichtigen  Familie  zuwenden :  dem  Feld-Thymian 
oder  Feld -Quendel  (Thymus  serpyllum)  und  dem  Wiesen-Salbei  (Sälvia  pra- 
tensis). Beide  sind  stark  duftende,  ausdauernde  Pflanzen,  die  an  kahlen  Berg- 
lehnen, auf  sandigen  Triften,  kurz  an  trockenen  Stellen  im  heißesten  Sonnen- 
brande wachsen.  Der  rotblühende  Thymian  ist  daher  auch  nur  ein  niedriges, 
rasenbildendes  Pflänzchen  mit  winzigen  Blättchen  (vgl.  mit  Heidekraut!),  und 
der  stattliche  Salbei  besitzt  tiefgehende  Wurzeln  und  stark  gerunzelte  Blätter 
(s.  S.  120,  3).  Gleiche  wasserarme  Örtlichkeiten  bewohnen  nun  in  ihrer  Heimat 
die  oben  erwähnten  Gewürz-  und  Arzneipflanzen  (mit  Ausnahme  der  Minzen), 
eine  Tatsache,  die  für  die  Beantwortung  der  aufgeworfenen  Frage  nicht  un- 
wichtig zu  sein  scheint.  Es  ist  nämlich  sicher  nachgewiesen,  daß  Luft,  die  reich 
an  flüchtigen  Ölen  in  Dampfform  ist,  weit  weniger  Wärmestrahlen  durchgehen 
läßt,  als  reine  Luft.  Da  nun  die  Pflanzen  von  einer  solchen  Dufthülle  beständig 
umgeben  werden,  so  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  daß  wir  es  in  dem  sich 
stetig  verflüchtenden  Öle  mit  einem  Schutzmittel  der  Gewächse  gegen  zu  hohe 
Erwärmung  und  damit  gegen  zu  starke  Wasserdampfabgabe  zu  tun  haben. 

Der  Wiesen-Salbei  verdient  noch  wegen  seiner  interessanten  Bestänbungs- 
weise  unsere  Beachtung.  Von  den  4  Staubblättern,  wie  wir  sie  bei  den  Lippen- 
blütlern regelmäßig  finden,  sind  bei  ihm  (wie  bei  allen  Salbeiarten  und  einigen 
anderen  Familiengliedern)   nur  die  beiden  vorderen  vorhanden,  die  zudem  eine 


152 


Taf.  21.    40.  Familie.     Lippenblütler.     41.  Familie,     Rachenblütler. 


sehr  merkwürdige  Ausbildung  erfahren  haben :  bei  den  meisten  Pflanzen  ist  der 
Teil  des  Staubblattes,  der  die  beiden  Staubbeutellacher  verbindet,  sehr  kurz. 
Bei  anderen,  wie  bei  dem  soeben  erwähnten  Feld-Thymian, 
ist  dieses  sog.  Mittelband  schon  breiter,  und  beim  Salbei 
endlich  übertrifft  die  eine  Hälfte  desselben  den  Staub- 
faden sogar  an  Länge.  Die  andere  Hälfte  des  Mittel- 
bandes dagegen,  der  zudem  das  Staubbeutelfach  fehlt, 
bleibt  verhältnismäßig  kurz  und  ist 
am  Ende  zu  einer  löffelartigen  Platte 
verbreitert,  die  mit  der  Platte  des 
anderen  Staubblattes  den  Eingang  zur 
Blütenröhre  versperrt.  Der  lange  Ab- 
schnitt des  Mittelbandes  mit  seinem 
Staubbeutelfache  dagegen  ist  ;n  der 
Oberlippe  der  azurblauen  Blüte  ge- 
borgen. Schickt  sich  nun  eine  Hummel 
an,  die  sich  auf  der  Unterlippe  einer 
jungen  Blüte  niedergelassen  hat,  Honig 
zu  saugen,  so  stößt  sie  mit  dem  Kopfe 
oder  Rüssel  gegen  die  beiden  erwähnten 
Platten.  Da  aber  die  Mittelbänder 
mit  den  Staubfäden  gelenkig  verbun- 
den sind,  so  werden  die  Platten  durch 
das  Tier  zugleich  nach  hinten  ge- 
drückt: infolgedessen  senkt  sich  aber 
der  lange  Arm  des  ungleicharmigen 
Hebels  herab,  und  die  geöffneten  Staub- 
beutelfächer schlagen  auf  dem  Rücken 
der  Hummel  auf.  (Ahme  die  Tätig- 
keit des  Insekts  mit  Hilfe  eines  zu- 
gespitzten Bleistifts  nach!)  Fliegt 
das  Tier,  mit  Blütenstaub  beladen,  nun 
zu  einer  älteren  Blüte,  in  der  die 
Staubblätter  zwar  schon  verstäubt 
haben,  die  zweigespaltene  Narbe  sich 
aber  gerade  in  den  Eingang  zur 
Blüte  gestellt  hat,  so  muß  es  die 
Narbe  gleichfalls  mit  dem  Rücken 
berühren,  also  Fremdbestäubung  her- 
beiführen. Diese  eigentümliche  Art 
der  Bestäubung  macht  uns  auch  die 
verhältnismäßig  große  Entfernung 
zwischen  Unter-  und  Oberlippe  (mehr 


Bestäubung  des  Wiesen-Salbei. 

1.  ZweiBlüten,  die  von  je  einerHum- 
rael  besucht  werden:  a.  jüngere  Blüte; 
die  Staubbeutelfächer  berühren  den  Rücken 
des  Tieres,  b.  ältere  Blüte;  die  anfliegende 
Hammel  streift  mit  der  blütenstaubbehafteten 
Stelle  des  Rückens  die  Narbe.  2.  Ein  Staub- 
blatt, von  der  Seite,  3.  beide  Staub- 
blätter, von  vorn  gesehen.  4.  Staub- 
blatt des  Feld-Thymians  zum  Vergleich. 
F.  Staubfaden.  M.  Mittelband.  B.  Staub- 
beutelfächer. 


Schineil,   Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  21. 


h'M/tM, 


Leinkraut  oder   Frauenflachs  (Linaria  vulgaris). 


Andere  Lippenblütler.     Leinkraut.  153 

als  Hummelgröße!),  sowie  die  auffallende  Schmalheit  der  Oberlippe  verständlich 
(vgl.  mit  Taubnessel). 

Ein  Glied  einer  nahe  verwandten  Familie  ist  das  Eisenkraut  (Verbena 
ofiicinälis),  das  an  Wegrändern  und  ähnlichen  Orten  gedeiht.  Es  trägt  kleine,  blaue 
Blüten  und  ist,  seinem  Standorte  entsprechend  (Beweis!),  ein  sparriges,  rutenförmiges 
Gewächs  mit  schmalen,  eingeschnittenen  Blättern  und  tiefgehender  Wurzel.  Im  Altertum 
schrieb  man  der  unscheinbaren  Pflanze  Wunderkraft  zu;  so  sollte  z.  B.  Eisen  darch 
nichts  so  gut  gehärtet  werden  können  als  durch  sie  (Name!).  —  Die  prächtigen  Ver- 
benen  unserer  Gärten  sind  Abkömmlinge  einer  südamerikanischen  Art.  ■ — -Eine  andere, 
mit  den  Lippenblütlern  nahe  verwandte  Pflanze  ist  die  echte  Bärenklane  (Acänthus), 
die  in  Südeuropa  heimisch  ist,  bei  uns  aber  öfter  als  Zierpflanze  angebaut  wird.  Die 
tief  eingebuchteten,  malerischen  Blätter  finden  seit  den  Zeiten  der  alten  Griechen  be- 
sonders in  der  Bildhauerkunst  reiche  Verwendung. 

41.  Familie.     Rachenblütler  (Scrophulariäceae). 

Blüten    wie   bei   den  Lippenblütlern   (s.  das.);    Frucht   aber    eine  zweifächerige  Kapsel. 
Das  Leinkraut  oder  der  Frauenflachs  (Linäria  vulgaris).     Tafel  21. 

Auf  Sandboden  und  an  anderen  unfruchtbaren  Örtlichkeiten  ist  die  zierliche 
Pflanze  (1.)  fast  überall  häufig  anzutreffen.  Je  nachdem  sie  unter  größerem 
oder  geringerem  Wassermangel  zu  leiden  hat,,  senkt  sie  den  vielverzweigten 
unterirdischen  Stengel  (Wurzelstock)  samt  den  Wurzeln,  die  von  ihm 
ausgehen,  mehr  oder  weniger  tief  in  den  Boden.  Auch  in  den  schmalen,  mit 
einer  Wachsschicht  überzogenen  Blättern  (tauche  einen  Stengel  ins  Wasser!) 
besitzt  sie  ein  wichtiges  Schutzmittel  gegen  zu  starken  Wasserverlust  (vgl.  S.  22, 
bezw.  17,  2).  Da  sich  schmale  Blätter  gegenseitig  nur  wenig  beschatten,  sind 
die  aufrechten  Stengel  auch  sehr  dicht  mit  solchen  besetzt.  Durch  diese 
zahlreichen,  schmalen  und  langen  Blätter  erhält  die  (noch  nicht  blühende)  Pflanze 
eine  große  Ähnlichkeit  mit  dem  Lein  oder  Flachs,  eine  Tatsache,  welche  die 
oben   angegebenen  Namen  hinreichend  erklärt. 

Aus  den  Achseln  der  oberen,  kleinen  (Bedeutung?)  Blätter  entspringen 
die  kurz  gestielten,  zierlichen,  gelben  Blüten  (2. — 5.),  die  zusammen  eine  weithin 
sichtbare  Traube  bilden  (Bedeutung  ?).  Sie  sind  denen  der  Taubnessel  außerordent- 
lich ähnlich  und  gleichfalls  vollendete  Hummelblumen  (beweise  beides !).  Der 
mittlere  Abschnitt  der  dreigespaltenen  Unterlippe,  dessen  Orangefarbe  als  „Saft- 
mal" gedeutet  wird,  ist  aber  kissenförmig  angeschwollen 
und  legt  sich  dicht  und  fest  an  die  zweispaltige  Oberlippe. 
Während  kleinere  Insekten  diesen  Verschluß  nicht  zu 
öffnen  vermögen  (Bedeutung?),  ist  dies  den  großen, 
kräftigen  Hummelarten  ein  leichtes :  sie  lassen  sich  auf  der 
Unterlippe  nieder  (beachte  die  Richtung  der  Zipfel!)  und 
kriechen  soweit  als  möglich  in  den  sich  öffnenden  „Blüten- 
rachen"  (2.).  („Rachenblütler".  —  Die  Pflanze  heißt  sehr  Blütengruttdrif} 
bezeichnend   auch    „Feld-Löwenmaul".)     Da   die   Hummeln      vom  Leinkraut 


154  Taf.  22.     41.  Familie.     Rachenblütler. 

infolge  ihrer  Größe  hierbei  die  Blütenröhre  vollkommen  ausfüllen,  so  sind 
sie  auch  die  gewiesenen  Bestäubungsvermittler  (Beweis!).  Ihnen  ist  daher 
auch  allein  der  Honig  zugänglich.  Er  wird  von  der  Unterlage  des  Frucht- 
knotens abgeschieden,  fließt  aber  in  einen  langen  Sporn  hinab  (3.),  zu  dem 
der  untere  Teil  der  Blütenröhre  ausgezogen,  und  der  oft  bis  zur  Hälfte  mit 
dem  süßen  Safte  gefüllt  ist  (halte  die  Blüten  gegen  das  Licht!).  Die  vom 
Honiggenuß  ausgeschlossenen  kurzrüsseligen  Hautflügler  verüben  allerdings  sehr 
häufig  Einbruch  (4.  u.  5.). 

Hinsichtlich  der  Frucht  dagegen  unterscheidet  sich  das  Leinkraut  wesent- 
lich von  der  Taubnessel:  sie  ist  eine  Kapsel,  die  sich  bei  der  Eeife  im  oberen 
Teile  mit  6  unregelmäßigen  Zähnen  öffnet  (6).  Der  Wind  schüttelt  dann  die 
zahlreichen  Samen  aus  (8.).  Da  sie  rings  von  einem  Hautrande  umgeben  sind, 
können  sie  weit  verweht  werden  (Bedeutung?).  Bei  Eintritt  feuchter  Witterung 
schließt  sich,  wie  wir  dies  bereits  bei  zahlreichen  anderen  Pflanzen  kennen 
gelernt  haben  (Beispiele!  Bedeutung?),  die  Kapsel  wieder  (7.). 

Andere  Rachenblütler. 

1.  An  Felsen  und  altem  Mauerwerk  siedelt  sich  gern  das  efeublättrige  Lein- 
kraut (L.  cymbaläria)  an,  das  aus  Südeuropa  eingewandert  ist.  Das  überaus  zierliche 
Pflänzchen  hat  schwache,  kriechende  Stengel,  fünf  lappige  Blätter  wie  der  Efeu  (Name!) 
und  violette  Blüten,  die  von  langen  Stielen  in  das  Licht  gerückt  werden  (Bedeutung?). 
Nach  dem  Verblühen  aber  krümmen  sich  die  Blütenstiele  zurück,  so  daß  die  reifenden 
Kapseln  der  Unterlage  zugewendet  werden.  Infolgedessen  gelangen  die  ausfallenden 
Samen  in  Felsenspalten  und  Mauerritzen,  also  an  Orte,  an  denen  der  Keimling  und 
die  junge  Pflanze  die  zum  Leben  notwendige  Erdmenge  finden.  —  Gleichfalls  aus  Süd- 
europa ist  das  Löwenmaul  (Antirrhinum  majus)  zu  uns  gekommen,  das  in  fast  zahl- 
losen Farbenspielarten  eine  unserer  bekanntesten  Zierpflanzen  ist.  —  Kurze  Röhren- 
blüten mit  kleinen  Lippen  besitzt  die  knotige  Braun  würz  (Scrophuläria  nodosa),  die 
ihren  Namen  nach  dem  knotigen,  dunkelgefärbten  Wurzelstocke  trägt.  Die  allbekannte 
Pflanze  findet  sich  in  feuchten  Wäldern  und  Gebüschen  und  hat  den  Standorten  ent- 
sprechend (s.  S.  7,  b  und  c)  große  und  zarte  Blätter.  Die  braunen  Blüten  werden  vor- 
wiegend von  Wespen  besucht  und  bestäubt. 

Der  rote  Fingerhut  (Digitalis  purpürea)  bewohnt  Gebirgsgegenden.  Dort  schmückt 
er  besonders  Waldblößen  mit  seinen  prächtigen,  einseits-wendigen  Blütentrauben.  Die 
großen,  purpurroten  Blüten  stellen  hängende  Glocken  dar  (Name,  Schutz  gegen  Regen!). 
Nachdem  die  Blütenkrone  abgefallen  ist,  richten  sich  die  Blütenstiele  wieder  empor,  so 
daß  die  am  oberen  Teile  sich  öffnenden  Früchte  aufrecht  gestellt  sind.  Infolgedessen 
fallen  die  zahlreichen  kleinen  Samen  nicht  —  wie  es  sonst  der  Fall  sein  würde  —  sämt- 
lich in  nächster  Nähe  der  Pflanze  zu  Boden,  sondern  können  durch  Windstöße  leicht 
über  einen  großen  Umkreis  verstreut  werden  (Bedeutung?).  Alle  Teile  des  stolzen  Ge- 
wächses enthalten  ein  sehr  heftiges  Gift  (Digitalin),  das  Weidetiere  vom  Verzehren  der 
grünen  Teile  abhält,  uns  aber  als  wirksames  Heilmittel ,  vorzüglich  bei  Herzkrank- 
heiten, dient. 

2.  Zahlreiche  andere  Glieder  der  formenreichen  Familie  besitzen  Blüten, 
die  einige  Ähnlichkeit  mit  einem  Bade  haben :  die  kurze  Blütenröhre  (Nabe  des 


Schmeil.  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  22. 


Echte  Königskerze  (Verbascum  thapsus). 


Leinkraut  und  andere  Rachenblütler.  155 

Rades!)  breitet  sich  in  einen  Saum  aus,  der  in  4  oder  5  Abschnitte  (Speichen 
des  Rades!)  gespalten  ist.  Blüten  dieser  Art  linden  wir  z.  B.  bei  den  Königs- 
kerzen (Verbäscum),  die  in  zahlreichen  Arten  zumeist  steinige,  sonnige  Orte 
bewohnen.  Eine  der  am  häutigsten  vorkommenden  Formen  ist  die  echte  K. 
(V.  thapsus),  die  nicht  selten  die  Höhe  von  1'/-'  m  erreicht  und  zumeist  die  Ge- 
stalt einer  regelmäßigen  Pyramide  aufweist  (Belichtung!  Auf  Tafel  22,  1  ist 
die  Pflanze  bei  einem  heftigen  Regen  dargestellt).  Die  Spitze  der  Pyramide 
wird  von  dem  kerzenartigen  Blutenstände  gebildet  (Name!),  der  aus  zahlreichen, 
leuchtend  gelben  Blüten  (2.  u.  3.)  zusammengesetzt  ist.  Da  sich  die  braunen 
Fruchtkapseln  bei  der  Reife  im  oberen  Teile  öffnen  (4.),  so  vermag  der 
Wind,  der  den  hohen,  elastischen  Stengel  erschüttert  (Schleuder!),  die  zahl- 
reichen, kleinen  und  gefurchten  Samen  (5.)  leicht  über  einen  weiten  Bezirk 
zu  verstreuen.  Die  grünen  Teile  der  stattlichen  Pflanze  sind  so  dicht  mit 
Haaren  bedeckt,  daß  sie  sich  wie  Filz  anfühlen  (darum  auch  ., Wollkraut" 
genannt).  Auf  der  Schleimhaut  des  Mundes  verursachen  die  Haare  ein  lästiges 
Jucken  und  Kratzen.  Darum  hüten  sich  Weidetiere  auch,  die  Pflanze  zu  berühren. 
Bei  mikroskopischer  Betrachtung  geben  sich  die  Haare  als  Gebilde  zu  erkennen, 
die  wie  Tannenbäumchen  verzweigt  sind  (6.  Haarfilz  bei  50facher  Vergr.).  Sie 
verhindern  daher  auch  in  vortrefflicher  Weise  eine  zu  schnelle  Erneuerung  der 
Luftschicht,  von  der  die  Pflanze  umgeben  wird,  und  damit  eine  zu  starke 
Verdunstung  des  Wassers  durch  die  Blätter  (s.  S.  43.  C  a).  Dieser  Schutz 
ist  um  so  wichtiger,  als  ja  die  Pflanze  auf  sehr  trockenem  Boden  wächst.  Dar- 
um finden  wir  auch  erstlich  den  Haar  Überzug  an  jungen  Teilen  besonders  ent- 
wickelt; daher  erscheint  ferner  die  Blattrosette,  welche  die  Königskerze  im 
ersten  Jahre  bildet,  und  die  den  trockenen  Winter  zu  überstehen  hat  (s.  S.  92), 
wie  aus  Filz  geschnitten,  und  darum  kann  endlich  die  Pflanze  im  Gegensatz  zu 
zahlreichen  kleinblättrigen  Gewächsen  derselben  Standorte  (Beispiele!)  auch  so 
große,  weil  wohlgeschützte  Blätter  tragen.  Die  Blätter  sind  infolge  ihrer 
Größe  andererseits  auch  wieder  imstande,  eine  verhältnismäßig  große  Menge 
von  Regenwasser  aufzufangen  und  der  Wurzel  zuzuleiten,  die  sich  fast  unver- 
zweigt tief  (Bedeutung!)  in  den  Boden  senkt.  Der  Ableitung  des  W'assers 
nach  der  Mitte  der  Pflanze  scheint  aber  die  Haltung  der  Blätter  nur  teilweise 
zu  entsprechen.  Zwei  Drittel  jeder  Blattfläche  sind  allerdings  zum  Stengel 
schräg  aufwärts  gestellt.  Das  andere  Drittel  dagegen  ist  schräg  nach  unten 
gerichtet,  so  daß  das  Wasser  yon  ihm  auch  nach  außen  abfließen  muß.  Trotz- 
dem geht  es  für  die  Pflanze  nicht  verloren:  wie  leicht  zu  beobachten  ist  (1.), 
tropft  es  nämlich  auf  ein  darunter  stehendes  Blatt  und  zwar  stets  an  eine 
Stelle  desselben,  von  der  aus  es  dem  Stengel  und  damit  der  Wurzel  zugeführt 
werden  muß. 

Gleichfalls  radförmige  Blüten,  aber  nur  mit  2  Staubblättern,  besitzen  die  zahl- 
reichen Arten  der  Gattung  Ehrenpreis  (Verönica),  von  denen  hier  nur  die  verbreitetsten 
erwähnt  werden  können.  Auf  Wiesen  und  an  ähnlichen  Orten  wächst  der  Gamander- E. 
(V.  chaniiedrys),    der    an    den    zweireihig    behaarten  Stengeln    leicht  kenntlich  ist.     Die 


156 


41.  Familie.     Rachenblütler. 


prächtig  blatten  Blüten  sind  zu  Trauben  gehäuft,  werden  daher  trotz  der  Kleinheit 
weithin  sichtbar.  Besonders  zahlreich  stellen  sich  zierliche  Schwebfliegen  ein,  die  zu- 
meist  den    unteren  Zipfel    des  Blumenkronensaumes    als  Anflugsplatz    benutzen.      Dabei 

drücken  sie 
denGriffel  her- 
ab und  ergrei- 
fen die  dreh- 
baren Staub- 
fäden, so  daß 
auch  deren 
Beutel  mit  der 
Unterseite  des 
Körpers  in  Be- 
rührung kom- 
men (Bedeu- 
tung?). Da  die 
Blumenkronen 
sehr  leicht  ab- 
fallen, hat  das 
Volk  dem  zier- 
Im  Frühjahre  findet  sich 
mit  einzelnstehenden  blaß- 


Bliiten   vom  Gamander -Ehrenpreis.     Bei   2   hat  sich    eine  Schweb- 
fliege an  dem  unteren  Zipfel  des  Blumenkronsaums   festgeklammert,  so 
daß  die  Blüte  bestäubt  wird.     (Etwa  4  mal  nat.  Gr.) 


liehen  Pflänzlein   den  Spottnamen  „Männertreu"   beigelegt.  - 

besonders    unter    der    Saat    der    Efeu-E.    (V.    hederifölia) 

blauen  Blüten    und    efeuähnlichen  Blättern    —  Ein  Bewohner    von  Bächen   und  Gräben 

dagegen   ist   der  Bachbungen-E.  (V.  beccabünga),   der    seinem  Standorte  entsprechend 

dicke,  saftstrotzende  Blätter  wie  die  Sumpf-Dotterblume  besitzt  (s.  das.). 

3.  Die  folgenden  Rachenblütler  haben  wieder  deutlich  zweilippige  Blüten 
wie  das  Leinkraut  und  seine  nächsten  Verwandten,  unterscheiden  sich  von  diesen 
u.  a.  aber  wesentlich  dadurch,  daß  sie  sämtlich  „Wurzelschmarotzer"  sind. 
Nimmt  man  z.  B.  den  großen  Klappertopf  (Alectorölophus  major)  vorsichtig 
aus  dem  Boden,  so  staunt  man,  wie  eine  Pflanze,  die  bis  zu  1h  m  hoch  wird, 
mit  so  gering  entwickeltem  Wurzelwerk  „auskommen"  kann.  Bei  näherem  Zu- 
sehen findet  man  aber  an  den  Wurzeln  zahlreiche,  2—3  mm  große  Wärzchen,  die 
sich  an  den  Wurzeln  der  Nachbarpflanzen  anlegen  und  diesen  Nahrungsstoffe 
entziehen  (vgl.  mit  Hopfenseide!).  Daher  sieht  man  auch  häufig  auf  Wiesen, 
auf  denen  der  Klappertopf  in  großen  Trupps  auftritt,  wie  die  Gräser  um  ihn 
absterben.  Da  er  aber  grüne  Blätter  besitzt,  vermag  er  einen  großen  Teil 
der  zum  Leben  und  Wachstum  nötigen  Stoffe  selbst  zu  bereiten :  er  ist  nur  ein 
„Halbschmarotzer".  Die  gelbe  Blüte,  deren  Oberlippe  zwei  blaue  Zähnchen 
besitzt,  ist  von  einem  blasigen  Kelche  umgeben  (verfolge  die  interessante  Be- 
stäubung!). Er  umhüllt  auch  die  Frucht  und  dient  in  erster  Linie  als  ein 
Windfang:  indem  er  nämlich  leicht  vom  Winde  geschüttelt  wird,  werden  auch 
die  Kapseln  hin  und  her  bewegt.  Dadurch  werden  aber  die  Samen,  die  in  den 
Kapseln  bei  Erschütterungen  klappern  (Name!),  herausgeschleudert  und,  weil 
von  einer  Flughaut  umgeben,  leicht  weithin  verweht  (Bedeutung?). 

Mit  dem  Klappertopf  tritt  auf  den  Wiesen  und  Matten  zumeist  auch  der  Augen- 


Andere  Rachenblütler. 


157 


fcrosl  (Euphrasia)  in  großen  Mengen  auf.  Er  fügt 
aber  dem  Landmann,  der  ihn  hier  und  da  als 
„Milchdieb "  bezeichnet,  gleich  den  anderen  Halb- 
schmarotzern sicher  nur  geringen  Schaden  zu.  Von 
der  zierlichen,  weißblühenden  Art,  dein  gemeinen 
Au.  (Eu.  ofüeinälis),  der  früher  als  Heilmittel 
gegen  Augenleiden  galt,  führt  die  Gattung  den 
Namen.  Der  größere  rote  Au.  (Eu.  odontites) 
kommt  als  Unkraut  häufig  auch  auf  feuchten  Äckern 
vor.  —  Auf  toriigen  Wiesen  wächst  in  mehreren 
Arten  das  Läusekraut  (Pedicularis)  mit  zierlich 
zerteilten  Blättern  und  nieist  roten  Rachenblüten. 
Die  niedliche  Pflanze  ist  zu  dem  unschönen  Namen 
gekommen,  weil  man  eine  Abkochung  von  ihr  früher 
gegen  das  Ungeziefer  der  Haustiere  anwendete. 
—  Im  Schatten  der  Wälder  findet  sich  der  Hain- 
Wachtelweizen  (Melampyrum  nemorösum).  Da 
die  Blätter,  in  deren  Achseln  die  gelben  Blüten 
stehen,  wie  Blumenblätter  bunt  und  zwar  prächtig 


Groger    Klappertopf.      1.   Wurzeln    mit   Saugwärzchen.       2.    Blühender    und    Früchte 
tragender  Stengel.     3.  Same.     (Nat.  Gr.). 

blau  gefärbt  sind,  wird  die  zarte  Schattenpflanze  sehr  auffällig  (Bedeutung?).  —  Beim 
Wiesen -W.  (M.  pratense),  der  ein  häufiger  Schmuck  der  Waldwiesen  ist,  findet  sich 
diese  Doppelfärbung  nicht.  Die  Samen  beider  Pflanzen  werden  gern  von  Ameisen  ver- 
schleppt; die  weizenkornähnlichen  Gebilde  (Name!)  besitzen  nämlich  einen  sackartigen 
Anhang,  der  diesen  Tieren  als  willkommene  Speise  dient. 


158      Taf.  23.     41.  Familie.     Rachenblütler.     42.  Familie.     Wegerich-Gewächse. 


Eine  Sommerwurz  auf  der  Wurzel  der  Pferde- 
oder   Saubohne   schmarotzend.      (Wenig   verkl.) 


4.  Im  Gegensatz 
■  zu    diesen    „Halb- 
schmarotzern"   be- 
sitzt die  Seh  uppen- 
wurz        (Lathrsea 
squamäria)       kein 
Blattgrün.     Daher 
ist  sie  wie    die  Hopfenseide 
(s.  das.)  genötigt,  sich  voll- 
kommen von  anderen  Pflan- 
zen ernähren  zu  lassen.    Sie 
lebt    unterirdisch    auf    den 
Wurzeln    der     Laubbäume, 
denen  sie  durch  Saugwarzen 
die  zum  Leben  und  Aufbau 
Stoffe   entzieht.     Der  unter- 
farblose und  fleischige  Stamm 
ist  dicht  mit  schupp enförniigen  Blät- 
tern (Name!)  besetzt,  die  —  wie  man 
auf  einem   Durchschnitt   sehen   kann 
—  innen  je  einen  Hohlraum  besitzen. 
Da  dieser  Raum  mit  der  Außenwelt 
in  Verbindung  steht,  und  da  man  in 
ihm  Eeste  sehr  kleiner  Tiere   findet, 
so  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  daß  das  seltsame 
Gewächs  nicht  nur  ein  Schmarotzer,  sondern  auch 
eine  tierfressende  Pflanze  ist  (s.  Sonnentau !).    Im 
Frühjahre  erhebt  die  Schuppenwurz   die  mit  röt- 
lichen   Blättern    und    einseitswendigen ,    rachen- 
förmigen  Blüten  dicht  besetzten  Stengel  über  den 
Boden.      Hat    der    Wind    die    sehr    zahlreichen, 
staubförmigen  Samen   ausgestreut,   so   stirbt   der 
oberirdische    Stengel    ab,     und    die 
Pflanze  zieht  sich  wieder  gänzlich  in 
den   Boden   zurück.     Wenn   wir  be- 
denken,  wie  geringe  Aussicht  die 
keimenden  Samen  haben,  eine  ge- 
eignete Wurzel  zu  treffen,  so  wird 
uns  ihre  große  Anzahl  wohl  ver- 
ständlich.    Und  wenn  wir  weiter 
bedenken,    daß    die    Samen    über 
ein    umso    größeres    Gebiet    ver- 


Schmal,  Lehrbuch  der  Botanik, 


Tafel  23. 


Mit. lerer  Wegerich  (Plantago  media). 


Schlippen-  und  Sommerwurz.     Fettkraut.     Wasserschlauch.     Wegerich,  159 

sie  sind,  so  werden  wir  auch  ihre   staubförmige  Feinheit  als  wichtige  oder  gar 
notwendige  Eigenschaft  erkennen. 

Eine  in  allen  Stücken  ganz  ähnliche  Lebensweise  führt  ein  Glied  einer  nahe 
verwandten  Familie,  die  Sommerwurz  (Orobänche),  die  in  zahlreichen,  schwer 
zu  unterscheidenden  Arten  auf  den  "Wurzeln  der  verschiedensten  Pflanzen  schmarotzt 
(z.  B.  auf  Klee,  Hanf,  Gerste  u.  v.  a.).  Von  dem  unteren,  knollenförmigen  Teile  des 
unterirdischen  Stammes,  der  mit  schuppenformigen  Blättern  besetzt  ist,  gehen  zahlreiche 
Wurzeln  aus,  die  mit  denen  der  Nährpflanze  in  Verbindung  stehen.  Mit  Beginn  oder 
während  des  Sommers  (Name!)  wächst  die  Gipfelknospe  des  Stammes  zu  einem  Stengel 
aus,  der  sich  über  den  Boden  erhebt  und  zahlreiche,  meist  bunt  gefärbte  Rachenblüten 
trägt.  —  Gleichfalls  nahe  Verwandte  der  Rachenblütler  sind  das  Fettkraut  (Pinguicula) 
und  der  Wassersohlauoh  (Utriculäria),  die  bei  den  „insektenfressenden  Pflanzen"  be- 
reits erwähnt  worden  sind. 

42.  Familie.     Wegerich-Gewächse  (Plantaginäceae). 
Der  Wegerich  (Plantago).     Tafel  23. 

1.  Die  verbreitetsten  Arten.  Schon  bei  einiger  Aufmerksamkeit 
merkt  man,  daß  der  Wegerich  in  mehreren,  wohl  unterschiedenen  Arten  auf- 
tritt, von  denen  die  3  folgenden  überall  häufig  anzutreffen  sind:  der  Spitz- 
wegerich (P.  laneeoläta)  ist  leicht  an  den  lanzettlichen  Blättern  zu  erkennen:  der 
große  und  der  mittlere  W.  (P.  major  und  media)  dagegen  besitzen  viel  breitere 
Blätter,  die  jedoch  wieder  voneinander  verschieden  sind.  Während  sie  bei 
ersterein  deutlich  gestielt  sind,  verschmälern  sich  bei  letzterem  die  Blattflächen 
nur  in  je  einen  kurzen,  breiten,  undeutlichen  Blattstiel.  (Erkläre  die  Artnamen!) 

•2.  Standort.  Diese  drei  Wegericharten  bewohnen  Wiesen,  Triften  und 
ähnliche  Orte.  Vor  allen  Dingen  sind  sie  regelmäßige  Begleiter  der  Wege  (Gat- 
tungsname!); ja  sie  siedeln  sich  sogar  zwischen  dem  Pflaster  wenig  betretener 
Straßen  an.  An  allen  diesen  Orten  findet  sich  auch  der  allbekannte  Löwen- 
zahn, und  es  ist  daher  durchaus  nicht  zu  verwundern,  daß  zwischen  diesen 
Pflanzen  hinsichtlich  der 

.').  Wurzeln  und  Blätter  eine  so  große  Übereinstimmung  herrscht. 
Wie  der  Löwenzahn  (s.  das.)  haben  die  Wegericharten  sehr  t  i  e  f g  e  h  e  n  d  e 
Wurzeln  (dem  „großen  Wegerich"  fehlt  aber  die  Pfahlwurzel  der  beiden 
anderen  Arten!),  sowie  Blätter,  die  oberseits  mit  Rinnen  versehen  und 
an  trockenen  Standorten  zu  regelmäßigen  Rosetten  geordnet  sind  (1.).  An 
Stellen  dagegen,  an  denen  die  Pflanzen  mit  anderen  um  das  Licht  ringen  (Wiese), 
sind  auch  die  ganzrandigen  Blätter  mehr  oder  weniger  aufwärts  gerichtet. 

4.  Blüte,  a)  Auf  einem  langen  Stiele,  der  aus  der  Achsel  eines  Blattes 
entspringt,  stehen  dicht  gehäuft  zahlreiche  Blüten  (Ähre).  Sie  bestehen  (2.  u.  3.) 
aus  einem  vierteiligen  Kelche,  einer  kleinen  Blumenkrone  mit  vierteiligem 
Saume,  vier  Staubblättern  und  einem  Stempel. 

b)  In  der  Regel  ragt  der  Griffel  mit  der  behaarten,  einem  <  ylinderputzer 
ähnlichen  Narbe  bereits  aus  der  Blüte  hervor  (2.),  wenn  die  Staubblatter  noch  zu- 


160      Taf.  24.     42.   Fam.     Wegerich-Gewächse.     43.  Farn.  Glockenblumen-Gewächse. 

rückgebogen  sind  (s.  S.  161).  Später  strecken  sich  auch  diese  hervor  (3.).  Ob- 
gleich die  Staubbeutel  dann  vollkommen  frei  stehen,  ist  der  Blütenstaub  doch 
nicht  ohne  jeden  Schutz:  die  bereits  geöffneten  Beutel  (4.)  schließen  sich 
nämlich  in  taureichen  Nächten  und  beim  Eintritt  feuchter  Witterung  wieder 
(5.;  Versuch!)  Erschüttert  man  den  Blütenstand  bei  trockenem  Wetter,  so 
entweichen  aus  den  Beuteln  Wölkchen  trockenen  Staubes.  Dasselbe  geschieht 
natürlich  auch  beim  Wehen  des  Windes  (langer,  beweglicher  Stiel!),  und  es 
kann  daher  nicht  ausbleiben,  daß  auf  diesem  Wege  Staub  zu  den  freistehenden 
Narben  gelangt,  der  Wind  also  die  Bestäubung  vermittelt.  Andererseits  sieht  man 
aber  auch,  wie  die  Blüten  von  Insekten  besucht  werden,  die  Blütenstaub  ver- 
zehren oder  „einernten".  Besonders  häufig  hat  sich  der  „mittlere  Wegerich" 
eines  solchen  Besuchs  zu  erfreuen.  Seinen  Blüten  entströmt  aber  auch  ein 
sehr  zarter  Duft,  und  die  violetten  Staubblätter  machen  die  unscheinbaren  Blüten 
doch  weithin  bemerkbar.  Die  beiden  anderen  Arten  dagegen  haben  duftlose  Blüten 
und  nur  gelbliche  oder  weiße  Staubblätter.  Der  Wegerich  stellt  also 
einen  Übergang  von  den  insektenblütigen  zu  den  windblütigen 
Pflanzen  dar,  von  welch  letzeren  wir  in  der  Haselnuß  (s.  das.)  einen  ausge- 
prägten Vertreter  kennen  lernen  werden.  (Stelle  auch  fest,  in  welchen  anderen 
Punkten  die  Wegerichblüte  Eigentümlichkeiten  dieser  beiden  Pflanzengruppen 
zeigt,  und  wie  sich  dies  bei  den  einzelnen  Arten  entweder  zu  Gunsten  der  Wind- 
oder der  Insektenblütigkeit  verschiebt!) 

5.  Die  Frucht  (6.)  ist  eine  Kapsel,  deren  oberer  Teil  sich  bei  der  Reife 
ablöst  (7.).  Jndem  der  Wind  den  Fruchtstand  hin-  und  herbewegt,  werden  die 
kleinen  Samen  herausgeschleudert.  Befeuchtet  man  die  Samen,  so  wird  die 
Oberhaut  schleimig  und  klebrig,  eine  Eigentümlichkeit,  deren  Bedeutung  wir  beim 
Kürbis  noch  kennen  lernen  werden. 


43.  Familie.     Glockenblumen-Gewächse  (Campanuläceae). 

Die  rundblättrige  Glockenblume  (Cainpänula  rotundifolia).     Tafel  24. 

A.  Wie  sie  grünt.  Die  zierliche,  sehr  veränderliche  Pflanze  (1.)  liebt  sonnige 
Standorte:  trockene  Wiesen,  Wegränder,  Bergabhänge,  lichte  Waldstellen 
u.  dgl.  Sie  senkt  daher  gleich  anderen  Trockenlandpflanzen  (Beispiele!)  den 
langen  unterirdischen  Stamm  (Wurzelstock)  und  die  von  ihm  ausgehenden 
Wurzeln  bis  in  die  tieferen,  feuchten  Bodenschichten  hinab  und  besitzt  ferner 
sehr  kleine  Blätter,  die  auch  nur  geringe  Mengen  von  Wasser  verdampfen 
(vgl.  dag.  Windröschen  und  andere  Schattenpflanzen).  An  den  „Kurz trieben", 
d.  i.  an  den  kurzen  Zweigen  des  unterirdischen  Stammes,  die  erst  im  nächsten 
Jahre  Blüten  tragen,  sind  die  Blätter  gestielt,  rundlich  (Artname!)  und  am 
Rande  meist  gekerbt.  Ebenso  sind  sie  am  unteren  Teile  der  blütentragenden 
Zweige  gestaltet,  die  —  weil  sie  die  Blüten  den  Bestäubern  ja  sichtbar  machen 
müssen  —  stark  in  die  Länge  gestreckt  sind.    Nach  oben  hin  verschmälern  sich 


Schm eil,   Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  24. 


Rundblättrige  Glockenblume  (Campanula  rotundifoli 


Wegerich.     Glockenblume.  161 

die  Blätter  dieser  „Langtriebe"  aber  immer  mehr,  bis  sie  endlich  fast  linien- 
förmig  und  ganzrandig  werden. 

B.  Wie  sie  blüht.  1.  Wenn  sich  die  anfangs  aufrecht  stehenden  Blüten 
öffnen,  neigen  sie  sich  durch  Krümmung  ihrer  Stiele  herab,  so  daß  Blütenstaub 
und  Honig  vortrefflich  gegen  Regen  geschützt  sind  (1.  5.  u.  6.).  Die  meist 
himmelblaue  Blumenkrone  stellt  ein  zierliches  Glöckchen  dar  (Gattungsname!), 
das  sich  in  5  zurückgebogene  Zipfel  spaltet.  Da  es  seine  Außenseite  den  Blicken 
der  Insekten  darbietet,  ist  es  auch  hier  viel  lebhafter  als  an  der  Innenseite  ge- 
färbt. (Vgl.  dag.  die  Blüten,  bei  denen  die  Innenfläche  der  Blumenkrone  be- 
sonders sichtbar  ist!)  Der  Kelch  ist  im  unteren  Teile  mit  dem  Fruchtknoten 
innig  verwachsen,  im  oberen  dagegen  in  5  fadenförmige  Zipfel  gespalten  (warum 
wären  breite  Zipfel  hier  durchaus  unvorteilhaft?).  Der  Oberfläche  des  Frucht- 
knotens ist  die  scheibenförmige,  gelbe  Honigdrüse  aufgelagert.  Sie  umgibt 
den  Griffel  und  ist  von  den  stark  verbreiterten  unteren  Abschnitten  der 
5  Staubblätter  (3.  5mal  vergr.)  wie  von  einem  Gewölbe  überdacht,  so  daß 
nur  5  spaltenförmige  Zugänge  zum  Honig  vorhanden  sind.  Da  die  Spalten 
zudem  durch  Härchen,  die  von  den  Rändern  der  Staubblätter  ausstrahlen,  ver- 
sperrt sind,  so  ist  kleinen  und  daher  (Beweis!)  unnützen  Blütengästen  der  Zu- 
tritt zum  süßen  Safte  verwehrt.  Größere  Insekten  dagegen  können  die  Haar- 
reusen mit  Hilfe  des  Rüssels  leicht  durchdringen  und  bis  zum  Honig  herabreichen. 
Um  zu  erkennen,  wie  die  von  diesen  Gästen  vermittelte 

2.  Bestäubung  erfolgt,  muß  man  die  Entwicklung  der  Blüte  genauer 
verfolgen. 

a)  Öffnet  man  eine  noch  aufrechtstehende  Blutenknospe,  deren  Blumen- 
krone sich  blau  zu  färben  beginnt  (2.  3  mal  vergr.),  so  sieht  man,  wie  der  obere 
Teil  des  Griffels  (4.  5  mal  vergr.)  rings  mit  Haaren  besetzt  ist,  so  daß  er  einem 
Cylinderputzer  ähnelt.  Die  Staubbeutel  sind  noch  mit  Blütenstaub  gefüllt  und 
liegen  dem  Griffel  dicht  an. 

b)  Bei  einer  etwas  älteren,  aber  gleichfalls  noch  geschlossenen  Blüte  be- 
merkt man,  wie  sich  die  Staubbeutel  nach  innen  öffnen  und  den  grünblauen 
Blütenstaub  auf  der  „Griffelbürste"  ablagern.  Weil  nunmehr  für  die  Blüte  ohne 
Bedeutung,  verschrumpfen  sie  bis  auf  die  stark  verbreiterten  unteren  Abschnitte 
(„Saftdecke"!);  der  Griffel  dagegen  streckt  sich  in  die  Länge.  Jetzt  öffnet  sich 
die  nickend  gewordene  Blüte  (5.  2 mal  vergr.),  und  der  Blütenstaub  wird  von 
größeren  Insekten,  die  zum  Honig  vordringen,  leicht  abgestreift. 

c)  Nach  einiger  Zeit  (6.  2 mal  vergr.)  vertrocknen  die  Haare  der  „Griffel- 
bürste"; die  3  Narbenäste  dagegen,  die  bisher  eng  aneinander  lagen,  spreizen 
auseinander,  so  daß  jetzt  erst  eine  Befruchtung  erfolgen  kann.  Da  nun  die 
Narbenäste  in  der  Blüte  dieselbe  Stelle  einnehmen  wie  der  (abgelagerte)  Blüten- 
staub, so  müssen  beide,  Blütenstaub  und  Narben,  von  den  Besuchern  auch  mit 
demselben  Körperteile  gestreift  werden  (führe  dies  näher  aus!).  Und  zwar 
müssen  die  Insekten  Blütenstaub  jüngerer  Blüten  auf  die  Narben  älterer  tragen, 

Schmeil,    Lehrbuch  der  Botanik.  ij 


162        43.  Familie.     Glockenblumen-Gewächse.     44.  Familie.     Kürbis-Gewächse. 

also  Fremdbestäubung  vermitteln,  die  —  wie  wir  schon  mehrfach  gesehen 
haben  —  stets  von  erhöhter  Fruchtbarkeit  begleitet  ist. 

C.  Wie  sie  Früchte  trägt.  Der  Fruchtknoten,  von  dem  sich  die  ver- 
trocknete Blumenkrone  nicht  ablöst,  entwickelt  sich  zu  einer  dreifächerigen 
Kapsel  (stelle  einen  Querschnitt  her  und  beschreibe  den  Bau!).  Da  die  Frucht 
wie  die  Blüte  nach  unten  hängt  (8.  u.  9.  5  mal  vergr.),  so  kann  sie  sich  wie 
z.  B.  die  Kapseln  der  Schlüsselblume  oder  des  Leinkrautes  unmöglich  am  oberen 
Teile  öffnen.  Die  Samen  würden  ja  sonst  alle  in  unmittelbarer  Nähe  der 
Mutterpflanze  auf  den  Boden  fallen,  so  daß  die  jungen  Pflänzchen  gegenseitig 
um  Licht,  Nahrung  und  Raum  kämpfen  müßten.  Die  Kapsel  öffnet  sich  darum 
nahe  dem  Grunde :  aus  der  Fruchtwand  lösen  sich  drei  scharf  umgrenzte  Stücke, 
die  wie  Klappfenster  nach  unten  schlagen  (8.).  Aus  den  so  entstandenen  Öff- 
nungen vermag  nun  der  Wind  die  sehr  kleinen  Samen  herauszuschütteln  und 
über  einen  großen  Umkreis  zu  verstreuen.  Sobald  aber  feuchte  Witterung  ein- 
tritt, die  den  Samen  verderblich  werden  könnte  (s.  S.  38,  C,  c),  schließen  sich  die 
„Fensterchen"  wieder  (9.). 

Andere  Glockenblumen-Gewächse. 

Von  den  zahlreichen  anderen  Glockenblumen ,  deren  blaue  Blüten  unsere  Fluren 
schmücken,  sei  nur  die  häufigste,  die  Wiesen-G.  (C.  pätula)  erwähnt.  Ihre  rotblauen 
Blüten  stehen  im  Gegensatz  zu  denen  der  eingehend  betrachteten  Art  aufrecht,  werden 
aber  beim  Beginn  der  Dämmerung  und  beim  Eintritt  feuchter  Witterung  nickend :  so  finden 
Blütenstaub  und  Honig,  wenn  sie  am  meisten  gefährdet  sind,  doch  den  Schutz,  den  sie 
in  hängenden  Blüten  stets  genießen.  Auch  die  Früchte  stehen  aufrecht.  Im  Gegensatz 
zu  den  Arten  mit  hängenden  Früchten  bilden  sich  dementsprechend  auch  hier  die 
„Fensterchen"  am  oberen  Teile  der  Fruchtkapseln,  eine  Erscheinung,  die  auch  bei  allen 
anderen  Formen  mit  aufrecht  stehenden  Früchten  zu  beobachten  ist.  —  Die  großblumige, 
blau  oder  weiß  blühende  Garten  -  Glockenblume  oder  Marienglocke  (C.  medium), 
die  häufig  als  Zierpflanze  gezogen  wird,  stammt  aus  Südeuropa. 

Neben  den  Glockenblumen  gehören  zu  der  Familie  auch  einige  Pflanzen,  die  man 
leicht  für  Korbblütler  halten  könnte:  sie  besitzen  so  kleine  Blüten,  daß  diese  erst  in 
großer  Anzahl  auffällig  werden  und  daher  zu  ansehnlichen  Köpfchen  gehäuft  sind.  Von 
diesen  Gewächsen  seien  genannt  die  zierliche,  blau  blühende  Schaf-Skabiose  (Iasione 
montäna),  die  auf  sonnigen  und  sandigen  Stellen  wächst,  sowie  die  weiß  oder  violett 
blühende  Teufelskralle  (Phyteüma  spicätum),  die  im  Schatten  des  "Waldes  gedeiht. 
(Beweise,  daß  beide  Pflanzen  ihrem  Standorte  vortrefflich  „angepaßt"  sind,  und  erkläre 
ihre  Namen !) 

44.  Famile.     Kürbis-Gewächse  (Cucurbitaceae). 

Der  Kürbis  (Cucurbita  pepo). 

A.  Frucht   und   Verwendung1.     Den   Kürbis   baut  man  in  zahlreichen 

Spielarten   vorwiegend   seiner  Früchte   wegen   an,   die   von   sehr  verschiedener, 

oft  riesiger  Größe  und  grün,   weiß    oder  bunt  gefärbt   sind.     Sie  werden  vom 

Menschen   verspeist  („Speisekürbisse")   oder   den  Haustieren   als  Futter   vorge- 


Andere  Glockenblumen-Gewächse.     Kürbis. 


L63 


legt.  Andere  Spielarten  dagegen  pflanzt  man  nur  zur  Zierde  („Zierkürbisse"): 
man  erfreut  sich  an  den  oft  seltsamen  Formen  der  Früchte  (beschreibe  und 
zeichne  solche!)  oder  benutzt  die  kletternde,  großblättrige  Pflanze  zur  Bekleidung 
von  Lauben  u.  dgl. 

»Stellt  man  durch  die  unreife  Frucht  einen  Querschnitt  her,  so  sieht  man, 
wie  von  der  ringförmigen  Wand  meist  3,  seltener  4  oder  5  „Zapfen"  in  das  Innere 
vorspringen,  und  wie  in  diese  Zapfen  am  Grunde  mehrere  Reihen  von  Samen 
eingebettet  sind.  An  der  reifen  Frucht  ist  die  Wand  bis  auf  die  harte  Außen- 
schicht („Rinde";  Bedeutung?)  von  fleischiger  Beschaffenheit,  während  sich  die 
Zapfen  in  eine  faserige,  klebrige  Masse  verwandelt  haben.  Welche  Bedeutung 
diese  eigentümliche  „Zweiteilung"  der  Fruchtwände  für  die  Pflanze  hat,  wird 
uns  klar,  wenn  wir 

B.  Samen  und  Keimung  näher  betrachten.  1.  a)  Legen  wir  einige 
Samen  („Kürbiskerne"),  die  noch  mit  Teilchen  des  klebrigen  Fruchtfleisches 
oder  mit  dem  Safte  desselben  behaftet  sind,  auf  feuchten  Boden  (Blumentopf), 
so  verkleben  sie  bald  mit  der  Erde.  Sorgen  wir  weiter  für  die  nötige  Feuchtig- 
keit, so  fangen  sie   an  zu  keimen:  Aus  einem  kleinen  Loche  am  zugespitzten 

Ende    (1.)  3. 

tritt  zuerst 
die  Haupt- 
wurzel her- 
vor. Sie  senkt 
sich  sofort  in 
den      Boden 

und   ver- 
zweigt    sich 
daselbst  sehr 

bald  (2.): 
alles  Erschei- 
nungen, wie  wir  sie  bereits  bei  der  keimenden  Bohne  kennen 
und  verstehen  gelernt  haben.  Nunmehr  beginnt  sich  der  Stengel- 
teil, der  mit  der  Wurzel  ins  Freie  getreten  ist  und  sich  gleichfalls  nach  unten 
gewendet  hat,  stark  in  die  Länge  zu  strecken.  Da  aber  die  Wurzel  im  Boden 
befestigt  und  die  Samenschale  mit  der  Erde  verklebt  ist,  so  bildet  sich  an  dem 
wachsenden  Stengel  ein  kleiner,  nach  oben  gerichteter  Bogen  (3.).  Infolge  fort- 
gesetzten Wachstums  wird  dieser  Bogen  immer  straffer  gespannt,  bis  endlich 
die  Keimblätter  aus  der  Samenschale  herausgezogen  werden.  Bei  dieser  Arbeit 
kommt  dem  Stengel  noch  ein  kleiner  Wulst  zu  statten,  der  sich  an  ihm  bildet. 
Er  drückt  die  untere  Hälfte  der  Schale  nach  unten  und  verschwindet  wieder,  so- 
bald die  Keimblätter  aus  ihrer  Hülle  befreit  sind. 

Legen  wir  neben  diese  Samen  einige  andere  aus,  von  denen  wir  jede  Spur  des 
Fruchtfleisches  und  seines  Saftes  sorgfältig  entfernt  haben,  so  keimen  diese  gleich- 
falls bald.     Da  sie  aber  mit  der  Erde  nicht  verkleben,  so  wird  dabei  die  Samen- 


Keimung  des  Kürbis.     Zittern  im  Texte  erklärt 


164  44.  Familie.     Kürbisgewächse. 

schale  wie  eine  Mütze  mit  emporgehoben.  Die  Keimblätter  vermögen  sich  daraus 
nicht  oder  nur  schwer  zu  befreien,  so  daß  die  junge  Pflanze  verkümmert  oder 
wohl  gar  zu  Grunde  geht.  Diese  Tatsache  zeigt,  wie  wichtig  es  für  den  Kürbis 
ist,  daß  die  Samenschalen  mit  dem  Erdboden  verkleben,  oder  anders  ausgedrückt, 
daß  sich  Teile  der  Fruchtwand,  die  „Zapfen",  bei  der  Reife  in  eine 
klebrige  Masse  verwandeln. 

Legen  wir  nun  drittens  auch  einige  Samen  in  den  Boden,  so  hält  die 
obere  Erdschicht  die  Fruchtschale  fest  und  die  Keimung  kann  ungestört  erfolgen, 
ganz  gleichgültig,  ob  noch  Fruchtfleisch  an  den  Samen  haftet  oder  nicht.  Dieser 
Fall  wird  beim  wildwachsenden  Kürbis  aber  wohl  kaum  eintreten.  Die  Samen 
werden  wohl  stets  auf  dem  Erdboden  zu  liegen  kommen,  und  dort  bedürfen 
sie,   wie  wir  gesehen  haben,    einer  besonderen  Befestigung  an  das  „Keimbett". 

b)  Hierbei  kommt  den  Samen  die  Form  wesentlich  zu  statten:  Da  sie 
flache,  breitgedrückte  Gebilde  sind,  müssen  sie  den  Boden  stets  mit  einer  Breit- 
seite berühren,  oder  mit  anderen  Worten,  ihm  stets  eine  große  Befestigungs- 
oder Klebfläche  darbieten. 

c)  Die  Frucht  des  Kürbis  springt,  um  die  Samen  zu  entlassen  und  zu 
verstreuen,  von  selbst  nicht  auf.  Bei  den  angebauten  Pflanzen  ist  hierzu  die 
Hilfe  des  Menschen,  bei  wildwachsenden  die  von  Tieren  (Wildschweinen,  Hirschen 
u.  a.)  nötig.  Gleich  zahlreichen  anderen  Gewächsen,  deren  Samen  durch  Tiere 
verbreitet  werden  (s.  S.  64,  8),  besitzt  daher  auch  der  Kürbis  ein  Anlockungs- 
mittel für  seine  Verbreiter:  die  Wandschicht  der  Frucht  bildet  zur  Zeit 
der  Reife  eine  wohlschmeckende,  fleischige  Masse. 

Wenn  etwa  ein  Wildschwein  eine  Frucht  verzehrt,  so  wird  es  sicher  auch 
zahlreiche  Samen  mit  verspeisen.  Bei  der  großen  Menge  der  Samen  ist 
dies  für  die  Pflanze  aber  kein  besonderer  Verlust.  Andererseits  werden  aber 
auch  zahlreiche  Samen  dem  Tiere  an  Maul  und  Füßen  kleben  bleiben,  so  daß 
auf  diese  Weise  die  Pflanze  über  ein  weites  Gebiet  verbreitet  werden  kann. 

2.  Hat  der  Stengel  die  Keimblätter  aus  der  Samenschale  befreit,  so  streckt 
er  sich  gerade,  und  die  ergrünenden  Keimblätter  biegen  sich  auseinander,  so 
daß  sie  von  den  Sonnenstrahlen  durchleuchtet  und  durchwärmt  werden  können 
(Bedeutung?).  Mit  Eintritt  der  Dunkelheit  dagegen  klappen  sie  wieder  zusam- 
men: sie  nehmen  Nacht-  oder  Schlaf  Stellung  ein,  eine  Erscheinung,  deren 
Bedeutung  wir  bereits  früher  (S.  103)  kennen  gelernt  haben.  Durch  die  zu- 
sammengeneigten Keimblätter  wird  zugleich  die  zarte  Knospe  zugedeckt  und 
somit  gegen  zu  starken  Wärmeverlust  geschützt.  Da  es  nun  ohne  Wärme  kein 
Wachstum  gibt  (Beispiel!),  so  ist  also  auch  in  dieser  Hinsicht  die  Schlafstellung 
der  Keimblätter  für  die  Pflanze  von  Vorteil.  Und  ein  solcher  Schutz  ist  für  die 
Knospe  um  so  wichtiger,  als 

3.  der  Kürbis  gegen  Wärmeverlust  außerordentlich  empfindlich  ist. 
Schon  der  geringste  Frost  tötet  ihn,  und  seine  Samen  keimen  erst  bei  einer 
Wärme  von  wenigstens  11 — 16°  C.  Diese  Tatsachen  zeigen  deutlich  an, 
daß    die   Heimat    der    Pflanze    nicht    in    unseren    Gegenden    zu    suchen    ist. 


Kürbis.  165 

Wahrscheinlich  ist  sie  das  tropische  Amerika.  Die  Empfindlichkeit  des  Kürbis 
gegen  Kälte  veranlaßt  uns  auch,  seine  Samen  (sowie  die  der  Gurke)  erst  dann 
ins  freie  Land  zu  legen,  wenn  wir  keine  Nachtfröste  mehr  zu  befürchten  haben, 
also  etwa  Mitte  Mai. 

C.  1.  Stengel,  Ranken  und  Blätter  sind  mit  größeren  oder  kleineren 
Stacheln  bedeckt,  die  z.  B.  gleich  den  Haaren  der  Schwarzwurz  Schutzmittel 
der  (wildwachsenden)  Pflanze  gegen  Tiere  darstellen.  An  den  Blattstielen  sind 
sie  besonders  stechend. 

2.  Der  fünfeckige,  hohle  Stengel  ist  saftreich  und  nicht  imstande,  sich 
empor  zu  richten  oder  gar  die  Last  der  Blätter  und  Früchte  zu  tragen.  Er 
liegt  darum  entweder  dem  Boden  auf  oder  klettert  mit  Hilfe  von 

3.  Ranken,  die  neben  den  Blättern  entspringen,  an  fremden  Gegenständen 
empor.  Jede  Ranke  besteht  aus  einem  gemeinsamen  Stiele,  der  am  Ende  meist 
3—5  Äste  trägt.  Vergleicht  man  die  Ranke  mit  den  Blättern,  so  ergibt  sich, 
daß  wir  es  in  ihr  wie  bei  der  Erbse  (s.  das.)  mit  einem  umgewandelten  Blatte,  mit 
einer  „Blattranke"  zu  tun  haben:  der  gemeinsame  Stiel  entspricht  dem  Blatt- 
stiele, und  die  Äste  stellen  die  von  einem  Punkte  ausstrahlenden  Hauptrippen  der 
Blattfläche  dar.  Ja,  die  Übereinstimmung  geht  noch  weiter:  wie  nämlich  an  der 
Blattfläche  die  Mittelrippe  die  anderen  Hauptrippen  an  Länge  und  Stärke  über- 
trifft, so  ist  auch  hier  der  Ast,  der  die  Verlängerung  des  Stieles  bildet,  stets 
weit  länger  und  stärker  als  die  anderen  Äste.  (Beobachte,  wie  die  Rankenäste 
gleich  den  Ranken  des  Weinstocks  kreisen,  die  Stütze  umschlingen  und  sich 
korkzieherartig  zusammenziehen!  An  abgeschnittenen  Zweigstücken,  die  man 
in  ein  Gefäß  mit  Wasser  stellt,  läßt  sich  der  Vorgang  sehr  bequem   verfolgen.) 

4.  a)  Die  Blätter  sind  um  den  Stengel  in  einer  Spirale  angeordnet 
(s.  S.  131,  1  c).  Da  eine  am  Boden  liegende  oder  kletternde  Pflanze  aber  nur  von 
einer  Seite  belichtet  wird,  so  müssen  sämtliche  Blätter  auch  dorthin  gerichtet 
sein.  Zu  diesem  Zwecke  machen  die  langen,  hohlen  Blattstiele  die  mannig- 
fachsten Krümmungen:  sie  heben  die  Blattflächen  erstlich  von  der  Unterlage 
(Erdboden,  Stütze)  ab  und  stellen  sie  zweitens  abwechselnd  rechts  und  links  vom 
Stengel,  so  daß  alle  von  den  Sonnenstrahlen  getroffen  werden  können.  Und  da 
die  Blattflächen  zudem  noch  eine  solche  Richtung  zu  den  Sonnenstrahlen  ein- 
nehmen, in  der  sie  am  besten  durchleuchtet  werden  können  (wie  bei  liegenden 
und  wie  bei  kletternden  Pflanzen?),  so  ist  die  ungünstige  Spiralstellung  in  allen 
Stücken  aufs  vollkommenste  „korrigiert". 

b)  Die  Blattflächen  sind  sehr  groß,  herzförmig  und  besitzen  je  nach 
der  Spielart  5-  oder  7  mehr  oder  weniger  tief  eingeschnittene  Lappen.  Wenn 
wir  bedenken,  wie  saftreich  alle  Teile  des  Kürbis  sind,  wie  groß  demnach  sein 
Bedürfnis  nach  Wasser  ist,  werden  wir  in  der  Größe  der  Blätter  leicht  einen 
Vorteil  für  die  Pflanze  erkennen:  große  Blätter  beschatten  den  Boden  mehr, 
schützen  ihn  also  auch  in  höherem  Maße  gegen  Austrocknung  als  gleich  viele, 
aber  kleinere  Blätter.     (Beachte  hierauf  vor  allen  Dingen  auch  die  Gurke!) 

c)  Große  Blätter  sind  andererseits  aber  der  Gefahr,  vom  Winde  zerrissen 


166  44.  Familie.     Kürbis-Gewächse. 

zu  werden,  viel  stärker  «ausgesetzt  als  kleine  Blätter.  Bei  herzförmigen, 
großen  Blättern  ist  nun  wieder  der  Blattgrund  am  meisten  gefährdet.  Darum 
hat  diese  Stelle  auch  eine  besondere  Festigung  erfahren:  Die  beiden  äußersten 
großen  Seiten  nerven  sind  bis  zu  ihrer  ersten  Verzweigung  nicht  nur  sehr 
stark,  sondern  bilden  auf  dieser  Strecke  auch  den  Rand  der  Blattfläche. 
(Vgl.  mit  dem  Saum  der  Tücher  und  Kleider!  Wie  sichern  wir  Knopflöcher 
gegen  das  Einreißen?) 

D.  Blüte  und  Bestäubung.  1.  Die  sehr  großen  Blüten  erheben  sich 
auf  kurzen  Stielen  einzeln  aus  den  Blattwinkeln  (vgl.  mit  S.  95,  b).  Der  Kelch 
ist  bis  auf  5  Zähne  vollkommen  mit  dem  unteren  Teile  der  gelben,  trichter- 
förmigen und  gleichfalls  5  zipfeligen  Blumen  kröne  verwachsen,  deren  Innen- 
seite dicht  mit  feinen  Härchen  bedeckt  ist.  Der  Grund  der  Blüte  ist  mit  einer 
gelben,  fleischigen  Masse  ausgekleidet,  in  der  wir  —  wie  schon  der  Geschmack 
lehrt  —  die  Honigdrüse  vor  uns  haben.  —  Soweit  stimmen  sämtliche  Blüten 
miteinander  überein.  Hinsichtlich  der  Befruchtungswerkzeuge  macht  sich  aber 
ein  sehr  bemerkenswerter  Unterschied  geltend: 

2.  In  der  Mehrzahl  der  Blüten  finden  wir  nur  Staubblätter.  Diese 
„Staubblüten"  bringen  selbstverständlich  auch  keine  Früchte  hervor  und 
werden  darum  im  Volksmunde  als  „taub"  bezeichnet.  Die  Staubbeutel  sind  mit- 
einander zu  einer  kurzen  Säule  verwachsen,  die  auf  3  „Trägern"  ruht,  so  daß 
sich  das  ganze  Gebilde  wie  ein  Dreifuß  über  der  napfförmigen  Honigdrüse  er- 
hebt. Wie  der  Augenschein  lehrt,  haben  wir  in  den  „Trägern",  zwischen  denen 
nur  je  eine  Lücke  zum  Honig  offen  bleibt  (Bedeutung?),  die  Staubfäden  vor 
uns.  Da  zwei  „Träger"  den  dritten  an  Stärke  aber  weit  übertreffen,  so  ist 
dies  ein  Zeichen,  daß  wir  es  in  ihnen  nicht  mit  einfachen  Staubfäden  zu  tun 
haben,  sondern  daß  sie  durch  Verschmelzung  je  zweier  entstanden  sind.  In  der 
Blüte  sind  also,  den  übrigen  „fünfzähligen"  Blüten  teilen  entsprechend,  auch 
5  Staubblätter  vorhanden.  (So  sind  auch  die  meist  3  Fruchtfächer  —  s.  Absch. 
A  —  durch  Verschmelzung  aus  5  hervorgegangen.) 

3.  Im  Gegensatz  zu  den  Staubblüten,  besitzen  die  anderen  Blüten  nur 
einen  wohl  ausgebildeten  Stempel ;  man  bezeichnet  sie  daher  als  Stempel- 
oder Fruchtblüten.  Der  unterständige  Fruchtknoten  (s.  S.  71,  b),  dessen 
Bau  wir  in  Absch.  A  bereits  kennen  gelernt  haben,  ist  in  einen  säulenförmigen 
Griffel  verlängert,  der  eine  große,  5-lappige  Narbe  trägt. 

4.  a)  Beim  Kürbis  sind  also  Staubblätter  und  Stempel  auf  verschiedene 
Blüten  verteilt,  die  sich  aber  an  ein  und  derselben  Pflanze  finden  oder,  bildlich 
ausgedrückt,  die  ein  Haus  bewohnen  („einhäusige"  Pflanzen  im  Gegensatz  zu 
„zweihäusigen",  s.  z.  B.  Weide).  Um  die  Bedeutung  dieser  Einrichtung  zu  ver- 
stehen, brauchen  wir  uns  bloß  daran  zu  erinnern  (s.  z.  B.  122),  daß  Selbst- 
bestäubung stets  geringere  Fruchtbarkeit  im  Gefolge  hat  als  die  von  den 
Pflanzen  „herbeigewünschte"  Fremdbestäubung:  bei  einhäusigen  Pflanzen  ist 
aber  die  minderwertigere  Selbstbestäubung  völlig  ausgeschlossen. 

b)  Die  Überträger  des  Blütenstaubes  sind  beim  Kürbis  stets  Insekten. 


Kürbis. 


167 


(Woraus  ist  dies  schon  zu  schließen?  Welche  Insekten  hast  du  in  den  Blüten 
beobachtet?  Vgl.  dag.  die  gleichfalls  „einhäusige"  Haselnuß!)  Sollen  die 
Tiere  beim  Besuch  der  Blüten  aber  wirklich  Bestäubung  vermitteln,  so  müssen 
sie  Staubbeutel  und  Narbe  streifen.  Und  hierzu  werden  sie  von  der  Pflanze 
gleichsam  genötigt;  die  Innenseite  der  Blumenkrone,  auf  der  ja  die  Insekten 
zum  Honig  hinab  kriechen  könnten,  ist  —  wie  wir  bereits  gesehen  haben  — 
dicht  mit  feinen  Haaren  besetzt.  In  dem  Haardickicht  verstricken  sich  aber 
die  Insekten   leicht   mit   den  Fußklauen,   so   daß  sie  auf  diesem  Wege  nur  mit 


Staubblüte  vom  Kürbis  (etwas  verkl.). 


großer  Mühe  zum  Honig  vorzudringen  vermöchten.  Ganz  anders  aber,  wenn 
sie  die  natürlichen  ., Anflugsstangen"  der  Blüten  benutzen,  die  Staubbeutelsäule 
oder  die  große  Narbe,  von  denen  glatte  Wege  (Staubfäden  und  Griffel  sind  un- 
behaart!) in  den  Blütengrund  zum  Büßen  Mahle  führen. 

Andere  Kürbisgewächse. 

Eine  weit  höhere  Bedeutung  als  der  Kürbis  hat  die  ihm  in  allen  Stücken  ähnliche 
Gurke  (Cucumis  sativus),  die  aus  Ostindien  zu  uns  gekommen  ist.  Sie  besitzt  aber 
einfache  Ranken  und    langgestreckte  Früchte  (Verwendung?).  —  Ostindien  ist  auch  die 


168 


44.  Familie.     Kürbis-Gewächse.     45.  Familie.     Labkraut-Gewächse. 


Heimat  der  Zuckermelone  (C.  melo),  auch  kurz  „Melone"  genannt.  Das  gelbliche, 
würzhafte  Fleisch  der  kürbisähnlichen  Früchte  wird  als  wohlschmeckendes  und  er- 
frischendes Obst  überall  hoch  geschätzt.  Deshalb  hat  sich  die  Pflanze  auch  über  fast 
alle  warmen  und  wärmeren  Länder  verbreitet.  Bei  uns  gedeiht  sie  nur  in  Treibhäusern. 
—  Eine  ähnliche  Bedeutung  und  Verbreitung  hat  die  Wassermelone  (C.  citrüllus). 
Sie  stammt  aus  dem  heißen  Afrika.  Ihre  hochgeschätzten  Früchte  besitzen  ein  rötliches 
und  sehr  saftiges  (Name!)  Fleisch  und  schwarze  Samen.  —  Das  tropische  Asien  und 
Afrika  ist  auch  die  Heimat  der  Luffapflanze  (Luffa  cylindrica),  die  in  neuerer  Zeit 
eine  große  Bedeutung  erhalten  hat.  Das  feste  Gefäßbündelnetz  der  gurkenartigen 
Früchte  wird  zu  den  bekannten  Luffaschwämmen,  sowie  zu  leichten  Hüten,  Schuhen 
u.  dgl.  verarbeitet. 

An  Zäunen  und  Gebüschen  klettert  mit  Hilfe  einfacher,  empfindlicher  Ranken 
(berühre  sie  und  beobachte,  wie  schnell  sie  sich  an  dieser  Stelle  krümmen!)  die  Zaun- 
rübe (Bryönia)  empor.  Sie  besitzt  eine  sehr  giftige,  rübenförmige  Wurzel  (Name !) 
und  wird  durch  Vögel  verbreitet,  denen  die  saftigen,  schwarzen  oder  roten  Früchte 
zur  Nahrung  dienen  (vgl.  S.  64,  8).  An  der  Färbung  der  Früchte  lassen  sich  auch  leicht 
die  beiden  Arten,  die  schwarzbeerige  und  die  rotbeerige  Z.  (B.  alba  und  diöica), 
erkennen.  —  Eine  Pflanze  mit  sehr  merkwürdiger  Samenverbreitung  ist  die  Spritzgurke 
(Ecbällium  elaterium),  die  in  den  Mittelmeerländern 
heimisch  ist  und  bei  uns  der  eigentümlichen  Früchte 
wegen  ab  und  zu  in  Gärten  gezogen  wird.  Die  etwa 
4  cm  langen  gurkenähnlichen  Gebilde  lösen  sich  bei 
der  Reife  von  den  Stielen,  und  in  dem- 
selben Augenblicke  spritzt  aus  der  ent- 
standenen Öffnung  der  schleimige  Inhalt 
samt  den  Samen  in  kräftigem  Strahle 
hervor.  Infolgedessen  werden  die  Samen 
weit  über  das  Gebiet  der  Mutterpflanze 
hinaus  verbreitet.  Werden  nun  gar  Tiere,  die  durch 
Anstreifen  die  Frucht  von  den  Stielen  lösen,  von  dem 
„Geschosse"  getroffen,  so  kann  die  Pflanze  infolge  dieser 
Einrichtung  sogar  über  größere  Bezirke  ausgesät 
werden. 

45.  Familie.    Labkraut-Gewächse 

(Rubiäceae). 

Das  Klebkraut  (Gälium  aparine) 

ist  eine  unserer  gemeinsten  Pflanzen.  Es  bewohnt 
vorwiegend  Hecken  und  Gebüsche  und  ist  wie  alle 
Schattenpflanzen  (s.  S.  7,  b  und  c)  ein  über- 
aus zartes  Gewächs.  Die  bis  2  m  hohen  Stengel 
sind  so  schwach,  dass  sie  sich  allein  nicht  aufzu- 
richten vermögen.  Die  Pflanze  häkelt  sich  darum 
meist  an  den  Stämmen  und  Zweigen  der  Sträucher 
an,  unter  denen   sie  dem  Boden   entsprießt,   und 


Spritzgurke.  Ein  Zweig  mit 
Blatt  und  Frucht.  Die  Frucht 
hat  sich  vom  Stiele  abgelöst, 
so  daß  die  Samen  daraus  her- 
vorspritzen.    (Nat.  Gr.) 


Kürbis-Gewächse.     Klebkraut  und  andere  Labkraut-Gewächse.  169 

klettert  so  zum  Lichte  empor.  Befähigt  wird  sie  hierzu  durch  rückwärts 
gerichtete  Stacheln,  die  infolge  ihrer  Kleinheit  und  großen  Zahl  das  ganze 
Gewächs  klebrig  erscheinen  lassen.  (Name !  Beobachte,  wie  leicht  Zweige  z.  B. 
an  deinen  Kleidern  haften!)  Die  Stacheln  finden  sich  an  den  4  Kanten  des 
Stengels,  sowie  an  den  Rändern  und  der  Mittelrippe  der  quirlförmig  gestellten 
Blätter.  Fehlen  dem  Klebkraut  fremde  Gegenstände  zum  Anhäkeln,  so  halten 
sich  die  einzelnen  Stengel  der  in  großen  Trupps  wachsenden  Pflanze  gegen- 
seitig: vereinigt  werden  eben  selbst  die  Schwachen  mächtig.  (Entferne  von 
einem  solchen  Trupp  einen  Stengel  nach  dem  andern  und  beobachte,  wie  die 
letzten  kraftlos  umsinken!)  Aus  den  kleinen  weißen  Blüten  (beschreibe  sie!) 
entwickeln  sich  je  2  Teilfrüchtchen,  die  dicht  mit  widerhakigen  Stacheln 
bedeckt  sind.  Infolgedessen  haften  sie  leicht  an  den  Haaren  vorbeistreifender 
Tiere  und  werden  auf  diese  Weise  oft  über  große  Bezirke  verbreitet  (Bedeutung?). 
Von  den  zahlreichen  anderen  Labkrautarten  (Gälium)  seien  hier  nur  das  gelb- 
blühende  echte  und  das  weißblühende  gemeine  L.  (G.  verum  und  mollügo)  genannt. 
Sie  bewohnen  trockene,  rasige  Orte  und  zeigen  dementsprechend  auch  alle  Eigenschaften 
der  Trockenlandpflanzen  (Beweis!).  „Labkräuter"  heißen  sie,  weil  der  Saft  mehrerer 
Arten  die  Milch  wie  das  Lab  des  Kälbermagens  schnell  zum  Gerinnen  bringt.  Dies 
gilt  besonders  von  der  ersteren  Form  (darum  „echt"  !),  die  bei  den  alten  Germanen  der 
Freya  geweiht  war  und  von  der  eine  später  entstandene  Sage  erzählt,  daß  sie  das 
Lager  des  Christuskindes  gebildet  habe.  Darum  heißt  sie  auch  noch  heute  in  gewissen 
Gegenden  „Unserer  lieben  Frauen  Bettstroh"  oder  ähnlich.  —  Besonders  in  Buchen- 
wäldern befindet  sich  der  zierliche  Waldmeister  (Asperula  odoräta),  der  wie  sein  „Nach- 
bar", das  Windröschen,  eine  in  allen  Stücken  ausgeprägte  Schattenpflanze  darstellt 
(Beweis!).  Er  enthält  in  allen  Teilen  einen  scharfriechenden  Stoff  (Cumarin),  durch 
den  Weidetiere  abgeschreckt  werden,  der  aber  auch  die  Verwendung  der  duftenden 
Pflanze  als  würzende  Zutat  zum  Wein  bedingt  („Maitrank").  Die  Früchte  sind  „Kletten" 
wie  die  des  Klebkrautes.  —  Reibt  man  die  unterirdischen  Stengel  (Wurzelstöcke)  der 
Labkraut-  und  Waldmeisterarten  zwischen  den  Fingern,  so  sieht  man,  daß  die  meisten 
gelb  oder  rot  färben.  In  weit  höherem  Maße  gilt  dies  von  dem  Wurzelstocke  der 
Färberröte  oder  des  Krapp  (Rübia  tinctörum).  Die  Pflanze  stammt  aus  dem  Mittel- 
meergebiete und  ähnelt  vollkommen  einem  Labkraute.  Seitdem  man  versteht,  den  wert- 
vollen, roten  Farbstoff,  den  sie  früher  allein  lieferte,  billiger  künstlich  herzustellen,  ist 
ihr  Anbau  aber  stark  zurückgegangen.  —  Zu  den  Labkrautgewächsen  gehört  auch 
eine  unserer  wichtigsten  ausländischen  Kulturpflanzen : 

Der  Kaffee  (Coffea  aräbica). 

1.  Die  Kaffeepflanze  ist  ein  kleiner  Baum  oder  Strauch,  dessen  gegen- 
ständige, immergrüne  Blätter  etwa  die  Form  und  Größe  der  Lorbeerblätter 
besitzen.  In  den  Blattwinkeln  stehen  Knäuel  weißer,  kurzgestielter  Röhren- 
blüten, aus  denen  die  anfangs  grünen,  dann  roten  und  zuletzt  violetten  Früchte 
hervorgehen.  Sie  haben  die  Form  und  Größe  kleiner  Kirschen  und  sind  auch 
wie  diese  gebaut.  Das  saftige,  süße  Fruchtfleisch  umschließt  aber  2  horn- 
artige  Samen,  die  als  „Kaffeebohnen"  allgemein  bekannt  sind,  und  die  nach 
der  Ernte  vom  Fruchtfleisch  getrennt  werden.     (Beweise  aus  der  Färbung  und 


170      Taf.  25.     45.  Familie.    Labkraut-Gewächse.    46.  Familie.    Geißblatt-Gewächse. 


dem  Bau   der  Frucht,  daß   die   ursprünglich  wilde  Pflanze  auf  die  Verbreitung 

durch  Vögel  angewiesen  war!     Vgl.  S.  64,  8a  und  b.) 

2.  Das  aus  den  ge- 
rösteten und  gemahlenen 
Kaffeebohnen  bereitete 
duftende  Getränk,  der 
Kaffee,  übt  auf  uns  be- 
kanntlich eine  belebende 
Wirkung  aus:  Gehirn  und 
Nerven  werden  erregt,  das 
Gefühl  der  Nüchternheit 
und  des  Hungers  wird  be- 
seitigt und  der  Schlaf 
verscheucht.  Diese  Wir- 
kung ist  in  erster  Linie 
einem  Stoffe,  dem  C  o  f  f  ein, 
zuzuschreiben,  der  in  den 
Bohnen  enthalten  ist  und 
in  den  Kaffeeaufguß  über- 
geht (darum  werden   die 

Bohnen  gemahlen!). 
Schon  in  etwas  größerer 
Menge  genossen,  ist  dieser 
Stoff  aber  ein  heftiges 
Gift.  Daher  erzeugt  sehr 
starker  Kaffee  Herz- 
klopfen, Blutandrang  nach 
dem  Kopfe,  Angstgefühl, 
Muskelzittern  und  bei 
fortgesetztem  Genuß  so- 
gar schwere  Nervenlei- 
den. Irgend  welche  näh- 
renden Bestandteile  ent- 
hält der  Kaffee  nicht :  er 
ist  nur  ein  Beiz-  oder 
Genußmittel  wie  der 
Alkohol. 
Den  Kaffee-Ersatzmitteln  (Surrogaten),   unter  denen  Cichorie  und 

Gerste  am  gebräuchlichsten  sind,  fehlt  das  Coffein  und  daher  auch  die  Wirkung, 

die  der  Genuß  dieses  Stoffes  im  Gefolge  hat. 

3.  Die  Heimat  des  Kaffeebaums  ist  wahrscheinlich  der  gebirgige,  östliche 

Teil  des  heißen  Afrika.     Sicher  ist  nur,  daß  er  zuerst  in  Süd-Arabien  angebaut 

wurde  („Mocca" -Kaffee  nach  der  gleichnamigen  Hafenstadt)   und   am  Ende  des 


Zweig  vom  Kaffeebauin  mit  Blüten  und  jungen  Früchten. 

Daneben  eine  reife  Frucht,    von    der    der    obere  Teil    des 

Fruchtfleisches  abgelöst  ist.     F.  Fruchtfleisch.     S.  Samen. 

(Nat.  Gr.) 


Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel   25. 


Wald -Geißblatt  (Lonicera  perielymenum). 


Kaffee.     Chinabäume.     Wald-Geißblatt.  171 

17.  Jahrhunderts  in  Java  eine  neue  Heimat  fand.  In  der  Folgezeit  verbreitete 
sich  der  Anbau  der  wichtigen  Pflanze  über  fast  ganz  Ostindien,  ging  auf  Amerika 
(besonders  Brasilien)  über  und  hat  jüngst  auch  im  deutschen  Schutzgebiete  von 
Ostafrika  Eingang  gefunden.  Der  Kaffeegenuß  ist  in  Europa  erst  seit  etwa 
der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  bekannt. 

Nahe  Verwandte  der  Kaffeepflanze  sind  die  China-  oder  Fieberrindenbäume 
(Cinchona)  der  südamerikanischen  Anden.  Ans  den  Rinden  dieser  immergrünen  Gew«ächse 
bereitet  man  das  wichtigste  Fiebermittel,  das  Chinin. 


46.  Familie.     Geißblatt-Gewächse  (Caprifoliäceae). 
Das  Wald-Geißblatt  (Lonicera  periclymenum).    Tafel  25. 

1.  Eine  Nachtfalter  bin  nie.  Laubwald  und  Gebüsch  sind  im  Hoch- 
sommer oft  von  dem  köstlichen  Dufte  erfüllt,  der  den  Blüten  des  Wald- 
Geißblattes  entströmt.  Besonders  abends  und  nachts  ist  der  Duft  sehr  stark; 
am  Tage  dagegen  verschwindet  er  oft  fast  gänzlich  (stelle  einen  Strauß  in  das 
Zimmer!).  Wenn  wir  nun  noch  die  lange  Röhre  der  2  lippigen  Blüte  (beschreibe 
sie  näher!)  betrachten,  bis  zu  deren  Grunde  nur  die  längsten  Insektenrüssel 
hinabreichen,  so  steht  es  für  uns  außer  Zweifel,  daß  wir  es  hier  wie  bei  dem 
nickenden  Leimkraut  (s.  das.)  mit  einer  Nachtfalterblume  zu  tun  haben.  Darum 
öffnen  sich  auch  wie  bei  jener  Pflanze  die  Blüten  mit  Anbruch  des  Abends, 
darum  haben  sie  eine  helle  Farbe  (gelblich weiß ;  außen  |  warum  hier  nicht 
schädlich?]  wie  die  Knospen  oft  mit  rötlichem  Anflug),  und  darum  stellen  sie 
sich  wagerecht,  sobald  sie  zum  Empfang  der  Besucher  bereit  sind  (1.  —  S.  dag. 
die  Stellung  der  Knospen!).  Am  ersten  Abend  (1  a)  stehen  die  5  Staubblätter 
vor  dem  Blüteneingange,  wäln;end  der  Griffel  mit  der  Narbe  abwärts  gebogen  ist. 
Die  vor  der  Blüte  schwebenden  Schwärmer  (in  der  Abb.  ist  es  ein  Kiefernschwärmer) 
müssen  mit  der  Unterseite  also  die  Staubbeutel  berühren.  Am  nächsten  Abend 
(2)  ist  an  der  Blüte  eine  merkliche  Veränderung  eingetreten:  Die  Staubblätter 
sind  herabgebogen  und  ihre  Beutel  verschrumpft,  während  der  Griffel  mit  der 
Narbe  nunmehr  ihre  Stellung  einnimmt.  Infolgedessen  muß  jetzt  auch  die  Narbe 
von  dem  saugenden  Schmetterling  gestreift  werden.  Das  Tier  muß  also  beim 
Besuch  jüngerer  und  älterer  Blüten  unbedingt  Fremdbestäubung  vermitteln. 
Die  Blüte  zeigt  am  zweiten  Abend  (2)  auch  noch  andere  Veränderungen:  sie  ist 
gedunkelt,  hellgelb  geworden,  und  die  beiden  Lippen  haben  sich  etwas  nach  hinten 
aufgerollt.  An  den  folgenden  Tagen  (3)  verfärbt  und  rollt  sich  die  Blumen- 
krone  immer  mehr  auf,  bis  sie  schließlich  abfallt.  Wenn  wir  bedenken,  daß 
durch  diese  Veränderungen  die  Blüte  immer  unauffälliger  wird  (Beweis!),  so 
werden  wir  die  Bedeutung  dieser  Erscheinung  leicht  einsehen:  die  anfliegenden 
Schwärmer  werden  die  hellen,  auffälligen  jungen  Blüten  zuerst  bemerken.  Bie 
also  auch  zuerst  besuchen:  darnach  erst  werden  sie  sich  den  weniger  auffälligen 
älteren  Blüten   zuwenden.     Die  Tiere  werden  beim  Besuch  der  Blüten  also  (in 


172      46.  Fam.    Geißblatt-Gewächse.    47.  u.  48  Fam.    Baldrian-  und  Karden-Gewächse. 

der  Regel)  wohl  die  Reihenfolge  innehalten,  in  der  —  wie  wir  oben  gesehen 
haben  —  eine  Bestäubung  der  Pflanze  nur  möglich  ist. 

2.  Eine  Schlingpflanze.  Das  Wald- Geißblatt  findet  man  nicht  nur 
seiner  duftenden  Blüten  wegen,  sondern  weil  es  sich  auch  vortrefflich  zur  Be- 
kleidung von  Lauben  eignet,  vielfach  in  Gärten  angepflanzt.  Es  ist  nämlich 
eine  Schlingpflanze,  eine  Liane,  die  in  ihrer  Waldheimat  mit  Hilfe  des  schwachen, 
windenden  Stammes  (vgl.  mit  Bohne)  das  Unterholz  umschlingt  und  an  niedrigen 
Bäumen  bis  in  die  Kronen  emporsteigt.  Im  Vollgenusse  des  Lichts  breitet  sie 
dort  die  mit  einer  bläulichen  Wachsschicht  (s.  S.  17,  2)  überzogenen,  elliptischen 
Blätter  aus.  —  Wie  im  Sommer  die  Schwärmer,  so  lockt  das  Geißblatt  im 
Herbste  die  Waldvögel  herbei:  sie  sollen  die  roten,  saftigen  Beeren  (4.)  ver- 
speisen und  deren  Samen  aussäen  (s.  S.  64,  a).  Nach  den  Früchten  führt  die 
Pflanze  wie  ihre  nächsten 

V  er  wandten,  von  denen  zahlreiche,  meist  ausländische  Arten  in  Parkanlagen 
angepflanzt  werden,  auch  den  Namen  „Heckenkirsche".  Eine  solche  außerdeutsche 
Form  ist  der  bekannte  Jelängerjelieber  (L.  caprifölium),  der  in  Südeuropa  heimisch, 
bei  uns  aber  vielfach  verwildert  ist.  Wir  lieben  ihn  besonders  an  der  „ Geißblattlaube u, 
die  er  mit  Grün  bekleidet  und  mit  dem  herrlichen  Duft  seiner  Blüten  erfüllt.  Er  ähnelt 
dem  Wald-Geißblatt,  das  darum  auch  „Wald-  oder  deutscher  Jelängerjelieber"  genannt 
wird,  in  allen  Stücken.  Als  bemerkenswerter  Unterschied  sei  nur  hervorgehoben,  daß 
bei  ihm  die  oberen  Blätter  am  Grunde  verwachsen  sind,  so  daß  der  Stengel  durch  sie 
hindurch  zu  wachsen  scheint.  —  Die  in  Laubwäldern  und  Gebüschen  häufigste  ein- 
heimische Art  ist  die  gemeine  Heckenkirsche  (L.  xylösteum).  Sie  ist  im  Gegensatz 
zu  den  beiden  vorigen  Formen  keine  Schlingpflanze  (Stengel  verhältnismäßig  kräftig!). 
Da  sie  weit  kürzere  Blüten  besitzt,  wird  sie  vorwiegend  von  Hummeln  bestäubt  und 
ist  eine  „Tagblume".  Die  leuchtend  roten  Beeren  stehen  stets  zu  zweien  dicht  bei- 
einander und  sind  am  Grunde  verwachsen.  —  Der  Holunder  (Sambücus  nigra)  war  bei 
den  alten  Germanen  der  hohen  Göttin  Freya  oder  Holla  geweiht,  deren  Name  in  dem 
Worte  Holunder  (aus  Holla  und  tar,  der  „Baum")  wahrscheinlich  bis  heute  erhalten 
ist.  Darum  findet  sich  der  Holunder  auch  noch  jetzt  fast  ausschließlich  in  der  Nähe 
menschlicher  Wohnungen,  und  tausend  Sagen,  Märchen  und  Volksbräuche,  die  bis  in  die 
heidnische  Vorzeit  zurückreichen,  knüpfen  sich  an  ihn.  Die  Zweige,  die  jung  ein  sehr 
dickes  Mark  haben  (Verwendung?),  tragen  unpaarig  gefiederte  Blätter  und  enden  in 
großen  Blütenständen,  die  sog.  Trugdolden  darstellen  (erkläre  den  Namen !).  Infolge 
der  beträchtlichen  Häufung  werden  die  weißen  und  stark  duftenden  Blüten  (Verwendung?) 
trotz  ihrer  Kleinheit  weithin  auffällig  (Bedeutung?).  Dasselbe  gilt  von  den  schwarzen 
Beeren  (Verwendung?),  die  sich  von  den  roten  Fruchtstielen  und  den  grünen  Blättern 
deutlich  abheben  und  von  zahlreichen  Vögeln  mit  Vorliebe  verzehrt  werden.  Diesen 
Verbreitern  verdanken  die  Holundersträuche,  die  man  nicht  selten  auf  Mauern  und  an 
anderen  unzugänglichen  Orten  findet,  ihre  Entstehung.  —  Als  Unterholz  in  Laubwäldern 
findet  sich  nicht  selten  der  Schneeball  (Vibürnum  öpulus),  der  an  den  3— 5  lappigen 
Blättern,  an  den  leuchtend  roten  Früchten  und  den  eigentlichen  Blütenständen  leicht 
zu  erkennen  ist.  Während  die  inneren  Blüten  der  „Trugdolde"  nämlich  klein  und  un- 
scheinbar sind,  haben  die  äußeren  stark  vergrößerte  Blumenkronen,  besitzen  aber  weder 
Stempel  noch  Staubblätter  und  bringen  demnach  auch  keine  Früchte  hervor.  Sie  sind 
aber  für  die  Pflanze  durchaus  nicht  bedeutungslos:  machen  sie  doch  die  von  ihnen  ein- 


Geißblatt-,  Baldrian-   und  Karden-Gewächse. 


173 


geschlossenen,  unscheinbaren,  fruchttragenden  Blüten  für  die  Besucher  auffällig.  Die 
kugeligen  Blütenstände  (Name!)  des  Schneeballs,  den  wir  als  Zierstrauch  pflegen,  be- 
stehen nur  aus  solchen  „tauben"  Blüten.  (Wie  kann  diese  Spielart  demnach  auch  nur 
vermehrt  werden?)  —  Sehr  häufig  ist  in  Parkanlagen  auch  die  Schneebeere  (Sym- 
phorieärpus  racemösus)  angepflanzt,  die  aus  Nordamerika  stammt.  Ihre  Früchte  bleiben 
noch  lange  nach  dem  Laubfall  an  den  Zweigen  hängen,  und  wie  deutlich  sie  sich  in- 
folge der  weißen  Färbung  (Name !)  von  dem  dunklen  Hintergrunde  abheben,  ist  leicht  zu 
beobachten  (Bedeutung?).  (Beachte  auch  die  bei  der  Roßkastanie  erörterte,  verschiedene 
Blattstellung  an  senkrechten,  wagerechten  und  hängenden  Zweigen!) 


47.  und  48.  Familie.     Baldrian-  und  Karden-Gewächse  (Valerianäceae 
und  Dipsäceae). 

1.  Der  echte  Baldrian  (Valeriana  officinälis)  liefert  uns  in  seinem  Wurzelstocke, 
dessen  Geruch  die  Katzen  lieben  („Katzenkraut"),  ein  wichtiges  Heilmittel.  Die 
Pflanze,  die  fast  Manneshöhe  erreichen  kann,  wächst  in  feuchten  Wäldern,  auf  Wiesen  und 
an  Flußufern,  hat  gefiederte  Blätter  und  kleine,  rötliche  Blüten,  die  aber  zu  ansehn- 
lichen, doldenartigen  Blütenständen  gehäuft  sind.  Die  einsamigen  Schließfrüchtchen 
besitzen  je  eine  „Federkrone"  (s.  Löwenzahn),  die  der  Verbreitung  der  Pflanze  dient. 
(Stelle  aber  die  Unterschiede  fest,  die  im  Blütenbau  zwischen  Baldrian  und  Korbblütlern 
obwalten!).  —  Ein  handhohes  Gewächs  ist  das  Rapünzchen  (Valerianella  olitöria), 
das  gern  als  Salatpflanze  („Feldsalat")  angebaut  wird.  Es  entstammt  dem  mittel- 
ländischen Pflanzengebiete,  ist  aber  bei  uns  vollständig  heimisch  geworden. 

2.  Die  Familie  der  Kardengewächse  nähert  sich  den  Korbblütern  in  noch  höherem 
Maße.  Wie  uns  z.  B.  die  Tauben -Skabiose  (Scabiösa  columbäria)  zeigt,  die  auf 
trockenen    Wiesen    und    an    ähnlichen    Orten    vielfach 

vorkommt,  sind  die  kleinen,  lilafarbenen  oder  weißen 
Blüten  zu  ansehnlichen,  „strahlenden*  Köpfchen  ge- 
häuft; sie  stehen  in  den  Achseln  von  „Spreublättern'' ; 
ihre  Gesamtheit  ist  von  einem  „Hüllkelche"  umgeben, 
und  der  Kelch,  der  die  Schließfrüchtchen  wie  ein 
häutiger  Saum  krönt,  tritt  wie  bei  zahlreichen  Korb- 
blütlern als  Fallschirm  in  den  Dienst  der  Windver- 
breitung. (In  welchen  Punkten  unterscheiden  sich  beide 
Familien  aber  wesentlich  voneinander?)  —  Ganz  ähn- 
lich gebaut  sind  die  meist  roten  Köpfchen  der  Acker- 
Skabiose  (Knautia  arvensis),  die  auf  Feldern,  Rainen 
und  trockenen  Wiesen  sehr  häufig  anzutreffen  ist 
—  Die  Kardendiestel  (Dipsacus  silvestris)  dagegen,  die 
sich  an  Waldrändern  und  unbebauten  Orten  findet,  hat 
langgestreckte  Blütenköpfe,  an  denen  die  stachel- 
spitzigen Spreublätter  die  rötlichen  Blüten  und  später 
die  Früchte  überragen.  Da  zudem  auch  die  Blätter 
des  Hüllkelchs  dicht  mit  Stacheln  besetzt  sind,  so  stellt 
das  Köpfchen  zur  Zeit  der  Fruchtreife  ein  überaus 
stacheliges  Gebilde  dar.  Auch  die  Mittelrippen  der  Fruchtstand  der  Karden- 
Blätter,  sowie  besonders  die  Stengel  und  Zweige  sind  distel  ('  '■>  nat.  Gr.). 


174  49.  Familie.     Korbblütler. 

dicht  mit  Stacheln  bewehrt.  (Eine  andere,  aber  noch  stärker  bestachelte  Art  wurde 
früher  zum  Aufkratzen  oder  „Karden"  des  Tuches  benutzt.  Name!)  Zu  diesem  Schutz- 
mittel (gegen  Tierfraß)  tritt  noch  ein  anderes  und  zwar  sehr  eigentümliches.  Indem 
die  unteren  Abschnitte  der  gegenständigen  Blätter  miteinander  verwachsen,  entstehen 
Becken,  die  durch  das  von  den  Blättern  ablaufende  Regenwasser  gefüllt  werden. 
Kriechen  nun  Insekten,  die  dem  Honig  in  den  Blüten  einen  Besuch  abstatten  wollen, 
an  dem  Stengel  empor,  so  fallen  sie  in  diese  Becken  und  müssen  ertrinken.  Und 
welche  Mengen  von  Insekten  hierdurch  oft  ums  Leben  kommen,  ist  erstaunlich.  Das 
Wasser  erhält  infolgedessen  eine  jaucheartige  Beschaffenheit.  Ob  aber  die  Pflanze  einen 
Teil  dieser  „düngenden"   Flüssigkeit  aufsaugt,  ist  noch  nicht  sicher  festgestellt. 

49.  Familie.     Korbblütler  (Compösitae). 

Zahlreiche  kleine  Blüten  sind  zu  einem  köpfchenartigen  Blütenstande  gehäuft 
und  werden  von  einer  gemeinsamen  Hülle  umgeben,  so  daß  das  Ganze  das  Aussehen 
einer  einfachen  Blume  erhält  (Blütenkorb).  Einzelblüte:  Kelch  wenig  ausgebildet 
oder  in  eine  Haarkrone  (Pappus)  umgewandelt;  Blumenkrone  entweder  röhren-  oder 
zungenförmig;  Beutel  der  5  Staubblätter  zu  einer  Röhre  verwachsen,  die  den  Griffel 
umschließt;  der  unterständige  Fruchtknoten  entwickelt  sich  zu  einer  einsamigen 
Schließfrucht. 

1.  Die  Sonnenrose  oder  Sonnenblume  (Heliäntlms  ännuus). 

A.  Bedeutung-.  Die  Sonnenrose  oder  Sonnenblume  ist  eine  riesenhafte 
Sommerpflanze  (verfolge  sie  vom  Keimen  bis  zum  Tode!),  die  aus  dem  heißen 
Amerika  zu  uns  gekommen  ist.  Sie  ist  bei  uns  wegen  der  mächtigen,  leuchtenden 
„Blumen",  die  sich  mit  strahlenden  Sonnen  vergleichen  lassen  (Name!  s.  auch 
Absch.  E,  1),  eine  allgemein  beliebte  Zierde  der  Gärten.  In  einigen  Gegenden, 
namentlich  in  Süd-Rußland  und  den  Balkanstaaten,  wird  sie  aber  auch  der 
Samen  wegen  angebaut.  Man  schlägt  daraus  ein  wertvolles  fettes  Öl  (s.  S.  16,  A), 
das  als  Speise-  und  Brennöl,  sowie  zur  Bereitung  feiner  Seifen  und  in  der  Öl- 
malerei verwendet  wird. 

B.  Stengel.  Die  Samen,  die  man  im  Frühjahre  in  die  Erde  legt,  ent- 
wickeln sich  schnell  zu  kräftigen  Pflanzen,  die  nicht  selten  eine  Höhe  von  3  m 
und  darüber  erreichen.  Ihr  oft  armdicker  Stengel  ist  nur  im  oberen  Teile 
verzweigt,  fühlt  sich  wie  alle  grünen  Teile  rauh  an  und  bildet  eine  weite  Röhre 
(s.  Roggen),  die  mit  lockerem  Mark  (Verwendung?)  angefüllt  ist. 

C.  Blätter.  Eine  Pflanze  von  solcher  Höhe  ist  aber  den  Einwirkungen 
des  Windes  im  hohen  Grade  ausgesetzt,  zumal  sie  sehr  große  Blätter  besitzt. 

1.  Da  die  herzförmigen  Blattflächen  aber  von  langen,  beweglichen  Stielen 
getragen  werden,  können  sie,  wie  wir  bereits  bei  der  Betrachtung  des  Birn- 
baums gesehen  haben,  dem  Anprall  des  Windes  leicht  ausweichen.  Bei  einem 
solchen  im  Winde  flatternden  Blatte  ist  der  Blattgrund  der  Gefahr  des  Ein- 
reißens  besonders  ausgesetzt,  zumal  wenn  die  Blattfläche  wie  bei  der  Sonnen- 
rose sehr  groß  und  am  Grunde  tief  herzförmig  ausgeschnitten  ist.  Dort 
ist   das   Blatt    darum    auch   besonders   gefestigt:    wie   beim   Kürbisblatt   bilden 


Sonnenrose.  175 

die  sehr  starken  Seitennerven  bis  zu  ihrer  ersten  Verzweigung  feste  „Säume1-, 
die  selbst  heftigen  Stürmen  widerstehen. 

2.  Betrachtet  man  eine  (noch  niedrige)  Pflanze  von  oben,  so  macht  es  den 
Eindruck,  als  bildeten  die  Blätter  eine  Rosette:  so  gleichmäßig  sind  sie  um  den 
Stengel  geordnet.  Und  zwar  ist  dies  —  von  den  ersten,  sich  gegenüberstehenden 
Blättern  abgesehen  — in  einer  Schraubenlinie  erfolgt  (wiederhole  den  S.  131  an- 
gegebenen Versuch  mit  dem  Faden !).  Infolge  dieser  regelmäßigen  Verteiluüg  werden 
sie  wie  die  Blätter  einer  wirklichen  Rosette  trotz  ihrer  Größe  von  all  den  Sonnen- 
strahlen getroffen.  Da  nun  die  Sonnenstrahlen  dann  am  wirksamsten  sind,  wenn 
sie  das  Blatt  möglichst  senkrecht   treffen  (s.  S.  43,  c),  so  verstehen  wir  auch 

3.  warum  sich  das  Blatt  mit  seiner  Spitze  nach  unten  neigt.  Infolge 
dieser  Haltung  muß  aber  auch  das  Regenwasser,  das  auf  die  Blätter  fällt,  nach 
außen  geleitet  werden  (Versuch!).     Hiermit  stehen  wieder  die  Verhältnisse  der 

D.  Wurzel  im  innigsten  Einklänge.  1.  Die  Sonnenrose  ist  —  wie  wir 
gesehen  haben  —  eine  hohe  Pflanze  mit  großen  Blättern,  die  infolgedessen 
dem  Winde  stark  ausgesetzt  ist.  Man  erwartet  daher  bei  ihr  eine  tiefgehende 
Haupt wurzel  und  weit  ausgreifende  Seitenwurzeln,  die  das  schwere 
Gewächs  sicher  im  Boden  verankern.  Gräbt  man  die  Sonnenrose  aber  aus,  so 
findet  man  zwar  eine  Hauptwurzel,  die  senkrecht  in  den  Boden  hinabsteigt; 
die  von  ihr  nach  allen  Seiten  ausstrahlenden  Seitenwurzeln  dagegen  sind  auf- 
fallend kurz.  Dafür  sind  sie  aber  in  sehr  großer  Zahl  vorhanden  und  verzweigen 
sich  so  stark,  daß  ein  dichtes  Wurzelgeflecht,  ein  „Ballen"  entsteht,  aus  dem 
die  Erde  nur  schwer  (durch  Klopfen!)  zu  entfernen  ist.  Was  den  Seiten- 
wurzeln an  Länge  abgeht,  wird  eben  durch  ihre  Zahl  und  reiche 
Verzweigung   ersetzt. 

2.  Faßt  man  die  Länge  der  Seitenwurzeln  genau  ins  Auge,  so  merkt  man, 
daß  sich  die  entferntesten  Wurzelspitzen  über  den  Umfang  der  Blattkrone  (wenn 
man  bei  der  Sonnenrose  überhaupt  von  einer  solchen  sprechen  kann!)  nicht 
hinaus  erstrecken,  eine  Erscheinung,  die  wir  beim  Birnbaum  bereits  kennen  und 
verstehen  gelernt  haben  (s.  S.  88,  c)  und  bei  den  meisten  Pflanzen  mit  „centri- 
fugaler"  Wasserableitung  wiederfinden.  Da  die  Sonnenrose  aber  nicht  eine  so 
dicht  geschlossene  „Krone"  wie  z.  B.  der  Birnbaum  hat,  so  tropft  das  Regen- 
wasser auch  nicht  nur  am  Umfange  derselben  zum  Erdboden  herab.  Es  wird 
im  Gegenteil  der  ganze  Bezirk,  der  unter  den  Blättern  liegt,  durchnäßt.  Die 
Saugwurzeln  finden  sich  daher  auch  nicht  in  einer  ringförmigen  Zone  (wie  dies 
z.  B.  beim  Birnbaum  der  Fall  ist),  sondern  sind  über  den  ganzen  Wurzelballen 
verteilt,  oder  anders  ausgedrückt:  die  oben  erwähnte  Auflösung  der  Seiten- 
wurzeln in  sehr  zahlreiche,  immer  feiner  werdende  Zweige, 
deren  En  dt  eile  das  Wasser  aufsaugen,  ist  also  auch  noch  aus  diesem 
zweiten  Grunde  notwendig. 

Wenn  die  Saugwurzeln  wie  beim  Birnbäume  nur  in  einer  ringförmigen 
Zone  lägen,  würden  sie  übrigens  auch  gar  nicht  imstande  sein,  das  notwendige 
Wasser  aufzunehmen.    Man  braucht  nur  zu  bedenken,  erstens,  daß  die  Sonnen- 


176 


49.  Familie.     Korbblütlei 


rose  eine  große  Pflanze  ist  und  daher  auch  viel  Wasser  gebraucht,  zweitens, 
daß  die  Aufnahme  der  Wassermenge  zahlreiche  Saugwurzeln  voraussetzt,  und 
drittens,  daß  diese  Wurzeln  in  einer  ringförmigen  Zone,  die  der  „Krone"  ent- 
sprechend nur  sehr  klein  sein  würde,  unmöglich  Platz  finden  könnten. 

E.  Blutenstand.  1.  Stengel  und  Zweige  tragen  am  Ende  je  eine  große 
„Blume",  die  sich  bei  freistehenden  Pflanzen  gern  der  Sonne  zukehrt  (daher 
vielleicht  „Sonnenblume").  Sie  hat  oft  einen  Durchmesser  von  25  cm  und  mehr 
(Stamm    und  Zweige  kräftig!)    und   ist   infolge    der  Schwere    bald    mehr   oder 


Wmä 


Querschnitt  durch 
den  Blütenstand 
der  Sonnenrose. 

kelch.    Bb.  Blütenboden. 


1. — 4.  Röhrenblüten  (1.  noch 
nicht  geöffnet;  2.  der  Blüten- 
staub ist  ans  der  Blütenröhre 
hervorgeschoben;  3.  die  Narben  spreizen 
auseinander;   4.  verblüht    (vgl.   die  Abb. 
auf  S.  178).    Z.  Zungenblüten.    H.K.  Hüll- 
H.  Der  mit  der  Höhlung  des  Stengels  in  Verbindung  stehende 
Hohlraum  im  Blütenboden. 


weniger  nickend.  Trotz  dieser  Haltung  wird  sie  aber  den  Blicken  der  Insekten 
nicht  entzogen;  denn  die  Sonnenrose  ist  eine  hohe  Pflanze,  und  die  honigsuchen- 
den Insekten  fliegen  meist  nur  in  geringer  Höhe  über  dem  Erdboden  dahin. 
(Welche  Mittel  wenden  niedrige  Pflanzen  an,  um  ihre  nickenden  Blüten  sichtbar 
zu  machen?) 

2.  Durchschneiden  wir  eine  solche  Blume  der  Länge  nach,  so  sehen  wir, 
daß  auf  dem  scheibenförmig  erweiterten  Ende  des  Stengels,  dem  Blütenboden, 
sehr  viele  kleine,  ungestielte  Blüten  sitzen.  Wir  haben  es  hier  also  nicht  mit 
einer  einzelnen  Blüte,  sondern  mit  einer  Blütengenossenschaft  oder  einem  Blüten- 
stande zu  tun,  den  man  seiner  Form  nach  (wie  z.  B.  beim  Wiesenklee  und 
der  Grasnelke)  als  Köpfchen  bezeichnet. 

Sämtliche  Blüten  werden  von  mehreren  großen,  grünen  Blättern  umgeben. 
So  lange  sich  das  Köpfchen  im  Knospenzustande  befindet,  sind  die  Blüten  von 
diesen  Blättern  vollkommen  überdeckt,  und  auch  noch  späterhin  lassen  die  derben 
Gebilde  den  zarten  Blüten  einen  wirksamen  Schutz,  besonders  gegen  ankriechende 
Tiere  (Ameisen,  Schnecken  u.  dgl.)  angedeihen  (vgl.  auch  diejenigen  Familien- 
glieder, deren  Blütenköpfchen  sich  nachts  schließen,  z.  B.  Löwenzahn,  Wiesen- 


Sonnenrose.  177 

bocksbart!).  Durch  diesen  sog.  Hüllkelch  erhält  der  Blütenstand  das  Aussehen 
eines  mit  vielen  Blüten  gefüllten  Körbchens.  Darum  bezeichnet  man  ein  so 
gebildetes  Köpfchen  treffend  auch  als  Blütenkörbchen  („Korbblütler"). 

3.  Die  Einzelblüten  entspringen  in  den  Achseln  kleiner,  dreizackiger 
Blätter,  die  sich  besonders  bei  der  Fruchtreife  spreuartig  trocken  anfühlen  und 
daher  Spreu  blatte  r  genannt  werden.  Entfernt  man  die  reifen  Früchte,  so 
erhält  der  Blütenboden,  den  man  jetzt  als  Fruchtboden  bezeichnet,  durch 
die  Spreublätter  fast  das  Aussehen  einer  Bienenwabe.  (Zahlreichen  andern 
Korbblütlern,  wie  z.  B.  dem  Löwenzahn,  fehlen  diese  Blätter.) 

4.  Wenn  man  bedenkt,  daß  die  Einzelblüten  nur  sehr  kleine  Gebilde  sind, 
so  wird  man  auch  die  Bedeutung  ihrer  Häufung  verstehen:  ein  einzelnes 
Blütchen  wäre  so  unscheinbar,  daß  es  unmöglich  die  Blicke  der  Insekten  auf 
sich  lenken  könnte,  ganz  anders  aber,  wenn  es  sich  mit  vielen  seinesgleichen 
vereinigt  (vgl.  hierzu  auch  Absch.  F.,  2). 

F.  Einzelblüte.  Zwischen  den  Einzelblüten  macht  sich  nun  wieder  ein 
großer  Unterschied  bemerklich:  die  in  der  Mitte  der  Blumenscheibe  stehenden 
haben  eine  kleine,  gelbbraune,  röhrenförmige  Blumenkrone,  während  die  am 
Rande  des  Körbchens  befindlichen  eine  gelbe  Blumenkrone  besitzen,  die  zu 
einem  langen  Bande  oder  einer  Zunge  ausgezogen  ist.  Nach  der  Stellung  kann 
man  die  Blüten  also  als  Scheiben-  und  R  a  n  d  b  1  ü  t  e  n ,  nach  der  Form  als 
Röhren-   und  Zungenblüten  unterscheiden. 

1.  Röhrenblüte  (s.  Abb.  S.  178).  Der  unterständige  (s.  S.  71,  b)  Frucht- 
knoten trägt  oben  (meist)  2  Blättchen,  in  denen  wir  den  Kelch  vor  uns  haben. 
Wenn  wir  uns  daran  erinnern,  daß  der  Hüllkelch  für  die  Gesamtheit  der  Blüten  die 
Bedeutung  eines  Kelches  besitzt,  so  wird  uns  die  geringe  Ausbildung  des  wirklichen 
Kelches  leicht  verständlich.  (Bei  anderen  Korbblütlern,  z.  B.  bei  der  Wucherblume, 
sind  vom  Kelche  noch  viel  geringere  Spuren  zu  finden,  während  er  bei  wieder 
anderen  Arten  zu  einer  „Haarkrone"  umgebildet  ist;  s.  S.  182.)  Die  Blumen- 
krone ist  eine  enge  Röhre,  die  etwas  über  dem  Grunde  eine  kugelförmige  Er- 
weiterung zeigt  und  in  5  Zipfel  endet.  Am  Grunde 
der  Erweiterung  sind  die  Fäden  der  5  Staubblätter 
eingefügt,  deren  Beutel  zu  einer  den  Griffel  umgebenden 
Röhre  verwachsen  sind.  Der  Griffel  endet  in  2  Narben, 
die  aber  erst  im  letzten  Blütenzustande  (Fig.  4  der 
Abb.  auf  S.  178)  auseinanderspreizen.  Der  Honig 
wird  von  einem  kleinen  WTulst  am  Grunde  des  Griffels  Blütengrandrig  einer 
abgeschieden,  und  zwar  in  so  großer  Menge,  daß  der  RöhrenMüte  der 
untere  Teil    der  Blütenröhre   oft   damit  gefüllt  ist.  —  Sonnenrose. 

Um  die  Art  der  Bestäubung  kennen  zu  lernen,  müssen  wir 

a)  bereits  eine  Blüte  öffnen,  wenn  sie  sich  noch  im  Knospenzustande  be- 
findet (1).  Wir  sehen,  wie  die  Staubbeutel  noch  geschlossen  sind,  wie 
der  Griffel  noch  nicht  bis  zu  der  Staubbeutelröhre  empor  reicht,  und  wie  die 
beiden  Narben  noch  eng  aneinander  liegen.    Außen  sind  die  Narbenäste, 

Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik.  ,g 


178 


49.  Familie.     Korbblütler. 


sowie   ein  Stück   des  Griffels  selbst   mit  zahlreichen  feinen  Haaren  besetzt,   so 
daß  der  Griffel  das  Aussehen  eines  winzigen  Cylinderpntzers  erhält. 

b)  Bei  einer  etwas  älteren  Blüte  finden  wir  die  Beutel  nach  innen 
geöffnet,  so  daß  die  Bohre  mit  Blütenstaub  ausgefüllt  wird.  Bei  einer  wieder 
älteren,  aber  immer  noch  geschlossenen  Blüte  (2)  ist  der  wachsende  Griffel  wie 
ein  Kolben  in  der  Staubbeutelröhre  vorgedrungen.  In- 
folgedessen schiebt  er  den  Blütenstaub  vor  sich  her  und 
nimmt  die  etwa  zurückbleibenden 
Körnchen  in  seinem  Haarbesatze  mit 
empor. 

c)  Nunmehr  öffnet  sich  die  Blumen- 
krone   (3).      Der    sich    immer    mehr 


1. 


3. 


Röhrenblüte  der  Sonnenrose  in  ihrer  Entwicklung.  Die  einzelnen  Entwicklungs- 
zustände  sind  im  Texte  erklärt.  Die  Blütenröhre  ist  der  Länge  nach  halbiert;  von  den 
Staubblättern  sind  in  Fig.  1  u.  2  nur  je  3,  in  Fig.  3  u.  4  nur  je  2  zur  Darstellung 
gelangt.  —  Sp.  Spreublatt.  F.  Fruchtknoten.  H.  Honigabsondernde  Stelle  des  Griffels. 
K.  Kelchblätter.  Sf.  Staubfäden.  G.  Griffel.  Sb.  Staubbeutelröhre  (geöffnet).  N.  Narbe. 
(Etwa  5  mal  vergr.) 


streckende  Griffel  hebt  die  schwarzbraune  Staubbeutelröhre  —  die  Staubfäden 
haben  sich  gleichzeitig  stark  verlängert  —  aus  der  Blüte  heraus  und  drängt 
zugleich  den  Blütenstaub  in  Form  eines  gelben  Häufchens  aus  der 
Staubbeutelröhre  hervor.  Jetzt  befindet  sich  der  Staub  an  der  Stelle, 
an    der    er    von    Insekten    leicht    abgestreift    werden    kann.      Und    in   welch' 


Sonnenrose.  17"** 

reichlichem  Maße  dies  geschieht,  zeigt  die  oft  ganz  gelbe  Körperimterseite  der 
saugenden  Besucher. 

d)  Ist  der  Blütenstaub  abgeholt,  dann  spreizen  erst  die  Narben  aus- 
einander, so  daß  ihre  allein  „belegungsfähige"  Innenseite  oifen  daliegt  (4.) 
Gewöhnlich  dauert  es  auch  nicht  lange,  so  bringen  die  Insekten,  die  von  Blüte 
zu  Blüte  schreiten,  von  jüngeren  Blüten  Staub  herbei.  Das  ungleichzeitige  Reifen 
der  Staubbeutel  und  Narben  in  derselben  Blüte  hat  also  wie  bei  der  Glocken- 
blume (s.  das.)  meist  Fremdbestäubung  im  Gefolge. 

e)  Auch  wenn  die  Insekten  von  anderen  Pflanzen  oder  von  anderen 
Blütenkörben  derselben  Pflanze  keinen  Blütenstaub  herbeitragen  würden,  erfolgt 
in  der  Regel  doch  die  „erwünschte"  Fremdbestäubung;  denn  die  Blüten  eines 
Köpfchens  öffnen  sich  ja  nicht  alle  zu  gleicher  Zeit.  Abgesehen  von  den  ersten 
und  letzten  Tagen  des  Blühens  findet  man  —  wie  die  Abb.  auf  S.  176  zeigt  — 
in  jedem  Körbchen  Blüten  in  allen  Entwicklungszuständen,  und  zwar 
erfolgt  das  Aufblühen  reihenweis  von  außen  nach  innen  (ebenso 
natürlich  auch  das  Verblühen!). 

f)  Tritt  aber  infolge  ausbleibenden  Insektenbesuchs  Fremdbestäubung  nicht 
ein,  so  „bequemt"  sich  die  Pflanze  schließlich  zur  Selbstbestäubung:  die 
Narbenäste  rollen  sich  so  weit  zurück,  daß  ihre  Oberseiten  die  verschrumpften 
„Fegehaare"  berühren,  in  denen  stets  noch  einige  Blütenstaubkörnchen  hängen 
geblieben  sind.  (Derselbe  Vorgang  ist  auch  an  der  Glockenblume  zu  beobachten. 
Ähnlich  erfolgt  auch  bei  zahlreichen  anderen  Pflanzen  Selbstbestäubung,  wenn 
Fremdbestäubung  nicht  eintritt.) 

2.  Zungenblüten,  a)  Die  am  Rande  des  Köpfchens  stehenden  Znngen- 
blüten  (s.  Abb.  S.  176)  zeigen  im  wesentlichen  denselben  Bau.  Ihre  sehr  kurze 
Blütenröhre  ist  jedoch  —  wie  bereits  erwähnt  —  zu  einem  langen  Bande  aus- 
gezogen, und  Staubblätter  sowohl,  als  einen  Griffel  sucht  man  bei  ihnen  ver- 
geblich. Sie  sind  demnach  unfruchtbar  (der  Fruchtknoten  verschrumpft),  aber 
durchaus  nicht  ohne  Bedeutung  für  die  Pflanze.  Indem  die  bandförmigen  Ab- 
schnitte der  Blumenkrone  nach  außen  strahlen,  erhöhen  sie  die  Auffällig- 
keit des  Blütenkorbes  und  helfen  dadurch  die  Bestäuber  der  Röhren- 
blüten herbeilocken.  Die  Randblüten  bezeichnet  man  daher  auch  als  Strahlen- 
blüten und  Blütenköpfe  dieser  Art  als  „strahlend"  (vgl.  mit  Möhre  und  Schnee- 
ball!). In  den  Blütenständen  der  Sonnenrose  (und  aller  jener  anderen  Korb- 
blütler mit  ähnlichen  Blütenkörben)  ist  also  eine  „Arbeitsteilung"  eingetreten: 
die  Blüten  haben  sich  in  Frucht-  und  „Lockblüten"  geschieden. 

b)  Da  Rand-  und  Scheibenblüten  außerdem  noch  von  verschiedener 
Färbung  sind,  so  werden  die  Blütenstände  umso  auffälliger;  denn  Farben- 
gegensätze (Farbenkontraste)  erhöhen  bekanntlich  die  Auffälligkeit  eines  Gegen- 
standes; wir  brauchen  nur  an  Plakate,  Firmenschilder  u.  dgl.  zu  denken.  (Ea 
gibt  aber  auch  eine  gärtnerische  Spielart  der  Sonnenrose,  bei  der  Rand-  und 
Scheibenblüten  gelb  gefärbt  sind.  —  Von  zahlreichen  anderen  Korbblütlern, 
z.  B.  von  Astern,   Georginen    und  Gänseblümchen,   hat   der  Mensch  Spielarten 


180 


49.  Familie.     Korbblütler. 


gezüchtet,  bei  denen  die  Blumenkronen  der  ursprünglich  röhrenförmigen  Scheiben- 
blüten zungenförmig  geworden  sind.  Solche  Blütenstände  bezeichnet  man  be- 
kanntlich als  „gefüllte"  Blumen.) 

e)  Wie  wir  oben  gesehen  haben,  blühen  die  Scheibenblüten  nicht  alle  zu- 
gleich, sondern  nacheinander,  und  zwar  jede  nur  eine  verhältnismäßig  kurze 
Zeit.  Da  die  Randblüten  aber  allen  Scheibenblüten  „dienen"  müssen,  so  blühen 
sie  auch  während  einer  viel  längeren  Zeit,  oder  bestimmter  ausgedrückt:  die 
Blütezeit  der  Randblüten  ist  gleich  der  Gesamtblütezeit  der 
Scheibenblüten. 

G.  Frucht.  Die  Fruchthülle  —  sie  ist,  wie  die 
2  Narben  andeuten,  aus  2  Fruchtblättern  gebildet  — 
F  schließt  nur  einen  Samen  ein,  der  sich  vom  Grunde  erhebt. 
Die  schwarzgraue  Frucht  öffnet  sich  daher  bei  der  Reife 
c-  nicht:  sie  ist  eine  Schließfrucht  (s.  S.  10,  3).  Indem  der 
Wind  die  hohe  Pflanze  schüttelt,  streut  er  die  glatten 
Früchte  über  ein  größeres  Gebiet  aus.  (Bei  welchen 
anderen  Korbblütlern  erfolgt  die  Verbreitung  auf  dieselbe 
Weise?     Welche  Vögel  stellen  den  Früchten  gern  nach?) 


Fruchtknoten  der 
Sonnenrose ,  geöff- 
net. F.  Fruchthülle. 
S.Die  gestielteSamen- 
anlage  (8  mal  vergr.). 

lein   („Kettenblume' 


2.  Der  Löwenzahn  (Taräxacum  officinäle). 

1.  Bedeutung.  Der  Löwenzahn  ist  so  recht  die 
Pflanze  der  Kinder:  jubelnd  pflücken  die  Kleinen  die 
leuchtend  gelben  Blütenköpfe  zum  Strauß  („Butterblume"), 
„schmieden"  die  hohlen  Blütenstiele  zu  vergänglichen  Kett- 
,    „Ringelblume")   und   fragen   die   zierlichen  Fruchtstände 


(„Lichter",  „Lampen"),  wie  lange  sie  wohl  noch  leben  („Pustblume"). 

Die  Blätter,  die  gleich  allen  anderen  Teilen  einen  weißen,  klebrigen 
Milchsaft  enthalten,  werden  von  den  Weidetieren  gern  verzehrt  („Kuh- 
blume"). Den  Verlust  der  Blätter  verwindet  die  Pflanze  jedoch  gewöhnlich  sehr 
bald;  denn  der  kurze,  dicke  (oft  verzweigte)  Stamm  (Wurzelstock)  ist  im  Erd- 
boden geborgen.  Er  kann  daher  von  den  Blatträubern  nicht  mit  verletzt  werden 
und  beginnt  meist  bald  darauf  von  neuem  zu  treiben.  Genau  so  verhält 
sich  der  Löwenzahn  der  Sichel  gegenüber:  auf  Rasenplätzen  ist  er  —  wie  der 
Gärtner  sagt  —  nicht  „tot  zu  bekommen"  und  dort  daher  ein  lästiges  Un- 
kraut. Die  jüngsten  Blätter  werden  in  einigen  Gegenden  auch  als  Salat 
verzehrt. 

2.  Standort.  Der  Löwenzahn  ist  auf  Wiesen  und  Grasplätzen,  sowie 
an  Wegen  und  ähnlichen  Stellen  überall  häufig  anzutreffen.  Während  er  hier 
auf  sehr  trockenem  Boden  im  stärksten  Sonnenbrande  wächst,  bewohnt  er  dort 
feuchte,  schattige  Orte;  während  er  hier  nur  mit  niederen  Gräsern  das  Gebiet 
teilt,  steht  er  dort  mitten  zwischen  den  hohen  Wiesenpflanzen,  die  ihn  fast  zu 
„erdrücken"  scheinen.  Er  gedeiht  also  unter  sehr  verschiedenen  Verhältnissen ; 
allen  aber  ist  er  —  wie   wir  sofort  sehen  werden  —  vortrefflich  „angepaßt". 


Sonnenrose.     Löwenzahn.  181 

3.  Wurzel.  Da  sich  der  kurze  Stamm  in  eine  lange  Pfahlwurzel 
fortsetzt,  die  bis  zu  den  stets  feuchten  Bodenschichten  hinab  steigt,  vermag  der 
Löwenzahn  selbst  der  Wasserarmut  festgetretener  Wege  zu  trotzen.  An  diesen 
Stellen  findet  man  seine 

4.  a)  Blätter  stets  zu  einer  Rosette  (s.  S.  17,  3)  geordnet,  die  dem 
Boden  dicht  aufliegt,  ihn  beschattet  und  mithin  vor  zu  starker  Aastrocknung  schützt. 

b)  Die  so  geordneten  Blätter  sind  zudem  auf  der  Oberseite  mit  einer 
oder  mehreren  deutlichen  Rinnen  versehen.  Infolgedessen  leiten  sie  jeden 
Regentropfen,  von  dem  sie  getroffen  werden,  der  dürstenden  Wurzel  zu.  (Der 
Richtung  der  Wurzel  entsprechend,  ist  die  Wasserableitung  also  centripetal; 
s.  S.  88.) 

c)  Infolge  der  Rosettenstellung  der  Blätter  verdrängt  der  Löwenzahn 
(wie  der  Wegerich;  s.  Taf.  23,  auf  der  diese  Erscheinung  angedeutet  ist)  end- 
lich auch  die  kleineren,  benachbarten  Pflanzen,  die  ihm  ja  Bodenfeuchtig- 
keit wegnehmen  würden:  er  bedeckt  sie  mit  seinen  Blättern,  raubt  ihnen  also 
das  Licht,  und  —  Lichtmangel  ist  stets  der  Tod  der  grünen  Gewächse.  Darum 
ist  er  auch  wie  sein  treuster  Genosse,  der  Wegerich,  an  Orten  mit  niedrigem 
Pfianzenwuchs  vielfach  die  „herrschende"  Pflanze.  —  Dieses  Verhalten  des 
Löwenzahns  gegen  andere,  schwächere  Gewächse  ist  ein  deutliches  Beispiel  von 
dem  erbitterten  und  ununterbrochenen  Kampfe,  der  in  der  scheinbar  so  fried- 
lichen Welt  der  Pflanzen  herrscht,  von  einem  Kampfe,  der  sich  um  Nahrung, 
Licht,  Luft  und  Raum  dreht !  (Verfolge  diesen  Kampf  auch  bei  anderen  Pflanzen 
und  beobachte,  wie  stets  die  stärkere  als  Siegerin  daraus  hervorgeht!) 

d)  Steht  der  Löwenzahn  aber  zwischen  üppig  wachsenden  Pflanzen,  etwa 
auf  einer  wohlgepflegten  Wiese,  so  kommt  er  häufig  in  die  Gefahr,  überwuchert 
zu  werden.  Dann  verlassen  die  Blätter  mehr  oder  weniger  die 
zierliche  Rosettenstellung:  sie  richten  sich  schräg  oder  gar  senkrecht 
aufwärts,  dem  belebenden  Lichte  entgegen. 

e)  Da  sich  der  Löwenzahn  hier,  sowie  an  wirklich  schattigen  Stellen 
(gib  solche  an!)  nicht  im  Vollgenusse  des  Lichts  befindet,  sind  seine  Blätter 
sehr  groß  und  zart  wie  die  der  eigentlichen  Schattenpflanzen  (s.  S.  7,  a  u.  b). 
(Stelle  die  verschiedene  Größe  der  Blätter  von  „Sonnen-  und  Schattenpflanzen" 
durch  Messungen  fest,  und  beobachte,  wie  verschieden  sich  diese  Blätter  gegen 
das  Vertrocknen  verhalten!) 

f)  Außerdem  erhalten  hier  die  Blätter  oft  ein  ganz  verändertes  Aus- 
sehen: während  sie  bei  Pflanzen  trockener  oder  mäßig  feuchter  Standorte 
mehr  oder  weniger  tief  wie  eine  Schrotsäge  eingeschnitten  sind  („Löwenzahn": 
Abschnitte  meist  rückwärts  gerichtet,  oft  nochmals  mit  kleinen  Zähnen),  ist  hier 
der  Blattrand  oft  nur  noch  schwach  gezähnelt,  eine  Erscheinung,  die  gleich- 
falls auf  eine  Vergrößerung  der  Blattfläche  hinaus  läuft, 

5.  Blüte,  a)  Die  Blütenköpfe  stehen  einzeln  am  Ende  je  eines  blatt- 
losen, hohlen  Stieles  (eines  sog.  Schaftes),  der  je  nach  der  Höhe  der  um- 
gebenden   Pflanzen    sehr    kurz,     aber    auch    außerordentlich    lang    sein    kann 


182  49.  Familie.     Korbblütler. 

(Beweis!  Bedeutung?).  Im  Blütenköpfchen  finden  sich  nur  Zungenblüten. 
Sie  entspringen  nicht  in  den  Achseln  von  Spreublättern  und  unterscheiden  sich 
von  denen  der  Souneorose  besonders  dadurch,  daß  sie  wie  die  Röhrenblüten 
dieser  Pflanze  wohl  ausgebildete  Staubblätter  und  einen  ebensolchen  Griffel  be- 
sitzen. Auch  die  Bestäubung  erfolgt  genau  wie  bei  der  Sonnenrose.  Hinsicht- 
lich der  Bildung  des  Kelches  dagegen  zeigt  sich  ein  wesentlicher  Unterschied: 
der  Fruchtknoten  setzt  sich  oben  in  ein  kurzes  Stielchen  fort,  das  auf  seiner 
Spitze  (außer  der  Blumenkrone)  einen  Haarkranz  trägt,  in  dem  wir  den  Kelch 
vor  uns  haben.  Dieser  „Haarkelch"  (Pappus)  krönt  später  die  reife  Frucht 
und  wird  daher  auch  „Haar-  oder  Federkrone"  genannt. 

b)  Schon  lange  bevor  sich  das  Köpfchen  öffnet,  sind  die  äußeren  Blätter 
des  Hüllkelchs  herabgeschlagen;  die  inneren  dagegen  stehen  aufrecht  und  um- 
hüllen schützend  die  zarten  Blüten.  Dabei  schließen  sie  so  eng  aneinander, 
daß  es  den  Eindruck  macht,  als  seien  sie  in  der  unteren  Hälfte  miteinander 
verwachsen.  An  einem  sonnigen  Morgen  ist  endlich  für  das  Köpfchen  die  Zeit 
des  Öffnens  gekommen.  Die  Blütchen  spreizen  weit  auseinander,  so  daß  sie 
eine  große,  leuchtend  gelbe  Fläche  bilden  (Bedeutung?)  und  die  Blätter  des 
Hüllkelchs  nach  außen  drängen.  Bereits  lange  vor  Anbruch  des  Abends 
schließen  sich  die  Köpfchen  wieder :  die  Blüten  kehren  in  die  Knospenlage 
zurück,  werden  wieder  vom  Hüllkelch  umgeben,  und  von  der  früheren  Herrlich- 
keit ist  nichts  mehr  zu  sehen  (s.  S.  3,  b).  Dieser  Vorgang  wiederholt  sich 
täglich,  bis  das  Blühen  ein  Ende  erreicht  hat.  Bei  regnerischem  und  kaltem 
Wetter  öffnen  sich  die  Köpfchen  gar  nicht!  (Verfolge,  zu  welchen  Tages- 
stunden das  Öffnen  und  Schließen  in  deiner  Heimat  während  der  einzelnen 
Monate  erfolgt!) 

6.  Frucht,  a)  Im  Schutze  des  Hüllkelchs  reifen  auch  die  Früchte. 
Die  Blumenkrone  ist  nach  dem  Verblühen  abgefallen;  die  stielchenartige  Ver- 
längerung des  Fruchtknotens  dagegen  hat  sich  gleich  den  Haaren  der  Haarkrone 
stark  in  die  Länge  gestreckt.  Sind  die  Früchte  reif  und  somit  verbreitungs- 
fähig geworden,  und  scheint  die  Sonne  warm  herab,  dann  spreizen  die  Haare 
auseinander,  während  sich  die  Blätter  des  Hüllkelchs  gleichzeitig  nach  unten 
schlagen:  es  haben  sich  jene  bekannten,  kugeligen  Fruchtstände  gebildet, 
die  an  Zierlichkeit  ihresgleichen  suchen. 

b)  Jetzt  „warten"  die  Früchte  auf  einen  Windstoß,  der  sie  über  ein 
weites  Gebiet  aussäen  soll  (Bedeutung?  s.  S.  10,  3).  Diesen  wichtigen  Dienst 
vermag  der  Wind  der  Pflanze  wohl  zu  leisten;  denn  die  Haar  kröne  liefert  ihm 
einerseits  eine  große  Angriffsfläche,  so  daß  er  die  Frucht  leicht  vom  Frucht- 
boden ablösen  kann,  und  sie  stellt  andererseits  einen  winzigen  Fallschirm  dar. 
Wie  ein  solcher  Schirm  der  Luft  einen  großen  Widerstand  entgegensetzt,  so 
daß  der  an  ihm  hängende  Luftschiffer  nur  langsam  zur  Erde  herabschwebt,  so 
wird  auch  durch  die  Haarkrone  ein  schnelles  Fallen  der  Früchte  verhindert. 
Sollen  die  Früchte  aber  wirklich  über  ein  weites  Gebiet  verbreitet  werden,  dann 
müssen  die  Fallschirme  auch  die  zum  Schweben  notwendige  Stellung  beibehalten 


Löwenzahn  und  andere  Korbblütler.  183 

(was  würde  im  anderen  Falle  geschehen?).  Audi  dafür  Ist  gesorgt:  da  sich 
das  „Stielchen"  sehr  lang  gestreckt  hat,  ist  der  Schwerpunkt  des  ganzen,  feder- 
leichten Gebildes  verhältnismäßig  tief  zu  liegen  gekommen,  so  daß  es  wie  ein 
„Stehauf"  stets  senkrecht  stehen  muß.  Sind  die  Früchte  vom  Winde  nicht 
abgeholt,  dann  legen  sich  die  hygroskopischen)  Fallschirme  in  der  feuchten 
Abendluft  wieder  zusammen,  und  die  Kelchblätter  umgehen  sie  abermals;  denn 
der  Tau  der  Nacht  würde  die  Haarkrone  so  durchfeuchten  und  beschweren, 
daß  an  eine  Verbreitung  durch  den  Wind  nicht  mehr  zu  denken  wäre.  Am 
nächsten  Tage  im  warmen  Sonnenscheine  beginnl  das  Spiel  von  neuem.  ]->ei 
feuchter  Luft  dagegen  öffnen  sich  die  Fruchtstände  überhaupt  nicht. 

c)  Ist  das  „Luftschiff"  gestrandet,  dann  löst  sich  die  Haarkrone  mit  dem 
Stielchen  von  der  Frucht  ab,  die  durch  zahlreiche  Zähnchen  der  Frucht- 
schale bald  sicher  im  Boden  verankert  ist  (Bedeutung?). 

Andere  Korbblütler. 

Die  Korbblütler  stellen  mit  ihren  etwa  12  000  Arten  die  größte  aller  Pflanzen- 
familien dar.  Sie  sind  über  alle  Zonen  verbreitet  und  finden  sieh  bei  uns  an  den  ver- 
schiedensten Standorten.  Nach  der  Bildung  der  Blütenköpfchen  lassen  sie  sich  leicht  in 
folgende  drei  Gruppen  ordnen: 

1.  Gruppe.  Strahlenblü tige :  Die  röhrenförmigen  Scheiben  bluten  wer- 
den (wie  bei  der  Sonnenrose)  in  der  Regel  von  einem  Kranze  zungenförmiger 
Rand-  oder  Strahlenblüten  umgeben. 

Mit  der  Sonnenrose  haben  zahlreiche  andere  Korbblütler  Einzug  in  unsere  Gärten 
gehalten.  Von  diesen  seien  nur  die  beiden  wichtigsten,  die  Garten  -  Aster  (Aster 
chinensis)  aus  China  und  die  Georgine  (Dählia  variäbilis)  aus  Mexico,  genannt.  Gärt- 
nerische Kunst  hat  aus  ihnen  eine  unabsehbare  Anzahl  von  Spielarten  gezüchtet  (s.  S.  19), 
die  hinsichtlich  der  gesamten  Gestalt  (z.  B.  „Zwergastern"),  sowie  der  Größe,  Farbe 
und  Form  der  Blütenköpfe  n.  dgl.  oft  beträchtlich  voneinander  abweichen.  Wie  man 
an  den  wildwachsenden  Asterarten  unserer  Heimat,  sowie  an  „ einfachen"  Georginen 
sehen  kann,  haben  die  Köpfchen  dieser  Pflanzen  wie  die  der  Sonnenrose  ursprünglich 
auch  nur  einen  Kranz  von  Zungenblüten.  Gelegentlich  zeigen  sich  aber  auch  einige 
oder  mehrere  Röhrenblüten  der  Scheibe  zungenförmig  umgestaltet.  Da  dem  Menschen 
solche  Blütenköpfe  besonders  gefielen,  suchte  er  zur  Fortzucht  stets  nur  die  Pflanzen  aus. 
bei  denen  solche  regelwidrigen  (abnormen)  Blütenbildungen  besonders  ausgeprägt  waren : 
auf  diese  Weise  sind  im  Laufe  der  Zeit  die  Formen  mit  „gefüllten  Blüten"  ent- 
standen, die  heute  fast  allgemein  angepflanzt  werden. 

Wie  schnell  eine  solche  „Veredlung"  erfolgen  kann,  zeigt  deutlich  eine  allbekannte 
Wiesenpflanze,  das  freundliche  Gänseblümchen  oder  Maßliebchen  (Bellis  perennis). 
Man  braucht  es  nur  in  gute  Gartenerde  zu  pflanzen,  so  tritt  auch  alsbald  eine  Ver- 
mehrung der  Strahlenblüten  ein,  und  es  entsteht  das  bekannte,  weiß-  oder  rotblühende 
Tausendschönchen.  Die  wildwachsende  Pflanze  blüht  fast  das  ganze  Jahr  hindurch. 
Die  Köpfchen,  die  sich  auf  mehr  oder  weniger  langen  Stielen  über  die  zierlichen  Blattrosetten 
erheben,  schließen  sich  abends  nicht  nnr  wie  die  des  Löwenzahns,  sondern  werden  meist 
anch  nickend.  —  In  der  Gesellschaft  des  Gänseblümchens  (Standort!)  findet  sich  vielfach 
die  weiße  Waoherblame  (Chrysanthemum  leueanthemum)  mit  ganz  ähnlichen,  nur  weil 
größeren  Blütenköpfchen  (erkläre  den  Namen!).  Eine  in  Ostasien  heimische  nahe  Verwandte 


184 


49.  Familie.     Korbblütler. 


der  Wucherblume  ist  die  Stammutter  der  zahlreichen  Winterastern  (Chrysanthemum- 
Formen),  die  in  immer  größerer  Blütenpracht  von  den  Gärtnern  gezogen  werden.  Aus  den 
Blütenköpfen  anderer  nahe  verwandter  Arten  bereitet  man  in  Persien,  den  Kaukasusländern 
und  Dalmatien  das  bekannte  Insektenpulver.  —  Einen  prächtigen  Schmuck  der  Gebirgs- 
wiesen  bilden  die  großen,  gelben  Blütenstände  des  Wohlverleih  oder  der  Arnica 
(Arnica  montäna).  Die  stark  gewürzhaft  riechenden  Wurzeln  und  Blüten  (Schutz  gegen 
Weidetiere!)  standen  früher  in  der  Heilkunde  in  hohem  Ansehen.  —  Sehr  kleine, 
weiße  Blütenköpfe  besitzt  die  Schafgarbe  (Achillea  millefölium).  Da  sie  aber  zu 
ansehnlichen  Trugdolden  gehäuft  sind,  werden  sie  doch  weithin  sichtbar.  Die  Pflanze 
wächst  außer  auf  trockenen  Wiesen,  besonders  an  Wegen  und  ähnlichen  Stellen.  Dem- 
entsprechend besitzt  sie  auch  wie  zahlreiche  andere  Gewächse  dieser  Örtlichkeiten  (Be- 
weis !)  sehr  tiefgehende  unterirdische  Teile  (Wurzelstock  und  Wurzeln),  überaus  zähe 
Stengel  und  vielfach  zerteilte  Blattflächen.  —  Ähnliche  Verhältnisse  finden  wir  beim 
Rainfarn  (Tanacetum  vulgäre)  wieder,  der  den  Namen  von  seinem  Lieblingsstandorte, 
dem  Ackerraine,  und  den  farn wedelartigen  Blättern  hat.  Die  gelben  Blütenköpfe  be- 
sitzen keine  Strahlenblüten. 

An  feuchten  Stellen,  in  Gräben,  an  Teichrändern  u.  dgl.,  wächst  überall  häufig 
der  Sumpf-Zweizahn  (Bidens  tripartjtus).  Bei  ihm  verwandeln  sich  die  2 — 4  Kelch- 
blätter zu  starren  Fortsätzen  der  Frucht  (Name!).  Da  diese  Gebilde  mit  zahlreichen 
Widerhäkchen  besetzt  sind,  bleiben  die  Früchte  („Bettlerläuse")  im  Fell  oder  Gefieder 
vorbeistreifender  Tiere  oder  in  den  Kleidern  des  Menschen 
hängen  und  werden  auf  diese  Weise  oft  weit  verschleppt 
(Bedeutung?).  —  An  Grabenrändern,  auf  feuchten  Äckern 
und  an  ähnlichen  Orten  entfaltet  als  eine  der  ersten 
Frühlingspflanzen  der  Huflattich  (Tussilägo  färfara)  seine 
gelben  Blütenkörbe,  die  sich  mit  Beginn  des  Abends 
schließen  und  nickend  werden  (Bedeutung?).  Nach  be- 
endeter Blütezeit  streckt  sich  der  von  schuppigen  Blät- 
tern besetzte  Blütenschaft  stark  in  die  Länge.  Infolge- 
dessen wird  der  Fruchtstand  über  die  Pflanzen  der  Um- 
gebung, die  mit  emporgeschossen  sind,  gehoben,  so  daß  der 
Wind  die  mit  Haarkronen  ausgerüsteten  Früchte  zu  ver- 
breiten vermag.  Erst  nachdem  dies  geschehen  ist,  wachsen 
die  unterseits  weißfilzigen  Blätter  heran  (s.  Salweide). 
Da  sie  von  außerordentlicher  Größe  sind,  würden  sie  die 
Blütenköpfe  verdecken,  die  sich  darum  eben  vor  ihnen 
entwickeln.  Den  Baustoff  liefern  die  mächtigen  Wurzelstöcke,  die  sich  weit  im  Boden 
ausbreiten.  Der  willkommene  Lenzbote  wird  dadurch  freilich  für  den  Landmann  ein 
lästiges  Unkraut. 

Von  den  bekanntesten  Ackerunkräutern  dieser  Gruppe,  die  aber  auch  an 
trockenen  Stellen  (an  Wegen,  auf  Rainen,  auf  Schutthaufen  u.  dgl.)  wachsen,  wären 
weiter  folgende  Arten  zu  nennen;  die  echte  Kamille  (Matricäria  chamomilla),  deren 
Blüten  in  der  Heilkunde  mannigfache  Verwendung  finden.  Durch  den  starken  Duft,  die 
herabgeschlagenen  Randblüten  und  den  kegelförmigen,  hohlen  Blütenboden  ist  die  Pflanze 
leicht  von  der  falschen  Kamille  (M.  inodöra)  zu  unterscheiden,  die  geruchlos  ist  und 
einen  halbkugeligen,  nicht  hohlen  Blütenboden  hat.  —  Zwei  andere  sehr  häufige  Un- 
kräuter sind  das  gemeine  und  das  Frühlings-Kreuzkraut  (Senecio  vulgaris  und  vernälis). 


Früchte  vom  Sumpf- 
Zweizahn  (etwa  12  mal 

vergr.) 


Andere  Korbblütler. 

Die  erstere  Art  ist  eine  beliebte  Nahrung  der 
Stubenvögel  und  hat  kleine  Blütenkopfe,  denen  die 
Strahlenbliiten  fehlen.  Die  andere  Form  dagegen 
besitzt  große,  gelbe,  strahlende  Köpfe ;  sie  ist  aus 
Osteuropa  zu  uns  gekommen  und  verbreitet  sich 
außerordentlich  schnell  (zahlreiche  Früchte  mit 
wohlausgebildeter  Haarkrone!)  immer  weiter  nach 
Westen.  —  Etwas  Ähnliches  gilt  von  dem  kana- 
dischen Berufskraute  (Erigeron  canadönsis),  das 
—  wie  der  Artname  angibt  —  aus  Kanada  stammt 
und  sich  bei  uns  besonders  an  unbebauten  Stellen 
oft  in  großen  Beständen  findet. 

Viele  andere  Formen   sind   ausgeprägte  Ü  d  - 
1  and  pflanzen.       Als     solche    wären   zuerst   die 
zahlreichen    Beit'ugarten    (Artemisia)    zu    nennen, 
von  denen  der  gemeine  B.  (A.  vulgaris)  an  unbe- 
bauten Stellen  am  häufigsten  anzutreffen  ist.    Dem 
Standorte    entsprechend   (vgl.    mit    Steinnelke    und 
Königskerze)   hat    die   meterhohe,    sparrige  Pflanze 
kleine,    tiefgeteilte    und    auf    der    Unterseite    weiß- 
filzige Blätter.      Die    zahlreichen    winzigen   Blüten- 
köpfchen sind  ganz   unscheinbar.     Da  die  Blütchen 
zudem  honiglos  sind,  so  werden  sie  kaum  einmal  von 
einem  Insekt  besucht.     Sie   sind  daher  auf  die  Be- 
stäubung durch  den  Wind  angewiesen,  der  den  trocke- 
nen Blütenstaub  verweht:  daher  die  große  Überein- 
stimmung mit  anderen  windblütigen  Pflanzen  (s.  z  B. 
Haselnuß)    auch   in    Punkten,   die    hier    unerwähnt 
geblieben    sind    (Beweis!).      Die    blühenden    Zweige 
werden  vielfach  als  Küchengewürz  benutzt.  —  Ein 
feineres  Gewürz  liefert  der  ganz  ähnliche  Estragon 
(A.  dracünculus),    der   aus   Südrußland    stammt.  — 
Der    Wermut    (A.    absinthium)    dagegen,     der    an 
unbebauten  Orten    wächst,    bei    uns  aber   wohl  nur 
verwildert  ist,  enthält  einen  sehr  scharfen  Bitterstoff 
(der   sprichwörtlich  gewordene    „Wermuttropfen" !). 
Die  Pflanze    findet    daher    in   der    Heilkunde,    aber 
auch  als  Zusatz  zu  Wein  und  Branntwein  vielfache 
Verwendung.  —  Ein  dichtes,  weißes  Haarkleid,  das 
Blätter  und  Stengel  überzieht,  erlaubt  der  niedlichen 
Sand-Strohblume  (Helichrysum   arenarium)  selbst 
auf  ödestem  Sandboden  zu  wachsen  und  in  der  Hitze 
des  Hochsommers  zu  blühen.     Obgleich  die  Einzel- 
blüten ganz  unscheinbar  sind,  werden  sie  im  Gegen- 
satz zu  denen  des  Beifuß  nicht  vom  Winde  bestäubt. 
Die  Aufgabe,    die  Insekten    anzulocken,    übernimmt 
hier    der    Hüllkelch ,    dessen    zahlreiche    Blättchen 
meist  zitronengelb  gefärbt  sind.  Und  die  Auffälligkeit 


185 


Zweig  des  gem.  Beifuß.  (Nat.  Gr.) 


186 


Taf.  26.     49.  Familie.     Korbblütler. 


ist  umso  größer,  als  die  kleinen  Köpfchen  dicht  gehäuft  sind.  Da  der  Hüllkelch  strohartig 
trocken  ist  (Name!),  behalten  die  abgeschnittenen  Köpfchen  auch  nach  der  Blütezeit  ihr  Aus- 
sehen („Immerschön"  ;  „Immortelle",  d.  h.  die  Unsterbliche).  Deshalb  verwendet  man  die 
zierliche  Pflanze  auch  gern  zu  Kränzen.  Dasselbe  gilt  von  mehreren  ausländischen 
Strohblumen-Arten  unserer  Gärten.  —  Abgesehen  von  zahlreichen  anderen  filzig-behaarten 
Korbblütlern  unserer  Fluren,  sei  hier  nur  noch  des  herrlichen  Edelweig  (Gnaphälium 
leontopodium)  gedacht,  das  jeder  rüstige  Alpenwanderer  zu  pflücken 
bestrebt  ist.  Es  findet  sich  auf  Triften  und  schmalen,  oft  nur 
handbreiten  Felsvorsprüngen  meist  dicht  unter  der  Grenze  des  ewigen 
Schnees,  also  an  Stellen,  die  häufig  von  Winden  umbraust  und  von 
den  Strahlen  der  Sommersonne  außerordentlich 
stark  erwärmt  werden.  Obgleich  das  Pflänzchen 
oft  nur  in  einer  „Hand  voll"  Erde  wurzelt,  die 
durch  Verdunstung  bald  alles  Wasser  verliert, 
vermag  es  hier  doch  zu  gedeihen :  das  dichte, 
dicke  Haarkleid  —  die  Blüten  sind  wie  aus 
Filz  geschnitten !  —  ist  ihm  ein  wirksames 
Schutzmittel.  In  das  Tal  oder  die  Ebene  ver- 
pflanzt, verliert  das  Edelweiß  die  weiche,  zarte 
Behaarung  (Name!)  fast  gänzlich  (Bedeutung?). 
Obgleich  die  kleinen  Köpfchen  doldenartig  ge- 
häuft sind  (s.  Schafgarbe),  er- 
langen sie  die  notwendige  Auf- 
fälligkeit (Insekten!)  doch  erst 
dadurch,  daß  sie  von  einem  Kranze 
weißwolliger  Blätter  umgeben  wer- 
den :  das  Ganze  bildet  die  sog. 
„Blüte"  des  Edelweiß. 

2.  Gruppe.   Röhrenblütige. 

Köpfchen  bestehen  nur  aus 
Röhrenblüten. 

Obgleich  die  Kornblume 
(Centaurea  cyanus  —  Taf.  26.) 
nur  ein  gemeines  Ackerun- 
kraut ist,  hat  sie  doch  die 
größte  Zuneigung  des  Menschen 
gefunden;  denn  gar  zu  herrlich 
leuchten  ihre  prächtig  blauen 
Blütenköpfe  zwischen  den  rei- 
fenden Halmen  des 
wogenden  Kornfeldes 
hervor.      Sie    darf  in  , 

keinem  „Feldblumen- 
strauße" fehlen,  und 
wenn  die  Schnitter  die 
goldenen    Ähren    zum  Edelweiß  (etwas  verkl.). 


<fe 


Schmeil.   Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  26. 


Kornblume  (Centaurea  cyanus). 


Andere  Korbblütler.  187 

Erntekränze  winden,  flechten  sie  anch  „blaue  Cyanen"  mit  ein  (cyaneus  = 
dunkeblau).  Da  die  freundliche  Pflanze  vorwiegend  trockene  Felder  bewohnt, 
besitzt  sie  auch  nur  kleine  Blattflächen  (1.),  die  mehr  oder  weniger  dicht  be- 
haart sind:  zwei  Eigenschaften,  in  denen  wir  schon  mehrfach  Schutzmittel 
gegen  zu  starke  Verdunstung  des  aufgenommenen  Wassers  kennen  gelernt  haben 
(Beweis!).  An  den  jungen  Teilen,  die  vor  allen  Dingen  eines  solchen  Schutzes 
bedürfen,  tritt  die  Behaarung  daher  auch  stets  besonders  stark  auf.  Obgleich 
die  Blütenköpfe  nur  aus  Röhrenblüten  zusammengesetzt  sind  (2.),  macht  sich 
zwischen  letzteren  doch  derselbe  Unterschied  geltend  wie  zwischen  den  Blüten 
der  Sonnenrose.  Die  Randblüten  sind  nämlich  wie  bei  dieser  Pflanze  un- 
fruchtbar und  gleichfalls  in  den  Dienst  der  Insektenanlockung  getreten.  Und 
diese  Aufgabe  können  sie  umso  vollkommener  erfüllen,  als  ihre  Blütenröhre  im 
Endteile  stark  erweitert  und  nach  außen  gebogen  ist  (3).  Mit  der  hierdurch  ein- 
getretenen Vergrößerung  der  Blütenfläche  hängt  es  auch  zusammen,  daß  die 
Röhren  der  Scheibenblüten  umso  mehr  gebogen  sind,  je  näher  sie  dem  Rande 
stehen.  Die  Bestäubung,  die  dem  übereinstimmenden  Blütenbau  entsprechend 
genau  wie  bei  den  anderen  Korbblütlern  erfolgt,  zeigt  eine  interessante  Be- 
sonderheit: Führen  wir  in  eine  junge  Scheibenblüte  (4.)  ein  zugespitztes  Hölzchen 
oder  dgl.  ein,  und  berühren  wir  dabei  einen  der  im  Wege  stehenden  Staubfäden,  so 
quillt  aus  der  Staubbeutelröhre  alsbald  weißer  Blütenstaub  hervor.  Infolge  der 
Berührung  verkürzen  sich  nämlich  die  reizbaren  Staubfäden  sofort,  so  daß  die 
Staubbeutelröhre  herabgezogen  und  der  in  ihr  lagernde  Blütenstaub  durch  den  Griffel 
hervorgedrängt  wird  (6.).  Dasselbe  erfolgt  natürlich  auch,  wenn  die  Staubfäden  von 
einem  Insektenrüssel  berührt  werden.  Bis  zu  diesem  Augenblicke  lag  der  Blüten- 
staub wohl  geschützt  in  der  Staubbeutelröhre  (5.);  sobald  er  aber  hervortritt,  wird 
er  auch  schon  von  dem  saugenden  Insekt  mit  der  Unterseite  abgestreift  (vgl.  den 
saugenden  Falter!).  Erst  später  spreizen  die  Narben  auseinander,  unter  denen  ein 
Kranz  von  „Fegeliaaren"  sichtbar  ist  (7.).  Die  Früchte  tragen  eine  aus  kurzen 
Haaren  bestehende  Krone  (8.),  die  für  die  Verbreitung  der  Pflanze  nur  wenig  in 
Betracht  kommt.  —  In  ähnlicher  Weise  erfolgt  die  Bestäubung  auch  bei  der  nächsten 
Verwandten  der  Kornblume,  der  rotblühenden  Wiesen  -  Flockenblume 
(C.  jacea).  Je  nachdem  sich  die  Pflanze  auf  feuchteren  Wiesen  oder  an  dürren  Berg- 
lehnen und  ähnlichen  Orten  findet,  hat  sie  große,  breite  und  ziemlich  wagerecht 
gestellte,  oder  schmale,  mehr  aufgerichtete  Blätter  (vgl.  mit  Stachel-Lattich)  von  fast 
grauer  Farbe  (Bedeutung V).  —  Die  Blütenköpfe  der  Disteln  (Carduus)  und  Kratz- 
disteln (Cirsium)  enthalten  gleichfalls  nur  Röhrenhlüten,  die  aber  nicht  in  Frucht-  und 
Lockblüten  getrennt  sind.  Beide  nahe  verwandte  Gattungen  lassen  sich  leicht  durch 
die  Haarkrone  voneinander  unterscheiden :  bei  den  Disteln  sind  die  Haare  borsten- 
fürniig,  bei  den  Kratzdisteln  dagegen  gefiedert.  Bei  allen  sind  sowohl  die  Spitzen  der 
Blattzipfel,  als  auch  die  an  den  Stengeln  herablaufenden  Blattteile  und  die  Blätter  des 
Hüllkelchs  in  lange,  starre  Stacheln  ausgezogen,  welche  die  Pflanzen  gegen  die  Angriffe 
der  Tiere  schützen.  Von  den  Disteln  sei  nur  die  nickende  1).  (('.  nutans)  genannt, 
die  auf  Triften,  an  Wegen  und  ähnlichen  Orten  im  Herbst  und  Winter  ihre  regel- 
mäßigen Blattrosetten  ausbreitet.     Im  Frühjahre  streckt  sich  der  Stengel  bis  zu  Meter- 


188  49.  Familie.     Korbblütler. 

höhe  empor  und  trägt  zahlreiche  große,  duftende  und  nickende  Blütenköpfe.  Als  die 
gemeinste  Art  der  Kratzdisteln  ist  die  Acker-K.  (C.  arvense)  zu  nennen,  die  auf  Feldern 
ein  sehr  lästiges  Unkraut  bildet.  —  Distelartige  Blütenköpfe,  aber  unbestachelte  Blätter 
besitzen  die  Kletten  (Lappa),  die  an  "Wegen  und  auf  wüsten  Plätzen  wachsen.  Da  die 
Blätter  des  Hüllkelchs  in  je  eine  hakenförmig  gebogene  Spitze  endigen,  bleiben  die  Blüten- 
stände leicht  in  dem  Haarkleide  vorbeistreifender  Tiere  hängen  (Verbreitung  der  Früchte!). 
3.  Gruppe.  Zungenblütige.  Köpfchen  bestehen  (wie  beim  Löwenzahn 
nur  aus  Zungen  bluten. 

Die  Glieder  dieser  Gruppe  lassen  sich  zumeist  nur  schwer  voneinander  unter- 
scheiden. Sie  haben  in  der  Regel  gelbe  Blüten  und  in  allen  Teilen  einen  weißen  Milch- 
saft (s.  Wolfsmilch).  Hinsichtlich  des  erstgenannten  Merkmals  macht  von  allen  hier  er- 
wähnten Arten  allein  die  Zichorie  (Cichorium  intybus)  eine  Ausnahme.  Ihrem  Stand- 
orte, den  wasserarmen  Wegrändern  entsprechend  („Wegwarte"),  besitzt  sie  wie  der 
Löwenzahn  eine  tiefgehende  Pfahlwurzel,  und  ihre  Blätter  sind  wie  bei  jener  Pflanze 
je  nach  dem  Boden,  auf  dem  sie  wächst,  mehr  oder  weniger  tief  eingeschnitten.  Im 
zweiten  Jahre  baut  sich  aus  den  Vorratsstoffen  der  fleischigen  Wurzel  (vgl.  mit  Möhre)  ein 
hoher,  sparriger  Stengel  auf,  dessen  Blätter  nach  oben  immer  kleiner  werden.  Die 
großen,  blauen  Blütenköpfe  schließen  sich  je  nach  Blütezeit  (Sommer  oder  Herbst)  und 
Witterung  früher  oder  später  am  Tage  (wann  durchschnittlich  in  deiner  Heimat?). 
Da  die  fleischigen  AVurzeln  (schneide  eine  solche  in  kleine  Stücke ;  röste  und  zer- 
stoße sie  sodann!)  einen  vielbenutzten  Kaffee -„Ersatz"  liefern,  wird  die  veredelte 
Pflanze  in  manchen  Gegenden  im  Großen  angebaut.  —  Die  nächste  Verwandte  der  Zichorie, 
die  aus  den  Mittelmeerländern  stammende  Endivie  (C.  endivia),  wird  bei  uns  als  Salat- 
pflanze angebaut.  —  Sie  wird  an  Bedeutung  aber  weit  von  dem  Garten-Salat  (Lactüca 
sativa)  übertroffen.  Er  hat  gleichfalls  im  Mittelmeergebiete  seine  Heimat  und  wird  wie 
mehrere  Kohlarten  zumeist  in  „Kopfform"  gezogen  (Bedeutung?).  —  Eine  unscheinbare, 
aber  überaus  merkwürdige  Pflanze  ist  der  Stachel-Lattich  (L.  scariola),  der  an  un- 
bebauten Orten  zumeist  häufig  anzutreffen  ist.  Ist  sein  Standort  schattig  und  feucht, 
so  streckt  er  die  stacheligen,  schrotsägeförmigen  Blätter  wie  andere  Pflanzen  nach  allen 
Seiten.  Steht  er  aber  an  sehr  sonnigen  und  trockenen  Stellen,  so  hat  er  ein  ganz  ver- 
ändertes Aussehen :  die  Blätter  sind  nicht  nur  alle  senkrecht  gerichtet,  sondern  haben 
sich  auch  so  gedreht,  daß  sie  die  Breitseiten  nach  Osten  und  Westen,  die  Kanten  da- 
gegen nach  Süden  und  Norden  richten.  An  dem  Lattich  kann  man  daher  —  die  Himmels- 
gegenden ablesen,  so  daß  man  ihn  mit  Recht  als  eine  „Kom  p  aß  pf  1  a  n  ze"  bezeichnet. 
(„Anklänge"  an  diese  Blattstellung  sind  nicht  selten  auch  beim  Garten-Salat  zu  beobachten.) 
Welche  Bedeutung  hat  nun  diese  sonderbare  Erscheinung?  Die  senkrechte  Stellung  der 
Blätter  haben  wir  bereits  (s.  S.  44)  als  ein  Schutzmittel  gegen  starke  Erwärmung  und 
hohe  Wasserdampfabgabe  kennen  gelernt.  Und  die  Richtung  der  Blätter  nach  den 
Himmelsgegenden  läuft  auf  dasselbe  hinaus :  morgens  und  abends  werden  die  Blattflächen 
von  den  Sonnenstrahlen  senkrecht  getroffen;  da  es  zu  diesen  Zeiten  aber  verhältnis- 
mäßig kühl  ist,  so  werden  sie  weder  stark  erwärmt,  noch  übermäßig  zur  Verdunstung 
angeregt.  Am  heißen  Mittag  dagegen  wirken  die  Sonnenstrahlen  viel  kräftiger:  dann 
aber  bietet  ihnen  die  Pflanze  nur  die  Schmalseite  dar,  so  daß  Erwärmung  und  Ver- 
dunstung gleichfalls  nur  gering  sein  können.  Die  eigentümliche  Blattstellung  ist  also 
ein  Schutzmittel  gegen  das  Vertrocknen  und  tritt  darum  auch  nur  dann  auf,  wenn  die 
Pflanze  dieser  Gefahr  ausgesetzt  ist,  nämlich  wenn  sie  —  wie  oben  erwähnt  —  auf 
trockenem,  schattenlosem  Boden  im  heißen  Sonnenbrande  wächst.  (Beachte  hiernach 
auch  die  senkrecht  an  den  Stengeln  herablaufenden  Blattteile  der  Disteln  I) 


Andere  Korbblütler. 


