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L5
LEONARDO DA VINCI
ALS
INGENIEUR UND PHILOSOPH.
EIN BEITRAG ZUR GESCHICHTE
TECHNIK UND DER INDUKTIVEN WISSENSCHAFTEN
D'. HERMANN GROTHE.
MIT 77 HOLZSCHNITTEN UND EINEK FACSIMILIRTEN TAFEL.
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BERLIN,
NICOLAISCHE VERLAGS -BUCHHANDLUNG
(s tricker)
1874.
Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen ist vorbehalten.
HEROLD B. LEE LI8RARY
BRIGHAM YOUNQ UNIVERSITY
PROVO. UTAH
Vorwort.
Die hiermit der Oeffentlichkeit übergebene Schrift behandelt die hervorragende
Stellung, welche dem grofsen Maler Leonardo da Vinci auf den Gebieten
der Naturwissenschaft und der Technologie gebührt und soll als ein Beitrag zur
Geschichte der induktiven Wissenschaften und der Technik angesehen werden.
Zur Grundlage dienten mir die Notizen und Skizzen, welche ich aus den Manuskripten
des Leonardo entnahm. Der Beifall, der mir bei Gelegenheit des Vortrags
hierüber im Verein für Gewerbefleifs in Preufsen zu Theil wurde, ermuthigte
mich, diese Arbeit — die erste, welche sich bemüht, die vielseitige Bedeutung
des grofsen Mannes für die Wissenschaft und ihre Geschichte zu würdigen und
bekannter zu machen — in den Verhandlungen des Vereins niederzulegen, aus
welcher sie nun als eine selbstständige Ausgabe auch für das gröfsere Publikum
vorliegt.
Für die freundliche Durchsicht und Kritik beim Druck sage ich dem
Herrn Geh. Regierungsrathe Prof. F. Reuleaux hier gern meinen besonderen
Dank.
Berlin, im Juli 1874
H. Grothe.
-~7
Leonardo da Vinci
als Ingenieur und Philosoph.
Ein Beitrag
zur Geschichte der induktiven Wissenschaften und der Technik des Maschinenwesens.
(Periode 1450—1519.)
Von Dr. Hermann Grothe.
Mit 77 Holzschnitten und 1 autographirten Tafel.
I.
Nachdem ein Jahrhundert etwa vergangen ist seit jener Epoche, welche uns die
grofsen Schöpfungen des Maschinenwesens geboren hat, ist es an der Zeit, die geschicht-
lichen Daten dieser und der folgenden Zeit zu sammeln und festzustellen, damit dem
späteren Forscher die Arbeit erleichtert und der Vergessenheit so viel als thunlich
entrissen werde. Aber diese Geschichte kann nicht ohne Rückblick auf die
früheren Perioden geschrieben werden, denn die Errungenschaften der neueren
Zeit stehen mit dem Schaffen der vorhergehenden Zeit in Verbindung; häufig fufsen sie
in dem vormals Gefundenen und Versuchten, und das, was in neuerer Zeit „gefunden"
wurde und wird, ist nicht immer gefunden, sondern wiedergefunden, indem der schaffende
Geist einzelner Vorfahren denselben Gedanken, der Zeit vorauseilend, ausführte, aber
in den Verhältnissen der Zeit keinen fruchtbaren Boden haben konnte für das Produkt
der schöpferischen Thätigkeit. Zweierlei sind die Kennzeichen der seitherigen Erfindungen
gewesen, ob sie grofs und anerkannt wurden, oder ob sie vergessen blieben, — erstens,
dafs sie etwas Neues enthielten und darboten, was das Bestehende an Leistungsfähigkeit
und Nutzen überragte, — zweitens, dafs sie wohl Neues in sich bargen, aber Neues,
dessen Neuheit entweder nicht leistungsfähiger sich zeigte als Bestehendes für gleichen
Zweck, oder aber so aufserordentlich viel mehr leistete und so viel Neues mit sich brachte^
l
dafs der Menschengeist der gewöhnlichen Menge der Zeit nicht ausreichte, diese hohe
Leistung zu begreifen, viel weniger zu benutzen. Ja nicht selten sind die Fälle, wo an
Spekulationen, selbst wenn sie Neues schafften und enthielten ohne die Leistung des Be-
stehenden zu übertreffen , ein Menschengeist zu Grunde ging und in eingebildetem Un-
dank der Welt seinen geistigen Tod fand, — aber jene Fälle sind noch häufiger, dafs
das seiner Zeit voreilende Genie Erfindungen machte, die seinen Zeitgenossen wegen der
Gröfse der Idee unheimlich, gefährlich, ja strafbar erschienen! ' Wie viele frühere Ent-
deckungen uns verloren gegangen sind durch Aberglauben und Wortglauben, durch die
Verfolgungen der fanatischen Geistlichkeit, die jeden denkenden Mann im Mittelalter zu
verdächtigen für nothwendig fand, und andererseits durch die Furcht vor den entsetz-
lichen Folgen nur des Verdachtes einer Ungläubigkeit, die aus jeder That und jedem
Wort herauszudeduziren war, — wir können es nicht ermessen. Allmählich nur tauchen
hier und da Notizen auf, Funde der fleifsigen Forscher, dafs diese und jene neue Sache
bereits vor Jahrhunderten versucht ward, welche jetzt vollen Gebrauch geniefst, nachdem
sie wieder erstanden ist. Die freiere Denkungsart unserer Zeit bricht sich nach allen
Richtungen hin Bahn, und was früher ängstlich verborgen ward, gelangt allgemach zur
Kenntnifs, und bestätigt das, was wir oben angeführt. Es ist aber nothwendig, bei der
Beurtheilung der Leistungen der Jetztzeit die früheren ernst zu berücksichtigen. Wir
müssen uns daher damit beschäftigen, den früheren Erfindern und Erfindern von Be-
deutung nachzuspüren, vielleicht erhält dann manches Blatt der Geschichte der Erfin-
dungen einen anderen Inhalt, und manches Bild gewinnt einen neuen Reiz oder verblafst
im Scheine der Vorzeit.
Für die Geschichtsschreibung über die Entwicklung der machineilen Apparate
und Vorrichtungen ist im allgemeinen noch wenig gethan. Ist doch überhaupt die ge-
schichtliche Entwicklung der Technologie noch ungenügend durchforscht, und alle Berichte
darüber glänzen noch durch ihre Lückenhaftigkeit. Im Ende des vorigen Jahrhunderts
lebte kürzere Zeit hindurch ein regeres Streben hierfür, und dieser Periode verdanken
wir die fleifsigen Arbeiten Heeren's, Beckmann's, Poppe's, Gmelin's, Murhard's, Scheibel's,
Heilbronner's, Meuken's, Rosentbal's u. A. und der Encyklopädisten. Allein, wenn auch
die encyklopädische Literatur weiterwucherte, — die eigentlich geschichtliche Forschung
verlor an Intensität. Mit Ausnahme einzelner spezieller Geschichtsschreibungen über
technische Einzelgebiete besitzen wir kein einziges umfassendes Werk über Geschichte
der Technologie, denn auch Karmarsch's jüngst erschienenes bedeutendes Werk hat nur die
Geschichte der Technologie im letzten Jahrhundert zum Vorwurf und greift nur hin und
wieder wirklich eingehender auf die frühere Zeit hinüber.
Nicht mit Unrecht hat man geltend gemacht, dafs dieser Umstand seine Ent-
stehung der unvollkommenen Erledigung der Geschichtsschreibung für diejenigen Wissen-
schaften zuzuschreiben habe, welche als Fundamente der Technologie im umfassendsten
3
Sinne gelten müssen. Wo wir auch hingreifen im Gebiet der angewendeten Mechanik,
immer finden wir den Einflufs der induktiven Wissenschaften mächtig wirksam. Die
Naturbetrachtung und die Naturforschung ist die Mutter aller unserer Hülfsgeräthe , und
die Erzeugung der letzteren ist um so häufiger und um so erfolgreicher, je mehr natur-
wissenschaftliche Studien getrieben worden sind. Die Geschichte der induktiven Wissen-
schaften sowohl als die Geschichte der alten Philosophen lehrt uns dies. Mit Thaies be-
gann die Naturforschung um 600 v. Chr. einen bestimmten Karakter zu gewinnen. Durch
Pythagoras ward sie fortgeführt und nach gewissen Richtungen hin ausgebildet. Hippo-
krates, Sokrates, Plato lernten von der Natur und basirten ihre Philosophien auf solchen
Anschauungen. Herodot und Theophrastus wufsten die Bedeutung der Naturwissenschaften
durchaus zu schätzen, und ihre Werke dienten denselben. Aristoteles begriff vielleicht
am besten die gewaltige Bedeutung der Naturforschung durchweg und bemühte sich, den
Gesetzen der Natur auf die Spur zu kommen. Wenn er in vielen Dingen hierfür absolut
falsche Bahnen betrat, so war doch sein Wort und sein Bestreben von allerwichtigstem
Einflufs, und von ihm an, — lange, zu lange sogar in fast sklavischer Anerkennung
seiner Autorität — trieb man Mathematik, Mechanik, Astronomie u. s. w. in seinem
Geiste und in Nachfolge seiner Bahnen. Das Museum zu Alexandria und seine Gelehrten
konnten sich nicht vom Aristotelischen Einflufs losmachen, wenn auch Einzelne wie
Euklides, Eratosthenes, Hipparchus, Aristarchus selbstständig auftraten. Die Lehren des
Aristoteles entbehrten der Klarheit, und ohne aus einer wirklichen Erfahrung oder aus
Versuchen hervorzugehen, enthielten sie lediglich Spekulationen, zwar oft geistreich und
hart an der Wahrheit hinstreifend, aber ohne Beweis und Belag aus der Natur der
Dinge selbst. Wie ein strahlender Held der wirklichen Forschung, der Durchdringung
der Gesetze der Natur taucht dazwischen Archimedes (287—212 v. Chr.) auf, von dem
Silius Italicus schreibt:
Ewige Zierde verlieh ein Mann der korinthischen Pflanzstadt,
Weit voraus an Talent den anderen Söhnen der Tellus,
Arm an Besitz, doch offen dem Auge lag Himmel und Erde!
und von dem unser Leibnitz sagt:
„Wer den Archimedes zu begreifen im Stande ist, der wird den Ent-
deckungen der Neuzeit lauere Bewunderung schenken."
Das Urtheil des Plutarch über die geistige Kraft dieses Mannes, über seine Gesinnung
und über seinen Eifer als Forscher ist für uns von allerhöchster Bedeutung. Er sagt:*)
,, Solchen Stolz und solche Hoheit des Geistes und solchen Reichthum an Wissen
besafs Archimedes, dafs er grade über die Dinge, durch welche er sich den Namen und
Ruhm nicht eines menschlichen , sondern beinahe eines göttlichen Verstandes erworben
hatte, nichts Schriftliches hinterlassen wollte, weil er die Beschäftigung mit der Mechanik
') Plutarchi vit. parall. : Marcellus.
"und überhaupt jeder Kunst, die sich mit den praktischen Bedürfnissen befafst, für unedel
und niedrig hielt. Mit Vorliebe beschäftigte er sich allein mit solchen Gegenständen,
die, ganz abgesehen von ihrer Notwendigkeit, schön und vortrefflich sind. Es ist nicht
möglich, in der Geometrie schwierigere und tiefsinnigere Aufgaben einfacher und klarer
gelöst zu finden. Und dies schreiben Einige dem angebornen Genie des Mannes zu,
Andere dagegen sind der Meinung, dafs durch seinen aufserordentlichen Fleifs jedes
Einzelne den Anschein von leicht und mühelos Gefertigtem erhalten habe. Denn während
man durch eigenes Nachdenken einen Beweis nicht findet, entsteht zugleich mit dem
Erlernen die Einbildung, dafs man ihn doch auch selbst hätte finden können; auf einem
so leichten und schnellen Wege führt Archimedes zu dem, was er beweisen will. Man
hat daher auch nicht Ursache, dem keinen Glauben zu schenken, was von ihm erzählt
wird, dafs er nämlich, wie immer, von einer befreundeten und vertrauten Sirene bezau-
bert, Essen und Trinken vergafs und die Pflege seines Körpers vernachlässigte. Oft
nöthigte man ihn mit Gewalt zum Salben und Baden ; aber auch dann bemalte er die Hände
mit geometrischen Figuren und zog auf dem gesalbten Leibe mit dem Striegel Linien,
von grofsem Vergnügen überwältigt und wirklich von den Musen in Verzückung versetzt."
Leider wissen wir sowohl von seinem Leben nur Unzureichendes als auch von
der augenscheinlichen Fülle seiner Arbeiten. Die Nachrichten, welche uns darüber von
anderen Schriftstellern aufbewahrt wurden, lassen nur um so schmerzlicher die schweren
Verluste beklagen. Wie des Archimedes Erfindungsgeist die meisten Theile der Mathesis
mit wichtigen Entdeckungen bereicherte, so auch die Mechanik. Allein von allen seinen
Arbeiten sind uns seine Schriften über die Kugel und cbsn Cylinder, über die Ausmessung
des Kreises, über Sandberechnung, über die Spirale, über Conoide und Späro'ide, vom Gleich-
gewicht und über das Centrum gravitatis, über die Quadratur der Parabeln bekannt. Und
auch diese haben wir nur aus der Rezension des Isodorus und seines Schülers Eutocius
erhalten, welcher letztere einen werthvollen Kommentar dazu gab. In manchen Schriften
des Mittelalters klingt es freilich, als ob noch andere Schriften des Archimedes vorhanden
waren, — allein für uns scheinen sie verloren! — Aber was noch viel beklagenswerther
war, mit Archimedes' Tode waren auch seine Gesetze und Lehren schnell vergessen.
Man wufste wohl noch, wie sie lauteten, — aber kannte die Beweislührung dafür nicht
mehr, und eine kurze Zeit nachher war wieder alle Naturforschung auf die Aristotelische
Methode zurückgekommen. „Archimedes hatte die intellektuelle Welt aus ihrer Ruhe
aufgeweckt, aber sie fiel gleich wieder in ihre frühere passive Ruhe zurück, und die
Wissenschaft der Mechanik blieb dort stehn, wo man sie hingestellt hatte."
Unter den späteren Naturforschern ragt noch Ptolomaeus hervor, soweit wir ihn
aus den Ueberbleibseln seiner Schriften kennen, und vor ihm war Hipparchus für die
Astronomie von hervorragender Bedeutung. Von den Arbeiten dieser bedeutenden
Männer blieb nur spärliche Kunde. —
Die Methode des Mittelalters, die Natur zu betrachten, wandte sich mit vollen
Segeln der Aristotelischeu Weise zu, und der Einflufs des Archimedes war erloschen.
Schon die Gelehrten, die noch wesentlich im klassischen Alterthum fufsten, wie Pappus,
einer der besten Mathematiker der alexandrinischen Schule (400 v. Chr.), hatten keine
Kenntnifs mehr von den klaren Lehren des Archimedes, und jene kommentatorische
und kritische Arbeit des Isodorus und Eutocius über die archimedischen Schriften ward
ignorirt und erst nach Jahrhunderten wieder hervorgeholt, ja neu aufgefunden. Die
Lehre des Aristoteles aber ward überall, ohne Kritik fast, acceptirt, sie ward ein
effektives Glaubensbekenntnifs, dem selbst die Araber ihre Anhänglichkeit schenkten,
und von der das christliche Mittelalter entzückt war und dem es blind angehörte —
freilich mit dem öfters wiederholten Bedauern, dafs „Herr Aristoteles leider ein Heide
gewesen!" Dafs in den mechanischen Dingen eine solche absolute Dunkelheit und Ver-
wirrung herabgesunken war und diese schwer und dauernd auf den Geistern des Mittel-
alters ruhte, — hatte die Folge, dafs im Mittelalter ein Fortschritt in Anwendung der
Mechanik und überhaupt der Naturgesetze sehr wenig bemerkbar wurde. Die damaligen
Verbesserungen an Handwerksgeräth und Hausmaschinen waren Kinder der Zufälligkeit,
nicht des begründeten Handelns. —
In dieser Dunkelheit erschien dann 1214 — 1293 ein hellerer Geist, ein jedenfalls
merkwürdiger Mann, mit Begriffen und Ansichten, die sich, aus der lahmen Denkweise
seiner Zeit kräftig abhoben. Er beobachtete schärfer, als es in seiner Zeit Gebrauch
war, er machte sich mehr frei von den Banden aristotelischer Weisheit als einer seiner
Zeitgenossen oder Gelehrten vor ihm, er predigte die Wichtigkeit des Experimentes und
blickte auf die Kenntnifs seiner Zeit herab wie auf die Kindheit der Wissenschaft, wie
Whewell richtig bemerkt. Aus den arabischen Schriftstellern, wie man oft behauptet,
konnte dieser Mann, Roger Bacon, nicht schöpfen, sie waren ebenfalls den aristote-
lischen Lehren ergeben, und er erhebt sich so weit darüber hinaus! Alleinstehend in
seiner Zeit bezeichnet uns Roger Bacon doch eine erste Regung des gebildeten Geistes
zu selbstständigen Gedanken und selbstthätigem Schaffen, und er beginnt eigentlich die
Kette der Philosophen, die es versuchten, die Banden der hergebrachten Anschauungs-
weise zu zerbrechen. Der Beginn eines Erwachens der Wissenschaften, die an die Natur
sich anschliefsen , wird durch ihn eröffnet. Nach der allgemeinen Annahme ersteht
mit Galilei dann die Naturwissenschaft aus ihrem Schlummer gänzlich 1602. Ueber die
dazwischen liegende Periode ist wenig bekannt. Warum? Wir finden, dafs der Glanz
der Ideen und Gesetze des Kopernikus und des Galilei die unmittelbar vorangehende
Vorbereitungszeit verdunkelte! dafs die schnelle Fortentwicklung der induktiven Wissen-
schaften durch sie und nach ihnen vergessen machte zu untersuchen, was vorher bekannt
war, wer vorher in gleicher Richtung gearbeitet hatte. Man wufste nicht, wie weit die
Ideen beider Originalideen waren, und begnügte sich mit der Thatsache der Neu-
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Schöpfung der Wissenschaft. Aber jede grofse Zeit hat ihre vorhergehende oft langsame
Vorbereitung, und sie fehlte auch dieser Periode nicht. Aus der Entwicklung der Hand-
werke und Künste heraus entstanden Anregungen für die wissenschaftliche Beobachtung,
entstanden Erfahrungen und Fakta, welche unbezweifelt dastanden, aber in ihrer Ent-
stehungsweise unerklärt geblieben waren, ihres Beweises und ihrer Begründung entbehrten.
Politische Ereignisse pflegen stets mit den Kulturentwicklungen Hand in Hand
zu gehen! Und so finden wir den Schlüssel, dafs Italien die Stätte der Aufklärung
werden mufste, jenes Land, wo in jener Periode das Individuum eine Stellung gewann,
wo in vielen kleinen Republiken und Staaten die Arbeit neben dem Streben nach Er-
haltung der Unabhängigkeit alles durchlebte bis in die kleinste Hütte hinein, wo Vene-
digs meerbeherrschende Flotte den Orient zum Occident herantrug, wo die Sehnsucht
nach der Konstituirung der Macht in der Blüthe der Handwerke und Künste gestillt
ward und kein Mittel unversucht blieb, die Industrie an gewisse Stätten zur Wahrung
ihrer Macht zu bannen, — wo Kriege von dem Einen unternommen wurden , um ledig-
lich Industrien dem Andern zu entreifsen und sich zuzueignen, — wo die Erfindungen
Nationaleigenthum und so hoch geschätzt wurden, dafs deren Verrath gleichsam als
ein Verrath am Vaterlande sogar mit dem Tode bestraft wurde! Solche Ansichten,
solche Mafsnahmen durchzogen jene Zeit; Hand in Hand mit den politischen Ereignissen
giengen die industriellen Ereignisse. Roger H. von Sicilien wollte seinem Lande die
Seidenzucht und die Seidenweberei schaffen, weil er sah, dafs beides den griechischen
Landen Reichthum brachte — und er überzog Griechenland mit Krieg und führte im
Siege alles mit hinweg, was zur Gründung der Seidenindustrie in Palermo nöthwendig war.
Als Lucca im Besitz des Seidenbaues und der Seiden manufactur war, schlofs es sich eng
ab und gab so durch Macht und Reichthum, aus dieser Quelle entsprossen, Anlafs zum
Neide der Nachbarn, dem dann die Zerstörung der Stadt durch Uebermacht folgte.
Bologna genofs fast 120 Jahre die Segnungen eine Spinnmaschine von Borghesano und
gewann Macht und Marmorpaläste, bis das Geheimnifs der Maschine verrathen ward,
und in Folge davon nach Angabe der Chronisten 30,000 Menschen brodlos wurden.
Dieses Beispiel zumal zeigt uns den gewichtigen und merkwürdigen Einfiufs bedeutender
Erfindungen und die eigenthümliche Stellung der Handwerksfortschritte in der Kleinstaaterei
Italiens. In ganz ähnlicher Weise konnten sich die Glasmacher auf Murano in Venedig
von aller Welt isoliren und ihre Kunst geheimhalten zu eigenem Vortheil. In gleicher
Stellung wurde das florentinische Tuchbereitungsgewerbe als Unicum erhalten etc.
Alle diese Thatsachen aber weisen auf eine Vorbereitungszeit hin, — über welche
wir wenig bisher wissen. Es mufs in jener Zeit hervorragende Erfinder und Ver-
besserer für die Handwerke gegeben haben, und zwar reichlicher, als die wenigen
Namen andeuten, die uns bisher bekannt wurden. Aus der Entwicklung der Industrie
aber mufsten nöthwendig neben dem Reichthum und der Macht zahlreiche Anregungen
hervorgehen, zu Studien, zur Erforschung der Naturkräfte, die in den zur Industrie be-
nutzten Mitteln sichtbar oder unsichtbar sich konstatirten. Eine Geschichte der Tech-
nologie kann nicht geschrieben werden ohne eingehendste Durchforschung der Quellen,
welche über diese Vorbereitungsperiode berichten, ebensowenig eine Geschichte der in-
duktiven Wissenschaften. Was sagt Whewell in seiner Geschichte der induktiven Wissen-
schaften über die Vorperiode der Galilei'schen Zeit? „Der Scharfsinn des grofsen
Mannes (Archimedes) war nahe daran, die so tief verborgene Wahrheit (der Statik) zu
entdecken, aber der dichte Nebel, den er auf einen Augenblick durchbrach, schlofs sich
sofort hinter seinen Schritten, und die alte Finsternifs und Verwirrung lagerte sich wieder
auf das ganze Land. Und diese dunkle Nacht währte beinahe volle zwei Jahrtausende
bis auf die Epoche Galilei's, namentlich bis zur ersten Ausbreitung der Kopernikanischen
Entdeckung."