189 


Von  den  zahlreichen,  schwer  unter- 
scheidbaren Arten  der  Gattung  Ha- 
bichtskraut (Hieracium)  sei  nur  das 
gemeine  H.  (H.  pilosella)  kurz  be- 
rücksichtigt. Das  zierliche  Pflänzchen, 
d.is  nach  allen  Seiten  lange  Ausläufer 
aussendet  (Vermehrung!),  ist  auf  Sand- 
boden und  trockenen  Grasplätzen  über- 
all häufig  anzutreffen.  Aus  einer  grund- 
ständigen Blattrosette  erhebt  sich  auf 
langem  Stiele  das  gelbe  Blütenköpfchen, 
das  sich  mit  Anbruch  des  Abends,  sowie 
bei  schlechtem  Wetter  schließt.  Wenn 
es  längere  Zeit  nicht  geregnet  hat,  zeigt 
die  Pflanze  eine  merkwürdige  Verände- 
rung: Die  Blätter  haben  die  mit  einem 
Filzüberzuge  versehene  Unterseite  dem 
Lichte  zugewendet,  so  daß  sie  jetzt 
gleichsam  wie  von  einem  Sonnenschirme 
bedeckt  und  somit  gegen  zu  starke  Be- 
sonnung, zu  hohe  Erwärmung  und  töd- 
lichen Wasserdampfverlust  geschützt 
sind.  (Warum  hat  bei  großer  Trocken- 
heit z.  B.  die  Sand-Strohblume  eine 
Wendung  der  Blattflächen  nicht  nötig?). 
—  Eine  prächtige  Pflanze  unserer 
Wiesen  ist  der  Wiesen  -  Bocksbart 
(Tragöpogon  pratensis) ,  der  seine 
großen,  leuchtenden  Blütenköpfe  be- 
reits in  den  letzten  Vormittagsstunden 
wieder  schließt.  Die  Strahlen  der  rad- 
förmigen  Federkrone  sind  durch  Fieder- 
härchen untereinander  verbunden.  Auf 
diese  Weise  finden  die  verhältnismäßig 
großen  Früchte  auch  einen  größeren 
Luftwiderstand  als  z  B.  die  des  Löwen- 
zahns (Bedeutung?). —  Eine  dem  Bocks- 
bart in  allen  Stücken  ähnliche  Pflanze 
ist  die  Schwarzwurzel  (Scorzonera 
liispäniea).  Sie  ist  aus  dem  Mittelmeer- 
gebiete zu  uns  gekommen  und  wird  ihrer 
schmackhaften  Wurzeln  wegen  vielfach 
als  Gemüse  gebaut.  — Mit  der  Erwähnung 
eines  allbekannten  Ackerunkrautes,  der 
Acker-Giinsedistel  (Sonchus  arven- 
sis),  sollen  endlich  die  Korbblütler,  von 
denen  hier  nur  wenige  kurz  betrachtet 
werden    konnten,   abgeschlossen   sein. 


Stachel-Lattich,  der  auf  trockenem,  stark  be- 
sonntem Boden  gewachsen  ist.  1.  von  Süden  oder 
Norden  gesehen;  2.  dieselbe  Pflanze,  von  Osten  oder 
Westen  gesehen.  (Kleines  Expl. in  etwaJrj  nat.Gr.). 


3.  Unterklasse,     lil  innen  blattlose  Pflanzen  (ApetalaeJ. 

Pflanzen  mit  einfacher  oder  fehlender  Blutenhülle. 

50.  Familie.     Beeherfrüehtler  (Cupuliferae). 

Staubblüten  in  Kätzchen,  ohne  oder  mit  Blütenhülle.  Stempelblüten  einzeln  oder  in 
geringer  Anzahl  beisammen  (nicht  in  Kätzchen).  Frucht  eine  Nuß  in  einer  Becherhülle. 
(Diese  Familie    bildet    mit    den    3    folgenden  Familien    die  Gruppe    Kätzchenblütler.) 

Der  Haselnußstrauch  (Cörylus  avelläna).     Taf.  27. 

A.  Der  Haselnußstrauch  und  der  Mensch.  Der  Haselnußstrauch  war 
bei  den  alten  Germanen  dem  Donar  geweiht,  und  noch  lange  Zeit,  nachdem  das 
Christentum  in  den  deutschen  Gauen  siegreichen  Einzug  gehalten  hatte,  schrieb 
man  ihm  Zauber-  und  Wunderkräfte  zu.  Vor  allen  Dingen  schnitt  man  aus 
seinen  Zweigen  das  „unentbehrliche"  Werkzeug  der  »Schatzgräber,  die  Wünschel- 
rute. Mit  ihrer  Hilfe  meinte  man  unterirdische  Schätze  lieben,  Quellen  auf- 
linden, Hexen  und  Diebe  „bannen"  zu  können  u.  dgl.  mehr. 

Obgleich  heutzutage  dieser  Aberglaube  zumeist  wohl  verschwunden  ist, 
so  verknüpfen  uns  doch  noch  mancherlei  Beziehungen  mit  dem  unscheinbaren 
Strauche  draußen  im  Walde:  Wenn  im  Februar  und  März  die  „Hasel  wieder 
stäubt",  so  erfüllt  Frühlingshoffen  unsere  Brust: 

Mit  Eis  bedeckt  ist  noch  der  See, 

Noch  herrscht  im   Walde  Winters  Schweigen, 

Sieh,  da  fällt  Goldstaub  auf  den  Schnee 

Von  der  blühenden  Hasel  Zweigen. 
Im  Herbste  schallt  der  Wald  wieder  von  den  Stimmen  Haselnüsse  suchender 
Kinder  und  im  Winter  von  dem  Axtschlag  des  Holzhauers ;  denn  wie  die  süßen 
Nüsse  als  schmackhaftes  Obst  gelten,  so  werden  die  biegsamen  und  zähen  Zweige 
des  Strauches  vom  Korbmacher  und  Böttcher  wohl  geschätzt.  Verfolgen  wir 
die  Pflanze  ein  Jahr  ihres  Lebens  hindurch! 

B.  Der  Haselnußstrauch  im  Yorfrühlinge.  1.  Staubblüten.  An 
den  braunen  Zweigen  des  Strauches  (1.)  finden  wir  bereits  seit  dem  Herbste  des 
Vorjahres  Knospen,  wie  sie  auch  andere  Holzgewächse  besitzen,  und  lang- 
gestreckte Gebilde,  die  man  bekanntlich  „Kätzchen"  nennt  (warum  wohl? 
„Kätzchenblütler").  Sobald  die  höhersteigende  Sonne  die  Erde  etwas  mehr 
erwärmt,  und  an  einigen  Tagen  wieder  lindere  Lüfte  wehen,  erwachen  die  Kätzchen, 
die  bis  jetzt  starr  und  steif  nach  allen  Seiten  von  den  Zweigen  abstanden,  aus 
dem  Winterschlafe:  das  dünne,  stengelartige  Gebilde,  von  dem  sie  der  Länge 
nach  durchzogen  werden,  die  „Achse",  beginnt  sich  zu  strecken;  infolgedessen 
nehmen  sie  stark  an  Länge  zu,  werden  weich  und  biegsam,  so  daß  sie  bald 
wie  schwankende  Troddeln  herabhängen  (2.).    Reißt  man  ein  Kätzchen  quer  durch, 


Schm eil,   Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  27. 


W/Y<°u6<*ct), 


Haselnußstrauch  (Corylus  avellana) 


Haselnußstrauch.  191 

so  sieht  man,  wie  von  der  Achse  nach  allen  Seiten  Blättchen  ausstrahlen  (3.).  Auf 
der  Unterseite  jeder  dieser  .,Kätzchenschuppen"  (4.)  finden  sich  noch  2  mit 
ihnen  verwachsene,  sehr  zarte  Blättchen  und  unter  diesen  8  Staubblätter. 
(Richtiger  gesagt  sind  nur  4  Staubblätter  vorhanden,  die  aber  bis  zum  Grunde 
geteilt  und  deren  Hälften  auseinander  gerückt  sind.  Dies  erkennt  man  daraus, 
daß  erstlich  jeder  Staubbeutel  nur  ein  Fach  besitzt,  während  sonst  deren  stets 
'2  vorkommen,  und  daß  zweitens  bei  nahe  verwandten  Arten  die  Teilung  noch 
deutlich  zu  sehen  ist.  Vgl.  daraufhin  z.  B.  Weißbuche  und  Birke!).  Da 
sich  Staubblätter  stets  nur  in  Blüten  linden,  so  haben  wir  es  hier  also 
gleichfalls  mit  solchen  zu  tun.  Es  fehlen  ihnen  freilich  Kelch  und  Blumen- 
blätter. Auch  von  einem  Stempel  ist  keine  Spur  zu  finden.  In  den  Hasel- 
nuß kätzchen  haben  wir  also  Blütenstände  vor  uns,  die  aus  zahl- 
reichen, „nackten"  Staubblüten  zusammengesetzt  sind. 

2.  Stempel  bluten.  Hier  und  da  sieht  man  Knospen,  die  etwas  mehr 
angeschwollen  sind  als  die  anderen,  und  aus  deren  Spitzen  mehrere  purpurrote 
Fädchen  hervorragen  (5.).  Beseitigt  man  die  Knospenschuppen,  so  findet  man  neben 
gewöhnlichen  jungen  Blättern  (s.  Absch.  C,  1)  in  der  Mitte  einige  schuppenartige 
Blätter  und  an  deren  Grunde  je  2  Gebilde,  in  denen  wir  leicht  ebensoviele 
Stempel  erkennen  (6.).  Jeder  von  ihnen  besteht  aus  einem  kugeligen  Frucht- 
knoten, der  von  einer  kleinen,  aus  3  grünen  Blättchen  gebildeten,  zerschlis- 
senen Hülle  umgeben  ist  und  2  jener  purpurroten  Fädchen  trägt,  in  denen 
wir  also  die  Narben  vor  uns  haben.  Am  oberen  Teile  des  Fruchtknotens  findet 
sich  ein  winziger,  gezähnelter  Rand,  d.  i.  der  ..Überrest"  der  Blutenhülle. 
Jeder  Stempel  stellt  also  eine  Blüte  mit  stark  verkümmerter 
Blütenhülle  dar. 

3.  Bestäubung.  Beim  Haselnußstrauch  sind  also  Staubblätter  und 
Stempel  in  verschiedene  Blüten  verteilt,  die  sich  wie  beim  Kürbis  (s.  das.)  auf 
derselben  Pflanze  finden.  Wir  haben  es  hier  also  wie  in  diesem  mit  einer  sog. 
einhäusigen  Pflanze  zu  tun.  Da  bei  einer  solchen  Selbstbestäubung  niemals 
stattfinden  kann,  so  müssen  wir  uns  fragen:  wer  besorgt  beim  Haselnußstrauche 
die  Übertragung  des  Blütenstaubes  zur  Narbe?  Insekten  wie  beim  Kürbis 
können  es  nicht  sein;  denn  wenn  an  einem  sonnigen  Tage  auch  wirklich  einmal 
eine  Blütenstaub  naschende  Biene  auf  einem  Kätzchen  anzutreffen  ist:  das  Heer 
der  Insekten  liegt  zu  dieser  Zeit  noch  in  tiefem  Winterschlafe! 

Den  wirklichen  Überträger  des  Blütenstaubes  erkennen  wir  leicht,  wenn 
wir  den  blühenden  Haselnußstrauch  an  einem  sonnigen,  aber  etwas  windigen 
Tage  besuchen.  Dann  sehen  wir,  wie  der  Wind  die  Aste  und  „reifen"  Kätzchen 
schüttelt,  wie  aus  den  Kätzchen  kleine  Wolken  gelben  Blütenstaubes  hervor- 
gehen (2.  u.  3.),  wie  der  Staub  verweht  wird  und  sich  nach  einiger  Zeit  auf 
den  Erdboden,  auf  Äste,  Zweige  und  andere  Gegenstände  herabsenkt.  Dabei 
kann  es  nun  nicht  ausbleiben,  daß  auch  die  Narben  von  einigen  Staubkörnchen 
getroffen  werden.  Der  Vermittler  der  Bestäubung  ist  also  —  der 
AVind,  und  der  Haseln u  li st  ra  ach  demnach  eine  „windblfitige"  Pf'la uze 


192  3.  Unterkl.     Blumenblattlose  Pflanzen.     50.  Familie.     Becherfrüchtler. 

oder  kurz:  ein  Windblütler.  —  Wenn  wir  dies  im  Auge  behalten, 
werden  uns  leicht  zahlreiche  Einzelheiten  im  Blütenbau,  sowie  andere  Verhält- 
nisse klar  werden. 

a)  Da  weder  die  Staub-,  noch  die  Stempelblüten  von  Insekten  besucht 
werden,  so  fehlen  der  Pflanze  auch  alle  die  verschiedenen  Mittel,  deren  sich  die 
Insektenblütler  bedienen,  die  Bestäuber  anzulocken.  Von  diesen  Mitteln  wären 
besonders  zu  nennen  die  leuchtende  Blütenfarbe,  der  Duft  und  der  Honig1,  der 
den  Bestäubern  als  Gegengabe  gereicht  wird.  Die  Blüten  des  Haselnuß- 
strauchs  sind  ganz  unscheinbar,    duft-   und  honiglos. 

b)  Kurz  vor  Beginn  des  Stäubens  streckt  sich  —  wie  wir  oben  gesehen 
haben  —  die  Kätzchenachse  stark  in  die  Länge,  so  daß  die  Schuppen  aus- 
einander rücken  und  das  anfänglich  starre  Kätzchen  außerordentlich 
biegsam  wird.  Dadurch  wird  einerseits  dem  Winde  Zutritt  zu  den  Staubbeuteln 
geschaffen,  und  andererseits  ist  jetzt  schon  ein  leichter  Windhauch  imstande, 
das  wie  eine  Troddel  herabhängende  Kätzchen  in  Schwankungen  zu  versetzen 
und  den  Blütenstaub  herauszuschütteln. 

c)  Die  Kätzchen  sind  umso  leichter  zu  erschüttern,  als  sie  sich  stets  an 
den  Enden  kurzer  Ästchen  finden,  die  wieder  nur  von  dünnen  Zweigen 
abgehen. 

d)  Außerdem  stäubt  der  Haselnußstrauch  zu  einer  Zeit,  in  der  häufig 
Winde  wehen.  Heftige  Winde  oder  gar  Stürme  sind  für  die  Bestäubung 
allerdings  ungünstig ;  denn  sie  entführen  den  Blütenstaub  nur  nach  einer  Rich- 
tung, verhindern  also  eine  Verbreitung  desselben  über  einen  großen  Raum 
und  sind  zudem  vielfach  mit  Regen  verbunden.  Die  Regentropfen  würden  aber 
den  Blütenstaub,  der  durch  Befeuchtung  sehr  leicht  verdirbt,  vernichten  oder 
doch  aus  den  Kätzchen  spülen  und  zur  Erde  führen.  Daher  öffnen  sich  die 
Staubbeutel  bei  kaltem,  regnerischem  Wetter  nicht.  Selbst  die  Kätzchen,  die 
zum  Stäuben  „fertig"  sind,  „warten"  damit,  bis  wieder  mildere  Witterung  eintritt. 

e)  Rieselt  der  Blütenstaub  bei  vollkommener  Windstille  aus  den  Beuteln, 
so  fällt  er  nicht  etwa  zum  Erdboden  herab.  Er  würde  dann  ja  nur  selten  eine 
Narbe  treffen,  in  den  meisten  Fällen  also  verloren  gehen.  Da  die  Kätzchen 
hängende  Stellung  einnehmen,  wird  er  vielmehr  auf  der  Rückseite 
der  wagerecht  stehenden  Kätzchenschuppen  abgelagert  (3.).  Hier 
bleibt  er  liegen,  bis  ihn  ein  Windhauch  „abholt"  und  ausstreut.  (Der  Vorgang 
läßt  sich  leicht  an  Kätzchen  beobachten,  die  man  im  Zimmer  „zum  Auf- 
blühen" bringt.) 

f)  Der  Haselnußstrauch  blüht  in  einer  Zeit,  in  der  er  noch  unbelaubt 
ist.  Im  anderen  Falle  würde  das  Blätterdach  dem  Winde  den  Zutritt  zu  den 
Kätzchen  verwehren  und  die  Narben  verdecken,  also  den  niederfallenden  Blüten- 
staub von  ihnen  abhalten. 

g)  Bei  einzeln  stehenden  Pflanzen  ist  die  Möglichkeit,  durch  den  Blüten- 
staub anderer  Pflanzen  bestäubt  zu  werden,  sehr  gering.  Der  Haselnußstrauch 
kommt  im  Walde  aber  gewöhnlich  in  großen  Beständen  vor. 


Haselnußstrauch.  193 

h)  Wie  oben  erwähnt,  gelangt  der  größte  Teil  des  Blütenstaubes  nicht 
an  den  Ort  seiner  Bestimmung.  Je  mehr  Staub  vorhanden  ist,  desto  größer  ist 
aber  die  Möglichkeit,  daß  er  beim  Niederfallen  eine  Narbe  trifft.  Daher  erzeug! 
der  Haselnußstrauch  auch  eine  viel  größere  Menge  von  Blütenstaub  als 
jede  insektenblütige  Pflanze. 

i)  Während  bei  dieser  der  Blütenstaub  (zumeist)  klebrig  ist  (warum?), 
ist  er  hier  staubartig  trocken,  kann  somit  leicht  verweht  werden. 

k)  Sollen  die  Narben  ein  paar  Staubkörnchen  auffangen,  so  müssen  sie 
gleichfalls  dem  Winde  frei  ausgesetzt  sein.  Sie  durchbrechen  daher  zur  Blüte- 
zeit die  Knospenspitze.  Der  Fruchtknoten  dagegen  kann  ruhig  im  Schutze 
der  Knospe  verbleiben.  Und  dies  ist  umso  wichtiger,  als  die  Pflanze  ja  in  dem 
unbeständigen  Vorfruhlinge  mit  seinen  oft  noch  recht  kalten  und  regnerischen 
Tagen  stäubt,  oder  umgekehrt:  die  geschützte  Lage  des  Fruchtknotens  erlaubt 
der  Pflanze  eine  so  frühe  Blütezeit. 

1)  Vorteilhaft  für  die  Bestäubung  ist  es  (Beweis!),  daß  die  Narben  ver- 
hältnismäßig sehr  groß  und  dicht  mit  winzigen  Härchen  besetzt  sind, 
so  daß  sie  rechte  „Staubfänger"  darstellen.  (Untersuche,  wie  weit  sich 
alle  die  angeführten  Tatsachen  auch  bei  anderen  Windblütlern  nachweisen 
lassen  und  suche  allgemeine  Regeln  dafür  aufzustellen!) 

C.  Der  Haselnußstrauch  im  Frühlinge  und  Sommer.  Erst  einige 
Wochen  nach  dem  Bestäuben  der  Kätzchen  öffnen  sich  die  schwellenden  Knospen. 
Der  zum  Vorschein  kommende 

1.  junge  Trieb  ist  anfangs  abwärts  gerichtet;  seine  Blättchen  sind  in 
der  Mittelrippe  gefaltet,  dicht  mit  seidenartigen  Haaren  bedeckt  und  stehen  wie 
die  der  Linde  im  Schutze  großer,  schuppenartiger  Nebenblätter.  Je  mehr  sich 
die  Blätter  ausbreiten,  desto  mehr  verschwindet  die  Haardecke.  Kurze  Zeit, 
nachdem  der  Trieb  die  bleibende  Stellung  eingenommen  hat,  fallen  endlich  wie 
bei  der  Linde  auch  die  nutzlos  gewordenen  Nebenblätter  ab :  alles  Erscheinungen, 
deren  Bedeutung  wir  bereits  bei  der  Betrachtung  der  Roßkastanie  verstehen 
gelernt  haben.     Die  ausgebildeten 

2.  Blätter  (7.)  haben  fast  Herzform,  sind  mit  zerstreuten  Haaren  bedeckt 
und  am  Rande  mit  großen  Sägezähnen  versehen,  die  wiederum  fein  gezähnelt 
sind  („doppelt  gesägte  Blätter"). 

a)  Da  der  Haselnußstrauch  mit  den  wenigen  Lichtstrahlen  fürlieb  nimmt, 
die  durch  die  Kronen  der  Waldbäume  ihren  Weg  linden,  so  sind  seine  Blätter 
ähnlich  wie  die  der  eigentlichen  Schattenpflanzen  (s.  S.  7,  b  und  c)  verhältnis- 
mäßig zart  und  groß. 

b)  Durch  die  Größe  der  Blätter  wird  andererseits  auch  deren  Stellung 
am  Zweige  bedingt:  sie  stehen  abwechselnd  und  sind  so  in  3  Reihen  geordnet, 
daß  sie  sich  gegenseitig  nicht  beschatten.  Eine  solche  „dreizeilige"  Stellung 
ist  jedoch  nur  an  senkrechten  Zweigen  zu  beobachten.  An  wagerechten  oder 
Bchräg  gerichteten  Zweigen   werden  die  Blätter  zumeist  viel  weniger  belichtet. 

S  chm  e  il ,    Lehrbuch  der  Botanik.  jg 


li'4  50.  Familie.     Becherfrüchtler. 

Darum  drehen  sich  hier  die  Stengelglieder  so,  daß  die  Blätter  wie  in 
2  „Zeilen"  angeordnet  erscheinen.  (Warum  sind  die  Knospen  und  Zweige  eben- 
so angeordnet?) 

D.  Der  Haselnußstrauch  im  Herbst  und  Winter.  1.  Frucht.  Nach 
erfolgter  Bestäubung  beginnt  der  Fruchtknoten  zu  schwellen :  die  Fruchtknoten- 
wand wird  zu  der  harten,  holzigen  „Schale"  und  die  Samenanlage  zum  „Kerne" 
der  Haselnuß  (9.).  Gleichzeitig  vergrößert  sich  auch  die  „zerschlissene  Hülle", 
die  den  Fruchtknoten  umgibt  (7.  u.  8.):  sie  wird  zu  dem  „Becher",  der  die 
reifende  Nuß  einhüllt  („Becherfrüchtler").  Welche  Bedeutung  haben  nun  die 
einzelnen  Teile  der  Frucht  für  den  Haselnußstrauch? 

a)  Da  der  Kern  aus  der  Samenanlage  hervorgeht,  so  stellt  er  den 
Samen  der  Pflanze  dar.  In  der  Regel  enthält  die  Frucht  nur  einen  Samen. 
Sie  ist  daher  eine  „Schließfrucht"  (s.  S.  10,  3),  deren  feste  Wand  erst  durch 
den  keimenden  Samen  gesprengt  wird. 

b)  Der  wohlschmeckende  Kern  ist  reich  an  Stärkemehl  und  fettem  Öle. 
Daher  bildet  er  auch  ein  vielbegehrtes  Nahrungsmittel  für  zahlreiche  Waldtiere. 
Da  er  aber  von  einer  festen,  holzigen  Schale  umgeben  ist,  vermögen  ihn  nur 
größere  Tiere  zu  erlangen,  von  denen  hier  nur  Eichhörnchen,  Haselmäuse  und 
Häher,  sowie  das  Wildschwein  genannt  sein  mögen.  Diese  Tiere  leisten  aber 
der  Pflanze  einen  wichtigen  Gegendienst.  Wieso?  Die  harte  Schale  ver- 
hindert die  Eichhörnchen,  Haselmäuse  und  Häher,  die  Kerne  beim  Auffinden 
der  Früchte  sofort  zu  verzehren;  denn  zum  Öffnen  der  Nüsse  gehört  eine  gewisse 
Zeit.  Während  dieser  Zeit  verweilen  die  Tiere  aber  nicht  gern  auf  dem  Erd- 
boden oder  in  dem  Gezweig  des  Strauches,  weil  sie  dort  allen  Gefahren  schutz- 
los ausgesetzt  sind.  Sie  suchen  im  Gegenteil  mit  ihrer  Beute  einen  gesicherten 
Ort  zu  erreichen,  um  dort  in  Ruhe  das  Mahl  zu  halten.  Bei  diesem  Verschleppen 
entfallen  den  Tieren  aber  zahlreiche  Nüsse,  die  auf  diese  Weise  über  einen 
weiten  Bezirk  verbreitet  werden  können.  Ferner  ist  es  bekannt,  daß  Eich- 
hörnchen und  Haselmäuse  Wintervorräte  aufspeichern,  und  daß  der  Häher 
die  Gewohnheit  hat,  Nüsse  (sowie  Bucheckern  und  Eicheln)  in  den  Erdboden  zu 
verstecken.  Ebenso  bekannt  aber  ist  es  auch,  daß  diese  Tiere  sehr  häufig  die 
Vorräte  vergessen  oder  nicht  wieder  aufzufinden  vermögen.  In  den  genannten 
Tieren  haben  wir  also  die  Verbreiter  des  Strauches  vor  uns. 

Der  Haselnußstrauch  muß  seinen  Verbreitern  allerdings  große  Opfer 
bringen.  Aber  tun  das  die  Pflanzen  mit  saftigen,  wohlschmeckenden  Früchten 
nicht  auch  (s.  S.  64,  a)?  Freilich  wird  bei  diesen  Früchten  der  Same  nicht 
mit  vernichtet.  Wenn  wir  aber  bedenken,  daß  die  Haselnuß  (gleich  der 
Buche  und  Eiche)  eine  sehr  langlebige  Pflanze  ist,  die  alljährlich  eine 
große  Anzahl  von  Früchten  erzeugt,  so  wird  uns  dieser  Verlust  nicht 
gar  zu  beträchtlich  vorkommen!  Selbst  wenn  sich  nur  die  zehn-  oder  hundert- 
tausendste Nuß  wieder  zu  einem  Strauche  entwickeln  würde,  hätte  diese  seltsame 
Art  der  Verbreitung  noch  —  eine  Vermehrung  der  Pflanze  im  Gefolge. 


HaselnuListrauch.  L95 

Neben  den  genannten  Tieren  ist  es  —  wie  erwähnt  —  besonders  das 
Wildschwein,  das  die  Haselnüsse  gern  verzehrt.  Es  verschleppt  sie  aber  nicht, 
kann  also  auch  nicht  als  Verbreiter  der  Pflanze  in  Betracht  kommen.  Da  es 
aber  den  Waldboden  mit  Rüssel  und  Hauern  gleichsam  durchpflügt  und  somit 
sicher  auch  manche  Nuß  (Buchecker,  Eichel)  an  den  zum  Keimen  günstigen  <  >rt 
bringt,  so  werden  wir  in  ihm  nicht  einen  ausschließlichen  Feind  des  Strauches 
(der  Buche  und  Eiche)  erkennen. 

c)  Würden  Eichhörnchen,  Haselmäuse  und  Häher  die  Nüsse  bereits  vor 
der  Reife  verzehren,  so  könnten  sie  eine  Verbreitung  der  Pflanze  nicht  bewirken. 
Wie  die  unreifen  fleischigen  Früchte  (s.  S.  65)  sind  auch  die  unreifen  Hasel- 
nüsse durch  schlechten  Geschmack  geschützt,  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß 
dieser  Geschmack  nicht  den  Nüssen  selbst,  sondern  dem  zerschlitzten  Becher 
eigen  ist,  von  dem  sie  umhüllt  werden.  Erst  bei  der  Reife  löst  sich  die  Nuß 
aus  dem  Becher  und  fällt  zu  Boden.  Der  matte  Fleck  an  der  Schale  ist  die  Ver- 
wachsungsstelle zwischen  der  Nuß  und  dem  Becher. 

d)  Findet  man  in  der  Schale  der  Haselnuß  ein  kreisrundes  Loch  (7.),  so 
ist  auch  stets  der  Kern  zerstört.  Beides  ist  das  Werk  der  Larve  des  Hasel- 
nußbohrers (8.  u.  9.;  s.  „Lehrbuch  d.  Zoologie"). 

2.  Laubfall.  Zur  Zeit  der  Fruchtreife  beginnt  das  Laub,  sich  herbstlich 
gelb  und  rot  zu  färben  (7.),  und  ehe  meist  noch  der  Oktober  zu  Ende  gegangen 
ist,  steht  der  Haselnußstrauch  kahl  da  (vgl.  S.  91,  c). 

*  3.  Knospen.  Das  nächste  Frühjahr  trifft  die  Pflanze  aber  nicht  un- 
vorbereitet an.  Bereits  im  Juli  begannen  in  den  Blattwinkeln  sich  die  nächst- 
jährigen Triebe,  sowie  die  beiderlei  Blüten  zu  bilden.  Wenn  das  Laub  ab- 
gefallen ist,  sind  auch  die  Vorbereitungen  abgeschlossen,  d.  h.  die  Knospen 
ausgebildet.  Während  die  kurzen  jungen  Triebe  und  die  winzigen  Stempelblüten 
durch  Knospenschuppen  gegen  die  Unbilden  des  Winters  geschützt  sind, 
überwintern  die  zu  Kätzchen  gehäuften  Staubblüten  „frei";  denn  infolge  der 
Größe  der  Kätzchen  ist  eine  solche  winterliche  Hülle  ausgeschlossen  (vgl.  hierzu 
auch  Birke  und  Erle,  sowie  Weide  und  Pappel!).  Die  Staubblüten  entbehren 
aber  des  notwendigen  Schutzes  gegen  eindringendes  Wasser  und  gegen  zu  starke 
Wasserdampfabgabe  (s.  S.  42,  a,  b  und  c)  durchaus  nicht:  die  Kätzchenschuppen 
liegen  nicht  allein  eng  übereinander,  sondern  ihr  äußerer  verdickter  Abschnitt 
ist  nach  der  Spitze  des  Kätzchens  zu  so  gebogen,  daß  sie  sich  z.  T.  gegenseitig 
decken.  Außerdem  sind  die  Kätzchenschuppen,  besonders  an  ihren  nach  außen 
gerichteten  Abschnitten,  filzig  behaart,  eine  Einrichtung,  in  der  wir  schon  mehr- 
fach (Beispiele!)  ein  wichtiges  Schutzmittel  gegen  das  Austrocknen  erkannt 
haben.  —  Die  Kätzchen  können  also  einer  besonderen  winterlichen  Hülle  voll- 
kommen entbehren.  In  Knospenschuppen  eingeschlossen  wären  sie  gar  nicht 
imstande,  den  Winter  in  fast  ausgebildetem  Zustande  zu  überdauern,  oder  was 
dasselbe  sagen  will:  so  zeitig  im  Jahre  zu  stäuben,  wie  wir  es  am  Anfange 
der  Besprechung  gesehen  haben.  (Vgl.  hiermit  die  Blütezeit  der  Erle,  sowie 
die  der  anderen  Becherfrüchtler  und  der  Weidengewächse!) 


196  50.  Familie.     Becherfrüchtler. 


Andere  Beeherfrüchtler. 


1 .  Die  Eiche  (Quercus),  die  in  unsern  Wäldern  in  2  Arten  auftritt,  steht 
bei  uns  unter  allen  Landbäumen  am  höchsten  im  Ansehen.  Die  häufigere  Stiel-  oder 
Sommereiche  (Qu.  pedunculäta),  die  besonders  in  den  Auenwäldern  der  Ebene  vor- 
kommt, ist  an  den  langgestielten  Früchten  („Stieleiche")  und  den  kurzgestielten 
Blättern  leicht  zu  erkennen.  Während  sie  sich  (im  Mai)  mit  jungem  Grün  bekleidet, 
steht  die  2.  Art,  die  Stein-  oder  Wintereiche  (Qu.  sessiliflöra)  noch  winterlich 
kahl  da  (daher  die  Unterscheidung  „Sommer-  und  Wintereiche").  Letztere  findet 
sich  mehr  im  Gebirge  („Steineiche"),  ergrünt  erst  etwa  14  Tage  später  und  hat 
kurze  Frucht-,  aber  lange  Blattstiele.  Beide  Pflanzen  wachsen  zu  riesigen  Bäumen 
(Höhe  bis  35  m)  heran,  die  durch  ein  gewaltiges  Wurzel  werk  im  Boden  ver- 
ankert sind.  Der  kurze,  von  rissiger  Borke  bedeckte  Stamm,  der  nicht  selten 
einen  Durchmesser  von  mehreren  Metern  besitzt,  löst  sich  in  zahlreiche,  knorrige 
Äste  auf,  die  jeder  für  sich  einen  kräftigen  Baum  abgeben  würden.  Da  die 
Eiche  eine  lichtliebende  Pflanze  ist,  tragen  nur  die  äußersten  Zweige  der  Krone 
die  schöngeformten,  tiefeingebuchteten  Blätter.  Daher  dringt  auch  genügend 
Licht  bis  zum  Boden  herab,  so  daß  sich  dort  eine  vielgestaltige  Gesellschaft 
niedriger  Pflanzen  anzusiedeln  vermag  (nenne  die  daselbst  gefundenen!).  Auf 
den  Blättern,  die  sich  im  Herbste  besonders  an  jungen  Bäumen  nicht  alle  von  den 
Zweigen  lösen,  finden  sich  häufig  Galläpfel  sehr  verschiedener  Form  (s.  „Lehr- 
buch der  Zoologie").  Da  die  Blüten  während  des  Winters  in  Knospen  ein- 
geschlossen sind,  stäubt  die  Eiche  auch  erst,  wenn  sich  das  Laub  entfaltet 
(vgl.  dag.  Haselnußstrauch  und  Erle).  Dies  ist  für  die  Pflanze  aber  von  umso 
geringerem  Nachteile,  als  die  Blüten  sämtlich  an  der  Außenseite  der  Krone 
stehen.  Die  Staubblüten,  die  je  eine  einfache,  unscheinbare  Blütenhülle  besitzen, 
stehen  in  langen,  beweglichen  Kätzchen.  Die  Stempelblüten  finden  sich  entweder 
einzeln  oder  zu  mehreren  gehäuft  an  den  Enden  mehr  oder  minder  langer  Stiele 
(s.  oben).  Der  Fruchtknoten  ist  von  einem  Becher  umgeben,  der  aus  zahl- 
reichen Blättchen  gebildet  ist  und  sich  zum  Näpfchen  der  Frucht,  der  Eichel, 
entwickelt.  (Beschreibe  die  Blüten  näher,  und  zeige  besonders,  wie  sie  zur 
Windbestäubung  eingerichtet  sind!  Vergleiche  die  Bildung  und  Verbreitung 
der  Frucht  mit  der  der  Haselnuß!). 

Das  Holz  der  Eiche  übertrifft  an  Festigkeit,  Härte  und  Dauerhaftigkeit 
jedes  andere  Holz  unserer  Wälder.  Daher  wird  es  besonders  zu  Wasserbauten 
(Brücken  u.  dgl.)  verwendet.  Auch  als  Möbelholz  ist  es  hochgeschätzt.  Die 
an  Gerbstoff  reiche  Rinde  liefert  die  Gerberlohe.  Die  Früchte  dienen  in 
waldreichen  Gegenden  Schweinen  als  gutes  Mastfutter;  geröstet  und  gemahlen 
geben  sie  den  sog.  Eichelkaffee  und  mit  einem  Zusatz  von  Kakao  den  Eichelkakao. 

Uns  ist  aber  die  Eiche  noch  weit  mehr  als  ein  bloßer  Nutzbaum. 
Wegen  des  hohen  Alters  (bis  2000  Jahre),  das  sie  erreicht,  wegen  der  ge- 
waltigen Größe,  zu  der  sie  heranwächst,  wegen  des  fast  unvergänglichen  Holzes 
ist  sie  für  uns  das  Sinnbild  der  Kraft  und  Stärke.    Bei  den  Griechen  und 


Eiche  und  Buche.  197 

Römern  war  sie  dem  Jupiter,  bei  den  alten  Germanen  dem  Donar  geweiht  (die 
heilige,  durch  Bonifacius  gefällte  Eiche  bei  Geismar!),  und  ein  Kranz  von  Eichen- 
blättern ist  schon  seit  jenen  Zeiten  das  Zeichen  des  Siegers. 

„Ja,  dich  nennt  man  mit  Recht  des  Waldes  Königin,   Kiche, 

Unter  den  Bäumen  ist  herrlicher  keine  als  du!" 
2.  So  wenig  ein  anderer  Baum  unserer  Wälder  der  Eiche  an  Macht  und 
Stärke  gleichkommt,  so  sicher  wird  sie  von  der  Küche  oder  Rotbuche  (Fagus 
silvätica)  an  Schönheit  übertroffen.  Ja,  wir  halten  die  Buche  für  den  schönsten 
Baum  des  Laubwaldes  und  bringen  daher  dem  Buchenwalde  die  größte  Zuneigung 
entgegen.  Die  hohen,  glatten,  silbergrauen  Stämme  alter  Bäume  gleichen 
schlanken  Säulen,  die  auf  mächtigen  Spitzbogen  das  grüne  Laubdach  tragen.  Wenn 
wir  in  eine  solche  „Säulenhalle"  eintreten,  dann  durchrieseln  uns  heilige  Schauer 
wie  in  jenen  himmelanstrebenden,  gotischen  Domen,  deren  Urbild  im  Buchen- 
walde zu  suchen  ist.  (Vgl.  Eichendorffs :  Wer  hat  dich,  du  schöner  Wald  etc. 
und  andere  Waldlieder!)  Besonders  erhaben  ist  diese  Stimmung,  wenn  das 
frische  „Buchengrün"  hervorsprießt,  und  wenn  die  in  das  Waldesdunkel  ein- 
dringenden Sonnenstrahlen  helle  Kringel  auf  Stamm  und  Boden  zeichnen. 

Wie  die  Blätter  der  Roßkastanie  (s.  das.)  kommen  auch  die  Buchenblätter 
mit  einem  Haarkleide  bedeckt  uud  zusammengefaltet  aus  der  Knospe  hervor. 
Die  Behaarung  tindet  sich  allerdings  nur  am  Rande  und  auf  der  Unterseite  des 
Blattes  und  zwar  dort  wieder  nur  an  den  Seitenrippen.  Da  aber  die  grünen 
Teile  zwischen  diesen  Rippen  so  gefaltet  sind,  daß  das  junge  Blatt  einen  kleinen 
Fächer  darstellt,  so  ist  die  Unterseite  von  den  langen,  parallel  gerichteten  Seiden- 
haaren vollkommen  überdeckt.  Je  mehr  die  zweizeilig  angeordneten  Blätter 
(s.  S.  51,  2)  erstarken,  desto  mehr  verschwinden  auch  die  Falten  und  die  Behaarung; 
nur  am  Rande  bleibt  die  glatte,  eiförmige  Blattfläche  weiter  bewimpert.  (In 
gleicher  Weise  entfaltet  die  Weißbuche  ihre  Blätter.  Beobachte  es!)  Da  die 
Buche  auch  im  Innern  der  Krone  sehr  reich  belaubt  ist  (vgl.  dag.  z.  B.  die 
Eiche!)  und  trockene  Standorte  liebt,  auf  denen  die  abgefallenen  Blätter  nur 
schwer  verwesen,  so  bildet  sich  im  Buchenwalde  bald  eine  sehr  dicke  Laubdecke, 
die  nur  wenige  Pflanzen  zu  durchbrechen  vermögen.  (Welche  Pflanzen  hast  du 
beobachtet  und  an  welchen  Stellen?)  Auch  Unterholz  findet  sich  nur  selten; 
denn  infolge  der  dichten  Belaubung  herrscht  zumeist  ein  so  stark  gedämpftes 
Licht,  wie  es  den  Sträuchern  nicht  zusagt.  Das  Blühen  erfolgt  wie  bei  der 
Eiche  zur  Zeit  der  Laubentfaltung.  Die  Staubkätzchen  bilden  langgestielte, 
hängende,  fast  kugelige  Blütenbüschel,  während  die  Stempelblüten  aufrecht 
stehen.  Je  2  Stempelblüten  sind  von  einer  Hülle  umgeben,  aus  der  sich  der 
Fiuchtbecher  entwickelt.  Er  ist  mit  Stacheln  bedeckt  (Bedeutung?)  und  öffnet 
sich  bei  der  Reife  in  4  Klappen,  so  daß  die  beiden  dreikantigen  Früchte  ins 
Freie  gelangen  können.  (Beschreibe  die  Blüten  und  Früchte  genauer!)  Die  als 
Bucheckern  oder  Büchelen  bezeichneten  Früchte  liefern  ein  wertvolles  Speiseöl. 
Viel  wichtiger  ist  uns  aber  das  harte,  feste,  rötliche  Holz  („Rotbuche")  der 
Buche,  Jus  als  Brenn-  und  Nutzholz  gleich  hoch  geschätzt  wird. 


198      Taf.  28.    51.  u.  52.  Farn.    Birken-  u.  Walnußgewächse.  53.  Farn.  Weidengewächse. 

3.  Die  Weig-  oder  Hainbuche  (Carpinus  betulus)  ist  wie  die  Rotbuche  ein 
hoher,  glattrindiger  Waldbaum.  Sie  ist  von  dieser  jedoch  leicht  zu  unterscheiden  durch 
den  mehr  oder  weniger  seilartig  gedrehten  Stamm  und  die  ebenso  gebildeten  Äste,  durch 
die  elliptischen,  zugespitzten  und  doppelt  gesägten  Blätter,  sowie  durch  die  Fruchtbecher, 
die  blattartige,  dreilappige  Flügel  darstellen  (vgl.  mit  Ahorn!)  und  am  Grunde  die 
kleinen  Nüßchen  umschließen.  Das  weiße  Holz  („Weißbuche")  ist  sehr  fest  („Horn- 
baum")  und  wird  deshalb  besonders  von  Drechslern  und  Stellmachern  verwendet. 

4.  Die  Korkeiche  (Quercus  suber)  ist  ein  immergrüner  Baum  der  Mittelmeer- 
länder, dessen  Stamm  und  stärkere  Zweige  sich  mit  einer  dicken  Korkschicht  überziehen. 
Diese  Schicht  wird  etwa  alle  6 — 10  Jahre  abgeschält,  wobei  man  sich  sorglich  in  acht 
nehmen  muß,  die  darunter  liegende  eigentliche  Rinde  zu  verletzen  (warum?).  Die  los- 
gelösten Platten  liefern  den  Kork  des  Handels  (Verwendung?).  —  Die  edle  Kastanie 
(Castänea  vesca)  ist  in  Südeuropa  heimisch,  kommt  scheinbar  wild  aber  auch  in  der 
Rheingegend  vor  und  wird  hier  und  da  in  Parkanlagen  gepflegt.  Der  Baum  erreicht  ein  sehr 
hohes  Alter  und  dementsprechend  oft  eine  erstaunliche  Größe.  Er  besitzt  lange  lanzett- 
liche Blätter,  die  am  Rande"  zu  Stacbelzähnen  ausgezogen  sind,  und  stachelige  Frucht- 
becher mit  je  1 — 3  Früchten.  Diese  „eßbaren  Kastanien"  oder  Maronen  sind  den  Samen 
der  Roßkastanie  sehr  ähnlich  und  gelten  besonders  in  der  Heimat  der  Pflanze  als  ein 
wertvolles  Nahrungsmittel. 

51.    und    52.   Familie.      Birken-    und  Walnußgewächse    (Betuläceae 
und  Juglandäceae). 

1.  Birken-Gewächse  (Staub-  und  Stempelblüten  in  Kätzchen ;  Frucht 
ein  Nüßchen  ohne  Becherhülle).  Die  Weißbirke  (Betula  alba),  gewöhnlich 
nur  Birke  genannt,  findet  sich  zumeist  im  Walde  zwischen  anderen  Baumarten 
eingestreut;  hier  und  da  bildet  sie  aber  selbst  größere  Wälder.  Die  weiße 
Borke,  die  den  Stamm  mittelgroßer  Bäume  bedeckt  (vgl.  dag.  junge  Zweige 
und  alte  Stämme!)  und  sich  in  papierdünnen  Fetzen  ablöst,  sowie  die  lockere, 
„duftige"  Krone  machen  sie  zu  einem  beliebten  Schmuckbaume  des  Parkes. 
Bei  jungen  Bäumen  stehen  die  Zweige  schräg  aufwärts;  mit  zunehmendem 
Alter  aber  bilden  sich  längere,  rutenförmige  Äste,  die  infolge  ihrer  Schwere 
meist  hängend  werden.  Die  jungen  Blätter  sind  durch  einen  Harzüberzug 
gegen  zu  starke  Wasserdampfabgabe  geschützt  (s.  S.  91,  a).  Dieses  Harz  gibt 
der  Birke  zur  Frühlingszeit  einen  angenehmen  Duft.  Darum  bringen  wir  sie 
auch  am  lieblichen  Pfingstfeste  als  duftende  „Maie''  in 
unser  Haus.  Während  die  Staub  kätzchen  wie  beim 
Haselnußstrauche  frei  überwintern,  kommen  die  weit  klei- 
neren Stempelkätzchen  erst  mit  den  meist  rautenförmigen 
Blättern  aus  den  Knospen  hervor  (beschreibe  die  Blüten 
Frucht  der  Birke  näher!).  Die  Früchte,  die  mit  den  dreilappigen  Kätzchen- 
(Etwa  10  mal  vergr.)  schuppen  abfallen,  sind  federleichte  Gebilde,  die  jederseits 
zu  einem  großen  Flügel  verbreitert  sind  und  daher  vom 
Winde  leicht  weit  verweht  werden  können  (Bedeutung?). 

Die  Birke  liefert  uns  wertvolles  Brenn-  und  Werkholz.     Aus  dem  Keisig 


Weißbuche.   Korkeiche.    Kastanie.    Weißbirke.   Erlen.    Walnußb.    Salweide. 


199 


stellt   man  Besen   her,   und   den  Birkensaft,   den   man  im  Frühjahre  durch  "das 
Anbohren  des  Stammes  gewinnt,  läßt  man  hier  und  da  zu  Birkenwein  vergären. 

Die  Schwarzerle  (Alnus  glutinösa)  liebt  feuchten  Untergrand,  findet  sich  daher 
besonders  an  den  Ufern  der  Gewässer  und  bildet  im  „Erlenbruche*  oft  ausgedehnte 
Bestände.  Sie  tritt  als  Strauch  und  Baum  auf.  Ist  sie  belaubt,  dann  bilden  die  rund- 
lichen, abgestutzten  Blätter  ein  leichtes  Erkennungszeichen,  ist  sie  kahl,  die  Knospen, 
die  wie  bei  keinem  anderen  heimischen  Baume 
gestielt  sind.  Da  sowohl  die  Staub-,  als  auch 
die  kleineren  Stempelkätzchen  frei  überwin- 
tern, so  stäubt  die  Erle  mit  dem  Haselnuß- 
stranche  bereits  im  Vorfrühlinge.  Die  Stempel- 
kätzchen bilden  sich  durch  Verholzung  der 
bleibenden  Schuppen  zu  rundlichen,  zapfen- 
artigen Fruchtständen  aus.  Im  Winter  oder 
Vorfrühlinge  spreizen  die  Schuppen  ausein- 
ander, so  daß  die  Früchte  herausfallen  können. 
Obgleich  nur  wenig  geflügelt,  werden  sie 
doch  leicht  ein  Spiel  des  Windes;  denn  es 
sind  winzig  kleine,  plattgedrückte  Gebilde.  — 
Die  Grauerle  (A.  incäna)  ist  ein  Gebirgs- 
baum,  der  sich  u.  a.  durch  die  schräg  aufrecht 
stehenden  Zweige  und  den  silbergrauen  Stamm 
von  der  Schwarzerle  leicht  unterscheidet. 

2.  Die  Walnuß-Gewächse  unter- 
scheiden sich  von  den  übrigen  Kätzchenblüt- 
lern  besonders  durch  den  Bau  der  Frucht, 
die  vom  Walnußbaume  (Juglans  regia) 
her  jedermann  bekannt  ist:  Der  äußere 
Teil  der  Fruchtwand  bildet  die  grüne,  unan- 
genehm schmeckende  Hülle  (Schutzmittel!), 
während  der  innere  Teil  die  holzharte, 
2  klappige  „Nußschale"  darstellt.  Der  Wal- 
nußbaum, der  ein  hohes  Alter  und  einen 
gewaltigen  Umfang  erreicht,  hat  im  Mittel- 
meergebiete (in  „Welschland"  —  Name!)  seine  Heimat.  Das  harte,  schön  gemaserte  Holz 
wird  gleich  dem  einiger  amerikanischer  Arten  zur  Herstellung  von  Möbeln  hoch  geschätzt. 


Zweig  der  Sehwarzerle  mit  Knospen, 
Stempelblüten  (Stp.),  stäubenden  Staub- 
blüten (Stb.)  und  Fruchtständen  (Fr.), 
aus  denen  soeben  die  Früchte  ausfallen. 
(Nat.  Gr.). 


53.  Familie.     Weideng-ewächse  (SaHcäceae). 

Zweihäusige  Pflanzen,    deren  Staub-    und  Stempelblüten    keine  Blütenhülle   besitzen  und 
Kätzchen  bilden.     Frucht  eine  zweiklappige  Kapsel.     Samen  mit  Haarschopf. 


Die  Sal-  oder  Palm  weide  (Salix  cäprea).     Taf.  28. 
(Zugleich  ein  Blick  auf  die  übrigen  Weidenarten.) 

A.  Standort.     Gleich  zahlreichen  anderen  "Weidenarten  ist  die  Salweide 
eine  treue  Begleiterin  der  Bäche  und  Flüsse,  umsäumt  Teiche  und  Seen,  rindet 


200  53.  Familie.     Weidengewächse. 

sich   aber  auch  in  feuchten  Gebüschen  und  Waldungen,   ja  kommt  selbst  noch 
auf  ziemlich  trockenem  Boden  vor. 

B.  Stamm  und  Zweige.  Die  Salweide  ist  ein  Strauch  oder  Baum  und 
wird  gleich  anderen  Arten  vorwiegend  durch 

1.  Stecklinge  vermehrt.  Schneiden  wir  im  Winter  oder  Frühlinge, 
bevor  sich  die  Knospen  zu  entfalten  beginnen,  einige  Zweiglein  ab  und  stecken 
sie  in  ein  Glas  Wasser  oder  pflanzen  sie  in  einen  mit  feuchter  Erde  gefüllten 
Blumentopf,  so  sehen  wir,  wie  aus  den  im  Wasser  oder  in  der  Erde  befindlichen 
Teilen  lange,  vielfach  verzweigte  Wurzeln  hervorgehen,  die  nach  einigen  Wochen 
oft  das  ganze  Glas  erfüllen  oder  die  Erde  nach  allen  Richtungen  durchziehen. 
Will  man  Weiden  anpflanzen,  so  verfährt  man  ganz  ähnlich:  man  schneidet 
Zweige  ab  und  pflanzt  sie  in  feuchte  Erde.  Verwendet  man  hierzu  größere 
Zweige,   so   gehen   daraus  oft   stattliche  Bäume  mit  mächtigen  Kronen  hervor. 

Da  sich  die  langen  Wurzeln  nach  allen  Richtungen  im  Boden  ausbreiten, 
und  vielfach  verzweigen,  so  eignen  sich  die  Weiden  vortrefflich,  Ufer  und 
Dämme  zu  befestigen.     Die  größte  Bedeutung  erhalten  sie  aber  durch 

2.  die  Zweige,  die  sich  infolge  sehr  großer  Biegsamkeit  und  Zähigkeit 
besonders  zur  Herstellung  von  Korb-  und  Stuhlwaren,  sowie  zu  Faßreifen 
eignen.  Hierzu  kann  man  aber  nur  glatte,  astlose  Ruten  benutzen.  Deshalb 
zieht  man  die  Weiden  zumeist  als  Sträucher,  die  man  alljährlich  oder  in  längeren 
Zwischenräumen  bis  zum  Boden  abschneidet.  Die  baumartig  wachsenden  Weiden 
mit  den  krummen,  ästigen  Zweigen  und  dem  weichen,  wenig  dauerhaften  Holze 
dagegen  haben  für  den  Menschen  nur  eine  geringe  Bedeutung.  Sie  werden  von 
dem  „Beherrscher  der  Natur"  (beweise,  daß  seine  Herrschaft  aber  nur  eine  sehr 
beschränkte  ist!)  zumeist  arg  verstümmelt  und  treten  uns  dann  als  die  sog. 

3.  Kopfweiden  entgegen.  Diese  eigentümliche  Baumform  kommt  da- 
durch zustande,  daß  man  den  jungen  Baum  stutzt  oder  „köpft"  und  ihm  alle  Seiten- 
zweige nimmt.  Am  abgestutzten  Ende  bildet  sich  dann  eine  besenförmige  Krone 
langer  Zweige,  wie  sie  der  Mensch  zu  erhalten  wünscht.  Indem  die  Zweige  nach 
Verlauf  einiger  Jahre  immer  wieder  von  neuem  entfernt  werden  (Verwendung?), 
schwillt  das  obere  Ende,  der  sog.  Kopf,  unverhältnismäßig  an,  so  daß  der  Baum 
oft  eine  seltsame  Gestalt  erhält  (vgl.  Goethes  „Erlkönig"!).  In  die  zahlreichen 
Wunden,  die  man  der  Weide  auf  diese  Weise  fortgesetzt  schlägt,  dringen  nun 
aber  Wasser  und  Pilzsporen  ein :  es  entsteht  eine  Fäulnis,  durch  die  sich  das  Holz 
in  eine  braune,  lockere  Masse,  die  Weiden-  oder  Baumerde  (Verwendung?),  ver- 
wandelt. So  wird  nach  und  nach  fast  der  ganze  Holzkörper  zerstört  und  der 
Baum  schließlich  hohl.  (Bei  welchen  Bäumen  hast  du  gleichfalls  hohle  Stämme 
angetroffen?  Beobachte,  wie  die  hohlen  Kopfweiden  und  die  hohlwerdenden  Stämme 
großkroniger  Bäume  dem  Sturme  nur  geringen  Widerstand  leisten  können !  Für 
welche  Tiere  bilden  die  hohlen  Stämme  einen  willkommenen  Schlupfwinkel?  Be- 
obachte die  Gänge  des  Weidenbohrers  und  die  Löcher,  die  der  Specht  gehackt  hat!) 

C.  Knospen  (1 — 4).  In  den  Achseln  der  Blätter  bilden  sich  bereits  im 
Spätsommer  die  Knospen,  die  von  je  einer  kapuzenförmigen,  lederartigen,  braunen 


Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  28. 


Sal-  oder  Palmweide  (Salix  eaprea). 


Salweide.  201 

Schuppe  eingehüllt  sind  (Bedeutung  a.  S.  11,  B).  Junge  Salweiden  tragen  nur 
kleine,  spitze  Knospen.  Sie  enthalten,  wie  eine  Untersuchung  ergibt  oder  wie 
man  im  Frühlinge  leicht  beobachten  kann,  nur  je  einen  jungen,  beblätterten 
Zweig  (Laubknospen).  Ist  die  Weide  aber  älter  geworden,  so  treten  neben 
diesen  Knospen  dickere  und  rundere  auf.  aus  denen  die  Blüten  hervorgehen 
(Blütenknospen).  Im  März  beginnen  die  Knospen  zu  schwellen;  der  junge  Trieb 
(Hier  die  eingeschlossenen  Blüten  sprengen  die  Schuppen,  die  schließlich,  weil 
nunmehr  ebne  Bedeutung,  abfallen.     Zuerst  erscheinen  die 

I).  Hliiten.  1.  Die  jungen  Blutenkätzchen  sind  in  ein  silberweißes 
Haarkleid  eingehüllt  (daher  „Kätzchen";  Bedeutung  s.  S.  43,  C  a;  Fig.  1  Zweig- 
stiieke  mit  jungen  Staub-,  Fig.  2  Zweigstück  mit  Stempelkätzchen). 

Dieser  zierlichen  Gebilde  wegen  steht  die  Salweide  in  vielen  Gegenden  in 
hohem  Ansehen:  die  mit  Kätzchen  besetzten  Zweige  gelten  als  eine  Erinnerung 
an  die  Palmenzweige ,  die  man  Christus  beim  Einzüge  in  Jerusalem  auf  den 
Weg  gestreut  hat.  Darum  nennt  man  die  Pflanze  auch  „Palmweide".  (Das 
Bestimmungswort  „Sal"  in  „Salweide"  ist  aus  dem  lat.  salix  =  Weide  hervor- 
gegangen.) 

2.  Die  anfangs  kleinen  Kätzchen  (sie  waren  ja  in  Knospen  eingeschlossen!) 
strecken  sich  rasch  in  die  Länge,  nnd  im  März  oder  April  blüht  die  Salweide 
bereits,  bevor  die  Blätter  sich  noch  entwickelt  haben.  Da  die  Kätzchen  also 
viel  weniger  ausgebildet  überwintern  als  die  des  Haselnußstrauches,  so  wird 
uns  auch  die  spätere  Blütezeit  der  Pflanze  vollkommen  verständlich. 

3.  An  den  blühenden  Kätzchen  macht  sich  leicht  ein  bemerkenswerter 
Unterschied  geltend:  neben  solchen,  die  allein  aus  Staubblüten  zusammen- 
gesetzt sind  (3.),  finden  sich  andere,  die  nur  aus  Stempelblüten  bestehen  (4.) 
Beide  Blüten-  oder  Kätzchenarten  trifft  man  aber  nie  auf  demselben  Strauche 
oder  Baume  an.  Wenn  wir  den  Haselnußstrauch  eine  einhäusige  Pflanze  nannten, 
müssen  wir  die  Salweide  dalier  als  ein  „zweihäusiges  Gewächs"  bezeichnen. 
(Dasselbe  gilt  für  alle  Weidengewächse.) 

4.  Die  Staubkätzchen  (3)  sind  kurze,  eiförmige  Gebilde,  die  bei 
völliger  Entfaltung  prächtig  gelb  aussehen.  Unter  jeder  Kätzchensclmppe  findet 
sich  eine  Blüte  (5),  die  nur  aus  2  Staubblättern  mit  sehr  langen  Staubfäden  und 
einer  kurzen,  stäbchenförmigen  Honigdrüse  besteht  (prüfe  mit  der  Zunge!).  Die 
Schuppe  ist  in  ihrem  äußeren  Teile  schwarzbraun,  sonst  grün  und  dicht  mit 
jenem  Seidenhaar  besetzt,  das  dem  jungen  Kätzchen  das  zierliche  Aussehen  verleiht. 

5.  Die  Stempel kätzchen  (4)  sind  ganz  ähnlich  gebaut.  Unter  jeder 
Schuppe  (6)  findet  sich  außer  der  Honigdrüse  ein  Stempel,  der  aus  einem  bläschen- 
förmigen, grünen  Fruchtknoten  und  einer  gelben  Narbe  zusammengesetzt  ist. 
Da  auch  die  Schuppe  von  grüner  Färbung  ist,  sind  die  langgestreckten  Stempel- 
kätzchen  viel  unscheinbarer  als  die  Staubkätzchen. 

6.  Die  Bestäubung  kann  im  Gegensatz  zu  den  Blüten  des  Haselnuß- 
strauches  hier  unmöglich  der  Wind  vermitteln;  denn  wir  sehen  niemals,  daß 
er  wie  bei   jener  Pflanze   Blütenstaubwolken   entführt.     Die   Salweide   ist 


202  53.  Familie.     Weidengewächse. 

gleich  allen  anderen  Weidenarten  im  Gegenteil  ein  Insektenblütler. 
Dafür  sprechen  schon  die  zahlreichen  Blütengäste  —  besonders  sind  es  Bienen 
und  Hummeln  — ,  die  sich  auf  den  Kätzchen  einstellen.  Aus  dieser  verschiedenen 
Bestäubungsweise  erklären  sich  auch  die  zahlreichen  Unterschiede,  die  sich 
zwischen  den  Blüten  und  Blütenständen  beider  Pflanzen  finden: 

a)  Während  die  Kätzchen  des  Haselnußstrauches  ganz  unscheinbar  sind, 
haben  die  der  Salweide  eine  auffallende  Färbung.  An  die  Stelle  der  fehlen- 
den Blütenhülle,  die  in  der  Regel  die  Anlockung  der  Bestäuber  übernimmt, 
treten  die  prächtig  gelben  Staubblätter  und  die  grünen  mit  einer  gelben  Narbe 
gekrönten  Stempel.  Ein  mit  Staubkätzchen  bedeckter  Baum  oder  Strauch  er- 
regt in  dem  noch  kahlen  Walde  oder  Ufergebüsch  schon  von  weitem  die  Auf- 
merksamkeit, ein  Stempelkätzchen  tragender  allerdings  weniger.  Das  vorwiegende 
Grün  der  Stempelkätzchen  ist  aber  in  dieser  Jahreszeit  eine  immerhin  auf- 
fällige Färbung. 

b)  Während  bei  den  meisten  Insektenblütlern  diese  Blütenteile  von  der 
Blütenhülle  meist  mehr  oder  weniger  umschlossen  und  verdeckt  werden  (Bei- 
spiele!; gib  aber  auch  Beispiele  an,  bei  denen  dies  nicht  der  Fall  ist!),  und 
während  sie  bei  dem  windblütigen  Haselnußstrauche  zum  größten  Teile  ver- 
borgen sind,  stehen  sie  hier  ihrer  Aufgabe  gemäß  frei  da. 

c)  Die  sehr  kleinen  Einzelblüten  können  aber  nur  dann  die  Aufmerksamkeit 
der  Insekten  erregen,  wenn  sie  in  großer  Anzahl  zusammen  stehen.  Daher  sind  hier 
im  Gegensatz  zur  Haselnuß  auch  die  Stempelblüten  stark  gehäuft.  Sie 
bilden,  wie  wir  schon  oben  gesehen  haben,  gleich  den  Staubblüten  große  Kätzchen. 

d)  Da  die  Salweide  blüht,  bevor  sich  die  Blätter  entfalten,  werden 
die  Kätzchen  umso  auffälliger. 

e)  Zudem  hat  die  Salweide,  da  sie  so  verhältnismäßig  früh  im  Jahre 
blüht,  auch  nur  wenige  „Konkurrenten",  die  ihr  die  Bestäuber  abspenstig 
machen  könnten. 

f)  Im  Gegensatz  zu  den  geruch-  und  honiglosen  Blüten  der  Haselnuß 
besitzen  die  der  Salweide  einen  weithin  wahrnehmbaren  Duft  und  —  wie 
wir  schon  gesehen  haben  — 

g)  süßen  Honig  in  ziemlich  großer  Menge. 

h)  An  schwankenden  Kätzchen,  wie  solcher  die  Haselnuß  bedarf  (wieso?), 
würden  die  saugenden  Insekten  einen  schlechten  Halt  finden.  Die  Kätzchen  der 
Salweide  dagegen  sind  von  wenig  biegsamen  Achsen  durchzogen.  Sie  stellen 
keine  pendelnden  Quasten  oder  Troddeln,  sondern  steife  und  schräg  aufwärts 
gerichtete  Gebilde  dar,  auf  denen  die  Bestäuber  leicht  festen  Fuß  fassen 
können  (vgl.  auch  S.  192,  e!). 

i)  Der  Blütenstaub  ist  nicht  wie  bei  der  Haselnuß  staubförmig  trocken, 
sondern  klebrig,  zum  Haften  an  dem  behaarten  Insektenkörper  wohl  geeignet. 

k)  Da  die  Insekten  weit  sicherere  Bestäubungsvermittler  sind  als  der  un- 
gewisse Wind,  so  wird  der  Blütenstaub  auch  in  viel  geringerer  Menge 
erzeugt  als  bei  den  Windblütlern. 


Salweide.  203 

1)  Für  die  zweihäusigen  Weiden  ist  es  von  besonderer  Wichtigkeit,  daß 
Pflanzen  mit  Staub-  und  Stempelblüten  möglichst  eng  beieinander  stellen,  oder 
anders  ausgedrückt,  daß  sie  größere  Bestände  bilden. 

m)  Da  in  demselben  Bezirke  meist  mehrere  Arten  vorkommen,  so  kann  es 
auch  nicht  ausbleiben,  daß  die  Insekten  Blütenstaub  auf  die  Narben  anderer 
Arten  tragen.  Infolge  dieser  „Kreuzung'"  entstehen  zahlreiche  „Mischlinge 
oder  Bastarde"  (s.  S.  96,  2). 

E.  Blätter.  1.  Die  jungen  Blätter  (3  und  4)  kommen  gleich  den 
Kätzchen  ganz  mit  weißem  Flaum  umhüllt  aus  den  Knospen  hervor  (Bedeutung?). 

2.  Beim  ausgebildeten  Blatte  dagegen  (9),  das  am  Grunde  des  Blatt- 
stieles 2  nicht  abfallende  Nebenblatt chen  trägt,  bleibt  die  Behaarung  nur  auf 
der  Unterseite  erhalten.  Die  eiförmige  Blattfläche  erscheint  daher  oben  dunkel- 
grün und  unten  hellgrau  gefärbt.  Die  Haardecke  hat  für  die  Pflanze  nun  eine 
doppelte  Bedeutung: 

a)  Tauchen  wir  ein  Blatt  der  Salweide  in  das  Wasser,  so  erscheint  die 
Unterseite  wie  von  einem  silberglänzenden  Überzuge  bedeckt;  denn  das  Wasser 
vermag  die  Luft  zwischen  den  Härchen  nicht  zu  verdrängen.  (Stelle  denselben 
Versuch  auch  mit  einer  Haarbürste,  sowie  mit  einem  Stück  Filz  oder  Samt  an!) 
Dasselbe  geschieht  natürlich  auch  im  Freien,  wenn  die  Blätter  vom  nächtlichen 
Tau  benetzt  werden :  das  Wasser  vermag  nicht  bis  zu  der  Blattoberfläche  vor- 
zudringen und  die  Spaltöffnungen  zu  verschließen,  durch  die  ein  be- 
ständiger Luftwechsel  stattfindet  (s.  später!).  Durch  den  Verschluß  dieser 
Öffnungen  würde  —  um  nur  eine  Seite  dieses  Gasaustausches  zu  erwähnen  — 
das  Atmen  gänzlich  aufgehoben,  die  Pflanze  also  schwer  geschädigt  werden. 
Da  sich  nun  die  Spaltöffnungen  nur  auf  der  Unterseite  des  Blattes  finden,  so 
ist  auch  sie  allein  filzig  behaart,  und  da  die  Salweide  an  feuchten  Orten  wächst, 
an  denen  die  Pflanzen  fast  allnächtlich  vom  Tau  triefen,  so  bedarf  sie  eines 
solchen  Schutzmittels  ganz  besonders.  (Beobachte,  wie  der  Tau  sich  nicht  nur 
auf  der  Oberfläche  der  Blätter  „niederschlägt"!  —  „Doppelfarbige"  Blätter  finden 
sich  auch  bei  zahlreichen  anderen  Pflanzen,  die  mit  der  Salweide  den  Standort 
teilen,  wie  beim  Huflattich,  bei  der  Himbeere,  der  Sumpf-Spierstaude  u.  a.  — 
Bei  vielen  anderen  Weidenarten  ist  als  Schutzmittel  der  Spaltöffnungen  ein 
Wachsüberzug  vorhanden;  s.  S.  17,  2). 

b)  Als  ein  häufiges  Schutzmittel  gegen  zu  starke  Abgabe  von 
Wasser  in  Dampfform  (s.  S.  43,  C  a)  haben  wir  vielfach  die  mehr  oder  weniger 
dichte  Behaarung  der  Pflanzenteile  kennen  gelernt  (Beispiele!  Gib  auch  andere 
Schutzmittel  gegen  das  Vertrocknen  an!).  Mit  einem  solchen  haben  wir  es 
auch  hier  zu  tun.  Bei  Windstille  sind  die  Blätter  der  Salweide  so  gerichtet, 
daß  sie  die  grüne  Oberseite  den  Sonnenstrahlen  zukehren.  Wenn  man  sich 
nicht  gerade  unter  den  Baum  stellt,  dann  ist  von  dem  Grauweiß  der  Unter- 
seite nichts  zu  sehen.  Sobald  aber  schon  ein  leichter  Wind  einsetzt,  ändert 
sich  dies  vollständig:  er  krümmt  die  langen  Blattstiele  und  die  sehr  biegsamen 
Zweige  so,    daß   die   behaarte  Unterseite  nach  oben   und   außen  gekehrt  wird. 


204  53-  Fam.     "Weidengewächse.     54.  Fam.     Nesselgewächse. 

Dann  streicht  der  austrocknende  Wind  über  sie  hinweg  und  ist  nicht  imstande, 
den  Blättern  soviel  Feuchtigkeit  zu  entziehen,  daß  sie  unter  seiner  Einwirkung 
vertrocknen  müßten. 

F.  Frucht.  Der  Fruchtknoten  bildet  sich  zu  einer  Kapsel  aus  (7), 
die  sich  mit  2  Klappen  bereits  im  Mai  öffnet  (8).  Sie  umschließt  zahlreiche 
Samen,  die  rings  von  Haaren  eingehüllt  sind.  Bei  der  Reife  spreizen  die  Haare, 
die  am  Grunde  der  Samen  entspringen,  auseinander.  Dadurch  werden  die  Samen 
emporgehoben  (beobachte  dies  im  Zimmer!)  und  in  den  Bereich  des  Windes  ge- 
bracht, der  sie  bald  weithin  verweht  (s.  Löwenzahn!).  Die  Härchen  dienen  den 
Samen  aber  nicht  nur  als  Verbreitungsmittel,  sondern  auch  zur  Befestigung 
beim  Keimen.  Gelangen  die  Samen  nämlich  auf  feuchten  Boden,  dann  verkleben 
die  Härchen  alsbald  mit  ihm,  so  daß  die  Keimung  sicher  vonstatten  gehen  kann 
(vgl.  mit  Lein,  Kürbis  u.  a.).  Die  Samen  aber,  die  nicht  auf  diese  Weise  am 
..Keimbettu  befestigt  sind,  gehen  zu  Grunde. 

Andere  Weidengewächse. 

Unter  den  zahlreichen  Weidenarten  der  heimatlichen  Pflanzenwelt  ist  wohl  die 
Korbweide  (S.  viminalis)  die  wichtigste.  Sie  ist  eine  unserer  bekanntesten  Uferweiden, 
die  sowohl  zur  Befestigung  von  Wasserbauten  dient,  als  auch  ihrer  wertvollen  Zweige 
wegen  überall  angepflanzt  wird.  Die  linealen  Blätter  sind  unterseits  glänzend  weiß- 
haarig. —  Die  Trauerweide  (S.  babylönica),  die  aus  dem  Morgenlande  stammt,  pflanzen 
wir  als  Sinnbild  der  Trauer  (hängende  Zweige!)  auf  die  Gräber  unserer  Toten. 

Im  Gegensatz  zu  den  Weiden  sind  die  Pappeln  (Pöpulus)  windblütige  Pflanzen 
mit  allen  den  Eigenschaften,  die  wir  beim  Haselnußstrauche  kennen  gelernt  haben 
(Beweis!).  Die  Schwarz. -P.  (P.  nigra)  hat  fast  rechtwinklig  vom  Stamm  abstehende 
Äste  und  daher  eine  mächtige  Krone.  Der  allbekannte  Waldbaum,  der  gern  an  Wegen, 
auf  Dorfstraßen  u.  dgl.  angepflanzt  wird,  ist  sehr  schnellwüchsig  und  erreicht  einen 
mächtigen  Umfang.  —  Bei  der  italienischen  oder  Pyraiuiden-P.  (P.  pyramidalis)  da- 
gegen bilden  Stamm  und  Zweige  sehr  spitze  Winkel.  Der  hohe,  schlanke  Baum  stammt 
aus  dem  Oriente.  Zu  uns  ist  er  über  Italien  gekommen  und  wird  besonders  an  Land- 
straßen angepflanzt.  —  Die  Silber-P.  (P.  alba)  ist  in  feuchten  Waldungen  Mittel- 
deutschlands heimisch,  hat  sich  aber  als  beliebter  Parkbaum  (warum  eignet  er  sich  dazu 
besonders  ?)  weit  über  ihr  ursprüngliches  Gebiet  hinaus  verbreitet.  Die  schön  geformten 
Blätter  sind  anfangs  beiderseitig  filzig  behaart;  später  findet  sich  die  silberweiße  Haar- 
decke aber  nur  an  der  Unterseite.  (Erkläre  die  Namen  der  angeführten  Pflanzen!).  —  Ein 
häufiger  Baum  feuchter  Laubwälder  ist  die  Zitterpappel  oder  Espe  (P.  tremula),  die 
meist  rundliche  Blätter  mit  kürzeren  und  mit  längeren  Stielen  besitzt.  Da  die  langen 
Stiele  zugleich  seitlich  zusammengedrückt  sind,  so  geraten  ihre  Blattflächen  schon  beim 
geringsten  Luftzuge  ins  Schwanken.  Dieser  Erscheinung  (was  erzählt  die  Sage  von 
ihrer  Entstehung?)  verdankt  der  Baum  den  Namen,  und  „das  Zittern  wie  Espenlaub" 
ist  sprichwörtlich  geworden.  Die  Blätter  mit  kürzeren,  runden  Stielen  dagegen  er- 
zittern im  Winde  nicht.  Am  Grunde  ihrer  Blattfläche  finden  sich  aber  2  napfförmige 
Drüsen,  die  einen  süßlich  schmeckenden  Stoff  ausscheiden.  Wrelche  Bedeutung  diese 
Drüsen  und  das  Zittern  der  langgestielten  Blätter  für  den  Baum  haben,  darüber  sind 
die  Naturforscher  noch  geteilter  Ansicht. 


Korbweide.     Trauerweide.      Pappelarten.     Brennessel. 


205 


54.  Familie.    Nesselgewächse  (Urticäceae). 
Die  grotte  Brennessel  (Urtica  dioica). 

1.  Die  Brennessel  ist  anf  wüsten  Plätzen  und  Schutthaufen,  an  Wegen 
und  Hecken  überall  häufig  anzutreffen.  Wie  bei  der  früher  besprochenen 
Taubnessel  (s.  das.)  durchziehen  zahlreiche  unterirdische  Stengel  den 
Boden,  und  wie  bei  dieser  Pflanze  sind  auch  die  oberirdischen  Stengel, 
sowie  die  Blätter  (Form  und  Stellung!)  gebildet. 

2.  Im  Gegensatz  zu  der  schutzlosen  Taubnessel  ist  die  Brennessel  aber  stark 
bewehrt.  Alle  grünen  Teile  sind  nicht  nur  wie  z.  B.  bei  der  Schwarzwurz  und 
anderen  rauhblättrigen  Pflanzen  mit  kurzen,  stechenden  Borsten  besetzt, 
sondern  noch  mit  ganz  besonderen  Waffen,  den  sog.  Brennhaaren,  ausgerüstet. 
Ein  solches  Haar  stellt  eine  lange  Röhre  dar,  deren  Wand  im  oberen  Teile  durch 
eingelagerte  Kieselsäure  hart  und  spröde  wie  Glas  ist.    Während  es  unten  stark 


(»rolie  Brennessel.  1.  Brennhaai ■;  an  seinem  Fuße  eine  Borste  B.  2.  Oberes  Ende 
des  Brennhaars;  3.  dasselbe,  aber  mit  abgebrochenem  Köpfchen.  4.  Oberer  Abschnitt 
der  Pflanze  mit  Staubblüten  (stäubend).  5.  Staubblüte;  das  vordere  Blatt  der  Bluten- 
hülle ist  entfernt;  die  Staubblätter  sind  noch  nach  innen  gebogen.  6.  Staubblüte  im 
Augenblicke  des  Stäuhens.  7.  Drei  Stempelblüten.  (Fig.  1.— 3.  100-  l.e/.w.  150mal 
vergr.     Fig.  4.  etwas  verkl.     Fig.  5.-7.  etwa   10  mal   vergr.) 


206  Taf.  29.     54.  Familie.  Nesselgewächse.     55.  Farn.  Hanfgewächse. 

angeschwollen  und  in  einen  Zellbecher  eingesenkt  ist,  besitzt  es  am  oberen  Ende 
ein  seitwärts  gerichtetes  Köpfchen,  unter  dem  die  Wand  der  Eöhre  sehr  dünn 
ist.  Infolgedessen  bricht  das  Köpfchen  schon  bei  der  leisesten  Berührung  ab. 
Da  nun  die  dünne  Stelle  schräg  verläuft,  so  entsteht  gleichzeitig  eine  scharfe 
Spitze,  aus  welcher  der  giftige  Inhalt  des  Haares  hervorquillt.  (Vgl.  mit  dem 
Giftzahn  der  Schlangen  und  mit  der  „Einstichkanüle",  mit  deren  Hilfe  der  Arzt 
dem  Kranken  Medizin  unter  die  Haut  spritzt!).  Wird  das  Köpfchen  nun  von  einem 
Menschen  oder  Tiere  abgebrochen,  so  dringt  die  Spitze  leicht  in  die  Haut  ein, 
der  giftige  Inhalt  gelangt  in  die  Wunde,  so  daß  ein  brennendes  Gefühl  (Name!) 
und  eine  kleine  Entzündung  der  Haut  entsteht.  Weidetiere  hüten  sich  daher 
wohl,  die  empfindliche  Nasen-  und  Mundschleimhaut  mit  diesen  giftigen  Waffen 
in  Berührung  zu  bringen  (Bedeutung  für  die  Pflanze?).  (Welche  Schmetterlings- 
raupen  leben  aber  auf  der  Brennessel?  —  Warum  „nesselt"  die  Pflanze  nicht,  wenn 
man  sie  fest  angreift,  oder  wenn  man  von  unten  nach  oben  über  sie  hinwegstreift?) 

3.  Die  Brennessel  ist  eine  zweihäusige  Pflanze  wie  die  Salweide.  Da 
sie  aber  ein  Windblütler  wie  der  Haselnußstrauch  ist  (s.  d.)7  besitzt  sie 
ganz  unscheinbare  Blüten  (beschreibe  sie  näher),  eine  große  Menge  trockenen 
Blütenstaubes,  sowie  freistehende,  pinselförmige  Narben.  Die  zu  hängenden 
Rispen  gehäuften  Staub-  und  Stempelblüten  sind  ferner  dem  Winde  frei  aus- 
gesetzt, und  die  Pflanze  wächst  endlich  in  großen  Beständen.  Das  Ausstreuen 
des  Blütenstaubes  erfolgt  aber  in  anderer  Weise  als  bei  der  Haselnuß.  Be- 
trachtet man  eine  Staubblüte,  bevor  sie  sich  öffnet,  so  sieht  man,  wie  die  Fäden 
der  4  Staubblätter  nach  innen  gebogen  sind  und  von  den  4  weiß-rötlichen 
Blättern  der  einfachen  Blütenhülle  in  dieser  Lage  gehalten  werden.  Biegt  man 
mit  einer  Nadel  eines  dieser  Blätter  nach  außen,  so  schnellt  der  wie  eine  Feder 
gespannte  Faden  zurück,  sein  Staubbeutel  platzt,  und  eine  kleine  Wolke  von 
Blütenstaub  steigt  in  die  Luft.  Derselbe  Vorgang  spielt  sich  ohne  unser  Zutun 
am  frühen  Morgen  ab,  wenn  die  Brennessel  von  den  ersten  Sonnenstrahlen  getroffen 
wird:  bald  hier,  bald  da  erfolgt  mit  hörbarem  Knall  eine  kleine  „Explosion", 
und  es  steigt  ein  Wölkchen  Blütenstaub  empor,  den  der  geschäftige  Morgenwind 
nunmehr  leicht  zu  den  Narben  verwehen  kann.  (Sehr  bequem  läßt  sich  der 
Vorgang  im  Zimmer  beobachten,  wenn  man  die  in  Wasser  stehende  Pflanze  in 
die  Morgensonne  stellt.)     Die  Frucht  ist  ein  kleines  einsamiges  Nüßchen. 

Die  kleine  Brennessel  (U.  urens)  wächst  an  denselben  Orten  wie  die  größere 
Art,  tritt  aber  vielfach  auch  als  lästiges  Unkraut  auf  bebautem  Boden  auf.  Sie  ist  eine 
einjährige  und  einhäusige  Pflanze  mit  eirunden,  tief  gesägten  Blättern.  —  Beide  Nessel- 
arten haben  gleich  dem  Lein  sehr  lange  und  feste  Bastfasern,  die  zu  dauerhaftem  Garne 
versponnen  und  zu  einem  leinwandartigen  Zeuge,  dem  Nesseltuche,  verwebt  werden 
können.  Die  größere  Art  hat  man  in  der  Tat  früher  auch  verwendet.  Jetzt 
kommen  jedoch  nur  ausländische  Nesselgewächse  dafür  in  Betracht.  Besonders  gilt  dies 
von  der  Raniiepflanze  (Boehmeria  nivea),  die  namentlich  in  Ostasien  und  auf  den 
Sundainseln  angebaut  wird  und  sich  u.  a.  durch  das  Fehlen  der  Brennhaare  von  den 
eigentlichen  Nesseln  unterscheidet.  Der  Wurzelstock  treibt  zahlreiche,  1 — 2  m  hohe  Stengel, 
die  im  Jahre   2  oder   3  mal   geschnitten    werden    und    die    wertvolle  Ramiefaser  liefern. 


Schineil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  29. 


Hopfen  (Humulus  lupulus). 


Große  und  kleine  Brennessel.     Ramiepflanze.     Hanf.     Hopfen.  207 

55.  Familie.     Hanfg-ewächse  (Cannabinädeae). 

1.  Der  Hanf  (Cännabis  sativa)  ist  seit  uralten  Zeiten  eine  (richtige  Gespinst- 
pflanze, deren  lange,  feste  Bastfasern  besonders  zu  Bindfaden  and  Seilen,  sowie  zu  Segel- 
tuch und  anderen  Geweben  verarbeitet  werden.  Die  einjährige  und  zweihäusige  Pflanze 
(besehreibe  die  Blüten!)  stammt  aus  Mittelasien.  Sie  erreicht  eine  Hohe  von  1,5  m  und 
hat  wie  die  Roßkastanie  gefingerte  Blätter,  die  aber  aus  weit  schmäleren  Einzelblättern 
zusammengesetzt  sind.  Den  grünen  Teilen  entströmt  ein  widerlicher  Geruch  (Schutz 
gegen  Tiere !),  der  selbst  Betäubung  hervorrufen  kann.  Hierauf  beruht  auch  die  Ver- 
wendung, welche  die  Blätter  in  Indien  finden:  sie  werden  als  „Haschisch"  wie  Opium 
gegessen  oder  geraucht,  wirken  außerordentlich  berauschend  und  untergraben  bald  die 
Gesundheit  desjenigen,  der  dieser  Leidenschaft  verfallen  ist.  Die  Hanfsamen  dienen  bei 
uns  besonders  als  Futter  für  Stubenvögel,  geben  aber  auch  ein  wertvolles  fettes  Ol,  das 
ähnlich  wie  Riiböl  verwendet  wird. 

2.  Der  Hopfen  (Hüniulus  lüpulus  —  Taf.  29)  umspinnt  Zäune  und  Hecken 
und  verwandelt  das  Ufergebüsch,  sowie  das  Unterholz  des  Waldes  nicht  selten 
in  ein  undurchdringliches  Dickicht.  Im  Frühjahre  treiben  aus  dem  Wurzel- 
stocke zahlreiche  Stengel  hervor,  die  außerordentlich  lang  und  dünn  und 
daher  genötigt  sind,  an  Holzpflanzen  eine  Stütze  zu  suchen.  Rechtswindend 
(s.  S.  101,  4)  umschlingt  der  Hopfen  Stämme  und  Äste  des  Strauchwerkes 
(1.  u.  2.),  zwischen  dem  er  wächst,  und  gelangt  so  bald  bis  zu  sonniger  Höhe 
empor.  Hierbei  wird  er  wesentlich  unterstützt  durch  amboß-  oder  ankerartige 
„Klimmhaken",  die  sich  mit  den  scharfen  Spitzen  in  die  Rinde  der  Bäume 
und  Sträucher  einhaken  und  in  6  Reihen  am  Stengel  entlang  ziehen  (3.). 
Am  Grunde  der  herzförmigen  oder  3 — 5  lappigen,  schön  geformten  Blätter, 
finden  sich  je  2  Nebenblätter,  die  zumeist  gänzlich  miteinander  verwachsen 
sind.  An  den  jungen  Trieben  sieht  man,  daß  die  Nebenblätter  Schutzwerkzeuge 
sind:  sie  verdecken  die  noch  zarten  Blätter,  schützen  sie  also  gegen  das  Ver- 
trocknen, sowie  gegen  Verletzungen  beim  Vordringen  der  Zweigspitze. 

Der  Hopfen  ist  wie  die  Weide  eine  zweihäusige  Pflanze,  zeigt  aber  alle 
Merkmale  eines  echten  Windblütlers  (Beweis!).  Die  unscheinbaren  Staub- 
blü t e  n  bestehen  aus  einer  einfachen,  5 blättrigen  Blütenhülle  und  5  Staub- 
blättern (4.).  Da  sie  zu  großen,  leicht  beweglichen  Rispen  (2.)  geordnet  und 
beim  Blühen  dem  Erdboden  zugekehrt  sind,  und  da  die  großen  Staubbeutel 
an  dünnen  Fäden  herabhängen,  so  vermag  schon  ein  leiser  Windstoß  den 
Blütenstaub  in  ansehnlichen  Wolken  heraus  zu  schütteln.  Die  Stempel- 
blüten sind  ganz  unscheinbare  Gebilde,  die,  zu  zapfenartigen  Blütenständen 
vereinigt  (5.),  wie  die  Rispen  an  der  Außenseite  des  Hopfendickichts  stehen 
(1.  —  Bedeutung?).  Sie  finden  sich  von  je  einem  Deckblatte  halb  umhüllt,  zu 
zweien  am  Grunde  eines  schuppenartigen  Blattes  (6.).  Eine  unscheinbare,  krug- 
förmige  Blütenhülle  umschließt  den  Fruchtknoten.  Die  beiden  Narben  ähneln 
kleinen  Cylinderputzern  und  ragen  über  die  Schuppen  hinaus  ins  Freie  (Be- 
deutung?). Nach  erfolgter  Bestäubung  vergrößern  sich  die  Fruchtknoten  und 
die  umhüllenden  Blattgebilde,  so  daß  sich  der  Blütenstand  zu  einem  gelblichen 


208  56.  u.  57.  Familie.     Manlbeer-  und  Ulmengewächse. 

Fruchtzapfen  umgestaltet  (7.).  Am  Grunde  der  Schuppen  und  Deckblätter  (8.), 
sowie  auf  der  (gleichfalls  bleibenden)  Blütenhülle  (9.)  bemerkt  man  jetzt  zahl* 
reiche  gelbe  Drüsen.  Sie  enthalten  einen  scharf  riechenden  und  sehr  bitter 
schmeckenden  Stoff,  durch  den  die  körnerfressenden  Vögel  vom  Verzehren  der 
Früchte  abgehalten  werden.  In  diesem  „Hopfenbitter"  liegt  aber  auch  die 
Bedeutung  der  Pflanze  für  den  Menschen :  er  gibt  dem  Biere  die  eigentümliche 
Würze,  sowie  die  große  Haltbarkeit.  Dieser  Verwendung  wegen  wird  der 
Hopfen  in  vielen  Gegenden  auch  im  Großen  angebaut.  Bei  völliger  Reife 
lösen  sich  die  einsamigen  Früchte  los  (7.),  bleiben  aber  mit  dem  Deckblatte 
im  Zusammenhange  und  werden  infolgedessen  vom  Winde  leicht  weithin  ver- 
weht (Bedeutung?). 

56.  u.  57.  Familie.     Maulbeer-  und   Ulmeng-ewäehse   (Moräceae  und 

Ulmäceae). 

1.  Maulbeergewächse.  Der  schwarze  Maulbeerbaum  (Morus  nigra),  der 
aus  dem  Mittelmeergebiete  stammt,  rindet  sich  hier  und  da  der  schwarzroten  Früchte 
wegen  angepflanzt.  Diese  „Maulbeeren"  sind  wie  die  ähnlich  gestalteten  Himbeeren 
Sammelfrüchte.  Sie  entstehen  dadurch,  daß  die  unscheinbaren  Blütenhüllen  zur  Frucht- 
zeit fleischig  und  saftig  werden.  Die  ungeteilten  oder  gelappten  Blätter  eignen  sich 
weniger  gut  zum  Futter  für  die  Seidenraupe  als  die  des  weißen  Maulbeerbaums 
(M.  alba),  der  weiße  Beeren  trägt  und  in  Ostasien  seine  Heimat  hat 

Die  wohlschmeckenden,  süßen  Feigen,  die  zu  uns  meist  getrocknet,  zu- 
sammengepreßt und  auf  Bastfäden  gereiht  in  den  Handel  kommen,  entstammen 
dem  Feigenbaum  (Ficus  cärica).  Er  ist  schon  seit  den  ältesten  Zeiten  (Bibel, 
Homer !)  einer  der  wichtigsten  Obstbäume  der  Mittelmeerländer,  liefert  aber  auch  in 
den  nach  Süden  gelegenen  Alpentälern  eßbare  „Früchte"  und  wird  selbst  noch 
in  den  milderen  Teilen  Süddeutschlands  (z.  B.  im  Rhein-  und  Neckartale)  an- 
gepflanzt. Der  sparrige  Baum  hat  meist  5  lappige,  schöngeschnittene  Blätter, 
enthält  in  allen  Teilen  einen  weißen  Milchsaft  (s.  Wolfsmilch)  und  trägt  das 
ganze  Jahr  hindurch  unreife  oder  reife  „Feigen".  Durchschneidet  man  eine 
solche,  so  lange  sie  noch  grün  ist,  so  sieht  man  deutlich,  daß  man  es  hier 
mit  einem  Blütenstande  zu  tun  hat:  Auf  einem  fleischigen  Blütenboden 
stehen  ähnlich  wie  bei  der  Sonnenrose  zahlreiche,  kleine  Blüten.  Der  Blüten- 
boden ist  jedoch  nicht  flach  ausgebreitet  wie  bei  dieser  Pflanze,  sondern  so 
gebogen,  daß  ein  krug-  oder  urnenförmiges  Gebilde  entsteht,  Stempel  und 
Staubblätter  sind  auf  verschiedene  Blüten  verteilt,  und  zwar  finden  sich  in  den 
Blütenständen  des  wilden  Feigenbaumes,  der  keine  eßbaren  Feigen  trägt, 
Stempel-  und  Staubblüten,  während  der  angepflanzte  Baum  nur  Stempelblüten 
entwickelt.  Soll  eine  Bestäubung  dieser  Stempelblüten  erfolgen,  so  muß  also 
ein  Vermittler  vorhanden  sein.  Als  solcher  gibt  sich  ein  kleiner  Hautflügler, 
die  Fe  igengallwespe,  zu  erkennen.  (Die  Unansehnlichkeit  der  Blüten 
deutet  auf  Windbestäubung  hin.  Warum  ist  eine  solche  aber  ausgeschlossen? 
Warum    wären    schön   gefärbte   Blüten    ohne    Vorteil    für    die    Pflanze  ?)     Die 


Schwarzer  und  weißer  Maulbeerbaum.  Feigenbaum.  Brotfruchtbäume.  Feldulme.       209 


Bestäubung  selbst  ist  ein  außerordentlich  verwickelter  Vorgang.  Es  sei  hier 
nur  bemerkt,  daß  die  Gallwespe  in  den  Feigen  des  wilden  Stockes  ihre  Ver- 
wandlung durchläuft  und  mit  Blütenstaub 
beladen  in  die  Feigen  des  angebauten  Baumes 
eindringt.  Ist  die  Bestäubung  vollzogen, 
so  werden  Blütenboden  und  Blütenhülle 
weich  und  saftig,  und  aus  den  Fruchtknoten 
gehen  die  senfkornähnlichen  Früchte  her- 
vor, die  als  „Kerne"  in  dem  süßen  Frucht- 
fleische eingelagert  erscheinen.  Durch  die 
jahrtausendlange  Pflege  ist  der 
Baum  aber  auch  imstande,  ohne 
Vermittlung  der  Wespen  wohlaus- 
gebildete Feigen  hervorzubringen. 
(Beweise,  daß  die  Feige  eine 
Schein-  und  Sammelfrucht  wie  die 
Erdbeere  ist!  Inwiefern  ist  die 
Pflanze  der  Verbreitung  durch 
Vögel  angepaßt?) 

Zahlreiche  Verwandte  des  wich- 
tigen Baumes ,  die  zumeist  auf  die 
heiße  Zone  beschränkt  sind,  haben 
für  den  Menschen  gleichfalls  eine  große 
Bedeutung.  So  liefert  der  Gummi- 
baum Ostindiens  (F.  elästica) ,  den 
wir  seiner  großen,  lederartigen  Blät- 
ter wegen  gern  als  Zimmerpflanze 
pflegen,  neben  mehreren  anderen  Arten 
Federharz  oder  Kautschuk  (s.  S.  69). 
—  Durch  den  Stich  der  Gunnnilack- 
Schildlaus  (s.  „Lehrb.  d.  Zool.")  entstehen  an  den  Zweigen  wieder  anderer  Feigenbäume, 
die  gleichfalls  Indien  bewohnen,  Saftausflüsse,  aus  denen  der  Schellack  gewonnen  wird. 

Nahe  Verwandte  der  Feigenbäume  sind  die  Brotfruchtbäume  (Artocärpus), 
deren  mehlreiche,  kopfgroße  Scheinfrüchte  in  allen  Tropengegenden  ein  überaus  wich- 
tiges Nahrungsmittel  darstellen.  Zwei  oder  drei  dieser  riesigen  Bäume  vermögen  einen 
Menschen  das  ganze  Jahr  hindurch  zu  ernähren. 

2.  Ulmengewächse.  Die  Felduline  oder  Rüster  (Ulmus  campestris)  ist  ein 
stattlicher  Baum,  der  sich  in  Wäldern  und  Anlagen  häufig  findet  und  in  der  äußeren 
Erscheinung  der  Linde  in  hohem  Maße  ähnelt.  Eine  bekannte  Abart  von  ihm  zeichnet 
sich  durch  leistenartige  Korkbildungen  der  Zweige  aus.  Die  Blätter  sind  gleich  denen 
der  Linde  unsymmetrisch  (s.  S.  51),  und  da  sie  zudem  noch  von  verschiedener  Größe 
sind,  bilden  sie  an  wagerechten  Zweigen  oft  die  zierlichste  Mosaik  (Bedeutung V).  Die 
unscheinbaren,  kurzgestielten  Zwitterblüten  (beschreibe  sie!)  entfalten  sich  lange  vor 
den   Blättern  und  werden  durch  den   Wind   bestäubt.     Die  Frucht   ist    ein  Nüßchen,    das 


Blüten  des  Feigenbaums.  1.  Blütenstand 
(Feige)  im  Längsschnitt.  Der  Mündung  fliegt  eine 
Feigengallwespe  zu.  2.  Teil  des  Blütenbodens 
mit  einer  Staubblüte  (aus  der  Feige  des  wilden 
Baumes)  und  3.  einer  Stcmpelblüte.  Die  Stiele 
der  benachbarten  Blüten  sind  angedeutet.  (Fig.  1 
wenig,  Fig.  2  u.  3  etwa  8  mal  vergr.) 


iclimeil.   Lehrbuch  der  Botanik. 


11 


210  58.  Familie.     Mistelgewächse. 

durch  einen  breiten  Flügelsaum  flugfähig  wird  (Bedeutung?).  —  Die  in  allen  Stücken 
ähnliche  Flatterrüster  (U.  effüsa)  besitzt  langgestielte  Blüten  und  Früchte. 

Eine  verwandte  Pflanze  ist  unser  beliebtester  Schattenbaum,  die  Platane 
(Plätanus),  die  sich  leicht  durch  die  ahornartigen  Blätter,  die  kugeligen  Blüten-  und 
Fruchtstände,  sowie  besonders  durch  die  abblätternde  Borke  zu  erkennen  gibt.  Bei 
der  amerikanischen  PL  (PI.  occidentälis),  die  in  Nordamerika  ihre  Heimat  hat,  löst 
sich  die  Borke  in  Schuppen,  bei  der  aus  dem  Orient  stammenden  morgenländischen  PI. 
(PI.  orientälis)  dagegen  in  großen  Platten  ab. 

Anhangsweise  seien  hier  kurz  einige  weit  verbreitete  Wassergewächse 
erwähnt.  Da  sie  unter  denselben  Verhältnissen  leben  wie  der  Wasserhahnenfuß  (s.  das.), 
so  besitzen  sie  gleichfalls  schwache  Stengel  und  fein  zerteilte  Blätter.  Das  einhäusige 
Hornblatt  (Ceratophyllum)  schwebt,  ohne  Wurzeln  zu  schlagen,  frei  im  Wasser,  über 
dessen  Spiegel  es  sich  niemals  erhebt.  Der  Blütenstaub  muß  daher  durch  das  Wasser 
zu  den  Narben  getragen  werden.  Daher  fehlen  den  Blüten  auch  alle  die  Mittel,  die  bei 
Luftpflanzen  zum  Schutze  des  Blütenstaubes  u.  dgl.  vorhanden  sind :  sie  sind  höchst 
einfach  gebaute,  unscheinbare  Körperchen  in  den  Blattwinkeln.  —  Das  überaus  zarte 
im  Schlamme  wurzelnde  Tausendblatt  (Myriophyllum)  dagegen  hebt  seine  Blütenähre  über 
das  Wasser  und  nimmt  zur  Bestäubung  die  Hilfe  des  Windes  in  Anspruch. 

58.  Familie.     Mistelgewäehse  (Lorantbäceae). 

Die  Mistel  (Viscum  album). 

1.  Wenn  Schwarzpappel  und  Apfelbaum  ihres  grünen  Blätterschmuckes 
beraubt  sind,  dann  findet  man  hier  häufig,  dort  selten  in  dem  Gezweig  die 
merkwürdigen,  grünen  Zweige  des  Mistelstrauches.  Die  sonderbare  Pflanze  siedelt 
sich  gleichfalls  gern  auf  der  Edeltanne  an,  nimmt  aber  auch  mit  anderen  Laub-  und 
Nadelbäumen  fürlieb.  Die  gelbgrünen  Stengel  entspringen  direkt  aus  den  Asten 
und  teilen  sich,  da  die  Endknospen  der  Zweige  zu  Blütenknospen  werden,  wieder- 
holt gabelig.  Obgleich  sehr  brüchig,  überstehen  sie  sogar  in  belaubtem  Zustande 
die  Winterstürme,  die  durch  das  kahle  Gezweig  der  Bäume  fegen.  Die  lanzett- 
lichen Blätter  sind  nämlich  am  Grunde  etwas  gedreht  ('s.  Abb.  S.  212),  so  daß 
sie  vom  Winde  nie  mit  voller  Kraft  getroffen  werden  können;  denn  da  die  einzelnen 
Teile  des  Blattes  verschiedene  Bichtung  einnehmen,  wird  der  Luftstrom  gleich- 
sam in  eine  Menge  einzelner  Ströme  zerlegt,  von  denen  nur  die  senkrecht  auf- 
treffenden eine  merkliche  Wirkung  ausüben.  Der  Wassermangel  ist  der  zweite 
Feind,  mit  dem  die  Mistel  während  des  Winters  zu  kämpfen  hat;  denn  sie  ver- 
mag das  Wasser,  das  sie  verbraucht,  nur  dem  Baume  zu  entnehmen,  auf  dem 
sie  lebt;  dieser  kann  aber  —  wie  wir  früher  gesehen  haben  (s.  S.  91,  c)  —  aus 
dem  kalten  oder  gar  gefrorenen  Erdboden  nur  wenig  Wasser  aufsaugen.  Da 
die  Blätter  jedoch  von  lederartiger  Beschaffenheit  sind,  so  vermag  die  Mistel 
wie  der  Efeu  (s.  das.)  selbst  eine  monatelange  Trocknis  leicht  auszuhalten. 
(Beobachte,  wie  lange  ein  abgeschnittener  Zweig  selbst  im  warmen  Zimmer 
„frisch"  bleibt!)  Die  Blüten  der  zweihäusigen  Pflanze  sind  sehr  unscheinbar. 
Da  sie  aber  angenehm  duften  und  Honig  enthalten,  werden  sie  trotzdem  von 
Insekten  besucht,  und  zwar  umso  eher,  als  sie  sich  bereits  Mitte  März  entfalten, 


Flatterriister.     Platanen.     Hornblatt.     Taasendlilatt.     Mistel. 


Sil 


wenn    die  Bäume   noch   unbelaubt   sind,   und   wenn   in   der  Natur   erst    Wenige 
Honigquellen  fließen. 

2.  Wie  aber  gelangt  die  seltsame  Pflanze  auf  den  Baum?  Gleich  dem 
Stachelbeerstrauche,  der 
Eberesche  oder  anderen 
Pflanzen  mit  fleischigen 
Früchten,  die  wir  nicht 
selten  auf  Mauern,  Burg- 
ruinen oder  an  ähnlichen 

schwer  zugänglichen 
Orten  antreffen,  ist  auch 
der  Mistelstrauch  allein 
durch  Vermittelung  eines 
Vogels  hierher  gekommen. 
Wieso'?  Die  Früchte 
äer  Mistel  sind  erbsen- 
große Beeren,  die  sich 
infolge  der  weißen  Fär- 
bung leicht  von  dem  Grün 
der  Zweige  und  Blätter 
abheben  ( Bedeutung  ?), 
und    die    besonders    von 


Mistel.    Ein  Strauch  (verkl.)  mit  einem  Teile  des  gespal- 
tenen  Zweiges,    auf   dem    er   schmarotzt.      Rindenwurzeln 
und  Senker  sind  zu  sehen. 


auch  von  anderen  Dn 
arten  gern  verzehrt  wer- 
den. Da  nun  das  Frucht- 
fleisch      außerordentlich 
klebrig    ist,    so     bleiben 

die  Samen  leicht  am  Schnabel  der  Vögel  haften.  Werden  sie  verzehrt,  so  verwandeln 
sie  den  Kot  der  Tiere  in  eine  klebrige  Masse,  die  sich  zu  langen  Fäden  auszieht. 
(Zerdrücke  eine  Beere  zwischen  den  Fingern!  Aus  den  Beeren  bereitet  man  Vogel- 
leim.) Streichen  die  Vögel  darauf  den  Schnabel  an  einem  Aste  ab,  oder  bleibt 
ihr  Kot  auf  oder  an  einem  Zweige  haften,  so  sind  die  harten,  unverdaulichen 
Samen  dadurch  nicht  allein  an  die  Stelle  gelangt,  an  der  sie  keimen  und 
sich  zu  einer  jungen  Pflanze  entwickeln  können,  sondern  sie  sind  daselbst  auch 
gleichsam  angeleimt  (Bedeutung?).  Die  Keimwurzel,  die  stets  den  Ast  zu  linden 
„weiß",  durchbohrt  dessen  Rinde,  dringt  bis  zum  Holze  vor  und  entsendet  nach 
allen  Seiten  Wurzeln,  die  unter  der  Rinde  verlaufen.  Aus  diesen  „Rinden  - 
wurzeln"  gehen  nunmehr  andere  Wurzeln,  die  sog.  Senker  hervor,  die  nach 
und  nach  immer  tiefer  in  den  sich  verdickenden  Holzkörper  des  Astes  eindringen. 
3.  Wie  schon  bemerkt,  ist  die  Mistel  genötigt,  dem  Baume,  in  dessen 
Zweigen  sie  wurzelt,  das  Wasser  zu  entnehmen.  Mit  dem  Wasser  entzieht  sie 
ihm  aber  auch  alle  die  Nahrungsstoffe,  die  andere  Pflanzen  aus  dem  Erdboden 


212       Taf.  30.     58.  Familie.     Mistelgewächse.     59.  Familie.     Osterluzei-Gewächse. 


aufsaugen.     Sie  ist  also  ein  Schmarotzer.    Im  Gegensatz  zu  der  Hopfenseide 
(s.  das.)  besitzt  sie  jedoch  Blattgrün.     Sie  ist  daher  auch  imstande,  mit  dem 

aufgenommenen  Wasser,  den  in 
ihm  gelösten  Salzen  und  der 
Kohlensäure  der  Luft  selbst 
alle  die  Stoffe  zu  bereiten,  deren 
sie  zum  Aufbau  ihres  Körpers 
bedarf.  (S.  den  letzten  Absch. 
des  Buches.  —  Ob  sie  dem 
Baume  auch  fertige  Nahrung 
entzieht  oder  nicht,  ist  unbe- 
kannt. Vgl.  mit  Klappertopf!) 
4.  Die  Fähigkeit  der  Mistel, 
hoch  oben  in  den  Kronen  der 
Bäume  zu  leben  und  selbst 
während  des  Winters  grün  zu 
bleiben,  sowie  die  gabelige  Ver- 
zweigung der  Stengel  und  die 
eigentümliche  Form  der  Blätter 
haben  der  seltsamen  Pflanze 
schon  seit  undenklichen  Zeiten 
ein  hohes  Ansehen  bei  dem 
Menschen  verliehen.  In  der 
Götterlehre  der  alten  Völker 
spielte  sie  daher  eine  hervor- 
ragende Rolle,  und  die  Germanen 
hielten  sie  geradezu  für  ein  heiliges  Gewächs.  Noch  heutzutage  gilt  sie  in 
England  am  Weihnachtstage,  dem  alten  Feste  der  Wintersonnenwende,  für  das 
Sinnbild  des  wieder  erwachenden  Lebens;  sie  vertritt  dort  also  unsern  immer- 
grünen Tannenbaum. 

59.  Familie.     Osterluzei-Gewächse  (Aristolochiäceae). 

Die  Osterluzei  (Aristolöchia  clematitis).     Taf.  30. 

Die  Osterluzei  ist  eine  fast  meterhohe  Pflanze,  die  mit  Hilfe  eines 
weitverzweigten  unterirdischen  Stammes  überwintert.  Da  sie  im  Schat- 
ten der  Bäume  und  Sträucher  wächst,  besitzt  sie  gleich  zahlreichen  anderen 
Schattenpfianzen  (s.  S.  7)  große,  zarte  und  demnach  auch  leicht  verwelkende 
Blätter.  (Beobachte  die  Stellung  der  herzförmigen  Blattflächen  und  die  Ab- 
leitung des  Regenwassers !  Wie  sind  die  jüngsten  Blätter  geschützt?)  Allen 
grünen  Teilen  entströmt  ein  widerlicher  Geruch,  in  dem  wir  es  wie  in 
zahlreichen  anderen  Fällen  (Beispiele!)  mit  einem  Schutzmittel  gegen  Pflanzen- 
fresser zu  tun  haben. 


Mistel.    Zweig  mit  Früchten, 
(wenig  verkl.) 


Schmeil,   Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  30. 


\ 


Osterluzei  (Aristolochia  clematitis). 


Mistel.     Osterluzei.     Pfeifenstrauch.     Haselwurz.     Seidelbast.  213 

Die  Blüten,  die  in  den  Blattachseln  entspringen  (1»),  zeigen  einen  höchst 
sonderbaren  Bau  (2.;  etwa  3  mal  vergr.).  Die  gelbe  Blutenhülle  stellt  eine 
Röhre  dar,  die  am  Grunde  zu  dem  sog.  Kessel  erweitert  und  im  oberen  Ab- 
schnitte zungenförmig  verlängert  ist.  In  den  Kessel  ragt  das  obere  Ende  des 
Fruchtknotens,  der  wie  ein  Teil  des  Blütenstiels  aussieht,  mit  mehreren  Narben 
gekrönt  und  mit  den  Staubblättern  innig  verwachsen  ist.  Im  Innern  des 
röhrenförmigen  Abschnittes  rinden  sich  zahlreiche  lange  Haare,  die  gleichsam 
eine  kleine  Reuse  bilden  (stelle  durch  diesen  Teil  einen  Querschnitt  her!). 

Diese  eigentümlich  gebaute  Blüte  ist  auch  nur  auf  besondere  Art  zu 
bestäuben.  Schlitzt  man  die  Hülle  einer  jüngeren  Blüte  (2.)  auf,  so  findet 
man  im  Kessel  häufig  zahlreiche,  kaum  2  mm  große  Fliegen  und  Mücken,  die 
sich  auf  dem  zungenförmigen  Abschnitte  der  Blütenröhre  (Anflugstelle!)  nieder- 
gelassen hatten  und  durch  die  Röhre  eingedrungen  sind.  Hier  sind  sie  nun  für 
einige  Tage  gefangen;  denn  die  nach  innen  gerichteten  Reusenhaare  erlauben 
ihnen  wohl  einzudringen,  aber  nicht  herauszukriechen.  Kommen  die  Tiere  mit 
Blütenstaub  beladen  bereits  aus  einer  anderen  (älteren)  Blüte,  so  werden  sie 
ihn  leicht  an  den  Narben  abstreifen,  die  jetzt  gerade  reifen  (3;  die  Narben 
und  geschlossenen  Staubbeutel  etwa  10  mal  vergr.).  Die  saftigen  Wände  des 
Kessels  geben  den  Gefangenen  während  dieser  Zeit  Nahrung  zur  Genüge. 
Nach  etwa  2  Tagen  (4.  u.  5.)  verschrumpfen  die  Narben,  die  Staubbeutel  lassen 
den  mehligen  Staub  fallen,  so  daß  die  Tierchen  oft  wie  eingepudert  erscheinen. 
Gleichzeitig  schrumpfen  die  Reusenhaare  zusammen,  so  daß  der  Ausgang  frei 
wird.  Die  Insekten  kommen  nunmehr  aus  der  Blüte  hervor,  um  gewöhnlich 
bald  darauf  in  einer  zweiten  Einkehr  zu  halten.  Vor  den  Eingang  der  anfangs 
aufrechten,  jetzt  aber  herabgebogenen  Blüten  legt  sich  nun  der  zungenförmige 
Teil  der  Blütenhülle,  so  daß  die  Bestäuber  genötigt  sind,  stets  nur  diejenigen 
Blüten  zu  besuchen,  in  denen  sie  der  Pflanze  allein  einen  Dienst  leisten  können. 

Obgleich  man  sicher  in  den  meisten  Blüten  Insekten  findet,  setzt  die 
Pflanze  doch  nur  selten  Früchte  an.  (Beachte  die  Erhaltung  und  Vermehrung 
der  Art  durch  den  unterirdischen  Stamm!)  Es  sind  dies  Kapseln  von  der  Form 
kleiner  Birnen,  die  sehr  zahlreiche  Samen  enthalten  (6.). 

Eine  nahe  verwandte  Pflanze  ist  der  Pfeifenstrauch  (A.  sipho),  den  wir 
seiner  mächtigen  Blätter  wegen  gern  zur  Bekleidung  von  Lauben  verwenden.  Der 
kletternde  Strauch,  dessen  Blüten  kleinen  Tabakspfeifen  ähneln  (Name!),  stammt  aus 
Nordamerika.  —  Auch  die  Haselwurz  (Asarum  europaeum)  steht  der  Osterluzei  sehr 
nahe.  Sie  findet  sich  am  Boden  des  Laubwaldes  (unter  Haselnulisträuchern !),  hat 
derbe,  nierenförmige  Blätter  und  bräunliche  Blüten,  die  sich  im  zeitigen  Frühjahre 
entfalten. 

60.  u.  61.  Familie.    Seidelbast-  und  Lorbeergewächse  (Thvmelaecäceae 

und  Laura ceae). 

1.  Der  Seidelbast  oder  Kellerhals   (Daphne  mezereum)  ist   ein  kleiner  Strauch 

der  Gebirgswälder,  der  bereits  im  zeitigen  Frühjahre  blüht.    Und  zwar  entfaltet  er  seine 

ungestielten,    rosenroten  Blüten    vor    den    lanzettlichen   Blattern,    die    sonst    die    kleinen 


214      60.  u.  61.  Farn.     Seidelbast-  und  Lorbeergewächse.     62.  Farn.    Knöterichgewächi 


Gebilde  den  Blicken  der  Insekten  zum  größten  Teile  entziehen  würden.  Sowohl  die 
roten  Früchte,  als  auch  alle  anderen  Teile  des  Strauches,  der  gern  als  Gartenzierpflanze 
verwendet  wird,  enthalten  ein  starkes  Gift  (Schutzmittel  gegen  Tiere!). 

2.  Der  Lorbeerbaum  (Lauras  nöbilis)  ist  ein  Baum  des  Mittelmeergebietes, 
dessen  beiderseits  zugespitzte,  etwas  gewellte  Blätter  lederartig  derb  sind  (s.  S.  49). 
Der  Lorbeerkranz  gilt  schon  seit  dem  Altertume  als  ein  Zeichen  erworbenen  Ruhmes, 
und  gern  legen  wir  ihn  auf  die  Ruhestätte  unserer  Verstorbenen.  Da  sowohl  die  Blätter, 
als  auch  die  beerenartigen  Früchte  ein  flüchtiges  Öl  von  angenehmem  Dnft  enthalten, 
dienen  sie  als  Gewürz  an  Speisen.  —  Ein  weit  wertvolleres  Gewürz,  den  Zimt,  liefern 
uns  andere  Lorbeergewächse  in  der  Rinde  ihrer  Stämme  und  Zweige.  Unter  diesen 
Pflanzen  nimmt  wieder  der  Ceylon-Zimtbaum  (Cinnämomum  ceylänicum)  die  erste 
Stelle  ein.  Er  kommt  wild  jetzt  noch  auf  den  Gebirgen  Ceylons  vor,  wird  aber  zum 
Zwecke  der  Zimtgewinnung  als  Strauch  in  Pflanzungen  gezogen.  Haben  die  Stämme 
eine  Stärke  von  etwa  4  cm  erreicht,  dann  schneidet  man  sie  dicht  über  dem  Boden  ab,  ent- 
blättert sie  und  löst  von  Stamm  und  Ästen  die  Rinde  los.  Nachdem  die  äußeren,  bitter 
schmeckenden  Teile  sorgfältig  entfernt  sind,  werden 
die  Rindenstücke  getrocknet.  Hierbei  rollen  sie  sich 
zusammen ,  nehmen  eine  rotbraune  Farbe  an  und 
kommen    als  Zimt  in  den  Handel. 

Einer  nahe  verwandten  Familie   gehört  der 
Muskatnugbaum    (Myristica    fragrans)    an ,    der   auf 
den  Molukken  heimisch  ist,  aber  auch  auf  den  Antillen 
angebaut    wird.       Die     walnußgroße    Frucht   ist    eine 
Beere ,    deren    steinharter     Samenkern     die    besonders 
früher  als  Gewürz  hoch   geschätzte  Muskatnuß    liefert. 
Umgeben   ist   der  Same   von  einem    karminroten,    zer- 
schlitzten Gebilde,  dem  sog.  Samenmantel,  der  als  Macis 
oder  Muskatblüte    (warum    ist    diese   Bezeichnung   un- 
Frueht  d.  Muskatnugbaums.       richtig  ?)  in  den  Handel  kommt  und  gleichfalls  ein  wert- 
F.  Fruchtfleisch.    S.  Same.    Sm.       volles  Gewürz  bildet.     Die  harte  Fruchthülle    dagegen 
Samenmantel.     (Nat.  Gr.)  dient  nur   den  Eingeborenen  als  Speise. 


■--J 
-sr 


62.  Familie.     Knöterichgewächse  (Polygonäceae). 

Eine  Pflanze,  mit  deren  Hilfe  der  Mensch  selbst  sandigen  Äckern  (Heidekorn!) 
noch  einen  Ertrag  abzuringen  versteht,  ist  der  Buchweizen  oder  das  Heidekorn 
(Polygonum  fagopyrum).  Die  zierliche,  einjährige  Pflanze  stammt  wahrscheinlich  aus 
Mittelasien,  wird  etwa  1ji  m  hoch,  hat  herzförmige  Blätter  und  kleine  Blüten  mit  einer 
einfachen,  5 blättrigen  Blütenhülle  (beschreibe  die  Pflanze  näher!).  Da  die  weißen  oder 
rötlichen  Blüten  aber  dicht  gehäuft  stehen,  sehr  honigreich  sind  und  einen  angenehmen 
Dnft  aushauchen,  so  erfreuen  sie  sich  doch  eines  reichen  Insektenbesuchs.  Die  kleinen, 
schwarzbraunen  Früchte  sind  dreikantig  wie  die  der  Buche  und  werden  wie  die 
Körner  der  Getreidearten  verwendet  (Name!).  —  Der  Vogel -Knöterich  (P.  aviculäre) 
ist  eines  unserer  gemeinsten  Unkräuter,  das  selbst  auf  hartgetretenen  "Wegen  und 
zwischen  dem  Straßenpflaster  noch  zu  gedeihen  vermag.  —  Im  Gegensatz  zu  diesem, 
dem  Boden  aufliegenden  Pflänzchen  klettert  der  Winden -Knöterich  (P.  convölvulns) 
gleich  der  Winde  an  den  Stengeln  anderer  Pflanzen  empor.  —  Über  den  Wasserspiegel 


Lorbeer-,  Zimt-  u.  Muskatnußb.  Buckweizen.  Knöteriche.  Ampfer.  Rhabarb.  Pfefferstr.      215 


hebt  oft  der  Wasser-Knöterich  (P.  amphibiuni)  seine  großen,  rosafarbenen  Blüten- 
ähren empor.  Er  wurzelt  im  schlammigen  Grunde  und  läßt  seine  langgestielten,  kahlen 
Blätter  auf  dem  Wasser  schwimmen  (vgl.  mit  Seerose!).  Versiegt  das  Gewässer,  so 
bildet  er  gleich  dem  Wasserhahnenfuß  (s.  das.)  eine  Landform  mit  kurzgestielten,  be- 
haarten und  viel  schmaleren  Blättern. 

Im  Gegensatz  zum  Knöterich  sind  die  zahlreichen  Anipfer- 
arten  (Rumex),  die  an  den  verschiedensten  Örtlichkeiten  oft  in 
großen   Mengen  auftreten,   windblutige  Pflanzen  (inwiefern  stimmt 
hiermit  der  Blütenbau  überein'?). 
Es   sei   hier    nur    der    Sauer- 
ampfer  (R.  acetösa)  genannt, 
der  auf  Wiesen  und  Grasplätzen 
überaus    häufig  anzutreffen   ist 
und    durch    hohen    Gehalt    an 
Kleesalz    gegen  Pflanzenfresser 
(besonders  Schnecken;  Versuch!) 
vortrefflich  geschützt  ist.     Die 
Blütenhülle  wird   zur  Zeit   der 
Fruchtreife  zu  Flügeln  für  di 

eingeschlossenen, 
kleinen,    dreieckigen 

Früchte  (Bedeu- 
tung?). —  Der  als 
Blattpflanze  für  Ra- 
senbeete und  als  Ku- 
chengewächs (Ver- 
wendung?) gebaute 
Rhabarber  (Rheum) 
ist  aus  Mittelasien 
zu  uns  gekommen. 
Aus  den  fleischigen 
Wurzeln  einer  ande- 
ren Art,  die  in  Tibet 
und  China  heimisch 
ist ,  wird  ein  als 
Rhabarber  bekann- 
tes, wichtiges  Abführ- 
mittel hergestellt. 

Einer  nahe  ver- 
wandten Familie 
gehört  der  Pfeffer- 
strauch (Piper 
nigrum)  an ,  der 
uns  in  dem  Pfeffer 

ein  schon  seit  den  ältesten  Zeiten  gebräuchliches,  wertvolles  Gewürz  liefert. 
Die  wichtige  Pflanze  wird  z.  Z.  in  vielen  Tropenländern  angebaut,  ganz  be- 
sonders in  Ostindien  und  auf  den  Sundainseln,    woselbst  auch    ihre  Heimat  zu 


W.H. 

-h.cL.NxI- 


Zweig  vom  Pfefferstrauche. 

Oben    2   Blütenstände,    unten    ein 

Fruchtstand.      Aus    den    Stenge] - 

knoten  entspringen  Kletterwurzeln. 

(Nat,  Gr.) 


216  63.  Familie.     Gänsefoßgewächse. 

suchen  ist.  Sie  klettert  gleich  dem  Efeu  mit  Hilfe  von  Wurzeln  an  Stämmen 
und  Stützen  empor,  und  wird  daher  meist  wie  bei  uns  der  Hopfen  an  Stangen 
gezogen.  Den  eiförmigen  Blättern  gegenüber  entspringen  die  ährenartigen 
Blütenstände.  Aus  den  unscheinbaren  Blüten  entwickeln  sich  rote  Beeren,  deren 
Fruchtfleisch  je  einen  hartschaligen  Samen  umschließt.  (Vgl.  mit  der  Kirsche! 
Weiche  ein  „Pfefferkorn"  in  Wasser  auf  und  schneide  es  durch!)  WTerden  die 
Früchte  unreif  abgepflückt  und  getrocknet,  dann  schrumpft  das  Fruchtfleisch 
zusammen,  und  man  erhält  den  „schwarzen  Pfeffer".  Läßt  man  sie  da- 
gegen vollkommen  reif  werden  und  beseitigt  das  Fruchtfleisch,  dann  liefern  sie 
den  „weißen  Pfeffer". 

63.  Familie.     Gänsefußgewächse  (Chenopodiäceae). 
Die  Runkelrübe  (Beta  vulgaris) 

bildet  ähnlich  wie  die  Möhre  (s.  das.)  im  ersten  Jahre  eine  dicke,  fleischige  Wurzel 
und  einen  Schopf  großer  Blätter.  Aus  den  in  der  Wurzel  aufgespeicherten 
Stoffen  baut  sich  im  zweiten  Jahre  ein  oft  mehr  als  meterhoher  Stengel  auf, 
der  nach  der  Spitze  zu  mit  immer  kleiner  werdenden  Blättern  besetzt  ist 
(vgl.  mit  Raps)   und   zahlreiche   unansehnliche   Blüten   trägt  (beschreibe  sie!). 

Die  Stammform  der  Runkelrübe  ist  ein  unscheinbares  Gewächs,  das  an 
den  Küsten  des  Mittelmeeres  noch  heutzutage  wild  angetroffen  wird  und  eine 
zwar  verdickte,  aber  holzige  Wurzel  besitzt.  Gelangt  die  Pflanze  in  mensch- 
liche Pflege,  dann  wird  die  Wurzel  jedoch  bald  fleischig.  Da  man  nun  viele 
Jahrhunderte  hindurch  stets  nur  die  vortrefflichsten  Pflanzen  zur  Nachzucht 
auswählte  (s.  S.  19),  sind  die  zahlreichen  Spielarten  entstanden,  die  wir  auf 
unseren  Feldern  bauen. 

Die  meisten  von  ihnen  sind  wichtige  Futterpflanzen.  Eine  rot- 
fleischige Form  dient  auch  dem  Menschen  als  Speise  (Salat).  Alle  aber  werden 
an  Bedeutung  weit  von  der  Zuckerrübe  übertroffen,  die  wegen  des  Reich- 
tums an  Rohrzucker  in  allen  fruchtbaren  Gegenden  der  nördlichen  gemäßigten 
Zone  im  Großen  angebaut  wird.  Der  Gehalt  an  Zucker  ist  der  Runkelrübe 
wie  zahlreichen  anderen  Pflanzen  von  Natur  eigen.  Durch  beständige  Auswahl 
der  zuckerreichsten  Rüben  zur  Fortzucht  hat  es  der  Mensch  aber  verstanden, 
den  Zuckergehalt,  der  ursprünglich  7- — 8  °/o  betrug,  so  erheblich  zu  steigern,  daß 
er  heute  ungefähr  doppelt  so  groß  ist  (bis  18  %),  und  zwar  begann  diese  „Ver- 
edlung" der  Pflanze  erst  um  das  Jahr  1850. 

Aus  dem  mittelländischen  Pflanzenreiche  entstammt  auch  der  Spinat  (Spinäcia 
oleracea),  der  bei  uns  als  Gemüsepflanze  hoch  geschätzt  wird.  —  Von  den  vielen  bei 
uns  wildwachsenden  Verwandten  der  Runkelrübe  seien  nur  die  zahlreichen  Gänse- 
fug- (Chenopodium)  und  Melden -Arten  (Atriplex)  genannt,  die  besonders  auf  Schutt 
und  in  der  Nähe  des  Menschen  wachsen  und  vielfach  lästige  Unkräuter  darstellen. 
Andere  Arten  finden  sich  wieder  nur  am  Meeresstrande  und  an  solchen  Stellen  des 
Binnenlandes,  deren  Boden  außerordentlich  reich  an  Salz  ist  (an  Salzquellen,  in  Salz- 
steppen  und    an   ähnlichen  Orten).     Obgleich  auch    zahlreiche  Glieder  anderer  Pflanzen- 


Runkelrübe.     Spinat.     Melden.     Salzkraut.  217 

familien  zu  diesen  „Salzpflanzen"  zählen,  sind  dock  die  allermeisten  von  ihnen 
„Fettpflanzen"  wie  der  Mauerpfeffer.  Viele  dieser  unscheinbaren  Gewächse  haben  nun 
ohne  Zweifel  mit  großer  Trockenheit  der  Luft  und  des  Bodens  zu  kämpfen,  so  daß  der 
sonderbare  Bau  sofort  verständlich  wird.  Die  Meerstrandpflanzen  dagegen  wachsen  in 
feuchter  Luft  und  werden  nicht  selten  sogar  zeitweise  überflutet.  Trotzdem  müssen  sie 
aber  gleich  dem  Mauerpfeffer  gegen  zu  starke  Verdunstung  sorgsam  geschützt  sein; 
denn  die  Pflanzen  vermögen  aus  Salzlösungen  nur  schwer  Wasser  zu  entnehmen.  Das 
bekannteste  dieser  seltsamen  Gewächse,  das  Salzkraut  (Salicörnia  herbäcea),  das  an  den 
Küsten  der  Nord-  und  Ostsee,  sowie  im  Binnenlande  oft  weite  Strecken  überzieht,  hat  es 
sogar  wie  die  Kaktusgewächse  (s.  das.)  bis  zum  gänzlichen  Verlust  der  Blätter  gebracht. 


2.  Klasse.     Einkeimblättrige  Pflanzen  oder  Spitzkeimer 

(Monocotyleae). 

Keimling  mit  nur  einem  Keimblatt  (s.  Roggen).     Laubblätter  in   der  Regel  mit  parallel 
verlaufenden,   unverzweigten  Hauptnerven.     Blütenteile   meist  in   der  3-Zahl  vorhanden. 

64.  Familie.     Liliengewächse  (Liliäceae). 

Blütenhülle    blumenblattartig    und    wie    die   Staubblätter    aus    2   dreiblättrigen   Kreisen 

bestehend.      Fruchtknoten    oberständig,    dreifächerig.   —    Stauden,    deren    unterirdische 

Stengel    vielfach   Zwiebeln    oder   Knollen    darstellen. 

1.  Unterfamilie.     Eigentliche  Lilien  (Lilieae). 
Die  Tulpe  (Tülipa  gesneriäna). 

A.  Die  Tulpe,  eine  Zierpflanze.  Es  gibt  wohl  kaum  einen  Blumen- 
garten, in  dem  nicht  auch  einige  Tulpen  zu  finden  wären!  Denn  wenn  der 
Mensch  den  Pflanzen  auch  oft  gleichgültig  gegenübersteht:  ein  Beet  mit  Tulpen 
und  Hyazinthen,  mit  Schneeglöckchen  und  Crocus  oder  anderen  Frühlings- 
gewächsen betrachtet  jeder  mit  Wohlgefallen. 

Die  Tulpe  ist  in  den  Steppenländern  Westasiens  heimisch.  Zuerst 
nahmen  sie  die  Türken  in  ihre  Gärten  auf.  Von  dort  aus  gelangte  sie  etwa 
um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  nach  Deutschland,  und  schon  nach  einigen 
Jahrzehnten  hatte  sich  die  willkommene  Frühlingsgabe  über  alle  europäischen 
Länder  verbreitet.  Ganz  besonders  nahmen  sich  die  blumenliebenden  Holländer 
ihrer  Pflege  an,  und  bald  entstanden  zahlreiche  Spielarten  (s.  S.  19),  die 
während  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  z.  T.  zu  ganz  unverhältnis- 
mäßig hohen  Preisen  verkauft  wurden.  So  zahlte  man  z.  B.  für  eine  einzige 
Zwiebel  einer  besonders  seltenen  Sorte  nicht  weniger  als  13  000  Gulden! 

B.  Die  Tulpe,  ein  Zwiebelgewächs.  1.  a)  Das  Wesen  der  Zwiebel 
wird  uns  leicht  klar  werden,  wenn  wir  uns  an  die  Knospe  der  Boßkastanie 
erinnern!  In  diesem  Gebilde  erkannten  wir  einen  winzigen  Zweig,  der  Blätter 
und  auch  oft  Blüten  trägt,  und  der  von  besonders  gestalteten  Blättern,  den 
Knospenschuppen,  umhüllt  ist.  Durchschneiden  wir  eine  Tulpenzwiebel,  bevor 
sie  „ausgetrieben"  ist,  der  Länge  nach,  so  finden  wir  fast  dieselben  Verhältnisse 
vor.  Wir  sehen  erstlich,  daß  ihr  unterster  Abschnitt  von  einem  scheibenförmigen 
Körper  gebildet  ist.  Diese  „Zwiebelscheibe"  stellt  einen  kurzen,  platt- 
gedrückten Stamm  dar,  der  unten  mit  einem  Kranze  faseriger  Wurzeln  besetzt  ist. 
Ferner  erkennen  wir,  wie  sich  dieser  Stamm  in  einen  Stengel  verlängert, 
der  einige  Laubblätter  und  eine  Blüte  trägt.  (Junge  Zwiebeln  treiben 
nur  einen  kurzen,  beblätterten  Stengel.)  Und  endlich  finden  wir,  daß  sich  auf 
der    Zwiebelscheibe    rings    um    den    Stengel    noch    mehrere    Blätter,    die    sog. 


Tulpe. 


219 


Zwiebelschalen,  erheben.  Sie  machen  die  Hauptmasse  der  Zwiebel  aus  und 
sind  (Querschnitt!)  kreisförmig  geschlossen,  so  daß  sie  etwa  die  Form  von 
Hohlkegeln  haben.  Die  äußeren  Schalen  sind 
trocken,  brüchig  und  von  brauner  Färbung,  die 
inneren  dagegen  saftig,  fleischig  und  (wie  die 
meisten  im  Finstern  wachsenden  Pflanzenteile ; 
Beispiel!)  farblos.  Da  die  Zwiebel  also  vor- 
wiegend aus  Blättern  besteht,  kann  sie  keine 
Wurzel  darstellen,  wofür  sie  im  gewöhnlichen 
Leben  meist  gehalten  wird;  denn  eine 
Wurzel  trägt  niemals  Blätter.  Sie  ist 
vielmehr  eine  unterirdische  Knospe 
oder  ein  kurzer,  unterirdischer  ^r'L ' 
Stamm  mit  besonders  gestalteten 
Blättern. 

b)  Daß  diese  Deutung  richtig  ist,  geht 
auch  daraus  hervor,  daß  die  Zwiebel  gleich  3. — 
der  Knospe  in  einer  Blattachsel  ihre  Ent- 
stehung nimmt.  Und  zwar  bilden  sich 
bei  der  Tulpe  die  jungen  Zwiebeln  stets 
in  der  Achsel  einer  Zwiebelschale.  (Bei 
anderen  Liliengewächsen  entstehen  Zwiebeln 
auch  in  den  Achseln  oberirdischer  Blätter; 
s.  Knoblauch  und  Feuerlilie!) 

c)  Im  Gegensatz  zu  den  gewöhnlichen 
Knospen,  die  mit  der  Mutterpflanze  in  der 
Regel  im  Zusammenhange  bleiben,  führt 
die  Zwiebel  ein  selbständiges  Leben.  Sie 
ist  daher  genötigt,  Nahrung  aus  dem  Boden 
zu  entnehmen,  oder  anders  ausgedrückt, 
Wurzeln  zu  schlagen. 

2.  Die  Bedeutung  der  Zwiebel.  I.  Wie  oben  bemerkt,  hat  die  Tulpe 
in  den  Steppenländern  Westasiens  ihre  Heimat.  In  diesen  Gegenden  folgt  jahr- 
aus, jahrein  auf  eine  kurze  Regenzeit  eine  7 — 8  Monate  währende  Dürre.  Dann 
vertrocknen  alle  saftigen  Gewächse,  und  der  Boden  wird  oft  steinhart.  Nur  die 
mit  besonderen  Schutzmitteln  (nenne  solche!)  ausgerüsteten  Pflanzen  oder  die- 
jenigen, deren  Pfahlwurzeln  bis  zu  den  tieferen,  stets  feuchten  Bodenschichten 
hiuabreichen,  vermögen  die  Trocknis  zu  überdauern.  Alle  anderen  Gewächse  sind 
entweder  einjährige  Pflanzen,  die  mit  Beginn  der  Regenzeit  aus  Samen  hervor- 
gehen, schnell  Blüten  und  Früchte  treiben  und  mit  Eintritt  der  Dürre  absterben, 
oder  „Stauden",  die  sich  vor  den  sengenden  Strahlen  der  Sommersonne  gleich- 
sam in  den  Boden  flüchten :  ihre  oberirdischen  Teile  sterben  ab,  während  die 
unterirdischen    (Wurzelstock,  Knollen    oder  Zwiebeln)   am  Leben   bleiben.     Sd 


Tulpenzwiebel,  längs  durchschnitten. 

S.  Zwiebelscheibe.     St.  Stengel.    Seh. 

Zwiebelschalen.    E.  Ersatzzwiebel.    B. 

2  Bratzwiebeln. 


220      2.  Kl.  Einkeimbl.  Pflanzen.  64.  Fam.  Liliengewächse.    1.  Unterf.  Eigentl.  Lilien. 

zieht  sich  auch  die  Tulpe  mit  beginnender  Trockenheit  in  den  Boden  zurück. 
Wenn  endlich  nach  vielen  Wochen  wieder  heftige  Kegengüsse  auf  die  sonnen- 
verbrannte Steppe  herniederrauschen,  und  das  belebende  Naß  den  staubtrockenen 
Boden  erweicht,  dann  erwacht  mit  der  Tulpe  das  ganze  Heer  der  Stauden  aus 
dem  todähnlichen  Schlafe,  und  schon  nach  kurzer  Zeit  sind  die  weiten  Gefilde 
mit  Tausenden  und  aber  Tausenden  leuchtender  Blüten  bedeckt.  Die  Zwiebel 
ist  also  (gleich  dem  Wurzelstocke  und  der  Knolle)  ein  Mittel  der  Pflanzen, 
die  ungünstige  Jahreszeit  zu  überdauern.  Die  Zwiebelgewächse 
sind  daher  die  Gepräge-  (Charakter-)  Pflanzen  der  Steppe.  (Darum 
werden  z.  B.  in  der  Bibel  auch  die  „Lilien"  so  häufig  erwähnt,  die  noch 
heute  den  Steppen  Palästinas  zur  Eegenzeit  einen  wunderbaren  Schmuck  ver- 
leihen.) 

Auch  für  die  in  unsere  Gärten  eingewanderte  Tulpe  hat  die  Zwiebel 
die  gleiche  Bedeutung :  der  trockene  Sommer,  sowie  der  trockene  (s.  S.  92)  und 
kalte  Winter  würden  die  Pflanze  unbedingt  töten,  wenn  sie  sich  vor  ihnen  nicht 
in  die  schützende  Erde  zurückzöge.  (Beweise,  daß  dies  auch  für  die  ein- 
heimischen Zwiebelgewächse,  sowie  für  alle  Liliengewächse  gilt,  die  mit  Hilfe 
von  Wurzelstöcken  oder  Knollen  überwintern!) 

Die  Aufgabe,  welche  die  Zwiebel  zu  erfüllen  hat,  macht  uns  nun  leicht 
folgende  Tatsachen  verständlich: 

a)  Wir  sagten  oben,  daß  sich  die  Tulpe  gleichsam  in  den  Erdboden 
flüchtet.  Ist  denn  eine  solche  Flucht  gerade  dorthin  von  Bedeutung?  Wie  wir 
Pflanzen,  deren  Wurzeln  oder  unterirdische  Stämme  nicht  vertrocknen  sollen, 
in  die  Erde  „einschlagen"  (Beispiele!),  so  ist  auch  die  Zwiebel  im  Erdboden 
gegen  eine  tödlich  starke  Abgabe  von  Feuchtigkeit  wohl  geschützt.  Welch 
hohen  Grad  von  Trocknis  die  Zwiebel  übrigens  zu  ertragen  vermag,  geht  daraus 
hervor,  daß  wir  unsere  Blumenzwiebeln  mit  Beginn  des  Sommers  meist  aus 
dem  Boden  nehmen  und  bis  zum  Herbste  trocken  aufbewahren.  Wir  müssen 
aber  wohl  bedenken,  daß  s.ich  die  Luft  unserer  Breiten  hinsichtlich  der  Trocken- 
heit mit  der  der  Steppenländer  nur  selten  messen  kann! 

b)  Einen  weiteren  Schutz  gegen  das  Verdorren  bilden  die  trocken- 
häutigen, äußeren  Zwiebelschalen.  (Wir  hüllen  Gegenstände,  die  wir 
feucht  erhalten  wollen,  in  Papier,  trockene  Tücher  u.  dgl. ;  Beispiele !)  In  dieser 
aus  pergamentartigen,  ungenießbaren  Blättern  gebildeten  „Kapsel"  besitzt  die 
Zwiebel  zugleich  ein  wichtiges  Schutzmittel  gegen  die  Angriffe  der  im  Boden 
lebenden  Tiere,  namentlich  der  gefräßigen  Nager. 

c)  Gegen  diese  Feinde  ist  die  Zwiebel  auch  noch  durch  einen  Giftstoff 
geschützt,  der  Erbrechen  erregt. 

d)  Wie  wir  gesehen  haben,  muß  die  Tulpe  in  ihrer  Heimat  bereits  wenige 
Monate  nach  dem  Hervorkommen  aus  der  Erde  die  Samen  gereift  haben.  Hierzu 
wäre  sie  aber  ohne  den  Besitz  der  Zwiebel  sicher  außer  stände.  Gleich  der 
Kartoffelknolle  (s.  das.)  stellt  dieses  Gebilde  nämlich  einen  Vorratsspeicher 
dar,  aus  dem  die  Pflanze  solange  die  Baustoffe  entnimmt,  bis  die  über  dem  Erd- 


Tulpe.  221 

boden  hervorgeschobenen  Laubblätter  im  Sonnenlichte  neue  Stoffe  bilden  können. 
Daher  fühlt  sich  die  anfangs  feste  Zwiebel  zur  Zeit  der  Blüte  bereits  weich 
an  (vgl.  mit  der  „keimenden"  Kartoffelknolle!).  Daß  hier  wirklich  ein  Stoff- 
verbrauch  stattfindet,  beweist  deutlich  die  bekannte  Tatsache  (Versuch!),  daß 
aus  Tulpen-  (Küchen-,  Hyazinthen-  und  anderen)  Zwiebeln,  selbst  wenn  sie  ganz 
trocken  liegen,  die  grünen  Blätter  hervorbrechen,  die  sich  doch  nur  auf  Kosten 
der  Zwiebel  bilden  können.  Ja,  man  ist  sogar  leicht  imstande,  Tulpen-  (Hya- 
zinthen-) Zwiebeln  in  reinem  Wasser  bis  zum  Blühen  zu  bringen. 

e)  Soll  die  Zwiebel  ihre  Aufgabe,  die  Pflanze  über  die  ungünstige  .Jahreszeit 
„hinüberzuretten",  aber  wirklich  erfüllen,  so  muß  für  das  absterbende  Gebilde 
Ersatz  geschaffen  werden:  In  der  Achsel  der  innersten  Zwiebelschale  bildet 
sich  eine  Knospe,  die  schnell  an  Größe  zunimmt  und  zur  „Ersatzzwiebel" 
für  das  nächste  Jahr  wird. 

Hiermit  geht  nun  ein  allmählicher  Verfall  der  „alten"  Zwiebel  Hand 
in  Hand:  ihre  Schalen  werden  von  der  sich  immer  mehr  dehnenden  Ersatz- 
zwiebel nach  außen  gedrängt  und  die  anfangs  prallen,  saftigen  Gebilde  werden 
immer  welker  und  trockener.  Hat  die  Ersatzzwiebel  endlich  ihre  volle  Aus- 
bildung erlangt,  dann  sind  die  Schalen  der  alten  Zwiebel  zu  pergamentartigen 
Häuten  verschrumpft,  also  (s.  Absch.  b)  zur  Schutzhülle  der  jungen  Zwiebel  ge- 
worden. Die  Zwiebel,  die  wir  im  Herbste  pflanzen,  ist  also  nicht 
dieselbe,  die  im  Frühjahre  geblüht  hat,  sondern  ein  Nachkomme, 
eine  Knospe  dieser.     (S.  dag.  die  Zwiebel  des  Schneeglöckchens!) 

Öffnet  man,  nachdem  die  oberirdischen  Teile  abgestorben  sind,  die  Ersatz- 
zwiebel, so  findet  man  in  ihr  Stengel,  Blätter  und  Blüte  für  das  nächste  Jahr 
bereits  vollkommen  ausgebildet.  (Ja  sogar  die  Ersatzzwiebel  für  das  nächste 
Jahr  ist  als  winzige  Knospe  bereits  angelegt.)  Diese  Tatsache  erklärt  uns 
nun  einerseits,  wie  die  Tulpe  der  Anforderung  zu  genügen  vermag,  die  die 
heimatliche  Steppe  an  sie  stellt  —  nämlich  schnell  zu  ergrünen  und  zu  blühen  — 
und  wie  sie  andererseits  eine  unserer  ersten  Frühlingspflanzen  bilden  kann. 
(Vgl.  mit  anderen  Liliengewächsen,  sowie  mit  dem  Scharbockskraut  und  anderen 
Pflanzen  des  Frühjahrs.) 

IL  Löst  man  die  Zwiebelschalen  vorsichtig  von  der  Zwiebelscheibe  ab,  so 
findet  man  außer  der  Ersatzzwiebel  in  den  Achseln  anderer  Zwiebelschalen  zu- 
meist noch  weitere  Knospen,  die  sich  gleichfalls  nach  und  nach  zu  Zwiebeln 
ausbilden.  Mit  dem  Absterben  der  Zwiebelschalen  wandern  sie  nach  außen, 
und  wenn  die  Schalen  endlich  verwesen,  dann  werden  sie  frei  und  geben  je 
einer  neuen  Pflanze  das  Dasein.  Diese  jungen  Zwiebeln  bezeichnet  man  daher 
auch  treffend  als  „Brutzwiebeln".  Die  Zwiebel  ist  für  die  Tulpe  (und  die 
anderen  Zwiebelgewächse)  also  nicht  nur  eine  Einrichtung,  die  ungünstige  Jahres- 
zeit zu  überdauern,  sondern  auch  ein  Mittel  der  Vermehrung. 

C.  Vom  Stengel  und  von  den  Blättern  der  Tulpe.  1.  Stengel  und 
Blätter,  die  aus  der  oft  tief  im  Boden  liegenden  Zwiebel  hervorgehen,  müssen 
eine  dicke  und  nicht  selten  sogar  feste  Erdschicht    durchbrechen.     Wie 


222  64.  Familie.     Liliengewächse.     1.  Unterf.    Eigentliche  Lilien. 

aber  vermögen   die   zarten  Blätter   und   der  Stengel,   der   zudem  noch  von  der 
sehr  empfindlichen  Blüte  gekrönt  ist,  eine  solche  Arbeit  zu  leisten? 

a)  Die  Blätter  sind  zu  einem  Kegel  zusammengelegt,  dessen  Spitze  den 
Erdboden  wie  ein  Keil  durchbricht.  Der  Mantel  des  Kegels  wird  von  dem 
derberen,  untersten  Blatte  gebildet,  das  die  zarteren,  oberen  Blätter,  sowie  den 
oberen  Stengelteil  mit  der  Blüte  schützend  umhüllt. 

b)  Die  Spitze  des  äußeren  Blattes,  die  beim  Durchbrechen  des  Bodens 
vorangeht,  ist  kapuzenförmig  gestaltet  und  fast  stechend  hart. 

2.  Ist  die  Erdschicht  durchbrochen,  so  entfalten  sich  alsbald  die  Blätter, 
von  denen  bei  blühenden  Pflanzen  in  der  Regel  3  vorhanden  sind.  (Stelle  die 
Verhältnisse  bei  nicht  blühenden  Pflanzen  fest.)  Sie  sind  ungestielt  und  umfassen 
den  Stengel  scheidenartig.  Ihre  unverzweigten  Nerven  laufen  dem  Rande  parallel, 
ein  Merkmal,  durch  das  die  einkeimblättrigen  Pflanzen  (Monocotylen)  meist 
schon  auf  den  ersten  Blick  von  den  zweikeimblättrigen  (Dicotylen)  zu  unter- 
scheiden sind. 

a)  Stengel  und  Blätter  sind  mit  einer  bläulichen,  abwischbaren  Wachs- 
s chi cht  bedeckt,  wie  wir  solche  bereits  beim  Raps  fanden  (s.  S.  17,  2). 

b)  Die  grünen  Teile  sind  ferner  vollkommen  kahl.  Es  fehlt  ihnen  also 
jede  Spur  einer  Behaarung,  durch  die  z.  B.  so  zahlreiche  Sommergewächse 
(Beispiele!)  gegen  zu  starke  Wasserdampfabgabe  geschützt  sind.  Wenn  wir  aber 
bedenken,  daß  die  Tulpe  in  der  heimatlichen  Steppe  nur  während  der  feuchten 
Jahreszeit  und  in  unseren  Gärten  während  des  Frühjahrs  grünt,  hier  wie  dort 
also  in  einer  Zeit,  in  der  der  Boden  feucht  und  die  Luft  stark  mit  Wasser- 
dampf erfüllt  ist,  so  werden  wir  diesen  scheinbaren  Mangel  wohl  verstehen. 

c)  Die  Blätter  stehen  am  Stengel  schräg  aufwärts  und  haben  rinnen- 
förmige  Gestalt.  Die  auf  sie  fallenden  Regentropfen  (Versuch!)  rollen  daher 
nach  der  Mitte  zu  (centripetal)  ab  und  gelangen  somit  an  die  Stelle,  an  der 
sich  die  Wurzeln  finden  (s.  S.  88,  c). 

D.  Ton  der  Blüte  der  Tulpe.    Die  Blütenhülle  besteht  aus  6  Blättern 
von    sehr   wechselvoller    Färbung    (gib    sie    näher   an!).     Obwohl   diese  Blätter 
zu  zwei   dreiblätterigen  Kreisen   geordnet   sind,  lassen  sie  sich  nicht  als  Kelch 
und  Blumenkrone  voneinander  unterscheiden,  wie   dies  bei  zahlreichen  anderen 
Pflanzen  der  Fall  ist.   Man  bezeichnet  die  Blütenhülle  daher  als  „einfach"  (oder 
als  „Perigon").   Daß  die  Blätter  des  äußeren  Kreises  dem 
Kelche  aber  vollkommen   entsprechen,  geht  nicht  nur  aus 
ihrer  Stellung,    sondern    auch   daraus   hervor,   daß   sie  im 
Knospenzustande    die  inneren  Blätter   wie   ein  Kelch  um- 
hüllen,  und   daß    sie   bis  kurz   vor   dem    Aufblühen   grün 
sind,  während  jene  dann  schon  eine  bunte  Färbung  zeigen. 
Die    6    Staubblätter    sind   gleichfalls    zu    2    Kreisen 
geordnet.    Sie  umgeben  den  Stempel,  der  aus  einem  drei- 
Bliitengrundriß         fächerigen,    säulenartigen  Fruchtknoten  (Querschnitt!)  und 
der  Tulpe.  einer  in  3  abgerundete  Lappen  gespaltenen  Narbe  besteht.  — 


Tulpe.     Andere  Lilien.  223 

Indem   sich   die  Staub-   und  Fruchtblätter   zu   blütenblattartigen   Gebilden   um- 
wandeln, entstehen  die  „gefüllten"  Tulpen. 

1.  Die  Tulpe  bringt  alljährlich  nur  eine  einzige  Blüte  hervor.  Da 
diese  aber  von  auffallender  Größe  ist,  so  vermag  sie  wohl  die  Aufmerksam- 
keit der  Insekten  zu  erregen.  Immerhin  wäre  es  aber  höchst  unsicher,  wenn  der 
Fortbestand  der  Pflanze  nur  auf  dieser  einen  Blüte  beruhte.  In  Wirklichkeit 
ist  sie  darauf  ja  nicht  allein  angewiesen;  denn  außer  durch  Samen  erhält  und 
vermehrt  sich  die  Tulpe  ja  noch  —  wie  wir  gesehen  haben  —  durch  die  Ersatz- 
zwiebel und  die  Brutzwiebeln. 

2.  Obgleich  die  Blüte  keinen  Honig  enthält,  wird  sie  doch  von  zahlreichen 
Insekten  besucht.  Die  große]n  Staubbeutel  enthalten  soviel  Staub,  daß 
die  Besucher  ohne  Schaden  für  die  Pflanze  davon  speisen  können.  Der  dabei 
verstreute  Blütenstaub  wird  von  den  muldenförmig  gebogenen  Blättern 
der  Blutenhülle  aufgefangen  und  für  spätere  Gäste  aufbewahrt  (vgl.  mit 
Klatschmohn  und  Hundsrose). 

3.  Im  hellen  Sonnenscheine  breiten  sich  die  Blätter  der  Blütenhülle  zu 
einem  leuchtenden  Stern  auseinander,  so  daß  die  Blüte  für  die  über  sie 
hinwegfliegenden  Insekten  noch  auffälliger  wird.  Mit  Eintritt  des  Abends  aber 
schließt  sie  sich  wieder.  Bei  trübem  und  regnerischem  Wetter  öffnet  sie  sich 
garnicht  (s.  S.  3,  b). 

E.  Von  der  Frucht  der  Tulpe.  Der  Fruchtknoten  bildet  sich  zu  einer 
Kapsel  aus,  die  in  jedem  der  3  Fruchtfächer  2  Reihen  Samen  enthält,  und 
die  sich  bei  der  Reife  mit  3  Klappen  öffnet.  Da  der  anfangs  saftige  und 
brüchige  Stengel  jetzt  trocken  und  elastisch  geworden  ist,  so  vermag  der  Wind 
die  Samen  leicht  auszuschütteln  (Schleuder!),  und  da  diese  leichte,  elastische 
Scheiben  darstellen,  zugleich  weit  zu  verwehen. 

Andere  Lilien. 

1.  Mit  der  Gartentulpe  hat  eine  große  Anzahl  anderer  Liliengewächse,  die  sich 
alle  durch  herrlichen  Blutenschmuck  auszeichnen,  Eingang  in  unsere  Gärten  gefunden. 
Da  ist  zunächst  die  wohlriechende,  gelbblühende  wilde  Tulpe  (T.  silvestris)  zu  nennen, 
die  aus  Südeuropa  stammt.  Sie  hat  die  Gärten  aber  vielfach  wieder  verlassen  und 
sich  auf  Grasplätzen,  in  Weinbergen  und  an  ähnlichen  Orten  angesiedelt.  —  Als 
schönste  Frühlingspflanze  gilt  neben  der  Tulpe  die  Hyazinthe  (Hyacinthus  orientälisi, 
die  in  zahlreichen  farbenprächtigen  Spielarten  gezogen  wird,  und  deren  Stammform  in 
Kleinasien,  Griechenland  und  Dalmatien  zu  finden  ist.  Sie  hat  zwar  weit  kleinere 
Blüten  als  die  stolze  Tulpe;  dafür  sind  diese  aber  von  köstlichem  Duft  und  zu  ansehn- 
lichen Trauben  gehäuft,  so  daß  sie  sich  den  Bestäubern  doch  weithin  kenntlich  machen.  — 
Bei  der  niedlichen  Bisam  -  Hyazinthe  (Muscäri)  findet  gleichfalls  eine  Häufung  der 
kleinen  Blüten  statt  („Weinträubcken").  Hier  aber  dienen  die  oberen  Blüten,  die  weder 
Stempel  noch  Staubblätter  enthalten,  ganz  der  Insektenanlockung  (vgl.  mit  Schnee- 
ball). —  Tiefblaue  Sterne  bilden  die  Blüten  der  ebenfalls  in  unseren  Gärten  häufig 
angepflanzten  Meerzwiebeln  (Scilla).  Eine  als  Topfpflanze  allgemein  bekannte  Form 
dieser  Gattung   ist    die    weißblühende    echte  31.  (S.  maritima),    die    an    den  Küsten  des 


224  64.  Familie.     Liliengewächse.     1.  Unterf.     Eigentliche  Lilien. 

Mittelländischen  Meeres  und  Atlantischen  Oceans  ihre  Heimat  hat  (Name!).  —  Mittel- 
asien hat  uns  die  stattliche  Kaiserkrone  (Fritilläria  imperiälis)  geliefert.  Ihre  großen, 
gelbroten  Blüten  stellen  hängende  Glocken  dar,  so  daß  der  Blütenstaub  und  der  am 
Grunde  der  Blütenhüllblätter  reichlich  abgeschiedene  Honig  vom  Regen  nicht  erreicht 
werden  können.  Die  Zwiebel  ist  durch  ein  scharfes  Gift  gegen  Tierfraß  geschützt.  — 
Als  ein  Sinnbild  der  Reinheit  und  Unschuld  gilt  schon  seit  den  ältesten  Zeiten  die  weiße 
Lilie  (Lilium  cändidum).  Sie  ist  in  Südeuropa  und  Westasien  heimisch  und  erfreut  uns 
erst  im  Hochsommer  durch  die  Pracht  ihrer  Blüten,  mit  denen  sich  nicht  einmal  „Salomo 
in  aller  seiner  Herrlichkeit"  vergleichen  konnte.  Die  blendend  weiße  Färbung,  der 
abends  stärker  werdende  Duft,  sowie  die  Größe  und  Stellung  der  Blüte  lassen  darauf 
schließen,  daß  wir  es  hier  mit  einer  Nachtfalterblume  zu  tun  haben  (vgl.  mit  Leim- 
kraut). Auch  der  Mangel  einer  Anflugsstelle  für'die  Besucher,  sowie  die  Stellung  und 
schaukelartige  Befestigung  der  Staubblätter  (vgl.  mit  Wald-Geißblatt)  deuten  darauf 
hin.  —  Die  gleichfalls  in  unseren  Gärten  häufig  zu  findende  Feuerlilie  (L.  bulbiferum) 
mit  ihren  gelbroten,  duftlosen  und  aufrecht  stehenden  Blüten  ist  eine  Tagfalterblume 
wie  z.  B.  die  Steinnelke.  In  den  Achseln  der  oberen  Blätter  bilden  sich  nicht  selten 
schwarze  Brutzwiebeln ,  eine  Erscheinung,  auf  die  bereits  früher  hingewiesen  wurde. 
Die  stattliche  Pflanze,  die  bei  uns  heimisch  ist,  aber  nur  sehr  selten  auf  Gebirgswiesen 
angetroffen   wird,  leitet  zu  unseren  wildwachsenden  Liliengewächsen  über. 

2.  Wenn  uns  im  Garten  Tulpen  und  Hyazinthen  erfreuen,  dann  blühen  draußen  in 
Feld  und  Wald  die  Goldsternarten  (Gägea).  Mit  Beginn  des  Abends  schließen  sich 
ihre  gelben  Blüten,  und  bei  regnerischem  Wetter  öffnen  sie  sich  gar  nicht  (Bedeutung?). 
Dann  ist  von  den  leuchtenden  Blütensternen  (Name!)  kaum  noch  etwas  zu  bemerken; 
denn  die  Blätter  der  Blütenhülle  sind  auf  der  Rückseite  grünlich  gefärbt  (s.  S.  3,  b).  — 
Dieselbe  Erscheinung  ist  auch  an  den  weißen,  zu  einer  Dolde  gehäuften  Blüten  des 
Milchsterns  (Ornithügalum  umbellätum)  zu  beobachten.  Da  die  zierliche  Pflanze  wie 
die  Goldsternarten  keinen  Stengel  bildet,  so  kann  sie  auch  nur  an  solchen  Orten  wachsen, 
an  denen  sie  trotz  ihrer  Kleinheit  zur  Geltung  kommt,  im  niedrigen  Grase,  an  Weg- 
rändern u.  dgl.  Und  will  sie  von  den  Nachbarpflanzen  nicht  überwuchert  werden,  so 
muß  sie  sehr  zeitig  im  Jahre  erscheinen.  —  Letzteres  gilt  auch  von  der  Schachblume 
(Fritilläria  meleägris),  die  nasse  Wiesen  mit  ihren  schachbrettartig  gewürfelten,  hängenden 
Blütenglocken  schmückt.  —  Der  Türkenbund  (Lilium  märtagon)  dagegen  entfaltet  seine 
herrlichen  Blüten  erst  im  Juni  und  Juli.  Dafür  überragt  er  aber  auch  (Höhe  bis  '/a  m) 
die  niederen  Pflanzen  seiner  Umgebung.  Zu  dieser  Zeit  trifft  man  an  sonnigen  Stellen 
längst  kein  Liliengewächs  mehr.  Im  Schatten  des  Laubwaldes  dagegen  findet  der 
Türkenbund  (Blätter  derber  als  bei  den  Frühlingspflanzen)  selbst  in  den  heißen  Sommer- 
tagen noch  den  notwendigen  Schutz.  Wie  bei  der  weißen  Lilie  sind  Nachtfalter  vor- 
wiegend die  Bestäuber  der  wie  ein  Turban  geformten  Blüten.  (In  welchen  Stücken  ist 
die  Blüte  ihren  Bestäubern  „angepaßt"?)  —  Der  Bärenlauch  (Allium  ursinum)  dagegen, 
der  häufig  in  feuchten  Laubwäldern  anzutreffen  ist,  sich  aber  nur  wenig  über  den  Boden 
erhebt  (stengellos!),  ist  wie  das  Windröschen  eine  Frühlingspflanze  mit  großen,  zarten 
Blättern.  Eine  häutige  Scheide  umgibt  schützend  die  zu  einer  Dolde  geordneten,  weißen 
Blüten,  bevor  sie  sich  entfalten,  und  allen  Teilen  entströmt  ein  starker  Knoblauchsgeruch 
(Schutzmittel  gegen  Tiere).  Beide  Merkmale  teilt  die  Pflanze  mit  den  zahlreichen 
Gattungsgenossen,  die  wir  als  wichtige 

3.  Küchengewürze  in  Garten  und  Feld  anbauen.  Von  diesen  Laucharten 
(Ällium)  ist  an  erster  Stelle  die  Küchen-  oder  Sommerzwiebel  (A.  cepa)  zu   nennen, 


Andere  Lilien. 


225 


die  seit  den  ältesten  Zeiten  nicht  nur  als  Würze,  sondern    auch    als  Gemüse    verwendet 
wird.    Obgleich  die  langen,  fast  senkrecht  stellenden   und  unterhall)  der  Mitte  bauchig  an- 
geschwollenen Blätter  und  Stengel  sehr    zart    sind,    vermögen    sie    doch   selbst   heftigen 
Stürmen    zu    widerstehen:     sie    stellen    Röhren    dar,    die 
wie    alle    Röhren   (s.  Halm  des  Roggens)    eine  verhältnis- 
mäßig  große    Biegungsfestigkeit    besitzen.     Die    Zwiebi 
(verfolge    die  Keimung    des   Samens    und    die   Bildung  der 
Zwiebel!)    geht     schon    bei    geringer   Kälte    zugrunde,    ein 
Zeichen,    daß   die  Heimat  der  wichtigen   Pflanze  im  Süden 
(wahrscheinlich  im  Mittelmeergebiete)   zu   suchen   ist.   — 
Im  Gegensatz    zur    „Sommerzwiebel"  (Name!)    vermag  die 
Wintcrzwiebel  (A.  fistulösum),    die    nicht    selten  gleich- 
falls zum  Küchengebrauch  angebaut  wird,  selbst  den  Winter 
bei  uns  im  Freien  auszuhalten.     Ihre  Heimat  ist 
aber  auch    der  Südosten    von    Sibirien.      Durch 
die  über    die    ganze   Mitte    bauchig    erweiterten 
Blätter    und  Stengel   ist   die  Pflanze  leicht  von 
jener  zu  unterscheiden.  —  Röhrenförmige  Blätter 
besitzt     auch     der    allbekannte     Schnittlauch 
(A.  schoenöprasum) ,    der    bei    uns   heimisch  ist 
und    ein    mehrfaches    Abschneiden    der    Blätter 
leicht  verträgt  (Name!  Verwendung?).  —  Flache 
Blätter  wie  der  oben  erwähnte  Bärenlauch    hat 
der  stark    riechende    Knoblauch    (A.  sativum), 
dessen  Stammpflanze    wahrscheinlich    in  Mittel- 
asien heimisch  ist.    Er  entwickelt  in  der  Dolde 
neben    wenigen,    langgestielten,    kleinen    Blüten 
zahlreiche,  kugelige  Brutzwiebeln,  die  ausgesät 
sich    zu    neuen    Pflanzen    entwickeln.     —     Mit 
dem    Knoblauch     ist   wahrscheinlich    die    Perl- 
zwiebel  (A.  ophioseörodon)  aus  derselben  Stamm- 
pflanze  hervorgegangen  (Verwendung?)  —  Gleich- 
falls eine  „Kulturform"  ist  der  Porree  (A.  porrnm), 
der  als  Gewürzpflanze  hoch  geschätzt  wird  (Ver- 
wendung?) und  im  Mittelmeergebiete  seine  Hei- 
mat hat. 

4.  Es  sind  hier  endlich  noch  einige  ausländische  Pflanzen  zu  erwähnen,  die 
bei  uns  im  Gewächshause  und  Zimmer  häufig  gehalten  werden.  Dahin  gehören  vor  allen 
Dingen  die  Drachenbäume  (Dracama),  die  am  Gipfel  des  kahlen  Stammes  einen  Büschel 
schwertförmiger  Blätter  tragen  und  daher  meist  für  Palmen  gehalten  werden.  Sic  sind 
in  den  wärmeren  Gegenden  der  alten  Welt  heimisch  und  erreichen  zumeist  ein  außer- 
ordentlich hohes  Alter.  —  Sehr  ähnliche  Pflanzen  sind  die  Palmlilien  (Yucca),  die  aus 
dem  warmen  Amerika  stammen.  — ■  Die  öden  Steppen  und  Wüsten  Afrikas,  besonders 
des  Caplandes,  bewohnen  die  Aloe-Arten  (Aloe).  Da  sie  gleich  dem  Mauerpfeffer  und 
den  Kaktusarten  (s.  das.)  ausgeprägte  „Fettpflanzen"  sind,  vermögen  sie  monatelangc 
Trocknis  leicht  zu  überdauern.  Aus  dem  bitteren  Safte  der  dicken,  fleischigen  und 
derben  Blätter  gewinnt  man  eine  als  Abführmittel  viel  gebrauchte  Medizin. 
Seh  m  eil,    Lehrbuch  der  Botanik. 


Blutenstand 
vom  Knoblauch. 

H.  Häutige  Schei- 
de.      B.     Blüten. 

Z.    Brut  zwiebeln. 


IB 


22ii      Taf.  31  u.  32.  64.  Fani.  Liliengew.  2.  Unterf.  Herbstzeitl.  3.  Unterf.  Spargelart.  Pfl. 

2.  Unterfamilie.    Herbstzeitlosen  (Colclüceae). 
Die  Herbstzeitlose  (Colchicum  autuninäle).     Taf.  31. 

1.  Standort  und  Blütezeit.  Wenn  der  Herbst  seinen  Einzug  in  das 
Land  hält,  und  auf  den  Fluren  nur  noch  hier  und  da  ein  verspätetes  Blümchen 
anzutreffen  ist,  dann  erschließt  auf  feuchten  "Wiesen  erst  die  Herbstzeitlose 
ihre  bläulichroten,  zarten  Blüten.  Die  Pflanze  blüht  also  so  ganz  außer  der 
Zeit  (Name!).  Da  nämlich  die  Blüten  nicht  von  hohen  Stielen  über  den  Boden 
gehoben  werden,  sondern  direkt  aus  ihm  hervorbrechen,  so  können  sie  nur 
dann  zur  Geltung  kommen  (Bedeutung?),  wenn  das  Gras  auf  der  Wiese 
niedrig  ist:  und  das  ist  außer  im  zeitigen  Frühjahre  (vgl.  mit  Krokus)  eben 
nur  im  Herbste  der  Fall. 

2.  Knolle  und  Blüte.  Woher  nimmt  aber  die  Zeitlose,  die  schon  seit 
Monaten  kein  grünes  Blatt  mehr  besitzt,  die  Stoffe  zum  Aufbau  der  Blüte? 
Wie  bei  der  Tulpe  in  der  Zwiebel,  so  liegen  sie  hier  in  einer  Knolle  (s.  Kar- 
toffelknolle!) aufgespeichert,  die  wir  beim  Nachgraben  leicht  finden  (1.).  Löst 
man  die  dunkelbraune  Hülle  (d.  i.  die  Scheide  des  ersten  vorjährigen,  jetzt  halb 
verwesten  Laubblattes)  ab,  so  sieht  man,  wie  sich  die  junge  Pflanze  auf  einem 
kurzen  Seitentriebe  der  Knolle  erhebt  (2.).  Sie  ist  außer  von  der  genannten 
braunen  Hülle  noch  von  einigen  farblosen,  scheidenartigen  Blättern  schützend 
umgeben  und  besteht  aus  einem  kurzen  Stengelteile,  der  oben  die  Blüte  trägt, 
und  an  dem  wir  die  nächstjährigen  Blätter  bereits  deutlich  erkennen. 

Da  sich  die  Blüte  (1.  u.  3.)  über  dem  Erdboden  entfalten  muß  (warum?), 
sind  die  Blätter  der  Blutenhülle  im  unteren  Teile  zu  einer  sehr  langen  Bohre 
verwachsen.  Sie  stellt  gleich  den  drei  ebenfalls  langen  Griffeln  die  Verbindung 
zwischen  den  ober-  und  unterirdischen  Teilen  her.  In  allen  anderen  Stücken  ist 
die  Blüte  ganz  ähnlich  wie  die  der  Tulpe  gebaut  (Beweis!);  auch  schließt  sie 
sich  nachts  (4.)  und  an  kalten,  regnerischen  Tagen  (Bedeutung?),  an  denen  sich 
ja  doch  keine  Bestäuber  einstellen.  Sobald  die  Blütezeit  vorüber  ist,  zieht  sich 
die  Zeitlose  gleichsam  wieder  in  den  Schoß  der  Erde  zurück ;  denn  dort  sind  die 
zarten  Samenanlagen  allein  vor  dem  tödlichen  Froste  geschützt.  Die  Knollen 
liegen  nämlich  stets  so  tief  im  Boden,  daß  die  Winterkälte  nicht  bis  zu  ihnen 
vorzudringen  vermag  (je  nach  der  Gegend  daher  verschieden  tief!). 

3.  Blätter  und  Früchte.  Sollen  die  Samen  der  Herbstzeitlose  ihre 
Aufgabe  erfüllen  —  nämlich  die  Pflanze  weiter  zu  verbreiten  — ,  so  müssen 
sie  oberirdisch  ausgestreut  werden.  Im  kommenden  Frühjahre  streckt  sich 
daher  der  bisher  sehr  kurze  Stengel  stark  in  die  Länge  und  hebt  die  Blätter, 
sowie  den  schwellenden  Fruchtknoten  zum  Lichte  empor  (5.).  Die  drei  „tulpen- 
artigen" Laubblätter  bereiten  im  Sonnenscheine  nunmehr  Nahrung  für  die 
reifende  Frucht  und  neue  Vorratsstoffe,  die  sich  in  dem  kurz  bleibenden  Stengel- 
gliede  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Laubblatte  anhäufen.  Infolgedessen 
schwillt  dieser  Stengelteil  immer  mehr  an:  es  bildet  sich  die  neue  Knolle, 
die  im  nächsten  Herbste   Blüten  treibt,    während   die   alte  vollkommen  ausge- 


Schmeil,   Lehrbuch  der  Botanik, 


Tafel  31. 


Herbstzeitlose  (Colchicum  autumnale). 


Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  32. 


Maiblume  oder  Maiglöckchen  (Convallaria  majalis). 


Herbstzeitlose.     Maiblume.  .  'J27 

sogen  zugrunde   geht.    (Wir  hat.      es  hier  also    wie   bei   der  Kartoffelknolle 
mit  einer  „Stengelknolle"  zu  tun.) 

Die  Frucht  stellt  eine  dreifacherige  Kapsel  dar.  die  sich  bei  der  Reife 
(Juni)  mit  3  Klappen  öffnet  (6.).  Die  ausfallenden,  braunen  Sinnen  (7.  in  nat. 
Gr.  und  s  mal  verirr.)  besitzen  einen  weißen  Anhang,  der  bei  Befeuchtung  klebrig 
wird.  Infolgedessen  haften  sie  an  den  Hufen  der  Weidetiere  fest,  so  daß  die 
Pflanze  Leicht  weithin  verbreitet  werden  kann.  Die  Samen  sind  wie  alle  .indem 
Teile  der  Pflanze  sehr  giftig.  Daher  hüten  sich  die  Weidetiere  auch,  die  ge- 
fährliche Zeitlose  zu  berühren;  nur  die  Schafe  scheinen  ungestraft  von  den  Blät- 
tern naschen  zu  dürfen.  In  der  Hand  des  Arztes  wird  das  Gift  aber  zu  einem 
wichtigen    Heilmittel. 

3.  Unterfamilie.     Spargelartige  Pflanzen  (Smiläceae). 
Die  Maiblume  oder  das  Maiglöckchen  (Convalläria  majalis).     Taf.  32. 

Wenn  sich  der  Laubwald  in  junges  (irün  gekleidet  hat,  dann  ist  er 
nicht  selten  von  dem  süßen  Dufte  des  Maiblümchens  (Name!)  erfüllt.  Bereits 
einige  Wochen  vorher  hatte  das  Pflänzchen  den  Waldboden  durchbrochen,  in  dem 
es  mit  Hilfe  eines  unterirdischen  Stammes  (Wurzelstocks)  überwinterte 
(Frühlingspflanze!).  Dieses  Gebilde,  das  ganz  ähnlich  wie  beim  Windröschen  ge- 
baut ist  (Beweis !),  sendet  außer  dem  Blütenstande  gewöhnlich  nur  noch  2  Laub- 
blätter zum  Lichte  empor.  Einen  oberirdischen  Stengel,  der  den  Boden  spalten 
könnte,  finden  wir  also  nicht.  Daher  muß  das  zarte  Gewächs  besondere  Ein- 
richtungen hierfür  treffen:  Die  Laubblätter  sind  tütenförmig  zusammengerollt, 
haben  den  Blutenstand  „zwischen  sich  genommen"  und  werden  von  widerstands- 
fähigen, bläulichroten  Hüllblättern  schützend  umgeben.  Der  junge,  ober- 
irdische Teil  stellt  somit  einen  langgestreckten  Kegel  dar,  der  selbst  festere 
Brdschichten  leicht  zu  durchdringen  vermag  (1  a).  Sobald  diese  Arbeit  getan 
ist.  sprengen  die  wachsenden  Laubblätter  die  Hülle  (1  b.),  schieben  sich  immer 
weiier  daraus  hervor  (1  c)  und  breiten  sich  schließlich  aus.  Die  eiförmigen 
Blattflächen  gehen  in  lange  Stiele  über,  sind  mit  einem  Wachsüberzuge  versehen 
(s.  s.  17,  2)  und  wie  die  des  gleichfalls  im  Waldesschatten  wachsenden  Windrös- 
chens verhältnismäßig  groß  (s.  S.  7,  b).  Da  die  Blätter  aber  weit  derber  sind  als 
die  dieser  Pflanze,  so  vermag  die  Maiblume  selbst  dem  trockenen  Sommer  zu  trotzen; 
erst  mit  beginnendem  Herbste  sterben  die  oberirdischen  Teile  ab.  (Beachte,  wie 
der  Stiel  des  untersten  Laubblattes  den  des  anderen  scheidenartig  umschließt! 

Neben  den  Laubblättern  erhebt  sich  der  lange,  gemeinsame  Blüten- 
stiel (1.  u.  2.).  Er  ist  oben  scharf  dreikantig,  unten  dagegen  an  der  den  Blatt- 
stielen angedrückten  Seite  abgerundet  (Bedeutung?).  Im  Endabschnitte  trägt 
er  eine  Anzahl  kleiner,  häutiger  Blättchen,  aus  deren  Achseln  die  kurzgestielten 
Blüten  entspringen.  Anfangs  stehen  diese  aufrecht  und  sind  von  jenen 
.,  11  üll blättchen"  schützend  umgeben;  später  aber  neigen  sie  sich  nach  uuten 
und  stellen  zierliche  Glöckchen   dar  (Name!).     Im  Einzelnen    (3.)   sind   sie    wie 


228      6-1-  Farn.  Liliengewächse.    3.  Unterf.  Spargelartige  Pflanzen.    65.  Farn.  Binsengew. 


die  anderer  Liliengewächse  gebaut  (Beweis!);  die  6  Blätter  der  schneeweißen 
Blutenhülle  sind  aber  zu  einem  glockenförmigen,  6  zipfeligen  Gebilde  verwachsen, 
das  für  Honig  und  Blütenstaub  ein  schützendes  Regendach  abgibt  (Name!).  Da  die 
Blüten  zu  einer  Traube  gehäuft  und  alle  nach  einer  Seite  (nach  welcher?)  ge- 
richtet sind,  werden  sie  trotz  ihrer  geringen  Größe  doch  auffällig.  Vor  allen 
Dingen  dürfte  es  aber  der  köstliche  Duft  sein,  der  die  Bestäuber  zur  Einkehr 
veranlaßt.  Ihm  verdankt  die  Pflanze  in  erster  Linie  auch  die  Zuneigung  des 
Menschen,  der  sie  gern  aus  dem  Waldboden  hebt  und  in  seinen  Garten  verpflanzt. 
Im  Herbste  lockt  die  Maiblume  abermals  Tiere  herbei,  nämlich  Waldvögel, 
die  die  roten,  saftigen  Beeren  (4.)  verspeisen  und  die  harten  Samen  verbreiten 
sollen  (s.  S.  64,  8). 

Gleichfalls  eine  Pflanze  des  schattigen  Laubwaldes  ist    die  Weißwurz    oder   das 
Salomonssiegel  (Polygönatum  officinäle).     Das   stattliche  Gewächs  trägt   diese  Namen 

nach  dem  großen,  weißen  Wurzelstoeke,  an 
dem  beim  Absterben  des  oberirdischen  Stengels 
jedesmal  eine  siegelartige  Höhlung  zurückbleibt. 
Aus  den  Achseln  der  großen,  zweizeilig  gestellten 
Blätter  gehen  die  Blüten  hervor ,  die  langge- 
streckte, hängende  Glöckchen  darstellen.  —  Eine 
überall  häufige  Waldpflanze  ist  auch  die  Schatten- 
blume (Majänthemum  bifolium) ,  die  an  den 
beiden  herzförmigen  Blättern  und  der  aufrecht 
stehenden  Blütentraube  am  Ende  des  handhohen 
Stengels  leicht  zu  erkennen  ist.  —  Das  Glied, 
das  der  Unterfamilie  den  Namen  gegeben  hat,  ist 


der  Spargel  (Aspäragus  officinälis). 

Er  ist  eine  einheimische  Pflanze, 
die  besonders  auf  sandigen  Triften  und  im 
Ufersande  der  Flüsse  noch  heutzutage  ab 
und  zu  wild  angetroffen  wird.  Vor  allen 
Dingen  tritt  sie  uns  aber  in  Garten  und 
Feld  auf  wohlgepflegten  Beeten  entgegen; 
denn  schon  seit  dem  Altertume  bilden  ihre 
jungen  Triebe  ein  hochgeschätztes  Ge- 
müse. Es  sind  dies  zarte,  farblose  Gebilde 
(Lichtmangel!),  deren  fortwachsende  Spitzen 
(Keil!)  beim  Durchbrechen  des  Erdbodens 
durch  schuppenförmige  Blättchen  gegen  Ver- 
letzung geschützt  sind.  Die  Triebe  bilden 
sich  an  dem  überwinternden,  unterirdi- 
schen Stamme  (Wurzelstocke)  und  werden 
der  Pflanze  eine  Zeitlang  vom  Menschen 
genommen.  (Warum  muß  man  das  „Stechen" 


Spargel.  Unterirdischer  Stamm  (Wur- 
zelstock)   mit   jungen    Trieben.      Der 
stärkste  Trieb  rechts  ist  „gestochen". 
(Verkl.) 


"Weißwurz.      Schattenblume.      Spargel.      Flatter-Binse.  229 

des  Spargels  auf  einige  Wochen  beschranken?  Wann  sticht  man  „ein  Spargelbeet 
tot"?  Was  geschieht,  wenn  die  Triebe  zu  tief  gestochen  weiden?  Warum  sind 
die  Triebe  in  festem  oder  gar  steinigem  Boden  hart  und  holzig?) 

Überläßt  man  die  Triebe  sich  selbst,  dann  entwickeln  sie  sich  zu  meter- 
hohen, baumartig  verzweigten  Stengeln,  die  vermöge  großer  Festigkeit  und 
Zähigkeit  selbst  den  heftigsten  Winden  Widerstand  leisten  können.  Statt  der 
Laubblätter  gewöhnlicher  Form  tindet  man  an  den  Stengeln  und  Zweigen  un- 
scheinbare braune  Schuppen.  Aus  ihren  Achseln  entspringen  Büschel  nadel- 
förmiger  Gebilde,  die  gewöhnlich  für  die  Blätter  gehalten  werden.  Da  aber 
bei  allen  Pflanzen  aus  den  Blattachseln  stets  Zweige  hervorgehen,  so  können 
wir  hier  auch  nur  solche  vor  uns  haben.  Wie  der  Stengel  und  die  größeren 
Zweige  sind  diese  Zweiglein  mit  Blattgrün  ausgerüstet.  Sie  sind  demnach 
auch  in  der  Lage,  die  Arbeiten  zu  verrichten,  die  die  Blätter  nicht  leisten 
können  (warum  nicht?)  Wir  haben  es  hier  also  mit  einer  ähnlichen  Er- 
scheinung zu  tun  wie  bei  den  Kaktusgewächsen  (s.  das.),  und  wie  dort 
werden  wir  auch  hier  in  dem  Fehlen  gewöhnlicher  Laubblättcr  ein  wichtiges 
Schutzmittel  gegen  das  Vertrocknen  leicht  erkennen;  denn  der  Spargel  ist  ja  — 
wie  oben  erwähnt  —  eine  Pflanze  des  lockeren  Sandbodens,  die  in  ursprüng- 
lichem Zustande  sicher  alljährlich  mehrere  Monate  mit  starkem  Wassermangel 
zu  kämpfen  hat.  Hiermit  steht  auch  im  Einklänge,  daß  sich  der  unterirdische 
Stamm  verhältnismäßig  tief  unter  der  Erdoberfläche  findet,  und  daß  von  ihm 
zahlreiche,  sehr  lange  Wurzeln  ausgehen,  die  den  (wasserarmen!)  Boden  weit- 
hin durchziehen. 

Aus  den  Achseln  der  schuppenförmigen  Blätter  entspringen  auch  die 
grüngelben  Blüten,  die  wie  die  der  Maiblume  hängende  Glöckchen  darstellen. 
Man  findet  in  ihnen  entweder  die  Staubblätter  oder  den  Stempel  meist  gänzlich 
verkümmert,  eine  der  vielfachen  Einrichtungen  der  Natur,  durch  die  Selbst- 
bestäubung verhindert  wird.  Die  Früchte  sind  rote  Beeren,  die  der  Ver- 
breitung durch  Vögel  „angepaßt"  sind  (Beweis!). 

65.  Familie.     Binseng-ewäehse  (Juncarea.). 

Die  Binsengewächse  stimmen  mit  den  Liliengewächsen  bis  auf  die  unscheinbar 
grünen  oder  braunen  Blätter  der  Blütenhülle  fast  vollkommen  überein  (Beweis !).  —  An 
nassen  Stellen  findet  sich  als  eine  der  am  häufigsten  vorkommenden  Formen  die  Flatter- 
Binse  (Juncus  effüsus).  Aus  dem  kriechenden,  vielfach  verzweigten  unterirdischen 
Stamme  erheben  sich  runde,  knotenlose,  bis  etwa  l/s  m  hohe  Halme,  aus  denen  seitlich 
zahlreiche  Bluten  hervorbrechen.  Bei  genauerem  Zusehen  erkennt  man  jedoch  leicht, 
daü  sich  der  Blütenstand  am  Ende  des  Halmes  befindet  und  die  eigentümliche  Lage 
nur  dadurch  erhält,  daß  sein  stielrundes  Deckblatt  senkrecht  aufgerichtet  ist.  Die 
Blüten  werden,  wie  schon  ihre  Unscheinbarkeit  andeutet,  durch  den  'Wind  be- 
stäubt. Außer  dem  erwähnten  Deckblatte  und  einigen  Blattscheiden  am  Grunde  des 
Halmes  ist  von  grünen  Blättern  nichts  zu  finden.  Diese  sonst  nur  bei  Pflanzen  der 
trockensten  Standorte  (z.  B.  bei  den  Kaktusgewächsen)  zu  beobachtende  Erscheinung 
wird  uns  leicht  verständlich,    wenn  wir  bedenken,    daß  nasser  Boden    auf   die  Pflanzen 


230  65.  Familie.    Binsengewächse.     66.  Familie.    Narzissengewächse. 

wie  kalter  Boden  einwirkt  (s.  S.  114),  und  daß  die  Binsen  im  Hochsommer  oft  mit  der 
größten  Trocknis  za  kämpfen  haben.  Dann  versiegen  vielfach  die  Gewässer,  an  deren 
Ufern  sie  wachsen,  und  der  schlammige  Boden  trocknet  so  stark  aus,  daß  er  „steinhart" 
wird  und  in  weiten  Rissen  auseinander  klafft.  —  Ganz  wie  Gräser  erscheinen  die 
Simsen  (Lüzula) ;  durch  die  „Lilienblüten"  sind  sie  jedoch  leicht  von  diesen  zu  unter- 
scheiden. 

66.  Familie.     Narzissengewäehse  (Amaryllidäceae). 

Fruchtknoten  unterständig;  sonst  wie  die  Liliengewächse. 
Das  Schneeglöckchen  (Galänthus  nivalis). 

1.  Blütezeit.  Bevor  meist  noch  die  letzten  Reste  des  Winterschnees 
von  der  wieder  erwachenden  Erde  verschwinden,  öffnet  das  liebliche  Schnee- 
glöckchen schon  seine  weiße  Blüte,  die  einem  zierlichen  hängenden  Glöckchen 
gleicht  (Name !).  Wir  begrüßen  den  Boten  des  ersehnten  Frühlings  mit  lebhafter 
Freude  und  räumen  ihm  daher  gern  ein  Plätzchen  im  Garten  ein. 

2.  Standort.  Im  Freien  trifft  man  das  Schneeglöckchen  nur  selten  und 
in  vielen  Gegenden  gar  nicht  an.  Wiesen  und  Laubwälder  sind  seine  ur- 
sprünglichen Standorte.  Auf  der  Wiese  findet  das  spannhohe  Pflänzchen  aber 
nur  so  lange  das  nötige  Licht,  als  Gras  und  Kräuter  noch  niedrig  sind,  und 
im  Walde,  so  lange  sich  das  Laubdach  noch  nicht  geschlossen  hat.  Es  ist  daher, 
wie  z.  B.  das  Scharbockskraut,  gleichsam  gezwungen,  so  zeitig  im  Jahre  zu  er- 
scheinen. Darum  hat  es  auch  mit  beginnendem  Sommer  seine  Lebensarbeit 
bereits  abgeschlossen :  die  Samen  sind  gereift  und  die  oberirdischen  Triebe  ab- 
gestorben. Andererseits  ist  das  Schneeglöckchen  auch  imstande,  so  früh  zu 
erscheinen;  denn  es  besitzt  wie  die  Tulpe  (s.  das.)  in  der 

3.  Zwiebel  eine  Vorratskammer,  aus  der  es  die  ersten  Ausgaben  be- 
streitet. Die  Zwiebel  ist  genau  wie  bei  jener  Pflanze  gebaut  (Beweis!),  dauert 
aber  mehrere  Jahre  aus.  Bereits  im  Herbste  tritt  aus  ihr  der  oberirdische  Sproß 
hervor,  der  aus  zwei 

4.  Blättern  und  —  falls  wir  es  mit  einer  „blühreifen"  Pflanze  zu  tun 
haben  —  einer  Blüte  besteht.  Er  ist  von  einem  farblosen  (Lichtmangel!),  häu- 
tigen Blatte  wie  von  einer  Scheide  umgeben  und  somit  gegen  Verletzung  beim 
Durchbrechen  des  Bodens  wohl  geschützt.  Ist  die  Erdoberfläche  erreicht,  so 
stellt  das  scheiden  förmige  Hüllblatt  das  Wachstum  ein,  das  nunmehr 
von  den  sich  weiter  streckenden  Blättern  gesprengt  wird.  Die  langen,  linealen 
Blätter  liegen  bis  zu  diesem  Zeitpunkte  eng  aneinander,  so  daß  ihre  Ober- 
seiten einander  zugekehrt  sind.  Infolgedessen  sind  sie  trotz  ihrer  Zartheit  wohl 
imstande,  sich  zum  Lichte  emporzudrängen.  Und  zwar  vermögen  sie  dies  umso 
eher,  als  die  farblosen  Blattspitzen  verhältnismäßig  hart  und  fest  sind.  Die 
Spitze  des  „Keils",  der  den  Boden  spaltet,  ist  also  wie  bei  der  Tulpe  gleichsam 
gehärtet.  Die  Blüte  dagegen  ist  nicht  imstande,  diese  Arbeit  zu  fördern.  Sie 
liegt  wohl  geschützt  zwischen    den    Blättern,    die    sie  weit  überragen  und  ihr 


Simsen.    Schneeglöckchen.  2ol 

somit  den  Weg  bahnen.  Um  ihr  daselbst  den  nötigen  Raum  zu  schaffen,  sind 
die  Blätter  rinnig  vertieft  (Querschnitt!).  Bei  nicht  blühenden  Pflanzen  da- 
gegen sind  sie  flach  und  liegen  eng  aneinander. 

5.  Blüte,  a)  Der  von  den  Blättern  gebildete  Hohlraum  ist  sehr  eng,  so 
daß  uns  die  Form  des  langen  Blütenstiels  (Schaftes)  — er  ist  mehr  oder 
weniger  seitlich  zusammengedrückt  —  wohl  verständlich  wird.  Auf  seiner  Spitze 
trägt  er  die  einzige,  anfangs  aufrecht  stehende  Blüte  und  unter  ihr  eine  häutige 
Blütenscheide,  von  der  die  junge  Blüte  schützend  umhüllt  wird.  Wie 
die  beiden  grünen  Rippen  andeuten,  ist  die  Scheide  aus  zwei  Blättchen  hervor- 
gegangen, die  innig  miteinander  verwachsen  sind  und  mithin  ihre  Aufgabe 
umso  vollkommener  erfüllen  können.  Ein  solches  Schutzmittel  (vgl.  mit 
Kimspenschuppen)  ist  für  die  zarte  Blüte  von  umso  größerer  Wichtigkeit,  als 
das  Schneeglöckchen  ja  im  Vorfrühlinge  blüht,  also  zu  einer  Zeit,  in  der  täglich 
Frost,  sowie  kalte  Regen-  und  Schneeschauer  zu  erwarten  sind.  Sinkt  z.  B. 
•las  Thermometer  wieder  einige  Grad  unter  Null,  so  liegen  die  Blätter  und 
Blüten  des  Plläuzchens  matt  und  welk  auf  dem  Boden  (s.  S.  92).  Und  wie  dann 
die  von  der  Scheide  noch  umhüllten  Blüten  weit  weniger  dem  Verderben  aus- 
gesetzt sind  als  die  von  diesem  Schutzmittel  schon  befreiten,  ist  leichl  zu 
beobachten.  Darum  bleibt  auch  die  Blüte  je  nach  der  Witterung  von  der  Scheide 
kürzere  oder  längere  Zeit,  beim  Eintritt  schlechten  Wetters  sogar  wochenlang 
umgeben. 

b)  Au  einem  milden  Tage  endlich  wird  die  Scheide  gesprengt,  und  in 
schneeiges  Weiß  gekleidet,  tritt  die  Blüte  hervor.  Sie  neigt  sich  alsbald  zum 
Erdboden  hinab,  ist  im  wesentlichen  wie  die  Tulpenblüte  gebaut  (Beweis !),  besitzt 
aber  einen  unterständigen  Fruchtknoten  (s.  S.  71,  b).  Die  'S  großen 
äußeren  Blätter  der  B 1  ü  t  e  n  h  ü  1 1  e  stehen  schräg  nach  außen;  die  3  kleinen 
inneren  dagegen  sind  fast  senkrecht  gestellt,  so  daß  sie  eine  kleine  Röhre  bilden. 
Außen  besitzen  die  letzteren  je  einen  halbmondförmigen  Fleck  und  innen  mehrere 
ebenso  gefärbte  Längsstreifen,  zwischen  denen  der  Honig  abgeschieden  wird.  Die 
großen  Beutel  der  6  Staubblätter  bilden  einen  Kegel,  aus  dessen  Spitze  der 
Griffel  mit  der  Narbe  hervorragt.  Sie  besitzen  je  eine  borstenartige  Ver- 
längerung und  öffnen  sich  an  der  Spitze  mit  2  Löchern,  aus  denen  bei  Berührung 
der  Borste  trockener  Blütenstaub  herausfällt,  (Versuch!  Gib  der  Blüte  dabei 
aber  die  natürliche  Stellung!) 

c)  Wenn  wir  die  erwähnten  Einzelheiten  näher  ins  Auge  fassen,  werden 
wir  leicht  finden,  daß  zwischen  ihnen  ein  inniger  Zusammenhang  be- 
stellt, der  allein  eine  erfolgreiche  Bestäubung  ermöglicht,  Erstens:  da  die  Be- 
stäubung mit  Hilfe  eines  „Streuwerks"  erfolgt,  muß  das  Schneeglöckchen  trocke- 
nen, mehlartigen  Blütenstaub  besitzen.  Zweitens:  da  der  Staub  nur  aus 
den  Beuteln  fällt,  wenn  diese  erschüttert  werden,  so  muß  das  Insekt  gleichsam 
gezwungen  werden,  eine  Erschütterung  zu  bewirken.  Dies  geschieht  auch;  der 
Honig  liegt  nämlich  nicht  offen  zu  Tage,  sondern  wird  —  wie  erwähnt  —  an  der 
Innenwand  der  Röhre  abgeschieden,  die  von  den  inneren   Blättern 


232  66.  Familie.    Narzissengewächse. 

der  Blutenhülle  gebildet  wird.  In  diese  Röhre  muß  das  Insekt  ein 
Stück  eindringen,  um  zu  dem  süßen  Saft  zu  gelangen.  Dabei  muß  es  aber 
einige  der  borstenartigen  Fortsätze  berühren,  die  Staubbeutel  also  erschüttern. 
Drittens:  da  die  Röhre  verhältnismäßig  sehr  eng  ist,  kann  das  Insekt  nur  dann 
von  dem  ausfallenden  Staube  getroffen  werden,  wenn  deren  Öffnung  nach  unten 
gerichtet  ist.  Die  Blüte  muß  also,  anders  ausgedrückt ,  hängend  sein. 
(Was  würde  geschehen,  wenn  sie  schräg  oder  gar  aufrecht  stände?  Warum 
brauchen  weite  Blüten  mit  einem  Streuwerk  diese  Stellung  nicht  zu  haben? 
Vgl.  z.  B.  mit  Klappertopf!).  Viertens:  da  der  Griffel  aus  dem  Staub- 
beutelkegel  hervorragt,  muß  die  Narbe  von  dem  eindringenden  Insekt 
auch  zuerst  berührt  werden.  Bringt  das  Tier  nun  Blütenstaub  von  einer 
anderen  Blüte  mit,  so  tritt  Fremdbestäubung  ein,  die  —  wie  wir  schon  mehr- 
fach gesehen  haben  —  stets  eine  erhöhte  Fruchtbarkeit  im  Gefolge  hat. 
Fünftens:  soll  die  Blüte  auffällig  werden,  so  dürfen  die  Blätter  des  äuße- 
ren Kreises  nicht  mit  an  der  Bildung  der  Röhre  beteiligt  sein.  Da  sie  im 
Gegenteil  nach  außen  gespreizt  sind,  fällt  eine  geöffnete  Blüte  weit  mehr  ins 
Auge  als  eine  andere,  die  zwar  vollkommen  ausgebildet,  aber  noch  geschlossen 
ist  oder  sich  wieder  geschlossen  hat.  Kurz:  Die  unscheinbare  Blüte  ist 
ein  vollendetes  „Kunstwerk",  wie  es  menschlicher  Scharfsinn  kaum 
auszudenken  vermöchte. 

d)  Das  Schneeglöckchen  bringt  wie  die  Tulpe  alljährlich  nur  eine  einzige 
Blüte  hervor.  Da  sie  aber  sehr  lange,  bei  Eintritt  schlechten  Wetters  (In- 
sekten verkriechen  sich  wieder!)  sogar  wochenlang  „frisch"  bleibt,  so  ist  die 
Möglichkeit,  bestäubt  zu  werden,  dadurch  wesentlich  erhöht.  Tritt  trotzdem 
keine  Bestäubung  ein,  so  ist  das  für  die  Pflanze  noch  bei  weitem  nicht  mit 
einer  Vernichtung  gleichbedeutend:  das  Schneeglöckchen  „rettet"  sich  ja  mit 
Hilfe  der  Zwiebel  stets  auf  das  andere  Jahr  hinüber  und  vermehrt  sich  außer 
durch  Samen  noch  durch  Brutzwiebeln. 

e)  Wie  wir  in  zahlreichen  Fällen  gesehen  haben  (Beispiele!),  schließen 
sich  nickende  Blüten  abends  oder  beim  Eintritt  unfreundlicher  Witterung  nicht; 
denn  bei  ihnen  sind  ja  Blütenstaub  und  Honig  wie  unter  einem  Dache  gegen 
Tau  und  Regen  vortrefflich  geschützt.  Beim  Schneeglöckchen  jedoch  findet 
man  an  kühlen  Morgen,  wie  die  äußeren  Blätter  der  Blütenhülle,  die  gestern 
weit  gespreizt  waren,  sich  wieder  nach  innen  bewegt  und  den  Blüten- 
eingang  verschlossen  haben.  Bei  kaltem  Wetter  behalten  sie  diese 
Stellung  sogar  den  ganzen  Tag  über  bei.  Wenn  wir  bedenken,  daß  die  Pflanze 
sehr  früh  im  Jahre  blüht,  und  daß  Wärmeverlust  den  zarten  inneren  Blüten- 
teilen leicht  schaden  könnte,  so  wird  uns  diese  Ausnahme  von  der  Regel  wohl 
verständlich.  (Bringe  abgeschnittene  Blüten,  die  du  in  ein  Gefäß  mit  Wasser 
gestellt  hast,  an  einem  kühlen  Tage  aus  dem  warmen  Zimmer  in  das  Freie  und 
umgekehrt !) 

(j.  Die  Frucht  ist  eine  Kapsel,  die  sich  von  der  Spitze  aus  mit  3  Klappen 
öffnet.     Würde  sie  wie  die  Blüte  abwärts  gerichtet  sein,   so  müßten  sämtliche 


Schneeglöckchen.     Sommcrtürchen.     Narzissen. 


233 


Amerikanische  Agave  (< 


Samen  in  unmittelbarer  Nähe  der  Matter- 
pflanze auf  den  Erdboden  herab  fallen, 
die  daraus  hervorgehenden  Pflänzchen 
sich  also  gegenseitig  Raum,  Nahrang 
und  Liebt  streitig  machen.  Dies  maß 
daher  verhindert  werden:  der  Blüten- 
stiel streckt  sich  nach  erfolgter  Be- 
stäubung wieder  gerade,  so  daß  der  ge- 
schäftige Wind  die  Samen  aus  der  senk- 
recht stehenden  Kapsel  einzeln  heraus- 
schleudern und  über  einen  größeren  Be- 
zirk aussäen  kann.  Die  Samen  besitzen 
einen  kleinen  fleischigen  Anhang,  den 
gewisse  Ameisenarten  gern  verzehren. 
Die  Tierchen  schleppen  die  Samen  daher 
in  ihre  Baue  und  tragen  somit  ebenfalls  zur 
Verbreitung  der  Pflanze  bei  (vgl.  S.  32,  b). 

Andere  Narzissengewächse. 

"Wenig  später  als 
das  Schneeglöckchen 
erschließt  das  Sominer- 
türchen  (Leucöiuni  ver- 
num)  seine  zierlichen, 
duftenden  Blütenglok- 
ken  (Name!).  Es  be- 
wohntschattige, feuchte 
Laubwälder  und  stimmt 
mit  jener  Pflanze  in 
fast  allen  Stücken  über- 
ein (daher  auch  „großes 
oder  wildes  Schnee- 
glöckchen"). -  Die 
Narzissen  (Narcissus) 
dagegen  entfalten  ihre 
prächtigen  Blüten  erst. 
wenn  der  Frühling 
wirklich  da  ist.  Am 
häufigsten  ünden  sich 
in  unseren  Gärten  die 
gelbe  X.  (X.  psendo- 
narcissns),  die  hier  und 
da  auf  Bergwiesen  auch 
wild  vorkommt,  und  die 
echte  X.  <  N.  poöticna), 


234      Taf.  33.    GG.  Farn.    Narzissengewächse.     67.  Farn.    Schwertliliengewächse. 

die  wahrscheinlich  im  Mittelmeergebiete  heimisch  ist.  Wie  hei  allen  Narzissen  sind 
auch  bei  ihnen  die  Blätter  der  Blütenbülle  im  unteren  Abschnitte  zu  einer  Röhre  ver- 
wachsen, an  deren  Mündung  sich  ein  „Saum"  erhebt.  Während  bei  der  gelben  N.  dieser 
Saum  sehr  groß,  die  Blütenröhre  dagegen  kurz  ist  (Hummelblume!),  hat  die  weiße,  stark 
duftende  Blüte  der  echten  N.  einen  kurzen  Saum  (mit  scharlachrotem  Rande)  und  eine 
sehr  lange  und  enge  Blütenröhre  (Falterblume!). 

Auch  mehrere  ausländische  Glieder  der  Familie  werden  bei  uns  gern  ge- 
pflegt. So  sind  die  prächtig  blühenden  Amaryllis-Arten,  die  aus  dem  tropischen  Süd- 
amerika stammen,  allgemein  bekannte  Topfgewächse,  und  nicht  selten  treten  uns,  in 
Kübel  gepflanzt,  die  mächtigen  Blattrosetten  der  Agaven  (Agave)  entgegen.  Wie  schon  die 


S*7 


Ananaspflanze  mit  Fruchtkolben  (etwa   l/ia  nat.  Gr.). 


dicken,  fleischigen,  saftigen  Blätter  erkennen  lassen,  haben  wir  es  in  den  Agaven  mit  voll- 
endeten „Fettpflanzen"  (Succulenten)  zu  tun,  deren  Bau  wir  beim  Mauerpfeffer  und  den 
Kaktusgewächsen  kennen  und  verstehen  gelernt  haben.  Wir  gehen  deshalb  auch  nicht  fehl, 
wenn  wir  die  Heimat  der  seltsamen  Gewächse  in  einem  außerordentlich  wasserarmen 
Gebiete  suchen:  Sie  bewohnen  die  unabsehbaren  Wüsten  des  heißen  Amerika,  in  denen 
auch  die  Kaktusgewächse  dem  öden  Felsboden  entsprießen.  Gleich  diesen  zeigen  auch  die 
Agaven  ein  sehr  langsames  Wachstum.  Einige  Arten  brauchen  sogar  100  und  mehr  Jahre, 
bis  sie  ihre  volle  Ausbildung  erlangt  haben.  Dann  schießt  aus  der  Blattrosette  schnell 
ein  hoher  Blütenschaft  empor,  der  Tausende  von  Lilienblüten  trägt  und  bei  gewissen 
Arten  6,  10  und  mehr  Meter  hoch  wird.  Sind  die  Früchte  gereift,  dann  stirbt  die 
seltsame  Pflanze  bis  auf  den  mächtigen  unterirdischen  Stamm  ab,  aus  dem  jetzt  junge 
Triebe  hervorgehen.  Von  den  wenigen  Arten,  die  für  den  Menschen  eine  Bedeutung 
haben,  sei  hier  nur  kurz  die  sog.  amerikanische  A.  (A.  americäna)  erwähnt,  die  in 
Mexiko  heimisch  ist.     Ihre  Blätter,  die  eine  Länge  von  3  m  erreichen,  dienen  daselbst 


SchmeiL   Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  33. 


a.  B. 


rJ{t>ubuc/i . 


Wasser-Schwertlilie  (Iris  pseudacorus). 


Amleic  Narzissengewächse.     Wasserschwertlilie.  235 

als  Speise;  getrocknet  verwendet  man  sie  zum  Decken  der  Dächer;  aus  den  zähen  Bast- 
fasern bereitet  man  feste  Gespinste  und  aus  dem  Safte  das  Nationalgetränk,  die 
L'ulque.  Wie  in  zahlreichen  anderen  wärmeren  Ländern,  hat  sich  die  Pflanze  auch  im 
liittelmeergehiete  vollkommen  eingebürgert,  woselbst  sie  wegen  der  stark  bestachelten 
Blätter  gern  zur  Herstellung  undurchdringlicher  Zäune  angepflanzt  wird. 

Ein  Glied  einer  nahe  verwandten  Familie  (Bromeliäceae)  ist  die  Ananas 
(Ananas  sativus),  die  sich  von  Mittelamerika  aus  über  alle  warmen  Länder  verbreitet 
hat  und  bei  uns  in  Treibhäusern  gezogen  wird.  Aus  einem  rosettenartigen  Busche 
langer,  starrer  Blätter  erhebt  sich  der  zapfenartige  Blütenstand,  dessen  Achse  und 
Deckblätter  nach  und  nach  fleischig  und  saftig  werden  (vgl.  mit  Erdbeere !).  Auf  diese 
Weise  entsteht  eine  gelbe  oder  orangefarbene  Schein-  und  Sammelfrucht,  die  in  allen 
Tropenländern  als  köstlichstes  Obst  geschätzt  und  bei  uns  namentlich  als  Zusatz  zum 
Wein  verwendet  wird.  Während  der  Fruchtbildung  wächst  die  Achso  durch  das  einem 
riesigen  Tannenzapfen  ähnliche  Gebilde  und  treibt  einen  Blätterschopf,  der.  in  die  Erde 
gesetzt,  sich  zu  einer  neuen  Pflanze  entwickelt. 

67.  Familie.     Sehwertliliengewächse  (Iridäceae). 

Fruchtknoten  unterständig,  nur  3  Staubblätter;  sonst  wie  die  Liliengewächse. 
Die  Wassersclnvertlilie  (Iris  pseudäcorus).     Taf.  33. 

1.  Standort  und  Blütezeit.  Die  Ufer  der  stehenden  und  fließenden 
Gewässer  erhalten  im  Mai  und  Juni  durch  die  prächtigen  „Lilienblüten"  (Name!) 
der  stattlichen  Pflanze  oft  einen  gar  herrlichen  Schmuck. 

2.  Stamm,  Stengel  und  Blatt,  a)  Aus  dem  dicken,  fleischigen  Stamme 
(Wurzelstocke),  der  im  schlammigen  Boden  dahin  kriecht,  erheben  sich  neben 
zahlreichen  beblätterten  „Kurztrieben"  einige  „Langtriebe"  (s.  S.  160  A). 
Da  letztere  bis  meterhoch  werden,  sind  sie  wohl  imstande,  die  Blüten  über  das 
Pflanzendickicht  am  Ufer  zu  heben  und  somit  den  Insekten  zur  Schau  zu  stellen. 

b)  Die  ungestielten  Blätter  umfassen  mit  ihrem  Grunde  den  Stengel 
ringsum.  Während  aber  bei  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Pflanzen  (Bei- 
spiele!) beide  Hälften  der  Blattflächen  flach  ausgebreitet  sind,  sind  sie  hier  in 
der  Mittellinie  so  gefaltet,  daß  sie  eine  tiefe  Kinne  bilden.  Je  weiter  nach  oben 
(stelle  Querschnitte  in  verschiedener  Höhe  her!),  desto  enger  wird  die  Rinne. 
Schließlich  verschmelzen  beide  Hälften  vollkommen  miteinander,  so  daß  das 
Blatt  die  Form  eines  Schwertes  erhält  (Name!). 

Betrachtet  man  einen  Kurztrieb,  so  sieht  man,  wie  sieh  die,  Blätter, 
zu  zwei  Zeilen  geordnet,  gegenüberstehen,  und  wie  jedes  ältere  Blatt  das 
nächst  jüngere  z.  T.  umfaßt.  (Warum  werden  solche  Blätter  wohl  „reitende" 
genannt?)  Entfernt  man  die  älteren  Blätter,  so  kommt  man  endlich  zu  einem 
Blatte,  in  dessen  Rinne  das  folgende  noch  gänzlich  verborgen  ist,  und  das  aber- 
mals das  nächst  jüngere  umhüllt  u.  s.  f.  Die  Blätter  sind  also  gleichsam 
ineinander  geschachtelt,  so  daß  die  älteren  den  außerordentlich  zarten  jüngeren 
als  schützende  Scheiden  dienen. 

An    den   wachsenden    Langtrieben    sind    natürlich    dieselben    Verhältnisse 


236  67.  Familie.    SchwertLiliengewächse. 

zu  beobachten.  Bei  ihnen  entfernen  sich  jedoch  die  Blätter  durch  Streckung 
der  Stengelglieder  weit  voneinander,  so  daß  eben  ein  „Langtrieb"  entsteht. 
An  beiden  Arten  von  Trieben  finden  sich  außerhalb  der  ältesten  Blätter 
noch  einige  Hüllblätter,  die  ihrer  Aufgabe  entsprechend  (Hülle!)  nur  den 
unteren  scheidenartigen  Teil  der  Laubblätter  darstellen. 

c)  Im  Gegensatz  zu  den  meisten  anderen  Pflanzen  sind  die  Blätter  der 
Schwertlilie  ferner  so  gestellt ,  daß  ihre  Kanten  senkrecht  nach  unten 
und  oben  gerichtet  sind.  Sie  nehmen  also  die  Stellung  ein,  die  wir  bei 
jungen  Blättern  (s.  S.  43,  c),  sowie  bei  Pflanzen  sehr  trockener  Standorte  (vgl. 
z.  B.  Stachellattich)  als  wichtiges  Schutzmittel  gegen  zu  starke  Verdunstung 
kennen  gelernt  haben.  Da  aber  die  Schwertlilie  stets  nur  an  nassen  Stellen  vor- 
kommt, woselbst  ihr  jeder  Zeit  genügend  Wasser  zur  Verfügung  steht,  so  bedürfte 
sie  —  sollte  man  meinen  —  eines  solchen  Schutzmittels  nicht.  Wenn  wir  aber 
einerseits  bedenken,  daß  nasser  Boden  stets  kalt  ist,  und  daß  kalter  Boden  auf 
die  Pflanzen  wie  trockener  Boden  einwirkt  (s.  S.  114,  C),  und  wenn  wir  anderer- 
seits beobachten,  wie  im  Hochsommer  die  Gewässer,  an  deren  Ufer  die  Schwert- 
lilie wächst,  oft  gänzlich  vertrocknen,  und  der  Schlammgrund  fast  steinhart  wird, 
dann  werden  wir  wohl  anderer  Meinung  werden.  Zudem  dürfen  wir  nicht  aus 
dem  Auge  verlieren,  daß  uns  bei  den  Pflanzen  zahlreiche  Eigentümlichkeiten 
nur  dann  verständlich  werden,  wenn  wir  ihre  nächsten  Verwandten  berück- 
sichtigen: mehrere  andere  Schwertlilien  sind  nun  ausgeprägte  Felsenpflanzen, 
und  eine  von  ihnen  (s.  S.  238)  vermag  sogar  auf  Lehmmauern  zu  gedeihen ,  auf 
denen  die  meisten  anderen  Gewächse  sehr  bald  vertrocknen  würden. 

d)  Alle  grünen  Teile  sind  mit  einem  abwischbaren  Wachsbezuge  ver- 
sehen, dessen  Bedeutung  wir  bereits  S.  17,  2  erkannt  haben. 

3.  Blüte  und  Frucht,  a)  Aus  den  Achseln  der  oberen  Blätter  der  Lang- 
triebe gehen  blütentragende  Zweige  hervor.  Wie  diese  Blätter  seiner  Zeit 
in  den  Binnen  der  nächst  älteren  Schutz  fanden,  so  umhüllen  sie  selbst 
die   jungen    Blütenknospen. 

b)  Haben  die  Knospen  die  Kinne  verlassen,  so  gewähren  ihnen  je  2  grüne, 
scheidenartige  Hüllblätter  den  notwendigen  Schutz. 

c)  Ist  die  Blüte  endlich  vollkommen  ausgebildet,  so  drängt  sie  die  Blätter 
auseinander  und  entfaltet  sich.  Das  überaus  zarte  Gebilde  blüht  jedoch  nur  eine 
sehr  kurze  Zeit  (stelle  die  Blütendauer  genauer  fest !).  Dafür  bringt  die  Schwert- 
lilie aber  nacheinander  eine  sehr  große  Anzahl  von  Blüten  hervor,  so  daß 
sicher  einige  davon  bestäubt  werden  und  Früchte  ausbilden  (vgl.  dag.  Schnee- 
glöckchen!). 

d)  Obgleich  die  Talpen-  und  Schwertlilien-Blüte  nach  demselben  „Plane" 
gebaut  sind  (Beweis!),  zeigt  letztere  doch  zahlreiche  Eigentümlichkeiten.  So 
sind  erstlich  die  6  leuchtend  gelben  Blätter  der  Blütenhülle  im  unteren  Teile  zu 
einer  Köhre  (3.  B.)  verwachsen,  die  dem  unterständigen  Fruchtknoten  (3.  Fr.) 
aufsitzt.  Sodann  sind  die  mit  einem  braunen  Fleck  (Saftmal !)  gezierten  Blätter 
des  äußeren  Kreises  (2.  a.  B.;   in  Abb.  3.  entfernt)   groß  und  mit  dem  breiten 


WasserBchwertlilie.  237 

Endabschnitte  schräg  nach  außen  gebogen ,  während  die  kleinen  Blätter  des 
inneren  Kreises  (3.  i.  B.)  aufrecht  stehen.  Ferner  ist  von  den  beiden  drei- 
blättrigen Staubblattkreisen  der  Lilienblüte  nur  der  äußere  vorhanden,  und  end- 
lich teilt  sich  der  Griffel  in  3  blumenblattartige,  zweizipfelige  Äste  (3.  G.).  Diese 
Gebilde  helfen  die  Auffälligkeit  der  Blüte  erhöhen  und  dienen  den  Staubbeuteln 
(3.  St.)  als  schützendes  Dach.  Auf  ihrer  Unterseite  bemerkt  man  je  ein  kleines 
Läppchen,  dessen  (in  der  Ruhe  angedrückte)  Oberseite  die  Narbe  (3.  N.)  darstellt. 
Im  unteren  Teile  der  Röhre  findet  sich  der  Honig.  Zu  ihm  führen  unter 
jedem  Griffelaste  2  Kanäle,  die  für  einen  dünnen  Insektenrüssel  gerade  weit 
peinig  sind  (Querschnitt!). 

e)  Will  das  Insekt  den  Honig  erlangen  —  einen  anderen  Weg  gibt  es 
nicht !  —  so  muß  es  sich  auf  einem  großen  Blatte  der  Blutenhülle  nieder- 
lassen (Anflugstelle!)  und  so  weit  als  möglich  unter  den  davorstehenden  Griffel- 
ast zwängen  (2).  Ist  das  Tier  groß  genug,  so  streift  es  dabei  zunächst  das 
Narbenläppchen,  biegt  es  nach  unten  und  belegt  es  mit  fremdem  Blüten- 
stäube, falls  es  bei  einer  anderen  Blüte  bereits  Einkehr  gehalten  hat.  Dies 
kann  aber  nur  dann  geschehen,  wenn  das  Tier  den  Blütenstaub  auf  seinem 
Rücken  herbeiträgt,  oder  anders  ausgedrückt,  wenn  der  Staubbeutel  eine  solche 
Stellung  hat,  daß  ihn  das  saugende  Tier  mit  dieser  Körperstelle  berührt.  Und 
das  ist,  wie  wir  gesehen  haben,  der  Fall!  —  Nachdem  das  Tier  von  dem  süßen 
Safte  genossen  hat,  kriecht  es  aus  dem  „Engpaß"  wieder  hervor.  Jetzt  aber 
drückt  es  das  Narbenläppchen  an  den  Griffelast,  so  daß  eine  Belegung  der  Narbe 
mit  dem  Staube  der  eigenen  Blüte  verhindert  wird.  Dieser  ungünstige  Fall 
(warum  ungünstig?)  tritt  jedoch  ein,  wenn  das  Insekt  sich  nach  diesem  Besuche 
dem  2.  und  3.  „Engpaß"    derselben   Blüte  zuwendet  (führe  dies  näher  aus!). 

Bei  genauem  Zusehen  wird  man  nun  finden,  daß  die  Entfernung  zwischen 
einem  großen  Blatte  der  Blütenhülle  und  „seinem"  Narbenaste  bei  gewissen 
Blüten  größer  ist  als  bei  anderen.  In  ersterem  Falle  entspricht  diese  Ent- 
fernung der  Höhe  (Dicke)  einer  Hummel,  im  anderen  der  einer  Schweb- 
fliege.  Diese  Tiere  sind  daher  auch  nur  imstande,  die  Bestäubung  „ihrer 
Blüte"  zu  vollziehen.  (Führe  dies  näher  aus!  Warum  sind  Schmetterlinge  und 
kurzrüsselige  Insekten  vom  Genuß  des  Honigs  ausgeschlossen?) 

f)  Die  Frucht  stellt,  wie  ein  Querschnitt  zeigt  (4.),  eine  dreifächerige 
Kapsel  dar,  in  der  die  braunen,  breitgedrückten  Samen  (G.)  gleich  Geldstücken 
in  3  Reihen  „übereinander  geschichtet"  sind.  Bei  der  Reife  öffnet  sich  die 
Frucht  mit  3  Klappen  (5.),  so  daß  der  Wind  die  Samen  nunmehr  heraus- 
schütteln kann  (Kapseln  stehen  auf  hohen,  elastischen  Stengeln!).  Auf  einem 
Durchschnitt  (7.)  sieht  man,  daß  sich  unter  der  Samenhülle  ein  luftgefnllter 
Hohlraum  vorfindet.  Infolgedessen  sind  die  Samen  schwimmfähig,  können  also 
durch  Wind,  Wellen  und  Strömung  leicht  weit  verschlagen  werden,  eine  Tat- 
sache, die  für  die  Verbreitung  einer  am  Wasser  wachsenden  Pflanze  von  größter 
Bedeutung  ist. 


238 


67.  Familie.    Schwertlilieneewächse.     68.  Familie.    Palmen. 


Andere  Schwertliliengewächse. 

Gleich  der  Wasser-Schwertlilie  er- 
freuen uns  im  Garten  zahlreiche  andere  Ar- 
ten der  Gattung  durch  die  Pracht  ihrer 
Blüten.  Zar  Einfassung  von  Beeten  wird 
gern  die  blaublühende  Zwerg-Soli.  (I.  pü- 
mila)  benutzt ,  die  aus  Südost-Europa 
stammt.  Da  sie  in  ihrer  Heimat  dürre  Fel- 
sen bewohnt,  so  vermag  sie  selbst  mit  den 
geringen  Wasser-  und  Nahrungsmengen  für- 
lieb zu  nehmen,  die  ihr  die  kahlen  Lehm- 
mauern zu  bieten  vermögen.  —  Eine  statt- 
liche Pflanze  ist  die  in  Gärten  am  häufigsten 
anzutreffende  deutsche  Seh. (I. germanica), 
die  sich  durch  große,  violette  Blüten  aus- 
zeichnet. Sie  findet  sich  hier  und  da  auch 
verwildert  und  ist  wahrscheinlich  gleich- 
falls aus  dem  südöstlichen  Europa  zu  uns 
gekommen.  —  Ein  prächtiger  Frühlings- 
schmuck wird  unseren  Gärten  durch  die 
Krokus-Arten  (Crocus)  verliehen,  die  mit 
der  Herbstzeitlose  in  zahlreichen  Stücken 
übereinstimmen  (Beweis!).  Da  sie  nun  in 
ihrer  Heimat  (in  den  Alpen  und  Gebirgen  Süd- 
deutschlands, sowie  besonders  im  Mittel- 
meergebiete) gleichfalls  Wiesen  und  Matten 
bewohnen,  so  sind  sie  wie  jene  Pflanze  ge- 
nötigt, entweder  im  zeitigen  Frühjahre  oder 
(wie  andere  ausländische  Arten)  iimHerbste 
ihre  zarten  Blüten  zu  entfalten.  Aus  den 
großen,  getrockneten  Narben  des  Safran-K. 
(C.  sativus)  bereitet  man  besonders  in  den 
Mittelmeerländern  den  Safran,  der  vor- 
wiegend zumFärbenvonBackwaren  benutzt 
wird.  —  Beliebte  Gartenzierpflanzen  sind 
auch  die  zahlreichen  Arten  der  Siegwurz 
(Gladiolus),  deren  Blüten  zu  großen,  ein- 
seitswendigen  Trauben  gehäuft  sind. 


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Kokospalmen,  z.  T.  in.  Früchten  (etwa  ^iso  nat.  Gr.). 


68.  Familie.     Palmen  (Palmae). 
Die  Kokospalme  (Cocos  nueifera). 

1.  Die  Kokospalme  hat  sich  von 
ihrer  Heimat  aus,  die  wahrscheinlich 
im  tropischen  Amerika  zu  suchen  ist, 
über  alle  heißen  Länder  des  Erdballs 


Andere  Schwertliliengewächse.     Kokospalme. 


23<i 


verbreitet.  Besonders  am  Strande  nnd  in  der  Nähe  des  Meeres  finden  sich  weit- 
ausgedehnte  Haine  des  herrlichen  Baumes.  Auf  einem  anverzweigten,  säulen- 
artigen Stamme,  der  eine  Höhe  von  25  m  erreicht,  wiegt  sich  eine  Krone 
mächtiger  Fiederblätter.  Da  der  verhältnismäßig  dünne  Stamm  fast  die 
Biegsamkeit  des  Roggenhalmes  besitzt,  und  da  die  bis  4  m  langen  Blattflächen 
in  zahlreiche  Abschnitte  gespalten  sind,  die  dem  Anprall  des  Windes  leicht  aus- 
weichen, so  vermag  die  schlanke  Palme  selbst  dem  heftigsten  Sturme  zu  trotzen. 
Ebenso  leicht  widerstehen  die  derben,  festen  Blätter  den  Regengüssen,  die  in 
den  Tropen  mit  ganz  anderer  Heftigkeit  zur  Erde  hernieder  rauschen  als  in  unseren 
Breiten  und  zartes  Laub  zerfetzen  würden.    (Nenne  andere  Tropenpflanzen  mit 


#FX.< 


Bau  der  Kokosnuß.     1  geöffnet,  um  die  steinharte  Ennenschicht  der  Fruchtschale  mit 

den   Keimlöchern  zu  zeigen.     2  Der  Same   von  der  „Steinschicht "   St.   umgeben  (weniger 

als  Fig.  1  verkl.).     N.  Nährgewebe.     M.   „Milch".     K.  Keimling. 


ähnlichem  Blattwerk!)  Aus  der  Achsel  eines  Blattes  entspringt  der  verzweigte, 
meterlange  Blütenstand,  der  anfänglich  von  einer  mächtigen  Blütenscheide 
schützend  umgeben  ist.  Am  Grunde  seiner  Äste  stehen  einige  Stempel-,  weiter 
oben  zahlreiche  Staubblüten.  Beides  sind  unscheinbare  Gebilde,  die  dementsprechend 
auf  die  Bestäubung  durch  den  Wind  angewiesen  sind.  (Inwiefern  ist  die  An- 
ordnung beider  Blütenarten  und  ihre  verschiedene  Anzahl  für  den  Baum  von 
Vorteil  ?) 

2.  Die  allgemein  bekannte  Frucht  ist  eine  fast  kopfgroße  Nuß  von  sehr 
merkwürdigem  Bau  (öffne  sie!).  Die  Fruchtschale  besteht  ähnlich  wie  bei  der 
Kirsche  aus  3  Schichten:  einer  dünnen  Außen-,  einer  dicken,  faserigen  Mittel- 
und  einer  steinharten  Innenschicht.  Sprengen  wir  letztere,  so  stoßen  wir  auf 
den  „Kern"  der  Nuß,  den  Samen.     Er   stellt  eine  fleischige  Hohlkugel  dar,  in 


240  68.  Familie.    Palmen. 

deren  Wand  der  winzige  Keimling  eingelagert ,  und  die  mit  einer  milchigen 
Flüssigkeit ,  der  Kokosmilch,  angefüllt  ist.  Die  Hohlkugel  ist  das  Nährgewebe, 
von  dem  die  sich  entwickelnde  Keimpflanze  zehrt  (s.  S.  101,  e),  und  die  „Milch", 
die  bei  längerem  Lagern  der  Nuß  gleichfalls  fest  wird,  dient  demselben  Zweck. 

Die  zarte  Keimpflanze  wäre  aber  unmöglich  imstande,  die  starke  „Stein- 
schicht" zu  sprengen.  Darum  bleibt  die  über  dem  Keimling  befindliche  Stelle 
der  Schicht  so  dünn,  daß  ein  Durchbruch  leicht  erfolgen  kann.  Da  die  Nuß 
3  Samenanlagen  besitzt,  von  denen  sich  aber  nur  eine  entwickelt,  so  finden  wir 
auch  3  „Keimlöcher".  Das  von  der  Keimpflanze  „benutzte"  Loch  ist  aber  stets 
am  größten  und  mit  der  dünnsten  „Verschlußplatte"  versehen.  Die  beiden 
anderen  Schichten  der  Schale  dagegen  kann  das  junge  Pflänzchen  leicht  durch- 
bohren: Da  der  Keimling  am  oberen  Teile  der  Frucht  liegt,  muß  die  Keim- 
pflanze die  beiden  Schichten  an  der  Ansatzstelle  des  Fruchtstieles  durchbrechen, 
d.  h.  dort,  wo  sie  am  wenigsten  dicht  sind. 

Als  Baustoff  dient,  dem  Keimpflänzchen  vorwiegend  ein  fettes  Öl  (siehe 
S.  16,  A),  das  in  dem  Nährgewebe  aufgespeichert  ist,  bei  Zutritt  von  Wasser 
aber  leicht  ranzig  wird.  Um  nun  ein  unzeitiges  Eindringen  von  Wasser  zu 
verhindern,  bedarf  der  Keimling  jener  festen  Hülle,  wie  sie  die  dreiteilige 
Fruchtschale  liefert.  Auch  als  wichtiges  Schutzmittel  gegen  Feinde,  die  nach 
dem  süßen  Kern  lüstern  sind,  kommt  die  mächtige  Schutzdecke  in  Betracht. 

Da  die  faserige  Mittelschicht  der  Schale  lufthaltig  ist  (Schwimmgürtel!), 
bleibt  die  Nuß,  die  durch  irgend  einen  Zufall  in  das  Meer  gelangt  ist,  sehr  lange 
schwimmfähig.  Infolgedessen  wird  sie  durch  Wellen  und  Meeresströmungen  leicht 
weit  verschlagen  und  oft  erst  an  ferner  Küste  wieder  an  das  Land  gespült.  Auf 
diese  Weise  sollen  die  einsamen  Koralleninseln  in  den  Besitz  der  stolzen  Pflanze 
gelangt  sein.  (Vgl.,  wie  der  Golfstrom  Treibholz  und  Samen  westindischer 
Gewächse  an  der  norwegischen  Küste  anspült !) 

3.  Die  schlanke  Kokospalme  ist  für  die  Tropenländer  sowohl,  wie  für  den 
Welthandel  einer  der  wichtigsten  Bäume.  Der  Stamm  liefert  ein  wert- 
volles Bau-  und  Nutzholz.  Die  Blätter  dienen  zum  Bedecken  der  Dächer,  sowie 
zur  Anfertigung  von  allerlei  Flechtarbeiten.  Die  Gipfelknospe  junger  Pflanzen  wird 
als  Gemüse  („Palmkohl")  verspeist.  Durch  Abschneiden  der  Blütenstände  ge- 
winnt man  einen  Saft,  aus  dem  durch  Gärung  der  berauschende  „Palmwein" 
entstellt  (vgl.  mit  Birke !).  Die  Mittelschicht  der  Fruchtschale  liefert  den  Kokos- 
faserstoff,  der  zu  Decken,  Seilen,  Bürsten  u.  dgl.  verwendet  wird.  Aus  der 
harten  Steinschale  werden  in  den  Tropen  Trinkgeschirre  u.  dgl.,  bei  uns  be- 
sonders Knöpfe  hergestellt.  Das  Nährgewebe  ist  von  haselnußartigem  Geschmack; 
frisch  liefert  es  eine  nahrhafte  Speise,  getrocknet  die  Copra,  die  in  ganzen 
Schiffsladungen  zu  uns  kommt.  Durch  Auspressen  gewinnt  man  aus  ihr  ein 
wertvolles  Öl,  das  zur  Herstellung  von  Seifen  und  Kerzen  dient.  Die  Preß- 
rückstände werden  als  Viehfutter  hoch  geschätzt.  Der  flüssige  Teil  des  Nähr- 
gewebes, die  Kokosmilch,  dient  in  allen  Tropenländern  als  erfrischendes  Ge- 
tränk.   Kurz :  es  ist  kein  Teil  der  Palme,  der  nicht  vom  Menschen  benutzt  würde. 


Kokospalme.      Dattelpalme. 


241 


Andere  Palmen. 

"Was  für  unsere  Heimat  der  Roggen  ist, 
das  ist  für  den  weiten  Wüstengürtel,  der 
sich  vonden  Küsten  des  AtlantischenOzeans 
quer  durch  Afrika  und  über  Westasien 
hinweg  bis  zum  Indus  erstreckt,  die  Dat- 
telpalme (Phoenix  daetylifera):  sie  ist 
die  B  ro  tfruchtpflanz  c  diesesgc- 
w  altigen  L  ändergebiete  9.  An  Ge- 
stalt ist  sie  der  Kokospalme  sehr  ähnlich, 
hat  aber  einen  etwas  dickeren,  stark  mit 
Blattnarben  bedeckten  S  t  a  m  m  und  eine 
kleinere  Laubkrone.  Ihre  "Wurzeln 
senkt  sie  bis  in  die  tieferen,  wasserfüh- 
renden Bodenschichten  hinab.  Infolge- 
dessen vermag  sie  selbst  mitten  in  der 
Wüste  zu  gedeihen,  wo  nur  ein  (|uell  den 
heißen  Sand  durchdringt.  „Sie  taucht", 
wie  der  arabische  Dichter  singt,  „den  Fuß 
in  das  Wasser  und  das  Haupt  in  das  Feuer 
des  Himmels".  Da  sie  eine  zweihäusige 
Pflanze  ist,  findet  man  in  den  Dattel- 
hainen stets  nur  wenige  Bäume  mit  Staub- 
blüten. Um  aber  eine  Bestäubung  möglichst 
aller  Stempelblüten  herbeizuführen,  ver- 
richtet der  Mensch  die  eigentlich  dem 
Winde  zukommende  Arbeit  schon  seit  ur- 
alten Zeiten  selbst.  Er  schneidet  die  aus 
Staubblüten  bestehenden  Kolben  ab  und 
hängt  sie  in  die  Fruchtbäume,  und  zwar 
behalten  die  Blütenstaubkörner  außer- 
ordentlich lange  ihre  befruchtende  Eigen- 
schaft. Die  pflaumenähnliche  Frucht  ent- 
hält einen  langgestreckten,  steinharten 
Samen  (beobachte  dessen  Keimung!).  Das 
süße,  wohlschmeckende  Fruchtfleisch  ist 
das  Hauptnahrungsmittel  für  die  vielen 
Millionen  Menschen,  die  jene  Wüstenge- 
biete bewohnen.  Während  dort  aber  die 
Früchte  in  allen  nur  möglichen  Formen 
(frisch  oder  getrocknet,  roh  oder  gekocht 
u.  s.  w.)  verzehrt  werden,  gelangen  sie  zu 
uns  nur  in  getrocknetem  Zustande. 

Wie    bei    der    Kokospalme    finden 
neben   den   Früchten    auch    alle    anderen 
Teile   des    herrlichen    Baumes    nutzbrin- 
gende Verwendung:  die  Dattelpalme  liefert 
Sclimeil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Dattelpalmen,  z.  T.  mit    Fruchtständen 
(etwa    l/ioo  nat.  Gr.). 

16 


242  68.  Familie.    Palmen. 

dem  Wüstenbewohner  alles  zum  Leben  Nötige;  sie  macht  im  Verein  mit  dem  Kamele 
die  "Wüste  erst  bewohnbar.  Die  mächtigen  Blätter  („"Wedel")  gelten  schon  seit  dem 
grauen  Altertume  als  ein  Zeichen  des  Sieges  und  Friedens.  Darum  legen  wir 
auch  gern  einen  „Palmenzweig"  auf  die  Ruhestätte  derer,  die  den  Sieg  über  das 
Erdenleben  davongetragen  und  den  ewigen  Frieden  gefunden  haben. 

"Wenn  auch  keine  andere  Palme  den  beiden  kurz  geschilderten  Arten  an  Be- 
deutung gleich  kommt,  so  sind  in  anderen  Erdstrichen  andere  dieser  stolzen  Bäume  dem 
Menschen  doch  von  größter  Wichtigkeit.  An  erster  Stelle  wäre  hier  die  ölpalme 
(Elans  guineensis)  zu  nennen ,  die  an  den  feuchtheißen  Küsten  und  Flußläufen  West- 
afrikas gedeiht.  Sie  trägt  pflaumenähnliche ,  orangefarbene  Früchte ,  deren  Frucht- 
fleisch das  ,.  Palmöl"  und  deren  Kerne  (d.  s.  die  von  der  harten  Innenschicht  der 
Fruchthülle  umschlossenen  Samen)  das  feinere  „Palmkernöl"  liefern.  Beide  Ölsorten 
werden  wie  das  Kokosöl  verwendet.  —  Wie  aus  den  Knollen  der  Kartoffel  und  den 
Körnern  des  Getreides  gewinnt  man  aus  dem  weichen  Stamminnern  zahlreicher  Palmen 
das  aufgespeicherte  Stärkemehl.  Wird  dieser  wertvolle  Stoff  in  Pfannen  erhitzt,  so 
verkleistert  er  teilweise  und  liefert  den  „Sago"  des  Handels.  Die  besten  Sorten  dieses 
wichtigen  Nahrungsmittels  geben  die  echten  Sago-Palmen  (Metröxylon  rümphii  und 
laeve),  die  auf  den  Sunda-lnseln  und  den  Molukken  einheimisch  sind.  —  Die  Wein- 
palme (Raphia)  liefert  den  Bewohnern  von  Afrika  und  den  dazu  gehörigen  Inseln 
einen  beliebten  Palmwein.  Die  Oberhaut  und  Bastschicht  der  mächtigen  Fiederblätter 
werden  bei  uns  als  „Raphia-Bast"  namentlich  von  Gärtnern  verwendet.  Man  bereitet 
daraus  aber  auch  Matten  und  andere  Flechtwerke.  —  Die  Elfenbeinpalmen  (Pkyt- 
elephas),  die  im  tropischen  Amerika  heimisch  sind,  geben  uns  in  ihren  steinharten  Samen, 
den  Steinnüssen,  ein  wertvolles  Material  zur  Herstellung  von  Knöpfen.  —  Die 
Piassava-Fasern,  die  namentlich  zu  Besen  verarbeitet  werden,  sind  das  Faser- 
geflecht der  Blattscheiden  mehrerer  anderer  amerikanischer  Palmen.  —  Das  „s panische 
Rohr",  das  bei  uns  namentlich  zum  Flechten  der  Stühle  verwendet  wird,  ist  der  dünne 
Stamm  der  Rotangpalmen  (Cälamus) ,  die  besonders  in  Ostindien ,  dem  tropischen 
Australien  und  auf  den  dazwischen  liegenden  Inseln  vorkommen.  Es  sind  Kletterpflanzen 
der  Urwälder,  die  sich  vielfach  mit  Hilfe  bestachelter,  peitschenförmiger  Fortsätze  der 
Blattstiele  an  den  Stämmen  und  an  den  Kronen  der  Bäume  festhalten  (vgl.  mit  Hopfen!). 
—  Die  einzige  Palme,  die  in  Europa  ihre  Heimat  hat,  ist  die  Zwergpalme  (Cham&rops) 
des  Mittelmeergebiets.  Sie  hat  im  Gegensatz  zu  allen  anderen  erwähnten  Arten  fächer- 
förmige Blätter  (Fieder-  und  Fächerpalmen!)  und  wird  neben  zahlreichen  anderen  Palmen 
gern  als  Zimmerpflanze  gezogen. 

Im  Anschluß  an  die  so  überaus  wichtigen  Palmen  sei  eine  andere  nicht  minder 
wichtige  Tropenpflanze  kurz  betrachtet: 

Die  Banane  oder  der  Pisang  (Musa  sapientuni  und  paradisiaca). 

Wie  es  bei  uns  nur  selten  einen  Garten  gibt,  in  dem  nicht  ein  Birn-  oder  Apfel- 
baum stände,  so  findet  sieb  überall  in  allen  beißen  Ländern  die  Banane  in  unmittel- 
barer Nabe  der  menschlichen  Wohnungen.  Aus  einem  im  Boden  dabinkrieeben- 
den  Wurzelstocke  erhebt  sich  ein  kurzer  knolliger  Stamm,  der  zahlreiche, 
mächtige  Blätter  trägt.  Die  scheidenförmigen  Teile  der  Blattstiele  schließen 
so  eng  zusammen,  daß  sie  einen  bis  10  m  hohen  „Scheinstamm"  bilden.  Für 
dieses  wenig  widerstandsfähige  Stammgebilde  sind  aber  so  riesige  Blätter,  wie 


Andere  Palmen.     Banane,     Ingwer. 


243 


sie  die  Banane  besitzt,  sicher  von  Nachteil;  denn  sie  bieten  ja  dem  Winde  eine 
sehr  große  Angriffs  fläche  dar.  Soll  die  Pflanze  nicht  umknicken,  so  muß  eine 
„  Korrektur  "  ein- 
treten :  die  Blätter 
zerreißen  so,  daß 
sie  wie  gefiedert  er- 
scheinen. Die  Sei- 
tenrippen stehen 
nämlich  rechtwink- 
lig zu  der  starken 
Mittelrippe,  so  daß 
schon  ein  mäßig 
starker  Wind  die 
für  die  Pflanze  ganz 
unschädliche  „Fie- 
derung"  bewirken 
muß.  Jetzt  aber  ver- 
hält sich  das  Blatt 
wie  ein  wirkliches 
Fiederblatt,  dessen 
einzelne  Teile  dem 
Anprall  des  Windes 
leicht  ausweichen. 
Aus  der  Spitze  des 
Stammes  erhebt  sich 
der  hängende  Blü- 
tenstand, der 
bald  in  eine  oft  zent- 
nerschwere Frucht- 
traube übergeht. 
Die  gurkenähn- 
lichen Früchte 
besitzen  je  nach  der 
Spielart,  von  der 
sie  stammen,  ein 
saftiges,  süßes  oder 
mehlreiches  Frucht- 
fleisch, das  Millio- 
nen von  Menschen 

zur  täglichen  Nahrung  dient.  —  Andere  Bananenarten,  die  vornehmlich  auf  den 
Philippinen  gedeihen,  liefern  in  den  Gefäßbündeln  der  Blattstiele  den  festen 
Manilahanf,  der  namentlich  zu  Seilen  verarbeitet  wird. 

Den  Bananen  nahe  verwandt  ist  der  Ingwer  (Zingiber  offieinäle),   der    in    zahl- 


IJanane 


it  Fruchtstand  (etwa 
eine  junge  l'fl 


nat.  Gr.);  dahinter 


244  69-  Familie.    Arongewächse. 

reichen  Tropenländern  angebaut  wird.  Der  Wurzelstock,  der  dem  der  Schwertlilie 
nicht  unähnlich  ist,  liefert  ein  bekanntes  Gewürz,  das  besonders  zur  Herstellung  von 
Likören  dient.  —  Ein  anderes  verwandtes  Gewächs  ist  das  Blumenrohr  (Canna),  das 
in  den  heißen  und  wärmeren  Teilen  von  Amerika  heimisch  ist.  Die  prächtige  Pflanze 
wird  ihrer  großen,  schönen  Blätter  wegen  bei  uns  in  zahlreichen  Arten  gern  zur  Bil- 
dung von   rBlattpflanzen"-Gruppen  verwendet. 

69.  Familie.     Arongewächse  (Aräceae). 

Der  Aronstah  (Arum  maculatum). 

1.  Der  Aronstab  ist  ein  Bewohner  schattiger,  feuchter  Laubwälder. 
Bereits  im  Vorfrühli  nge,  also  zu  einer  Zeit,  in  der  die  Bäume  noch  unbelaubt 
sind,  und  die  Sonnenstrahlen  ungehindert  bis  zum  Boden  hinabdringen,  sprießt 
er  zum  Lichte  empor.  (Beobachte,  wie  die  zusammengerollten  Blätter  den 
Boden  durchbrechen !)  Hierzu  ist  er  wohl  befähigt ;  denn  er  findet  ja  die 
nötigen  Baustoffe  in  einem  knollenartigen  unterirdischen  Stamme  fertig 
vor.  Wenn  sich  die  Laubkronen  geschlossen  haben,  beginnt  er  bald  zu  vergilben  : 
alles  Erscheinungen,  wie  wir  sie  an  dem  Scharbockskraute  (s.  S.  1,  A)  kennen 
und  verstehen  gelernt  haben.  Die  pfeilförmigen  Blatt  flächen  sind  zart  und 
groß  wie  bei  zahlreichen  Standortgenossen  der  Pflanze  (s.  S.  7,  b  u.  c)  und  meist 
braun  gefleckt  wie  beim  gefleckten  Knabenkraut  (s.  das.).  Da  sie  deutliche 
Rinnen  darstellen  (beobachte  die  Stellung  der  hinteren  Zipfel !)  und  schräg  nach 
innen  geneigt  sind,  so  leiten  sie  alles  Wasser  an  den  langen  Blattstielen  zur 
Wurzel  hinab.  Der  Aronstab  hat  also  der  Lage  seiner  Wurzeln  entsprechend 
eine  centripetale  Wasserableitung  (s.  S.  88).  Stellt  man  durch  ein  Stück  der 
Blätter  dünne  Querschnitte  her,  so  sieht  man  bei  Anwendung  des  Mikroskops, 
daß  in  den  Zellen  zahlreiche  Nadeln  eingelagert  sind.  Kaut  man  ein  Stück 
des  Blattes,  so  dringen  diese  Gebilde,  die  aus  oxalsaurem  Kalke  (Kleesalz) 
bestehen,  in  die  Schleimhäute  des  Mundes  ein,  und  man  wird  zuerst  einen  süß- 
lichen Geschmack,  dann  aber  ein  äußerst  schmerzhaftes  Brennen  wahr- 
nehmen. Daher  hüten  sich  die  pflanzenfressenden  Tiere  auch  vor  der  ver- 
lockend saftigen  Speise,  oder  sie  wenden  sich  nach  dem  ersten  Anbiß  mit 
allen  Zeichen  des  Unbehagens  davon  ab  (stelle  entsprechende  Versuche  an  !).  Be- 
sonders wichtig  ist  der  Pflanze  dieses  Schutzmittel  gegen  die  Schnecken;  denn  der 
feuchte  Waldgrund  ist  ja  ein  Lieblingsaufenthalt  dieser  überaus  gefräßigen  Tiere. 

2.  In  dem  gewöhnlich  als  „Blüte"  bezeichneten  Gebilde  erkennen  wir 
bei  näherem  Zusehen  leicht  einen  Blütenstand,  der  seiner  Form  nach  als 
Kolben  zu  bezeichnen  ist.  Er  ist  von  einem  großen,  dütenförmigen  und  grün- 
lichweißen Hüllblatte,  einer  sog.  Blütenscheide,  umgeben,  die  unten  kessel- 
artig erweitert  und  im  oberen  Teile  weit  geöffnet  ist.  Unter  dem  meist  violett 
gefärbten,  keulenförmigen  Abschnitte  des  Kolbens  stehen  mehrere  Reihen 
starrer  Haare,  die  bis  zur  Wand  der  hier  stark  verengten  Blütenscheide 
reichen.   Der  untere  Abschnitt  des  Kolbens  ist  oben  von  vielen  Staubbättern 


Aronstab. 


245 


und  unten  von  zahlreichen  Stempeln  rings  um- 
geben. Da  sich  diese  Gebilde  nur  in  Blüten  finden, 
so  haben  wir  in  ihnen  also  ebenso  viele  Staub- 
oder Steuipelblüten  vor  uns.  Der  Kolben  bildet 
also  —  wie  oben  bemerkt  —  eine  Blütengernein- 
schaft  oder  einen  Blütenstand.  Den  winzigen 
Blüten  fehlt  allerdings  wie  bei  zahlreichen  anderen 
Pflanzen  (Beispiele!)  die  Blutenhülle.  Sie  wird 
jedoch  durch  die  Blutenscheide,  die  im  Knospen- 
zustande  vollkommen  geschlossen  ist,  hinreichend 
ersetzt. 

Der  Blütenstand  des  Aronstabs  erinnert 
uns  sowohl  in  seinem  Äußern,  als  auch  in  den 
Einzelheiten  seines  Baues  stark  an  die  Blüten 
der  Osterluzei  (beweise  dies  näher!).  Wir  werden 
uns  daher  auch  nicht  wundern,  daß  die  Be- 
stäubung wie  bei  dieser  Pflanze  durch  Mücken 
vermittelt  wird,  die  eine  Zeit  lang  in  der  „Kessel- 
fallenbluiue"  gefangen  gehalten  werden.  Und 
zwar  ist  der  Vorgang  im  wesentlichen  derselbe 
(verfolge  und  beschreibe  ihn !).  Im  besonderen  muß 
jedoch  noch  folgendes  bemerkt  werden: 

a)  Als  Mittel,  die  Bestäuber  anzulocken, 
dient  dem  Aronstabe  außer  der  Färbung  der 
Blutenscheide  und  des  keulenförmigen  Kolbenab- 
schnittes  ein  starker  Geruch,  der  uns  zwar 
widerlich  erscheint,  den  Mücken  dagegen  sicher 
angenehm  ist. 

b)  Die  Honigtropfen,  die  von  denver- 
trockneten Narben  ausgeschieden  werden,  sowie 
ein  Teil  des  reichlich  erzeugten  mehligen  Blüten- 
staubes dienen  den  Mücken  zur  Nahrung.  Außer- 
dem ist  es 

c)  die  (infolge  lebhafter  Atmung)  erzeugte 
Wärme,  die  die  Insekten  veranlaßt,  in  der 
„Kesselfalleublume"  Unterschlupf  zu  suchen.  Die 
Tierchen  finden  dort  gleichsam  ein  geheiztes  Zim- 
mer. Wenn  wir  den  Kolben  mit  der  Zunge  be- 
rühren, so  empfinden  wir  die  Wärme,  oder  führen 
wir  ein  kleines,  empfindliches  Thermometer  in  den 
,,Kesselu  ein,  so  sehen  wir,  daß  die  Temperatur  dort  um  mehrere  Grad  „höher" 
als  außen  ist,  (Bei  ausländischen  Arten  erhöht  sich  die  Innentemperatur  sogai 
um  10  —  20°  C.) 


Blutenstand  vom  Aronstabe. 

H.  Haarreuse;  Stb.  Staubblätter; 
St.  Stempel.      Nat.  Gr.  . 


■J\r,       69.  Farn.   Arongewäclise.     70.  u.  71.  Farn.  Rohrkolben-  u.  Laichkrautgewächse. 

d)  Als  „Anflugsstange"  dient  den  kleinen  Gästen  der  keulenförmige 
Kolbenteil. 

e)  Die  „Haarreuse"  erlaubt  den  Gefangenen  wohl,  das  Gefängnis 
kriechend  zu  verlassen.  Da  die  Tierchen  dem  hellen  Ausgange  aber  stets  zu- 
fliegen (vgl.  mit  den  Insekten,  die  in  das  brennende  Licht  fliegen  oder 
die  heiße  Lampe  umflattern!),  so  bleibt  ihnen  der  Rückweg  so  lange  ge- 
sperrt, bis  sie  ihre  Arbeit  getan  haben,  d.  h. :  erst  nachdem  die  Staubbeutel 
entleert  und  die  Mücken  (zum  erstenmal  oder  von  neuem)  mit  Blütenstaub 
beladen  sind,  wird  der  Ausgang  durch  Verwelken  der  Haare  frei. 

3.  Die  Früchte  sind  saftige  Beeren,  die  durch  leuchtend  scharlachrote 
Färbung  die  Waldvögel  zum  Verspeisen  einladen  (vgl.  S.  64, 8). 

V  o  r  w  and  t e :  An  sumpfigen  Stellen  und  an  den  Ufern  stehender  Gewässer  wächst  das 
Schlangenkraut  (Calla  palustris),  so  genannt  nach  dem  Wnrzelstocke,  der  wie  eine  Schlange 

über  den  Boden  dahinkriecht.    Der 

Blütenkolben   ist   von    einer    rein 

,— g  weißen  Blütenscheide  umgeben.  — 

-^  Ganz    ähnliche    „Blüten"    hat  die 

prächtige  Zimmerpflanze  (Richärdia 

.  aethiöpica),  die  unter  dem  Namen 

„Calla"  allgemein  bekannt  ist 
und  in  Afrika  ihre  Heimat  hat.  — 
Eine  schilfähnliche  Sumpfpflanze 
ist  der  Kalmus  (Acorus  cälamus). 
Sein  gewürzhafter  Wurzelstock  wird 
vielfach  als  Heilmittel  verwendet. 
Zu  den  Arongewächsen  zählt 
man  auch  die  Wasserlinsen  (Lem- 
na).  Die  winzigen  Pflänzchen  be- 
stehen aus  einem  blattartigen  Stam- 
me, der  durch  eine  oder  mehrere 
senkrecht  ins  Wasser  reichende 
Wurzeln  in  wagerechter  Lage  ge- 

„         .       m  ,.  ,r  .      -rs  halten  wird.     Nur    selten    bringen 

Gemeine  Wasserlinse  (Lemna  minor).     Das  ° 

Pflänzchen  links  mit  einer  Blüte.    (Etwa  5  mal         d.e  Wasserlinsen  unscheinbare  Blut- 


nat.  Gr.) 


chen  hervor.  Dafür  vermehren  sie 
sich  aber  stark  durch  seitlich  her- 
vorwachsende Sprossen,  die  selbständig  werden  oder  mit  der  Mutterpflanze  im  Zusammen- 
hange bleiben,  und  zwar  geschieht  dies  oft  in  einem  solchen  Maße,  daß  ganze  Gewässer 
in  kurzer  Zeit  wie  mit    einem  grünen  Teppich  überzogen  werden. 

70.  u.  71.  Farn.     Rohrkolben-   und  Laiehkrautgewächse  (Typhäceae 
und  Najadäceae). 

1.  Rohrkolbengewächse.  Der  Rohrkolben  (Typha)  ist  ein  Bewohner 
der  Sümpfe  und  Uferränder.  Er  wächst  also  dort,  wo  das  Schilf  anzutreffen  ist.  Da- 
her  besitzt   er   gleichfalls    eine   besondere  Einrichtung   gegen  die  Wirkung  des  Windes, 


Schlangenkraut 


Fruchtstaml   des  schmal- 
blättrigen Rohrkolbens 

(etwa  '/.  nat.  Gr.) 
Das  Ausstreuen  der  Früchte 
(liiivhileiiWinil  hat  soeben  begonnen.  Unter- 
halb  der  verwehten  Früchte  eine  Frucht  in 
etwa5mal.  \~ergr.  St.  Stengelteil,  an  dem  die 
Staubblüten  saßen;  n.S.  nackt.  Stengelteil. 


insen.    Rohrkolben.    Igelskolben.    Laichkräuter.     247 

dem   er  ja    infolge  des  freien  Standortes  und  hohen  "Wuchses 
besonders    ausgesetzt   ist:    seine    Blätter   sind    in    2 — 3  "Win- 
dungen schraubig  gedreht.    "Werden  sie  vom  Winde  getroffen, 
so  wird  der  Luftstrom,  da  die  einzelnen  Teile  des  Blattes  ja  die 
verschiedensten  Richtungen  haben,  gleichsam  in  eine  Bienge  ein- 
zelner Ströme  zerlegt,  von  denen  nur  die  senkrecht  auftreffen- 
den eine  merkliche  Wirkung  ausüben,  nämlich  eine  Biegung  des 
Blattes  verursachen.     Zudem  verlängern  sich    die  Schrauben- 
Windungen  bei  jedem  Windstoße,   so  daß  Bich  das  Blatt  etwas 
streckt:  die   Pflanze  steht    daher   selbst   nach  dem  heftigsten 
Sturme    unverletzt    da.      Die  Blüten  sind  zu  2  übereinander 
stehenden  Kolben  geordnet,  die  beim  breitblättrigen  R.  (T. 
latifölia)  zusammenstoßen,  beim  schmalblättrigen  R.  (T.  an- 
gustifölia   dagegen    durch    einen    nackten    Stengelteil   vonein- 
ander getrennt  sind.    Der  untere  Kolben  enthält  nur  Stempel-, 
der  obere  nur  Staubblüten.    Beide  sind  von  einfachstem  Bau 
(Beweis!),    ein    Zeichen,     daß    die    Pflanze 
bei   der   Bestäubung  auf  die  Hilfe  des  Win- 
des   angewiesen   ist.     Nach    dem  Ausstreuen 
des    Blütenstaubes    vertrocknen    die    Staub- 
blüten und  fallen  ab ,    so  daß   nur   der  Teil 
des  Stengels,  an  dem  sie  standen,  als  Fortsatz 
des  Fruchtkolbens  zurückbleibt.    Die  Früchte 
werden,  da  der  Fruchtstiel  mit  langen  Haaren 
besetzt  ist,  leicht  weit  durch  den  Wind  ver- 
breitet. —  Eine  das  "Wasser  liebende  Pflanze  ist 
auch  der  Igelskolben  (Spargäni  um),  der  von  den 
kugeligen,    stacheligen     Fruchtständen     den 
Namen  trägt.  Seine  schwimmfähigen  Früchte 
werden  durch  das  Wasser  verbreitet. 

2.  Laichkrautgewächse.  Die 
Laichkräuter  (Potamogeton)  sind  unter- 
getauchte oder  schwimmende  Wasserpflan- 
zen. Da  sie  vom  Wasser  getragen  werden, 
sind  sie  wie  der  Wasserhahnenfuß  überaus 
zarte  Gewächse.  Die  einfachen,  in  Ähren 
stehenden  Blüten  werden  über  den  Wasser- 
spiegel emporgehoben  und  mit  Hilfe  des 
Windes  bestäubt.  —  In  der  Strandzone 
unserer  Meere  wächst  auf  schlammigem  oder 
sandigem  Boden  das  Seegras  (Zostera).  Das 
grasähnliche  Gewächs  hat  lange,  riemen- 
förmige  Blätter,  die  leicht  mit  den  Wogen 
hin-  und  herfluten,  und  blüht  wie  das  Horn- 
blatt (s.  das.)  unserer  Teiche  und  Seen  unter 
Wasser.  Getrocknet  liefert  das  Seegras  ein 
wertvolles  Material   zum  Polstern. 


248 


'2.   Familie.     Gräser. 


72.  Familie.     Gräser  (Gramineae). 

Stengel  (Halm)  knotig  nnd  meist  hohl.    Blätter  zweizeilig,  meist  mit  je  einer  gespaltenen 
Blattscheide   und    einem    Blatthäutchen.     Blütenstand    eine    aus    „Ährchen"     zusammen- 
gesetzte Ähre  oder  Rispe.     Blüten  im  Schutze  sog.  Spelzen;    mit  meist  3  Staubblättern 
und  einem  Fruchtknoten  mit  meist  2  Narben.     Frucht  eine  sog.   Grasfrucht. 

1.  Der  Roggen  (Seeale  cereäle). 

A.  Der  Roggen  und  seine  Bedeutung.  1.  Von  den  Getreidearten,  die 
in  Mittel-  nnd  Nordeuropa  angebaut  werden,  hat  keine  eine  so  große 
Wichtigkeit  wie  der  Roggen.  Liefert  er  doch  das  Schwarzbrot,  das  für  viele 
Millionen  von  Menschen  einen  großen,  vielfach  sogar  den  größten  Teil  der 
täglichen  Nahrung   bildet.     Dieses  Brot   ist  zwar   etwas   weniger   nahrhaft   als 


-M 


-K 


Roggenkorn.  1  von  außen;  2  im  Längsschnitt  (etwa  10 mal  vergr.) ;  3  unterer  Teil 
(stärker  vergr.).  K.  Keimling ;  N.  Nährgewebe  ;  P.S.  die  miteinander  verwachsene  Prncht- 
u.    Samenschale;    Seh.    Schildchen;    Kn.    Knospe;    St.    Stengelchen;     W.    Würzelchen; 

Ws.  Wurzelscheide. 


das  aus  Weizenmehl  hergestellte  Weißbrot,  bleibt  aber  viel  länger  schmackhaft 
als  jenes  und  wird  uns  nie  zum  Überdruß.  Zudem  gedeiht  der  Roggen  vielfach 
auch  da,  wo  kein  Weizenbau  mehr  betrieben  werden  kann;  denn  die  anspruchs- 
lose Pflanze  nimmt  mit  einer  geringeren  Sommerwärme  fürlieb  als  der  Weizen 
und  bringt  auch  auf  weniger  gutem  Boden  noch  lohnenden  Ertrag.  Seiner 
großen  Wichtigkeit  halber  bezeichnet  man  den  Roggen  vielfach  kurzweg  als 
„das  Korn",  ein  Name,  mit  dem  jedes  Volk  seine  Hauptbrotfrucht  belegt. 
So  ist  z.  B.  für  die  Bewohner  Frankreichs  der  Weizen,  für  die  Südeuropäer 
neben  dem  Weizen  der  Mais  und  für  die  meisten  Völker  Asiens  der  Reis 
„das  Korn".  Diese  hohe  Bedeutung  erlangen  die  unscheinbaren  Getreidegräser 
bekanntlich  durch  ihre  Frucht.  Wie  dies  möglich  ist,  wird  uns  leicht  die 
genauere  Betrachtung  des  Roggenkornes  zeigen;  denn  die  Früchte  aller  an- 
deren Grasarten  sind  im  wesentlichen  genau  so  gebaut.  —  Um  den  Roggen 
ganz  zu  würdigen,  muß  vorher  noch  des  wertvollen  Strohes  gedacht  wer- 
den, das  er  uns  liefert.     Es  wird  als  Streu  für  das  Vieh,   als  Häcksel   für   die 


Roggen. 


24!) 


Pferde,   sowie   wegen   seiner   Länge   zur   Herstellung   von    Seilen,   Strohmatten 
u.  dgl.  verwendet. 

2.  Das  Roggenkorn  ist  ein  kleines,  graugelbes  Gebilde  mit  einer 
Längsfurclie  und  einer  wohl  umgrenzten  Stelle  am  zugespitzten  (unteren)  Ende. 
Um  den  inneren  Bau  kennen  zu  lernen,  führen  wir  durch  ein  etwas  auf- 
gequollenes Korn  einen  Längsschnitt,  der  genau  in  der  Mitte  der  Furche  ver- 
läuft. Dann  sehen  wir,  daß  es  aus  2  deutlich  geschiedenen  Teilen  besteht,  die 
von  einer  schützenden  „Haut"  (der  miteinander  verwachsenen  Frucht-  und 
Samenschale,  s.  S.  258,  b)  umhüllt  sind  (F.S.). 

a)  Nehmen  wir  eine  Lupe  zur  Hand,  so  erkennen  wir  leicht,  daß  der 
untere  Abschnitt,  der  äußerlich  jene  „wohl  umgrenzte  Stelle"  bildet,  die 
Anlage  der  jungen  Pflanze,  den  Keimling  (K.),  darstellt:  wir  sehen  die 
Knospe  (Kn.)  mit  den  ersten  Blättern,  ein  kur- 
zes Stengelstück  (St.)  und  ein  W  ü r  z  el  c  h  e  n 
(W.),  das  von  der  Wurzel  seh  ei  de  (Ws.) 
umgeben  ist.  Der  Stengel  steht  mit  einem  ver- 
hältnismäßig dicken  Körper,  der  nach  seiner 
Form  Schildchen  (Seh.)  genannt  wird  und 
sich  an  den  großen  oberen  Abschnitt  der  Frucht 
anlegt,  in  Verbindung.  (Am  besten  ist  die  Form 
des  Schildchens  zu  erkennen,  wenn  man  von 
einem  gequollenen  Korne  den  ganzen  Keimling 
mit  Hilfe  einer  Nadel  ablöst.)  Da  das  Schild- 
chen au  der  Stelle  des  Stengels  entspringt,  an 
der  sich  bei  den  zweikeimblättrigen  Pflanzen  die 
Keimblätter  finden  (s.  S.  99,  2),  so  betrachtet 
man  es  gleichfalls  als  ein  solches  („Einkeim- 
blättrige Pflanzen"). 

b)  Stellt   man   durch  den  großen  oberen 
Abschnitt  des  Roggenkornes  zarte  Querschnitte 

her,  so  sieht  man  bei  mikroskopischer  Vergrößerung,  daß  unter  der  umhül- 
lenden „Haut"  eine  Schicht  kürzerer  Zellen  liegt,  die  mit  feinen  Körnchen 
angefüllt  sind.  Der  von  dieser  Schicht  umschlossene  Raum  dagegen  wird  von 
längeren  Zellen  eingenommen,  die  wesentlich  größere  Körner  führen.  Bei 
Zusatz  einer  Jodlösung  färben  sich  die  kleinen  Körner  gelbbraun,  die  größeren 
blau,  ein  Zeichen,  daß  wir  es  in  ersteren  mit  Eiweiß,  in  letzteren  mit 
Stärke  zu  tun  haben  (s.  den  letzten  Abschn.  d.  Buches!).  Während  das  Ei- 
weiß, hier  „Kleber"  genannt,  also  in  den  äußersten  Zellen  angehäuft  ist,  flndet 
sich  die  Stärke  in  den  Zellen,  die  von  der  „Kleberschicht"  umschlossen  sind. 
Eiweiß  und  Stärke  sind  nun  die  Stoffe,  die  der  Keimpflanze  zum  Aufbau 
und  zur  Nahrung  dienen.  Während  diese  Stoffe  bei  der  Bohne  (s.  S.  101,  e) 
aber  in  den  Keimblättern  eingelagert  sind,  finden  sie  sich  hier,  von  dem  Keim- 
linge vollkommen  getrennt,   in   einem   besonderen  Abschnitte   des    Samens,   den 


(Schnitt   bei   ISO  mal.  Vergr.). 

F.  Fruchtschale ;    S.  Samenschale; 

K.    Kleberschichl  ;    St.  Zellen,  mir 

Stärkekörnern    aneefülll . 


250  72.  Familie.    Gräser. 

man  als  das  Sameneiweiß  (Endosperm)  oder  treffender  als  das  Nährgewebe  (N.) 
bezeichnet. 

Da  nun  das  Roggenkorn  außerordentlich  reich  an  Eiweiß  (ll°/0)  und  Stärke 
(60  °/0)  ist,  und  beide  Stoffe  unentbehrliche  Bestandteile  der  menschlichen 
Nahrung  bilden,  so  wird  uns  die  Wichtigkeit  des  Roggens  als  Brotfrucht 
ohne  weiteres  verständlich.  Der  KeiniliDg,  die  umhüllende  „Haut",  sowie  die 
darunter  lagernde  Kleberschicht  werden  beim  Mahlen  des  Getreides  durch  die 
Rauhigkeiten  der  Mühlsteine  von  den  Körnern  abgerieben.  Sie  liefern  die 
Kleie  (Verwendung?),  während  das  zertrümmerte  Nährgewebe  ohne  die  Kleber- 
schicht das  Mehl  gibt.  Da  die  Kleberschicht  —  wie  wir  gesehen  haben  — 
sehr  reich  an  Eiweiß  ist,  so  ist  auch  das  Brot,  das  aus  „geschrotenem"  Korn 
hergestellt  wird  (Schrotbrot,  Kommißbrot,  Pumpernickel  u.  dgl.),  weit  nahrhafter, 
allerdings  auch  viel  schwerer  zu  verdauen,  als  ein  aus  reinem  Mehle  bereitetes 
Gebäck.  —  Wenn  auch  die  Stärke  nicht  wie  z.  B.  die  der  Kartoffelknolle 
fabrikmäßig  gewonnen  wird,  so  werden  die  Roggenkörner  doch  gleichfalls  zur 
Herstellung  eines  stark  alkoholhaltigen  Getränkes,  des  Kornbranntweins, 
verwendet. 

B.  Aussaat,  Keimung  und  Bestückung.  1.  Der  Roggen  wird  im  Herbst 
oder  Frühling  gesät  (Winter-  und  Sommerroggen;  s.  S.  252).  (Beschreibe, 
wie  der  Landmann  den  Boden  für  das  Saatkorn  zubereitet!  Gib  an,  welche 
Bedeutung  die  einzelnen  Tätigkeiten  haben,  und  wie  die  Aussaat  erfolgt!) 

2.  Um  die  Keimung  genau  verfolgen  zu  können,  säen  wir  Roggenkörner 
in  Blumentöpfe,  die  mit  feuchter  Erde  angefüllt  sind.  Die  Körner  quellen  bald 
auf,  und  im  warmen  Zimmer  sprengt  meist  schon  am  nächsten  Tage  der 
schwellende  Keim  die  überdeckende  Schale  (s.  S.  100,  a).  Wie  bei  der  Bohne 
(s.  S.  100,  b)  kommt  zuerst 

a)  das  Würzelchen  zum  Vorscheine  (Fig.  1  auf  S.  251).  Es  durchbricht  die 
Wurzelscheide,  die  anfänglich  mit  wächst  und  das  überaus  zarte  Gebilde  gegen 
Verletzung  schützt,  und  bohrt  sich  in  den  Boden  ein.  Gleichzeitig  machen  sich 
an  dem  Stengelchen  2  kleine  Anschwellungen  bemerklich,  die  sich  gleichfalls  zu 
Wurzeln  ausbilden  (Fig.  2)  und  anfänglich  auch  von  Wurzelscheiden  umhüllt 
sind.  Zum  Unterschiede  von  der  sich  zuerst  entwickelnden  „Hauptwurzel" 
bezeichnet  man  diese  als  Neben  wurzeln.  Bald  brechen  noch  weitere  Neben- 
wurzeln aus  dem  Stengel  hervor,  und  da  alle  die  Hauptwurzel  an  Größe  und 
Stärke  bald  erreichen,  so  entsteht  schließlich  ein  Büschel  gleichartiger  Wurzeln 
(Fig.  3). 

b)  Da  die  Wurzelscheide  mit  zahlreichen  Härchen  besetzt  ist,  wird  das 
Korn  sofort  bei  Beginn  der  Keimung  im  Boden  verankert  (s.  S.  100,  b).  Diese 
Befestigung  wird  umso  sicherer,  je  tiefer  sich  die  Hauptwurzel  in  die  Erde 
senkt  und  je  mehr  Nebenwurzeln,  die  gleich  der  Hauptwurzel  mit  vielen  Wurzel- 
härchen bedeckt  sind,  sich  entwickeln.  Fast  gleichzeitig  mit  der  Streckung 
des  Würzelchens  beginnt  auch  die  Knospe  stark  in  die  Länge  zu  wachsen. 
Das  Stengelchen  dagegen  bleibt  sehr   kurz  und  ist  daher  auch  nicht  imstande, 


Hüften. 


251 


M 


die  Erde  zu  durchbrechen  (s.  S.  100,  c).  Diese  Arbeit  muß  daher  die  Knospe 
selbst  verrichten,  und  dazu  ist  sie  trotz  ihrer  Zartheit  auch  wohl  befähigt. 
Ihre  Blätter  bilden  nämlich  einen  Kegel,  dessen  Mantel  von  dem  scheiden- 
förmigen  ersten  Blatte  gebildet  wird.  Diese  meist  rötlich  angelaufene  Scheide 
ist  verhältnismäßig  fest  und  widerstandsfähig,  so  daß  sie  mit  ihrer  harten 
Spitze  den  Boden  wie  ein  Keil  durchbrechen  kann  (vgl.  mit  Tulpe,  Maiblume). 
Erst  ein  Stück  über  dem  Boden  öffnet  sich  die  Scheide,  um  dem  zweiten  Blatte 
den  Durchtritt  zu  gestatten. 

c)  Das  ursprünglich  harte  Roggenkorn  wird  mit  beginnender  Keimung 
weich,  und  sein  Nährgewebe  verwandelt  sich  nach  und  nach  in  eine  milchige 
Masse.  Da  nun  der  Inhalt  des  Nährgewebes  dem  Keimling  zur 
Nahrung  und  zum  Aufbau  dient,  von  diesem  aber  getrennt  ist, 
so  muß  ein  Vermittler  zwischen  beiden  vorhanden  sein.  Als  solcher 
gibt  sich  das  Sc  bilde  hen  zu  erkennen,  das  —  wie  wir  ge- 
sehen haben  —  mit  seiner  ganzen  Fläche  dem  Nährgewebe  an- 
liegt, auf  der  anderen  Seite  dagegen  mit  dem  Keimling  in  Ver- 
bindung steht.  Je  mehr  sich  der  Keimling  entwickelt,  desto 
mehr  leert  sich  auch  der  Vorratsspeicher,  bis  die  letzten,  für  den 
Keimling  wertlosen  Reste  des  Kornes  schließlich  durch  Fäulnis 
zerfallen. 

3.  a)  Noch  bevor  sämtliche  Vorratsstoffe  verbraucht  sind, 
ist  die  Pflan- 
ze imstande, 
sich  selbst 
Nahrung  zu 
erwerben.  Sie 
sendet  —  wie 
man  bei  sehr 
vorsichtigem 
Nachgraben 
sehen  kann 
—  ihre  Wur- 
zeln bis  in 
die  tieferen, 
stets  feuch- 
ten Boden- 
schichten hin- 
ab. Daher  ver- 
mag  der  Rog- 
genselbstauf Keiimillg  tles  Roggenkorns.  (Fig.  1  u.  2  etwa  10  mal,  Fig.  3  5mal 
dem  trocken-  vergr.)  i„  \rv>,  j  is,  ,ii(.  Eauptwurzel  noch  von  der  Wurzelscheide 
sten  Sandbo-  umhüllt.  ILKnospe;  Nw.  Nebenwurzeln;  Ws.  Wurzelscheide ;  H.  Haupt- 
den  zuwachsen.       würze! ;  Seh.  das  scheidenförmige  erste  Blatl  ;  g.Bl.  .las  erste  grüne  Blatt. 


252  72.  Familie.    Gräser. 

b)  Mit  den  ersten  Wurzeln  werden  auch  die  ersten  grünen  Blätter  ge- 
bildet. Der  Sommerroggen  „schießt"  nun  schnell  empor,  und  nicht  lange  währt 
es,  so  hat  er  seine  volle  Größe  erreicht.  Der  Winterroggen  dagegen  bleibt 
während  der  kalten  Zeit  niedrig.  Im  andern  Falle  würde  die  Schneelast,  die 
auf  ihm  ruht,  seine  Stengel  zerknicken  und  ihn  somit  vernichten.  Sinkt  das 
Thermometer  bis  etwa  zum  Nullpunkt,  so  stellt  der  Roggen  das  Wachstum 
ganz  ein ;  denn  ohne  Wärme  gibt  es  keinen  Pflanzenwuchs.  Bei  mildem  Wetter 
dagegen  wächst  er  langsam  weiter:  aus  den  untersten  Stengelknoten  sprießen 
zahlreiche  Zweige  hervor,  die  oft  abermals  Zweige  treiben.  Man  sagt:  der 
Boggen  bestockt  sich.  Da  nun  jeder  Zweig  (Halm)  stets  in  einer  Ähre 
endigt,  so  ist  eine  ergibige  Bestückung  Vorbedingung  einer  ertragreichen  Ernte. 
Und  da  sich  nun  der  Winterroggen  reicher  als  der  Sommerroggen  bestockt,  so 
wird  er  auch  vorwiegend  augebaut. 

C.  Halm  und  Blatt.  1.  Der  Stengel  des  Roggens  (wie  der  aller  Gräser) 
wird  Halm  genannt.  Obgleich  er  bis  2  m  hoch  und  nur  wenige  Millimeter  dick 
wird,  vermag  er  nicht  nur  die  eigene  Last,  sondern  auch  die  der  Blätter  und 
der  Ähre  zu  tragen.  Und  wie  gegen  diesen  von  oben  wirkenden  Druck  ist 
das  schwache  Gebilde  auch  gegen  seitlichen  Druck  außerordentlich  widerstands- 
fähig. Biege  den  Roggenhalm  so  stark,  daß  die  Ähre  den  Boden  berührt,  und 
du  wirst  sehen,  wie  er  losgelassen  sofort  wieder  in  seine  ursprüngliche  Lage 
zurückkehrt!  Oder  beobachte,  wenn  der  Wind  über  das  Kornfeld  weht,  wie  das 
..Ährenmeer"  wogt  und  wallt,  und  wie  die  Halme  sich  neigen  und  biegen,  ohne 
daß  auch  nur  ein  einziger  geknickt  würde !  Der  Roggenhalm  ist  also  ein  Gebilde 
von  großer  Trag-  und  Bieguugsfestigkeit. 

a)  Wie  bei  der  Taubnessel  (s.  S.  146,  1  a)  hat  auch  beim  Roggen  die 
äußerste  Schicht  des  Stengels  unter  der  Biegung  am  meisten  zu  leiden.  Dicht 
unter  der  Oberfläche  des  Halmes  finden  sich  daher  —  wie  auf  dünnen  Schnitten 
bei  schwacher  mikroskopischer  Vergrößerung  leicht  zu  erkennen  ist  —  Zellen, 
die  sich  durch  große  Widerstandsfähigkeit  auszeichnen.  Sie  haben  stark  ver- 
dickte Wände,  sind  wie  die  Bastzellen  des  Leins  (Taf.  9,  7)  langgestreckt 
und  mit  den  zugespitzten  Enden  fest  ineinander  gefügt.  Während  diese 
„Stützzellen"  bei  der  Taubnessel  4  „Pfeiler"  bilden,  stellen  sie  hier  eine  Röhre 
dar,  die  noch  durch  leistenartige  Vorsprünge  verstärkt  ist. 
Die  Leisten  erscheinen  auf  der  Oberfläche  des  grünen  Halmes  als  helle  Längs- 
streifen. 

b)  Wie  bei  der  Taubnessel  (s.  S.  147,  b)  ist  auch  beim  ausgebildeten 
Stengel  des  Roggens  das  Mark,  das  bei  der  Biegung  nichts  auszuhalten  hat, 
verschwunden:   der  Halm  ist  hohl. 

c)  Nur  in  den  „Knoten"  finden  sich  Querwände  (Längsschnitt!),  durch 
die  der  Halm  in  eine  Anzahl  kürzerer  Röhren  geteilt  ist,  so  daß  er  eine 
größere  Widerstandsfähigkeit  erhält  (s.  S.  147,  c).  Und  zwar  stehen  im  unteren 
Halmabschnitte,  der  am  meisten  zu  tragen  und  unter  dem  Winde  am  stärksten 
zu  leiden  hat,  die  Knoten  viel  enger  beieinander  als  im  oberen.  —  Wie  auf  einem 


Roggen. 


253 


Längsschnitte  deutlich  zu  sehen  ist,  gehören  die  äußerlich  sichtbaren  Anschwel- 
lungen an  den  Knoten  nicht  dem  Stengel,  sondern  den 

2.  Blattern  an.  Jedes  Blatt  besteht  aus  2  deutlich  geschiedenen  Ab- 
schnitten, der  Blattscheide 
und  der  Blattfläche.  Da, 
wo  beide  zusammenstoßen, 
erhebt  sich  ein  häutiges  Ge- 
bilde, das  Blatthäutchen. 

a)DieBlattschei- 
de    entspringt   an  einem 
Halmknoten  und  stellt  eine 
offene  Röhre   dar,   deren 
Ränder    aber   fest   über- 
einander greifen.  Wie  je- 
der wachsende  Halm  zeigt, 
sind  die  Blätter  schon  voll- 
ständig entwickelt,  wenn 
von  den  darüber  befindlichen 
Stengelgliedern  äußerlich 
noch    nichts    wahrzuneh- 
men ist.  Stellt  man  durch 
diesen  Halm  einen  Längs- 
schnitt her,  so  sieht  man, 
wie  sich  in  dem  von  den 
Blattscheiden    gebildeten 
Hohlräume     die    jungen 
Stengelglieder  mit  ihren 
Blättern    und    der    Ähre 
entwickeln.  Diese  Gebilde 
sind  aber  von  außerordent- 
licher Zartheit.  Schon  ein 
leiser  Wind  würde  sie  durch  Aneinanderschlagen 
der  Halme   vernichten,   und   die  Mittagssonne 
könnte  ihnen  leicht  so  viel  "Wasser  in  Dampf- 
form entziehen,  daß  sie  vertrockneten.    Durch 
die  Blattscheiden,    die    ihnen    in   der 
Entwicklung  stark  „vorauseilen",  er- 
halten    sie     also     den     notwendigen 
Schutz.    Erst  nachdem   sie   gehörig  erstarkt 
sind,  wachsen  sie  nacheinander  aus  der  schützen- 
den Hülle  hervor.    (Gib  an,  in  welcher  Weise  der  Schutz  der  jungen  Teile  bei 
anderen  Pflanzen  stattfindet!) 

Auch  später,  wenn   die  Ähre  bereits  sichtbar  geworden,   das  Wachstum 


Längsschnitt  durch 

einen   Knoten   des 

Roggenhalms. 

■a.W.  ausgewachsener, 
z.H.  zarter  Teil  eines 

Ealmgliedes. 
Hk.  Halmknoten. 
Seh.  Blattscheide. 
v.Seli.  deren  verdick- 
te   Stelle    über    dem 

Halmknoten. 


Junge  Roggenpflanze,  der  Länge 
nach  durchschnitten.  Im  Schutze 
der  Blattscheiden  Seh.  bildel  sich 
der  Stengel  St.  mit  seinen  Blättern 
und  dem  Blütenstande  1">.  ans. 
W.  Wurzeln;  H.  Blatthäutchen. 


254 


72.  Familie.    Gräser. 


aber  noch  nicht  beendigt  ist,  hat  die  Blattscheide  noch  eine  große  Bedeutung 
für  die  Pflanze.  Entfernt  man  die  Scheide,  so  findet  man,  daß  das  sonst  voll- 
kommen ausgebildete  Halmglied  unmittelbar  über  dem  Knoten  noch  zart  und 
weich  ist.  Hier  ist  der  Halm  noch  in  Streckung  begriffen  und  ermangelt 
daher  der  Festigkeit.  Schon  ein  leichter  Windstoß  würde  ihn  knicken  (Ver- 
such!). Von  der  Scheide  umhüllt  dagegen,  trotzt  er,  wie  wir  gesehen  haben, 
selbst  heftigen  Stürmen.  Die  Blattscheiden,  die  die  zarten  Wachs- 
turnsstellen  wie  feste  Bohren  umschließen,  verleihen  also 
zweitens  dem  Halme  die  nötige  Festigkeit.  —  Im  Gegensatz  zu  den 
meisten  anderen  Pflanzen,  die  nur  an  der  Spitze  des  Stengels  (und  der  Wurzel) 
fortwachsen,  treffen  wir  beim  Eoggen  wie  bei  allen  Gräsern  über  jedem  Knoten 
eine  Wachstumsstelle  an,   eine  Tatsache,  die  uns  das  schnelle  Emporschießen 

der  Gräser  hinreichend  erklärt.  (So  verlängern 
sich  z.  B.  die  Halme  des  Bambusrohres  während 
der  Zeit  des  lebhaftesten  Wachstums  in  24 
Stunden  nicht  selten  um  1  m.) 

Welche  dritte  Aufgabe  die  Blattscheiden 
zu  erfüllen  haben,  ist  leicht  zu  erkennen,  wenn 
sich  die  Halme  vielleicht  infolge  eines  heftigen 
Gewitterregens  „gelagert"  haben,  oder  wenn 
sie  auf  irgend  eine  Weise  geknickt  worden 
sind  (Versuch!)  Dann  wächst  die  über  dem 
Knoten  liegende,  verdickte  Stelle  der  Blatt- 
scheide  an  der  Unterseite  so  stark,  daß  der 
Halm  daselbst  eine  Knickung  erfährt,  und  dies 
dauert  so  lange  fort,  bis  der  über  dem  Knoten 
befindliche  Halmabschnitt  wieder  senkrecht 
steht.  Nunmehr  können  die  Halme  wieder  ge- 
nügend von  Licht  und  Luft  umspült  und  die  Pflanzen  durch  den  Wind  bestäubt 
werden  (s.  Absch.  D).  Die  Blattscheide  beseitigt  also  infolge  ihres 
ungleichmäßigen  Wachstums  die  mit  der  „Lagerung"  oder 
Knickung  der  Halme  verknüpften  Gefahren.  (Sehr  häufig  ist 
dieses  Aufrichten  der  Halme  am  Bande  der  Felder  zu  sehen,  wo  nicht  selten 
Pflanzen  durch  Mutwillen  oder  dgl.  geknickt  und  umgetreten  sind.) 

b)  Die  Blattfläche  ist  bandartig  gestreckt  und  flattert  daher  wie  eine 
Fahne  mit  dem  Winde.  Infolgedessen  bietet  sie  ihm  auch  nur  eine  geringe 
Angriffsfläche  dar,  ein  Umstand,  der  nicht  wenig  dazu  beiträgt,  daß  die  Pflanze 
selbst  einem  Sturme  zu  trotzen  vermag.  Mit  der  bandartigen  Form  steht 
auch  im  innigsten  Einklänge,  daß  (wie  dies  für  die  einkeimblättrigen  Pflanzen 
als  Eegel  gilt)  die  Nerven  des  Blattes  parallel  verlaufen. 

c)  Das  Blatthäutchen  liegt  dem  Halme  dicht  an.  Es  verhindert  da- 
her, daß  die  Begentropfen  (Versuch!),  die  von  der  Blattfläche  nach  dem  Halme 

Im   anderen  Falle 


Teil    eines    Roggenhalmes ,    der 

sich  durch  ..Knickung"  am  Knoten 
wieder  aufgerichtet  hat,  im  Durch- 
schnitt. 


Roggen.  255 

müßte  dort  bald  Fäulnis  entstehen,  die  sicher  auch  die  Pflanzenteile  selbst  er- 
greifen würde. 

3.  Es  kommt  nicht  selten  vor,  daß  man  sich  an  den  Blättern  des  Roggens 
(und  anderer  Gräser)  schneidet,  wenn  man  sie  schnell  durch  die  Hand  zieht. 
Dies  rührt  von  der  Kieselsäure  her,  die  in  großer  Menge  in  den  Zellwänden 
der  Oberhaut  eingelagert  ist.  Glüht  man  Halmteile  auf  einem  Platinbleche,  so 
bleibt  das  glasartige  „Kieselskelctt"  zurück.  Es  dient  der  Pflanze  wie  ein 
Panzer  als  Schutz  gegen  äußere  Verletzungen,  hat  aber  noch  eine  andere  Be- 
deutung, wio  folgender  einfache  Versuch  lehrt:  man  lege  Garten-  oder  Wein- 
bergsschnecken Roggenhalme  vor,  die  sich  noch  im  Wachstume  befinden.  Von 
einigen  Halmen  entferne  mau  aber  vorher  die  Blattscheiden,  so  daß  die  Tiere  zu 
den  jungen  Stengelteilen  gelangen  können,  die  sich  im  Schutze  der  Blattscheiden 
entwickeln,  und  deren  Oberhaut  noch  nicht  verkieselt  ist.  Dann  wird  man  an 
den  unverletzten  Halmen  nur  geringe,  an  den  von  den  Blattscheiden  befreiten 
dagegen  bald  starke  Freßspuren  bemerken.  Die  verkieselten  Häute  erschweren 
den  Tieren  also  den  Angriff.  Die  eingelagerte  Kieselsäure  ist  demnach  ein 
Schutzmittel  des  Roggens  (der  Gräser)  gegen  die  Angriffe  der  Pflanzenfresser. 
Freilich  Wiederkäuer  und  Nager  werden  dadurch  nicht  abgehalten ;  wohl  aber 
ist  dies  bei  anderen  Grasarten  der  Fall,  z.  B.  bei  dem  scharfschneidenden  Schilfe, 
sowie  bei  zahlreichen  Riedgräsern  (s.  das.).  Ja,  in  gewissen  Gegenden  des  heißen 
Afrika  ist  die  Verkieselung  der  Blätter  bei  zahlreichen  Gräsern  so  stark,  daß 
sie  für  unsere  Haustiere  gänzlich  ungenießbar  werden. 

D.  Blüte  und  Frucht.  1.  Ähre.  Nachdem  immer  ein  Halmglied  nach 
dem  anderen  aus  der  Scheide  des  vorhergehenden  Blattes  hervorgekommen  ist, 
tritt  endlich  auch  das  letzte  ins  Freie.  Es  trägt  den  Blütenstand,  der  im  ge- 
wöhnlichen Leben  als  Ähre  bezeichnet  wird. 

Entfernen  wir  die  Blüten,  so  sehen  wir,  daß  der  Halm  daselbst  breit  ist 
und  2  Reihen  kleiner,  treppenförmiger  Absätze  besitzt.  Auf  jedem  Absätze  der 
„Achse"  steht  auf  einem  winzigen  Stiele  eine  kleine  Gruppe  von  Blüten,  die 
ein  sog.  „Ährchen"  bilden.  Der  Blütenstand  des  Roggens  ist  im  botanischen 
Sinne  also  eine  zusammengesetzte  Ähre. 

2.  Ährchen.  Biegen  wir  die  Ähre  stark,  so  ist  es  leicht,  ein  Ährchen 
loszulösen.  Es  besteht  aus  zwei  wohl  geschiedenen  Teilen  (1  u.  2  in  der  Abb.  S.  256), 
in  denen  wir  unschwer  ebensoviele,  von  grünen,  häutigen  Blättern  oder  „Spelzen" 
umhüllte  Blüten  erkennen.  Zwischen  beiden  Blüten  erhebt  sich  auf  einem  faden- 
förmigen Stielchen  ein  größeres  oder  kleineres  Gebilde  (3),  in  dem  wir  den 
Überrest  einer  verkümmerten,  stets  unfruchtbaren  Blüte  vor  uns  haben. 

3.  Blüte.  Zu  äußerst  am  Ährchen  sehen  wir  jederseits  ein  kleines,  kahn- 
förmiges  Blatt  (K.),  das  etwa  die  Stelle  des  fehlenden  Kelches  einnimmt  und 
daher  als  Kelchspelze  bezeichnet  wird.  Darauf  folgt  je  ein  größeres  Blatt, 
die  sog.  äußere  Blütenspelze  (a.  B.).  Der  Mittelnerv  dieses  Blattes  tritt 
wie  ein  Kiel  hervor  und  ist  zu  einer  „Granne"  verlängert,  die  beide  mit 
aufwärts  stehenden  Stacheln  besetzt  sind.     (Nach   welcher  Richtung  kann  man 


256 


72.  Familie.     Gräser. 


darum  die  Ähre  nur  durch  die  Hand  ziehen?)  Vor  und  nach  der  Blütezeit 
nimmt  die  äußere  Blütenspelze  ein  zweites,  kleineres  Blatt,  d.  i.  die  mit  2  Kielen 
ausgerüstete  innere  Blütenspelze  (i.  B.),  fast  ganz  in  sich  auf.  Beide 
Blätter  bilden  also  gleichsam  eine  kleine  Schachtel,  in  der  die  zarten  Blüten- 
teile den  notwendigen  Schutz  finden.    (S.  besonders  den  Grundriß  des  Ährchens !) 


hier  dargestellt). 


Ein    Ahrchen    des 

Roffgens    und    sein 

Grandriß. 

1  u.  2    die  beiden  entwickelten  Blüten  ;  3  die 

verkümmerte   Blüte    (die   Verkümmerung   ist 

aber  nicht  immer  so  weit  fortgeschritten,  wie 

K.  Kelchspelzen  ;  a.B.  äußere  Blütenspelzen  ;  i.B.  innere  Blütenspelzen  ; 

St.  Stiel  des  Ährchens ;  S.  Schwellkörperchen. 


Sie  vertreten  also  die  fehlende  Blütenhülle,  eine  Tatsache,  die  ihre  Benennung 
zur  Genüge  rechtfertigt. 

Jede  Blüte  besteht  aus  3  Staubblättern  und  einem  Fruchtknoten, 
der  2  große,  federartige  Narben  trägt. 

4.  Bestäubung.  Geht  man  an  einem  sonnigen  Junimorgen  durch  die 
lachende  Flur,  so  sieht  man  nicht  selten  aus  den  wogenden  Roggen-  (Getreide-) 
feldern  dampfartige  Wolken  aufsteigen,    die  der  geschäftige  Morgenwind  weit- 


Roggen. 


257 


,stäubt".    Er  ist  also  ein  Windblütler  wie  z.   B. 


ganz    im  soll  ein 


hin  verweht.     Der  Roggen 
der  Haselnußstrauch. 

a)  Wie  bei  jener  Pflanze  linden  wir  daher  auch  hier 
bare,  dnft-  und  honiglose  Blüten  (s.  S.  192  a). 

b)  Wahrend  des  Stänbeus  müssen  Staub- 
blätter und  Stempel  frei  daliegen  (warum  V).  Die 
von  den  Blütenspelzen  gebildete  „Schachtel"  muß 
sich  daher  öffnen.  Dies  bewirken  zwei  kleine, 
farblose  Gebilde,  die  sogen.  Schwellkörper  chen. 
Sie  liegen  zwischen  dem  Fruchtknoten  und  der 
äußeren  Blütenspelze,  schwellen  (Name!)  kurz  vor 
dem  Stäuben  schnell  an  und  drängen  infolge- 
dessen die  genannte  Spelze  nach  außen. 

c)  Während  dies  geschieht,  sind  die  Staubfäden 
stark  in  die  Länge  gewachsen,  so  daß  schon  nach 
einigen  Minuten  die  Staubbeutel  zwischen  den 
Spelzen  hervor  ins  Freie  geschoben  werden. 
(Beide  Vorgänge  sind  am  besten  an  abgeschnittenen 
Ähren  im  Zimmer  zu  beobachten.  Beschleunigt 
wird  das  Aufblühen  bekanntlich  dadurch,  daß  man 
eine  „blühreife"  Ähre  mit  ihrem  Halmteile  in  den 
Mund  nimmt.) 

d)  Die  Staubbeutel  hängen  nunmehr  an  den 
langen,  dünnen  Fäden  aus  der  Blüte.  Schon 
ein  leiser  Windhauch  vermag  daher,  sie  zu  bewegen 
und  den  Blütenstaub  aus  ihnen  zu  schütteln. 

e)  Von  großer  Wichtigkeit  hierbei  ist  es,  daß 
die  Ähre  den  höchsten  Punkt  des  Stengels 
einnimmt,  also  dem  Winde  frei  ausgesetzt  ist,  und 
daß  der  Stengel  schon  durch  einen  leichten 
Windstoß  ins  Schwanken  versetzt  wird. 

f)  Wie  die  meisten  Windblütler  stäubt  der 
Roggen  im  windreichen  Frühling,  und  zwar 
geschieht  dies  nur  an  trockenen,  sonnigen  Tagen 
(vgl.  S.  192  d). 

g)  Die  beiden  Staubbeutelfächer  öffnen  sich  am 
oberen,  jetzt  dem  Erdboden  zugekehrten  Abschnitte 
mit  je    einem   Längsriß.     Dabei    krümmen    sie  sich 

so,  daß  ihre  Endteile  gleichsam  zwei  kleine  Löffelchen  bilden.  Infolgedessen 
wird  der  Blütenstaub,  der  sich  daselbst  ablagert,  bei  ruhiger  Luft  so  lange 
zurückgehalten,  bis  er  von  einem  Windhauche  „abgeholt"  wird.  (Was 
würde  im  anderen  Falle  geschehen?  vgl.  S.  192  e.  —  Beobachte  den  Vorgang  an 
abgeschnittenen  Ähren  im  Zimmer!)    Ist  dies  geschehen,  dann  sickert   aus  dem 


Blüte  des  Roggens,  von 
außen  gesehen  und  nach 
Entfernung    der   (Kelch-  u. 

äußeren  Blütenspelze. 
i.  B.     innere     Blütenspelze ; 
N.  Narbe;  F.  Fruchtknoten: 

s.  Schwellkörperchen. 


Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


258  72'  Familie.    Gräser. 

nicht  klaffenden  Abschnitte  des  Beutels  neuer  Staub  in  die  „Löffelchen1',  der 
abermals  verweht  wird  u.  s.  f.  Sind  die  Staubbeutel  endlich  entleert,  so  fallen 
sie,  weil  wertlos  geworden,  ab. 

h)  Wie  die  meisten  anderen  "Windblütler  wächst  der  Koggen  in  großen 
Beständen,  die  allerdings  vom  Menschen  geschaffen  sind  (s.  S.  192,  g;  vgl. 
hieraufhin  auch  die  anderen  Gräser !).     Er  erzeugt  ferner 

i)  eine  große  Menge  trockenen  Blütenstaubes  (vgl.  S.  1!>3, 
h  und  i),  und 

k)  seine  Narben  stehen  endlich  zur  Zeit  des  Stäubens  frei  da.  Sie  sind 
große,  federartige  Gebilde,  also  vollendete  „Staubfänger"  (s.  S.  193,  ku.l). 

5.  Frucht,  a)  Sobald  das  Stäuben  beendigt  ist,  schrumpfen  die  Schwell- 
körperchen  zusammen;  die  äußere  Blütenspelze  legt  sich  wieder  wie  ein  Schachtel- 
deckel über  die  innere,  und  in  ihrem  Schutze  reift  nun  die  Frucht.  Da  die 
Ährchen  an  der  Achse  in  zwei  Reihen  stehen,  und  jedes  wieder  zwei  frucht- 
bare Blüten  enthält,  so  sind  die  reifen  Körner  in  der  Ähre  zu  vier  Längs- 
reih e  n   geordnet. 

b)  Jede  Frucht  enthält  nur  einen  Samen,  dessen  sehr  dünne  Hülle  mit 
der  Fruchtknotenwand  verwächst  (s.  Abb.  S.  249).  Eine  so  gebildete  Frucht 
findet  sich  bei  den  meisten  Gräsern.  Sie  wird  daher  Grasfrucht  (Karyopse) 
genannt. 

c)  Sind  die  Körner  reif,  so  lösen  sie  sich  aus  den  Spelzen  und  fallen, 
da  sie  verhältnismäßig  schwer  sind,  in  unmittelbarer  Nähe  der  Mutterpflanze 
zu  Boden.  Hierzu  läßt  es  der  Landmann  natürlich  nicht  kommen.  Er  mäht 
den  Boggen  vorher  ab,  bringt  ihn  in  die  Scheune  und  schlägt  auf  harter  Tenne 
die  Körner  aus  den  Ähren.  (Beschreibe  genauer,  wie  die  Ernte  und  das  Dreschen 
des  Getreides  erfolgt !)  Aus  den  Körnern,  die  beim  Einernten  ausgefallen  sind, 
entstehen  zwar  neue  Pflanzen.  Doch  deren  Nachkommen  verschwinden  sehr 
bald  wieder,  so  daß  wir  trotz  des  weit  ausgedehnten  Roggenbaues  nirgends 
verwilderten  Roggen  antreffen,  ein  Zeichen,  daß  wir  es  in  dem  wichtigen  Ge- 
wächs (wie  in  allen  anderen  unserer  Getreidearten)  mit  einem  Fremdling  auf 
unseren  Fluren  zu  tun  haben.  Die  Stammform  des  Roggens  ist  vielmehr  im 
mittelländischen  Pflanzengebiete  heimisch. 

Würden  auch  beim  wildwachsenden  Roggen  die  reifen  Körner  in  unmittel- 
barer Nähe  des  Halmes  zu  Boden  fallen,  so  wäre  das  für  die  Pflanze  sehr  nach- 
teilig (s.  S.  10,  3).  Er  bedarf  daher  besonderer  Einrichtungen,  die  eine  Ver- 
breitung der  Früchte  ermöglichen.  Solche  sind  auch  vorhanden:  Die  Ähren - 
achse  zerbricht  erstlich  bei  der  Reife,  so  daß  die  Ähre  in  eine  große 
Zahl  kleinerer  Teile  zerfällt.  Die  Früchte  bleiben  ferner  von  den  Spelzen 
umhüllt.  Dadurch  wird  dem  Winde  eine  große  Angriffsfläche  geschaffen,  so 
daß  er  die  kleinen  Körner  leicht  verwehen  kann.  Durch  die  äußere  Blüten- 
spelze bleibt  die  Frucht  aber  auch  mit  der  Granne  im  Zusammenhange.  Da 
nun  das  stachelige  Gebilde  leicht  in  dem  Pelze  oder  Gefieder  vorbeistreifender 
Tiere   hängen  bleibt,    kann  das  Korn  endlich  auf  diese  Weise  auch  weit  ver- 


Roggen.     Weizen.     Spelz.  259 

schleppt  werden.  Zugleich  dient  die  Granne  der  keimenden  Frucht  zur  Be- 
festigung an  den  Erdboden.  (Welche  Einrichtungen  haben  wir  bei  anderen 
Pflanzen  kennen  gelernt,  die  eine  gleiche  Bedeutung  haben?) 

Diese  „Aussäungsvorrichtungen"  sind  aber  für  das  Einernten  des  Kornes 
sehr  nachteilig  (wieso?).  Darum  ist  der  Mensch  bestrebt  gewesen,  sie  zu  be- 
seitigen, und  durch  viele  Jahrhunderte  lange,  planmäßige  Auslese  (s.  S.  L9) 
ist  ihm  dies  auch  gelungen:  Die  Ähre  zerfällt  nicht  mehr  in  einzelne 
Teile;  das  reife  Korn  bleibt  nicht  von  den  Spelzen  umhüllt,  und  die 
Granne  ist  brüchig  und  bedeutungslos  geworden.  Hand  in  Hand  mit 
dieser  „Veredelung"  ist  zugleich  eine  wesentliche  Vergrößerung  der  Körner  er- 
folgt, kurz:  es  ist  eine  von  der  Stammform  in  zahlreichen  Stücken  abweichende 
„Kulturform"  entstanden.  (Beweise,  daß  die  angebauten  Gewächse,  besonders 
die  Getreidearten,  nicht  nur  ein  Erzeugnis  der  Kultur  sind,  sondern  auch  die 
Kultur  —  im  Gefolge  haben!) 

E.  Feinde.  Von  der  Aussat  bis  zur  Ernte  ist  die  überaus  wichtige  Pflanze 
von  einem  Heer  von  Feinden  umringt:  zahlreiche  Unkräuter  rauben  ihr  gleich 
den  anderen  Getreidearten  unserer  Felder  Licht,  Eaum  und  Nahrung;  Schma- 
rotzerpilze, von  denen  besonders  der  Getreiderost  und  der  Mutterkornpilz 
genannt  sein  mögen  (s.  das.),  siedeln  sich  auf  Stengel,  Blatt  und  Blüte  an; 
Engerlinge,  Drahtwürmer  und  andere  Insektenlarven  zehren  an  den  Wurzeln, 
und  von  den  Früchten  nähren  sich  Getreidelaufkäfer,  Hamster  und  Feldmaus. 
Selbst  in  der  sicheren  Scheune  oder  auf  dem  Kornboden  stellen  sich  oft  noch 
zahlreiche  ungebetene  Gäste  ein,  von  denen  besonders  Mäuse,  sowie  der  weiße 
und  schwarze  Kornwurm  großen  Schaden  anrichten  können  (s.  Lehrbuch  der 
Zoologie.). 

2.  Andere  Getreidearten,  Zuckerrohr  und  Bambus. 

1.  Nächst  dem  Boggen  ist  der  Weizen  (Triticum  vulgäre)  unsere  wich- 
tigste Getreideart.  Soweit  es  Boden  und  Klima  (s.  S.  248)  nur  erlauben, 
wird  er  in  ganz  Europa,  sodann  aber  besonders  in  Nordamerika  und  Ostindien 
angebaut.  Er  liefert  ein  sehr  feines,  weißes  Mehl,  das,  wie  bekannt,  besonders 
zu  Weißbrot  und  allerlei  feinem  Backwerk  verwandt  wird.  Auch  gewinnt  man 
aus  den  Weizenkörnern  die  Stärke,  die  u.  a.  zum  Stärken  der  Wäsche  im  Ge- 
brauch ist.  Von  den  zahlreichen  Spielarten  der  wichtigen  Pflanze  treffen  wir  auf 
unsern  Feldern  am  häutigsten  den  unbegrannten  Kolben-  und  den  begrannten 
Bart  weizen.  —  In  Süddeutschland  und  der  Schweiz  wird  hier  und  da  eine  andere 
Weizenart,  der  Spelt,  Spelz  oder  Dinkel  (T.  spelta)  gebaut,  der  mit  weniger 
gutem  Boden  und  geringerer  Sommerwärme  fürlieb  nimmt,  und  bei  dem  die 
Ährchen  in  verhältnismäßig  großen  Zwischenräumen  an  der  Achse  stehen.  Wie 
beim  wilden  Roggen  zerbricht  die  Ährenachse  bei  der  Reife,  und  die  Körner 
bleiben  von  den  Spelzen  (Name!)  umhüllt.  Das  unreife,  gedörrte  und  von  den 
Spelzen  befreite  Spelzkorn  liefert  das  „Grünkorn-'  oder  den  „Grünkern"  des 
Handels. 


260 


72.  Familie.    Gräser 


ZA 

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Wie  der  Roggen  stellt  die  Gerste  (Hördeum  sativum)  an  die  Sommer- 
wärine  nur  geringe  Ansprüche.  Sie  dringt  daher  gleichfalls  weit  nach  Norden 
vor.  Im  Gegensatz  zu  jener  Pflanze  (und  dem  Weizen)  stehen  bei  ihr  aber  auf 
jedem  Absätze  der  Ährenachse  3  einblütige  Ährchen.  Daher  sind  auch  die 
Körner  bei  der  Reife  in  6  Zeilen  geordnet.  Deutlich  ausgeprägt  ist  dies  jedoch 
nur  bei  der  sechszeiligen  G.  Greifen  die  Seitenzeilen  ineinander,  so  haben 
wir  die  Verhältnisse,  wie  sie  die  vierzeilige  G.  zeigt.  Bei  der  zwei- 
zeiligen G.  dagegen  ist  nur  das  mittlere  der  3  Ährchen  fruchtbar.  Diese 
Spielart  besitzt  daher  sehr  große,  wohlausgebildete  Früchte,  die  besonders  bei 
der  Bierbrauerei  zur  Gewinnung  des  Malzes  verwendet  werden.  Ferner  dienen 
die  Gerstenkörner,  die  zumeist  von   den  Blütenspelzen  umhüllt   aus  den  Ähren 

fallen,  zur  Herstellung  von  Graupen  und 
Gries,  und  endlich  werden  sie  auch  als 
Futter  für  die  Haustiere  hochgeschätzt. 
Der  Hafer  (Avena  sativa)  unter- 
scheidet sich  von  den  anderen  Getreide- 
arten wesentlich  durch  den  Blütenstand, 
der  eine  sog.  Rispe  darstellt.  Am  oberen 
Teile  des  Halmes  gehen  nämlich  von  den 
Knoten  zahlreiche  Nebenstengel  aus,  die 
sich  zumeist  nochmals  verzweigen  und 
an  den  Enden  je  ein  Ährchen  tragen. 
Die  von  den  Spelzen  umhüllt  bleibenden 
Körner  dienen  besonders  als  Pferdefutter, 
werden  jedoch  auch  enthülst  und  ge- 
schroten (Hafergrütze)  in  Breiform  vom 
Menschen  verzehrt. 

Während  die  Heimat  der  genannten 
Getreidearten  wie  die  des  Roggens  in  den 
Ländern  um  das  Mittelmeer  zu  suchen  ist, 
stammt  die  Hirse  (Pänicum  miliäceum) 
wahrscheinlich  aus  dem  mittleren  Asien.  Ihre  Körner  sind  zwar  nur  klein;  dafür  bringt 
aber  die  große,  einseitig  überhängende  Rispe  deren  sehr  viele  hervor.  Sie  werden  bei 
uns  besonders  als  Futter  für  das  Hausgeflügel  benutzt,  finden  aber  auch  als  Speise  für 
den  Menschen  Verwendung. 

Der  Mais  (Zea  maj^s)  ist  im  tropischen  Amerika  heimisch,  wird  jetzt  aber 
in  allen  warmen  Ländern,  sowie  in  den  milderen  Gegenden  der  gemäßigten 
Zonen  angebaut.  Da  die  wenigen,  im  Erdboden  zur  Ausbildung  gelangenden 
Wurzeln  die  oft  mehrere  Meter  hohe  Pflanze  nicht  zu  halten  vermögen,  brechen 
aus  den  unteren  Knoten  des  markhaltigen  Stengels  seilartige  Stützwurzeln 
hervor,  dringen  in  den  Boden  ein  und  verzweigen  sich  daselbst  vielfach 
(vgl.  mit  einem  Fahnenmaste,  der  durch  Taue  gehalten  wird).  Im  Gegensatz 
zu  unsern  einheimischen  und  angebauten  Gräsern  ist  der  Mais  ein  einhäusiges 
Gewächs  (s.  S.   166,  a).      Auf   dem    Gipfel   des   Stengels    erheben   sich   die  zu 


n 


Unterer   Teil    des    Maisstengels 

zahlreichen  Stützwurzeln    (verkl 


Gerste.    Hafer.    Hirse.   Mais.    Reis. 


2H1 


einer  großen  Rispe  geordne- 
ten Staubblüten,  während 
die  Stempelblüten  zu  dicken 
Kolben  zusammengedrängt 
sind.  Die  Kolben  entsprin- 
gen aus  den  Blattwinkeln 
und  sind  von  zahlreichen 
Blättern  umhüllt,  dieden  zar- 
ten Blüten  den  nötigen  Schutz 
gewähren.  Da  aber  die  Nar- 
ben dem  Winde  ausgesezt 
sein  müssen  (warum  ?) ,  sind 
die  fadenförmigen  Griffel  von 
außerordentlicher  Länge. 
Sie  treten  an  der  Spitze  der 
Hülle  in  Form  eines  Büschels 
ins  Freie.  Die  großen,  meist 
gelben  Früchte  werden  als 
Futter  für  die  Haustiere  hoch 
geschätzt,  dienen  aber  gerö- 
stet oder  gekocht  in  süd- 
lichen Ländern  auch  dem 
Menschen  zur  Speise.  Aus 
dem  Maismehl  bereitet  der 
Italiener  seine  „Polenta", 
einen  Brei,  der  den  ärmeren 
Volksschichten  zur  täg- 
lichen Nahrung  dient.  Bei 
uns  kommt  das  Mehl  unter 
verschiedenen  Namen  (z.  B. 
als  Mondamin)  in  den  Handel 
und  wird  vornehmlich  zur 
Herstellung  süßer  Speisen 
verwendet.  In  Mitteleuropa 
werden  die  Samen  vielfach 
nicht  oder  nur  ungenügend 
reif;  hier  wird  die  hohe, 
saftige  Pflanze  daher  be- 
sonders als  Grünfutter  an- 
gebaut. 

Der  Reis  (Oryza  sativa)  nimmt  unter  allen  Getreidearten  insofern  den 
ersten  Bang  ein,  als  sich  von  seinen  Früchten  bei  weitem  die  meisten  Menschen 
ernähren.     Er  ist  ein  Rispengras  wie  der  Hafer,  erreicht  eine  Höhe  von  1,50  m 


Reispflanzen  mit  fast  reifen  Körnern  (et\ 


262 


Familie.    Gräser. 


Zuckerrohr,  blühend;     (Etwa   '/so  oat.  Gr. 


und  hat  sich  von  Ostindien  und 
dem  tropischen  Afrika  aus  über 
alle  heißen  und  warmen  Länder 
verbreitet.  Auch  im  südlichen 
Europa  wird  er  mit  Erfolg  an- 
gebaut. Da  er  eine  Sumpfpflanze 
ist,  gedeiht  er  besonders  in  Nie- 
derungen, die  regelmäßig  über- 
schwemmt, dadurch  aber  auch 
vielfach  zu  Herden  der  gefürch- 
teten Sumpffieber  werden.  Die 
zu  uns  in  den  Handel  kommen- 
den Körner  sind  von  den  Spelzen 
befreit  und  durch  ein  besonderes 
Mahlverfahren  poliert.  Wie  aus 
den  Kartoffelknollen  und  Weizen- 
körnern bereitet  man  aus  ihnen 
eine  wertvolle  Stärke;  durch 
Gärung  liefern  sie  ein  alkoholi- 
sches Getränk,  den  Arak. 

2.  Im  Anschluß  an  die 
Getreidearten  sind  noch  2  Gräser 
zu  erwähnen,  die  gleichfalls  für 
den  Menschen  eine  hohe  Bedeu- 
tung erlangt  haben :  das  Zucker- 
und das  Bambusrohr.  Das 
Zuckerrohr  (Säccharum  offici- 
närum),  dessen  Heimat  wahr- 
scheinlich in  Ostindien  zu  suchen 
ist,  wird  in  allen  Tropenländern 
angebaut.  Ein  Zuckerrohrfeld 
gleicht  einem  gewaltigen  Schilf- 
dickicht. Aus  dem  ausdauernden 
Wurzelstocke  erheben  sich  zahl- 
reiche markhaltige  Stengel,  die 
bei  2 — 5  cm  Stärke  eine  Höhe 
von  6  m  erreichen  können  und 
je  eine  endständige  Blütenrispe 
tragen.  Da  die  älteren  Blätter 
abfallen  und  die  Blattscheiden 
Narben  zurücklassen,  so  erschei- 
nen die  Stengel  am  unteren 
Teile  deutlich  geringelt.   Haben 


Zuckerrohr.     Bambusgräser.     Einheimische  Gräser.  263 

die  Pflanzen  ihre  volle  Größe  erreicht,  so  beginnt  die  Ernte.  Arbeiter  schlagen 
mit  großen  Messern  die  Pflanzen  dicht  über  dem  Boden  ab  und  entfernen  die 
Blätter,  sowie  die  wenig  Mark  enthaltende  Spitze.  Die  so  zubereiteten  Stengel 
werden  zur  Fabrik  gebracht  und  kommen  zwischen  schwere,  eiserne  Walzen, 
die  das  Mark  zerquetschen.  Der  Zuckersaft,  der  bis  20°/o  Rohrzucker  enthält, 
fließt  in  gelblichem  Strome  in  große  Gefäße  und  wird  sodann  wie  der  Saft  der 
Zuckerrübe  weiter  verarbeitet.  Aus  den  zuckerreichen  Rückständen  gewinnt 
man  durch  Gärung  den  Rum. 

3.  Die  Bambusgräser  (Bainbüseae)  sind  in  zahlreichen  Arten  über  die  ganze 
Tropenzone  verbreitet.  Es  sind  große,  oft  riesige,  ausdauernde  Gewächse,  die  eine 
Höhe  von  40  m  erreichen  können  und  oft  weite  Landstriche  mit  dichtem  AValde  bedecken. 
Ihre  Verwendung  ist  in  den  einzelnen  Ländern  sehr  verschieden.  Die  dicken  Halme 
dienen  zum  Bau  von  Häusern,  Hütten  und  Brücken,  zur  Herstellung  von  Wasserleitungen. 
Flößen  u.  s.  w.  Die  dünneren  Stengel  werden  als  Stützen,  Stangen  und  Mastbäume  ver- 
wendet; man  verfertigt  aus  ihnen  Möbel,  Musikinstrumente  und  hunderterlei  andere 
Gegenstände.  Schenkelstarke  Halmglieder  dienen  als  Wassereimer,  kleinere  als  Becher, 
Flaschen  u.  dgl.  Aus  den  knotigen,  zähen  Ausläufern  stellt  mau  die  Spazierstöcke  her, 
die  bei  uns  vielfach  im  Gebrauch  sind;  die  jungen  Triebe  liefern  ein  schmackhaftes  Ge- 
müse: kurz:  es  ist  nicht  zu  viel  gesagt,  wenn  man  behauptet,  daß  das  Bambusrohr  für 
viele  Völker,  besonders  in  Indien  und  Ostasien,  geradezu  unentbehrlich  ist. 

3.   Einheimische  Gräser. 

1.  Verbreitung  der  Gräser.  Wo  wir  uns  bei  einem  Gange  durch 
die  heimische  Natur  auch  hinwenden  mögen,  überall  treten  uns  Gräser  entgegen. 
Sie  bedecken  als  Getreide  einen  großen  Teil  des  Feldes;  sie  bilden  die  weiten 
Wiesen-  und  Weideflächen  der  Niederungen  und  Berghänge;  sie  bewohnen  den 
schwankenden  Sumpfboden,  wie  den  hartgetretenen  Wegrand;  sie  gedeihen  im 
kühlen  Waldesschatten,  wie  auf  sonnverbrannter  Heide;  sie  umkränzen  in  mäch- 
tigen Beständen  unsere  Gewässer  und  haben  auf  öder  Düne  mit  Sturm,  Sonnen- 
brand und  Dürre  einen  harten  Kampf  zu  bestehen.  Wie  bei  uns,  so  ist  es  auch 
in  allen  anderen  Ländern  der  Erde.  Soweit  das  Auge  reicht,  erblickt  man  oft 
fast  nichts  weiter  als  Gräser.  Man  denke  nur  an  die  schier  unermeßlichen 
Steppengebiete,  wie  sie  sich  in  allen  Erdteilen  linden,  an  die  Pußten  Ungarns, 
an  die  Pampas  und  Ljanos  Südamerikas,  an  die  Prärien  Nordamerikas  und  wie 
die  „Graswüsten"  alle  heißen  mögen.  Kurz:  Die  Gräser  sind  diejenigen  Ge- 
wächse, die  von  allen  Pflanzenfamilien  den  größten  Teil  der  Erd- 
oberfläche  bedecken. 

2.  Wiesen  und  Weiden.  Abgesehen  von  den  Getreidefeldern  treten 
uns  in  der  heimatlichen  Natur  die  Gräser  besonders  auf  Wiesen  und  Weiden 
in  großen  Beständen  entgegen. 

a)  Während  die  Getreidegräser  nur  ein  oder  zwei  Jahre  leben,  sind  die 
Wiesengräser,  die  ja  bleibende  Bestände  bilden,  ausdauernde  Pflanzen. 

b)  Geht  bei  den  ausdauernden  Gräsern  die  Bestückung  so  vor  sich,  wie 
wir  sie  beim  Roggen  kennen  gelernt  haben,   so   bilden    sich   wie   dort   größere 


264  72.  Familie.    Gräser. 

oder  kleinere  „Grasbüsche",  die  durch  Zwischenräume  voneinander  getrennt 
bleiben.  Solche  Gräser  sind  also  nicht  imstande,  eine  zusammenhängende  Gras- 
fläche zu  bilden.  Wie  sich  die  AViesengräser  bestocken,  zeigt  uns  sehr  deutlich 
die  weiter  unten  erwähnte  Quecke.  Aus  den  untersten  Halmknoten  brechen 
zwar  gleichfalls  Zweige  hervor.  Sie  richten  sich  jedoch  nicht  sofort  auf, 
wie  dies  beim  Roggen  geschieht,  sondern  kriechen  weit  unter  der  Erdoberfläche 
dahin,  verzweigen  sich  vielfach  und  nehmen  von  allen  noch  freien  Räumen  im 
Boden  Besitz.  Aus  den  Knoten  dieser  „Ausläufer"  brechen  nun  zahlreiche 
oberirdische  Zweige  hervor,  die  entweder  nur  Blätter  oder  Blätter  und  Blüten 
tragen.  Auf  diese  Weise  entsteht  die  sog.  Grasnarbe,  das  „Grundgewebe" 
des  Wiesenteppichs,  in  das  alle  anderen  Pflanzen  der  Wiese 
(nenne  solche!)  gleichsam  eingeflochten  sind. 

c)  Unsere  Wiesen  werden  im  Jahre  gewöhnlich  ein-  oder  zweimal  gemäht, 
eine  Arbeit,  die  auf  den  Weiden  die  Weidetiere  gleichsam  selbst  besorgen  (be- 
schreibe den  Verlauf  der  Heu-  und  Grummeternte!).  Außer  den  Wiesenpflanzen 
dürfte  es  wohl  nur  noch  wenige  Gewächse  geben,  die  eine  solche  beständige 
Verstümmelung  zu  ertragen  vermöchten.  Kaum  abgemäht,  sprießt  das  Gras  aber 
von  neuem  hervor.  Ja,  es  erhält  sich  zumeist  ganz  allein  durch  fortgesetzte 
Sprossung;  denn  bevor  es  noch  die  Samen  reifen  kann,  fällt  es  zumeist  schon 
der  Sense  zum  Opfer.  Die  große  Widerstandsfähigkeit  gegen  Ver- 
stümmelungen und  das  hohe  Sprossungsvermögen  der  Gräser  sind  also 
weitere  Vorbedingungen  für  das  Vorhandensein  der  Wiesen  und  Weiden.  Wie 
in  unserer  Heimat,  liefern  aber  auch  in  allen  anderen  Ländern  die  weiten 
Grasflächen  den  Haustieren  ausschließlich  oder  vorwiegend  die  Nahrung.  Auf 
den  unscheinbaren  Gräsern  ruhen  also  in  erster  Linie  Ackerbau 
(Getreidegräser!)  und  Viehzucht,  die  beide  wieder  den  Anfang  und  die 
Grundlage  aller  menschlichen  Kultur  bilden. 

3.  Die  wichtigsten  und  häufigsten  Arten.  Gehen  wir  zur  Zeit  der 
Grasblüte  durch  Wiese,  Feld  und  Wald,  so  staunen  wir  über  die  große  Mannigfaltigkeit, 
die  unter  den  Gräsern  herrscht.  Wir  können  daher  hier  nnr  die  Formen  kurz  be- 
trachten, die  uns  am  häufigsten  entgegen  treten  und  als  Wiesengräser,  Unkräuter  u.  dgl. 
für  den  Menschen  von  Bedeutung  sind.  Der  Übersichtlichkeit  wegen  wollen  wir  sie 
wieder  in  3  Gruppen  ordnen  : 

a)  Ährengräser  (Ährchen  sitzend  oder  kurz  gestielt,  eine  einfache  oder  zu- 
sammengesetzte Ähre  bildend).  Als  eines  der  bekanntesten,  wildwachsenden  Gräser  sei 
zuerst  die  Quecke  (Agropyrum  repens)  erwähnt,  die  auf  Äckern  und  Feldern  ein  über- 
aus lästiges  Unkraut  bildet,  aber  auch  an  Wegen  und  Hecken  überall  häufig  anzutreffen 
ist.  Die  Spitzen  der  Ausläufer  sind  durch  starre,  schuppenartige  Blätter  geschützt,  so 
daß  die  Pflanze  damit  selbst  Kartoffelknollen,  ja  sogar  starke  Baumwurzeln  zu  durch- 
bohren und  mithin  auch  von  hartem  Boden  Besitz  zu  ergreifen  vermag.  Die  Ährchen  stehen 
an  der  wellenförmig  gebogenen  Achse  ziemlich  entfernt  und  wenden  ihr  die  Breitseite 
zu.  —  Durch  dieses  Merkmal  ist  die  Quecke  leicht  von  dem  ziemlich  ähnlichen  Taumel- 
Lolch  (Lölium  temulentum)  zu  unterscheiden,  bei  dem  die  Ährchen  der  Achse  die 
Schmalseite  zukehren.     Die  Pflanze  findet  sich  gleichfalls  unter  dem    Getreide.     Da    sie 


Ährengräser. 


265 


es  c 


26G 


72.  Familie.    Gräser. 


^ßfe^ö^%?>.^  Kr--- . 


Ährenrispengräser. 


26^ 


aber  einjährig  ist  (keine  Aasläufer I),  richtet  sie  nur 
wenig  Schaden  an.  Beachtenswert  ist  sie  jedoch 
durch  ihre  Körner,  die  beim  Menschen  Vergiftungs- 
erscheinungen hervorrufen.  (Name!)  —  Der  nächste 
Verwandte  des  Lolchs  ist  das  englische  Ray^ras 
(L.  perenne)  mit  sehr  ähnlichen,  aber  zierlicheren 
Ähren.  Da  es  dichte  Rasen  bildet,  ist  es  ein 
wertvolles  Futtergras,  das  auch  (namentlich  in  Eng- 
land  .  Artname!)  gern  zur  Anlegung  von  Gras-Beeten 
verwendet  wird.  —  An  Wegen  und  Mauern  findet 
sich  häufig  ein  Gras,  das  der  angebauten  Gerste  sehr 
ähnlich  ist,  die  Mäuse-Gerste  (Hürdeum  murinum). 
b)  Äh  r  en  r  ispengr  äs  er  (Ährchen  zu  meh- 
reren auf  verästelten  Stielen,  eine  ährenförmige 
Rispe  bildend.  Dies  ist  meist  erst  beim  Umbiegen 
des  Blutenstandes  zu  erkennen!).  Der  Wiesen- 
Fuchsschwanz  (Alopeeurus  pratensis)  ,  der  den 
Gattungsnamen  nach  dem  kurzen,  walzenförmigen 
Blutenstände  trägt,  ist  eines  unserer  wichtigsten 
Wiesengräser.  —  Dasselbe  gilt  von  dem  Wiesen- 
Lieschgrase  oder  Timotheusgrase  (Phleum  pra- 
tense).  Sein  Blutenstand  ist  dem  der  vorigen  Art 
fast  gleich,  aber  länger  und  dünner,  einem  kleinen 
Zylinderputzer  ganz  ähnlich.  —  Das  Ruchgras 
(Anthoxanthum  odorätutn)  dagegen  bildet  nur  nie- 
dere Rasen.  Es  verleiht  (Name!)  dem  Heu  den 
würzigen  Duft  des  Waldmeisters,  der  aber  wie 
bei  dieser  Pflanze  den  Weidetieren  zuwider  ist- 
Während  des  Blühens  spreizen  die  Ährchen  von  der 
Ährenachse  ab,  so  daß  dem  Winde  ein  besserer  Zu- 
gang zu  den  Staubbeuteln  und  Narben  geschaffen 
ist  (Bedeutung?  Beobachte  daraufhin  auch  andere 
Gräser!)  Durch  das  Einatmen  des  Blütenstaubes 
entsteht  bei  dafür  empfänglichen  Leuten  das  sog. 
Heufieber.  —  An  den  kammartigen  Ährchen  ist  leicht 
das  Kammgras  (Cynosürns  cristätus)  zu  erkennen. 
—  Eine  ungemein  wichtige  Pflanze  für  die  Bewohner 
unserer  Meeresküsten  ist  der  Strandhafer  (Am- 
möphila  arenaria),  der  dem  Sande  der  Dünen  Leben 
verleiht.  Obgleich  der  Boden,  dem  das  Gras  ent- 
sprießt, außerordentlich  trocken  ist.  vermag  es  ihm 
doch  genügend  Nahrung  und  Wasser  zu  entziehen; 
denn  es  besitzt  einen  mehrere  Meter  langen, 
vielfach  verzweigten  Wurzelstock ,  der  samt  den  zahlreichen  Wurzeln  den  Sand 
nach  allen  Richtungen  durchzieht.  Hierdurch  erhält  die  lockere  Sandmasse  einen 
festen  Halt .  so  daß  sie  selbst  dem  heftigsten  Angriffe  der  Stürme  und  dem  don- 
nernden    Anprall    der     Wogen     zu    widerstehen    vermag.      Die     Dünen     werden     somit 


Strandhafer.    Strandroggen. 
i  Kleine  Exemplare. 