Whewell hat wohl den Fortschritten der astronomischen Entwicklung manche werth-
volle Leistung aus der Periode vom 13., 14. und 15. Jahrhundert anzureihen, — aber in der
Entwicklung der mechanischen Gesetze kann er uns zwischen Archimedes und Galilei
wenige aufführen, die von einiger Bedeutung waren, und auch diese, wie Cardanus,
Ubaldi, Benedetti, Varro gehörten schon dem 16. Jahrhundert an. Er gesteht auch ein-
fach ein, dafs er diese Zeit nicht kannte, da sie bis dahin undurchforscht geblieben!
Er sagt zum Schlufs des Abschnittes, nachdem er gezeigt, wie Benedetti 1551 in einer
Begründung über den Steinwurf mit hervorragender Klarheit den Begriff der acceleri-
renden Bewegung (die selbst Galilei erst später sich zu eigen machte) darlegte: „Ob-
schon Benedetti solchergestalt auf dem Wege war, das erste Gesetz der Bewegung, das
Gesetz der Trägheit, zu entdecken, nach welchem alle Bewegung geradlinig und gleich-
förmig ist, so lange sie nicht durch äufsere Kräfte verändert wird, — so konnte doch
dieses Prinzip nicht eher allgemein aufgefafst, noch gehörig bewiesen werden, bis
auch das andere Gesetz, durch welches die eigentliche Wirkung der Kräfte bestimmt
wird, in Betrachtung gezogen wurde. Wenn also auch eine unvollkommene Appreziation
dieses Prinzips der Entdeckung der Bewegungsgesetze vorausgegangen war, so mufs doch
die wahre Aufstellung desselben erst in die Periode, wo alle diese Gesetze selbst ent-
deckt wurden, das heifst, in die Periode des Galilei und seines ersten Nachfolgers ge-
setzt werden." Als Whewell dieses harte Dogma ausgesprochen und niedergeschrieben
hatte, da fiel ihm ein Buch in die Hand, welches von einigen Lehren aus Leonardo
da Vinci's Manuskripten berichtete. Der erstaunte Geschichtsschreiber las und sah, wie
in Leonardo's Lehren vieles bisher Vermifste und Unaufgeklärte deutlich enthalten war
— und das Wenige, was ihm hiervon vorlag, reichte schon hin, Whewell zu bewegen^
folgenden Nachsatz zu machen, nachdem er anerkannt, dafs Galilei's Ansichten und Lehren
an vielen Orten mit denen des Leonardo viel Aehnlichkeit haben, und nachdem er ge-
zeigt hatte, dafs Leonardo dem Galilei in Anspruch einer Reihe von wichtigen mechanischen
Gesetzen zuvorkam, — : „Die allgemeine Betrachtung, zu der diese Bemerkungen Anlafs
geben, ist wohl die, dafs die ersten wahren Ansichten von der Bewegung der Himmels-
körper um die Sonne und von der Bewegung überhaupt seit dem Anfang des 16. Jahr-
hunderts in den bessern Köpfen sich zu regen und zu fermentiren begannen, und dafs
sie allmählich Klarheit und Festigkeit schon etwas vor jener Zeit angenommen haben, wo
sie öffentlich aufgestellt sind!" Die Thatsache, welche dem Whewell entgegentrat, dafs
Leonardo volle hundert Jahr früher als Galilei bereits klare Ansichten über die Anwen-
dung der Hebelgesetze, über die schiefe Ebene, über die Zeit des freien Falls etc. hatte,
imponirte, wie wir sehen, dem geistreichen Geschichtsschreiber, aber seine Zeit bot ihm
noch keine Hülfsmittel, um seinen ersten Ausspruch sehr wesentlich zu modifiziren, —
er kannte ja selbst Leonardo's Leistungen nur unvollständig und unklar. Seitdem ist
hier und da ein neuer Beleg aufgetaucht für die Notwendigkeit der näheren Durch-
forschung der wissenschaftlichen Geschichtsquellen, um jene Zeit aufzuhellen. — Weshalb,
diese Frage stöfst uns auf, wissen wir so wenig aus jener Zeit? —
Schon oben führten wir aus, wie die Industrien der Staaten sich abschlössen!
Ebenso eifersüchtig war man anfangs in wissenschaftlichen Dingen, — man denke doch
nur an die Disputationen und Kothwerfereien zwischen .den italiänischen Universitäten
des Mittelalters, die über die einfachsten, sowie über die absurdesten Dinge mit gleicher
Heftigkeit geführt wurden, — ohne irgend einen Kern von Geist und Wissenchaft!
Man denke an den religiösen Einfiufs, der jede freie Meinungsäufserung, die von kano-
nisirten Vorschriften abwich, verfluchte und vernichtete. Die eigentliche Scholastik und
der Nominalismus haben naturwissenschaftliche Forschungen nicht verhindert, — wohl
aber that es der Verfall der scholastischen Philosophie im 15. Jahrhundert, während
welcher Zeit „der Dogmatismus unterging und der Skeptizismus sein Haupt erhob."
Wenn man über Fragen eifrig debattirte, wie die, „welches Kleid der Engel angehabt,
der der heiligen Jungfrau die Meldung des Himmels brachte?" und andere, wie sie die
Quaestiones Quodlibeticae enthielten, - dann mufs man von vornherein annehmen, dafs
ernste Arbeiten ohne Berücksichtigung blieben und keine Oeffentlichkeit erlangten. Alles hatte
sich gleichsam in jener Periode dem Bekanntwerden besserer und aufgeklärter Ansichten
widersetzt: die Kirche, die Universität, die Staatseinrichtung, die industriellen und kom-
merziellen Einrichtungen und Mafsnahmen. — Wie sehr die Publikationen ver-
gessen wurden, davon zeugt die gänzliche Vergessenheit und Unbekanntschaft der Ma-
nuskripte Leonardo's schon zu seiner Zeit. Keiner der Schriftsteller über Mechanik,
Mathematik, Metallurgie, Handwerke u. s. w. im 16. Jahrhundert nennt seinen Namen.
Vannuccio Biringoccio, der in seinem Handbuch der Metallurgie nur frühere Werke ex-
zerpirte (1540), zitirt ihn nicht, ebenso die ganze Schaar späterer Schriftsteller, trotz-
dem Leonardo da Vinci der Metallurgie nahe stand. Ebenso kennen ihn die
Autoren über Mechanik nicht u. s. w. Einzig bekannt und anerkannt waren seine
Schriften zur Hydraulik, die zu seinen Lebzeiten bereits in die Oeffentlichkeit drangen.
Solche Fälle sind nicht selten gewesen; sie kehrten oftmals wieder und sind theils be-
gründet in den politischen Ereignissen, — mehr noch hängen sie davon ob, in wessen
Hände nachgelassene Manuskripte übergehen! und hierin liegt, wie wir noch
ausführlicher mittheilen werden, der Grund für die Einflufslosigkeit der Aufzeichnungen
des Leonardo, die wir tief beklagen müssen nach jeder Richtung hin. —
Wenn wir oben bemüht waren zu zeigen, welche Nothwendigkeit vorherrscht,
für die Klarlegung der Geschichte der induktiven Wissenschaft und auch speziell der
Geschichte der Technik ein Geschichtsstudium zu fordern , welches sich auf die vor-
Galilei'sche Periode bezieht, um zu einer richtigen Würdigung der Galilei'schen Epoche
selbst zu gelangen und die Geschichtsfakta organisch zu regeln und richtig zu benutzen,
um die Gröfse und den Werth der Fortschritte der Neuzeit zu ermessen, so haben wir
damit gleichsam ein Motiv beigebracht für unsere nachstehenden Studien über Leonardo
da Vinci, als den hervorragendsten Vorgänger Galilei's und besonders auch
als den Schriftsteller, der über die Ansichten und Kenntnisse seiuer Zeit
Licht verbreitet. ^~y ^s
!
r~ II
Wir wollen zunächst über Leonardo da Vinci's Leben und Wirken im allge-
meinen das Nothwendige beibringen. Die Lebensumstände sind von Wichtigkeit auf sein
Schaffen und Denken gewesen.
Leonardo war der natürliche Sohn des Ser Piero da Vinci, Notarius der Signoria
von Florenz, und zwar von Catarina, später verheirathete Accattabriga di Piero del Vacca
di Vinci, und ward geboren 1452 auf dem Castell Vinci. Piero da Vinci war später
noch vier mal verheirathet und hatte aufser dem Leonardo eilf Kinder. Von diesem rührte
die zahlreiche Familie der da Vinci her, die sich in einer von dem Bruder Domenico
und seinem Enkel Piero entstandenen Linie bis auf den heutigen Tag erhalten1 hat und
heute sechs Brüder zählt, deren äitester den Namen Leonardo trägt, geboren 1845. Die
Familienverhältnisse Leonardo's sind Gegenstand der eingehendsten Untersuchungen und
Nachforschungen gewesen. Wir erwähnen das neueste Werk hierüber: Ricerche intorno
a Leonardo da Vinci von Gustavo Uzielli (1872). —
Leonardo zeigte früh schon grofse Neigung zur Kunst und Liebe zur Natur,
während er im Vaterhause mit seinen legitimen Brüdern erzogen wurde. Der Vater
Piero erkannte das noch schlummernde Talent seines Sohnes und brachte ihn zu dem
Maler und Skulptor Verrochio. Dieser Maler hatte sich weniger durch seine Werke,
als durch die treffliche Art der Heranbildung von Schülern ausgezeichnet und einen
Namen gemacht. Der Einflufs dieses Mannes ward bedeutsam und entscheidend für
Leonardo, denn der Lehrer unterrichtete seine Schüler in allen freien Künsten, zu welchen
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damals Weberei, Metallgufs und Metallarbeit, Goldschmiedekunst vorzüglich gerechnet
wurden, — speziell sodann in der Malerei und Bildhauerkunst.
Leonardo lernte malen, modelliren, die Arbeit des Goldschmieds und des Webers,
und eine seiner frühesten trefflichen Arbeiten war jener Adam und Eva-Karton zu einem
in Gold und Seide zu wirkenden Vorhang für den portugiesischen König, der die erste
Anregung zu Raphaels Adam und Eva im Vatican gegeben haben soll.
Die industrielle Lage von Florenz war zu jener Zeit eine äufserst entwickelte.
Man studire nur die Werke des Balducci Pegolotti, pratica della mercatura und eine
gleiche Schrift von Giovanni di Antonio da Uzzano, ferner die Werke über die Florenti-
nische Handelsgeschichte, welche in Lucca erschienen, und Canestrini's Abhandlung über
den Handel zwischen Florenz und Portugal, und man wird ein höchst interessantes Bild
über die emporgeblühte Industrie von Florenz gewinnen! Das Fabrikwesen stand in
Florenz obenan, und der gesammte Handel dieser Stadt bestand in Handel mit einhei-
mischen Industrieprodukten.
Trotzdem die Kämpfe der Guelfen und Ghibellinen das Gemeinwesen von Florenz
unterwühlten, erhielt sich die Kraft des Mittelstandes. Kunstfleifs, Großhandel und
Geldverkehr nahmen stetig zu. Als Florenz den Hafen Livorno von den Genuesen er-
kauft hatte, begann die industrielle Blüthe in grofsartigen Dimensionen sich zu ent-
falten. Florenz handelte mit allen Küsten des Mittelmeeres. Da die florentinischen
Manufakturen sich einen hohen Ruf erworben hatten, wurde ihnen das vorzüglichste
Rohmaterial zugeführt, Wolle von Spanien, Frankreich, England. Florentinische Tuch-
weberei übertraf die aller anderen Staaten, — die Scharlachfärberei war eine originale
und geheimgehaltene Kunst des Staates, und die Appretur der Tuche in Florenz war
so berühmt, dafs die Niederländer, Franzosen, Engländer und Spanier grofse Quantitäten
Rohtuche nach Florenz brachten, um sie dort appretiren zu lassen. Gegen Ende des
15. Jahrhunderts war auch die Kunst der Seidenweberei, der Gold- und Silberbrokate
dort entwickelt. Als die Medici die Gewalt erlangten und Cosmus, der erste Bürger von
Florenz mit Capponi vereint das Gemeinwesen leitete, begann das medicäische Zeitalter
für Florenz (und die Welt), so dafs für Kunst und Gewerbfleifs die Zeiten des Perikles
zurückgekehrt zu sein schienen.
Um diese Zeit trat Leonardo in das rastlose Treiben und Schaffen von Florenz
ein. Er sah die herrlichen Bauten, er sah das Auf- und Abwogen des Handels, er trat
in die Fabriken und sah das Bestreben, die Menschenhand zu ersetzen; — alles das
mufste auf den regen Geist des jungen Mannes einen tiefen Eindruck machen, sein
Sinnen und Denken fördern und Ideen reifen lassen. Wie bedeutend auch seine Fortschritte
gewesen sein müssen in der Malerei, lehrt uns jene Mittheilung, dafs Leonardo in einem
Bilde seines Meisters für das Kloster Valombroso einen Engel so trefflich gemalt hatte, dafs
dieser erstaunt Palette und Pinsel hinlegte, um sie nicht wieder zu ergreifen (was er in der
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That nur noch einmal später that). Es wird auch mitgetheilt, dafs Leonardo eifrig die
mathematische Wissenschaft in Florenz pflegte, und wir haben keinen Grund, daran zu
zweifeln, denn Leonardo war ja der Renovator der wahren Kunst, die alle Schönheit der
Natur in richtigen Verhältnissen wiederzugeben strebte. Sein Gemüth liefs ihn dabei an
allen Naturkindern Gefallen finden; er liebte die Pferde und die Vögel. Aufserordentlich
weit aber brachte er es in der Musik, und sie wurde der erste Anlafs, ihn von Florenz
fortzuziehen.
Inzwischen hatte sich sein Ruf weit verbreitet, und eine Schaar von wifsbegierigen
Schülern umgab ihn, unter ihnen Francesco Melzi, Cesare da Cesto, Bernardino Lovino,
Luini Andrea Sala'ino, Marc d'ügionno, Sandenzio Ferrari, Giov. Antonio Boltraffio, Lorenzo
Lotto, Andrea Solaris, Gobbo, Bernazano und andere. Der Herzog Ludwig Maria Sforza
(il Moro) berief den Leonardo nach Mailand als ersten Violinisten, nachdem Leonardo in
einem musikalischen Wettkampf den Sieg errungen hatte, — keineswegs ohne dabei den
gröfsten Maler Italiens zu der Zeit und den inventiven Kopf zu meinen und zu suchen.*)
Leonardo fand in Mailand einen hervorragenden Wirkungskreis. Er begründete dort
eine Akademie der Wissenschaften und formte den „gothischen Hof des Herzogs in
einen athenischen" um, wie Iloussaye**) sich ausdrückt. Aus jener Zeit stammt der
merkwürdige Brief des Leonardo, aus welchem wir den Kreis seiner Beschäf-
tigungen und seines damaligen Denkens, als Kriegsingenieur, als Architekt, Maler und
Skulpteur des Herzogs ermessen können. Wir fügen diesen Brief an geeigneter Stelle
ein. 1483 begann Leonardo die Statue Francesco Sforza's zu modelliren, und 1484
schrieb er seinen Traktat von der Malerei und verschiedene Studien. „Am 23.
April 1490, schreibt er selbst, habe ich dies Buch begonnen (Traktat von Licht und
Schatten) und das Pferd von neuem angefangen." Leonardo's Thätigkeit in dem gewerb-
und kunstreichen Mailand war getheilt zwischen der Pflege der Malerei, Architektur,
Kriegswissenschaft und des Gewerbflcifses, der Organisation und Ausbildung der Akademie,
unter welcher wir eine erste Pflegestätte der Wissenschaft freier und schöner Künste
uns vorzustellen haben. Nicht mit Unrecht wird in dieser Beziehung angenommen, dafs
eine grofse Anzahl seiner handschriftlich nachgelassenen wissenschaftlichen Betrachtungen
dazu bestimmt waren, den Vorträgen in der Akademie zu Grunde gelegt zu werden. —
Nicht gering waren die Ansprüche des Hofes an Leonardo. Der Herzog, im Besitz eines
von seinem Vater, dem Helden Francesco Sforza, begründeten mächtigen Thrones, liebte
die grofsartige Hofhaltung. Roh und gemein von Karakter, liebte er doch die Künste
und Arbeiten zur Hebung des Landes, vielleicht nur aus Ehrsucht, nebenbei war er allen
Lastern ergeben. Leonardo war gleichsam der Intendant der Hoffestlichkeiten und leistete
*) So erzählt Vasari: Campori glaubt mit Rio, dafs Leonardo nach Mailand gerufen wurde zu
Ausführung der Statue Frmice>co Sforza's.
**) Iloussaye, Ilistoire de Leonard da Vinci p. 56.
2*
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nach dem Zeugnifs der Zeitgenossen Niedagewesenes und errang sich den Titel „Famo-
sissimo" in dieser Beziehung. Zumal bei der Hochzeit des Herzogs mit Beatrix von
Este und später bei der Vermählung des Kaisers Maximilian mit Bianca Maria Sforza
entwickelte Leonardo ein bedeutendes Talent für solche Schaustellungen. Bei letzter
Gelegenheit, hatte Leonardo sein von seinen Zeitgenossen, Künstlern, Poeten und Laien
gleichstimmig verherrlichtes Modell zu dem Denkmal des Francesco Sforza ausgestellt,
und ganz Italien schallte von Bewunderung und Ruhmespreisen des Leonardo wieder,
so dafs uns darnach allein schon der Verlust dieses kolossalen und wunderbaren Denk-
mals unersetzlich und überaus beklagenswerth erscheinen mufs. Aus Mangel an Geld
wurde der Gufs in Erz verschoben; endlich zerstörten gaskognische Krieger das Modell.
In diese Periode des Aufenthalts am Mailänder Hofe fallen trotz der vielseitigen
Inanspruchnahmen Leonardo's, wie oben skizzirt, eine Reihe von Arbeiten, die den ver-
schiedensten Gebieten angehörend, überall das hohe Genie des Mannes kennzeichnen.
Vor allen nennen wir das berühmteste Gemälde „das Abendmahl" im Speisezimmer der
Dominikaner St. Maria delle Grazie. Diese Perle der Malerei ward von seinen Schülern
und Zeitgenossen eifrig studirt und nachgeahmt, so dafs wir heute nicht weniger als fünfzehn
bedeutende Kopien desselben, meistens von seinen umittelbaren Schülern herrührend,
besitzen und aufserdem von Andreas Milano dreizehn Statuen nach dem Gemälde, welche
1529 beendigt und in der Kirche zu Sarona aufestellt wurden; später gab Rubens
den ersten trefflichen Kupferstich davon, darauf Raphael Morghen. Ferner stammen aus
dieser Periode noch eine Reihe von Gemälden, von denen leider viele verloren gegangen
sind. Bei dem Dombau war Leonardo hervorragend beschäftigt; er modellirte die klei-
nen Aufsatzthürme und anderes. Für Beatrix baute er ein schönes Bad. Seinem Ein-
flufs gelang es, die Spätgothik aus dem Baustil in Mailand zu verdrängen und römische
und griechische Architektur dafür einzubürgern. In diese Zeit fällt ferner sein Versuch,
Figuren in Holz zu stechen und zum Druck zu verwenden. Es sind uns mehrere Proben
hiervon erhalten; ferner eine Methode des Selbstdrucks von Pflanzenblättern. 1494
reiste er nach Pavia ab zum Anatomen Marco Antonio della Torre und trieb hier in
eingehendster Weise Anatomie, die er für höchst wichtig für die Malerei hielt. Kurze
Zeit darauf überreichte er dem Herzog eine Schrift: „Was ist vorzüglicher, Malerei
oder Skulptur?", welche leider verloren gegangen ist, deren Inhalt jedoch in seinem
Traktat über die Malerei gewifs wiedergegeben ist. Unter seinem Einflufs schrieb sein
Intimus Lucca Paciola sein berühmtes Buch „de divina proportione", zu welchem Leonardo
die Figuren zeichnete und dessen Inhalt von allen Biographen für Leonardo's Geistes-
werk gehalten wird. — Um 1497 beschäftigte den Leonardo die Schiffbarmachung
des Kanals von Martesana, ein bedeutendes gigantisches Werk, welches in der Folge
viel zum Reichthum der Stadt beitrug. Ebenso einflufsreich für die Fruchtbarkeit des
Landes war die Kanalisation des Ticino, welche ein regelrechtes, bis jetzt erhaltenes
13
System der Berieselung der vordem spärlich angebauten Felder ermöglichte und für die
Lombardei überhaupt ein Segen geworden ist, durch die Nachahmung dieses ersten
Werkes. Diese Periode führte ihn zu dem intensiven Studium der Physik und Mathe-
matik. — Bis 1497 hatte Leonardo einfach und sogar ärmlich gelebt; da schenkte ihm
der Herzog, endlich erkenntlich, einen Weinberg. Interessant ist Leonardo's Aufzeichnung
seiner Arbeiten im Jahre 1497. Unter einer Reihe von Gemälden, Zeichnungen, Portraits,
finden wir Zeichnungen von Oefen, Geräthen für Schiflfahrt, Maschinen der Hydraulik,
anatomische Studien etc. Mit Recht sagt Ambroise Houssaye von diesem Lebensjahr:
„Belle et supreme periode de sa vie. Une statue equestre, une fresque monu-
mentale, les meilleurs chapitres du Tratte" de la peinture, un canal commence, un fleuve
ouvert ä la navigation, sans qu'un seul jour le maitre abandonnät son academie."
Im Jahre 1499 trennte sich Leonardo von Mailand. Der Krieg hat jene lang-
jährige Häuslichkeit und folgenreichen Idylle zerstört, die theilweise Leonardo selbst ge-
schaffen, denn der Herzog war besiegt und gefangen in den Händen des Königs Lud-
wig XII. von Frankreich, wo er im Schlofs Loches 1510 starb. Mailand war erobert,
und die Aeltesten der Stadt ersuchten Leonardo, zum Empfange Ludwig's XII. eine über-
raschende Scenerie zu erfinden. Er machte den Automaten-Löwen. Er zog sich
dann auf seinen Landsitz Vaverolo zurück und lebte ganz wissenschaftlichen Studien.