268  72.  Familie.    Gräser. 

gleichsam  zu  Bollwerken,  die  die  Ansiedelungen  nnd  Felder  der  Menschen  schützen, 
vom  Sande  bedeckt  und  von  den  Fluten  vernichtet  zu  werden.  Darum  pflanzt  auch  der 
Küstenbewohner  die  wichtige  Pflanze  vielfach  an  und  behütet  sie  wie  der  Binnenländer 
das  Getreide  des  Feldes.  —  Die  gleiche  Bedeutung  hat  ein  zweites,  sehr  ähnliches  Gras, 
der  Strandroggen  (Elyinus  arenärius),  der  auch  im  Binnenlande  an  sandigen  Stellen 
vorkommt,  dessen  Blütenstand  aber  eine  Äbre  bildet.  (Name!  Er  hätte  also  eigentlich 
bei  den  Ährengräsern  erwähnt  werden  müssen!)  Ist  der  Boden  feucht,  so  breitet  so- 
wohl der  Strandroggen  seine  breiten,  hellgrünen,  als  auch  der  Strandhafer  seine  schmaleren, 
dunkelgrünen  Blätter  flach  aus;  ist  der  Sand  aber  trocken,  dann  sind  die  Blätter  beider 
Pflanzen  zu  langen  Röhren  zusammengerollt.  Durch  tiefe  Längsfurchen,  wie  man  solche 
auch  an  Blättern  mehrerer  anderer  Gräser  antrifft,  sind  sie  hierzu  wohl  befähigt. 
Welche  Bedeutung  diese  Erscheinung  hat,  zeigt  uns  ein  einfacher  Versuch.  Schneiden 
wir  von  beiden  Pflanzen  einige  Blätter  ab,  so  rollen  sie  sich  nach  kurzer  Zeit  ein. 
Dadurch  verkleinern  sie  ihre  Oberfläche  sehr  stark,  so  daß  sie  jetzt  auch  nicht  mehr 
soviel  Wasser  verdunsten  wie  vordem.  Da  sich  ferner  sämtliche  Spaltöffnungen  auf  der 
Unterseite  befinden,  jetzt  also  alle  in  den  windstillen  Hohlraum  der  Bohre  münden, 
so  wird  durch  diese  Einrichtung  die  Verdunstung  umso  mehr  eingeschränkt.  Steckt 
man  die  Blätter  darauf  ins  Wasser,  so  daß  sie  jetzt  eine  solche  Ersparnis  nicht  mehr 
nötig  haben,  so  breiten  sie  sich  nach  kurzer  Zeit  auch  wieder  vollkommen  aus.  Diese 
Tatsachen  erklären  uns  auch,  warum  die  empfindlichen  jungen  Blätter  beider  Pflanzen 
stets  Röhrenform  besitzen. 

c)  Rispengräser  (Blütenstand  wie  beim  Hafer).  Einen  wichtigen  Bestandteil 
unserer  Wiesen  bildet  der  Wiesenhafer  (Arrhenatherum  elätius),  der  seine  „hafer- 
ähnlichen*  Rispen  oft  mehr  als  meterhoch  über  den  Boden  erhebt.  Die  äußere  Blüten- 
spelze der  unteren  Blüte  in  jedem  Ährchen  trägt  auf  dem  Rücken  eine  lange  Granne, 
die  wie  die  Granne  des  Reiherschnabels  knieförmig  gebogen  und  im  unteren  Teile 
korkzieherartig  aufgerollt  ist.  Löst  sich  das  Ährchen  bei  der  Reife  los,  so  wird  es 
wie  die  Teilfrucht  jener  Pflanze  mit  Hilfe  dieser  Einrichtung  in  den  Boden  gebohrt.  (Ver- 
such !)  —  Gleichfalls  haferähnlich  sind  die  Trespen  (Bromus)  ;  sie  besitzen  aber  dicke, 
lanzettliche  Ährchen,  deren  Kelchspelzen  im  Gegensatz  zum  Hafer  nicht  abspreizen. 
Mehrere  Arten,  wie  die  (S.  265)  abgebildete  taube  T.  (B.  sterilis),  wachsen  an  unfruchtbaren 
Stellen.  —  Durch  sehr  kleine,  meist  violett  angelaufene  Ährchen  an  haarfeinen  Ästen 
zeichnet  sich  das  Stranggras  (Agröstis  vulgaris)  aus.  Es  überzieht  auf  Wiesen  und 
Triften,  sowie  an  Acker-  und  Waldrändern  vielfach  große  Strecken  wie  mit  einem  zarten 
Schleier.  —  Die  oft  mehr  als  meterhohe  Rasenschraiele  (Aira  caespitösa)  hat  eine 
ähnliche  Rispe.  Bei  ihr  sind  die  Äste  aber  zumeist  bogenförmig  abwärts  geneigt.  — 
Das  Wiesenrispengras  (Poa  pratensis)  bildet  infolge  seiner  zahlreichen  Ausläufer  eine 
sehr  dichte  Grasnarbe.  Es  ist  unser  häufigstes  Wiesengras,  das  ein  vortreffliches  Futter 
liefert.  —  Aus  knäuelartigen  Ährchenmassen  besteht  die  einseitige  Rispe  des  Knäuel- 
grases (Däctylis  glomeräta).  —  Auf  trockenen  Wiesen  findet  sich  häufig  das  zierliehe 
Zittergras  (Briza  media),  dessen  große,  muschelförmige  Spelzen  wirksame  Windfänge 
für  die  winzigen  Früchte  darstellen.  —  Das  Honiggras  (Holcus  lanatus)  ist  wollig  be- 
haart und  hat  sehr  reiehblütige,  meist  rötlich  oder  violett  angelaufene  Rispen,  die  wie 
beim  Ruchgras  u.  a.  während  des  Blühens  stark  gespreizt  sind.  —  Dieselbe  Erscheinung 
beobachten  wir  auch  an  der  einheitswendigen  Rispe  des  Wiesenschwingels  (Festuea 
elätior),  das  eines  unserer   besten  Wiesengräser  darstellt. 

Teiche  und  Seen  sind    oft    von    einem  weitausgedehnten    ,  Graswalde"    umkränzt, 


Äbrenrispengräser.     Rispengräser. 


269 


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72.  Familie.    Gräser.      73.  Familie.    Riedgräsei 


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Schilf.     Glanzgras.     Seggen.     Simsen.  271 

der  von  dem  Schilfe  (Phragmites  communis)  gebildet  wird.  Mit  Hilfe  langer  Aus- 
läufer dringt  das  Gras  vom  Ufer  aus  bis  zu  jenen  Stellen  der  Gewässer  vor,  an  denen 
es  infolge  geringer  Tiefe  noch  zu  leben  vermag.  Weht  ein  heftiger  Wind,  so  er- 
scheinen die  mächtigen  Bestände,  als  wären  sie  gekämmt.  Da  die  Innenflächen  der 
Blattscheiden  und  die  Oberseite  des  Halmes  glatt  sind,  dreht  nämlich  der  Wind  die 
Blätter  und  stellt  sie  wie  die  Wetterfahne  auf  dem  Dache  in  die  Windrichtung.  In- 
folgedessen streift  er  an  ihnen  vorbei,  so  daß  der  Halm  trotz  seiner  Grüße  (bis  3  in) 
und  der  langen,  breiton  Blätter  selbst  vom  heftigsten  Sturme  nicht  geknickt  wird.  Zur 
Zeit  der  Fruchtreife  sind  die  Ährchenstiele  mit  langen,  seidenartigen  Haaren  bedeckt, 
so  daß  der  Fruchtstand  einem  großen  Federballen  gleicht.  Lösen  sich  die  Ährchen 
von  der  Mutterpflanze,  so  werden  sie  ein  Spiel  der  Winde.  Lnfolgedessen  werden  die 
Früchte  leicht  über  einen  weiten  Bezirk  ausgesät.  Bis  zur  Blütezeit  ist  von  den 
Haaren  nur  wenig  zu  bemerken;  sie  würden  ja  auch  der  Bestäubung  nur  hinderlich 
sein.  Die  langen  und  festen  Halme  werden  zur  Bekleidung  von  Wänden,  zum  Bedecken 
der  Dächer,  zur  Herstellung  von  allerlei  Flechtwerk  und  dgl.  vielfach  verwendet.  — 
Ein  dem  Schilfe  sehr  ähnliches  Gras,  das  sich  gleichfalls  häufig  am  Wasser  findet,  ist 
das  Glanzgras  (Phälaris  arnndinäcea).  Eine  Spielart  von  ihm  mit  weiß-grün  gestreiften 
Blättern  wird  als  „Band  gras"  gern  als  Zierpflanze  gezogen. 

73.  Familie.     Riedgräser  (Cyperäceae). 

Die  Riedgräser  sind  grasartige  Pflanzen  („Sehein-  oder  Halbgräser"),  die  sich  mit 
den  echten  Gräsern  besonders  auf  sumpfigem,  moorigem  oder  sog.  sauerem  Boden  („Sauer- 
gräser") an  der  Bildung  der  Wiesen  beteiligen.  Da  sie  aber  scharfschneidende  Blätter 
besitzen,  die  von  den  Weidetieren  vielfach  verschmäht  werden  (Schutzmittel  der  Pflanzen !), 
so  liefern  „saure  Wiesen"  nur  ein  schlechtes  Futter.  Zahlreiche  andere  Riedgräser  lieben 
wieder  den  wasserarmen  Sandboden. 

Die  Merkmale,  durch  die  sich  die  Riedgräser  von  den  echten  Gräsern  unter- 
scheiden, wollen  wir  an  den  Seggen  (Carex)  kennen  lernen,  einer  Gattung,  deren  zahl- 
reiche, schwer  nnterscheidbare  Arten  überall  anzutreffen  sind.  Wir  finden  bei  ihnen 
meist  einen  dreikantigen,  knotenlosen  Stengel,  an  dem  die  Blätter  in  3  Zeilen  ange- 
ordnet sind.  Die  Blattscheiden  sind  geschlossen  und  ohne  Blatthäutchen.  Die  Ährchen 
sind  aus  Staub-  oder  Stempelblüten  oder  aus  beiden  Blütenarten  zusammengesetzt.  Die 
Blüten  sind  unscheinbare  Gebilde,  die  dementsprechend  durch  Vermittlung  des  Windes 
bestäubt  werden  (weise  im  einzelnen  nach,  wie  sie  hierzu  eingerichtet  sind!)  Die 
Stempelblüten,  die  nur  aus  einem  Fruchtknoten  und  einem  Griffel  mit  2  oder  3  Narben 
bestehen,  sind  gleich  der  Frucht  von  einem  schlauchförmigen  Blatte  schützend  umgeben. 
Zahlreiche  Seggen  treiben  Ausläufer  und  tragen  daher  auf  Sandfeldern  und  Dünen  zur 
Bindung  des  Flugsandes  bei.  Dies  zeigt  z.  B.  deutlich  die  Sand-S.  (C.  arenaria),  deren 
Wurzelstock  meterweit  im  Boden  dahinkriecht.  Da  er  nun  hierbei  eine  gerade  Linie 
einhält,  so  stehen  die  aus  den  Knoten  sich  erhebenden  oberirdischen  Triebe  so  regel- 
mäßig, als  wären  sie    vom  Menschen  in  eine  Reihe  gepflanzt. 

Die  übrigen  Glieder  der  Familie  haben  im  Gegensatz  zu  den  Seggen  Blüten,  die 
eines  „Schlauches"  entbehren  und  beiderlei  Befruchtungswerkzeuge  einschließen.  Dies 
zeigen  z.  B.  die  Simsen  (Scirpus),  die  in  zahlreichen  Formen  auf  sumpfigen,  torfigen 
Wiesen,  an  den  Ufern  der  Gewässer  und  anderen  feuchten  Stellen  anzutreffen  sind.  Sie 
ähneln  bis  auf  den  Bau  der  Blüte  ganz  den  Binsen,  mit  denen  sie  unter  gleichen  Lebens- 


272         Taf.  34.     73.  Familie.    Riedgräser.     74.  Familie.    Knabenkrautgewächse. 

bedingnngen  wachsen  (Beweis !).  —  Torfwiesen  bewohnt  auch  das  zierliche  Wollgras 
(Eriöphorum).  Nach  der  Bestäubung  (warum  erst  dann  ?)  verlängert  sich  die  aus  seiden- 
artigen Haaren  bestehende 
Blütenhülle,  so  daß  jedes 
A lirchen  einen  kleinen  "Woll- 
büschel darstellt.  Zugleich 
strecken  sich  auch  die  Ähr- 
chenstiele  stark  in  die  Länge. 
Daher  werden  die  reifen, 
winzigen  Früchte  vom  Winde 
leicht  losgerissen  und  wie 
ein  Federball  ein  Spiel  der 
Lüfte  (Bedeutung?).  —  Ein 
^ä/  ,  Riedgras    ist    auch    die    im 

1  w^7  Altertum    so    hochberühmte 

I  W  -'■■"'*'  Papierstande  (Gyperas  pa- 

ff lajr  pyrus),    die    namentlich    in 

Ägypten      angebaut     wurde 

Frnchtährchen   d.-s   Wollgrases,    von    dem    der  Wind      und     unserem    Papiei.    de]1 

soeben  einige  Früchte  verweht  (nat.  Gr.).  Namen  gegeben  hat.    Es  ist 

eine  Sumpfpflanze  ,  deren 
1 — 3  m  hoher  Halm  von  einem  großen,  doldenförmigen  Blütenstande  gekrönt  wird.  Zum 
Zwecke  der  Papierbereitung  schlitzte  man  den  Halm  auf  und  klebte  die  einzelnen  Häute 
und  Fasern  in  noch  feuchtem  Zustande  aneinander. 

74.  Familie.     Knabenkrautg-ewächse  oder  Orchideen  (Orchidäceae.) 

Blüte  seitlich  symmetrisch.     Blütenhülle    aus  2  gleichen,   dreiblättrigen  Kreisen.     Meist 

nur  ein  Staubblatt,    das   sich    mit    der  Narbe    auf   einem    Fortsatze   des    unterständigen 

Fruchtknotens,    dem  sog.  Säulchen,    befindet.     Fruchtknoten    meist    einfächerig.     Frucht 

kapselartig  mit  sehr  zahlreichen,  äußerst  kleinen  Samen. 

Das  gefleckte  Knabenkraut  oder  die  FJecken-Orchis  (Orchis  maculäta). 

Taf.  34. 

A.  Eine  Frühlingspflanze  feuchter  Wiesen.  Wenn  auf  feuchten  Wiesen 
das  Gras  zu  sprießen  beginnt,  kommt  auch  das  Knabenkraut  zum  Lichte  hervor. 
Es  vermag  so  zeitig  zu  erscheinen,  weil  ihm  wie  dem  Scharbockskraute  (s.  das.) 
und  anderen  Frühlingspflanzen  Stoffe  zum  schnellen  Aufbau  der  oberirdischen 
Teile  zur  Verfügung  stehen.     Diese  Stoffe  sind  in  einer 

1.  Knolle  aufgespeichert,  einem  Gebilde,  das  infolge  seiner  eigentümlichen 
Form  von  jeher  die  Aufmerksamkeit  der  Menschen  auf  sich  gezogen  hat.  Weil 
es  allerlei  Segen  über  den  Besitzer  bringen  sollte,  bezeichnete  man  es  als 
.,Christus-,  Marien-  oder  Glückshändchen."  Die  dunklen  Knollen  (s.  Absch.  b) 
dagegen  galten  als  „Teufelshände  und  Satansfinger". 

a)  Die  Baustoffe  sind  in  den  Knollen  besonders  als  Stärke  (Jodprobe; 
(s.  S.  138,  d)  und  Pflanzenschleim  aufgespeichert  und  zwar  in  so  großen  Mengen, 


Schmeil.   Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  34. 


Geflecktes  Knabenkraul  oder  Flecken-Orchis  (Orchis  maculata). 


Wollgras.     Papierstande.     Geflecktes  Knabenkraut.  273 

daß  man  aus  ihnen  ein  nahrhaftes,  schleimiges  Heilmittel,  den  Salep,  herstellen 
kann.  (Zur  Gewinnung  dieses  Stoffes  dienen  aber  zumeist  andere  und  zwar  vor- 
wiegend auslandische  Arten  der  Familie.) 

b)  Gräbt  man  die  Pflanze  im  zeitigen  Frühjahre  aus  dem  Boden,  so  findet 
man  in  der  Achsel  eines  der  häutigen  Hüllblätter,  die  den  jungen,  oberirdischen 
Trieb  umgeben,  eine  Knospe.  Sie  treibt  einige  Wurzeln,  die  das  Hüllblatt 
durchbrechen  und  zu  einer  kleinen  Knolle  von  der  Form  der  „alten"  an- 
schwellen. Zur  Blütezeit  (1)  hat  sich  das  Knöllchen  schon  merklich  vergrößert, 
während  die  alte  Knolle  braun  geworden  und  etwas  verschrumpft  ist.  unter- 
sucht man  die  Pflanze  etwa  zur  Zeit  der  Fruchtreife  wieder  (2),  so  ist  die 
,,junge"  Knolle  zur  Größe  der  alten  herangewachsen,  die  jetzt  dunkelbraun  und 
noch  mehr  verschrumpft  ist.  Gräbt  man  nun  endlich  nochmals  nach,  wenn  der 
Herbst  ins  Land  zieht,  so  ist  die  „alte"  Knolle  abgestoßen  und  in  Verwesung 
begriffen.  Diese  Erscheinungen  sind  also  genau  dieselben,  wie  wir  sie  an  der 
Kartoffelknolle  verstehen  gelernt  haben,  nur  daß  hier  die  Bildung  der  jungen 
Knolle  in  unmittelbarer  Nähe  der  alten  erfolgt.  Wir  haben  hier  also  —  kurz 
gesagt  —  folgenden  Vorgang:  während  sich  aus  den  Vorratsstoffen,  die  in  der 
Knolle  aufgespeichert  sind,  die  oberirdischen  Teile  aufbauen,  bildet  sich  an  ihr 
eine  „Ersatzknolle"  für  das  nächste  Jahr.  Als  ein  für  die  Pflanze  wertloses 
Gebilde  geht  die  alte  Knolle  schließlich  zu  Grunde.  An  ihre  Stelle  ist  die  neue 
getreten,  die  prall  mit  Baustoffen  für  das  kommende  Jahr  gefüllt  ist. 

2.  Stengel  und  Blätter,  a)  In  dem  Maße,  in  dem  sich  die  Wur- 
zeln zu  der  Ersatzknolle  ausbilden,  vergrößert  sich  auch  die  Knospe,  aus 
der  die  Wurzeln  hervorbrechen  (1  und  2).  Anfangs  ist  sie  noch  von  dem  Hüll- 
blatte, in  dessen  Achsel  sie  entsteht,  schützend  bedeckt  (in  Fig.  1  ist  dieses  Blatt 
entfernt,  um  die  Knospe  zu  zeigen).  Mit  dein  Verwesen  der  Hüllblätter  wird  sie 
aber  frei  und  stellt  jetzt 

b)  einen  kegelförmigen  Trieb  (2)  dar,  der  selbst  die  Grasdecke  der 
Wiese  leicht  zu  durchbrechen  vermag  (vgl.  mit  Tulpe  und  Maiblume !).  Als  Schutz- 
mittel gegen  Verletzungen  dient  ihm  eine  Scheide 

c)  farbloser  Hüllblätter,  die  später  braun  werden  und  schließlich  ver- 
wesen (1.).  Hat  der  Trieb  die  Erdoberfläche  erreicht,  so  stellen  die  Hüllblätter 
das  Wachstum  ein  und  werden  von  den  eingeschlossenen  Teilen  auseinander 
gedrängt. 

d)  Am  Ende  des  massiven  Stengels  findet  sich  der  Blütenstand,  der 
bisher  von  den  kegelförmig  zusammengeneigten  Blättern  überdeckt  war  (vgl. 
mit  Tulpe).  Da  die  Blüten  den  Blicken  der  Insekten  ausgesetzt  sein  müssen, 
streckt  sich  der  Stengel  so  hoch,  wie  es  das  mitwachsende  Gras  erfordert. 
(Vgl.  dag.  Scharbockskraut  und  Herbstzeitlose,  die  an  demselben  Standorte 
wachsen !) 

e)  Die  Blätter  ähneln  nach  Form  und  Stellung  ganz  denen  der  Tulpe. 
Sie  sind  auch  wie  die  Tulpenblätter  vollkommen  kahl;  denn  da  sie  von  der 
feuchten  Frühlingsluft  umflutet  werden,  und  da  der  nasse  Wiesengrund  Wasser 

Sc  hm  eil.  Lehrbuch  der  Botanik.  ]8 


27/ 


74.  Familie.    Knabenkrautgewächse. 


zur  Genüge  liefert,   können    sie    z.  B.   des  schützenden  Haarkleides  entbehren, 
das  wir  bei  zahlreichen  Sommer-  und  Trockenlandpflanzen  finden  (Beispiel!). 

Sie  zeichnen  sich  aber  vor  den  Tulpenblättern  meist  durch  den  Besitz 
schwarzbrauner  Flecken  aus  (Artname!),  eine  Erscheinung',  die  gleichfalls  mit  dem 
feuchten  Standorte  in  Beziehung  zu  stehen  scheint.  Da  sich  nämlich  dunkel- 
gefärbte Körper  stärker  erwärmen  als  helle  —  wir  brauchen  nur  an  unsere 
sommerliche  Kleidung  zu  denken,  —  so  wird  sich  auch  ein  von  der  Sonne  be- 
schienenes, dunkelgeflecktes  Blatt  stärker  erwärmen  als  ein  sonst  gleiches,  aber 
ungeflecktes  Blatt.  Je  höher  aber  die  Temperatur  in  dem  Blatte  ist,  desto  leb- 
hafter wird  es  auch  das  von  der  Wurzel  aufgesogene  Wasser  verdunsten.  Da 
nun  mit  diesem  Wasser  beständig  Nährstoffe  zu  den  Blüten  emporsteigen,  so  ist 
eine  starke  Verdunstung  für  diejenigen  Pflanzen,  denen  viel  Feuchtigkeit  zu 
Gebote  steht,  sicher  von  Vorteil.  —  Die  Verhältnisse  des  Standortes  machen 
uns  auch  die  geringe  Ausbildung  der 

3.  Wurzeln  verständlich,  die  am  unteren  Teile  des  Stengels  entspringen 
und  die  Hüllblätter  durchbrechen :    die  wenigen  kurzen,  unverzweigten,  strang- 
artigen   Gebilde   sind  wohl  imstande,   dem  stets  feuch- 
^s^^^^^  ten   Grunde   die   nötigen  Wassermengen   zu  entnehmen 

/wti^K  (viil'  ^'  <lir  Trockenlandpflanzen!). 

/  \\  B.  Eine  Pflanze,    die   allein   durch   Insekten 

OO        1 1         bestäubt  werden  kann. 

1.   Blüte.     Die  Blüten  (1.)  nehmen  den  Endteil 
des  Stengels   ein.      Sie  entspringen   aus   der  Achsel  je 
eines  Deckblattes,   das   ihnen   im   Knospenzustande 
Blütengrundriß  des        als  Schutz  diente.     Der   Stiel,   auf  dem  sie  sich  zu  er- 
Knabenkrautes.  heben  scheinen,  ist  der  unterständige  Fruchtknoten. 

Die  Blütenhülle  (3.),  die  in  ihren  Farben  große 
Verschiedenheiten  (lila  bis  weißlich)  aufweist,  ist  seitlich-symmetrisch  (s.  S.  30,  a) 
und  besteht  aus  2  dreiblätterigen  Kreisen.  Das  große  mittlere  Blatt 
des  äußeren  Kreises  und  die  beiden  „oberen"  Blätter  (s.  aber  Absch.  d) 
des  inneren  Kreises  neigen  sich  helmförmig  zusammen  und  bilden  ein  Regen- 
dach für  die  inneren  Blütenteile.  Die  beiden  anderen  äußeren  Blätter  sind 
langgestreckt,  während  das  untere,  innere  Blatt  eine  große  dreiteilige,  pur- 
pur-gefleckte  „Unterlippe"  darstellt  und  in  einen  langen  Sporn  ausge- 
zogen ist.  Dicht  über  dem  Eingange  zum  Sporn  findet  sich  auf  einem  kurzen 
Fortsatze  des  Fruchtknotens,  dem  sog.  Säulchen,  die  große,  glänzende 
Narbe  (N.)  und  darüber  das  einzige  (ausgebildete)  Staubblatt  (St.).  Der 
Faden  des  Staubblattes  ist  mit  dem  Säulchen  so  innig  verschmolzen,  daß  nur 
der  Staubbeutel  sichtbar  ist.  Er  besteht  aus  2  Fächern,  die  sich  durch  einen 
Längsspalt  öffnen.  Im  Gegensatz  zu  den  meisten  anderen  Pflanzen,  bei  denen 
der  Blütenstaub  ein  feinkörniges  Pulver  bildet,  sind  hier  stets  mehrere  Staub- 
körnchen miteinander  verwachsen.  Zahlreiche  der  auf  diese  Weise  entstehenden 
„  Paket chen"    sind    wieder    durch    einen  Klebstoff  zu    einem   kleinen    gestielten 


Knabenkraut.  275 

Kolben  (6.)  vereinigt,  der  in  einem  „Klebscheibchen"  endet.  Die  Scheiben 
beider  „Staub  kölbchen"  sind  in  einer  kleinen  „Tasche"  (T.)  geborgen. 
2.  Bestäubung.  Eine  so  eigentümlich  gebaute  Blüte  wird  uns  wie  in 
allen  anderen  ähnlichen  Fällen  nur  dadurch  verständlich,  daß  wir  ihre  Bestäu- 
bung genau  verfolgen. 

a)  Die  Blüten  sind  an  sich  klein.  Da  aber  viele  zu  einer  Ähre  ge- 
häuft sind,  werden  sie  den  Insekten  wohl  auffällig. 

b)  Die  Auffälligkeit  wird  vielfach  noch  dadurch  erhöht,  daß  anch  die 
Deckblätter  und  der  obere  Teil  des  Stengels  bunt  gefärbt  sind  (1). 

c)  i»ie  aufliegenden  Insekten  —  vor  allen  Dingen  sind  es  Fliegen  und 
Hummeln  —  finden  auf  der  Unterlippe  einen  bequemen  Sitzplatz  (4.).  Öffnet 
man  jedoch  eine  Blüte,  so  lange  sie  sich  noch  im  Knospenzustande  befindet,  so 
sieht  man.  daß  dieses  Blatt  nach  oben  gerichtet  ist,  also  eine  sehr  ungünstige 
Lage  hat,  um  als  Sitzplatz  für  die  Bestäuber  zu  dienen.  Es  muß  daher  eine 
„Korrektur"  eintreten  : 

d)  kurz    bevor    sich    die   Blüte   öffnet,    dreht    sich    der    als    Stiel 
dienende    Fruchtknoten    um    180°    und 
bringt  somit  die  Blüte  in  die  „richtige''  Lage. 

e)  Zahlreiche,  dunkel-purpurrote  Flecke 
und  Striche,  die  alle  nach  der  Öffnung  des 
Spornes  hinweisen,  bilden  vielleicht  das  „Saft- 
mal", das  dem  Blütengaste  zeigt,  wo  es  für 
ihn  etwas  zu  naschen  gibt  (s.  S.  121,  3). 

f)  Sobald    das    Insekt  Platz    genommen    4Üܧf' '"'"' 
hat,  senkt  es  den  Rüssel  in  den  Sporn,  der 

auffallenderweise  aber  keinen  freien  Honig  Staubkölbchen  auf  der  Spitze  eines 
enthält.  Der  in  der  fleischigen  Sporenwand  Bleistiftes.  1  Nacl  dem  Eervor- 
enthaltene  süße  Saft  muß  von  dem  Tierchen  ziehen:  2  einige  Minuten  darnach. 
mit  Hilfe  der  Rüsselspitze  erst  erbohrt  werden. 

g)  Sobald  aber  das  Insekt  die  zum  Saugen  notwendige  Stellung  einge- 
nommen hat,  berührt  es  mit  dem  Kopfe  das  „Täschchen",  das  genau  die  Blüten- 
mitte einnimmt.  Das  zarte  Häutchen  zerreißt  infolgedessen,  die  beiden  Kleb- 
scheiben  werden  frei  und  heften  sich  dem  saugenden  Insekt  an 
Stirn  oder  Augen.  Verläßt  das  Tier  darauf  die  Blüte  (4.),  so  zieht  es 
die  beiden  Staubkölbchen  aus  den  Staubbeutelfächern  hervor, 
und  wie  mit  2  Hörnchen  geschmückt,  fliegt  es  davon.  Ahmt  man  diesen  Vor- 
gang vielleicht  mit  Hilfe  eines  zugespitzten  Bleistiftes  nach,  so  sieht  man, 

h)  wie  sich  die  anfangs  aufrecht  stehenden  Kölbchen  sehr 
bald  nach  vorn  herabneigen.  Dasselbe  geschieht  natürlich  auch,  wenn 
sie  an  dem  Kopfe  eines  Insekts  kleben  (5.).  Läßt  sich  das  Tier  auf  einer  zweiten 
Blüte  nieder,  so  müssen  infolgedessen  die  Kölbchen  gerade  die  N  arbe  berühren, 
die  sich  -ja  unterhalb  des  „Täschchens"  befindet:  einige  Staubkorn-Paketchen 
bleiben  an  der  klebrigen  Narbenfläche  haften,  und  —  die  Bestäubung  ist  erfolgt. 


27ß  74.  Familie.    Knabenkrautgewächse. 

C.  Eine  Pflanze,  die  durch  den  Wind  verbreitet  wird.  1.  Durch- 
schneidet man  den  Fruchtknoten  zur  Blütezeit  (s.  Blütengrundriß),  so  sieht 
man,  daß  er  aus  3  miteinander  verwachsenen  Blättern  besteht,  die  an  den 
Rändern  zahlreiche  Samenanlagen  tragen.  Indem  sich  bei  der  Reife  diese 
„Samenträger''  von  den  übrigen  Teilen  der  Fruchtblätter  ablösen, 

2.  öffnet  sich  die  Kapsel  mit  6  Klappen  (7.).  Da  diese  Klappen  aber  oben 
und  unten  vereinigt  bleiben,  können  die  Samen  nicht  auf  einmal  herausfallen 
(warum  wäre  das  für  die  Pflanze  von  Nachteil?).  Wohl  aber  vermag  der  Wind 
durch  die  Spalten  zu  streichen, 

3.  die  Samen  in  kleinen  Wolken  herauszublasen  und  weithin  zu  ver- 
wehen. Beides  ist  umso  leichter  möglich,  als  die  Samen  staubförmig  kleine 
Gebilde  sind.  Außerdem  umschließt  die  Samenschale  den  Keimling  wie  ein 
weiter  Mantel  (8.).  Sie  bietet  dem  geschäftigen  Winde  also  eine  große  Angriffs- 
fläche dar  (vgl.  mit  Löwenzahn). 

4.  Ein  solches  Herausblasen  der  Samen  wäre  aber  bei  einer  Kapsel,  die 
wie  der  Fruchtknoten  schraubenförmig  gedreht  ist,  nicht  möglich  (warum  nicht?). 
Wir  sehen  daher,  daß  der  Fruchtknoten  nach  erfolgter  Bestäubung 
diese  Drehung  verliert,  sich  also  wieder  gerade  streckt  (7.). 

Andere  Knabenkrautgewäclise  oder  Orchideen. 

Die  Orchideen  gehören  wegen  des  seltsamen  Baues  der  Blüten  sicher  zu  den 
interessantesten  Gliedern  der  Pflanzenwelt.  Viele  von  ihnen  zeichnen  sich  zudem  noch 
durch  Farbenpracht  und  köstlichen  Duft  aus.  Sie  bewohnen  die  verschiedensten  Boden- 
arten und  treten  hier  in  geringerer,  dort  in  größerer  Anzahl  auf.  Gegenden  mit  Kalk- 
boden sind  besonders  reich  daran. 

1.  In  der  Gesellschaft  der  soeben  betrachteten  Pflanze  findet  sich  das  ganz 
ähnliche  breitblättrige  Knabenkraut  (0.  latifölia),  das  an  dem  hohlen  Stengel 
leicht  zu  erkennen  ist.  —  Auf  Triften  und  trockenen  Wiesen  ist  häufig  das  kleine 
Salep-K.  (0.  mörio)  anzutreffen,  das  runde  Knollen  besitzt.  —  Eine  überaus  zarte 
Schattenpflanze  (s.  S.  7,  b  und  c)  ist  die  Kuckucksblume  (Piatanthera  bifölia).  Die 
rein-weiße  Blütenfarbe,  der  besonders  bei  Nacht  stark  hervortretende  Nelkenduft,  sowie 
der  lange,  enge  Sporn  lassen  uns  in  ihr  leicht  eine  Nachtfalterblume  erkennen  (s.  S.  39).  — 
An  denselben  Stellen  findet  sich  auch  das  Zweiblatt  (Listera  oväta),  dessen  unscheinbar 
grüne,  aber  sehr  honigreiche  Blüten  besonders  durch  Schlupfwespen  bestäubt  werden.  — 
Spornlos  wie  diese  Pflanze  sind  auch  die  Sumpfwurz- Arten  (Epipäctis),  die  teils  sumpfige 
Wiesen,  teils  Wälder,  teils  den  trockensten  Sandboden  bewohnen.  —  Die  schönste  unserer 
Orchideen  ist  unstreitig  der  Frauenschuh  (Cypripedium  calceolus),  der  auf  Kalk- 
boden im  Schatten  des  Laubwaldes  gedeiht.  Er  trägt  nur  wenige ,  dafür  aber  umso 
größere  Bluten,  deren  gelbe  Unterlippe  einen  zierlichen  „Schuh"  bildet.  —  Eine  überaus 
sonderbare  Form  ist  die  blasse  Nestwurz  (Neöttia  nidus  avis),  die  im  Moder  des  Wald- 
bodens wurzelt,  der  Laubblätter  entbehrt  und  nur  Spuren  von  Blattgrün  besitzt.  Gleich 
der  Hopfenseide  (s.  S.  129)  ist  sie  daher  auch  nicht  imstande,  die  für  das  Leben  und 
den  Aufbau  ihres  Körpers  nötigen  Stoffe  zu  bereiten.  Gräbt  man  aber  nach,  so  findet 
man,  daß  der  eigentümlich  nestartige  Wurzelstock  (Name !)  mit  keiner  anderen  Pflanze 
in  Verbindung  steht:    das  seltsame,    gelbe  oder  bräunliche  Gewächs  nährt  sich  von  den 


reitl.- u.  Salep-Orchis.  Kuckucksbl.    Zweiblatt.  Sumpfw.  Frauensch.  Nestwurz.      277 


Stoffen,  die  im  Boden  schattiger  Wälder  faulen;    es  ist  also  kein  Schmarotzer  (Parasit) 
wie  die  Hopfenseide,  sondern  ein  Fäulnisbewohner  (Saprophyt). 

2.  Wie  sich  unter  dem  Einflüsse  hoher  Wärme  und  großer  Feuchtigkeit  die 
Pflanzenwelt  der  Tropen  zur  höchsten  Pracht  entfaltet,  so  gilt  dies  für  die  Orchideen 
im  besonderen.  Die  vielgestaltige  Pflanzenfamilie  ist  dort  durch  Tausende  von  Arten 
vertreten,  die  untereinander  in  der  Schönheit  ihrer  oft  höchst  bizarren  Blüten  wett- 
eifern. Dies  zeigt  uns  schon  ein  Gang  durch  eines  jener  Warmhäuser,  in  denen  bei 
uns  die  kostbaren  Pflanzen   gepflegt  werden.     Zahlreiche  dieser   seltsamen    Formen  sind 


Tropische  Orchidee. 

Überpflanze  auf  einem 
Baumzweige   wachsend.     (Cattleya-Art  aus 
Brasilien.)     (lj2  nat.  Gr.) 


in  ihrer  Heimat  Bewohner  der  dichten  Urwälder.  Die  Kronen  der  Baumriesen  hindern 
aber  vielfach  die  Sonnenstrahlen,  bis  zum  Boden  zu  dringen,  so  daß  dort  ein  beständiges 
Halbdunkel  herrscht.  Die  Orchideen  sind  daher  gezwungen,  sich  einen  Standort  zu 
„suchen",  an  dem  sie  des  belebenden  Sonnenlichtes  teilhaftig  werden:  sie  siedeln  sich 
als  „Überpflanzen"  (Epiphyten)  mit  zahlreichen  Gliedern  anderer  Pflanzenfamilien 
auf  der  Rinde  der  Stämme  und  Zweige  an.  Dort  breiten  sie  ihre  Wurzeln  aus  oder 
lassen  sie  frei  herabhängen  (Luftwurzeln).  Sie  nähren  sich  von  dem  Staube,  den  der 
Wind  in  die  Ritzen  und  Spalten  der  Rinde  weht,  sowie  von  dem  Regen  und  Tau,  der 
auf  sie  herabfällt.  Tritt  in  der  Heimat  der  Pflanzen  die  trockene  Jahreszeit  ein, 
so  ist  ein  solcher  Standort  aber  höchst  ungünstig.  Zahlreiche  Arten  speichern  daher 
gleich  den   Kaktusgewächsen    (s.  das.)    in    dem    knollig    angeschwollenen  Stamme    jeden 


278      74.  Fam.    Knabenkrautgewächse.     75.  u.  76.  Farn.    Froschlöffel- u.  Froschbißgew. 

Wassertropfen  auf,    den  sie  erlangen    können,    am  während    der    Zeit    der  Trocknis    aus 
diesem  „Brunnen  zu  schöpfen". 

Eine  dieser  Urwaldpflanzen  ist  die  Vanille  (Vanilla  planifölia),  die  uns  in  ihren 
unreifen,  langen,  schotenförmigen  Früchten  das  bekannte  köstliche  Gewürz  liefert.  Sie 
ist  im  tropischen  Amerika  heimisch,  wird  gegenwärtig  aber  in  fast  allen  heißen  Ländern 
angebaut.  Gleich  dem  Efea  klettert  sie  mit  Hilfe  langer  Luftwurzeln  zum  Lichte  empor 
und  hat  im  Gegensatz  zu  den  zahlreichen,  farbenprächtigen  Orchideen  ihrer  Heimat  nur 
unscheinbare,  grüngelbe  Blüten. 

75.  u.  76.  Familie.    Froschlöffel-  und  Frosehbißg-ewäehse  (Alismäceae 
und  Hydrocharidäceae). 

1.  Froschlöffelgewächse.  Diese  kleine  Familie  umfaßt  einige  Gewächse, 
die  man  stets  im  oder  am  Wasser  antrifft.  Von  schilfartiger  Gestalt  ist  die  stolze 
Schwanenblume  (Bütomus  umbellätus),  die  auch  Wasserliesch  oder  Blumenbinse 
genannt  wird.  Auf  hohem  Schafte  trägt  sie  eine  Dolde  prächtig  rosafarbener  Blüten 
(beschreibe  sie!),  die  im  Knospenzustande  von  zahlreichen  Hüllblättern  schützend  bedeckt 
ist.  Haben  diese  Blätter  ihre  Aufgabe  erfüllt,  so  werden  sie  trockenhäutig.  Die  Früchte 
sind  durch  Lufträume  schwimmfähig,  eine  Einrichtung,  die  zu  dem  Standorte  der 
Pflanze  in  innigster  Beziehung  steht.  —  Mit  der  Schwanenblume  heben  auch  der  all- 
bekannte Froschlöffel  (Alisma  plantägo)  und  das  schmucke  Pfeilkraut  (Sagittäria 
sagittifölia)  ihre  Blätter  über  den  Wasserspiegel  empor.  Steigt  das  Wasser  aber  er- 
heblich, so  nehmen  die  sonst  löffel-  bezw.  pfeilförmigen  Blätter  (Namen !)  die  Form 
langer  Riemen  an.  Dann  vermögen  sie  der  Strömung  des  Wassers  zu  folgen,  während 
sie  sonst  leicht  zerrissen  werden  könnten.  —  Im  Gegensatz  zu  diesen  Sumpfpflanzen 
sind    die 

2.  Froschbißgewächse  wirkliche  Wasserbe wohner.  Das  zeigt  uns  z.  B.  der 
zierliche  Froschbig  (HyJröcharis  morsus  ranae),  der  frei  im  Wasser  schwebt  und  mit- 
hin auch  nur  in  stehenden  oder  ganz  langsam  fließenden  Gewässern  zu  leben  vermag. 
Gleich  der  Seerose  breitet  er  seine  schön  geformten  Blätter,  die  daher  auch  in  zahl- 
reichen Stücken  mit  denen  jener  Pflanze  übereinstimmen  (Beweis!),  auf  dem  Wasser- 
spiegel aus.  (Auf  den  Herzausschnitt  der  Blätter  bezieht  sich  der  Name  der  Pflanze.) 
Die  weißen,  zarten  Blüten  (beschreibe  sie!)  dagegen  ragen  aus  dem  Wasser  hervor.  Als  Er- 
satz für  die  selten  eintretende  Fruchtbildung  vermehrt  sich  das  zierliche  Gewächs  sehr 
stark  durch  Ausläufer,  die  sich  wagerecht  unter  der  Wasseroberfläche  dahinziehen  und 
am  Ende  je  eine  neue  Pflanze  bilden.  Während  des  Winters  vermag  sich  aber  der 
Froschbiß  in  der  obersten  Wasserschicht,  die  ja  zu  Eis  erstarrt,  nicht  zu  halten.  Er 
muß  demnach  wie  die  Seerose  in  die  frostfreien  Tiefen  „fliehen".  Dies  geschieht 
in  folgender  Weise :  mit  Beginn  des  Herbstes  hört  die  Bildung  von  Tochterpflanzen  auf. 
Dann  lösen  sich  die  Endknospen  der  Ausläufer  ab  und  sinken  zu  Boden.  Wenn  sich 
aber  das  Wasser  im  Frühjahr  wieder  erwärmt,  dann  füllen  sich  gewisse  Zellräume  dieser 
„Winterknospen"  mit  Luft.  Infolgedessen  steigen  die  zarten  Gebilde  wie  ein  Luftballon  em- 
por, öffnen  sich,  und  nicht  lange  währt  es,  so  ist  der  Wasserspiegel  wieder  mit  den  Blättern 
der  interessanten  Pflanze  bedeckt.  (Beobachte  dies  im  Aquarium  !  Untersuche  daraufhin 
auch  Wasserschlauch  und  Wasserfeder!)  —  Ein  anderes  Wassergewächs  ist  die  eigen- 
tümliche Krebsschere  (Stratiötes  aloides),  die  ihren  Namen  vo^|  den  stachelig  gezähnten, 
schwertförmigen    Blättern    trägt.      Sie    überwintert    in    frostfreier    Tiefe    mit    Hilfe    der 


Vanille  Schwanenbl.  Froschlöffel.   Pfeilkraut.   Froschbiß.  Krebssch.  Wasserpest.      279 

großen,  aloeartigen  Blattrosetten,  die  während  der  wärmeren  Jahreszeit  oft  die  ganze 
Oberfläche  von  Teichen  und  Tümpeln  bedecken.  —  Unsere  gemeinste  Wasserpflanze,  die 
Wasserpest  (Elödea  canadensis),  ist  erst  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  aus 
Nordamerika  bei  uns  eingewandert.  Anfänglich  vermehrte  sie  sich  in  einem  solchen 
Maße  (Name!),  daß  sie  an  einigen  Stellen  sogar  der  Schiffahrt  hinderlich  wurde.  Diese 
erstaunliche  Vermehrung  ist.  umso  merkwürdiger,  als  die  Wasserpest  in  unsern  Ge- 
wässern niemals  Früchte  trägt :  die  mit  Staubblüten  ausgerüstete  Form  der  einhäusigen 
Pflanze  fehlt  nämlich  bei  uns  gänzlich.  Dafür  ist  aber  das  kleinste  Bruchstück  des  zarten 
Gewächses  (vgl.  mit  Wasserhahnenfuß  und  anderen  Wasserpflanzen!)  imstande.  Knospen 
und  Wurzeln  zu  treiben  (Versuch!).  Jetzt  hall  sieh  die  Vermehrung  des  Kindringlings 
in  mäßigen  Grenzen,  so  daß  von  ihm  nichts  mehr  zu  befürchten  ist.  Wohl  aber  trägt 
er,  da  er  die  Abfallstoffe  der  Tiere  zum  Aufbau  des  eigenen  Körpers  verwendet,  gleich 
allen  anderen  Wasserpflanzen  wesentlich  zum  Reinhalten  der  Gewässer  bei  ('was  folgt 
daraus  für  die  Besetzung  der  Aquarien?). 


II.  Gruppe.     Nacktsamige  Pflanzen  (Gymnospermae). 

Pflanzen,  deren  Samenknospen  nicht  in  einem  Fruchtknoten  eingeschlossen  sind,  sondern 
sich  auf  dem  offenen  Fruchtblatte  rinden. 

77.  Familie.     Nadelhölzer  (Coniferae). 

Verzweigte  Holzgewächse  mit  nadel-  oder  schuppenförmigen  Blättern. 

Die  Kiefer  (Pinus  silvestris). 

Kein  Baum  bedeckt  im  mittleren  und  nördlichen  Europa  so  weite  Flächen 
wie  die  Kiefer  oder  Föhre.  Obgleich  sie  auf  allen  Bodenarten  gedeiht,  treffen 
wir  sie  doch  vorwiegend  auf  Sandboden  an.  Dort  bildet  sie  oft  mächtige 
Wälder,  die  nach  dem  treusten  Begleiter  des  „anspruchslosen"  Baumes,  dem 
Heidekraute,  vielfach  als  „Heiden"  bezeichnet  werden.  Ja,  sie  ist  sogar  im- 
stande, den  ödesten  Sand  zu  beleben,  auf  dem  kein  anderer  Baum  mehr  gedeiht. 
Wollen  wir  die  merkwürdige  Pflanze  daher  recht  verstehen,  so  müssen  wir  uns 
bei  ihrer  Betrachtung  zunächst  fragen,  wodurch  sie  befähigt  ist,  das 
Ödland   zu  bewohnen. 

A.  Wurzel.  1.  Nehmen  wir  eine  junge  Kiefer  und  einen  anderen  gleich- 
alterigen  Baum,  die  beide  auf  demselben  Grunde  gewachsen  sind,  aus  dem 
Boden,  so  werden  wir  finden,  daß  die  Kiefer  alle  anderen  Bäume  durch  ihr 
großes  und  stark  verzweigtes  W^urzelgeflecht  übertrifft.  (Sie  hat 
z.  B.  12  mal  soviel  Wurzelfasern  als  die  Fichte.)  Diese  Tatsache  ist  schon 
eine  Antwort  auf  die  soeben  aufgeworfene  Frage:  Bäume  mit  gering  ent- 
wickeltem Wurzelwerk  finden  in  dem  lockeren,  sowie  wasser-  und  nahrungs- 
armen Sandboden  weder  den  nötigen  Halt  gegen  den  Anprall  der  Stürme,  noch 
die  zum  Leben  notwendigen  Wasser-  und  Nahrungsmengen.  Die  Kiefer  dagegen 
hält  sich  in  dem  lockeren  Grunde  wie  mit  Tausenden  und  Abertausenden  von 
Armen  fest.  Und  da  sie  mit  ihrem  mächtigen  Wurzelgeflecht  eine  sehr  große 
Erdmasse  durchzieht,  vermag  sie  selbst  aus  ödem  Sandboden  die  nötigen  WTasser- 
und  Nahrungsmengen  herbeizuschaffen.  Sie  gedeiht  noch  an  Orten,  an  denen 
andere  Bäume  —  verdursten  und  verhungern  müßten. 

2.  Ziehen  sich  die  Wurzeln  eines  Baumes,  der  auf  lockerem  Sande  wächst, 
flach  unter  der  Erdoberfläche  dahin  (wie  z.  B.  die  der  Fichte),  so  befindet  er  sich 
in  steter  Gefahr,  durch  den  Sturm  entwurzelt  zu  werden.  Die  Kiefer  dagegen 
trotzt  meist  dem  heftigsten  Anprall.  Sie  ist  nämlich  durch  eine  Pfahlwurzel, 
die  sich  tief  in  den  Untergrund  senkt,  und  von  der  wieder  zahlreiche  Neben- 
wurzeln ausstrahlen,  sicher  im  Boden  „verankert".  Dieser  Wurzel  wegen  ver- 
mag die  Kiefer  umgekehrt  aber  auch  nur  auf  „tiefgründigem"  Boden  zu  gedeihen. 


Kiefer. 


281 


Felsuntergrund  bewohnt  sie  nur  dann,   wenn    sie   mit   den  Wurzeln  in  Spalten 
und  Klüfte  eindringen  kann. 

3.  Die  Kiefer  ist  imstande,  selbst  die  kleinste  Menge  von  Tau  und  Regen, 
die  den  dürren  Boden  tränkt,  sich  dienstbar  zu  machen;  denn  sie  besitzt  zahl- 
reiche, oberflächlich  verlaufende  Wurzeln.  Die  feinsten  Verzweigungen 
dieser  Wurzeln  „trinken"  den  Tau  und  Regen,  der  den  Boden  feuchtete,  und 
der  von  der  dürftigen  Pflanzendecke  (Moospolster!)  oder  von  der  verwesenden 
Nadelschicht  festgehalten  wird.  (Beurteile  hiernach  das  Entfernen  der  ab- 
gefallenen Nadeln,  der  sog.  „Waldstreu"!)  Bei  fortgesetztem  Wachstum  erheben 
sich  die  „Tauwurzeln",  da  sie  nach  oben  weniger  Widerstand  finden,  z.  T.  oft 
über  die  Erde. 

4.  Die  Pflanzen  nehmen  das  Wasser  in  der  Regel  durch  zahlreiche 
Wurzelhaare  (s.  das.)  auf,  die  sich  an  den  Enden  der  feinsten  Wurzeläste 
flnden.  Der  Kiefer  fehlen  aber  (gleich  den  meisten 
anderen  Waldbäumen)  diese  Gebilde.  Wie  sich  dagegen 
bei  schwacher  Vergrößerung  (bei  der  Buche  meist  schon 
mit  bloßem  Auge)  erkennen  läßt,  sind  die  Würz  el- 
enden von  einem  dichten  Geflecht  zarter  Pilz- 
fäden umsponnen  (s.  Champignon).  Von  diesem  Pilz- 
mantel gehen  zahlreiche  Fäden  nach  außen,  durch- 
wuchern den  Waldboden  und  entnehmen  ihm  Wasser 
samt  den  darin  gelösten  Nährstoffen.  Andererseits 
legen  sich  diese  Fäden  aber  so  dicht  um  die  Wurzel- 
enden, daß  der  Baum  im  stände  ist,  ihnen  das  aufge- 
nommene Wasser  zu  entziehen  und  für  sich  dienstbar 
zu   machen.      Schon    aus   der    Länge   der    Fäden   geht 


Wurzelende  d.  Kiefer 

im     Längsschnitt  ,     von 
Pilzfäden    umsponnen 
(etwa  200mal  nat.  Gr.). 


hervor,  daß  der  Baum  den  Waldboden  auf  diese  Weise 
weit  besser  auszunützen  vermag,  als  wenn  seine  Wurzel- 
enden wie  bei  den  meisten  anderen  Pflanzen  mit  winzig  kleinen  Wurzelhärchen 
bedeckt  wären.  Daß  dem  wirklich  so  ist,  geht  aus  sorgfältigen  Versuchen 
hervor,  die  von  Naturforschern  angestellt  wurden:  man  säte  Kiefernsamen  teils 
in  gewöhnliche,  teils  in  solche  Walderde,  in  der  man  vorher  alle  Pilzkeime 
sorgfältig  getötet  (kurz:  die  man  „sterilisiert")  hatte.  Während  sich  die  Samen 
in  der  pilzhaltigen  Walderde  schnell  zu  kräftigen  Pflanzen  entwickelten,  blieben 
die  im  pilzfreien  Boden  erwachsenen  stark  zurück.  Einige  der  kümmerlichen 
Pflänzchen  goß  man  nun  nachträglich  mit  Wasser,  in  das  man  etwas  Walderde 
gebracht  hatte,  und  das  demnach  zahlreiche  Pilzkeime  enthielt,  und  siehe  da, 
die  Kiefern  gediehen  sofort  zusehends;  die  anderen  kränkelnden  Pflänzchen 
dagegen  begannen  bereits  nach  2  Jahren  —  abzusterben.  (Versuche,  die  an 
Buchen  angestellt  wurden,  führten  zu  demselben  Ergebnis.  Im  einzelnen  sind 
aber  die  Beziehungen  zwischen  Pilz  und  Wurzel  noch  ziemlich  unbekannt.) 

B.  I.  Stamm  und  Zweige  sind  in  der  Jugend  von  einer  rötlichen  Rinde 
bekleidet,  die  sich  in  papierdünnen  Häutchen  ablöst.   Später  werden  sie  von  einer 


282  77.  Familie.    Nadelhölzer. 

dicken,  graubraunen  Borke  bedeckt,  die  in  ansehnlichen  Platten  abblättert.  * 
Da  diese  Hüllen  —  wie  wir  im  letzten  Abschnitte  des  Buches  noch  ausführlicher 
kennen  lernen  werden  —  vorwiegend  aus  Kork  bestehen,  Kork  (Flaschen- 
korke!) aber  für  Wasserdampf  fast  undurchlässig  ist,  so  haben  wir  es  in  den 
Hüllen  mit  einem  Schutzmittel  des  Baumes  gegen  zu  starken  Wasserverlust  zu 
tun.  Ein  solcher  Schutz  ist  aber  für  die  Kiefer,  die  besonders  auf  Sandboden 
oft  mit  dem  größten  Wassermangel  zu  kämpfen  hat,  sicher  von  höchstem  Werte. 

2.  Stamm  und  Zweige  sind  gleich  fast  allen  anderen  Teilen  des  Baumes 
sehr  reich  an  Harz.  Schlägt  man  der  Kiefer  eine  Wunde,  oder  schneidet  man 
nur  eine  ihrer  Nadeln  durch,  so  fließt  dieser  stark  klebrige  Stoff  alsbald  her- 
vor, verschließt  die  Wundstelle  und  verwehrt  somit  den  Pilzsporen,  die  Krank- 
heit und  Fäulnis  erregen,  den  Eintritt.  Außerdem  dient  er  aber  auch  der 
Pflanze  als  ein  Schutzmittel  gegen  den  Angriff  zahlreicher  Tiere.  Wäre  die 
Kiefer  von  Harz  nicht  gleichsam  durchtränkt,  so  würde  sie  sicher  noch  weit 
mehr  unter  Insekten  zu  leiden  haben,  als  dies  jetzt  schon  der  Fall  ist  (s.  S.  289). 
Ob  sie  aber  diesen  vermehrten  Angriffen  standhalten  könnte,  ist  mehr  als 
zweifelhaft  (vgl.  mit  Eibe!).  (Das  Harz  mehrerer  ausgestorbener  Nadelhölzer 
ist  in  dem  Bernstein   erhalten  geblieben.) 

3.  Der  Stamm  der  Kiefer  löst  sich  nicht  wie  z.  B.  der  der  Eiche  in 
mehrere  große  Aste  auf.  Er  verlängert  sich  im  Gegenteil  alljährlich  um  ein 
Stück.  Auf  diese  Weise  entsteht  jener  schlanke  „Schaft",  der  eine  Höhe 
von  fast  50  m  erreichen  kann  und  von  dem  Menschen   so  hoch  geschätzt  wird. 

4.  Am  Ende  des  Stammes  bildet  sich  außerdem  alljährlich  eine  Anzahl 
nuirlförinig  angeordneter  Zweige,  so  daß  der  Baum  aus  soviel  „Stock- 
werken" zusammengesetzt  ist,  als  er  Jahre  zählt.  Diese  Zweige  verlängern 
und  verzweigen  sich  in  derselben  Weise  wie  der  Stamm.  Infolgedessen  über- 
treffen die  älteren  die  jüngeren  stufenweise  an  Länge,  so  daß  der  Baum  die 
Gestalt  einer  rege  lmäßigen  Pyramide  annimmt,  eine  Form,  die  für  die  all- 
seitige Belichtung  von  größtem  Werte  ist  (beweise  dies  näher!).  (Ein  Natur- 
forscher nennt  die  Nadelhölzer  ein  „mathematisches  Geschlecht".  Mit  welchem 
Rechte  tut  er  dies?) 

5.  Im  Forste  stehen  die  Kiefern  so  dicht  nebeneinander,  daß  die  unteren 
Zweige  der  gleichmäßig  emporwachsenden  Bäume  schon  nach  einigen  Jahren  in 
den  Schatten  gestellt  werden.  Wie  man  daselbst  aber  auch  leicht  beobachten 
kann,  verkümmert  die  Kiefer  und  geht  schließlich  gänzlich  ein,  sobald  sie  von 
einem  Baume  beschattet  wird.  Sie  ist  im  Gegensatz  zu  den  Schatte  npflanzen, 
die  mit  einer  geringen  Lichtmenge  fürlieb  nehmen  (Beispiel!),  ein  „Licht- 
baum", der  nur  im  vollen  Genüsse  des  Sonnenlichtes  gedeiht.  Wie  dem  ganzen 
Baume,  ergeht  es  aber  auch  den  beschatteten  unteren  Zweigen:  sie  sterben 
ab  und  lösen  sich  vom  Stamme  (der  Forstmann  sagt:  „die  Kiefer  reinigt  sich"). 
So  entstehen  die  Bäume  mit  dem  hohen,  astlosen  unteren  Stammteile  und  der 
kleinen,  pyramidenförmigen  Krone,  wie  sie  uns  im  Walde  überall  entgegentreten. 

Im  hohen  Alter   nimmt  die  Krone    dieser  Bäume   eine  andere   Form   an. 


Kiefer. 


283 


Da  der  „Zuwachs"  am  oberen  Stammende  und  an  den  jüngeren  Zweigen  geringer 
als  an  den  unteren  ist,  so  breitet  sich  die  Krone  aus  und  wird  schließlich 
schirmförmig.  Solche  alten,  ehrwürdigen  Bäume,  die  wie  Riesen  über  den 
Wald  emporragen,  haben  dann  fast  die  Gestalt  einer  Pinie  (s.  das.) 

Da  im  dichten  Kiefernwalde  selbst  am  teilen  Tage  ein  Halbdunkel  herrscht,  so 
finden  sich  am  Boden  auch  nur  wenig  lichtbedürftige  Pflanzen  (welche  hast  du  ange- 
troffen?). Vor  allen  Dingen  fehlt  das  Unterholz  des  Laubwaldes,  so  daß  der  Kiefern- 
bestand etwas  Einförmiges  und  Eintöniges  erhält.  Mit  dem  Fehlen  der  „Waldpflanzen" 
und  des  Unterholzes  hängt  wieder  die  große  Armut  an  Tieren 
zusammen,  besonders  an  Vögeln,  die  sich  von  »Samen  und 
Beeren  nähren  und  den  Laubwald  besonders  im  Frühjahre 
mit  ihrem  Gesänge  erfüllen.  Daher  die  große  Stille  im 
Kiefernwalde  und  der  schwermütige  Eindruck,  den  er  auf 
uns  macht.  (Welche  Vögel  sind  ständige  Bewohner  des  Kiefern- 
waldes ?  Wie  linden  sie  dort  ihre  Nahrung  ?  Beobachte,  wie 
sich  an  lichten  Stellen  sofort  PÜanzenwuchs  einstellt !) 

Ist  die  Kiefer  dagegen  auf  einem  freien  Stande 
erwachsen,  so  sterben  die  untersten  Zweige  (wie  bei 
allen  Bäumen)  infolge  Lichtmangels  zwar  gleichfalls  ab. 
Die  Krone  aber  bleibt  groß  und  zeigt  lange  Zeit  die 
ursprüngliche  Pyramidenform.  Später  rundet  sie  sich 
aber  mehr  und  mehr  ab,  so  daß  die  Kiefer,  aus  der 
Ferne  gesehen,  oft  ganz  den  Eindruck  eines  Laub- 
baumes macht.  (Beobachte  Kiefern,  die  am  Waldrande 
stehen,  also  einseitig  beleuchtet  werden!) 

6.  Anfangs  Mai  lassen  die  jungen  Zweig  lein 
(„Maitriebe")  die  Kiefer  wie  einen  mit  zahlreichen 
Kerzen  geschmückten  Weihnachtsbaum  erscheinen.  Ein 
solcher,  sich  entwickelnder  Zweig  (zerbrich  ihn!)  ist 
außerordentlich  zart  und  saftreich,  und  daher  auch  gegen 
zu  starke  Wasserabgabe,  sowie  gegen  die  Unbilden  der 
Witterung  vortrefflich  geschützt:  er  steht  nicht  allein 
wie  z.  B.  die  jungen  Blätter  der  Roßkastanie  (s.  S.  43,  c) 
senkrecht,  sondern  ist  auch  von  einer  besonderen 
Hülle  umgeben,  die  die  Stelle  von  Knospenschuppen 
vertritt  (s.  S.  41,  B).  Die  Hülle  ist  von  zahlreichen, 
häutigen,  rostfarbenen  Blättchen  gebildet,  die 
am  Rande   ausgefranst  und   so   untereinander  verfilzt 

und  verklebt  sind,  daß  sie  gleichsam  einen  Mantel  für  das  schutzbedürftige 
Zweiglein  bilden.  Streckt  sich  der  Trieb  weiter  in  die  Länge,  so  zerreißt  der 
„Mantel",  bis  schließlich  die  häutigen  Blättchen  bedeutungslos  werden  und,  ein- 
zeln oder  zu  Gruppen  vereinigt,  abfallen.  Nach  einiger  Zeit  verlassen  die 
jungen  Zw. -ige  auch  ihre  „Schutzstellnng",  um  immer  mein-  die  Richtung  der 
ausgebildeten  anzunehmen. 


jungei 
Kiefer. 


Kurztrieb    der 

Er  stein  in  der 
Achsel  eines  rostfarbenen 
Blättchens  (r.B.),  .las  den 
Mantel  des  jungen  Lang- 
i  liebes  i  ..Maitriehes"  |  bil- 
di  ii  hilft  und  ist  \  on  einem 
/weiten  Mantel  umhüllt. 
der  ans  silberweißen  Blätt- 
ehen 's.  B.  besteht.  Der 
Mantel  isi  an  der  Spitze 
durch  die  hervorbrechen- 
den Nadeln  N.)  bereits  ge 
sprengt.  Etwa  8  mal 
vergr. 


284  77.  Familie.    Nadelhölzer. 

Wenn  der  „Mantel"  zerreißt,  läßt  sich  deutlich  erkennen,  daß  jedes 
häutige  Blättchen  in  seiner  Achsel  ein  winziges  Gebilde  trägt,  aus  dem  sich 
später  je  ein  Nadelpaar  entwickelt.  Nun  kommen  aber  (untersuche  darauf  jede 
beliebige  Pflanze!)  aus  den  Achseln  der  Blätter  nicht  etwa  andere  Blätter, 
sondern  stets  Zweige  hervor,  ein  Zeichen,  daß  wir  es  in  jenen  Gebilden  gleich- 
falls mit  Zweigen  zu  tun  haben.  Im  Gegensatze  zu  dem  ganzen  „Maitriebe", 
der  sich  stark  in  die  Länge  streckt,  bleiben  diese  Zweiglein  allerdings  sehr 
kurz.  Es  sind  „Kurztriebe",  während  der  größere  Zweig,  dem  sie  aufsitzen, 
einen  „Langtrieb"  darstellt  (s.  S.  160,  A).  —  Viel  länger  als  das  Zweig- 
stück des  Kurztriebes  sind  seine  beiden  Blätter,  die  nach  ihrer  Form  als 

C.  Nadeln  bezeichnet  werden.  1.  Jetzt,  da  der  Langtrieb  noch  im  Wachsen 
begriffen  ist,  sind  die  Blätter  außerordentlich  zarte  Gebilde.  Ihnen  kommen 
daher  außer  den  erwähnten  Schutzmitteln  des  Langtriebes  die  häutigen  silber- 
weißen Blättchen  sehr  wohl  zustatten,  die  am  Grunde  des  Kurztriebes  ent- 
springen und  gleichsam  einen  zweiten  Mantel  bilden.  Wenn  sich  etwa  Ende 
Mai  der  Langtrieb  stark  zu  strecken  beginnt,  durchbrechen  die  Nadeln  ihre 
Schutzhülle  und  treten  ins  Freie.  Die  silberweißen  Blättchen  lösen  sich  nunmehr 
zu  spinngewebartigen  Fäden  auf  und  gehen  bis  auf  Beste,  die  am  Grunde  der 
Nadeln  zurückbleiben,  bald  verloren. 

2.  Stellt  man  durch  ein  Nadelpaar,  so  lange  es  noch  von  der  Schutz- 
scheide umhüllt  ist,  einen  Querschnitt  her,  so  sieht  man,  daß  sich  die  Nadeln 
in  den  Raum  eines  Kreises  teilen  müssen.  Infolgedessen  hat  der  Querschnitt 
jeder  Nadel  —  auch  der  ausgebildeten — die  Form  eines  Halbkreises. 

3.  Die  Blätter  sind  diejenigen  Teile  der  Pflanzen,  die  das  meiste  Wasser 
verdunsten.  Da  nun  die  Kiefer  auf  sehr  trockenem  Boden  auszuhalten  vermag, 
so  werden  wir  wie  bei  anderen  Trockenlandpflanzen  (Beispiel!)  auch  an 
ihren  Blättern  Einrichtungen  finden,  die  auf  einen  sparsamen  Wasser- 
verbrauch  hinweisen : 

a)  Infolge  der  Nadelform  hat  das  Blatt  eine  verhältnismäßig  kleine 
verdunstende  Oberfläche  (vgl.  S.  78,  a). 

b)  Die  Außenwand  der  Oberhautzellen  ist  —  wie  man  bei  mikroskopischer 
Betrachtung  dünner  Querschnitte  sieht  —  stark  verdickt.  Infolgedessen  ist  sie  für 
Wasserdampf  schwer  durchdringbar  und  läßt  die  Nadel  hart  und  trocken  erscheinen. 

c)  Spaltöffnungen,  durch  die  die  Verdunstung  des  Wassers  am 
stärksten  erfolgt,  sind  in  sehr  geringer  Zahl  vorhanden.  Da  sie  zudem  tief  in 
die  Oberhaut  eingesenkt  sind,  befindet  sich  über  ihnen  ein  windstiller  Raum,  eine 
Einrichtung,  die  wir  bereits  bei  dem  Heidekraut  kennen  gelernt  haben. 

4.  Die  Kiefer  verliert  alljährlich  im  September  einen  größeren,  und  im 
Oktober  und  November  einen  kleineren  Teil  ihrer  Blätter.  Da  die  einzelne 
Nadel  aber  2—3  Jahre  alt  wird,  so  erscheint  die  Kiefer  immergrün.  Sie 
unterscheidet  sich  in  diesem  Punkte  also  wesentlich  von  den  Laubbäumen  unserer 
Heimat,  die  sich  im  Herbste  ihrer  gesamten  Blätter  entledigen  müssen,  um 
nicht  während  des  Winters  zu  vertrocknen  und  unter  der  Schnee- 


Kiefer. 


last  zusammen  zu  brechen  (s.  S.  91,  c).  Wie  wir  soeben  gesehen  haben, 
ist  die  Kiefernadel  aber  so  vortrefflich  gegen  zu  starke  Wasserdampfabgabe 
geschützt,  daß  die  erstere  Gefahr  für  den  Baum  ganz  ausgeschlossen  ist.  Auch 
der  zweiten  Gefahr  ist  die  Kiefer  in  weit  geringerem  Grade  ausgesetzt  als  ein 
Laubbaum;  denn  zwischen  den  nadeiförmigen  Blättern  vermögen  sich  bei 
weitem  nicht  so  große  Schneemassen  anzuhäufen  als  in  der  dichten  Blätter- 
krone z.  B.  der  Linde  oder  der  Roßkastanie. 

Selbstverständlich  ist  die  Schneelast,  die  die  Kiefer  zu  tragen  hat,  aber 
viel  größer   als   die,  die  auf  einem  unbelaubten  Baume  ruht.    Daher  sind  auch 

—  wie  hier  nachzutragen  ist  —  die  Kiefernäste  auffallend  dick  und  sehr  bieg- 
sam. Trotzdem  aber  hat  der  Kiefernwald  nicht  selten  unter  beträchtlichem 
„Schneebruch"  zu  leiden. 

Im  Herbst  verlieren  unsere  Laubbäume  durch  den  Blattfall  eine  große 
Menge  von  Stoffen,  die  im  Frühjahr  wieder  ersetzt  werden  müssen.  Die  Kiefer 
dagegen  behält  ihre  Blätter  mehrere  Jahre  hindurch.  Sie  braucht  daher  dem 
Boden  auch  nicht  eine  solche  Menge  von  Nährstoffen  zu  entziehen 
als  ein  Laubbaum  mit  derselben  Blattmasse,  eine  Tatsache,  die  bei  der  Nahrungs- 
armut des  Bodens,  auf  dem  die  Kiefer  zumeist  wächst,   wohl   zu  beachten  ist. 

—  Auch  insofern  befindet  sich  die  Kiefer  den  Laubbäumen  gegenüber  im  Vor- 
teil, als  sie  im  Frühjahre  sofort  die  Arbeit  beginnnen  kann, 
während  jene  erst  die  Blätter,  d.  h.  die  Werkstätten  bilden  müssen,  in  denen 
die  Verarbeitung  der  rohen  Nährstoffe  erfolgt. 

Die  abgefallenen,  harten  und  harzreichen  Nadeln  verwesen  nur  sehr  langsam. 
Infolgedessen  hänfen  sie  sich  nach  und  nach  zu  einer  dicken  Schicht  an,  aus  der  nur 
wenige  Pflanzen  Nahrung  zu  entnehmen  vermögen.  Dieser  Umstand  erklärt  uns  neben 
der  geringen  Belichtung  die  Pflanzenarmut  des  Kiefernwaldes  hinreichend  erklärt.  Nach 
erfolgter  Verwesung  liefern  die  Nadeln 
jedoch  dieselbe  frachtbare  Humuserde 
wie  die  Laubblätter.  In  den  modern- 
den Nadelmassen  finden  Pilze,  Fichten- 
spargel und  andere  „Yerwesungspflan-  ...';/ 
zen"    gunstige  Lebensbedingungen;    da-  .v." 

her  auch  der  auffallende  Reichtum  des  ; .  •' 

Kiefernwaldes  an  diesen  Gewächsen.  .  r".'\; 

D.   Blüten.     Bei   der  Kiefer      "'-'• 
sind  Staubblätter  und  Samenanlagen 
auf    verschiedene    Blüten    verteilt; 
sie  ist  also  wie  z.  B.  der  Haselnuß- 
strauch eine  einhäusige  Pflanze. 

1.  Die  Staubblüten  finden 
sich  in  größerer  Anzahl  am  Grunde 
der  jungen  Triebe  und  sehen  den 
Kätzchen  der  Laubbäume  ähnlich. 
Wie    die  zweinadeligen  Kurztriebe,    (Fig.  1  etwa  lOmal,  Fig.  2  a.  3etwa  12 mal  vergr.) 


50- 


Staubblüte  der 
Kiefer. 

1  Die  stäubende  Blüte, 
am  Grunde  drei  Hüll- 
blättchen.  2  Ein  ge- 
schlossenes   u.    3  ein 

entleertes  St auhldat t 


286 


Familie.    Nadelhölze] 


deren  Stelle  sie  einnehmen,  entspringen  sie  ans  der  Achsel  je  eines  häutigen 
Blattes,  das  ihnen  mitsamt  3  weiteren  Blättchen  in  der  Jugend  als  schützende 
Hülle  dient.  An  der  Blütenachse  stehen  zahlreiche  gelbe  Staubblätter,  die  — 
wie  man  bei  Lupenvergrößerung  sehen  kann  —  auf  der  Unterseite  je  2  große 
Staubbeutelfächer  tragen. 

2.  Die  Samenblüten  stehen  als  kleine,  rötliche  „Zapfen"  an  der  Spitze 
der  jungen  Triebe  und  sind  anfänglich  von  zahlreichen  braunen  Schuppen,  die 
dem  Stengel  ansitzen,  schützend  umhüllt.  Führen  wir  durch  den  Zapfen  einen 
Längsschnitt,  so  sehen  wir,  indem  wir  uns  wieder  der  Lupe  bedienen,  wie  an 

einer  Längsachse  zahlreiche  fleischige 
Blätter  entspringen,  die  wieder  auf  der 
Unterseite  je  ein  häutiges  Blättchen  tragen. 
Auf  der  Oberseite  sind  die  fleischigen 
..Fruchtblätter  oder  Fruchtschuppen"  mit 
einem  vorspringenden  Kiele  versehen, 
neben  dem  am  Grunde  der  Schuppen  die 
beiden  Samenknospen  oder  Samenanlagen 
zu  linden  sind.  AVährend  bei  den  bis- 
her betrachteten  Pflanzen  die  Samen- 
knospen in  einem  Gehäuse  (Fruchtkno- 
ten) eingeschlossen  sind,  das  aus  einem 
Fruchtblatte  oder  aus  mehreren  Frucht- 
blättern gebildet  ist,  liegen  hier  die 
winzigen  Gebilde  frei  auf  dem  Frucht- 
blatte („nacktsamige  Pflanzen"  oder 
Gymnospermen  im  Gegensatz  zu  den 
„bedecktsamigen  Pflanzen"  oder  Angios- 
permen). —  Da  der  gereifte  Frucht- 
knoten die  Frucht  darstellt,  so  haben  wir 
es  in  den  gereiften  Samenanlagen  also 
nicht  mit  Früchten,  sondern  nur  mit 
Samen  zu  tun.  Ebensowenig  ist  auch 
der  entwickelte  Zapfen  eine  Frucht. 

Weitere     Einzelheiten     über     die 
beiden  Blütenarten  lernen  wir  kennen,  wenn  wir 

3.  die  Bestäubung  verfolgen.  Sie  wird  wie  z.  B.  beim  Haselnußstrauche 
durch  den  Wind  vermittelt  und  kann  umso  sicherer  erfolgen,  als  die  Kiefer 
wie  jene  Pflanze  zumeist  in  großen  Beständen  auftritt  (s.  S.  192,  g). 

I.  Die  Staubblüten  sind  wie  die  Blüten   aller   windblütigen  Pflanzen 

a)  unscheinbare,  duft-  und  honiglose  Gebilde  (s.  S.  192,  a). 

b)  Sie  finden  sich,  wie  wir  gesehen  haben,  in  größerer  Anzahl  am  Grunde 
der  jungen  Triebe.  Sie  stehen  also  an  der  Außenseite  der  Baumkrone, 
dem  Winde  vortrefflich  ausgesetzt. 


Samenblüte  der  Kiefer. 
1  Die  ganze  Blüte.  An  dem  Stengel,  der 
sie  trägt,  unten  einige  junge  Kurztriebe 
(Nadelpaare)  und  darüber  mehrere  braune 
Schuppen.  •  2  Fruchtblatt  von  unten  und 
3  von  oben  gesehen.  F.  Fruchtblatt; 
K.  dessen  Kiel;  h.B.  das  häutige  Blätt- 
chen auf  der  Unterseite;  S.  Samenknospe. 
(Fig.  1  etwa  4  mal,  Fig.  2  u.  3  etwa  12 mal 
vergr.  i 


28; 


Blütenstaubkorn    der 

Kiefer   mit   den  beiden 
Luftblasen   L. 
(Etwa  200  niiil   v, 


c)  Der  Blütenstaub  wird  in  sehr  großen  Mengen  erzeugt  (s.  S.  193,  h). 
Der  Wind,  der  durch  die  Zweige  der  blühenden  Kicke  streicht,  entfährt  ihn 
in  ansehnlichen  Wolken,  und  nach  einem  Gewitterregen  sind  die  Waldgewässer, 
sowie  die  Pfützen,  die  sieh  auf  den  Wegen  gebildet  haben,  davon  oft  wie  mit 
einer  gelben  Schicht  überzogen.  „Es  hat  Schwefel  geregnet",  sagen  dann  die 
Leute,  die  sich  die  Herkunft  der  gelben  Massen  nicht  erklären  können. 

d)  Schüttelt  man  einen  blühenden  Zweig  und  fängt  den  Blütenstaub  durch 
ein  Blatt  Papier  auf,  so  sieht  man,  daß  er  ein  trockenes  Pulver  dar- 
stellt, das  von  dem  Winde  leicht  verweht  werden  kann  (s.  S.  193,  i). 

e)  Zudem  trägt  jedes  Staubkorn  jederseits  eine  luftgefüllte  Blase,  die 
als  Flugwerkzeug  dient.  Wie  lauge  der  Blütenstaub  durch  diese  luftballon- 
artigen Gebilde  schwebend  erhalten  wird,   geht  daraus 

hervor,  daß  man  ihn  häufig  in  stehenden  Gewässern 
lindet,  in  deren  Umkreise  oft  auf  Meilen  hin  keine 
Kiefer  anzutreffen  ist. 

f)  Bei  Windstille  wird  der  aus  den  Staubbeutel- 
fächern  hervorrieselnde  Blütenstaub  auf  der  Ober- 
seite der  darunter  stehenden  Staubblätter 
abgelagert  (s.  S.  192,  e). 

g)  Ist  aller  Blütenstaub  verweht,  dann  vertrock- 
nen die  Staubblüten,  fallen  ab  und  lassen  am  Zweige 
eine  kahle  (nadellose)  Stelle  zurück. 

II.  Die  Samenblüten  sind  wie  die  Staubblüten 

a)  duft-  und  honiglos  und  trotz  ihrer  roten 
Färbung  ganz  unauffällig. 

b)  Sie  nehmen  die  Spitze  der  jungen  Triebe 
ein,  sind  also  dem  Winde  vollkommen   frei  ausgesetzt. 

c)  Da  die  Samenblüten  aufrecht  stehen,  und 

d)  die  Fruchtschuppen  sich  zur  Blütezeit 
auseinander  tun,  vermag  der  trockene  Blüten- 
staub leicht  zu  den  Samenanlagen  hinabzurollen.  Dies 
erfolgt  nun  umso  sicherer,  als  er  von 

e)  den  Kielen  der  Fruchtschuppen  gleichsam 
dem  Orte  seiner  Bestimmung  geleitet  wird.  Dort  ge- 
langt er  zwischen 

f)  die  Fortsätze,  zu  denen  die  Hülle  der 
Samenanlage  ausgezogen  ist.  AVenn  sich  diese  Furtsätze  später  einrollen, 
kommt  der  Blütenstaub  mit  der  Samenanlage  selbst  in  innigste  Berührung,  so 
daß  eine  Vereinigung  beider  erfolgen  kann.  Dieser  als  „Befruchtung"  be- 
zeichnete Vorgang  erfolgt  bei  der  Kiefer  aber  erst  13  Monate  nach  der  Be- 
stäubung. 

E.  Zapfen  und  Samen.  1.  Die  zarten  Samenanlagen  und  Blütenstaub- 
körnchen, sowie  die  sich  ausbildenden  Samen  dürfen  den  Unbilden  der  Witterung 


Staubblätter  d.  Kiefer, 

senkrechl  durchschnitt. 
Aus  den  Staubbeutel- 
fächern rieselt  Blüten- 
staub hervor,  der  auf 
der  Oberseite  des  dar- 
unter stehenden  Blattes 
abgelageri  wird, 
i  Etwa  15  mal  vet 


288 


77.  Familie.    Nadelhölzer. 


aber  unmöglich  ausgesetzt  sein.  Die  fortwachsenden  Fr u entschuppen 
schließen  sich  daher  nach  erfolgter  Bestäubung,  und  ihre  Ränder  verkleben 
durch  Harz. 

2.  Im  1.  Jahre  vergrößert  sich  der  Zapfen  nur  wenig.  Er  senkt  sich 
aber  langsam,  bis  seine  Spitze  schließlich  nach  unten  gerichtet  ist.  Im 
2.  Jahre  wächst  er  umso  schneller.  Die  bisher  grünen  Fruchtschuppen 
verholzen  jetzt  und  nehmen  eine  braune  Färbung  an.  Im  März  oder  April 
des  3.  Jahres  endlich  trocknen  die  Schuppen  so  stark  ein,  daß  sie  ausein- 
ander spreizen. 

3.  Da  nun  die  Zapfen  herabhängen,  so  fallen  die  ausgereiften  Samen 
sofort  heraus.  Die  federleichten,  mit  einem  flügeiförmigen  Anhange  aus- 
gerüsteten Gebilde  werden  vom  Winde  ergriffen  und  wie  die  Teilfrucht  des 
Ahorns   (s.  S.  48)  oft   weithin   verweht.      Sind  sämtliche   Samen   ausgesät,   so 

fallen  auch  die  Zapfen  herab.    (Warum  dürfen  sie  sich  nicht  vor 
dem  Ausfallen  der  Samen  vom  Baume  lösen?) 

4.  Würden  die  Samen  durch  anhaftende  Regentropfen 
beschwert,  so  müßte  ihre  Verbreitung  stark  beeinträchtigt 
werden:  Daher  öffnet  sich  der  Zapfen  auch  nur  bei  trockenem 
Wetter,  und  der  bereits  geöffnete  schließt  sich  wieder,  so- 
bald er  befeuchtet  wird.  Selbst  schon  entleerte,  abgefallene 
Zapfen  haben  diese  Eigenschaft  noch  nicht  verloren  (Versuche!). 

5.  Die  Samen  keimen  mit  5  oder  6  nadeiförmigen  Keim- 
blättern. 

F.  Bedeutung:.  Da  die  Kiefer  eine  überaus  „genügsame" 
Pflanze  ist,  so  vermag  der  Mensch  mit  ihrer  Hilfe  selbst 
dem  unfruchtbarsten  Sandboden,  auf  dem  keine  andere 
N u tzp fl anze  mehr  gedeiht,  noch einenEr  trag  abzuringen. 
Ohne  sie  wären  die  weiten  Ebenen,  die  sie  mit  dich- 
tem Walde  bedeckt,  zum  größten  Teile  öde  Wüsten- 
eien, in  denen  oft  kaum  ein  Mensch  leben  könnte.  Sie  liefert  ein  wich- 
tiges Bau-,  Werk-  und  Brennholz.  Aus  dem  gesammelten  Harze,  das 
durch  Einschnitte  in  die  Rinde  zum  vermehrten  Ausfließen  gebracht  wird,  ge- 
winnt man  durch  Destillation  das  Terpentinöl,  das  besonders  zum  Auflösen 
von  Harzen  (Lacken)  verwendet  wird.  Der  Rückstand  bei  diesem  Verfahren 
ist  das  Geigenharz  oder  Kolophonium.  Siedet  man  das  Harz  in  Kesseln 
(trockene  Destillation),  so  erhält  man  das  Pech,  das  als  „Faßpech"  allgemein 
bekannt  ist.  Sehr  harzreiches  Holz  („Kienholz")  gibt  beim  Verbrennen  den 
Kienruß,  der  zur  Herstellung  von  Druckerschwärza,  Stiefelwichse  und  dgl. 
Verwendung  findet.  Die  frisch  vom  Baum  gepflückten  Nadeln  werden  zu  sog. 
Wald  wolle  verwendet,die  ein  gutes  Polstermaterial  abgibt.  Die  abgefallenen 
Nadeln  dienen  als  Streu  für  das  Vieh  und  dann  als  Dünger  für  den  Acker. 
Indem  die  Nadelschicht  unter  den  Bäumen  verwittert,  wird  der  öde  Sandboden 
nach  und  nach  an  nährenden  Bestandteilen  reicher,  so  daß  im  Laufe  langer  Zeit- 


Kiefer.     Pichte, 


2S0 


räume  schließlich  ein  fruchtbares  Ackerland  daraus  hervorgeht.  Mit  der 
Kiefer  ist  also  das  Wohl  und  Wehe  zahlreicher  Menschen  aufs 
innigste   verknüpft.     Daher  sind  die  zahlreichen 

(i.  Feinde,  die  den  wichtigen  Baum  oft  in  verheerender  Weise  heimsuchen, 
auch  Feinde  des  Menschen.  Am  geringsten  ist  noch  der  Schaden,  der  der  Kiefer 
von  den  größeren  Waldtieren  zugefügt  wird.  Es  sei  hier  nur  auf  Hirsch, 
lieh,  Wildschwein,  Eichhörnchen  und  andere  Nager,  sowie  auf  die  Vögel  ver- 
wiesen, die  sich  von  Waldsämereien  nähren  (nenne  solche!).    Weit  gefährlicher 


schmarotzen.  Mit  ihnen  wetteifert  ein  Heer  von  Insekten?  von  denen  wieder 
Kiefernspinner,  Nonne,  Kiefernspanner  und  Maikäfer,  sowie  mehrere  Rüssel- 
käfer, Blattwespen  und  Borkenkäfer  die  verderblichsten  sind.  Treten  diese 
kleinen,  aber  gefährlichen  Feinde  in  Massen  auf,  so  fallen  ihnen  selbst  ausge- 
dehnte Wälder  zum  Opfer.  Der  Mensch  ist  gegen  diese  Zerstörer  vielfach  gänz- 
lich machtlos.  Desto  mehr  räumen  unter  ihnen  aber,  abgesehen  von  Krank- 
heiten   und   Witterungseinttüssen,   die   insektenfressenden  Vögel  (nenne  solche!) 


und  die  wichtigen  Schlupfwespen  auf. 
der  beste  —Waldschutz!  (Näheres 
über  die  erwähnten  Tiere  s.  „Lehr- 
buch der  Zoologie".) 

Andere  Nadelhölzer. 

1 .  Gruppe.  Fichtenartige 
Nadelhölzer.  Nächst  der  Kiefer  hat 
nnter  allen  Nadelbäumen  die  Fichte 
(  Picea  excelsa)  für  uns  die  größte  Bedeu- 
tung (Beweis!).  .Sie  ist  der  „Christ-, 
Weihnachts-  oder  Tannenbaum",  der  lich- 
tergeschmückt  das  schönste  unserer  Feste 
verherrlichen  hilft.  Besonders  im  Gebirge 
bildet  sie  ausgedehnte  Wälder.  Mit  den 
oberflächlich  verlaufenden  Wurzeln  um- 
klammert sie  gern  die  Felsblöcke.  So 
findet  sie  selbst  in  einer  dünnen  Erd- 
schicht den  nötigen  Halt.  Da  ihr  aber 
eine  Pfahlwurzel  fehlt,  wird  sie  besonders 
in  der  Ebene  leicht  vom  Sturm  entwurzelt. 
Bei  freiem  Stande  reichen  die  untersten 
Zweige  bis  zum  Boden  herab,  so  daß  der 
stolze  Baum  eine  mächtige  Pyramide  bil- 
det. Im  (iegensatz  zur  Kiefer,  mit  der  die 
Fichte  in  den  meisten  Punkten  völlig  über- 
einstimmt (Beweis !),  sind  ihre  Zweige  sämt- 
lich „Langtriebe",  die  rings  von  Blättern 
(Nadeln)  umgeben  sind.  Da  nun  Blätter 
-  c  ii  raeil,  r.clirlnirli  der  Botanik. 


Ein   Schutz  dieser  Tiere  ist  also 


Ein  Zweiglein  der  Fichte  mit  4  jungen 
Trieben:  1  ist  noch  vollständig  von  häutigen 
Blättchen  umhüllt  ;  bei  2  werden  die  Blatt- 
eten als  Kappen  abgeworfen;  bei  3  ist   dies 

bereits  geschehen  mal.  Grl 

19 


290 


77.  Familie.    Nadelhölzer. 


nie  aus  den  Achseln  anderer  Blätter  entspringen,  so  fehlen  den  jungen  Fichtentrieben  auch 
die  häutigen  Blättchen,  aus  deren  Achseln  die  nadeltragenden  Knrztriebe  der  Kiefer  hervor- 
gehen. Die  Fichtentriebe  bedürfen  aber  gleichfalls  eines  „Knospenschutzes. *  Ein  solcher  ist 
auch  vorhanden  :  er  wird  von  zahlreichen  häutigen  Blättchen  gebildet,  die  sich  am  Grunde  des 
Triebes  finden,  ihn  vollständig  umhüllen  und  später  in  Form  einer  Kappe  abgeworfen  werden. 
—  Ein  ausgesprochener  Gebirgsbaum  ist  die  Tanne  (Abies  pectinäta),  die  wegen  ihres 
edlen  Wuchses  und  zum  Unterschiede  von  der  sehr  ähnlichen  Fichte  allgemein  Edel- 
tanne genannt  wird.  Von  der  rotrindigen  Fichte,  der  „Rottanne",  unterscheidet  sie 
sich  le'cht  durch  die  glatte,   weiße    Rinde   des    säulenförmigen    Stammes    und   die    zwei- 


Zwergkiefer  im  Hochgebirge. 


zeilig  gestellten  Nadeln,  die  auf  der  Unterseite  2  weiße  Streifen  besitzen  (daher  auch 
..Silber-  oder  Weißtanne"  genannt).  Diese  Streifen  sind  mit  Wachs  ausgefüllte 
Rinnen,  in  denen  sich  die  Spaltöffnungen  finden.  Da  Wachs  nicht  vom  Wasser  be- 
netzt wird  (Versuch!),  können  infolgedessen  die  Spaltöffnungen  von  anhaftenden  Regen- 
tropfen auch  nicht  verschlossen  werden.  Der  notwendige  Gasaustausch  erfährt  daher 
selbst  bei  Befeuchtung  der  Nadeln  keine  Unterbrechung.  Im  weiteren  Gegensatze 
zur  Fichte  hat  die  Tanne  aufrecht  stehende  Zapfen.  Würden  daher  bei  der  Reife 
wie  bei  unsern  anderen  „zapfenfrüchtigen"  Nadelbäumen  nur  die  Fruchtschnppen  aus- 
einander spreizen,  so  könnten  die  Samen  aus  ihren  Verstecken  nicht  herausfallen.  Dies 
ist  aber  unbedingt  nötig,  da  die  geflügelten  Gebilde  ja  durch  den  Wind  verbreitet 
werden.  Die  Fruchtschuppen  lösen  sich  daher  zur  Zeit  der  Samenreife  von  der  Zapfen- 
achse ab. 

In  den  Alpen  und  den  höheren  Mittelgebirgen  Deutschlands  findet  sich  dort,  wo 
kaum  noch  ein  anderer  Baum  gedeiht,  die  Zwergkiefer  (Pinus  montäna).  Sie  bildet 
meist  niederliegende  Büsche  und  wird  daher  auch  Knieholz,  Krummholz,  Legföhre  oder 
(in  den   Alpen)   Latsche   genannt.      Infolge  dieser   Gestalt    wird    sie   von    den    riesigen 


Tanne.  Zwerg-  u.  Weymouthskiefer.    Pinie.  Lärche.    Ceder.    Wacholder. 


291 


Schneemassen,  die  sich  während  des  langen  Winters  in  ihrem  Wohngebiete  anhäufen,  voll- 
ständig zugedeckt,  und  da  ihre  Zweige  außerordentlich  biegsam  sind,  wird  sie  zugleich 
ganz  zu  Boden  gedrückt.  Wie  ein  Rosenstamm,  den  wir  im  Herbste  „umlegen",  wird 
sie  auf  diese  Weise  den  austrocknenden  Winterstürmen  völlig  entzogen  (s.  S.  42  u.  92). 
In  unsern  Anlagen  findet  sich  sehr  häufig  die  Weymouthskiefer  (P.  strobus).  Sie 
stammt  aus  Nordamerika  und  ist  an  den  5  langen,  zarten  Nadeln  leicht  zu  erkennen. 
— ■  Ein  sehr  charakteristischer  Baum  in  dem  Landschaftsbilde  des  Mittelmeergebiets  ist 
die  Pinie  (P.  pinea).  Sie  trägt  auf  säulenförmigem  Stamme  eine  breite,  schirm- 
förmige Krone. 

Gleich  der  Tanne  ist  die  Lärche  (Larix  europsea)  ein  Gebirgsbanm,  der  aber 
nur  in  den  Alpen  größere  Wälder  bildet.  Wegen  des  schlanken  Wuchses  und  der  zier- 
lichen Benadelung  wird  er  in  Parkanlagen  überall  gern  angepflanzt.  Die  Nadeln  finden 
sich  an  den  Langtrieben  einzeln  und  an  den  Kurztrieben  in  Büscheln.  Da  sie  sehr  zarte 
und  weiche  Gebilde  sind  und  infolgedessen  viel  mehr  Wasser  durch  Verdunstung  verlieren 
als  z.  B.  die  harten  Nadeln  der  Kiefer,  so  ist  die  Lärche  genötigt,  im  Herbste  ihre  sämtlichen 
Blätter  abzuwerfen  und  den  Winter  unbeblättert  wie  unsere  Laubbäume  zu  überdauern. 
—  Dieselbe  Verteilung  der  Nadeln  ist  der  Ceder  des  Libanon  (Cedrus  libani)  eigen, 
die  nicht  nur  auf  dem  Libanon,  sondern  auch  in  Kleinasien  und  auf  Cypern  anzutreffen 
ist.  Dieser  immergrüne,  hoch- 
berühmte Baum,  der  das  ehr- 
würdige Alter  von  3000  Jah- 
ren erreicht,  lieferte  der- 
einst Salomo  das  Holz  zum 
Tempelbau.  Die  mächtigen 
Wälder,  die  die  Abhänge 
des  Libanon  früher  bedeck- 
ten, hat  menschliche  Hab- 
gier   aber    fast    vernichtet. 

2.  Gruppe.  Zy- 
pressenartige Nadel- 
hölzer. Der  Wacholder 
(Juniperus  communis)  ist  ein 
immergrüner  Strauch  oder 
Baum,  der  selbst  mit  dem 
unfruchtbarsten  Boden  für- 
lieb  nimmt.  An  freien  Stel- 
len bildet  er  meist  niedrige 
Büsche,  deren  Zweige  sich 
nicht  selten  dem  Boden  eng 
anschmiegen.  Als  Unterholz 
im  Walde  dagegen  wächst  er 
zu  schlanken  Pyramiden  em- 
por, die  oft  mehrere  Meter 
hoch  werden.  Während  er 
nämlich  im  Walde  unter 
den  austrocknenden  Winden 
kaum  zu  leiden  hat.  sich  also 


Wacholder  mit  jungen 
Trieben.  1  Zweig  mit 
Staubblüten.  2  Zweig  mit 
Samenblüten  (d.s.  die  klei- 
nen Zapfen  in  den  A 
sein  d.  nadelartigen  Blät 
ter)  und  einigen  reifen 
d.  h.  vorjährigen  Beeren 
(Nat.  Gr.) 


2!»2 


77.  Familie.    Nadelhölzei 


unbeschadet  hoch  über  den  Boden  erheben  kann,  ist  er  auf  freien  Stellen  den  Stürmen  schutz- 
los preisgegeben.  Darum  drückt  er  sich  dort  dem  Boden  möglichst  eng  an,  so  daß  er  dem 
"Winde  auch  nur  eine  verhältnismäßig  kleine  Angriffsfläche  darbietet.  Staub-  und  Samen- 
blüten finden  sich  auf  verschiedenen  Pflanzen.  Die  3  obersten  Fruchtblätter  der  Zapfen 
verwachsen  miteinander,  werden  fleischig  und  bilden  bei  der  Samenreife  je  eine  schwarz- 
braune, blaubereifte  Beere,  die  besonders  von  der  Wacholderdrossel  oder  dem  Kram- 
metsvogel gern  verzehrt  wird.  Da  die  Samen  von  einer  steinharten  Schale  umgeben 
sind,  also  durch  die  Verdauungssäfte  nicht  angegriffen  werden,  sind  die  Verzehrer  der 
Beeren  zugleich  die  Verbreiter  der  Pflanze  (s.  S.  64,  a).  Die  stark  aromatisch  riechenden 
Beeren  werden  auch  in  der  Heilkunde,  sowie  als  Küchengewürz  und  Räuchermittel  ver- 
wendet. —  Die  immergrü- 
nen Lebensbäume  (Thuja) 
pflanzen  wir  gern  als  ein 
Bild  der  Hoffnung  auf  die 
Ruhestätten  der  Toten.  Ihre 
prächtigen  Pyramiden  finden 
sich  aber  auch  ebenso  häu- 
fig in  Anlagen.  Der  aus 
Nordamerika  stammende 
abendländische  L.  (Th. 
occidentälis)  verzweigt  sich 
wiederholt  in  wagerechter 
Ebene ;  der  in  Ostasien  hei- 
mische morgenländische 
^^M^^>.  ~  mit  2  reifen  Samen        L.  (Th.  orientälis)   dagegen 

hat  senkrecht  gestellte  Zwei- 
^ ^ s853§|^&j§==^^"  cin     junge]      Zweig        ge.     —    Der    Friedhofsbaum 

/-  mit     einer    Samen-        des     Mittelmeergebiets     ist 

die  dunkle   Zypresse   (Cu- 
pressus    sempervirens).    Sie 
gleicht  im  Wüchse  der  ita- 
lienischen   Pappel    und    ist 
ein  Charakterbaum  der  süd- 
lichen  Landschaft.  —   Zypressenartige   Pflanzen    sind    auch   die   berühmten    Mainmut- 
bäume   Kaliforniens   (Sequöia  gigantea).     Sie    erreichen   die  gewaltige  Höhe   von   mehr 
als  100  m. 


kfto§p 


iL 


Zweig   der   Eibe 

mit  2  reifen  Sa  mm 
(nat.  Gr.)  Daneben 
ein  junger  Zweig 
mit  einer  Samen- 
blüte:  S.  dieSamen- 
ihre  Hülle;  M.  Anlage  des  Samenmantels 
(etwa  20mal  vergr. 


<' 


3.  Gruppe.  Eibenartige  Nadelhölzer.  Diese  Gruppe  ist  bei  uns  allein 
durch  die  Eibe  (Taxus  baccäta)  vertreten,  die  früher  in  den  "Wäldern  unserer  Heimat 
sehr  häufig  war,  jetzt  aber  meist  nur  noch  in  Gärten  und  Parkanlagen  anzutreffen  ist.  Sie 
ist  ein  immergrüner  Strauch  oder  ein  niedriger  Baum,  der  im  Gegensatz  zu  allen  anderen 
Nadelhölzern  vollkommen  harzlos  ist.  Dafür  enthalten  aber  die  zweizeilig  gestellten, 
breiten  Nadeln  ein  scharfes  Gift,  das  sie  gegen  die  Angriffe  der  zahlreichen  Pflanzen- 
fresser schützt.  Die  Samenblüten,  die  sich  von  den  Staubblüten  getrennt  auf  anderen 
Pflanzen  finden,  enthalten  nur  eine  einzige  Samenanlage.  Während  sie  sich  zum  Samen 
ausbildet,  entwickelt  sich  von  ihrem  Grunde  aus  eine  fleischige  Hülle,  ein  sog.  Samen- 
mantel, der  zur  Zeit  der  Reife  fleischig,  saftig  und  von  leuchtend  scharlachroter  Färbung 


Lebensbäume.     Zypres 


Maiiiiiiiitliaiini.     Eibe.      Palmfi 


293 


ist.     Er  dient    wie    das    Frachtfleisch    der    Wacholderbeeren    als    Anlockongsmittel    für 
frachtfressende  Vögel,  die  die  Pflanze  weiter  verbreiten. 

Andere  Familien  der  nacktsamigen  Pflanzen  sind  in  unsenr  Eeimat 
nicht  vertreten.  Erwähnt  seien  daher  hier  nur  die  Palmfarne  (Cycas),  die  vorwiegend 
in  den  Tropen  heimisch  sind  und  bei  uns  vielfach  in  Gewächshäusern  gezogen  werden. 
Ihre  prächtigen  Fiederblätter  sind  die  bekannten  „ Palmenwedel"  oder  „Palnienzweige", 
die  wir  als  ein  Zeichen  der  Trauer  gern   auf  den  Sarg  der  Verstorbenen  legen. 


al  111  In  in  (Cycas  revolüta)  aus  Ostindien.    (Etwa    -/ioo  aat.  Gr.) 


2.  Hauptabteilung.    Blütenlose-  oder  Sporenpflanzen 

(Kryptögamae). 

Pflanzen,  die  keine  Blüten  besitzen  und  deren  Vermehrung  (vorwiegend)   durch  Sporen 

erfolgt. 

I.  Gruppe.    Farnartige  Pflanzen  oder  Gefäß-Sporenpflanzen 

(Pteridöphyta). 

Pflanzen,  die  in  Stengel,  Blätter  und  Wurzeln  gegliedert  sind  und  Gefäßbündel  enthalten. 

1.  Klasse.     Farne  (Filicinae). 

Stengel  einfach  oder  verzweigt,  mit  abwechselnd  stehenden,  meist  mehrfach  gefiederten 

Blättern.     Sporenkapseln  zumeist  zu  Häufchen  vereinigt  auf  der  Unterseite  der  Blätter 

oder  in  besonderen  Blattabschnitten  eingeschlossen. 

Der  Wurmfarn  (Aspidium  filix  mas).     Taf.  35. 

A.  Vorkommen.  Der  Wurmfarn  ist  in  schattigen  Wäldern  tiberall 
häufig  anzutreffen.  Auch  an  den  Ufern  der  Bäche,  die  dicht  mit  Buschwerk 
bestanden  sind,  an  schattigen  Abhängen  und  ähnlichen  Orten  siedelt  er  sich 
gern  an.  Wird  der  Wald  oder  das  Gebüsch,  das  ihn  beschattet,  niedergeschlagen, 
so  daß  er  nunmehr  den  Sonnenstrahlen  direkt  ausgesetzt  ist,  dann  macht  schon 
mit  Beginn  des  Sommers  das  tiefe  Grün  der  Blätter  einem  krankhaften  Gelb 
Platz,  und  oft  schon  nach  wenigen  Jahren  ist  von  den  zahlreichen  Farnstöcken, 
die  vorher  den  Ort  besiedelten,  kaum  noch  einer  mehr  zu  finden.  Dem  Wurm- 
farn ist  wie  allen  Schattengewächsen  eine  zu  starke  Beleuchtung  eben  genau 
so  nachteilig,  wie  den  Sonnenpflanzen  (Beispiel!)  das  Fehlen  der  direkten  Sonnen- 
strahlen. —  Im  Boden  schräg  eingesenkt  findet  sich  der 

B.  Stamm  (Wurzelstock),  der  meist  aus  der  Erde  etwas  hervorragt  und 
daselbst  einen  Büschel  prächtiger  Blätter  trägt  (1).  Sonst  ist  er  dicht  mit  den 
nicht  abfallenden  Stielresten  abgestorbener  Blätter,  sowie  mit  vielen  schwär;  - 
braunen  Schuppen  bedeckt.  Hierzu  kommen  noch  zahlreiche,  faserige  Wurzeln 
die  ihn  wie  mit  einem  Filze  umgeben.  Wie  deutlich  zu  erkennen  ist,  stirbt  der 
Stamm  am  Hinterende  allmählich  ab,  während  er  am  Vorderende  alljährlich  ein 
Stück  weiter  wächst,  eine  Tatsache,  die  schon  aus  der  Anwesenheit  der  zahl- 
reichen Blattstielreste  zu  erkennen  ist.  (Der  von  den  Blattstielresten  be- 
freite Stamm  liefert  ein  wichtiges  Mittel  gegen  den  Bandwurm.     Name!) 


Schmeil,   Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  35. 


Wurmfarn  (Aspidium  filix  inas). 


Tafel  35.    Wurmfarn.  295 

('.  Mütter.  1.  Die  schöngeforinten  Blätter  bilden  zusammen  meist  einen 
regelmäßigen  Trichter,  so  daß  alle  des  belebenden  Sonnenlichts  teilhaftig 
werden.  Diese  Anordnung  der  Blätter  wird  uns  umso  vorteilhafter  erscheinen, 
wenn  wir  bedenken,  daß  am  Standorte  dn  Pflanze  meist  ein  stark  gedämpftes 
Licht  herrscht. 

2.  Da  die  Blattflächen  sehr  dünn  und  zart  sind,  können  sie  von  dem 
schwachen  Lichte  doch  genügend  durchleuchtet  werden.  Derber,  fester  oder  be- 
haarter Blätter,  die  nur  wenig  Wasser  verdunsten,  und  die  wir  daher  bei  zahl- 
reichen Trockenlandpflanzen  antreffen  (Beispiele!),  bedarf  der  Wurmfarn  nicht. 
Im  feuchten  AValdboden  findet  er  stets  Ersatz  für  die  Wasser  mengen,  die  er 
durch  Verdunstung  an  die  Luft  abgibt.  Auch  kann  er  im  Gegensatze  zu  dem 
Efeu,  der  mit  ihm  den  Waldgrund  bewohnt,  der  derben  Blätter  wohl  entbehren ; 
denn  er  überdauert  den  Winter  ja  nicht  im  grünenden  Zustande.  Schon  dem 
ersten  Froste  fallen  seine  zarten  Blätter  zum  Opfer. 

3.  Im  weiteren  Gegensatz  zu  den  meisten  Trockenlandpflanzen  besitzt  der 
Wurmfarn  große  Blattf lachen,  die  ohne  jede  Gefahr  für  ihn  beträchtliche 
Wassermengen  verdunsten  können.  Solche  Blätter  sind  aber  für  die  Pflanze 
nicht  nur  „zulässig",  sondern  von  größtem  Vorteil;  denn  sie  sind  infolge  ihrer 
Größe  trotz  des  schwachen  Lichtes,  das  am  Waldgrunde  herrscht,  imstande, 
eine  genügende  Anzahl  von  Lichtstrahlen  aufzufangen  und  sich  dienstbar  zu 
machen. 

4.  Wenn  auch  der  Wurmfarn  (zumeist)  im  Schutze  der  Bäume  wächst,  sind 
seine  großen  und  zudem  sehr  zarten  Blätter  doch  im  hohen  Grade  der  Gefahr  aus- 
gesetzt, vom  Winde  zerrissen  zu  werden.  Dieser  Gefahr  ist  nun  dadurch  begegnet, 
daß  die  Blattflächen  in  zahlreiche  Abschnitte  geteilt  sind,  die  dem 
Anpralle  des  Windes  leicht  ausweichen,  und  zwischen  denen  viele  Lücken  und 
Durchlässe  vorhanden  sind.  Die  Blätter  sind  gefiedert;  jedes  Fiederblatt  (2.) 
ist  abermals  bis  nahe  oder  ganz  auf  die  Mittelrippe  in  zahlreiche  Abschnitte  ge- 
spalten, und  jedes  dieser  „Fiederchen"  (3.)  am  Rande  wieder  mehr  oder  weniger 
tief  eingeschnitten  (beachte  die  vielfachen  Verschiedenheiten,  die  hier  im  ein- 
zelnen vorkommen!).  Da  der  Blattstiel  verhältnismäßig  kurz  ist,  so  verschmä- 
lert sich  die  ganze  Blattfläche  stets  nach  unten;  denn  sonst  würden  sich  die 
Fiederblätter  daselbst  ja  gegenseitig  das  Licht  streitig  machen. 

5.  An  dem  jungen  Blatte  ist  äußerlich  von  der  Teilung  der  Blatt- 
fläche nichts  zu  sehen.  Es  ist  gleich  den  einzelnen  Fiederblättern  schnecken- 
förmig eingerollt  und  dicht  mit  braunen,  schuppenförmigen  Haar- 
gebilden bedeckt  (4.).  So  bietet  der  überaus  zarte  Pflanzenteil  der  aus- 
trocknenden Luft  nur  eine  kleine  Oberfläche  dar,  und  die  Schuppen  wirken  wie 
eine  Decke,  die  wir  über  einen  naßzuhaltenden  Gegenstand  breiten  (vgl.  mit 
dem  jungen  Laube  der  Roßkastanie).  Sind  die  jungen  Blätter  genötigt,  den  Erd- 
boden oder  die  Laubschicht  des  Waldbodens  zu  durchbrechen,  so  kommt  infolge 
der  spiraligen  Einrollung  auch  nur  der  Stengel  oder  seine  Fortsetzung,  die  feste, 
dicht   mit  Schuppen  bedeckte  Mittelrippe,  hierbei  in  Betracht,  während  die  Behr 


296  1.  Klasse.     Farne. 

leicht  zu  verletzenden  Fiederblätter  bei  dieser  Arbeit  ganz  unbeteiligt  bleiben 
In  demselben  Maße,  wie  die  Fiederblätter  erstarken,  rollt  sich  das  Blatt  auf, 
und  die  braunen  Schuppen  gehen,  weil  nunmehr  ohne  Bedeutung,  nach  und  nach 
verloren.  —  Die  Mittelrippe  des  Blattes  zerteilt  sich  in  immer  feinere  „Nerven", 
in  denen  wir  später  sog.  Gefäßbündel  kennen  lernen  werden.  Diese  Gebilde 
finden  sich  bei  allen  farnartigen  Pflanzen,  nicht  aber  auch  bei  den  Moosen, 
Algen  und  Pilzen.  Daher  nennt  man  diese  Pflanzen  zum  Unterschiede  von  jenen, 
den  „Zellkryptogamen",  auch   „Gefäßkryptogamen". 

D.  Fruchthäufehen.  1.  Bereits  während  sich  die  Blätter  älterer  Pflanzen 
aufrollen,  findet  man  an  den  meisten  von  ihnen  auf  der  Unterseite  hellgrüne, 
nierenförmige  Häutchen,  die  als  Schleier  bezeichnet  werden.  Sie  treten  je 
nach  der  Breite  der  Fiederblätter  und  der  Fiederchen  in  verschiedener  Anzahl 
auf,  nehmen  später  eine  bleigraue  und  schließlich  eine  rotbraune  Färbung  an  (3). 

2.  Schon  mit  bloßem  Auge  erkennen  wir,  daß  jeder  Schleier  eine  große 
Anzahl  brauner  Gebilde  von  der  Größe  eines  Sandkorns  bedeckt.  Betrachten 
wir  einen  feinen  Schnitt  durch  das  Blatt  (5)  bei  schwacher  mikroskopischer 
Vergrößerung,  so  sehen  wir  weiter,  daß  wir  es  in  den  Gebilden  mit  Kapseln 
zu  tun  haben,  die  mit  je  einem  Stielchen  einer  feinen  Blattrippe  aufsitzen. 
Untersuchen  wir  endlich  einige  dieser  Kapseln  bei  stärkerer  Vergrößerung 
und  fügen  wir  dem  Wasser,  in  das  wir  sie  zu  diesem  Zwecke  gelegt  haben, 
einen  Tropfen  Glycerin  zu,  so  sehen  wir,  wie  sie  plötzlich  aufreißen,  und  wie 
aus  ihnen  eine  Menge  kleiner  Körperchen,  sog.  Sporen,  hervortreten  (6.). 
Diese  Erscheinung  wird  uns  leicht  verständlich,  wenn  wir  uns  durch  einen  ent- 
sprechenden Versuch  von  der  wasserentziehenden  Eigenschaft  des  Glycerins 
überzeugen  (lege  z.  B.  ein  Stück  einer  Kartoffel  oder  eines  Apfels  in  Glycerin  und 
beobachte,  wie  diese  Körper  stark  schrumpfen!),  und  wenn  wir 

3.  die  „Sporenkapseln"  (Sporangien)  näher  betrachten  (Ü.  und  7.). 
Die  Wand  eines  solchen  Gebildes  besteht  aus  einer  Schicht  platter  Zellen, "über 
die  sich  wie  die  „Raupe"  am  Feuerwehrhelm  ein  aus  dunkleren  Zellen  gebil- 
deter „Ring"  erhebt.  Diese  Zellen  haben  sehr  starke  Innen-  und  Querwände,  aber 
sehr  zarte  Außenwände.  Entzieht  das  Glycerin  ihnen  nun  Wasser,  so  stülpt 
sich  die  zarte  Außenwand  nach  innen,  der  Ring  wird  infolgedessen  so  verkürzt, 
daß  die  Kapsel  aufreißt.  Dieser  Vorgang  wiederholt  sich  während  des  Spät- 
sommers auch  im  Freien,  nur  daß  hier  das  Zerreißen  durch  das  Austrocknen  der 
Kapselwand  bewirkt  wird. 

4.  Wie  wir  im  weiteren  Verlauf  unserer  Betrachtung  noch  sehen  werden, 
gehen  aus  den  Sporen  junge  Pflanzen  hervor.  Daher  bezeichnet  man  jede  von 
einem  Schleier  bedeckte  Gruppe  von  Sporenkapseln  (ungenau  —  wieso?)  als 
Fruchthänfehen. 

5.  Die  Sporen  sind  also  wie  die  Samen  der  Blütenpflanzen  Vermehrungs- 
körper und  daher  für  das  Farnkraut  sehr  wichtige  Gebilde,  eine  Tatsache,  die 
uns  eine  Anzahl  Erscheinungen  und  Einrichtungen  leicht  ver- 
ständlich macht: 


2!»7 


3. 


a)  Die  Sporen  bilden  ein  staubfeines  Pulver.  Daher  können 
sie  leicht  durch  den  Wind  verweht  und  über  einen  großen  Bezirk  ausgestreut 
werden  (Bedeutung!).  (Lege  ein  Farnblatt  z.  Z.  der  Sporenreife  auf  ein  Blatt 
Papier  und  beobachte,  welche  Mengen  von  Sporen  erzeugt  werden!) 

b)  Eine  solche  Aussaat  kann  aber  nur  ein  „trockener'*  Wind  besorgen 
(wieso?),  d.  h.  ein  solcher,  der  zugleich  das  Öffnen  der  Sporenkapseln  bewirkt, 
oder  anders  ausgedrückt:  das  Aufspringen  der  Kapseln  steht  mit  der 
Weise  der  Sporen  Verbreitung  im   innigsten  Einklänge. 

c)  Die  Sporen  haben  eine  rauhe  Oberfläche.  Infolgedessen 
werden  sie  wie  die  rauhen  Samen  höherer  Pflanzen  leicht  an  den  Erdboden 
gefesselt  (s.  S.  26,  b). 

d)  Den  unteren  Fieder  blatten  en,  die  dem  Winde  weniger  stark 
ausgesetzt   sind   als   die    oberen,   fehlen    zumeist  die   Fruchthäufchen. 

e)  Die  Blattoberseite  wird  allerdings  vom  Winde  am  meisten  bestrichen. 
Ihr    fehlen    aber    die 

Fruchthäufchen ;  denn 
die  Sporenkapseln  sind 
außerordentlich  zarte 
Gebilde,  die  gegen  Be- 
feuchtung geschützt 
werden  müssen.  Diesen 
Schutz  finden  sie  auf 
der  B 1  a  1 1  u  n  t  e  r- 
seite  und 

f)  durch  den 
Schleier  (Name!), 
der  sie  bis  zur  Zeit  der 
Sporenreife  bedeckt. 
Da  die  staubförmigen 
Gebilde  aber  vom  Win- 
de verweht  werden 
sollen,  schrumpft  der 
Schleier  kurz  vor  der 
Aussaat  der  Sporen 
stark  zusammen. 

E.  Vorkeim. 
1.  Säen  wir  eine  An- 
zahl Sporen  auf  durch- 
feuchtete Walderde,  die 
in  einen  Blumentopf 
gebracht  worden  ist, 
und  bedecken  wir  die- 
sen   mit    einer    Glas- 


Der  Vorkeim   des  Wurmfarns 

und  seine  Entwicklung. 
1.  n.  2.  Keimende  Spore  in  zwei  auf- 
einander folgenden  Entwicklongszn- 
ständen.S.  Spore];  K.  Keimschlanch; 
W.    das    erste    Wurzelhaar    (etwa 
240  lnal  verirr.  |.   3.   Der  aasgebildete  Vorkeim, 
vnn  der  Unterseite  gesehen.    m.O.  die^kuppel- 
förmigen  Gebilde  oder  die  männlichen  Organe; 
w.O.  die    flaschenförmigen  Gebilde   oder    die 
weiblichen  Organe  (etwa  lOraal  verirr. \ 


298 


1.  Klasse.     Farne. 


glocke,  so  zeigt  sich  auf  der  Oberfläche  der  Erde  meist  schon  nach  einigen 
Tagen  ein  grüner  Anflug:  die  Sporen  sind  gekeimt,  d.  h.  ihr  Inhalt 
ist  in  Form  eines  kurzen  Schlauches  hervorgetreten.  Der  „Keimschlauch" 
wächst  zunächst  zu  einem  fadenförmigen  und  schließlich  zu  einem  blatt- 
artigen Körper  aus,  der  lebhaft  grün  gefärbt  ist,  herzförmige  Gestalt  und 
etwa  Pfenniggröße  hat.  Dieser  sog.  Vorkeim  (Prothallium)  ist  durch  zahl- 
reiche Haare,  die  am  zugespitzten  Ende  entspringen,  am  Boden  befestigt.  (Am 
bequemsten  erhält  man  Farn -Vorkeime  in  Gewächshäusern,  in  denen  Farne  ge- 
zogen werden.  Sie  linden  sich  dort  häufig  auf  Blumentöpfen,  an  feuchten 
Wänden  und  ähnlichen  Stellen.) 

2.  Neben  den  „Wurzelhaaren"  entstehen  auf  der  Unterseite  des  Vorkeims 
noch  andere  Organe,  die  schon  mit  der  Lupe  zu  erkennen  sind,  deren  feineren 

Bau  uns  jedoch  erst  das  Mi- 
kroskop enthüllt.  Zu  diesem 
Zwecke  legen  wir  einen  Vor- 
keim (oder  besser:  sehr  dünne 
Querschnitte  durch  einen  sol- 
chen) in  etwas  Wasser  auf 
eine  kleine  Glasplatte  (Ob- 
jektträger). In  der  Nähe 
des  zugespitzten  Endes  er- 
blicken wir  dann  kupp  ei- 
förmige Gebilde,  die 
im  reifen  Zustande  zahl- 
reiche kugelige  Zellen  ent- 
halten. Benutzen  wir  zu 
unserer  Untersuchung  einen 
Vorkeim,  der  längere  Zeit 
nicht  befeuchtet  wurde,  so  sehen  wir  sehr  bald,  wie  sich  eines  dieser  Ge- 
bilde am  Scheitel  öffnet,  und  wie  die  kugeligen  Zellen  daraus  hervortreten. 
Nach  wenigen  Sekunden  verwandeln  sich  diese  Kugeln  in  korkzieherförmige 
Körper,  die  mit  Hilfe  schwingender  Wimpern  wie  Aufguß-  oder  Geißeltier- 
chen schnell  durch  das  Wasser  dahinschwimmen  (s.  „Lehrbuch  der  Zoologie"). 
Ehe  wir  das  Schicksal  dieser  „Schwärmer"  weiter  verfolgen,  müssen  wir  uns 

3.  den  anderen  Organen  des  Vorkeims  zuwenden,  die  sich  als  flaschen- 
förmige  Gebilde  in  der  Nähe  des  herzförmigen  Einschnittes  linden.  Bei 
der  Reife  fließt  aus  der  Mündung  ihres  krummen  Halses  ein  farbloser  Schleim 
hervor.  Kommt  ein  Schwärmer  einer  noch  geschlossenen  „Flasche"  zu  nahe, 
so  schwimmt  er  „gleichgültig"  weiter.  Ist  die  „Flasche"  aber  geöffnet,  so  eilt 
er  der  Öffnung  schon  von  einer  gewissen  Entfernung  aus  zu,  gerät  in  den 
Schleim,  bohrt  sich  langsam  bis  zum  Grunde  der  „Flasche"  hinab  und  verschmilzt 
dort  mit  einer  Zelle,  die  schon  äußerlich  von  den  benachbarten  Zellen  abweicht. 
Derselbe  Vorgang  spielt  sich  selbstverständlich  auch  im  Freien  ab,  wenn  Tau-  oder 


Ein  kuppeiförmiges  Gebilde  oder  männliches 
Organ,  hei  stärkerer,  (etwa  350maliger)  Verg.  1  Ge- 
schlossen; 2  geöffnet;  die  Schwärmer  kommen  aus  der 
Öffnung  hervor  und  nehmen  korkzieherartige  Form  an. 


Wurmfarn. 


29H 


Ein  flaschenföriniges  Gebilde  oder  weibliches  Organ,  bei  stärkerer 
(etwa  250  maliger)  Vergr.     1  geschlossen ;  2  geöffnet ;  E  Eizelle. 


Regentropfen  der  Unterseite  des  Vorkeimes  anhaften.  Aus  der  mit  dem 
Schwärmer  vereinigten  Zelle  geht  nun  im  Laufe  der  Zeit  ein  junges  Farn- 
kraut hervor,  das  anfänglich  mit  dem  Vorkeim  noch  in  Verbindung  steht, 
nach      dem 

1 


Absterben 
dieses  Ge- 
bildes aber 
eine  selb- 
ständige 
Pflanze  dar- 
stellt, 

4.  Die- 
ser Vorgang 
erinnert  uns 
lebhaft  an 
die  Befruch- 
tung     und 

Vermehrung  der  Samenpflanzen:  der  Schwärmer  ist 
einem  Blütenstaubkorne,  die  im  Grunde  des  flaschen- 
f orangen  Orerans  liegende  Zelle  der  Samenanlage, 
das  kuppeiförmige  Gebilde  dem  Staubblatte  und  das 
flaschenförmige  dem  Fruchtblatte  (Stempel)  ver- 
gleichbar. Da  nun  aus  der  Zelle,  die  der  Samen- 
anlage entspricht,  eine  junge  Pflanze  hervorgeht 
wie  der  Vogel  aus  dem  Ei,  so  bezeichnet  man  sie 
als  Eizelle,  und  da  die  Ablage  der  Eier  durch 
die  weiblichen  Tiere  erfolgt,  so  haben  wir  in  dem 
flaschenförmigen  Gebilde  das  weibliche  Organ 
(oder  das  Archegonium)  des.  Farnes  vor  uns.  Das 
die  Schwärmer  liefernde  kuppeiförmige  Gebilde  stellt 
dementsprechend  das  männliche  Organ  (oder  An  - 
theridium)  dar.  Während  bei  den  Samenpflanzen 
beiderlei  Organe  (Staubblätter  und  Fruchtblätter)  in 
Blüten  eingeschlossen  sind,  fehlen  den  Sporenpflanzen 
die  Blüten.  Man  bezeichnet  sie  daher  zum  Unter- 
schiede von  den  „Blütenpflanzen"  als„blütenlose 
Pflanzen". 

5.  Der  Entwicklungsgang  des  Farnkrautes  von 
der  keimenden  Spore  bis  zur  Vereinigung  von  Ei- 
zelle und  Schwärmer  (Befruchtung)  zeigt  nun  eine 
Anzahl  von  Einzelheiten,  die  einer  näheren  Betrachtung  wert  sind: 

a)    Die    Tatsache,    daß    aus    der    keimenden    Spore    keine   junge    Farn- 
pflanze,  sondern  ein  schlauchförmiger  Körper  hervorgeht,  zeigt  uns,  daß  wir  in  den 


Vorkeim  vom'jWurmfarn : 

;ms  der  befruchteten  Eizelle 

i>t    eine   junge    Farnpflanze 

hervorgegangen  i  etwa  l<>  mal 

vergr.). 


300  1.  Klasse.     Farne. 

Sporen  nicht  Samen  vor  uns  haben,  wie  solche  von  den  Blutenpflanzen  erzengt 
werden.  Während  nämlich  jeder  Same  einen  Keimling1,  d.  i.  die  Anlage  zu  einer 
neuen  Pflanze,  enthält  (s.  S.  99,2)  und  daher  aus  zahlreichen  Zellen  entsteht,  ist 
die  Spore  ein  einzelliges  Gebilde,  das  demnach  auch  nicht  einen  mehr- 
zelligen Keimling  enthalten  kann  (Samen-  und  Sporenpflanzen).  Auch  der  Um- 
stand, daß  die  Sporen  nicht  in  Blüten  entstehen,  oder  anders  ausgedrückt,  nicht 
aus  Samenanlagen  hervorgehen,  zeigt,  daß  sie  keine  Samen  sind. 

b)  Als  einzelliger  Körper  enthält  die  Spore  auch  nur  sehr  wenig  Baustoff 
für  den  aus  ihr  hervorgehenden  Keimschlauch.  Dieses  Gebilde  ist  daher  von 
Anfang  an  darauf  angewiesen,  sich  die  zum  Leben  und  Wachstum  nötigen 
Stoffe  selbst  zu  erwerben.  Ein  gleiches  gilt  natürlich  auch  für  den  Vorkeim, 
zu  dem  sich  der  Keimschlauch  entwickelt.  Beide  senden  daher  „Wurzel- 
haare" in  den  Boden,  um  Nährstoffe  daraus  zu  entnehmen,  und  sind  reich 
an  Blattgrün,  durch  das  die  aufgenommenen  Rohstoffe  in  Nahrungs-  und  Bau- 
stoffe übergeführt  werden.  Hierzu  ist  aber  (s.  den  letzten  Abschn.  d.  Buches!) 
unbedingt 

c)  das  Sonnenlicht  erforderlich.  Die  Keimung  der  Farnsporen  und 
die  Bildung  der  Vorkeime  findet  daher  niemals  im  Dunkeln  statt 
(wie  zumeist  die  Keimung  der  Samen). 

d)  Keiinschlauch  und  Vorkeim  sind  außerdem  überaus  zarte  Gebilde,  die 
sehr  leicht  durch  Vertrocknen  zugrunde  gehen.  Sie  entwickeln  sich  daher 
auch  nur  an  feuchten  Orten.  (Daher  müssen  wir  den  Blumentopf  mit  den 
ausgesäten  Sporen  in  das  Licht  stellen  und,  um  die  Luft  beständig  feucht  zu 
erhalten,  mit  einer  Glasglocke  überdecken!)  Diese  Tatsache  erklärt  uns  auch 
das  häufige  Vorkommen  der  Farne  an  feuchten  Orten,  besonders  im  Grunde 
feuchter  Wälder,  sowie  ihr  gänzliches  Fehlen  in  WTüsten  und  Steppen.  Die 
Verbreitung  der  Farne  wird  auch  noch  durch 

e)  die  Art  und  Weise  bedingt,  in  der  die  Befruchtung  stattfindet:  Da 
männliche  und  weibliche  Organe  voneinander  getrennt  sind,  so  muß  eine  Ver- 
bindung zwischen  ihnen  stattfinden.  Insekten  und  Wind,  die  bei  den  Samen- 
pflanzen eine  solche  zwischen  Staubblatt  und  Stempel  schaffen,  kommen  hier 
nicht  in  Betracht  (wieso?).  Dagegen  ist  das  Wasser,  das  als  Tau  oder  Begen 
den  Vorkeim  netzt,  wohl  imstande,  eine  solche  „Brücke"  zu  bilden.  Da  das 
Wasser,  das  dem  Vorkeim  anhaftet,  aber  still  steht,  müssen  die  „männlichen 
Zellen"  die  Eizelle  aufsuchen,  oder  anders  ausgedrückt,  es  müssen  freibewegliche 
Körper,  also  „Schwärmer"  sein. 

f)  Die  Schwärmer  können  sich  wie  die  Aufguß-  und  Geißeltierchen  aber 
nur  in  einer  Flüssigkeit  bewegen.  Daher  scheidet  das  weibliche  Organ  bei  der 
Reife  einen  Schleim  aus.  So  wird  zwischen  dem  äußeren  Wasser  und  der 
Eizelle  eine  Verbindung  hergestellt,  wie  ihrer  der  Schwärmer  zu  seiner  Fort- 
bewegung bedarf. 

6.  Überblicken  wir  den  Entwicklungsgang  des  Wurmfarns  (der  mit  dem 
aller  anderen  Farne  übereinstimmt),  so  finden  wir,  kurz  gesagt,  folgendes:    Aus 


Warmfarn.     Tüpfeifa 


301 


den  Sporen,  die  auf  „ungeschlechtlichem  Wege"  wie  eine  Art  Ableger  am  Farn- 
blatte entstehen,  geht  ein  Vorkeim  hervor,  der  auf  „geschlechtlichem  Wege" 
(durch  Vereinigung  von  Eizelle  und  Schwärmer)  wieder  eine  sporentragende 
Farnpflanze  erzeugt.  Die  Ent- 
stehung des  Vorkeims  aus  einem 
anderen,  oder  einer  sporen- 
tragenden Farnpflanze  aus  einer 
anderen  findet  nie  statt.  Das 
Farnkraut  tritt  also  in 
zwei  streng  von  einander 
geschiedenen  und  unter 
sich  ganz  unähnlichen  For- 
men oder  Generationen  auf: 
einer  ungeschlechtlichen  Form, 
der  sporentragenden  Farnpflan- 
ze, und  einer  geschlechtlichen, 
dem  Vorkeime.  Beide  Formen 
wechseln  regelmäßig  mit- 
einander ab,  ein  Vorgang,  der 
darum  als  Generationswech- 
sel bezeichnet  wird  (vgl.  die- 
selbe Erscheinung  bei  den  Qual- 
len;  s.  Lehrbuch   d.  Zoologie). 

Andere  Farne. 

1.  Neben  dem  Wurmfarn 
zählt  der  Tüpfelfarn  oder  das 
Engelsüß  (Polypödium  vulgäre) 
zu  unseren  bekanntesten  Farnkräu- 
tern. Die  zierliche,  sehr  veränder- 
liche Pflanze  wächst  am  Fuße 
alter,  mit  Moos  bewachsener  Baum- 
stämme, sowie  an  Felsen  und  ähn- 
lichen Orten.  Da  sie  weit  kleinere 
und  derbere  Blätter  besitzt  als  z.  B. 
der  Warmfarn,  so  gibt  sie  auch 
viel  weniger  Wasser  durch  Ver- 
dnnstung  ab  als  dieser.  Sie  ge- 
deiht daher  selbst  noch  an  sehr 
trockenen  Orten  (z.  B.  in  Kiefern- 
wäldern), und  ihre  Blätter  ver- 
mögen sogar  den  Winter  zu  überdauern  (s.  S.  92).  Der  geringen  Größe  ent- 
sprechend sind  die  Blätter  nur  einfach  gefiedert  (s.  S.  295,4).  Die  runden  Fracht- 
hänfehen sind  nicht  von  einem  Schleier  bedeckt  („Tüpfelfarn").  Der  im  Boden  oder  anter 
dein  Moose  kriechende  Wurzelstock  ist  von  süßem  Geschmack.    Er  galt  früher  als  wichtiges 


302 


1.  Klasse.     Farne. 


iP*^ 


Heilmittel,  das  der 
Sage  nach  die 
Engel  der  leiden- 
den Menschheit 
auf  die  Erde  ge- 
bracht haben  sol- 
len  („Engelsüß"). 

—  Eine  ausge- 
prägte "Wald-  und 

Schattenpflanze 
dagegen  ist  der 
Streifenfarn 
(Asplenium  filix 
femina).  Er  ist 
dem  "Wurmfarn 
sehr  ähnlich  (da- 
her auch  „fal- 
scher Wurm- 
farn" genannt), 
hat  aber  zartere 
und  kleinere  Blät- 
ter, sowie  streifen- 
förmige Frucht- 
häufchen (Name  !) 

—  Ein  anderes 
Glied  der  Gat- 
tung „  Streifen- 
farn", die  zierliche 
Mauerraute  (A. 
ruta  muräria),  da- 
gegen gibt  sich 
als  Trockenpflan- 
ze leicht  zu  er- 
kennen. Sie  hat 
kleine,  meist  2 — 3- 
fach  fiederschnit- 
tige Blätter  von 
fast  lederartiger 
Beschaffenheit  und 
nimmt  mit  der  ge- 
ringen Feuchtig- 
keit fürlieb ,  die 
ihr  Mauerritzen 
und  Felsenspalten 
bieten.  —   Gegen 

das  niedliche  Pflänzchen  erscheint  der  Adlerfarn  (Pteridium  aquilinum)  wie  ein  Riese. 
Er  überzieht  den  Boden  lichter  Wälder,  Berglehnen  und  ähnliche  Orte  oft  auf  weite 
Strecken  hin  mit  seinen  Blättern,    die    nicht    selten    eine    Länge  von  mehreren  Metern 


Baumfarne   (Alsdphila)  im  tropischen  Australien. 


Streifenfarn.     Mauerraute.     A.dlerfarn. 


303 


Fiederchen  vom  Blatte 
des  Adlerfarn  mit 
Sporenkapseln  i  mit.  Gr.). 


erreichen.  Der  weit  im  Boden  dahinkriechende ,  verzweigte  Wurzelstock  trägt  an 
jedem  Zweige  alljährlich  nur  ein  dreiteiliges  Blatt,  das  seiner  Größe  entsprechend  wie 
das  des  Wurmfarns  vielfach  gespulten  ist.  Führt  man  durch  den  unteren,  schwarzen  Teil 
des  Blattstiels  einen  schrägen  Querschnitt,  so  gibt  sich  die 
Anordnung  der  Gefäßbündel  in  Form  eines  Doppeladlers  zu 
erkennen  (Name!).  Die  Sporenkapseln  stehen  in  einer  Linie, 
die  dem  Rande  der  Fiederblättchen  parallel  läuft.  Sie  sind 
außer  von  einem  zarten  (inneren)  Schleier  noch  von  dem  um- 
geschlagenen Blattrande  bedeckt. 

2.  Da,  wie  wir  gesehen  haben,  das  Vorhandensein  der 
Farne  an  die  Anwesenheit  von  Feuchtigkeit  gebunden  ist,  so 
erscheint  es  uns  erklärlich,  daß  die  feuchten  Urwälder  der 
Tropen  weit  reicher  an  den  schönen  Pflanzengestalten  sind 
als  die  heimischen  Wälder.  Gleich  dem  Adlerfarn  bedecken 
sie  dort  den  Boden  oft  wie  mit  einem  grünen  Teppich  oder 
siedeln  sich  mit  den  Orchideen  als  Überpflanzen  auf 
Stämmen  und  Zweigen  an.  Bei  zahlreichen  Formen  erhebt 
sich  der  Stengel,    der  bei  den  heimischen   Arten  unterirdisch 

bleibt,  als  säulenartiger  Stamm  hoch  über  den  Boden.  Da  diese  Baumfarne  eine 
Krone  großer,  feinzerteilter  Blätter  tragen,  so  ähneln  sie  den  Palmen,  mit  denen 
sie  zu  den  stolzesten  Pflanzengeschlechtern  zählen. 

3.  Viel  reicher  als  in  der  Gegenwart  war  die  Erde  an  Farnpflanzen  in  der  Zeit, 
als  sich  die  Steinkohle  bildete.  Wie  in  den  Tropen,  herrschte  damals  auch  in 
unserer  Heimat  ein  feuchtheißes  Klima,  und  mächtige  Wälder  von  baumartigen 
Farnen ,    riesigen    Schachtelhalmen    und    Bärlappen    bedeckten    den    sumpfigen    Boden. 

Die  umsinken- 
den Stämme 
wurden  von 
den       Flüssen 

zusammen  ge- 
schwemmt, 
vom  Meere 
überflutet  und 
mit  Schlamm 
und  Sand  be- 
deckt. Die 
von  der  Luft 
somit  abge- 
schlossenen 

Pflanzenreste 
verkohlten  im 
Laufe         der- 

■Tahrmillionen 
allmählich  wie 
das  Holz  im 
Kohlenmeiler: 
d.  h.    sie   zer- 


'^ß^'-fM(zj0k. 


Sehwimmblatt  (nat.  Gr.)  Daneben  : 
die  am  (! runde  der  Wasserblätter 
sieb  findenden  kugelförmigen  Gebilde 
(schwach   vergrößert.)   Das   eine   mit   wenigen  Großsporen-,  das   ander 

mit  zahlreichen  Kleinsporenkapseln. 


304  Taf.  36.     2.  Klasse.     Schachtelhalme. 

setzten  sich  derart,  daß  fast  nur  der  Kohlenstoff  übrig  blieb,  der  heute  als  „Steinkohle" 
zutage  gefördert  wird. 

4.  Von  den  bisher  betrachteten  Landfarnen  ist  die  Gruppe  der  Wasser farne 
scharf  unterschieden.  Sie  wird  von  wenigen  kleinen  Gewächsen  gebildet,  die  das  Wasser 
oder  den  Sumpf  bewohnen  und  zweierlei  Sporen  bilden.  Wahrend  die  aus  den  „Klein- 
sporen"  hervorgehenden  Vorkeime  nur  männliche  Organe  (Antheridien)  tragen, 
entstehen  aus  den  „Großsporen"  Vorkeime  mit  weiblichen  Organen  (Archegonien).  Die 
verbreitetste  Form  dieser  eigentümlichen  Pflänzchen  ist  das  Schwimmblatt  (Salvinia 
nätans),  das  sich  in  stehenden  und  langsam  fließenden  Gewässern  findet.  Da  es  unter 
fast  genau  denselben  Verhältnissen  lebt  wie  der  Wasserhahnenfuß  (s.  das.),  so  bildet  es 
wie  dieser  neben  (eiförmigen)  Schwimmblättern  Wasserblätter,  die  in  fadenförmige,  be- 
haarte Zipfel  gespalten  sind  und  die  Stelle  der  fehlenden  Wurzeln  vertreten.  Am  Grunde 
der  Wasserblätter  bilden  die  vollkommen  geschlossenen  Schleier  kugelförmige  Gebilde, 
die  entweder  wenige  Großsporen-  oder  zahlreiche  Kleinsporenkapseln  enthalten. 

2.  Klasse.    Schachtelhalme  (Equisetinae). 

Stengel  einfach  oder  quirlig  verzweigt,  mit  quirlig  gestellten,  schuppenartigen  Blättern, 

die    zu    Scheiden   verwachsen    sind.      Sporenkapseln    auf   der    Unterseite    schildförmiger 

Blätter,  die  am  Ende  des  Stengels  ährenartig  gehäuft  sind. 

Der  Ackerschachtelhalin  (Equisetum  arvense).     Taf.  36. 

A.  Frülijahrstriebe.  Auf  Ackern  (Name!),  Grasplätzen  und  an  ähnlichen 
Orten  brechen  im  März  und  April  zarte,  blaß-rotbraune  Gebilde,  die  mit  einer 
ährenartigen  Bildung  abschließen  (1),  aus  dem  Boden  hervor.  Es  sind  die 
Frülijahrstriebe   des  Ackerschachtelhalms. 

1.  Der  Stengel  ist  unverzweigt,  'längsgefurcht  und  aus  mehreren 
Gliedern  zusammengesetzt,  die  nach  oben  länger  und  dünner  werden.  Auf  dem 
Querschnitt  zeigt  er  einen  großen,  mittleren  Hohlraum,  der  sehr  regelmäßig 
von  kleinen  Kanälen  umgeben  ist  (vgl.  mit  Roggen!).  An  den  massiven  Stengel- 
knoten entspringen 

2.  die  Blätter.  Sie  sind  auffallend  klein,  quirlförmig  angeordnet 
und  bis  auf  die  schwarzen  Spitzen  miteinander  zu  je  einer  Scheide  verwachsen, 
die  den  Stengel  rings  umgibt.  Diese  winzigen  und  zudem  nur  teilweise  schwach 
grünen  Gebilde  scheinen  für  die  Pflanze  gänzlich  bedeutungslos  zu  sein.  Bei 
näherem  Zusehen  aber  wird  man  bald  eines  besseren  belehrt: 

a)  Wie  leicht  festzustellen  ist,  durchbrechen  die  wachsenden  Stengel  den 
Boden  mit  ihrer  Spitze  (lb).  Dabei  müßte  aber  die  endständige,  zarte  „Ähre" 
unbedingt  verletzt,  wenn  nicht  gar  zerstört  werden.  Wie  die  gleichfalls  noch 
sehr  zarten  Stengelglieder  ist  nun  die  Ähre  bei  dieser  Arbeit  von  den  wider- 
standsfähigen Blättern  vollständig  umhüllt  (vgl.  z.  B.  mit  der  Tulpe!). 

b)  An  den  unteren  Enden  bleiben  die  Stengelglieder  lange  Zeit  wachs- 
tumsfähig und  daher  zart  und  weich.  An  diesen  leicht  verletzlichen  und  aus- 
trocknenden  Stellen   sind  nun   die    Stengel    von    den    Blättern    wie   von 


Schmeil.  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  36. 


Ackerschachtelhalm  (Equisetum  arvense). 


Schwimmblatt.     Lckerschachtelhalm.  305 

schützen  den  Scheiden  umgeben.  Wir  treffen  hier  also  fast  dieselben 
Verhältnisse  wie  beim  Roggen  an  (s.  S.  254),  mit  dem  der  Schachtelhalm  auch 
das  schnelle  Wachstum  der  Stengel  gemein  hat.  Übt  man  auf  einen  wachsenden 
Stengel  einen  starken  Zug  aus,  so  muß  er  an  diesen  zarten  Stellen  selbst- 
verständlich am  leichtesten  zerreißen.  Dabei-  kann  man  die  einzelnen  Stengel- 
glieder leicht  aus  ihren  Scheiden  herausziehen,  ein  Umstand,  dem  die  Pflanze 
den  bezeichnenden  Namen  „Schachtelhalm"  verdankt.  (Untersuche  daraufhin  be- 
sonders die  Sommertriebe  und  beobachte ,  wie  sich  die  oberen  Stengelglieder 
anders  verhalten  als  die  unteren,  schon  erstarkten!) 

3.  Die  Sporenähre.  Über  dem  obersten  Blattquirle,  der  die  Form  eines 
gelappten  Ringes  besitzt,  erhebt  sich  eine  kegelförmige  Ähre,  aus  der  bei  der 
Reife  ein  blaugrüner  Staub  hervorkommt.  In  ihm  haben  wir  die  Sporen  der 
Pflanze  vor  uns  (s.  Wurmfarn).  Wir  sind  daher  wohl  berechtigt,  die  Ähre 
als  „Sporenähre"  und  die  Frühjahrstriebe  als  sporentragende  oder  „fruchtbare" 
Triebe  zu  bezeichnen.  Die  Sporenähre  besteht  aus  der  Fortsetzung  des  Stengels, 
der  Achse,  und 

a)  zahlreichen  „Sporenblättern",  die  wie  die  Stengelblätter  in  Quirlen 
angeordnet  sind.  Jedes  Blatt  hat  die  Form  eines  gestielten  Schildchens  (4), 
d.  h.  es  bestellt  aus  einem  Stiele,  der  rechtwinklig  von  der  Achse  absteht,  und 
einer  Platte,  die  dem  Stiele  in  ihrer  Mitte  aufsitzt.  Wie  man  an  der  Anlage 
der  Ähre  erkennen  kann,  stellen  diese  Blätter  ursprünglich  Höcker  der  Achse 
dar,  die  sich  an  dem  freien  Ende  nach  und  nach  scheibenförmig  verbreitern. 
Da  nun  diese  Scheiben  zusammenstoßen  und  weiterwachsen,  so  müssen  sie  sich 
gegenseitig  abplatten:  sie  nehmen  die  Form  meist  sehr  regelmäßiger  Sechsecke 
an,  wie  wir  sie  an  den  ausgebildeten  Blättern  erkennen. 

b)  An  der  Innenseite  tragen  die  Platten  je  meist  sechs  häutige  Säckchen,  in 
denen  sich  die  Sporen  bilden.  Wir  haben  in  ihnen  also  die  Sporenkapseln 
vor  uns  (vgl.  mit  Wurmfarn). 

c)  Wie  uns  ein  Blick  durch  das  Mikroskop  zeigt,  besitzt  jede  Spore 
zwei  sich  kreuzende  Bänder,  die  in  ihrer  Mitte  mit  der  Sporenhaut  verwachsen 
sind  und  sich  am  Ende  spateiförmig  erweitern  (5  a).  Klopfen  wir  die  reife 
Sporenähre  über  einem  Blatt  Papier  oder  dgl.  aus,  und  hauchen  wir  die  er- 
haltene Sporenmasse  in  kurzen  Zwischenpausen  leicht  an,  so  kommt  eine  eigen- 
tümliche Bewegung  in  sie:  nach  dem  Anhauchen  nimmt  sie  das  Aussehen  feinster 
Watte  an,  um  kurze  Zeit  darauf  wieder  vollständig  in  Staub  zu  zerfallen.  Hauchen 
wir  die  Sporen  an,  während  wir  sie  unter  dem  Mikroskop  betrachten,  so  sehen 
wir,  daß  die  (hygroskopischen)  Bänder  es  sind,  die  diese  Bewegung  verursachen : 
sie  nehmen  etwas  von  dein  Wasserdampf  auf,  der  in  der  Atemluft  enthalten 
ist,  und  rollen  sich  infolgedessen  schnell  eng  um  die  Sporen  (5b);  ist  die  geringe 
Wassermenge  wieder  verdunstet,  so  strecken  sie  sich  auch  wieder  aus  (5a). 

Welche  Bedeutung  hat  nun  diese  eigentümliche  Einrichtung?  Die  staub- 
förmigen Sporen  werden  wie  z.  B.  die  des  Wurmfarns  durch  den  Wind  ver- 
breitet.    Zur  Zeit   der   Sporenreife  schrumpfen   daher   die   Sporenblätter  stark 

Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik.  20 


306 


2.  Klasse.     Schachtelhalme. 


zusammen  (le  und  3),  so  daß  der  Wind  zwischen  ihnen  hindurch  streichen  kaun. 
Zugleich  öffnen  sich  die  Sporenkapseln  nach  innen  (4  b).  Infolge  des  Wasser- 
verlustes der  Sporenblätter  trocknen  aber  auch  die  Bänder  der  Sporen  aus,  so  daß 
sie  sich  ausstrecken.  Die  Sporen  nehmen  infolgedessen  jetzt  weit  mehr  Platz  ein 
als  vordem  und  drängen  sich  gleichsam  gegenseitig  aus  der  Öffnung 
..     ,££v  der  Sporenkapsel  heraus,  so  daß 

sie  nunmehr  vom  Winde  erfaßt  und 
verweht  werden  können.  (Beobachte 
an  abgeschnittenen  Stengeln  im  Zim- 
mer, wie  die  Sporen  aus  den  Öffnungen 
der  Kapseln  gleichsam  hervorquellen !) 
Eine  erfolgreiche  Verbreitung 
der  Sporen  ist  aber  nur  bei  trockener 
Luft  möglich  (wieso?).  Dann  aber 
strecken  sie  ihre  Bänder  aus.  Sie 
bieten  dem  Winde  dann  also 
eine  große  Angriffsfläche  dar, 
so  daß  sie  leicht  verbreitet  werden 
können. 

Haben  die  Sporen  einen  gün- 
stigen Platz  gefunden,  so  beginnen 
sie  wie  die  des  Wurmfarns  zu  keimen 
und  je  einen  Vor  keim  zu  ent- 
wickeln. Dieses  Gebilde  hat  beim 
Schachtelhalm  etwa  die  Form  eines 
kleinen  Lebermooses,  trägt  aber  ent- 
weder nur  männliche  (Antheridien) 
oder  weibliche  Organe  (Archegonien). 
Eine  Befruchtung  der  Eizelle  durch 
einen  Schwärmer  kann  also  nur  dann 
eintreten,  wenn  sich  mehrere  (männ- 
liche und  weibliche)  Vorkeime  neben- 
einander entwickeln.  Dies  ist  nun 
dadurch  leicht  möglich,  daß  mehrere 
Sporen, durch  ihreBänder  inein- 
ander gehakt,  zusammen  durch 
den  Wind  verweht  werden  und  an  derselben  Stelle  keimen.  —  Im  übrigen  er- 
folgt die  Befruchtung,  sowie  die  Bildung  der  jungen  Pflanze  aus  der  befruchteten 
Eizelle  in  derselben  Weise  wie  bei  den  Farnen.  (Führe  dies  näher  aus!  Be- 
weise, daß  auch  beim  Schachtelhalm  ein  Generationswechsel  vorhanden  ist!) 

4.  Lebensdauer  und  Erscheinungszeit,  a)  Die  Frühjahrs- 
triebe sind,  wie  wir  gesehen  haben,  blasse  Gebilde,  die  nur  ganz  geringe 
Mengen  von  Blattgrün  besitzen.     Sie  sind  daher  gleich  allen  anderen  Pflanzen 


Vorkeim  vom  Ackerschachtelhalm 

(etwa  60 mal  vergr.).  1.  weiblicher  Vorkeim ; 
am  Grunde  mit  (w.  0.)  3  weiblichen  Organen 
i  Archegonien).  Das  mittlere  ist  befruchtet  und 
beginnt,  sich  zu  einer  neuen  Pflanze  zu  ent- 
wickeln. 2.  männlicher  Vorkeim ;  an  der 
Spitze  mit  (m.  0.)  3  männlichen  Organen 
(Atheridien) ;  das  linke  hat  sich  geöffnet,  so 
daß  die  Schwärmer  entweichen.  3.  ein 
Schwärmer  (stark  vergr.). 


Ackerschachtelhalm.  307 

und  Pflanzenteilen,  denen  das  Blattgrün  fehlt,  auch  nicht  im  stände,  die  zur 
Ernährung  und  zum  Wachstum  nötigen  Stoffe  zu  bereiten.  Sie  sterben 
daher  ab,  sobald  sie  ihre  Aufgabe  erfüllt,  d.  h.  die  Sporen  aus- 
gestreut haben.  (Beweise,  daß  sie  im  anderen  Falle  für  die  Pflanze  nur 
unnütze  „Esser"  darstellen  würden!) 

b)  Die  Verbreitung  der  Sporen  durch  den  Wind  läßt  uns  auch  das  Er- 
scheinen der  fruchtbaren  Triebe  im  zeitigen  Frühjahre  als  nicht 
unwichtig  erkennen.  Jetzt  sind  nämlich  die  Äcker  noch  kahl  oder  die  ange- 
bauten Pflanzen  (Getreide,  Klee,  Raps  u.  dgl.)  noch  niedrig.  Später  im  Jahre 
dagegen  würden  die  .Ackerpflanzen  die  Sporenähren,  die  ja  nur  auf  verhältnis- 
mäßig kurzen  Stengeln  stehen,  zum  größten  Teil  überragen,  also  dem  Einflüsse 
des  Windes  entziehen.  Andererseits  ist  es  den  fruchtbaren  Trieben  auch  möglich, 
so  zeitig  im  Jahre  zu  erscheinen ;   denn  sie  besitzen  in  dem 

B.  1.  unterirdischen  Stumme  (Wurzelstocke)  eine  Vorratskammer, 
in  der  sie  die  zum  Aufbau  notwendigen  Stoffe  fertig  vorfinden.  Als  besondere 
Behälter  für  die  aufgespeicherte  Nahrung  finden  sich  an  dem  Stamme  viel- 
fach noch  kleine  Knollen  (1  a),  die  wie  die  Kartoffelknollen  kurze,  stark 
angeschwollene  Stengelstücke  darstellen.  (Beweise,  daß  die  Vorratsstoffe  vor- 
wiegend aus  Stärke  bestehen!  s.  S.  138,  d.) 

2.  Der  Stamm  ist  im  wesentlichen  wie  der  oberirdische  Stengel  gebaut 
(Beweis!).  Er  ist  federkieldick,  schwarzbraun,  vielfach  verzweigt,  kriecht  weit 
im  Boden  umher  und  treibt  aus  den  Knoten  zahlreiche  faserige  Wurzeln.  Die 
miteinander  verwachsenen  Blätter  sind  aber  noch  kleiner  als  die  an  dem 
Stengel  des  fruchtbaren  Triebes.  Sie  haben  ja  auch  keine  Sporenähre,  sondern 
nur  die  dünnen,  fortwachsenden  Spitzen  des  verzweigten  Stammes  gegen  Ver- 
letzung zu  schützen.  Haben  sie  diese  Aufgabe  erfüllt,  so  sterben  sie,  weil 
nunmehr  ohne  Bedeutung,  bald  ab. 

Da  der  Stamm  meist  so  tief  im  Boden  liegt,  daß  ihn  der  Pflug  nicht 
erreicht,  da  er  ferner  nach  allen  Richtungen  Zweige  aussendet,  so  daß  sich  die 
Pflanze  schnell  über  einen  großen  Bezirk  ausbreitet,  und  da  er  endlich  zahlreiche 
oberirdische  Triebe  bildet,  die  den  Feldpflanzen  Nahrung,  Raum  und  Licht  weg- 
nehmen: so  ist  der  Ackerschachtelhalm  eins  der  lästigsten  Unkräuter. 

C.  Sommertriebe.  1.  Nachdem  der  Schachtelhalm  die  fruchtbaren  Triebe 
gebildet  hat,  sind  die  im  unterirdischen  Stamme  aufgespeicherten  Vorräte  fast 
erschöpft.  Der  „Speicher"  muß  daher  von  neuem  gefüllt  werden:  d.  h.  die 
Pflanze  muß  Triebe  bilden,  die  reich  an  Blattgrün  sind,  also  unter  Mitwirkung 
des  Sonnenlichts  neue  Vorratsstoffe  zu  bilden  vermögen.  Diese  tannenbaumälin- 
lichen,  lebhaft  grünen  Triebe  kommen  erst  im  Mai  oder  Juni  zum  Vor- 
schein und  dauern  den  ganzen  Sommer  über  aus.   (2.) 

2.  Im  wesentlichen  sind  diese  „Sommertriebe"  mit  den  „Frühjahrstrieben" 
übereinstimmend  gebaut.  Sie  besitzen  aber  niemals  eine  Sporenähre 
(„unfruchtbare  Triebe")  und  tragen  an  den  Stengelknoten  Quirle  von  Asten. 
Diese  Gebilde  durchbrechen  den  Grund  der  verwachsenen  Blätter,  sind  deutlich 


308     2.  Kl.  Schachtelhalme.     3.  Kl.  Bärlapp-Gewächse.  2.  Gr.  Moose.   1.  Kl.  Laubmoose. 

gegliedert,  tief  gefurcht,  meist  vierkantig  und  oft  nochmals  verzweigt.  Da  die 
Blätter  wie  am  unterirdischen  Stamme  nur  das  wachsende  Stengelende  zu 
überdecken  haben,  so  sind  hier  die  von  ihnen  gebildeten  Scheiden  auch  meist 
kleiner  als  an  den  fruchtbaren  Trieben. 

3.  Glüht  man  einen  Stengel  oder  Zweig  auf  einem  Platinbleche,  so  bleibt 


Kolben-Bärlapp   (etwaj ! /'■/  nat.'Gr.)     Daneben    2  Sporenblatter:    a    mit    geschlossener, 
b  mit  geöffneter  Sporenkapsel  (etwa  5  mal  vergr.) 


ein  zartes  „Skelett"  von  Kieselsäure  zurück,  die  der  Oberhaut  in  großen 
Mengen  eingelagert  ist.  Infolgedessen  erscheinen  die  Sommertriebe  hart  und 
fest,  so  daß  sie  wie  die  kieselhaltigen  Stengel  und  Blätter  zahlreicher  Gräser 
und  Riedgräser  (s.  das.)  vortrefflich  gegen  Tierfraß  geschützt  sind.  Des  Kiesel- 
gehaltes wegen  wird  die  Pflanze  auch  hier  und  da  zum  Scheuern  kupferner 
und  zinnerner  Gefäße  benutzt  („Scheuerkraut"). 


Wald-,  Sumpf-,  Schlammschachtelhalm.  Kolben-Bärlapp.  Schuppen-  u.  Siegelbäume.     309 

Andere  Schachtelhalme. 

Die  wenig  Schachtelhalmarten,  die  wir  jetzt  noch  auf  der  Erde  antreffen,  sind 
die  zwerghaften  Reste  eines  untergegangenen  Riesengeschlechtes,  das  wesentlich  zur 
Bildung  der  Steinkohle  beitrug  (s.  S.  303).  Gleich  dem  Ackerschachtelhalme  bildet  der 
Wald-Sch.  (lv  silväticum),  der  wie  die  meisten  Waldpflanzen  von  zartem  Bau  ist  (Be- 
deutung?), fruchtbare  und  unfruchtbare  Triebe;  erstere  ergrünen  aber  nach  der  Sporen- 
aussaat  und  treiben  grüne  Seitenzweige.  —  Bei  anderen  Arten  dagegen  steht  die  Sporen- 
ähre an  der  Spitze  der  grünen  Stengel.  Dies  ist  z.  B.  beim  Sumpf-Sch.  (E.  palüstre), 
der  auf  sumpfigen  und  torfigen  Wiesen  ein  lästiges  Unkraut  bildet,  und  beim  Schlamm- 
Seil.  (E.  limösum)  der  Fall,  der  an  denselben  Orten,  sowie  in  Sümpfen,  Gräben  und 
Teichen  seine  oft  mehr  als  meterhohen,  wenig-  oder  unverzweigten  Stengel  treibt. 


3.  Klasse.     Bärlapp-Gewächse  (Lycopödinae). 

Ein  besonders  in  Nadelwäldern  häufiger  Vertreter  dieser  Gruppe  blütenloser 
Pflanzen  ist  der  Kolben-Bärlapp  oder  das  Schlangenmoos  (Lycopodium  clavätum), 
ein  immergrünes ,  moosartiges  Pfiänzchen ,  das  mit  gabelig  verzweigtem  Stengel  weit 
über  den  Boden  dahinkriecht  (Schlangenmoos).  Die  Sporenblätter,  die  wie  bei  den 
Schachtelhalmen  zu  kolbenartigen  Ähren  gehäuft  sind,  tragen  an  ihrem  Grunde  je  eine 
große,  nierenförmige  Sporenkapsel,  die  sich  bei  der  Reife  durch  einen  Querspalt  öffnet. 
Da  sich  die  Sporenähren  auf  langen  Stielen  über  den  Boden  erheben,  vermag  der  Wind 
die  Sporen  leicht  auszuschütteln  und  zu  verwehen.  Die  winzigen  Körper,  die  die  Sporen- 
kapseln als  gelbe  Wolke  verlassen,  sind  das  sog.  Hexenmehl,  das  besonders  zum  Trocknen 
wunder  Körperstellen  dient.  —  Wie  bereits  S.  303  erwähnt,  haben  zahlreiche  baumartige 
Bärlappe  die  Steinkohlenlager  mit  bilden  helfen.  Die  riesigen,  bis  40  m  hohen  Stämme 
waren  mit  siegelartigen  Blattnarben  bedeckt,  die  bei  den  Sehuppeiibäumen  (Lepido- 
dendron)  in  Schraubenlinien,  bei  den  Siegelbäumen  (Sigillaria)  in  Längsreihen  an- 
geordnet waren. 


2.  Gruppe.     Moose  (Bryöphyta). 

Pflanzen,  die  in  Stengel  und  Blätter  gegliedert  sind    oder  ein    laubartiges  Gebilde    dar- 
stellen    (s.    Lebermoose),    denen    echte    Wurzeln   fehlen     und    die    niemals    Gefäßbündel 

enthalten. 

1.  Klasse.     Laubmoose  (Musci). 

Pflanzen,  die  stets  deutlich  in  Stengel  und  Blätter  gegliedert  sind.    Die  Blätter  sind  in 
der  Regel  in  einer  Schraubenlinie  angeordnet,  und  die  Sporenkapsel  ist  meist  mit  einer 

Haube  bedeckt. 

Das  goldene  Frauenhaar  oder  der  Widerton  (Polytrichum  commune). 

A.  Das  Vorkommen.  Das  zierliche  Moos  überzieht  besonders  in  feuchten 
Wühlern,  sowie  auf  Moorboden  und  an  anderen  wasserreichen  Stellen  oft  weite 
Flächen.  Während  es  hier  hohe,  schwellende  Polster  bildet,  tritt  es  uns  an 
trockenen  Stelleu   nur  in  Form   niedriger  Rasen   entgegen.     Einen   prächtigen 


310 


1.  Klasse.     Laubmoose. 


Schmuck    erhalten    diese    grünen    Moosteppiche,    wenn    sich    über    ihnen    auf 

schwankenden   Stielen   die  Sporenkapseln    (s.  S.  314)    erheben.     Dann   werden 

uns  auch 

B.  die  Namen   verständlich,   die   das   zierliche  Pflänzchen   trägt.     Nach 

den  goldgelben,  filzigen  Hauben,  von  denen  die  Kapseln  bis  zur  Reife  überdeckt 

werden,  nennt  man  es  „goldenes  Frauenhaar, 
Haarmoos  oder  Filzmütze".  Früher  schrieb 
man  dem  harmlosen  Gewächs  geheime  Kräfte 
zu:  es  galt  als  sicheres  Mittel  „wider  das 
Antun"  durch  böse  Geister  und  Hexen,  so 
daß  es  heutzutage  noch  hier  und  da  als 
„Widerton"  bezeichnet  wird. 

C.  Die  Moospflanze.  1.  Der  feste, 
elastische  Stengel  erreicht  auf  feuchtem 
Untergrunde  eine  Höhe  von  30  cm.  Er 
stirbt  wie  die  unterirdischen  Stämme  des 
Windröschens,  der  Maiblume  und  anderer 
Pflanzen  vom  unteren  Ende  her  allmählich 
ab,  während  er  oben  beständig  weiter  wächst. 
Daher  ist  er  meist  auch  nur  am  oberen  Teile 
mit  grünen,  lebenstätigen  Blättern  besetzt, 
während  sein  unterer  Abschnitt  kahl  ist 
oder  braune,  d.  i.  abgestorbene  Blätter  trägt. 
Das  untere  Stengelende  ist 

2.  mit   einem  braunen  Filze  bedeckt, 


verzweigten  Zellreihen  zusammengesetzt  ist. 
Diese  Gebilde  befestigen  das  Pflänzchen  im 
Boden  und  nehmen  Wasser  mit  den  darin  ge- 
lösten Nährstoffen  auf.  Sie  vertreten  also 
die  Stelle  der  Wurzeln,  wie  sie  die  höheren 
Pflanzen  besitzen.  Darum  werden  sie  treffend 
auch  als  Wurzelhaare  bezeichnet.  (Wie 
dem  Frauenhaar  fehlen  auch  allen  anderen 
Moosen  echte  Wurzeln.)  In  dem  Grade,  in 
dem  der  Stengel  von  unten  her  abstirbt,  ent- 
stehen an  ihm  immer  weiter  nach  oben  neue 
Wurzelhaare. 

3.  Die  Blätter  sind  in  einer  Schrau- 
benlinie am  Stengel  angeordnet.  Sie  haben 
die  Form  eines  langgestreckten,  gleichschenk- 
ligen Dreiecks,  sind  scharf  zugespitzt  und 
am  Rande  fein  gesägt  (Lupe !).   Am  Grunde 


Goldenes  Frauenhaar  (nat.  Gr.). 
1.  Pflanze  mit  „Moosblüte"  ;  2.  Pflanze 
mit  endständiger  und  durchwachsener 
„Moosblüte1'  ;    3.   Pflanze  mit  Sporen- 
kapsel. 


Goldenes  Frauenhaar. 


311 


Blätter  des 

goldenen 

Frauenhaares. 

1  ausgebreitet; 

2  zusammengelegt 

(etwa  200 mal 

vergr.). 


verbreitern  sie  sich 
zu  einem  häutigen 
Abschnitte,  mit  dem 
sie  dem  Stengel  eng 
anliegen.  (Am  be- 
sten zu  sehen,  wenn 
man  einen  Stengel 
zerreißt,  mit  dem 
oberen  Eude  nach 
unten  kehrt  und 
nunmehr  die  Blät- 
ter mit  Hilfe  einer 
Pinzette  abhebt.) 

a)  Legen  wir 
ein  Blatt  unter  das 

Mikroskop,  so  erkennen  wir  leicht,  daß  es  nur  aus  Zellen  zusammengesetzt  ist.  Es 
entbehrt  also  der  Gefäße  (s.  letzten  Abschn.  d.  Buches),  wie  wir  sie  bei  den  höheren 
Pflanzen  antreffen.  In  gleich  einfacherWeise  sind  auch  alle  übrigen  Teile  des  Frauen- 
haares gebaut, desgleichen  alle  anderen  Moose,  sowie  die  Algen  und  Pilze.  Daher 
werden  diese  3  großen  Gruppen  der  blütenlosen  Gewächse  den  Farnen  oder 
Gefäßkryptogamen    als   „Zellkryptogamen"  gegenüber  gestellt  (s.  S.  296). 