Allein seine Feinde konspirirten gegen ihn, seine Werke wurden bespottet, seine Schriften
als die eines Häretikers bekrittelt, — genug der Undank seiner Mitbürger trieb ihn fort.
Er wandte sich nach Florenz, begleitet von seinen Schülern und Freunden Paccioli und
Sala'i. Er fragte bei seinem Freunde Melzi vor, und diese Freundesfamilie überliefs ihm
die Villa Vaprio zum Sitz. Freilich fand Leonardo die Lebensverhältnisse und mehr noch die
Kunstverhältnisse in Florenz verändert, allein er wufste sich schnell hineinzufinden. Er
fesselte die Freunde der Kunst und Musik an sich, und die nächsten Pinselstriche öffneten
ihm die Häuser der Patrizier, aus denen er die schönen Portraits Ginevra de Benci und
Mona Lisa del Giocundo herausgriff. (Man weifs, dafs Franz I. für letzteres Portrait
45,000 Frcs. (in seiner Zeit!) zahlte.) 1502 trat Leonardo als Ingenieur in den Dienst
des Cesar Borgia, um als „Ingegnere Generale" alle Befestigungswerke des Herzogs zu
besichtigen, zu verbessern und neue zu errichten, ferner Kriegsmaschinen zu bauen. Die
erste Zeit dieses Amtes verging mit Reisen, und später hielt sich Leonardo in Siena, Rimini,
Cesena auf und entwarf eine Menge Zeichnungen für Maschinen des Friedens und des
Krieges. In Siena traf ihn das Dekret der Florentiner, welches ihn beauftragte, die
Wände der Signoria mit Gemälden zu bedecken. Mit ihm zugleich war Michel Angelo
aufgefordert. Beide fertigten ihre Kartons, — beide Entwürfe, unter sich ungemein ver-
schieden, waren Meisterwerke! Kein Urtheil ward gefällt. —
'Ar
Durch die Bitten des Georges Amboise von Mailand und die Aufforderung des
Königs Ludwig XII. liefs sich Leonardo bewegen, nach Mailand zurückzukehren. Hier
r-v^->-vvi'iX^
V
14
beschäftigte ihn der Martesanakanal und das kolossale Bassin St. Christophe von neuem
und besonders auch die Ergänzung der Wassernüssen, welche Behufs der Berieselung
den Flüssen entnommen wurden, durch Quellenbohrung, wie sie heute noch, in der Ebene
von Lodi-Giano besonders, existirt. Nochmals von der Florentinischen Signoria zur Aus-
führung seines Entwurfs zurückberufen, reklamirte ihn Ludwig XII. und ernannte ihn
zum Maler des Königs von Frankreich. Von 1507—1511 dauerte eine schöne ruhige
Periode seines Lebens in Mailand unter lieben Freunden und in einer ruhigen beschaulichen
Lebensweise voll Streben und Arbeit. Da starb Georges Amboise, und nach dem Blut-
bade von Brescia schwang sich der Neffe des Moro, Maximilian Sforza, auf den Thron
von Mailand. Allein diese neue Herrschaft dauerte nicht lange. Leonardo, überdrüssig
der Unruhe, verliefs mit seinen Freunden Giovanni, Francesco Melzi, Sala'i, Lorenzo und
Fanfoja am 24. September 1514 Mailand und eilte nach Bora. Hier blühte ihm trotz
der anfänglichen Freundlichkeit des Papstes Julius keine Zufriedenheit; — statt zu malen,
beschäftigte er sich mit Luftschiffahrt und dem Fliegen.
Bald kamen Mifsstimmungen zwischen Michel Angelo und Leonardo zu Tage.
Leo X. war allen Franzosenfreunden nicht gut gesinnt, und als solcher galt Leonardo,
uni so sah Leonardo es als das rathsamste an, nach Mailand zurückzukehren. Es kam
die Schlacht von Marignan, die Freundschaft Franz' I. für Leonardo, die in Verehrung
Ausdruck fand, und so folgte Leonardo der Einladung des Königs, zog nach Frankreich
und langte 1517 in Amboise an, wo er mit seinen Freunden Melzi, Saläi und Villanis
ruhig lebte, bedient von seiner alten Dienerin Mathurine und bestrebt, dem Lande zu
nützen. Er reiste umher, fand bald manche natürliche Vortheile heraus, entwarf das
Projekt des Kanals von Romorantin, von welchem alle Dessins aufbewahrt sind, und der den
Zweck hatte, das Land zu berieseln und fruchtbar zu machen; er entwarf die Details
dazu und konstruirte neue Schleusenthore; dort bereicherte er wohl auch seine Ma-
nuskripte mit seinen Erfahrungen und Ideen, obwohl einige Biographen behaupten, daß* —
er in Frankreich nichts mehr geschrieben ha&e und nichts mehr gemalt habe. — Der
Tod nahm 1519 am 2. Mai diesen grofsen Mjfrr und Menschen Leonardo da Vinci von
der Erde fort. Leonardo ward in der Kirche St. Florentin in Amboise begraben. Sein
Grabmal, längere Zeit verschollen, ward 1863 wieder aufgefunden, und Napoleon III.
setzte dem grofsen Manne ein Denkmal. 1871 hat man auch in Mailand dem Leonardo
ein würdiges Denkmal gesetzt.
III.
Wir haben vorstehend nicht ein Register der Werke des Leonardo gegeben, wie
es uns überhaupt nur daran lag, die wichtigen Lebensumstände des grofsen Mannes zu
skizziren. Der Karakter des Leonardo ist öfter verschieden beurtheilt. Es hat ihm ein
Theil seiner Zeitgenossen die Schmeichelei gegen Fürsten vorgeworfen. Allein mit dieser
15
Behauptung stimmt doch die allgemeine Schilderung seines Wesens nicht, und aus allen
seinen Werken athmet uns ein ganz anderer Geist entgegen als der eines um Fürsten-
gunst Buhlenden. Leonardo hatte ein offenes Auge für die Schönheiten der Natur und
Kunst; sein ganzer Geist war überaus harmonisch angelegt und von einer Herzensgüte
und einem Wohlwollen gegen die Menschheit erfüllt, wie es selten vereint getroffen wird
mit soviel Talent und Vielseitigkeit. Seine Kenntnisse und seine Ideen verwandte er
zum Besten der Menschen, und sein Haus und Rath stand Jedermann offen. Leuchtet
uns schon aus der grandiosen Arbeit des Tessinkanals ein für das Wohl seiner Vater-
landsgenossen bedachter Geist entgegen, — so gibt sich derselbe noch mehr kund in
der grofsen Wirksamkeit zu Mailand.
Leonardo wirkte hier in Mailand nach allen Richtungen hin. Als Musiker, als Maler
und als Skulpteur diente er den Künsten, als Architekt verdrängte er die Verirrungen der
Spätgothik durch die Wiederbelebung der griechischen und römischen Bauformen, als In-
genieur führte er das Addawasser in einem Kanal nach Mailand, zog den 200 Miglien
langen Kanal durch das Veltlin und entwarf eine grofse Reihe Werkzeuge, Geräthe und
Maschinenapparate, — als Denker, Philosoph und Freund der induktiven Wissenschaften
verfafste er nicht sowohl eine Reihe von werthvollen Schriften aus den Gebieten der
Mechanik und Physik und Mathematik, — sondern näherte sich der freieren Denkungs-
weise, so dafs er fast als Häretiker betrachtet ward, und fand er die Unhaltbarkeit der
papistischen Lehre von der Unbeweglichkeit der Erde, — ein gewaltiger Denker, der an
Gründlichkeit und Vielseitigkeit des Wissens einer der ersten Männer der aufwachsenden
grofsen Periode der Wissenschaften in Italien genannt werden mufs. An Bedeutung unter
den Malern der erste, der Gestaltungskraft und Formenstrenge und Naturwahrheit an-
strebt und erreicht, der Gesetze für die Form der Malerei aufstellt und so für seine
und die folgende Zeit der Regenerator der Kunst wird, — schafft er die trefflichsten
Kunstwerke selbst, die nur ein Raphael, ein Michel Angelo später vielleicht übertroffen hat. Er
formt mit kühner Hand das Reiterdenkmal Franz Sforza's, das an Gröfse und Schön-
heit alles, was die vorangehende Periode gebracht, klein, elend erscheinen liefs. —
Und dabei finden wir in Leonardo einen Mann von einer Körperstärke, dafs er ein
Hufeisen mit den Händen zerbrechen konnte, — und von einer Bescheidenheit und
Scheuheit des Geistes, von einer Unzufriedenheit mit sich selbst, dafs wir ihn stets
zurücktreten sehen, wo andere sich breit machten, dafs er sich fürchtete, Lob über seine
unsterblichen Bilder zu hören, weil er der Welteitelkeit zu verfallen glaubte, dafs er,
ehe er ein Werk von Bedeutung begann, erst die umfassendsten Vorstudien machte und
dabei sich in den Geist der Wissenschaften tief versenkte, bis er sich stark genug glaubte,
gleichsam den Kampf mit seiner Aufgabe aufzunehmen. Und hatte er sie nun gelöst,
so befriedigte ihn doch die Lösung nie, da er fühlte, dafs er nun doch noch im Stande
sei, sie noch vollkommener zu bewirken. Dabei erschreckte ihn das Glockengeläute, der
16
Mönchsgesang und Kindsgeschrei; bei Gewittern flüchtete er fast kindisch unter die
Decke des Bettes, — nur das Plätschern des Regens heimelte ihn an, und behaglich
schaute er dem Tropfenfall zu.
Leonardo hinterliefs ein Testament, demzufolge Francesco da Melzo als Belohnung
für seine Freundschaft sämmtliche nachgelassene Schriften des Leonardo und seine Hand-
zeichnungen erhielt. (ItemJLzjwef&to testatore dona et eoneede ad messer Francesco da
Melzo, gentilomo da Milano, per remuneratione de servitii ad epso grati a lui facti per
il passato tutti, et chiaschaduno di libri, che il dicto testatore ha de presente et altri
instrumenti et portracti circa larte sua et- industri^-4a pictori.) An diese Schriften knüpft
sich unser spezielles Interesse für Leonado hier an, denn sie sind die Aufzeichnungen
und Schriften des Ingenieurs, Architekten, Physikers, -Mathematikers, Mechanikers und
Anatomen Leonardo da Vinci, welche, wenn sie zu seiner Zeit gedruckt und publizirt
worden wären, sicherlich einen gewaltigen Einflufs auf die Gesammtfortschritte aller Ge-
biete des Wissens gehabt haben würden, — deren Studium für jeden Biographen des
Mannes unerläfslich ist, — und die endlich dazu angethan sind, das Dunkel zu lichten,
welches über der Geschichte der induktiven Wissenschaften sowie der Praxis der In-
dustrien seiner Zeit bisher geschwebt hat. Ol
Wie kam es aber, dafs diese bedeutenden Werke eines so berühmten Mannes
unbekannt bleiben konnten? — Francesco da Melzo nahm die Manuskripte Leonardo's
mit sich und bewachte sie sorgsam bis an seinen Tod. Mazenta (gestorben 1635) hat
uns eine Geschichte der Manuskripte aufgeschrieben. Er war für dieselben interessirt,
weil er beim Festungsbau Leonardo's Gesetzen folgte, ebenso bei seinen Studien über die
Schiffbarmachung der Adda. Mazenta kam durch Zufall in Besitz von dreizehn Volumen
der Schriften Leonardo's. Dieselben waren von einem gewissen Lelio Gavardi d'Asola aus
der Villa Vavero, welche Francesco Melzi sammt dem Manuskript geerbt hatte, mit
Erlaubnifs der nachgebliebenen Söhne Melzi's nach Florenz gebracht, mit der Absicht,
dieselben dem Grofsherzog Franz, Liebhaber solcher Handschriften, zu Kauf anzubieten.
Im Moment, wo Gavardi in Florenz ankam, starb der Grofsherzog 1587. Gavardi ging
nun nach Pisa zu Manucio, einem grofsen Liebhaber von Büchern. Allein dieser Mann
scheint sich nicht besonders anständig gegen Gavardi benommen zu haben, so dafs dieser es
vorzog, die dreizehn Volumen dem J. A. Mazenta nach Mailand mitzugeben, mit der Bitte,
diese Bände der Familie Melzi zurückzubringen. Mazenta entledigte sich dieses Auftrags,
allein der Aelteste der Melzi, Dr. Horatius Melzi, schenkte die dreizehn Bände dem Mazenta,
indem er ihm mittheilte, dafs auf dem Landhause noch eine Menge solcher Schriften
herumlägen. Da Mazenta über die Liberalität des Horaz Melzi nicht schwieg, fanden
sich bald viele Amateurs bei demselben ein und wählten aus den Hsndschriften Einzelnes
aus. Besonders unverschämt war bei dieser Gelegenheit Pompejus Aretin (Sohn des
Kardinals Leoni), ein Bronzegiefser und Künstler au Philipp's H. Hof im Escurial. Der-
17
selbe wollte dem König schmeicheln oder selbst ein gutes Geschäft machen und bat den
Melzi überdem, dafs er die dreizehn Volumen zu diesem Zwecke wieder herbeischaffe. Melzi
nun, sehr überrascht und einen hohen Werth in dem Verschenkten ahnend, bat kniefällig
den Bruder des Mazenta um Herausgabe der Volumen. Dieser gab sieben zurück, während
die Familie Mazenta ^^äter, 1603, von den anderen ein Volumen dem Kardinal Borromöo
für die Ambrosianische Bibliothek schenkte, ein Volumen an Ambroise Figini, einen be-
rühmten Maler seiner Zeit, von dem es Hercules Bianchi erbte. Ein drittes Volumen
gab Mazenta auf vieles Drängen an den Herzog von Savoyen ab, und als der Bruder des
Mazenta 1617 starb, wufste Aretin die übrigen drei Volumen in seinen Besitz zu bringen.
Aretin formte aus einer Keihe von Bänden ein grofses Volumen von 392 Blättern in
Folio, und als er starb, kam dasselbe in die Hände. Polydor Calchi's, der es ver-
kaufte an Galeazzi Arconati. Arconati bewachte diesen Band in seiner Bibliothek und
wies alle Gebote zurück. Howard Graf von Arundel bot dafür im Namen des englischen
Königs 60,000 Frcs. Allein Arconati hielt diesen Schatz fest und wufste auch die durch
Aretin in Leoni's Besitz gelangten zu bekommen. Um 1637 schenkte Arconati die ganze
Kollektion an die Ambrosianische Bibliothek. 1674 endlich lieferte Horace Archinto noch
ein Volumen ein, und die Familie Trivulcio schenkte ein in ihrem Besitz befindliches
Manuskript, eine Vocabulaire, derselben Bibliothek. — Eine Anzahl Leonardo'scher
Schriften wurde durch Thomas Graf von Arundel 1610 bereits acquirirt und dem British
Museum einverleibt. Die anatomischen Studien sind ebenfalls nach London gewandert,
und zwar stammen diese und andere Blätter wohl von dem Codex des Bianchi her, der
sie an einen gewissen Engländer Smith verkaufte. — Eine Keihe Schriften des Leonardo
war im Landhause Vaprio bei Florenz verblieben, im Besitz der Melzi. Dieselben sind
später an das Florentiner Museum gekommen. Endlich befinden sich etliche Blätter
in Venedig.
Die auf diese Weise entstandene Hauptsammlung in der Ambrosiana hatte leider
das Schicksal, 1796 von den Franzosen geraubt und nach Paris transportirt zu werden,
mit Ausnahme des grofsen Volumens, welches Aretin kompilirt hat, des berühmten Codex
Atlanticus.
Trotzdem beim Friedensschlufs 1814 die Rückgabe der Leonardo'schen Manuskripte
an die Ambrosiana statuirt war, erfüllten die Franzosen diese Ehrenpflicht doch nicht,
unter dem Vorwande, diese vierzehn Codices seien nicht mehr aufzufinden. Kurze Zeit
darauf ah.er wurden sie der Bibliothek des Instituts einverleibt.
Die Perle der nachgelassenen Manuskriptsammlungen ist der Codex Atlanticus, "iM- '
— abgesehen von den Handzeichnungen und Karrikaturen. Der Codex Atlanticus \
allein würde hinreichen, um an seinem Inhalt die eminenten Kenntnisse des Leonardo
zu erweisen.
Schon in obiger Nachweisung über den Verbleib der Manuskripte des Leonardo
_ Ma*aJ!jksl«'iM. <*
liegt der Grund offenbar^ dafs der Inhalt derselben seiner Zeit nicht zu Gute kommen.
konnte. Zuerst aus Pietät ängstlich bewahrt, sodann aus ünkenntnifs vernachlässigt und
zersplittert, von dem einen aus Geldgier, von dem andern aus Liebhaberei festgehalten,
bot sich keine Gelegenheit dar zum Bekanntwerden, und als man endlich alles beinahe
beisammen hatte und daran dachte, durch den Druck diese Schätze bekannt zu machen,
da wurde die Kollektion wieder zersplittert. Die Spuren von Verbreitung derLeonardo-
schen Lehreu sind äusserst spärlich. Benvenuto Cellini*) erzählt uns von einer Kopie,
welche ihm von einer Leonardo'schen Schrift durch einen ganz armen Mann angeboten
ward 1542, — vermuthlich eine Kopie, der zu Vaprio aufbewahrten Handschriften, die
über Skulptur, Malerei und Architektur handelten. Ferner hatte Pinelli von Neapel
Kopien von Leonardo's Schriften über die Malerei entnommen und benutzte dieselben
mit anderen Studien zur Herstellung seines Codex Pinellianus, der nach seinem Tode
(1601) in Paris durch Dufresnc 1651 veröffentlicht wurde. Eine ähnliche Ausgabe er-
schien von Stefano Della-Bella (1610-1664) in Florenz 1792. Der Trattato della Pittura
ist frühzeitig und sicherlich von allen seinen Schülern bereits kopirt worden und, 1651
zuerst gedruckt. Die Ambrosiaua besitzt hiervon eine Kopie durch Mazena's Vermittelung.
Sic besitzt ferner noch Kopien von diversen Abhandlungen, die theilweise in den Pariser
Codices enthalten sind, so von der berühmten Schrift des Leonardo : Sul moto e niisura
dell' acqua, welche später 1828 in Bologna gedruckt ward, im übrigen aber sehr- be-
kannt war. In diesem kopirten Codex sind noch viele andere Sachen enthalten, beson-
ders auch die Dessins für den Kanal Martesana. Ein dritter Band enhält Kopien von Trattato
d' ombre e lumi, Trattato della Pittura u. s. w. In der Periode von 1625 — 1645 wurden
von den im Besitz des Arconati befindlichen Schriften Kopien für die Bibliothek des
Kardinals Barberini angefertigt. Ebenso nimmt mau an, dafs ein Theil der in England
befindlichen Manuskripte nur Kopien sind. — Uebrigens geht aus dem allgemeinen Still-
schweigen der sämmtlichen Schriftsteller über naturwissenschaftliche Gebiete aus dem
16. uiiH 17. Jahrhundert genugsam hervor, dafs im Grofsen und Ganzen Leonardo's
Schriften unbekannt blieben! Dagegen, und dies werden wir im Verlauf der speziellen
Besprechung seiner Schriften zeigen, ist einzelnes bekannt geworden, und wie oben be-
reits augeführt worden, dafs Galilei's Art der Betrachtung mit der des Leonardo
frappante Aehulichkeit habe, so auch finden wir z. B. einige Leonardo'sche
Gesetze und Beispiele zur Theorie der Wellenbewegung bis auf den heutigen Tag in den
physikalischen Lehrbüchern wiederkehren. Es ist natürlich unfruchtbar, derartige absolute
Beweise und Nachweise führen zu wollen; wir können nur bedauern, dafs die Schriften
nicht früher zur Kenntnifs gelangt sind.
Die spätere Literatur weist auch nicht allzuviel von Leonardo auf. Da schon
*) Cellini Discorso sull' architectura publ, dal Morelli (Naniana).
Vasari (Vite dei Pittori, Scultori ecc.) von den nachgelassenen Schriften des Leonardo
für Mechanik, Physik, Maschinen etc. spricht (1568), so müfste dadurch allerdings wohl
die Aufmerksamkeit im Laufe der Jahrhunderte darauf gezogen worden sein. Und dennoch
ist dieselbe sehr gering gewesen. So wesentliche Bewunderung Leonardo als Maler und
Sculpteur beständig gefunden hat, so wenig wurde Acht gegeben auf seine übrigen
Leistungen. Studirt hat man seine Manuskripte allerdings öfter, aber nur wenige haben
den innern Werth derselben hervorgehoben, den geschichtlichen Werth. Die meisten
hatten sich begnügt mit der Durchsicht und waren dann befriedigt fortgegangen. Während
Leonardo als Maler eine Reihe Biographen gefunden hat, wie Vasari, Amoretti, Ranalli,
Campori, Piles, Rio, Lomazzo, Manzi, Libri, Calvi, Brown, Marquis d'Adda, Delecluze,
MarXj Houssaye, Gallenberg, Bossi, Blanc, Braun, Clement, und in vielen Kunstschriften
seine Gemälde und Kunstwerke beurtheilt werden (auch Goethe referirt darüber), während
seine Familienverhältnisse gründlich untersucht worden sind durch Uzielli, Calvi und
Dozio, ist für die Fülle der übrigen Leistungen wenig geschehen, so dafs dieselben noch
heute im allgemeinen als unbekannt betrachtet werden können. Die Begründung dafür
haben wir bereits auf mehrfache Weise dargethan. Was bisher über die wissenschaftliche
Bedeutung Leonardo's klargelegt ist, wollen wir folgen lassen, nicht ohne den bestimmten
Vermerk, dafs alle diese Arbeiten Stückwerk sind und nur einen geringen Theil der
Arbeiten und Leistungen Leonardo's umfassen, ja oft nur ein einziges Objekt.
Gerli Milanese, üisegni di Leonardo da Vinci incisi e publicati da — . 1784.
Hiernach die englische Ausgabe von J. Chambeiiain, London 1797.
Venturi, Essai sur les ouvrages Physico-Mathe'matiques de Leonard da Vinci etc.
Paris 1797.
Auch Amoretti, Memorie etc. enthält über die wissenschaftliche Seite Leonardo's
schätzenswerthe Beiträge.
Rippetti, Dizionario geogr. fisico-storico della Toscana. Vol. V., p. 789.
Govi, Leonardo scienziato, filosofo, politico et moraliste.
Trattato del moto e misura delT acqua di Leonardo da Vinci. 1828. Bologna.
Lombardini, delF origine e del progresso della scienza idraulica nel Milanese
et in altri parti d'Italia.
Libri, Hist. seien, matem. III.
Marx, Ueber M. A. della Torre und Leonardo da Vinci, die Begründer der
bildlichen Anatomie. Göttingen, 1849.
Grothe, Allg. deutsche polytechn. Zeitung 1873, pag. 2. 25. 41. 53. 78. 89. 130.
141. 153. 169. 249. — 1874. pag. 87. Ueber Leonardo's Bedeutung für die Geschichte
der induktiven Wissenschaften, mit 36 Abd.
Saggio delle opere di Leonardo da Vinci. Mailand 1872 (ausgegeben Februar 1873),
mit 24 Tafeln aus dem Codex Atlanticus. So trefflich diese Ausgabe an sich ist, so
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enthält sie doch nur wenige der werthvolleren Zeichnungen des Leonardo. Ebenso ist
zu bedauern, dafs man von der Ausgabe nur 300 Exemplare gedruckt hat, so dafs schon
jetzt kein Exemplar mehr aufzutreiben ist und ein hoher Preis für den Ankauf gezahlt
wird. Jedenfalls zeigt diese Ausgabe sich nicht auf richtigem Wege, sowohl Leonardo's
Bedeutung für die Geschichte und die Wissenschaft klar zu legen (trotz der an sich
trefflichen Einleitung) und dieselbe populärer zu machen. — Von den vorherbenannten
Schriften tritt die von Venturi als diejenige auf, welche für Leonardo als Physiker und
Mathematiker Propaganda machte.
Bis 1797 war also den naturwissenschaftlichen Kreisen der Name Leonardo da
Vinci fast fremd. Da erschien die Schrift von Venturi : Essai sur les ouvrages physico-mathe-
matiques de L. de V. in Paris und verbreitete zuerst die verlorne Kunde von Schriften
des Leonardo, die in das Bereich der induktiven Wissenschaften gehören. Dieselben
waren 1796 von den Franzosen nach Eroberung Mailauds nach Paris zum Theil über-
geführt, während sie zuvor in der Ambrosianischen Bibliothek zu Mailand wohlgeborgen
und der Einsicht des Publikums wenig zugänglich geruht hatten. Venturi hatte diese
reichen Manuskripte gesehen und durchstudirt trotz der Schwierigkeit, welche die Schreib-
weise Leonardo da Vinci's von rechts nach links mit sich brachte, — und hatte ge-
funden, dafs die Bedeutung dieser Schriften grofs sei und Leonardo mit Recht in die
Reihe der Beförderer des Wiederauflebens der induktiven Wissenschaften hervorragend
eintrete und als ein Vorgänger Galilei's zu betrachten sei. Dafs die Schrift Aufsehen
machte, bezeugt WhewelL indem er dieselbe sofort zur Ergänzung des betreffenden Ab-
schnittes seiner Geschichte der induktiven Wissenschaften benutzte. Schon vorher 1757
hatte Ximenes einen Brief des Leonardo an Christoph Columbus vom Jahre 1473 ent-
deckt „über die Wahrscheinlichkeit des Erreichens des Orient-Indiens auf dem intendirten
Wege", und in London ward von Richard Henry eine Karte von Amerika gefunden mit
Leonardo's Unterschrift, — die erste Karte Amerika's. Major Richard Henry: Memoir
on a Mappemonde by Leonardo da Vinci, being the earliest map hitherto known con-
taining the name of Amerika. Archaeologia Vol. XI. London. — 1828 ward endlich die
zusammenhängende Schrift Leonardo's: Del moto e misuia dell' Aqua di Leonardo da
Vinci in Bologna herausgegeben, während später Elia Lombardini in seinen Osservazioni
storico-critiche sopra dell' origini e del progresso della Scienza idraulica nel Milanese ed
in altre parte d'Italia gerade hervorhob, dafs Leonardo da Vinci der Urheber einer
systematischen Hydraulik gewesen sei.
Libri, in seiner Geschichte der mathematischen Wissenschaft, nimmt bereits ein-
gehender Rücksicht auf Leonardo und zitirt unter anderen auch Chasles, der in seiner
Geschichte der Geometrie an das Ovalwerk des Leonardo nach Mittheilung seines
Schülers anknüpft, wenn er auch dabei mit seinen Betrachtungen in der Irre geht, wie
21
Reuleaux*) gezeigt hat. Hier und da tauchen einzelne Betrachtungen des Leonardo auf,
abgesehen von dem trefflichen Werke über die Anatomie des Leonardo von Marx.
Michel Alcan gab in seinem Traite du travail de laine irrthümlich eine Zeichnung einer
Leonardo'schen Longitudinalscheermaschine für Tuche**), die in der That eine Maschine
zum Ziehen und Härten der Metallfedern war. Dies war die Veranlassung, dafs der
Verfasser dieser Abhandlung mit seinen bereits aus Liebhaberei an der Geschichte der
Technologie, welche er seit 1869 an der Königl. Gewerbe-Akademie vortrug, gesammelten
Notizen über Leonardo hervortrat und zunächst den Irrthum des Alcan nachwies unter
Beibringung der Kopien der Leonardo'schen Skizzen. Karmarsch nannte diese Skizze
in seiner Geschichte der Technologie „naiv", und um einmal die Bedeutung des Leonardo
für die Technologie darzulegen, veröffentlichte der Verfasser dieses eine Reihe Arbeiten
über Leonardo unter Beibringung der Handzeichnungen in Kopien seit Medio Dezem-
ber 1872. ***) Im Frühjahr 1873 erschien dann die Ausgabe II Saggio etc. mit 24 pho-
tographirten Tafeln und kurz darauf die treffliche Abhandlung von Alessandro Cialdi,
Leonardo da Vinci, fondatore della dottrina sul moto ondoso del Mare.****)
Alles dies regte den Verfasser an, nunmehr noch eingehender die Studien über
Leonardo fortzusetzen und zumal nach Kenntnifsnahme des bereits Veröffentlichten, dahin
zu streben, die Lücken auszufüllen. Bei allen diesen Studien und in dieser Wiedergabe
ihrer Resultate ist als erster Gesichtspunkt festgehalten : „Leonardo' s nachgelassene
Schriften gleichsam als eine Geschichtsquelle zu betrachten und aus ihr
Daten festzustellen für die geistige und materielle Entwicklung seiner
Zeit in Wissenschaft und Technik, um jene oben näher bezeichnete bisher
dunkel gebliebene Geschichte seiner Zeit so weit als möglich zu erhellen."
Daneben stellt sich unzweifelhaft heraas, welche Bedeutung Leonardo selbst als Mathe-
matiker, Mechaniker, Physiker, praktischer Ingenieur und Erfinder resp. Konstrukteur
hat, wie weit sein Genie seinen Zeitgenossen voraneilte.
IV.
Wir hatten bereits im I.Abschnitt dieser Abhandlung dargelegt, wie die philosophische
Betrachtungsweise des Aristoteles überall im Mittelalter die herrschende war. Wir werden
jn fernerer Darstellung noch speziell diesen Einflufs kennzeichnen müssen. Leonardo
zeigt sich in seiner Art und Weise der Beobachtung nicht von der aristotelischen Methode
befangen. Klar und deutlich, unseren jetzigen Anschauungen ungemein nahe verwandt,
gibt er die Prinzipien an, nach denen er die Naturbetrachtung, die Forschung vornimmt.
*) Verhandlungen des Vereins für Gewerbfleifs in Preufsen.
**) Zeitschrift des Vereins der Wollinteressenten 1870.
***) Allg. deutsche polyt. Zeitung von Dr. H. Grothe 1873.
****) Jl Politechnico. Mailand 1873. Nr. 3.
22
Die Art und Weise des Behandeins naturwissenschaftlicher und technischer
Fragen seitens des Leonardo finden wir in seinen Schriften selbst präzisirt, wo er sagt:
„Zuerst stelle ich bei der Behandlung naturwissenschaftlicher Probleme einige Experi-
mente an, weil meine Absicht ist, die Aufgabe nach der Erfahrung zu stellen und dann
zu beweisen, weshalb die Körper gezwungen sind, in der gezeigten Manier zu agiren.
Das ist die Methode, welche man beobachten mufs bei allen Untersuchungen über die
Phänomene der Natur. Es ist wahr, dafs die Natur gleichsam mit dem Raisonnement
beginnt und durch die Erfahrung endigt, aber gleichviel, wir müssen den entgegenge-
setzten Weg nehmen; wie ich schon sagte, wir müssen mit der Erfahrung beginnen und
mit ihren Mitteln nach der Entdeckung der Wahrheit trachten." — Ist das nicht die
gleiche Idee, die Franz Baco in seiner Vorrede zur Instauratio magna auseinandersetzte
und in der Einleitung seines Werkes, zum zweiten Theile, des Breiteren besprach, und
die er in seinem Novum Organum wiederholt als selbstbefolgt darlegte? Ein anderer
Wahlspruch des Leonardo besagt: „Die Theorie ist der Feldherr, die Praxis sind die
Soldaten," und wieder am andern Orte spricht er aus: „Der Interpret der Wunderwerke
der Natur ist die Erfahrung. Sie täuscht niemals; es ist unsere Auffassung, welche zu-
weilen sich selbst täuscht, weil sie Effekte erwartet, die die Natur nicht gibt. Wir
müssen die Erfahrung kousultiren in der Verschiedenheit der Fälle und Umstände, bis
wir daraus eine General-Regel ziehen können, die darin enthalten. Und wozu sind diese
Regeln gut? Sie führen uns zu weiteren Untersuchungen der Natur und zu Schöpfungen
der Kunst. Sie verhindern, dafs wir uns selbst verlieren oder andere, wenn wir Re-
sultate uns versprechen, die nicht zu erhalten sind." Ferner sagt er: „Es gibt keine
Gewifsheit in den Wissenschaften, wo man nicht einige Theile der Mathematik anwenden
könnte, oder die nicht davon in gewisser Beziehung abhinge. — In dem Studium der
Wissenschaften, welche mit der Mathematik zusammenhängen, sind diejenigen, welche
die Natur nicht konsultiren, oder die Autoren, welche nicht Kinder der Natur sind, ich
sage es laut, nur kleine Kinder. Die Natur allein ist wirklich der Lehrer des wahren
Genies. Und sehet die Sottise! Man spottet über einen Menschen, welcher lieber von
der Natur lernen will, als von Autoren, welche doch nur die Schüler derselben sind.4'
Und Vol. E. fol. 8 seiner Manuskripte schreibt Leonardo da Vinci:
„La meccanica e il paradiso delle scienze matematiche perche con quella
si viene al frutto delle scienza matematiche."
Alle diese Aussprüche geben uns die Erklärung für die unermüdliche Methode
und Arbeit des Leonardo auf wissenschaftlichem Gebiete, auf dem Gesammtgebiet der
Naturwissenschaften.
Wir übergehen hier die trefflichen Sentenzen, die Leonardo als Philosoph vor-
bringt über die menschlichen Leidenschaften, über den Glauben und die Religion, über
den Tod, über Selbstbeherrschung u. s. w. In allen weht ein tief gefühlvoller Geist,
23
eine Einfachheit und Klarheit der Anschauung, eine Ergebenheit in das Geschick, wie
es auch zugetheilt sei. Wir übergehen ferner seine poetischen Ergüsse, seine Sprach -
und grammatikalischen Studien, seine Schriften über die Malerei, und wenden uns der
näheren Betrachtung der Leistungen zu, die gleichsam Ausflüsse oder Resultate obiger
philosophischer Methoden sind.
Die mathematischen Kenntnisse Leouardo's sind von seinen Zeitgenossen und
Späteren hoch angeschlagen worden. Wenn Leonardo selbst auch vielleicht keine neuen
mathematischen Gesetze gefunden hat, so ist vor allen Dingen das anzuerkennen, dafs
er bei den Konstruktionen von Maschinen, dem Suchen nach Mechanismen u. s. w. stets
die Mathematik anwendete und sie, wie er sagt, als den wahren Schlüssel zur Forschung
benutzt. Libri schreibt ihm die Erfindung des -+- und — Zeichens zu In der That
bedient er sich dieser Zeichen durchweg, — allein es steht damit nicht fest, dafs die-
selben nicht arabischen Ursprungs gewesen seien. Jedenfalls ist Leonardo einer der ersten
in Italien, welcher dieser Zeichen sich bediente. Er beschäftigte sich in den Manuskripten
sehr viel mit der Geometrie, selbst auf Blättern, die eine mathematische Arbeit nicht
für nötbig erkennen lassen, erscheinen in den Ecken oder auch mitten darauf mathe-
matische Figuren. Die Quadratur des Kreises sucht er, — aber vergebens, und spricht
sich über die Unmöglichkeit, sie zu finden, endlich aus, da man nicht im Stande sei, auch
nur ein Stück davon absolut genau zu berechnen. — Leonardo konstruirte einen Pro-
portionalzirkel mit beweglichem Zentrum, welcher auch für irrationelle Proportionen gebraucht
werden kann. In gleicher Weise konnte er hiermit ein Oval für eine gegebene Propor-
tion zeichnen, wenn ein Kreis gegeben. Libri fügt hinzu, dafs gleiche Proportionszirkel
später von Tartaglia, Benedetti und Ferrari erfunden seien. Lomazzo erzählt, dafs Leo-
nardo's Ovalrad, ein wunderbares Werk, von einem Schüler des Melzi zu Denis gebracht
sei, welcher letztere dasselbe mit vielem Geschick gebrauche. Libri berichtet ferner, dafs
Leonardo die Oberflächenebenen als die Grenzen der Körper angesehen, die Linien aber
als Grenzen der Ebenen, und dafs er die doppelten Kurvenlinien der einfachen Kurven
bestimmt habe. Endlich ermittelte Leonardo den Schwerpunkt der Pyramide (was
früher dem Commandin oder Maurolycus zugeschrieben wurde), und zwar so, dafs er
ihn auf den Viertelpunkt der Graden verlegt, welche die Spitze der Pyramide mit dem
Schwerpunkt der Grundfläche verbindet. Leonardo gibt dazu eine Figur und eine Note,
welche zeigt, dafs er die Pyramiden in Ebenen parallel zur Basis zerlegte, wie wir es
heute thun.
Bedeutendes Gewicht legt Leonardo auf die Perspektive. Er nennt sie den
Zaum und das Steuerruder der Malerei, und theilt sie in drei Theile: 1) Verkürzung
oder Verkleinerung nach Linien und Winkeln, welche die Gröfse der Körper in ver-
24
schiedenen Entfernungen mit dem Gesichtspunkt bilden, der im Umfange des Bildes
und in gleicher Höhe mit dem Beschauer liegen mufs. — 2) Da zwischen das Auge des
Beschauers und das Bild eine gröfsere Menge Luft tritt, die den Körpern ihre Farbe
auch mittheilt, so müssen die Farben geschwächt werden. — 3) Die Umrisse müssen
geschwächt werden und gegen die Luft auslaufen. Leonardo ermahnt, bei Gebäuden die
Geometrie zu gebrauchen, um richtige Verhältnisse in das Gemälde zu bringen und die
Wirklichkeit und Wahrheit im Gemälde zu vergröfsern. Welchen Antheil Leonardo an
dem über de divina proportione des Pacioli gehabt, ist bereits erwähnt. Ebenso wird
derselbe angenommen bei Pacioli über de viribus quantitatis. Die Manuskripte enthalten
viele Zeichnungen und Beispiele für seine Gesetze der Perspektive. Libri erwähnt noch
eines vorhandenen Blattes mit der Aufschrift libro d'equazione, welches sich allerdings
im Codex Atlanticus befindet; allein weiteres ist nicht zu entdecken.
VI.
Wir finden, dafs Leonardo für die Mechanik sehr viel geleistet hat, und dafs er
selbst die höchste Lust an dieser Wissenschaft empfunden haben mufs, als er die Mechanik
das Paradies der mathematischen Wissenschaft nanntet Er besafs allerdings im hohen
Grade die Eigenschaften und Kenntnisse, welche dem wahren Mechaniker eigen sein
müssen, nämlich ausgedehnte mathematische Kenntnisse, Liebe und Verständnifs für die
Natur und Naturerscheinungen und eine scharfe Beobachtungsgabe, neben rastlosem
Denkervermögen, das nicht ruhete, bevor nicht das Beobachtete durchforscht war und
klar vor ihm lag. Ferner prüfte er an heterogenen Fällen das gefundene Gesetz
und legte sich selbst Fälle und Fragen vor, für eine Beweisführung des als zutreffend
Erkannten. In dieser tiefrichtigen Weise stellt er seine Kalkulationen an, und ermittelt
Kraft, Bewegung, Fall, Gewicht, Schwerkraft, Wellenbewegung u. s. f. In dieser Betrach-
tungsweise und zumal in seiner freien, von keiner hergebrachten Methode gefesselten
Beobachtung, in seinen eigenen Versuchen und Erfahrungen liegen die Erklärungen für
die überaus abweichende Stellung, die Leonardo's Mechanik einnimmt gegenüber der
Mechanik seiner Zeit. Um dies in das richtige Licht zu stellen, müssen wir auf die
Geschichte der induktiven Wissenschaften, speziell die Geschichte der Mechanik zurück-
gehen und den (bisher als geltend angenommenen) Standpunkt seiner Zeitgenossen kenn-
zeichnen.
Wir haben oben bereits gesagt, dafs Archimedes die Hebelgesetze feststellte und
in klarer Weise begründete; gleichzeitig mufsten wir bekennen, dafs nach Archimedes
Tode diese Anschauungen schnell verschwanden, und in der That finden wir sie Jahr-
tausende hindurch verdrängt durch die aristotelischen Lehren. Diese waren geltend. Wie
hatte sie Aristoteles erklärt?
25
Archimedes spricht deutlich aus, dafs zwei Gewichte im Gleichgewicht am Hebel
sind, wenn sie sich verkehrt verhalten, wie ihre Entfernungen von dem Unterstützungs-
punkte. Der Beweis dieses Satzes ist von Archimedes mit Bezug auf den Schwerpunkt
der Körper gegeben. Aber hiervon ward keinerlei Gebrauch gemacht, sondern Aristo-
teles erklärte rund weg, bei der Frage: Wie können kleine Kräfte grofse Lasten durch
Hülfe eines Hebels in Bewegung setzen, da doch hier nebst der Last auch noch der
Hebel selbst bewegt werden mufs? — Dies geschieht deshalb, weil ein gröfserer Halb-
messer sich stärker bewegt als ein kleinerer! — Wie kann ein kleiner Keil grofse Klötze
zersprengen? — Weil der Keil aus zwei entgegengesetzten Hebeln besteht. Bei diesen
Antworten ist die Beobachtung und eine Prüfung der Fälle absolut vernachlässigt. Da
die aristotelische Methode herrschend blieb, so vermochten die späteren Mechaniker,
selbst die, welche sich auf Archimedes' Gesetz stützten, nicht dieses Gesetz anzuwenden.
Sie versuchten dies freilich oft genug, z. B. für die Schraube, den Keil, die schiefe
Ebene, aber ohne Erfolg, was um so mehr wunderbar erscheint, als die schiefe Ebene,
durch welche die Wirkung der Kraft, die man an den Körper wenden will, vermehrt wird,
unter die einfachen Maschinen aufgenommen wurde. Allein das Verhältnifs der Ver-
mehrung der Kraft konnte keiner auffinden. Pappus (400 n. Chr.) stellte das Problem
auf, bei gegebener Kraft, die eine Last auf horizontaler Ebene bewege, die Vermehrung
dieser Kraft zu finden, die für den Fall nöthig, um dieselbe Last auf einer gegebenen schie-
fen Ebene zu bewegen, — ohne über Messung der Kraft, über die Art der Bewegung
u. s, w. irgend etwas zu bemerken. Er löste die Aufgabe oder glaubte sie zu lösen da-
durch, dafs er, unter Annahme der Kugelgestalt für die Last, die Wirkung der Berührung
der Kugel mit der schiefen Ebene vergleicht mit der Wirkung, wenn diese Kugel von
einem horizontalen Hebel getragen werde, dessen Hypomochlion jener Berührungspunkt
ist, wo die Kraft auf die Oberfläche der Kugel wirkt.
Aber diese Unfähigkeit der Benutzung und Begründung der Hebelgesetze dehnt
sich weit über Leonardo's Zeit hinaus, denn auch Cardanus, Jordanus u. A. können noch
nicht mit dem Beweise der schiefen Ebene fertig werden, obschon sie klarer sind und
der Wahrheit sich nähern. Aehnlich wie die Hebelgesetze schwebten die Begriffe im
Zweifel über die Bewegung. Ueber diese wichtige Lehre ist Aristoteles so verwirrt
wie kaum über etwas anderes. Er gebraucht dabei jenen „berüchtigten" Ausdruck
Entelecheia, der schon nach einigen Jahrhunderten gar nicht mehr verstanden wurde
und zu enormen Mifsverständnissen führte. Hermolaus Barbaras erzählt uns gar, er sei
von der Schwierigkeit, dieses Wort gehörig zu übersetzen, so sehr gepeinigt worden,
dafs er einst bei Nachtzeit den bösen Geist zu Hülfe rief. Allein der alte Spötter sagte
ihm nur ein Wort, das noch dunkler war als jenes, und endlich begnügte er sich selbst
mit dem selbstgefundenen Perfectihabilia*). Also Aristoteles sagt: „Die Bewegung ist
*) Whewell I. 59.
2Q
die Entelechie eines lebenden Körpers in Beziehung auf seine Beweglichkeit." Alle
Schriftsteller bis zu Galilei hin leben noch in des Aristoteles Problemen. Mit dem
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts tritt freilich eine etwas bestimmtere Ansicht
ein bei einigen. Gerade die Bewegung bildete den Hauptvorwurf der in mechanischen
Dingen arbeitenden Gelehrten. 1494 erschien Massimus de Motu locali, ferner Spanelli
Tornus, Fassembruno, alle zu Venedig, ferner folgten später Diodochus, Bassianus Landus,
Teisner (motus continuus, Lasnes, Jean Lorges, Cardanus, Borrius, Berri, Varro, Bona-
mici, Stecker, Findlinger, van der Hoop, Parcachi, Leiva; Moretti u. A.