An  einem  Querschnitte  des  Blattes  erkennen  wir  allerdings,  daß  eine  Art  „Mit- 
telrippe" vorhanden  ist.  Sie  besteht  jedoch  im  Gegensatz  zu  dem  entsprechenden 
Gebilde  höherer  Pflanzen  gleichfalls  nur  aus  Zellen.  Da  sie  dem  Blatte  aber  Halt 
und  Stütze  verleihen  soll,  sind  die  Wände  ihrer  Zellen  auch  stark  verdickt. 

b)  An  diesem  Querschnitte  erkennen  wir  ferner,  daß  sich  im  mittleren 
Abschnitte  der  Blattoberfläche  Längsleisten  erheben,  die  aus  je  einer  Zell- 
schicht aufgebaut  sind.  (Im  Querschnitt  erscheinen  die  Leisten  daher  als 
Zellreihen.)  Durch  diese  Gebilde  wird  die  Oberfläche  des  Blattes  wesentlich  ver- 
größert, so  daß  die  Pflanze  also  auch  mehr  Sonnenstrahlen  auffangen  und 
größere  Wassermengen  verdunsten  kann,  als  wenn  die  Blätter  nur  je  eine  einfache 
Zellschicht  darstellten.  Beides  ist  aber  für  das  Moos  von  größtem  Vorteil; 
denn  die  verdunstenden  Wassermassen  machen  anderen  Platz,  die  vom  Boden 
aufsteigen  und  Nährstoffe  enthalten,  und  unter  dem  Einflüsse  des  Sonnenlichtes 
allein  werden  in  den  grünen  Blättern  diese  Stoffe  so  umwandelt,  daß  sie  der 
Pflanze  zur  Nahrung  und  zum  Aufbau  dienen  können. 

c)  Nimmt  man  ein  Pflänzchen  aus  dem  Boden,  so  sieht  man  oft  schon 
nach  kurzer  Zeit,  wie  sich    die  Blätter  rinnig   zusammenlegen:    die 


312 


1.  Klasse.     Laubmoose. 


Seitenteile  der  Blattflächen  schlagen  sich  nach  innen  und  überdecken  die  Längs- 
leisten, so  daß  diese  jetzt  weit  weniger  Wasser  verdunsten  als  vorher.  Und 
zwar  ist  die  Abgabe  von  Wasserdampf  umso  geringer,  als  sich  die  Blätter 
gleichzeitig  nach  oben  dicht  an  den  Stengel  legen.  (Zusammen- 
gefaltete und  aufeinandergelegte  Wäsche  bleibt  viel  länger  feucht,  als  wenn  man 
jedes  einzelne  Wäschestück  flach  ausbreitet.  Warum?)  Diese  Schutzstellmig 
nehmen  die  Blätter,  wie  leicht  zu  beobachten  ist,  bei  trockener  Witterung  auch 
im   Freien   an.     Eine    zu  starke  Wasserdampfabgabe   hat   für    das  Frauenhaar 

wie  für  jedes  andere  Ge- 
wächs selbstverständlich 


o 


. 


den  Tod  im  Gefolge.  Ge- 
gen Wasserverlust  ist 
das  zarte  Moos  jedoch 
außerordentlich  wider- 
standsfähig. Daher  kann 
es  auch  in  dem  trocknen 
Winter  (s.  S.  02)  seine 
Blätter  behalten,  oder 
anders  ausgedrückt, eine 
i m mergrüne  P  f  1  a  n- 
ze  sein. 

d)  Bietet  man  einem 
scheinbar  gänzlich  ver- 
trockneten Pflänzchen 
wieder  Wasser  dar,  so 
breiten  sich  die  Blät- 
terauchalsbaldwie- 
der  aus  und  biegen 
sich  vom  Stengel 
zurück.  Stellt  man 
die  Pflanze  zu  diesem 
Zwecke  mit  dem  unteren  Teile  in  das  Wasser,  so  geht  beides  viel  langsamer  von 
statten  als  wenn  man  den  mit  grünen  Blättern  besetzten  oberen  Teil  in  das 
Wasser  legt  oder  sonstwie  befeuchtet,  ein  Zeichen,  daß  die  Aufnahme  des  Wassers 
besonders  durch  die  Blätter  erfolgt.  WTie  groß  die  Wassermenge  ist,  die  auf- 
gesogen wird,  läßt  sich  am  besten  erkennen,  wenn  man  einen  stark  ausgetrock- 
neten Moosrasen  anfeuchtet,  dessen  Gewicht  man  zu  diesem  Zwrecke  vor  und  nach 
der  Wasseraufnahme  genau  feststellt  (am  besten  benutzt  man  zu  diesem  Ver- 
suche Polster  des  Weiß-  oder  des  Torfmooses).  Freilich  wird  nicht  alles  Wasser 
von  den  Pflanzen  selbst  aufgenommen.  Es  wird  vielmehr  (infolge  von  Kapilla- 
rität) zwischen  den  Blättern  und  Stämmchen  festgehalten  wie  in  den  Poren 
eines  Badeschwammes. 

D.  Die  Befruchtung1.    1.  Männliche  Organe,     a)  Unter  den    Pflänz- 


,, Moosblüte."  1  senkrecht  durchschnitten  mit  3  männlichen 
Organen  m.O.  (etwa  40  mal  nat.  Gr.).  Danehen  eines  dieser  Or- 
gane stärker  (etwa  200  mal)  vergr.  Aus  der  geöffneten  Spitze 
treten  soeben  die  Schwärmer  hervor,  die  z.  T.  (rechts)  schon 
frei  geworden  sind. 


Goli 


313 


chen  des  goldenen  Frauenhaars  linden  sich  im  Mai  und  Juni  stets  mehrere, 
deren  Stengel  am  Gipfel  etwas  verdickt  und  deren  Blätter  daselbst  stark 
verbreitert  und  vielfach  rötlich  gefärbt  sind.  So  entstehen  dort  körbchenartige 
Bildungen,  die  im  Volksmuude  als  „Moosblüten"  bezeichnet  werden.  Nicht 
selten  wächst  der  Stengel  mit  gewöhnlichen  Blättern  weiter,  um  im  nächsten 
Jahre  an  seiner  Spitze  eine  neue  „Blüte"  zu  bilden  (s.  Abb.  2  auf  S.  310). 


Weibliche  Organe  eines  Mooses  (etwa  60  mal  vergr.).  1  Zwei  dieser  flaschen- 
förmigen  Gebilde  (w.O.)  stehen  an  der  Spitze  des  längsdurchschnittenen  Stengels  (St.) 
und   sind    von  zahlreichen    Längsdurchschnittenen  Blättern    (B.)  umgeben.     Das    vordere 

dieser  Organe  ist  im  Längsschnitt  gezeichnet,  um  die  Eizelle  (E.)  und  den  mit  Schleim 
gefüllten  langen  „Hals  der  Flasche"  zu  zeigen.  2  Dieselben  Teile,  einige  Wochen  später: 
Die  Eizelle  eines  der  beiden  weihlichen  Organe  wächst  zur  gestielten  Sporenkapsel  (Sp.) 
heran.  Das  jetzt  stabförmige  Gebilde,  das  noch  nicht  in  Stiel  und  Kapsel  gegliedert 
ist,  hat  sich  in  den  Stengel  der  Pflanze  gebohrt  und  ist  von  dem  mitwachsenden  weib- 
lichen  Organe,   der  „Wand  der  Flasche"  (F.),  eingeschlossen.    Das  2.  weibliche  Organ   ist 

abgestorben. 

b)  Durchschneidet  man  ein  Körbchen  senkrecht,  so  sieht  man  schon  mit 
Hilfe  der  Lupe  zwischen  kleinen,  langgestreckten  oder  spateiförmigen  Blättern 
zahlreiche  wasserhelle  Schläuche,  in  denen  wir  bei  Benutzung  des  Mikroskops 
leicht  die  männlichen  0  r  g  a  n  e  ( Antheridien)  erkennen.  (Bei  völliger  Reife 
genügt  schon  ein  leichter  seitlicher  Druck,  um  sie  aus  dem  Körbchen  hervor- 
zupressen.) 

c)  Bringt  man   einen   reifen  Schlauch   in   das   Wasser,   so   öffnet  er  sich 


314 


1.  Klasse.     Laubmoose. 


an  der  Spitze.  Es  tritt  eine  teigige  Masse  hervor,  die  aus  zahlreichen 
Zellen  mit  je  einem  Schwärmer  besteht  (s.  Abb.  S.  312).  Bald  werden 
diese  Gebilde  frei  und  schwimmen  mit  2  langen  Haaren  am  zugespitzten 
Vorderende  durch  das  Wasser  dahin. 

2.  Bei  anderen  Pflänzchen  sind  zu  derselben  Zeit  die  obersten  Blätter 
knospenartig  zusammengeneigt.  In  den  Achseln  dieser  Blätter  finden  sich  die  weib- 
lichen Organe  (Archegonien;  Abb.  S.  313).  Es  sind  wie  beim  Wurmfarn  flaschen- 
förmige  Gebilde,  die  je  eine  Eizelle  einschließen.  Sie  öffnen  sich  wie  bei 
jener  Pflanze  an  der  Spitze  und  entlassen  einen  Schleim,  durch  den  die 
Schwärmer  eindringen,  um  mit  der  Eizelle  verschmelzen  zu  können.  Den  Weg  zu 
dieser  Zelle  finden  die  Schwärmer  durch  das  Wasser,   das  ja  bei  jedem  Eegen 

den  Moosrasen 
durchtränkt.  —  Das 
Frauenhaar  ist  also 
wie  z.  B.  die  Sal- 
weide eine  zwei- 
häusige  Pflanze. 
Eine  Befruchtung 
kann  daher  nur 
stattfinden ,  wenn 
männliche  und  weib- 
liche Pflanzen  dicht 
beieinander  stehen, 
oder  —  anders  aus- 
gedrückt —  wenn 
sie  einen  Rasen 
oder  ein  Polster 
bilden. 

3.  Von  den  befruchteten  Eizellen  entwickelt  sich  auf  jedem  Stengel 
stets  nur  eine  weiter.  Sie  wächst  zu  einem  langgestreckten  Körper  aus,  der 
sich   nach  und  nach  zu 

E.  der  gestielten  Sporenkapsel  entwickelt,  wie  wir  sie  am  Gipfel  zahl- 
reicher Moospflänzchen  finden. 

1.  Der  untere  Teil  des  Körpers  wird  zu  dem  fast  fingerlangen  Stiele,  der  sog. 
Borste,  die  unten  prächtig  rot  und  oben  goldgelb  gefärbt  ist.  Der  obere  Abschnitt 
dagegen  schwillt  stark  an  und  bildet  sich  zu  der  Sporen-  oder  Mooskapsel 
aus.  Indem  sich  die  Borste  mit  ihrem  unteren  Ende  in  das  Moosstämmchen  einbohrt, 
bleibt  das  ganze  Gebilde  mit   der  Mutterpflanze  in  innigstem  Zusammenhange. 

2.  Anfänglich  ist  die  junge  „Moosfrucht"  von  der  mitwachsenden  Flasche 
umgeben.  Schließlich  zerreißt  diese  Hülle  aber:  ihr  unterer  Teil  bleibt  als  die 
kleine  Scheide  zurück,  die  die  Borste  unten  umgibt  und  inniger  mit  der 
Mutterpflanze  verbindet;  ihr  oberer  Abschnitt  dagegen  wird  von  der  Kapsel 
als  goldgelber  Filz,  die  sog.  Haube,  mit  emporgehoben. 


Sporenkapselndes  goldenen  Frauenhaars  (etw.  15  mal  vergr.). 
1  Kapsel  mit  Haube.  2  Kapsel  obne  Haube.  D.  Deckelcben. 
3  Deckelchen  abgefallen  ;  der  Wind  scbüttelt  die  Sporen  heraus. 


Goldenes  Frauenhaar.  315 

3.  Die  vierkantige  Sporenkapsel  (Längs-  und  Querschnitt!)  ist  von 
einem  Mittelsäulchen  durchzogen  und  von  zahlreichen,  grünen  Sporen 
erfüllt.  Ihr  oberer  Teil  hebt  sich  bei  der  Reife  in  Form  eines  Deckelchens 
ab.  An  dem  Rande  der  Kapsel  erblickt  man  dann  (Lupe!)  eine  große  Anzahl 
feiner  Zähnchen,  deren  Spitzen  durch  ein  trommelfellartiges  H ä u  t c h e n 
miteinander  verbunden  sind. 

4.  Entstehung  und  Lau  der  Sporenkapsel  machen  uns  nun  zahlreiche 
Verhältnisse  der  interessanten  Pflanze  verständlich: 

a)  Wie  die  Eizelle,  so  ist  auch  der  aus  ihr  hervorgehende  Körper  an- 
fänglich überaus  zart.  Für  ihn  ist  es  daher  von  größtem  Vorteil,  daß  er  von 
der  mitwachsenden  „Flasche"  so  lange  umhüllt  wird,  bis  er  den 
Witterungseinflüssen  zu  widerstehen  vermag  (vgl.  mit  dem  Schutze,  den  die 
Samenanlagen  der  höheren  Pflanzen  im  Fruchtknoten  finden!). 

b)  Die  Sporenkapsel  ist  zwar  ein  grünes  Gebilde.  Da  sie  aber  von  der 
Filzhaube  überdeckt  ist,  so  daß  das  Sonnenlicht  nur  geschwächt  bis  zu  ihr  vor- 
zudringen vermag,  ist  die  „Moosfrucht"  auch  bei  weitem  nicht  im  stände, 
alle  zum  Wachstum  und  Leben  erforderlichen  Stoffe  zu  bereiten.  Sie  bleibt 
daher  —  wie  wir  gesehen  haben  —  mit  der  Mutterpflanze  im  Zu- 
sammenhange. 

Diese  Verbindung  ist  jedoch  eine  ganz  andere  als  z.  B.  die  zwischen  der 
Apfelfrucht  und  dem  Apfelbaume.  Zieht  man  nämlich  die  Borste  vorsichtig  aus 
der  Mutterpflanze,  so  daß  ihr  Ende  aber  noch  in  der  Scheide  bleibt,  und  steckt 
man  sie  darauf  wieder  fest  in  das  Moosstämmchen,  so  —  wächst  die  „Moos- 
frucht" weiter!  Man  betrachtet  daher  die  Kapsel  mit  ihrem  Stiele  als 
eine  besondere  Pflanze,  die  aus  dem  Moospflänzchen  hervorgegangen 
ist,  mit  ihm  aber  im  Zusammenhange  bleibt  und  von  ihm  er- 
nährt  wird. 

c)  Während  die  Borste  schon  ziemlich  frühzeitig  erstarkt,  bleibt  die 
Kapsel  lange  Zeit  sehr  zart.  Ihr  ist  daher  die  Haube  ein  wichtiges  Schutz- 
mittel, das  sich  treffend  mit  einem  Strohdache  vergleichen  läßt:  Wie  nämlich 
ein  solches  Dach  die  Hausbewohner  vor  zu  großer  Wärme  und  vor  Regen  be- 
wahrt, so  beschützt  auch  die  Filzhülle  die  wachsende  Kapsel  vor  zu  starker 
Erwärmung  und  damit  verbundener  übermäßiger  Wasserdampfabgabe  (Ver- 
trocknen!), sowie  vor  schädlicher  Nässe  (Tau,  Regen).  Sind  die  Sporen  gereift, 
so  daß  sie  ausgestreut  werden  müssen,  dann  ist  die  Hülle  überflüssig  geworden. 
Sie  fällt  daher  ab. 

d)  Dasselbe  gilt  für  das  Verschlußstück  der  sich  jetzt  wagerecht  stellenden 
Kapsel,  für  das  Deckelchen.  Es  wird,  indem  die  Kapselwände  ein- 
trocknen, abgehoben. 

e)  Für  die  Sporen  ist  es  wie  für  die  Samen  nun  von  größter  Wichtigkeit, 
nacheinander  ausgesät  zu  werden  (s.  S.  10,  3).  Die  Kapsel  ist  daher  — 
wie  wir  gesehen  haben  —  oben  nicht  einfach  offen.     Indem  sich  die  Zähnchen 


316 


1.    Klasse.     Laubmoose. 


am  Kapselrande   etwas  emporrichten,  heben  sie  auch  das  Häutchen  mit  empor: 
es   entstehen   zahlreiche   Löcher,    durch   die    die   Sporen   allmählich 

ausgestreut  werden. 
Die  Kapsel  hat  jetzt  also 
große  Ähnlichkeit  mit  ei- 
nem Mohnkopfe  oder  bes- 
ser mit  einer  Streusand- 
büchse. 

Eine  erfolgreiche 
Verbreitung  der  Sporen 
durch  den  Wind  kann 
aber  nur  dann  erfolgen, 
wenn  sie  trocken  sind 
(wieso?).  Darum  krüm- 
men sich  die  sehr  hy- 
groskopischen Zähn- 
chen bei  feuchtem 
Wetter  wieder  herab 
und  ziehen  das  Häut- 
chen  mit  herunter. 
Infolgedessen  ver- 
schwinden die  Öff- 
nungen wieder,  so  daß 
jetzt  ein  Ausstreuen  der 
Sporen  unterbleiben  muß.  (Durch  Befeuch- 
tung der  Kapseloberfläche  leicht  zu  beob- 
achten!) 

f)  Obgleich  die  reife  Kapsel  wagerecht 
steht,  fallen  die  Sporen  nicht  von  selbst 
heraus.  Sie  muß  erst  erschüttert  werden. 
Da  sie  sich  nun  auf  einem  langen,  sehr 
elastischen  Stiele  erhebt,  ist  hierzu  schon 
ein  sanfter  Wind  im  stände. 

F.  Der  Yorkeim.  1.  Die  Entwick- 
lung der  Sporen  läßt  sich  wie  bei  den  Farnen 
(s.  S.  297,  E)  durch  Aussaat  leicht  verfolgen. 
Schon  nach  wenigen  Tagen  ist  aus  jeder 
Spore  ein  Keimschlauch  hervorgegangen, 
der  sich  bald  zu  dem  Vorkeime  weiter 
entwickelt.  Dieses  Gebilde  stellt  einen  langen, 
mehrfach  verästelten  Faden  dar,  hat  also  große  Ähnlichkeit  mit  einer  verzweigten 
Fadenalge  (s.  das.).  Da  er  wie  der  Vorkeim  der  Farne  sich  selbst  die  zum  Leben 
und  Wachstum  nötigen  Stoffe  bereiten  muß,   so  findet  auch  an  ihm  eine  Arbeits- 


Ä 


Obere  Fläche  der  Sporenkapsel,  die  Zähnchen,  des 
Kapselrandes  und  das  trommelfellartige  Häufchen  (H) 
zeigend  (etwa  30mal  vergr.).  1  bei  trockenem  Wetter, 
staubend :  2  bei  feuchtem  Wetter:  die  Löcher  sind  wieder 
geschlossen.  Darunter  noch  stärker  vergr.  einige  Zähnchen 
und  ein  Stück  des  Häntchens  (H),  gleichfalls  bei  trockenem 
und  feuchtem  Wetter. 


Vorkeim  eines  Mooses  (etwa200mal 

vergr.).   S.   Spore,  aus  der  der  Vorkeim 
hervorgegangen  ist.     K.  Knospen. 


Goldenes  Frauenhaar.     Bedeutung  der  Mooae.  :;17 

teilung  statt:  mehrere  farblose  oder  braune  Zweige  dringen  als  Wurzelhaare 
in  den  Boden  und  übernehmen  die  Aufgaben  der  fehlenden  Wurzeln,  die  anderen 
sind  grün  und  verarbeiten  im  Sonnenlichte  die  aufgenommenen  Rohstoffe.  (Vor- 
keime der  Moose  findet  man  als  grünen  Anflug  häuflg  auf  feuchtem  Boden, 
z.  B.  auf  Blumentöpfen.) 

2.  Am  oberen  Teile  des  Yorkeims,  der  nunmehr  bald  zugrunde  geht,  ent- 
stehen kleine  Knospen,  die  zu  je  einem  Moospflänzchen  auswachsen. 
Keimen  an  einem  Orte  viele  Moossporen,  so  bilden  sich  demnach  auch  zahlreiche, 
dicht  beieinander  stehende  Moospflänzchen:  es  entsteht  ein  Rasen  oder  Polster. 
—  Hiermit  sind  wir  zum  Ausgangspunkte  unserer  Betrachtung  zurückgekehrt, 

3.  Nunmehr  sind  wir  auch  im  stände,  die  Entwicklung  der  Moose,  die  im 
wesentlichen  genau  wie  beim  Frauenhaar  erfolgt,  zu  überblicken  und  mit  der  der 
Farne  zu  vergleichen  (s.  S.  300,7).     Dabei  werden  wir  leicht  folgendes  linden: 

a)  Aus  der  Spore  bildet  sich  der  algenartige  Vorkeim,  aus  dem  durch 
Knospung  die  Moospfläuzchen  entstehen.  Da  die  Pflänzchen  die  männlichen 
und  weiblichen  Organe  tragen,  so  bilden  sie  mit  ihrem  Vorkeim  die  ge- 
schlechtliche Form  oder  Generation.  —  Aus  der  Vereinigung  von  Eizelle 
und  Schwärmer  geht 

b)  die  gestielte  Sporenkapsel  hervor,  die  auf  „ungeschlechtlichem  Wege'' 
Sporen  erzeugt.  Sie  stellt  somit  die  ungeschlechtliche  Form  oder  Gene- 
ration dar. 

c)  Da  beide  Formen  regelmäßig  abwechseln,  haben  wir  hier  wie  bei  den 
Farnen  einen  deutlich  ausgeprägten  Generationswechsel  vor  uns.  (Welche 
Unterschiede  sind  in  der  Entwicklung  der  beiden  Pflanzengruppen  aber  vor- 
handen? Beweise,  daß  die  Sporenkapsel  der  Moose  ihrer  Entstehung  nach  der 
Farnpflanze  entspricht,  während  andererseits  der  Yorkeim  und  die  Moospflanze 
dem  Vorkeime  der  Farne  gleich  zu  setzen  ist!) 

Die  Bedeutung  und  die  verbreitetsten  Arten  der  Laubmoose. 

A.  Die  Bedeutung.  Die  Laubmoose  treten  uns  in  der  Natur  in  größtem 
Formenreichtum  entgegen.  Sie  sind  alle  im  wesentlichen  wie  das  goldene  Frauenhaar 
gebaut  und  zeigen  infolgedessen  auch  dieselben  Lebenstätigkeiten.  Daher  eröffnet  uns 
das  Verständnis  der  einen  Pflanze  zugleich  einen  Blick  auf  die  Bedeutung  aller. 

1.  Wie  das  Frauenhaar  vermögen  die  meisten  Moose  so  stark  auszutrocknen,  daß 
sie  unter  unseren  Tritten  zerbrechen,  und  wir  sie  zu  Staub  zermalmen  können.  Wochen- 
lang verharren  sie  in  diesem  Zustande:  sobald  sie  aber  von  einem  Regen  benetzt  werden, 
erwachen  die  schlummernden  Lebenstätigkeiten  von  neuem.  Daher  vermögen  sich  viele 
von  ihnen  auch  an  Felsen  und  Baumstämmen,  auf  Ästen,  Mauern  und  Dächern,  kurz  an 
Orten  anzusiedeln,  an  denen  sie  oft  lange  Zeit  hindurch  größter  Trocknis  ausgesetzt 
sind.  (Warum  finden  sich  Moose  [und  Flechten]  besonders  an  der  „Wetterseite"  der 
Baumstämme?) 

Diese  Ortlichkeiten  sind  ferner  so  arm  an  Nährstoffen,  daß  größere  Pflanzen  hier 
„verhungern"  müßten.  Den  winzigen  Moosen  aber  genügen  die  geringen  Erdmengen  in 
den  Felsenritzen    oder  der  Staub    in    den  Fugen    der  Dachziegel  und  in  den  Rissen  der 


318  1.  Klasse.     Laubmoose. 

Baumrinde  vollkommen.  Die  größte  Menge  von  Nährstoffen  nehmen  sie  allerdings  mit 
dem  Regenwasser  auf,  das  sich  auf  seinem  Laufe  über  die  Felsen,  an  den  Baumstämmen 
herab  oder  dgl.  damit  beladet. 

Durch  die  Fähigkeit,  an  wasser-  und  nährstoffarmen  Örtlichkeiten  zu  gedeihen, 
erlangen  die  Moose  eine  außerordentliche  Wichtigkeit  im  Haushalte  der  Natur.  Indem 
sie  nämlich  den  zwischen  den  Pflänzchen  ihrer  Polster  herbeigewehten  Staub  aufsammeln, 
sowie  von  unten  her  beständig  absterben  und  in  „Mooserde"  zerfallen,  vermehren  sie  fort- 
gesetzt die  geringe  Erdmasse,  in  der  sie  wurzeln.  Sie  sind  daher  (mit  den  Flechten) 
die  ersten  Ansiedler  an  Felsen  und  bereichern  selbst  den  ödesten  Boden 
nach  und  nach  an  fruchtbaren  Bestandteilen.  Nach  ihnen  können  sich  an 
diesen  Orten  Pflanzen  ansiedeln,  die  größere  Ansprüche  an  den  Boden  stellen,  so 
daß  sich  im  Laufe  der  Zeit  selbst  kahle  Felsen  mit  einer  grünen  Pflanzendecke  über- 
ziehen. 

2.  Im  wasserdurchtränkten  Moore  dagegen  ist  der  gänzliche  Zerfall  der  ab- 
gestorbenen Teile  nicht  möglich.  Gleich  der  Rasen-  und  Erdschicht,  die  der  Köhler  über 
den  Meiler  deckt,  verhindert  nämlich  das  Wasser  eine  genügende  Durchlüftung  des 
Bodens,  so  daß  nur  eine  unvollkommene  Zersetzung  der  Pflanzenteile  eintritt  (s.  S.  114). 
Wie  im  Meiler  häufen  sich  daher  im  Boden  große  Mengen  von  Kohlenstoff  an:  es  ent- 
steht der  Torf,  der  zum  Unterschiede  vom  Heidetorf  als  „Moostorf"  bezeichnet  wird. 
Geht  die  Torfbildung  Jahrhunderte  oder  Jahrtausende  hindurch  vor  sich,  so  entstehen 
schließlich  mächtige  Torflager,  wie  wir  sie  z.  B.  in  der  norddeutschen  Tiefebene  und  an 
mehreren  Flüssen  Bayerns  finden. 

Der  Torf  dient  dem  Menschen  nun  nicht  allein  als  Brennmaterial,  sondern  er 
liefert  auch  ein  (allerdings  meist  nur  dürftiges)  Ackerland.  Zu  diesem  Zwecke  brennt 
der  Moorbauer  die  oberste  Schicht  der  Torflager  ab  („Höhenrauch"),  oder  er  vermengt  die 
schwarze  Torferde  mit  lockerndem  Sande.  Ohne  den  Torf  und  die  ihn  erzeugenden 
Moose  wären  jene  Gegenden  Sümpfe,  die  vom  Menschen  nicht  bewohnt,  z.  T.  nicht  ein- 
mal betreten  werden  könnten.  Wenn  unter  den  Torfbildnern  auch  die  Torfmoose 
(s.  w.  u.)  die  erste  Stelle  einnehmen,  so  trägt  doch  neben  zahlreichen  anderen  Moos- 
arten das  zierliche  Frauenhaar  gleichfalls  nicht  wenig  dazu  bei,  für  den  Menschen 
bewohnbares  Land  zu  schaffen. 

3.  Wie  wir  sahen,  saugen  sich  die  Moospolster  beim  Regen  wie  ein  Schwamm  voll 
Wasser.  Bedenken  wir  nun,  daß  der  Boden  der  Wälder  oft  auf  weite  Strecken  hin  mit 
einem  grünen  Moosteppich  bedeckt  ist,  so  können  wir  ungefähr  abschätzen ,  welch'  rie- 
sige Wassermenge  schon  von  den  Moosen  eines  einzigen  Waldes  aufgesogen  und  fest- 
gehalten wird.  Schlägt  man  die  Wälder  nieder,  so  gehen  auch  die  schattenliebenden 
Wald-Moose  meist  zugrunde.  Geschieht  dies  nun  auf  einem  Gebirge,  so  stürzen  bei 
heftigem  Gewitterregen  oder  beim  Schmelzen  des  Schnees  die  Wassermengen  wie  reißende 
Ströme  zu  Tale  und  verwüsten  nicht  selten  die  fruchtbaren  Ebenen,  die  sich  längs 
der  Flüsse  ausdehnen,  mitsamt  den  Wohnstätten  der  Menschen.  Im  Verein  mit  den  anderen 
Pflanzen,  die  den  Waldgrund  bedecken,  schützt  das  unscheinbare  Moos  also 
die  Bewohner  der  Täler  und  Niederungen  vor  verheerenden  Über- 
schwemmungen. 

Von  waldlosen  Bergrücken  fließt  das  Wasser  also  in  kürzester  Zeit  ab.  Dann  ver- 
siegen Bäche  und  Flüsse,  so  daß  Feld  und  Mensch  unter  dem  Wassermangel  stark  leiden 
müssen  (führe  dies  näher  aus!).  Ist  das  Gebirge  aber  mit  Wald  bedeckt,  dann  gibt 
das  Moos  das  eingesogene  Wasser  nur  sehr  langsam  wieder  ab.     Es  speist   also  das 


Bedeutung  der  Moose.     Torfmoos. 


319 


ganze  Jahr  hindurch  die  Quellen  und  Flüsse  und  versorgt  die  Täler 
und   Niederungen  jahraus,    jahrein   mit    Wasser. 

4.  "Wie  die  Bäume  den  Moosen,  die  den  Grund  des  Waldes  bekleiden,  Schutz  ge- 
währen, so  leisten  umgekehrt  auch  die  unscheinbaren  Pflänzchen  ihren  Beschützern  einen 
nicht  minder  wichtigen  Dienst:  sie  bewahren  den  Boden  vor  zu  starker 
Austrocknung,  so  daß  die  Baum  wurzeln  beständig  das  nötige  Wasser  linden  können, 
und  verhindern  (besonders  an  Abhängen)  das  Wegschwemmen  der  Erd- 
schicht, in  der  die  Bäume  wurzeln.  (Beurteile  hiernach  das  Einsammeln  der  Moose 
als  Streu  für  das  Vieh  !)    Die  gleiche  Bedeutung  haben 

die  Moose  auch  für  die  anderen  Pflanzen  des  Waldes, 
deren  Wurzeln,  unterirdischen  Stämmen,  Knollen  oder 
Zwiebeln  sie  zugleich  als  schützende  Winter- 
decke dienen  (führe  dies  näher  aus!). 

5.  Wenn  wir  nan  noch  bedenken,  wie  viele 
niedere  Tiere  (Insekten,  Spinnen,  Weichtiere 
u.  s.  w.)  die  Moosrasen  beleben  oder  in  ihnen  den 
Winterschlaf  halten,  wie  die  „Mooshälmchen"  zahl- 
reichen Vögeln  zum  Nestbau  dienen,  wie  der 
Mensch  das  Moos  zum  Anfertigen  von  Kränzen, 
zum  Verpacken  von  zerbrechlichen  Gegenständen, 
zum  Ausfüllen  von  Kissen  und  Polstern,  zum  Ver- 
stopfen von  Lücken  und  Ritzen,  zur  Streu  für  das 
Vieh  und  zu  zahlreichen  anderen  Zwecken  verwendet: 
so  werden  wir  die  große  Bedeutung  ermessen  können, 
die  die  unscheinbaren  Pflänzchen  im  Naturganzen  und 
für  den  Menschen  haben!  — 

6.  Wenn  das  Moos  allerdings  Wiesen  und  Äcker 
überzieht,  dann  ist  es  nichts  weiter  als  ein  Un- 
kraut, das  den  angebauten  Pflanzen  Licht,  Luft, 
Nahrung  und  Raum  entzieht.  Auch  von  der  Rinde 
der  Obstbäume  muß  es  entfernt  werden;  denn  es  ge- 
währt den  überwinternden  Schädlingen  einen  Unter- 
schlupf und  hält  die  Stämme  und  Zweige  zu  lange 
feucht,  so  daß  sie  leicht  faulen. 

ß.  Von  den  verbreitetsten  Arten  seien 
die  wichtigen  Torf-  oder  Sumpfmoose  (Sphag- 
num)  zunächst  genannt,  die  in  Sümpfen,  morastigen 

Wäldern  und  an  ähnlichen  feuchten  Stellen  große,  schwammige  Polster  bilden.  Ihr  Stengel 
ist  mit  peitschenförmigen  Ästchen  besetzt,  die  am  Gipfel  schopfartig  gehäuft  sind.  Wurzel- 
haare sind  nur  im  jugendlichen  Zustande  vorhanden,  ein  Zeichen,  daß  die  Aufnahme  von 
Wasser  und  Nährstoffen  auf  anderem  Wege  erfolgen  muß.  Die  Hauptmasse  der  Blätter 
besteht  nämlich  aus  großen,  inhaltsleeren  Zellen,  die  als  Wasserspeicher  dienen.  Aus 
gleichen  Zellen  ist  auch  die  Außenschicht  der  Stengel  und  Zweige  zusammengesetzt,  so 
daß  sich  die  Pflanze  wie  ein  Schwamm  voll  Wasser  zu  saugen  vermag.  Da  nun  die 
Außenwände  dieser  Hohlräume  durchlöchert  sind,  so  erfolgt  die  Wasseraufnahme  auch 
mit  großer  Schnelligkeit.  Durch  diese  farblosen  Zellen  kann  das  Blattgrün,  das  in 
anderen  Zellen  angelagert  ist,  aber    nicht    recht    zur  Geltung   kommen;    daher   hat  dio 


320  1.  Klasse.     Laubmoose.      2.  Klasse.     Lebermoose. 

Pflanze  ein  eigentümlich  blaßgrünes  Aussehen.  —  Ähnliche  "Wasserspeicher  und  daher 
auch  eine  ähnliche  Färbung  besitzt  das  Weißmoos  (Leucöbryum  glancum),  das  an 
feuchten  Waldstellen  die  bekannten  bläuliebgrünen  oder  weißlichen  (Käme  !\  meist  kreis- 
runden Polster  bildet.  —  Der  Moosteppich,  der  den  "Waldgrund  oft  meilenweit  ununter- 
brochen überzieht,  ist  aus  zahlreichen  Arten  gewoben,  unter  denen  sich  die  Astmoose 
(Hypnuru  und  andere  Gattungen  mit  sehr  vielen,  schwer  unterscheidbaren  Formen)  durch 
zierlich  verästelte  Stämme  auszeichnen  (Name!).  —  In  Erdlöchern  und  Höhlen  lebt  das 
merkwürdige  Leuchtmoos  (Sehistostega  osmundacea),  dessen  Vorkeim  ein  mildes,  sma- 
ragdenes Licht  zurückwirft  (Käme!).  Gewisse  Zellen  des  zarten  Gebildes  stellen  glashelle 
Kugeln  dar,  die  gleich  Brenngläsern  die  einfallenden  Lichtstrahlen  sammeln  und  nach  der 
dem  Lichte  abgewendeten  Seite  leiten.  Dort  befindet  sich  das  Blattgrün,  das  also  durch 
die  gesammelten  Strahlen  verhältnismäßig  stark  beleuchtet  wird.  Infolge  dieser  Einrichtung 
vermag  das  Moos  noch  in  dem  Halbdunkel  der  Felsenspalten  zu  gedeihen,  also  bei  einer 
Lichtmenge,  die  für  keine  andere  grüne  Pflanze  mehr  genügt.  Da  nun  die  gesammelten 
Strahlen  von  dem  Blattgrün  wie  von  einem  Hohlspiegel  z.  T.  zurückgeworfen  werden, 
so  erstrahlt  das  zarte  Pflänzchen  in  einem  milden  Lichte,  das  jeden  Beschauer  entzückt. 
(Wir  haben  es  hier  also  mit  einer  ähnlichen  Erscheinung  wie  beim  Leuchten  der  Katzen- 
augen zu  tun;  s.  Lehrbuch  d.  Zoologie.) 

2.  Klasse.    Lebermoose  (Hepäticae). 

Pflanzen,  die  blattartige  Gebilde  darstellen  oder  in  Stengel  und   zweizeilig   angeordnete 
Blätter  gegliedert  sind  und  haubenlose  Sporenkapseln  besitzen. 

In  das  Wesen  dieser  weit  kleineren  Abteilung  der  Moose  soll  uns  das  Brunnen- 
Lebermoos  (Marchäntia  polymörpha)  einführen,  das  an  Brunnenrändern,  feuchten 
Mauern,  Gräben,  kurz  an  nassen  Orten  häufig  anzutreffen  ist.  Früher  wurde  es  für  ein 
Mittel  gegen  Leberleiden  gehalten,  ein  Umstand,  dem  es  mit  der  ganzen  Klasse  den 
Namen  verdankt.  Es  ist  ein  blattartiges,  mehrfach  gelapptes  Gebilde,  das  durch  zahl- 
reiche Wurzelhaare  am  Erdboden  befestigt  ist.  Im  Juni  und  Juli  entwickelt  es  eigen- 
tümliche Äste,  die  etwa  das  Aussehen  kleiner  Hutpilze  haben.  Bei  gewissen  Pflänzchen 
gleicht  der  „Hut"  einem  flachen  Teller  mit  gekerbtem  Rand,  bei  anderen  dagegen  etwa  dem 


Brunnen-Lebermoos:   1  weibliche,    2  männliche  Pflanze;   beide  mit  Brutbechern 

(nat.  Gr.). 


Weißmoos.     Astmoos.     Leucktmoos.     Leben s.     Schraubenalge.  :\-j\ 

Gestell  eines  aufgespannten  Regenschirmes.    Während  sich  an  der  Überseite  der  „Teller" 

die   männlichen  Organe    (Antheridien)    finden,    tragen    die    „Schirmstäbe''    an    der 

Unterseite    die    weiblichen     Organe    (Archegonien).     Beide 

sind  wie  beim  goldenen  Frauenhaar  gebaut.    Daher  erfolgt  auch 

die  Befruchtung  in  derselben  Weise.     Die    aus  den  Eizellen  sich 

entwickelnden  Sporen  kapseln    besitzen   aber  keine  Hauben. 

Außer  dieser  geschlechtlichen  Fortpflanzung  findet  auch  noch  eine 

ungeschlechtliche  statt.  Auf  der  Oberseite  des  blattartigen  Eaupt-  /Mtmmsjßm^ 

teils    erheben    sich    nämlich    vielfach    kleine    Becher,    in  deren  Brutbecher  des 

Grunde    winzige   Teile    der   Pflanze    abgeschnürt    werden.     Vom  Lebern ses    im 

Regen   verschwemmt,    wachsen   diese    Gebilde    wie    Ableger    zu  Längsschnitt    mit 

selbständigen    Pflanzen   heran.     Daher  werden     die  Becher  auch  Ablegern    (etwa 

treffend  als    „Brutbeck  er"    bezeichnet.  15  mal  vergr.). 


3    Gruppe.     Lagerpflanzen  (Thallöphyta). 

Pflanzen,    deren  Körper  nicht  in  Stengel  und  Blätter   gegliedert    ist,    die    also    ein    sog. 
Lager  darstellen. 

1.  Kreis.     Algen  (Algae). 

Lagerpflanzen,  die  im  Wasser  oder  doch  an  feuchten  Stellen  leben  und  Blattgrün  enthalten. 

1.  Klasse.     Grünalgen  (Chlor ophyceae). 

Sehr  verschieden  gestaltete  Pflanzengebilde,    die   außer  Blattgrün    keine   anderen  Farb- 
stoffe enthalten  und  daher  grün  erscheinen. 

Die  Schraubenalge  (Spirogyra). 

(Zugleich  ein  Blick  auf  die  Bedeutung  der  Algen  im  allgemeinen.) 

A.  Vorkommen.  Au  der  Oberfläche  von  Teichen,  Tümpeln  und  Gräben 
finden  wir  während  der  wärmereu  Jahreszeit  häufig  schlüpfrige,  grüne  Massen, 
die  wie  Watte  aus  zahlreichen,  unentwirrbaren  Fäden  bestehen.  Bei  Zuhilfe- 
nahme des  Mikroskops  erkennen  wir  in  ihnen  leicht  Algen,  die  in  ihrem  Bau 
größere  oder  geringere  Verschiedenheiten  aufweisen,  also  verschiedenen  Gattungen 
und  Arten  angehören.  Da  diese  Pflanzen  frei  im  Wasser  schweben,  so  ver- 
mögen sie  gleich  anderen  freischwimmenden  Gewächsen  (Beispiele!)  auch  um- 
stehende oder  langsam  fließende  Gewässer  zu  bewohnen. 

Unter  diesen  Algen  ist  die  zu  betrachtende  Schraubenalge  eine  der 
häutigsten.     Wir  werden  sie  leicht  herausfinden,  wenn  wir  ihren 

B.  Bau  genügend  beachten,  wie  ihn  umstehende  Abbildung  er- 
kennen läßt. 

1.  Das  Pflänzchen  stellt  einen  überaus  zarten  Faden  dar.  Eine  Luft- 
pflanze von  dieser  Form   müßte   kraftlos   zusammenfallen   oder   dem   Erdboden 

Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik.  21 


:V22 


3.  Grnppe.      1.   Kreis.      1.  Klasse.   Grünalgen. 


anfliegen.  Eine  Pflanze  dagegen,  die  im  Wasser  schwebt,  von  ihm  also  ge- 
tragen wird,  kann  diese  Gestalt  nnd  Zartheit  wohl  besitzen.  (Vgl.  hiermit 
auch  die  auffallende  Größe  und  Zartheit  vieler  Wassertiere;  s.  z.  B.  Wal  und 
Qualle  im  „Lehrb.  d.  Zoologie".) 

Im  Gegensatz  zu  allen  bisher  betrachteten  Gewächsen 
sind  an  dem  Pflänzchen  also  weder  Stamm,  noch  Blätter  zu 
erkennen.  Einen  gleich  einfachen  Bau  besitzen  auch  alle 
anderen  Algen,  sowie  die  Pilze  und  Flechten.  Da  man  nun 
einen  solchen  ungegliederten  Pflanzenkörper  als  „Lager" 
bezeichnet,  stellt  man  jene  Pflanzen  den  „Stamm-Blatt-Pflanzen" 
als  „Lagerpflanzen"  gegenüber.  (Beweise,  daß  die  Leber- 
moose den  Übergang  zwischen  beiden  großen  Gruppen  bilden!) 
2.  a)  Der  Faden  ist  aus  zahlreichen,  walzenförmigen 
Zellen  zusammengesetzt  (s.  den  letzten  Abschn.  des 
Buches!),  die  sich  mit  je  einem  kleinen  Zimmer  vergleichen 
lassen.  Die  „Zimmerwände"  sind  farblos,  durchsichtig  und 
sämtlich  mit  einer  „Tapete"  überkleidet,  die  aus  einer  schlei- 
migen und  gleichfalls  farblosen  Masse  gebildet  wird.  In  dieser 
„Tapete"  liegt  bei  der  abgebildeten  Form  ein  schraubenförmig 
gewundenes  Band,  das  durch  einen  eingelagerten  Farbstoff,  das 
sog.  Blattgrün,  lebhaft  grün  erscheint.  Dieses  Band  gibt 
der  ganzen  Pflanze  das  grüne  Aussehen  und  läßt  den  Namen 
„Schraubenalge"  vollkommen  gerechtfertigt  erscheinen.  (Bei 
anderen  Arten  der  Gattung  „Schraubenalge"  treten  mehrere 
solcher  Bänder  auf.)  Durch  den  Innenraum  des  „Zimmers", 
der  mit  einer  wässerigen  Flüssigkeit  angefüllt  ist,  ziehen  sich 
von  den  „tapezierten  Wänden"  aus  mehrere  Fäden.  Sie  kreu- 
zen sich  alle  in  einem  Punkte  und  halten  dort  ein  Körper- 
chen,  den  Zellkern,   in   der  Flüssigkeit   schwebend. 

b)  Da  die  Wände  sehr  zart  sind,  so  vermag  durch 
sie  Wasser  und  die  in  ihm  gelösten  Nährstoffe  leicht  in  das 
Innere  der  Zellen  zu  dringen.  Daher  kann  die  Pflanze  der 
Wurzeln  (oder  der  Wurzelhaare,  wie  sie  die  Moose  be- 
sitzen) wohl  entbehren. 

c)  Die  aufgenommenen  Nährstoffe  werden  wie  bei  allen 
anderen  grünen  Pflanzen  aber  nur  unter  dem  Einflüsse  des 
Sonnenlichts  weiter  verarbeitet.  Daher  ist  die  stark  beleuchtete 
Wasseroberfläche   für  die  Pflanze    auch    ein    sehr   geeigneter 

Aufenthaltsort.     Wir  finden  allerdings  auch   in   tieferen  Wasserschichten  zahl- 
reiche Algen;  jedoch  ohne  Licht  kann  keine  dieser  Pflanzen  leben. 

C.  Vermehrung".  1.  Die  watteartigen  Massen,  die  die  Schraubenalge  auf 
den  Gewässern  bildet,  vergrößern  sich  sehr  schnell.  Wie  dies  erfolgt,  zeigt 
uns  wieder  das  Mikroskop.     An  dieser  oder  jener  Zelle  beginnt  der  Kern,  sowie 


Schraubenalge : 

drei  Zellen  eines 
Fadens,  von  denen 
die  unterste  (3)  in 
Teilung  begriffen 
ist  (etwa  600  mal 
verirr. ). 


Schraubenalere. 


323 


der  gesamte  Inhalt  sich   in  2  Teile  zn   spalten.     Gleichzeitig    bildet  sich    etwa 
in  der  Mitte   der  Längswand  der  Zelle   eine   ringförmige  Verdickung,   die   sich 
immer  weiter  nach  innen  erstreckt,    nnd  die  schließlich  den  Zellraum   wie  eine 
Querwand  durchsetzt.     Auf  diese  Weise  wird   die  Zelle   in   zwei    „Tochter- 
zellen" geteilt,  die  bald  zur  Größe  der  „Mutterzelle"  auswachsen  (s.  Abb.  S.  322). 
Vielfach  kommt  es  nun  auch  vor,  daß  die 
Fcäden    zerreißen,    und   daß    die    Teil- 
stiicke  als  selbständige  Fäden  weiter  leben. 
2.  Im  Sommer  und  Herbst  trifft  man 
vielfach  Schraubenalgen  an,   die   ein  eigen- 
tümlich krauses  Aussehen  haben,  und  deren 
Fäden  fest  aneinander  haften.    Bringen  wir 
Teile  dieser  Fäden  in  einen  größeren  "Was- 
sertropfen,  so   können    wir  mit    Hilfe    des 
Miskroskops  folgendes  feststellen:  je  2  Fäden 
haben  sich  mehr  oder  weniger  parallel  zu- 
einander gelegt  und  von   ihren  gegenüber- 
liegenden Zellen  aus  zapfenartige  Fortsätze 
getrieben  (a),  die  schließlich  aufeinander  ge- 
stoßen (b)  und  verschmolzen  sind  (c,  d  und 
e).  Auf  diese  Weise  ist  eine  Brücke  zwischen 
je  2  Zellen  gebildet,  so  daß  die  Fäden  bei 
zahlreichen  solcher  Verbindungen  das  Aus- 
sehen einer  kleinen  Leiter  erhalten.  Nachdem 
sich  die  Inhalte  beider  Zellen  infolge  WTasser- 
abgabe   stark   zusammengezogen   haben  (c), 
wandert  der  Inhalt  der  einen   zu   dem   der 
andern  hinüber  (d);  beide  verschmelzen  als- 
bald zu  einer  Spore,  die  sich  abrundet  und 
mit  einer  dicken,   widerstandsfähigen  Hülle 
umgibt  (e).     Indem  die  Zellwände  verwesen, 
werden  die  Sporen  schließlich  frei.  Sie  sinken 
zu  Boden  und  treiben  erst  im  nächsten  Früh- 
jahre einen  Keimschlauch  (s.  S.  298),  der 
bald  zu  einem  neuen  Algenfaden  heranwächst. 

Wenn  wir  bedenken,  daß  die  Schraubenalge  in  der  oberen  Wasserschicht 
lebt,  also  dort,  wo  ihre  zarten  Fäden  durch  das  Wintereis  zerstört  werden 
müßten,  so  erscheint  uns  die  Sporenbildung  als  eine  Einrichtung,  durch 
die  sich  die  Pflanze  über  die  ungünstige  Jahreszeit  hinüber- 
rettet. Und  wenn  wir  weiter  bedenken,  wie  viel  Sporen  sich  schon  in  je 
2  Algenfäden  bilden,  und  wie  leicht  diese  winzigen  Körper  vom  Wasser  fort- 
gespült werden  können,  so  werden  wir  in  der  Sporenbildung  auch  leicht  ein 
Mittel  zur  Vermehrung  und  Verbreitung  der  Pflanze  erkennen. 


Sporenbildun»-   bei  d.  Schrauben- 
alge (etwa  600  mal  vergr.).  (S.  Text  !) 


H24  1-  Klasse.     Grünalgen. 

Die  Spore  entsteht,  wie  wir  soeben  gesehen  haben,  dadurch,  daß  sich  die 
Inhalte  zweier  Zellen,  d.  h.  2  vollkommen  gleiche  „Wesen"  miteinander  ver- 
einigen. Diesen  Vorgang,  den  man  auch  bei  niederen  Tieren  wiederfindet  (s.  Pantoffel- 
tierchen im  „Lehrbuche  der  Zoologie"),  bezeichnet  man  als  Verschmelzung 
(Conjugation).  Da  er  lebhaft  an  die  Befruchtung  erinnert,  wie  wir  sie  z.  B. 
bei  den  Farnen  und  Moosen  kennen  gelernt  haben  (Beweis!),  so  haben  wir  es 
hier  gleichfalls  mit  einem  Falle  „geschlechtlicher"  Vermehrung  zu 
tun.  Die  einfache  Zellteilung  dagegen  (s.  Absch.  1)  ist  nur  ein  Vorgang  „un- 
geschlechtlicher" Vermehrung. 

D.  Bedeutung-.  1.  Wie  wir  später  sehen  werden,  dienen  den  Pflanzen 
sehr  einfach  zusammengesetzte  Stoffe  (Salze ,  Wasser  und  Kohlensäure)  zur 
Nahrang.  Die  Tiere  dagegen  können  nur  aus  Pflanzen-  oder  Tierstoffen  ihren 
Leib  aufbauen.  Sie  sind  daher  in  letzter  Linie  auf  Pflanzenstoffe  angewiesen. 
Dies  gilt  natürlich  auch  von  den  Pflanzen  und  Tieren  des  Wassers.  Da  nun 
die  Algen  die  bei  weitem  wichtigsten  Glieder  der  Wassergewächse  darstellen, 
so  bilden  sie  auch  die  wichtigste  Nahrungsquelle  der  Wasser- 
tier e. 

Außerdem  liefern  sie  diesen  Tieren  auch  einen  großen  Teil 
der  notwendigen  Atemluft.  Setzen  wir  z.B.  Algen  (oder  andere  unter- 
getauchte Wasserpflanzen)  in  einem  Gefäße  mit  Wasser  direktem  Sonnenlichte 
aus,  so  sehen  wir  von  ihnen  Gasbläschen  emporsteigen.  Dieses  Gas  ist  leicht 
als  Sauerstoff  zu  erkennen,  der  den  Tieren  bekanntlich  zur  Atmung  dient. 

2.  Andererseits  liefern  aber  auch  die  Tiere  den  Algen  (und  den  anderen 
untergetauchten  Wasserpflanzen)  einen  großen  Teil  der  notwendigen  Nährstoffe. 
Bringt  man  z.  B.  Schraubenalgen  oder  eine  andere  Algenart  in  ein  Gefäß  mit 
Wasser,  das  durch  faulende  Tierstoffe  übelriechend  geworden  ist,  so  wird  das 
Wasser  nach  und  nach  klarer,  und  der  üble  Geruch  verschwindet  schließlich 
vollkommen.  Hiermit  geht  eine  starke  Vermehrung  der  Algen  Hand  in  Hand: 
sie  haben  die  sich  zersetzenden  Tierstoffe  in  sich  aufgenommen  und  zum  Leben 
und  Aufbau  ihres  Leibes  verwendet.  Bedenkt  man  nun,  welche  Mengen  von 
Tierstoffen  (Abfallstoffen  und  Leichen)  in  einem  Gewässer  täglich  in  Verwesung 
übergehen,  so  ist  leicht  einzusehen,  daß  ohne  die  Tätigkeit  der 
Algen  (und  der  anderen  untergetauchten  Wasserpflanzen)  das  Wasser  bald 
verpestet  sein  würde,  alles  tierische  Leben  also  zu  Grunde 
gehen   müßte. 

Die  Wasserpflanzen  und  unter  ihnen  in  erster  Linie  wieder  die  in  großen 
Massen  auftretenden  Algen  sind  also  —  kurz  gesagt  —  die  Grundbeding- 
ung  alles    Lebens    im  Wasser.      (Welche  Erfahrungen    macht   man   mit 
Aquarien,  die  richtig  oder  unrichtig  mit  Tieren  und  Pflanzen  besetzt  sind?) 
Andere  Grünalgen. 

1.  In  der  Gesellschaft  der  Schraubenalge  finden  sich  zahlreiche  andere  Algen- 
arten, die  längere  oder  kürzere,  einfache  oder  verzweigte  Fäden  darstellen,  und  darum 
im  Volksmundc  als  Wasserfäden   (Confervoideae)  bezeichnet   werden.     Sie    schwimmen 


Schraubenalge.     Wasserfäden.     Veilchenalge. 


325 


entweder  frei  an  der  Oberfläche,  oder  über- 
ziehen Steine,  Brückenpfeiler  und  andere 
Gegenstände  mit  einer  grünen  Hülle,  oder 
bilden  endlich  zarte  Schleier,  die  in  dem 
Wasser  dahinfluten.  Bei  den  festsitzenden 
Formen  vertritt  die  unterste,  farblose  Zelle 
die  Stelle  der  Wurzel:  sie  bildet  ein  Haft- 
werkzeug, durch  das  der  ganze  Faden 
verankert  ist. 

Auf  ungeschlechtlichem  Wege  ver- 
mehren sich  diese  Algen  außer  durch  Tei- 
lung durch  sog.  Schwärmsporon:  der 
Inhalt  gewisser  oder  aller  Zellen  zerfällt 
meist  in  mehrere  Teile,  die  durch  einen  Riß 
der  Zellwand  ins  Freie  treten  und  mit  Hilfe 
von  Wimpern  wie  Infusorien  durch  das 
Wasser  „ schwärmen".  Nach  einiger  Zeit 
kommen  diese  Körperchen  zur  Ruhe,  setzen 
sich  auf  einem  Gegenstande  fest  und  wach- 
sen zu  je  einem  neuen  Zellfaden  aus.  Die 
geschlechtliche  Vermehrung  erinnert  viel- 
fach stark  an  den  entsprechenden  Vor- 
gang bei  Farnen  und  Moosen,  ist  im  ein- 
zelnen aber  sehr  verschieden. 

Eine     „Fadenalge"     ist     auch    die 
Veilchenalge    (Chroölepus  iolithus),    die 
sich  als  rotbrauner,  veilchenduftender  Über- 
zug   auf   dem  Urgestein    der    Gebirge    findet 
(„Veilchenmoos,   Veilchenstein").  Sie  ist  also 
im  Gegensatz  zu  der  Mehrzahl  der  Algen,  deren 
eigentliche  Heimat  das  Wasser  ist,  ein  Land- 
bewohner. 

2.  An  der  Wetterseite  der  Bäume,  an 
feuchten  Mauern  und  ähnlichen  Orten  findet 
sich  häufig  ein  grüner  Anflug.  Legen  wir 
ein  wenig  davon  in  einem  Wassertropfen 
unter  das  Mikroskop,  so  löst  sich  die  grüne 
Masse  in  eine  Menge  kugelförmiger  Gebilde 
auf.  Jede  Kugel  stellt  eine  Alge  dar,  die  nur 
aus  einer  einzigen  Zelle  besteht  (Pleuro- 
cöccns  und  andere  Ga1  tungen).  Ähnliche  Pflänz- 
chen  von  Kugel-,  Zylinder-,  Spindel-  und  an- 
derer Form  beherbergt  in  weit  größerer 
Menge  das  Wasser.  Mehrere  von  ihnen  sind 
vielfach  durch  ausgeschiedene  Gallertmassen  zu  kleinen  Kolonien  vereinigt. 

Von  besonderer  Zierlichkeit    sind   gewisse   einzellige    Formen  (Desniidiäceae),   die 
sich    häuttg   in  dem  Algendickicht  der  Süßgewässer,  besonders  der  Torfsümpfe  finden.    Sie 


Einige  Zellen  einer.Fadenalge,  Schwärm- 
sporen bildend:  der  Inhalt  der  Zelle  1  ist 
noch  unverändert,  bei  2  und  3  ist  er  in 
Schwärmsporen  zerfallen ;  in  4  schwärmen  die 
Sporen  soeben  aus,  während  dies  in  5  bereits 
geschehen  ist.     (Etwa  500  mal  vergr.) 


^mr 
^p1 


Einzellige    Grünalgen    (Desmidiaceen). 
I  Etwa  200  mal  vergr.) 


326 


1.  Klasse.  '  Grünalgen. 

V 


3.  Klasse 

V 


Braun-  und  Rotalgen. 


ßlasentang  mit  Haftsekeiben  an 
einem  Felsen  sitzend.  S.  Schwimm- 
blasen; V.  Stellen,  an  denen   sich 
die  Vermehrungsorganr   finden. 
(Etwa  1/3  nat.  Gr.) 


bilden  wie  die  abge- 
bildeten Arten  bald 
ausgezackte  Scheiben 
oder  grüne  Halbmon- 
de, bald  regelmäßige 
Sterne,  Ketten,  Bän- 
der und  dgl. 

3.  Zu  den  Grün- 
algen stellt  man  auch 
die    Armleuchter- 
algen    (Charäceae), 
die    auf    dem    Boden 
von  Landseen  oft  form- 
liche  Wiesen   bilden, 
aber  auch  in  Gräben 
und    Tümpeln    anzu- 
treffen sind.    Sie  sind 
wie  die  Moose  durch 
Wurzelhaare  im  Boden  befestigt,  ver- 
zweigen sich  armleuchterartig  (Name!) 
und  nehmen  aus  dem  "Wasser  oft  soviel 
Kalksalze  auf,  daß  sie  brüchig  werden. 
Die  Vermehrungsorgane  finden  sich  an 
den    „Zweigen"    als    eiförmige,    grüne 
oder  als  kugelige,  rote  Körper. 


und  3.  Klasse. 

Braun-  u.  Rotalgen  (Phaeophyceae 

und   Rhodophyceae). 

Unter  den  Algen  oder  Tangen  des 
Meeres  treten  die  Grünalgen,  die  im  Süß- 
wasser die  Herrschaft  führen,  stark  zurück. 
Ihre  Stelle  nehmen  stattlichere  Formen  ein, 
die  neben  dem  Blattgrün  noch  einen  braunen 
oder  roten  Farbstoff  in  ihren  Zellen  enthalten. 
Daher  erscheinen  sie  bald  heller,  bald  dunkler 
braun  oder  rot  gefärbt.  Da  sie  (fast  aus- 
schließlich) festsitzende  Pflanzen  sind,  so 
vermögen  sie  auch  nur  einen  verhältnis- 
mäßig schmalen  Küstenstrich  zu  bewohnen. 
In  der  Eegel  reicht  dieser  Gürtel  bis  30  m 
klarem  Wasser    etwa    bis    50  m  Tiefe    hinab;   denn 


und   nur  bei  ganz  reinem 

in  noch  tieferem  Wasser  ist  das  Licht  so  stark  gedämpft,  daß  keine  mit  Blatt 


Armleuchteralgen.     Blasentang.     Beerentang.     Blmtang. 


.327 


grün  ausgestattete  Pflanze  die  einfachen  Nährstoffe  zu  Lebens-  und  Baustoffen 
umzuwandeln  vermöchte. 

1.  Die  Braunalgen  sind  zumeist  größere  Pflanzen,  die  vielfach  aus- 
gedehnte „Tangwiesen"  oder  —  wie  die  größten  Arten  —  förmliche  „Tang- 
willder"  bilden.  Sie  bewohnen  die  flachen  Küstengewässer,  in  denen  sie  mit 
Ebbe  und  Flut,  sowie  mit  den  brandenden  Wogen  einen  harten,  beständigen 
Kampf  zu  führen  haben.  Daher  wachsen  sie  auch  nur  auf  felsigem  Untergrunde, 
dem  sie  sich  mit  kräftigem,  wurzelartigem  Haftorgane  anklammern  können,  und 
besitzen  einen  zähen,  lederartigen  Körper.  Wühlen  heftige  Stürme  das  Meer 
tief  auf,  so  werden  sie  trotzdem  nicht  selten  losgerissen  und  in  großen  Massen 
an  die  Küste  geworfen.  Dann  werden  sie  von  den  Strandbewohnern  als  Dünger 
auf  den  Acker  gebracht  oder  verbrannt;  denn  aus  ihrer  Asche  gewinnt  man 
das  wertvolle  Jod,  das  sie  dem  Meerwasser  entziehen. 

Die  häufigste  Braunalge  der  Nord-  und  Ostseeküste  ist  der  Blasentang  (Facus 
vesienlösus),  der  eine  Länge  von  1  m  erreicht,  mehrfach  gabelig  geteilt  ist  und  durch 
zahlreiche,  luftgefüllte  Blasen  schwimmend  erhalten  wird  (vgl.  mit  Schwimmgürteln!). 
Die  Enden  der  Lappen  zeigen  vielfach  ein  gekörneltes  Aussehen.  Dies  rührt  von  krug- 
förmigen  Vertiefungen  her,  in  denen  sich  die  Vermehrungsorgane  bilden.  —  An  den 
Küsten  der  tropischen  Meere  findet  sich  der  Beerentang  (Sargässum  bacciferum),  dessen 
Schwimmblasen    wie   gestielte    Beeren 

aussehen  (Name!).     Von  der  Brandung  , 

losgerissen  treibt  er  oft  in  großen  Mas-  'j,      ."    /. 

sen  an  der  Oberfläche  des  Wassers. 
Solche  Massen  führt  auch  der  Golfstrom 
von  den  Küsten  des  mexikanischen  Meer- 
busens hinweg  in  jenen  stromlosen 
Meeresteil,  der  sich  als  „Sargassosee" 
zwischen  den  Azoren  und  Amerika  aus- 
dehnt. Dort  bedeckt  der  losgerissene 
Beerentang  mehrere  tausend  Quadrat- 
meilen. Nirgends  jedoch  ist  die  An- 
häufung der  Tangmassen  so  stark,  daß 
sie,  wie  man  früher  glaubte,  der  Schifi'- 
t'ahrt  hinderlich  würde.  —  Die  größte 
Alge,  wie  überhaupt  die  größte  aller 
Pflanzen  ist  der  Birntang  (Macrocys- 
tis  pyrifera).  Das  bis  300  m  lange  Ge- 
wächs findet  sich  an  den  außertropi- 
schen Küsten  der  südlichen  Erdhälfte 
und  hält  sich  durch  birnartige  Blasen 
(N'ame!)  schwimmend  an  der  Ober- 
fläche des  Ozeans. 


2.  Die  Rotalgen  erreichen 
nie  die  Größe  der  Braunalgen,  auf 
denen  sie  sich  gern  ansiedeln.  Meist 


Perltanj 


328 


4.  Klasse.     Kieselalgen. 


aber  bewohnen  sie  die  tieferen  Wasserschichten,  die  selbst  von  den  heftigsten 
Stürmen  nur  wenig  oder  gar  nicht  erregt  werden.  Daher  wird  uns  auch  die 
große  Zartheit  dieser  Formen  wohl  verständlich.  Infolge  der  prächtigen  Fär- 
bung, die  zwischen  leuchtendem  Scharlach  und  tiefstem  Purpurschwarz  schwankt, 
und  der  wechselvollen  Gestalt  verwandeln  sie  im  Verein  mit  den  farbenprächtigen 
Korallentieren  die  unterseeischen  Felsen  in  lachende  Gärten.  Bald  bilden  sie 
zwar  nur  einfache  Fäden  oder  blattartige  Flächen;  bald  aber  gleichen  sie  zier- 
lichen Moosrasen,  fein  verzweigten  Bäumchen,  zartblättrigen  Farnen  und  dgl. 
Kino  in  der  Nordsee  lebende  Art,  der  Perltang  (Chondrus  crispus),  wird  getrocknet 
als  Karagaheen-  oder  „irländisches  Moos"  als  Heilmittel  gegen  Erkrankung  der  Ateniwege 
benutzt.  —  Nur  wenige,  zwerghafte  Formen  der  prächtigen  Gewächse  finden  sich  im 
Süßwasser,  und  zwar  auffallender  Weise  besonders  an  den  Steinen  schnellrließender 
Gebirgsbäche. 


4.  Klass 


Kino  Kieselalge  tl.  Süßwassers 

N;i\  iiulai.  lFlächenansicht;  2Kan- 
tenans. ;  3  Querschn.  (Vgr.  e1 .91 10m  i. 


Kieselalgen  (Diatomäceae). 

Kieselalgen  bekommt  man  leicht  in  größter 
Menge  zu  Gesicht,  wenn  man  mit  Hilfe  des 
Mikroskops  den  braunen,  schleimigen  Überzug 
untersucht,  der  sich  im  Frühjahre  auf  Gräben 
und  Pfützen  bildet.  Auch  Algenfäden  oder 
Schlamm  wird  man  danach  nur  selten  vergeb- 
lich durchmustern.  Die  winzigen,  einzelligen 
Pflanzen  haben  die  Form  eines  Stabes,  einer 
Sichel,  eines  Keils,  eines  Kreises,  einer  Ellipse 
oder  dgl.  Sie  schweben  entweder  frei  im  Wasser, 
oder  gleiten  wie  ein  von  geheimnisvollen  Kräften 
getriebenes  Schifflein  auf  fester  Unterlage  lang- 
sam dahin,  oder  sitzen  endlich  auf  ausgeschie- 
denen Gallertstielen  anderen  Körpern  auf.  Durch 
einen  braunen  F  a  r  b  s  t  o  f  f ,  der  das  Blattgrün 
verdeckt,  erhalten  sie  ein  ledergelbes  Aussehen. 
Die  Zellwand  besteht  aus  2  Schalen,  von 
denen  die  eine  über  die  andere  wie  der 
Deckel  über  die  Schachtel  greift.  Glüht  man  die 
Ptiänzchen  auf  einem  Glimmerblättchen,  so 
bleibt  ein  Ki  e  sei skelett  zurück,  das  genau 
die  Form  der  Schalen  aufweist  (Kieselalgen!). 
Jetzt  erkennt  man  auch  erst  deutlich,  wie 
die  zarte  Zellwand  durch  Leisten  und  Rippen 
verstärkt  ist,  so  daß  oft  eine  überaus  regel- 
mäßige und  zierliche  Felderung  entsteht. 

Vergrößert  sich  der  Inhalt  der  Zelle,  so 
werden  die  Schalen  auseinander  gedrängt.    In- 


Perltang.     Kieselalgcn, 


329 


dem  sich  der  Inhalt  so  teilt,  daß  jede  Hälfte  eine  Schale  erhält,  ent- 
stehen 2  Pflänzchen,  von  denen  jede  alsbald  die  zweite,  fehlende  Schale  aus- 
scheidet. Bleiben  die  bei  fortgesetzter  Teilung'  immer  neu  entstehenden  Pflänzchen 
im  Zusammenhange,  so  bilden  sich  Kolonien,  die  zierliche  Ketten,  Bänder,  Scheiben 
u.  dgl.  darstellen.  Da  nun  aber  die  verkieselten  Zellwände  nicht  wachstums- 
fähig sind,  müssen  die  Pflanzen,  die  die  kleinere  Schale  erhalten,  allmählich  auch 
immer  kleiner  werden.  Dies  hat  jedoch  eine  Grenze.  Ist  die  Größe  nämlich 
bis  auf  einen  gewissen  Punkt  herabgesunken,  dann  legen  sich  (in  der  Regel) 
2  Pflänzchen  aneinander;  ihre 
Schalen  klappen  auf;  der 
Inhalt  beider  tritt  hervor, 
vereinigt  sich  und  bildet  eine 
große  Spore,  aus  der  eine 
Pflanze  von  der  ursprüng- 
lichen Größe  hervorgeht. 

Die  Kieselalgen  entfalten 
ihre  Bedeutung  als  Nähr- 
stoff quelle  der  Tiere  (s. 
S.  324)  besonders  im  Meere. 
Zwar  bilden  hier  —  wie  wir 
oben  schon  gesehen  haben  — 
die  Braun-  und  Rotalgen  weite 
Bestände.  Da  sich  diese  „Tang- 
wiesen"  und  „Tangwälder"  aber 
nur  bis  zu  einer  Tiefe  von  etwa 
50  m  erstrecken,  so  vermögen 
sie  für  die  ungezählten  Tier- 
scharen  der  Weltmeere  auch 
bei  weitem  nicht  die  nötige 
Nahrung  zu  liefern.  Es  muß 
daher  noch  eine  andere  Nah- 
rungsquelle     vorhanden     sein ! 

Streifen  wir  mit  den  feinsten  Gazenetzen  durch  das  Meerwasser,  und  untersuchen 
wir  den  „Fang"  mit  Hilfe  des  Mikroskops,  so  haben  wir  die  gesuchte  Quelle :  neben 
zahlreichen  kleinen  Tieren  erblicken  wir  eine  erstaunliche  Menge  winziger,  wunderbar 
geformter  Kieselalgen.  Sie  bewohnen  (mit  anderen  einzelligen  Algen)  die  stark  durch- 
leuchteten oberflächlichen  Wasserschichten  in  ungezählten  Myriaden.  Während  wir 
glauben,  reines,  klares  Wasser  unter  dem  Kiel  unseres  Schiffes  .zu  haben,  fahren  wir 
also  über  eine  reiche  Pflanzenwiese  dahin,  auf  der  die  kleinsten  Tiergeschlechter  jahr- 
aus, jahrein  Nahrung  finden.  Von  diesen  Tieren  nähren  sich  wieder  die  größeren, 
ja  selbst  die  Riesen  der  Schöpfung,  und  von  allen  hängen  endlich  auch  die  Millionen  von 
Menschen  ab,  die  als  Fischer,  Schiffer,  Kaufleute  u.  s.  w.  auf  den  Reichtum  des  Meeres 
angewiesen  sind.  (Führe  dies  weiter  aus  und  vgl.  dabei  besonders  das,  was  in  dieser 
Einsicht  im  „Lehrbuche  der  Zoologie"  über  den  Hering,  den  Kabeljau,  den  Seehund  und 
die  Wale  mitgeteilt  ist!) 

Hiermit  ist  aber  die  Bedeutung    der    unscheinbaren   Pflänzchen    noch    bei    weitem 


Kieselalgen  des  Süßwassers.    1—4  einzeln  lebende 

Arten.     5  und  6  freilebende  Kolonien.     7  eine  Kolonie. 

die    mit   Hilfe    eines    verzweigten    Gallertstieles   einem 

festen  Gegenstande  aufsitzt.     (Vergr.  200 mal.) 


330       Tat".  37.     2.  Kreis.     1.  Klasse.    Fadenpilze.     1.  Unterklasse.    Ständerpilze. 

nicht  erschöpft:  indem  nämlich  die  abgestorbenen  Kieselalgen  auf  den  Grund  des  Meeres 
hinabsinken,  dienen  sie  auch  den  Bewohnern  der  tieferen  und  tiefsten  Wasserschichten 
zur  Nahrung.  Sie  ermöglichen  also  die  Bewohnbarkeit  der  lichtlosen 
und   darum    pflanzenleeren    Meer  es  tiefen. 

Da  nun  die  verkieselten  Schalen  fast  unvergänglich  sind,  so  häufen  sie  sich  auf 
dem  Boden  des  Meeres  oft  zu  gewaltigen  Massen  an.  Werden  solche  Anhäufungen,  die  sich 
aber  auch  in  süßen  Gewässern  bilden  können ,  im  Laufe  der  Jahrtausende  über  den 
Wasserspiegel  emporgehoben,  so  entstehen  Lager  von  Diatomeenerde,  Kiesel- 
gur, oder  Polier  s  ch  i  efe  r  ,  die  der  Mensch  zu  verschiedenen  Zwecken  ausbeutet.  (Mit 
Nitroglyzerin  getränkte  Diatomeenerde  gibt  das  Dynamit.)  Solche  Lager  finden  sich  z.  B. 
in  der  Lüneburger  Heide,  sowie  bei  Franzensbad  und  Bilin  in  Böhmen.  Auf  einer 
mächtigen  (bis  30  m  starken)  Schicht  von  Kieselalgen  erheben  sich  auch  einige  Teile  von 
Berlin   und  Königsberg. 

2.  Kreis.     Pilze  (Fungi). 

Lagerpflanzen  ohne  Blattgrün,  die  daher  Schmarotzer  oder  Fäulnisbewohner  sind. 

1.   Klasse.      Fadenpilze  (Hyphomycetes). 

Pilze,  die  ein  Fadengeflecht  besitzen. 
1.  Unterklasse.     Ständerpilze  (Basidiomycetes). 

Fadengeflecht  mehrzellig.     Sporen  entstehen  (gewöhnlich  in  einer  Anzahl  von  je  4)  auf 
verschieden  geformten  Ständern  (Basidien). 

Der  Feld-Champignon  (Psalliöta  carnpestris).     Tal'.  37,  1. 

A.  Fruchtkörper.  l.Der  „Champignon"  bricht  im  Sommer  und  Herbst 
auf  Wiesen  und  Feldrainen,  an  Wegen  und  ähnlichen  Orten  aus  dem  Boden 
hervor.  Wie  ein  Längsschnitt  zeigt,  besitzt  er  ein  festes,  weißes  „Fleisch"  von 
anisartigem  Geruch,  das  als  schmackhafte  Speise  überall  hoch  geschätzt  wird. 
Für  den  menschlichen  Genuß  eignen  sich  allerdings  zumeist  nur  die  juugeu 
Pilze;  denn  die  alten  sind  in  der  Regel  von  zahlreichen  Mücken-  und 
Fliegenmaden  durchwühlt.  (Welchen  Tieren  dient  der  Pilz  ferner  noch  zur 
Nahrung?)  Seiner  Schmackhaftigkeit  wegen  wird  der  wertvolle  Champignon 
vielfach  auch  künstlich  gezogen  (s.  S.  334,3). 

2.  Vollkommen  entwickelt  gleicht  ein  solcher  Pilz  oder  Schwamm  einem 
Schirme.  Ein  bis  8  cm  hoher  Stiel  trägt  einen  flach  gewölbten  „Hut",  der 
weiß  oder  bräunlich  gefärbt  ist  und  einen  Durchmesser  von  15  cm  erreichen 
kann  („Hutpilze").  Auf  der  Unterseite  des  Hutes  linden  sich  zahlreiche,  radien- 
artig und  senkrecht  gestellte  Blättchen  (Lamellen;,  die  anfangs  rosa, 
später  dagegen  Schokolade-  bis  schwarzbraun  aussehen,  eine 
Färbung,  die  als  das  sicherste  und  leichteste  Erkennungsmerkmal 
des  Champignons  gilt.  Alle  Blättchen  stoßen  an  den  Hutrand  an,  aber  nur 
die  längeren  erstrecken  sich  bis  zum  Stiele,  ohne  jedoch  mit  ihm  zu  verschmelzen. 


Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafd  37. 


1 


i« 


1.  Feld -Champignon  (Psalliota  campestris). 

2.  Knollenblätterpilz  (Amanita  bulbosa). 


Feld-Champig i.  331 

Durchschneiden  wir  einen  noch  ganz  jungen  Pilz,  der  wie  ein  weißes 
Knöllchen  aus  dem  Boden  hervorbricht  und  sich  in  Stiel  und  Hut  zu  gliedern 
beginnt,  der  Länge  nach,  so  sehen  wir,  daß  sich  die  leistenartigen  Blättchen 
im  Innern  des  Pilzes  bilden.  Auch  wenn  der  Pilz  bald  seine  endgültige  Gestalt 
erlangt  hat,  ist  von  diesen  überaus  zarten  Gebilden  noch  nichts  zu  sehen:  eine 
Kaut,   der  "sog.   Schleier,   der  sich  zwischen   Hutrand   und   Stiel   ausspannt, 

7. 


A    i 

4. 

, 

; 

, 

j 

Entwicklung  des  Champignons.      Der  Boden  ist  von  einem  Fadengeflechi   durchzogen. 

1 — 3  und  7  von  außen  gesehen,  4 — 6  im  Längsschnitt.     Bei  4  bilden   sich  die  Blättchen 

i  Lamellen).     Bei  5  und  6  ist  der  Schleier  deutlich  ausgebildet.     Bei  7  löst  er  sich  vom 

Hutrände   und    bleibt    als    Ring  (E.)   zurück. 

schützt  sie  vor  den  Unbilden  der  Witterung.  Erst  ganz  am  Schlüsse  der  Ent- 
wicklung werden  die  Blättchen  sichtbar:  Der  Schleier  reißt  an  dem  Bande  des 
sich  stark  ausdehnenden  Hutes  ab  und  bleibt  als  „Bing"  am  Stiele  zurück. 

3.  Stellen  wir  durch  einige  dieser  Blättchen  sehr  dünne  Querschnitte  her, 
so  sehen  wir  mit  Hilfe  des  Mikroskops,  daß  sie  (wie  Stiel  und  Hut)  aus  zahl- 
reichen Fäden  zusammengesetzt  sind,  die  aus  aneinander  gereihten  Zellen  be- 
stehen. Die  Endzellen  der  Fäden  sind  keulenförmige  Gebilde,  die  sich  senkrecht 
über  die  Oberfläche  des  Blättchens  erheben.  Mehrere  dieser  „Keulen"  strecken 
sich  etwas  stärker  als  die  anderen  und  erhalten  auf  ihrem  Scheitel  je  2  kleine 


332 


1.  Unterklasse.     Ständerpilze. 


Ausstülpungen,  die  an  der  Spitze  kugelig  anschwellen.  Indem  sich  diese  „Kugeln" 
durch  je  eine  Scheidewand  von  den  stielartigen  Ausstülpungen  abschließen, 
entstehen  die  Sporen.  Die  keulenförmigen  Zellen,  auf  denen  sie  sich  bilden, 
nennt  man  daher  „Sporenständer",  während  die  „unfruchtbar"  bleibenden  als 
..Zwischenzellen"  bezeichnet  werden.  Sie  bilden  zusammen  die  sog. 
Fruchtschicht,  die  also  beide  Seiten  der  Blätter  überzieht.  Wenn  man 
bedenkt,  daß  die  zarten  Sporenständer  durch  die  Zwischenzellen  gleichsam  erst 
in  einen  festen  Verband  eingereiht  werden,  der  ihnen  den  notwendigen  Halt 
gewährt,  so  wird  man  auch  die  Bedeutung  dieser  scheinbar  nutzlosen  Gebilde 
erkennen.     (Da   die  Sporenständer   gleichsam  ein   Grundgestell,  eine  Basis  der 


Feinerer   Bau    der   Blättchen   (Lamellen)   des    Champignons,     a,   ein  Querschnitt 

durch   ein   Blättchen   bei    etwa    150  maliger  Vergr.     b.    Die  Fruchtschicht   bei   stärkerer 

(etwa  800  inaliger)  Vergr. ,    aus    größeren  Sporenständern    und   kleineren    Zwischenzellen 

bestehend.     1 — 4  die  verschiedenen  Zustände  der  Sporenentwicklung. 


sich  entwickelnden  Sporen  bilden,  werden  sie  wissenschaftlich  „Basidien"  ge- 
nannt. —  Ständer-  oder  Basidienpilze.  Im  Gegensatz  zum  Champignon  bilden 
sich  bei  den  meisten  dieser  Pilze  je  4  Sporen  auf  jedem  Ständer.) 

4.  Die  Sporen  sehen  anfänglich  rosa  aus,  in  reifem  Zustande  aber  sind 
sie  von  Schokolade-  bis  schwarzbrauner  Färbung.  Unter  günstigen  Verhält- 
nissen treiben  sie  je  einen  Keimschlauch  (s.  S.  298)  und  rufen  eine  neue 
Pflanze  ins  Dasein. 

a)  Wie  uns  das  Mikroskop  zeigt,  sind  die  Sporen  sehr  kleine  Gebilde, 
können  also  vom  Winde  leicht  verweht  werden. 

b)  Der  Wind  ist  aber  ein  sehr  unsicherer  Verbreiter  der  Pflanzen.  Viele 
Sporen  trägt  er  sicher  dorthin,  wo  sie  sich  nicht  entwickeln  können.  Da  sie 
sich  aber  in  sehr  großer  Anzahl  bilden,  so  ist  für  einige  die  Möglichkeit, 
an  einen  geeigneten  Ort  zu  gelangen,  sicher  vorhanden.  —  Welche  Mengen  von 


Feld-Champignon.  333 

Sporen  erzeugt  werden,  geht  daraus  hervor,  daß  die  winzigen  Körper  den 
farblosen  Blättchen  der  Hutunterseite  die  ihnen  eigene  Färbung  verleihen.  (Legt 
man  den  Hut  eines  ausgebildeten  Champignons  mit  der  Unterseite  auf  ein  Blatt 
Papier,  so  bilden  die  ausfallenden  Sporen  oft  schon  nach  wenigen  Stunden  eine 
,,Zeichnung",  die  alle  Einzelheiten  der  Hutunterfläche  wiederspiegelt,) 

c)  Die  Millionen  von  Sporen  bedürfen  zu  ihrer  Bildung  aber  auch  eines 
verhältnismäßig  großen  Platzes.  Hierzu  würde  die  Unterseite  des  Hutes  unmög- 
lich ausreichen,  wenn  sie  durch  die  Blatt  che  n  nicht  eine  sehr  beträchtliche 
Vergrößerung  erfahren  hätte.  Diese  Tatsache  macht  uns  auch  das  erwähnte 
Auftreten  kurzer  Blättchen  in  dem  äußeren  Hutabschnitte  verständlich:  der 
hier  vorhandene  größere  Kaum  wird  durch  das  „Einschieben"  dieser  Blättchen 
erst  vollkommen  ausgenützt.  (Stelle  die  Größe  der  Hutunterseite  und  die  der 
tatsächlich  sporenbildenden  Fläche  ungefähr  durch  Rechnung  fest!  Vgl.  hiermit 
die  Flächenvergrößerungen,  wie  sie  häufig  im  Tierkörper  vorkommen,  z.  B.  im 
Bau  der  Lunge,  in  der  Bildung  der  Blutkörperchen  u.  s.  w.) 

d)  Dem  Winde  muß  der  Zutritt  zu  den  Sporen  offen  sein.  Wie  erwähnt, 
löst  sich  daher  der  schützende  Schleier  mit  beginnender  Sporenreife  vom 
Hutrande  ab. 

e)  Da  der  Hut  auf  einem  Stiele  über  den  Erdboden  gehoben  wird, 
können  die  fallenden  oder  sich  lockernden  Sporen  vom  Winde  leicht  erfaßt 
werden. 

f)  Eine  Aussaat  der  Sporen  ist  aber  nur  bei  trockenem  Wetter  möglich 
(wieso?).  Die  Unterseite  des  Hutes,  der  wie  ein  Regendach  wirkt,  ist 
daher  auch  als  die  passendste  Bildungsstätte  der  Sporen  zu  bezeichnen. 

B.  Fadengeflecht.  Nimmt  man  einige  Champignons  mit  dem  anhaftenden 
Erdballen  aus  dem  Boden,  so  sieht  man,  daß  die  Erde  von  zahlreichen,  vielfach 
verzweigten,  weißen  Fäden  (Hyphen)  wie  von  Spinngewebe  durchzogen  ist. 
Wäscht  man  die  Erde  vorsichtig  ab,  so  sieht  man  weiter,  wie  sich  die  Pilze 
als  kleine  Anschwellungen  an  den  Fäden  bilden,  und  wie  selbst  der  vollkommen 
entwickelte  Pilz  mit  einem  Faden  oder  mit  einigen  Fäden  in  Verbindung  steht. 
Die  „Champignons"  und  das  Fadengeflecht  oder  Pilzlager 
(Mycelium)  stehen  also  im  Zusammenhange;  es  sind  Teile  der- 
selben Pflanze.     Ja  noch  mehr! 

Wie  man  besonders  deutlich  an  einer  künstlichen  Champignonanlage  sehen 
kann,  lebt  das  Fadengeflecht  sehr  lange  im  Boden.  Hat  es  eine  gewisse  Aus- 
dehnung erlangt,  dann  bringt  es  „Pilze"  oft  in  großer  Menge  hervor.  Sobald  diese 
Gebilde  die  Sporen  ausgestreut  haben,  vergehen  sie  sehr  schnell;  andere  sprossen 
hervor,  gehen  wieder  zu  Grunde  u.  s.  f.:  das  Fadengeflecht  dagegen,  an  dem 
sich  die  „Pilze"  bildeten,  wächst  weiter.  Es  gleicht  also  etwa  einem  Obstbäume, 
der  zahlreiche  Früchte  trägt,  die  er  bei  der  Reife  abwirft.  In  dem  Faden- 
geflechte haben  wir  also  die  eigentliche  Pflanze,  den  eigent- 
lichen Pilz  vor  uns,  während  die  Gebilde,  die  wir  bisher  dem 
Sprachgebrauche      entsprechend     als     „Champignons,     Pilze     oder 


334  1.  Unterklasse.     Ständerpilze. 

Schwämme"  bezeichneten,  nur  die  Sporen-  oder  Fruchtkörper 
dieser  Pflanze  oder  dieses  Pilzes  darstellen.  Die  Pflanze  selbst  lebt 
unterirdisch.  Ihre  Fruchtkörper  dagegen  werden,  wie  dies  die  Windverbreitung 
der  Sporen  bedingt,  über  den  Boden  gehoben. 

1.  Unter  dem  Mikroskope  geben  sich  die  Fäden  als  Reihen  von  Zellen  zu 
erkennen.  Hier  und  da  haben  sich  auch  mehrere  zu  dickeren  Strängen  vereinigt. 
Stets  aber  sind  sie  so  zart,  daß  sie  kraftlos  zusammensinken,  wenn  man  sie 
dem  Boden  entnimmt.  Im  Gegensatz  zu  den  oberirdischen  Pflanzen,  die  sich 
selbst  zu  halten  haben,  können  die  unterirdischen  Teile  des  Pilzes  eine  solche 
Zartheit  wohl  besitzen;  denn  sie  werden  ja  von  der  Erde  allseitig  gestützt 
und  getragen  (vgl.  mit  Wasserpflanzen  und  Wassertieren  !).  —  Der  Fruchtkörper 
besteht,  wie  bereits  angedeutet,  aus  ebensolchen  Fäden.  Da  sie  jedoch  be- 
sonders an  der  Oberfläche  („Haut")  sehr  eng  aneinander  gedrängt  sind,  sich 
vielfach  verzweigen  und  durchflechten,  so  sind  sie  trotz  ihrer  Zartheit  im 
stände,  einen  Körper  zu  bilden,  der  sich  über  den  Boden  zu  heben  und  den 
Unbilden  der  Witterung  (Wind,  Begen)  standzuhalten  vermag. 

2.  Gleich  den  Wurzeln  der  höheren  Pflanzen  durchzieht  das  Fadengeflecht 
den  Boden  nach  allen  Richtungen  und  entnimmt  ihm  die  nährenden  Bestand- 
teile. Wie  wir  nun  schon  mehrfach  gesehen  haben  (und  im  letzten  Abschn. 
des  Buches  noch  genauer  sehen  werden),  nehmen  die  Wurzeln  nur  Wasser 
und  Nährsalze  auf.  Beide  steigen  in  die  oberirdischen  Teile  der  Pflanze  und 
werden  dort  samt  der  aus  der  Luft  entnommenen  Kohlensäure  unter  Einwirkung 
des  Sonnenlichts  von  dem  Blattgrün  zu  allen  den  Stoffen  weiter  verarbeitet, 
aus  denen  sich  der  Pflanzenkörper  aufbaut.  Von  Blattgrün  finden  wir 
aber  in  keinem  Teile  des  Pilzes  auch  nur  eine  Spur.  Der  Cham- 
pignon ist  daher  genötigt,  diese  Stoffe  in  fertiger  Form  aufzunehmen.  Er  ent- 
zieht sie  dem  Boden,  in  dem  er  sich  mit  dem  Fadengeflecht  ausbreitet,  und  in  dem 
pflanzliche  und  tierische  Stoffe  faulen :  er  ist  ein  Fäulnisbewohner  (Sapro- 
phyt)  oder  eine  Verwesungspflanze. 

In  gleicher  Weise  nähren  sich  auch  die  meisten  anderen  Hutpilze.  Wir 
treffen  sie  daher  auch  besonders  an  Orten,  an  denen  sich  verwesende  Stoffe  an- 
häufen. Dies  ist  nun  ganz  besonders  im  Walde  der  Fall.  Sein  Boden  ist  zumeist 
von  einer  dicken  Schicht  modernder,  d.  i.  verwesender  Stoffe  (Laub,  Zweige,  ab- 
gestorbene Teile  der  Moose  u.  dgl.)  bedeckt,  und  der  ihm  oft  entsteigende  Moder- 
duft zeigt  zur  Genüge,  daß  hier  die  Verwesung  in  vollem  Gange  ist.  Der 
Wald  ist  daher  die  eigentliche  Heimat  der  Hutpilze.  Da  die  blassen 
Gebilde  kein  Blattgrün  besitzen,  also  auch  nicht  des  Lichtes  bedürfen,  so  treffen 
wir  sie  selbst  an  den  dunkelsten  Stellen  des  Waldes  an,  also  an  Örtlichkeiten, 
an  denen  keine  grüne  Pflanze  mehr  gedeihen  kann.  (Welche  höheren  Pflanzen 
sind  gleichfalls  Verwesungspflanzen?) 

3.  Wie  uns  das  häutige  Auftreten  der  Champignons  in  Mistbeeten  zeigt, 
gedeiht  er  am  liebsten  in  Boden,  der  reich  an  Pferdedünger  ist.  Will  man  den 
wertvollen  Pilz  züchten,  so  bietet  man  ihm  daher  solchen  Dünger,  den  man 


Feld-Champignon.  335 

zuvor  in  gewisser  Weise  zubereitet  hat,  iu  Menge  dar.  In  die  Kästen,  Ver- 
schlüge und  Gruben,  die  man  mit  dem  Dünger  füllt,  bringt  man  etwas  von 
dem  Fadengeflechte  („Champignonbrut"),  das  bald  die  ganze  Düngermasse  durch- 
wuchert und  die  begehrten  Fruchtkörper,  die  „Champignons",  hervorbringt.  In 
der  Regel  benutzt  man  zur  Zucht  des  geschätzten  Pilzes  dunkle  Räume,  Keller, 
Schuppen  u.  dgl.  In  Frankreich,  wo  die  Champignonzucht  ganz  besonders  in 
Blüte  steht,  verwendet  man  dazu  besonders  Höhlen,  Steinbrüche,  nicht  mehr 
„befahrene"  Bergwerke  und  ähnliche  Örtlichkeiten. 

4.  Die  tägliche  Erfahrung  lehrt  (stelle  entsprechende  Versuche  an!),  daß 
die  Fäulnis  durch  Wärme  und  Feuchtigkeit  begünstigt  wird.  Wenn  daher  im 
Sommer  und  Herbst  nach  Regentagen  warme  AVitterung  eintritt,  dann  ist  die 
Fäulnis  im  Boden  am  lebhaftesten.  Dann  findet  auch  der  (im  Freien  wachsende) 
Champignon  die  meiste  Nahrung.  Sein  Fadengeflecht  zeigt  daher  jetzt  das  leb- 
hafteste Wachstum,  und  jetzt  ist  für  ihn  darum  auch  die  Zeit  gekommen, 
seine  Fruchtträger  zu  bilden,  die  alsbald  „wie  Pilze  aus  der  Erde  hervor- 
schießen".  —  Dasselbe  gilt  auch  von  den  Pilzen  des  Waldes:  Spätsommer  und 
Herbst  sind  die  „Pilz-  oder  Schwammzeit".  —  Der  Champignonzüchter  bietet 
seinen  Pflanzen  jahraus,  jahrein  die  ihnen  zusagende  Wärme  (13—18"  C)  und 
Feuchtigkeit.     Er  kann  daher  auch  in  jeder  Jahreszeit  „Champignons"  ernten. 

5.  Wie  schon  erwähnt,  gehen  die  Fruchtkörper  des  Champignons  nach 
dem  Ausstreuen  der  Sporen  alsbald  in  Fäulnis  über,  d.  h.  sie  zerfallen  in  ein- 
fache Stoffe,  aus  denen  die  mit  Blattgrün  ausgerüsteten  Pflanzen  ihren  Körper 
aufbauen.  Dieser  Zerfall  geht  nun  sehr  schnell  vor  sich  —  schon  nach  wenigen 
Wochen  findet  man  von  Fruchtträgern,  die  im  Freien  liegen,  meist  keine  Spur 
mehr  — ,  viel  schneller  als  bei  anderen  Pflanzenteilen  (Blättern,  Zweigen  u.  s.w.). 
Indem  der  Champignon  „halbzersetzte"  Tier-  und  Pflanzenstoffe  aufnimmt  und 
daraus  seine  schnell  vergänglichen  Fruchtkörper  baut,  macht  er  die  in  den  toten 
Pflanzen  und  Tieren  aufgespeicherten  Stoffe  höheren  Pflanzen  und  damit  auch 
den  Tieren  (Pflanzenfressern;  Fleischfressern)  bald  wieder  zugänglich,  oder  anders 
ausgedrückt:  er  beschleunigt  den  „Kreislauf  der  Stoffe"  in  der  Natur 
(der  auf  die  Tätigkeit  der  niedrigsten  Pilze  zurückzuführen  ist;  s.  S.  348).  —  Eine 
gleiche  Bedeutung  im  Naturganzen  haben  alle  anderen  Hutpilze  (also  auch  die 
giftigen !).  Ganz  besonders  groß  ist  die  der  Waldpilze,  deren  schnell  vergäng- 
liche Fruchtkörper  in  pilzreichen  Jahren  ja  in  erstaunlichen  Massen  aus  dem 
modernden   Grunde   hervorbrechen.     (Vgl.    die  Pilze   nach    dieser  Hinsicht   mit 


Andere  Ständerpilze. 

Ein  Gang  durch  Feld  und  Flur,  besonders  aber  durch  den  herbstlichen 
Wald  zeigt  uns,  welche  erstaunliche  Mannigfaltigkeit  in  der  Welt  der 
Pilze  herrscht.  Es  können  hier  daher  nur  die  wenigen  Formen  berücksichtigt 
werden,     die    uns    entweder    besonders    als    wohlschmeckende    Speise    dienen, 


336  Taf.  38.     1.  Unterklasse.    Ständerpilze. 

oder  deren  Genuß  dem  Menschen  schwere  Erkrankung-,  nicht  selten  sogar  den 
Tod  bringt.  Ein  Merkmal,  durch  das  sich  die  giftigen  Pilze  von  den 
eßbaren  unterscheiden,  gibt  es  nicht.  Man  muß  sie  kennen  lernen, 
genau  wie  die  Beerenfrüchte  unserer  Heimat  (Tollkirsche,  schwarzer  Nacht- 
schatten —  Erdbeere  u.  a.).  Auch  ist  wohl  zu  beachten,  daß  ganz  harmlose 
Pilze  Vergiftungserscheinungen  hervorrufen  können,  sobald  sie  in  Verwesung 
übergegangen  sind.  Darum  sollten  nur  junge  Pilze  und  zwar  kurz 
nach  dem  Einsammeln  verspeist  werden.  Selbst  das  Stehenlassen  der 
Pilze  bis  zum  nächsten  Tage  hat  oft  schon  großes  Unheil  angerichtet! 

Je  nach  dem  Orte,  an  dem  sich  die  sporenbildende  Trägerschicht  findet, 
lassen  sich  leicht  bestimmte  Pilzgruppen  unterscheiden. 

1.  Blätterpilze.  Die  Frachtschicht  ü  berzi  eh  t  (wie  beim  Champignon) 
senkrecht   gestellte    „Blätter"    der   Hutunterseite. 

An  denselben  Orten,  an  denen  der  Feld-Champignon  auftritt,  aber  auch  in  Wäldern 
und  Gebüschen  findet  sich  sein  nächster  Verwandter,  der  weiße  Schaf-Ch.  (Ps.  arvensis) 
Er  ist  gleichfalls  eßbar  und  von  jenem  durch  den  hohlen  Stiel  leicht  zu  unterscheiden.  — 
Diesen  beiden  Pilzen  ist  der  überaus  giftige  Knollenblätterpilz  (Amanita  bulbösa), 
besonders  im  Jugendzustande  ziemlich  ähnlich,  (s.  Taf.  37,  2).  Auf  seinen  Ge- 
nuß sind  die  meisten  Pilzvergiftungen  zurückzufahren.  An  den  weißen  Blättern 
und  dem  unten  knollenförmig  angeschwollenen  Stiele  ist  er  jedoch 
s  i  che  r  zu  erkennen.  Auch  fehlt  ihm  stets  der  charakteristische  Anis- 
geruch des  Champignons.  Wie  man  an  jungen  Exemplaren  sehen  kann,  sind  Hut 
und  Stiel  von  einer  gemeinsamen  Hülle  schützend  umgeben.  Bei  fortgesetztem  Wachs- 
tum wird  die  Hülle  gesprengt  und  bleibt  auf  dem  Hute  als  Fetzen  und  an  dem  knolligen 
Stiele  als  häutige  Scheide  zurück,  beides  Merkmale,  die  dem  Champignon  stets  fehlen. 
—  Beim  Fliegenpilz  (A.  muscäria)  bilden  die  Reste  der  Hülle  weiße  Flocken  auf  dem 
scharlachroten  Hute.  Dieser  gleichfalls  giftige  Pilz  erscheint  in  Wäldern  oft  in  großer 
Menge.  Früher  legte  man  ihn  in  Milch,  die  man  zum  Töten  der  Fliegen  verwendete.  — 
Noch  giftiger  (Name !)  ist  der  Speiteufel  (Rüssula  emetica),  der  besonders  in  Wäldern 
wächst.  Er  ist  meist  von  dunkelbrauner  Färbung,  besitzt  keinen  Ring  und  riecht  sehr 
widerlich.  —  An  Baumstümpfen  bricht  der  gleichfalls  giftige  Schwefelkopf  (Hypho- 
löma  fasciculäre)  hervor,  ein  vorwiegend  schwefelgelber  Pilz  (Name  !),  der  ausgebildet 
schwarz-grüne  Blätter  hat.  —  Neben  diesen  und  einigen  noch  zu  nennenden  Giftpilzen 
gibt  es  aber  weit  mehr  durchaus  unschädliche  Blätterschwämme,  die  wie  der  Champignon 
z.  T.  sogar  eine  vortreffliche  Speise  für  den  Menschen  bilden.  Unter  diesen  dürfte  der 
Gelbling,  Pfifferling  oder  Eierpilz  (Cantharellns  cibärius),  der  im  Kiefernwalde  oft  in 
großen  Trupps  anzutreffen  ist  (Taf.  38,  2),  wohl  wieder  der  wichtigste  sein.  Die  dotter- 
gelbe Färbung  und  die  am  Stengel  herablaufenden  Plätter  sind  sichere  Erkennungs- 
zeichen. —  Der  sehr  ähnliche  falsche  Gelbling  (C.  aurantiacus),  den  man  für 
giftig  hält,  unterscheidet  sich  von  ihm  leicht  durch  eine  deutliche  Orangefärbung.  — 
Hochgeschätzt  ist  ferner  der  Reizker  (Lactäria  deliciösa).  Er  hat  einen  meist  ziegel- 
roten Hut,  der  mit  orangefarbenen  oder  grünlichen  Ringen  geziert  ist  Bei  Verletzungen 
tropft  aus  ihm  ein  rot  gelber  Milchsaft  hervor,  während  sein  sehr  giftiger  „Doppel- 
gänger", der  Giftreizker  (L.  torminösa),  verwundet  eine  weiße  Milch  absondert.  — 
Eßbar  ist  auch  der  Parasolpilz  (Lepiöta  procera),  so  lange  er  jung  ist.  Er  gleicht 
anfangs  einem  Paukenschlägel,  breitet  dann  aber  seinen  braungeschuppten  Hut  wie  einen 


Schineil,  Lehrbuch  der  Botanik. 


Tafel  38. 


1.  Steinpilz  (Boletus  edulis). 
2.  Gelbling,  Pfifferling  oder  Eierpilz  (Cantharellus  eibarius). 


Blätterpilze.     Röhrenpilze.     Stachelpilze. 


33/ 


A 


m£ 


Schirm  („ Schinnpilz ••)  aus.    Die  prächtigen,  oft    '/»  m  hohen  Gebilde  brechen  an  lichten 
Waldstellen  und  auf  Grasplätzen  aus  dem  Boden  hervor. 

2.  Röhrenpilze.  Die  Fruchtschicht  überzieht  die  Wandungen  von 
Röhren    oder    Löchern. 

Das  Wesen  dieser  Pilzgruppe  können  wir  leicht  am  Steinpilze  (Boletus  edülis; 
Tat'.  38,  1)  erkennen ,  der  in  Laub-  und  Nadelwäldern  vorkommt  und  einer  unserer 
wertvollsten  Speiseschwämme  ist.  Auf  der  Unterseite  des  Hutes  finden  wir  eine  leicht 
abtrennbare  Schicht  zahlreicher  Röhren,  deren  Mündungen  als  feine  Löcher  er- 
scheinen. Die  Röhren  sind  —  wie  ein  mikroskopischer  Schnitt  zeigt  —  mit 
der  Fruchtschicht  ausgekleidet.  Der  dickfleischige  Pilz  hat  einen  knolligen,  hellbräun- 
lichen  und  meist  netzaderig  gezeichneten  Stiel  und  einen  heller  oder  dunkler  matt- 
braunen Hut.  Die  anfangs  weiße  Röhrenschieht  wird  später  gelblich  und  schließlich 
grünlich.  —  In  der  Gesellschaft  des 
Steinpilzes  finden  sich  meist  noch 
zahlreiche  andere  Glieder  seiner 
Gattung.  Von  diesen  Pilzen  sind 
alle  die  eßbar,  deren  Stiel  einen 
Ring  besitzt,  und  von  den  ringlosen 
Arten  wieder  diejenigen,  die  beim 
Zerbrechen  nicht  sofort  die  Farbe 
ändern.  —  Aus  den  ungenießbaren 
Formen  ist  der  überaus  giftige  Sa- 
tanspilz (B.  sätanas)  hervorzu- 
heben. Er  ist  dem  Steinpilz  sehr 
ähnlich ,  hat  aber  einen  gelben, 
mit  netzartigen,  blutroten  Flecken 
überdeckten  Stiel,  und  eine  gleich- 
falls blutrote  Röhrenschicht.  Sein 
Fleisch  wird  beim  Durchschneiden 
rot  und  schließlich  dunkelblau. 

An  Baumstämmen  finden  sich  nicht  selten  die  konsolförmigen  Fruchtkörper  von 
Pilzen,  deren  Fadengeflecht  im  Holze  des  Baumes  schmarotzt  und  es  nach  und  nach 
zerstört.  Da  diese  Fruchtkörper  mehrjährig  sind,  erscheinen  sie  als  feste,  widerstands- 
fähige Gebilde.  Sie  erhalten  alljährlich  eine  Verdickungsschicht  mit  einem  Röhren- 
lager, so  daß  uns  ihre  eigentümliche  Form  wohl  verständlich  wird.  Von  diesen  Pilzen 
wird  besonders  der  Feuerschwamm  (Polyporus  fomentärius)  zur  Herstellung  des  leicht 
brennbaren  Zunders  benutzt  (Verwendung?).  Zu  diesem  Zwecke  wird  die  weiche  Innen- 
masse des  Fruchtkörpers  in  Scheiben  geschnitten,  stark  geklopft  und  mit  Salpeterlösung 
getränkt.  —  Ein  Röhrenpilz  ist  auch  der  berüchtigte  Hausschwamm  (Merülius  läcry- 
mans),  dessen  Fadengeflecht  das  Holzwerk  der  Häuser  nicht  selten  gänzlich  zerstört  und 
sehr  große,  lappenförmige  und  äußerst  giftige  Fruchtkörper  bildet.  Da  er  wie  alle 
Pflanzen  ohne  Wasser  nicht  leben  kann,  so  darf  nur  trockenes  Holz  zum  Bauen  ver- 
wendet und  in  den  Gebäuden  eine  sorgfältige  Lüftung  nie  verabsäumt  werden. 

3.  Stachelpilze:  Die  Fruchtschicht  überzieht  stachelartige  Aus- 
wüchse. 

Dies    ist    leicht    am    Habichtschwamm    (Hydnum    imbrieätum)    zu    sehen,    der 
fast  in  jedem  Nadelwalde  vorkommt.     Die  kleinen    Stacheln    linden  sich    auf  der  Unter- 
Schmeil,   Lehrbuch  der  Botanik.  22 


Habichtscliwamiu  (kleines  Exemplar 


338 


1.  Unterklasse.    Ständerpilze.     2.  "Unterklasse.    Schlauchpilze. 


seite  des  schokoladebraunen  Hutes,  der  mit  mehreren  kreisförmigen  Reihen  großer 
Schuppen  bedeckt  ist.  Die  Stacheln  laufen  noch  ein  Stück  an  dem  weißgrauen  Stiele  herab 
und  stehen  so  dicht,  daß  sie  der  Hutunterseite  das  Aussehen  eines  Rehfelles  verleihen 
(daher  auch  „Rekpilz").     Auch  andere  Arten  der  Gruppe  sind  eßbar,  keine  ist  giftig. 

4.  Kenlenpilze :    Die  Fruchtschicht  überkleidet  die  Oberseite    der 
keulen-  oder  k  or  allenf  örmigen  F  ru  c  h  t  k  ö  r  pe  r. 

Die  Pilze  dieser  Gruppe  sind  jung  sämtlich  eßbar.     Am  meisten  wird   der  gelbe 
Ziegenbart,   Korallenpilz   oder   Hahnenkamm   (Claväria  flava)   geschätzt,    der  in 

Laub-  und  Nadelwäldern  anzu- 
treffen ist.  Seine  oft  kopfgro- 
ßen ,  gelblichen  Fruchtkörper 
spalten  sich  in  zahlreiche  Äste, 
die  sich  wiederholt  in  kleinere 
Zweige  teilen.  So  entstehen 
prachtvolle,  korallenartige  Ge- 
bilde (Namen  !)  von  größter 
Zartheit  und  oft  beträchtlichem 
Umfange. 

5.  Bauchpilze :  Die 
Fruchtschicht  überzieht 
die  Wände  von  Hohlräu- 
men oder  Kammern  im 
Innern  der  Fruchtkörper. 
Stellt  man  durch  einen 
jungen  Bovist  (Bovista),  wie 
er  sich  auf  Wiesen  als  weiße 
Kugel  überall  findet,  dünne 
Schnitte  her,  so  sieht  man  bei 
Anwendung  des  Mikroskops, 
daß  der  Körper  gekammert  ist,  und  daß  die  Wände  der  Hohlräume  („Bauchpilze") 
dicht  mit  sporenbildenden  Ständern  besetzt  sind.  Bei  der  Reife  werden  die 
Wände  aufgelöst.  Dann  reißt  die  äußere  Hülle  an  der  Spitze  auf,  so  daß  der  Wind 
das  braune  Sporenpulver  verwehen  kann.  Jung  sind  die  Boviste  wie  zahlreiche  andere 
Bauchpilze  eßbar.  —  Giftig  ist  allein  der  Kartoffelbovist  (Scleroderma  vulgäre),  der 
häufig  auf  Sandboden  vorkommt.  Die  festen  Fruchtkörper  haben  das  Aussehen  von 
Kartoffelknollen  (Name!),  sind  innen  zuletzt  aber  ganz  schwarz  und  werden  betrüge- 
rischer Weise  daher  nicht  selten  den  Trüffeln  beigemengt. 


Gelber  Ziegenbart  (kleines  Exemplar). 


2.  Unterklasse.     Schlauchpilze  (Ascomycetes). 

Fadengerlecht    mehrzellig.     Sporen   bilden    sich    (gewöhnlich  in  einer  Anzahl  von  8)  im 
Innern  schlauchartiger  Zellen. 

1.  Während  der  Frühlingsmonate  brechen  in  Wäldern,  auf  Wiesen  und 
in  Gärten  Frachtkörper  von  Pilzen  aus  dem  Boden,  die  wesentlich  anders  aus- 
sehen als  die  der  bisher  betrachteten  Arten.  Es  sind  die  überall  hoch  ge- 
schätzten, schmackhaften  Morcheln  (Morchella).  Auf  einem  Stiele  erhebt  sich 
—  je  nach  der  Art  —  ein  kegelförmiger  oder  abgerundeter  Hut  von  meist  grauer 


Keulenpilze,     Bauchpilze.     Morchel.     Lorchel.     Trüffel 


339 


bis  brauner  Färbung.     Die  Oberfläche  des  hohlen  und  sehr  brüchigen  Hutes  ist 
durch  netzartige  Rippen  in  zahlreiche  Gruben  geteilt. 

Stellt  man  durch  die  Wand  des  Hutes  dünne  Querschnitte  her,  so  sieht 
man  bei  Anwendung  des  Mi- 
kroskops, daß  die  grubigen 
Vertiefungen  außen  mit  einer 
Fruchtschicht  (s.  S.  332) 
überkleidet  sind.  Die  Sporen 
werden  hier  aber  nicht  wie 
beim  Champignon  und  seinen 
Verwandten  an  der  Spitze  von 
Ständern,  sondern  im  In- 
nern langgestreckter, 
schlauchartiger  Zellen 
gebildet.  Zwischen  den 
„Schläuchen",  in  denen  wir 
je  8  Sporen  zählen,  beobach- 
ten wir  wie  beim  Champignon 
zahlreiche  unfruchtbare  „Zwi- 
schenzellen". Bei  der  Reife 
schwellen  diese  Gebilde  stark 
an,  so  daß  sie  einen  Druck 
auf  die  Schläuche  ausüben. 
Da  sich  diese  jetzt  nun  an 
der  Spitze  geöffnet  haben,  wer- 
den die  Sporen  mit  einer  ge- 
wissen Gewalt  heraus  geschleudert  und  somit  dem  Winde  überantwortet, 
ihre  Verbreitung  besorgt. 

Als  „Morcheln"  kommt  vielfach  ein  ganz  ähnlich  geformter  Pilz  in  den  Handel, 
die  Speise-Lorchel  (Helvella).  Sie  wächst  in  Nadelwäldern  und  ist  an  dem  unregel- 
mäßig gelappten  Hute  zu  erkennen,  der  zahlreiche  „darmartige"   Auftreibungen  zeigt. 

2.  Viel  höher  noch  als  die  Morcheln  werden  die  Trüffeln  (Tuber)  geschätzt,  die 
zu  den  feinsten  Delikatessen    und    Küchengewürzen    zählen.      Es    sind    dies    die    Fruchf- 


Spitz-Morcliel    (nat.    Gr.)      Danehen    mehrere    Pilz- 
fäden mit  3  Schläuchen,    die   je    8  Sporen    enthalten, 
und  3  Zwischenzellen  1 300  mal  vergr.). 

der 


Trüffel.     1 


4  Sp 


Durchschnitt   (nat.  Gr.).     3  Drei  Schläuche,    von  denen  2 
reu  enthalten  (Vergr.  etwa  450 mal). 


340 


2.   Unterklasse.     Schlauchpilze. 


körper    von    Pilzen ,    deren 
Fadengeflecht  sich  im  Wald- 
boden  verbreitet.    Sie  haben 
das  Aussehen  von  Kartoffel- 
knollen, sind  von  einer  war- 
zigen Hülle    umkleidet   und 
besitzen  im  Innern  zahlreiche 
Kammern,  deren  Wände  mit 
Sporenschläuchen      bedeckt 
sind.     Da  die  Trüfl'eln  stets 
unterirdisch    bleiben,    kann 
die  Verbreitung  der  Sporen 
auch  nicht  durch  den  Wind 
geschehen  wie  bei  den  mei- 
sten   anderen  Pilzen  ;    wüh- 
lende Tiere  allein  vermögen 
diese  Arbeit  zu  leisten  (Wild- 
schwein, Dachs,  Mäuse,  Re- 
genwürmer  u.   a.).     Hiermit 
stehen    auch    folgende    Tat- 
sachen    im    innigsten    Ein- 
klänge: die   Trüffeln  finden 
sich  erstlich   nur    dort,    wo 
sie  den  Wühlern    leicht  zu- 
gänglich sind,  nämlich  nahe 
der  Erdoberfläche;    sie    sind 
zweitens    fleischige ,    saftige 
Gebilde,  die  von  den  Tieren 
gern   verzehrt  werden  (vgl. 
mit    den    Früchten  ,    deren 
Samen    durch    Vögel   ausge- 
sät   werden!);   sie   besitzen 
drittens      einen      auffallend 
starken  Duft  (Verwendung !), 
wodurch  sie  den  Tieren  ihre 
Anwesenheit    gleichsam   an- 
zeigen, und  ihre  Sporen  sind 
viertens  mit  stacheligen  oder 
netzförmigen  Erhöhungen  be- 
deckt, so  daß  sie  ihren  Ver- 
breitern   leicht    und    sicher 
anhaften.     Um    die    begehr- 
ten   Fruchtkörper    zu    ent- 
decken ,    bedient     sich     der 
„Trüffeljäger  "      vorwiegend 
der       Hilfe       abgerichteter 
Schweine    oder    Hunde,  die   ja    bekanntlich    mit    sehr    scharfem    Geruch    begabt    sind. 
Die    wertvollen    Trüffelpilze     bewohnen     vorwiegend    Eichen-    und     Buchenwälder    auch 


Mutterkornpilz  und  seine  Entwick- 
lung. 1  Roggenähre  mit  Mutterkorn 
(nat.  Gr.).  2Pilzfäden,  dieSporen  abschnüren  (Vergr.  etwa 
HOOmal).     3  Mutterkorn  mit  Fruchtkörpern  (wenig  vergr). 

4  Längsschnitt    durch    das  Köpfchen    eines  Fruchtkörpers 
mit    zahlreichen    Haschenförniigen  Höhlen  (Vergr.  25  mal). 

5  Eine  solche  Höhle  mit  Sporenschläuchen  (Vergr.  120  mal). 
6  Ein  Sporenschlauch  mit  8  Sporen  (Vergr.  700  mal). 


Trüffel.     Btutterkornpilz.     Pinselschimmel. 


341 


unserer   Heimat.     Die   meisten   Trüffeln    kommen  jedoch    ans  Südfrankreich    und    Italien 
zu  uns. 

3.  In  den  Ähren  verschiedener  Gräser,  besonders  des  Roggens,  findet  mau 
nicht  selten  schwärzliche,  große  Körper,  die  bekanntlich  als  Mutterkorn  be- 
zeichnet werden.  Sie  verdanken  ihre  Entstehung  einem  Pilze,  dem  Mutterkorn- 
pilze (Cläviceps  purpurea),  der  eine  sehr  merkwürdige  Entwicklung  durchläuft. 
Geht  man  im  Frühlinge  auf  das  Feld,  so  findet  man  sicher  Roggenähren,  in 
denen  ein  Fruchtknoten  süßen  Saft  ausscheidet.  Dieser  „Honigtau"  wird 
wie  alle  Süßigkeiten  von  zahlreichen  Insekten  gern  aufgesucht.  (Man 
braucht  oft  nur  dem  Fluge  der  Honigbiene  zu  folgen,  um  eine  solche  Ähre  zu 
entdecken!)  Wie  die  mikroskopische  Untersuchung  leicht  zeigt,  ist  dieser  Frucht- 
knoten von  Pilzfäden  durchzogen,  die  an  der  Oberfläche  zahlreiche  kleine 
Sporen  abschnüren.  Indem  nun  die  Insekten  den  süßen  Saft  lecken  und  zu 
anderen  Ähren  fliegen,  nehmen  sie  sicher  auch  Sporen  mit,  die  dort  dieselbe 
Erkrankung  hervorrufen  (vgl.  den  Honigtau  mit  den  Lockmitteln  der  Blüten 
und  Früchte  höherer  Pflanzen!).  Zur  Zeit  der  Roggenreife  geht  mit  dem  Auf- 
hören der  Saftzufuhr  dem  Schmarotzer  aber  die  Nahrung  aus!  Fruchtknoten 
von  anderen  Gräsern,  in  denen  er  allein  leben  kann,  findet  er  erst  im  nächsten 
Frühjahre  wieder.  Wie  rettet  er  sich  nun  auf  diese  Zeit  hinüber?  Bevor 
der  Roggen  zu  reifen  beginnt,  legen  sich  die  Pilzfäden  besonders  im  unteren 
Teile  des  Fruchtknotens  eng  zusammen  und  wachsen  zu  einem  fast  holzharten 
Körper  aus:  das  ist  das  Mutterkorn,  das  die  Unbilden  des  Winters  leicht 
übersteht.  Auf  oder  in  dem  Ackerboden  liegt  es  unverändert  bis  zur  Zeit  der 
nächsten  Roggenblüte.  (Lege  es  während  des  Winters  in  einen  Blumentopf  mit 
Erde,  der  im  Freien  aufbewahrt  wird!).  Dann  bekommt  es  scheinbar  neues 
Leben:  es  treibt  eine  Anzahl  langgestielter,  rötlicher  Frucht körp er  von  der 
Größe  eines  Stecknadelkopfes,  in  denen  sich  in  flaschenförmigen  Höhlungen 
zahlreiche  Sporenschläuche  bilden.  Die  aus  den  Schläuchen  hervortretenden 
langgestreckten  Sporen  werden  durch  den 
Wind  verweht,  und  die  Erkrankung  der  Frucht- 
knoten zeigt  sich  alsbald  von  neuem.  Der  Land- 
mann bringt  mit  dem  Mutterkorn  also  einen 
gefährlichen  Feind  auf  seinen  Acker.  Da  es  zu- 
dem ein  heftiges  Gift  enthält,  das,  im  Brote 
genossen,  schon  oft  schwere  Erkrankungen  her- 
vorgerufen hat,  sollte  es  aus  dem  eingeernte- 
ten Getreide  sorgfältig  entfernt  werden.  In  der 
Hand  des  erfahrenen  Arztes  dagegen  ist  es  ein 
wichtiges  Heilmittel. 

4.    Brot,    eingemachte    Früchte,    Fleischwaren, 

Tinte  u.  s.  w.  werden  von  dem  gemeinsten  aller  Schim-  V  mrl    .,„,-  ,,jm,m 

melpilze,   dem   Pinsel-  oder    Brotsehiininel    (Peni-  Stück  Brot 

cillinm    ernstäceum),   oft  wie  mit  einer  dicken,      an-  w  (.Vgl-,  et.  120m. 


342 


2.  Unterkl.    Schlauchpilze.     3.  u.  4.  Unterkl.   Host- u.  Brandpilze. 


grünen  Decke  überzogen.  Indem  er  den  Stoffen  Sauerstoff  zuführt,  bedingt  er  deren 
Verwesung,  die  für  sein  Wachstum  notwendig  ist  (s.  S.  334,  2).  Untersucht  man  ein 
wenig  von  dem  Pilze  unter  dem  Mikroskope ,  so  sieht  man  ein  dichtes  Fadengeflecht, 
aus  dem  sich  zahlreiche  senkrechte  Fäden  erheben.  Da  sich  diese  Fäden  an  der  Spitze 
wiederholt  teilen  und  an  den  Enden  zahlreiche  Sporen  abschnüren,  erscheint  das  Ganze 
wie  ein  kleiner  Pinsel  (Name  !).  Dio  Sporen,  die  der  Pilzmasse  die  blaugrüne  Färbung 
verleihen,  werden  leicht  durch  den  "Wind  verweht.  Und  da  es  an  geeigneten  Stoffen 
für  den  Pilz  nirgends  fehlt,  ist  er  auf  der  ganzen  Erde  zu  finden.  Sehr  selten  erscheinen 
in  dem  Fadengeflechte  winzige,  trüffelartige  Körperchen  mit  sporenbildenden  Schläuchen, 
ein  Umstand,  der  die  Einreihung  des  ungebetenen  Gastes  in  die  Gruppe  der  Schlauchpilze 
verständlich  macht. 

Die  Blätter  der  Getreidearten,  Hülsenfrüchtler,  Rosen  und  violer  anderer 
Pflanzen  findet  man  nicht  selten  wie  mit  Schimmel  überzogen :  es  ist  das  Faden- 
geflecht zahlreicher  Mehltaupilze  (Erysiphe ;  Name!).  A'on  diesen  spinnengeweb- 
artigen  Fäden  dringen  Fortsätze  in  das  Blattinnere,  die  der  Pflanze  Nahrung  ent- 
ziehen. Infolgedessen  erkranken  die  Blätter,  so  daß  der  ganzen  Pflanze  oft  großer 
Schaden  zugefügt  wird.  —  Einer  der  gefährlichsten  dieser  Zerstörer  ist  der  S.  65  be- 
reits erwähnte  Rebenmehltau  (Oidium  tückeri)  —  Auch  die  als  Taschen  oder  Narren 
bezeichneten  Mißbildungen  der  Pflaumen  werden  durch  einen  Schlauchpilz  verursacht 
(Taphrina  pruni). 

5.  Zerteilt  man  ein  Körnchen  Preßhefe  in  Wasser,  und  untersucht  man 
darauf  einen  Tropfen  der  trüben  Flüssigkeit  unter  dem  Mikroskope,  so  bemerkt 

man  darin  Tausende  von  farblosen,  kuge- 
ligen Zellen,  von  denen  jede  ein  „Pflänz- 
chen"  der  Bierhefe  (Saccharomyces  cere- 
visiae)  darstellt.  Bringt  man  etwas  Preß- 
hefe in  eine  zuckerhaltige  Flüssigkeit,  so 
tritt  alsbald  eine  starke  Vermehrung  der 
Hefenmasse  ein:  an  den  Zellen  bilden 
sich  Ausstülpungen,  die  zur  Größe  der 
Mutterzellen  heranwachsen  und  sich 
schließlich  von  ihnen  trennen.  Erfolgt 
eine  solche  Abschnürung  nicht,  und  treiben  die  Tochterzellen  abermals  Tochter- 
zellen, so  entstehen  kleine  Zellkolonien.  Gleichzeitig  geht  mit  der  Flüssigkeit 
eine  starke  Veränderung  vor  sich:  ihr  entsteigt  unter  Schäumen  und  Brausen 
Kohlensäure  (Nachweis  durch  Kalkwasser!),  und  der  süße  Geschmack  verliert 
sich  immer  mehr.  Dafür  stellt  sich  aber  bald  der  bekannte  Spiritus-  oder 
Alkoholgeruch  ein:  die  Bierhefe  hat  den  Zucker  in  Alkohol  und  Kohlensäure 
gespalten,  ein  Vorgang,  der  bekanntlich  als  alkoholische  Gärung  bezeichnet 
wird.  Auf  dieser  Fähigkeit  der  Bierhefe  beruht  das  Brauen  des  Bieres,  sowie 
die  Herstellung  des  Branntweins.  Im  Großen  gezüchtet  und  möglichst  getrock- 
net, kommt  der  Pilz  als  „Preßhefe"  in  den  Handel,  die  namentlich  beim  Backen 
des  Kuchens  Verwendung  findet.  Alkohol  und  Kohlensäure,  die  hierbei  gleich- 
falls entstehen,  treiben  die  zähen  Teigmassen  auseinander,  so  daß  ein  lockeres, 
bekömmliches  Gebäck  entsteht.    (Eine  andere  Hefenart,  die  in  großer  Menge  im 


Bierhefe.     1    Eine  Zelle    mit  einer  Aus- 
stülpung.      2    Eine    Kolonie    von    Zellen. 
3   Eine  Zelle  mit  4  Sporen   (1  u.  2  etwa 
800 mal.  3  etwa   lOOOmal  vergr.). 


Mehltaupilze.     Rebenmehltau.     Bicrlicfe.     Weinhefe,     Getreiderost. 


343 


Sauerteig  enthalten  ist,  veranlaßt  „das  Gehen"  des  Schwarzbrotteiges.)  Bringt 
man  eine  dünne  Schicht  Bierhefe  auf  eine  Gipsplatte,  die  man  nur  mit  reinem 
Wasser  befeuchtet  und  mit  einer  Glasglocke  überdeckt,  so  spaltet  sich  der 
Inhalt  jeder  Zelle  in  meist  4  Sporen  (Schlauchpilz!),  die,  durch  dicke  Wände 
geschützt,  lange  Zeit  hindurch  Trocknis  ertragen  und  ohne  Nahrung  weiter 
leben  können.  Die  Sporenbildung  ist  also  ein  Mittel,  durch  das  sich  der  Pilz 
vor  dem  Untergange  schützt.  Im  Freien  kommt  die  Bierhefe  nicht  vor.  Sie 
ist  wie  z.  B.  die  meisten  Getreidearten  eine  uralte  „Kulturpflanze"  von  unbe- 
kannter Herkunft.  Und  wie  die  meisten  unserer  Nutzpflanzen,  bildet  auch  die 
Hefe  zahlreiche  „Rassen",  von  denen  jede  dem  Biere  gewisse  Eigentümlichkeiten 
verleiht. 

Dasselbe  gilt  für  die  Weinhefe  (S.  ellipsoideus),  die  aber  —  wie  bereits 
S.  65  erwähnt  —  im  Freien  vorkommt.  Daher  gärt  der  Most  von  selbst.  - 
Auch  die  Hefepilze,  die  die  Gärung  des  „Fruchtweins"  verursachen,  gelangen 
mit  den  Früchten  in  den  ausgepreßten  Saft. 


3.U.4.  Unterklasse.  Rost-  und  Brandpilze (Uredinäceae  undUstilaginäceae). 

Fadengeflecht  mehrzellig.     Schmarotzer   höherer  Pflanzen,    deren  Sporeninassen   an    der 

Wirtspflanze  rostartige  Stellen   bilden    oder    gewisse  Teile    der   befallenen  Pflanzen   wie 

verbrannt  erscheinen  lassen. 

1.  Rostpilze.  An  den  Getreidearten  sowohl,  wie  auf  wildwachsenden 
Gräsern  findet  man  vom  Juni  ab  nicht  selten  gelbe,  braune  oder  schwarze 
Flecken  und  Streifen,  die  wie  Rostflecke  aussehen  (Name!).  Die 
mikroskopische  Betrachtung  dünner  Querschnitte  zeigt  uns,  daß  Blätter 
und  Stengel  dieser  Pflanzen  von  zahlreichen  Pilzfäden  durchzogen  sind, 
die  hier  und  da  die  Oberhaut  durchbrechen,  ins  Freie  treten  und 
daselbst  je  eine  Spore  abschnüren.  Die  Sporenmassen,  die  dem  un- 
bewaffneten Auge   als  jene  Rostflecke   erscheinen,    befinden   sich    also 

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Getreiderost.  1  Sommersporen  (Vergr.  200 mal).  2  Wintersporen  (Vergr. 
200mal).  '•)  Zwei  Wintersporen.  Die  obere  Spore  beginnt,  einen  Pilzfaden  zu  treiben; 
an  dem  vollkommen  entwickelten  Faden  der  unteren  Spure  haben  sich  4  Frühjahrs- 
sporen gebildet  (Vergr.  230 mal).  4  Ein  Becherchen  von  der  Unterseite  des  Berberitzen- 
blattes; mehrere  Bechersporen  haben  sielt  bereits  abgelöst.     (Vergr.  70 mal.) 


344  3.  u.  4.  Unterklasse.    Rost- n.  Brandpilze.    S.Unterklasse.  Algenpilze. 

im  Bereiche  ihres  Verbreiters,  des  Windes.  Da  sich  der  Pilz  auf  Kosten 
seines  „Wirtes"  ernährt,  verkümmern  die  befallenen  Pflanzen  oder  gehen 
wohl  gar  zn  gründe.  Die  Rostkrankheiten  des  Getreides  werden  nun  von 
verschiedenen  Pilzen  hervorgerufen,  unter  denen  als  Hauptverwüster  der  (echte) 
Getreiderost  (Puccinia  gräminis)  hervorragt.  Hat  er  sich  einmal  auf  einem 
Felde  eingefunden,  so  verbreiten  seine  gelben,  roten  oder  hellbraunen  Sporen 
die  Krankeit  schnell  weiter.  Wenn  das  Getreide  zu  reifen  beginnt,  treten  in 
den  Rostflecken  dunkelbraune  Sporen  auf,  die  vermöge  ihrer  dicken  Wände 
leicht  zu  überwintern  vermögen  (vgl.  mit  dem  Mutterkornpilze!).  Die  zuerst 
erzeugten  dünnwandigen  Sporen,  die  hierzu  nicht  im  stände  sind,  bezeichnet 
man  daher  zum  Unterschied  von  diesen  „Wintersporen"  als  „Sommersporen". 
Im  nächsten  Frühjahre  treiben  die  Wintersporen,  die  immer  zu  zweien  vereinigt 
sind,  je  einen  kurzen  Pilzfaden,  der  wieder  4  farblose  „Frühjahrssporen" 
erzeugt.  Gelangen  die  durch  den  Wind  verwehten  winzigen  Gebilde  auf  die 
Blätter  der  Berberitze,  so  keimen  sie.  Der  Keimschlauch  dringt  in  die  Blätter 
ein  und  erzeugt  ein  Fadengeflecht,  an  dem  auf  der  Blattunterseite  bald  kleine, 
rotgelbe  „Becherchen"  entstehen.  In  ihnen  bilden  sich  am  Ende  senkrechter 
Pilzfäden  Reihen  von  „Bechersporen",  die  wieder  durch  den  WTind  davon- 
getragen werden.  Fallen  sie  auf  Getreide  ''oder  gewisse  wildwachsende 
Gräser),  so  rufen  sie  die  Krankheit  von  neuem  hervor.  Der  Pilz  durch- 
läuft also  einen  Generationswechsel  (s.  S.  301).  Da  in  seiner  Entwicklung 
die  Berberitze  eine  wichtige  Rolle  spielt,  so  darf  der  Strauch  in  der  Nähe  von 
Getreidefeldern  nicht  geduldet  werden.  Bemerkt  mag  noch  sein,  daß  auch  an 
der  Oberfläche  der  Berberitzenblätter  kleine  „Becher"  entstehen,  in  denen 
winzige  Sporen  von  unbekannter  Bedeutung  gebildet  werden. 

Auf  zahlreichen  anderen  Pflanzen  erzeugen  andere  Rostpilze  ähnliche  Er- 
krankungen. —  Ein  sehr  gefährlicher  Schädling  ist  z.  B.  der  Birnenrost  (Gymnospor- 
ängium  sabinae)  ,  der  auf  den  Blättern  des  Birnbaums  die  „Becher"  und  auf  dem 
Sadebaume  die  anderen  Entwicklungszustände  bildet.  —  Der  Erbsenrost  (Uromyces 
pisi)  wandert  von  der  Cypressen-Wolfsmilch  (s  S.  68)  auf  die  Blätter  der  Erbsen  und 
anderer  Schmetterlingsblütler.  —  Andere  Rostpilze  vollenden  wieder  ihre  ganze  Ent- 
wicklung auf  ein  und  derselben  Pflanze. 

2.  Die  Brandpilze  sind  gleichfalls  Schmarotzer  höherer  Pflanzen,  und  zwar 
vorzugsweise  der  Gräser.  Während  das  Fadengeflecht  die  ganze  Wirtspflanze  durchzieht, 
erfolgt  die  Bildung  der  Sporen  jedoch  nur  an  einer  bestimmten  Stelle,  an  der  Blüte,  dem 
Stengel  u.  s.  w.  Die  Sporen,  die  durch  den  Wind  verbreitet  werden,  bilden  dunkle  Massen, 
die  die  Bezeichnung  „Brandpilze"  durchaus  rechtfertigen.  Am  häufigsten  zu  beobachten  ist 
der  Flug-  oder  Staubbrand  (Ustilago-Arten),  der  die  Früchte  besonders  des  Ilafers,  der 
Gerste  und  des  Weizens  zerstört.  —  Andere  Brandpilze  verursachen  den  Schmier- 
brand  (Tilletia-Arten) :  die  Getreidekörner  scheinen  äußerlich  unversehrt:  innen  aber  sind 
sie  mit  einem  schwarzen,  übelriechenden  und  schmierigen  Sporenpulver  (Name!)  erfüllt. 


Rost- u.  Brandpilzarten.  Kartoffelpilz,  F.  Rebenmehltau.  Wasser- n.  Fliegenschimmel.      345 


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5.  Unterklasse.     Algenpilze  (Phycomycetes). 

Fadengeflecht  besteht  (wie  der  Körper  gewisser  Algen;  Name!)   nur  aus  einer  einzigen, 
meist  stark  verzweigten  und  oft  sehr  umfangreichen  Zelle. 

In  diese  große  Abteilung  der  Pilze  soll  uns  der  Kartoffelpilz  (Peronöspora 
infestans)  einführen,  der  die  gefürchtete  Kartoffelfäule  hervorruft.  Stellt  man 
z.  B.  durch  ein  Blatt  einer  Kartoffelstaude,  die  von  dieser  Krankheit  befallen 
ist,  dünne  Schnitte  her,  so  ist  mit  Hilfe 
des  Mikroskops  leicht  zu  erkennen,  daß 
es  wie  die  ganze  Pflanze  von  einem  viel- 
fach verzweigten,  aber  einzelligen  Faden- 
geflechte  durchwuchert  wird.  Einzelne 
Äste  des  Geflechtes  brechen  wie  ein 
zarter  Schimmel  aus  den  Spaltöffnungen 
an  der  Unterseite  der  Blätter  hervor, 
verzweigen  sich  und  schnüren  eine  An- 
zahl Sporen  ab,  die,  vom  Winde  ver- 
weht, schnell  die  Krankheit  über  das 
ganze  Feld  verbreiten.  Da  der  Pilz  der 
Pflanze  die  Nahrung  entzieht,  bekommen 
die  Blätter  schwarzbraune  Flecke,  und 
schließlich  sterben  alle  oberirdischen  Teile 
ab.  Infolgedessen  bleiben  die  Knollen 
klein,  so  daß  der  Ernteertrag  meist  sehr 
gering  ist.  Oft  werden  aber  auch  die 
Knollen  selbst  von  der  Krankheit  erfaßt: 
sie  erhalten  braune  Flecke  und  ver- 
wandeln sich  schießlich  in  eine  jauchige, 
übelriechende  oder  in  eine  trockene,  bröck- 
lige Masse  (nasse  und  trockene  Fäule). 
Will  man  sich  gegen  den  gefährlichen 
Feind  schützen,  so  hat  man  vor  allen 
Dingen  zur  Aussaat  nur  vollkommen  ge- 
sunde Knollen  zu  nehmen,  sowie  alle 
erkrankten  von  dem  Felde  zu  entfernen 
und  sorgfältig  zu  vernichten. 

Ein  anderer,  gleichfalls  sehr  gefährlicher  Algenpilz  ist  der  sog.  falsche  Reben- 
mehltau  (P.  vitieola),  dessen  bereits  auf  S.  65  gedacht  worden  ist.  —  Wirft  man  ein 
totes  Insekt  in  Teich-  oder  Flußwasser,  so  bedeckt  es  sich  bald  mit  den  Frachtträgern 
des  Wasserschimmels  (Saprolegnia-Arten).  Dieser  Pilz  siedelt  sich  vielfach  auch  auf  den 
Kiemen  der  Fische  an.  so  daß  die  Tiere  schließlich  zu  Grunde  gehen.  —  Der  Fliegen- 
schimmel (Empüsa  muscae)  tütet  im  Herbst  große  Mengen  von  Stubenfliegen.  Man 
findet  die  Tiere  dann  an  den  Wänden  und  Fenstern  kleben  und  von  einem  Kranze  fortge- 
schleuderter Sporen   umgeben,    durch    die    die  Krankheit  schnell   weiter  verbreitet    wird. 


Kartoffelpilz:  Querschnitt  durch  ein 
von  dem  Pilze  befallenes  Kartoffelblatt. 
Aus  den  Spaltöffnungen  der  Blattunterseite 
treten  Aste  insFreie,  an  denen  sich  Sporen 
bilden.     (Yergr.  etwa  200mal.) 


346 


2.  Klasse.     Spaltpilze. 


2.  Klasse.    Spaltpilze  oder  Bakterien  (Schizomycetes). 

Pilze,    die    kein  Fadengeflecht  bilden,    sondern  nur  einzellige,    sehr  kleine  "Wesen  sind, 
die  sich  durch  Zweiteilung  vermehren. 

A.  Vom  Bau  der  Spaltpilze.  1.  Verteilen  wir  von  dem  weißen  Belag 
unserer  Zähne  ein  wenig  in  einem  Wassertropfen,  so  erblicken  wir  bei  starker 
mikroskopischer  Vergrößerung  zahlreiche  farblose  Gebilde,  die  man  als  Spaltpilze 
oder  Bakterien  bezeichnet.  Es  sind  die  kleinsten  Lebewesen,  die  wir 
kennen;  erreichen  doch  viele  von  ihnen  noch  nicht  einmal  Viooo  mm  an  Länge. 
Ihrer  Größe  nach  verhalten  sie  sich  also  etwa  zum  Menschen  wie  ein  Saatkorn 
zu  einem  der  höchsten  Alpenberge. 

2.  Bei  sehr  starker  Vergrößerung  erkennt  man,  daß  der  Körper  der  Spalt- 
pilze aus  je  einer  einzigen  Zelle  gebildet  ist,  die  allerdings  verschiedene 
Formen  aufweist.     So   haben   die   Spaltpilze   des   Zahnbelags   die  Gestalt   einer 


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Spaltpilze.     1  Aus  dem  Belag  der  Zahne  (Vergr.  etwa   750  mal).    2  Mit  fadenförmigen, 
als  Bewegungswerkzeuge  dienenden  Anhängen  (Vergr,   etwa   1500  mal }. 


Kugel  oder  eines  kürzeren  oder  längeren  Stäbchens.  Daneben  treten  in  der 
Regel  auch  solche  auf,  die  mehr  oder  weniger  gekrümmt  oder  gar  korkzieherartig 
gewunden  sind.  Diese  Gestalten  kehren  bei  allen  Spaltpilzen  wieder,  so  viele  man 
daraufhin  auch  untersuchen  mag.  Die  kugeligen  Formen  bezeichnet  man  als 
Kokken*),  die  Kurzstäbchen  als  Bakterien  i.  e.  S.*)  und  die  Lang- 
stäbchen als  Bazillen**);  die  gekrümmten  und  gewundenen  führen 
nach  ihrer  besonderen  Gestalt  wieder  verschiedene  Namen,  die  aber,  weil  im 
gewöhnlichen  Leben  ungebräuchlich,  hier  unerwähnt  bleiben  sollen. 

3.  Die  kleineren  Spaltpilze  unseres  Präparats  sind  in  lebhafter  Bewegung. 
Einige  drehen  sich  um  sich  selbst,  schwimmen  dabei  gleichzeitig  ein  Stück  vorwärts 
und,  ohne  umzukehren,  wieder  zurück;  andere  zeigen  ein  eigentümliches  Wackeln 
und   Zittern,    und   die  gewundenen   schrauben    sich   hurtig   durch   das   Wasser. 


*)  Nach  einem  gleichlautenden  griechischen  Worte. 
**)  Bacillum  ist  die  Verkleinerung  von  baculum,  der  Stab. 


Bau  der  Spaltpilze.  347 

Untersucht  man  einen  Tropfen  einer  Flüssigkeit,  in  der  tierische  oder  pflanzliche 
Stoffe  faulen,  so  sind  Tausende  und  Abertausende  von  Spaltpilzen  in  Bewegung: 
oft  flimmert  infolgedessen  das  ganze  Gesichtsfeld,  und  das  Wasser  scheint 
lebendig  geworden  zu  sein.  Daneben  gibt  es  aber  auch  zahlreiche  Spaltpilze, 
die  sich  kaum  oder  niemals  bewegen.  Bei  sehr  starker  Vergrößerung  erkennt 
man  auch  die  Werkzeuge  der  Bewegung:  es  sind  mehr  oder  weniger  zahlreiche, 
fadenförmige  Anhänge  der  Zellhaut,  die  wie  bei  den  Infusorien  (s.  Lehrb.  d.  Zool.) 
regelmäßige  Schwingungen  oder  Drehungen  ausführen. 

4.  Steht  den  Spaltpilzen  genügend  Nahrung  zur  Verfügung,  und  herrscht 
die  für  sie  eine  günstige  Temperatur  (s.  S.  350, 1),  so  vermehren  sie  sich,  in- 
dem sie  sich  teilen.  Bleiben  die  „Teilstücke",  von  denen  also  jedes  eine 
selbständige  Pflanze  darstellt,  im  Zusammenhange,  so  entstehen  nicht  selten 
kleine  Ketten  oder  längere  Stäbe  (so  bestehen 
z.  B.  die  Langstäbchen  der  aus  dem  Zahnbelag 
abgebildeten  Formen  z.  T.  aus  zahlreichen 
Kurzstäbchen,  was  jedoch  nur  bei  Anwendung 
besonderer  Mittel  zu  sehen  ist).  Die  Ver- 
mehrung erfolgt  nun  bei  günstigen  Bedingungen 
(Nahrung;  Wärme!)  außerordentlich  schnell. 
Sorgfältige  Berechnungen  haben  z.  B.  ergeben, 
daß  ein  Spaltpilz,  der  0,001  mm  lang,  breit  Spaltpilze,  die  je  eine  Spore  am- 
und  hoch  ist  und  sich  in  jeder  Stunde  einmal  schließen.  (Vergr.  etwa  1500 mal.) 
teilt,  in  etwa  6  Tagen  eine  Masse  bilden  kann, 

die  den  —  Erdball  an  Größe  übertreffen  würde.  Selbstverständlich  schließt 
schon  die  ausgehende  Nahrung  eine  solche  Vermehrung  aus;  sie  ist  aber  immer- 
hin möglich  und  für  das  Verständnis  der  von  den  winzigen  Lebewesen  ver- 
ursachten Vorgänge  von  größter  Wichtigkeit  (s.  w.  u.). 

5.  Verdunstet  die  Flüssigkeit,  in  der  die  Spaltpilze  leben,  oder  geht  ihnen 
die  Nahrung  aus,  so  haben  viele  die  Fähigkeit,  einen  Dauerzustand  zu  bilden: 
Der  Inhalt  der  Zelle  verdichtet  sich  zumeist  und  umgibt  sich  mit  einer  dicken, 
widerstandsfähigen  Hülle ;  es  ist  eine  Spore  entstanden.  Nach  Zerfall  der 
Zellwände  werden  die  Sporen  frei.  Geraten  sie  nach  Monaten  oder  Jahren 
wieder  in  günstige  Lebensbedingungen,  so  wird  die  äußere  Haut  gesprengt,  und 
je  ein  lebenskräftiger  Spaltpilz  tritt  daraus  hervor.  Es  gibt  aber  auch  zahl- 
reiche Formen,  die  ohne  Sporen  zu  bilden  ein  gänzliches  Austrocknen  vertragen, 
also  ohne  weiteres  in  einen  Dauerzustand  übergehen  können.  Nun  sind  —  wie 
erwähnt  —  die  Spaltpilze  und  demnach  auch  ihre  Sporen  außerordentlich  kleine 
(Jebilde.  Sie  werden  daher  in  trockenem  Zustande  vom  Winde  leicht  empor- 
gewirbelt und  sicher  nicht  selten  auf  Tausende  von  Meilen  verweht.  Als  unsicht- 
barer Staub  schweben  sie  überall  in  der  Atmosphäre  und  kehren  mit  anderen 
Staubteilchen  bei  ruhiger  Luft  wieder  zur  Erde  zurück.  Die  „Keime"  der 
Spaltpilze  finden  sich  infolgedessen  auf  jedem  Gegenstande,  in 
jedem  Gewässer,   kurz:    sie  sind  geradezu  „allgegenwärtig". 


348  2.  Klasse.     Spaltpilze. 

B.  Von  der  Tätigkeit  der  Spaltpilze.  1.  Die  Spaltpilze  entbehren  wie 
alle  anderen  Pilze  des  Blattgrüns.  Sie  sind  daher  ebenfalls  auf  „fertige"  Nah- 
rung angewiesen,  die  sie  gleich  dem  Champignon  zumeist  faulenden  Tier- 
und  Pflanzenstoffen  entnehmen.  Da  sich  nun  ihre  Keime  fast  überall 
linden,  treffen  wir  sie  auch  stets  da  an,  wo  Fäulnis  stattfindet. 

a)  Ein  einfacher  Versuch  wird  uns  jedoch  zeigen,  daß  sie  weit  mehr  sind 
als  nur  Fäulnisbewohner.  Wir  nehmen  2  Glaskolben  mit  etwas  Wasser,  in 
das  wir  irgend  einen  Tier-  oder  Pflanzenstoff  legen.  Während  wir  den  Inhalt 
des  einen  Kolbens  unverändert  lassen,  kochen  wir  den  des  zweiten  längere  Zeit 
hindurch,  so  daß  die  Spaltpilze  oder  deren  Keime,  die  sich  an  dem  verwendeten 
Stoffe,  an  den  Wänden  des  Glases  oder  in  dem  Wasser  befinden,  getötet  werden; 
denn  die  Spaltpilze  vermögen  ebensowenig  wie  jedes  andere  Lebewesen  der 
Siedehitze  zu  widerstehen.  Sobald  wir  das  Kochen  einstellen,  verschließen 
wir  den  Kolben  durch  einen  aus  gereinigter  Watte  gebildeten  Pfropf,  den 
wir  -  -  um  etwa  anhaftende  Spaltpilzkeime  zu  vernichten  —  unmittelbar 
zuvor  über  einer  Flamme  abgesengt  haben.  Während  der  Inhalt  des  ersten 
Kolbens  bald  in  Fäulnis  übergeht,  bleibt  der  des  zweiten  unverändert.  Sobald 
wir  von  ihm  aber  den  Pfropf  nur  kurze  Zeit  abnehmen,  so  daß  Spaltpilze  oder 
deren  Keime  aus  der  Luft  hineinfallen  können,  tritt  in  ihm  gleichfalls  Fäulnis 
ein.  Hieraus  geht  nun  unzweifelhaft  hervor,  daß  die  Spaltpilze  nicht  nur 
Bewohner,  sondern  auch  Erreger  der  Fäulnis  sind,  oder  anders  ausgedrückt, 
daß   es  ohne  Spaltpilze  keine  Fäulnis  auf  der  Erde  geben  würde. 

b)  Nehmen  wir  an,  letzteres  wäre  der  Fall !  Dann  würden  ungezählte  Millionen 
von  Tier-  und  Pflanzenleichen  den  Erdboden  bedecken,  und  alle  Gewässer  wären  mit 
toten  Körpern  erfüllt.  Kein  Fleckchen  Erde  wäre  vorhanden,  auf  dem  noch  eine 
Pflanze  wachsen  könnte,  und  mit  dem  Pflanzenleben  wäre  das  Tier-  und  Menschen- 
leben längst  erloschen  (warum?).  Die  Spaltpilze  sind  es,  die  den  Zerfall  der 
abgestorbenen  Körper  bewirken:  sie  machen  also  die  Baustoff e,  die  auf 
der  Erde  nur  in  beschränktem  Maße  vorhanden  sind,  für  neues 
Leben  immer  wieder  frei;  sie  bewirken  den  ewigen  „Kreislauf 
des  Stoffes"  in  der  Natur.  (Die  eigentlichen  Fäulnis  bewohn  er,  wie  z.  B. 
der  Champignon  und  viele  andere  Pilze,  können  also  die  S.  335  näher  gekenn- 
zeichnete Arbeit  erst  beginnen,  wenn  die  Spaltpilze  die  Verwesung  eingeleitet 
haben.) 

c)  Im  Anschluß  an  diese  wichtige  Tatsache  sei  einer  Gruppe  von  Spalt- 
pilzen kurz  besonders  gedacht.  Mit  jeder  Ernte  entziehen  wir  dem  Acker  eine, 
große  Menge  von  Stickstoffverbindungen  (meist  in  Form  von  Eiweiß).  Da  die 
Pflanzen  nun  nicht  die  Fähigkeit  besitzen,  der  Luft  Stickstoff  zu  entnehmen, 
so  müssen  wir  ihnen  diesen  wichtigen  Baustoff  durch  Düngung  des  Bodens 
wieder  zuführen.  Düngt  man  aber  Pflanzen  z.  B.  mit  „frischer"  Jauche,  so  sieht 
man,  daß  sie  kränkeln  und  schließlich  wohl  gar  absterben.  Die  in  dem  „frischen" 
Dünger  enthaltenen  Stickstoft'verbindungen  müssen  nämlich,  um  von  den  Pflanzen 
verwendet  werden  zu  können,   erst  in  salpetersaure  Salze  übergeführt  werden. 


Tätigkeit  der  Spaltpilze  349 

(Darum  ist  der  Chili-Salpeter  ein  so  vorzügliches  Düngemittel !)  Diese  Arbeit 
wird  (auf  einem  hier  nicht  näher  zu  verfolgenden,  umständlichen  Wege)  von 
den  Spaltpilzen  des  Bodens  geleistet.  Wie  auf  dem  Acker  spielt  sich  dieser 
Vorgang  nun  in  der  ganzen  Natur  ab:  Spaltpilze  führen  die  Stick- 
sto l'fverbindungen,  die  von  den  Tieren  ausgeschieden  werden, 
in  eine  solche  Form  über,  daß  sie  von  den  Pflanzen  wieder 
als  Baustoffe  verwendet  werden  können. 

d)  Von  der  soeben  ausgesprochenen  Regel,  daß  die  Pflanzen  nicht  im  stände 
sind,  ihren  Stickstoffbedarf  der  atmosphärischen  Luft  zu  entnehmen,  bilden, 
wie  wir  bereits  wissen,  gewisse  Spaltpilze  eine  Ausnahme,  nämlich  die 
Wurzelbakterien  in  den  Knöllchen  der  Schmetterlingsblütler 
(s.  S.  104).  In  jüngster  Zeit  hat  man  auch  noch  andere,  frei  im  Erdboden 
lebende  Spaltpilze  (und  Schimmelpilze)  entdeckt,  die  diese  wunderbare  Fähigkeit 
besitzen  und  darum  als  „Stickstoffbakterien"  bezeichnet  werden. 

2.  Gewisse  Spaltpilze  rufen  in  ihren  Nährstoffen  Veränderungen  hervor, 
die  mau  nicht  als  Fäulnis,  sondern  (wie  die  Einwirkung  der  Bierhefe  auf 
zuckerhaltige  Flüssigkeiten ;  s.  S.  342)  als  Gärung  bezeichnet.  Läßt  man 
z.  B.  Bier  oder  Wein  bei  Zimmerwärme  einige  Tage  offen  stehen,  so  werden 
sie  sauer:  der  Alkohol  ist  in  Essig  umgewandelt;  es  ist  „Essiggärung"  ein- 
getreten. Wiederholt  man  den  in  S.  348,  a  geschilderten  Versuch  —  statt 
eines  faulenden  Stoffes  muß  man  natürlich  Bier  oder  WTein  verwenden  — ,  so  ist 
leicht  zu  beweisen,  daß  die  Veränderungen  in  der  Flüssigkeit  allein  durch  Spalt- 
pilze hervorgerufen  werden.  —  Auf  der  Tätigkeit  anderer  Gärungs  erreger 
beruht  z.  B.  die  Schnellessigfabrikation,  sowie  das  Sauerwerden  der  Milch,  der 
Gurken,  des  Sauerkohls,  aber  auch  der  eingemachten  Früchte  und  Gemüse.  Durch 
Gärungsbakterien  werden  die  Bastfasern  des  Flachses  und  anderer  Gespinst- 
pflanzen aus  dem  festen  Zellverbande  gelöst.  Durch  die  Einwirkung  von  Spalt- 
pilzen erhalten  Tabak,  Kakao  und  chinesischer  Thee  erst  den  Duft  und  Wohl- 
geschmack, den  wir  an  ihnen  so  hoch  schätzen,  und  durch  ihre  Tätigkeit  entsteht 
bei  der  sog.  Nachgärung  auch  „die  Blume"  des  WTeines. 

3.  Als  eine  zweite  Quelle,  an  der  Pflanzen  ohne  Blattgrün  die  ihnen 
zusagende  Nahrung  linden,  haben  wir  schon  mehrfach  die  Körper  anderer  Lebe- 
wesen erkannt  (Beispiele!).  Es  ist  daher  durchaus  nicht  zu  verwundern,  daß 
sich  auch  unter  den  Spaltpilzen  zahlreiche  Schmarotzer  finden.  Sie  oder 
ihre  Sporen  dringen  in  die  Körper  besonders  der  Tiere  und  Menschen  ein,  ver- 
mehren sich  daselbst  oft  außerordentlich  schnell,  erzeugen  heftige  Gifte  und 
rufen  infolgedessen  Erkrankungen  hervor,  die  vielfach  mit  dem  Tode 
endigen.  Von  diesen  Krankheiten  seien  hier  nur  die  verheerendsten  genannt : 
die  Schwindsucht  oder  Tuberkulose,  der  etwa  V~  aller  Menschen  zum  Opfer 
fallen,  der  Unterleibstyphus,  die  Diphtherie,  die  Lungenentzün- 
dung und  die  Influenza,  die  gleichfalls  alljährlich  viele  blühende  Menschen- 
leben vernichten,  die  Cholera  und  die  Pest,  die  beide  von  ihrer  ostasiatischen 
Heimat  aus  schon  mehrmals  als  Würgengel  über  Europa  dahingezogen  sind,  der 


350  2.  Klasse.    Spaltpilze. 

Rotlauf  der  Schweine  und  die  Pest  der  Kinder,  sowie  endlich  der 
Milzbrand,  der  ganze  Herden  von  Rindern,  Schafen,  Renntieren  und 
anderen  Pflanzenfressern  vernichtet  und  auch  den  Menschen  nicht  verschont. 

C.  Von  unserem  Verhalten  gegen  die  Spaltpilze.  Je  nachdem  die 
vielgeschäftigen  Spaltpilze  für  uns  unentbehrliche  Mitarbeiter  und  Gehilfen  oder 
Zerstörer  und  gar  wohl  Todfeinde  sind,  je  nachdem  werden  wir  uns  ihnen  gegen- 
über auch  verhalten.  Hierbei  müssen  wir  vor  allen  Dingen  zweierlei  im  Auge 
behalten:  erstlich,  daß  die  Vorgänge  der  Fäulnis,  Gärung  oder  Krankheit  umso 
schneller  und  energischer  verlaufen,  je  schneller  sich  deren  Erreger  vermehren, 
und  zweitens,  daß  die  Vermehrung  der  Spaltpilze  umso  lebhafter  erfolgt,  je 
günstiger  die  Bedingungen  sind,  unter  denen  sie  leben  (zeige  an  Beispielen,  daß 
sich  auch  die  höheren  Pflanzen,  sowie  die  Tiere  ähnlich  verhalten !). 

1.  Unsern  Mitarbeitern  und  Gehilfen  müssen  wir  daher  die  besten 
Lebensbedingungen  schaffen.  Vor  allen  Dingen  werden  wir  dem  Stoffe,  den 
sie  verändern  sollen,  die  geeignetste  Zusammensetzung  geben, 
und  ihnen  wie  allen  anderen  „Nutzpflanzen"  den  Grad  von  Feuch- 
tigkeit und  Wärme  bieten,  der  für  sie  gerade  günstig  ist.  So  gibt 
man  z.  B.  der  Flüssigkeit,  die  man  bei  der  Schnellessigfabrikation  verwendet, 
den  für  den  Pilz  günstigsten  Alkoholgehalt;  so  befeuchtet  man  den  Flachs- 
stengel, deren  Gespinstfasern  man  gewinnen  will;  so  stellt  man  die  Gurken, 
wenn  sie  schnell  sauer  werden  sollen,  in  einen  warmen  Raum  (auf  den  warmen 
Herd)  u.  s.  w.  Im  allgemeinen  sagt  den  Spaltpilzen  eine  Wärme  von  25 — 35  °  C. 
am  meisten  zu. 

2.  Unsere  Feinde  unter  den  Spaltpilzen  dagegen  suchen  wir  von  den 
Stoffen,  die  sie  leicht  zersetzen,  sowie  von  unserem  Körper  und  dem  unserer 
Haustiere  abzuhalten,  und  wenn  sie  eingedrungen  sind,  so  schnell  wie  möglich 
zu  vernichten. 

a)  Abgehalten  können  die  fast  „allgegenwärtigen"  Keime  oder  Bakterien 
nur  durch  die  größte  Reinlichkeit  werden.  Dies  gilt  besonders  für  die 
Gefäße,  die  wir  bei  der  Herstellung  und  Aufbewahrung  der  Speisen  verwenden, 
für  unsei*e  Wohnungen  und  deren  Umgebung  (Höfe,  Straßen  u.  s.  w.),  für  unsere 
Kleider,  Wäsche  und  Speisegeräte  (besonders  in  Gasthäusern!),  sowie  auch  für 
unsern  Körper  selbst.  Vor  allen  Dingen  hüte  man  sich,  mit  den  Auswurfstoffen 
solcher  Menschen  in  nähere  Berührung  zu  kommen,  die  an  einer  ansteckenden 
Krankheit  leiden.  Wie  diese  Stoffe,  so  müssen  die  Abfälle  des  menschlichen 
Haushalts,  die  vortreffliche  „Bakterienherde"  bilden,  vernichtet  oder  doch  aus 
der  Nähe  der  Menschen  entfernt  werden  (führe  dies  näher  aus!). 

a)  Wie  der  angestellte  Versuch  (s.  S.  348,  a)  zeigt,  gehen  die  Spaltpilze 
durch  Siedehitze  zu  Grunde.  Dies  gibt  uns  ein  Mittel  in  die  Hand,  Stoffe, 
die  dem  Verderben  leicht  ausgesetzt  sind,  Fleisch,  Früchte,  Gemüse,  Milch  u.  a. 
doch  längere  Zeit  zu  erhalten  oder  zu  „konservieren".  Sind  in  diesen  Stoffen, 
sowie  in  den  zur  Aufbewahrung  bestimmten  Gefäßen  alle  Keime  getötet,  so  be- 
zeichnet man  sie  als  sterilisiert  (sterilis  =  unfruchtbar). 


Verhalten  gegen  die  Spaltpilze.  351 

Es  gibt  allerdings  auch  eine  Anzahl  von  Spaltpilzen,  deren  Sporen  durch 
die  Siedehitze  nicht  getötet  werden.  Vermutet  man  sie  in  einem  zu  konser- 
vierenden Stoffe,  dann  muß  dieser  über  100  °  C.  erhitzt,  oder  das  Kochen 
stundenlang  fortgesetzt  oder  mehreremale  wiederholt  werden.  Sind  in  dem 
letztern  Falle  die  etwa  vorhandenen  Sporen  beim  Erkalten  gekeimt,  so  werden 
die  aus  ihnen  hervorgegangenen  Spaltpilze  bei  der  zweiten  oder  dritten  Erhitzung 
sicher  zerstört.  —  Auch  zum  Töten  von  Krankheitskeimen  in  Betten,  Klei- 
dern u.  dgl.  werden  vielfach  hohe  Hitzegrade  angewendet. 

c)  Wie  alle  Pflanzen  bedürfen  die  Spaltpilze  zum  Leben  einer  gewissen 
Wärme.  Kühlt  man  einen  faulenden  oder  gärenden  Stoff  stark  ab,  so  wird  man 
finden,  daß  die  Fäulnis  oder  Gärung  bei  einer  Wärine  von  etwa  5°  C  aufhört. 
Bei  dieser  Temperatur  stellen  die  Spaltpilze  also  ihre  Lebenstätigkeiten  ein. 
Daher  benutzt  man  besonders  für  Fleischwaren  (Eisschrank!)  schon  seit  langer 
Zeit  die  Kälte  als  Konservierungsmittel.  Das  großartigste  Beispiel  solcher 
„Konservierung"  sind  die  Leichen  der  Mamute,  die  in  dem  gefrorenen  Boden 
Sibiriens  bis  auf  unsere  Tage  erhalten  sind.  —  Getötet  werden  jedoch  die 
Bakterien  selbst  durch   die  größte  Kälte  nicht,  die  wir  erzeugen  können. 

d)  Spaltpilze  brauchen  ferner  wie  alle  Pflanzen  Wasser  zu  ihrem  Bestehen. 
Entzieht  man  daher  Stoffen,  die  man  erhalten  will,  große  Wassermengen,  so  gehen 
die  in  ihnen  enthaltenen,  oder  die  ihnen  anhaftenden  Bakterien  zu  gründe,  und  deren 
Sporen  können  sich  nicht  entwickeln.  Trocknen  und  Dörren  sind  daher  andere 
bekannte  Konservierungsmittel  (Backobst,  Stockfisch,  getrocknetes  Fleisch  u.  s.  \v.). 

e)  Bringen  wir  in  eine  Flüssigkeit,  in  der  irgend  ein  Stoff  fault,  eine 
stinke  Lösung  von  Kochsalz  oder  etwas  Karbolsäure,  so  hört  die  Fäulnis  nach 
kurzer  Zeit  auf:  Kochsalz  und  Karbolsäure  sind  für  die  Spaltpilze  tödliche  Gifte. 
Während  die  Bakterien  also  fäulniserregend  oder  (nach  einem  griechischen  Worte) 
septisch  wirken,  sind  Kochsalz  und  Karbolsäure,  sowie  viele  andere  Stoffe 
fäulniswidrige  oder  antiseptische  Mittel. 