In einzelnen dieser Schriften ist recht nachweisbar, wie natürliche Beobachtung
mit der aristotelischen Methode im Streite lag, und oft ist nur die letztere der Grund, dafs
nicht das Richtigs klar dargelegt wird. Hierfür bildet Jordanus Nemorarius in seinem
Werk de Ponderositate einen merkwürdigen Beleg.
Aehnlich ging es mit dem Begriff der Schwere. Aristoteles sagt: „In der
Physik nennen wir die Körper schwer oder leicht nach der Gewalt ihrer Bewegung!" wo-
rauf er gleich zufügt, dafs diese Erklärung für die wirkliche Operation der Körper nicht
angemessen sei, aufser dafs man das Wort Gewalt für beide Bedeutungen annehmen
wolle. Sein schlimmster Satz war jedoch der: dafs derjenige Körper der schwerere ist,
der bei gleichem Inhalt schneller abwärts geht. Thomas von Aquino spricht sich ganz
aristotelisch aus. Nachdem er, wie zufällig, bemerkt, dafs die Vermehrung der Quanti-
tät nicht die Ursache der Schwere sei, behauptet er, dafs jeder Körper, je gewichtiger
er sei, sich auch desto mehr mit eigener Kraft bewege. — Dennoch sind die Ansichten
hierfür klarer, und besonders wurde der Begriff des Schwerpunktes wenigstens im 15.
Jahrhundert schon festgehalten. Ubaldi bemerkt in der Vorrede seines Mechanicorum
über (1577), Archimedes habe mit Recht vom Schwerpunkte der Ebene geschrieben, ob-
gleich die Ebene nicht schwer sei. Solche Ebenen seien anzusehen als Grundflächen
eines Prismas.
Mit der dynamischen Wissenschaft stand es, wie wir bereits oben be-
rührt, ähnlich. Aristoteles lehrt bereits den Unterschied der natürlichen und der
gewaltsamen Bewegung. Aber lange blieb das Wesen derselben unklar. Man
bemühte sich zu zeigen, wie die gewaltsame Bewegung sich zu der Kraft ver-
hielte, die sie erzeuge. Das unglückliche Beispiel des Aristoteles, um die Ursache
der Bewegung eines Steines zu zeigen, der von der Hand geworfen sich fortzu-
bewegen fortfahre, — wurde am schnellsten von allen Lehren des Stagiriten beseitigt.
Man stellte jedoch ohne Klarheit dem Begriff Bewegung auch die Kraft bei und sprach
so von positiver Bewegung. Bei dem Beispiel der abgeschossenen Kanonenkugel trat
die Wandlung der Ansichten am meisten hervor. Man nahm allgemein an, und Tartaglia
(Nova Scienza 1551) glaubte noch, dafs die Kugel, nach Verlust ihrer positiven Bewe-
gung, sofort senkrecht herunterfalle. Santbach stellte sich das Herabfallen der Kugel
27
nach Erreichung des Endes der positiven Bewegung in Absätzen (treppenförmig) vor.
Rivius (1548) nahm an, dafs der Herabfall im Kreisbogen geschehe, wie später noch
Leonardo da Vinci und Galilei. Benedetti hatte zuerst eine Ansicht über die Ursache
der Wurfbewegung überhaupt, indem er darlegt, dafs der Stein oder die Kugel durch
die Luft gehindert werde (nicht getrieben, wie Aristoteles behauptete), und dafs die Be-
wegung des Steines überhaupt von einer gewissen Impression, von der Impetuosität
komme, die der Stein von der ersten bewegenden Kraft, von der Hand erhalte ! Bene-
detti's über speculationum erschien 1585. —
Es war unsere Absicht, im Vorstehenden in etwas zu zeigen, wie unvollkommen
man die technischen Probleme in der ganzen Periode von Archimedes bis zum 16. Jahr-
hundert behandelte. Erst mit der Lehre des Holländers Stevinus in Brügge (Prinzipien
der Statik und Hydrostatik 1586) und mit einzelnen Lehren des Varro, Cardanus, Bene-
detti, Ubaldi trat ein Verlassen der Irrlehren und der falschen Methode des Aristoteles ein.
So lautet wenigstens die bisherige Annahme der Geschichte der mechanischen Wissen-
schaften.
Nachdem Libri, Venturi und Neuere die Manuskripte des Leonardo durchforscht
haben, steht aufser Zweifel, dafs Leonardo bereits am Ende des 15. Jahrhunderts viele
dieser mechanischen Gesetze klar und deutlich aufgefafst hatte. Viele derselben hat er
handschriftlich hinterlassen, und sie geben dem Leonardo, will man ihn persönlich als
den Urheber derselben ansehen, mindestens eine gleiche Bedeutung für die Mechanik,
wie man Stevinus sie beilegt, zudem die Priorität.
Leonardo bringt uns zunächst über den Hebel folgende Betrachtung, bei welcher
das Verhältnifs der Kräfte in dem Falle, wo eine Schnur in schiefer Richtung auf einen
mit einem Gewichte belasteten Hebel wirkt, richtig dargestellt worden.
„Es sei (Fig. 1.) der Hebel Fig. l.
AT, sein Drehpunkt in A, das -
Gewicht 0 in T aufgehängt, und
die Kraft N, welche dem Ge-
wicht 0 die Waage hält. Man
ziehe AB senkrecht nach BO
und AG senkrecht auf CN. Ich
nenne AT den reellen Hebel; AB, AG potentielle Hebel;
und man hat die Proportion N : 0 = AB : AG Sei nun
M das Gewicht, gehalten durch das Seil AM, dessen Ende fixirt
ist in A (Fig. 2.) ; sei ferner das Gewicht und das Seil in AM
zurückgehalten aufserhalb der perpendikulären Stellung AB mittelst der Kraft F, deren
Richtung MF mit AM einen rechten Winkel bildet, — so wird die Kraft F sich zum
Gewicht M verhalten wie AG : AM.
4*
28
Fig. 3.
N
&
S
C
Ist die Korde FM (Fig. 3) durch zwei gleiche Kräfte an F und M gespannt, und be-
festigt man in der Mitte der Korde in N ein kleines Gewicht C, so wird dieses den Punkt
N bis A herabziehen, während die Gewichte an FM heraufsteigen. Mit dem Kadius MN
beschreibe man einen Kreis. Derselbe schneidet AM in B, und es wird nun die Bewegung
des Gewichtes S an M gleich AB sein. Der
Punkt N steigt herab, bis die Proportion
eintritt C: 8 = BA : NA, d. h. die respekti-
ven Bewegungen beider Gewichte C und S
verhalten sich umgekehrt wie die Gewichte
selbst. — Daraus folgt, dafs, wenn die Korde
in F und M festgestellt ist, das Gewicht C dieselbe um so mehr belastet, je
weniger sie sich biegen kann. Diese Gesetze der Statik, die,- wie man sieht, dem
Leonardo vollkommen klar waren, erhalten in seinen Manuskripten zahlreiche Erweite-
rungen, die, wenn auch mit keinem speziellen Beweis versehen, zeigen, dafs Leonardo
das Gebiet durchaus beherrschte und von den einzelnen Gesetzen Anwendung zu
machen wufste. Das was seine Zeitgenossen noch mangelhaft zu präzisiren verstanden,
und was noch Benedetti zaghaft Impetuosität nannte, finden wir bei Leonardo
ganz klar betrachtet. Er hatte sich den Begriff „Kraft" gegenüber den „Bewegungen"
der Körper fest formulirt, ganz und gar abweichend von den herrschenden Lehren
des Aristoteles. In gleicher Weise sehen wir auch, dafs Leonardo die ihm vollkommen
geläufigen Hebelgesetze zur Erklärung der Rolle, der schiefen Ebene, des Keils an-
wendet. Die Erklärung für den He rabgang der Körper auf der schiefen Ebene,
welche, wie wir gesehen haben, weder seinen Vorgängern noch Zeitgenossen gelungen
und erst durch Stevinus mittelst der Hebelgesetze geführt wurde, ist von Leonardo
in zweifacher Weise so gut gegeben als von dem Holländer. Eine direkte Erklä-
rung (die bisher auch Libri und Venturi entgangen war) enthält der Ambrosianische
Codex Atlanticus. Wir finden darin hinter einander die folgenden Figuren, mit kleinen
Berechnungen daneben, welche nur Zahlen enthalten und füglich hier überflüssig sind.
In der Figur 4 zeigt er den Körper auf horizontaler Ebene und die Schwerpunktslinie
Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6.
als Normale zur Ebene. In der Figur 5 gibt er an, wie die Schwerpunktslinie nicht
mehr normal zur Ebene steht und der Körper durch eine Kraft herabgetrieben wird.
In der Figur 6 gibt er eine Andeutung, in welchem Verhältnifs die Kraft, welche den
Körper herabtreibt, zu der Kraft, welche ihn zurückhalten will, steht, indem er von den
Mittelpunkten der Radien, die den horizontalen Durchmesser bilden, Senkrechte zur
Grundebene zieht und die Relation in der Differenz der Höhen beider Perpendikel mit
dem Neigungswinkel der schiefen Ebene in Betracht zieht. Es fehlen uns hierzu, wie
bemerkt, die Worte des Leonardo, allein die vielfachen Variationen in der Darstellung
des letzten Falles lassen wohl darauf schliefsen, dafs Leonardo diese Beziehungen
vollkommen verstand. Er geht dann weiter in der Betrachtung der schiefen Ebene
und gibt uns in der Figur 7 und 8 Beweis davon, dafs er die schiefe
Fig. 7. Ebene mit dem Hebel vergleicht und damit zu erklären versucht.
Stevinus erläuterte die Grundeigenschaft der schiefen Ebene so, dafs
er eine Kette mit 14 gleich grofsen Kugeln in gleichen Zwischen-
räumen belastet sich dachte, welche über einen dachartigen dreiseiti-
gen Balken mit horizontaler Basis hänge. Die zwei dachförmigen
Seiten, die sich in den Längen wie 2 : 1 verhielten, trugen die
eine 4, die andere 2 Kugeln. Stevinus zeigte, dafs die Kette in dieser
Lage in Ruhe verharren müsse, weil nämlich jede Bewegung derselben auf dieselbe Lage
wieder zurück führen müsse ; dafs der andere mit den übrigen 8 Kugeln beladene Theil
der Kette immerhin ganz weggenommen werden könnte, ohne das Gleichgewicht zu
stören, und dafs daher 4 Kugeln auf der längeren Fläche jene zwei auf der kürzeren
ebenfalls im Gleichgewicht erhalten; d. h. dafs die Gewichte sich wie die Längen dieser
Flächen verhalten (Whewell II. p. 17). Dies zeigt nun Leonardo (also volle 80 Jahre
früher) durch die einfache Zeichnung, so dafs man wohl keinen besseren Beweis
Fig. 8. _ zu führen
braucht.*)
In Fig. 8 a
bemüht sich
Leonardo, für
zwei gleiche
Gewichte die
Gleichgewichtslage zu ermitteln, wenn A
seine Lage nicht ändern soll, also an einem
Tau senkrecht von der Rolle JB herabhängt, a
C aber durch verschiedene schiefe Ebe-
nen 1, 2, 3, 4 . . unterstützt wird. —
Fig. 8a.
*) Man könnte, ohne die übrigen Deduktionen
des Leonardo zu kennen, allerdings auch ver-
muthen, als ob dem Leonardo vorschwebte, dafs
die Kräfte sich wie die Basislängen der schiefen
Ebene verhielten. (G.)
S H- 3 2 /
30
Aber auch die andere Weise der Beweisführung des Leonardo genügt vollkommen,
wie er oben durch die schiefe Zugrichtung am Hebel geführt worden ist.
Leonardo schwang sich in seiner Anschauung sogar bis zur Bestimmung der-
zeit des Herabganges empor und fand die Zeit des freien Falls des Körpers von dem-
selben Anfangspunkte im Verhältnifs der Länge und Höhe der schiefen Ebene. Venturi
gibt uns hierüber nach den Manuskripten in Paris (N. A. B.) folgende Darstellung und
nähere Begründung.
Fig. 9. „ Der Herabgang des Körpers A (Fig. 9) auf der
Linie AC hat im Vergleich zu dem Fall AB eine um so
gröfsere Zeit nöthig, als AG länger ist als AB" Ferner
sagt er: „Ein Körper vi wird, nachdem er über CE herab-
gegangen ist, bis nach B hinaufsteigen mit derselben
Schnelligkeit, wie ein gleicher Körper, der von A nach B auf der geraden Linie AB
läuft." Im Codex B findet sich die Stelle: „Der schwere Körper A (Fig. 10) steigt
schneller auf dem Kreisbogen ACE herab, als auf
der Linie AE." Venturi weist in seiner Erklärung hier-
zu darauf hin, dafs Vinci und später Galilei gefunden
haben und festhielten, dafs der Kreisbogen für den
Fall der Körper der Weg des Minimums der Zeit-
dauer sei, während später gezeigt ward, dafs dies die
Cycloide sei. Allein Venturi meint, dafs sich auch
für den Kreisbogen dies Zeitminimum annehmen lasse, mit Hülfe der synthetischen Me-
thode bestimmbar, nach folgendem Theorem:
Der Kreisbogen, welcher 60° nicht überschreitet, bewirkt im Vergleich zu allen
anderen Kurven, welche man innerhalb zwischen den Endpunkten des Bogens ziehen
Fig. 11
kann, den schnellsten Herabgang desselben Körpers.
Der Kreisbogen von 90° bewirkt im Vergleich zu
allen anderen Kurven, welche man aufserhalb
zwischen den Endpunkten des Bogens ziehen kann,
den schnellsten Herabgang desselhen Körpers. Seien
C (Fig. 11) der Mittelpunkt des Kreises, CF die
Senkrechte zum Horizont EMF ein Bogen, welcher
60° nicht überschreitet, EqF eine andere beliebige
Kurve innerhalb des Bogens EMF. Man ziehe Cm
und schlage mit CQ den Bogen Qq, ferner AE,
BQ, Dm parallel zum Horizont; man nehme aus
AB, AD das arithmetische Mittel AX und das geo-
metrische Mittel AZ, so hat statt AZ<AX, und es
wird sich verhalten die Schnelligkeit bei IT zu der bei
31
ED
A = AD : AZ. Nimmt man an, dafs CD > 2 .42?, so wird auch CD :BD>AD.XD
und GD:GB<iAD\ AX und < ^1X> : AZ, oder CD:CB=CM:CQ = Mm : % somit
Mm:AD<Qq:AZ<QI:AZ. Diese Verhältnisse geben die Zeit durch ilfra an und
die Zeit durch QI. Wenn nun die Zeiten beider Herabsteigungen in demselben Moment
beginnen in E, so wird die Zeit des totalen Herabgehens auf EMF kürzer sein als die
des totalen Herabsteigens auf EQF.
Fig. 12 Für den zweiten Fall sei AMB (Fig. 12) der Kreis-
bogen von 90° und AQB für eine der möglichen Kurven
aufserhalb des Bogens, so hat man
Qq:Mm= CQ : CM=DQ: EM>__
VDQ : \EM
Also Qq : y~DQ > Mm : }/EM. Folglich ist die Zeit durch
Qq ausgedrückt länger als die Zeit durch Mm ausgedrückt
und folglich auch die durch die ganze Kurve resp. Bogen
ausgedrückte Zeit. —
Venturi will hiermit darthun, dafs die Anschauungen
des Leonardo sich noch jetzt vertheidigen lassen. In
der That aber ist der Scharfsinn des Leonardo auch hierbei wieder zu bewundern, da
ihm sicherlich die Ideen vorschwebten und nicht unklar waren, denen später Galilei
Ausdruk gegeben hat.
Hier anschliefsend müssen wir noch jene Stelle des Leonardo zitiren (G. 55), in
weicher er über den Fall der schweren Körper abhandelt, und zwar in Verbindung mit
der Rotation der Erde. Wir bemerken vorweg, dafs die allgemeine Annahme, dafs
Kopernikus der erste gewesen sei, der eine Bewegung der Erde aussprach und zu be-
weisen suchte, durchaus unrichtig ist. Vielmehr finden wir seit Ptolemaeus mehrfache
Andeutungen hierüber. Die allmählich sich bahnbrechende Ansicht von der Kugelgestalt
der Erde mufste durchaus dazu führen, dafs diese Kugel irgend eine Bewegung habe.
Gerade die Gegner solcher Theorien führen uns darauf hin, dafs man frühzeitig solche
Ideen fafste. Vor allem stand die Kugelgestalt der Erde bereits um 400 fest, denn dei-
nen". Augustinus leugnet sie nicht, ebensowenig die späteren Schriftsteller. Aber die
Art der Sterne und ihre Befestigung, die Befestigung und Stellung der Erde, die
Frage der Antipoden, — das waren Gründe zu heftigen Diskussionen. Und wenn
Lactantius sagt, er sei wahrhaft in Verlegenheit, wie man solche Leute nennen solle,
die eine solche Thorheit begingen, zu behaupten, dafs die Körper gegen den Mittelpunkt
der Erde hinfielen, so zeugt dies davon, dafs die Philosophen diesem frommen Mann
des vierten Jahrhunderts viel zu schaffen machten und ihn gewaltig mit den Betrach-
tungen ärgerten, die er emphatisch für eitel und nichtig erklärt hatte. Die Kugelgestalt
und die Anziehung der Erde war im 13. Jahrhundert bereits etwas allgemein Bekanntes.
32
Wir erinnern auch an die interessante Stelle Dante's, Inferno XXXIV. 88 cf., wo er den
Durchgang durch den Mittelpunkt der Erde beschreibt. Im Anfang des 1 6. Jahrhunderts
war es Nicolas de Cusa, welcher die Drehung der Erde theoretisch nachweisen wollte,
aber in der metaphysischen Beweisführung stecken blieb.
Die Art und Weise, in welcher Leonardo die Drehung der Erde in folgender
(und in vielen andern) Stelle benutzt und gleichsam als etwas einfaches und bekanntes
voraussetzt, läfst uns wohl mit Recht darauf schliefsen, dafs diese Auffassung die seiner
Zeit war. Leonardo gibt uns aber in diesem Falle eine mechanische Betrachtung über
die Relation gleichzeitiger Bewegungen, — welche bisher dem Gassendi zugeschrieben
wurde, zufolge seiner Abhandlung: de motu impresso a motore translato. Später hat
d'Alembert gezeigt, dafs die senkrecht gegen den Zenith emporgeworfenen Körper nicht
auf den Ort ihres Abganges zurückfielen, und erst später folgten die Versuche hierfür am
Pisaer schiefen Thurme.
Leonardo sagt : Sei Fig. 13 A der Körper,
welcher in den Elementen fällt, die er durcheilt,
um nach dem Mittelpunkt der Welt M zu kommen.
Ich sage, dafs diese Last, herabsteigend in einer
Spirale, nicht aus der graden Linie herausgehen
wird, welche sie als Weg nach dem Mittelpunkt der
Erde verfolgen mufs. Denn wenn der Körper von
A ausgeht, um nach B zu kommen, so wird, wäh-
rend er nach B geht und in die Lage von G kommt,
der Punkt A bei Drehung in D ankommen; be-
trachtet man nun die Lage des Körpers, so findet
man, dafs er noch immer in der graden Linie sich
befindet, welche (erst A) jetzt D mit dem Mittel-
punkt der Welt verbindet. Wenn der Körper nach F weiter geht, wird zu gleicher Zeit
der Punkt D nach E wandern. Während des Herabsteigens von F nach O bringt die
Drehung E in die Lage von H. So steigt der Körper auf der Erde herab, immer ober-
halb des Ausgangspunkts. Das ist eine zusammengesetzte Bewegung, sie ist zu gleicher
Zeit gradlinig und kurvenförmig. Sie ist gradlinig, weil der Körper sich immer auf
der kürzesten Linie befindet, welche sich ziehen läfst von dem Ausgangspunkt der Be-
wegung nach dem Zentrum der Elemente. Sie ist kurvenförmig an sich und in jedem
Punkte des Weges. Daher wird ein von der Höhe eines Thurmes geworfener Stein nicht
an die Mauern des Thurmes anschlagen, bis er die Erde erreicht." —
Obgleich ein Jahrtausende bekannter und angewendeter Mechanismus, hatte doch
die Rolle seit Archimedes keinen Erklärer gefunden, der ihr Prinzip auf den Hebel
.zurückgeführt hätte. Auch hierher trat Stevinus (so weit bisher bekannt war) zuerst
33
ein, und vor ihm hatte^Ubaldus (1577) eine ähnliche Beweisführung versucht. Nun fin-
den wir aber, dafs Leonardo diese Zurückführung der Rolle auf das Prinzip des Hebels
in leichtester Weise bewirkt und in dieser Anschauung lebt und webt. Wir haben ca.
50 Skizzen in den Manuskripten des Leonardo gefunden, die dies Verhältnifs darlegen.
In Fig. 14 gibt er in einfacher Weise das Verhältnifs der bewe-
genden Kraft am Rade zu der zu überwindenden Last an der Welle,
resp. umgekehrt, an. Er zeigt ferner an vielen Skizzen die ver-
schiedenen Längen des kontinuirlichen Hebelarmes, die Relation der
Lasten an denselben zur Kraft, er gibt eine grofse Anzahl von
Apparaten an, bei welchen die Rolle als Hebel benutzt ist, und be-
stimmt ihre Verhältnisse. Er zeigt, wie die mechanische Wirksam-
keit der Rolle durch Kombination mehrerer solcher sehr erhöht
werden könne, und macht dies deutlich durch eine treffliche Skizze, in welcher, vom
gleicharmigen Hebelarm ausgehend, gezeigt wird, wie durch Anfügung eines Rollensystems
von sechs Rollen der eine Arm des Hebels gleichsam um so viel vergröfsert, verlängert
wird, dafs die Lasten an diesen Armen sich wie 1:4 verhalten. Von da kommt er zur
Beleuchtung des Flaschenzuges. Es ist ja allbekannt und von Förster in seiner
Bauzeitung noch speziell beschrieben, wie Leonardo ein Meister in Hebung schwerer
Lasten bei Bauten etc. gewesen ist. Er konnte dies leisten, weil er die mechanischen
Gesetze beherrschte.