Mehrerer  dieser  Mittel  bedient  sich  der  Mensch  schon  seit  uralter  Zeit, 
z.  B.  des  Kochsalzes  zum  Pökeln,  des  Essigs  oder  Zuckers  (in  starker  Lösung) 
zum  Einkochen  der  Früchte,  des  Rauches  zum  Räuchern  der  Fleischwaren.  Als 
er  aber  in  den  Spaltpilzen  auch  die  Erreger  zahlreicher  Krankheiten  erkannte, 
lernte  er  zugleich  die  durch  sie  bewirkten  Ansteckungen,  Vergiftungen  oder 
Infektionen  verhüten :  er  tötete  die  Keime  der  Bakterien  durch  Anwendung  von 
„Desinfektionsmitteln".  So  behandelt  man  z.B.  heutzutage  die  Wunden  mit 
Karbolsäure,  Jodoform  und  anderen  antiseptischen  Stoffen,  und  die  Instrumente 
der  Ärzte,  durch  die  früher  die  Eitererreger  sehr  häutig  von  Wunde  zu  Wunde 
getragen  wurden,  werden  jetzt  vor  jedem  Gebrauch  sterilisiert  oder  einer  gründ- 
lichen „Desinfektion"  unterworfen.  (Wie  haben  wir  uns  darnach  zu  Wunden, 
Geschwüren  u.  dgl.  an  unserem  Körper  zu  verhalten?)  —  Da  bei  der  Fäulnis 
stets  auch  gesundheitsschädliche,  übelriechende  Gase  entstehen,  so  bedienen  wir 
uns  der  Desinfektionsmittel  auch,  um  Fäulnis  und  damit  verbundene  schlechte  Ge- 
rüche zu  verhindern  oder  zu  beseitigen  (z.  B.  in  Aborten). 


352 


2.  Klasse.    Spaltpilze.      3.  Klasse.    Schleimpilze. 


!  Naturforscher  setzten  Kleider,  Betten,  Möbel  und  andere  Gegenstände, 
in  die  sie  die  verschiedensten  Krankheitskeiine  gebracht  hatten,  den  Sonnen- 
strahlen aus,  und  siehe  da,  oft  schon  nach  wenigen  Stunden  ergab  sich,  daß 
die  Keime  zahlreicher  Arten  vernichtet  waren.  Indem  Sonnenlichte  haben 
wir  also  ein  Desinfektionsmittel  von  ganz  besonderer  Wirkung  vor  uns.  Daher 
sollte  man  von  diesem  Mittel  recht  fleißig  Gebrauch  machen,  und  vor  allen 
Dingen  den  Sonnenstrahlen  soviel  als  möglich  Zutritt  zu  unsern  Wohn-  und 
Schlaf  räumen  verschaffen  (führe  dies  näher  aus!). 

g)  Um  zu  erkennen,  ob  Spaltpilze  oder  deren  Sporen  abgestorben  sind,  bedient 
man  sich  eines  sehr  interessanten  Verfahrens.  Indem  man  den  Spaltpilzen  nämlich  die 
zum  Leben  nötigen  Stoffe  gibt,  kann  man  sie  wie  andere  Pflanzen  züchten  oder 
kultivieren.  Zu  diesem  Zwecke  setzt  man  einer  Lösung,  die  diese  Nährstoffe  ent- 
hält, etwas  flüssige  Gelatine  zu,  bringt  in  das  Gemisch  die  zu  untersuchenden  Bakterien 
(oder  den  Stoff,  in  dem  sie  enthalten  sind)  und  schüttet  alles  in  eine  sterilisierte  Glas- 
schale. Sind  die  Keime  lebensfähig,  so  beginnen 
sie  sich  bald  stark  zu  vermehren :  es  entstehen 
auf  der  erstarrten  „Nährgelatine"  Bakterien- 
kolonien. Sind  sie  dagegen  abgestorben,  dann  tre- 
ten solche  Kolonien  selbstverständlich  nicht  auf. 
h)  Mit  Hilfe  dieses  Verfahrens  ist  man 
auch  in  den  Stand  gesetzt,  unter  den  Spaltpilzen, 
die  sich  —  wie  erwähnt  —  vielfach  außerordent- 
lich ähnlich  sind,  die  Feinde  des  Menschen 
von  den  harmlosen  Arten  zu  unter- 
scheiden. Will  man  z.  B.  wissen,  ob  Trink- 
wasser Krankheitserreger  enthält  oder  nicht,  so 
setzt  man  etwas  von  dem  "Wasser  jener  Nähr- 
gelatine zu,  schüttelt  das  Gemisch,  so  daß  die 
Keime  gleichmäßig  verteilt  werden,  und  gießt  es 
wieder  in  eine  Glasschale.  Auf  der  erkalteten 
Gelatine  entstehen  jetzt  soviel  Kolonien  ,  als 
lebenskräftige  Keime  vorhanden  sind.  Alle  Ko- 
lonien sind  aber  auch  voneinander  getrennt  und 
bestehen  nur  aus  je  einer  einzigen  Bakterienart. 
Überträgt  man  nun  Teilchen  dieser  Kolonien  in 
je  ein  anderes  Glas  mit  „Nährgelatine",  so  hat 
man  die  in  dem  AVasser  enthaltenen  Bakterienarten  streng  voneinander  geschieden :  man 
hat  „Reinkulturen"  von  ihnen  hergestellt.  Da  die  Spaltpilze  in  diesen  Kulturen 
ganz  bestimmten  "Wuchs  haben,  so  ist  man  vielfach  schon  hierdurch  imstande,  die  ein- 
zelnen Arten  zu  erkennen. 


Hakterienkolonien  aut'Nährgelatine. 
Sie  sind  aus  Keimen  hervorgegangen, 
die  in  einem  (der  Nährgelatine  zuge- 
set  zten )  Tropfen  unreinen  Trinkwassers 
enthalten  waren  ('/j  nat.  Gr.)  (Bern. : 
Jedes  lulle  Pünktchen  und  Fleckchen 
ist  eine  Kolonie.) 


3.   Klasse.     Schleimpilze  (Myxomycetes). 

Pilze,  die  kein  Fadengeneckt  bilden,  eine  schleim-  oder  rahmartige  Masse  darstellen  und 
nur  z.  Z.  der  Sporenbildung  bestimmte  Gestalt  annehmen. 
Im  "Walde  findet  man  auf  faulenden  Pflanzenteilen  nicht  selten  lebhaft  gefärbte, 
schleimige  oder  rahmartige  Massen;  das  sind  die  merkwürdigen  Schleimpilze 


Verhalt. 


Li 


iläti 


Wandfli 


:;:,: 


(Name!).  Der  Wahl,  der  ja  an  verwesenden  Stollen  überreich  ist,  bietet  diesen  Fäul- 
nis b  e  w  o  h  n  e  r  n  (besitzen  kein  Blattgrün!)  nielit  nur  die  ihnen  zusagende  Nahrung, 
sondern  ihrem  weichen  Körper  auch  die  nötige  Feuchtigkeit  und  den  notwendigen 
Schutz  gegen  die  austrocknenden  Sonnenstrahlen.  Bei  näherem  Zusehen 
wird  man  leicht  linden,  daß  sich  die  eigentümlichen  Wesen  kriechend  fortbewegen, 
wozu  sie  durch   ihren    «reichen  Leib  ja   besonders  befähigt  sind. 

Eines  dieser  seltsamen  Geschöpfe,  das  dein  verschütteten  gelben  Dotter  eines 
Vogeleis  gleicht,  treffen  wir  in  der  Gerberlohe  häufig  wieder.  „Die  Lohe  blüht",  sagt 
dann  der  Gerber.  Darum  bezeichnet  man  diesen  Schleimpilz  als  Lohblüte  (Fuligo 
värians).  Er  durchzieht  die  Loh- 
Da 


häufen  netzartig  oft  metertief, 
die  Sporen  durch  den  Wind  ver- 
breitet werden,  kommt  er  zur  Zeit 
der  Sporenbildung  zur  Oberfläche 
empor.  Die  oft  tellergroße  Masse 
zieht  sich  dann  stark  zusammen 
und  bildet  einen  widerstandsfähigen 
Fruchtkörper,  der  sehr  viel  schwarz- 
braune Sporen  enthält  (1).  Bei 
Befeuchtung  entschlüpft  jeder  Spore 
ein  (iebilde.  das  wie  ein  Geißeltierchen  (s.  Lehrbuch  der  Zoologie)  durch  einen 
schwingenden  Faden  im  Wasser  dahinschwimmt  (2).  Nach  einiger  Zeit  wird  die 
„Geißel"  eingezogen,  und  das  winzige  Geschöpf  nimmt  jetzt  die  Gestalt  eines  Wechsel- 
tierchens an  (s.  ebenda),  das  sich  mit  Hilfe  ausgestreckter  Fortsätze  kriechend  fort- 
bewegt und  durch  Teilung  lebhaft  vermehrt  (3).  Indem  mehrere  solcher  „  Wechseltierchen'- 
miteinander  verschmelzen  (4),  entsteht  wieder  eine  jener  Schleimmassen,  von  der  wir  aus- 
gingen. Das  seltsame  Wesen  gleicht  also  (wie  alle  anderen  Schleimpilze)  in  seiner  Entwick- 
lung erst  einem  Geißel-,  dann  einem  Wechseltierchen,  kriecht  ausgebildet  wie  letzteres  auf 
seiner  Unterlage  dahin,  um  in  der  Sporenbildung  endlich  eine  unzweifelhafte  Eigen- 
schaft der  Pflanzen  zu  zeigen.  Die  Schleim  pilze  werden  daher  auch  treffend 
als  Pilztiere  oder  Tier  pilze  bezeichnet:  bilden  doch  diese  niedrigsten 
aller  Pflanzen  einen  deutlichen  Übergang  zu  dem  anderen  Reiche  der 
Lebewesen,  zu  den  Tieren. 


1  2  3 

Entwicklung  eines  Schleimpilzes 

Vergr.  etwa  G(!0  mal. 


3.  Kreis.     Flechten  (Lichenes). 

Lagerpflanzen,  die  aus   „genossenschaftlich"    lebenden   Fadenpilzen    und  Algen    bestehen. 

A.  Vom  Wesen  und  von  der  Vermehrung  der  Flechten.      I.  In  das 
Wesen  dieser  Naturkörper  soll  uns  die  Wand-  oder  Schüsselflechte  (Xanthöria 

parietina)  einführen,  die  an  Baumstämmen,  Bretterwänden  (Name!)  und  Steinen 
überall  häutig  zu  finden  ist.  Sie  bildet  eine  gelbe,  laubartige,  gelappte  Hasse, 
die  meist  mit  zahlreichen  kleinen,  orangefarbenen,  schüsselartigen  Gebilden  be- 
deckt ist  (Name!).  Stellt  man  durch  den  Flechtenkörper  außerhalb  dieser 
„Schüsselchen"  zarte  Querschnitte  her,  so  sieht  man  bei  Anwendung  des  Mikro- 
skops, daß  er  aus  einem  Geflecht  farbloser  Fäden  besteht,  iu  dessen  leckerer 
Mittelschicht  zahlreiche,  lebhaft  grün  gefärbte,  kugelige  (iebilde  eingelagert 
S  c  hmeil.  Lehrbuch  der  Botanik.  23 


354 


3.   Kreis.     Flechten, 


sind.  Die  Fäden  geben  sich  leicht  als  ein  Pilzgeflecht  und  die  grünen  Kugeln 
als  einzellige  Algen  zu  erkennen.  Die  gleiche  Zusammensetzung  aus 
einem   Pilze  und   zahlreichen  Algen  zeigen  sämtliche  Flechten. 

Wie  alle  grünen  Pflanzen  vermögen  die 
Algen  die  zum  Aufbau  ihres  Leibes  nötigen  Stoffe 
selbst  zu  bilden  (daher  leben  sie  auch  außer- 
halb des  Flechtenkörpers  an  Bauinstäm- 
Steinen  u.  dgl.).  Der  Pilz  dagegen 
-  wie  wir  S.  .'}.'>4,2  gesehen  haben  — 
auf  „fertige"  Nahrung  ange- 
wiesen: er  entzieht  sie  den 
Algen,  die  von  seinen  Fäden 
dicht  umsponnen  werden.  Dafür 
führt  er  seinen  Nah- 
ruiiiislieferanten  aber 
die  rohen  Nahrungs- 
säfte zu  (Wasser  und 
die  darin  gelösten 
Salze),  schützt  sie  ge- 
gen Austrocknung' und 
befestigt  mit  einigen  Fäden  das  ganze  „Doppelwesen"  auf  der  Baumrinde  oder  dgl. 
Pilz  und  Alge  haben  sich  in  der  Flechte  also  zu  gegenseitigem 
Vorteile  vereinigt,  sie  bilden  eine  „Ernährungsgenossenschaft" 
i Symbiose;  s.  S.  105). 

2.  a)  An  den  Lappenrändern  der  Wandflechte  entdeckt  man  mit  der  Lupe 
häutig  feine  Körnchen,  die  sich  unter  dem  Mikroskop  als  je  einige  von  Pilz- 
fäden dicht  umsponnene  Algenzellen  zu  erkennen  geben.  Diese  staubartig  kleinen 
Körper  werden  leicht  durch  den  WTind  verweht  und  entwickeln  sich  an  einem 
geeigneten   Orte   weiter  zu  Flechten. 


randHeehte 


Sie  werden  daher  treffend  als  Brut- 
körperchen  (Soredien)  bezeichnet 
(vgl.  mit  den  Lebermoosen!). 

b)  An  dünnen  Schnitten  durch 
eins  der  „Schüsselchen"  sehen  wir  bei 
Anwendung  des  Mikroskops,  daß  wir 
es  in  diesen  Gebilden  mit  den  Frucht- 
körpern des  Flechtenpilzes  (Apo- 
thecien)  zu  tun  haben:  wir  erblicken 
genau  wie  bei  den  Schlauchpilzen  eine 
oberflächlich  liegende  Fruchtschicht, 
die  aus  Sporenschläuchen  und  zahl- 
reichen Zwischenzellen  zusammenge- 
setzt  ist.     Die   aus   den    Schläuchen 


"1s* 


>  I. 


Bau  des  Flechtenkörper! 

Schicht     des    Pilzgeflechts 
Algen  i  A  |  eingelagert.     (V< 


nneren 

sind     zahlreiche 
gr.  etwa  350m.) 


Wandflechti 


iftflechte.     Bartflechti 


hm. 


Mi 


l'.et 


hervorgehenden  Spuren  werden  durch  den  Wind  verweht,  keimen  aber  nur,  wenn 

sie  eine  Alge  treffen,    mit  der  sie  zusammen   eine  neue  Flechte  bilden  können. 

Aus  dem  Bau  der  Fruchtkörper  geht  hervor,   daß  der  Pilz  der  Flechte  ein 

Schlauchpilz     ist.       (Man  ,.. 


Wy ' 
niw/jsgp'      i 
Bau  des  „Schüsselchens". 

1  Längsschnitt  durch  e.  Schüs- 
selchen. F.  die  Fruchtschichl 
(etwa  30mal  vergr.).  2  Die 
Fruchtschichi  b.  stärkerer  (etwa 
600  mal]  Vergr.  Sp.  Sporen- 
schlänche.      Z.  Zwischenzellen. 


stellt  die  Flechten  daher 
auch  zu  dieser  Pilzgruppe. 
Tu  den  Tropen  gibt  es  je- 
doch auch  einige  Flechten, 
au  deren  Entstehung  Stän- 
derpilze beteiligt  sind.) 

B.  Von  den  wich- 
tigsten Arten  und  der 
Bedeutung  der  Flechten. 
1.  Schon  unter  den  Flech- 
ten der  heimatlichen  Natur 
herrscht  ein  sehr  großer 
F  o  r  m  e  n  r  e  i  c  h  t  u  m . 

a)  Viele    von    ihnen, 

die  Krustenflechten,  bilden  an  Bäumen  und  Felsen,  sowie  am  Erdboden  unschein- 
bare, krustenartige  Überzüge.  Zu  ihnen  zählen  die  Schriftflechten  (Graphis),  deren 
schwarze,    strichartige   Fruchtkörper    die    Baumrinden    wie    mit  Hieroglyphen   bedecken. 

b)  Einen  blattartigen,  mehrfach  gelappten  Körper,  wie  wir  ihn  an  der  Wandtieehte 
kennen  gelernt  haben,  besitzen  die  Laubflechten.  Sie  bedecken  mit  Arten  aus  den 
beiden  anderen  Gruppen  die  Stämme  und  stärkeren  Zweige  der  Bäume  oft  in  dicker 
Schicht.  Von  Obstbäumen  müssen  sie  gleich  den  ansitzenden  Moosen  (s.  S.  319,6)  ent- 
fernt werden. 

c)  Die  Formen  mit  aufrechtstehendem  oder  hängendem,  meist  mehrfach  verzweigtem 
Körper  bezeichnet  man  —  weil  sie  oft  zierliche  Sträuch- 
lein bilden  —  als  Strauchflechten.  —  Von  den 
Zweigen  besonders  alter  Gebirgsbäume  hängen  in  langen 
bartartigen  Strähnen  die  Bartflechten  (üsnea)  herab. 
Die  gewimperten  Schilde  sind  die  Fruchtkörper.  — 
Auf  trockenen  Heideflächen  und  dem  Boden  lichter 
Gebirgswälder  wächst  das  sog.  isländische  Moos 
(Cetraria  isländica).  Es  hat  einen  vielteilig  gelappten, 
aufrecht  stehenden  Körper,  der  am  Ende  der  Lappen 
die  braunen,  scheibenförmigen  Fruchtkörper  bildet. 
Früher  galt  die  Pflanze  als  ein  wichtiges  Mittel  gegen 
Lungenleiden;  in  Island  (Name!)  dient  sie  dem  Men- 
schen vielfach  zur  Speise.  —  An  trockenen  Stellen 
finden  sich  häufig  Flechten,  die  zierliche  Becher  oder 
Trichter  bilden.  Das  sind  die  ..Fruchtträger-  der 
Becherflechten  (Cladönia),  und  die  braunen  oder  roten 
Knöpfchen  darauf  (,Korallenllecktena)  sind  die  Frucht- 
körper. —  Zu  diesen  Flechten  zählt  auch  die  Kenn- 
tierflechte  (C.  rangiferina),  deren  vielfach  verzweigte, 


Eine  Becherflechte.  Der  dem 
Boden  aufliegende  laubartige 
Körper  ist  die  eigentl.  Flechte, 
Die  trichterförmigen  Gebilde 
sind  die  Fruchtträger,  dieknopf- 
förmigen  die  Fruchtkörper 
(nat.  Gr.  . 


356 


3.    Kreis.      Flochten. 


bohle  „Stämmchen91  auf  trockenem  Wald-  und  Heideboden  dichte,  dicke  Polster  bilden.  Wäh- 
rend die  Pflanze  bei  uns  nicht  verwendet  wird,  ist  sie  in  den  Polarländern  besonders  während 
des  langen  Winters  die  ausschließliche  Nahrung  des  genügsamen  Renntiers  (Name!).  Da 
nun  von  diesem  Tiere  das  Wohl  und  Wehe  des  Nordländers  fast  einzig  und  allein  abhängt 
(s.  Lehrbuch  d.  Zoologie),  so  ist  es  also  das  unscheinbare  Pflänzchen,  das  jene  Breiten 
bewohnbar  macht.  —  An    den  felsigen  Gestaden  des  südlichen  Allantischen  Ozeans  und 


Renntierflechte;  ein  Stück  von  einem   Polster.    Di 
körpern  (nat.  Gr. 


.Stämmchen*    links 


an  den  Küsten  Ostindiens  wächst  die  Lackmiisflechte  (Roccella  tinetöria),  die  uns 
neben  mehreren  anderen  Flechten  in  dem  Lackmus  einen  überaus  wichtigen  blauen  und 
roten  Farbstoff  liefert  (Verwendung?). 

2.  Im  Haushalte  der  Natur  spielen  die  Flechten  fast  dieselbe  Rolle  wie  die 
Moose  (s.  8.  317).  Da  sie  lange  Zeit  hindurch  die  größte  Trocknis  ertragen  können 
(Versuch!),  vermögen  sie  sich  gleich  diesen  anspruchslosen  Pflanzen  an  Orten  anzu- 
siedeln, an  denen  sie  wochenlang  von  keinem  Wassertropfen  genetzt  werden.  A  n 
Felsen  und  vielfach  auch  auf  dürrem  Sande  bilden  sie  (mit  den  Moosen) 
die  ersten  Ansiedler. 

Gleich  jenen  treuen  Genossen  halten  sie  ferner  den  herbeigewehten  Staub  fest, 
und  indem  sie  abgestorben  zu  Erde  zerfallen,  machen  sie  im  Laufe  der  Zeit  selbst  den 
härtesten  Fels-  und  den  ödesten  Sandboden  fähig,  höhere  Pflanzen 
zutragen.  Da  nun  von  diesen  Gewächsen  das  höhere  Tierleben  und  von  beiden  wieder 
der  Mensch  abhängt  (Beweis!),  so  sind  die  Flechten  uns  gleichfalls  ein  Beweis  dafür 
daß  —  wie  wir  so  oft  .-eschen  das  Kleinste  und  Unscheinbarste  in  der  Natur  oft  von 
größter  Bedeutung  ist. 


Vom  Bau  und  Leben  der  Pflanze. 

(Morphologie  und  Physologie.) 
1.  Abschnitt. 

Vom  Bau  und  Leben  der  Zelle. 

A.  Vom  Wesen  und  von  der  Bedeutung-  der  Zelle. 

1.  Legt  man  in  einen  Wassertropfen,  der  sich  auf  einer  kleinen  Glasplatte 
(Objektträger)  befindet,  einen  Algenfaden  oder  ein  Blatt  der  Wasserpest,  wie  sie 
uns  beide  jedes  Gewässer  liefert,  oder  ein  Stück  von  der  Oberhaut  eines  Blattes, 
das  man  mit  Hilfe  einer  jj    x. 

Pinzette  abgezogen  hat 
(s.  Abb.  S.  381),  oder 
einen  dünnen  Quer- 
schnitt, den  man  durch 
ein  Blatt  oder  irgend 
einen  anderen  Pflanzen  - 
teil  hergestellt  hat,  so 
sieht  man  mit  Hilfe 
des  Mikroskops,  daß 
die  Pflanze  nicht  etwa 
wie  ein  Stück  Glas  oder 
Eisen  aus  einer  gleich- 
artigen Masse  besteht. 
Ähnlich  einem  Hause, 
das  aus  Steinen  auf- 
gebaut ist,  ist  sie  viel- 
mehr aus  Körperchen 
von  ganz  bestimmtem 
Bau  zusammengesetzt. 
Da  diese  Körper  viel- 
fach wie  die  Zellen 
der  Bienenwaben  ge- 
formt sind,  wurden  sie  bei  ihrer  Entdeckung  (i.  J.  1667)  „Zellen"  genannt, 
und  so  bezeichnet  man  sie  heute  noch. 

2.  Ein  Baum  oder  auch  schon  ein  größerer  Pflanzenteil,  z.  B.  ein  Blatt, 
eine  Wurzel  u.  dgl.,   sind   aus   einer   sehr  großen  Anzahl  von  Zellen  aufgebaut. 


Querschnitt  durch  ein  Blatt  (Klee),    um   den  Aufhau   aus 

Zellen  zu  zeigen.    (Vergr.  etwa  320  mal.)    (Die  Bezeichnungen 

sind  bei  der  Wiederholung  der  Abi.,  auf  S.  380  erklärt. 


Bau  und  Leben  der  Zelle. 

Zahlreiche  Pflanzen  ans  den  großen  Gruppen  der  Algen  und  Pilze  (die  Kieselalgen, 
Spaltpilze  u.  dgl. ;  s.  das.)  dagegen  bestehen  nur  aus  je  einer  Zelle.  (Dabei- 
sind diese  Pflanzen  zumeist  auch  sehr  klein!).  Es  gibt  also  einzellige  und 
mehrzellige  Pflanzen. 

3.  Im  allgemeinen  beträgt  die  G  r  ö  ß  e  der  Zellen  nur  Bruchteile  eines 
Millimeters.  Bei  den  Spaltpilzen  geht  sie  sogar  nicht  selten  unter  0,001  mm 
herab.  Daneben  gibt  es  aber  auch  Zellen,  wie  z.  B.  die  der  Flachsfasern  (s.  S.  59,  B), 
die  eine  Länge  von  mehreren  Zentimetern  erreichen  können. 

4.  Ebenso  ist  auch  die  Form  der  Zellen  sehr  verschieden.  Freilebende 
(d.  h.  einzeln  lebende)  oder  freiwerdende  Zellen,  wie  z.  B.  die  Hefezellen 
(s.  Abb.  S.  342)  und  die  Zellen  des  Blütenstaubes,  haben  vielfach  die  Gestalt 
einer  Kugel  (s.  360,3).    Zellen  dagegen,  die  sich   in   festem  Verbände  befinden, 

platten  sich  wie  die  Zellen  der  Bienenwabe  gegenseitig 
zumeist  ab ;  sie  haben  die  Gestalt  eines  Würfels,  eines 
Prismas,  eines  Zylinders  oder  dgl.  Daneben  gibt  es 
auch  solche  von  Spindel-  oder  Sternform :  kurz,  die  Zellen 
können  in  fast  jeder  nur  denkbaren  Gestalt  auftreten. 
Da  Anzahl,  Größe  und  Form  beträchtlichen 
Schwankungen  unterliegen,  ist  in  diesen  Punk- 
ten das  Wesentliche  der  Zelle  nicht  zu  finden. 

Blütenstaubkorn  5*  Die   einzelligen    Pflanzen    nehmen    gleich    den 

vom  Kürbis  (Vergr.  etwa      vielzelligen  Nahrung  auf;    sie    wachsen  und  vermehren 
480mal).  sich  wie  diese,  und  viele  von  ihnen  sind  sogar  imstande, 

sich  frei  zu  bewegen.  Die  Zelle,  die  den  Leib  dieser 
Pflänzchen  bildet,  ist  also  ein  lebendiger  Körper.  Ebenso  sind  —  wie  wir  dies 
im  folgenden  noch  genauer  sehen  werden  —  an  die  Zellen,  die  sich  in  festen 
„Zellverbänden",  z.  B.  in  einem  Blatte,  einer  Wurzel  oder  dgl.  finden,  alle 
Tätigkeiten  des  Lebens  geknüpft.  Die  Zellen  bilden  also  nicht 
nur  „die  Bausteine",  d.h.  die  Grundbestandteile  des  Pflanzen- 
leibes, sondern  sie  stellen  selbst  je  ein  mit  Leben  aus  gerüstet  es 
Ganzes   dar. 

6.  An  der  lebenden  Pflanzenzelle  unterscheiden  wir  in  der  Begel  eine 
äußere,  feste  WTandung,  die  Zell  haut,  und  einen  farblosen  Inhalt,  der  als 
U  r b  i  1  d  u  n  g  s  s  t  o  f  f  oder  Protoplasma  bezeichnet  wird.  In  den  Schwärmsporen 
der  Algen  und  in  gewissen  Entwieklungszuständen  der  Schleimpilze  (s.  das.)  gibt 
es  aber  auch  Pflanzenzellen,  denen  (wie  den  tierischen  Zellen)  die  äußeren  Hüllen 
fehlen.  Das  Wesentliche  an  der  Zelle  kann  also  nicht  die  Zellhaut, 
sondern  muß  das  Protoplasma  sein:  es  ist  der  Lebensträger  der 
einzelnen  Zelle,  wie  der  ganzen  Pflanze.  Wie  für  die  Schnecke  das 
Haus,  so  ist  auch  für  den  I'rotoplasmakörper  die  Zellhaut  nur  das  Gebäude,  in 
dem  er  wohnt. 


Bed< 


ler  Zelle.    Das   Protoplasma  and  seine  Teile, 


B.  Das  Protoplasma  und  seine  Teile. 

1.  Das  Protoplasma  ist  ein  Körper  Von  unbekannter  chemischer  .Zu- 
sammensetzung-. Sicher  wissen  wir  nur,  daß  sich  an  seinem  Aufbau  in  erster 
Linie  Eiweißstoffe  beteiligen. 

2.  Wie  die  mikroskopische  Betrachtung  lebender  Zellen  zeigt,  ist  das 
Protoplasma  aus  mehreren,  regelmäßig  wiederkehrenden  'Feilen  zusammengesetzt. 
Untersucht  man  zu- 
nächst junge  Zellen, 
wie  man  sie  auf  dün- 
nen Schnitten  durch 
wachsende  Stengel- 
oder Wurzelspitzen  zu 


F 


sieht  man  in  jeder  ein  ß 
rundes  Gebilde,  den 
Zellkern.  In  seiner 
Nähe  bemerkt  man 
einige  kleinere  Körper- 
chen, die  sich  durch 
den  Besitz  eines  Farb- 
stoffes auszeichnen, 
oder  die  doch  die  Fä- 
higkeit haben ,  einen 
solchen  zu  bilden  (s. 
w.  u.).  Sie  werden  da- 
her als  Farbstoff- 
träger (Chromato- 
phoren)  bezeichnet. 
Im  Gegensatz  zu  diesen 
festeren  Protoplasma- 
ballen ist  der  ganze 
übrige  Kaum  der  Zelle 
mit  einer  zähflüssigen, 
feingekörnelten  Masse, 
dem  Z  e  1 1  p  1  a  s  m  a,  aus- 
gefüllt. 

In  einiger  Ent- 
fernung von  der  wachsenden  Stengel-  und  Wurzelspitze  zeigen  die  Zellen. 
die  sich  durch  Wachstum  etwas  vergrößert  haben,  zwar  dieselben  Teile; 
in  dem  Zellplasma  treten  aber  kleinere  oder  größere  Hohlräume  (Vakuolen) 
auf,  die  eine  Flüssigkeit,  den  Zellsaft,  enthalten.  An  noch  älteren  und  daher 
noch    größeren   Zellen    sieht    man,    wie    die   Hohlräume    miteinander   zu    einem 


Zellen    verschiedenen    Alters 

wachsenden    Stengelspitze    (Verg 
ältere  Zelle 
II.    Zellhaul 

K.  Zellkern;  Kk.  Kernkörperchen ;    I-'.   Farbstoffträger, 

noch  kein  Farbstoff  eingelagerl   ist:   B.   Blattgrünkörpi 

mit   Zellsafl   gefüllter  Hohlraum;    S.  Saftraum. 


L    Junge    Zelle    aus    der 

etwa  GUI) mal).      -i    etwas 

d    3   noch  ältere  Zellen  (Vergr.  etwa  500mal). 

I'.    Protoplasma    (und    zwar    das    Zellplasma); 


360 


Bau   uii.l   Kcl.cn  der  Zelle. 


großen  ..Satt räume"  verschmolzen  sind.  Das  Zellplasma,  das  anch  hier  die 
ainlcren  Teile  des  Protoplasmakörpers  umgibt,  überzieht  die  Zelhvände  nur  als 
dünne  Schicht  oder  streckt  sich  noch  in  Form  von  Strängen  durch  den  mit 
Zellsaft  erfüllten  Raum.  Eine  solche  Zelle  läßt  sich  treffend  mit  einem  Zimmer 
vergleichen,  dessen  Wände,  Decke  und  Fußboden  (Zellhaut!)  mit  Tapete  (Zell- 
plasma!) überkleidet,  und  durch  dessen  lufterfüllten  Raum 
(Saftraum!)  Fäden  (Zellphismastränge!)  gespannt  sind. 
Betrachten  wir  die  einzelnen  Teile  des  Protoplas- 
mas näher  und  beginnen  wir  mit  dem 

•'!.  Zellplasma.  Es  ist  —  wie  schon  erwähnt  — 
zumeist  eine  zähflüssige  Masse,  die  daher  „gern"  Tropfen- 
form annimmt.  Darum  haben  —  wie  oben  bemerkt  — 
zablreiche  freilebende  oder  freiwerdende  Zellen  eben 
die  Gestalt  einer  Kugel.  Bei  starkem  Wasser  verlast 
kann  das  Zellplasma  aber  wie  die  anderen  Teile  des 
Protoplasmas  hart  und  fest  werden,  ohne  jedoch  das 
Leben  einzubüßen.  Das  sehen  wir  z.  B.  an  zahlreichen 
Samen,  die,  scheinbar  tot,  selbst  nach  Jahren  wieder  „er- 
wachen", sobald  man  ihnen  nur  das  nötige  Wasser  und 
die  für  das  Leben  notwendige  Wärme  zur  Verfügung  stellt, 
a)  Trennt  man  von  einem  Pflänzchen  der  überall 
häufigen  Wasserpest  eines  der  durchscheinenden  Blätt- 
chen ab  und  legt  es  unter  das  Mikroskop,  so  sieht  man, 
twie  das  Zellplasma  in  lebhafter  Strömung  begriffen 
^.'S  J  u  ist.  Es  fließt  an  den  Wänden  entlang  oder  auch  in 
Strängen  quer  durch  den  Saftraum.  Zellkern  und  Farb- 
stoffträger, die  hier  in  großer  Anzahl  vorhanden  und 
lebhaft  grün  gefärbt  sind  (s.  Absch.  5),  gleiten  wie  Schiffe 
auf  dem  Strome  dahin.  Durch  diese  Bewegung  erfolgt  eine 
beständige  Mischung  des  Zellplasmas  an  sich,  sowie  mit 
den  Stoffen,  die  von  außen  oder  von  benachbarten  Zellen 
her  in  die  Zelle  eintreten.  (Bedeutung  ?  Wie  muß 
sich  dies  in  Zellen  verhalten,  in  denen  eine  solche  Strö- 
mung nicht  stattfindet?) 

b)  Wie  sorgfältige  Untersuchungen  bei  starken 
Vergrößerungen  gezeigt  haben,  steht  das  Zellplasma  der 
einzelnen  Zellen  vielfach  durch  zarte  Fäden  miteinander  in  Ver- 
bindung. Die  Fäden  durchziehen  die  trennenden  Zellwände  und  vereinigen 
somit  die  gleichsam  in  verschiedenen  Kammern  (Zellen)  wohnenden  Protoplasma- 
körper der  Pflanze  (oder  doch  eine  große  Anzahl  dieser  Körper)  zu  einer  einr 
heitlichen  Masse. 

4.  Der  Zellkern,    der   meist   noch   ein    oder   einige  kleine  Gebilde,  sog. 
Kemkörperchen   enthält,    spielt   bei   der  Bildung  neuer  Zellen  eine  wichtige 


Strömung  des  Zell- 

plasmas  in  2  Zellen  ans 
dem  Blatte  ,1er  Wasser- 
pest. Die  Strömung  er- 
folg! in  der  Richtung  der 
Pfeile.  II.  Zellhaut;  K. 
Zellkern:  15.  Blattgrün- 
körper;  S.  Saftraum. 
(Vergr.  etwa  300 mal.) 


36] 


Rolle.    Dieser  Vorgang  erfolgt,  von  Ausnahmen  abgesehen,   in   der  Weise,  wie 
man  ihn  deutlich  an  den  Staub  fadenhaaren  aus  den  Blütenknospen  einer  bekannten 


radescantia,  verfolgen  kann.    Bei  starker  Vergrößerung  sieht 


m 

WIN 

. 


ulung  einer  Ze 
Der    Vo 


le   in 
'gang 


abfai 

Texl 


Tradi 


Gartenpflanze,  der  ' 

man  an  den  Zellen 
der  Haare,  die  man 
in  eine  schwache 
Zuckerlösung  ge- 
legt hat,  wie  der 
anfänglich  runde 
Zellkern  (a)  sich  in 
die  Länge  streckt 
und  in  zahlreiche 
Fäden  auflöst;  wie 
diese  Fäden  sich  so- 
dann teilen  und  aus- 
einanderrücken (b); 
wie  sich  ferner  zwi- 
schen den  Teilstük- 

ken  des  Kernes  im  Protoplasma  eine'  Scheidewand  bildet  (c);  wie  sich  die  Teil- 
stücke endlich  zu  zwei  neuen  Kernen  vereinigen,  und  wie  die  Scheidewand  mit 
den  Seitenwänden  verschmilzt  (d).  Im  Verlauf  von  etwa  1 l\i  Stunden  sind  auf 
diese  Weise  aus   einer  Zelle   durch  Teilung   zwei  Zellen  hervorgegangen. 

5.  Die  als  Färbst  off  träger  bezeichneten,  kleineren  Protoplasmaballen 
zeigen  eine  sehr  verschiedene  Ausbildung.  Legen  wir  ein  Blatt  der  Wasserpest 
(s.  Abb.  S.  360)  unter  das  Mikroskop,  so  sehen  wir  in  den  Zellen  kleine,  lebhaft 
grün  gefärbte  Körper  und  zwar  in  so  großer  Anzahl,  daß  sie  das  an  sich  farb- 
lose Blatt  für  das  unbewaffnete  Auge  grün  erscheinen 
lassen.  Dasselbe  gilt  auch  für  alle  anderen  grünen 
Pflanzenteile.  (Vgl.,  wie  die  roten  Blutkörperchen  die 
farblose  Blutflüssigkeit  rot  färben!)  Da  diese  Art  der 
Farbstoffträger  in  den  Blättern  besonders  zahlreich  vor- 
handen sind,  bezeichnet  man  den  Farbstoff,  dem  sie  ihr 
Grün  verdanken,  als  Blattgrün  oder  Chlorophyll 
und  sie  selbst  als  Blattgrün-  oder  Chlorophyll- 
k  ö  r  p  e  r.  Abgesehen  von  zahlreichen  Algen,  bei  denen 
sie  die  Form  von  Bändern  (s.  Abb.  S.322),  Sternen  oder 
Platten  haben  (s.  Abb.  S.  325),  sind  sie  in  der  Regel 
kleine,   abgeflachte  Körner.     Ihre  hohe  Bedeutung    für 

die  Pflanze  werden  wir  später  kennen  lernen. 

T     j      ™         i_i..xx       /Tr        •      ,            „.  Zelle  mit  gelben  Farb- 
in den  Blumenblattern  (Kapuzinerkresse,  Ginster  gtoffträffern  aus  e" 

u.  a.)  und  in  dem  Fleische  saftiger  Früchte  (Rose,  Eber-  Kelchblatte    der    Kapn- 

esche,  Weißdorn  u.  a.)  sind  die  Farbstoffträger  vielfach  zinerkresse. 

durch    einen    lebhaft   gelben    oder    roten    Farbstoff  aus-  (Verer.  c mal 


\ 


\ 


a: 


362  Bau  und   Leben  der  Zelle. 

gezeichnet.  Sie  verleihen  daher  den  Blüten  und  Früchten  dieser  Pflanzen  die 
auffällige  Färbung,  die  zum  Anlocken  der  Insekten  und  Vögel,  d.  h.  der  Be- 
stäubungsvermittler und  Samenverbreiter,  notwendig  ist. 

In  den  tieferen,  lichtlosen  Pflanzenteilen  sind  die  Farbstoffträger  endlich 
farblose  Gebilde. 

6.  Der  Zellsaft  ist  eine  wässerige  Flüssigkeit,  in  der  zahlreiche  Stoffe 
gelöst  sind.  .Ie  nach  der  Art  dieser  Stoffe  hat  der  Zellsaft  auch  für  die  Zelle, 
sowie  für  die  ganze  Pflanze  eine  verschiedene  Bedeutung.  Hier  seien  nur  die 
wichtigsten  Punkte  hervorgehoben : 

a)  Am  häufigsten  finden  sich  in  dem  Zellsafte  Säuren  (z.  B.  Zitronensäure), 
Salze  (z.  B.  zitronensaure  Salze)  und  Zucker.  Wie  eine  an  solchen  Stoffen  reiche 
Flüssigkeit  wirkt,  soll  uns  ein  einfacher  Versuch  mit  einer  „künstlichen  Zelle" 
zeigen.  Wir  nehmen  einen  Glaszylinder,  binden  über  die  eine  Öffnung  luftdicht 
ein  Stück  angefeuchtetes  Pergamentpapier  (das  fast  aus  reinem  Zellstoff  be- 
steht; s.  S.  365,3),  füllen  ihn  darauf  mit  einer  starken  Kochsalzlösung  und  binden 
die  andere  Öffnung  endlich  ebenfalls  fest  mit  Pergamentpapier  zu.  Den  so  her- 
gerichteten Zylinder  legen  wir  in  ein  Gefäß  mit  reinem  Wasser.  Nach  etwa 
24  Stunden  finden  wir,  daß  einerseits  das  Wasser  in  dem  Gefäße  ein  wenig 
salzig  geworden  ist,  und  daß  andererseits  die  beiden  Verschlüsse  des  Zylinders  straff 
gespannt  und  stark  vorgewölbt  sind.  Es  ist  also  durch  das  Pergamentpapier 
Salzwasser  nach  außen  und  reines  Wasser  nach  innen  gedrungen,  und  zwar  ist 
das  Einströmen  des  reinen  Wassers  viel  stärker  gewesen  als  der  Austritt  des 
Salzwassers;  denn  die  Flüssigkeit  in  dem  Zylinder  hat  sich  ja  stark  vermehrt. 
Durchstechen  wir  den  Verschluß  des  Zylinders  auf  einer  Seite,  so  spritzt  die 
Flüssigkeit  daraus  in  kräftigem  Strahle  hervor,  ein  Zeichen,  daß  die  Verschluß- 
stücke heftig  auf  den  stark  vermehrten  Inhalt  zurückdrücken.  Wiederholen 
wir  den  Versuch,  verwenden  wir  aber  statt  des  Kochsalzes  Zucker  oder  eine 
Säure,  so  werden  wir  dieselben  Erscheinungen  beobachten,  desgleichen,  wenn 
wir  an  Stelle  verschiedener  Flüssigkeiten  zwei  Gase,  z.  B.  Chlor  und  atmosphärische 
Luft,  benutzen.  Und  zwar  dauert  der  Austausch,  der  als  Osmose  bezeichnet 
wird,  so  lange,  bis  die  Flüssigkeiten  oder  Luftarten  auf  beiden  Seiten  der  Scheide- 
wand die  gleiche  Zusammensetzung  haben.  (Statt  des  Pergamentpapiers  läßt 
sich  auch  eine  tierische  Haut,  z.  B.  eine  Schweinsblase,  verwenden.) 

Die  Pflanzenzelle  ist  nun  ein  solcher  osmotischer  Apparat  im  kleinen :  die 
Zellhaut  entspricht  dem  Verschlusse  und  der  Zellsaft  der  Salzlösung.  Tritt 
an  sie  von  außen  eine  weniger  stark  gesättigte  Flüssigkeit,  so  wird  sich 
der  Zellsaft  vermehren.  Ist  dagegen  die  Flüssigkeit,  die  die  Zelle  umspült, 
stärker  mit  Salzen  oder  anderen  Stoffen  gesättigt,  so  wird  der  Zellsaft  abnehmen. 
Auf  diese  AVeise  erfolgt  in  der  Pflanze  ein  beständiger  Aus- 
tausch der  Stoffe  von.  Zelle  zu  Zelle.  (Wann  kommt  der  Austausch 
zum  Stillstande?) 

In  dem  Falle,  in  dem  sich  der  Zellsaft  vermehrt,  wird  die  Zellhaut  aus- 
gedehnt und  straff  gespannt,   so   daß  sie  infolge  ihrer  Elastizität  auf  den  Zell- 


Das   Protoplasma  and  seine  Teile.  363 

inhalt  zurückdrücken  muß.  Diese  Spannung,  die  der  Zelle  eine  ge- 
wisse Festigkeit  verleiht,  bezeichnet  man  als  ihren  T u r g o r. 
1h  diesem  Zustande  befinden  sich  z.  B.  alle  wachsenden  Pflanzenteile.  Daher 
vermögen  z.  B.  die  zarten  Keime  oder  jungen  Triebe  (Tulpe,  Maiglöckchen  u.  s.  w.) 
die  Erde  zu  durchbrechen.  Verlier!  die  Zelle  vielleicht  durch  zu  starke  Verdunstung 
Wasser,  so  wird  der  Tnrgor  geringer;  die  bisher  gespannte  Zellhaut  und  damit 
die  ganze  Zelle  wird  schlaff  und  weich.  Geschieht  dies  mit  vielen  oder  allen 
Zellen,  dann  sagt  man:  die  Pflanze  welkt.  Führt  man  der  Pflanze  wieder 
genügend  Wasser  zu  (Begießen,  Einstellen  in  ein  Gefäß  mit  Wasser !),  so  nimmt 
sie  wieder  das  frühere  Aussehen  an,  ein  Zeichen,  daß  es  nur  der  in  ihren  Zellen 
herrschende  Wasserdruck  ist,  der  sie  aufrecht  hält.  (Der  Tnrgor  ist  —  wie 
wir  später  sehen  werden  —  für  die  Pflanze  noch  in  zahlreichen  anderen  Fällen 
von  größter  Bedeutung.) 

b)  Vielfach  sind  in  dem  Zellsafte  auch  Stoffe  aufgespeichert,  die 
später  zum  Aufbau  der  Pflanze  verwendet  werden.  Das  sehen  wir  z.  B. 
an  der  Zuckerrübe,  die  in  dem  Zellsafte  der  Wurzel  große  Mengen  von  Zucker 
als  Baustoff  für  das  nächste  Jahr  anhäuft. 

c)  Ähnlich  wie  gewisse  Blüten  und  saftige  Früchte  durch  Farbstoff- 
körperchen  bunt  erscheinen,  werden  andere  durch  einen  im  Zellsafte  gelös- 
ten Farbstoff  den  Bestäubern  und  Verbreitern  der  Pflanze  auffällig  (Blüte 
von  Rose,  Rittersporn  u.  a.,  Frucht  von  Kirsche,  Heidelbeere  u.  a.).  Als  An- 
lockungsmittel tritt  bei  den  Früchten  nocli  der  Zuckergehalt  des  Zellsaftes 
hinzu. 

C.  Die  Zellhaut. 

1.  Bedeutung.  Wir  haben  gesehen,  daß  der  größte  Teil  des  Proto- 
plasmakörpers, das  Zellplasma,  in  der  Regel  eine  zähflüssige  Masse  darstellt.  Es 
wäre  daher  unmöglich,  aus  diesem  Stoffe  eine  Pflanze  von  bestimmter  Gestalt, 
vielleicht  gar  einen  Baum  aufzubauen.  Das  „Bauwerk"  würde  stets  in  sich  zu- 
sammensinken und  zerfließen  (vgl.  die  Form  der  Schleimpilze).  Umgeben  wir 
aber  eiu  Klümpchen  der  zähflüssigen  Masse  mit  einer  festen  Hülle,  oder  bieten 
wir  einer  größeren  Protoplasmamasse  ein  Stützwerk  aus  vielen  Kammern,  in 
denen  sie  gleichsam  wohnen  könnte,  dann  wäre  dies  wohl  möglich.  Wir  hätten 
im  ersten  Falle  eine  Zelle  oder  eine  einzellige  Pflanze  und  im  zweiten  eine  Viel- 
heit von  Zellen  oder  eine  vielzellige  Pflanze  geschaffen.  Die  Hülle,  die  der 
einzelnen  Zelle  oder  der  einzelligen  Pflanze  Form  und  Ge- 
stalt gibt,  ist  die  Zell  haut,  und  die  Gesamtheit  aller  Zell- 
häute bildet  das  stützende  Kammer  werk  der  vielzelligen 
Pflanzen. 

Wie  wir  gesehen  haben  wird  bei  der  Bildung  neuer  Zellen  vom  Proto- 
plasma eine  Scheidewand  zwischen  die  schon  vorhandenen  Zell  wände  einge- 
schoben. Denken  wir  uns  diesen  Vorgang  längere  Zeit  fortgesetzt,  so  müssen 
schließlich  alle  Wände,  die  den  Protoplasmakörper  einer  Zelle  umgeben,  von  diesem 


36-1 


Bari  u n il  LH 


der  Zell 


selbsl  gebildet  sein.     Der  lebende  Inhalt  der  Zelle  baut  sich  seine 

Hülle  also   selbst,  ähnlich  wie  sich  die  Schnecke  selbst  ihr  Haus  erbaut. 

2.  Verdickungen.     Anfänglich   ist   die  Zellhaut   sehr  zart  und  dünn 

is.  Al»b.  S.  359).   In  dem  Maße  aber,  in  dem  sich  der  Zellinhalt  ausdehnt,  wächst 

auch  seine  Hülle.  Hat  die  Zelle 
ihre  volle  Größe  erreicht,  so  treten 
an  der  Zellwand  gewöhnlich  Ver- 
dickungen auf. 

a)  Bei  Zellen,  die  eine  freie 
(oder  eine  teilweis  freie)  Oberfläche 
haben,  sind  die  Verdickungen  in 
Form  von  Stacheln,  Warzen  und 
Leisten  gewöhnlich  nach  außen 
gerichtet.  Dies  ist  z.  B.  meist 
bei  den  Blütenstaubkörnchen  der- 
jenigen Pflanzen  der  Fall,  die  durch 
Insekten  bestäubt  werden  (s.  Abb. 
S.  358).  Infolge  der  Rauhigkeiten 
haften  die  Körnchen  fester  am  Kör- 
per der  Bestäuber,  als  wenn  sie 
wie  die  der  windblütigen  Pflanzen 
eine  glatte  Oberfläche  besäßen. 

b)  Stellt  man  zarte  Längs- 
schnitte   durch   den    Stengel  z.B. 

der  Sonnenrose  oder  Gi-artenbalsamine  her,  so  treten  uns  Verdickungen  der 
Zellhaut  entgegen,  die  nach  innen  gerichtet  sind.  Die  Verdickungen  er- 
strecken sich  aber  nicht  gleichmäßig  über  die  ganze  Innenfläche  der  Zellhaut, 
sondern  treten  uns  nur  in  Form  von  Ringen  und  Schrauben  oder  als  Netzwerk 
entgegen.  Zwischen  den  verdickten 
Stellen  bleibt   die   Zellwand   dünn. 


Verdickungen   der   Zellwand    (schematisch). 
1  Ringförmige,    2  schraubenförmige  and    3  netz- 
förmige  Verdickungen. 


\\ 


Diese  Verdickungen  haben  vor 
allen  Dingen  die  Aufgabe,  die  Zelle 
auszusteifen,  ihr  eine  größere  Festig- 
keit zu  geben.  Ähnlich  wie  bei 
einer  Mauer,  die  wir  durch  stärkere 
Pfeiler  stützen,  genügt  hierzu  schon 
eine  teilweise  Verdickung  der 
Zellwand,  und  zu  diesem  Mittel  wird 
die  sparsame  Natur  umso  „lieber 
greifen",  als  diese  Art  der  Aus- 
steifung mit  der  geringsten  Menge 
von  Baustoff  ausgeführt  werden 
kann.      Andererseits    sind  aber  die 


\\  '  '           s 

V — r- r"T? 

Ö^fel^ 

i\ 

Tüpfelzellen 

aus    einem    ..St 

•iip-    des  Frucht 

fleisches  der 

Birne.     (Vergr 

etwa  SOOmal.  1 

Die   Zellhant. 


unverdickten    Stelleu   auch    für    den    Stoffverkehr    in   der    Pflanze   von   großer 

Wichtigkeit.  Wie  wir  gesehen  haben,  stellt  jede  Zelle  einen  osmotischen 
Apparat  dar.  Es  muß  daher  zwischen  den  einzelnen  Zellen  so  lange  ein 
Ausgleich  stattfinden,  so  lange  ihr  Inhalt  nicht  vollkommen  gleich  ist.  Dieser 
Austausch  der  Stoffe  geht  durch  dünne  Stellen  der  Zellhaut  nun  selbstver- 
ständlich leichter  und  schneller  von  statten  als  durch  verdickte. 

c)  Wie  der  Austausch  zwischen  Zellhäuten  erleichtert  wird,  die  gleich- 
mäßig sehr  stark  verdickt  sind,  zeigen  uns  z.  B.  die  Zellen,  die  in  dem  Frucht- 
fleische der  Birne  die  sog.  Steine  bilden.  Die  Wände  sind  hier  von  Kanälen 
durchzogen,  die  mit  denen  der  benachbarten  Zellen  genau  zusammentreffen.  An 
diesen  Stellen  sind  die  Zellen  daher  nur  durch  di 
ursprüngliche  Zellhaut  getrennt.  Die  Kanäle  be- 
zeichnet man,  da  sie  von  der  Fläche  gesehen  wie 
rundliche  Offnungen  erscheinen,  als  Tüpfel. 

Eine  besondere  Art  von  Tüpfeln  besitzen 
die  Zellen  im  Holze  der  Nadelbäume.  An  dünnen 
Schnitten  z.  B.  durch  Kiefernholz  sieht  man,  wie 
sich  die  Verdickungsschicht  über  der  dünnbleiben- 
den Stelle  der  Zellhant  wölbt,  ohne  sich  aber  voll- 
kommen zu  schließen.  Die  Verdickung  hat  also 
die  Form  eines  Uhrglases,  das  in  der  Mitte  eine 
Öffnung  besitzt.  Von  der  Fläche  betrachtet,  er- 
scheint das  Gebilde  daher  wie  ein  heller  Kreis 
(Öffnung !),  der  von  einem  dunkleren  „Hofe" 
(gewölbte  Verdickungsschicht !)  umgeben  ist.  Einen 
solchen  Tüpfel  bezeichnet  man  daher  als  gehöften 
Tüpfel. 

3.  Chemische  Zusammensetzung, 
a)  In  jungen  Zellwänden  waltet  stets,  in  älteren 
sehr  häufig  ein  Stoff  vor,  der  den  Namen  Zell- 
stoff oder  Zellulose  führt.  Er  ist  aus  Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Sauerstoff 
(CeHioOs)  gebildet,  und  zwar  finden  sich  in  ihm  die  beiden  letztgenannten  Ele- 
mente in  dem  gleichen  Verhältnisse  wie  im  Wasser  (Ha  0).  Die  Zellulose  ge- 
hört also  zu  der  großen  Gruppe  chemischer  Verbindungen,  die  man  (wegen  dieses 
Verhältnisses!)  als  Kohlenhydrate  bezeichnet.  (Fast  reine  Zellulose  ist  der  als 
Zelluloid  bekannte  Körper,  aus  dem  man  Bälle,  Griffe  von  Zahnbürsten  u.  dgl. 
herstellt.) 

Durchtränkt  man  einige  Wattefäden,  die  aus  fast  reiner  Zellulose  bestehen, 
mit  Chlorzinkjodlösung*),  so  färben  sie  sich  alsbald  schön  blau.    Mit  Hilfe  dieses 


Gehöfte  Tüpfel.     1   Teil  einer 

Zelle  aus  dem  Holze  der  Kiefer 
mit  drei  gehöften  Tüpfeln,  von 
der  Fläche  gesehen  (Vergr.  etwa 
300mal).  2  Ein  Tüpfel  im 
Durchschnitt,  noch  stärker  ver- 
grösserl   (schematisch  |. 


*)  Dieses  Reagenz,  das  wie  alle  anderen,  hier  erwähnten  Reagenzien  in  Spezral- 
handlungen  käuflich  zu  haben  ist,  erhält,  man,  indem  man  20  Teile  Chlorzink,  6,6  Teile 
Jodkalium  und  1,3  Teile  Jod  in  10,5  Teilen  Wasser  auflöst. 


366  Bau  und  Leben  äer  Zelle  and  der  einzelnen   Pflanzenteile. 

Stoffes  (Reagenz)  sind  wir  also  imstande,  Zellulose  in  Pflanzenzellen  nachzuweisen. 
(Führe  diesen  Nachweis  z.  B.  an  dünnen  Schnitten  aus  Kartoffelknollen!) 

Wie  uns  der  Versuch  zeigte,  durch  den  wir  das  Wesen  der  Osmose 
keuuen  lernten,  sind  Häute  aus  Zellulose  für  Flüssigkeiten  (und  Gase)  sehr 
durchlässig.  Diese  Eigenschaft  besitzen  daher  auch  die  Häute  junger  Zellen, 
d.  h.  also  derjenigen  Teile  des  Pflanzenkörpers,  die  im  lebhaften  Wachstum  be- 
griffen sind  und  daher  große  Mengen  von  Baustoffen  (von  außen  oder  von  be- 
nachbarten Zellen  her)  aufnehmen  müssen. 

b)  Bringt  man  dünne  Schnitte  aus  Kiefernholz  oder  einer  anderen  Holz- 
art in  Chlorzinkjodlösung,  so  tritt  keine  Blau-,  sondern  eine  Gelbfärbung  ein, 
ein  Zeichen,  daß  mit  den  Zellhäuten  eine  chemische  Veränderung  vor  sich  ge- 
gangen ist.  Sie  sind  verholzt.  WTie  schon  die  Verwendung  des  Holzes  zum 
Stützen  und  Tragen  (beim  Häuserbau  u.  dgl.)  zeigt,  besitzen  Pflanzenteile  mit 
verholzten  Zellhäuten  eine  große  Festigkeit.  Daher  tritt  eine  Verholzung  der 
Zellwände  auch  besonders  in  den  Teilen  des  Pflanzenkörpers  ein,  die  eine  große 
Festigkeit  und  Widerstandsfähigkeit  besitzen  müssen. 

c)  Schnitte  aus  Flaschenkork  färben  sich  in  Chlorzinkjodlösung  gelbbraun : 
die  Zell  wände  sind  durch  Einlagerung  von  Korkstoff  verändert;  sie  sind  ver- 
korkt. Wie  die  Verwendung  des  Korkes  im  täglichen  Leben  zeigt  (Beweis!),  ist 
dieser  Körper  für  Luft  und  Wasser  fast  undurchdringlich.  Daher  wendet  —  wie 
wir  später  sehen  werden  —  die  Pflanze  den  Kork  auch  dort  an,  wo  es  sich 
u.  a.  darum  handelt,  die  Verdunstung  stark  einzuschränken. 

D.  Der  ,, Zellstaat". 

1.  Arbeitsteilung.  Die  einzellige  Pflanze,  wie  sie  uns  in  den  Gruppen 
der  Algen  und  Pilze  entgegentritt,  ist  mit  einem  Menschen  zu  vergleichen,  der 
allein  in  der  Wildnis  umherschweift.  Wie  er  alles  selbst  verrichten  muß, 
was  zum  Leben  notwendig  ist  —  er  hat  sich  Nahrung  zu  suchen,  eine  Hütte 
zu  bauen,  die  ihn  vor  den  Unbilden  der  Witterung  schützt,  sich  gegen  seine 
mannigfachen  Feinde  zu  verteidigen  u.  dgl.  mehr,  —  so  hat  auch  die  „einzeln 
lebende  Zelle"  alle  Lebenstätigkeiten  zu  verrichten.  Sie  muß  —  um  nur  einiges 
anzuführen  —  Nahrungsstoffe  aufnehmen  und  umarbeiten,  auf  daß  sie  zum 
Aufbau  des  Körpers  verwendet  werden  können ;  sie  hat  sich  gegen  äußere  Ein- 
flüsse zu  wehren,  Nachkommen  zu  erzeugen  u.  dgl.  mehr. 

In  den  mehrzelligen  Pflanzen  dagegen  haben  wir  es  mit  großen  Gemein- 
schaften von  Zellen  zu  tun,  die  sich  mit  wohlgeordneten  Staatswesen  vergleichen 
lassen.  Wie  dort  gewisse  Bürger  (Ackerbauer,  Viehzüchter  u.  dgl.)  für  alle  die 
notwendige  Nahrung  gewinnen,  andere  (Handwerker  u.  dgl.)  die  sonst  zum  Leben 
nötigen  Gegenstände  herstellen,  andere  (Kaufleute,  Schiffer  u.  dgl.)  eine  Ver- 
teilung dieser  Gegenstände  und  der  Nahrung  besorgen,  andere  (Heer,  Polizei 
u.  dgl.)  den  Schutz  des  Ganzen  übernehmen:  so  ist  auch  in  dem  „Zellstaate" 
jedem  „Bürger"  eine  bestimmte  Arbeit  zuerteilt.  Wie  ferner  nun  in  einem 
Staatswesen  oder  einer  Fabrik  (Beweis!)  infolge  dieser  „Arbeitsteilung"  die 


Der   Zellstaat.     Grundformen  der  Pflanzen.  3^7 

Arbeiten  besser  und  vollkommener  ausgeführt  werden,  als  wenn  sie  alle  von 
jedem  einzelnen  Bürger  oder  Arbeiter  verrichtet  würden,  so  auch  im  Zellstaate. 
Das  ist  aber  in  den  menschlichen  Gemeinwesen  nur  möglich,  wenn  nicht  jeder 
gleich  dem  in  der  Wildnis  Umherschweifenden  in  schrankenloser  Willkür  ver- 
fährt, sondern  sich  in  eine  gewisse  Ordnung  fügt,  sich  unter  bestimmte  Ge- 
setze beugt.  So  hat  sich  auch  im  Zellstaate  jedes  Glied  dem  Wohle  des  Ganzen 
unterzuordnen. 

Wie  unter  den  Menschen  der  einzeln  lebende  die  tiefste  »Stellung  einnimmt, 
so  sind  auch  die  einzelligen  Pflanzen  die  „niedrigsten".  Und  unter  den 
„höheren"  Gewächsen  haben  wieder  die  eine  übergeordnete  Stellung,  eine  höhere 
Rangordnung,  bei  denen  die  Arbeitsteilung  am  vollkommensten  durchgeführt 
ist.  (Führe  dies  an  der  Hand  der  großen  Abteilungen  des  Pflanzensystems 
näher  aus!) 

2.  Gewebe.  Je  nach  der  Arbeit,  die  der  einzelne  Bürger  des  Staates  zu 
erfüllen  hat,  ist  er  auch  verschieden  ausgerüstet:  der  Landmann  z.  B.  mit 
Pflug  und  anderen  Ackergeraten,  der  Soldat  mit  Waffen  u.  dgl.  So  müssen 
auch  die  Glieder  des  Zellstaates,  je  nachdem  sie  diese  oder  jene  Arbeiten  zu 
leisten  haben,  verschieden  ausgerüstet  oder  —  anders  ausgedrückt  —  ver- 
schieden gebaut  sein.  Gewöhnlich  vereinigen  sich  im  Pflanzenkörper  nun  mehrere 
gleich  gebaute  und  gleich  tätige  Zellen  zu  größeren  oder  kleineren  Gruppen 
(s.  z.  B.  Abb.  S.  357);  sie  bilden  sog.  Gewebe  (erkläre  den  Namen!),  von  denen 
wir  die  wichtigsten  Formen  in  folgendem  kennen  lernen  werden. 

3.  Zwischenzellräume.  Die  Zellen,  die  ein  Gewebe  bilden,  müßten  — 
so  sollte  man  denken  —  stets  lückenlos  aneinanderschließen ;  denn  wie.  wir 
gesehen  haben,  wird  bei  der  Zellteilung  in  der  „Mutterzelle"  ja  nur  eine  Wand 
gebildet,  die  beiden  „Tochterzellen"  gemeinsam  ist.  Bei  jungen  Zellen  muß 
ein  enger  Zusammenschluß  also  stets  vorhanden  sein.  Auch  bei  älteren  flndet 
er  sich  vielfach.  Nicht  selten  aber  spaltet  sich  bei  diesen  die  gemeinsame 
Scheidewand  der  Länge  nach.  Dann  rücken  (s.  z.  B.  Abb.  S.  357)  die  Zellen 
vielfach  so  weit  auseinander,  daß  sie  nur  noch  an  einem  Punkte  zusammen- 
stoßen. So  entstehen  zwischen  ihnen  oft  große,  luftgefüllte  Lücken,  die  man 
als  Zwischenzellräume  bezeichnet. 


2.  A  b  s  c  h  n  i  t  t. 

Vom  Hau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 

Die  Grundformen  der  Pflanzen. 

1.  An  den  Blutenpflanzen  und  farnartigen  Gewächsen  unterscheiden  wir 
eine  Menge  einzelner  Teile,  die  wir  z.  B.  als  Wurzel,  Zwiebel,  Knolle,  Stengel, 
Halm,  Dorn,  Blüte,  Stempel  u.  s.  w.  bezeichnen.  Alle  diese  Teile  lassen  sich  —  so 
verschieden  sie  auch  zu  sein  scheinen  —  auf  drei  Grundglieder  zurückführen: 
auf  Wurzel,  Stamm  (oder  Stengel)  und  Blatt.   Diese  drei  Hauptteile  unterscheiden 


;;iis  Bau  and  Leben  des  Blattes. 

sieh  ganz  kurz  gesagt  —  folgendermaljcn  voneinander:  Wurzel  uud  Stamm, 
die  sich  oft  sehr  ähnlich  sind  (unterirdische  Stämme!),  haben  stets  ein  lang  an- 
dauerndes Wachstum;  während  der  Stamm  aber  der  Träger  der  Blätter  ist,  hat 
die  Wurzel  niemals  die  Fähigkeit,  solche  zu  entwickeln.  Die  Blätter  sind 
sehr  verschieden  gestaltete  Gebilde,  die  ihr  Wachstum  sehr  bald  einstellen  und 
stets  am  Stamme  entspringen. 

Diese  drei  Grundglieder  treten  uns  nun  in  sehr  verschiedener  Ausbildung  ent- 
gegen. Ohne  ihre  Entwicklung  zu  kennen,  ist  es  vielfach  sogar  unmöglich  zu  ent- 
scheiden ob  man  in  ihnen  Wurzel,  Stamm  oder  Blatt  vor  sich  hat.  So  sind  —  wie  wir 
bei  der  Betrachtung  der  betreffenden  Pflanzen  bereits  gesehen  haben  —  z.  B.  die 
Knollen  des  Knabenkrautes  Wurzelgebilde,  die  der  Kartoffel  dagegen  Teile  des 
Stammes  (Stengels);  so  haben  wir  ferner  in  den  Dornen  des  wilden  Birnbaums 
Stammgebilde,  in  den  Stacheln  des  Kaktus  dagegen  Blätter  vor  uns  u.  s.  w.  Die 
Grundglieder  erscheinen  also  hier  ähnlich  wie  die  Jungen  zahlreicher  Lurche  und 
Insekten  (s.  Lehrb.  d.  Zoologie)  in  einer  Verkleidung.  Wie  bei  diesen  Tieren  redet 
man  daher  auch  bei  ihnen  von  einer  Verwandlung  oder  Metamorphose. 

2.  An  dem  Faden  der  Schraubenalge  oder  dem  Fadeugeflechte  des  Cham- 
pignons ist  wie  bei  allen  Algen  und  Pilzen  eine  Gliederung  in  Wurzel,  Stamm 
und  Blatt  nicht  zu  entdecken.  Einige  Algen,  wie  z.  B.  der  Blasentang  (s.  S.  326), 
haben  allerdings  einige  Ähnlichkeit  mit  den  höheren  Pflanzen;  zur  Ausbildung 
wirklicher  Wurzeln,  Stämme  und  Blätter  kommt  es  bei  ihnen  aber  gleichfalls 
nicht.  Einen  solchen  ungegliederten  Pflanzenkörper  bezeichnet  man  als  Lager 
(Thallus).  Im  Gegensatz  zu  den  höheren  Pflanzen,  den  Stamm-Blatt- Pflanzen 
(Curiiiophyten),  faßt  man  daher  die  Algen  und  Pilze  (Flechten)  als  Lager- 
pflanzen (Thallophyten)  zusammen  (s.  S.  322). 

3.  Die  Moose,  als  die  einzig  übrig  bleibende  große  Abteilung  des  Pflanzenreichs, 
lassen  sich  in  keine  der  beiden  Gruppen  einfügen.  Während  sich  an  dem  Laubmoose 
stets  deutlich  Stamm  und  Blatt  unterscheiden  läßt,  entbehren  zahlreiche  Lebermoose  (s.  das.) 
dieser  Gliederung  mehr  oder  weniger  vollkommen.  Die  Moose  bilden  also  den 
Übergang  zwischen  den  beiden  großen  G  r  u  p  p  e  n. 

I.  Vom  Bau  und  Leben  des  Blattes. 
1.  Blattarten  und  Blattstellun^. 
1.  Die  Blattarten.  Das  Blatt  tritt  uns  in  sehr  verschiedener  Gestalt  ent- 
gegen, die  mit  der  zu  erfüllenden  Aufgabe  aber  stets  in  vollendetster  Weise 
übereinstimmt  (beweise  dies  durch  die  in  Abschn.  2  und  3  angeführten  Beispiele!). 
Betrachten  wir  z.  B.  eine  Pflanze  des  Knabenkrautes  (s.  Taf.  34),  so  sehen  wir 
am  unteren  Teile  des  Stengels  einige  farblose  „Hüllblätter",  am  mittleren  die 
grünen  Laubblätter  und  am  oberen  zahlreiche  „Deckblätter",  aus  deren  Achseln 
sich  die  Blüten  erheben.  Untersuchen  wir  hierauf  andere  Pflanzen,  so  finden 
wir  bei  vielen  (Beispiele!)  unterhalb  oder  oberhalb  der  Laubblätter  gleichfalls 
Blätter  von  abweichendem  Bau.  Es  lassen  sich  demnach  3  Gruppen  von  Blättern 
unterscheiden,   die  man   nach  ihrer  Stellung  am  Stamme  (Zweige)  als  Nieder- 


Bau  und   Leben  des  Blattes.  369 

blätter,  Mittel-  oder  Laubblätter  und  Hochblätter  bezeichnet.  Zu  diesen 
3  Gruppen  kommen  bei  den  Blutenpflanzen  noch  2  weitere  hinzu:  die  Blätter 
der  Blüte  (Kelch-,  Blumen-,  Staub-  und  Fruchtblätter)  und  die  Keimblätter. 
Da  diese  beiden  Blattarten  später  eingehender  betrachtet  sind,  wenden  wir  uns 
hier  nur  den  3  ersteren  zu. 

2.  Die  Niederblätter  treten  uns  an  unterirdischen  Stämmen  (Wurzelstöcken)  in 
der  Kegel  als  farblose  Schuppen  entgegen.  Sie  dienen  dort  (Windröschen,  Taubnessel  n.  a.) 
zumeist  der  zarten  Endknospe  des  weiterwachsenden  Stammes,  sowie  den  in  ihren  Achseln 
sich  bildenden  Zweigknospen  als  schützende  Hüllen  (daher  „Hüllblätter"!.  Eine 
gleiche  Aufgabe  haben  diejenigen  Niederblätter  zu  erfüllen,  die  beim  Durchbrechen  der  Erde 
„voran  gehen"  (Scharbockskraut,  Maiblume  u.  a.i,  oder  die  als  Knospenschuppen  den  jungen 
Trieb  fest  umschließen  (s.  Roßkastanie).  In  den  Zwiebeln  (s.  Tulpe)  bilden  die  hier  als 
„Zwiebelschalen"  bezeichneten  Niederblätter  Vo  r  r  atssp  ei  ch  e  r.  An  vielen  anderen 
unterirdischen  Stämmen  dagegen  (Wurzelstöcken,  Knollen)  sind  sie  so  klein,  daß  ihnen 
wohl  kaum  noch  eine  Bedeutung  zukommt. 

3.  Die  Hochblätter  sind  in  der  Regel  schützende  Decken  der  jungen  Blüten 
und  Blutenstände.  Als  „Deckblätter"  haben  wir  sie  z.  B.  beim  Knabenkraute,  als  „Hülle 
and  Hiillehen"  bei  den  Doldengewächsen,  als  „Hüllkelch"  bei  den  Korbblütlern,  als  „Bluten- 
scheide" bei  Schneeglöckchen  und  Aronstab,  als  „Spelzen"  bei  den  Gräsern,  als  „Schuppe" 
an  den  Kiefernzapfen  kennen  gelernt  u.  s.  w.  Beim  Windröschen  („Hüllblätter")  haben  sie 
genau  die  Gestalt  der  Laubblätter,  und  bei  der  Leberblume  täuschen  sie  fast  einen 
Kelch  vor.  Bei  einigen  anderen  Pflanzen  dagegen  treten  sie  in  den  Dienst  der  Insekten- 
anlockung (Hain- Wachtelweizen),  der  Bestäubung  (Aronstab),  der  Fruchtbil- 
dung (Becherfrüchtler)  oder  der  Fruchtverbreitung  (Linde,  Klette  u.a.). 

4.  Die  Laubblätter  (Mittelblätter),  die  gewöhnlich  als  „Blätter"  schlechtweg  be- 
zeichnet werden,  wollen  wir  hier  vorwiegend  nur  nach  ihrem  Äußeren  betrachten  Ihre 
Aufgabe  und  Bedeutung  werden  wir  in  dem  nächsten  Abschnitte  kennen  lernen.  —  An 
den  Blättern  z.  B.  des  Scharbockskrautes  wird  die  herzförmige  Blattfläche  (oder  Blatt- 
spreite) von  einem  langen  Blattstiele  getragen,  der  sich  unten  zu  einer  Blatt  scheide 
verbreitert.      Solche  „vollständigen"   Blätter  treffen  wir  jedoch  nur  selten  an. 

a)  Die  Blattscheide  dient  beim  Scharbockskraute,  der  Möhre  u.a.  als  Schutz- 
mittel für  zarte,  junge  Pflanzenteile;  bei  den  Gräsern  (s.  Roggen)  hat  sie  außerdem  noch 
die  Bedeutung  eines  Stützorgans.  —  An  Stelle  der  Scheide  finden  sich  bei  mehreren 
Pflanzen  (Beispiele!)  rechts  und  links  vom  Blattgrande  kleinere  oder  größere,  bleibende 
oder  abfallende  Nebenblätter,  die  z  B.  bei  der  Erbse  als  Schutzmittel  junger  Teile 
dienen.  Bei  der  Robinie  u.  a.  sind  die  Nebenblätter  in  schützende  Dornen  umge- 
wandelt. 

b)  Den  Blattstiel  haben  wir  mehrfach  (s  z.  B.  Roßkastanie  und  Weinstock |  als 
ein  Mittel  der  Pflanze  erkannt,  die  sonnenbedürftige  Blattfläche  in  die  geeignete  Stellung 
zum  Lichte  zu  bringen.  Ebenso  haben  wir  gesehen,  wie  das  federnde  Gebilde  die  Blatt- 
fläche schützt,  vom  Winde  und  vom  Anprall  der  Regentropfen  zerrissen  zu  werden  (s.  S.  87,  b). 

Fehlt  der  Blattstiel,  so  bezeichnet  man  das  Blatt  als  sitzend  (Tulpe  u.  v.  a.). 
Zieht  sich  die  Blattfläche  am  Stengel  noch  ein  Stück  herab,  so  nennt  man  das  sitzende 
Blatt  he  rablaufend  (Eselsdistel,  Schwarzwurz  u.  a.),  greift  die  Blattfläche  um  den 
Stengel:  stengel  um  fassend  (Schlafmohn),  und  verschmelzen  die  Flächen  zweier 
gegenüberstehender  Blätter  miteinander:  verwachsen  (Jelängerjelieber).  —  Ist  der 
Schmeil.  Lehrburh  der  Botanik.  24 


370  Bau  und   Leben   der  einzelnen   Pflanzenteile. 

Blattstiel    in    der  Mitte    der  wagerecht    stehenden  Blattfläche    angewachsen  wie    bei  der 
Kapuzinerkresse.   SO   entstellt    das   schildförmige   Blatt. 

c)  Die  Blatt  fläche  zeigt  sehr  verschiedene  Ausbildung,  so  daß  man  eine  große 
Anzahl   von  Blattformen   unterscheidet: 

I.  Nach  dem  Verlauf  der  Nerven  oder  Adern  :  laufen  alle  Nerven  mit  der 
„Mittelrippe"  und  untereinander  ungefähr  parallel,  wie  dies  für  die  einkeimblättrigen 
Pflanzen  als  Regel  gilt,  so  bezeichnet  man  das  Blatt  als  streifen-  oder  parallel- 
nervig: entspringen  die  Seitennerven  abwechselnd  oder  paarweise  in  Zwischenräumen 
von  der  Mittelrippe,  so  nennt  man  das  Blatt  fiedernervig  (z.  B.  Haselnuß);  gehen 
dagegen  mehrere,  ungefähr  gleichstarke  Nerven  strahlenförmig  vom  Ende  des  Blattstiels 
aus.  so  redet  man  von  einem  handnervigen  Blatte  (z.  B.  Ahorn). 

II.  Nach  dem  Gesamtumriß  is1  das  Blatt:  nadeiförmig  (Nadelhölzer),  linealisch 
(Gräser),  lanzettlich  (Weidenröschen),  sp  at  elf  örmig  (Gänseblümchen),  eiförmig 
(Birnbaum),  elliptisch  (Kirschbaum),  kreisrund  (Faulbaum)  u.  s.  w.  Alle  diese 
Formen  gehen  auch  ineinander  über. 

III.  Nach  der  Form  des  Blattgrundes  bezeichnet  man  das  Blatt  u.  a.  als:  nier e li- 
fo rm  ig  (Sumpfdotterblume),  herzförmig  (Bohne),  pfeilf örmig  (Ackerwinde), 
spießförmig  (Melde). 

IV.  Nach  der  Beschaffenheit  des  Randes  heißt  das  Blatt:  ganzrandig,  wenn 
ohne  Einschnitte  (Flieder) ;  gesägt,  wenn  die  spitzen  Sägezähne  in  spitzem  Winkel 
zusammenstoßen  (Rose);  d  o  p  p  e  1  t-g  e  s  ä  g  t,  wenn  große  und  kleine  Sägezähne  ab- 
wechseln (Erle);  s  c  h  r  o  t  s  äg  e  f  ö  r  m  i  g,  wenn  die  meist  nach  unten  gekehrten  Säge- 
zähne wiederum  fein  gesägt  sind  (Löwenzahn);  gezähnt,  wenn  die  spitzen  Zähne  im 
stumpfem  Winkel  zusammenstoßen  oder  durch  einen  sanften  Bogen  verbunden  sind  (kleine 
Brennessel);  gekerbt,  wenn  die  abgerundeten  Ausschnitte  in  einem  Winkel  zusammen- 
stoßen (Veilchen):  buchtig,  wenn  Ausschnitte  und  Einbuchtungen  abgerundet  sind 
(Eiche).  —  Gehen  die  Einschnitte  tiefer,  so  tritt 

V.  eine  Teilung  der  Blattfläche  ein,  die  sich  ganz  nach  dem  Verlauf  der  Nerven 
richten  muß.  Im  Gegensatz  zum  ungeteilten  Blatte  nennt  man  ein  Blatt  fieder- 
teilig  oder  fiederspaltig,  wenn  die  Einschnitte  zu  beiden  Seiten  der  Mittelrippe 
liegen  (Raps),  und  handförmig  geteilt,  wenn  sie  nach  dem  Grunde  des  Blattes 
verlaufen  (mehrere  Hahnenfußarten).  —  Reichen  die  Einschnitte  so  tief,  daß  die  Blatt- 
fläche in  mehrere  völlig  voneinander  getrennte  Teile  oder  „Blättchen"  zerlegt  wird,  so 
redet  man 

VI.  von  einem  zusammengesetzten  Blatte,  zu  dem  das  einfache  den  Gegensatz 
bildet.  Bestimmend  für  die  Art  der  Zusammensetzung  ist  wieder  der  Verlauf  der  Ner- 
ven :  das  fiedernervige  Blatt  wird  zum  gefiederten  (Rose)  und  das  handnervige  zum 
band-  oder  fingerförmigen  (Roßkastanie).  Besteht  das  gefiederte  Blatt  aus  mehreren 
Fiederpaaren  und  einem  Endblättchen,  so  ist  es  unpaarig-gefiedert  (Rose) :  fehlt  das 
Endblättchen,  so  heißt  es  paarig-gefiedert  (Erbse);  sind  die  Fiederblättchen  wieder 
gefiedert,  so  entsteht  das  doppelt-gefiederte  und  bei  fortgesetzter  Fiederung  das 
mehrfach-gefiederte  Blatt  (zahlreiche  Doldengewächse  und  Farnkräuter).  Das  hand- 
förmige  Blatt  heißt  nach  der  Anzahl  seiner  Blättchen  dreizählig  ("Wiesenklee),  fünf- 
zählig  oder  gefingert  (Fingerkräuter),  siebenzählig  (Roßkastanie)  u.  s.   w. 

5.  Besondere  Blattformen.  Haben  die  Blätter  eine  besondere  Aufgabe  zu  er- 
füllen, so  haben  sie  auch  eine  besondere  Form. 

a)  Als  Blattdornen  dienen  sie  der  Abwehr  pflanzenfressender  Tiere.     Während 


Bau  and   Leben  des  Blattes.  371 

bei  dem  Sauerdorn  und  den  Kaktusarten  das  ganze  Blatt  zu  Dornen  umgewandelt  ist,  zeigen 
wie  vor  kurzem  erwähnt       l>ci  der  Robinie  nur  die  Nebenblätter  diese  Veränderung. 

b)  Ist  das  Blatt  ein  Mittel,  den  schwachen  Stengel  an  eine  Stütze  zu  binden,  so 
hat  es  die  Gestalt  der  Blattranke  (vgl.  Stengelranke).  Beim  Kürbis  sind  von  der  ganzen 
Blattfläche  nur  die  Hauptnerven  erhalten  geblieben;  bei  der  Erbse  und  vielen  anderen 
Schmetterlingsblütlern  dagegen  sind  allein  die  obersten  Fiederblätter  von  dieser  Ver- 
änderung betroffen. 

c)  Bei  Sonnentau,  Wasserschlauch,  Kannenstrauch,  Schuppenwurz  und  anderen 
„insektenfressenden    Pflanzen"   sind  die  veränderten  Blätter  Mittel  zum  Tierfang. 

6.  Die  Blattstellung.  Die  Blätter  jeder  Pflanze  (also  aueh  Nieder-  und  Hoch- 
blätter, sowie  die  Blätter  der  Blüte)  sind  am  Stengel  stets  in  ganz  bestimmter  Weise 
angeordnet. 

a)  Stehen  sich,  wie  z.  B.  bei  der  Taubnessel,  je  zwei  Blätter  in  gleicher  Höhe 
des  Stengels  gegenüber,  so  nennt  man  sie  gegenständig.  Wechseln  wie  bei  dieser 
Pflanze  die  Blattpaare  so  miteinander  ab,  daß  die  Blätter  über  je  einer  Lücke  des  vor- 
hergehenden oder  nachfolgenden  Paares  stehen,  so  heißt  die  Blattstellung  k  reuzständig. 

b)  Entspringen  an  einer  Stelle  rings  um  den  Stengel  mehr  als  zwei  Blätter,  so 
bezeichnet  man  sie  als  quirlständig.  (Bei  den  Blattkreisen  zahlreicher  Blüten  zu 
beobachten.  Bei  den  Labkräutern  sind  die  Blätter  eigentlich  gegenständig;  denn  jeder 
Quirl  ist  aus  zwei  Laubblättern  und  den  zu  ihnen  gehörigen  Nebenblattpaaren  zusammen- 
gesetzt. Daß  diese  Deutung  richtig  ist,  ergibt  sich  aus  der  Tatsache,  daß  nur  aus  den 
Achseln  je  zweier  Blätter  Zweige  hervorgehen.) 

c)  Bei  den  meisten  Pflanzen  stehen  die  Blätter  einzeln  in  ungleicher  Höhe  am 
Stengel.  Diese  Stellung  bezeichnet  man  als  zerstreut  oder  wechselständig. 
Wiederholen  wir  aber  bei  irgend  einer  dieser  Pflanzen  den  bei  der  Schwarzwurz  (siehe 
S.  131,  1  e)  ausgeführten  Versuch  mit  dem  Faden,  so  sehen  wir  deutlich,  daß  diese 
scheinbar  regellos  gestellten  Blätter  dem  Stengel  in  einer  Schraubenlinie  angeheftet 
sind.  Mit  Hilfe  des  Fadens  kann  man  auch  leicht  feststellen,  wieviel  Umgänge  (Schrau- 
benwindungen) nötig  sind,  um  auf  ein  Blatt  zu  stoßen,  das  genau  über  dem  Anfangs- 
blatte steht,  und  das  wievielte  Blatt  es  von  diesem  Blatte  an  gezählt  ist.  Stehen  z.  B. 
wie  beim  Kirschbaume  auf  zwei  Umgängen  fünf  Blätter,  so  nimmt  gleichsam  jedes  Blatt 
'-/s-Umgang  ein.  Diese  Blattstellung  bezeichnet  man  daher  als  2/ö-Stellung.  Von  anderen 
häufigen  Stellungen  seien  genannt :  die  ^-Stellung  bei  den  Gräsern  und  vielen  Lilien- 
gewächsen ;  die  '^-Stellung  bei  zahlreichen  anderen  einkeimblättrigen  Pflanzen ;  die 
-ja-  und  3/8-Stellung  bei  vielen  zweikeimblättrigen  Gewächsen. 

2.  Das  Blatt  als  Werkzeug   der  Aneignung   oder  Assimilation  der  Nährstoffe. 

A .  Die   A n e i g u  u  n  g   oder   Assimilati  o  n    der  N  ä  h  r  s  t  o  f  f  e. 

Das  grüne  Blatt  spielt  im  Leben  der  Pflanze  eine  außerordentlich  wichtige 
Rolle :  es  ist  nämlich  erstlich  vor  allen  Dingen  das  Organ,  in  dem  die  aufgenommenen 
Rohstoffe  so  umgewandelt  werden,  daß  sie  zum  Leben  und  Aufbau  der  Pflanze 
zu  verwenden  sind.  Bevor  wir  jedoch  diesen  Vorgang  verfolgen  können,  haben 
wir  uns  zu  fragen,  welcher  einfachsten  Stoffe  die  Pflanze  überhaupt  bedarf,  um 
daraus  jene  Baustoffe  zu  bilden  ? 

1 .  Die  Bestandteile  und  Nährstoffe  der  Pflanze,     a)  Wie  wir  bei  der 


;;72  Bari  und   Leben  der  einzelnen   Pflanzenteile. 

Betrachtung  der  Zelle  gesehen  haben,  sind  alle  Teile  der  lebenden  Pflanze  von 
Wasser  durchtränkt.  Daher  gibt  es  ohne  Wasser  kein  Pflanzenleben  (Ver- 
trocknen der  Pflanzen  im  Blumentopfe !  Wüsten  ! ).  In  welcher  Menge  dieser 
wichtige  Stoff  im  Pflanzenkörper  enthalten  ist,  zeigt  schon  ein  einfacher  Ver- 
such :  wir  legen  irgend  einen  größeren  Pflanzenteil  (einen  Zweig,  eine  Kartoffel- 
knolle, einen  Apfel  oder  dgl.),  dessen  Gewicht  wir  festgestellt  haben,  auf  den 
warmen  Ofen  und  wiegen  ihn  wieder,  nachdem  er  vollkommen  ausgetrocknet  ist 
(„Trockengewicht").  Der  Gewichtsverlust  ist  (in  erster  Linie)  auf  das  ver- 
dunstete Wasser  zurückzuführen. 

b)  Ein  solch  ausgetrockneter  Pflanzenteil  ist,  wie  wir  nun  weiter  wissen. 
verbrennbar,  d.  h.  er  enthält  Kohlenstoff.  Verkohlen  wir  irgend  einen  Pflanzen- 
stoff (z.  B.  Holzteilchen)  in  einer  Retorte,  oder  vergleichen  wir,  wieviel  ein 
Stück  Holzkohle  und  ein  gleich  großes  Stück  ganz  trockenes  Holz  wiegt,  so  er- 
kenuen  wir,  daß  der  Kohlenstoff  etwa  die  Hälfte  des  Trockengewichts  der  Pflanze 
ausmacht.  Und  wie  gleichmäßig  der  Kohlenstoff  in  der  Pflanze  verteilt  ist,  er- 
gibt sich  daraus,  daß  an  der  Holzkohle  selbst  noch  der  feinste  Bau  des  Holzes 
zu  erkennen  ist.  —  In  den  Steinkohlen-  und  Braunkohlenlagern  sind  uns,  wie 
wir  bereits  früher  gesehen  haben  (s.  S.  303),  riesige  Massen  dieses  ungemein 
wichtigen  Stoffes  aus  der  Vorzeit  erhalten  geblieben,  und  der  Torf  entsteht  noch 
vor  unsern  Augen  durch  ein  langsames  Verkohlen  von  Pflanzenteilen  (s.  S.  113B). 

c)  Wie  wir  wissen,  ist  das  Protoplasma  ein  stark  eiweißhaltiger  Körper. 
Die  Bildung  von  Eiweiß  geht  aber  nur  beim  Vorhandensein  von  Stickstoff 
vor  sich. 

d)  Wasser,  Kohlenstoff  und  Stickstoff  entweichen  beim  Verbrennen  der 
Pflanzenstoffe  in  gasförmigen  Verbindungen.  Die  zurückbleibende  Asche  ent- 
hält die  mineralischen  Bestandteile  des  Pflanzenkörpers.  An  der  Zusammen- 
setzung dieser  Stoffe  sind  nun  sehr  verschiedene  chemische  Grundstoffe  oder 
Elemente  beteiligt.  Durch  Versuche,  die  von  zahlreichen  Naturforschern  viele 
Jahre  hindurch  angestellt  wurden ,  ist  jedoch  erwiesen ,  daß  zum  Aufbau  der 
Pflanze  nicht  alle  in  ihr  gefundenen  Elemente  nötig  sind. 

e)  Gewisser  Elemente  dagegen  bedarf  die  Pflanze  zu  ihrem  Gedeihen  un- 
bedingt. Diese  sog.  Nährstoffe  sind  außer  dem  Kohlenstoffe,  dem  Wasser- 
und  Sauerstoffe  (d.  s.  die  Elemente  des  Wassers,  H>  0),  sowie  dem  Stickstoffe 
noch:  Schwefel,  Phosphor,  Kalium,  Calcium,  Magnesium  und  Eisen. 

2.  Die  Assimilation  der  Nährsalze,  a)  Daß  die  (grüne)  Pflanze  wirk- 
lich aus  den  genannten  Elementen  ihren  Körper  aufbaut,  soll  uns  ein  einfacher 
Versuch  zeigen:  Wir  bieten  einer  Pflanze  (außer  der  nötigen  Wärme  und  dem 
notwendigen  Lichte)  nichts  weiter  als  diese  Stoffe  in  Form  einfacher  chemischer 
Verbindungen  dar.  Zu  diesem  Zwecke  stellen  wir  eine  „Nährlösung"  her, 
d.  h.  wir  lösen  in  je  einem  Liter  destillierten  Wassers  folgende  „Nährsalze" 
in  den  angegebenen  Mengen   auf: 

1  g  salpetersauren  Kalk  (Ca2NOs), 
0,26  g  Chlorkalium  (KCl), 


Bau  and   Leben  des  Blattes. 


0,25  g  schwefelsaure  Magnesia  (MgSU4J? 

0,25  g  saures  phosphorsaures  Kali  (KH2PO4). 

Nachdem  wir  der  Flüssigkeit  noch  einige  Tropfen  verdünnter  Eisenchlorid- 
lösung  zugesetzt  haben,  füllen  wir  damit  ein  großes,  mehrere  Liter  fassendes 
Glasgefäß. 

Vorher  haben  wir  bereits  in 
feuchten  Sägespänen  einige  Maiskörner 
zum  Keimen  gebracht.  Sind  die  Haupt- 
wurzeln einige  Centimeter  lang  ge- 
worden, dann  befestigen  wir  einen 
Keimling  mit  Hilfe  von  etwas  Watte 
so  in  dem  durchbohrten  Korke  des  Ge- 
fäßes, daß  nur  die  Wurzeln  in  die 
Flüssigkeit  tauchen.  Stellen  wir  das 
Gefäß,  nachdem  wir  es  mit  einem 
undurchsichtigen  Stoffe  umwunden 
haben  (Schutz  gegen  sonst  sich  bildende 
Algen),  an  ein  sonniges  Fenster,  so 
beginnt  das  Pflänzchen  sich  bald  zu 
entwickeln.  Bei  regelmäßigem  Ersatz 
des  verdunsteten  und  verbrauchten 
Wassers  und  öfterem  Erneuern  der 
ganzen  Flüssigkeit  wächst  es  nach  und 
nach  zu  einer  stattlichen  Pflanze  her- 
an, treibt  Blüten  und  —  falls  man 
für  die  Bestäubung  sorgt  —  schließ- 
lich auch  Früchte. 

b)  Vergleichen  wir  die  Mais- 
pflanze mit  dem  winzigen  Maiskorne, 
aus  dem  sie  hervorgegangen  ist,  so 
müssen  wir  sagen,  daß  sie  eine  große 
Menge  von  Pflanzenstoffen  gebildet 
hat.  Da  der  Pflanze  aber  nichts  weiter 
zur  Verfügung  stand  als  Wasser  und 
Nährsalze,  sowie  die  Bestandteile  der 
Luft  (Sauerstoff,  Stickstoff  und  Koh- 
lensäure), so  muß  sie  diese  Stoffe  zum 
Aufbau  ihres  Körpers  verwendet  haben. 
Uie  kohlenstoffhaltigen  und  zugleich 
verbrennlichen  Stoffe  nennt  man  nun 
—  da  aus  ihnen  der  Körper  der  Tiere 
and  Pflanzen,  also  der  der  Lebewesen 
oder    Organismen    aufgebaut    ist    — 


;j7  1  Bau  und  Leben  der  einzelnen   Pflanzenteile. 

kurz:  organische.  Die  Stoffe  dagegen,  die  den  Tier-  oder  Pflanzenleib  niemals  bilden 
können,  werden  darum  als  anorganische  bezeichnet.  Wir  können  von  der  Mais- 
pflanze daher  mit  anderen,  kürzeren  Worten  auch  sagen,  daß  sie  aus  anorgani- 
schen Stoffen  organische  erzeugt  hat.  Sie  hat  diese,  ihr  fremdartigen  Stoffe 
sich  gleichsam  ähnlich  gemacht  oder  assimiliert  (assimilare  =  ähnlich  machen).  Da- 
her bezeichnet  man  diese  Aneignung  anorganischer  Stoffe  kurz  als  Assi- 
milation. Würden  wir  zu  unseren  Versuchen  andere  (grüne)  Pflanzen  verwenden, 
so  würden  wir  denselben  wichtigen  Vorgang  beobachten,  der  in  Feld,  Wald  und  Flur 
sich  jahraus,  jahrein  in  größtem  Maßstabe  vollzieht.  —  An  der  Maispflanze  sehen 
wir  auch,  daß  die  im  Wasser  gelösten  Nährsalze  mit  Hilfe  der  AVurzel  aufge- 
nommen werden.  Ein  Gleiches  geschieht  —  wie  wir  täglich  beobachten  können  — 
bei  der  Mehrzahl  der  Pflanzen.  (Wie  dies  geschieht,  werden  wir  jedoch  erst 
später  sehen.) 

3.  Die  Assimilation  des  Kohlenstoffs,  a)  Unsere  Versuchspflanze  bildete 
organische,  d.  h.  kohlenstoffhaltige  Verbindungen,  ohne  daß  wir  der  Nährlösung 
auch  nur  eine  Spur  von  Kohlenstoff  zugesetzt  hatten.  Aus  der  Nährlösung  kann 
sie  demnach  den  verbrauchten  Kohlenstoff  auch  nicht  erhalten  haben.  Da  sie 
außer  mit  der  Nährlösung  nur  noch  mit  der  atmosphärischen  Luft  in  Be- 
rührung gekommen  ist,  so  müssen  wir  in  ihr  die  Quelle  des  Kohlen- 
stoffs vor  uns  haben. 

Wie  allgemein  bekannt,  besteht  die  Luft  aus  etwa  79  Raumteilen  Stick- 
stoff und  21  Raumteilen  Sauerstoff,  denen  0,03— 0,04  °,d  Kohlensäure  (Kohlen- 
dioxyd, COa)  beigemischt  ist.  Die  Kohlensäure  ist  ein  farbloses  Gas,  das  be- 
kanntlich das  Schäumen  des  Bieres,  das  Aufbrausen  des  Champagners  und  der 
kohlensauren  Wasser  (Selters  u.  s.  w.)  bewirkt.  (Beweise  die  Gegenwart  von 
Kohlensäure  in  diesen  Getränken  und  der  Luft  mit  Hilfe  von  Kalkwasser!) 

b)  Wie  die  Aneignung  des  Kohlenstoffes  erfolgt,  soll  uns  wieder  ein  Ver- 
such zeigen:  wir  bringen  eine  Anzahl  Zweige  der  Wasserpest  unter  einen  Glas- 
trichter in  ein  Gefäß  mit  frischem  Brunnenwasser.  Über  die  Mündung  des 
Trichters ,  die  sich  unter  dem  Wasserspiegel  befinden  muß ,  stülpen  wir 
sodann  ein  mit  Wasser  gefülltes  Probierglas  und  setzen  endlich  den  Apparat 
dem  direkten  Sonnenlichte  aus.  Es  währt  nicht  lange,  so  steigen  von  den  Pflanzen 
Luftbläschen  empor,  die  sich  in  dem  Probierglase  ansammeln  und  daraus  schließ- 
lich alles  Wasser  verdrängen.  Ist  dies  geschehen,  so  schließen  wir  das  Glas 
unter  Wasser  mit  dem  Daumen,  nehmen  es  aus  dem  Gefäße  und  führen  einen 
glimmenden  Span  hinein.  Da  der  Span  sofort  mit  heller  Flamme  brennt, 
so  kann  das  von  den  Pflanzen  ausgeschiedene  Gas  nichts  anderes 
als  Sauerstoff  sein. 

Wie  ist  dieser  Vorgang  nun  zu  erklären?  Lassen  wir  ein  Glas  mit 
Brunnenwasser  eine  Zeitlang  ruhig  stehen,  so  bedecken  sich  die  Wände  mit 
zahlreichen  Luftbläschen.  Setzen  wir  dem  Wasser  ein  wenig  Kalkwasser  zu, 
so  entsteht  sofort  ein  weißer  Niederschlag,  ein  Zeichen,  daß  die  Luft,  die  dem 
WTasser  beigemischt  ist,  Kohlensäure  enthält.    Indem  mm  die  Pflanzen  in  unserem 


Bau  iiml   Leben  des  Blatte 


Versuche  diese  kohlensäurehaltige  Luft  aufnehmen  (wie  dies  geschieht,  werden 
wir  später  sehen!),  zerlegen  sie  zugleich  die  Kohlensäure  in  ihre  beiden  Ele- 
mente: der  Sauerstoff  wird  ausgeschieden,  der  Kohlenstoff  dagegen 
z  u  r  ü  c  k  b  ehalte  u. 

Daß  diese  Erklärung  unzweifelhaft  richtig  ist,  der  Sauerstoff  also  durch 
Zerlegung  der  Kohlensäure  gewonnen  wird,  beweisen  folgende  Tatsachen:  Ist 
in  unserem  Versuche  die  Entwicklung  des  Sauerstoffs  eine  Zeitlang  [fortgegangen, 
so  wird  sie  allmählich  schwächer,  bis 
sie  schließlich  ganz  aufhört  (die  Koh- 
lensäure ist  verbraucht!).  Leitet  mau 
in  das  Wasser  jetzt  aber  etwas  Kohlen- 
säure (durch  Zugiellen  von  ein  wenig 
Selterswasser!),  so  beginnt  die  Sauer- 
stoffausscheidung alsbald  vou  neuem. 
Oder:  bringt  man  Teile  der  Wasser- 
pest in  destilliertes,  d.  h.  kohlensäure- 
freies Wasser  (Nachweis!),  so  findet 
eine  Sauerstoffausscheidung  überhaupt 
nicht  statt. 

c)  Wie  unsere  Versuchspflanze 
verhalten  sich  alle  (grünen)  Gewächse 
der  Erde;  sie  entziehen  den  zur 
Herstellung  organischer  Kör- 
per nötigen  Kohlenstoff  der 
atmosphärischen  Luft  und  ge- 
ben ihr  den  dabei  frei  wer  de  n- 
d  e  n  Sauerstoff  zurück.  Wenn 
man  bedenkt,  welch  riesige  Menge  von 
Kohlenstoff  schon  ein  einziger  Wald 
in  seinen  Bäumen  aufspeichert,  und 
welche  Massen  davon  täglich  sämtliche 
Pflanzen  der  Erde  der  Luft  entziehen, 
so  —  sollte   man    denken   —   müßte 

selbst  dieses  gewaltige  „Kohlenstoff-Lager"  schließlich  erschöpft  werden.  I  >urch 
die  Atmung  und  Verwesung  der  unzähligen  Millionen  von  Tieren  (und  Pflanzen; 
s.  S.  390),  durch  das  Verbrennen  von  Holz  und  Kohlen  (Fabriken!)  und  durch 
die  Tätigkeit  der  Vulkane  wird  der  Verbrauch  jedoch  immer  wieder  ausgeglichen, 
so  dal)  der  Kohlensäuregehalt  der  Luft  stets  derselbe  bleibt. 

Ebenso  verhält  es  sich  mit  der  Sauerstoffmenge  der  Luft.  Sie  müßte  in- 
folge der  Assimilation  der  Pflanzen  beständig  vermehrt  werden,  wenn  nicht 
jedes  Tier  und  jeder  Mensch  mit  jedem  Atemzuge  etwas  von  dieser  „Lebensluft" 
verbrauchte,  und  wenn  nicht  bei  jeder  Verbrennung  und  Verwesung  Sauerstoff 
gebunden  würde. 


Sauerstoffausscheidung  diu 

Wasserpest. 


376  B;1U  un,l  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteüe. 

In  der  Natur  findet  also  ein  gewaltiger  Kreislauf  der  bei- 
den wichtigen  Gas  arten  statt.  Beziehen  wir  ihn  auf  die  Lebewesen,  so 
müssen  wir  sagen:  die  Luftart,  derer  die  Pflanze  bedarf  (Kohlensäure),  atmen 
Tier  und  Mensch  aus,  und  die,  welche  die  Pflanze  bei  der  Assimilation  aus- 
scheidet (Sauerstoff),  ist  für  Tier  und  Mensch  „Lebensluft".  Ohne  Pflanzen- 
leben daher  —  kein  Tier-  und  Menschenleben. 

B.   Nur    grüne   Pflanzen    und   Pflanzenteile    assimilieren. 

Alle  Pflanzen  sind  jedoch  nicht  imstande  zu  assimilieren.  Setzen  wir 
z.  B.  Kartoffelknollen  oder  Mohrrüben  in  derselben  Weise  wie  die  Wasserpest 
dem  Lichte  aus,  so  tritt  keine  Sauerstoffausscheidung  ein.  Es  findet  also  auch 
keine  Assimilation  statt.  Oder  ein  anderer  Versuch:  Setzen  wir  einen  Mais- 
keimling in  eine  Nährlösung,  der  jedoch  das  Eisen  fehlt,  so  entwickelt  sich  an- 
fangs ein  gesundes  Pflänzchen.  Nachdem  das  dritte  oder  vierte  Blatt  entfaltet 
ist,  stellen  sich  aber  Krankheitserscheinungen  ein:  die  sich  jetzt  bildenden 
Blätter  bleiben  vollkommen  weiß,  und  das  Pflänzchen  wird  immer  schwächlicher, 
bis  es  schließlich  eingeht.  Wie  die  mikroskopische  Untersuchung  zeigt,  sind  in 
den  bleichen  Blättern  keine  Blattgrünkörper  zu  finden.  Setzen  wir  aber  der 
Nährlösung  einer  zweiten  „bleichsüchtigen"  Versuchspflanze  einige  Tropfen  ver- 
dünnter Eisenchloridlösung  zu,  so  fangen  oft  schon  nach  zwei  Tagen  die  weißen 
Blätter  an,  grün  zu  werden;  nach  wieder  einigen  Tagen  sind  sie  bereits  von 
anderen  grünen  Maisblättern  nicht  zu  unterscheiden,  und  nunmehr  schreitet 
die  Entwicklung  der  Pflanze  ungehindert  fort.  Auf  dünnen  Querschnitten  durch 
ein  Blatt  finden  wir  jetzt  zahlreiche  Blattgrünkörper.  Diese  Versuche  beweisen 
nicht  nur,  daß  zur  Bildung  des  Blattgrüns  Eisen  notwendig  ist,  sondern  auch, 
daß  die  Assimilation  an  das  Vorhandensein  des  Blattgrüns  gebun- 
den ist. 

Alle  grünen  Teile  der  Pflanze  (nenne  solche!)  vermögen  also  diese  Ar- 
beit zu  leisten.  Da  nun  die  Laubblätter  besonders  reich  an  Blattgrün  sind, 
stellen  sie  auch  die  bei  weitem  wichtigsten  Ernährungswerkzeuge  der 
Pflanze  dar.  Diese  Erkenntnis  macht  es  uns  z.  B.  verständlich,  warum 
Bäume  eingehen  („verhungern"),  wenn  sie  durch  Raupenfraß  wiederholt  alles 
Laub  verlieren,  oder  warum  das  in  vielen  Gegenden  übliche  Abblättern  der 
Rüben  die  Pflanzen  in  ihrer  Entwicklung  hemmt  u.  s.  w. 

1.  Die  Teile  der  grünen  Pflanzen,  die  des  Blattgrüns  entbehren, 
vermögen  daher  auch  nicht,  anorganisches  Material  in  organisches  überzuführen. 
Die  Wurzeln,  die  Blumenblätter,  die  mit  dicker  Borke  umkleideten  Stämme  u.  dgl. 
müssen  daher  von  den  grünen  Teilen  ernährt  und  von  den  dort  bereiteten  Stoffen 
aufgebaut  werden. 

2.  In  derselben  Lage  befinden  sich  auch  die  blattgrünfreien  (oder 
sehr  blattgrünarmen)  Pflanzen.  Sie  sind  genötigt,  die  zum  Leben  und  Auf- 
bau ihres  Körpers  notwendigen  Stoffe  in  assimiliertem,  fertigem  Zustande  auf- 
zunehmen.    Daher  sind  diese  Pflanzen  Schmarotzer  oder  Fäulnisbewohner,   wie 


Bau  und   Leben  de*  Blattes.  377 

wir  das  an  den  Pilzen,  sowie  an  den  bleichen  Gestalten  aus  der  großen  Ab- 
teilung- der  Blutenpflanzen  gesehen  haben,  an  der  Flachsseide,  dem  Fichten- 
spargel, der  Nestwurz  u.  a.  —  Eine  Ausnahme  von  dieser  Regel  bilden  jedoch, 
wie  wir  bereits  früher  bemerkt  haben  (s.  S.  349,  d),  gewisse  Spaltpilze,  die,  ob- 
wohl ohne  Blattgrün ,  doch  imstande  sind  zu  assimilieren. 

3.  Dies  gilt  endlich  auch  für  die  zahllosen  Tiere  und  Menschen,  die 
die  Erde  bevölkern.  Keines  dieser  Wesen  ist  imstande,  sich  von  Wasser,  Nähr- 
salzen und  Kohlensäure  zu  ernähren.  Alle  sind  auf  die  organischen  Stoffe  an- 
gewiesen, die  von  der  grünen  Pflanze  bereitet  werden.  Der  Kohlenstoff  ist  in 
der  Natur  also  beständig  auf  einer  Wanderung  begriffen,  die  immer  wieder  nach 
dem  Ausgangspunkte  zurückführt:  aus  der  Kohlensäure  der  Luft  geht  er  zu- 
erst in  die  grüne  Pflanze  über,  baut  dann  den  Leib  der  Menschen  oder  der 
pflanzenfressenden  Tiere  auf,  wandert  weiter  von  den  Pflanzenfressern  in  den 
Körper  der  Menschen  und  Fleischfresser  und  geht  endlich  in  der  von  Mensch  und 
Tier  ausgeatmeten  Kohlensäure  wieder  in  die  atmosphärische  Luft  zurück.  Ohne 
Pflanzenleben  kann  es  also  auch  aus  diesem  Grunde  weder  Tier-  noch  Menschen- 
leben geben.  —  Diese  Tatsachen  machen  uns  auch  verständlich,  warum  Pflanzen- 
reiche Gebiete  stets  ein  reiches  Tierleben  haben  und  vielfach  dicht  von  Men- 
schen bewohnt  sind  (Beispiele !),  und  warum  umgekehrt  die  an  Pflanzen  ärmsten 
Gegenden  des  Erdballs  (Wüsten,  Polarzonen,  Eisregionen  der  Hochgebirge)  am 
wenigsten  bevölkert  sind. 

C.   Die   Assimilation   erfolgt   nur   im   Lichte. 

Die  grünen  Pflanzen  sind  jedoch  wieder  nur  unter  gewissen  Bedingungen 
imstande  zu  assimilieren.  Verwehren  wir  den  Sonnenstrahlen,  zu  den  Wasser- 
pestpflanzen zu  treten  —  wir  brauchen  nur  die  Hand  vor  das  Gefäß  zu  halten 
oder  es  sonstwie  zu  verdunkeln  — ,  so  hört  die  Sauerstoffausscheidung,  also  die 
Assimilation,  sofort  auf.  (Weitere  Versuche,  die  diese  Tatsache  in  noch  größerer 
Deutlichkeit  zeigen,  s.  S.  386  u.  S.  388.)  Ebenso  wenig  vermögen  Pflanzen, 
die  unter  normalen  Verhältnissen  grün  sind,  diese  wichtige  Tätigkeit  zu  ent- 
falten, wenn  sie  sich  im  Dunkeln  entwickeln.  Folgender  Versuch  wird  uns  dies 
zeigen :  Wir  lassen  einige  Maiskörner  keimen ,  die  wir  zuvor  genau  gewogen 
haben,  und  setzen  zwei  davon  wieder  in  je  ein  Glas  mit  Nährlösuug.  Beide 
Gefäße  stellen  wir  nebeneinander  (gleiche  Lebensbedingungen !),  überdecken  aber 
das  eine  mit  einem  Pappkasten,  so  daß  das  Pflänzchen  ohne  Licht  heranwächst. 
Nach  einigen  Wochen  nehmen  wir  die  Pflanzen  aus  den  Gefäßen,  trocknen  sie 
(unter  den  gleichen  Bedingungen!)  und  stellen  ihr  Trockengewicht  fest.  Es 
ergibt  sich,  daß  die  im  Dunkeln  gewachsene  Pflanze  an  Gewicht  verloren,  die 
andere  dagegen  stark  gewonnen  hat.  Demnach  findet  eine  Stoff  Vermehrung 
in  der  Pflanze,  eine  Assimilation  nur  in  Gegenwart  von  Licht  statt. 

So  wenig  die  Maschinen  in  den  Fabriken  selbst  klopfen  und  hämmern, 
selbst  spinnen  und  weben,  selbst  pressen  und  heben  —  so  wenig  vermögen  die 
Pflanzen  also  von  selbst  aus  anorganischem  Materiale   organische  Stoffe  zu  be- 


(J78  ß;iu  und  Leben  der  einzelnen   Pflanzenteile. 

reiten.  Wie  die  Maschinen  jene  Arbeiten  nur  leisten  können,  wenn  sie  durch 
die  Kraft  des  Dampfes,  des  fließenden  Wassers  oder  dgl.  in  Bewegung  versetzt 
werden,  so  vermögen  die  blattgrünführenden  Zellen  auch  nur  zu  assimilieren, 
wenn  sie  von  den  Strahlen  der  Sonne  durchleuchtet  werden:  die  Zellen  sind 
also  die  Werkzeuge,  derer  sich  die  Sonne  bedient,  um  organische  Stoffe  zu 
bereiten.  Von  der  Sonne  hängt  somit  alles  Leben  ab,  das  Pflanzenleben 
sowohl,  wie  das  Tier-  und  Menschenleben.  Mit  Recht  bezeichnen  wir  sie  daher 
als  die  „Lebenserregerin",  als  —  die  „Mutter  des  Lebens".  Ohne  sie  wäre  die 
Erde  ein  in  Eis  erstarrter,  unbelebter  Ball. 

1.  In  dunklen  Räumen  (Höhlen  und  dgl.)  vermögen  daher  auch  keine 
grünen  Pflanzen  zu  gedeihen,  während  Schmarotzer  und  Fäulnisbewohner  (Pilze 
im  Holze  der  Bergwerke  und  dgl.)  dort  wohl  leben  können.  Daher  ist  ferner 
der  Pflanzenwuchs  in  engen  Schluchten ,  am  Grunde  dichter  Wälder,  unter  be- 
laubten Bäumen  (im  Garten!)  und  dgl.  umso  dürftiger,  je  weniger  Lichtstrahlen 
ihren  Weg  bis  zum  Boden  herab  finden.  Daher  vermögen  endlich  auch  die 
Pflanzen  in  solchen  Zimmern  nicht  zu  gedeihen,  in  denen  sie  oft  kaum  einen 
Sonnenstrahl  erhalten  (vgl.  S.  392). 

2.  Die  Tatsache,  daß  die  blattgrünführende  Zelle  nur  im  Lichte  organische 
Stoffe  bilden  kann,  macht  uns  zahlreiche  Einrichtungen  im  Bau  der 
Pflanze  leicht   verständlich. 

a)  Pflanzenteile,  die  Blattgrün  besitzen  (Beispiele!),  finden  sich  nur  im 
Lichte.  Stamm  und  Zweige  als  die  Träger  der  wichtigsten  Werkzeuge  der 
Assimilation,  der  Blätter,  erheben  sich  daher  über   den  Erdboden. 

b)  Blattgrün  bildet  sich  nur  in  den  äußeren  Teilen  der 
Pflanze,  in  die  das  Licht  eindringen  kann  (untersuche  daraufhin  z.  B.  Stenge], 
Fruchtknoten,  unreife  Früchte!). 

c)  Zellen,  die  Blattgrün  enthalten  oder  über  solchen  liegen,  haben  glas- 
helle Wände,  um  dem  Lichte  den  Eintritt  in  das  Innere  zu  gestatten. 

d)  Sollen  die  Zellen  der  Laubblätter  alle  durchleuchtet  werden,  so 
müssen  sie  in  einer  möglichst  großen  Fläche  ausgebreitet  sein.  Die  Blätter 
sind  daher  (bis  auf  wenige  Ausnahmen)  fläch  enförm  ige  Gebilde,  die 
sich  mit  Lichtschirmen  vergleichen  lassen. 

e)  Schattenpflanzen  müssen  sich  mit  stark  gedämpftem  Lichte  be- 
gnügen. Dieser  Nachteil  wird  zumeist  durch  große  und  dünne  Blätter  aus- 
geglichen; denn  große  Blattflächen  vermögen  auch  ein  große  Anzahl  von  Licht- 
strahlen aufzufangen,  und  dünne  Blätter  können  selbst  von  schwachem  Lichte 
noch  durchleuchtet  werden  (zahlreiche  Waldpflanzen).  (Beobachte  hierauf  auch 
Pflanzen  derselben  Art  an  verschiedenen  Standorten,  z.B.  Gartenbohne  und 
Rotbuche !) 

f)  Die  Blätter  fangen  die  meisten  Lichtstrahlen  auf,  wenn  sie  sich  senk- 
recht zur  Richtung  des  einfallenden  Lichtes  stellen  (s.  Abb.  S.  44). 
Wichtig  hierfür  ist  der  Besitz  eines  langen,  beweglichen  Blattstiels,  der  die  Blatt- 
fläche  in  diese  Lage  bringt  und  darin  erhält  (s.  z.  B.  Weinstock). 


Bau  und   Leben  des  Blattes.  379 

g)  Am  besten  muß  die  Pflanze  gedeihen,  wenn  alle  Blätter  die  ihnen  ob- 
liegenden Arbeiten  erfüllen.  Dazu  ist  aber  notwendig,  daß  aucb  alle  des  Lichtes 
teilhaftig-  werden.  Wie  wir  bei  der  Betrachtung'  der  einzelnen  Pflanzen  bereits 
gesehen  haben,  wird  dies  durch  sehr  verschiedene  Mittel  erreicht,  die 
hier  übersichtlich  zusammengestellt  sein  mögen: 

1.  Die  unteren  Blätter  der  Zweige  (Roßkastanie)  oder  der  ganzen  Pflanze  (Schar- 
bockskraut) sind  vielfach  grüßer  oder  länger  gestielt  als  die  oberen.  2.  Die  unteren 
Zweige  sind  in  der  Kegel  länger  als  die  oberen.  Infolgedessen  erhalten  die  Pflanzen  eine 
pyramidenförmige  Gestalt  oder  Krone  (Fichte).  :!.  Blätter,  die  dem  Boden  anfliegen,  sind 
zu  einer  Rosette  geordnet  (Wegerich).  4.  Dasselbe  -ilt  für  die  unteren  Blätter  vieler 
hochstengeliger  Pflanzen;  die  anderen  Blätter  dieser  Pflanzen  richten  sich  immer  steiler 
auf,  je  höher  sie  am  Stengel  stehen  (Königskerze).  5.  Ähnliche  Richtung  besitzen  die 
Zweige  vieler  Bäume  (Schwarzpappel).  6.  An  wagerechten  Zweigen  werden  die  Blätter 
vielfach  in  eine  Ebene  gestellt.  Da  die  Blätter  zudem  oft  noch  verschieden  groß  und  ver- 
schieden langgestielt  sind,  entsteht  oft  eine  deutliche  Mosaik  (Rolikastanie).  7.  Einige 
Blatter  sind  unsymmetrisch,  fügen  sich  daher  leichter  aneinander  (Linde).  8.  Bei  wagerecht, 
liegenden  Stengeln  und  Zweigen  tritt  vielfach  eine  Drehung  der  Stengelglieder  ein  (Gunder- 
mann). 9.  Ebenso  sind  nicht  selten  Drehungen  der  Blattstiele  zu  beobachten  (Weinstock). 
10.  Große  Blätter  sind  oft  tief  geteilt,  gelappt,  aus  kleineren  Blättchen  zusammen- 
gesetzt u.  dgl.  (Wurmfarn).  Auf  diese  Weise  werden  für  die  unteren  Blätter  Lichtdurch- 
lässe geschaffen.  11.  Große  Blätter  sind  am  Stengel  weiter  auseinandergerückt  als  kleine 
(Kürbis  und  Gurke).  12.  Die  Blätter  sind  am  Stengel  gegenständig,  kreuzständig,  quirl- 
ständig oder  in  einer  Schraubenlinie  angeordnet  (s.  S.  371).  In  letzterem  Falle  finden 
sich  auf  jeder  Schraubenwindung  meist  umso  mehr  Blätter,  je  schmaler  sie  sind, 
oder  anders  ausgedrückt:  breite  Blätter  haben  vielfach  1I2-  oder  ^-Stellung;  schmalere 
-/:,-  oder  3/s-Stellung  u.  s.  w.  i  Weiden),     i  Gib  zu  den  einzelnen  Fällen  weitere  Beispiele  an!) 

D.  Die  Assimilation  und  der  feinere  Bau  des  Laubblattes. 

1.  Die  Zellschichten  des  Laubblattes.    Stellen  wir  durch  ein  Laubblatt, 

z.  IL  vom  Klee,  dünne  Querschnitte  her,  so  sehen  wir  bei  mikroskopischer  Be- 
trachtung, daß  das  Blatt  aus  mehreren,  deutlich  voneinander  getrennten  Zell- 
schichten aufgebaut  ist.  An  der  Oberfläche  breiten  sich  platte  Zellen  aus,  die  im 
Querschnitte  rechtwinkelig  sind.  Sie  stellen  die  sog.  Oberhaut  (Epidermis) 
des  Blattes  dar.  Darunter  flndet  sich  eine  Schicht  langgestreckter  Zellen,  die 
wie  die  Pfähle  eines  Pfahl-  oder  Palisadenwerkes  dicht  nebeneinander  stehen  und 
die  darum  sog.  Palisadenschicht  bilden.  An  diese  Schicht  legen  sich  Zellen 
einer  dritten  Schicht.  Sie  sind  von  unregelmäßiger  Form  und  treten  soweit  aus- 
einander, daß  sich  zwischen  ihnen  große  luftgefällte  Räume  (s.  S.  367, 3)  wie  in 
einem  Badeschwamme  finden.  Unter  dieser  „Schwammschicht"  folgt  als  Abschluß 
des  Blattes  nach  unten  endlich  wieder  eine  Oberhaut.  (Es  gibt  aber  auch 
Blätter,  bei  denen  die  beiden  mittleren  Schichten  eine  andere  Ausbildung  zeigen. ) 

2.  Das  Blattgrün  und  die  Blattgrünkörper,  a)  Wie  wir  gesehen  haben, 
ist  die  Assimilation  an  das  Vorhandensein  von  Blattgrün  oder  Chlorophyll  ge- 
bunden.    Die  Träger   dieses  wichtigen  Farbstoffes,    die  Blattgrün-  oder  Chloro- 


380 


Bau  und  Lehen  der  einzelnen   Pflanzenteile. 


//.     K. 


phyllkörper  (s.  S.  361),  finden  sich  in  großer  Anzahl  in  den  beiden  mittleren 
Zellschichten.  Besonders  reich  daran  sind  die  Zellen  der  Palisadenschicht.  Sie 
bilden  daher  das  eigentliche  „Assimilationsgewebe"  und  finden  sich,  ihrer  Auf- 
gabe entsprechend,  dort,  wo  sie  dem  Licht  am  meisten  ausgesetzt  sind,  nämlich 
an  der  Oberseite  des  Blattes.  Der  größere  Reichtum  an  Blattgrün,  den  diese 
Zellen  besitzen,  macht  uns  auch  verständlich,  warum  die  Oberseite  des  Blattes  in 
der  Regel  dunkler  gefärbt  ist  als  die  Unterseite. 

b)  Säen  wir  Getreidekörner  in  einen  Blumentopf,  den  wir  mit  einem  Papp- 
kasten überdecken,  so  entwickeln  sich  zarte,  gelb  gefärbte  Pflänzchen,  die  auch 

bei  längerem  Verweilen 
im  Dunkeln  nicht  er- 
grünen. Beseitigen  wir 
aber  den  Pappkasten, 
so  daß  das  Licht  freien 
Zutritt  zu  den  Pflanzen 
erhält,  so  ergrünen  sie 
alsbald,  ein  Zeichen, 
daß  (von  einigen  Aus- 
nahmen abgesehen) 
das  Blattgrün 
unter  dem  Ein- 
flüsse des  Lichtes 
entsteht. 

c)  Das  Blattgrün 
läßt  sich  leicht  ge- 
winnen, wenn  man 
grüne  Blätter  (junge 
Getreidepflanzen)  eine 
Zeit  lang  in  Wasser 
kocht  und  sodann  in 
heißen  Alkohol  legt. 
Setzt  man  einen  Teil 
der  gewonnenen  Flüs- 
sigkeit, die  bei  durchfallendem  Lichte  tiefgrün  (bei  auffallendem  infolge  von 
Fluoreszenz  dagegen  blutrot)  gefärbt  ist,  dem  direkten  Sonnenlichte  aus,  so  geht 
das  Grün  sehr  bald  in  schmutziges  Braun  über.  Der  andere  Teil  der  Lösung 
dagegen,  den  wir  im  Dunkeln  aufbewahren,  behält  die  grüne  Färbung  noch 
lange  Zeit.  Das  Blattgrün  wird  also  durch  die  grellen  Sonnen- 
strahlen  zerstört. 

Dieser  Vorgang  muß  natürlich  auch  in  der  Pflanze  eintreten.  Da  sie 
aber  beständig  grün  erscheint,  so  muß  sich  das  Blattgrün  in  dem 
Maße,  in  dem  es  zerstört  wird,  fortgesetzt  neu  bilden.  Ist 
die  Zerstörung  größer  als  die  Neubildung,  so  beginnt  die  Pflanze  zu  kränkeln, 


Querschnitt  durch  ein  Laubblatt  vom  Klee.     <>.  Oberhaut; 

P.  Palisadenschicht :  S.  Schwammschicht ;  H.  und  B.  Holz-. 
bezw.  Bastteil  eines  Getaßbündels  (s.  später);  K.  Zellen  mit 
Kristallen    von  Kleesalz:    Sp.  Spaltöffnung.     (Vergr.  320 mal.) 


Bau 


m  des  Blatte 


381 


bis   sie    schließlich    zugrunde    geht;    denn    ohne    Blattgrün    gibt    es    ja    keine 

Assimilation. 

Die  grünen  Pflanzen  müssen  daher  gegen  ein  Übermal)  von  Licht  ge- 
schützt sein.  Besonders  gilt  dies  für  junge  Blätter,  die  das  Blattgrün  nicht 
so  schnell  wieder  ersetzen  könnten,  wie  es  zerstört  werden  würde.  Bei  ihnen 
tinden  sich  daher  in  den  Zellen  vielfach  (z.  B.  beim  Kirschbaum,  beim  Rhabarber, 
bei  der  Rose  und  vielen  anderen)  rote 
Farbstoffe,  die  das  Licht  aufsangen 
und  dessen  zerstörende  Kraft  somit  ab- 
schwächen. Ist  das  Blatt  vollkommen  aus- 
gebildet, so  macht  die  Rotfärbung  den 
Schutzmitteln  Platz,  die  dem  Blatte  wäh- 
rend des  ganzen  Lebens  vonnöten  sind, 
und  die  wir  sofort  kennen  lernen  werden. 

3.  Die  Oberhaut,  ein  Schutz- 
organ. Ritzt  man  die  Oberhaut  eines 
Blattes  (z.  B.  eines  Liliengewächses)  mit 
einer  Nadel  auf,  so  lassen  sich  Teilchen 
davon  mit  Hilfe  einer  Pinzette  als  zarte 
Hautstückchen  leicht  abziehen.  Unter 
dem  Mikroskope  erkennen  wir  dann,  daß 
die  Oberhautzellen  die  Form  von  Platten 
haben.  Sie  schließen  stets  so  eng  und  Ein  Stück  von  der  Oberbaut  eines 
fest  aneinander,  daß  sie  sich,  wie  wir  Blattes  des  Alpenveilchens  (Flächen- 
soeben  gesehen  haben,  nur  als  zusammen-  ansieht).  S.  Schließzellen  der  Spalt 
hängende  Schicht,  als  eine  feine  Haut  Öffnungen;  s.S.  383.  (Vergr.  200malO 
(Name!)  von  den  darunter  liegenden  Zellen  trennen  lassen.  Vielfach  (z.  B.  bei 
der  Kartoffel,  dem  Wurmfarn,  dem  Alpenveilchen  u.  v.  a.)  greifen  sie  noch  durch 
Vorsprünge  und  Einschnitte  ineinander,  so  daß  sie  gleichsam  „verzahnt"  er- 
scheinen. 

Den  Innen  räum  der  Zellen  nimmt  zum  weitaus  größten  Teile  farbloser 
Zellsaft  ein.  Daher  sind  alle  Teile,  die  von  der  Oberhaut  überzogen  werden, 
wie  von  einem  Wassermantel  umgeben. 

Die     Außen- 


w  ä  n  d  e  sind,  wie  man 
an  jedem  Blattquer- 
schnitte sehen  kann, 
stets  verdickt  und 
durch  Einlagerung 
wasserdichter,  fett- 
artiger Stoffe  ausge- 
zeichnet. Die  äußerste, 
an   diesen  Stoffen   be- 


„-  K. 


Querschnitt  durch  die  Oberbaut   eines  Blattes.     0.  Ober- 
haut :      K.     Korkhautehen.       Unter    der    Oberhaut     Teile     von 

Zellen  mit   Blattgrunkörpern,     (Vergr.  600 mal.) 


::s2  Bau  and   Lehen  der  einzelnen   Pflanzenteile. 

sonders  reiche  Schicht  erscheint  als  ein  dünnes  Häutchen  (Korkhäutchen  oder 
Kutikula ),  das  sich  ohne  Unterbrechung  über  die  ganze  Außenfläche  der  Oberhaut 
hinwegzieht.  Setzt  man  einem  Blattquerschnitte  konzentrierte  Schwefelsäure 
zu,  so  werden  alle  Teile  aufgelöst.  Nur  das  Häutchen  bleibt  zurück,  ein  Zeichen 
für  seine  außerordentliche  Widerstandsfähigkeit. 

Die  ( »berhaut  ist  also  ein  Gewebe  von  großer  Festigkeit,  und  hierin  liegt 
auch  in  erster  Linie  ihre  Bedeutung-:  ihre  Zellen  bilden  gleichsam  eine 
„lebende  Mauer",  unter  derem  Schutze  die  anderen  Bürger  des  „Zell- 
staates" ihre  friedlichen  Arbeiten  verrichten  können.  Untersuchen 
wir  dies  näher! 

a)  Die  Assimilationswerkzeuge,  d.  h.  die  Zellen  der  Palisaden-  (und  Schwamm- ) 
schiebt,  sind  außerordentlich  zarte,  dünnwandige  Gebilde.  Jeder  W  i  n  d  s  t  o  ß 
würde  sie  zerfetzen,  und  jeder  heftig  auf  schlagende  Regen  tropf  en 
vernichten,  wenn  sie  nicht  unter  der  widerstandsfähigen  Oberhaut  Schutz 
fänden.  Daher  besitzen  auch  zahlreiche  Tropenpflanzen,  die  täglich  überaus 
heftigen  Regengüssen  ausgesetzt  sind,  eine  so  dickwandige  Oberhaut,  daß  die 
Blätter  lederartig  erscheinen  (z.  B.  Palmen).  (Wie  schützen  wir  dünnwandige, 
leicht  zerbrechliche  Gegenstände?) 

b)  Lägen  die  zarten  Assimilationswerkzeuge  frei  da,  so  würden  sie  in  kurzer 
Zeit  soviel  Wasser  durch  Verdunstung  verlieren,  daß  sie  vertrocknen, 
d.  h.  ihre  Tätigkeit  bald  einstellen  müßten.  Da  sie  aber,  wie  wir  gesehen,  unter 
einem  Wassermantel  liegen,  und  da  die  Außenhaut  der  Oberhautzellen  durch 
Einlagerung  fettartiger  Stoffe  für  Wasserdampf  nur  wenig  durchlässig  ist,  so 
vermögen  zahlreiche  Pflanzen  selbst  an  sehr  trockenen  Orten  zu  bestehen  (Beispiele ! ) 
Zu  diesen  beiden  Schutzmitteln  treten  vielfach  noch  zahlreiche  andere,  die  eine  zu 
starke  Verdunstung  im  allgemeinen  zu  verhindern  haben,  und  die  S.  3D6  zusammen- 
gestellt sind.  (Wie  halten  wir  Gegenstände  feucht?  Stelle  mit  Hilfe  der  Wage 
fest,  wieviel  Wasser  ein  geschälter,  d.  h.  der  Oberhaut  beraubter  und  ein  un- 
geschälter Apfel  in  einer  gewissen  Zeit  durch  Verdunstung  verlieren!).  —  Pflanzen, 
die  untergetaucht  im  Wasser  leben  (Wasserpest,  Hornblatt  u.  a.),  sind  der  Ge- 
fahr des  Vertrocknens  nicht  ausgesetzt.  Sie  haben  daher  auch  nur  eine  sehr 
zarte  Oberhaut.  Aus  dem  Wasser  genommen,  vertrocknen  sie  dementsprechend 
auch  in  ganz  kurzer  Zeit. 

c)  Die  Assimilationswerkzeuge  müssen  —  wie  bereits  erwähnt  —  auch  gegen 
zu  grelles  Licht  geschützt  sein.  Pflanzen,  die  an  sehr  sonnigen  Orten  ge- 
deihen (z.  B.  Königskerze,  Beifuß,  Edelweiß  u.  v.  a.),  sind  vielfach  mit  Haar- 
decken überzogen,  die  gleich  den  Fenstervorhängen  als  Lichtdämpfer  wirken. 
Andere  „Sonnenpflanzen"  (vor  allen  Dingen  zahlreiche  Gewächse  des  Mittel- 
meergebietes und  der  heißen  Zone;  Beispiele!)  haben  glatte,  glänzende  Blätter, 
d.  h.  solche,  deren  Oberhaut  viele  Lichtstrahlen  zurückwirft.,  (Wie  schützen  wir 
Gegenstände,  z.B.  Möbelbezüge,  Decken  u.  dgl.,  damit  sie  nicht  bleichen,  d.  h. 
damit  die  Farbstoffe  in  ihnen  nicht  durch  die  Sonnenstrahlen  zerstört  werden?) 


Bau   und   Üben  des  Blattes.  383 

d)  Wie  alle  Lebenserscheinungeo  der  Pflanzen  (und  Tiere!)  gehl  auch  die 
Assimilation  nur  bei  einer  gewissen  Wärme  vnr  sich.  Sinkt  die  Temperatur 
zu  tief,  so  stellen  die  Zellen  ihre  Tätigkeil  ein  (unsere  Pflanzen  im  Winter!). 
Steigt  sie  zu  hoch,  dann  geschieht  dasselbe.  (  Lege  Getreidekörner  etwa  l.">  Minuten 
lang  in  Wasser,  das  auf  60 — 70°  erwärmt  ist.  Die  Körner  keimen  ausgesät  nicht; 
ihre  Keimlinge  sind  durch  die  hohe  Temperatur  getötet.)  Da  Wasser  die  Winnie 
sehr  lange  zurückhält  (Versuch!),  so  schützt  der  Wassermantel  der  Oberhaul 
die  Assimilationswerkzeuge  besonders  nachts  gegen  zu  starke  Abkühlung, 
und  da  er  zahlreiche  Wärmestrahlen  einsaugt,  an  heißen  Tagen  gegen  zu  große 
Erwärmung.  (Wie  schützen  wir  Gegenstände  gegen  zu  schnellen  Wärmever- 
lust oder  gegen  zu  starke  Erwärmung?) 

4.  Die  Durchlüftung  der  assimilierenden  Pflanzenteile.  Wir  haben 
gesehen,  daß  der  gesamte  Kohlenstoff  des  Pflanzenkörpers  aus  der  Kohlensäure 
der  atmosphärischen  Luft  stammt.  Die  Luft  enthält  aber  —  wie  gleichfalls  schon 
früher  bemerkt  wurde  —  nur  etwa  0,0.'] — 0,()4"/o  dieses  Gases,  d.  h.  in  10000  1 
Luft  sind  nur  3—4  1  Kohlensäure  im  Gewichte  von  etwa  7  g  enthalten.  Davon 
entfallen  aber  wieder  nur  B/n  des  Gewichtes  auf  den  Kohlenstoff,  d.  h.  also  2l/n 
oder  noch  nicht  ganz  2  g.  Um  diese  geringe  Menge  von  Kohlenstoff  zu  ge- 
winnen, muß  die  Pflanze  also  10000  1  Luft  von  ihrer  Kohlensäure  befreien. 
Sicher  eine  gewaltige  Arbeit !  Wenn  wir  nun  bedenken,  wievielmal  2  g  Kohlen- 
stoff schon  in  einer  mäßig  großen  Pflanze  (Kartoffel!),  geschweige  denn  in  einem 
Waldbaume  aufgespeichert  sind,  so  können  wir  uns  ungefähr  eine  Vorstellung 
davon  machen,  welche  riesige  Luftmenge  die  Pflanze  gleichsam  „verarbeiten" 
muß,  um  den  wichtigen  Rohstoff  zu  gewinnen. 

Die  Zellen,  die  diese  Arbeit  zu  leisten  haben,  können  daher  nicht  eng 
genug  mit  der  atmosphärischen  Luft  in  Berührung  kommen.  Da  aber  —  wie 
wir  soeben  gesehen  haben  —  die  zarten,  leicht  verletzlichen  Werkzeuge  nicht 
frei  daliegen  dürfen,  so  muß  die  Luft  in  das  Innere  der  Pflanze 
eintreten   können. 

a)  Die  Oberhaut  der  grünen  Pflanzenteile  besitzt  zu  diesem  Zwecke  eine  große 
Anzahl  feinster  Offnungen,  die  man  nach  ihrer  Form  Spaltöffnungen  nennt 
(s.  Abb.  S.  38 1).  Sie  werden  von  je  zwei  halbmondförmigen  Zellen,  den  sog.  Schließ- 
zellen, gebildet,  die  meist  einige  Blattgrünkörper  enthalten.  (Näheres  über 
diese  Zellen  und  ihre  Bedeutung  s.  S.  399).  Da  die  grünen  Blätter  die  Haupt- 
nahrungswerkzeuge der  Pflanze  bilden,  so  sind  sie  auch  besonders  reich  an 
Spaltöffnungen.  So  besitzt  z.  B.  ein  mittelgroßes  Kohlblatt  etwa  11  Millionen 
und  ein  Blatt  der  Sonnenrose  gar  14  Millionen  dieser  winzigen  Öffnungen. 
(Führe  solche  Berechnungen  aus,  indem  du  feststellst,  welchen  Flächeninhalt  das 
betreffende  Blatt  und  wieviel  Spaltöffnungen  es  auf  jedem  Quadratmillimeter  hat!) 

Werden  die  Spaltöffnungen  verstopft,  so  muß  auch  der  Luttaustausch 
zum  Stillstande  kommen.  Sie  finden  sich  daher,  gegen  Tau  und  Regen  wohl 
geschützt,  in  der  Regel  auf  der  Blattunterseite.  Bei  der  Seerose  und  anderen 
Pflanzen  mit  Schwimmblättern    dagegen   sind  sie  auf  die  Oberseite  angewiesen. 


384  Bau  und  Leben  der  einzelnen    Pflanzenteile. 

Einrichtungen,  die  eine  längere  Benetzung  des  Blattes  und  damit  einen  Ver- 
schluß der  Spaltöffnungen  verhindern,  werden  wir  später  noch  kennen  lernen 
(s.  S.  396,  d). 

b)  Die  durch  die  Spaltöffnungen  eintretende  Luft  verteilt  sich  in  den 
Zwischenzellräumen,  so  daß  alle  Zellen,  die  an  diesen  Kanälen  liegen, 
von  ihr  umflossen  werden.  Da  nun  in  den  Zellen  gleichfalls  Luft  enthalten  ist, 
die  aber  eine  etwas  andere  Zusammensetzung  zeigt  (denke  an  die  Zerlegung 
der  Kohlensäure!),  so  muß  nach  dem  Gesetze  der  Osmose  (s.  S.  362)  ein  Austausch 
zwischen  beiden  „Luftarten"  stattfinden.  Infolge  dieses  Vorganges  wird  aber 
die  Luft  in  den  Zwischenzellräumen  verändert,  und  darum  muß  auch  durch 
die  Spaltöffnungen  ein  beständiger  Austausch  von  Außen-  und  Innenluft 
erfolgen. 

c)  Der  Austausch  durch  die  Wände  der  Assimilationszellen  geht 
nun  umso  schneller  von  statten,  als  sie  —  wie  wir  schon  gesehen  haben  — 
außerordentlich  zart  und  dünn  sind.  Die  mehrfach  erwähnte  Schutz- 
bedürftigkeit dieser  Zellen  liegt  also  in  ihrer  Aufgabe  begründet. 

d)  Je  mehr  die  Blattzellen  ausgebreitet  sind,  eine  umso  größere  Ober- 
fläche bieten  sie  auch  der  Luft  dar.  (Wiederhole  den  S.  79,  c  angegebenen 
Versuch!)  Die  „flächenförmige"  Gestalt  der  meisten  Blätter  ist  also 
nicht  nur  für  die  Durchleuchtung  (s.  S.  378,  d),  sondern  auch  für  die  Durch- 
lüftung von  größter  Wichtigkeit. 

5.  Die  Blattnerven.  a)  Die  Zellschichten  des  Blattes  bilden  für  sich 
allein  einen  Körper  von  größter  Zartheit.  Sollen  sie  ausgebreitet  sein,  wie 
dies  für  die  Erfüllung  ihrer  Aufgabe  durchaus  nötig  ist,  so  bedürfen  sie 
(besonders  bei  größeren  Blättern)  wie  der  Überzug  des  Regenschirms 
eines  festen  Gerüstes,  zwischen  dessen  Teilen  (Schirmstäben)  sie 
ausgespannt  sind.  Dieses  Gerüst  stellen  die  Blattnerven  oder  Blatt- 
adern dar. 

Für  die  sehr  schmalen  Blätter  der  Nadelhölzer  genügt  schon  eine  einzige 
Längsstütze:  ein  Mittelnerv  ohne  Verzweigung.  Bei  den  gleichfalls  oft 
recht  schmalen  Blättern  der  einkeimblättrigen  Pflanzen  (Gräser,  Lilien  u.  a.), 
finden  sich  —  wie  wir  schon  S.  370  gesehen  haben  —  in  der  Regel  mehrere 
Längsnerven,  die  mit  dem  Hauptnerven,  der  Mittelrippe,  parallel  laufen.  Bei 
den  zweikeimblättrigen  Gewächsen  dagegen,  die  in  der  Regel  breite  Blätter  be- 
sitzen, tritt  durch  den  Blattstiel  meist  nur  ein  Hauptnerv  ein,  der  sich  wie  ein 
Baum  in  immer  feinere  Zweige  auflöst.  Form,  Teilung  oder  Zusammensetzung 
der  Blattfläche  stehen  nun  wieder  mit  der  Art  der  Verzweigung  im  innigsten 
Zusammenhange  (führe  dies  näher  aus!). 

b)  Die  grüne  Blattmasse  kann  ihre  Aufgabe  auch  nur  dann  erfüllen,  wenn  sie 
durch  den  Wind  nicht  zerrissen  wird.  Diese  Sicherung  verleihen  ihr  gleich- 
falls die  Nerven.  Die  Art  und  Weise,  wie  dies  geschieht,  ist  im  einzelnen  sehr 
verschieden,  stets  aber  so  wirksam,  daß  man  selbst  nach  einem  Sturme  die  Blätter 


Bau   und   Leben   des   Blattes. 


385 


meist  völlig  unverletzt  antrifft.  (Beachte  hierauf  besonders  die  großen  und 
zarten  Blätter  z.  B.  des  Tabaks,  der  Walnuß  und  des  Kürbis.  Vgl.  auch,  was 
über  diesen  Gegenstand  bei  der  Betrachtung  des  Birnbaums,  des  Roggens,  des 
Schilfes,  des  Wurmfarns  und  der  Banane  gesagt  ist!) 

Wesentlich  unterstützt  werden  die  Nerven  hierbei  durch  die  Oberhaut, 
die  am  Blattrande  stets  erheblich  verdickt  ist.  Durch  diese  Einrichtung  er- 
scheinen die  Blätter  wie  ein  Tuch  oder  eine  Fahne  gleichsam  gesäumt.  (Über 
die  weitere  Bedeutung  und  den  Bau  der  Nerven  s.  später!) 


E.   Welche   organischen   Körper    werden    durch    die   Assimilation 

gebildet? 

Wie  die  Assimilation  im  einzelnen  verläuft,  ist  trotz  der  unablässigen  Arbeit 
zahlreicher  Forscher  noch  durchaus  nicht  vollkommen  enthüllt.  In  den  meisten 
Pflanzen  ist  das  erste  sichtbare 
Produkt  dieses  Vorganges  ein 
Kohlenhydrat  (s.  S.  365),    nämlich 

1.  die  Stärke,  a)  Die  Stärke, 
wie  wir  sie  im  Haushalte  und  zu 
gewerblichen  Zwecken  gebrauchen 
(führe  dies  näher  aus!),  gewinnen 
wir  aus  den  Samen  einiger  Getreide- 
arten (Weizen,  Reis),  den  Knollen 
der  Kartoffel,  sowie  aus  den  Stäm- 
men (Sago-Palme)  und  den  Wurzel- 
stöcken einiger  ausländischer  Pflan- 
zen. Bringen  wir  ein  wenig  Stärke 
in  einem  Wassertropfen  unter  das 
Mikroskop,  so  erkennen  wir,  daß 
sie  aus  winzigen  Körnern  zu- 
sammengesetzt ist,  die  je  nach  der 
Pflanze,  aus  der  sie  stammen,  eine 
verschiedene  Form  zeigen.  So  be- 
stehen die  Stärkekörner  der 
Kartoffel  aus  deutlichen  Schichten 
um    einen   exzentrisch   gelagerten 

Kern.  Die  Stärkekörner  der  Getreidearten  und  Hülsenfrüchte  dagegen  (die 
man  leicht  zu  sehen  bekommt,  wenn  man  von  den  durchschnittenen  Früchten 
oder  Samen  etwas  „Mehl"  abschabt)  sind  konzentrisch  gebaut.  Zwischen  den 
„einfachen"  Körnern  der  Kartoffelstärke  findet  man  auch  zusammengesetzte, 
wie  solche  z.  B.  beim  Hafer  und  Reis  allein  vorhanden  sind. 

Betupfen  wir  einige  Stärkekörner  mit  einer  Jodlösung,   so  färben  sie 
sich  alsbald  heller  oder  dunkler  blau  bis  blauschwarz.    In  der  Jodlösung  haben 

Schmeil,  Lehrbuch  der  Botanik.  25 


Stärkekörner:  1  der  Kartoffel;  a.  einfaches. 
b.  zusammengesetztes  Korn.  2  der  Bohne;  das 
untere  Korn  ist  —  wie  häufig  zu  beobachten  — 
von  Spalten  durchsetzt,  3  Zusammengesetztes 
Korn  vom  Hafer.   (Vergr.  etwa  550 mal.) 


386  Bau    und    hellen    der   einzelnen    l'Hnn/.enteile. 

wir  daher  ein  vorzügliches  Erkennungsmittel  der  Stärke  vor  uns.    Benutzen  wir 
dieses  Reagens,  um  die  Stärkebildung  in  Blättern  nachzuweisen! 

b)  Zu  diesem  Zwecke  stellen  wir  eine  Kapuzinerkresse,  die  sich  ja  leicht 
im  Blumentöpfe  ziehen  läßt,  etwa  24  Stunden  ins  Dunkle  und  schneiden  von 
ihr  sodann  einige  Blätter  ab.  Nachdem  wir  diese  Blätter  einige  Zeit  lang  ge- 
kocht (Protoplasma  wird  getötet!)  und  ihnen  durch  Alkohol  das  Blattgrün  ent- 
zogen haben,  bringen  wir  sie  in  eine  stark  verdünnte  Jodlösung:  sie  bleiben 
farblos,  ein  Zeichen ,  daß  sie  keine  Stärke  enthalten.  (Dieser  Versuch  ist 
zugleich  ein  Beweis  dafür,   daß  die  Blätter  im  Dunkeln  nicht  assimilieren.) 

Darauf  stellen  wir  die  Pflanze  ins  Freie  und  untersuchen  an  einem  Nach- 
mittage wieder  einige  Blattei-  auf  dieselbe  Weise :  sie  färben  sich  tiefblau,  ent- 
halten also  reichlich  Stärke.  Die  in  das  Blatt  und  deren  grüne  Zellen 
eintretende  Kohlensäure  ist  —  wie  wir  schon  gesehen  haben  —  in  den  Blatt- 
grünkörpern in  ihre  Elemente  zerlegt  worden,  und  der  dabei  frei  werdende 
Kohlenstoff  hat  sich  mit  den  Elementen  des  Wassers  zu  Stärke 
(CgHioOö)  vereinigt.  Dieser  Vorgang,  der  sich  jedoch  wahrscheinlich  unter 
vorhergehender  Bildung  anderer  Körper  vollzieht,  läßt  sich  durch  folgende 
Formel  ausdrücken: 

(3  CO,         +  5H20  =  CcH10O5   -f  12  0 

(Kohlensäure  -f  Wasser  =       Stärke      -f  freiwerdender  Sauerstofl'j. 

Bei    mikroskopischer   Untersuchung 
des   Blattes  sieht   man,  daß  in  den 
Blattgrünkörpern     kleine      Stärke- 
körnchen enthalten  sind. 
Blattgrünkörper    aus    einem    Moosblatte,    in  c)  Wie  die  Formel  zeigt,  besitzt 

denen   siel    durch  Assimilation    kleine   Stärke-   die  Stärke  genau  dieselbe  chemische 
körnchen  gebüdet  haben.    (Sehr  stark  vergr.)     Zusammensetzung  wie  die  Zellulose 

(s.  S.  365 ),  in  der  wir  den  wichtigsten 
Baustoff  des  festen  Pflanzengerüstes,  der  Zellhäute,  kennen  gelernt  haben.  Außer 
in  Zellulose  geht  die  Stärke  ebenso  leicht  noch  in  zahlreiche  andere  Stoffe  über. 
Ihre  ganze  Wichtigkeit  lernen  wir  aber  erst  recht  ermessen,  wenn  wir  erfahren, 
daß  sie  auch  an  der  Bildung  des  Lebendigen  in  der  Pflanze,  des  Protoplasmas, 
beteiligt  ist, 

2.  a)  Die  Eiweißstoffe,  aus  denen  das  Protoplasma  vorwiegend  besteht, 
enthalten  außer  Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Sauerstoff,  noch  Stickstoff,  Schwefel 
und  häufig  auch  Phosphor.  Diese  zuletzt  genannten  Elemente  werden  in  Form 
von  Nährsalzen  dem  Boden  entnommen  und  vereinigen  sich  in  einer  uns  noch 
unbekannten  Weise  mit  den  Bestandteilen  der  Stärke,  nachdem  diese  vorher  in 
ein  anderes  (lösliches)  Kohlenhydrat  übergegangen  ist. 

b)  Daß  die  Pflanze  den  Stickstoff,  obgleich  er  79 °/o  der  atmosphärischen 
Luft  ausmacht,  im  Gegensatz  zum  Kohlenstoff  wirklich  nur  dem  Boden  zu 
entnehmen  vermag,  können  wir  mit  Hilfe  einer  Maispflanze,  die  wir  wieder  in 
einer  Nährlösung  ziehen,  leicht  nachweisen.    Setzen  wir  nämlich  der  Nährlösung 


Bau  imkI   Leben  des  Blatt« 


387 


statt  des  Salpetersäuren  Kalkes  (Ca  2N0s)  schwefelsauren  Kalk  («ups:  CaSO«) 

zu,  so  entwickelt  sich  das  Pflänzchen  sehr  kümmerlich,  um  schon  nach  einigen 
Wochen  abzusterben. 

Einige  wenige  Pflanzen  machen  von  dieser  Regel  jedoch  eine  Ausnahme. 
Wie  wir  bereits  früher  gesehen  haben  (s.  S.  104  u.  349),  sind  die  in  den  Knöll- 
chen  der  Schmetterlingsblütler  lebenden  Wurzelbakterien,  sowie  die  im 
Ackerboden  sich  findenden  Stickstoffbakterien  imstande,  den  Stickstoff  der 
Luft  aufzunehmen. 

3.  Andere  Stoffe.  Außer  Stärke  und  Eiweiß  werden  in  den  „Zell-Laboratorien" 
noch  viele  andere  Stoffe  gebildet,  von  denen  hier  nur  die  wichtigsten  kurz  genannt  werden 
können.  In  zahlreichen  Pflanzen,  besonders  in  der  Zuckerrübe 
und  im  Zuckerrohr  findet  sich  der  Rohrzucker  (Name!), 
als  wichtiger  Baustoff.  Die  saftigen  Früchte  z.  B.  unserer  Obst- 
arten verdanken  dem  Traubenzucker  (Name!)  ihre  Süße, 
wahrend  We  in-,  Apfel-  und  Zitronensäure  ihnen  den  er- 
frischenden Geschmack  verleihen  (Bedeutung  für  die  Verbreitung 
der  Samen!).  Oxal-  oder  Kleesäure,  ein  wichtiges  Schutz- 
mittel zahlreicher  Pflanzen  gegen  Tierfraß,  kommt,  an  Kalk  ge- 
bunden (Kleesalz),  z.  B.  im  Sauerklee  und  in  den  Ampferarten 
vor.  Vielfach  schlägt  sich  das  giftige  Salz  in  Form  von  Nadeln 
oder  Kristallen  (s.  auch  Abb.  S.  380 ;  K.)  aus  dem  Zellsaft  nieder 
(s.  Aronstab !  i.  Sehr  reich  an  Gerbstoffen  ist  die  Rinde  der 
Eichen.  Fette  sowohl,  als  fette  Öle  (d.  s.  Fette,  die  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  flüssig  sind)  treffen  wir  als  wichtige 
Baustoffe  in  den  Samen  oder  Früchten  von  Baps,  Lein,  Mohn, 
Olive,  Ölpalme  und  vielen  anderen  Pflanzen  an.  Flüchtige 
oder  ätherische  Öle,  die  im  Gegensatz  zu  den  fetten  Ölen 
auf  Papier  keinen  bleibenden  Fettfleck  hinterlassen,  verleihen 
zahlreichen  Blüten  und  Früchten  ihren  Duft  (Bedeutung?);  aber 
auch  manche  Blätter  sind  reich  daran  (Thymian,  Bohnenkraut  u.  a.).  Nadeln  aus  Kleesalz 
Außer  diesen  Stoßen  haben  wir  noch  (in  welchen  Pflanzen?)  ange-  in  einer  Blattzelle  des 
troffen:  Gummi,  Pflanzenschleime,  Farbstoffe,  Alkaloide  Aronstabes. 

(Nikotin,  Coffein.  Opium  u.  v.  a.),  Bitterstoffe  u.  dgl.  mehr.  (Vergr.  200 mal.) 


M 


F.  Die   Wand 


rung,   Verwendung    und    Aufspeicherung    der 
gebildeten    Sto  f  f  e. 


1.  Die  Wcanderung.  Untersuchen  wir  einige  Blätter  z.  B.  der  Kapuziner- 
kresse an  einem  warmen  Sommertage  mit  Hilfe  der  Jodprobe,  so  finden  wir 
sie  sicher  reich  an  Stärke.  Darauf  nehmen  wir  zwei  gleichgroße  Kork-  oder 
Pappscheiben  und  befestigen  sie  durch  Nadeln  so  auf  beiden  Seiten  eines  an- 
deren Blattes,  daß  sie  sich  genau  gegenüber  liegen.  Auf  diese  Weise  haben  wir 
einen  Teil  der  Blattfläche  verdunkelt,  so  daß  diese  Stelle  nicht  zu  assimilieren 
vermag.  Unterwerfen  wir  nach  zwei  oder  drei  Tagen  dieses  Blatt  der  Jod- 
probe, so  finden  wir,  daß  die  verdunkelt  gewesene  Stelle  frei  von  Stärke  ist. 
Die  Blattnerven  dagegen,  die  diese  Stelle  durchziehen,  erscheinen  bläulich,    ein 


388 


Hau  lind  Leben  de 


inzelnen   l'llanzenteile. 


Zeichen,  daß  sie  ein  wenig  Stärke  enthalten.  Da  sich  in  diesem  Teile  des 
Blattes  nun  keine  Stärke  bilden  konnte,  muß  sie  in  die  Nerven  aus  benach- 
barten Zellen   eingewandert  sein. 

Eine  ähnliche  Beobachtung  machen  wir  an  Blättern  (derselben  oder  irgend 
einer  anderen  Pflanze),  die  bei  Sonnenuntergang  reich  an  Stärke  waren,  wenn 
wir  sie  am  anderen  Morgen  bei  Sonnenaufgang  wieder  untersuchen :  die  Stärke 
ist  ausgewandert.  Da  nun  auch  hier  die  Blattnerven  wieder  eine  geringe 
Blaurärbung  annehmen,  so  geben  sie  sich  abermals  als  die  Wege  zu  erkennen, 
auf  denen  die  Wanderung  der  Stärke  erfolgt. 


Blatt    der   Kapuzinerkresse.     1    Durch    Korkscheiben    teilweise   verdunkelt: 
Entfernung  der  Korkscheiben  und   der  Jodprobe. 


2  nach 


Ein  Teil  der  Stärke  und  aller  anderen  Stoffe,  die  sich  in  den  Blättern 
gebildet  haben,  wird  sicher  dort  auch  verwendet.  Daß  aber  der  größte  Teil 
auswandern  muß,  geht  schon  daraus  hervor,  daß  an  den  Wachstumsstellen  (in 
den  Wurzelspitzen,  Knospen,  Blüten,  Früchten  u.  dgl.)  fortgesetzt  Baustoffe  ver- 
braucht werden,  während  die  Bildung  dieser  Stoffe  nur  in  den  grünen  Teilen 
und  zwar  vorwiegend  in  den  Laubblättern  stattfinden  kann.  Die  wandernden 
Stoffe  werden  —  denn  einen  anderen  Weg  gibt  es  nicht!  —  durch  den  Blatt- 
stiel (wenn  vorhanden !)  in  den  Stengel  geleitet,  in  dem  sie  zu  den  wachsenden 
Teilen  hinauf  oder  hinab  geführt  werden.  (In  welchen  Teilen  des  Stengels 
dieses  geschieht,  werden  wir  später  sehen!)  Stellen  sich  den  wandernden  Stoffen 
Zellhäute  in  den  Weg,  so  müssen  sie  aufgelöst  werden,  wie  denn  in  lebenden 
Pflanzen  die  organischen  Stoffe  überhaupt  vielfache  Veränderungen,  Umwand- 
lungen und  Zersetzungen  erfahren  („Stoffwechsel"). 

2.  Die  Aufspeicherung,  a)  Den  Keimling,  wie  er  aus  dem  Samen  hervorgeht, 
sehen  wir  wachsen,  bevor  er  noch  grüne  Blätter  entwickelt  hat,  also  ehe  er  zu  assi- 
milieren vermag.  Einen  ganz  ähnlichen  Vorgang  beobachten  wir  im  Großen  alljähr- 
lich, wenn  die  Bäume  und  Sträucher  sich  neu  belauben  und  die  überwinternden  Kräuter 
(Stauden)  aus  dem  Erdboden  hervorbrechen.  Dieses  Wachstum  ohne  Assimilation 


Bau  und  Leben  des  Blattes, 


38!) 


ist  natürlich  nur  möglich,  wenn  zur 
Bildung  der  jungen  Pflanzenteile 
Baustoffe  zur  Verfügung  stehen. 
Die  assimilierende  Pflanze  darf 
daher  nicht  sämtliche  Stoffe  für 
sich  verwenden,  sondern  ist  ge- 
nötigt, einen  Teil  davon  für  die 
Nachkommen  oder  die  nächst- 
jährigen Triebe  aufzuheben,  zu 
reservieren.  Dies  geschieht,  sobald 
die  Pflanze  vollkommen  ausgebildet  / 
ist;  denn  da  sie  jetzt  nur  noch  p 
wenig  Stoffe  für  das  eigene  Wachs-  1 
tum  verbraucht,  die  Blätter  aber 
ihre  assimilierende  Tätigkeit  fort- 
gesetzt entfalten,  ist  sie  auch  im- 
stande, diese  „Reservestoffe" zu 
bilden.  Jedes  Samenkorn  wird  damit 
beschickt,  und  die  als  Vorratsspei- 
cher dienenden  Wurzeln,  Wurzel- 
stöcke, Knollen  oder  Zwiebeln,  sowie 
bei  den  Holzgewächsen  die  Stämme 
und  Zweige  beginnen  sich  zu  füllen, 
b)  Reservestoffe  sind  uns  bei 
der  Betrachtung  der  einzelnen  Pflanzen 
mehrfach  entgegen  getreten:  Kohlen- 
hydrate fanden  wir  als  Stärke  in  den 
Körnern  der  Getreidearten  und  in  der 
Kartoffelknolle,  als  R  o  h  r  z  u  c  k  e  r  in  der 
Wurzel  der  Zuckerrübe  oder,  in  Fette 
und  Öle  umgewandelt,  in  den  Samen 
von    Raps,   Lein,     Mohn  und    anderen 

Pflanzen;   das  Eiweiß  trafen  wir  als   Kleber  in  der  .äußeren  Schicht  der  (ietreidekörner : 
sehr  reich  daran  und  darum  von  hohem  Nährwert  sind  vor    allen  Dingen  die  Samen  der 
Hülsenfrüchtler  (Bohne,   Erbse,  Linse  u.  a.).      Um  als  BaustoÖ'e  für  junge  Pflanzen  oder 
,^5^=;^  junge  Pflanzenteile  dienen  zu  können,  müssen  die  Reservestoffe 

S.  aufgelöst,    verändert  oder    umgewandelt  werden.    Die  Eiweiß- 

stoffe   dienen    —    ihrer    Natur    entsprechend  —  zur  Bildung 
//  des  Protoplasmas,  während  Stärke,  Zucker,  Fette  und  Öle  sich 

namentlich  in  die  ihnen  chemisch  nahe  verwandte  Zellulose  ver- 
wandeln, also  den  Baustoff  für  die  Zellhäute  liefern. 

c)  Füllt  sich  ein  „Reservestoffbehalter",  z.  B.  eine 
Kartoffelknolle  oder  ein  Roggenkorn  (s.  Abb.  S.  137  u.  24!»). 
mit  Stärke,  so  müssen  die  Stoffe,  die  in  die  Zellen  der  Knolle 
oder  des  Kornes  eindringen,  rückverwandelt  werden.  Hier- 


Alpenveilchen,     eine     Pflanze     mit     knollen- 
förmigem Stamme,  der  als  Vorratsspeicher  dient 
(etwa  1J2  nat.  Gr.). 


Stärkebildner  (B.),  dei 
ein  großes,   von  ihm  ge- 
bildetes Stärkekorn   (8.] 
umschließt. 
(Vergr.  540mal.) 


3!»0 


Bau  iiml   Leben  der  einzelnen   Pflanzenteile 


bei  sind  nun  genau,  wie  bei  der  Bildung  der  Stärke  in  den  Blättern  Farbstoffträger 
beteiligt  (s.  S.  361),  kleine  farblose  Gebilde,  die  man  hier  als  Stärkebildner  be- 
zeichnet. —  Die    Stärke,  die    wir  in   den  Fabriken  gewinnen,  ist  alles  „Reservestärke". 

:$.  Das  Blatt  als  Werkzeug  der  Atmung  und  die  Atmung  der  Pflanzen  im  allgemeinen. 

1.  Nachweis  der  Atmung".  Wir  haben  gesellen,  daß  die  grünen  Pflanzen 
im  Lichte  Kohlensäure  zerlegen  und  Sauerstoff  ausscheiden.  Findet,  so  muß 
man  sich  fragen,  bei  diesen  Pflanzen  im  Dunkeln  auch  ein  Gasaustausch  statt, 
und  wie  verhält  es  sich  mit  den  Pflanzen  und  Pflanzenteilen,  die  des  Blattgrüns 

entbehren  und  darum  nicht  assimilieren  ? 
Die  Antwort  hierauf  soll  uns  wieder  der 
Versuch  geben: 

a)  Wir  nehmen  2  gleich  große  Glas- 
zylinder, bringen  in  den  einen  eine  grüne 
Pflanze,  die  in  einem  kleinen  Blumen- 
topfe wurzelt,  verschließen  beide  luft- 
dicht und  stellen  sie  ins  Dunkle.  Nach 
einigen  Stunden  öffnen  wir  das  Gefäß 
ohne  Pflanze  und  senken  ein  Licht  hinein, 
das  wir  an  einem  Drahte  befestigt  haben. 
Nachdem  aller  Sauerstoff  der  Luft,  die 
das  Gefäß  erfüllt,  verbraucht  ist,  erlischt 
die  Flamme.  (Stelle  genau  fest,  wie  lange 
das  Licht  brennt!).  Wiederholen  wir  das- 
selbe bei  dem  2.  Gefäße,  so  erlischt  die 
Flamme  sofort,  ein  Zeichen,  daß  kein 
Sauerstoff  mehr  in  der  Luft  vor- 
handen ist:  die  grüne  Pflanze  hat 
ihn  aufgenommen. 