Fie- 15- In Fig. 15 berechnet Leonardo ein Wellrad
zum Aufwinden, indem er dasselbe als ungleicharmigen
Hebel darstellt und den Hebelarm, an welchem die
Jf3^^ JL Kraft angreift, in 19 Theile = dem Halbmesser der
Uzo LS Welle theilt vom Befestigungspunkte an his zum Ende.
Er findet so, dafs eine Kraft gleich 20 einer Last gleich 400 im Stande sei die Waage zu
halten. Für unsere Zeit freilich und bei der verhältnifsmäfsigen Unkenntnifs der Geschichte
der Entwicklung der Mechanik ist es überraschend, dafs diese einfachen Thatsachen zuerst
von Leonardo wieder in ihrem natürlichen Zusammenhange dargestellt wurden, — seit
Archimedes und Vitruv.*) Dieser Erkenntnifs des Leonardo haben wir aber auch seine
in der That einzig für seine Zeit dastehenden Entwicklungen der Naturgesetze und die
Konstruktion resp. Erfindung vielfältiger Mechanismen und Maschinen zu verdanken!
*) Es darf wohl nicht übersehen werden, dafs der Hebel, die Rolle und der Flaschenzug den
Griechen und Römern wohlbekannt blieben, sowie dals Vitruv (200 Jahre nach Archimedes) dieselben
nicht nur beschrieb, sondern auch das Hebelgesetz ausdrücklich — mit Hinweis auf die in Aller Händen
befindliche Schnellwaage — erweist. L. X. C. 7. Die Red.
Jedoch erstreckte sich dies nur auf die Eigenschaften des Hebels, der Rolle etc. nicht
auf die Erklärung. Vitruvs Darstellung wurde erst wieder im 15. Jahrhundert anerkannt, gegenüber den.
Aristotelikern. (Gr.)
5
34
Betrachten wir nun die mechanischen Arbeiten des Leonardo weiter, so müssen
wir zunächst folgende Stelle von pag. 185 des Codex N (Paris) anführen.
„Wenn man irgend eine Maschine gebraucht zum Bewegen schwerer Körper,
so haben alle Theile der Maschine, welche eine gleiche Bewegung mit derjenigen des
schweren Körpers haben, eine dem ganzen Gewicht des Körpers gleiche Belastung.
Wenn der Theil, welcher der bewegende ist, in derselben Zeit mehr Bewegung äufsert
als der bewegte Körper, so hat er mehr Kraft als der bewegte Körper, und er wird sich
um so viel schneller bewegen als der Körper selbst. Wenn der Theil, welcher der be-
wegende ist, weniger Schnelligkeit hat als der bewegte, so wird er um so viel weniger
Kraft haben als der bewegte Körper." In diesen Worten liegt der Grundgedanke des
Prinzips der virtuellen Geschwindigkeiten, dafs bei jeder Maschine sich die Kräfte,
die einander das Gleichgewicht halten, untereinander umgekehrt verhalten wie ihre vir-
tuelle Geschwindigkeit. Dies Gesetz ist später von Ubaldi präzisirt und sodann von Galilei
in seiner Abhandlung „Ueber die Wissenschaft der Mechanik" (1592) genauer auseinander-
gesetzt worden, so dafs man bisher Galilei als den Urheber dieses Gesetzes betrachtete.
Ueber die Begriffe „Kraft", „Bewegung" u. s. w. äufsert sich Leonardo wie folgt:
a. „Kein sinnlich wahrnehmbares Ding kann sich von sich selbst bewegen, sondern
seine Bewegungwird durch Anderes bewirkt. "(Dieses AndereistdieKraft,Forza.)
b. „Kraft ist eine unsichtbare (spirituale) Macht (potenza), unkörperlich und
ungreifbar, welehe die Ursache sein kann, dafs die Körper durch zufällige
Heftigkeit der Einwirkung den natürlichen Zustand der Ruhe aufgeben.
Ich sage unsichtbar (spirituale), weil sie ein unsichtbares Dasein hat;
ich sage unkörperlich und ungreifbar, weil sie nicht körperlich ent-
steht und weder in Form noch Gewicht wächst."
c. „Die materielle Bewegung wird bewirkt durch Gewicht und Kraft. Aber
es ist eine andre Bewegung die, welche durch die Schwere bewirkt wird,
und die, welche durch die Kraft entsteht, und die, welche durch ähnliches
als die Kraft erwirkt wird."
d. „Wenn ein Körper durch eine Kraft (potenza) bewegt wird in gegebener
Zeit und in einem solchen Räume, so wird dieselbe Kraft auch im Stande
sein, ihn zu bewegen in der Hälfte der Zeit durch die Hälfte jenes Raumes,
oder in zweimal soviel Zeit zweimal durch jenen Raum."
e. „Kein bewegter Körper kann sich schneller bewegen, als die Geschwindig-
keit der Kraft, welche ihn bewegt, erlaubt."
f. „Jede Aktion erfordert Bewegung."
g. „Jeder Körper wiegt (peso) in der Richtung seiner Bewegung. (Inertia!)"
h. „Der freifallende Körper erlangt in jedem Grade der Bewegung Grade der
Beschleunigung."
35
i. „Der Stofs (percussione) ist eine Kraft, ausgeübt in kurzer Zeit."
k. „Jede Bewegung, welche durch Reflexion entstand, beendigt ihren Lauf
auf der Linie der Incidenz. Die Incidenzbewegung hat eine gröfsere Macht
(potenza), als die reflektirte Bewegung. Das, was mehr Kraft hat, dauert
länger als das, was weniger kräftig ist." —
1. „Es ist unmöglich, dafs zwei Körper einer durch den andern hindurchgehen."
In allen diesen Sätzen, deren Zahl sich leicht vermehren liefse, gibt Leonardo
den Beweis für die Schärfe seiner Auffassungskraft. Während er darin die Grundlagen
für eine Darstellung der wichtigsten mechanischen Gesetze ausspricht, das Beharrungs-
vermögen, die Bewegung durch plötzliche Einwirkung und die Idee der Kraft, freiwillige
und unfreiwillige Bewegung, gleichförmige Bewegung näher feststellt, gibt er in den
letzten Sätzen mit klassisch kurzem Ausdruck unsere heutigen Ansichten wieder. Nur
in dem Satz e unterläuft ihm die Aristotelische Anschauung ein wenig. Der Satz h ist
dagegen eine bedeutungsvolle Andeutung des später von Galilei ausgesprochenen Ge-
setzes. Der Satz d spricht, wie Govi sehr richtig bemerkt, klar aus: Der durchlaufene
Raum ist proportional der Zeit, für die gleichförmige Bewegung! —
Alle diese Sätze aber gehören wahrscheinlich den diversen Schriften des Leonardo
an, die er selbst öfter zitirt, nämlich libro del moto, Trattato di percussione, Elementi
macchinali, libro del impeto, libro di gravita u. A. Solche Schriften scheinen in Form
von Leitfäden angelegt worden zu sein, nach §§ geordnet, auf die Leonardo dann in
gewissen Fällen einfach hinweist. Z. B. Questa e manifesta per la dodicesima e provasi
ancora per l'ottava, che dice etc. — In dem Londoner Manuskript des Leonardo ist eine
Abhandlung Moto ondoso del mare enthalten. Auch hier die obigen Zitate, die sich
auch auf eine vorhandene Zusammenstellung der hydrostatischen Gesetze beziehen.
Gegen die kontinuirliche Bewegung oder das Perpetuum mobile spricht sich
Leonardo ganz entschieden aus.
In seinen Schriften sind häufige Stellen darüber und die Reihe der Zeichnungen
dafür ist bedeutend. Alle die Ideen mit gefächerten Rädern und Kugeln, Kugeln an
Armen, u. s. w. finden bereits bei Leonardo eingehende Beurtheilung und Verurtheilung,
und bei einer dieser Zeichnungen, bei welcher Leonardo 32 Kugeln voraussetzte und
ausführlich berechnet, findet sich das Wort „Satanasso" zugefügt, welches vielleicht der
letzten Kugel gilt, deren Berechnung ebenfalls kein günstiges Resultat gab. Die Ueber-
zeugung von der Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile und die Begründung dieser
Ueberzeugung gibt der mechanischen Kenntnifs des Leonardo besondere Bedeutung.
Wie Govi auch richtig bemerkt hat, findet man bei Leonardo, ein Zeichen seines ernsten
Strebens und seiner Aufrichtigkeit, häufig am Schlufs von Rechnungen, Konstruktionen
etc. die Worte: falso! oder non e desso! oder errato! — gleichzeitig allerdings für uns
jetzt ein Mittel, ihn, den Schreiber selbst, richtig zu beurtheilen. Er schreibt: „Contro
5*
36
del moto perpetuo. Keine greifbare Sache bewegt sich von selbst; daher wenn sie sich
bewegt durch eine ungleiche Kraft d. h. bei ungleicher Zeit oder Bewegung oder Schwere
entweicht schnell der erste Antrieb, und plötzlich verliert sich auch das zweite (nämlich
die Bewegung)." „Kein bewegtes Ding kann nach seinem Herabfall zur gleichen Höhe
sich wieder emporheben, also hört die Bewegung auf." Leonardo zeigt dasselbe an
Hebung des Wassers und an vielen andern Beispielen. —
Leonardo ist bei Betrachtung der Bewegungsgesetze auf die Einflüsse der Rei-
bung eingegangen, und zwar viel spezieller, als man glauben sollte. Seine Arbeiten
hierüber sind aus Versuchen sicherlich hervorgegangen. Er hat die Reibung von Flächen
bestimmt unter vielen Variationen, sodann die Zapfenreibung, und für beide Betrach-
tungen gibt er viele Skizzen. Er spricht zunächst allgemein sich so aus:
„Die Reibungen (confregazione) der Körper sind von so verschiedener Gewalt,
als es Variationen der Schlüpfrigkeit der Körper, welche sich reiben können, gibt. Die
Körper, welche mehr geglättet (pulita) sind auf der Oberfläche, haben eine leichtere
Reibung. Körper von gleicher Schlüpfrigkeit (lubricita) haben kräftigere und schwerere
Widerstände bei der Reibung. Jeder Körper widersteht bei der Reibung mit einem
Viertheil seiner Schwere, vorausgesetzt eine glatte Ebene und polirte Oberfläche. Wenn
ein polirter Körper eine polirte schiefe Ebene zu passiren hat mit dem Viertheil seiner
Schwere, so ist er von selbst geneigt zur Bewegung auf dem Abhang. Die Reibung
irgend eines Körpers mit verschiedenen Seitenflächen macht einen gleichen Widerstand,
gleichviel auf welcher Seite er liegt, .wenn es nur immer eine Ebene ist, wo er sich
reibt." Leonardo spricht sodann über die Reibung der Räder und vergleicht sie mit
unendlich kleinen und verminderten Schnitten, bei welchen nicht Reiben, sondern nur
Berühren statthabe. Die Fol. 195 des Codex Atlanticus enthalt Betrachtungen nebst
Illustrationen über die Reibung der Körper auf Flächen und runder Körper in Lagern.
Besonders scheint die Relation zwischen der Gröfse der Oberfläche und der Gröfse der
Reibung der Gegenstand der Betrachtungen gewesen sein, die in gleicher Richtung an-
gestellt waren, wie die Versuche Coulomb's, welcher später die Reibungsgesetze feststellte.
Eine wesentlich neue Betrachtung, für seine Zeit neu und fast einzig dastehend,
wendete Leonardo da Vinci der Festigkeit der Körper zu und zugleich der für ihre
Benutzung in gewissen Fällen notwendigen Haltbarkeit gegenüber den auf sie einwir-
kenden Kräften. So widmet er eine ausführliche und sehr eingehende Abhandlung der
Festigkeit der Balken, und die Figuren, welche wir heute in unsern technischen Lehr-
büchern zu finden gewohnt sind, um z. B. die relative Festigkeit und die absolute
Festigkeit deutlich zu machen, sehen wir in grofser Reichhaltigkeit bereits auf Leonardo's
Skizzenblättern. Dafs für ihn als Baumeister und Wasserbauingenieur allerdings solche
Bestimmungen nicht allein nahe lagen, sondern von ihm auch gern durchgeführt wurden,
nimmt uns bei dem gründlichen Wesen des Leonardo nicht Wunder. Allein er unter-
37
suchte auch die Druckfestigkeit und Zugfestigkeit eben so eingehend und seine
Resultate kommen unsern heutigen Annahmen sehr nahe.
Leonardo's Berechnung über die nothwendige Kraft zum Einschlagen von Nägeln,
Bolzen n. s. w. und die daraus sich ergebende Stärke und beste Form derselben sind
nicht minder beachtenswerth. Dieselben verbreiten sich sodann auf die Theorie des
Keils. Bei Gelegenheit der Darstellung der Kanonenbohrerei berechnet Leonardo die
benöthigte Stärke der Achsen oder Zapfen am Lauf und besfimmt die vortheilhafteste
Stelle, wo dieselben angebracht werden. Aehnliche Berechnungen führen ihn zur Kon-
struktion der Rammen und des Rammbärs, zur entsprechenden Form der Ketten und
der Gliederketten, der Thürangeln, und einer grofsen Anzahl anderer Details für Maschi-
nenbau und Baukunst.
Leonardo war ein Talent, das durch und durch in der Mechanik wurzelte.
Sowie er der Mechanik oblag zum Zweck der Ermittelung der Naturgesestze, so wandte
er sie an für die Malerei zur Ermittlung der natürlichen Verhältnisse und Formen
und seine anatomischen Studien waren wesentlich mechanischer Art, denn für ihn
waren Arme und Beine Hebel. Im 4. Kapitel seines Traktats von der Malerei han-
delt er hierüber genauer ab. Die Bewegung der Thiere und Menschen resp. deren
Glieder erklärt er nach den Gesetzen der Statik und Mechanik in ungemein fafslicher
Weise. Leonardo betrachtet zuerst den Zustand der Ruhe und erklärt: „Der Mangel
an Bewegung eines jeglichen Thieres entspringt von der Entziehung der Ungleichheit,
welche die einander entgegengesetzten Schweren haben, die sich auf ihr eigenes Gewicht
stützen." „Die Bewegung kommt von dem Aufhören des Gleichgewichts oder von dessen
Ungleichheit her." Aus diesen beiden Grundgesetzen entwickelte Leonardo nun eine
Reihe Fälle. Er zeichnete gleichsam hierzu ein Skizzenbuch für den Fechtmeister Borri,
worin er die einzelnen Stellungen rein mechanisch behandelte.
Ein wichtiger Beweis für seine eigenen Aussprüche über die Bedeutung der
Mathematik und Mechanik liefert Leonardo selbst durch die Art und Weise, wie er die
Gestalt der Ornamente geometrisch und mechanisch bestimmt. Im Codex Atlanticus sind
eine Reihe Blätter allein diesem Gegenstande gewidmet, und es verdienten diese Blätter
vor allem eine gröfsere Verbreitung zum Nutzen unserer Kunstgewerbe.
VII.
Whewell sagt in seiner Geschichte der iudnktiven Wissenschaft Bd. I. p. 86:
„Archimedes*) legte nicht allein den Grundstein zur Statik der soliden Körper, sondern
er löste auch das Fundamental -Problem der Hydrostatik glücklich auf. Diese Auf-
lösung ist um so merkwürdiger, da das von ihm für die Hydrostatik aufgestellte Prinzip
*) Archimedes, ntgi ruv txovPtvuv' e^- David Rivaltus Paris 1615.
38
nicht nur bis zum Ende des Mittelalters unbenutzt blieb, sondern da es auch selbst dann,
als es wieder aufgenommen wurde, so wenig klar eingesehen worden ist, dafs man es
nur das Hydrostatische Paradoxon nannte." Archimedes hatte den Satz des
hydrostatischen Druckes, dafs sich ein auf eine Flüssigkeit ausgeübter Druck in der
Flüssigkeit nach allen Richtungen fortpflanzt, aufgestellt, allein nach den Annahmen der
Geschichte bisher waren es Steviuus und Galilei zuerst, welche dies Gesetz wieder in
seiner Klarheit begriffen und dasselbe zur Geltung brachten. In der That enthalten
alle Schriften des Mittelalters bis dahin, verführt von der aristotelischen Dogmatik, nur
ganz verworreno Auffassungen über das, was dies Gesetz mit absoluter Wahrheit vor-
stellt. Man lese nur des Cardanus Ideen hierüber, um sich von dem gänzlichen Abhand-
denkommen des Archimedischen Gesetzes zu überzeugen.
Von 1547 an wandte sich die Aufmerksamkeit der Hydrostatik und Hydrodyna-
mik wieder zu, und Fr. Commandinus machte sich verdient durch Edition der Schriften
des Hero und des Archimedes über diesen Gegenstand. Auch Baptist Porta edirte 1601
ein Werk Pneumaticorum libri tres, in welchem er auf Heros Werk näher einging. Von
da ab folgen Gasparis, Schottius, Bardius, Mersenne und Boyle's Hydrostatical parodoxes
made ut by new Experiments. Zuvor hatte Pascal 1653 seine Schrift vom Gleichgewicht
der Flüssigkeit herausgegeben u. s. w. ; Galilei's Schrift über die schwimmenden Körper
1612 fand bekanntlich heftige Gegner und sein Schüler Castelli hatte alle Hände voll zu
thun, die Angriffe Colombe's, Vincenzio des Gracia u. a. abzuwehren. Alle diese Schriften
sind also einer späteren Zeit, als in der Leonardo lebte, angehörig. Von Leonardo da
Vinci haben wir bereits oben angeführt, welches Verdienst er sich als Wasserbau-Inge-
nieur um seine Zeit und sein Vaterland erworben hat, ein Verdienst, das heute noch in
vollem Umfange besteht, und so fortwirken konnte, weil seine Bauten mit ungemeiner
Schärfe projektirt waren und sorgsam durchdacht ausgeführt wurden. Der Adda-Kanal und
vor allem der Kanal von Martesana im Veltlin mit seiner wunderbaren Bewässerungsmethode
sind Meisterwerke für alle Zeiten. Aus der Trefflichkeit dieser Arbeiten läfst sich schon
schliefsen, dafs Leonardo nicht sowohl Herr über rationelle Benutzung des Wassers war,
sondern dafs er auch alle Eigenschaften dieses wichtigen Elements vom Grunde studirt
hat. Bei seiner scharfen Auffassungsgabe konnte es nicht fehlen, dafs er die Richtigkeit
der Archimedischen Gesetze begriff und auf ihnen seine Projekte und Ausführungen
basirte. Wir können uns für die Begründung, dafs dies in vollstem Mafse geschehen
und dafs Leonardo dem Stevinus und Galilei weit zuvorgekommen ist, bescheiden, diese
Nachweise haben bereits andere übernommen und geführt. Elia Lombardini hat dies
gezeigt in seinen Osservazioni storico-critiche sopra dell' origine del progresso della
scienza hydraulica nel Milanese ed in altre parte d'Italia und nennt den Leonardo da
Vinci il fondatore della scienza hydraulica ebenso wie Cialdi ihn als il fondatore della
dottrina sul moto ondoso del Mare bezeichnet. Ferner haben viele Autoren der Hydrau-
39
lik und Hydrostatik auf die Arbeiten des Leonardo Kücksicht genommen und seinen
Namen ehrenvoll genannt.
Allein darauf ist bisher nicht der gehörige Nachdruck gelegt, dafs Leonardo
ein ebenbürtiger Vorgänger des Stevinus und Galilei in Sachen der Hydrostatik gewesen
ist — dies kann erst jetzt genauer nachgewiesen werden, wo aus Leonardo da Vinci's
nachgelassenen Schriften Beweise dafür geschöpft werden, dafs er auch hierin, wie in
den vielen andern Gebieten der mechanischen Wissenschaften seiner Zeit voran war und
fast auf der Höhe der Anschauungen dieser genannten Männer schon fast 100 Jahre
vorher stand. Kein Zweifel ist, dafs Leonardo*) die Schriften des Archimedes gelesen
hatte und dafs er dessen Gesetze der Hydrostatik richtig erfafst hatte.
Seine Anschauungen über die molekulare Beschaffenheit des Wassers sind
klar und deutlich. Er schildert diesen Zustand des Wassers mit absoluter Gewifsheit
bei verschiedenen Gelegenheiten, zumal bei der Entwicklung seines Gesetzes der Wellen-
bewegung. Er vergleicht die sich von Atom zu Atom übertragende Bewegung durch
irgend einen Stofs auf die Wasserfläche mit einem Zittern und fürchtendem Zurück-
weichen. Ebenso genau fafste Leonardo da Vinci die Verdrängung eines Quantums Was-
sers durch einen daraufgelegten schweren Körper auf. Ueber die Gravitation des mole-
kularen Wassers drückt sich Leonardo so aus: la loro gravita e dupla, cioe" che il suo
tutto ha gravita attesta al centro delli elementi; la seconda gravita attende al centro
d'essa sfericitä d'aqua . . . . ma di questa non veggo nell' humano ingegno modo di
darne scienza, ma dire come si dice della Calamita (Magnet) che tira il ferro, cioe che
tal virtu e occulta proprietä, della quali n' e infinite in natura!
Wir haben hier den Satz mit Leonardo's eigenen Worten wiedergegeben, welcher
die klare Anschauung der Molakularattraktion und der Gravitation enthält, dabei von
natürlicher Beobachtung ausgeht und so schön die Unbegrenztheit dieser Naturkräfte
ausspricht.
Ueber die Verdampfung des Wassers und die Sättigung der Luft mit Feuchtigkeit
lehrt Leonardo mit denselben Grundsätzen. Er weifs, dafs Regen nicht statthaben kann
F]'g- 16- ohne einen hohen Grad der Beladung der Luft mit Feuch-
tigkeit. Zur Ermittelung des Feuchtigkeitsgrades der Luft
hat er eine Art Pluviometer konstruirt, den wir hier in
Figur beibringen. Die eine der Kugeln ist mit Wachs
die andere mit Baumwolle umhüllt, jene als Wasser ab-
stofsend, diese als Wasser anziehend betrachtet.
Eine seiner bedeutensten Beobachtungen ist aber
das Gesetz der kommunizirend en Röhren, welches
er so ausspricht: Le superfici di tutti i liquidi immobili li
*) Er zitirte Archimedes öfter.
.r r_
40
quali in fra loro fieno congiunti, sempre fieno d'eguale altezza! Zugleich zeigt er
durch zahlreiche Skizzen im Codex Atlanticus auf Blatt 314 u. a., dafs dies Gesetz
durch keinerlei Formvariation der Gefäfse beeinträchtigt werde. (S. F. 17.) Ebenso zeigt
er die Heber in den verschiedensten Gestaltungen und in ihrer Gesetzmäfsigkeit. Wir
Fig. 17. können nicht umhin, hier einzuschalten, dafs Leonardo in
der Figur bereits dasselbe that, wie Pascal 1653 vorführte.
Leonardo zeigt weiter, dafs, wenn man zwei sich nicht
mischende Flüssigkeiten in ein und dasselbe Gefäfs giefst,
z. B. Wasser und Quecksilber (ariento vivo), dieselben sich
nach ihrem Gewicht anordnen, und zwar so, dafs das Quecksilber unten bleibt, das Wasser
darüber steht und dafs (bei kommunizirenden Röhren) sich diese beiden Flüssigkeiten ins
Gleichgewicht einstellen. Ferner erklärt Leonardo, dafs die verschiedene Höhenanord-
nung eine Folge der verschiedenen Flüssigkeiten sei, und dafs die Flüssigkeit den Höhen
umgekehrt proportional sei. Hierher gehört auch der Ausspruch des Leonardo, dafs
das im Dampf vermittelst der Wärme aufgelockerte Wasser über die Oberfläche des
kalten Wassers steige.
Ueber den Ausflufs der Flüssigkeiten aus Gefäfsen finden wir sehr viele Skizzen
und Stellen bei Leonardo. Wenn Montucla den Castelli als „den Schöpfer eines neuen
Zweiges der Hydraulik" nannte, weil derselbe in seinem Werk della missura dell' Acqua Cor-
rente (1638) Vieles über den Ausflufs des Wassers beobachtet hat und festzustellen sucht,
so mufs dieser Annahme insofern widersprochen werden, als Castelli zunächst unrich-
tig annimmt, dafs die Geschwindigkeit des Ausflusses sich wie die Tiefe der
Oeffnung unter dem Wasserspiegel verhält, sodann aber Leonardo bereits mehr
als hundert Jahre vor ihm der richtigen Lösung dieses Gesetzes nahe war. Auch für
den Heber gibt Leonardo genau an, dafs sich die Ausflufsgeschwindigkeit aus dem Heber
richte nach der Differenz zwischen der freien Ausflufsöfmung des unteren Schenkels und
der Oberfläche der Flüssigkeit, in welche der andere Arm eintaucht. Er beobachtete,
wie in einem Fafs, wenn man im Boden ein kleines Loch bohre, die Wassersäule über dem-
selben in Bewegung gerathe, nicht aber an den Seiten, und dafs bei einem in Rotation ver-
setzten, mit Wasser gefüllten Gefäfs das Wasser an den Wänden hinaufsteige, — eine
Folge der Zentrifugalkraft. —
Er kommt auf das erstere Beispiel mehrere Male zurück (z. B. in F. 12), und
zeigt: „dafs je kleiner das Loch am Boden des Gefäfses sei, eine um so gröfsere Kraft
der Strudel gewinne. Die Höhle des Strudels ist grader gegen den Boden gerichtet als
gegen die Oberfläche des Wassers, weil das Wasser mehr Druck ausübt nach dem Grunde
hin als nach der Oberfläche." — „Wenn sich das Wasser nicht über der Luft halten
kann, — wie bildet es dann einen Strudel, so dafs das Wasser selbst einen Wall um eine
Höhlung bildet, welche nur Luft enthält? — Wir haben gezeigt, dafs jeder schwere
41
Körper sich ausbreitet zufolge der Schwere in dem Sinne, gegen welchen er sich bewegt.
Daher sind die Strudel hohl wie die Pumpenrohre. Das Wasser, welches die Wandungen
der Höhlung bildet, hält sich dort so lange, als die Rotation dauert, welche sie gebildet
hat. Während dieser Zeit wiegt das Wasser in Richtung seiner Bewegung. Die Partien,
welche dem Zentrum der Bewegung näher sind, drehen sich mit mehr Schnelligkeit als
die entfernteren. Dies Phänomen ist höchst eigenthümlich ; denn die Partien eines
Rades, welches sich um seine Achse dreht, bewegen sich um so langsamer als sie dem
Zentrum näher sind. Die Erscheinung beim Strudel ist also gerade umgekehrt. Wenn
das nicht sein würde, müfste sich die Höhle mit Wasser ausfüllen. In dem Wasser,
welches die Wandungen der Höhlung bildet, wirken zwei Gravitationen. Die eine
bewirkt die Kreisbewegung des Wassers, die andere aber bildet die Wandungen
der Höhlung, welche ihrerseits auf die Luft in der Höhlung drückeu und den Strudel
enden, indem sie in die Höhlung einstürzen."
Venturi, der diese Sätze kannte, legte sie seinen späteren Versuchen zu Grunde,
die er 1797 veröffentlichte. Venturi ist entzückt über die klare Vorstellung des Leonardo
und sagt: „Enfin non-seulement Vinci avoit remarque toutce que Castelli a dit un siecle
apres lui sur le mouvement des eaux ; le premier me paröit meme dans cette partie s u -
perieur de beaucoup ä l'autre, que l'Italie qependant a regarde comme le fondateur de
l'Hydraulique." Was Venturi hier vor 86 Jahren ausspricht, ist heute durchaus anerkannt.
Die italienischen Autoren*) haben Vinci die Palme in hydraulischen Dingen vor
dem Castelli zuerkannt. Sie gebührt ihm indessen nicht allein der bisher berührten
Gesetze wegen, sondern auch ganz besonders seiner trefflichen Theorie der Wellen-
bewegung des Meeres wegen! auf die wir nunmehr hier eingehen wollen. Wir folgen
dabei der erschöpfenden Arbeit von Cialdi, betitelt: Leonardo da Vinci, fon-
datore della dottrina sul moto ondoso del Mare, welche mit Lust und Liebe
den Nachweis führt, dafs Leonardo der erste gewesen, welcher eine Wellentheorie auf-
stellte, und nicht Newton, de l'Emy, Montferrier und Laplace. Hat man sich in das
Wesen der Arbeit und Betrachtungsweise des Leonardo eingearbeitet, so scheint es so
naheliegend, dafs sich dieser erste Hydrauliker von Bedeutung auch mit der Frage der
Entstehung der Wellen des Meeres beschäftigt habe. Angefochten kann nach Cialdi's
und Boccarde's Untersuchungen nicht mehr werden, dafs Leonardo so viel früher
das erste Fundament der hydraulischen Wissenschaft legte, als die Arbeiten von Newton,
la Hire, Laplace, Lagrange, Biot, Poisson, Cauchy erschienen. — Leonardo sagt:
„L'onda ha moto riflesso ed incidente; il moto riflesso e quello che si fa nella
generazione dell' onda, dopo la percussione dell' obietto, risaltando ed elevandosi l'acqua
verso l'aria, nel quäl moto l'onda acquista la sua altezza etc. — II moto incidente dellt
*) Es ist ein grofser Mangel, dafs z. B. Ewbank in seinem „Descr. and histor. account of Hy-
draulic and other machines for raising water" nichts von Leonardo da Vinci kennt, während er Venturi's
Arbeiten zitirt. 6
42
onda e quello che fa l'onda dal colmo della sua altezza all' infimo della sua bassezza,
quäle non e causata da alcuna percussione, ma solo dalla gravita acquistata dall' acqua
fuori del suo elemento etc.
Quanto piü alte sono l'onde del mare dell ordinaria altezza, della superficie della
sua acqua, tanto piü bassi sono li fondi delle valli interposte infra esse onde. E questo
e perche le gran cadute delle grandi onde fanno grandi concavitä di valle. — La valle
interposta infra le onde e piü bassa che la comune superficie dell' acqua. Questa e
manifesta per la passata, e l'esperienza ce lo dimostra, come si vede nell' acqua che
ricade a riempire li luoghi percossi dalle cadute dell' acqua etc.
Ganz ähnlich erklärt Newton;*) ganz ähnlich Giorgio Juan, Montferrier, l'Emy,
Bertin. Letzterer erklärt: „Die absoluten Dimensionen der Wellen, seien es mittlere
oder maximale, nach Breite oder Höhe, können nicht anders als durch die Erfahrung be-
stimmt werden, nicht allein weil die Hauptursache, von der diese Dimensionen abhängen,
z. B. die Macht des Windes und die Dauer seiner Wirkung, selbst durch Erfahrung be-
stimmt werden müssen, sondern auch, weil man kein Mittel besitzt, den Effekt eines be-
stimmten Windes theoretisch zu bestimmen, für eine gegebene Zeitdauer seines Wehens
über das Meer hin."**)
Leonardo erklärt die Welle so: „Die Welle ist der Eindruck (die Folge) des
Stofses (percussione) reflektirt vom Wasser; sein Angriff (impeto) ist viel schneller als
das Wasser. Daher flieht oftmals die Welle den Ort ihrer Entstehung, und das Wasser
selbst bewegt sich nicht vom Platze. Die Aehnlichkeit der Wellen ist grofs mit den
Wellen, die der Wind in einem Kornfeld hervorbringt, welche man auch sieht über das
Feld hineilen, ohne dafs das Getreide (biade) sich vom Platze bewegt."
Eine Definition der Wellen kann nicht erschöpfender und klarer sein als diese,
und folgedessen ist auch die Aehnlichkeit der Erklärungen aller jüngeren Gelehrten
(l'Emy Sganzin, Reibeil) mit derselben sehr grofs. Fevre hat hier noch sogar das Bei-
spiel des über ein Getreidefeld hinfahrenden Windes wiedergebraucht,
Drei Jahrhunderte nach Leonardo erklärte Goimpy die Welle als eine horizontale
Bewegung in den Wafsermoleculen, welche dieselbe bilden. Er sucht dies durch Expe-
rimente und Spekulationen zu beweisen; allein umsonst. Tessan stellte sodann gegen
alle bisher angenommene Theorie die Existenz einer horizontalen Bewegung in den Mo-
leculen des Wafsers auch ohne Einwirkung des Windes auf. Auch Leonardo hatte
diese Ideen: „Oftmals geht die Welle schneller als der Wind, und oftmals ist der Wind
schneller als die Welle. Das erfahren die Schiffe auf dem Meere in Wellen, die schneller
sind als der Wind. Es kann dies herrühren davon, dafs die Welle entstand von einem
*) Newton, Mathemat. Prinzipien. Von Prof. Dr. Wolfers, Berlin, Oppenheim 1872. pag. 360.
**) Wir bemerken, dafs viele Sätze in den späteren Schriften besonders der französ. Gelehrten
fast genau wiedergegeben zu sein scheinen.
43
grofsen Wind, und nachdem der Wind leichter geworden, hat die Welle noch eine grofse
Gewalt zurückbehalten. Das Wasser kann nicht so plötzlich seine Wellen in sich
aufnehmen, weil beim Herabfallen des Wassers vom Gipfel zum Thal sich die Ge-
schwindigkeit, die Kraft und Bewegung erneuet."
Die Phänomene der Erscheinung von Wellen ohne oder mit direktem Antrieb
durch Winde sind Gegenstand vieler Betrachtungen geworden von Reid, Redfield, Pid-
dington, Blay, Dampier, Dumont d'Urville, Poterat, Keller, Zürcher, Gevry u. a., zumal
jene Wellen, welche entstehen, ohne dafs ein Windstrom bemerkbar.
Leonardo geht nun auf die Wellenbildung in Richtung gegen den natürlichen
Strom des Wassers in Flüssen ein und spricht das aus, was Spätere wiederholten (Sgan-
zin und Reibeil), dafs die Welle nicht den natürlichen Lauf der Flüsse alterire, obgleich
sie sich gegen diese Flufsrichtung bilden und bewegen könne. Er geht sodann ein auf
die Entstehung der Wellen, wenn man einen Stein etc. in das Wasser werfe. Schon
zuvor bemerkt er, dafs zwei Wellen durcheinander hindurchgehen könnten. Der Fall
der Wellenerregung durch das Einwerfen der Steine bietet dem Leonardo Gelegenheit
zu einer äufserst klaren und durchaus richtigen Deduktion. Er zeigt dies auch graphisch
für den Fall, dafs zu gleicher Zeit in einer geeigneten Entfernung von einander zwei Stein-
chen von gleicher Gröfse in ein stillstehendes Wasser geworfen würden. Es entstehen
Fig. 18.
dann zwei „separate quantitä di circoli."
Wenn diese Menge der Kreise wächst,
so begegnen sich die einzelnen Kreise
beider Systeme, und nun sagt Leonardo:
„üomando, ich frage, ob, wenn ein Kreis
im Anwachsen sich begegnet, mit dem
entsprechenden andern Kreis, er eintritt
in dessen Wellen sie durchschneidend,
oder ob die betreffenden Berührungs-
schläge unter gleichen Winkeln reflektiren?
Questo e bellissimo quesito, e sottile!"
Darauf antwortet Leonardo selbst mit einer subtilen Auseinandersetzung, die beweist,
dafs sich die begegnenden Wellen durchschneiden. Hierbei gibt er eine wunderschöne
Darstellung über die Entstehung der Wasserbewegung durch den einfallenden Stein, wie
das Wasser anfangs durch den schweren Körper verdrängt wird, wie die Flüssigkeit die
Oeffnung wieder ausfüllt und dabei in Bewegung geräth, „che si puo piuttosto dimandare
tremore che movimento. Man kann dies dadurch am besten zeigen, dafs man einen
Strohhalm (festuche) auf die Kreise wirft und beobachtet, wie derselbe fortwährend von der
Wellenbildung bewegt wird, ohne den Ort zu ändern. So ist es auch mit dem Wasser
der Wellen." Nun fährt er fort zu erklären, dafs, indem alle benachbarten Theile der
Flüssigkeit von dem Tremolando ergriffen werden, sich immer weitere Kreise ziehen, aber
44
wie immer mehr die Kraft erlischt, bis sie aufhört zu wirken. Und nun knüpft Leonardo
daran, dieses Beispiel auf die Luft und den Schall zu gebrauchen! und die
grofse Konformität der Erscheinurgen im Wasser mit denen in der Luft zu bezeichnen.
„Die Schallwellen in der Luft entfernen sich mit kreisförmiger Bewe-
gung von dem Orte ihrer Entstehung, und ein Kreis begegnet und passirt
den anderen, immer aber das Zentrum der Entstehung beibehaltend!"
Diese Darstellungen (vide die bezüglichen §§ 162 und 170 in Eisenlohr's Lehrbuch der
Physik (7. Aufl.) und Fig. 200*) stehen so vollkommen auf der Höhe unserer Zeit, dafs
die Interferenzlehre in der That durch Leonardo bereits präzisirt erscheint; wir bedienen
uns noch desselben Beispiels. —
Leonardo stellt weiter den Satz auf: „dafs die brandende (titubante) Welle eine
solche ist, welche vom gegenseitigen Ufer reflektirt ist und welche in dieser Reflexion
um so viel vermindert ist, sich mit sich selbst zusammeogiefst und die Kraft (impeto) ver-
liert, welche sie bewegte." (Man sehe die späteren Gelehrten Emy, Sganzin, Reibeil, Minard,
Bazin.) Ferner: „Die reflektirte Bewegung der Welle auf dem Wasser verändert um so
viel die reflektirte Bahn, als die Körper, welche die inzidente Bewegung empfangen,
geneigte Flächen haben (varii obietti in obliquita)." Es ist das derselbe Lehrsatz, den wir
auszusprechen pflegen : „EineWelle wird unter demselben Winkel von einer ebenen Wand zurück-
geworfen, unter welchem sie auffällt." Hierzugehört: „Eine Welle ist nie allein, sondern gemischt
aus so vielen Wellen, als aus der Unegalität des Körpers folgten, von welchem solche Wellekommt."
Mr. l'Emy schliefst sich besonders eng an Leonardo an, ohne seinen Namen zu
nennen, und kaum ist es glaublich, dafs eine solche Gleichheit der Ansichten von selbst
entstehe. Emy hat sowohl den vorstehenden Satz zum Gegenstande besonderer Abhand-
lung gemacht, als auch folgenden, — den auch Frissard anführt. Leonardo zeigt darin,
dafs die Wellen von der Oberfläche des Wassers in verschiedener Weise in demselben
Wasser, zur selben Zeit und mit verschiedener Gestalt entstehen können. Ferner: „Die
Welle des Meeres bricht gegen das Wasser, welches vom Ufer zurückgeworfen ist, und
nicht gegen den Wind, welcher es tanzen macht. Der Eindruck von Bewegung im
Wasser durch Wasser ist permanenter, als der Eindruck des Wassers von der Luft."
Wir führen nun die Stellen an, von denen Calvi sagt: dafs, wenn Leonardo
jene Lampe gesehen haben würde, die den Galilei auf die Pendelgesetze hinwies, er ge-
wifs die Aehnlichkeit der Schwingungen mit der Wellenbewegung gesehen haben würde.
Er sagt: „Der Beginn der Welle bei der inzidenten Bewegung ist schneller und das
Ende der reflektirten Bewegung langsam. Die inzidente Bewegung ist kräftiger als die
reflektirte. Die Bewegung des Thals der Welle ist schneller, aber ihr Berg langsam.
Daraus folgt, dafs das Thal die inzidente und der Berg die reflektirte Bewegung ist.
Die Welle wird sich um so mehr bewegen, als sie sich bewegt, um so mehr sich aus-
*) So auch Poncelet, Sganzin, Keibell u. A.
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breiten, als sie geschwinder ist. Denn die Welle entsteht durch die Reflexion, und die
reflektirte Bewegung endigt in der Linie der Inzidenz. Die Welle hat Zeit sich zu ver-
tiefen und auszubreiten, wenn sie übergeht von der Reflexion zur Inzidenz, und empfängt
um so viel mehr Geschwindigkeit, als die Bewegung der Inzidenz kräftiger ist als die
reflektirte." Hieran schliefsen sich noch eine Reihe Betrachtungen über die Bewegung
zweier gleicher oder ungleicher Wellen u. s. w., Gesetze, welche später von Mr. l'Emy
u. A. weiter ausgeführt sind, ohne mehr zu sagen, als Leonardo gibt. Vinci zeigt
schliefslich noch das Spiel der Wellen am Ufer, wie keine Welle die letzte sei, sondern
immer die vorletzte auf sie heranrücke u. s. w., wie ferner die Wellen die mitgeführten
Körper sortiren und in Reihen anhäufen. Die inzidente Wellenbewegung bewegt die
gröfseren Steine, und die reflektirte ist nicht im Stande, dieselben zurückzuziehen, wohl
aber folgen die kleineren Dinge den letzteren und der Sand ist der Spielball der beiden
Bewegungen. Wir wollen Leonardo's eigene Worte über die Arbeit der Wellen folgen
lassen : „II moto che il mobile riceve e quando veloce, quando tardo, e quando si volta a
destra e quando a sinistra ora in su, ora in giü rivoltandosi, e girando in se medesimo
ora per un verso, ora per un altro obbendendo a tutti i suoi motori e nelle battaglie
fatte da tali motori sempre ne va per preda del vincitore!"
Wir führen endlich zum Schlufs dieses Abschnitts noch an, dafs Leonardo
Fig. 19. die Idee der artesischen Brunnen ausführte und dazu
^^^^^^m einen Erdbohrer konstruirte, Trivella per forar pozzi alla
t] Modenese, welcher in den Manuskripten erhalten ist und
III _ den wir hier zufügen. Ferner hat Leonardo sehr viel hy-
draulische Maschinen, Pumpen, Wasserräder, Wasserpres=
sen, Schnecken etc. etc. konstruirt und nebst seinen trefl-
lichen Kanal- und Schleusenskizzen uns nachgelassen.
Davon im späteren Abschnitt „Maschinen" soweit es
die effektiven Konstruktionen betrifft.
H Leonardo war bei seinen praktischen Ingenieurarbeiten
für die Hydraulik gezwungen, die Wassermassen für Ab-
und Zuflufs zu berechnen; er that dies in einer Weise, die
auch heute noch genügen könnte. Er stellte 14 Bedin-
gungen auf, nach welchen sich die Ausflufsmenge eines
Kanals richtet. Er berücksichtigt dabei sowohl die Form
und Oberfläche der Kanäle, Rohre etc., als die Richtung,
den Querschnitt der Mündung u. s. w., endlich auch die
Rolle der Luft dabei. Drastisch bemerkt er: „Sowie ein
Strumpf (calze), welcher das Bein bekleidet, nicht mehr
dessen Aussehen verräth, so zeigt auch die Oberfläche des
Wassers nichts von der Beschaffenheit des Bodens im Kanal."
46
VUI.
Leonardo's Jrlpen über die Luft waren ebenfalls die klarsten. Er hatte gefun-
den, dafs die Luft ein Körper aus mehreren Bestandteilen komponirt sei, der Gewicht
habe und Elastizität und aus Molekülen bestehe. Er fand, dafs Körper in ungleich
dichter Luft ungleiches Gewicht hatten. Er erkannte die Zusammendrück barkeit der
Luft und vergleicht dieselbe einem Federkissen, das der Schläfer zusammenpresse. Er
spricht aus, dafs, wenn irgend eine Kraft einen Gegenstand in Bewegung setze, schneller
als die Luft ausweichen könne, so entstehe eine Kompression der Luft. Wie nahe war
Leonardo den Entdeckungen des Toricelli, Galilei u. s. w. Vielleicht auch hat er, der
das Gleichgewicht der flüssigen Körper so gründlich studirt und dargestellt hat, auch be-
züglich der Luft gleiche Grund anschauungen gehabt, zumal, wie wir gesehen haben, er
oftmals darauf hinweist, wie sich die Gesetze für das Wasser zur Luft verhalten, und
weil er sich so hoch in seinen Ideen emporschwingen konnte, den Schall und das Licht
auf die Wellenbewegung zurückzuführen. Vielleicht auch finden wir später noch in seinen
zahlreichen Manuskripten desbezügliche Stellen. —
Hier wollen wir darüber des näheren berichten, dafs Leonardo über die Rolle
der Luft bei der Verbrennung vollkommen klar war und mit uns in seinen Anschau-
ungen auf gleichem Boden stand.