Um  festzustellen,  ob  die  Pflanze 
für  den  aufgenommenen  Sauerstoff  auch 
eine  Luftart  ausscheidet,  wiederholen  wil- 
den Versuch,  stellen  aber  auf  den  Boden 
jedes  Gefäßes  ein  Schäl clien  mit  Barytwasser.  Nach  Verlauf  mehrerer  Stun- 
den sehen  wir,  wie  sich  das  Barytwasser  im  leeren  Gefäße  kaum  oder  nur 
wenig,  im  Gefäße  mit  der  Pflanze  dagegen  stark  getrübt  oder  gar  mit  einer 
Haut  überzogen  hat:  durch  Aufnahme  von  Kohlensäure  aus  der  Luft  ist  kohlen- 
saures Barium  (Ba  C  ()3)  entstanden  (Versuch  mit  ausgeatmeter  Luft!).  Die 
größere  Menge  dieses  Salzes  im  2.  Gefäße  konnte  sich  aber  nur  bilden,  weil 
die  von  ihm  eingeschlossene  Luft  mehr  Kohlensäure  enthielt  als  die  im  ersten 
Gefäße.  Es  hat  in  ihm  also  eine  Vermehrung  der  Kohlensäure  statt- 
gefunden, die  allein  der  Pflanze  in  Rechnung  gesetzt  werden  kann, 
b)  Füllen  wir  nunmehr  einen  Glaszylinder  von  etwa  1  1  Inhalt  zu  einem 


Vorrichtung,    die  Atmung 
nachzuweisen. 


der   Pflanzen 


Bau  and  Leben  des  Blattes.  391 

Dritteil  mit  Pflanzenteilen,  die  des  Blattgrüns  entbehren  (mit  keimenden  Erbsen, 
Blutenknospen,  sich  entfaltenden  Blütenköpfen  der  Wucherblume ,  jungen  Hut- 
pilzen und  dgl.),  so  können  wir  mit  Hilfe  des  brennenden  Lichtes  und  des 
Barytwassers  ebenfalls  feststellen,  wie  Sauerstoff  aufgenommen  und 
Kohlensäure  abgeschieden  wird. 

Dieser  Vorgang  ist  nun  genau  derselbe,  ohne  den  weder  Mensch  noch 
Tier  zu  leben  vermag,  und  den  wir  als  Atmung  bezeichnen.  Also:  Die  Pflanze 
—  sowohl  die  grüne,  als  die  nichtgrüne  —  atmet  gleichfalls. 

2.  Bedeutung-  der  Atmung,  a)  Wir  haben  gesehen,  daß  die  bereiteten 
organischen  Stoffe  vielfach  umgebildet,  umgesetzt  und  verarbeitet  werden  müssen, 
wenn  sie  der  Pflanze  wirklich  von  Wert  sein  sollen.  Diese  Arbeiten  gehen 
aber,  wie  alle  Arbeiten,  nicht  von  selbst  vor  sich!  Wie  wir  uns  z.  B.  durch 
Verbrennen  von  Holz  oder  Kohle  eine  Kraft  schaffen,  die  die  verschiedensten 
Arbeiten  verrichtet  (Beispiele!),  müssen  auch  die  Pflanzen  fortgesetzt  einen  Teil  der 
bereiteten  organischen  Stoffe  zu  diesem  Zwecke  „opfern"  und  Kräfte  schaffen,  die 
die  „Maschine"  ihres  Leibes  im  Gange  erhalten.  Dies  geschieht  nun  gleichfalls 
durch  eine  Verbrennung  (Oxydation),  d.  h.  durch  eine  Verbindung  kleinster, 
kohlenstoffhaltiger  Teilchen  mit  Sauerstoff,  der  aus  der  atmosphärischen  Luft 
aufgenommen  wird.  Wie  bei  jeder  Verbrennung  (z.  B.  der  Kohlen)  entstehen 
auch  hier  Kohlensäure  und  Wärme.  Die  Kohlensäure  wird  ausgeschieden;  die 
Wärme  aber  ist  die  treibende  Kraft  für  die  chemischen  Um- 
wandlungen der  Stoffe. 

Unerwähnt  soll  aber  nicht  bleiben,  daß  gewisse  Pilze,  besonders  Spalt- 
pilze, die  in  sauerstoffarmer  Umgebung  (Flüssigkeiten  u.  dgl.)  leben,  des  Sauer- 
stoffs nicht  bedürfen,  für  die  der  Sauerstoff  sogar  „ein  Gift"  ist.  Sie  gewinnen 
die  notwendigen  „Betriebskräfte"  durch  andere  chemische  Umsetzungen,  die  sich 
in  ihrem  Körper  vollziehen. 

b)  Daß  sich  infolge  der  Atmung  wirklich  Wärme  entwickelt,  sehen 
wir  z.  B.  an  den  Blütenkolben  des  Aronstabes  (s.  das.),  sowie  an  der  zusammen- 
gehäuften keimenden  Gerste  bei  der  Malzbereitung  oder  an  anderen  keimenden 
Pflanzensamen  (Versuch!).  In  der  Eegel  ist  freilich  von  einer  Wärmeentwick- 
lung bei  den  atmenden  Pflanzen  nichts  zu  merken :  denn  erstlich  besitzen 
die  Pflanzen  ja  eine  verhältnismäßig  große  Oberfläche,  so  daß  sie  auch  viel 
Wärme  an  die  umgebende  Luft  abgeben,  und  zweitens  ist  mit  der  Ver- 
dunstung des  Wassers  durch  die  Blätter  (s.  S.  393)  eine  große  Wärme- 
abgabe verbunden.  (Beweise  die  Richtigkeit  beider  Behauptungen  durch  ein- 
fache Versuche!) 

c)  Da  in  der  lebenden  Pflanze  beständig  Umsetzungen  der  Banstone  statt- 
finden, muß  auch  die  Pflanze  Tag  und  Nacht  atmen.  Für  Pflanzen  und 
Pflanzenteile,  die  des  Blattgrüns  entbehren,  ist  dies,  wie  wir  gesehen  haben, 
leicht  nachzuweisen.  An  grünen  Pflanzen  dagegen  ist  am  Tage  davon  nichts 
zu  erkennen;  denn  da  in  ihnen  weit  mehr  organische  Stoffe  gebildet  als  ver- 
brannt werden,  müssen  die  Pflanzen  auch  weit  kräftiger  assimilieren  als  atmen. 


392  Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 

Die  Atmung  wird  daher  durch  den  ihr  gerade  entgegengesetzten 
Vorgang  der  Assimilation  verdeckt,  oder  —  was  dasselbe  besagt  —  am 
Tage  wird  die  bei  der  Atmung  entstehende  Kohlensäure  sofort  wieder  zur  Assimi- 
lation verwendet,  so  daß  die  grüne  Pflanze  im  Lichte  statt  der  Kohlensäure  Sauer- 
stoff „ausatmet". 

Hindert  man  Pflanzen,  organische  Stoffe  zu  bereiten  oder  doch  in  ge- 
nügender Menge  zu  bilden,  so  müssen  sie  immer  mehr  an  Gewicht  verlieren. 
Dies  beobachteten  wir  bereits  an  der  Maispflanze,  die  wir  im  Dunkeln  wachsen 
ließen  (s.  S.  377,  C).  So  „veratmen"  auch  Kartoffelknollen,  Rüben  und  Möhren 
während  des  Winters  einen  Teil  der  aufgespeicherten  Stoffe.  (Stelle  dies  durch 
wiederholtes  Wägen  fest!)  Aus  dem  gleichen  Grunde  sterben  auch  die  Zimmer- 
pflanzen ab,  die  infolge  zu  schwacher  Beleuchtung  nicht  genügend  assimilieren 
können:  sie  verhungern  langsam. 

Ebenso  nachteilig  ist  natürlich  auch  eine  behinderte  Atmung.  So  sterben 
z.  B.  die  Pflanzen  genau  wie  die  Tiere  den  Erstickungstod,  wenn  man  ihnen  zu 
lange  die  „Lebensluft",  den  Sauerstoff,  entzieht  (Versuch  mit  keimenden  Samen!). 
So  sieht  man  —  um  ein  anderes  Beispiel  anzuführen  —  die  Obstbäume  nicht 
selten  langsam  eingehen,  wenn  sie  zu  tief  oder  in  zu  festes  Erdreich  gepflanzt 
sind,  wenn  sie  öfter  unter  Überschwemmungen  zu  leiden  haben,  oder  wenn  man 
den  Boden  rings  um  sie  hoch  aufschüttet;  denn  in  allen  diesen  Fällen  können 
die  Wurzeln  der  notwendigen  Atemluft  nicht  teilhaftig  werden.  Umgekehrt  ist 
ein  öfteres  Lockern  des  Bodens  für  das  Gedeihen  der  angebauten  Pflanzen  (Kar- 
toffeln, Kuben,  Gemüse,  Blumen)  von  Vorteil.  Es  ist  besonders  nötig,  wenn 
die  Pflanzen  bei  trockenem  Wetter  besprengt  oder  begossen  werden  müssen, 
weil  dann  die  oberste  Erdschicht  leicht  zu  einer  Kruste  erhärtet. 

3.  Wege  für  die  Atemluft.  Wie  wir  gesehen  haben,  findet  in  den 
grünen  Pflanzenteilen  zum  Zwecke  der  Assimilation  ein  beständiger  Gasaustausch 
statt,  der  seinen  Weg  vornehmlich  durch  die  Spaltöffnungen  und  Zwischenzell- 
räume nimmt.  Mit  der  einströmenden  atmosphärischen  Luft  erhalten  auch  die 
atmenden  Zellen  den  notwendigen  Sauerstoff,  und  auf  dem  gleichen  Wege  strömt 
nachts  die  ausgeatmete  Kohlensäure  ins  Freie.  Bei  Stengeln,  die  mit  einer 
Korklage  bedeckt  sind,  übernehmen  die  Rindenporen  (s.  S.  426)  die  Aufgabe  der 
Spaltöffnungen,  und  bei  Wurzeln  findet  der  Gasaustausch  (in  der  Regel)  durch 
die  Häute  der  an  der  Oberfläche  liegenden  Zellen  statt.  Bei  Wasser-  und  Sumpf- 
pflanzen (Beispiele!)  ist  letzteres  aber  nicht  möglich;  denn  sie  wurzeln  ja  in 
einem  Boden,  der  meist  vollkommen  von  Sumpfgas  erfüllt  ist.  Stengel  und 
Blätter  dieser  Pflanzen  besitzen  aber  so  große  Zwischenzellräume,  daß  sie  ein 
schwammiges  Gefüge  annehmen.  Da  nun  diese  Räume  Kanäle  bilden,  die  sich 
durch  die  ganze  Pflanze  ziehen,  so  vermag  die  Atemluft  leicht  bis  zu  den 
Wurzeln  hinabzudringen.  (S.  Abb.  S.  13,  und  wiederhole  den  mit  der  Wasser- 
rose angestellten  Versuch  —  s.  S.  14  d  —  auch  mit  anderen  Wasser-  und 
Sumpfpflanzen !) 


Bau  und  Leben  des  Blattes.  393 

4.  Das  Blatt  als  Werkzeug  der  Verdunstung  des  Wassers  (oder  der  Transpiration). 

1.  Nachweis  der  Verdunstung.  Legen  wir  unter  eine  Glasglocke 
einige  frisch  abgeschnittene,  beblätterte  Pflanzenteile,  so  beschlagt  die  Glaswand, 
besonders  wenn  wir  die  Glocke  „in  die  Sonne"  stellen,  bald  mit  Wassertropfen. 
Bei  einer  zweiten,  daneben  stehenden  Glocke,  unter  der  sich  keine  Pflanzenteile 
befinden,  ist  diese  Erscheinung  nicht  zu  beobachten.  Das  Wasser  an  der  Glas- 
wand der  1.  Glocke  muß  daher  aus  den  Pflanzenteilen  stammen,  und  da  sich 
auch  dort  Wassertropfen  linden,  wo  die  Pflanzen  die  Glocke  nicht  berühren, 
so  kann  es  nur  in  Form  von  Wasser  dampf  ausgeschieden  sein.  Wie  sich 
durch  weitere  Versuche  feststellen  läßt,  findet  bei  allen  lebenden  Pflanzen, 
und  zwar  zu  jeder  Zeit  eine  Ausscheidung  von  Wasser  in  Dampf- 
form, eine  Verdunstung  oder  Transpiration  statt. 

2.  Wie  erfolgt  die  Verdunstung?  Um  dies  nachzuweisen,  bedienen 
wir  uns  des  Kobaltpapiers*),  das  trocken  tiefblau,  Wasserdämpfen  ausgesetzt 
(oder  mit  Wasser  befeuchtet)  dagegen  hell  rosa  gefärbt  erscheint.  Nachdem 
wir  uns  von  dieser  Farbenveränderung  überzeugt  haben,  legen  wir  auf  eine 
trockene  Glasplatte  ein  Stück  dieses  Papiers,,  darauf  ein  Blatt  etwa  der  Schwarz- 
pappel oder  des  Flieders  mit  seiner  Unterfläche,  auf  dieses  wieder  ein  Stück  Kobalt- 
papier und  bedecken  alles  mit  einer  zweiten  Glasscheibe.  Nach  einigen  Minuten 
sehen  wir  schon,  wie  sich  das  untere  Stück  Papier  verfärbt,  ein  Zeichen,  daß 
dem  Blatte  auf  seiner  Unterfläche  Wasserdampf  entströmt.  Das  der  Blattober- 
fläche anliegende  Papier  dagegen  verfärbt  sich  nicht. 

Untersuchen  wir  nunmehr  die  Oberhaut  des  Blattes  (s.  S.  381),  so  sehen 
wir,  daß  die  Blattoberseite  wenig  oder  gar  keine,  die  Unterseite  dagegen  sehr 
viele  Spaltöffnungen  besitzt,  ein  Zeichen,  daß  sie  es  sind,  durch 
die  der  Wasserdampf  entweicht.  Bedenken  wir,  daß  die  Zellen,  die 
an  die  Zwischenzellräume  grenzen,  zartwandige  Gebilde  sein  müssen,  die  reich- 
lich mit  Zellsaft  angefüllt  sind,  so  werden  wir  die  Erscheinung  leicht  verstehen : 
wie  bei  jedem  feuchten  Körper,  verdunstet  auch  bei  diesen  Zellen  beständig  ein  Teil 
des  Wassers,  das  sie  enthalten,  oder  von  dem  sie  durchtränkt  sind.  Der  sich 
bildende  Dampf  mischt  sich  mit  der  Luft,  mit  der  er  durch  die  „Tore"  der 
Zwischenzellräume,  die  Spaltöffnungen,  ins  Freie  entweicht.  —  Da  die  Außen- 
wände der  Oberhautzellen  nicht  vollständig  „luftdicht"  sind,  so  findet  auch  durch 
sie  eine,  wenn  auch  viel  geringere  Verdunstung  statt. 

3.  Bedeutung  der  A'erdunstung.  a)  Wir  haben  gesehen,  daß  die 
Pflanze  Wasser  und  darin  gelöste  Nährsalze  dem  Boden  mit  Hilfe  der  Wurzel  ent- 
nimmt, und  daß  aus  diesen  Stoffen  und  der  Kohlensäure  der  Luft  besonders  in 
den  grünen  Blättern  organisches  Material  (Stärke,  Zucker,  Eiweiß  u.  s.  w.)  erzeugt 
wird.   Es  muß  daher  von  den  Wurzeln  nach  den  Blättern  ein  beständiger  Wasser- 

*)  Dieses  Papier  gewinnt  man,  indem  man  Kobaltchlorür  in  Wasser  auflöst  (im 
Verhältnisse  von  1  :  20).  Streifen   von  Fließpapier  damit  tränkt  und   sie  sodann  trocknet. 


394  ',,au  un''  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 

ström  fließen.  Welchen  Weg-  dieser  Strom  in  Wurzel  und  Stengel  einschlägt, 
wollen  wir  hier  außer  acht  lassen  (s.  S.  422).  Wohl  aber  müssen  wir  feststellen, 
wie  die  Wasserleitung  in  den  Blättern  erfolgt.  Zu  diesem  Zwecke  stellen  wir 
abgeschnittene  Stengelteile  mit  weißen  Blüten  (z.  B.  Tulpen)  oder  weißfleckigen 
Laubblättern  (z.  B.  die  Spielart  vom  Mais,  die  vielfach  als  Zierpflanze  benutzt 
wird)  in  ein  Gefäß  mit  Wasser,  in  dem  etwas  Eosin  gelöst  ist.  Nach  einiger 
Zeit  sehen  wir,  wie  die  lebhaft  rote  Farbstofflösung  in  den  Blattnerven 
emporsteigt  und  sich  in  den  Seitenzweigen  der  Hauptnerven  immer  weiter  über 
die  Blattfläche  verbreitet.  Wie  die  Röhren  einer  Wasserleitung  jedem  Haushalte 
das  nötige  Wasser  zuführen,  so  werden  durch  die  immer  feiner  sich  ver- 
zweigenden Blatt  nerven  jeder  einzelnen  Zeil-Werkstatt  Wasser 
und  Nährsalze  zugeleitet.  Das  Blatt  gleicht  also  —  um  einen  anderen  Ver- 
gleich zu  benutzen  —  einer  Wiese,  die  planmäßig  bewässert  wird.  (Stelle  nunmehr 
die  dreifache  Bedeutung  der  Blattnerven  übersichtlich  zusammen!  s.  S.  384 u. 388!) 

b)  Das  Wasser,  das  von  der  Wurzel  aufgenommen  wird,  enthält  aber 
kaum  mehr  gelöste  Bestandteile  (Nährsalze)  als  gutes  Trinkwasser.  Da  nun 
ein  Teil  von  ihm  durch  Verdunstung  beständig  verloren  geht,  muß  die  „Nähr- 
lösung"  in  denBlätternver  stärkt  (konzentriert)  werden.  Gleichzeitig 
wird  hierdurch  Platz  für  neues  Wasser  geschaffen,  so  daß  ein  ununter- 
brochener „Nahrungsstrom"  zu  den  Blättern  emporsteigt  und 
immer  neue  Rohstoffe  emporgehoben  werden. 

4.  Größe  der  Verdunstung,  a)  Um  festzustellen,  welche  Wasser- 
menge ein  bestimmter  Pflanzenteil  in  einer  gewissen  Zeit  ver- 
dunstet, stellen  wir  z.  B.  einen  beblätterten  Baumzweig  in  ein  Glas  mit 
Wasser.  Nachdem  wir  die  Oberfläche  des  Wassers  mit  einer  etwa  1  cm  hohen 
Ölschicht  bedeckt  haben,  bringen  wir  das  Ganze  auf  eine  Wage.  Nach  einigen 
Stunden  ist  bereits  ein  erheblicher  Gewichtsverlust  festzustellen.  Daß  dieser 
Verlust  nur  auf  die  Verdunstung  zurückgeführt  werden  kann,  die  durch  den 
Zweig  erfolgt,  beweist  deutlich  folgender  „Kontrollversuch":  wir  füllen  ein 
zweites  Glas  mit  Wasser  und  Öl,  können  aber  bei  wiederholter  Wägung  keinen 
Gewichtsverlust  feststellen. 

Wissen  wir  nun,  welche  Wasserraenge  der  Zweig  in  einer  gewissen  Zeit,  z.  B. 
an  einem  Tage,  verdunstet,  so  läßt  sich  dies  durch  Berechnung  auch  für  den  ganzen 
Baum  ungefähr  feststellen.  So  hat  man  z.  B.  gefunden,  daß  ein  Buchenhochwald 
von  einem  Hektar  Größe  im  Durchschnitt  täglich  etwa  30  000  Liter  Wasser  an 
die  Atmosphäre  zurückgibt,  eine  Tatsache,  die  uns  den  Nutzen  der  Wälder  für 
die  Regenbildung  und  damit  für  die  Fr  uchtbarkeiteines  Landes, 
sowie  auch  die  Folgen  der  Entwaldung  deutlich  erkennen  läßt.  In  jeder 
Pflanze  steigt  gleichsam  ein  unsichtbarer  Wasserstrom  vom  Boden  empor,  um 
sich  in  Dampfform  in  das  Luftmeer  zu  ergießen. 

b)  Wie  im  allgemeinen,  so  wird  auch  die  Verdunstung  bei  den  Pflanzen 
von  mehreren  äußeren  Umständen  stark  beinflußt.  (Beweise  dies  für 
die   einzelnen  Fälle   durch   entsprechende   Versuche   und   mit  Hilfe  der  Wage!) 


395 


M 


Erstlich  ist  hierbei  die  Temperatur  mit  bestimmend.  Je  wärmer  die 
Luft  ist,  je  länger  die  Pflanze  von  der  Sonne  beschienen  wird,  und  je  steiler 
die  Sonnenstrahlen  auffallen  (s.  S.  44),  desto  größer  ist  auch  die  Verdunstung 
und  umgekehrt. 

Da  der  W  i  n  d  die  mit  Wasserdampf  gesättigte  Luft  beständig  fortführt, 
so  ist  zweitens  die  Verdunstung  bei  windigem  Wetter  größer  als  bei  Wind- 
stille (Trocknen  der  Wäsche  u.  dgl.!).  Ähnlich  wie  bei  einem  Wasserzerstäuber 
der  Luftstrom  das  WTasser  emporsaugt,  wirkt  auch  der  Wind,  wenn  er  über 
die  Pflanzen  dahinweht,  saugend  auf  den  Wasserdampf  in  den  Zwischenzellräumen. 

Drittens :  wiez.  B.  Wäsche 
bei  feuchter  Witterung  lang- 
samer trocknet  als  bei  trockenem 
Wetter,  so  verdunsten  auch  die 
Pflanzen  umso  weniger  Wasser, 
je  mehr  die  Luft  mit  Wasser- 
dampf erfüllt  ist. 

Ist  die  Luft  mit  Feuchtig- 
keit gesättigt,  so  ist  die  Ver- 
dunstung daher  ganz  oder  doch 
nahezu  aufgehoben.  Einige 
Pflanzen  (Kapuzinerkresse,  Mais, 
Weizen,  Frauenmantel,  Erd- 
beere u.  a.)  vermögen  sich  dann 
dadurch  zu  helfen,  daß  sie 
Wasser  in  flüssiger  Form  aus 
Öffnungen  hervorpressen ,  die 
den  Spaltöffnungen  ganz  ähn- 
lich sind.  Da  diese  „Wasser- 
spalten"   in    der   Regel    am 

Ende  eines  großen  Blattnerven  (Wasserader!)  liegen,  so  treten  die  ausgeschiedenen 
Wassertropfen,  die  gewöhnlich  für  Tau  gehalten  werden,  meist  an  den  Spitzen, 
Zähnen  oder  Rändern  der  Blätter  auf.  Stülpt  man  über  eine  solche  Pflanze  eine 
Glasglocke,  so  daß  die  Verdunstung  stark  herabgesetzt  wird,  so  kann  man  die  Er- 
scheinung auch  am  Tage  beobachten,  ein  Zeichen,  daß  man  es  hier  wirklich  mit 
hervorgepreßtem  Wasser  zu  tun  hat. 

5.  Förderungsmittel  der  Verdunstung.  Wie  wir  gesehen  haben,  ist 
die  Verdunstung  für  die  Pflanze  von  größter  Wichtigkeit.  Daher  haben  wir 
bei  vielen  der  betrachteten  Gewächse  auch  Einrichtungen  angetroffen,  die  im- 
stande sind,  die  Verdunstung  zu  fördern,  oder  die  verhindern,  daß  sie  unter- 
brochen werde. 

a)  Pflanzen,  die  an  feuchten,  schattigen  Orten  wachsen,  haben  in  der  Regel  große 
Blattflächen  mit  zahlreichen  Spaltöffnungen  (viele  Sumpf-  and  Waldpflanzen). 

b)  Die  Blätter  dieser  Pflanzen  sind  ferner  meist  außerordentlich   zart.  d.  h.  dir 


''/'WJ1 


Wassertropfen,     aus    Wasserspalten     hervor- 
gepreßt,   an    den    Zähnen    vom   Blatte    des  Frauen- 
mantels (nat.  Gr.) 


396 


Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 


Zellen    der   Oberhaut    sind    dünnwandig,    also    für    Wasserdampf   verhältnismäßig   leicht 
durchlässig. 

c)  Die   Blätter   haben  weiße  Flecke,   die  die  Wärme  lange  Zeit  zurückhalten 
(Wiesenklee,  Lungenkraut),  oder  braune  Flecken,  die  sich  leicht  erwärmen  (Orchis, 

Aronstab), 

d)  Tau  oder  Regen  sind 
nicht  imstande,  die  Spalt- 
öffnungen zu  verschließen, 
weil  das  Blatt  (oder  die  ganze 
Pflanze)  mit  einer  Wachs- 
schi c  h  t  (Raps)  oder  einer 
Haardecke  (Salweide) 
überzogen  ist,  oder  weil  die 
Spaltöffnungen  inVer- 
tiefungen  eingesenkt 
sind  (Heidekraut). 

e)  Wie  wir  bei  der  Betrachtung 
der  Gemüsebohne  kennen  gelernt  haben, 
verhindert  auch  die  Schlafstel- 
lung, die  zahlreiche  Blätter  nachts 
annehmen,  eine  starke  Befeuchtung 
durch  Tau.  Ergänzend  sei  hier  nur 
noch  bemerkt,  daß  diese  Bewegungen 
in  der  Regel  (Bohne,  Klee,  Robinie, 
Sauerklee  u.  a.)  darauf  beruhen,  daß 
der  Turgor  (s.  S.  363)  der  Blattstiele 
durch  den  Wechsel  der  Beleuchtung 
eine  Veränderung  erfährt.  Wird  der 
Turgor  der  Zellen,  die  an  der  Unter- 
seite liegen,  größer,  so  richten  sich 
die  Blätter  empor ;  wird  dagegen  der 
Turgor  an  der  Oberseite  erhöht,  so 
senken  sich  die  Blätter. 

6.  Schutzmittel  gegen  zu 
starke  Verdunstung-.  Umgekehrt 
ist  eine  zu  starke  Verdunstung  für 
die  Pflanzen  mit  großen  Gefahren  verknüpft :  sie  welken  oder 
gehen  schließlich  durch  Vertrocknen  zugrunde.  Die  Gewächse, 
die  auf  einem  wasserarmen,  sonndurchglühten  Boden  leben 
oder  austrocknenden  Winden  im  hohen  Grade  ausgesetzt  sind,  also  auf  Hoch- 
gebirgen, Heideflächen  und  an  ähnlichen  Stellen  wachsen,  bedürfen  daher  ge- 
wisser Schutzmittel  gegen  diese  Gefahren.  Als  solche  haben  wir  bereits  folgende 
Einrichtungen  erkannt: 

a)  Die  verdunstende  Oberfläche  ist  möglichst  beschränkt,  d.  h.  es  treten 
kleine,  schmale,  stark  zerteilte  oder  wenige  Blätter  auf  (Heidekraut,  Leinkraut,  Kuh- 
schelle, Besenginster).  Bei  dem  Heidekraute  sind  die  kleinen  Blätter  zudem  zusammen- 
gerollt (Rollblatt).     Die  Kaktusarten  sind  meist  gänzlich  unbeblättert. 


Blatt   der   Gemüsebohne 

1    in    Tagstellung,        2    ir 

Nachtstellung.      (Näheres  s 

S.  103.) 


Kaktusgewäehse  in  einer  Wüste  des  nördlichen  Mexico.      1    Kiesenkaktus.  2  Faekel- 
disteln.     3  Mehrere  Melonenkaktns-Forraen.     4  Schlangenkaktus.     (Näheres  s.  S.  80.) 


398 


Bau   and  Leben  der  einzelnen   Pflanzenteile. 


b)  Mit  der  Verkleinerung  der  Oberfläche 
steht  die  geringe  Anzahl  der  Spaltöff- 
nungen im  Einklänge. 

c)  Die  Blätter  sind  dem  Stengel  an- 
gedrückt (Heidekraut). 

d)  Die  Blätter  sind  senkrecht  ge- 
stellt (junge  Blätter  der  Roßkastanie)  oder 
nehmen  dabei  wohl  gar  die  Richtung  von  Süden 
nach  Norden  ein  (Stachellattich). 

e)  Die  Blätter  schlagen  sich  bei  zu 
starker  Erwärmung  nach  unten  (Sauerklee) 
oder  rollen  sich  der  Länge  nach  z  u  s  a  m  m  e  n 
(Strandhafer). 

f)  Mehrere  Trockenlandpflanzen  (Mauer- 
pfeffer, Kaktus;  tropische  Orchideen,  die  auf 
Baumstämmen  wachsen)  speichern  in  den 
Blättern  oder  Stämmen  "Wasser  auf. 

g)  Die  Außenwände  der  Oberhaut- 
zellen  sind  stark  verdickt  und  in  so  hohem 
Maße  mit  fettartigen  Stoffen  durch- 
tränkt (s.  S.  381),  daß  sie  für  Wasserdampf 
fast  undurchlässig  sind  (Efeu,  Kaktusarten). 

h)  Die  Blätter  sind  mit  einem  Wachs- 
überzuge versehen  (Raps;  auch  viele  Früchte, 
z.  B.  Weinbeere,  Pflaume  u.  a.). 

i)   Die    Blätter    besitzen    einen    firnis- 
artigen Überzug  (junge  Blätter  des  Kirsch- 
Schuttkresse,  eine  Trockenpflanze  mit   baunis;  Knospenschuppen  der  Roßkastanie), 
vielfach   zerteiltem  Laube,     Oberer  Teil  k)  Die  Blätter  sind  auf  einer  Seite    0(ler 

(etwas  verkl.).  auf  beiden  Seiten  mit  Haaren  bedeckt    (junge 

Blätter  der  Roßkastanie;  Edelweiß  u.  v.  a.).  — 
Die  Haare  sind,  wie  man  auf  Querschnitten  durch  den  betreffenden  Pflanzenteil  sieht, 
in  ihrer  einfachsten  Form  Ausstülpungen  je  einer  Oberhautzelle.  Sie  haben  die 
Gestalt    eines   Kegels    (Blumenblätter    des    Stiefmütterchens),    Spießes    (Goldlack)    oder 


¥^N 


ll. 


Zylinders  (Samen- 
haare); sie  sind  gabelig 
oder  sternförmig  ge- 
teilt (Hungerblüm- 
chen; Graukresse),  am 
Ende  knopfförmig  an- 
geschwollen(Blüte  des 
Löwenmauls)    u.  dgl. 

mehr.     Kurze,    zuge-         j£aar  (H.)  von  einem  Blatte  des  Goldlackes.    0.   Oberhaut. 
spitzte ,    dickwandige 

Haare  bezeichnet  man  als  Borsten  (Schwarzwurz).  Auch  die  Brennhaare  (Brenn- 
nessel), die  in  einem  aus  Oberhautzellen  gebildeten  Becher  sitzen,  gehören  hier- 
her.     Treten    in    den    Ausstülpungen    Teilungen    ein,   so    entstehen   mehrzellige    Haare, 


liiiu  und   Lebe 


Blatt« 


:;«.i!  i 


~~  -— .  -"- 

■ 

~-j-V"- 

-5[^^ 

Mehrzelliges      Drüsen- 
haar   vom    Körner-Stein- 
brech (llOmal  vergr.). 


die  z.  B.   bei    der   Künigsker/.e    tannenartig    verzweigte,    bei    der    sog.    Ölweide    stein 
förmige  und  bei  den  Farnen  blattartige  Gebilde  darstellen.     Sind  an  der  Bildung 
Auswüchse  aueli  noch  tiefer  liegende  Gewebe  beteiligt,  so  entstellen  Stacheln  (Rose)   oder 
Klimmhaken  (Hopfen).    Seheiden  die  Haargebilde  klebrige  oder  andere  Stoße  aus,   so  be- 
zeichnet man  sie  als  Drüsen-Haare  i  Körner-Steinbrech,  Sonnen- 
tau u.  v.  a. ).   —  Schon  aus  dieser  Zusammenstellung  geht  her- 
vor, daß  die  Haarbildungen   den  Pflanzen  nicht  nur  als  Ver- 
dnnstungsschutz  dienen,    sondern   eine    sehr   verschiedene  Be- 
deutung haben  können  (Beweis!). 

1)  Zu  diesen  uns  bereits  genügend  bekannten  Min- 
richtungen tritt  bei  den  meisten  Pflanzen  noch  die  Fähigkeil 
hinzu,  die  Spaltöffnungen  zu  verschließen,  sobald 
Wassermangel  eintritt.  Legt  man  ein  Stück  von  der  Ober- 
haut z.  B.  eines  Lilienblattes  in  einen  Tropfen  Wasser,  so 
sieht  man,  wie  sich  zwischen  den  Sehließzellen  (s.  S.  383) 
deutlich  wahrnehmbare  Spalten  befinden.  Setzt  man  aber 
dem  Präparate  ein  wasserentziehendes  Mittel  zu;  z.  B.  einen 
Tropfen  Glycerin ,  so  verschwinden  die  Spalten  alsbald. 
Worauf  beruht  diese  eigentümliche  Erscheinung? 

Steht  der  Pflanze  genügend  Wasser  zur  Verfügung, 
so  ist  der  Turgor  wie  in  jeder  Zelle  auch  in  den  Schießzellen 
verhältnismäßig  groß.  Da  nun  die  Wände  der  Schließzellen  ungleich  dick  sind,  so 
müssen  sie  durch  den  Turgor  auch  ungleichmäßig  ausgedehnt  werden.  Die  größte  Deh- 
nung müssen    natürlich    die    in    der  Abbildung  mit  a  bezeichneten,    langen    und    dünnen 

Wandstellen  erfahren.  Hier  werden  die 
Zellen  daher  höher  und  nach  außen  vor- 
geb achtet,  infolgedessen  müssen  aber 
die  entgegengesetzten  Zellseiten  (bei  b) 
etwas  zurücktreten :  der  Spalt  ist 
jetzt  geöffnet.  Sinkt  bei  starker 
Verdunstung  der  Turgor,  so  werden  die 
Wandstellen  bei  a  wieder  kürzer  und 
strecken  sich  gerade.  Die  Schließzellen 
werden  infolgedessen  flacher :  der  Spalt 
wird  daher  immer  enger,  bis  er 
schließlieh  ganz  geschlossen 
ist.  Die  Schließzellen,  die  in  der  dünnen 
Wandstelle  b  gleichsam  ein  Scharnier 
besitzen,  führen  also  ganz  ähnliche  Be- 
wegungen aus  wie  ein  Blasebalg,  den 
man  öfl'net  und  schließt. 

7.  Herbstlicher  Laubfall.  Wenn 
unsere  Holzpflanzen  im  Herbste  nicht  mehr  imstande  sind,  dem  abgekühlten 
Boden  die  nötige  WTassermenge  zu  entnehmen,  dann  schützen  sie  sich  —  wie 
wir  bereits  S.  91,  c  gesehen  haben  —  dadurch  vor  dem  Vertrocknen,  daß  sie 
ihr  Laub  abwerfen.  Den  früher  gegebenen  Mitteilungen  sei  hier  nur  noch 
folgendes  hinzugefügt : 


Spaltöffnung    aus    dem   Blatte    einer  Nieswurz 

im    Querschnitte    "schematisiert).      1    geöffnet; 

2  geschlossen.     Die  Bezeichnungen  s.  Text. 


400  Bau  und  Leben  der  einzelnen   Pflanzenteile. 

Stellt  man  durch  ein  solch  abgefallenes  Blatt  dünne  Querschnitte  her,  so 
sieht  man,  wie  die  Zellen  mit  einer  Flüssigkeit  angefüllt  sind,  in  der  sich  nur  noch 
einige  Öltropfen  und  Kristalle  von  oxalsaurem  Kalke  finden.  Die  wertvollen 
Stoffe  (Stärke,  Eiweiß  u.  a.)  sind  in  den  Stamm  gewandert.  Es  geht  also  nicht 
viel  mehr  als  das  wertlos  gewordene  Skelett  der  Blätter  verloren.  Wie  wir 
an  diesen  Querschnitten  weiter  sehen,  beruht  die  herbstliche  Rotfärbung 
(z.  B.  beim  wilden  Wein)  auf  dem  Vorhandensein  roten  Zellsaftes,  die  Gelb- 
färbung (z.  B.  beim  Ahorn)  auf  den  zerstörten,  gelbgewordenen  Blattgrün- 
körpern und  die  Braunfärbung  (z.  B.  bei  den  Eichen)  auf  dem  Braunwerden 
der  Zellwände  und  besonders  ihres  Inhalts. 

II.  Vom  Bau  und  Leben  der  Wurzel. 

A.  Die  Aufgaben  und  Hauptformen  der  Wurzel. 

1.  Wie  wir  wissen,  baut  sich  die  grüne  Pflanze  unter  Mithilfe  der  Sonnen- 
strahlen aus  Stoffen  auf,  die  sie  der  Luft  (Kohlenstoff)  und  dem  Erdboden 
(Wasser  und  darin  gelöste  Nährsalze)  entnimmt.  Ein  Teil  ihres  Körpers 
streckt  sich  daher  in  die  Luft  dem  Lichte  entgegen,  während  sich  ein  anderer, 
d.  i.  die  Wurzel,  in  die  Erde  hinabsenkt.  Im  Gegensatze  zum  Tiere,  das  sich 
seine  Nahrung  meist  umherstreifend  sucht,  ist  die  Pflanze  also  an  den  Boden 
gefesselt. 

Sollen  aber  die  oberirdischen  Teile  vom  Sturme  nicht  zu  Boden  geworfen 
so  muß  die  Pflanze  fest  in  der  Erde  verankert  sein.  Diese  Aufgabe  wird 
gleichfalls  von  der  Wurzel  erfüllt. 

2.  Je  größer  eine  Pflanze  wird  und  je  mehr  Blätter  sie  bildet,  desto  mehr 
Wasser  verdunstet  sie  auch,  und  desto  mehr  ist  sie  den  Angriffen  der  Winde 
ausgesetzt.  Mit  dem  Wachstum  der  ganzen  Pflanze  muß  daher  auch  die  Ver- 
größerung der  Wurzel  gleichen  Schritt  halten.  Umgekehrt:  je  weniger  Blätter 
die  Pflanze  besitzt,  desto  geringer  ist  auch  —  immer  gleiche  Verhältnisse  vor- 
ausgesetzt —  ihr  Wurzelwerk  ausgebildet  (Beispiele!).  Gleichsam  in  eine  „Nähr- 
lösung" eingesenkt  sind  die  Pflanzen,  die  ganz  unter  WTasser  leben  (Wasserpest), 
oder  deren  Blätter  sich  doch  unter  Wasser  befinden  (Wasserfeder).  Sie  be- 
sitzen —  wie  wir  bereits  S.  382  gesehen  haben  —  eine  so  zarte  Oberhaut,  daß 
sie  imstande  sind,  die  Nährstoffe  mit  ihrer  ganzen  Außenfläche  aufzunehmen. 
Ihnen  fehlen  die  Wurzeln  daher  entweder  gänzlich  (Hornblatt),  oder  sie  dienen 
ihnen  nur  zum  Festhalten  im  schlammigen  Grunde  (Wasserhahnenfuß).  Im 
Gegensatz  zu  diesen  Gewächsen  haben  die  Trockenlandpflanzen  meist  mit  Wasser- 
mangel zu  kämpfen.  Sie  sind  daher  genötigt ,  ihre  Wurzeln  tief  in  den  Boden 
zu  senken  (Kuhschelle,  Wüstenpflanzen)  oder  sie  über  einen  großen  Bezirk  aus- 
zubreiten (Kiefer).  Diese  Pflanzen  lösen  ihre  Wurzeln  daher  zumeist  auch  in 
sehr  viele  und  sehr  dünne  Zweige  auf  (Kiefer);  denn  je  mehr  dies  geschieht, 
umso  größer  wird  auch  die  aufsaugende  Oberfläche  (wiederhole  den  S.  79,  c 
angegebenen  Versuch).    Sumpfgewächse  dagegen,   die  gleich  den  Wasserpflanzen 


Bau  and   Leben  der  Wurzel.  KU 

in  einer  „Nährlösung"  stehen,  haben  meist  dicke,  strangartige   and    wenig  ver- 
zweigte Wurzeln  (Sumpfdotterblume).    Kurz :  Die  Ausbildung  d er  Würz el 

steht   mit   dem  Alter   und   der   Lebensweise   der   Pflanze,    sowie 
mit  den  Bodenverhältnissen   im  innigsten  Einklänge. 

3.  Wie  wir  bereits  an  der  keimenden  Bohne  (s.  S.  100)  beobachtet  haben,  senkt 
sieh  die  Wurzel,  die  den  Stengel  nach  unten  fortsetzt,  die  „Hanptwur  zelB,  wie  ein 
Pfahl  in  den  Boden  („Pfahlwurzel").  Von  ihr  gehen  nach  allen  Seiten  Zweige 
aus,  die  wagerecht  oder  schräg  nach  unten  verlaufen.  Würden  die  Zweige  mit  der 
Haupt  wurzel  senkrecht  in  den  Boden  wachsen,  so  könnte  die  Pflanze  nur  eine  viel  kleinere 
Krdraenge  auf  die  Mährstoffe  hin  ausbeuten,  und  sie  wäre  bei  weitem  nicht  so  sicher 
im  Boden  befestigt  als  in  diesem  Falle.  (Vergleiche  die  Pflanze  mit  einer  Kalme,  deren 
Mast  in  den  Boden  gerammt  und  durch  seitliche  Taue  gehalten  wird!)  Da  sieb  die 
Zweige  in  immer  feinere  Äste  auflösen,  so  ist  bald  die  ganze  Erdmasse,  die  im 
Bereiche  der  Pflanze  liegt,  von  Tausenden  und  aber  Tausenden  feinster  Saugwürzelchen 
durchzogen  („Wurzelballen"   der  Topfgewächse  !). 

4.  Wie  wir  beim  Roggen  beobachtet  haben  und  an  vielen  anderen  einkeimblättrigen 
Pflanzen  sehen  können,  geht  die  Hauptwurzel  vielfach  bald  zugrunde  Neben  würze  1  n. 
die  aus  dem  untersten  oder  einem  der  unteren  Stengelknoten  hervorbrechen,  übernehmen 
dann  ihre  Aufgaben.  Solehe  Wurzeln  können  sich  auch  je  nach  Bedürfnis  an  allen 
linderen  Pflanzenteilen  bilden.  Dies  sehen  wir  z.  B.  an  unterirdischen  Stämmen  (Taub- 
nessel, Maiblume),  an  Ausläufern  (Veilchen,  Erdbeere),  an  Zweigen,  die  wir  als  Steck- 
linge in  den  Boden  pflanzen  (Nelke,   Weinrebe)  u.  s.  w. 

5.  Bei  zahlreichen,  besonders  tropischen  Pflanzen  bilden  sich  Wurzeln,  die  nicht 
oder  doch  erst  sehr  spät  in  den  Boden  eindringen.  Solche  „Luftwurzeln"  dienen  dem 
Efeu  als  Werkzeuge  zum  Anklammern  (Klammerw  n  rzel  n);  die  merkwürdigen  Man- 
grovebäume  (s.  S.  84)  erhalten  durch  weit  längere  „S t elz w ur zc 1 n"  in  dem  Sumpf- 
boden der  Küstengewässer  den  nötigen  Halt,  und  zahlreiche  andere  Bäume  der  heißen 
Zone  senden  von  ihren  weitausgreifenden  Zweigen  „Stützwurzeln"  ,  die  oft  die  Stärke 
mächtiger  Stämme  erreichen,  zum  Boden  herab  (s.  Abb.  S.   402). 

6.  Bei  wieder  anderen  Pflanzen  haben  die  Wurzeln  noch  eine  Nebenaufgabe  über- 
nommen :  sie  dienen  als  Vo  r  r  at  ss  p  eic  h  e  r  für  Baustoffe  und  schwellen  daher 
meist  stark  an.  Ist  die  Haupt wurzel  die  Ablagerungsstätte,  so  wird  sie  zur  Rübe  oder 
M  öhr  e  (Zuckerrübe,  Möhre);  sind  es  die  Nebenwurzeln,  so  entstehen  (Wurzel-)Kn  ollen 
(Scharbockskraut,  Georgine). 

B.  Die  Aufgaben  und  der  feinere  Bau  der  Wurzel. 

1.  Das  Wachstum  der  Wurzel.  Die  wachsende  Wurzel  dringt,  ihren 
Aufgaben  entsprechend,  immer  weiter  im  Boden  vor.  Wie  dies  geschieht,  soll 
uns  folgender  Versuch  zeigen.  Wir  lassen  einige  Samen  der  Feuerbohne  in  feuchten 
Sägespänen  keimen.  Nachdem  die  Keimwurzeln  etwa  2  cm  lang  geworden  sind, 
tragen  wir  mit  Tusche  auf  jeder  von  der  Spitze  aus  zehn  kleine  Striche  auf, 
die  je  1  mm  voneinander  entfernt  sind.  Die  Bohnen  befestigen  wir  durch 
Nadeln  auf  der  Unterseite  eines  Korkes,  der  auf  eine  weithalsige  Flasche  paßt. 
Um  den  Keimlingen  die  nötige  Feuchtigkeit  zu  geben,  haben  wir  schon  vorher 
etwas  Wasser  in  die  Flasche  gegossen.  Nach  etwa  24  Stunden  sehen  wir,  daß 
Sehmeil.   Lehrbuch  der  Botanik.  26 


m±M.ww- 


Bau  und  Leben  der  Wurzel. 


408 


die  Wurzeln  beträchtlich  ge- 
wachsen sind.  Die  Striche  sind 
aber  zum  Teil  nicht  mehr 
gleichmäßig-  voneinander  ent- 
fernt wie  vordem:  Der  erste 
Strich  ist  von  der  Wurzelspitze 
allerdings  nur  wenig  abge- 
rückt; zwischen  ihm  und  dem 
zweiten  Striche,  sowie  zwischen 
diesem  und  dem  dritten  dagegen 
sind  sehr  große  Zwischen- 
räume entstanden;  dann  neh- 
men die  Entfernungen  zwischen 
den  einzelnen  Strichen  wieder 
stark  ab,  und  die  letzten  Striche 
sind  an  ihrem  Platze  geblieben. 
Hieraus  geht  deutlich  hervor, 
daß  erstlich  an  den  wachsen- 
den Wurzeln  sich  nur  die 
unteren  Teile  gestreckt  haben, 
und  daß  zweitens  die  Streckung 
nicht  gleichmäßig  gewesen, 
sondern  an  der  Spitze  schwach, 


* 


Wachstum    der    Wurzel.      Di« 

keimende  Feuerbohne  ist  durch  eine 
Nadel  an  einem  Kork  befestigt. 
Fig.  1:  Wurzel  mit  aufgetragenen 
Tuschestrichen,  die  sieh  nach  24 
Stunden  durch  Wachstum  der 
dann  stark  und  endlich  wieder  Wm'zel  so  verschoben  haben,  wie 
schwächer    erfolgt    ist.      Ein  Fi^-  2  «*#■ 

Gleiches    läßt  sich  an  jeder  wachsenden  Wurzel  beobachten:    es   ist  ein  nur 
verhältnismäßig  kurzer  Abschnitt  hinter    der  Wurzelspitze  in 

Streckung  begriffen,  der  die  Wurzel- 
spitze gleichsam  vor  sich  her  schiebt. 
2.  Die  Wurzelhaube.  Die  in  den  Boden 
gestoßene  Wurzelspitze  ist  überaus  zart,  so 
daß  sie  an  den  Kanten  der  Gesteinstrümmerchen 
bald  verletzt  sein  würde.  Sie  bedarf  daher 
eines  Schützes.  Betrachten  wir  das  Wurzel- 
ende bei  schwacher  Vergrößerung  (am  besten 
im  Längsschnitt),  so  sehen  wir,  daß  die  Spitze 
von  einem  kappenartigen  Gebilde  bedeckt  ist. 
Diese  „ W  u  r  z  e  1  h  a  u  b  e"  besteht  aus  festem 
-' II-  Gewebe  und  hat  etwa  die  Gestalt  eines  Finger- 
hutes, durch  den  die  Näherin  die  empfindliche 
Fingerspitze    gegen   Verletzungen    durch     die 

,r  .         Nadel  bewahrt.    Die  äußeren  Zellen  der  Baube, 
Wurzelhaube    (H.)    einer    Mais-  . 

wurzel  (etwa  100  mal  vergr.).  die    von    innen    her    immer    wieder    ersetzt 


KU 


Hau  iiml  Leben  der  einzelnen   Pflanzenteile. 


werden,  (iiiellen  nach  und  nach  gallertartig  auf.  Infolgedessen  ist  die 
Wnrzelspitze  glatt  und  schlüpfrig,  wie  mit  einem  Schmiermittel  bedeckt.  Da  sie 
zudem  noch  die  Form  eines  Kegels  (Nagels!)  besitzt,  so  vermag  sie  leicht 
und  ohne  Schaden  in  dem  Boden  vorzudringen. 

3.  Die  Wurzelhaare.  a)  Lassen  wir  irgend  welche  Samen  zwischen 
feuchtem  Fließpapier  keimen,  so  sehen  wir,  daß  die  Wurzeln,  wenn  sie  eine 
gewisse  Länge  erreicht  haben,  über  dem  sich  streckenden  Abschnitte  mit 
vielen,   außerordentlich   zarten  Härchen   bedeckt,   sind.     Stellen  wir   durch  eine 

solche  "Wurzel 
dünne  Quer-  oder 
Längsschnitte  her, 
so  erkennen  wir, 
daß  diese  „Wur- 
zelhaare" lange, 
schlauchförmige 
Ausstülpungen  der 
Oberhautzellen 
darstellen. 

Nehmen  wir 
sodann  irgend  eine 
Keimpflanze,  die 
in  einem  Blumen- 
topfe mit  Garten- 
erde gezogen  ist, 
aus  dem  Boden,  so 
sehen  wir ,  wie 
die  Wurzelhaare 
dicht  mit  Erde  be- 
deckt sind.  Selbst 
durch  Abspülen  in  Wasser  gelingt  es  nicht,  alle 
Bodenteilchen  zu  entfernen;  denn  die  Wurzelhaare 
sind  mit  ihnen,  wie  ein  Blick  durch  das  Mikroskop  zeigt,  fest  verklebt, 
gleichsam    v  e  r  w  a  c  h  s  e  n.     Diese  Tatsache  ist 

b)  nicht  nur  für  das  F  e  s  t  w  u  r  z  e  1  n  der  Pflanzen  im  Boden,  sondern 
auch  noch  in  anderer  Hinsicht  von  größter  Wichtigkeit:  da  die  Würzelchen 
durch  die  Haare  im  Boden  gleichsam  verankert  sind,  kann  die  Kraft,  die  der 
in  Streckung  begriffene  WTurzelabschnitt  entwickelt,  nur  auf  die  Wurzelspitze 
wirken,  so  daß  diese  vorwärts  getrieben  werden  muß.  Der  Wurzel- 
spitze müssen  daher  auch  die  Wurzelhaare  fehlen. 

c)  Die  Wurzelhaare  stehen  in  hervorragender  Weise  aber  auch  im  Dienste 
der  anderen  Aufgabe  der  Wurzel :  der  Aufnahme  des  Wassers  und 
der  Nährsalze.  Durch  die  Wandung  des  Wurzelhaares  sind  2  Flüssigkeiten 
verschiedener  Stärke  voneinander   getrennt:    der  Zellsaft,    der  reich   an  Salzen 


Wurzelhaare.     1.   Keimpflanze    vom 

weißen  Senf  mit  Wurzelhaaren,  2.  mit 
anhaftenden  Bodenteilchen  (nat.  Gr.). 
3. Wurzelhaare  (Wh.)  mit  Bodenteilchen 
verklebt;  0.  Oberhautzellen  (etwa 
200mal  vergr.). 


Bari  and  Leben  der  Wurzel.  4» »5 

und  Säuren  ist,  und  das  Wasser  des  Bodens,  das  geringe  Mengen  von  Nähr- 
salzen gelöst  enthält.  Zwischen  diesen  beiden  Flüssigkeiten  muß  daher  ein  Aus- 
tausch stattfinden  (s.  S.  362).  Das  Protoplasma,  das  die  Flüssigkeiten  durch- 
dringen müssen,  ist  aber  ein  lebender  Körper  mit  der  Fähigkeit,  nur  gewissen 
Stoffen  den  Durchtritt  zu  gestatten.  Es  läßt  aus  dem  Zellsaft  nur  geringe 
Stoff-Mengen  austreten  (s.  Absch.  g),  dafür  aber  umsomehr  Wasser  und  Nähr- 
salze  eintreten.  Hierzu  sind  die  Wurzelhaare  nun  umso  besser  geeignet,  als  sie 
die  Oberfläche  der  Wurzel  um  ein  Vielfaches  vergrößern,  mit  den 
Bodenteilchen  verkleben,  sehr  zarte  Wandungen  und  die  Form 
langer,  dünner  Schläuche  besitzen.  Sie  durchdringen  jede  Lücke  des 
Bodens  und  sind  imstande,  selbst  noch  die  geringste  Wassermenge  einzusaugen 
und  das  kleinste  Bodenteilchen  auf  seine  Nährstoffe  auszubeuten. 

d)  Erfolgt  die  Aufnahme  des  Wassers  und  der  Nährsalze  unter  günstigen  Be- 
dingungen, so  ist  eine  Vergrößerung  der  aufsaugenden  Wurzeloberfläche  nicht  vonnöten. 
Den  Sumpf-  und  Wasserpflanzen  ('Sumpfdotterblume,  Wasserlinse  u.  v.  a.)  fehlen  daher 
meist  die  Wurzelhaare.  -  Wie  wir  bereits  gesehen  haben  (s.  S  281),  sind  bei  den 
Waldbäumen  die  Wurzelhaare  in  der  Regel  durch  Pilzfäden  ersetzt,  die  sich 
weit  in  dem  lockeren  Boden  ausbreiten  und  die  Wurzeln  mit  Wasser  und  Nährsalzen 
versorgen.  Außer  bei  zahlreichen  anderen  Pflanzen  findet  auch  bei  den  Heidegewächsen 
und  vielen  Orchideen  ein  solcher  Ersatz  statt.  Diese  Tatsache  erklärt  uns  vollauf,  warum 
diese  Pflanzen  trotz  der  sorgsamsten  Pflege  in  unseren  Gärten  nicht  fortkommen. 

e)  Nimmt  man  eine  Pflanze  aus  dem  Boden,  so  fällt  von  den  älteren 
Wurzelteilen  die  anhaftende  Erde  leicht  ab,  ein  Zeichen,  daß  ihnen  die  Wurzel- 
haare fehlen.  Diese  Gebilde  sind,  wie  man  in  allen  Fällen  sieht,  stets  nur  auf 
einen  verhältnismäßig  kurzen  Abschnitt  hinter  der  wachsenden  Wurzelspitze 
beschränkt.  In  dem  Maße,  in  dem  sie  sich  hier  fortgesetzt  neu  bilden, 
sterben  sie  am  entgegengesetzten  Ende  ab.  Auf  diese  Weise  kommt  die 
Wurzel  immer  mit  neuen  Bodenteilchen  in  Berührung,  denen  sie  die  Nähr- 
stoffe noch  nicht  entzogen  hat.  Die  älteren  Teile  der  Wurzel  umkleiden 
sich  mit  wasserdichten  Korklagen,  sind  also  zur  Aufnahme  von  Wasser  und 
Nährsalzen  untauglich.  (Erkläre,  warum  man  die  Pflanzen  möglichst  mit  dem 
„Ballen"  verpflanzen  muß,  und  warum  sie  in  den  ersten  Tagen  nach  dem  Ver- 
pflanzen leicht  welken!) 

f)  Zwischen  der  A  u  s  b  r  e  i  t  u  ng  der  Wurzeln  und  der  Art,  wie  die  Pflanzen 
das  Regen  wasser  ableiten,  besteht  eine  innige  Beziehung  (s.  S.  88,  c).  Tropft 
das  Wasser  am  Umfange  der  Krone  nieder,  ist  die  Wasserleitung  also  nach  außen  ge- 
richtet oder  zentrifugal,  so  breiten  sich  die  Wurzeln  allseitig  so  weit  aus,  daß  die 
mit  Wurzelhaaren  besetzten  feinsten  Wurzelzweige  im  Umkreise  der  Krone  liegen  (dicht- 
belaubte Bäume,  Königskerze  u.  a.).  Fließt  das  Wasser  dagegen  nach  innen  oder  zentri- 
petal ab,  so  sind  die  Wurzeln  mehr  oder  weniger  senkrecht  nach  unten  gerichtet  und 
eng  zusammengedrängt  (Raps,  Tulpe  u.  a.).  —  Bei  dünnbelaubten  Bäumen  (Birke)  sind 
die  Saugwurzeln  gleichmäßig  unter  der  ganzen  Krone  verteilt,  —  Bei  der  Vogelmiere  (s.  S.  40) 
wird  das  Wasser  durch  Haarleisten  am  Stengel  zur  Wurzel  geleil  et  -.  AMi.  S.  406).  — 
Wasser-    und    Sumpfpflanzen,    sowie    viele    Gewächse,    die    gesellig     beieinander     stehe, 


406 


Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 


lassen   das  Wasser  in  keiner  bestimmten   Richtung  von    den  Blättern  abtropfen    (warum 
nicht  nötig?;. 

g)  Welcher  Art  sind  nun  die  Stoffe,  die  durch  die  Wände  der  Wurzelhaare 
nach  außen  dringen?  Um  dies  zu  erfahren,  nehmen  wir  einen  Blumentopf,  der 
mit  feuchtem  Sande  gefüllt  ist,  und  lassen  darin  eine  Bohne  keimen.  Vorher 
aber  haben  wir  in  den  Sand  einige  Zentimeter  tief  eine  kleine  Marmorplatte 
gelegt,   deren   polierte   Fläche   nach  oben  gerichtet  ist.     Nach   etwa    14   Tagen 


Zweig    der  Vogelmiere    mit   Haar- 
eisten zur  Ableitung  des  Regenwassers. 
(Nat.  Gr.) 


nehmen  wir  die  Platte  aus  dem  Sande  hervor  und  reinigen  sie  sorgfältig.  Dann 
erkennen  wir,  daß  die  Politur  überall  dort,  wo  die  Wurzeln  die  Platte  berührt 
haben,  zerstört  worden  ist.  Die  Wurzeln  haben  also  eine  Säure  ausge- 
schieden, die  kohlensauren  Kalk  (Marmor)  zu  lösen  vermag.  Und  wie  Kalk, 
so  dürften  auch  andere  Bodenteilchen  gelöst  und  zersetzt  werden.  Die  Pflanze 
hilft  also  mit,  die  notwendige  „Nährsalzlösung"  zu  bereiten. 

4.  Die  Düngung.  Verwesen  die  Pflanzen  dort,  wo  sie  gewachsen  sind,  so  werden 
dem  Boden  auch  die  Stoffe  wieder  zugeführt,  die  ihm  von  den  Gewächsen  entzogen  worden 
sind.  Anders  ist  dies  aber  z.  B.  auf  Feldern  und  Wiesen,  von  denen  alljährlich  ganze 
Wagen  voll  organischer  Stoffe  entfernt  werden.  Diesem  Boden  müssen  daher 
die  für  den  Pflanzenwuchs  wichtigen  Stoffe  (besonders  stickstoffhaltige 
Verbindungen)  wieder  zugeführt  werden.     Dies  geschieht  durch  die  Düngung. 


C.  Wie  das  Wachstum  der  Wurzel  von  der  Schwerkraft  beeinflußt  wird. 

1.  Sehen  wir  von  Ausnahmen  ab  (Beispiele!),  so  beobachten  wir  bei  allen 
Pflanzen,  daß  die  Wurzeln,  ihren  Aufgaben  entsprechend,  in  den  Boden  dringen. 
Diese  Tatsache  erscheint  den  meisten  Menschen  als  etwas  durchaus  Selbstver- 
ständliches, das  gar  nicht  des  Nachdenkens  wert  ist.     Daß  dem  jedoch  nicht  so 


Bau   und  Leben  der  Wurzel. 


407 


ist,  zeigt  folgender  Versuch:  Wir  legen  einen  Bohnenkeimling  so  in  die  durch- 
feuchtete Erde  eines  Blumentopfes,  daß  die  2—3  cm  lange  Hauptwurzel  genau 
wagerecht  gerichtet  ist.  Entfernen  wir  nach  etwa  24  Stunden  die  Erdschicht, 
die  den  Keimling  bedeckt,  so  sehen  wir,  daß  das  Wurzelende  mit  den  älteren, 
nicht  mehr  wachstumsfähigen  Teilen  der  Wurzel  fast  einen  rechten  Winkel 
bildet.  Diese  Krümmung  kann  nur  dadurch  zustande  gekommen  sein,  daß  sich 
der  wachsende  Wurzelabschnitt  an  der  Oberseite  stärker  als  an  der  Unterseite 
gestreckt  hat,  (Durch  Auftragen  von  Tuschestrichen  wie  bei  dem  S.  403  be- 
schriebenen Versuche  noch  deutlicher  zu  sehen!). 

Die  Wurzelspitze 
hat  also  die  Richtung,  die 
wir  ihr  gegeben  haben, 
verlassen  und  sich  wieder 
dem  Mittelpunkte  der  Erde 
zugewendet,  wie  dies  für 
die  Erfüllung  ihrer  Auf- 
gaben durchaus  nötig  ist. 
Dasselbe  beobachten  wir 
an  jeder  anderen  Haupt- 
wurzel: sie  dringt  mit 
großer  Kraft  nicht 
selten  metertief  in 
den  Boden  und  wendet 
sich  immer  wieder 
senkrecht  abwärts, 
wenn  sie  durch  einen 
Stein,  einen  Fels- 
block  oder   dgl.  aus   ihrer  Richtung   verdrängt  worden  ist. 

2.  Wodurch  wird  die  Hauptwurzel  zu  diesem  merkwürdigen  Verhalten 
veranlaßt?  Schon  der  Umstand,  daß  sie  stets  dem  Mittelpunkte  der  Erde  „zu- 
strebt", läßt  vermuten,  daß  hierbei  die  Anziehung  der  Erde,  die  Schwerkraft, 
im  Spiele  ist.  WTie  das  Licht  die  Zimmerpflanzen  oder  die  „Kartoffelkeime"  im 
Keller  „zu  sich  hinzieht"  (s.  S.  413),  wird  die  Wurzelspitze  durch  die  Schwer- 
kraft angeregt  oder  gereizt,  an  der  Oberseite  stärker  zu  wachsen  als  an  der 
Unterseite,  so  daß  jene  Abwärtskrümmung  eintreten  muß.  Ist  diese  Erklärung 
richtig,  so  muß  eine  Keimwurzel,  die  wir  der  einseitigen  Einwirkung  der 
Schwerkraft  entziehen,  ein  anderes  Verhalten  zeigen,  und  das  ist  der  Fall, 
wie  folgender  Versuch  zeigt:  Man  befestigt  auf  einem  Metallstabe  einen  durch- 
feuchteten Torfwürfel  und  bestreut  ihn  mit  Samen  der  Gartenkresse.  Die  Samen 
bilden  bei  Befeuchtung  einen  klebrigen  Schleim  (Bedeutung?),  haften  daher  an 
dem  Torfstücke  fest  und  keimen  sehr  schnell.  Setzt  man  den  Metallstab  durch 
ein  Uhrwerk  in  drehende  Bewegung  —  der  Torfwürfel  muß  in  der  Stunde  etwa 
2  senkrechte  Umdrehungen  machen  — ,  so  ist  die  Seite  jeder  Keimwnrzel,   die 


Wachstum  der  WTurzel  unter  dem  Einflüsse  der 
Schwerkraft.  Die  wagerecht  gelegte  Keiimvurzel  der 
Feuerbohne  (Fig.  1)  hat  nach  24  Stunden  die  in  Fig.  2 
dargestellte  Form  angenommen.  Bez.  der  Tusckestrieke 
vgl.  Abb.  S.  403). 


|us  Bau  and   Leben  der  einzelnen   Pflanzenteile. 

jetzt  nach  oben  gekehrt  ist,  nach  einer  Viertelstunde  nach  unten  gerichtet  u.  s.  f. 
Die  Schwerkraft  kann  daher  nicht  auf  eine  Seite  besonders  einwirken  und  sie 
zu  stärkerem  Wachstum  veranlassen.  Die  Wurzeln  wachsen  daher  allseitig  gleich 
stark  in  der  Richtung  weiter,  in  der  sie  zufällig  aus  dem  Samen  hervorge- 
treten sind. 

3.  Die  aus  der  Hauptwurzel  hervorgehenden  Seitenwurzeln  wachsen,  wie 
wir  wissen  (s.  S.  100,  b),  stets  senkrecht  oder  schräg  abwärts.  Bringen  wir  sie  aus 
dieser  Lage  (Umdrehen  des  Blumentopfes!),  so  nehmen  sie  die  ihrer  „inneren  Natur" 
entsprechende  Richtung  alsbald  wieder  ein.  Ähnliche  Beobachtungen  werden 
wir  später  (s.  S.  411)  auch  an  den  Stammgebilden  machen;  kurz:  wir  sehen, 
daß  zahlreiche  wachsenden  Fflanzenteile  durch  die  Schwerkraft 
beeinflußt,  gereizt  werden.  Die  Eigenschaft  der  Pflanze,  auf  diese 
Kraft  zu  antworten,  zu  reagieren,  bezeichnet  man  als  Geotropismus. 

4.  Legt  man  Bohnenkeimlinge  auf  den  Boden  (ohne  sie  also  mit  Erde  zu 
bedecken),  so  krümmt  sich  die  Wurzelspitze  zwar  gleichfalls  abwärts,  ist  aber 
meist  nicht  imstande,  in  die  Erde  einzudringen.  Hierzu,  sowie  zum  Herausziehen 
der  Keimblätter  aus  der  Samenschale  bedarf  der  Keimling  eines  festen  Stütz- 
punktes: der  Samen  muß  am  Boden  gleichsam  verankert  werden. 

Den  angebauten  Pflanzen  Schäften  wir  die  notwendige  Befestigung  an  „das  Keini- 
bett",  indem  wir  die  Samen  (Früchte)  mit  einer  Schicht  Erde  bedecken.  Die  Früchte 
vom  Reiher-  und  Storchschnabel  haben  die  Fähigkeit,  sich  in  die  Erde  zu  bohren, 
und  die  Keimlinge  der  seltsamen  Mangrovebäume  dringen  wie  zugespizte  Pfähle  in  den 
schlammigen  Untergrund.  Viele  Samen  rollen  infolge  ihrer  Form  und  Kleinheit  in  jede 
Bodenritze;  größere  Samen  oder  Früchte  wie  z.  B.  Haselnuß  und  Eichel  vermögen  meist 
nur  dadurch  an  einem  geeigneten  Orte  zum  Keimen  zu  gelangen,  daß  sie  von  Tieren 
verschleppt  werden.  Bei  anderen  Samen  oder  Früchten  verklebt  die  Samen-  oder  Frucht- 
hülle  durch  einen  zähen  Schleim  (Lein,  Wegerich)  oder  durch  anhaftende  Teilchen  des 
Fruchtfleisches  (Kürbis)  mit  dem  Boden.  Bei  wieder  anderen  dienen  haarförmige  (Salweide) 
oder  dornige  Anhängsel  (Möhre),  grubige  Vertiefungen  (Mohn)  oder  warzenförmige  Er- 
höhungen (Schlüsselblume)  der  Samen-  oder  Fruchtschale  dem  gleichen  Zwecke.    • 

III.  Tom  Bau  und  Leben  des  Stammes. 

A.  Aufgabe,  Wachstum  und  Formen  des  Stammes. 

1.  Aufgabe  des  Stammes.  Die  Laubblätter  haben  wir  als  die  Werk- 
stätten kennen  gelernt,  in  denen  aus  anorganischen  Stoffen  organische  gebildet 
werden.  Da  dies  aber  nur  unter  dem  Einflüsse  des  Sonnenlichtes  geschieht, 
und  da  einer  der  wichtigsten  Nährstoffe,  der  Kohlenstoff,  der  Luft  entnommen 
wird,  so  müssen  die  Blätter  dem  Lichte  und  der  Luft  möglichst  frei  ausgesetzt 
sein.  Eine  freie  Stellung  ist  auch  für  die  Blüten  notwendig,  wenn  sie  von  den 
Insekten  oder  dem  Winde  bestäubt  werden  sollen,  desgleichen  für  die  vielen 
Früchte  oder  Samen,  die  zu  ihrer  Verbreitung  auf  Vögel  oder  den  Wind  an- 
gewiesen sind  (Beispiele !).  Genau  wie  wir  die  Wäsche  frei  aufhängen,  um  sie 
der  Luft  und   den  Sonnenstrahlen   auszusetzen,    oder  wie  wir  Aufschriften,   die 


Bau  iin.i   Leben    i 


40ft 


weithin  gesehen  werden  sollen  (Wegweiser,  Firmenschilder,  Bekanntma- 
chungen u.  dgl.),  hochan  Häusern  oder  auf  langen  Stangen  befestigen,  so  müssen 
auch  Blätter,  Blüten  und  Früchte  durch  lange  Träger  möglichst 
hoch  über  den  Boden  gehoben  werden.  Diese  Träger  bilden  die 
Stämme,  die  bei  größeren  Pflanzen  (Beispiele!)  zumeist  noch  verzweigt, 
bei  den  größten  (Bäumen)  in  der  Regel  sogar  vielfach  verzweigt  sind. 

2.  Wachstum  und  Verzweigung  des  Stammes,  a)  Legt  man  die  äußerste 
Spitze  eines  Zweiges  der  Wasserpest  unter  das  Mikroskop,  oder  stellt  man  durch 
das  entsprechende  Stück  einer  Landpflanze  dünne  Längsschnitte  her,   so  ist  zu 
erkennen,    daß    ein    solches    Stamm-    oder 
Zweigende    aus    protoplasmareichen,    zart- 
wandigen  Zellen  aufgebaut  ist,  die  eng  an- 
einander  schließen.     Da   sich   diese  Zellen 
durch  Teilung  lebhaft  vermehren,  wachsen 
Stamm  und  Zweige  an  dieser  Stelle 
fortgesetzt  in  die  Länge.    Den  meist 
kegelförmigen  Endabschnitt  bezeichnet  man 
daher     als    Wachstums-     oder    Vege- 
tationsk  egel. 

An  jenen  Pflanzenteilen  sehen  wir 
weiter,  wie  an  dem  Stamme  kleine  Höcker 
und  Wülste  entstehen,  die,  je  weiter  von 
der  Stammspitze  entfernt,  immer  mehr  die 
Gestalt  von  Blättern  annehmen.  Die 
Blätter  sind  also  ihrer  Entstehung 
nach  nichts  anderes  als  Her  vor- 
stülp ungen  des  Stammes.  Der  Stamm 
oder  Zweig  bildet  mit  seinen  Blättern  einen 
sog.  Sproß. 

Indem  sich  der  jugendliche  Stamm  in  die  Länge  streckt,  werden  die 
Blätter  soweit  voneinander  entfernt,  wie  dies  für  jede  Pflanze  eigentümlich  ist. 

Die  Stellen  des  Stammes,  an  der  die  Blätter  entspringen,  sind  vielfach 
augeschwollen  (Lippenblütler);  man  bezeichnet  sie  daher  als  Stengelknoten. 
Das  zwischen  je  zwei  Stengelknoten  liegende  Stammstück  heißt  Stengelglied. 
Oft  bleiben  die  Stengelglieder  so  kurz,  daß  die  Blätter  fast  ohne  Zwischen- 
raum aufeinander  folgen.  Solche  verkürzte  (gestauchte)  Stämme  findet  man 
z.  B.  bei  Pflanzen,  deren  Blätter  eine  Rosette  bilden  (Wegerich,  Schlüssel- 
blume u.  a.). 

b)  Im  allgemeinen  eilen  die  jungen  Blätter  in  ihrer  Ausbildung  dem  sich 
streckenden  Stamm-  oder  Zweigende  voraus.  Sie  legen  sich  schützend  über  den 
sehr  zarten  Wachstumskegel,  decken  sich  gegenseitig  und  bilden  eine  Knospe. 
Die  Wachstumsstelle  des  Stammes  bedarf  daher  im  Gegensatz  zur  wachsenden 
Wurzelspitze  keines  besonderen  Schutzorgans  (Wurzelhaube!).     Soll  die  Knospe 


/;. 


B. 


Wachstumskegel     der     Wasserpesl 
(200  mal  vergr.).     B.   Blattanlagen, 


410 


Bau  und  Leben  der  einzelnen   Pflanzenteile. 


K. 


angünstige  Zeiten  (Winter,  lange  Dürre)  überstehen,  so  wird  sie  meist  durch 
besondere  Blätter  (Knospenschuppen)  und  andere  Mittel  fest  abgeschlossen 
(s.  S.  41,  B).  Bei  den  unterirdischen  Stämmen  (Windröschen,  Maiblume  u.  a.), 
bei  denen  die  Knospe  den  oft  festen  Boden  durchdringen  muß,  sind  die  den 
Schutz  bewirkenden  Blätter  sehr  fest  („Hüllblätter"). 

An  dünnen  Schnitten  durch 
die  Knospe,  z.  B.  der  Linde,  er- 
kennt man,  daß  sich  in  den  Blatt- 
achseln Anlagen  zu  beblätterten 
Seitenzweigen  bilden.  Entweder 
wachsen  diese  Anlagen  gleich  weiter 
oder  sie  verharren  im  Knospen- 
zustande.  Im  Gegensatz  zu  den 
„Endknospen",  die  das  "Wachs- 
tum des  Stammes  oder  Zweiges  oft 
viele  Jahre  lang  fortsetzen,  be- 
zeichnet man  diese  Knospen  als 
Achselknospen.  Da  die  Zweige 
aus  den  Achseln  der  Blätter  ent- 
springen, stimmt  die  Stellung 
der  Zweige  mit  der  der  Blätter 
überein  (Beispiele!). 

c)  Bei  gewissen  Pflanzen  be- 
sitzen aber  auch  ältere  Teile 
die  Fähigkeit,  Knospen  und 
damit  neue  Sprosse  zu  er- 
zeugen. Am  häufigsten  treten  uns 
solche  Sprosse  als  „Stockausschlag" 
geköpfter  Bäume  (Weiden,  Pappeln, 
Robinie  u.  a.)  oder  als  „Wurzel- 
brut" entgegen  (Pflaumenbaum, 
Weißdorn  u.  v.  a.).  Auch  aus 
Blättern  (Wiesenschaumkraut)  oder 
Wurzelstücken  (Meerrettich,  Löwenzahn  u.  a.)  können  sie  hervorgehen. 

d)  Je  größer  die  Blätterlast  ist,  die  ein  Stamm  zu  tragen  hat,  eine  umso  größere 
Festigkeit  muß  er  besitzen.  Verhältnismäßig  kleine  Pflanzen  von  kurzer  Lebensdauer 
(ein-  oder  zweijährige  Gewächse  ;  Beispiele !),  die  sog.  Kräuter,  haben  daher  nur  einen 
weichen,  saftigen  und  meist  grünen  Stamm.  Er  erliegt  der  Winterkälte  und  wird  in  der 
Regel  Stengel  genannt.  Einen  hohlen  Stengel,  der  durch  verdickte  Knoten  und  Quer- 
scheidewände  deutlich  gegliedert  ist,  bezeichnet  man  als  Halm  (Gräser).  Trägt  der 
Stengel  nur  eine  Blüte  oder  nur  einen  Blütenstand,  so  nennt  man  ihn  Schaft  (Schnee- 
glöckchen, Hyazinthe). 

Dauert  der  Stamm  mehrere  oder  viele  Jahre  aus  (ausdauernde  Pflanzen),  so  finden 
in  ihm  weitgehende  Verholzungen  statt  (s.  später).     Er  wird    zum  Holzstamm    (kurz 


R.     G.  M.     G.     R. 

Längsschnitt  durch  eine  Endknospe 

(schematisch).    W.  Wachstumskegel;   B.   Blätter 

K.  Achselknospen.   "Wegen  der    übrigen  Bezeich 

nungen    vgl.    den   zweiten  Abdruck    dieser   Abb 

auf  S.  416. 


Bau  und  Leben  des  Stammes.  411 

nur  „Stamm"  genannt),  der  die  größten  Lasten  zu  tragen  vermag  und  gegen  die  Winter- 
kälte  oft  außerordentlich  unempfindlich  ist  (Beispiele!).  Bei  den  St  räuchern  lösen 
sich  die  meist  zahlreichen  Stämme  vom  Boden  aus  in  Äste  auf.  Bei  den  B  ä  u  in  e  n  da- 
gegen bleibt  der  untere  Stammteil  unverzweigt. 

3.  Abweichende  Stammformen.  Bei  zahlreichen  Pflanzen  haben  der  Stamm 
oder  gewisse  Zweige  andere  Aufgaben  zu  erfüllen,  als  die  Blätter,  Blüten  und  Früchte 
möglichst  frei  zu  stellen.  Diesen  Sonderaufgaben  entspricht  dann  auch  die  Form  dieser 
umgewandelten  Stammgebilde  : 

a)  Seitenzweige,  die  am  Grunde  von  Stämmen  entspringen,  nehmen  häufig  die 
Gestalt  sog.  Ausläufer  an.  Sie  liegen  dem  Boden  auf  (Erdbeere,  Veilchen  u.  a.)  oder 
kriechen  unter  der  Erde  fort  (zahlreiche  Gräser,  Riedgräser  n.  a.),  schlagen  an  den  weit 
auseinander  gerückten  Stengelknoten  meist  Wurzeln  und  bilden  oberirdische  Sprosse. 
Löst  sich  der  Zweig  später  von  der  Mutterpflanze,  so  führen  die  Sprosse  von  nun  ab  ein 
selbständiges  Leben  (Vermehrung !). 

b)  Holzige  Zweige,  die  in  eine  stechende  Spitze  auslaufen,  sind  die  Dornen.  Sie 
dienen  als  Schutzwehr  gegen  größere  Pflanzenfresser  (wilder  Birnbaum,  Schwarz-  und 
"Weißdorn  u.  a.). 

c)  Stengelranken,  wie  wir  sie  beim  Weinstock  kennen  lernten  (s.  S.  62),  dienen 
der  Anheftung  schwacher  Stämme  an  eine  Stütze. 

d)  Mit  Hilfe  unterirdischer  Stämme  vermögen  andere  Gewächse,  die  sog. 
Stauden,  die  für  sie  ungünstige  Zeit  des  Jahres  zu  überstehen.  Für  die  Pflanzen  unserer 
Heimat  (Schlüsselblume,  Maiblume  u.  v.  a.)  ist  diese  Zeit  der  Winter ;  für  die  der  warmen 
oder  wärmeren  Gegenden  der  regenlose  Sommer  (s.  Tulpe).  Bei  Beginn  dieser  Zeit  sind 
die  im  Erdboden  wohl  geborgenen  Stämme  mit  Baustoffen  angefüllt,  während  die  ober- 
irdischen Teile  absterben.  Nach  ihrer  Form  unterscheidet  man  diese  Stammgebilde  als 
unterirdische  Stämme  i.  e.  S.  (Wurzelstöcke,  Rhizome),  Zwiebeln  (s.  Tulpe)  und 
Knollen  (s.  Kartoffel). 

B.  Die  Richtung*  der  Stämme  und  Zweige. 

1.  Einwirkung-  der  Schwerkraft,  a)  Es  gibt  zwar  einige  Pflanzen,  deren 
oberirdische  Stämme  dem  Erdboden  aufliegen  (Gundermann,  Pfennigkraut  u.  a.), 
im  allgemeinen  aber  stehen  diese  Pflanzenteile  überall  auf  der 
Erdkugel  senkrecht.  Selbst  auf  Berglehnen  und  anderen  schrägen  Flächen 
ist  dies  der  Fall.  Legen  wir  einen  Samen  in  die  Erde  —  ganz  gleich,  welche 
Lage  wir  dem  von  der  Samenhaut  umhüllten  Keimlinge  gegeben  haben !  — ,  sein 
Stengel  wächst  in  jedem  Falle  senkrecht  nach  oben.  Sind  Baumstämme  durch 
den  Wind  umgestürzt,  aber  noch  nicht  völlig  entwurzelt,  so  stellt  sich  der 
wachstumsfähige  Teil  des  Gipfeltriebes  nach  kurzer  Zeit  wieder  in  die  Lotrichtung. 
Hat  sich  das  noch  grüne  Getreide  gelagert,  so  richten  sich  die  Halme  durch 
einseitiges  Wachstum  gewisser  Knoten  wieder  empor  (s.  S.  254).  Kurz :  solche 
und  ähnliche  Beobachtungen  können  wir  tagtäglich  machen,  wenn  wir  mit  offenen 
Augen  durch  die  Natur  wandern. 

Auch  künstlich  können  wir  diese  Erscheinungen  leicht  hervorrufen: 
legen  wir  z.  B.  den  Blumentopf,  in  dem  wir  irgend  welche  Eeimpflänzchen  ge- 
zogen haben,   wagerecht,    so  krümmen  sich   die   Stengel   alsbald   sc»    stark,   daß 


412  Bau  und  Leben  der  einzelnen   Pflanzenteile. 

sie  wieder  senkrecht  zu  stehen  kommen;  dasselbe  beobachten  wir  an  jeder 
Zimmerpflanze,  ja  sogar  an  abgeschnittenen  Stengelteilen  (an  jungen  Laub- 
und Blütenzweigen,  am  Schafte  des  Löwenzahns  u.  s.  w.),  die  wir  z.  B.  so  in 
einen  mit  feuchtem  Sande  gefüllten  Blumentopf  stecken,  daß  sie  wagerecht  zu 
liegen  kommen. 

b)  Wiederholen  wir  jetzt  den  Versuch,  durch  den  wir  die  einseitige 
Wirkung  der  Schwerkraft  auf  Pflanzenteile  aufheben  können  (s.  S.  407,2),  so  sehen 
wir,  daß  sich  die  Stengel  gleich  den  Wurzeln  nach  allen  Richtungen  des  Baumes 
erstrecken.  Dies  ist  ein  deutliches  Zeichen  dafür,  daß  die  senkrechte  Stellung 
der  Stämme,  sowie  das  Zurückkehren  wachsender  Stengelteile  in 
die  Lotrichtung  unter  dem  Einflüsse  der  Schwerkraft  erfolgt,  oder 
kurz:  daß  wir  es  hier  mit  geotropischen  Erscheinungen  zu  tun 
haben  (s.  S.  408). 

Ein  Stengelteil,  der  aus  der  senkrechten  Stellung  gebracht  ist,  wird  wie 
die  wagerecht  gelegte  Hauptwurzel  in  unserem  Versuche  einseitig  von  der 
Schwerkraft  gereizt.  Wie  wir  nun  in  jedem  Falle  beobachten  können  (besonders 
deutlich  an  den  Knoten  des  sich  aufrichtenden  Grashalms!),  wird  das  Wachs- 
tum der  Unterseite  gesteigert,  das  der  Oberseite  dagegen  gehemmt, 
so  daß  ein  Aufrichten  des  Stengels  erfolgen  muß.  Auf  senkrecht  stehende 
Stämme  wirkt  die  Schwerkraft  wie  auf  senkrecht  gerichtete  Hauptwurzeln 
ringsum  gleich:  sie  wachsen  daher  auf  allen  Seiten  auch  gleich  stark, 
d.  h.  sie  behalten  die  senkrechte  Bichtung  bei. 

c)  Die  Schwerkraft  wirkt  auf  die  Stämme  aber  genau  umgekehrt  wie  auf 
die  Hauptwurzel:  während  diese  erdwendig  oder  positiv-geotropisch  ist, 
sind  die  (oberirdischen)  Stämme  erdflüchtig  oder  negativ-geotropisch. 
Wie  wir  das  Eindringen  der  Hauptwurzel  in  den  Boden  als  durchaus  zweck- 
mäßig erkannten,  so  steht  auch  die  Erdflüchtigkeit  der  Stämme  mit  ihrer  Auf- 
gabe in  innigstem  Zusammenhange:  denn  soll  der  Stamm  die  Blätter  in  der 
Luft  und  im  Lichte  ausbreiten,  sowie  Blüten  und  Früchte  freistellen,  so  muß 
er  sich  möglichst  hoch  über  den  Erdboden  erheben. 

d)  Derselben  Aufgabe  haben  auch  die  Zweige  zu  dienen.  Da  aber  der 
Platz  senkrecht  über  dem  Boden  bereits  „vergeben"  ist,  müssen  sie  sich  schräg 
aufwärts  oder  wagerecht  stellen.  Diese  Bichtung  behalten  sie  wie  die  Seitenwurzeln 
(s.  S.  408,  3)  auch  mit  größter  Zähigkeit  bei:  sucht  man  sie  z.  B.  durch  An- 
binden senkrecht  zu  stellen,  so  schlägt  der  wachstumsfähige  Endteil  doch  wieder 
die  ursprüngliche  Bichtung  ein.  Gleiche  Beobachtungen  kann  man  auch  an  den 
unterirdischen  Stämmen  (Wurzelstöcken)  machen,  die  wagerecht  oder  schräg  im 
Boden  liegen:  alles  Zeichen,  daß  diese  Pflanzenteile  gleichfalls  unter  dem  Einflüsse 
der  Schwerkraft  stehen.  Während  Hauptwurzel  und  Stämme  die  Bichtung  des 
Erdradius  innehalten,  schneiden  diese  die  Lotrichtung.  Da  man  nun  eine  Linie 
die  eine  andere  schneidet,  eine  Transversale  (i.  w.  S.)  nennt,  so  bezeichnet  man 
jene  Pflanzenteile  als  transversal-geotropisch.  (Beobachte,  wie  sich  häutig 
ein  Seitenzweig  senkrecht  richtet,  wenn  eine  Pflanze  den  Gipfeltrieb  verloren  bat!) 


Hau    iiml    Leben    des   Stammes.  H  n 

e)  Durch  den  Einfluß  der  Schwerkraft  vermögen  auch  die  achwachen  Stengel  der 
windenden  Pflanzen  zum  Lichte  emporzusteigen.  Wie  dies  im  einzelnen  erfolgt, 
haben  wir  bereits  bei  der  Bohne  (s.  S.  101,  4)  kennen  gelernt.  Ergänzend  sei  daher 
hier  nur  folgendes  bemerkt:  Wir  wissen,  dal.;  der  übergeneigte  Stengelteil  dieser  Pflanze 
beständig  nach  links  im  Kreise  schwingt.  Wie  das  oben  erwähnte  Abwärtskrümmen  der 
«vagerechten  Warzelspitze  oder  das  Ä.ufwärtskrümmen  des  gleichfalls  wagerechl  gelegten 
Stengels  klimmt  diese  Bewegung  dadurch  zustande,  daß  der  schwingende  Stengelabsehnitt 
an  der  entgegengesetzten,  also  rechten  Seite  fortgesetzt  im  Wachstum  gefördert  wird. 
Ahmen  wir  diese  Bewegung  mit  Hilfe  eines  Gummischlauches,  der  am  Unterende  etwa 
in  einen  Schraubstock  gespannt  ist  (unterer,  feststehender  Stengelabsehnitt !),  genau 
nach,  so  erkennen  wir  deutlich,  daß  der  Gipfel  eine  doppelte  Bewegung  ausführt :  ein- 
mal dreht  er  sich  wie  ein  Uhrzeiger  im  Kreise,  sodann  aber  auch  wie  der  Stift,  der  die 
Uhrzeiger  trägt,  um  seine  ^eigene)  Längsachse.  Daher  „wandert"  ein  Tuschestrich,  diu 
wir  an  dem  schwingenden  Stengelteile  anbringen,  mit  jeder  Kreisbewegung  des  Gipfelteils 
auch  einmal  um  den  Stengel.  Es  kommen  mithin  fortgesetzt  andere  Stengelteilchen  in  die 
Seitenlage,  so  daß  die  Bewegung  ununterbrochen  weiter  gehen  maß.  Ist  die  Stütze  um- 
schlungen, so  tritt  —  wie  wir  weiter  an  der  Bohne  beobachtet,  haben  —  eine  Streckung 
des  Stengels  nach  oben  ein,  eine  Erscheinung,  in  der  wir  leicht  einen  negativ  geo- 
tropischen  Vorgang  erkennen.  —  Wie  bei  der  Bohne  erfolgen  auch  bei  den  Winden  und 
zahlreichen  anderen  Kletterpflanzen  die  Windungen  in  entgegengesetzter,  bei  dem  Hopfen 
und  Geißblatte  dagegen  in  derselben  Richtung,  in  der  sich  der  Uhrzeiger  bewegt :  die 
Pflanzen  sind  links-  bezw.  rechtswindend. 

2.  Einwirkung*  des  Lichtes,  a)  Zimmerpflanzen,  die  am  Fenster  stehen, 
neigen  sich  dem  Lichte  zu,  und  die  „Kartoffelkeime"  im  Keller  strecken  sich 
den  schwachen  Lichtrahlen  entgegen,  die  durch  das  kleine  Fenster  eindringen. 
An  Bäumen  und  Sträuchern,  die  am  Waldesrande,  an  Mauern  oder  im  Schatten 
höherer  Bäume  wachsen,  lassen  sich  oft  ganz  ähnliche  Erscheinungen  beobachten : 
ihre  Stämme  und  Zweige  sind  mehr  oder  weniger  nach  der  Lichtseite  geneigt, 
sodaß  die  Kronen  oft  eine  merkwürdige  Gestalt  annehmen.  Diese  und  viele  ähn- 
liche Tatsachen  zeigen,  daß  die  Pflanzen  unter  dem  Einflüsse  des 
Lichtes  gewisse  Krümmungen  ausführen.  Diese  Eigenschaft  der  Ge- 
wächse bezeichnet  man  als  Heliotropismus. 

b)  Wie  wir  z.  B.  an  Zimmerpflanzen  leicht  beobachten  können,  sind  jedoch 
nur  wachsende  Pflanzenteile  (Zweigenden  u.  dgl.)  imstande,  dem  Einflüsse 
des  Lichtes  Folge  zu  leisten  oder  kurz:  sich  heliotropisch  zu  krümmen.  Tragen 
wir  an  wachsenden  Stengeln,  so  lange  sie  noch  ganz  gerade  gestreckt  sind, 
Querstriche  mit  Tusche  auf,  die  je  1  mm  voneinander  entfernt  sind,  so  sehen 
wir  nach  erfolgter  Krümmung,  daß  sich  die  Striche  auf  der  Schattenseite  weit 
voneinander  entfernt  haben,  während  sie  auf  der  „Lichtseite"  nur  wenig  oder 
gar  nicht  auseinander  gerückt  sind.  Das  Licht  hat  die  Pflanzenteile 
also  gereizt,  auf  der  Schattenseite  stärker  zu  wachsen  als  auf 
der  Lichtseite,  so  daß  jene  Krümmungen  stattfinden  mußten. 
(Dieser  Versuch  läßt  sich  besonders  gut  mit  Keimpflanzen  anstellen.) 

c)  Wie  in  den  beobachteten  Füllen  suchen  fast  alle  oberirdischen  Stämme 
und  Zweige   (bei   einseitiger  Beleuchtung)   das   Licht    auf  und    wachsen   in  der 


414  Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 

Richtung  des  Lichtes  weiter.  Sie  sind  lichtwendig  oder  positiv-helio- 
tropisch, eine  Erscheinung,  die  mit  der  Aufgabe  dieser  Pflanzenteile 
(s.  S.  408,  1)  wieder  aufs  innigste  zusammenhängt. 

Die  meisten  Kletter  wurzeln  (Efeu),  Banken  (Weinstock)  und  Erdwurzeln 
dagegen  fliehen  das  Licht  (beweise  dies  durch  entsprechende  Versuche!).  Sie 
sind,  wie  es  zur  Erfüllung  ihrer  Aufgabe  gleichfalls  notwendig  ist  (Beweis!), 
lichtscheu  oder  negativ  heliotropisch. 

Wie  man  an  den  Zimmerpflanzen  sehen  kann,  suchen  die  Blätter  gleich 
den  Stämmen  und  Zweigen  das  Licht  auf  und  stellen  sich  ihm  zumeist  senk- 
recht entgegen.  (Beobachte,  wie  sich  mit  der  Richtung  des  Lichtes  auch  die 
Stellung  der  Blattflächen  ändert !)  Auf  diese  Weise  fangen  sie  (s.  Abb.  S.  44) 
die  größtmögliche  Menge  von  Lichtstrahlen  auf,  eine  Tatsache,  die  für  die 
Assimilation  von  höchster  Wichtigkeit  ist.  Die  Blätter  sind  also  transversal- 
heliotropisch. 

Kurz:  wie  zur  Schwerkraft,  nehmen  auch  die  Pflanzenteile  zum 
Lichte  genau  die  Lage  ein,  die  für  ihr  Leben  notwendig  ist.  Bringt 
man  sie  aus  dieser  Lage,  so  suchen  sie  dieselbe,  solange  sie  noch 
wachstumsfähig  sind,  wieder  zu  erlangen.  (Inwiefern  ist  es  für  das 
efeublättrige  Leinkraut  von  Vorteil,  daß  seine  Blütenstiele  positiv-,  seine  Frucht- 
stiele dagegen  negativ-heliotropisch  sind?) 

3.  Einwirkung  durch  Berührung.  Gleich  den  windenden  Pflanzen  vermögen 
auch  die  rankenden  nur  dadurch  ihre  Blätter,  Blüten  und  Früchte  in  die  Luft  und 
das  Licht  zu  erheben,  daß  sie  sich  an  fremden  Gegenständen  aufrichten.  Sie  bedienen 
sich  der  Ranken,  in  denen  wir  bereits  Stengel-  (Weinstock)  oder  Blattgebilde  (Erbse) 
erkannt  haben.  Bei  einigen  Pflanzen  (Waldrebe,  Kapuzinerkresse  u.  a.)  übernehmen  es 
die  Stiele  der  sonst  unveränderten  Blätter,  den  schwachen  Stamm  an  die  Stützen  zu  binden. 

Wie  wir  nun  bei  der  Betrachtung  des  Weinstocks  gesehen  haben  (s.  S.  62),  gehen 
mit  der  Ranke,  sobald  sie  bei  ihren  kreisenden  Schwingungen  auf  eine  Stütze  trifft,  eine 
Anzahl  wichtiger  Veränderungen  vor  sich:  die  Berührung  der  Stütze  wirkt  anf 
die  Ranke  also  wie  ein  Reiz.  Durch  den  Reiz  wird  das  Rankenende  veranlaßt, 
sich  zu  krümmen,  d.  h.  auf  der  Außenseite  stärker  als  auf  der  Innenseite  zu 
wachsen  und  dadurch  die  Stütze  zu  umschlingen.  Ist  die  Befestigung  erfolgt,  dann 
rollt  sich  der  freie  Rankenteil  korkzieherartig  ein,  und  die  ganze  Ranke  verholzt,  ein 
Zeichen,  daß  der  Reiz  auch  auf  Teile  fortgepflanzt  wird,  die  mit  der  Stütze 
nicht  in  Berührung  gekommen  sind.  Wir  haben  es  hier  also  mit  einer  ähnlichen  Reiz- 
leitung zu  tun,  wie  sie  in  unseren  Nerven  stattfindet.  (Eine  Fortleitung  des  Reizes 
können  wir  deutlich  z.  B.  auch  an  den  Drüsenhaaren  des  Sonnentaublattes,  sowie  an  den 
Blättern  der  Sinnpflanzen  beobachten.  Wie  wirkt  der  Reiz  beim  wilden  Wein  und  bei 
anderen  rankenden  Kletterpflanzen  unserer  Fluren  und  Gärten?) 

C.  Der  Bau  des  Stammes  in  seinen  Grundzügen. 

1.  Die  „Bausteine"  des  Stammes.  Wie  wir  gesehen  haben,  nimmt  der 
Stamm  dadurch  fortgesetzt  an  Länge  zu,  daß  sich  die  Zellen,  die  den  Wachs- 
tumskegel aufbauen,  durch  Teilung  lebhaft  vermehren.     Diese  Zellen  sind  aber, 


Bau  und  Leben  des  Stammes. 


415 


ihrer  Aufgabe  entsprechend  (Teilung!),  außerordentlich  zartwandige  Gebilde. 
Die  älteren  Stammteile,  die  aus  diesen  Zellen  hervorgehen,  können  aus  einem 
solchen  Bauraateriale  jedoch  unmöglich  bestehen;  denn  sie  haben  ja  nicht  nur 
ihr  eigenes  Gewicht,  sondern  auch  das  der  Zweige,  Blätter,  1  Muten  und  Früchte 
zu  tragen,  sowie  dem  Anpralle  des  Windes  und  der  Regentropfen  Widerstand  zu 
leisten.  Die  Wände  der  Zellen  müssen  daher  mit  fortschreitendem 
Alter  an  Festigkeit  und  Widerstandsfähigkeit  zunehmen. 


(>. 


Gr. 

G. 

Ms. 


/;. 


Querschnitt  eines  Stammes  (schematisch)  1.  von  einer  zweikeimblättrigen  Pflanze 
oder  einem  Nadelholze,  2.  von  einer  einkeimblättrigen  Pflanze.  0.  Oberhaut;  Gr.  Grund- 
gewebe;  Gr.  Gefäßbündel.  In  Fig.  1.  ist  das  Grundgewebe  (Gr.)  wieder  geschieden  in: 
M.  Mark;  R.  Kinde  und  Ms.  Markstrahlen.  Die  Gefäßbündel  sind  aus  einem  Eolzteile  II.  I 
und  einem  Bastteile  (B.)  zusammengesetzt.  Zwischen  diese  Teile  schiebl  sieh  in  Fig.  1. 
das  Kambium  (K.). 

Außerdem  sind,  wie  wir  gleichfalls  schon  gesehen  haben,  die  Zellen  des 
Wachstumskegels  vollkommen  gleichartig,  so  daß  jede  einzelne  alle  zum  Leben 
und  Wachstum  notwendigen  Arbeiten  verrichten  kann.  Da  die  Arbeiten  im 
., Zellstaate"  aber  besser  und  vollkommener  ausgeführt  werden,  wenn  sie  auf 
die  einzelnen  „Bürger"  verteilt  sind  (s.  S.  366),  so  tritt  (bei  höheren  Pflanzen) 
wie  im  Blatte  und  der  Wurzel  auch  im  Stamme  eine  bis  ins  einzelnste 
gehende  Arbeitsteilung  ein. 

Sollen  die  Zellen  des  Wachstumskegels  zu  Bausteinen  älterer  Stamm  teile 
werden,  so  müssen  mit  ihnen  also  tiefgreifende  Veränderungen  vor 
sich  gehen.  Unter  dem  Wachstumskegel  beginnt  die  Gleichartigkeit  der 
Zellen  daher  bereits  zu  schwinden,  und  die  Veränderungen  werden  umso  größer, 
je  tiefer  die  „lebenden  Bausteine"  unter  dem  Stammende  zu  liegen  kommen.  In 
ausgebildeten  Stammteilen  haben  sie  ihre  Entwicklung  beendigt. 

2.  Der  Bauplan  des  Stammes.  Stellen  wir  durch  den  ausgewachsenen 
Stengel    einer   krautigen   Pflanze    in    verschiedener   Höhe    dünne   Querschnitte 


4  IG 


Bau  und   Leben  d< 


inzelnen   Pflanzenteil 


her,  so  ergibt  sich  überall  folgendes:  In  der  äußersten  Zellschicht  erkennen 
wir  die  uns  bereits  bekannte  Oberhaut  (s.  S.  381)  leicht  wieder.  Die  ganze 
lanenfläche  unseres  Schnittes  \  wird  von  randlichen  Zellen  eingenommen.  In 
dieses  maschenartige  „Grundgewebe"  (Name!)  sind  scharf  umgrenzte  Zell- 
gruppen eingelagert,  die  man  als  Gefäßbündel  bezeichnet.  —  Aus  diesen 
übereinstimmenden  Befunden  geht  hervor,  daß  der  Stengel  einen  Zylinder  von 
Grundgewebe  darstellt,  der  außen  von  der  Oberhaut  bedeckt  und  in  seiner  ganzen 
Länge  von  zahlreichen  Gefäßbündeln  durchzogen  ist. 

Den  niederen  Pflanzen  (Moosen,  Algen  und  Pilzen)  fehlen  die  Gefäßbündel  stets. 
»Sie  stellen  daher  den  übrigen  Gewächsen,  den  „Gefäßpflanzen"  (Farn-  und  Blütenpflanzen), 
als  „ Zellpflanzen "  gegenüber. 

Untersuchen  wir  Vertreter  der  drei  großen  Gruppen  der  Blutenpflanzen, 
so  erkennen  wir,  daß  in  dem  gemeinsamen  Bauplane  ihrer  Stämme  ein  wichtiger 
Unterschied  vorhanden  ist  (s.  Abb.  S.  415): 

a)  Auf  Querschnitten  durch  einen  krautigen  Stengel  oder  jungen  Zweig  einer 

zweikeimblättrigen  Pflanze 
oder  eines  Nadelholzes  sehen  wir, 
daß  die  Gefäßbündel  in  einem  deut- 
lichen Kreise  um  die  Längsachse 
des  Stengels  (oder  den  Mittelpunkt 
des  Querschnitts)  gelagert  sind. 
Hiedurch  wird  das  Grundgewebe 
in  zwei  deutlich  voneinander  ge- 
trennte Teile  geschieden :  in  das 
Mark,  das  innerhalb,  und  die 
Binde,  die  außerhalb  des  Ge- 
fäßbündelringes  liegt.  Die  Teile 
des  Grundgewebes,  die  die  einzelnen 
Gefäßbündel  voneinander  trennen 
und  Mark  und  Binde  verbinden, 
werden  als  Markstrahlen  be- 
zeichnet. (An  jungen  Zweigen 
des  Pfeifenstrauches  sind  alle  diese 
Teile  schon  mit  unbewaffnetem 
Auge  zu  erkennen.) 

b)  An  Querschnitten  durch 
den  Stengel  einkeimblättriger 
Pflanzen  (z.  B.  vom  Mais  oder  von 
einem  Liliengewächse)  erkennen 
wir,  daß  die  Gefäßbüudel  unregel- 
mäßig in  dem  Grundgewebe  ver- 
streut sind.  Es  findet  daher  hier 
auch    keine    deutliche    Sonderung 


K. 


R.     G.  M.    G.    R. 

Längsschnitt  durch  den  oberen  Teil  eines 
Stammes  einer  zweikeimblättrigen  Pflanze 
(schematisiert).  W.  Wachstumskegel ;  B.  Blatter, 
in  deren  Achseln  sich  Knospen  (EL.)  bilden.  Die 
äbrigen  Bezeichnungen  wie  in  der  vorhergehen- 
den Abbildung. 


Bau  und   Leben  des  Stammes.  417 

des  Grundgewebes  in  Mark,  Rinde  und  Markstrahlen  statt.  Die  den  zweikeim- 
blättrigen  Pflanzen  entsprechenden  Teile  des  Grundgewebes  werden  jedoch  gleich- 
falls als  Mark  oder  Rinde  bezeichnet. 

3.   Die  Verbindung  des  Stammes  mit   Blatt  und  Wurzel,    a)  Wie 

man  sich  durch  Quer-  und  Längsschnitte,  die  man  durch  krautige  Stengel  oder 
junge  Zweige  herstellt,  leicht  überzeugen  kann,  biegen  in  jedes  Blatt  ein 
oder  mehrere  Abzweigungen  von  Gefäßbündeln  ein.  Dort  bilden  sie 
die  Nerven  oder  Adern  des  Blattes,  die  sich  aus  uns  bereits  bekannten 
Gründen  (s.  S.  394)  immer  feiner  verzweigen.  Beim  Zerreißen  des  Wegerich- 
blattes treten  uns  die  Gefäßbündel  als  zähe,  feste  Stränge  entgegen.  Auch  die 
Nerven  in  den  einzelnen  Blütenteilen  und  in  den  Früchten  sind  nichts  anderes 
als  Gefäßbündel  und  deren  Verzweigungen. 

b)  Ebenso  stehen  auch  die  Gefäßbündel  des  Stammes  mit  dem  einzigen 
Gefäßbündel  der  Wurzel  im  Zusammenhang  (s.  Abb.  S.  429).  Dieser  feste 
Strang  durchzieht  die  Wurzel  der  Länge  nach.  Er  ist  von  einer  dicken  Rinde 
umgeben,  die  wieder  von  einer  Oberhaut  bedeckt  ist.  Im  Innern  des  Gefäß- 
bündels ist  vielfach  ein  lockeres  Mark  vorhanden:  der  Bau  der  Wurzel  stimmt 
also  im  wesentlichen  mit  dem  des  Stengels  überein. 

D.  Die  Gefäßbündel. 

Betrachtet  man  ein  Gefäßbündel  auf  Querschnitten,  die  man  durch  den 
Stengel  einer  Blütenpflanze  hergestellt  hat,  so  läßt  sich  leicht  folgendes  fest- 
stellen: Wie  die  Anwendung  von  Chlorzinkjodlösung  zeigt  (s.  S.  365),  besitzen 
die  nach  innen  gerichteten  Bestandteile  der  Gefäßbündel  im  Gegensatz  zu  den 
nach  außen  liegenden  stark  verholzte  Wände.  Das  Gefäßbündel  besteht  also 
aus  zwei  Teilen:  dem  inneren  Holzteile  und  dem  äußeren  Bastteile.  Zwischen 
beiden  liegt  —  jedoch  nur  bei  den  zweikeimblättrigen  Pflanzen  und  Nadelhölzern  — 
eine  Schicht  sehr  zartwandiger  Zellen,  das  Kambium. 

Die  Gefäßbündel  der  Blätter,  die  Blattnerven,  sowie  die  der  Wurzeln  bestehen  — 
wie  hier  ergänzend  erwähnt  sein  mag  —  gleichfalls  aus  Holz-  und  Bastteil  (s.  Abb.  S.  380). 
Da  sich  die  Gefäßbündel  der  Blätter  gleichsam  aus  dem  Stengel  herausbiegen,  muß  bei 
ihnen  der  Holzteil  nach  oben,  und  der  Bastteil  nach  unten  gerichtet  sein.  Das  Gefäß- 
bündel der  Wurzel  besteht  —  wie  die  Abb.  S.  429  zeigt  —  aus  mehreren  Holz-  und 
Bastteilen,  die  so  im  Kreise  gelagert  sind,  daß  sie  miteinander  abwechseln. 

1.  Der  Holzteil.  Schon  auf  dem  Querschnitte  erkennen  wir,  daß  der 
Holzteil  aus  sehr  verschiedenen  Bestandteilen  zusammengesetzt  ist.  Auf  Längs- 
schnitten tritt  uns  dies  noch  deutlicher  entgegen.  Zuerst  sehen  wir  lauge,  weite 
Röhren,  deren  Wände  verschiedenartige  Verdickungen  aufweisen  (s.  S.  364).  Sie 
sind  aus  übereinander  liegenden,  zylindrischen  oder  prismatischen  Zellen  dadurch 
hervorgegangen,  daß  sich  deren  Querwände  auflösten.  Man  bezeichnet  sie  als 
Holzgefäße  oder  kurz  als  Gefäße  (daher:  Gefäßbündel!),  und  zwar  unter- 
scheidet man   nach  der  Form   der  Wandverdickungen  Ring-,  Schrauben-,  Netz- 

Schmeil,   Lehrbuch  der  Botanik.  27 


418 


Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 


und  Tüpfelgefäße.  Sie  sind  im  Durchschnitt  etwa  10  ein,  in  Ausnahmefällen  aber 
(z.  B.  bei  der  Eiche  und  Bobinie)  einen  oder  gar  mehrere  Meter  lang  und  er- 
scheinen auf  dem  Querschnitte  oft  schon  dem  unbewaffneten  Auge  als  Löcher 
oder  Poren  (s.  Abb.  S.  421). 


Querschnitt    eines   Gefäfibiimlels    aus    dem   Stengel    einer   Keimpflanze    des  Wunder- 

baumes  (Ricinus).  R.  Die  angrenzenden  Zellen  der  Rinde,  (Js.  Die  Gefäßbündel- 
sebeide  (Zellen  mit  Stärkekörnern  angefüllt).  K.  Kambium.  Zwischen  (Is.  und  K. 
der  Bast  teil  der  Gefäßbündel  mit  Gruppen  dickwandiger  Bastfasern.  M.  Die  an- 
grenzenden Zellen  des  Markes.  Zwischen  K.  und  M.  der  Holz  teil  des  Gefaßbündels, 
aus  verschieden  weiten  Gefäßen,  dickwandigen  Holzfasern  und  Zellen  mit  anverdickten 
Wanden   bestehend. 


Neben  den  Gefäßen  treten  in  der  Eegel  noch  ganz  ähnliche  Gebilde  von 
geringerer  Weite  auf.  Sie  sind  aber  nicht  durch  Verschmelzung  von  Zellen 
entstanden,  sondern  selbstZellen.  Daher  werden  sie  auch  „Gefäßzellen"  genannt. 
(In  den  Gefäßbündeln  der  Gefäß-Sporenpflanzen  finden  sich  —  trotz  des  Namens  — 
statt  der  Gefäße  in  der  Eegel  nur  Gefäßzellen.) 

Zwischen   den  Gefäßen   und  Gefäßzellen   liegen   meist   noch  Gruppen  von 


Bau  und  Leben  des  Stammes. 


419 


Zellen  gewöhnlicher  Form,  die  entweder  stark  verdickte  oder  unverdickte  Wände 
besitzen.  Die  Zellen  der  ersteren  Art  sind  langgestreckt,  besitzen  zugespitzte 
Enden  und  werden  als  Holzfasern  bezeichnet.  Die  anderen  Zellen  sind  kürzer, 
prismatisch,  enthalten  Protoplasma  und  dienen  gleich  allen  anderen  lebenden 
Bestandteilen  der  Stämme  bei  ausdauernden  Gewächsen  während  des  Winters 
als  Vorratskammer  für  Baustoffe  (Stärke  oder  Öl).  Gefäße,  Gefäßzellen  und  Holz- 
fasern verlieren,  nachdem  sie  vollständig  ausgebildet  sind,  ihren  Inhalt:  es  sind 


B.  II. 

Längsschnitt  durch  ein  Gefäßbündel  einer  zweikeimblättrigen  Pflanze  (schematisch.) 
R.  Die  angrenzenden  Zellen  der  Rinde.  B.  Bast  teil  und  zwar:  1  Bastfasern, 
2  zartwandige  Bastzellen,  3  Siebröhren.  K.  Kambium.  II.  Eolzteil  und  zwar: 
4  Tüpfelgefäß,  5  Holzfasern.  6  Ringgefäß,  7  prismatische  Zellen,  mit  Stärkekörnern  an- 
gefüllt,    8  Gefäßzellen,    1»  Netzgefäß,    10  Schraubengefäß.     M.    Die   angrenzenden  Zellen 

des    Mark,-. 

dann  tote,  aber  —  wie  wir  weiter  unten  sehen  werden  —  nicht  etwa  wertlose 
Bestandteile  des  Stammes.  —  Kocht  man  Holz  mit  verdünnter  Natronlauge,  so 
zerfällt  es  in  seine  Bestandteile.  Dieses  Verfahren  wird  im  großen  angewendet, 
um  aus  dem  Holze  das  Material  zu  gewissen  Papiersorten  zu  gewinnen.  Wird 
das  Holz  nur  zerrieben,  so  erhält  man  den  „Holzschliff".  Dieser  findet  Verwendung 
bei  der  Herstellung  geringerer  Papiere  („Holzpapiere"),  die  besonders  zu  Zeitungen 
u.  dgl.  gebraucht  und  nach  kurzer  Zeit  gelb  werden. 

2.  Der  Bastteil.  Auch  der  Bastteil  besteht  aus  verschieden  geformten 
Bestandteilen.  Stets  finden  sich  lange  Zellreihen,  deren  Scheidewände  zwar  er- 
halten geblieben,  aber  siebartig  durchlöchert  sind  („Siebplatten").  Diese  sog. 
Siebröhren    enthalten    außer   etwas  Protoplasma,   das   die  Wände  überkleidet, 


420 


Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 


eine  mehr  oder  weniger  verdünnte  Eiweißlösung,  die  durch  die  Siebplatten  von 
Zelle  zu  Zelle  wandert. 

Neben  gleichfalls  zartwandigen,  aber  rundlichen  oder  prismatischen  Zellen 
treten  im  Baste  noch  langgestreckte  Zellen  mit  sehr  dicken  Wänden  auf.  Diese 
zähen  und  festen  Bastfasern  sind  es,  die  man  vom  Flachs,  Hanf  und  einigen 
Brennesselgewächsen,  sowie  von  der  Linde  und  zahlreichen  anderen  Pflanzen  ge- 
winnt und  zur  Herstellung  von  Gespinsten  oder  Flechtwerken,  zum  Anbinden 
u.  dgl.  verwendet. 

Die  Zellen  der  Rinde,  die  an  den  Bastteil  grenzen,  sind  in  der  Regel  von  den 
übrigen  Rindenzellen  verschieden.  Sie  enthalten  nieist  zusammengesetzte  Stärkekörner 
und  bilden" die  sog.  Gefäßbündelscheide. 


Dicken  Wachstum  der  Stämme 

(s&iematisch).  1.  Querschnitt  durch 
einen  einjährigen  Stamm  mit  einem 
geschlossenen  Kambium-Zylinder  (K.). 
2.  Querschnitt  durch  einen  dreijährigen  Stamm.  Zwischen  je  2  Gefäßbündel  hat  sich  ein 
neues  Gefäßbündel  eingeschoben.  Die  Holzteile  (H.)  der  Gefäßbündel  lassen  je  3  Jahres- 
ringe erkennen:  in  ihnen  haben  sieb  einige  (radienartig  verlaufende)  Nebenmarkstrahlen 
gebildet.     Die  übrigen  Bezeichnungen  wie  in  Abb.  S.  415. 

3.  Das  Kambium  und  das  Dickenwachstum  der  Stämme.  Die  krautigen 
Stengel  einjähriger  Pflanzen  erleiden  in  ihrem  Bau  keine  wesentliche  Verände- 
rung. Anders  dagegen  verhält  es  sich  mit  dem  (oberirdischen)  Stamme  derjenigen 
Pflanzen,  deren  Leben  viele  Jahre  währt,  und  deren  Krone  immer  mehr  an  Umfang 
zunimmt :  Ihr  Stamm  wächst  fortgesetzt  in  die  Dicke  und  entwickelt  sich  nach 
und  nach  zu  einer  mächtigen  Holzsäule,  die  die  riesige  Last  der  Krone  tragen 
und  selbst  den  stärksten  Stürmen  trotzen  kann.  Wie  bilden  sich  nun  diese  Holzmassen? 

a)  Die  „Holzgewächse"  unserer  Heimat  gehören  sämtlich  den  zweikeim- 
blättrigen  Pflanzen  oder  den  Nadelholzgewächsen  an,  bei  denen  —  wie  wir  ge- 
sehen haben  —  die  Gefäßbündel  zu  einem  Kreise  geordnet,  und  Holz-  und 
Bastteil  dieser  Bündel  durch  eine  Kambiumschicht  getrennt  sind.  Indem  die  Gefäß- 
bündel größer  werden  und   sich   neue   zwischen   ihnen  bilden,   verschmelzen  die 


Bau  und  Leben  des  Stammes, 


421 


Holzteile  nach  und   nach  zu  einem  massiven  Holzkörper,  der  die  Reste  des 
Markes  umschließt. 

Ebenso  vereinigen  sich  auch  die  Bastteile  der  Gefäßbündel.    Sie  bilden  mit 
der  Rinde   einen   hohlen  Zylinder,   der   den  Holzkörper   umgibt    und  gemeinhin 


Gleichzeitig  haben  sich  in  den  Markstrahlen  die  Zellen,  die  an  das 
Kambium  grenzen,  durch  Teilung  ebenfalls  in  Kambium  verwandelt  (s.  Abb. 
S.  418  K).  So  entsteht  ein  sehr  dünner  Kambium-Zylinder,  der  Rinde  und 
Holzkörper  voneinander  trennt  und  auf  dem  Querschnitte  des  Stammes  als 
Kreis  erscheint.  (An 
dünnen  Zweigen  des 
Pfeifenstrauches  ist 
dieser  Kreis  schon  mit 
bloßem  Auge  deutlich 
zu  erkennen.)  Da  die 
Zellen  des  Kambiums 
außerordentlich  zart 
sind,  so  lassen  sie  sich 
durch  Klopfen  leicht 
zerstören.  Daher  ver- 
mögen die  Kinder  die 
Rinde  z.  B.  der 
Weidenzweige  vom 
Holzkörper  leicht  ab- 
zulösen ,  um  daraus 
Pfeifen  herzustellen. 

b)  Die  Kambium- 
zellen sind  nun  gleich 
den  Zellen  des  Wachs- 
tumskegels imstande, 
sich  durch  Teilung  fort- 
gesetzt zu  vermehren. 
Die  neu  entstehenden 
Zellen  bilden  sich  nach 
innen  zu  Gefäßen,  Gefäßzellen,  Holzfasern  und  prismatischen  Holzzellen,  nach 
außen  dagegen  zu  Siebröhren,  Bastfasern  und  anderen  Bestandteilen  des  Bastes 
um.  Auf  diese  Weise  erhalten  Holz  und  Bast  einen  Zuwachs:  der 
Stamm  wächst  in  die  Dicke.  WTie  die  Erfahrung  zeigt,  ist  die  Neubildung 
des  Holzes  bei  weitem  größer  als  die  des  Bastes. 

Da  die  Gefaßbündel  der  einkeimblättrigen  Gewächse  keine  Verdickungsschicht. 
kein  Kambiuni,  enthalten,  besitzen  die  Stämme  dieser  Pflanzen  bis  auf  Ausnahmen  (Drachen- 
bäuuie,  Palmlilien  und  ein  Teil  der  Palmen)  auch  kein  Diekenwaehstum.  —  In  dem  MalJe. 
in  dem  die  Stämme  dicker  werden,  nehmen  auch  die  Wurzeln  der  betreffenden  Pflanzen 
fortgesetzt  durch  Dickenwachstum  y.n  (Bedeutung  Vi. 


M.     M. 


Querschnitte  durch  das  Holz  eines  Laub-  und  eines 
Nadelbaumes.  1  Holz  der  Buche  (mit  zahlreichen  Gefäßen). 
2  Holz  der  Fichte  (besitzt  keine  Gefäße).  F.  Das  lockere 
Frühjahrs-,  H.  das  festere  Herbstholz,  das  die  Grenzen  der 
Jahresringe  bildet.  M.  Markstrahlen.  N.  Nebenmarkstrahlen, 
die  blind  im  Holze  endieen, 


422  Bau  nn(l  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 

c)  Der  Zuwachs  geht  in  unseren  Breiten  (wie  in  allen  außertropischen 
Gegenden)  nur  vom  Frühjahre  bis  zum  Herbste  vor  sich.  In  der  Kegel  besitzt 
nun  das  Holz,  das  sich  im  Frühjahre  bildet,  dünnwandigere  Bestandteile  von  größerer 
Weite  und  ist  reicher  an  Gefäßen  als  das  später  im  Jahre  entstehende.  Daher 
läßt  sich  das  lockere,  poröse  Frühjahrsholz  meist  leicht  von  dem  festeren  und 
dichteren  Herbst  holze  unterscheiden.  So  kommt  es  in  der  Holzmasse  zur 
Bildung  von  Jahresringen,  deren  Anzahl  bei  normalem  Wachstum  das  Alter 
der  Bäume  angibt.  —  Das  Holz  der  Nadelbäume  besteht  (vom  2.  Jahresringe  ab) 
nur  aus  Gefäßzellen. 

Mit  dem  Holze  der  älteren  Jahresringe  geht  in  der  Begel  eine  wichtige 
Veränderung  vor  sich.  In  die  WTände  oder  Hohlräume  der  einzelnen  Bestand- 
teile lagert  sich  Gerbstoff  oder  Gummi  ein,  Stoffe,  die  das  Holz  gegen  den  An- 
griff Fäulnis  erregender  Pilze  schützen.  (Wozu  verwenden  wir  die  Gerbstoffe?) 
Hierdurch  erhält  das  Holz  eine  dunklere  Farbe,  so  daß  es  sich  als  Kernholz 
meist  deutlich  von  dem  helleren  Holze  der  jüngsten  Jahresringe,  dem  Splint, 
abhebt.  (Im  Kernholze  mehrerer  Bäume,  z.  B.  der  Weiden,  lagern  sich  keine 
Schutzstoffe  ab.     Was  beobachten  wir  daher  häufig  an  W'eidenstämmen?) 

d)  Das  Kambium,  das  sich  zwischen  den  einzelnen  Gefäßbündeln  ge- 
bildet hat,  besitzt  gleichfalls  ein  fortgesetztes  Wachstum.  Durch  seine  Tätigkeit 
werden  die  Markstrahlen  nach  beiden  Seiten  verlängert.  Werden  Holz-  und 
Bastteil  der  Gefäßbündel  immer  breiter,  so  beginnt  auch  das  Kambium  in  den 
Gefäßbündeln  an  gewissen  Stellen  und  zu  verschiedenen  Zeiten  Markstrahlen- 
gewebe zu  erzeugen.  So  entstehen  die  Nebenmarkstrahlen,  die  blind  im 
Holze  oder  Baste  endigen  (s.  Abb.  S.  420  u.  421). 

E.  Leitung-sbahnen  im  Stamme. 

1.  Die  Leitiingsbahnen  für  Wasser  und  Nährsalze,  a)  Mit  Hilfe  einer 
Eosinlösung  haben  wir  früher  nachgewiesen  (s.  S.  394),  daß  die  Gefäßbündel  der 
Blätter,  die  Blattnerven,  die  Kanäle  sind,  die  den  Blattzellen  Wasser  und  Nähr- 
salze zuführen.  Wiederholen  wir  den  Versuch  mit  einer  Balsamine,  die  einen 
möglichst  durchscheinenden  Stengel  besitzt,  so  sehen  wir  schon  von  außen,  wie 
das  rotgefärbte  Wasser  allein  in  den  Gefäßbündeln  des  Stengels 
emporsteigt. 

Stellen  wir  nun  durch  diese  oder  andere  Stengel,  in  denen  wir  eine  Farb- 
stofflösung emporsteigen  ließen,  Querschnitte  her,  so  erkennen  wir,  daß  nur  der 
Holzteil  der  Gefäßbündel  gefärbt  ist.  Wir  dürfen  daher  auch  annehmen,  daß 
in  ihm  die  Leitung  des  Wassers  und  der  darin  gelösten  Nähr- 
salze erfolgt. 

b)  Benutzen  wir  zu  unseren  Versuchen  Zweige  eines  Baumes,  so  stellt 
sich  heraus,  daß  sich  nur  der  Holzkörper  und  zwar  besonders  in  den  äußeren 
Schichten  färbt,  während  Mark  und  Rinde  unverändert  bleiben.  Also  auch  hier 
ist  das  Holz  das  wasserleitende  Gewebe,  und  zwar  steigt  der  Wasser- 
strom nur  in  den  jüngsten  Jahresringen,  im  Splint,  empor. 


H;iu    miil    Lehen    lies   Stanillies. 


423 


Sehr  deutlich  erkennen  wir  dies  auch,  wenn  wir  am  Grunde  eines  be- 
blätterten Astes,  der  mit  dem  Baume  im  Zusammenhange  bleibt,  einen  mehrere 
Centimeter  breiten  Rindenring  bis  auf  das  Holz  entfernen.  Da  die  Blätter  des 
Zweiges  nicht  vertrocknen,  das  Mark  aber  bereits  verschrumpft  ist,  so  kann 
das  Wasser  nur  im  Holze  emporgestiegen  sein.  Nun  sehen  wir  nicht 
selten  Bäume  lebhaft  grünen,  in  denen  alles  ältere  Holz  durch  Fäulnis  zerstört 
ist  (hohle  Weiden  u.  a.),  ein  Zeichen,  daß  die  Leitung  des  Wassers  wirklich  nur 
in  den  jüngsten  Jahresringen,  also  im  lebenden  Holze,  erfolgt. 

c)  Schwierige  Untersuchungen  haben  nun  ergeben,  daß  das  Wasser  (meist 
mit  Luftblasen  untermischt)  in  den  Hohlräumen  der  Gefäße  und  Gefäß- 
zellen emporsteigt.  Diese  Tatsache  macht  uns  leicht  verständlich,  warum  diese 
Gebilde  die  Form  langgestreckter  Röhren  besitzen,  warum  sie  in  der  Längsrichtung 
der  Stämme  verlaufen  (Wasserleitungsröhren!),  wie  für  sie 
die  Beseitigung  von  Querwänden  (Gefäße!)  ein  Vorteil  ist, 
und  warum  ihre  Wände  nur  teilweise  verdickt  sein  dürfen. 

d)  Durch  welche  Kräfte  das  Wasser  in  dem 
Holze  emporgetrieben  wird,  ist  von  der  Wissen- 
schaft bisher  noch  nicht  mit  voller  Sicherheit  festgestellt. 
Wie  wir  bereits  wissen,  spielt  die  Verdunstung  hierbei 
eine  wichtige  Rolle:  Die  Blattzelle,  die  Wasser  verloren 
hat,  „sucht"  den  Verlust  zu  decken:  sie  entnimmt  es  der 
zweiten,  diese  der  dritten  u.  s.  f.  Auf  diese  Weise  wird 
das  Wasser  gleichsam  von  Zelle  zu  Zelle  weitergegeben  wie 
der  Eimer,  der  „durch  der  Hände  lange  Kette  fliegt". 

Eine  andere  Kraft,  die  hierbei  tätig  ist,  ist  der 
sog.  Wurzeldruck,  von  dessen  Vorhandensein  wir  uns 
leicht  in  folgender  Weise  überzeugen  können:  Wir  schneiden 
eine  kräftige  Pflanze  (Sonnenrose  oder  dgl.),  die  wir  im 
Blumentopfe  gezogen  haben,  oder  eine  Weinrebe  dicht  über 
dem  Boden  ab  und  befestigen  auf  dem  Stengelstumpfe  mit 
Hilfe  eines  Gummischlauches  eine  lange,  senkrecht  stehende 
Glasröhre.  Halten  wir  den  Boden  feucht,  so  steigt  in  dem 
Glasrohre  bald  Wasser  empor.  Dieses  Wasser  ist  von  den 
Wurzelhaaren  aus  dem  Boden  gesogen,  durch  die  Rinden- 
zellen in  das  Gefäßbündel  der  Wurzel  und  von  hier  aus  in 
die  Gefäßbündel  des  Stengels  geleitet.  Da  es  nun  ohne 
die  saugende  Wirkung  der  Blätter  in  dem  Glasrohre  hoch 
emporsteigt,  so  ist  dies  ein  Zeichen,  daß  es  mit  großer 
Kraft  („Wurzeldruck")  in  den  Stengel  gepreßt  wird.  An 
„blutenden"  Weinreben  steigt  der  Saft  sogar  10  und  mehr 
Meter  hoch  empor. 

2.  Die  Lcitungsbahiieii  für  Baustoffe.  Die  Ge- 
fäßbündel des  Blattes,  die  Blattnerven,  haben  wir  auch  als 


Vorrichtung  zum 
Nachweis  des 

Wurzeldruckes. 


424 


Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 


die  Ableitungsbahnen  derjenigen  organischen  Stoffe  kennen  gelernt,  die  im  Blatte 
nicht  verbraucht  werden  (s.  S.  388).  Diese  Stoffe  gelangen  durch  den  Blattstiel 
in  den  Stamm,  um  dann  den  Orten  des  Verbrauchs  zugeführt  zu  werden. 

a)  Die  löslichen  Stoffe  (Kohlenhydrate,  lösliche  Eiweißstoffe)  wandern  auf 
osmotischem  Wege  leicht  von  einer  lebenden  Zelle  des  Stammes  zur 
anderen.     Sie  bedürfen  daher  keiner  besonderen  Leitungsbahn. 

b)  Anders  verhält  es  sich  dagegen  mit  den  fertigen  Eiweißkörpern,  für 
die  die  Zellwände  ein  unüberwindliches  Hindernis  darstellen.  Sie  fließen  —  wie 
wir  bereits  gesehen  haben  —  in  den  Siebröhren  des  Bastes  auf  oder  nieder. 
"Wird  ein  Stamm   oder  Zweig  in  der  soeben  angegebenen  Weise  geringelt  oder 

fest  umschnürt,  so  stauen  sich  die  Nah- 
rungssäfte meist  oberhalb  dieser  Stelle, 
so  daß  eine  wulstige  Verdickung  entsteht. 
Diese  Erscheinung  ist  z.  B.  an  Spalier- 
bäumen, deren  Zwreige  zu  fest  angebunden 
wurden,  sowie  an  den  Stämmen  der  Wald- 
bäume zu  sehen,  die  von  dem  Geißblatt 
umwunden  sind. 


Verzweigte  Milchröhren  aus  einem 

Blatte    des    Lattichs.       (Vergr.    etwa 

250  mal.) 


c)  Da  der  Milchsaft  zahlreicher  Pflanzen 
(Wolfsmilcharten,  Mohn,  Schellkraut,  Löwen- 
zahn u.  v.  a.)  Stärkekörner,  Eiweiß-  und  andere 
wertvolle  Stoffe  enthält,  so  ist  es  sehr  wahr- 
scheinlich, daß  auch  die  Milchröhren  Leitungs- 
bahnen für  Baustoffe  darstellen.  Diese  lang- 
gestreckten, meist  vielfach  verzweigten  Kanäle 
durchziehen  alle  Teile  der  betreffenden  Ge- 
wächse. —  Die  Bedeutung  des  Milchsaftes  als 
Schutzmittel  gegen  Weidetiere  und  als  Verschluß- 
mittel von  Wunden  haben  wir  bereits  bei  der 
Betrachtung  der  Sonnen -Wolfsmilch  kennen 
gelernt. 

3.  Die  Markstrahlen  als  Leitungsbahnen.  Die  Leitungsbahnen  des 
Wassers  und  der  fertigen  Eiweißstoffe  laufen  im  Stamme  also  nebeneinander  her, 
und  bei  den  zweikeimblättrigen  Pflanzen  und  den  Nadelhölzern  schiebt  sich 
zwischen  sie  sogar  noch  eine  Trennungsschicht,  das  Kambium,  ein.  Nun  ge- 
brauchen aber  z.  B.  die  wachsenden  Bestandteile  des  Holzes  Eiweiß  und  um- 
gekehrt die  jungen  Bastteile  Wasser;  die  sich  lebhaft  teilenden  Kambiumzellen 
benötigen  beider  Stoffe  u.  s.  f.  An  der  Außenseite  des  Stammes  geht  ferner 
durch  Verdunstung  fortgesetzt  etwas  Wasser  verloren,  das  ersetzt  werden  muß : 
kurz,  es  müssen  zwischen  den  Längsleitungen  Querverbindungen 
vorhanden  sein.  Diese  sind  durch  die  uns  bereits  bekannten  Mark- 
strahlen geschaffen. 

Je  dicker  ein  Stamm  wird,  desto  mehr  muß  auch  der  Transport  der  Stoffe 
von  innen  nach  außen  und  umgekehrt  anwachsen.    Hand  in  Hand  hiermit  geht 


Hau  und  Leben  des  Stammes. 


425 


daher   auch   eine  Vermehrung   der  Verkehrswege:   es  schieben  sich  —  wie  wir 
gesehen  haben  —  Neben  markstrahlen  ein. 

F.  Die  Bekleidung-  der  Stämme. 

1.  Die  Oberhaut.  Wie  wir  gesehen  haben,  ist  der  junge  Stamm  gleich 
dem  Blatte  von  einer  festen  Oberhaut  überkleidet.  Den  krautigen  Stämmen  ein- 
jähriger Pflanzen  genügt  dieses  wichtige  Schutzmittel  (s.  S.  381)  vollkommen. 
Auch  bei  einigen  mehrjährigen  Gewächsen  (Mistel,  Ginster-  und  Kaktusarten  u.  a.) 
bleibt  die  Oberhaut  während  einer  längeren  Zeit  oder  gar  das  ganze  Leben  hin- 
durch erhalten.  Es  müssen  sich  dann  natürlich  ihre  Zellen  durch  Teilung  fortgesetzt 
vermehren,  so  daß  das  weiter  werdende  „Kleid"  den  in  die  Dicke  wachsenden 
Stämmen  folgen  kann.  Daher  behalten  diese  Stämme  (Zweige)  auch  die  grüne 
Färbung,  die  auf  dem  Blattgrünreichtum  der  obersten  Rindenzellen  beruht  (vgl. 
mit  Laubblatt),  und  die  wir  bei  den  meisten  einjährigen  Pflanzen  antreffen. 

Bei  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  ausdauernden  Gewächse  dagegen  be- 
sitzt die  Oberhaut  nicht  die  Fähigkeit,  weiter  zu  wachsen:  sie  wird  von 
den  dicker  werdenden  Stämmen  gesprengt  und  löst  sich  schließ- 
lich in  Fetzen  ab. 

2.  Der  Kork.  Bevor  die  Oberhaut  verloren  geht,  muß  daher  eine  neue 
Schutzdecke  gebildet  werden.  Dies 
geht  in  der  Begel  so  vor  sich,  daß 
die  der  Oberhaut  anliegenden  Rinden- 
zellen sich  lebhaft  zu  teilen  beginnen. 
Während  die  innerste  Schicht  dieser 
Tochterzellen  teilungsfähig  bleibt, 
lagern  die  äußeren  Zellen  Korkstoff 
(s.  S.  366)  in  ihre  Wände  ein  und 
sterben  bald  ab.  Auf  diese  Weise 
entsteht  ein  fast  luft-  und  wasser- 
dichter Mantel  abgestorbener 
„Korkzellen",  der  die  schützenden 
Aufgaben  der  Oberhaut  in  erhöhtem 
Maße  erfüllt. 

Ist  die  Korklage,  die  außen  fort- 
gesetzt abschilfert,   nur  dünn,  so  er- 


HCl 
Pf 

Bildung   des  Korkmantels.     Querschnitt 

durch  die  Kinde  eines  jungen  Erlenzweiges. 
"Während  die  Oberhaut  (0.)  noch  vorhanden 
ist,  bilden  sich  in  der  Rinde  Kork/.idlen  i  K .). 
J)ie  untere  Schicht  dieser  Zellen  (l.K.)  be- 
steht aus  lebenden,  die  obere  (a.  EL)  aus  ab- 
gestorbenen Zellen.  R.  Rindenzellen  mit  stark 
verdickten  Wanden.     (Vergr.    etwa  450 mal.) 

hält  der  Stamm  eine  glatte  Oberfläche,  wie  wir  sie  bei  der  Kot-  und  Weißbuche, 
sowie  beim  Haselnußstrauche  finden.  Korkeiche  und  Feldulme  dagegen  bilden 
sehr  dicke  Korkmassen,  die  alljährlich  um  eine  Schicht  verstärkt  werden.  Die 
Birke  besitzt  eine  weiße  Korkhülle,  die  in  papierdünnen  Streifen  abblättert. 

3.  Die  Borke.  Entsteht  die  Korkschicht  in  größerer  Entfernung  von 
der  Stammoberfläche,  so  werden  den  außerhalb  von  ihr  liegenden  Geweben  Wasser 
und  Nahrung  entzogen,  so  daß  sie  absterben  müssen.  Diese  toten  Massen 
bilden  mit  der  Korkschicht  die  Borke. 


126 


Bau  und  Leben  der  einzelnen   Pflanzenteile. 


4.  Die  Rindenporen. 

von  Oberhaut  umkleidet  sind, 


Beim  Weinstock  und  Kirschbaum  löst  sich  die  Borke  in  Form  von  Bändern 
und  Streifen,  bei  der  Platane  und  an  den  Stämmen  alter  Kiefern  als  Platten, 
bei  anderen  (Fichte,  Birnbaum  u.  a.)  als  Schuppen  los.  Bevor  dies  aber  geschieht, 
ist  bereits  eine  neue  Korklage  tiefer  im  Stamme  gebildet.  Ein  Gleiches  geschieht 
auch  bei  den  Bäumen,  die  ihre  Borke  als  einen  nach  und  nach  dicker  werdenden 
Mantel  lange  Zeit  behalten.  Da  sich  nun  der  Stamm  immer  mehr  ausdehnt,  so 
werden  die  toten  Borkemassen  gesprengt:  sie  erhalten  Eisse,  wie  wir  dies  bei 
der  Eiche  und  vielen  anderen  alten  Bäumen  sehen. 

Wie  bei  den  Blättern,  geht  auch  an  den  Stämmen,  die 
der  Wechsel  der  Atemluft  durch  die  Spaltöffnungen  vor 
sich  (s.  S.  392).  Wenn  aber  die  Oberhaut  durch  einen 
Korkmantel  ersetzt  wird ,  so  verschwinden  auch  die 
Spaltöffnungen.  Da  nun  der  Kork  ein  fast  luftdichter 
Körper  ist  (Flaschenkork!),  ohne  Atmung  aber  keine 
lebende  Zelle  bestehen  kann,  so  müssen  zwischen 
Innnen-  und  Außenluft  neue  Verbindungen 
geschaffen  werden.  Sie  finden  sich  in  den  sog. 
Rindenporen,  d.  s.  Haufen  locker  miteinander  verbun- 
dener Zellen,  deren  Zwischenzellräume  der  Luft  als  Ein- 
und  Ausgangskanäle  dienen.  Da  diese  Zellen  gleichsam 
über  den  Kork-  oder  Borkenmantel  hervorquellen,  so 
erscheinen  sie  besonders  an  jungen  Stämmen  wie  von 
lippenförmigen  Verdickungen  umgeben.  Dort,  wo  diese 
Gebilde  fehlen ,  wird  die  Durchlüftung  durch 
die  Markstrahlen  vermittelt,  die  die  Rinde 
bis  zur  Außenfläche  durchsetzen. 

5.  Die  Heilung  von  Wunden.  Schon  durch 
die  kleinste  Verletzung  ist  den  Sporen  der  Schmarotzer- 
pilze ein  Eingang  in  das  Innere  des  Pflanzenkörpers 
geschaffen.  Daher  suchen  die  Pflanzen  die  Wunden 
alsbald  zu  schließen.  Ein  vortreffliches  Mittel  hierzu 
ist  der  Kork,  der  sich  durch  Teilung  aller  lebenden  Zellen 
an  der  Wundstelle  bildet.  Gehen  bei  Bäumen  die  Wun- 
den bis  ins  Holz  hinein,  so  wuchert  das  „Wundgewebe" 
so  stark,  daß  die  Verletzung  bald  vollkommen  „über- 
wallt"  ist. 

Wunden  fügen  wir  den  Stämmen  auch  beim  Ver- 
edeln zu  (s.S.  86).  Indem  Edelreis  und  Wildling  Wund- 
erzeugen,  findet  bald  ein  Verschluß  der  Wunde  statt.  Gleichzeitig  verschmelzen 
auch  die  wuchernden  Kambiumschichten  beider,  da  sie  sich  innig  berühren,  miteinander. 
Die  von  dieser  gemeinsamen  Kambiumschicht  gebildeten  Holz-  und  Bastschichten  ge- 
hören dann  sowohl  dem  Edelreise,  wie  dem  Wildlinge  an,  d.  h.  beide  Teile  sind  vollkommen 
miteinander  verwachsen.  Auf  gleiche  Weise  verschmelzen  nicht  selten  ganze  Bäume, 
wenn  sich  durch  gegenseitige  Reibung  an  ihnen  Wunden  bilden,  die  bis  zum  Kambium 
reichen  („zweibeinige  Bäume"). 


Rindenporen  an  einem  ein- 
jährigen Zweige  des  Holunders 
(der  zwei  Winterknospen  trägt). 
(Nat.  Gr.).  Daneben  eine  Rin- 
denpore b.  etwa  10 f acher  Vergr. 


Bau  und  Leben  dea  Stammes, 


427 


G.  Festigkeit  der  Stämme. 


1.  Notwendigkeit  eines  festen  Gerüstes.  Wie  wir  früher  gesehen 
haben  (s.  S.  363),  erhalten  alle  Pflanzenteile  durch  den  Turgor  eine  gewisse, 
zum  Teil  sogar  ziemlich  große  Festigkeit.  Die  Spannung  der  Zellhäute  nimmt 
aber  sofort  ab,  wenn  die  Pflanzen  z.  B.  mehr  Wasser  verdunsten  als  sie  durch 
die  Wurzeln  aufnehmen  können.  Dann  werden  die  Stengel  schlaff,  und  die 
Blätter  hängen  welk  herab  oder  liegen  dem  Boden  auf.  Größere  Pflanzen 
oder  gar  Bäume  können  daher  bezüglich  ihrer  Festigkeit  auf  den  Turgor  allein 
nicht  angewiesen  sein.  Wie  der  Baumeister  bestimmten  Teilen  seines  Werkes, 
nämlich  den  Balken,  Pfeilern,  Säulen,  Bogen  u.  dgl.,  die  Arbeit  des  Stutzens 
und  Tragens  zuweist,  so  ist  auch  bei  größeren  Pflanzen  die  Herstellung 
der  notwendigen  Festigkeit  gewissen  Bestandteilen  übertragen,  die 
zusammen  ein  festes  Gerüst  bilden.  (Man  vergleicht  das  Gerüst  der  Pflanzen 
auch  mit  dem  Knochengerüst  oder  Skelett  der  Wirbeltiere  und  redet  daher  von 
einem  „Skelett  der  Pflanzen".     Führe  den  Vergleich  im  einzelnen  durch!) 

2.  Bestandteile  des  Gerüstes,  a)  In  den  Holz-  und  Bastfasern  haben 
wir  bereits  Bestandteile  des  Stammes  kennen  gelernt,  die  vermöge  ihrer  stark 
verdickten  Wände  der  Festigkeit  dienen.  Stellen  wir  Längs-  und  Querschnitte 
z.  B.  durch  einjährige  Zweige  des  Pfeifenstrauches  her,  so  enthüllt  uns  das  Mikro- 
skop, daß  auch  außerhalb  der  Gefäßbündel  ähnliche  dickwandige 
und  langgestreckte  Zellen  vorkommen.  Sie  bilden  hier  einen  hellen  Ring, 
der  die  Gefäßbündel  umgibt  und  schon  mit  der  Lupe  zu  erkennen  ist.  Wie  sorg- 
fältige Untersuchungen  ergeben  haben,  besitzen  alle  diese  faserförmigen  Bestand- 
teile des  Pflanzenkörpers  ein  Tragvermögen,  das  im  allgemeinen  gleich 
dem  des  besten  Schmiedeeisens,  bei  einigen  Pflanzen  sogar  dem  des 
Stahls  ist.  Dabeiist  die  Dehnbarkeit  der  Fasern  10— 15mal  größer 
als  die  des  Schmiedeeisens. 

b)  Fast  gleiche  Festigkeit  besitzen  diejenigen  Bindenzellen  des  Pfeifen- 
strauchs, die  der  Oberhaut  unmittelbar  angrenzen,  oder  die  Zellen,  die  die  vier 
Eckpfeiler  des  Taubnesselstengels  (s.  S.  147) 
aufbauen.  Sie  haben  rundliche  Form  und 
sind  nur  an  den  Kanten  stark  verdickt. 
Im  Gegensatz  zu  den  Fasern  besitzen  sie  also 
dünne  Wandstellen,  die  sich  noch  durch  Wachs- 
tum vergrößern,  und  durch  die  hindurch  Stoffe 
ausgetauscht  werden  können.  Daher  verwendet 
die  Natur  diese  Zellen  stets  in  Pflanzenteilen, 
die  noch  in  der  Ausbildung  begriffen  sind.  Die 
Fasern  dagegen  sind  tote  Zellhautgerüste,  die 
wachsenden  Teilen  nicht  folgen  können.  Sie 
finden  daher  auch  nur  in  ausgebildeten  Ge-  ZeUen  ,ni'  verdickten  Kanten 
.        TT  ,  unter  den  Oberhautzellen    0.  i  eines 

weben  Verwendung.  Blattstieles.    (Vergr.*twa  600mal. 


428  Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 

c)  Eundliche  Zellen  mit  gleichmäßig  verdickten  Wänden,  wie 
wir  sie  bereits  aus  dem  Fruchtfleische  der  Birne  kennen  lernten  (s.  Abb.  S.  364), 
sind  die  dritte  Art  der  Bausteine,  die  die  Natur  verwendet,  um  ihren  Kindern  die 
notwendige  Festigkeit  zu  geben. 

3.  Konstruktion  des  Gerüstes,  a)  Nun  kommt  es  bei  einem  Bauwerke 
nicht  nur  auf  die  Art  des  Baumaterials,  sondern  ebenso  auf  dessen  richtige 
Verwendung  an.  Daß  hierbei  die  Natur  genau  wie  ein  Baumeister  verfährt, 
der  mit  der  geringsten  Menge  des  Materials  die  größte  Leistung  zu 
erreichen  sucht,  haben  wir  bereits  an  zwei  Beispielen,  dem  Stengel  der  Taub- 
nessel und  dem  Halm  des  Roggens  gesehen.  Wir  haben  dort  auch  (s.  S.  146,  B) 
gefunden,  daß  die  Stämme  Trag-  und  Biegungsfestigkeit  besitzen  müssen, 
daß  die  äußerste  Schicht  des  Stammes  unter  der  Biegung  (Wind!)  am  meisten  zu 
leiden  hat,  und  daß  darum  dort  nur  das  festeste 
Baumaterial  verwendet  werden  kann.  Während 
bei  der  Taubnessel  das  Festigkeitsgewebe  4  Stränge 
bildet,  die  dem  Stengel  als  ebensoviele  Pfeiler 
dienen,  stellt  es  beim  Roggen  eine  geschlossene 
Röhre  dar.  Würden  wir  die  Stengel  anderer 
Pflanzen  daraufhin  untersuchen,  so  würden  wir 
zwar  finden,  daß  ihr  Bau  im  einzelnen  sehr  ver- 
schieden ist,  stets  aber  den  Grundgesetzen  der 
Baukunst  entspricht. 
Querschnitt    durch    einen  Wir  staunen   vor   den    himmelanstrebenden 

Stengel    der    weißen   Taub-      rr,..  ,      -p,.       ,    ..  ,  ,.      .  ,    .     ,  .., 

,  ,.■„,„.,  lurmen,  vor  den  Eisenbrucken,  die  sich  in  kühnen 

nesseJ,   um    die  Eckpieiler  zu  „  ,  . 

,•„,        ao     i  \      Bogen  über  den  Strom  spannen:   aber  wie  plump 

zeigen,      (Etwa    4ümal    vergf.J  r  r        r 

erscheint  doch  selbst  der  schlankste  Fabrikschorn- 
stein gegen  den  unscheinbaren  Grashalm!  Oder  wo  gäbe  es  ein  Bauwerk  der 
Erde,  das  soweit  von  der  Richtung  des  Lotes  abgebogen  werden  könnte,  wie 
etwa  der  Stamm  eines  jungen  Baumes,  geschweige  denn  wie  ein  Getreidehalm, 
der  sich  im  Winde  bis  zum  Boden  neigt  und  unbeschädigt  in  die  senkrechte 
Stellung  zurückkehrt?  Die  Baukunst,  die  der  Mensch  in  Jahrtausende  langem 
Ringen  geschaffen  hat,  übt  die  Natur  schon  seit  Anbeginn  alles  Lebens  mit  un- 
vergleichlicher Meisterschaft ! 

b)  Wird  die  Krone  eines  Baumes  vom  Sturme  geschüttelt  und  der  Stamm 
gebogen,  so  haben  die  Wurzeln  wie  die  Ankertaue  eines  Schiffes,  das  im  Hafen 
liegt  und  vom  Sturme  hin-  und  hergeworfen  wird,  einen  gewaltigen  Zug  aus- 
zuhalten. Die  Wurzeln  müssen  also  zugfest  „konstruiert"  sein.  Wollte  man 
die  Ankertaue  aufdrehen  und  alle  Stränge,  aus  denen  sie  hergestellt  sind,  zur 
Befestigung  des  Schiffes  so  verwenden,  daß  sie  etwas  voneinander  entfernt 
wären,  so  würde  bald  der  eine  oder  andere  Strang  reißen;  denn  bei  jeder  Be- 
wegung des  Schiffes  würden  einige  Stränge  besonders  in  Anspruch  genommen 
werden  und  den  Zug  nicht  aushalten.  Sind  die  Stränge  dagegen  fest  zum  Tau 
vereinigt,  so. wird  der  Zug  auf  alle  gleichmäßig  verteilt,  und  sie  vermögen  selbst 


Bau   und  Leben  der  Blüte. 


429 


heftigen  Angriffen  zu  widerstehen.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  den  „Ankertauent; 
der  Bäume,  den  Wurzeln :  sie  können  nicht  wie  die  biegungsfest  gebauten  Stämme 
zahlreiche  Gefäßbündel  besitzen, 

die    in    einem    großen    Kreise  17 

nahe  der  Außenfläche  ange- 
ordnet sind;  die  Holz-  und  Bast- 
fasern, die  ihnen  die  Festigkeit 
verleihen,  müssen  vielmehr  in 
der  Mitte  seilartig  zu- 
sammengedrängt sein.  Auf 
diese  Weise  entsteht  ein  ein- 
ziges, aber  sehr  dickes  Gefäß- 
bündel, das  —  wie  wir  schon 
gesehen  haben  —  aus  meh- 
reren Holz-  und  Bastteilen  be- 
steht. Die  Leistung,  die  die 
Wurzel  zu  erfüllen  hat,  erklärt 
uns  also  ihren  Bau  vollkommen! 
Wie  die  Wurzeln  haben 
auch    zahlreiche     unterirdische 


i: 


Querschnitt   durch   eine  junge  Wurzel 

Stämme,  die  Stengel  der  Kletter-  (schematisch).     0.  Oberhaut;    Wh.   Wurzelhaare; 

Rinde;  G.  Gefäßbündel,    das   ein    lockeres  Mark    ein- 
schließt.      (Die    weitesten    Bestandteile    des    Gefäß- 
bündels sind  Gefäße.) 


und  untergetauchten  Wasser- 
pflanzen (besonders  diejenigen 
schnellfließender  Gewässer),  so- 
wie die  Blatt-  und  Fruchtstiele  oft  einen  heftigen  Zug  auszuhalten  (Beweis!). 
Bei  ihnen  sind  daher  die  Bestandteile,  die  die  Festigkeit  verleihen,  gleichfalls 
mehr  oder  weniger  der  Mitte  zugedrängt. 


IT.  Vom  Bau  und  Leben  der  Blüte. 
A.    Die   Fortpflanzung-  und   die   Blüte. 

1.  Notwendigkeit  und  Arten  der  Fortpflanzung.  Wie  für  Mensch  und 
Tier  tritt  für  jede  Pflanze  —  und  wäre  es  der  ehrwürdigste  Baumriese  — 
einmal  der  Tod  ein.  Soll  ihre  Art  nicht  aussterben,  so  ist  sie  ge- 
nötigt, Nachkommen  zu  erzeugen.  Diese  Aufgabe  ist  bei  den  höchst- 
stehenden Pflanzen,  die  uns  hier  allein  beschäftigen  sollen,  bestimmten  Teilen, 
den  Blüten,  übertragen.  In  ihnen  werden  Fortpflanzungskörper,  Samen. 
gebildet,  die  sich  von  der  Mutterpflanze  trennen,  und  aus  denen 
sich  unter  günstigen  Verhältnissen  Pflanzen  derselben  Art  ent- 
wickeln.    (Über  die  Fortpflanzung  des  Sporenpflanzen  s.  das.) 

Viele  Pflanzen  sind  jedoch  imstande,  sich  noch  auf  andere  Weise  fortzu- 
pflanzen,  z.  B.  die  Erdbeere  durch  Ausläufer,  die  Kartoffel  durch  Stengelknollen 


430 


Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 


das  Scharbockskraut  durch  Wurzelknollen  und  zu  Knöllchen  umgewandelte  Knospen 
(Brutknollen  in  den  Blattachseln),  die  Tulpe  und  Feuerlilie  durch  Brutzwiebeln,  das 
Windröschen  durch  Verzweigung  des  unterirdischen  Stammes,  der  Weinstock  durch 
einwurzelnde  Reben  („Stecklinge"  der  Gärtner!)  u.  dgl.  mehr.  Viele  dieser 
Pflanzen  haben  sogar  die  Fähigkeit,  keimfähige  Samen  hervorzubringen,  gänzlich 
oder  fast  gänzlich  eingebüßt.  So  lassen  sich  z.  E.  unsere  edlen  Obstsorten,  sowie 
zahlreiche  Spielarten  des  Weinstocks  und  der  Erdbeere  nicht  durch  Samen  fort- 

^  pflanzen,  oder  so  bildet  das  Schar" 
bockskraut  in  der  Regel  keine 
Samen  aus.  Diese  zweite  Art  der 
Fortpflanzung  besteht  also  darin, 
daß  sich  ein  Teil  des  Pflanzen- 
körpers, der  sich  außerhalb 
der  Blüte  gebildet  hat,  von 
der  Mutterpflanze  loslöst 
und  nunmehr  ein  selbstän- 
diges Leben  führt.  Im  Gegen- 
satz zu  der  sog.  geschlecht- 
lichen Fortpflanzung,  wie 
sie  in  der  Blüte  erfolgt,  bezeichnet 
man  diese  Vermehrungsweise  als 
die  ungeschlechtliche  (vege- 
tative). 

2.  Wesen  und  Bestandteile 
der  Blüte,  a)  Die  Blüte  findet 
sich  stets  am  Ende  des  Stammes 
(Zweiges)  und  wird  in  der  Regel 
von  einem  längeren,  blattlosen 
Stammteile,  dem  Blütenstiele, 
getragen.  Denken  wir  uns  den 
sehr  kurzen  Endabschnitt  des 
Brutzwiebeln  in  den  Blattachseln  der  Feuerlilie  Stammes,  dem  die  dichtgedrängt 
(nat.  Gr.)  Die  Blätter,  in  deren  Achseln  sich  stehenden  Blütenteile  ansitzen,  in 
keine  Brutzwiebeln  gebildet  hatten,  sind  entfernt,  die  Länge  gestreckt,  so  erkennen 
wir  leicht,  daß  die  Blüte  nichts  anderes  als  ein  endständiger  Zweig  oder 
Sproß  (s.  S.  409)  ist.  Da  dieser  Sproß  aber  eine  bestimmte  Aufgabe  zu  lösen 
hat,  nämlich  Samen  hervorzubringen,  so  kann  es  nicht  Wunder  nehmen,  daß  er 
z.  B.  von  einem  mit  Laubblättern  besetzten  Zweige  erheblich  abweicht.  (Vgl. 
mit  einem  solchen  Zweige  z.  B.  die  Zwiebel,  in  der  wir  gleichfalls  nur  einen 
Stammteil  mit  besonders  gestalteten  Blättern  erkannt  haben.) 

b)  Der  Stammteil  der  Blüte  ist  (ähnlich  wie  bei  der  Zwiebel  oder  bei  der 
Bildung  von  Blattrosetten)  stark  verkürzt  und  wird  Blüten-  oder  später  Frucht- 
boden genannt.    Die  von  ihm  entspringenden  Blätter  sind  (bis  auf  Ausnahmen) 


Bau  um!  Leben  der  Blüte. 


431 


in  Kreisen  angeordnet,   von   denen    man   in  „vollständigen"  Blüten  vier  unter- 
scheidet: die  Kelch-,  Blumen-,  Staub-  und  Fruchtblätter. 

c)  Fehlt  einer  der  4  Bhittkreise,  dann  bezeichnet  man  die  Blüte  als  unvoll- 
ständig (Beispiele!).  Enthält  sie  nur  Staubblätter,  so  wird  sie  Staub-  oder 
männliche  Blüte  genannt.  Sind  nur  dir  Prachtblätter 
vorhanden,  so  heißt  sie  Stempel-  oder  weibliche  Blüte. 
Je  nachdem  sich  die  Staub-  and  Stempelblüten  nun  wieder 
aaf  derselben  Pflanze  (Haselnoßstrauch)  oder  auf  verschiedenen 
Pflanzen  linden  (Weide),  bezeichnet  man  die  Gewächse  als 
ein-  oder  z  w  e  i  li  ä  u  s  i  g.  Besitzt  die  Blüte  Staub-  und 
Fruchtblätter ,  so  heißt  sie  Z  w  i  1 1  e  r  b  1  ü  t  e  (Mohn, 
Tulpe  u.  v.  a.). 

B.  Die  Teile  der  Blüte. 

1.  Die  Kelch-  und  Blumenblätter,  a)  Die  beiden 
äußeren  Blattkreise  bilden  für  die  zarten  inneren  Blüten- 
teile ein  schützendes  Dach:  daher  werden  sie  auch  als 
Blutenhüllen  bezeichnet.  Bei  vielen  Pflanzen  (Bei- 
spiele!) haben  sie  diesen  Dienst  nur  so  lange  zu  leisten, 
als  sich  die  Blüte  im  Knospenzustande  befindet,  bei 
anderen  dagegen  bis  zum  Absterben  der  Blüte  (Oberlippe 
der  Taubnessel-  und  Leinkrautblüte  u.  a.),  und  bei  noch  Blüte,  deren  Teile  weit 
anderen  (z.  B.  Tulpe,  Scharbockskraut)  führen  sie  zum  auseinander  gerücki  sind 
Zwecke   des    Schutzes    regelmäßig   wiederkehrende  Be-  (Schema). 

wegungen  aus:   die   Blüte   öffnet   und   schließt   sich;    sie  „wacht   und    schläft". 

Da  das  Öffnen  und  Sehließen  zu  ganz  bestimmten  Zeiten  des  Tages  statt  findet 
(Beispiele!),  muß  hierbei  das  Licht  im  Spiele  sein.  Zahlreiche  Blüten  (Tulpe.  Schar- 
bockskraut) bleiben  aber  bei  kaltem  AVetter  den  ganzen  Tag  über  geschlossen.  Werden 
sie  jedoch  in  ein  warmes  Zimmer  gebracht,  so  öffnen  sie  sich  alsbald,  ein  Zeichen,  daß 
auf  sie  auch  die    Wärme  einen   wichtigen    Einfluß  ausübt. 

Welcher  Art  ist  aber  dieser  Einfluß ?  Wie  sich  z.  B.  an  der  Tulpe  durch  regelmäßig 
zu  wiederholende  Messungen  nachweisen  läßt,  sind  ihre  Blumenblätter  in  einem  fortgesetzten 
Wachstum  begriffen.  Sobald  dies  aber  beendet  ist,  finden  auch  keine  Schließbewegungen 
mehr  statt.  Diese  Tatsache  läßt  schon  erkennen,  daß  beide  Erscheinungen  in  innigem 
Zusammenhange  stellen.  Und  so  ist  es  auch:  die  Blumenblätter  der  Tulpe  und  jener 
anderen  Pflanzen  besitzen  nämlich  die  Eigentümlichkeit,  durch  Licht-  und  Wärmeschwan- 
kungen  so  liceinflul.it  zu  werden,  daß  ihre  verschiedenen  Seiten  ungleichmäßig  wachsen. 
Bei  Abnahme  des  Lichts  und  der  Wärme  —  in  der  Regel  also  mit  Beginn  des  Abends 
wachsen  die  Blätter  an  der  Unterseite  mehr  als  an  der  Oberseite,  [nfolgedessen  bewegen 
sie  sich  aufwärts:  die  Blüte  sehließt  sich  also.  Findet  der  omgekehrte  Vorgang  statt, 
so  öffnet  sich  die  Blüte.  —  Auf  dieselbe  Weise  geht  auch  das  Schließen  und  öffnen  der 
Blütenköpfe  zahlreicher  Korbblütler  vor  sich  (Löwenzahn,  Gänseblümchen  u.  a.). 

b)  Die  beiden  Blattkreise  der  Blutenhülle  sind  in  der  Regel  (Beispiele!) 
von  verschiedener  Beschaffenheit  und  Färbung.  Die  Blätter  des  äußeren  Kreises 
sind  meist  grün  wie  die  Laubblätter,  die  des  inneren  dagegen  zum  Anlocken  der 


432 


Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 


Bestäuber  (s.  S.  442)  abweichend  gefärbt.  Dann  bezeichnet  man  die  Blütenhülle  als 
„doppelt1"  und  ihre  Kreise  bekanntlich  als  Kelch  und  Blurnenkrone.  Sind 
beide  Kreise  von  gleicher  Beschaffenheit  (Tulpe),  oder  ist  nur  ein  Kreis  vorhanden 
(Windröschen),  so  redet  man  von  einer  einfachen  Blütenhülle  (oder  einem  Perigon). 
c)  Die  Blätter  beider  Kreise  bleiben  unter  sich  entweder  getrennt 
(Scharbockskraut),  oder  sie  verwachsen  mehr  oder  weniger  vollkommen  mit- 
einander (Kartoffel,  Schlüsselblume  u.  a.).  Aus  den  freien  Endabschnitten  (Zipfeln, 
Zähnen  u.  dgl.)  läßt  sich  zumeist  noch  erkennen,  aus  wieviel  Blättern  ein 
solcher  Kelch  oder  eine  solche  Blumenkrone  hervorgegangen  ist.  Es  findet  jedoch 
keine  nachträgliche  Verwachsung  der  Blätter  statt,  sondern  der  verwachsene 
Teil  erhebt  sich  —  wie  wir  dies  bereits  bei  der  Betrachtung  der  Schlüsselblume 
kennen  gelernt  haben  —  vom  Blütenboden  als  ringförmiger  Wall.  Verschmelzen 
die  Staubblätter  mehr  oder  weniger  mit  dem  Walle,  aus  dem  die  Blumen- 
krone hervorgeht,  so  erscheinen  sie  dieser  eingefügt  (Schlüsselblume,  Schwarz- 
wurz u.  v.  a.). 

2.  a)  Die  Staubblätter  (Staubgefäße)  lassen  im  Gegensatz  zu  den  Bestand- 
teilen der  Blütenhülle  nur  schwer  erkennen,  daß  sie  Blattgebilde  sind.  Bei 
mehreren  Pflanzen,  z.  B.  bei  der  Seerose  (Taf.  3,  2),  findet  aber  zwischen  ihnen 

und  den  Blumenblättern  ein 
deutlicher  Übergang  statt, 
und  in  zahlreichen  gefüllten 
Blüten,  z.  B.  in  der  Rose, 
verwandeln  sie  sich  in 
Blumenblätter  zurück,  so 
daß  ihre  Blattnatur 
außer  Frage  steht. 

b)  Die  Staubblätter 
sind  in  der  Begel  aus  Staub- 
faden und  Staubbeutel 
zusammengesetzt.  Der 
Beutel  besteht  meist  wieder 
aus  2  Staubbeutelfächern,  die  durch  einen  Fortsatz  des  Staubfadens, 
das  sog.  Mittelband,  zusammengehalten  werden.  Auf  Querschnitten  durch 
den  unreifen  Beutel  sieht  man,  daß  jedes  Fach  2  Hohlräume  enthält,  in  denen 
durch  wiederholte  Zellteilung  der  Blütenstaub  (Pollen)  entsteht.  Bei  der 
Reife  öffnen  sich  beide  Hohlräume  durch  einen  gemeinsamen  Längsriß,  aus  dem 
der  Blütenstaub  hervorquillt.  Seltener  erfolgt  das  Offnen  durch  Löcher  (Kartoffel, 
Heidekraut  u.  a.)  oder  durch  Klappen  (Sauerdorn  u.  a.). 

Meistens  stehen  die  Staubblätter,  deren  Anzahl  in  den  einzelnen  Blüten 
großen  Schwankungen  unterliegt,  frei  da.  Es  gibt  jedoch  auch  zahlreiche  Fälle, 
in  denen  die  Staubfäden  (Schmetterlingsblütler,  Hartheu  u.  a.)  oder  die  Staub- 
beutel (Korbblütler,  Kürbis  u.  a.)  miteinander  verwachsen  sind.  (S.  das  Linne- 
sche  System.) 


Staubblätter.  1  Staubblatt  des  Feld-Thymians:  Staub- 
faden: B.  Staubbeutelfächer ;  M.  Mittelband  (hier  sehr 
groß).     2  und  3    schematische   Darstellung    vom    Bau    des 

Staubbeutels.     Bei    2    sind    die  Fächer  geschlossen,    bei  3 
geöffnet. 


Bau  und  Lclicn  der  Blüte. 


433 


c)  Die  Blütenstaubkör ner  geben  sich  unter  dem  Mikroskope  in  der 
Regel  als  einzellige  Gebilde  von  sehr  verschiedener  Form,  Farbe  und  Größe  zu 
erkennen.  Außer  von  einer  zarten  Innenhaut  sind  sie  noch  von  einer  festen 
Außenhaut  umgeben,  die  als  Schutzmittel  gegen  Verletzung  und  Wasserverlust 
(Vertrocknen!)  dient. 


Blütenstaubkörner 

deckelartigen  Bildung 


on   der   Sonnenrose    (Vergr.   etwa  900 mal);    2   vom  Kürbis  mit 
>r  Außenhaut  (Vergr.  etwa  480mal);    3  von  der  Narzisse,  einen 


Keimschlauch  (S.)  treibend  (Vergr.  etwa  350  mal). 

Bringen  wir  Blütenstaubkörnchen  in  Wasser,  so  saugen  sie  in  der  Regel 
sofort  soviel  davon  ein,  daß  sie  stark  aufschwellen  und  platzen.  Dasselbe  geschieht 
natürlich  auch,  wenn  sie  durch  Regen  oder  Tau  befeuchtet  werden.  Daher  hat 
die  Natur  sehr  verschiedenartige  Einrichtungen  getroffen,  um  die  zarten 
Gebilde  gegen  Befeuchtung  zu  schützen: 

Zahlreiehe  Blüten  sind  wagerecht  gestellt,  hängend  oder  schräg  nach  unten  ge- 
neigt (Königskerze,  Glockenblume,  Kartoffel  u.  a.);  ein  Blütenteil  ist  zum  Schutzdach 
umgeformt  (Lippenblütler,  Knabenkrautgewächse  u.  a.);  Hüllblätter  oder  gar  Laubblätter 
übernehmen  den  Schutz  (Aronstab  u.  a. ;  Linde);  die  Blütenröhre  ist  sehr  eng,  oft  noch 
durch  Schuppen  oder  Haare  versperrt  (Vergißmeinnicht,  Ehrenpreis) ;  die  Blüten  oder 
Blütenstände  sehließen  sich  abends  und  bei  Eintritt  ungünstiger  Witterung  (Scharbocks- 
kraut, Löwenzahn),  oder  sie  werden  nickend  (Erdbeere,  Möhre),  oder  es  tritt  beides  zugleich 
ein  (Windröschen,  Wiesenschaumkraut);  die  geöffneten  Staubbeutel  schließen  sieh  nachts 
oder  bei  feuchtem  Wetter  (Wegerich)  u.  s.w. 

Legen  wir  Blütenstaubkörnchen 
in  wenig  Wasser,  dem  etwas  Zucker  und 
Gelatine  zugesetzt  sind,  so  platzen  sie 
nicht.  Ihr  Inhalt  aber  stülpt  sich,  von 
der  zarten  Innenhaut  umgeben,  nach 
außen  und  wächst  wie  bei  den  keimenden 
Sporen  (s.  S.  298)  zu  je  einem  langen 
Keimschlauche  (Pollenschlauche) 
heran.  Um  dem  Schlauche,  dessen  Be- 
deutung   wir    später    kennen    lernen 

werden,  leicht  den  Durchtritt  zu  ge-      Fruchtblatt    vom    Rittersporn.      1   normal 
statten,  hat  die  feste  Außenhaut  viel-  ausgebildet,   2  mißgebildet. 

Schmeil,    Lehrbuch  der  Botanik.  28 


434  Ba«  ur>d  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 

fach  dünne  oder  scharf  abgegrenzte  Stellen,   die  durchbrochen  oder  deckelartig 
abgehoben  werden. 

3.  a)  Die  Fruchtblätter  lassen  ihre  Blattnatur  oft  noch  recht  deutlich 
erkennen:  in  zahlreichen  Blüten  (Rittersporn  u.  a.)  sehen  sie  fast  wie  kleine 
Laubblätter  aus,  und  in  mißgebildeten  Blüten  kann  man  nicht  selten  eine  Bück- 
bildung zu  wirklichen,  grünen  Laubblättern  beobachten. 

b)  Bei  den  Nadelhölzern  und  ihren  nächsten  Verwandten  hat  das  Frucht- 
blatt seine  ursprüngliche  Blattgestalt  bewahrt  (s.  das.).  Bei  allen  anderen  Blüten- 
pflanzen dagegen  hat  es  sich  allein  oder  mit  anderen  seinesgleichen  zu  einem 
Stempel  umgebildet.  So  ist  deutlich  zu  erkennen,  daß  der  Stempel  z.  B.  der 
Erbse  aus  einem  Fruchtblatte  dadurch  entstanden  ist,  daß  dessen  Bänder  mit- 
einander verwachsen  sind,  oder  daß  der  der  Schlüsselblume  aus  5  Fruchtblättern 
auf  dieselbe  Weise  gebildet  ist.  Die  Verwachsungsstellen  der  Fruchtblätter  sind 
meist  noch  als  Nähte  sichtbar. 

c)  Der  untere  Teil  des  Stempels,  der  Fruchtknoten,  ist  ein  Gehäuse 
oder  Behälter  für  die  sehr  zarten  Samenanlagen  oder  Samenknospen.    Da  —  wie 


Bau  des  Fruchtknotens  (schematisch).  1  Der  Fruchtknoten  besteht  aus  einem  Frucht- 
blatte (Erbse).  2  Er  wird  aus  5  Fruchtblättern  gebildet;  die  Samenanlagen  sitzen  an 
einem  säulenartigen  Zapfen,  der  vom  Blütenboden  aus  in  den  Hohlraum  tritt  (Schlüssel- 
blume). 3  Dreiblätteriger  Fruchtknoten  (Tulpe),  dessen  Innenraum  durch  Scheidewände 
in  3  Fächer  geteilt  ist.  4  Vielblätteriger  Fruchtknoten  (Mohn),  dessen  Innenraum 
unvollkommen  gefächert  ist. 

soeben  erwähnt  —  die  Fruchtblätter  der  Nadelhölzer  und  ihrer  Verwandten  sich 
nicht  zu  Stempeln  umformen,  liegen  hier  die  Samenanlagen  frei  da,  ein  Um- 
stand, auf  dem  die  Scheidung  der  Blütenpflanzen  in  „bedecktsamige"  und 
„nacktsamige"  beruht. 

Verwachsen  die  Fruchtblätter  nur  mit  ihren  Rändern,  so  stellt  das  Innere 
des  Fruchtknotens  einen  einzigen  Hohlraum  dar  (Erbse,  Schlüsselblume).  Er- 
strecken sie  sich  aber  mehr  oder  weniger  weit  in  den  Innenraum,  so  wird  dieser 
wie  durch  Scheidewände  vollkommen  oder  unvollkommen  in  Fächer  geteilt  (Tulpe, 
Klatschmohn).  Zu  diesen  „wahren"  Scheidewänden  treten  ab  und  zu  noch  „falsche", 
die  nur  Wucherungen  der  Fruchtblätter  darstellen.  Wir  treffen  sie  z.  B.  bei  den 
Kreuzblütlern  (s.  Blütengrundriß  S.  1H)  und  beim  Flachs  an  (s.  Taf.  9,  5).    Mehr- 


Bau   nml   Leben  der  Rliito. 


435 


fach  (z.  B.  bei  der  Schlüsselblume)  ragt  in  den  Hohlraum  des  Fruchtknotens  vom 
Blütenboden  aus  ein  säulenartiger  Zapfen. 

d)  Nach  oben  setzt  sich  der  Fruchtknoten  in  einen  stielartigen  Teil,  den 
Griffel,  fort,  der  in  der  Narbe  endigt.  Ist  nur  ein  Fruchtblatt  vorhanden, 
oder  sind  die  Fruchtblätter  im  oberen  Teile  völlig  miteinander  verschmolzen,  so 
tritt  auch  nur  ein  Griffel  mit  einer  Narbe  auf  (Erbse,  Schlüsselblume).  Ist  die 
Verwachsung  der  Fruchtblätter  dagegen  nur  auf  den  Fruchtknoten  beschränkt, 
so  sind  mehrere  Griffel  mit  ebenso  vielen  Narben  vorhanden  (Nelkengewächse  u.  a.). 
Bei  mehreren  Pflanzen  (Mohn,  Tulpe  u.  a.)  fehlt  der  Griffel  gänzlich. 

4.  Der  Blütenboden.  Je  nach  der  Form  des  Blütenbodens  nimmt  der  Frucht- 
knoten zu  den  übrigen  Blütenteilen  eine  verschiedene  Stellang  ein.  Ist  der  Blütenboden 
mehr  oder  weniger  emporgewölbt,  so  steht  der  Fruchtknoten  höher  als  die  anderen  Blüten- 
teile: er  ist  ober  ständig  (Scharbockskraut,  Raps,  Mohn  u.  v.  a.).  Vielfach  ist  der 
Blütenboden  aber  napf- 
oder  krngförmig  ausge- 
höhlt. Bann  steht  der 
Fruchtknoten  tiefer  als 
die  übrigen  Blütenteile. 
Verwachsen  in  diesem 
Falle  Blütenboden  und 
Fruchtknoten  miteinan- 
der (wie  bei  Apfel,  Birne, 
Möhren,  a.),  so  bezeichnet 
man  das  aus  beiden  ent- 
stehende Gebilde ,  das 
dann  die  übrigen  Blüten- 
blattkreise trägt,  als 
n  n  t  e  r  s  t  ä  n  d  i  g  e  n 

Fruchtknoten.  Tritt  eine  solche  Verschmelzung  nicht  ein  (wie  bei  Kirschbaum  und  Böse), 
so  redet  man  von  einem  mittelständigen  Fruchtknoten.  (Vgl.  auch  die  Abbildungen 
der  erwähnten  Blüten  !) 

5.  Blütengrundriß.  Stellt  man  z.  B.  durch  eine  Nelkenblüte  kurz  vor  ihrer  Ent- 
faltung dicht  über  dem  Grunde  einen  Querschnitt  her,  so  werden  alle  Blütenteile  davon 
getroffen.  Man  erkennt  auf  diesem  Schnitte  leicht  die  Anzahl  der  Teile,  ihre  Verteilung 
auf  die  einzelnen  Blattkreise  und  die  Stellung,  die  sie  zueinander  haben.  Eine  schema- 
tische Zeichnung  dieses  Hildes  ist  der  Grundriß  oder  das  Diagramm 
der  Blüte.  Bei  den  meisten  Blüten,  z.  B.  bei  denen  der  Taubnessel  "der  der  Schlüssel- 
blume, muß  man  aber,  am  sämtliche  Verhältnisse  kennen  zu  Lernen,  mehrere  Querschnitte 
in  verschiedener  Höhe  führen.  Trägt  man  darauf  die  verschiedenen  Bilder,  die  die 
Schnitte  lieferten,  so  in  eine  Zeichnung  ein,  daß  ihre  Mittelpunkte  zusammenfallen,  so 
erhält  man  gleichfalls  den  gewünschten  Grundriß.  Sind  Blütenteile  miteinander  ver- 
wachsen, so  werden  sie  im  Grundriß  als  verbunden  gezeichnet.     (Vgl.  auch  S.  3,  Anm.) 

Die  Blüte  (oder  der  Blütengrundriß)  ■/..  B.  der  Schlüsselblume  läßt  sich  durch  zehn 
Schnitte,  die  durch  den  Mittelpunkt  gehen,  in  je  2  gleiche  Teile  /.erlegen  (führe  diese 
Schnitte!).  Hält  man  den  einen  dieser  Teile  an  die  Fläche  eines  Spiegels,  so  wird  er 
durch  sein  Spiegelbild   zu  einer  ganzen  Blüte  ergänzt.    Die  Teile  sind  also  spiegelbildlich 


Stellung  des  Fruchtknotens  (schematisch). 

ständig,     2  unterständig,     3  mittelständig.     De: 

ist  schraffiert  gezeichnet. 


1  Er  ist  ober- 
Blütenboden 


436 


Bau  und  Lehen  der  einzelnen  Pflanzenteile. 


gleich  oder  symmetrisch 
1 


Blütengrundrisse.  1  Grundriß  einer  strahligen 
oder  regelmäßigen  Blüte  (Schlüsselblume).  2  Grund- 
riß einer  zweiseitig-symmetr.  Blüte  (Taubnessel). 

legen.      Sie   sind    also    zweiseitig-    oder    kurz 


den  Blüten  dieser  Pflanze  sind  ferner  Kelch-,  Blumen-, 
Staub-  oder  Fruchtblätter  so  regel- 
mäßig um  den  Mittelpunkt  gelagert, 
als  strahlten  sie  von  ihm  aus  wie  die 
Radien  vom  Mittelpunkte  des  Kreises. 
Blüten  dieser  Art  werden  daher  als 
strahlig-symmetrisch  oder  kurz: 
als  strahlig  oder  regelmäßig  be- 
zeichnet. Die  Blüten  (oder  die  Blüten- 
grundrisse) der  Taubnessel,  des  Veil- 
chens und  vieler  anderer  Pflanzen  da- 
gegen lassen  sich  nur  durch  einen 
Schnitt  in  2  symmetrische  Teile  zer- 
seitlich-symmetrisch. 


C.  Die  Blütenstände. 

Es  kommt  verhältnismäßig  selten  vor,  daß  eine  Pflanze  nur  eine  einzige 
Blüte  hervorbringt  (Tulpe,  Schneeglöckchen).  Sind,  wie  in  der  Begel,  mehrere 
oder  zahlreiche  Blüten  vorhanden,  so  stehen  sie  entweder  einzeln  in  den  Blatt- 
winkeln wie  bei  der  Taubnessel,  oder  sie  sind  zu  Blütengemeinschaften 
oder   Blütenständen  gehäuft  (Beispiele!). 

Den  Stengelteil  der  Blütengemeinschaft,  dem  die  einzelnen  blütentragenden 
Zweige  oder  die  gestielten  oder  ungestielten  Blüten  entspringen,  bezeichnet  man 
als  die  Hauptachse  des  Blütenstandes.  Die  aus  ihm  hervorgehenden  Zweige 
werden  daher  Nebenachsen  genannt.  Da  die  Verzweigung  nun  sehr  ver- 
schieden erfolgt,  zeigen  die  Blütenstände  eine  große  Mannigfaltigkeit.  Wie 
überall  in  der  Natur  herrscht  aber  auch  hier  eine  feste  Ordnung,  eine  bestimmte 
Gesetzmäßigkeit :  die  Blütenstände  lassen  sich  —  so  verschieden  sie  auch  gestaltet 
sein  mögen  —  bei  näherem  Zusehen  auf  drei  Hauptformen  zurückführen: 


- 


.  !  2 

Traubige  Blütenstände  (Schema) 


1  Traube;    2  Rispe 
Ähre:    5  Kolben. 


3  Ähre 


4  '  5 

4  zusammengesetzte 


Bau  imil  Leben  der  Blüte. 


437 


1.  Traubige  Blutenstände.  Die  Hauptachse  verlängert  sich  (bis  zu  einer  gewissen 
Grüße)  fortgesetzt  durch  Wachstum  und  übertrifft  die  Nebenachsen  an  Länge  und  Stärke. 
Da  die  unteren  Bluten  die  älteren  sind,  so  entfalten  sie  sich  zuerst.  Das  Aufblühen 
erfolgt  also  von  unten  nach  oben  oder  —  wenn  die  Blüten    gestiell    sind  von   außen 

nach    innen  (Cent  ripetal  i.     (Diese  Erscheinung    ist    in    den   Abbildungen    durch    die    ver- 
schiedene  Größe   der   Kreise  kenntlich  gemacht,    durch    die    die  Blüten  angedeutet    sind.) 

a)  Trägt  die  Hauptachse  langgestielte  Blüten,  so  nennt  man  den  Blutenstand  eine 
Traube  (Maiblume  u.  a.).  Eine  Traube,  deren  Nebenachsen  wieder  Trauben  (oder 
gar  Bispen)  bilden,  wird  Rispe  genannt  iWYinstoek:  Rispengräser;  bei  letzteren  tragen 
die   Rispenäste  aber  Ähren!) 

b)  Sind  die  Blüten  ungestielt  (oder  ganz  kurz  gestielt),  so  entstellt  eine  Ähre 
(Eisen-  und  Bingelkraut).  —  Findet  sich  an  Stelle  jeder  Blüte  eine  kleine  Ähre,  ein  sog. 
Ahrchen,  so  hat  man  eine  zusammengesetzte  Ähre  vor  sich  (Roggen  und  viele 
andere  Gräser).  Eine  Ähre  mit  fleischiger  Achse  ist  ein  Kolben  (Aronstab).  Hat  die 
Alue  unscheinbare  Blüten  und  fällt  sie  nach  dem  Verblühen  oder  der  Fruchtreife  als 
Ganzes  ab,  so  nennt  man  sie  Kätzchen  (zahlreiche  Laubbäume).  Ein  Kätzchen,  dessen 
Achse  und  Deckschuppen  bei  der  Frucht  reife  holzig  werden,  wird  als  Zapfen  bezeichne! 
(die  meisten  Nadelholzbäume). 


Doldige  Blutenstände  (S 


2  13  4 

1  Dolde;    2  zusammengesetzte   Dolde;    3   Köpfchen; 
4  Blütenkörbehen. 


II.  Doldige  Blutenstände.  Die  Hauptachse  „hört  plötzlich  auf",  ist  also  verkürzt . 
Die  Nebenachsen  entspringen  an  einem  Punkte.  Das  Aufblühen  erfolgt  gleichfalls  von 
außen  nach  innen  (centripetal). 

a)  Erheben  sieh  von  der  verkürzten  Hauptachse  gestielte  Blüten  (die  zumeist  in 
einer  Ebene  liegen  i,  so  heißt  der  Blütenstand  eine  D  o  1  d  e  (Schlüsselblume,  Efeu).  Stellt 
jede  Nebenachse  wieder  eine  kleine  Dolde  („Döldchen")  dar,  so  entsteht  die  zusam  m  e  n- 
ge setzte  Dolde  (die  meisten  Doldenpflanzen). 

b)  Stehen  auf  der  verkürzten  Hauptachse  dicht  gedrängt  zahlreiche  ungestielte 
(oder  ganz  kurz  gestielte)  Blüten,  so  hat  man  ein  Köpfehen  vor  sich  (Grasnelke).  Ist 
das  Köpfehen  von  Hüllblättern  umgeben,  so  nennt  man  es  Blütenkörbchen  (Korbblütler). 

III.  Trugdoldige  Blutenstände.  Die  Hauptachse  ist  durch  eine  endständige  Blüte 
abgeschlossen,  die  als  die  älteste  sieh  zuerst  öffnet.  Unterhalb  dieser  Blüte  entspringen  ein 
oiler  mehrere  Nebenachsen.  Sie  schließen  gleichfalls  mit  je  einer  Blüte  ab,  die  sich  nun- 
mehr   entfaltet.     Auf  diese  Weise  kann  sich  die  Verzweigung  mehrfaeh  wiederholen.     Das 


438 


Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 


Aufblühen    schreitet  hier  also  —  gleichfalls  dem  Alter  der  Blüten  entsprechend  —  von 
innen  nach  außen  fort  (centrifugal). 

a)  Unter  der  endständigen  Blüte  der  Hauptachse  entspringen  an  einem  Punkte 
2  oder  mehrere  Nebenachsen,  die  sich  wiederholt  wie  die  Hauptachse  verzweigen  können. 
Da  bei  diesem  Blütenstande  die  Blüten  vielfach  ähnlich  wie  bei  der  Dolde  in  einer  Ebene 
liegen,  nennt  man  ihn  Trugdolde  (Wolfsmilch,  s.  Taf.  10;  Schafgarbe,  Ackerhornkraut  u.  a.). 


O^L V 


o 


O 


Trugdoldige  Blütenstände  (Schema).     1  Trugdolde ;  2  Wickel. 

b)  Unter  der  endständigen  Blüte  der  Hauptachse  entspringt  nur  eine  Nebenachse,  die 
fortgesetzt  abwechselnd  rechts  und  links  wieder  je  einen  Nebenzweig  treibt.  Ein  solcher 
Blütenstand  wird  Wickel  genannt  (Schwarzwurz  und  viele  andere  Rauhblatt-Gewächse). 


D.  Die  Bestäubung*  der  Blüte. 

1.  Es  ist  eine  bekannte  Tatsache,  daß  eine  Blüte  nur  dann  Samen  hervor- 
bringt, wenn  auf  ihre  Narbe  reifer  Blütenstaub  von  einer  Pflanze  derselben  Art 
gelangt,  oder  kurz,  wenn  die  Pflanze  bestäubt  wird.  Der  Nachweis 
hierfür  ist  leicht  zu  erbringen.  Schneidet  man  z.  B.  aus  Tulpenblüten  die  Staub- 
blätter, bevor  sich  deren  Beutel  geöffnet  haben,  vorsichtig  heraus,  und  umwickelt 
man  die  Blüten  dann  (um  die  Insekten  abzuhalten !)  mit  engmaschiger  Gaze,  so 
bleiben  sie  unfruchtbar.  Überträgt  man  jedoch  auf  die  Narben  anderer,  aber 
ebenso  behandelter  Blüten  mit  Hilfe  eines  feinen  Pinsels  Blütenstaub,  der  aus 
anderen  Tulpenblüten  stammt,  so  tritt  sicher  in  den  meisten  Fällen  Samen- 
bildung ein. 

2.  Auf  ganz  ähnliche  Weise  läßt  sich  auch  dartun  und  ist  von  Naturforschern 
vielfach  aufs  sorgfältigste  festgestellt  worden,  daß  bei  der  Bestäubung  einer 
Blüte  mit  ihrem  eigenen  Blütenstäube  oder  kurz:  bei  Selbstbestäubung  in 
der  Regel  keine  oder  nur  schwächliche  Samen  entstehen.  Stammt  der  Blüten- 
staub dagegen  von  anderen  Blüten  derselben  oder  noch  besser  einer  zweiten 
Pflanze,  erfolgt  also  Fremdbestäubung,  so  bilden  sich  zahlreiche  und 
kräftige  Samen. 

Es    gibt   allerdings    gewisse   Blüten,   z.  B.   die   sog.  „Sommerblüten"  des 


Bau  und  Leben  der  ßliitc. 


439 


Veilchens  und  der  stengelumfassenden  Taubnessel,  die,  weil  sie  sich  nicht  öffnen, 
auf  Selbstbestäubung  angewiesen  sind.  Auch  bei  zahlreichen  offenblütigen  Pflanzen 
tritt,  wie  wir  gesehen  haben  (s.  z.  ß.  Sonnenrose),  dieser  Vorgang  ein,  wenn 
die  Belegung  der  Narbe  mit  fremdem  Staube  aus  irgend  einem  Grunde  (Kälte, 
Mangel  an  Besuchern  u.  dgl.)  unterblieben  ist,  und  eudlich  haben  wir  in  der 
kleinblütigen  Form  des  Stiefmütterchens  auch  eine  Pflanze  kennen  gelernt,  die 
sich   fortgesetzt   nur   selbst   bestäubt.     In   der   Regel   aber   ist  die  Freind- 


Stiefmütterchen. 

1  großblumige  Form,  die  durch  Insekten  bestäubt  wird 
blumige  Form,  die  sich  selbst  bestäubt. 


2  klein- 


bestäubung  der  von  den  Pflanzen  „gewünschte"  Vorgang.  Gewisse 
Pflanzen  (z.  B.  Roggen)  bleiben  sogar  bei  Selbstbestäubung  vollkommen  un- 
fruchtbar. Daher  hat  die  Natur  auch  die  mannigfachsten  Mittel  ausgebildet, 
um  eine  Belegung  der  Narbe  durch  fremden  Blütenstaub  herbeizuführen : 

a)  Staubblätter  und  Stempel  sind  auf  verschiedene  Blüten  ver- 
teilt;  die  Pflanzen  sind  also  ein-  oder  zweihäusig  (s.  Haselnußstraucli  und  Salweide). 

b)  Bei  Blüten,  die  Staubblätter  und  Stempel  enthalten,  also  sog.  Zwitterblüten 
sind,  wird  Selbstbestäubung  vermieden,  wenn  Staubblätter  und  Stempel  nicht 
zu  gleicher  Zeit  reifen.  Meist  (Glockenblume,  Sonnenrose  u.  a.)  öffnen  sieh  die 
Staubbeate]  bereits,  wenn  die  Narben  uoch  vollkommen  unentwickell  sind  („vorstäubende" 
Blüten).  Der  umgekehrte  Kall  |  „ nachstäubende "  Blüten)  tritt  seltener  ein  (Sonnen-Wolfs- 
milch, Wegerich,   Osterluzei,  Aronstab  u.  a.). 

e)  Reifen    in  Zwitterblüten  Staubbeutel    und  Narben    zu    gleicher   Zeit,    so    ist 


440 


Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteik 


Selbstbestäubung  vielfaeh  ausgeschlossen  oder  doch  stark  behindert,  -weil  die  beiden 
Blütenteile  so  gestellt  sind,  daß  sie  sich  nicht  berühren  können  (Wiesensalbei, 
Orehis,  Schwertlilie  u.  a.). 

d)  Zu  demselben  Ziele  führt  auch  die  Verschi  ed  engrif  f  ligkeit  (s.S.  122), 
die  wir  bei  Schlüsselblume,  Wasserfeder,  Lungen- 
kraut und  Weiderich  fanden. 

3.  Soll  die  „gewünschte"  Fremdbestäubung 
eintreten7  so  muß  die  oft  weite  Strecke,  die 
zwischen  Staubbeutel  und  Narbe  liegt,  über- 
brückt werden.  Da  die  Pflanze  hierzu  allein 
nicht  imstande  ist,  muß  sie  sich  fremder 
Hilfe  bedienen.  In  den  meisten  Fällen 
spielen  Insekten  oder  der  Wind,  in  wenigen 
(s.  Hornblatt  und  Seegras)  das  Wasser  oder 
Vögel  (bei  Tropenpflanzen)  die  Rolle  des 
Vermittlers.  Damit  die  Übertragung  des 
Blütenstaubes  zur  Narbe  nun  möglichst  glatt 
und  sicher  vonstatten  geht,  sind  eine  große 
Zahl  von  Einrichtungen  getroffen,  die  hier 
für  die  allein  wichtigen  „Insekten-  und  Wind- 
blütler" übersichtlich  zusammengestellt  sein 
mögen : 

/.  Insektenblütler. 

A.  Was  die  Pflanze  ihren  Bestäubern 
bietet.  Der  Transport  des  Blütenstaubes  von 
Blüte  zu  Blüte  wird  von  den  Insekten  selbstver- 
ständlich nicht  absichtlich  oder  freiwillig  besorgt. 
Die  Tiere  kommen  stets  nur  ihres  eigenen  Vorteils 
willen  zur  Pflanze. 

a)  Sie  finden  in  den  Blüten  vor  allen  Dingen 
einen  süßen  Saft  (Nektar),  der  gewöhnlich  als 
Honig  bezeichnet,  im  Körper  der  Biene  aber 
erst  in  Honig  verwandelt  wird  (s  Lehrb.  d.  Zool.). 
Diese  für  die  Besucher  b  e  s  t  i  m  m  t  e  Flüssigkeit  wird  von  „Honigdrüsen" 
(Xektarien)  abgeschieden,  die  sich  an  allen  Blütenteilen  finden  können  (vgl.  z.  B.  Linde, 
Scharbockskraut,  Veilchen,  Möhre  und  Weinstock),  und  mehrfach  in  besonderen  Behältern, 
den  sog.  „Saf  th  alt  e  r  nK,  aufbewahrt  (Veilchen,  Leinkraut  u.a.).  Je  nachdem  er  mehr 
oder  weniger  tief  in  der  Blüte  dargeboten  wird,  je  nachdem  ist  er  auch  nur  Insekten 
von  bestimmter  Rüssellänge  zugänglich  (vgl.  z.  B.  Möhre,  Raps,  Veilchen,  Steinnelke  und 
Geißblatt).  Kurzrüsselige  Insekten  suchen  den  süßen  Saft,  den  sie  in  „ rechtmäßiger " 
Weise  nicht  erbeuten  können,  vielfach  durch  „Einbruch"  zu  erlangen  (Taubnessel  u.  a.). 
—  Bei  gewissen  Pflanzen  (s.  Orehis  und  Goldregen)  muß  der  süße  Saft  vom  Besucher 
erst  erbohrt  werden.  —  Staubbeutel  und  Narbe  stehen  stets  in  dem  Wege,  der  zum 
Honig  führt  (Bedeutung?). 


Blüten  des  Weiderichs.  (Kelch 
zur  Hälfte  und  Blumenblätter  zum 
größten  Teil  entfernt.)  a.  lang-, 
b.  mittel-  und  c.  kurzgrifflige  Form. 
Die  Linien  verbinden  die  Narben 
mit  denjenigen  Staubblättern,  deren 
Blütenstaub  auf  ihnen  allein  volle 
Fruchtbarkeit  bewirkt. 


Hau 


Blüte. 


441 


Blüten    des    Besenginsters.       Die     Flügel    der 

Schmetterlingsblüte  dienen  der  saugenden  Hummel 

als  Sitzplatz.     (Näheres  s.  S.  110.) 


Zahlreiche  Blüten  besitzen  für  die  honigsaugenden 
Gäste  heii  u  eine  Sitzplätze  (s.  Taubnessel,  Roßkastanie  u.  a.). 
Es  ist  auch  nicht  ganz  unwahrscheinlich,  daß  die 
dunklen  Flecke,  Striche  "der  Punkte,  die  siel  häufig  auf 
t\r]\  Blumenblättern  nach  dem  Honigbehälter  hinziehen,  den 
Gästen  den  Weg  zum  süßen  Mahle  zeigen  (s.  S.  121,  3; 
Beispiele!).  Gestützt  wird  diese  Annahme  besonders  dadurch, 
daß  man  „Honig-  oder  Salt  male-'  nur  bei  Pflanzen  mit 
verstecktem  Honig,  niemals  aber  hei  Nachtblumen  (z.  B.  beim 
nickenden  Leimkraut  oder  Wald-Geißblatt)  findet,  auch  wenn 
deren   Honig-  in   noch   so  tiefen    Röhren  geborgen  ist. 

)  Außer  Honig  liefern  zahlreiche  Blüten 
den  Insekten  Blütenstaub  als  Nahrungsmittel. 
Mehrere  Blüten  besitzen  überhaupt  keinen  Honig, 
dafür  alier  umso  zahlreichere  Staubblätter  (s.  Mohn 
und  Kose).  Diese  Blüten  stehen  aufrecht  und 
haben  Schalenforni,  so  daß  der  aus  den  Beuteln 
lallende  Staub  nicht  verloren  gehen  kann.  - 
Auch  andere  zarte  Blütenteile  werden  mehr- 
fach von  den  Insekten  verzehrt. 

Die   Blütenstaubkörner    der    insekten- 
blütigen     Pflanzen     sind   in    der     Kegel     an 
ihrer    Oberfläche    klebrig    und    vielfach    mit 
Stacheln    oder    AVarzen      bedeckt.       Infolge- 
dessen bleiben  sie   an  den  geöffneten  Staub- 
beuteln     und      später      an      dem 
Körper    der    Tiere    leicht   hängen. 
(Beweise,  daß  bei  Veilchen.  Heide- 
kraut,   Schneeglöckchen    u.   a.     die 
Art     der     Bestäubung     trockenen 
Blütenstaub  voraussetzt!) 

e)  Blüten,  die  die  Form 
großer,  hängender  Glocken  haben, 
gewähren  ihren  Besuchern  S  c  h  u  t  / 
gegen  Kälte  und  Nässe 
(Glockenblume,  Fingerhut  u.  a.i. 
Bei  Osterluzei  und  Aronstab  wei- 
den die  Insekten  im  Blüten- 
grunde längere  Zeit  gefangen  ge- 
halten. 

d  |  Heim  Feigenbäume  bieten 
die  Blüten  den  Bestäubern  B  rut- 
statten  für  d  i  e  X  a  c  b  - 
k  o  in  m  e  n . 

B.  Wie  die  Pflanze  ihre 
Bestänber  anlockt.     Gleich  dem 


442  Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 

Gastwirte  und  Kaufmanne,  die  ihr  Geschäft  durch  Firmenschilder  kenntlich  machen, 
muß  auch  die  Pflanze  ihren  Bestäubern  anzeigen,  daß  bei  ihr  ein  „gedeckter  Tisch  * 
zu  finden  ist.     Die  Blüten  müssen  auffällig  sein. 

a)  Sie  erheben  sich  daher  (bis  auf  Ausnahmen)  nicht  nur  über  das  Laub, 
sondern 

b)  besitzen  auch  eine  Färbung,  die  deutlich  vom  Grün  des  Untergrundes  ab- 
sticht (.Blumen-).  In  der  Regel  ist  diese  „Lockfarbe '~  den  Blumenblättern  eigen.  Da, 
wo  diese  Blätter  verdeckt  sind,  treffen  wir  einen  bunt  gefärbten  Kelch  an  (Heidekraut  u.  a.). 
Seltener  sind  Blumen-  und  Kelchblätter  durch  Buntfärbung  ausgezeichnet  (Tulpe,  Ritter- 
sporn). Die  nach  außen  gekehrte  Seite  der  bunten  Blätter  ist  stets  die  prächtigere 
(Scharbockskraut).  In  Ausnahmefällen  sind  auch  die  Staubblätter  (Salweide)  oder  gar 
die  Hüllblätter  der  Blüte  (Hain-Waehtelweizen)  in  den  Dienst  der  Anlockung  der  Gäste 
gestellt.  Erhöht  wird  die  Auffälligkeit  in  seltenen  Fällen  durch  Verwendung  verschie- 
dener Farben  (Saubohne,  Hain-Wachtelweizen).  Blüten,  die  durch  Nachtschmetterlinge 
bestäubt  werden,  haben  eine  helle,  weil  im  Finstern  allein  noch  bemerkbare  Färbung 
(Nachtkerze  u.  a,). 

c)  Da  kleine  Blüten  einzeln  nicht  weithin  sichtbar  sind,  vereinigen  sie  sich  zu 
Blumengemeinschaften  oder  Blütenständen  (s.  S.  436).  Häufiger  als  in  Einzelblüten 
treten  hier  Farbengegensätze  auf  (besonders  bei  den  Korbblütlern;  Beispiele!).  Auch 
dadurch,  daß  sich  die  Randblüten  (zahlreiche  Korbblütler,  Schneeball)  oder  die  nach 
außen  gerichteten  Blumenblätter  dieser  Blüten  (Möhre)  vergrößern,  wird  die  Auffälligkeit 
erhöht.  Zum  Teil  „verzichten"  diese  Blüten  sogar  auf  die  Erzeugung  von  Samen  (Schnee- 
ball, Sonnenrose).  In  gewissen  Fällen  werden  die  Blütengemeinschaften  erst  durch  Blätter 
auffällig,  die  nicht  zu  den  Blüten  gehören  (Sand-Strohblume,  Edelweiß). 

d)  Da  die  Insekten  durchweg  kurzsichtige  Tiere  sind,  können  von  ihnen  die  Blüten 
stets  nur  aus  der  Nähe  wahrgenommen  werden.  Auf  viel  weitere  Entfernung  wirkt  der 
Duft,  der  den  Blüten  entströmt,  als  Anlockungsmittel.  Je  nach  der  Insektenart,  deren 
Besuch  die  Pflanze  vorwiegend  wünscht,  ist  auch  der  Duft  ihrer  Blüte  verschieden.  Die 
wichtigsten  Bestäuber  (Bienen,  Hummeln,  Schmetterlinge)  lieben  Düfte,  die  auch  uns  an- 
genehm sind.  Blüten  dagegen,  die  besonders  von  Fliegen  bestäubt  werden,  riechen  (für 
uns !)  oft  sehr  unangenehm  (Weißdorn,  Aronstab).  Am  deutlichsten  ist  diese  Erscheinung 
an  den  sog.  Aasblumen  (Stapelia)  zu  beobachten,  die  wegen  ihrer  Ähnlichkeit  mit  Kaktus- 
arten gern  in  Blumentöpfen  gezogen  werden :  ihre  Blüten  riechen  ekelhaft  nach  Kot, 
auf  dem  sich  die  Bestäuber  gern  umhertreiben.  —  Unscheinbare  Blüten  (Weinstock ; 
s.  dag.  wilder  Wein)  oder  solche,  die  eine  versteckte  Lage  haben  (Linde),  oder  sich  in 
der  Nacht  entfalten  (Geißblatt  u.  a.),  haben  meist  einen  besonders  starken  Duft. 

C.  Wie  die  Pflanze  unwillkommene  Blütengäste  abhält.  Alle  Tiere,  die, 
ohne  eine  Bestäubung  der  Blüton  herbeiführen  zu  können,  Honig  und  Blütenstaub  verzehren 
oder  wohl  gar  die  ganze  Blüte  zerstören  (z.  B.  Schnecken),  sucht  die  Pflanze  wie  alle 
sonstigen  Feinde  (Beispiele  !)  von  sich  abzuhalten.  Die  größte  Zahl  der  unwillkommenen 
Blütengäste  bilden  die  Tiere,  die  am  Stengel  emporkriechen  (Ameisen,  Schnecken  u.  a.). 
Aber  auch  alle  die  anfliegenden  Tiere,  die  beim  Besuch  der  Blüte  weder  Staubbeutel 
noch  Narbe  berühren,  gehören  hierher.  Gegen  diese  unnützen  Näscher  sind  die  Pflanzen 
durch  sehr  mannigfache  Mittel  geschützt : 

a)  Der  den  Blüten  entströmende  Duft  wirkt  nur  auf  die  Vermittler  der  Bestäubung 
anziehend,  auf  andere  Insekten  abschreckend. 


Bau  und  Leben  der  Blüte.  443 

b)  Von  der  Oberfläche  des  Stengels  (Leimkraut)  oder  von  Drüsenhaaren  (Körni  r- 
Steinbrech)  werden  Klebstoffe  abgeschieden. 

c)  Die  Blätter  bilden  Wasserbecken  (Kardendistel). 

d)  Stengel,  Blütenstiel  oder  andere  Teile  sind  nüt  stechenden  Horsten  oder 
Stacheln  besetzt    (Schwarzwurz). 

e)  Bei  einigen  Pflanzen  wird  außerhalb  der  Blüte  Honig  abgeschieden 
(Zaunwicke). 

f)  Die  Blüten  bilden  hängende  Glocken  oder  dgl.,  deren  Rand  kletternde 
Insekten  nicht  überwinden  können  (Glockenblume). 

g)  Die  Blüten  sind  während  der  Zeit  geschlossen,  während  der  ihre  Bestäubet 
ruhen  (Scharbockskraut). 

h)  Blüten  oder  Blütenstände  sind  von  festen  Hüllen  umgeben,  die  von  den 
Insekten  nicht  durchbissen  werden  können  (Steinnelke,  Sonnenrose). 

i)  Der  Kelch  ist  aufgebläht,  so  daß  das  Insekt  beim  Durchbeißen  nicht  bis 
zum  Honig  vorzudringen  vermag  (Taubenkropf). 

k)  Der  Honig  ist  in  langen,  engen  Kanälen  geborgen  (Leinkraut)  oder  durch 
Haare  oder  andere  Mittel  verdeckt  (Taubnessel,  Glockenblume),  also  kleinen  Tieren  un- 
zugänglich.    (Warum    fehlen    den   Wasserpflanzen  Mittel    gegen  ankriechende   Insekten?) 

//.   Windblütler. 

Die  zahlreichen  Einrichtungen,  durch  die  sich  die  windblütigen  Pflanzen  auszeichnen, 
haben  wir  besonders  bei  der  Betrachtung  des  Haselnußstrauches,  des  Boggens  und  der 
Kiefer  bereits  kennen  gelernt : 

a)  Die  Blüten  sind  unscheinbar,  duft-  und  honiglos;  sie  sind  daher  auch 
viel  einfacher  gebaut  als  die  der  Insektenblütler ;  die  Blütenhüllen  sind  klein  oder 
fehlen  gänzlich. 

b)  Die  Staubbeutel  sind  dem  Winde  stets  frei  ausgesetzt,  so  daß 
der  Blütenstaub  leicht  ausgeschüttelt  und  verweht  werden  kann.  Daher  linden  sieh  die 
Blüten  oder  Blütenstände  stets  am  Umfange  der  Pflanze.  Entweder  ist  die  ganze  Pflanze 
(Gräser),  oder  der  Blütenstand  (Kätzchen,  Rispen),  oder  das  einzelne  Staubblatt  (Gräser) 
leicht  vom  Winde  zu  bewegen.  Bei  den  Nesseln  wird  der  Blütenstaub  durch  plötzliches 
Aufspringen  der  Beutel  in  die  Luft  geschleudert. 

c)  Vielfach  blühen  die  Pflanzen  im  wind  reichen  Frühlinge.  Dann  sind  die 
Sträucher  oder  Bäume  (Haselnußstrauch,  Pappel  u.  a.)  meist  noch  unbelaubt,  so  daß  der 
Wind  zu  den  Blüten  freien  Zutritt  hat. 

d)  Windblütige  Pflanzen  kommen  gewöhnlich  in  großen  Beständen  vor. 

e)  Da  der  Wind  den  Blütenstaub  planlos  verstreut,  erzeugen  die  Pflanzen 
große  Mengen  davon. 

f)  Die  Blütenstaubkörner  sind  trocken,  klein  und  glatt.  Infolge- 
dessen können  sie  leicht  aus  den  Staubbeuteln  geweht  und  über  große  Bezirke  ausgestreut 
werden.  Bei  zahlreichen  Nadelbäumen  (Kiefer)  sind  sie  noch  mit  besonderen  Flug- 
ein rieh  tu  ngen  versehen. 

g)  Die  Narben  stehen  frei,  sind  zumeist  sehr  groß  und  gleichen  oft  feder- 
arti  ge  n  Gebilden. 


444 


Hau  und  Leben  der  einzelnen  PfLanzenteile. 


E.  Die  Befruchtung  der  Blüte. 

Wie  wir  gesehen  haben,  bringt  eine  Pflanze  nur  dann  Samen  hervor, 
wenn  sie  bestäubt  wird.  Die  bloße  Berührung  der  Narbe  durch  den  Blüten- 
staub genügt  hierzu  aber  bei  weitern  nicht:  die  Bestäubung  ist  erst  die  Ein- 
leitung zu  höchst  wunderbaren  Vorgängen,  die  sich  im  Stempel  abspielen.  Um 
diese  Vorgänge  zu  verstehen,  müssen  wir  zuerst  den  Bau 

.r  1.   der    Samenknospen     oder 

Samenanlagen  näher  kennen  lernen. 
Wie  mißgebildete  Fruchtblätter 
(s.  Abb.  S.  433)  oft  deutlich  erkennen 
lassen,  gehen  die  Samenknospen  (in  der 
Regel)  aus  Randteilen  der  Fruchtblätter 
hervor.  Sie  finden  sich,  auf  kurzen 
Stielchen  sitzend,  in  dem  Frucht- 
knoten daher  zumeist  an  den  Ver- 
wachsungssteilen  der  Fruchtblätter 
oder  an  den  Scheidewänden,  die  von 
diesen  Blättern  gebildet  werden.  Auch 
dem  Blütenboden  oder  dem  Säulchen, 
das  von  ihm  in  den  Hohlraum  des 
Fruchtknotens  ragt,  können  sie  ange- 
heftet sein  (Schlüsselblume  u.  a.). 

Den  inneren  Bau  der  zarten  Ge- 
bilde enthüllt  uns  das  Mikroskop,  wenn 
wir  dünne  Querschnitte  durch  einen 
Fruchtknoten  betrachten.*)  Wir  er- 
blicken in  der  Mitte  einen  eitörmigen 
Körper,  den  Knospenkern,  der  bis 
auf  eine  Stelle,  den  Knospenmund, 
von  (meist)  zwei  becherartigen  Hüllen 
bedeckt  ist.  Unter  den  Zellen  des 
Knospenkerns  fällt  eine  durch  beson- 
dere Größe  auf,  die  man  als  Keini- 
sack  bezeichnet.  Indem  der  Kern 
dieser  Zelle  in  mehrere  Stücke  zer- 
fällt, und  indem  die  einzelnen  Teil- 
stücke von  Protoplasma  umlagert 
werden,  bilden  sich  im  Keimsack  mehrere  kleine  Zellen.  Unter  diesen  Zellen 
hat  wieder  eine,  die  in  der  Nähe  des  Knospenmundes  liegt,   eine  besondere  Be- 


Befruchtung der  Blüte  (schematisch).  In 
dem  Fruchtknoten  (F.)  findet  sich  eine  auf  recht- 
stehender Samenknospe,  die  fast  den  ganzen 
Hohlraum  (Fh.)  einnimmt.  An  der  Samen- 
knospe erkennen  wir  den  Knospenkern  (Kk.), 
dessen  Hüllen  (H.)  und  den  Knospenmund  (Km.) 
Der  Knospenkern  schließt  den  Keimsack  (Ks.) 
mit  der  Eizelle  (E.)  ein.  Auf  der  Narbe  (N.) 
mehrere  Blütenstaubkörnchen,  die  z.  T.  einen 
Keimschlauch  getrieben  haben.  Der  Keim- 
schlauch des  in  der  Mitte  liegenden  Kornes 
(S.)  hat  den  Griffel  (G.)  durchwachsen  und 
dringt  soeben  in  den  Keimsack  ein. 


*)  An  den  sehr  kleinen,  durchsichtigen  Samenknospen  des  Fichtenspargels  und 
der  Orchideen  sind  die  einzelnen  Teile  bei  mikroskopischer  Vergrößerung  schon  von  außen 
zu  sehen  ;  bei  ihnen  wird  aber  der  Knospenkern  vollständig  vom  Keimsack  eingenommen. 


Bau  und  Leben  der  Fruchl  und  des  Sinnens.  445 

deutung:sie  wird  Eizelle  genannt,  weil  von  ihr  die  Bildung  der  neuen  Pflanze 
ihren  Ausgang  nimmt. 

Die  Entwicklung  der  Eizelle  zur  jungen  Pflanze  tritt  jedoch  nie  von  selbst  ein, 
sondern  nur  dann,  wenn  Teile  eines  Blütenstaubkorns  in  sie  einwandern.  Wie  ist 
dies  aber  möglich,  da  ja  bei  der  großen  Mehrzahl  der  Samenpflanzen,  den  bedeckt- 
sämigen   Gewächsen,   die   Samenknospen   in   Fruchtknoten   eingeschlossen   sind  ? 

2.  Djis  Blütenstaubkorn,  das  auf  die  Narbe  gelangt  ist,  stellt  für  die 
Pflanze  ein  wertvolles  Gut  dar,  das  daher  festgehalten  werden  muß.  Dieser  Auf- 
gabe dienen  die  Wärzchen  oder  H  ä  r  c  h  e  n,  die  der  Narbe  meist  ein  samtartiges  Aus- 
sehen verleihen,  sowie  die  klebrige  Flüssigkeit,  die  von  der  Narbenoberfläche 
ausgeschieden  wird.    (Warum  besitzen  die  Windblütler  oft  eine  federige  Narbe?) 

Sobald  das  Blütenstaubkorn  aber  von  der  Narbenfeuchtigkeit  benetzt  wird, 
beginnt  es  —  genau  wie  in  dem  früher  angestellten  Versuche  (s.  S.  433)  — 
zu  schwellen  und  einen  Keim  schlauch  zu  treiben.  Der  Schlauch  durchwächst 
wie  ein  Pilzfaden  das  lockere  Gewebe  des  Griffels,  dringt  in  die  Höhle  des 
Fruchtknotens  ein  und  gelangt  durch  den  Knospenmund  in  den  Knospenkern 
der  Samenanlage.  Indem  nun  ein  Teil  vom  Inhalte  des  Keimschlauchs  (also 
des  Blütenstaubkorns!)  in  die  Eizelle  übertritt,  wird  diese  befruchtet,  d.  h. 
befähigt,    sich   zu   einer  jungen  Pflanze  zu  entwickeln. 

(Bei  den  nacktsamigen  Pflanzen  sind  die  frei  auf  den  Fruchtblättern  liegenden 
Samenknospen  etwas  abweichend  gebaut.  Die  Blütenstaubkörner  rollen,  wie  wir  bei  der 
Betrachtung  der  Kiefer  gesehen  haben,  zwischen  2  Fortsätze  der  Hülle,  also  in  den 
Knospenmund  .  woselbst  sie  von  einem  Flüssigkeitstropfen  festgehalten  werden  und 
schließlich  je  einen  Keimschlauch  treiben.) 

V.  Vom  Bau  und  Leben  der  Frucht  und  des  Samens. 

1.  Wie  entstellt  die  Frucht?  Während  nach  erfolgter  Befruchtung  die 
Staubblätter,  die  Blumenkrone  und  meist  auch  der  Kelch  , 

vertrocknen  und  abfallen,  vergrößert  sich  der  Frucht- 
knoten fortgesetzt:  er  entwickelt  sich  zur  Frucht,  in 
der  die  zarten  Samenanlagen,  wohlgeborgen  gegen  nach- 
teilige Einflüsse  von  außen,  zu  Samen  heranreifen.  Die 
Fruchtknotenwand  bildet  sich  zur  Fruchthülle  oder 
Fruchtschale  aus. 

Da  aus  jedem  Fruchtknoten  eine  Frucht  hervor- 
gehen kann,  so  entstehen  in  Blüten  mit  mehreren  Frucht- 
knoten auch  mehrere  Früchte  (z.  B.  zahlreiche  Hahnen- 
fußgewächse). Stehen  diese  „Früchtchen"  in  innigem 
Zusammenhang,    so  bilden    sie    eine    Sammelfrncht  Sammelfrucht  der  Hirn- 

'  beere.       im      Durehsrhnitt . 

(Himbeere,   Brombeere).     Beteiligen   sich  an   der   Bil-   ßb.  Blüten- (jetzt  Frucht-) 
düng  der  Frucht    noch  andere  Blütenteile    außer    dem     boden;    Fr.  Früchtchen. 
Fruchtknoten,  so  entsteht  eine  Scheinfrucht,  wie  wir 
dies  bei  Apfel,    Hagebutte  und   Erdbeere  gesehen  haben.     Feige,  Maulbeere  und 


446 


Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 


Ananas   stellen   sogar  ganze    Fruchtstände   dar.     (Welche    dieser  Früchte   sind 
Schein-   und   Samrael fruchte  zugleich?) 

2.  Wie  entsteht  der  Same  ?    a)  Mit  der  Entwicklung  der  Frucht  vollzieht 
sich   gleichzeitig   die  Ausbildung   der  Samenknospe   zum  Samen.     Nach  der  Be- 


4f 


Fruchttragender 
Zweig   v.    Pfaffen- 
hütchen.      Die    aus 

den  (rosafarbenen) 
Fruchtkapseln  her- 
vorschauenden oder 
an  Fäden  heraushän- 
genden Samen  sind 
von  einem  (orange- 
farbenen) Sanienman- 
tel  umgeben. 


/ 


fruchtung  beginnt  die  Eizelle  sich 
alsbald  lebhaft  zu  teilen.  Sie  wächst 
im  Laufe  der  Zeit  zu  dem  Keime 
heran,  der  —  wie  wir  an  der  Bohne 
und  dem  Roggenkorn  gesehen  haben 

—  aus  einem  kleinen  Stengel,  einem 
Würzelchen,ein  oder  zwei  Keimblät- 
tern und  einer  Knospe  besteht 
(s.  Abb.  S.  452  u.  248) :  also  alle  Teile 
einer  jungen  Pflanze  erkennen  läßt. 

—  Da  die  Anzahl  der  Keimblätter 
bei  den  bedecktsamigen  Pflanzen 
durchaus    fest    steht,     so    stellen 

deren  beide  Hauptab- 
teilungen, die  zwei- 
keim- und  einkeim- 
blättrigen Pflanzen, 
durchaus  natürliche 
Gruppen  dar. 

b)  Mit  dem  Wachs- 
tum des  Keimes  geht 
auch  in  dem  Keimsacke 
eine  lebhafte  Vermeh- 
rung der  Zellen  vor 
sich.  Indem  sich  diese 
Zellen  mit  Stoffen  fül- 
len (Eiweiß,  Stärke, 
Fett  u.  dgl.),  die  dem 
Keimling  in  der  ersten  Zeit  des  Wachstums  zur  Nahrung  dienen,  entsteht  das  N  ä  h  r  g  e- 
webe ,  das  auch  als  Sameneiweiß  (Endosperm)  bezeichnet  wird.  Bei  zahlreichen  Pflan- 
zen (z.  B.  bei  d.  Schmetterlings-  u.  Kreuzblütl.)  wird  das  Nährgewebe  von  dem  Keime 
bald  wieder  verdrängt.  DieNährstoffe  finden  sich  dann  in  den  mächtig  angeschwollenen 
Keimblättern  eingelagert,  wie  dies  z.  B.  die  Bohne  (s.  das.)  deutlich  erkennen  läßt. 

c)  Während  sich  die  geschilderten  Vorgänge  abspielen,  bilden  sich  die 
zarten  Hüllen  der  Samenknospe  zur  Samenhülle  oder  Samenschale  aus. 
Löst  sich  der  reife  Same  von  dem  Stielchen  ab,  von  dem  er  getragen  wird,  so 
bleibt  an  der  Samenschale  ein  matter  Fleck,  eine  Narbe,  der  sog.  Nabel  zurück. 

d)  Bei  gewissen  Pflanzen  entsteht  aus  dem  Teile  des  Knospenkerns,  der  dem  Knospen- 
munde   entgegengesetzt   ist,    eine    saftige    Hülle,    der    Samenmantel   (Pfaffenhütchen 


Bau  und  Leben  der  Fracht   und  des  Samens.  447 

Eibe,  Muskatnuß)  oder  ein  kleiner  fleischiger  Anhang  (Veilchen,  Schöllkraut  u.a.). 

e)  Würden  die  reifen  Samen,  deren  Anzahl  oft  viele  Tausende  beträgt 
(Distel,  Königskerze  u.  a.),  einfach  zum  Boden  herabfallen  und  im  Bereiche 
der  Mutterpflanze  keimen,  so  würden  sich  die  jungen  Pflanzen  einander  Baum, 
Luft  und  Nahrung  streitig  machen  und  gegenseitig  vernichten.  Die  Samen 
müssen  daher  über  einen  möglichst  großen  Bezirk  ausgestreut 
werden. 

Zu  einer  solchen  Wanderschaft  über  weite  Strecken  wäre  aber  ein 
junges,  ausgebildetes  Pflänzchen  nicht  imstande.  Es  würde  bald  so  stark  ver- 
letzt sein,  durch  Verdunstung  soviel  Wasser  verlieren  und  unter  der  Kälte  des 
Winters  so  leiden,  daß  es  sicher  zugrunde  gehen  würde.  Das  wandernde 
Pflänzchen  muß  daher  ganz  anders  gestaltet  sein:  nämlich  so,  wie  es  uns  als 
Keim  in  dem  Samen  entgegentritt.  Hat  sich  ler  Keim  vollkommen  entwickelt, 
so  hört  er  auf  zu  wachsen,  und  er  sowohl,  als  die  übrigen  Teile  des  Samens 
verlieren  den  größten  Teil  ihres  Wassers.  So  kommen  alle  Lebenstätigkeiten 
oft  jahrelang  fast  gänzlich  zum  Stillstande.  Von  der  festen  und  wider- 
standsfähigen Samenschale  umhüllt,  gleichsam  also  wohl  verpackt,  und 
selbst  gegen  die  größte  Trocknis  vollkommen  unempfindlich  tritt 
das  junge  Pflänzchen  seine  Wanderung  an.  Setzt  man  Samen,  die  im  Wasser 
aufgequollen  sind,  der  Kälte  aus,  so  gehen  sie  zumeist  zugrunde  (s.  S.  ICO,  a). 
Dieses  Schicksal  hätten  natürlich  auch  die  Samen,  wenn  sie  von  der  Mutter- 
pflanze mit  einem  reichlichen  Wasservorrate  versehen  wären :  die  Wasserarmut 
des  Samens  ist  also  auch  notwendig,  um  die  auf  der  Wanderung  begriffenen 
Nachkommen  gegen  die  tödliche  Kälte  unempfindlich  zu  machen. 
Bedenken  wir  nun  noch ,  wie  die  Pflanze  den  wandernden  Kindern  als  erste 
Ausgabe  bei  ihrer  Ansiedlung  am  neuen  Orte  einen  Nahrungsvorrat  mit 
auf  den  Weg  gibt,  so  erscheint  uns  das  unscheinbare  Samenkorn  als  ein  wahres 
Wunderwerk  der  Natur. 

Viele  Samen  beendigen  ihre  Wanderung  allerdings  an  einem  Orte,  der 
für  ihre  Entwicklung  durchaus  ungeeignet  ist:  ihre  Keimpflänzchen  finden 
hier  weder  einen  Boden,  der  ihnen  zusagt,  noch  die  nötige  Menge  von  Wasser, 
Licht  und  Wärme,  und  nicht  lange  währt  es,  so  sind  Tausende  und  Abertausende 
der  zarten  Gebilde  von  Nachbarpflanzen  überwuchert  und  getötet  worden.  Daher 
muß  die  Pflanze  —  soll  ihre  Art  nicht  aussterben  —  eine  so  große  Menge 
von  Samen   hervorbringen. 

3.  Wie  gelangen  die  Samen  ins  Freie?  Erstes  Erfordernis  für  eine 
erfolgreiche  Wanderung  ist,  daß  die  Samen  aus  der  Frucht  befreit  werden. 
Dies   geschieht  je   nach   der  Art  der  Früchte   auf  sehr  verschiedene  Weise: 

A.  Trockene  Früchte.  Ihre  Fruchtscbalen  sind  bei  der  Reife  trocken;  vielfach 
sogai  holzig  oder  lederartig.  (Vgl.  zu  den  in  dieser  Übersicht  angeführten  Beispielen 
die  früher  gegebenen  Abbildungen!) 

I.  Enthält  die  Frucht  nur  einen  Samen.  SO  ist  es  für  ihn  sicher  von  Vorteil, 
trenn  er  auf  seinei  Wanderung   von   der   schützenden  Frachtschale    umschlossen    bleibt. 


448 


Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 


Solche  Früchte  öffnen  sich    daher    in    der  Regel    nicht.     Sie    werden    als    Schließfrüchte 
bezeichnet  (Scharbockskraut,  Windröschen). 

a)  Hartschalige  Schließfrüchte  werden  Nüsse  genannt  (Haselnuß,  Eichel). 

b)  Schließfrüchte  mit  lederartiger  Hülle  finden  sich  bei  den  Gräsern  und  Korb- 
blütlern. Bei  den  ersteren  bezeichnet  man  sie  als  Grasfrüchte  (Frucht- und  Samen- 
hülle sind  verwachsen), 

c)  bei  den  letzteren  werden  sie  Achänen  (Frucht-  und  Samenhülle  sind  nicht 
verwachsen)  genannt. 

II.  Gewisse  mehrsamige  Früchte  zerfallen  in  2  oder  mehrere  Teile,  die  je  einen 
Samen  enthalten  und    sich    daher    genau    wie  Schließfrüchte    verhalten.     Früchte    dieser 

Art  bezeichnet  man  als  Spalt  fr  ächte  (Ahorn,  Dol- 
dengewächse, Reiherschnabel,  Malve,  Wolfsmilch  u.  a.) 
III.  Die  bei  weitem  meisten  mehrsamigen 
Trockenfrüchte  springen  auf  und  entlassen  auf 
diese  Weise  die  Samen.  Sie  heißen  Kapselfrüchte 
und  öffnen  sich  durch  Klappen  (Veilchen),  Löcher 
(Mohn)  oder  Deckel  (Bilsenkraut).  Bei  Regenwetter 
schließen  sich  zum  Schutze  der  Samen  die  Klappen 
und  Löcher  vielfach  (Schlüsselblume,  Glockenblume 
u.  a.).  (Die  Frucht  der  Roßkastanie  rechnet  man 
trotz  ihrer  fleischigen  Fruchthülle  zu  den  Kapsel- 
fnichten.) —  Besondere  Formen  von  Kapseln  sind 
folgende  Früchte  : 

a)  Die  Balgfrucht  oder  Balgkapsel. 
Sic  ist  aus  einem  Fruchtblatte  gebildet  und  öffnet 
sich  nur  an  der  Verwachsungsstelle  des  Blattes 
(Rittersporn  und  die  meisten  anderen  Hahnenfuß- 
gewächse). 

b)  Die  Hülse.  Sie  besteht  gleichfalls  aus 
einem  Fruchtblatte,  springt  aber  an  der  Verwach- 
sungsstelle  und  längs  der  Mittelrippe  auf  (Erbse  und 
alle  anderen  Schmetterlingsblütler). 

c)  Die  Schote.  Sie  ist  aus  2  Fruchtblät- 
tern hervorgegangen,    die   sich    bei    der   Reife   von 

einer  bleibenden   Scheidewand  ablösen  (Raps  und  alle  anderen  Kreuzblütler). 

B.  Saftige  Früchte.  Die  zu  dieser  Gruppe  zählenden  Früchte  zeichnen  sich 
durch  saftige  und  fleischige  Fruchthüllen  aus.  Obgleich  sie  zumeist  mehr-  bis  vielsamig 
sind,  öffnen  sie  sich  nicht  von  selbst  (es  sind  also  „Schlicßfrüchte").  Ihre  Samen  können 
vielmehr  nur  durch  Vermittlung  gewisser  Tiere,  denen  das  saftige  ..Fruchtfleisch"  zur 
Nahrung  dient  (s.  S.  64,  a),  oder  durch  Fäulnis  der  Fruchthülle  ins  Freie  gelangen.  (Das- 
selbe gilt  auch  von  den  oben  erwähnten  saftigen  Sammel-  und  Scheinfrüchten,  die  in 
dieser  Übersicht  unberücksichtigt  geblieben  sind.) 

I.  Besteht  die  Fruchtwand  aus  einer  häutigen  Außen-  und  einer  saftigen  Innen- 
schicht, so  bezeichnet  man  die  Frucht  als  Beere  (Weinbeere  u.  v.  a.).  Auch  Kürbis, 
Apfelsine  und  Zitrone  rechnet  man  zu  den  Beeren. 

IL  Ist  die  Fruchtwand  aus  drei  Teilen  zusammengesetzt:  einer  äußeren  häutigen, 
einer    mittleren    fleischigen    und    einer    inneren  harten  Schicht,    so  hat  man   eine  Stcin- 


Spaltfrucht    einer    Doldenpflanze 

(Pastinake).    An  der  rechten  Frucht 

ist  die  Spaltung  eingetreten. 

(Nat.   Gr.) 


Bau  und  Leben  der  Frucht  und  des  Samens. 


449 


frucht  vor  sieh  (Kirsche,   Pflaume  u.  a.).    Bei  der  Kokosnuß  ist  die  Mittelschicht  faserig. 
Auch  die  Walnuß  ist  eine  Steinfrucht. 

4.  Wie  werden  die  Samen  verbreitet?  So  notwendig  es  für  die  Samen 
ist,  aus  der  (vielsamigen)  Frucht  herauszufallen,  so  genügt  dies  für  ihr  Fort- 
kommen aber  noch  bei  weitem  nicht.  Sie  müssen  vielmehr  —  wie  wir  oben 
gesehen  haben  —  über  einen  möglichst  weiten  Bezirk  verstreut  werden. 
Hierzu  ist  die 
Pflanze  nur  aus- 
nahmsweise im- 
stande. Da  sie  selbst 
der  Ortsbeweguug 
entbehrt,  muß  sie 
sich  fremde  Kräfte 
dienstbar  machen, 
mit  deren  Hilfe  sie 
weite  Reisen  über 
Länder  und  Meere 
ausführt,  nämlich 
dieKraft  des  fließen- 
den oder  strömen- 
den Wassers',  des 
Windes,  der  Tiere 
und  des  Menschen. 

I.  Die  Samen 
werden  mit  Gewalt  aus 
den  Früchten  ge- 
schleudert, wie  wir  dies 
bei  Veilchen,  Reiher- 
schnabel (Teilfrüeht- 
chen !),  "Wiesenstorch- 
schnabel, Sonnen- 
Wolfsmilch  ,  Besen- 
ginster  und  anderen 

Schmetterlingsblütlern,  Sauerklee,  Spritzgurke,     Springkraut  und  Gartenbalsamine  kennen 
gelernt  haben  (vgl.  auch  bez.  der  folgenden  Beispiele  die  früher  gemachten  Mitteilungen). 

II.  Fließendes  oder  strömendes  Wasser  besorgt  die  Verbreitung  der  Sat7ien  oder 
Früchte.  Flüsse  und  Bäche  führen,  besonders  wenn  sie  aus  ihren  Ufern  treten,  zahlreiche 
Samen  und  Früchte  mit  fort,  die  an  oft  weit  entfernten  Orten  wieder  landen  (Gebirgs- 
pflanzen in  der  Ebene).  Ein  Gleiches  wird  an  Meeresströmungen  beobachtet  (Kokosnuß).  — 
Gewisse  Pflanzen  besitzen  für   den  Wassertransport  besondere   Einrichtungen: 

a)  Die  Früchte  öffnen  sich  nur  bei  Regenwetter,  so  daß  die 
Samen  leicht  in  Ritzen  und  Lücken  des  Bodens  gespült  werden  (Mauerpfeffer). 

b)  Zahlreiche  Wasser-  und  Sumpfpflanzen  haben  schwimmfähige  Samen 
oder  Früch  te  (See-  und  Teichrose;  Wasser-Schwertlilie,  Igelskolben,  Schwanenblume, 
Froschlöffel,  Pfeilkraut). 

Sc  hm  eil,   Lehrbuch  der  Botanik.  29 


Beerentragender    Zweig 

des  Faulbaums  (Text  s.  S.  66). 


450 


Bau  und  Leben  der  einzelnen  Pflanzenteile. 


III.  Der  Wind  verweht  Samen  oder  Früchte  (Schließfrüchte  oder  Teile  von  Spalt- 
früchten, ausnahmsweise  auch  ganze  Fruchtstände).  Die  für  diese  Art  der  Verbreitung 
geschaffenen  Einrichtungen  sind  außerordentlich  mannigfaltig: 

a)  Die  Samen  werden  durch  den  "Wind  aus  den  geöffneten  Früchten 
geschleudert.  Die  Stengel  oder  Fruchtstiele  der  Pflanzen  sind  feste  und  elastische 
Gebilde.  Die  ganze  Einrichtung  stellt  also  eine  Schleuder  einfachster  Art  dar  (Mohn, 
Schlüsselblume  u.  v.  a.). 


' 


Früchte,  die  durch  den  Wind  verbreitet  werden.  1  Fruchtstand  der  Grasnelke : 
der  bleibende  Kelch  ist  zum  Fallschirm  ausgebildet.  (H.  Hüllblättchen,  die  unten  die 
heutige  Scheide  S.  bilden;  s.  S.  124).  2  Zwei  Fruchtstände  der  Platane:  Früchte  sind 
durch  Haarbildungen  flugfähig.  3  Nüßchen  der  Hainbuche :  der  Fruchtbecher  ist  zum 
Flugorgan  umgebildet. 


b)  Die    Samen   sind    staubförmig   klein   (Orchis;  Sporen). 

c)  Die  schwimmfähigen  Samen  und  Früchte  werden  auf  stehen- 
den Gewässern  durch  den  "Wind  wie  Schiffe  fortgetrieben  (s.  oben). 

d)  Die  Samen  und  Früchte  sind  mit  verschiedenartigen  Haar- 
bildungen ausgerüstet.  Diese  Haare  entspringen  aus  dem  Fruchtstiele  (Rohr- 
kolben). Sie  entstehen  aus  der  Blüten  hülle  (Wollgras)  oder  dem  Griff  el  (Küchen- 
schelle). Sie  finden  sich  an  der  Frucht  (Löwenzahn  und  viele  andere  Korbblütler; 
Platane)  oder  am  Samen  ("Weide,  Pappel  u.  v.  a.). 

e)  Die  Samen,  Früchte  oder  Fruchtstände  besitzenFlugeinrich- 
tungen  anderer  und  zwar  sehr  verschiedener  Art.  Die  Flügel  gehen  hervor  aus  dem 
Hüllblatte  (Fruchtstände  der  Linde;  Hopfen),  aus  dem  Fruchtbecher  (Hainbuche), 
aus  dem  Kelche  (Grasnelke)  oder  aus  der  Blumenkrone  ("Wiesenklee).  Sie  ent- 
springen an  der  Frucht  (Ahorn,  Birke  u.  v.  a.)  oder  haften  dem  Samen  an  (Kiefer  u.  v.  a. 
Nadelhölzer). 


Bau  und  Leiten  der  Frncht  und  des  Samens. 


451 


Früchte,    die    durch    Tiere    und    Menschen 

verbreitet  werden.     1  Fruchttragender  Zweig 

vom  Klebkraute  (s.  S.  168).     2  Zwei  Früchte  vom  Odermennig  (s.  S.  98). 

der  Klette;  daneben  ein  Blatt  des  Hüllkelches  (s.  S.  188). 


3  Fruchtkopf 


IV.  Die   Verbreitung  der  Samen  und  Früchte  erfolgt  durch    Tiere  und  Menschen. 

a)  In  anhaftenden  Erd-  und  Schlammteilchen  (gelegentlich  auch 
in  Wassertropfen)  werden  Samen  und  Früchte  an  den  Füßen  zahlreicher  Tiere,  besonders 
der  Wasservögel,  sowie  des  Menschen  verschleppt. 

b)  Durch  menschliche  Verkehrs  m  i  1 1  e  1  ündet  fortgesetzt  eine  be- 
absichtigte (Kulturpflanzen)  oder  unbeabsichtigte  Verbreitung  statt.  In  Eafenorten,  an 
Eisenbahndämmen  u.  dgl.  siedeln  sich  viele  ausländische  Pflanzen  an. 

c)  D  i  e  Pflanzen  bilden  Vorrichtungen-  aus,  durch  die  ihre 
Samen     oder     Früchte     Tieren     (Menschen)     angeheftet     werden. 


452 


Bau   und   Leben  der  einzelnen 


inzenteile. 


Dieses  Anheften  geschieht  entweder  durch  Klebstoffe  (Samen  der  Herbstzeitlose, 
der  See-  und  Teichrose ;  Mistelbeeren),  oder  durch  hakige  oder  mit  Widerhaken 
besetzte  Borsten.  Diese  Hakenborsten  finden  sich  am  Deckblatt  (Granne  vieler 
Gräser),  am  Blütenboden  (Odermennig),  am  Hüllkelche  (Klette),  am  Griffel  (gem.  Nelken- 
wurz) oder  an  der  Fruchthülle  (Zweizahn,  Klebkraut,  Doldenpflanzen,  rauhblättrige  Gewächse). 

d)  T  i  e  r  e ,  namentlich  Vögel,  werden  zu  Verbreitern  der 
Pflanzen,  indem  sie  die  saftigen,  fleischigen  Frucht-  oder 
S  a  m  e  n  t  e  i  1  e  verzehren  (s.  S.  64,  a).  Durch  auffallende  Färbung  oder  angenehmen 
Duft  der  Früchte  oder  durch  beide  Mittel  zugleich  werden  die  Verbreiter  vielfach  an- 
gelockt. Da  die  Samen  durch  feste  Hüllen  (Samen- 
hülle oder  bei  den  Steinfrüchten  innere  Schicht  der 
Fruchthülle)  geschützt  sind,  werden  sie  von  den 
Verdauungssäften  der  Tiere  nicht  zerstört.  (Pflanzen, 
die  nicht  auf  die  Verbreitung  durch  Tiere  an£ 
wiesen    sind,  besitzen  niemals  saftige  Früchte.) 

Die  genießbaren  Teile  werden   geliefert   von 
der    Achse     und    den    Deckblättern    des    Blüten- 
stand e  s  (Ananas),    vom   Blütenboden    (Apfel- 
frucht,   Erdbeere,    Hagebutte,    Feige),    von    der    Blütenhülle 
(Maulbeere),     von     der     Frucht  hülle     (Steinfrüchte,  Beeren), 
vom   Samenmantel    (Pfaffenhütchen,    Muskatnuß,    Eibe),    vom 
Samenanhange  (Veilchen,  Schellkraut  u.  a.).  —  Haselnuß,  Buch- 
ecker, Eichel,  Walnuß  u.  a.    werden  durch  Tiere   verschleppt, 
denen    die    wohlschmeckenden    Kerne     als    Nahrungsmittel 
dienen. 


Keimung  der  Geinüsebohne. 

1 — 3  Die  Hälfte  der  Samenhaut  und  ein  Keim- 
blatt sind  entfernt.     4  junge  Pflanze.     St.  Stengel ;  W.  Wurzel ; 
K.Knospe;  Kb.  Keimblatt;  N.Nabel;   IL.   erstes  Laubblattpaar. 
(Über  den  Vorgang  der  Keimung  s.  S.  100.) 


Ran    und    Leben   der   Fruelil    im,l   des  Samens.  453 

5.  Wie  entwickelt  sich  aus  dein  Samen  die  junge  Pflanze  ?    Hat  der 

Same  seine  Wanderung  beendet,  und  findet  er  an  dem  Orte,  an  den  ihn 
der  Zufall  getragen  hat,  die  nötige  Feuchtigkeit,  Wärme  und  Luft  (Sauerstoff 
zur  Atmung!),  so  erwacht  er  aus  dem  Ruhezustände:  er  beginnt  zu  keimen. 
Wie  dies  im  einzelnen  erfolgt,  haben  wir  bereits  bei  der  Bohne  und  dem  Roggen- 
korn verfolgt  (s.  das.).  Auch  daß  es  für  den  Samen  von  größter  Wichtigkeit 
ist,  hierbei  am  Boden  fest  verankert  zu  sein,  haben  wir  gesehen  (s.  S.  408,  4). 
Daselbst  haben  wir  uns  auch  die  mannigfachen  Mittel  ins  Gedächtnis  zurück- 
gerufen, durch  die  die  Samen  hierzu  befähigt  sind,  und  die  wir  bei  der  Be- 
trachtung der  einzelnen  Pflanzen  kennen  gelernt  haben.  Findet  nun  auch  die 
Keimpflanze  die  zum  Gedeihen  notwendigen  Bedingungen,  und  geht  sie  aus  dem 
Kampfe,  den  sie  mit  tierischen  und  pflanzlichen  Feinden  (Schmarotzern),  beson- 
ders aber  mit  den  Nachbarn  um  Boden,  Wasser,  Luft  und  Licht  führen  muß, 
siegreich  hervor,  so  entwickelt  sie  sich  weiter  und  ist  nach  einer  gewissen  Zeit 
selbst  befähigt,  die  Erhaltung  ihrer  Art  fortzuführen. 


Anhang. 

1.  Über  Pflanzensysteme. 


1.  Die  Art.  Es  ist  eine  jedermann  bekannte  Tatsache,  daß  die  Nach- 
kommen einer  Pflanze  (oder  eines  Tieres)  ihrer  Mutter  im  hohen  Grade  ähnlich 
sind,  wenn  sie  auch  von  ihr,  ebenso  wie  untereinander,  in  gewissen  nebensäch- 
lichen Merkmalen  (in  der  Größe  der  Blätter,  der  Färbung  der  Blüte  und  dgl.)  et- 
was abweichen.  So  sind  z.  B.  die  Pflanzen,  die  aus  den  Samen  der  Gemüsebohne 
hervorgehen,  stets  wieder  Gemüsebohnen.  Eine  gleiche  Übereinstimmung  wie 
zwischen  der  Mutterpflanze  und  ihren  Nachkommen  findet  man  auch  zwischen 
allen  Einzelwesen  (Individuen)  der  Gartenbohne,  wann  und  wo  man  sie  auch 
beobachten  mag.  Pflanzen,  die  untereinander  so  große  Übereinstim- 
mung zeigen  wie  die  Mutterpflanze  und  ihre  Nachkommen,  faßt 
man  zu  einer  „Art"  (Spezies)  zusammen.  Die  in  unserem  Beispiele  berück- 
sichtigten Pflanzen  gehören  also  der  Art  „Gemüsebohne"  (Phaseolus  vulgaris)  an. 

Wie  zwischen  der  Mutterpflanze  und  ihren  Nachkommen  keine  voll- 
kommene Übereinstimmung  herrscht,  so  auch  zwischen  allen  zu  einer  Art 
gehörigen  Gliedern.  Die  Unterschiede  zwischen  diesen  Pflanzen  sind  jedoch  nicht 
so  groß,  daß  man  sie  als  verschiedene  Arten  ansehen  könnte.  Man  redet 
daher  von  Abarten,  Spielarten  (Varietäten),  „Formen"  und  dgl.  (s.  S.  19). 

2.  Die  Gattung-.  Durchmustert  man  die  Pflanzenwelt,  so  wird  man 
in  der  Feuerbohne  (Phaseolus  multiflorus)  bald  eine  zweite  Pflanzenart  finden, 
die  mit  der  Gemüsebohne  in  allen  wesentlichen  Merkmalen  (besonders  im  Bau 
der  Blüte  und  der  Frucht)  übereinstimmt.  Beide  nahe  „verwandte"  Arten  faßt 
man  zu  einer  „Gattung"  zusammen,  die  man  als  „Bohne"  (Phaseolus)  bezeichnet. 

Auf  dieser  Einteilung  in  Gattungen  und  Arten  beruhen  auch 

3.  die  Doppelnamen,  die  die  Pflanzen  (Tiere)  in  wissenschaftlichen  Welken 
führen.  So  wird  die  Gemüsebohne  als  Phaseolus  vulgaris  (d.  i.  gemeine  Bohne) 
und  die  Feuerbohne  als  Phaseolus  multiflorus  (d.  i.  vielblütige  Bohne)  bezeichnet. 
Während  das  erste  Wort  des  botanischen  Namens  die  Gattung  angibt,  zu  der 
eine  Pflanze  zählt  (Phaseolus),  ist  das  zweite  (vulgaris  bezw.  multiflorus)  die 
Bezeichnung  der  Art. 

Da  nun  die  Volksnamen  der  Pflanzen  in  den  verschiedenen  Gegenden 
vielfach  verschieden  sind)  man  denke  nur  an  den  Löwenzahn,  der  auch  Butter- 


Über  Pflanzensysteme.  455 

blume,  Speckblume,  Kettenblunie,  Pfaffenrührlein,  Ringelblume,  Pustblume,  Sonnen- 
blume und  dgl.  genannt  wird!),  und  da  mehrere  Pflanzen  in  verschiedenen  Landes- 
teilen denselben  Namen  führen  (welche  Pflanzen  werden  z.  B.  nicht  alle  als 
Kubblume  bezeichnet?),  so  wären  bei  Anwendung  dieser  Namen  Verwechslungen 
unausbleiblich.  Ganz  unmöglich  wäre  es  aber  für  einen  Botaniker,  sich  die 
Volksnamen  zu  merken,  die  eine  Pflanze  bei  den  verschiedenen  Völkern  führt. 
Darum  hat  man  den  Pflanzen  (Tieren)  in  der  Wissenschaft  einen  ganz  bestimmten 
Namen  gegeben,  der  der  lateinischen  Sprache  entlehnt  ist  und  auf  der  ganzen 
Erde  Gültigkeit  hat. 

4.  Das  System.  Mehrere  nahe  „verwandte"  Gattungen  werden  wieder 
zu  einer  Familie,  mehrere  Familien  wieder  zu  größeren  Abteilungen  zu- 
sammengefaßt u.  s.  f.  Auf  diese  Weise  gewinnt  man  schließlich  eine  An- 
ordnung aller  Pflanzen  nach  ihrer  Verwandtschaft  oder  kurz: 
ein    Pflanzensystem. 

So  bilden  nach  dem  Systeme,  das  diesem  Buche  zugrunde  gelegt  ist, 

die  Gattungen  Bohne,  Erbse,  Wicke,  Klee  n.  s.  w.  die  Familie  der  Schmetter- 
lingsblüter ; 

die  Familien  der  Schmetterlings-  und  Kreuzblütler,  der  Habnenfuß-  und  Dolden- 
gewächse u.  s.  w.  die  Unterklasse  der  getrenntblumenblättrigen  Pflanzen ; 

die  Unterklassen  der  getrenntblumenblättrigen ,  verwachsenblumenblättrigen  und 
blumenblattlosen  Pflanzen  die  Klasse  der  zweikeimblättrigen  Pflanzen  ; 

die  Klassen  der  zweikeim-  und  einkeimblättrigen  Pflanzen  die  Gruppe  der  bedeckt- 
sämigen  Pflanzen  ; 

die  Gruppen  der  bedeckt-  und  nacktsamigen  Pflanzen  die  Hauptabteilung  der 
Samenpflanzen ; 

die  Hauptabteilungen  der  Samen-  und  Sporenpflanzen  das  Pflanzenreich. 

Pflanzensysteme  sind  nun  in  sehr  großer  Zahl  aufgestellt  worden.  Je 
nachdem  man  bei  der  Gruppierung  der  Gewächse  nur  einige  Merkmale  oder  den 
gesamten  i  nneren  oder  äußeren  Bau  berücksichtigt,  je  nachdem  erhält  man 
Systeme  von  sehr  verschiedenem  Werte.  Systeme  der  ersteren  Art  bezeichnet 
man  als  künstliche.  Die  anderen  dagegen  sind  natürliche;  denn  sie 
wollen  nicht  nur  einen  bequemen  Überblick  über  den  Reichtum  der  Pflanzen- 
welt schaffen,  sondern  zugleich  die  verwandtschaftlichen  Beziehungen,  die  die 
Pflanzen  untereinander  verknüpfen,  zum  Ausdrucke  bringen. 

5.  Das  künstliehe  System  Linnes.  Von  den  zahlreichen  künstlichen 
Systemen  ist  das  von  dem  berühmten  schwedischen  Naturforscher  Linne  im 
Jahre  1735  aufgestellte  bis  in  die  Gegenwart  von  einer  gewissen  Bedeutung 
geblieben.  Es  dient  nämlich  heute  noch  als  das  bequemste  Mittel,  Pflanzen  zu 
„bestimmen",  d.  h.  ihre  Stellung  im  (natürlichen)  Systeme  aufzufinden.  Linne 
gründete  seine  Einteilung  der  Gewächse  auf  das  Vorhandensein,  die  Anzahl  und 
die  Einfügung  der  Staub-  und  Fruchtblätter  und  unterschied  in  folgender  Weise 
24  Klassen,  die  er  wieder  in  Ordnungen  einteilte: 


456  Anhang. 

A.  Blütenpflanzen.     (Kl.   1—23.) 

I.  Blüten  enthalten  Staubblätter  und  Stempel  (Zwitterblüten).     (Kl.  1-20.) 
1.  Staubblätter  frei.    (Kl.  1-15.) 

a)  Staubblätter  von  gleicher  Länge.     (Kl.  1 — 13.) 

1.  Klasse    1  Staubblatt  (Tannenwedel). 

2.  ..  2  Staubblätter  (Ehrenpreis,  Salbei,  Flieder). 

3.  ,.  3  „  (die  meisten  Gräser,  Schwertlilie). 

4.  ..  4  „  (Wegerich,  Pfaffenhütlein,  Skabiose). 

5.  ..  5  „  (Rauhblatt-,  Veilchen-,  Doldengewächse). 
G.  ..  6  ..  (viele  Liliengewächse,  Narzissengewächse). 
7.  ..  7  .  (Roßkastanie,  rote  Kastanie). 
8.-8  ..  (Heidekräuter,  Heidelbeere,  Nachtkerze). 
9.  9  (Schwanenblume). 

lt».        „        10  (Nelken,  Storchschnabel,  Steinbreche). 

11.  ..        11 — 20     _  (Weiderich,  Odermennig,  Reseda). 

12.  ..       mehr    als    20  Staubblätter,    dem    oberen  Rande   des   becher-   oder 

krugförmigen  Blütenbodens    (scheinbar    dem  Kelchrande)    eingefügt 
(Rosengewächse). 

13.  T       mehr  als  20  Staubblätter,  einem  Blütenboden  eingefügt,  der  weder 

Becher-  noch  Krugform  besitzt     (Hahnenfußgewächse). 

b)  Staubblätter  nicht  von  gleicher  Länge.     (Kl.  14  und  15.) 

14.  Klasse  2  längere  und  2  kürzere    Staubblätter    (die    meisten   Lippen-   und 

Rachenblütler). 

15.  „        4  längere  und  2  kürzere  Staubblätter   (Kreuzblütler). 

2.  Staubblätter  verwachsen.    (Kl.  16—20.) 

16.  Klasse  Staubfäden  zu  1  Bündel  verwachsen  (Storchschnabel-  und  Malven- 

gewächse). 

17.  „  „  ,.2  Bündeln  verwachsen  (die  meisten  Schmetterlings- 

blütler). 

18.  ,.  „  _    3  oder  mehr  Bündeln  verwachsen  (Tüpfel-Hartheu). 

19.  .,        Staubbeutel  zu  einer  Röhre  verwachsen  (Korbblütler). 

20.  ..         Staubblätter  und  Stempel  verwachsen  (Knabenkrautgewächse). 

i7.  Blüten  enthalten  entweder  Staubblätter  oder  Stempel  (sind  eingeschlechtlich). 

(Kl.  21—24.) 

21.  Klasse  Staub-  und  Stempelblüten  auf  derselben  Pflanze  (einhäusige  Pflanzen  : 

viele  Kätzchenblütler,  Kürbis). 

22.  r        Staub-  und  Stempelblüten  auf  verschiedenen  Pflanzen  (zweihäusige 

Pflanzen:  Weiden,  Pappeln). 

23.  .        Mit  Zwitter-  und  eingeschlechtlichen  Blüten  (Esche). 

B.  Blütenlose  Pflanzen: 

gehören  alle  zur  24.  Klasse. 
(Farnpflanzen,  Moose,  Algen,  Pilze,  Flechten.) 


Über  die  geographische  Verbreitung  der  Pflanzen.  457 

6.  Die  natürlichen  Systeme.  Wir  haben  bei  unseren  Betrachtungen 
über  den  Bau  und  das  Leben  der  Pflanze  (s.  S.  357  u.  ff.)  eine  ganze  Anzahl 
natürlicher  Gruppen  kennen  gelernt  (Zell-  und  Gefäßpflanzen ;  Samen-  und  Sporen- 
pflanzen; bedecktsamige  und  nacktsamige  Pflanzen  u.  s.  w.).  Diese  Einteilung 
ist,  so  einfach,  ja  selbstverständlich  sie  uns  jetzt  erscheint,  das  Ergebnis  einer 
fast  hundertjährigen  Arbeit  zahlreicher  Forscher. 

Den  ersten  Versuch,  die  Pflanzen  nach  ihrer  natürlichen  Verwandtschaft 
zu  ordnen,  unternahm  der  französische  Botaniker  de  Jussieu  (1789).  Als  Haupt- 
einteilungsgrund diente  ihm  die  Anzahl  der  Keimblätter  (keimblattlose,  ein-  und 
zweikeimblättrige  Pflanzen).  Das  schon  wesentlich  verbesserte  System  des  Genfer 
Professors  Decandolle  (1813)  gründete  sich  in  seinen  Hauptabteilungen  bereits 
auf  den  inneren  Bau  (Zell-  und  Gefäßpflanzen).  Nach  diesen  Männern  sind  zahl- 
reiche Forscher  bestrebt  gewesen,  uns  einen  immer  tieferen  Einblick  in  die 
natürliche  Verwandtschaft  der  Pflanzen  zu  eröffnen.  —  Das  diesem  Buche  zugrunde 
gelegte  System  hat  in  der  „Inhaltsübersicht"  eine  übersichtliche  Darstellung 
erfahren. 


2.  Über  die  geographische  Verbreitung  der  Pflanzen. 

A.  Auf  jedem  Gange  durch  die  freie  Natur  sehen  wir,  daß  andere  Pflanzen 
im  Waldesschatten  gedeihen  als  auf  offenem  Felde,  andere  am  plätschernden 
Bache  als  auf  sonndurchglühter  Heide,  andere  im  stillen  Tale  als  auf  sturm- 
gepeitschter Höhe  u.  s.  w.  Die  Beschaffenheit  des  Bodens,  sowie  Wärme,  Licht 
und  Feuchtigkeit  bedingen  —  wie  wir  an  zahlreichen  Beispielen  gesehen  haben 
—  in  erster  Linie  diese  Verschiedenheit. 

Durchwandern  wir  einen  größeren  Bezirk  unseres  Vaterlandes,  oder  treten 
wir  aus  der  Ebene  in  das  Gebirge  ein,  so  beobachten  wir  einen  noch  viel  größeren 
Wechsel.  Am  deutlichsten  tritt  er  uns  entgegen,  wenn  wir  einen  hohen  Berg, 
vielleicht  gar  einen  solchen  der  Alpen,  besteigen :  am  Fuße  des  Berges  reift  der 
Weinstock  seine  Trauben;  weiter  oben  nimmt  uns  der  Laubwald  auf;  darüber 
folgt  Nadelwald;  die  Bäume  werden,  je  höher  wir  kommen,  umso  zwerghafter 
und  machen  nach  und  nach  dem  Krummholze  Platz;  in  noch  höherer  Lage  be- 
ginnnen  die  Blütenpflanzen  immer  mehr  zu  schwinden,  um  schließlich  Flechten 
und  Moosen  die  Herrschaft  zu  überlassen.  Die  höchste  Spitze  des  Berges  (Alpen!) 
ist  jahraus,  jahrein  mit  Schnee  und  Eis  bedeckt,  entbehrt  daher  auch  alles  Pflanzen- 
lebens. (Vgl.,  wie  diese  Aufeinanderfolge  der  Pflanzen  mit  ihrer  Verteilung  über 
die  Erdoberfläche,  oder  kurz :  wie  die  senkrechte  und  wagerechte  Verbreitung  der 
Pflanzen  übereinstimmen!) 

Reisen  wir  in  ein  fremdes  Land,  so  tritt  uns  daselbst  meist  eine  voll- 
kommen fremdartige  Pflanzenwelt  entgegen.    Je  mehr  wir  uns  dem  Pole  nähern, 


458  Anhang. 

desto  dürftiger  wird  der  Pflanzenwuchs,  um  wie  auf  dem  Gipfel  des  Alpenberges 
endlich  ganz  aufzuhören.  Lenken  wir  unsere  Schritte  aber  nach  Süden,  so  be- 
obachten wir  das  Gegenteil :  in  den  sonnigen  Ländern  um  das  Mittelmeer  treffen 
wir  auf  Orange,  Zitrone,  Olive  und  Feige;  je  näher  wir  dem  Äquator  kommen, 
desto  häufiger  werden  die  stolzen  Gestalten  der  Palmen ;  tropischer  Urwald  mit 
einer  Fülle  fremder  Formen  und  einem  ungeahnten  Reichtum  von  Blüten  und 
Farben  bedeckt  weithin  den  Boden,  und  in  den  öden  Wüsten  und  Steppen  treten 
uns  in  der  Gesellschaft  anderer  Trockenlandgewächse  seltsame  Fettpflanzen 
(s.  S.  79)  entgegen;  kurz:  die  Pflanzendecke  der  Erde  zeigt  in  .  den 
einzelnen  Ländern,  Erdteilen  und  Zonen  oft  außerordentliche  Ver- 
schiedenheit. 

B.  Wie  unsere  kurze  Betrachtung  schon  zeigt,  ist  diese  Verschiedenheit  in 
erster  Linie  durch  das  Klima,  also  durch  Wärme  und  Feuchtigkeit  be- 
dingt. Da  sich  jedoch  in  Ländern  mit  demselben  oder  mit  ähnlichem  Klima,  z.  B. 
im  Mittelmeergebiete  und  Kaplande,  durchaus  nicht  immer  dieselben  Pflanzen- 
arten, Gattungen  und  Familien  finden,  kann  das  Klima  auch  nicht  allein 
ausschlaggebend  sein. 

Eine  wichtige  Rolle  spielen  bei  der  Verbreitung  der  Pflanzen  über  den 
Erdball  die  Veränderungen,  die  das  einzelne  Gebiet  in  früheren  Zeit- 
räumen erfahren  hat.  So  sind  z.  B.  aus  der  Eiszeit,  in  derein  großer  Teil 
Mitteleuropas  von  gewaltigen  Gletschern  bedeckt  war,  zahlreiche  Pflanzen  er- 
halten geblieben,  die  wir  heute  noch  auf  den  höchsten  Erhebungen  unserer 
Mittelgebirge,  sowie  in  den  Alpen  antreffen. 

Ein  anderer  Umstand,  der  hierbei  beachtet  werden  muß,  ist  die  Ver- 
breitungsfähigkeit der  Pflanzen.  So  haben  wir  z.  B.  gesehen,  daß  das 
kanadische  Berufskraut  und  die  Wasserpest  sich  bei  uns  vollkommen  heimisch 
gemacht  haben,  daß  das  Frühlings-Kreuzkraut  infolge  der  vortrefflichen  Flug- 
ausrüstung seiner  Früchte  immer  weiter  nach  Westen  vordringt,  daß  die 
Verbreitung  des  Pfaffenhütleins  mit  der  des  Rotkehlchens  vollkommen  zusammen- 
fällt u.  s.  w. 

Endlich  ist  auch  der  Einfluß,  den  der  Mensch  auf  die  Natur 
ausübt,  für  die  Zusammensetzung  der  Pflanzenwelt  in  den  einzelnen  Bezirken 
von  größter  Wichtigkeit:  Aus  fernen  Zonen  und  Ländern  führt  er  zahlreiche 
Kulturpflanzen  ein  (Beispiele!),  die  die  heimischen  Gewächse  vielfach  verdrängen. 
Man  denke  nur  an  die  riesigen  Flächen,  die  z.  B.  mit  Getreide  bestellt,  und 
auf  denen  die  „eingeborenen"  Unkräuter  nach  Kräften  unterdrückt  werden. 
Mehrere  der  angebauten  Pflanzen  entziehen  sich  wieder  der  Pflege  der  Menschen: 
sie  verwildern  und  machen  genau  den  Eindruck,  als  ob  sie  seit  uralten  Zeiten 
Glieder  der  heimischen  Pflanzenwelt  wären  (Nachtkerze).  Durch  den  Verkehr 
werden  ferner  zahlreiche  andere  Pflanzen  von  Land  zu  Land,  ja  sogar  von  Erdteil 
zu  Erdteil  verschleppt  (s.  S.  451, b).  Am  klarsten  zeigt  sich  aber  die  umgestaltende 
Rolle,  die  der  „Herr  der  Erde"  spielt,  wenn  er  Wälder  ausrodet,  Moore  entwässert, 
Sumpfgebiete  trocken  legt,  öde  Landstriche  bewässert  und  dgl.  mehr. 


Über  die  geographische  Verbreitung  der  Pflanzen.  459 

C.  Die  Gesamtheit  der  Pflanzen,  die  einen  bestimmten  Bezirk  (z.  B.  Deutsch- 
land oder  die  Schweiz)  bewohnen,  bezeichnet  man  als  dessen  Flora.  Weicht 
die  Pflanzenwelt  eines  Gebietes  von  der  eines  anderen  wesentlich  ab,  so  hat  man 
zwei  verschiedene  Pflanzen-  oder  Florengebiete  vor  sich.* 

1.  Das  arktische  Gebiet  umfaßt  alles  Land,  das  ungefähr  vom  nördlichen 
Polarkreise  umschlossen  wird.  In  Nordamerika  reicht  es  jedoch  bis  über  den  60°  nach 
Süden  hinab.  Da  in  diesem  Gebiete  nur  ein  etwa  dreimonatlicher  Sommer  herrscht, 
vermögen  einjährige  Pflanzen  ihre  Samen  nicht  zu  reifen ;  sie  fehlen  daher.  Die  aus- 
dauernden Gewächse  bleiben,  da  sie  in  der  kurzen  Zeit  nur  wenig  Baustoff  erzeugen 
können,  niedrig,  schmiegen  sich  als  Schutz  gegen  die  eisigen  Winde  dem  Boden  an  oder 
ziehen  sich  (Stauden)  während  des  langen  Winters  ganz  in  den  Boden  zurück.  Auf 
weiten  Flächen,  den  Tundren,  sind  Flechten  und  Moose  die  herrschenden  Pflanzen. 
Kulturgewächse  fehlen. 

2.  Das  europäisch-sibirische  Waldgebiet  erstreckt  sich  über  alle 
Länder  Europas  bis  fast  zum  Mittelmeere,  sowie  über  Sibirien  mit  Ausnahme  des  nörd- 
lichen Teiles.  Die  Sommer  sind  mäßig  warm.  Im  Winter  findet  eine  Unterbrechung  des 
Pflanzenlebens  statt  (Laubfall  u.  s.  w.).  Im  Norden  und  Osten  finden  sich  besonders 
Nadelwälder,  in  den  anderen  Teilen  Laubwälder.  Wiesen,  Heiden  und  Torfmoore  be- 
decken weite  Flächen.  Kulturpflanzen:  Getreide,  Kartoffel,  Obstbäume,  z.  T.  auch  der 
Weinstock. 

3.  Das  Mittelmeergebiet  wird  von  den  Ländern  gebildet,  die  an  das  Mittel- 
meer grenzen.  Lederartiges  Laub  und  dichte  Behaarung  sind  Schutzmittel  gegen  die 
Dürre  des  langen  Sommers.  Da  die  Winter  mild  sind,  findet  meist  kein  Laubfall  wie 
in  unseren  Gegenden  statt.  Die  Laubbäume  sind  daher  vielfach  immergrün :  Ölbaum, 
Lorbeer,  Oleander,  Granatbaum,  Johannisbrotbaum,  Myrte,  immergrüne  Eichen.  Nadel- 
hölzer sind  Pinie  und  Zypresse;  heimisch  ist  hier  auch  die  Zwergpalme.  Kulturgewächse 
sind  außer  den  genannten :  Zitrone,  Orange,  Feige,  Kastanie,  Korkeiche,  Maulbeerbaum, 
Weizen,  Mais,  z.  T.  auch  der  Reis. 

4.  Das  inner  asiatische  Steppengebiet  umfaßt  Turkestan,  Tibet  und 
die  Mongolei.  Das  Klima  ist  ausgeprägt  kontinental :  heiße,  trockene  Sommer  wechseln 
mit  strengen  Wintern  ab.  Daher  ist  fast  das  ganze  Gebiet  Steppen-  und  Wüstenland. 
Die  Grassteppen  ergrünen  nach  den  Frühlingsregen  sehr  schnell,  und  zahlreiche  Zwiebel- 
und  Knollengewächse  (s.  Tulpe)  brechen  aus  dem  Boden  hervor.  Die  ausdauernden 
Pflanzen,  die  sich  wie  diese  Gewächse  nicht  in  die  Erde  zurückziehen  können,  haben  als 
Schutz  gegen  die  Sommerdürre  starre,  feste  Blätter,  oder  sind  fast  oder  gänzlich  blatt- 
los. Salzsteppen  überziehen  weite  Bezirke.  An  Flüssen  und  da,  wo  künstliche  Be- 
wässerung stattfindet  (z.  B.  in  Mesopotamien),  gedeihen  Peis,  Weizen,  Baumwolle,  Dattel- 
palme, Kürbisgewächse. 

5.  Im  chinesisch- japanischen  Gebiete  herrschen  —  je  nach  der  mehr 
südlichen  oder  nördlichen  Lage  der  einzelnen  Landschaften  —  heiße  oder  warme  Som- 
mer und  milde  oder  strenge  Winter.  Pflanzen,  die  den  tropischen,  mittelländischen  und 
unseren  heimischen  Gewächsen  gleichen,  kommen  daher  vielfach  nebeneinander  vor.    Da 


*  Angeführt   sind    in   der  folgenden   Übersicht    nur  die  Pflanzen,   die   in   dem  Buche 
berücksichtigt   wurden. 


460 


Anhang. 


die  Niederschläge  regelmäßig  und  reichlich  erfolgen,  ist  der  Ackerbau  hoch  entwickelt. 
Kulturpflanzen  :  Tee,  Reis,  Weizen,  Zuckerrohr,  Baumwolle,  Indigo,  Orangen,  Zitronen, 
weißer  Maulbeerbaum.  Palmfarne. 

ö.  Das  indische 
Gebiet       erstreckt 
sich  über  Vorder-  und 
Hinterindien,     sowie 
über  die  dazu  gehörige 
Inselwelt,  Das  (meist) 
feuchtheiße  Klima  hat 
eine  Pflanzenwelt  von 
größter        Üppigkeit 
hervorgerufen.  "Weite 
Strecken      sind     mit 
dichtem  Urwalde    bedeckt,    der 
aus  den  verschiedensten  Baum- 
arten zusammengesetzt  und  von 
Schlinggewächsen     (Rotangpal- 
durchflochten   ist,     Die    Flußläufe 
undurchdringlichem    Sumpfwalde, 
den      Dschungeln ,      begleitet       (Bambusge- 
wächse u.  a.),  und  die  Küsten  von  Mangrove- 
wäldern    umsäumt.   Kulturgewächse  (die  hier 
zum     größten    Teil     heimisch     sind):     Reis, 
Mais,    Weizen,    Zuckerrohr,     Kaffee,    Mohn, 
Baumwolle,    Indigo,    Pfeffer,    Zimmet,    Mus- 
katnuß,    Ingwer,    Gewürz  -  Nelken  ,    Kakao, 
Sagopalme,    Banane,    Bambus.     Guttapercha    u.  a. 

7.  Die  Sahara  ist  sehr  heiß  und  fast  regenlos.  Weite  Flächen  sind  daher  ohne 
jeden  Pflanzenwuchs.  Die  an  anderen  Stellen  auftretenden  Gewächse  zeigen  alle  Merk- 
male ausgeprägter  ödlandpflanzen  (tiefgehende  Wurzeln,  kleine,  dichtbehaarte  Blätter 
und  dgl.).  Nur  da,  wo  ein  Quell  den  Boden  durchbricht  (Oasen),  können  Kulturpflanzen 
angebaut  werden,  unter  denen  die  hier  heimische  Dattelpalme  die  Hauptrolle  spielt. 

8.  Das  Sudangebiet  ist  im  Westen  vorwiegend  heiß  und  feucht,  Daher  finden 
sich  hier  große  Urwähler  (Kamerun!).  Sonst  ist  das  Land  heiß  und  trocken  und  dem- 
entsprechend vorwiegend  Steppe.  Heimisch  sind  in  dem  Gebiete :  Kaffee,  Ölpalme,  Affen- 
brotbaum, Wunderbaum  (Ricinus),  Papierstaude,  kaktusähnliche  Wolfsmilcharten.  An- 
gebaut werden  neben  der  Ölpalme  fast  alle  Kulturgewächse  Indiens. 

9.  Das  Kalaharigebiet  hat  infolge  seines  trockenen,  heißen  Klimas  Wüsten- 
charakter.  Dornige  Sträucher,  Akazien  und  Zwiebelgewächse  (s.  Absch.  4)  sind  die 
vorherrschenden  Pflanzen. 

10.  Das  Kapgebiet:  Das  Land  an  den  Küsten  ist  warm  und  feucht.  Hier 
gedeihen  daher  dieselben  Nutzpflanzen  wie  in  Mittel-  und  Südeuropa.  Das  Innere  des 
Landes  ist  regenarm,  daher  zumeist  Steppe.  Hier  finden  sich  besonders  Heidekräuter, 
Aloearten,  Zwiebelgewächse,  kaktusartige  Wolfsmilchgewächse  und  die  S.  442  erwähnten 
Aasblumen. 

11.  Australien  hat  am  Nordrande  tropisches,  im  Süden  Mittelmeerklima.    Die 


Zweig    des    chinesischen 
Teestrauches.  (Näheres  s.  S. 


Über  die  geographische  Verbreitung  der  Pflanzen. 


461 


Kulturpflanzen  sind  daher  auch  die  tropischen  oder  südeuropäischen.  Die  zwischen  beiden 
Bezirken  liegende  Hauptmasse  des  Erdteils  ist  heiß  und  trocken,  daher  vorwiegend 
Wüste  und  Steppe.  Die  lichten  „Buschwälder-  werden  besonders  von  Eukalyptusbäumen 
gebildet.     Die  tropischen  Urwälder  sind  reich  an  Baumfarnen  und  Farnpalmen. 

12.  Das  nordamerikanische  Waldgebiel  reicht  von  der  Grenze  des 
arktischen  Gebiets  bis  nach  Florida  und  zur  Mündung  des  Mississippi.  I>;is  Klima  ent- 
spricht   dem    des    europäisch-sibirischen    Gebiets    (s.  Absch.  2).     Im  Norden    linden    sieh 


Zweig   der  Baumwolle.     Daneben   eine   geöffnete  Fruchtkapsel,    aus   der    die   langen 
Samenhaare  (Baumwolle!)  hervorquellen.     (Näheres  s.  S.  53.) 


unermeßliche  Nadelwälder,  im  Süden  winterkahle  Laubwälder  und  im  südlichsten  Teile 
immergrüne  Laubbäume  und  tropische  Pflanzen.  Im  Norden  gedeihen  die  Kulturpflanzen 
Europas,  im  Süden  Reis,  Mais,  Zuckerrohr,  Baumwolle,  Tabak. 

13.  Das  kalifornische  Küstengebiet  entspricht  etwa  dem  Mittelmeer- 
gebiete. Es  besitzt  gleichfalls  zahlreiche  immergrüne  Laubhölzer.  Die  Kulturgewächse 
sind  die  jenes  Gebiets. 

14.  Das  Prä  riegebiet  breitet  sich  westlich  vom  Mississippi  aus.  Heiße, 
trockene  Sommer  wechseln  mit  strengen  Wintern  ab.  Daher  linden  sieh  hier  wie  an 
anderen  ähnliehen  Stellen  der  Erde  weite,  baumlose  Grassteppen,  die  Prärien.  [mNord- 
westen  finden  sieh  zahlreiche  Salzwüsten;  im  Süden  bilden  Kaktusarten  und  Agaven 
wichtige  Bestandteile  der  Pflanzenwelt. 


462  Anhang. 

15.  Im  mexikanischen  Gebiete  herrschen  sehr  verschiedene  Verhältnisse: 
Am  Golfe  von  Mexiko  sind  unter  dem  Einflüsse  tropischen  Klimas  auch  Tropen- 
wälder entstanden.  Außer  den  einheimischen  Nutzpflanzen,  der  Vanille  und  der  Ananas, 
werden  hier  alle  anderen  Kulturpflanzen  der  Tropen  angebaut,  —  Das  Hochland  ist 
vielfach  wüstenartig.  Daher  finden  sich  hier  Kaktusarten  und  Agaven,  beides  aus- 
gesprochene Trockenlandpflanzen.  Kultiviert  werden  Agaven,  Fackeldisteln,  Ölbaum, 
Weinstock  u.  a.   —    Am  Stillen  Ocean    sind    zahlreiche    tropische  Urwälder   anzutreffen. 

16.  "Westindien  hat  ein  feuchtheißes  Klima  und  demzufolge  überaus  üppigen 
Pflanzenwuchs.  Angebaut  werden  alle  tropischen  Kulturpflanzen.  Der  Nelkenpfeffer- 
baum  ist  hier  heimisch. 

17.  Das  Orinokogebiet  zeigt  am  Rande  die  Verhältnisse  "Westindiens.  Das 
Innere  ist  heiß  und  trocken,  wird  daher  vorwiegend  von  Savannen  (Llanos)  mit  geringem 
Baumwnchs  eingenommen. 

18.  Das  Gebiet  des  Amazonenstroms  ist  feuchtheiß  und  wird  an  Üppig- 
keit des  Pflanzenwuchses  von  keinem  anderen  Bezirke  der  Erde  übertroffen.  In  den 
unermeßlichen  Urwäldern  (und  z.  T.  auch  in  denen  der  Nachbargebiete)  sind  der  Kakao-, 
Mahagoni-  und  Cedrelabaum,    sowie    verschiedene  Arten    der  Kautschukbäume   heimisch. 

19.  Das  brasilianische  Gebiet  umfaßt  Brasilien  südlich  des  Amazonen- 
stromgebiets. Der  heiße  und  feuchte  östliche  Teil  ist  mit  üppigem  Urwalde  bedeckt, 
Der  "Westen  ist  trocken  und  heiß.  Daher  haben  sich  hier  Savannen  gebildet.  Hier 
finden  sich  auch  jene  merkwürdigen  "Wälder  (Catingas),  deren  Bäume  im  Sommer  das 
Laub  abwerfen  (Schutz  gegen  Vertrocknen !).  Angebaut  werden  zahlreiche  Tropen- 
gewächse, besonders  Kaffee. 

20.  Das  Gebiet  der  tropischen  Anden  von  Südamerika.  Der  "West- 
abhang  der  Anden  ist  heiß  und  wasserarm.  Hier  ist  wahrscheinlich  die  Heimat  der 
Kartoffel  und  der  Bohne  zu  suchen.  Auf  den  höheren  Teilen  des  Gebirges  sind  die 
Fieberrindenbäume  zu  Hause.  Am  Ostabhange  gedeihen  in  feuchtheißem  Klima  alle 
Kulturpflanzen  der  Tropen. 

21.  Das  Pampasgebiet  ist  heiß  und  trocken,  daher  vorwiegend  Grassteppe 
mit  geringem  Baumwuchs. 

22.  Das  Gebiet  von  Chile.  Das  Klima  ist  ähnlich  wie  das  der  Mittelmeer- 
länder. Da  die  Trockenzeit  aber  länger  als  ein  halbes  Jahr  währt,  ist  Chile  ein  baum- 
armes Land.  In  wohlbewässerten  Teilen  gedeihen  die  Kulturgewächse  des  Mittelmeer- 
Sebietes.     Hier  ist  auch  die  Fuchsia  heimisch. 

23.  Das  antarktische  Gebiet  umfaßt  Süd-Chile  und  das  Feuerland.  Im 
warmen,  nördlichen  Teile  finden  sich  immergrüne  Laubwälder  und  gedeihen  alle  mittel- 
europäischen Kulturpflanzen;  der  mittlere  Teil  ist  besonders  reich  an  Buchenwäldern, 
der  südliche  dagegen  von  öden  Tundren  (s.  Absch.  1)  bedeckt. 


Namen-  u.  Sachregister. 


Abies  290. 
Acacia  112. 
Acanthns  153. 
Acer  48. 
Acbillea  184- 
Ackerdistel  188. 
Ackergänsedistel  189. 
Ackergauckkeil    124. 
Ackerkornkraut  41. 
Ackerkrummkals  135. 
Ackerrettick  21. 
Ackersenf  21. 
Ackerskabiose  173. 
Ackerspark  41. 
Ackersteinsame    135. 
Ackerwinde  127. 
Aconitum  11. 
Acorus  246. 
Adansonia  53. 
Adlerfarn  302. 
Aegopodium  73. 
Aesculus  41. 
Aetkeriscke  Öle  387. 
Aetkusa  73. 
Affenbrotbaum  53. 
Agave  234. 
Agrimonia  96. 
Agropyrum  264. 
Agrostemma  39. 
Agrostis  268. 
Akorn  48. 
Äkrcken  255. 
Äkre  255.   437. 
Äkrengräser  264. 
Äkrenrispengräser 

267. 
Ailantkus  50. 
Aira  268. 
Ajuga  150. 
Akazie,  eckte  112. 

„       falscke  109. 
Akelei  11. 
Alckemilla  98. 
Alectorolopkus  156. 
Algen  321. 
Algenpilze  345. 
Alismaceae  278. 
Alkoloide  387. 
Alliaria  22. 


Allium  224. 
Alnus  199. 
Aloe  225. 
Alopecurus  267. 
Alpenrosen  119- 
Alpenveilck.  124.389. 
Alsineae  40. 
Altkaea  50. 
Amanita  336. 
Amaryllidaceae    230. 
Amaryllis  234. 
Ameisenpflanzen  109. 
Ammopkila  267. 
Ampelopsis  66. 
Ampferarten  215. 
Amygdalus  93. 
Anagallis  124. 
Ananas  235. 
Anckusa  134. 
Anemone  6. 
Anetkum  72. 
Angiospermae   1. 
Anis  73. 

Antkeridium  299. 
Antkoxantkum  267. 
Antkriscus  73. 
Antirrkinum  154. 
Apetalae  190. 
Apfelbaum  90. 
Apfelsäure  387. 
Apfelsine  49. 
Apium  72. 
Aprikose  93. 
Apotkecium  354. 
Aquilegia  11. 
Araceae  244. 
Arak  262. 
Araliaceae  75. 
Arckegonium  299. 
Aristolockia  219. 
Armeria  124. 
Armleucktergew.  326. 
Anika  184. 
Aronstab  244. 
Arrbenatkerum    268. 
Artemisia  185. 
Artocarpus  209. 
Arum  244. 
Asarum  213. 


Ascomycetes  338. 
Asparagus  228. 
Asperifoliaceae    130. 
Asperula  169. 
Aspidium  294. 
Asplenium  302. 
Assimilation  des'Kok- 

lenstoffes  374. 
—  der  Näkrsalze  372. 
Aster  183. 
Astmoos  320. 
Atmung  390. 
Atripelix  216. 
Atropa  141. 
Atropin  142. 
Aufspeickerung  der 

Näkrstoffe  388. 
Augentrost  156. 
Aurikel  123. 
Ausläufer  401. 
Avena  260. 
Azalea  119. 

Backbungen-Ekren- 

preis  156. 
Bakterien  346. 
Baldrian  173. 
Balgfruckt  448. 
Ballota  151. 
Balsamine  58. 
Bambusgräser  263. 
Banane  242. 
Bandgras  271. 
Baobab  53. 
Bärenklau  73. 
Bärenklaue,  eckte 

153. 
Bärenlauck  224. 
Bärlappgew.  309. 
Bartfleckten  355. 
Bartweizen  259. 
Basidienpilze  332. 
Basidiomycetes    330. 
Basilienkraut  151. 
Bast  416. 
Batate  129. 
Bauckpilze  338. 
Baum  411. 
Baumfarne  303. 


Baumwolle  53. 
Bazillen  346. 
Beckerfleckten  355. 
Beckerfrücktler    190. 
Bedecktsamige  Pfl.  1. 
Beere  448. 
Beerentang  327. 
Befrucktung  444. 
Beifuß  185. 
Beinwurz  130. 
Bellis  183. 
Berberis  11. 
Berberitze  11. 
Berufskraut,  kanadi- 

sckes  185. 
Berteroa  22. 
Besenginster  110.441. 
Besenkresse  22- 
Bestäubung  438. 
Beta  216. 
Bettlerläuse  184. 
Betula  198. 
Bidens  184. 
Bienensaug  146. 
Bierbefe  342. 
Bilsenkraut  145. 
Bingelkraut  68. 
Binsengewäckse  229. 
Birke  198. 
Birnbaum  85. 
Birnenrost  344. 
Birntang  327. 
Bisamkyazintko  223. 
Bittersüß  141. 
Blasenstrauck  109. 
Blasentang  327. 
Blatt,  Bau  u.  Leben 

368. 
Blätterpilze  336. 
Blattformen  370. 
Blattgrün  379. 
Blattkeimer  1.  99. 
Blattnerven  384. 
Blattstellung  371. 
Blaubeeren  118. 
Blumenbinse  278. 
Blumenblätter  431- 
Blumenblattlose 

Pflanzen  190. 


464 


Namen-  u.  Sachregister. 


Blumenkohl  20. 
Blüte,  Bau  u.  Leben 

429. 
Blütenboden  430.435. 
Blütengrundriß  3. 
Blütenkörbchen  437. 
Blütenlose  Pfl.  294. 
Blutenpflanzen  1. 
Blütenstände  436. 
Blütenstaubkörner 

433.  445. 
Bocksbart  189. 
Boehmeria  206. 
Bohne  99. 
Bohnenkraut  151. 
Boletus  337. 
Borago  135. 
Boretsch   135. 
Borke  425. 
Bovist  338. 
Brandpilze  343.  344. 
Brassica  16.  19. 
Braunalgen  326. 
Braunkohl  20. 
Braunwurz  154. 
Brechnußbaum  127. 
Brennessel  205. 
Briza  268. 
Brombeere  98- 
Bromeliaceae  235. 
Bromus  268. 
Brotfruchtbaum  209. 
Brotschimmel  341. 
Brunella  151. 
Brunnenkresse  22. 
Brunnen-Lebermoos 

320. 
Brutbecher  321. 
Brutknollen  oder 

-knospen  4.  430. 
Brutkörperchen  354. 
Brutzwiebeln       221. 

430. 
Bryonia  168. 
Bryophyta  309. 
Buche  197. 
Buchsbaum  69. 
Buchweizen  214. 
Buschwindröschen  6. 
Butomus  278. 
Butterblume  180. 
Buxus  69. 

Cactaceae  80. 
Calaraus  242. 
Calla  246. 
Calluna  113. 
Caltha  9. 
Camelina  23. 


Camellia  28. 
Campanula  160. 
Cannabis  207. 
Cantharellus  336. 
Capparis  10. 
Caprifoliaceae  171. 
Capsella  22. 
Cardamine  21. 
Carduus  187. 
Carex  271. 
Carpinus  197. 
Carum  73. 
Caryophyllaceae  36. 
Caryophyllus  84. 
Cassavestrauch  69. 
Castanea  198. 
Catingas  462. 
Cattleya  277. 
Ceder  d.  Libanon  29 1. 
Cedrelabaum  50. 
Cedrus  291. 
Centaurea  186. 
Centifolie  96. 
Cerastium  41. 
Ceratonia  112. 
Ceratophyllum  210. 
Cereus  81. 
Cetraria  355. 
Ceylon-Zimtbaum 

214. 
Chaerophyllum  73. 
Chamaerops  242. 
Champignon  330. 336. 
Characeae  326. 
Cheiranthus  21. 
Chelidonium  26. 
Chenopodium  216. 
Chinarindenbm.   171. 
Chinin  171. 
Chlorophyceae  321. 
Chlorophyll  361. 
Chondrus  328. 
Choripetalae  1. 
Christbaum  289. 
Christrose  11. 
Chromatophoren  359. 
Chroolepus  325. 
Chrysanthemum  183. 

184. 
Cichorium  188. 
Cicuta  73. 
Cinchona  171. 
Cinnamomum  214. 
Cirsium  187. 
Citrus  49. 
Cladonia  355. 
Ciavaria  338. 
Claviceps  341. 
Clematis  8. 


Cochlearia  23. 
Cocos  238. 
Coffea  169. 
Coffein  170. 
Colchicum  226. 
Colutea  109. 
Compositae  174. 
Confervoideae  324. 
Coniferae  280. 
Conium  73. 
Convallaria  227. 
Convulvulus  127. 
Copra  240. 
Coriander  73. 
Cormophyten   368. 
Cornus  77. 
Coronaria  39. 
Corydalis  27. 
Corylus  190. 
Crassulaceae  78. 
Crataegus  90. 
Crocus  238. 
Cruciferae  16. 
Cucumis  167. 
Cucurbita  162. 
Cumarin  169. 
Cupiliferae   190. 
Cupressus  292. 
Cuscuta  129. 
Cyane  186. 
Cycas  293. 
Cyclamen  124. 
Cydonia  90. 
Cynoglossum  134. 
Cynosurus  267. 
Cyperaceae  271. 
Cyperus  272. 
Cytisus  110. 

Dactylis  268. 
Dahlia  183. 
Daphne  213. 
Dattelpalme  241. 
Datura  145. 
Daucus  69. 
Delphinium   10. 
Desmidiaceae  325. 
Diagramme  3.  435. 
Dianthus  36. 
Diatomeae  328. 
Diatomeenerde  330. 
Dicentra  27. 
Dickblattgew.  78. 
Dickenwachstum  420. 
Dicotyleae  1.  99. 
Digitalis   154. 
Dill  72. 
Dinkel  259. 
Dipsacus  173. 


Disteln  187. 
Dolde  437. 
Doldengewächse     69. 
Donnerkraut  80. 
Dornen  411. 
Dotterblume  9. 
Dracaena  225. 
Drachenbäume  225. 
Drosera  33. 
Düngung  406. 

Eberesche  90. 

Ebonit  69. 

Ecballium  168. 

Echium  134. 

Edelkastanie  198. 

Edeltanne  290. 

Edelweiß  186. 

Efeu  75. 

Efeu-Ehrenpreis  156. 

Ehrenpreis   155. 

Eibe  292. 

Eibisch  53. 

Eiche  196. 

Eierpilz  336. 

Einkeimblätterige 
Pflanzen  218. 

Eisenkraut  153. 

Eiweißstoffe  386. 

Elaeagnus  125. 

Elaeis  242. 

Elfenbeinpalmen  242. 

Elodea  279. 

Elymus  268. 

Empusa  345. 

Endivie  188. 

Endosperm  446. 

Engelsüß  301. 

Enziangew.   124. 

Epilobium  83. 

Epipactis  276. 

Epiphyten  277. 

Equisetinae  304. 

Equisetum  304. 

Erbse  103. 

Erbsenrost    68.  344. 

Erdbeere  97- 

Erdrauch  27. 

Erdrauchgew.  27. 

Erica  117. 

Ericaceae   113. 

Erigeron  185. 

Eriophorum  272. 

Erle  199. 

Ernährungsgenossen- 
schaft 105.  354. 

Erodium  54. 

Eropbila  22. 

Eryngium  73. 


Namen-  u.  Sachregister. 


465 


Erysiphe  342. 
Erythraea  127. 
Esche  125. 
Esparsette   110. 
Espe  204. 
Essigbauin   50. 
Estragon  185. 
Eukalyptusbäume  84. 
Euphorbia  66. 
Euphorbiaceae  66. 
Euphrasia  157. 
Evonymus  t>t>. 

Fackeldistel    80. 
Fadenalge  825. 
Fadenpilze   330. 
Fagus  197. 
Färberröte   169. 
Farne  294. 
Farbstoffträger   359. 
Faulbaum  66  93.449. 
Fäulnisbewohner 

276.  334. 
Federharz   69.  209. 
Feigenbaum  208. 
Feigendistel  81. 
Feigwurz  3. 
Feldchampignon  330. 
Feldmännertreu  73. 
Feldquendel  151. 
Feldrittersporn  10. 
Feldsalat  173. 
Feldthymian   151. 
Feldulme  209. 
Felicinae  294. 
Fenchel  72. 
Festuca  268. 
Fette  Öle  387. 
Fetthenne   80. 
Fettkraut  35. 
Fettpflanzen  80.  225. 

234. 
Feuerbohne  99. 
Feuerlilie  224. 
Feuerschwamm  337. 
Ficaria  1. 
Fichte  298. 
Fichtenspargel  118. 
Ficus  69.  208. 
Fieberrindenb.  77. 
Filicinae  204. 
Filzmütze  310. 
Fingerhut  154. 
Fingerkraut   98. 
Flachs  58. 
Flachsseide  130. 
Flammendes  Herz  27. 
Flatterbinse  229. 
Flatterrüster   210. 


Flechten  353. 
Fleckenorchis   272. 
Flieder  124. 
Fliegenpilz  336. 
Fliegenschimmel  345. 

Flockenblume    1S7. 
Flugbrand  344. 
Foeniculum   72. 
Fortpflanzung  429. 
Föhre  280. 
Fragaria  97. 
Frangula  66. 
Frauenflachs  153. 
Frauenhaar,  goldenes 

309. 
Frauenschuh  276. 
Fraxinus  125. 
Fritillaria    223.  224. 
Froschbißgew.    278. 
FroschlÖtt'elgew.  278. 
Frucht,  Bau  u.  Leben 

445. 
Fruchtblätter  434. 
Fruchtboden  430. 
Frühlingskreuzkraut 

184. 
Fuchsia  83. 
Fuchsschwanz  267. 
Fucus  327. 
Fuligo  353. 
Fumariacea  27. 
Fungi  330. 

Gagea  224. 
Galanthus  230. 
Galeobdolon  150. 
Galeopsis  151. 
Kalium  168.  169. 
Gamanderehrenpreis 

155. 
Gänseblümchen    183. 
Gänsedistel  189. 
Gänsefingerkraut  98. 
Gänsefußgew.  216. 
Gartenaster  183. 
Gartenaurikel  123. 
Gartenbalsamine    58. 
Gartenglockenbl.  162. 
Gartenkerbel  73. 
Gartenkresse  23. 
Gartennelke  39. 
Gartenprimel  123. 
Gartenrettich  21. 
Gartenrose  96. 
Gartensalat  188. 
Gartensalbei  151. 
Gartenschierling  73. 
Gartenstiefmütter- 

chen  33. 


Gartenthymian  151. 
Gauchheil  121. 
Gefäßbändel  417. 
Gefäßkryptogamen 

295. 
Gefäß-Sporenpfl.  294. 
Geißblatt  171. 

Geißblattgew.   171. 
Gelbling  336. 
Gemüsebohne  99. 396. 

-152. 
Gemüsekohl  10. 
Generationswechsel 

301.  317.  344. 
Genista  lll. 
«M'uossenschaftsleben 

105. 
Gentiana   124. 
Gentianaceae  124. 
Georgine  183. 
Geotropismus  408. 

412. 
Geraniaceae   54. 
Geranium  57. 
Gerbstoff  387. 
Gerste  260. 
Getreide   248- 
Getreiderost  344. 
Getrenntblumen- 
blättrige  Prt.  l. 
Geum  96. 
Gewebe  367. 
Gewürznelken! 
Giersch  73. 
Giftreizker  336. 
Gilbweiderich   124 
Gladiolus  238. 
Glanzgras  27 1 . 
Glechoma   150. 
Gleiße  73. 
Glockenblume  160 

162. 
Glockenblume, 

falsche   11. 
Glockenheidc    137. 
Glycyrrhiza  111. 
Gnaphalium  186. 
Goldknöpfchen  5. 
Goldlack  21. 
Goldnessel  150. 
Goldregen  110. 
Goldstern  224. 
Gossypium  53. 
Götterbanm  50. 
Grainineae  248. 
Granatbaum  84. 
Graphis  355. 
Gräser  248. 
Grasfrucht  25!). 


84. 


Grasnelke  124. 
Graukresse  22. 
Grünalgen   321.  324. 
Grünkern  259. 
Gummi  69. 
Gummi  arabicum  113. 

Barsch-  90. 
Gummibaum  69.  200. 

blauer  84. 
Gummibaum    neuhol- 

ländischer  84. 
Gundermann    150. 
Günsel  15(i. 
Gurke   KIT. 
Guttapercha  69. 
Gynmosperniae  280. 
Gvninosporangium 

344. 

Haare  398. 
Haarmoos  310. 

Habichtskraut   189. 
Habicht  sschwanim 

337. 
Hafer  260. 
Hagebutte  06. 
Hagedorn  90. 
Hahnenfuß  4.  5. 
Hahnenfußgew.  1. 
Hahnenkamm  338. 
Hainbuche  197.  450. 
Hainwachtelweiz.157. 
Halbgräser  271. 
Hanf  207. 
Hartgummi  69. 
Hartheu,  Tüpfel-  28. 
Hartriegel,  roter  78. 
Haschisch  207. 
Haselnußsl  rauch  190. 
Haselwurz  213. 
Hauhechel  111. 
Hausschwamm  :>:>7. 
Hauswurz  80- 
Heckenkirsche  172. 
Hedera  75. 
Hedrich  21. 
Hefepilze  342. 
Heidekorn   113.  214. 
Heidekraut    113.  117. 
Heidelbeere  218. 
Heidenelke  39. 
Helianthus  174. 
Heliotropismus  413. 
Helichrysum   L85. 
Helleborus   1 1. 
Hellerkraut  23. 
Helvella  339. 
Bepatica  8.  32". 
Heracleum  7:>. 


466 


Namen-  u.  Sachregister. 


Herbstzeitlose  226. 
Herzblatt  82. 
Hesperis  21. 
Heterostylie  122. 
Hevea  69. 
Hexenmehl  309. 
Hieracium  189. 
Himbeere  97.  445. 
Himmelsgerste  4. 
Himmelsschlüssel- 
chen 120. 
Hirse  260. 
Hirtentäschelkr.  22. 
Hochblätter  369. 
Hohlwurz  27. 
Hohlzahn  151. 
Holcus  268. 
Holz  417. 
Holzäpfel  90. 
Holzbirnen  85. 
Holunder  172. 
Honiggras  268. 
Honigmale  121.  441. 
Honigtau  341. 
Hopfen  207. 
Hopfenseide  129. 
Hordeum  260.  267. 
Hornblatt  210. 
Hornbaum  197. 
Hornklee  111. 
Hornkraut  41. 
Hornsträucher  77. 
Hottonia  123. 
Huflattich  184. 
Hülse  448. 
Hülsenfrüchte  108. 
Humulus  207. 
Hundspetersilie  73. 
Hundsrose  94. 
Hundszunge  134. 
Hungerblümchen   22. 
Hutpilze  330. 
Hyazinthe  223. 
Hybriden  97. 
Hydnum  337. 
Hydrocharis  279. 
Hyosciamus  145. 
Hypericum  28. 
Hypholonna  336. 
Hyphomycetes  330. 
Hypnum  320. 

Jahresringe  422. 
Jasione  126. 
Jasmin  82. 
Jelängerjelieber  172. 
Igelskolben  247. 
Hex  66. 
Immergrün  127. 


Immerschön  186. 
Immortelle  186. 
Impatiens  58. 
Indigopflanzen  111. 
Ingwer  243. 
Insektenblütler    440. 
Insektenfressende 

Pflanzen  33.  35. 
Jod  327. 

Johannisbeere  82. 
Johannisblut.  28. 
Johannisbrotb.  112. 
Johanniskraut  28. 
Ipomoea  129. 
Iris  235. 

IrländischesMoos328. 
IsländischesMoos355. 
Judenkirsche  142. 
Juglandaceae  198. 
Juglans  199. 
Juncus  229. 
Juniperus  291. 

Kaffee  169. 

Kaiserkrone  224. 

Kakaobaum  54. 

Kaktusgewächse    80. 
307. 

Kälberkropf  73. 

Kalla  246. 

Kalmus  246. 

Kambium  420. 

Kamelie  28. 
j  Kamille  184. 
[  Kammgras  267. 

Kannensträucher  35. 

Kapern,  deutsche  10. 

Kapernstrauch  10. 

Kapselfrüchte  448. 

Kapuzinerkresse  58. 

Karagaheenmoos  328. 

Kardendistel  173. 

Karotte  70. 

Karthäusernelke  36. 

Kartoffel  135. 
süße  129. 

Kartoffelbovist  338. 

Kartoffelpilz  345. 

Karyopse  258. 

Käsepappel  52. 

Kastanie  (Roß-)  41. 
edle  198.   rote  48. 

Kätzchen  437. 

Kätzchenblütler  190. 

Katzenkraut  173. 

Kautschukbäume  69. 

Keimung  452. 

Kelch  431. 

Kellerhals  213. 


Kerbel  73. 
Kernholz  422. 
Kernobstgewächse85 
Kesselfallenbl    245. 
Kettenblume  180. 
Keulenpilze  338. 
Kiefer  280. 
Kieselalgen  328. 
Kieselgur  330. 
Kirschbaum  90.  93. 
Klammerwurzeln  401 
Klappertopf  156. 
Klatschmohn  23. 
Klatschrose  23. 
Kleber  389. 
Klebkraut  168.  451. 
|  Klee  110. 
Kleesalz  387. 
Kleesäure  387.. 
Kleeseide  130. 
Kletten  188.  451. 
Knabenkraut  272. 
'  Knackmandeln  93. 
Knäuelgras  268. 
Knautia  173. 
Knieholz  290. 
Knoblauch  225. 
Knoblauchsrauke  22. 
Knollen  135.  411. 
Knollenblätterpilz 

336. 
Knospe  409. 
Knöterich  214.  215. 
Kohl  19.  20. 
Kohlrabi  20. 
Kohlrübe  20. 
Kokken  346. 
Kokospalme  238. 
Kolben  437. 
Kolbenbärlapp  309. 
Kolbenweizen  259. 
Kompaßpflanze  188. 
Königin  der  Nacht  81. 
Königskerze  155. 
Köpfchen  437. 
Kopfkohl  20. 
Kopfweide  200. 
Kopulieren  86. 
Korallenflechten  355. 
Korallenpilz  338. 
Korbblütler  174. 
Korbweide  204. 
Kork  425. 
Korkeiche  198. 
Korn  248. 
Kornblume  186. 
Kornelkirsche  77. 
Körnersteinbrech  82. 
Kornrade  39. 


|  Kotyledonen  99. 
I  Krachmandeln  93. 

Krapp  169. 

Krebsschere  278. 

Kresse  22.  23. 

Kreuzblume  49. 

Kreuzblütler  16. 

Kreuzkraut  184. 

Kriechenpflaumc  93. 

Krokus  238. 
J  Krummhals  135. 

Krummholz  290. 

Krustenflechten   355. 

Kryptogamae  294. 

Küchenzwiebel  224. 

Kuckucksblume  276. 

Kuckucksnelke  39. 

Kuhschelle  8. 

Kümmel  73. 

Kürbis  161. 

Labiatae  146. 
Labkraut  109. 
Lackmusflechte  356. 
Lactaria  336. 
Lactuca  188. 
Lagerpflanzen  321. 

368. 
Laichkräuter  247. 
Laniium  146.  150. 
Landolphiastr.  69. 
Lappa  188. 
Lärche  291. 
Larix  291. 
Lathraea  158. 
Lathyrus  109. 
Latschen  290. 
Lattich  188. 
Laubblätter  369. 
Laubfall  93.  399. 
Laubflechten  355- 
Laubmoose  309.  319. 
Laucharten  224. 
Laurus  214. 
Läusekraut  157. 
Lebensbäume  292. 
Leberblume  8. 
Lebermoose  320. 
Legföhre  290. 
Leimkraut  39. 
Lein  58. 
Leindotter  23. 
Leingewächse  58. 
Leinkraut  153.  154. 
Leitungsbahnen  im 

Stamme  422. 
Lemna  246. 
Lens  109. 
Lepidium  23. 


Namen-  u.  Sachregister. 


467 


Lepidodendron  309. 
Lepiota  336. 
Lerchensporn  27. 
Leachtmoos  320. 
Leucobryum  320. 
Leucoium  233. 
Levkoje  21. 
Lichenes  :\X\. 
Lichtnelke  40. 
Liebesapfel   142. 
Lieschgras  :>07. 
Liguster  125. 
Lilie  224. 

Liliengewächse  218. 
Limone  49. 
Linaceae  58. 
Linaria   L53.   L54. 
Linde  50. 
Linse  109. 
Liinun  58. 
Lippenblütler  140. 
Liriodendron  11. 
Listera  276. 
Lithospennom    l:il. 
Lohblüte  353. 
Lolch  264. 
Lolium  264. 
Lonicera  171. 
Loranthaceae  2 in. 
Lorbeerbaum  214. 
Lorchel  339. 
Lotosblume  16. 
Lotus  111. 
Löwenmaul  154 
Löwenzahn  180. 
Luffapflanze  168. 
Lungehkrant  133 
Lupine  111. 
Luzerne  111. 
Luzula  230. 
Lycium   14:i 
Lycopodinm  309. 
Lysimachia  124. 
Lythrum  83. 

Macis  214. 
Maerocystis  327. 
Mädesüß  98. 
Magnolie   11. 
Mahagonibaum  49. 
Mahonia   12. 
Majanthemnm  22is. 
Maiblume  227. 
Maiglöckchen  227. 
Majoran  151. 
Mais  260. 
Malvaceae  52. 
Malvengewächse  52. 
Mammutbäume  292. 


Mandelbaum  93. 

Mangroveb.   84.  402. 

Manihot  69. 

Manilahanf  243. 

Maniokstrauch   69. 

Mannertreu   73.  156. 

Marchantia  320. 

Marienglocke  162. 

Mark  416. 

Markstrahlen  416. 
424. 

Maronen  198. 

Maßliebchen  183. 

Mate  66. 

Matricaria  184. 

Matthiola  21. 

Mauerpfeffer  78. 

.Mauerraute  302. 

Maulbeerbaum  208. 

Mausegerste  207. 

Medicago  111. 

Meerrettich   23. 

Meerzwiebeln  223. 

Mehltaupilze  342. 

Melampyrum  157. 

Melandryum  40. 

Meldenarten  216. 

Melilotus  HO. 

Mebme  16. 

Melonenkaktus     81. 
397. 

Mentha   151. 

Mercurialis  68. 

Merulius  337. 
i  Mespilus  90. 

Metamorphose  368. 

Metroxylon  242. 

Mieren  40. 

Miere,   rote   124. 

Milchsaft  424. 

Milchstern  224. 

Mimosa  112. 

Minzen  151. 

Mirabelle  93. 

Mischlinge   !i7. 

Mispel   90. 

Mistel   210. 

Mohngewächse  23.  26. 

Möhre  69. 

Mohrrübe  69. 

Monocotyleae  217. 
I  Monotropa  118. 

Moosbeere  118. 

Moosblüten  313. 
j  Moose  309. 

Moraceae  208. 

Morcheln  338. 

Morphium  26. 

Monis  208. 


Mumme!   12. 
Musa  242. 
Mnscari  223. 

Mllsci     319. 

Mnskatblüte  2]  1 
Muskatnußbum  21 1. 
Mntterkornpilz  341. 
Myosotis  134. 
Myriophyllum  210. 
Myristica  21  1. 
Myrte  84. 
Myxomycetes  352. 

Nachtkerze  83. 

Nachtlichtnelken  40. 

Nachtschatten  141. 

Nachtschattengew.  135. 

Nacht viole  21. 

Nacktsamige  PH.  280. 

Nadelhölzer  280. 

Näglein  39. 

Nährgewebe  446. 

Nährstoffe  der  Pflan- 
zen 371. 

Najadaceae  246. 

Narcissus  233. 

Narzissengewäclise 
230. 

Nasturtium  22. 

Natterkopf  134. 

Navicula  328. 

Nebenmarkstrahlen 
425. 

Nektar  440. 

Nelken  30. 

Nelkenpfefferb.  84. 

Nelkenwurz  96. 

Nelumbo  16. 

Neottia  276. 

Nepenthes  35. 

Nerium  127. 

Nesselgewäehse    205. 

Nestwurz  276. 

Neugewürz  84. 

Nicotiana  143. 

Niederblätter  369. 

Nieswurz  11.  399. 

Nikotin  144. 

Nixblume   12. 

Nuphar  ](i. 

Nußfrucht  448. 

Nymphaea   12. 

Oberhaut  381. 
Ochsenzange   l:i  I. 
Ocimum  151. 
Odermennig  98.  451. 
Oidium  05.  342. 

Okulieren    86. 

Olea   12Ö. 


Oleaceae   124 
Oleander  127. 
Ölbaum   L25 
Olivenbaum   125. 
ölpalme  212 

Ölweide    1 25 

Onagraceae  83. 
Onobrychis  L10. 
Ononis  111. 
Oenothera  83. 
Opium  26. 
Opuntia  81. 
Orangenbaum  49. 
Orchis  272. 
Origanum   151. 
Ornithogalum  221. 
Orobanche   L59 

Ory/.a   261. 
Osmose  362. 

I  Isterblu o 

Osterluzei  212. 
Oxalis  57. 
!  Oxalsäure  387- 

!  Palmfarne  293. 
Palmen  238. 
Palmlilien  225 
Palmweide  199- 
Panicum  260. 
Paeonia  11. 
Papaver  23.  26. 
Papierstaude  272. 
Papilionaceae  !)!>. 
Pappeln  204. 
Pappns  174.   182. 
Paprikapflanze    1  |2 
Paraguay-Tee   00. 
Parasolpilz  336. 
Parnassia  82. 
Pastinake  72. 
Pavia  48. 
Pechnelke  40. 
Pedicnlaris   157. 
Pelargoniuin  57. 
Penicillium  341. 
Pensees  33. 
Perigon  222. 
Peiltang  328 
Perlzwiebel  225. 
Peronospoia  66.  345. 
Petersilie   7:1. 
Petroselinum  7:>. 
Petunie  145. 
Pfaffenhütlein        66. 
Pfefferminze   151. 
Pfeiler,  spanisch.  142. 
Pfefferstrauch  215 
Pfeifenstrauch    82 
213. 


468 


Namen-  u.  Sachregister. 


Pfeilkraut  278. 
Pfennigkraut  124. 
Pferdebohne  109. 
Pfifferling  336. 
Pfingstrose  11. 
Pfirsiche  93. 
Pflanzengebiete  459. 
Pflanzensysteme  454. 
Pflaume  93. 
Pfropfen  86. 
Phalaris  271. 
Phanerogamae  1. 
Phaeophyceae  326. 
Pbaseolus  99. 
Philadelphns  82. 
Phleum  267. 
Phoenix  241. 
Phragmites  271. 
Pbycomycetes  345. 
Physalis  142. 
Phytelephas  242. 
Phyteuma  162. 
Piassavafasern  242. 
Picea  289. 
Pilze  330. 
Pilztiere  353. 
Piment  84. 
Pimpinella  73. 
Pinguicula  35.  159. 
Pinie  291. 

Pinselschimmel    341. 
Pirnas  280.  290. 
Piper  215. 
Pirola  118. 
Pirus  85. 
Pisang  242. 
Pisum  103. 
Plantago  159. 
Platane  210.  450. 
Piatanthera  276. 
Platterbse  109. 
Pleurococcus  325. 
Plumbaginaceae  124. 
Poa  268. 

Polierschiefer  330. 
Polygala  49. 
Polygonatum  228. 
Polygonum  214. 
Polypodium  301. 
Polyporus  337. 
Polytrichum  309. 
Pomeae  85. 
Pomeranze  49. 
Populus  204. 
Porree  225. 
Potamogeton  247. 
Potentilla  98. 
Preißelbeere  118. 
Primel  120. 


Primnlaceae  120. 

Prothallium  298. 

Protoplasma  358. 

Prnneae  90. 

Prunus  90.  93. 

Psalliota  330. 

Pteridium  302. 

Pteridophyta  294. 

Puccinia  344. 

Pulmonaria  133. 
j  Pulsatilla  8. 

Punica  84. 

Purpurwinde  129. 
I  Pustblume  180. 

Pyramidenpappel 
204. 

({necke  264. 
Quendel  151. 
Quercus  196.   198. 
Quitte  90. 

Rachenblütler    153. 

Radieschen  21. 

Rainfarn  184. 
!  Rainweide  125. 

Ramiepflanze  206. 
1  Ranke  22. 

Rankende    Pfl.  414. 

Ranunculaceae  1. 

Ranunculus  5. 

Raphanistrum  21. 

Raphanus  21. 

Raphia  242. 

Raps  16. 

Rapskohl  20. 

Rapünzchen  173. 

Rasenschmiele  268. 

Rauhblättr.Gew.130. 

Raygras ,    engl.  267. 

Rebenmehltau    65. 
342. 
falscher  65.  345. 

Reblaus  66. 

Rehpilz  338. 

Reiherschnabel  54. 

Reine-claude  93. 

Reis  261. 
|  Reizker  326. 

Renntierflechte    355. 
:  Reseda  27. 

Reservestoffe  389. 

Rettich  21. 

Rhabarber  215. 

Rheum  215. 

Rhizome  411. 

Rhizophora  84. 

Rhododendron  119. 

Rhodopbyceae  326. 


Rhus  50. 

Ribes  81.  82. 

Richardia  246- 

Ricinus  68. 

Riedgräser  271. 

Riesenkaktus  81.  397. 

Rinde  421. 

Rindenporen  426. 

Ringelblume  180. 

Rispe  437. 

Rispengräser  286. 

Rittersporn  10. 

Robinie   10'.). 

Roccella  356. 

Roggen  248. 

Röhrenpilze  337. 

Rohr,  spanisches  242. 

Rohrkolben  247. 

Rohrzucker  387.  389. 

Rosaceae  85. 

Roseae  94. 

Rosen  94. 

Rosenäpfel  95. 

Rosenartige  Gew.  85. 

Rosenkohl  20. 

Rostpilze  343. 

Roßkastanie  41. 

Rotalgen  326. 

Rotangpalmen  242. 

Rotbuche  197. 

Rotdorn  90. 

Rotkehlchenbrot  66. 

Rottanne  290. 

Rübe,  weiße  20. 
Teltower  oder  mär- 
kische 20. 

Rübenkohl  20. 

Rnbia  169. 

Rüböl  16. 

Rübsen  20. 

Rubus  97. 

Ruchgras  267. 

Rühr  mich  nicht  an  58 

Rum  263. 

Rumex  215. 

Runkelrübe  216. 

Ruprechtskraut  57. 

Russula  336. 

Rüster  209. 

Rutaceae  49. 

Saatwicke  109. 
Saccharomyces  342. 
Saccharum  262. 
Safrankrokus  238. 
Saftmale  121.  441. 
Sagittaria  278. 
Sagopalme  242. 
Salat  188. 


I  Salbei  151. 

I  Salepknabenkr.  273. 

1  Salicaceae   199. 

Salicornia  217. 

Salix  199. 

Salomonssiegel  228- 
i  Salvia  151. 

Salvinia  304. 

Salweide  199. 

Salzpflanzen  217. 

Salzkraut  217. 

Sambucus  172. 

Samen,  444-446. 

Samenpflanzen  1. 

Sammetpappel  53. 

Sandsegge  271. 

Sandstrohblume  185. 

Sanguisorba  98. 

Sapindaceae  41. 

Saponaria  39. 

Saprolegnia  345. 

Saprophyt  277.  334. 

Sargassum  327. 
|  Sarothamnus  HO. 

Satanspilz  337. 

Satureja  151. 

Saubohne  109. 

Sauerampfer  215. 

Sauerdorn  11. 

Sauerkirsche  93. 

Sauerklee  57. 

Sauerkleegew.  57. 

Saxifraga  81. 

Saxifragaceae  81. 

Scabiosa    173. 

Schachblume  224. 

Schachtelhalme   304- 

Schafchampignon  330- 

Schafgarbe   184. 

Schafskabiose  162. 

Scharbockskraut  1. 

Schattenblume  228- 

Schaumkraut  21. 

Scheingräser  271 

Schellack  209. 

Schellkraut  26. 

Scheuerkraut  308. 

Schierling  73. 

Schilf  271. 

Schimmelpilze  341. 

Schirmpilz  337- 

Schistostega  320. 

Schizophycetes  346. 

Schlafäpfel  95. 

Schlafmohn  26. 

Schlammschachtel- 
halm 309. 

Schlangenkaktus   8J. 
397. 


Namen-  a.  Sachregister. 


46^ 


Schlangenkraut   240. 
Sehlangenmoos  309. 
Schlauchpilze  338. 
Schlehe  93. 
Schleimpilze  352. 
Schließfrucht  448. 
Schlüsselblume     120. 
Schmetterlingsblütler 

99.   108. 
Schmiele  208. 
Schmierbrand  344' 
Schneckenklee  111. 
Schneeball  172. 
Schneebeere  173. 
Schneeglöckchen  230. 
Schneerose  11. 
Schnittlauch  225. 
Schötchen  22. 
Schote  19.  448. 
Schraubenalge  321. 
Schriftflechten  355. 
Schuppenbäume  309. 
Schuppenwurz  158. 
Schüsselflechten  353. 
Schuttkresse  22.  398. 
S,huttbingelkraut68. 
Schwanenblnme  278. 
Schwarzdorn  93. 
Schwarzerle  199. 
Schwarznessel  151. 
Schwarzpappel  204. 
Schwarzwurz  130. 
Schwarzwurzel  189. 
Schwefelkopf  336. 
Schwertlilie  235. 
Scbwimmblatt  304. 
Scilla  223. 
Scirpus  271. 
Scleroderma  338. 
Scorzonera  189. 
Scrophularia  154- 
Seeale  248. 
Sedum  78. 
Seegras  247. 
Seerose  12.  16. 
Seggen  271. 
Seidelbast  213. 
Seifenkraut  39. 
Sellerie  72. 
Sempervivum  80. 
Senf  21. 
Senfkohl  20. 
Senecio  184. 
Sequoia  292. 
Siegelbäume  309. 
Siegwurz  238. 
Sigillaria  309. 
Silberpappel  204. 
Silbertanne  290. 


Silene  39. 
Sileneac  :'><;. 
Simsen  230.  271. 
Sinapis  21. 
Sinnpflanzen   112. 
Sisynibrium  22. 
Skabiose   162. 
Smilaceae  227. 
Solanaceae  135. 
Solanum   135.  141. 
Sommereiche  196. 
Sommertürchen  233. 
Sommerwurz  159. 
Sommerzwiebel  224. 
Sonchus  189. 
Sonnenblume  174. 
Sonnenrose  174. 
Sonnentau  33: 
Sonnenwolfsmilch  66. 
Sorbus  90. 
Soredien  354. 
Spalt  fruchte  448. 
Spaltpilze  346- 
Span.  Pfeffer   142. 
Sparganium  247. 
Spargel  228. 
Spark  41. 
Speiselorchel  339. 
Speiteufel  336. 
Spelt  259. 
Spelz  259. 
Spergula  41. 
Sphagnum  319. 
Spierstaude  98. 
Spinat  216. 
Spirogyra  321. 
Spitzahorn  48. 
Spitzkeimer  218. 
Spitzmorchel  339. 
Spitzwegerich  159. 
Splint  422. 
Sporenpflanzen  294. 
Springkraut  58. 
Spritzgnrke  168. 
Stachelbeerstr.  81- 
Stachellattich  188. 
Stachelpilze  337. 
Stachys  151. 
Stamm ,     Bau     und 

Leben  408. 
Stammblattptl.  368. 
Ständerpilze  330. 
Stapelia  442. 
Stärke  385. 
Stärkebildner  390. 
Staubblätter  432. 
Staubbrand  344. 
Stechapfel   14."). 
Stechpalme  66. 


Stecklinge   401.  430. 
Steinbrech  82. 
Steineiche   196. 
Steinfrüchte  448. 
Steinklee  HO. 
Steinnelke  36. 
Steinnüsse  242. 
Steinobstgew.  90. 
Steinpilz  337. 
Steinsame  135. 
Stellaria  40. 
Stelzwurzeln  401. 
Sternmierc  41. 
Stiefmütterchen     32. 
Stockausschlag  410. 
Stockrose  53. 
Storchschnabel  54.57. 
Strandhafer  267. 
Strandroggen  268. 
Stratiotes  278. 
Strauch  411. 
Strauchflechten  355. 
Straußgras  268- 
Streifenfarn  302. 
Strohblume  185. 
Strychnos  127. 
Sturmhut  11. 
Succulenten  80.  234. 
Sumpfdotterblume   9. 
Sumpfheide  117. 
Sumpfmoos  319. 
Sumpfspierstaude  98. 
Sumpfvergißmeinnicht 

134. 
Sumpfwurz  276. 
Sumpfzweizahn   184. 
Süßholz   111. 
Süßkirschbaum  90. 
Swietenia  49. 
Symbiose  105.  354. 
Sympetalae  113. 
Symphoricarpus  173. 
Symphytum  130. 
Syringa   124- 

Tabak  143. 
Taglichtnelke  40. 
Tanacetum  184. 
;  Tange  326. 
Tanne  290. 
Taphrina  342. 
Taraxacum  180. 
Täschelkraut  22. 
Taubenkropf  :'>:». 
Taubenskabiose    173. 
Taubnessel    146    150. 
Taumelkerbel  73. 
Tanmellolcl  264. 

Tausendblatt  210. 


Tausendgüldenkr.127. 

Tausendschönchen 

183. 
Taxus  292. 
Teestrauch  28.  460 
Teichrose  16. 
Teufelskralle  162. 

Teufelszwirn  129.143. 
Thallophyta321.368 
Thea  28. 
Theobronia   54. 
Thlaspi  23. 
Thuja  292. 
Thymian  151. 
Thymus  151. 
Tierpilze  353. 
Tilia  50. 
Tilletia  344. 
Timotheusgras  207 
Tollkirsche  141. 
Tomate  142. 
Torfmoos  319. 
Tragopogon   ls'.i. 
Transpiration  393. 
Trapa  83. 
Traube  437. 
Traubenkirsche  93. 
Traubenwickler  66. 
Traubenzucker  :i.s~ 
Traueresche  125. 
Trauerweide  204- 
Trespen  268. 
Trifolium  109. 
Triticum  259. 
Tropaeolum  58- 
Trüffel  339. 
Trugdolde  438- 
Tuber  339. 
Tulpe  218. 
Tulpenbauin    11. 
Tüpfelfarn  301. 
Tüpfelharthen  28- 
Turgor  363. 
Türkenbund  224. 
Tussilago  184. 
Typha  246. 

Überpflanzen     277 

303. 
IHmacea  208. 
Ulmaria  ns. 
Ulmengewäehse    208 
Umbelliferae  69. 
Uredinaceae  343. 
Uromyces  344. 
Urtica  2i  »5.  206. 
ürticularia    35.  159- 
Usnea  355. 
üstilago  344 


470 


Namen-  u.  Sachregister. 


Vaccinium  118. 

Valeriana  173 

Valcrianella  173. 

Vanille  278. 

Vegetationskegel409. 

Veilchen  29.   32. 

Veilchenalge  325. 

Yeilchengewächse  29. 

Veilchenmoos  325. 

Veilchenstein   325. 

Verbascum  155- 

Verbena  153. 

Verdunstung  393. 

Veredeln    der    Obst- 
bäume 86. 

Vergißmeinnicht  134. 

Veronica  155. 

Verschiedengrifflich- 
keit  122. 

Verwachsenblumen- 
blättrige  Pfl.    113. 

Viburnum  172. 

Vicia  109. 

Victoria  16. 

Vinca  210. 

Viola  29. 

Viscaria  40. 

Viscum  210. 

Vitis  60. 

Vogelbeerbaum  90. 

Vogelkirsche  93. 

Vogelknöterich  214. 

Vogelmiere    40.  406. 

Vogelwicke  109. 

Vorkeim  298.  316. 

Wacholder  291. 
Wachstumskegel  409. 
Wachtelweizen  157. 
Walderdbeere  97. 
Waldgeißblatt   171. 
Waldmeister  169. 
Waldrebe  8. 
Waldschachtelh.  309. 
Wald  weiden  röschen 
83. 


Walnußbaum  199. 

Wanderung  d.  Nähr- 
stoffe 387. 

Wandflechte  353. 

Wasserfäden  324. 

Wasserfarne  304. 

Wasserfeder  123. 

Wasserhahnenfaß  5. 

Wasserknöterich  215. 

Wasserliesch  278. 

Wasserlinse  246. 

Wassermelone   168. 

Wassernuß  83. 

Wasserpest  279.409. 

Wasserrose  12. 

Wasserschimmel  345. 

Wasserschwertlilie 
235. 

Wasserschlauch     35. 

Wasserspalten  395. 

Wau  27. 

Wegerich  159. 

Wegmalve  52. 

Wegwarte  188. 

Weichselkirsche  93- 

Weidengewächse  199. 

Weidenröschen  83. 

Weiderich  83.  440. 

Weihnachtsbaum  289. 

Wein,  wilder  66. 

Weinhefe  343. 

Weinpalme  242. 

Weinrebengew.  60. 

Weinstock  60. 

Weinträubchen  223. 

Weißbuche  198. 

Weißbirke  198. 

Weißdorn  90. 

Weißklee  HO. 

Weißmoos  320. 

Weißtanne  290. 

Weißwurz  228. 

Weizen  259. 

Welschkohl  20. 

Wermut   185. 

Weymouthskiefer  291. 


Wieke  438. 
Wicken   109. 
Widerton  309. 
Wiesenbocksbart  189. 
Wiesenflockenbl.  187. 
Wiesenfuchsschwanz 

267. 
Wiesenglockenblume 

162. 
Wiesenhafer  268. 
Wiesenklee    109. 
Wiesenknopf  98- 
Wiesenlieschgras  267. 
WiesenplatterbselOO. 
Wiesenrispengras 

268. 
Wiesensalbei  151. 
Wiesenschaumkr.  21. 
Wiesenschwingel  268. 
Wiesenstorchschn.  57. 
Wiesenwachtelweizen 

157. 
Windblütler  191. 257.  ! 
Windende  Pfl.  413. 
Windengewächse  127. 
Windenknöterich214. 
Windröschen  6.   8. 
Winterastern   184. 
Wintereiche  196. 
Wintergrün  118- 
Winterzwiebel  225. 
Wirsingkohl   20. 
Wohlverleih  184. 
Wolfsmilch  66.  68. 
Wollgras  272. 
Wollkraut  155. 
Wucherblume   183. 
Wunderbaum  68. 
Wurmfarn  294. 
Wurzel,  Bau  u.  Leben 

400. 
Wurzelbakterien  104. 
Wurzelbrut  410. 
Wurzeldruck  423. 
Wurzelhaare  404. 
Wurzelhaube  403. 


Xanthoma  353. 


Yucca  225. 


Zaunrübe  168. 
Zaunwicke  109. 
Zaunwinde   128. 
Zea  260. 
Zelle  357. 
Zellhaut  363. 
Zellkern  359. 
Zellkryptogamen.311. 
Zellplasma  359. 
Zellschichten  37!). 
Zellstaat  386. 
Zellstoff  365. 
Zellulose  365. 
Zellzwischenräume 

367. 
Zichorie  188. 
Ziegenbart  338. 
Ziest  151. 
Zimtbaum  214. 
Zingiber  243. 
Zitronenbauni  4!>. 
Zittergras  268. 
Zitterpappel  204. 
Zostera  247. 
Zuckermelone  168. 
Zuckerrohr  262. 
Zuckerrübe  216. 
Zweiblatt  276. 
Zweikeimblättrige 

Pflanzen  1.  99. 
Zweizahn  184- 
Zwergkiefer  290. 
Zwergpalme  242. 
Zwergschwertlilie 

238. 
Zwetsche  93. 
Zwiebel  218.  224. 
Zwitterblüte  431. 
Zypresse  292. 


>-4  Verlag*  von  Erwin  Nägele  in  Stuttgart,  $-« 

Vom  Lehrbuch  der  Botanik  werden,  wie  vom  „Lehrbuche  der  Zoologie"  gleicl 
alls  gekürzte  Ausgaben  erscheinen  und  zwar : 

Leitfaden  der  Botanik 


Grundriss  der  Naturgeschichte, 

2.   Heft: 

Pflanzenkunde. 


Über  die 


Reformbestrebungen 

auf  dem  Gebiete  des 

naturgeschichtlichen   Unterrichts 

von 

Dr.  0.  Schmeil. 
4.  verbesserte  und  vermehrte  Auflage.  -*-  Preis  1  Mk.  40  Pf. 

Die  Broschüre  enthält  eine  kritische  Beleuchtung  aller  Vorschläge,  die  bezüg- 
lich einer  Umgestaltung  des  naturgeschichtlichen  Unterrichts  bisher  gemacht  worden 
sind,  und  legt  -  wie  die  Kritik  einstimmig  ausgesprochen  hat  —  in  durchaus 
zwingender  Weise  dar,  welche  Richtung  die  Reform  einzuschlagen  hat,  wenn  der 
Unterricht  dem  heutigen  Stande  der  Pädagogik  und  der  Naturwissenschaften  ent- 
sprechen soll ;  sie  stellt  sich  demnach  dar  als  eine  theoretische  Begründung  der  Ge- 
danken, die  der  Verfasser  in  seinen  Schulbüchern  niedergelegt  hat,  oder  als  ein  aus- 
führliches Vorwort  zu  diesen  Werken. 

Obgleich  d  i  e  A  r  b  e  i  t  erst  im  Dezember  1 896  e  r  s  c  h  i  e  n  e  n  ist, 
liegt  sie  jetzt  bereits  in  vierter  Auflage  vor.  Für  ihren  Wert  sprechen 
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Schulze,  E.,  Catalogus  mammaliuni  europaeorum.     1900.     gr.    8°. 

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North  Carolina  State  University 

QK47.S3501903 

LEHRBUCH  DER  BOTANIK  FÜR  HÖHERE  LEHRANSTALTEN 


S02776906  M