In dem Mailänder Codex handelt Leonardo ab über die Flamme und die
Luft. — Betrachten wir zuerst die Anschauung der ihm folgenden Zeit, so finden wir,
dafs allgemein angenommen ward, dafs die Luft bei der Verbrennung nur dazu diene,
um die Hitze an dem Brennstoff zu konzentriren, und dieser Ansicht huldigten die
Physiker mit Muschembroek, der dieselbe besonders ausgesprochen hatte, allgemein.
Fig. 20. Erst 1623 sprach Roger Bacon in seinem Novum Organon aus, dafs
die Luft die Ernährerin der Flamme sei, und Robert Boyle bewies
>. dies experimentell 1672. Auch Descartes hat 1644 in seinen Prinzipien
( V |\ der Philosophie IV. § 95 cf. speziell über den Vorgang des Brennens
V'l i emer Kerze abgehandelt; aber indem er sich bestrebte, den Vorgang mit
MijL /Hilfe seiner Wirbeltheorie zu erklären, kam er auf die Idee, dafs die Luft
von den nach oben strebenden losgelösten Dochttheilchen und dem Rauch
H nach unten gestofsen würde und bei F und K an die Flamme heran-
träte. Hätte nicht jene Theorie dem Descartes die Augen verschlossen,
so würde er seinen Satz: „Diese Luft umspielt die Spitze der Kerze B
und den Grund des Dochtes F und dient, indem sie zur Flamme tritt,
zu deren Ernährung. Sie würde jedoch bei der Dünne ihrer Theilchen
dazu nicht hinreichen, wenn sie nicht viele Wachstheilchen , welche die
Hitze des Feuers bewegt, durch den Docht mitnähme. So mufs die Flamme
47
stetig erneuert werden, um nicht zu verlöschen" — wohl in anderer Weise vollendet
haben, der in der That zeigt, dafs Descartes wohl wufste, dafs die Luft die Ernährerin
der Flamme sei. — Stahl vernichtete später auch diese schon besseren Anschauungen,
und erst Lavoisier war es aufbehalten, die Boyle'schen Anschauungen wieder hervorzu-
holen und zur Geltung zu bringen. — Nun höre man Leonardo über denselben Gegenstand:
„Wo eine Flamme entsteht, da erzeugt sich ein Windstrom um sie; dieser Luft-
strom dient dazu, sie zu erhalten, die Flamme zu vergröfsern. Ein stärkerer Luftstrom
dient dazu, die Flamme leuchtender zu machen. Das Feuer zerstört ohne Unterlafs
die Luft, welche sie ernährt, es stellt ein Vakuum her, wenn andere Luft nicht herzu-
strömen kann, dasselbe auszufüllen!" —
„Sobald die Luft nicht in dem geeigneten Zustand sich befindet, die Flamme zu
erhalten, kann in derselben so wenig irgend ein Geschöpf der Erde noch der Luft leben
als die Flamme. Kein Thier kann leben in einem Orte, wo die Flamme nicht lebt."
„In dem Zentrum der Flamme eines Lichtes bildet sich ein Rauchkern, weil
die Luft, welche in die Komposition der Flamme eintritt, nicht bis zur Mitte vordringen
kann. Sie gelangt an die Oberfläche der Flamme, sie kondensirt sich dort; indem sie
Nahrung für die Flamme wird, formt sie sich in sie um und läfst einen leeren Raum
übrig, welcher sich successive mit anderer Luft füllt."
An einer andern Stelle sagt Leonardo:
„Es kann eine Flamme nicht leben, wo nicht leben kann ein athmendes Thier.
Die Flamme erzeugt ein Vakuum, und die Luft eilt herbei, solches Vakuum zu ersetzen.
Das Feuerelement verzehrt unablässig die Luft zu dem Theil, welcher sie nährt
(nutrica), und es wird ein Vakuum sich bilden, wenn nicht neue Luft herzuströmt,
dieses auszufüllen. Der Rauch bildet sich in der Mitte der Kerzenflamme. Die Flamme
disponirt zuerst die Materie, welche sie ernähren kann, und kann sich dann davon er-
nähren. Ein übermäfsiger Wind tödtet die Flamme, ein mäfsiger ernährt sie."
Diese klaren und deutlichen Erklärungen sind in der That staunenswerth !
Ist es nicht klar, dafs Vinci die Eigenschaften der Luft kannte und aus Experi-
menten sicher war über die Rolle der Luft bei der Verbrennung? Wenn wir an
den einzelnen Sätzen nur anstatt der Luft, Sauerstoff der Luft setzen — so haben wir
unsere heutige, von der Wissenschaft anerkannte Erklärung. Ja, aus dem zweiten
Satze, wo er von einem „geeigneten Zustand" der Luft redet, können wir herauslesen,
dafs Leonardo eine Ansicht über den zusammengesetzten Bestand der Luft hatte. Be-
denken wir, dafs die Chemie so weit zurück war in ihrer Entwickelung , dafs ja an
eine Zusammensetzung der Luft erst mehr als 250 Jahre später gedacht ward und dann
ihre Bestandtheile nachgewiesen wurden, so können wir uns keine klarere Anschauungss
weise und keinen bestimmteren Begriff denken über die Luft in ihrem Verhältnifs zur
48
Fig. 23.
Fig. 21
Verbrennung, als Leonardo hier gegeben hat. Er
hat diese Lehre auch in anderen Manuskripten
weiter beleuchtet und durchdacht und gibt (in
Vol. C. Ambrosiana) Abbildungen, um die Rolle
des Luftstroms analog dem dritten Passus seiner
obigen Erklärung klar zu machen. In Fig. 22
zeigt Leonardo den entstehenden Zusammenstofs
zweier Flammen und markirt dabei die Punkte deutlich,
wo eine Verbrennung nicht statt hat. Eine Ver-
gleichung dieser Figur mit der obigen von Des-
cartes gegebenen (der wir die Pfeile entsprechend
seiner Darstellung zufügten), zeigt, dafs da Vinci's
Ansicht der des Descartes etwa entgegengesetzt ist.
Höchst interessant ist aber, dafs Leonardo da
Vinci in seinen Versuchen, die Lichtstärke zu er-
höhen, auf die Entdeckung der Lampencylinder
und Lampenglocken gekommen ist, welche man
dem berüchtigten Lange (1784) zuschreibt (dem
unberechtigten Fabrikanten der Argandlampe,
Quinquet) und dem Philippe de Girard 1804.
Leonardo setzt die Wirksamkeit eines Cylinders
auseinander, indem er sagt, dafs der Cylinder
der Flamme Gelegenheit gebe, zu exhaliren und Fiß- 2L
sich zu ernähren. Das Ausgestofsene (esalmento) bewegt sich dann in der Mitte
nach oben, während die nahrunggebende Luft von den Seiten und von untenher
zuströmt. Leonardo gibt auf fol. 79 C. A. und auf anderen Blättern mehrere Ideen
zur Sache, bis er in dem vollständigen Entwurf einer Lampe mit Cylinderöffnung das
Gewünschte (Fig. 23, 24) erreicht. Merkwürdigerweise schreibt er auf die beiden Hälften
der Glocke aqua aqua, weil er die Glocke und Cylinder als einen Körper betrachten
will, dessen hohler Raum mit Wafser erfüllt ist. Leonardo gibt auch ein Rezept, um
diese Glocken zu fabriziren (fare questa palla). Questa palla, essendo di vetro sottile
e plena d'acqua, renderä gran lume! —
Die Eigenschaften der Luft wendete Leonardo auch an bei dem von ihm erfundenen
Schwimmgürtel, und bei dem Helm für den Perlentaucher setzt er das Innere des-
selben mit der äufseren Luft durch einen Schlauch in Verbindung, dessen Ende auf der Ober-
fläche des Wassers mittelst eines Brettes schwimmt (Fig. 25 s. umstehend). Hervorragend und
auf Kenntnifs der Eigenschaften der Luft basirt sind die zahlreichen Versuche und Betrach-
tungen, welche Leonardo anstellte über den Flug der Vögel und die Luftschiffahrt.
49
Es scheint dies ein Lieblingsthema für ihn gewesen zu sein. Wir haben im Codex Atlan-
ticus allein an 100 Skizzen für diese Ermittelungen gefunden; viele stehen in den Pariser
Bänden, mehreres in den Londoner. Die Zeit, in welche hauptsächlich diese Betrachtungen
fallen, ist die seines Aufenthaltes in Korn 1514, als Leonardo es nicht über sich gewinnen
konnte, für Leo X. ein Gemälde zu malen, und unter allerlei Ausflüchten den päpstlichen
Auftrag hinhielt, — als Leonardo ferner in Rom gesehen, dafs neben ihm die Giganten der
Kunst Michel Angelo und Raphael erschienen und mächtig geworden waren. Eine Art muth-
loser Träumerei hatte ihn beschlichen ; muthvoll war er niemals und zufrieden mit seinen
Werken noch weniger. So trieb er denn damals seine Scherze mit Flugversuchen und
und setzte das Publikum in Erstaunen mit seinen fliegenden Wachsfiguren. (Vasari er-
Fig. 25. Fie- 26-
zählt auch von einer Eidechse, die Leonardo mit Flügeln ausstattete und grofsen Augen,
einem Bart und Hörnern, alles beweglich durch Belastung mit Quecksilber bei Bewegungen
des Thieres — und die er in einer Büchse mit sich herumtrug.) Aber der Kern zu diesen
Versuchen war wieder ein hochernster, denn Leonardo ging in rationellster Weise zu
Werke, die Umstände zu ergründen, welche die Flugfähigkeit ermöglichen. Er war
der Erste auf dieser Bahn, die nur Roger Baco vor ihm spekulativ und auf Grund seiner
Anschauungen über das Wesen der Luft betreten hatte. Rührend erzählt uns Leonardo,
wie schon in seiner Knabenzeit ihn die Vögel erfreut haben, wie ein Geier (Nibbio) ihm
schon in der Wiege einen Besuch gemacht habe. Schon in Florenz kaufte Leonardo
Vögel, um ihnen die Freiheit wieder zu schenken, und so auch sah man ihn, wie Vasari
7
50
erzählt, in Rom oft mit Bauern und Käfigen beladen, die er für theures Geld zusammen-
gekauft, dem Thore zueilen, um die gefangenen Vögel frei zu machen. Mit diesem
grofsen und warmen Herzen für die Thiere verband er aber eine Theilnahme an der
Art ihres Lebens, so auch an ihrem Fluge. Dazu trieb er die Anatomie des Vogelkörpers
und zumal der Flugorgane so eingehend, wie es zu seiner Zeit wohl kaum jemand gethan
haben möchte. Aus diesen Studien gingen dann seine Entwürfe von Flügeln hervor, die,
stark genug konstruirt, einen Menschen heben könnten. Wir geben aus solchen Studien
die obenstehende Figur 26 wieder. Man sieht die sorgsame Gliederung der 5 einzelnen
Finger-ähnlichen Extremitäten mit Gelenken o r und den Bändern m n, welche gleich-
sam die Sehnen von / an führen und vereinigt an einem Muskelhebel, hier die Scheibe
C, o mit Seil. Die Bewegungen der Finger bewirken die Mechanismen einmal bei Ä,
wo die Hand der Finger mit Charnieren befestigt ist und ihren stützenden Punkt
erhält, den Drehpunkt des Hebels, den Hand und Finger bilden, — sodann bei B,
wo eine Schubstange mittels Kurbel und Pleuelstange den Arm dieser Flughand auf
und nieder bewegt, wobei die Scheibe G empor geht und die Sehnen frei läfst, so
dafs die Federgürtung d der Finger wirken kann und diese geradegestreckt werden.
Beim Herabzug aber wird die Luft von den gewölbiartig sich rundenden Fingern fest-
gehalten und am Ausweichen gehindert. Wie kafln man diese Momente des Fluges besser
erfassen und zur Ausführung bringen? Leonardo projektive zugleich, die Finger mit
weichen Federn zu bekleiden. Unablässig suchte er nach Verbesserung solcher Kombina-
tionen und stellte auch Versuche für ihre Bewährungen an. Eine Figur (auf Fol. 372 C. A.)
lehrt uns eine geistreiche Ermittlung des Einflusses des Flügels kennen, den der für
einen Menschen konstruirte Flügel auf die Minderung des Gewichtes des Menschen hat,
wenn er von diesem bewegt wird. Leonardo macht sich ganz klar, welches Gewicht
Mensch und Apparat haben, und vergleicht damit das Luftgewicht. Aus diesen Betrach-
Fig. 24 tungen ist denn auch seine Erfindung*) des Fallschirmes hervor-
gegangen (Fig. 27), welche er mit den Worten begleitet: „Se un homo
ha un padiglione, intasato, che Sja 12 braccia per faccia e alto 12, poträ
gittarsi d'ogni grande altezza senza danno di se." Bei seinen Spiele-
reien mit Wachsballons etc. bediente er sich als Füllung eingeblasener
warmer Luft. Leider machte er hiervon für gröfsere Anwendung keinen
Gebrauch, sondern er blieb bei der Imitation des Vogelflugs. —
Doch hatte Leonardo, wie bereits aus früher mitgetheilten Auf-
zeichnungen hervorgeht, eine klare Auffassung von der Dichtigkeit
der Luft in der Nähe und ferner der Erde. Er sagt: „Um so viel
die Luft dem Wasser oder der Erde benachbarter ist, um so viel ist
sie dichter (grossa)."
') Dieselbe wurde bisher Lenormand 1783 zugeschrieben.
51
Mehr den obigen Lehren des Leonardo zugehörig ist seine Anwendung des Ge-
bläses für die Schmiedefeuer und Schmelzöfen. In Rom konstruirte er ein solches in
einer Schmiede, welches so gewaltig blies und stöhnte, dafs die Anwesenden sich in eine
Ecke zurückzogen und theils entflohen.
' ovUi^s 4rj*^z<riy>&'
^Leonardo da Vinci entwickelte auch in den -»br%©n Gebieten der Physik geklärte
Kenntnisse. Die Grundanschauung, die wir schon bei Gelegenheit der Wellentheorie
bei ihm ausgesprochen finden, verläfst ihn nicht. Betrachten wir zunächst die Akustik
des Leonardo, so erregt es nicht Erstaunen, dafs er den Gesetzen nachforschte, da er
selbst ausübender Musiker war und eine Menge Verbesserungen und Erfindungen an
Musikinstrumenten gemacht hatte. Auch in diesem Gebiete war Leonardo da Vinci der
erste Renovator und Propagator seit Pythagoras und seiner Schule, abgerechnet die Ver-
änderungen und Schaffung von neuen Instrumenten. Leonardo bemühte sich, die Zeit-
dauer eines Tones, die Entfernung seiner Quelle u. s. w. zu messen, und konstruirte
dafür ein Instrument, welches in Skizze im Codex Atlanticus übrig geblieben ist,
leider ohne Beschreibung. Aus dem Echo suchte er die Distanz zu bestimmen, von wo
der Ton ausging, weil er einsah, dafs der Ton oder Schall in einer gewissen Zeit nur
einen gewissen Raum durchlaufen könne. Gleichzeitig beobachtete er die Einwirkung des
Windes auf den Ton. Er entdeckte, dafs, wenn man eine Glocke anschlage, so beginne
eine nahe hängende, mit ihr ähnliche Glocke zu tönen, und wenn man eine Seite einer
Laute ertönen lasse, so antworte und töne dieselbe Seite auf einer andern Laute; man
kann dies beobachten, wenn man ein Strohhälmchen über die Seite der zweiten Laute
legt! (Siehe dieselbe Erklärung und fast dasselbe Beispiel in unseren Lehrbüchern.
Eisenlohr §. 199.) Diese Entdeckung wurde später dem Galilei zugeschrieben, und Mer-
senne bestätigte sie durch theoretischen Nachweis. Leonardo bemerkt zu obigem Satz
ferner : „Wenn obige Betrachtung richtig ist, so kann man den Ton, der plötzlich durch
den Schlag eines Stabes mit der Hand entstand, nicht beenden, besonders nicht die
Kraft, welche in Wirklichkeit den Ton gegeben hat, wenn man nicht die Glocke mit der
Hand berührt, wie man mit dem Ohr beobachten kann, denn schlägt man die Glocke und
legt man die Hand auf die geschlagene, so ist plötzlich der Ton verschwunden." Leo-
nardo da Vinci kannte auch jene Erzählung des Nicomachus und Jamblichus, nach welcher
Pythagoras einst bei einer Schmiede vorüber kam und die Töne der Hämmer hörte, die
zugleich den Ambos trafen und eine Art Accord gaben. Pythagoras wog die Hämmer
und fand, dafs die Gewichte derselben sich verhielten wie 1 : 2/3 : % un(i die Töne
Quarte, Quinte und Octave seien ! — Leonardo stellt die Frage auf, ob der Ton im
Ambos oder in den Hämmern entstand? Er antwortet: „Wenn der Ambos nicht aufge-
hängt war, konnte er überhaupt nicht tönen; der Hammer tönte im Aufprallen, welches
7*
52
er durch den Schlag verursachte; und wenn der Ambos tönt, so ist es, wie es bei jeder
Glocke ist, die mit derselben Tiefe des Tones schallt, ob man sie mit irgend einem
Gegenstand anschlägt; so eben auch der Ambos beim Aufschlag der verschiedenen
Hämmer; wenn du also verschiedene Töne hörst durch Aufschlag von Hämmern ver-
schiedener Schwere, so sind es die Stimmen der Hämmer und nicht in dem Ambos."
Leonardo stellte also die Wahrheit, welche jenes Beispiel des Nicomachus enthielt, fest,
während er die Passung der Erzählung rectifizirt. Diese Erklärung aber bezeugt seine
klare Auffassung über den Schall wiederum.
Leonardo' s Ansichten über das Licht und das Sehen, kurz über die Optik sind
hervorragend. Er wurde auf diese Studien mehr natürlich geführt als auf alle anderen;
seine Kunst und das Studium der Perspektive bedingten auch seine optischen Studien.
Die Ansichten der Alten hatten das Gesetz der Reflexion des Lichtes richtig erfafst,
aber sie hatten keine klaren Begriffe von der Refraktion. Ihre optischen Prinzipien waren
so: „Sie wufsten, dafs das Sehen durch Strahlen bewirkt wird, die in geraden Linien
fortgehen, und dafs diese Strahlen durch gewisse Körper (Spiegel) so zurückgeworfen
werden, dafs der Winkel, welchen der einfallende und der zurückgeworfene Strahl mit dem
Spiegel bildet, derselbe ist. Aus diesen Prämissen zogen sie, mit Hilfe der Geometrie,
mancherlei Folgerungen, wie z. B. für die Konvergenz derjenigen Strahlen, die von einem
Hohlspiegel kommen, u. s. f " (Whewell I. 89). Euklides gibt für die geradlinigen
Strahlen Beweise an, die triftig genug sind. Allein Euklides wie die Platoniker behaup-
teten, dafs das Sehen bewirkt werde durch Strahlen, welche vom Auge und in Zwischen-
räumen ausgehen. Die besseren Lehren des Euklides wurden nun durch Aristoteles*)
und seine Schule ganz verwirrt. Aristoteles nimmt zwischen Objekt und Auge ein Medium
an, das er „Licht" oder „das Transparente in Aktion" nennt, während Finsternifs „Trans-
parentes ohne Aktion" heifst u. s. w. Während Aristoteles den Ausdruck Refraktion
gebraucht, zeigt er doch seine Kenntnifs dessen, was er dadurch bezeichnen wollte, als
höchst unbestimmt. Erst um 1100 stellt der Araber Alhagen den Begriff fest, indem
er sagt: „Refraktion hat gegen das Loth hin statt." Er beweist, dafs der Refraktions-
winkel dem Einfallswinkel nicht proportional sei, und dafs die Gröfse der Refraktion nach
der Gröfse des Winkels verschieden sei, welchen die einfallenden Strahlen mit den Ein-
fallslothen bilden. Alhagen ging allerdings sehr weit, und seine Schriften wurden recht
bekannt. Roger Baco beschäftigte sich mit der Wirkung konvexer Gläser. Vitellio, ein
Pole im 13. Jahrhundert in Krakau lebend, erweitert die Refraktionslehre mit unver-
kennbarem Scharfsinn. Leider wurden seine Schriften (Perspectivae libri X. und Vi-
tellionis de optica) erst 1533 resp. 1551 in Nürnberg gedruckt. Die Gelehrten jedoch
wandten sich im 14. Jahrhundert mit einem besonderen Eifer der Optik und zumal dem
Studium der älteren Werke hierüber zu, so dafs die Entwicklung der Perspektive und
*) Aristoteles de Anim. II. 6.
53
Optik mehr vorbereitet erscheinen mufs, als die anderer Naturlehren. Schon 1482 finden
wir in Venedig Ausgaben des Euklides, und Anfang 16. Jahrhunderts zählen dieselben
bereits nach 30—40 Ausgaben in allen Sprachen.
Leonardo, als Maler und zumal als begeisterter Lehrer der Perspektive, unter-
richtete sich in der Optik auf das gründlichste, ebenso wie über die Farben. —
Venturi hat dem Leonardo da Vinci die Erfindung der Camera obscura zuge-
schrieben, und wir können nicht umhin, uns dieser Vindikation anzuschliefsen. Prüfen
wir dafür die verschiedenen Stellen in den Manuskripten. Leonardo sagt: „Wenn die
Bilder von beleuchteten Objekten durch ein kleines rundes Loch in ein sehr dunkles
Zimmer fallen, so seht ihr diese Bilder im Innern des Zimmers auf weifsem Papier,
welches in' einiger Entfernung vom Loche aufgestellt ist, in voller Form und Farbe; sie
sind aber in der Grösse verringert und stehen auf dem Kopf, und zwar in Folge des
besagten Einschnitts. Wenn die Bilder von einem vom Sonnenlicht beleuchteten Ort
kommen, so erscheinen sie uns wie auf das Papier, welches sehr dünn sein mufs, gemalt,
Fig. 28. und wie von hinten gesehen. Das Loch sei in
-*■ eine sehr dünne Eisenplttte ausgeführt. ABC
D E sind Fig. 28 die vom Sonnenlicht beleuch-
teten Objekte. 0 B ist die Vorderwand der Ca-
mera obscura; das Loch ist bei M\ S T sei das
c Papier, welches die Strahlen von den Objekten
aufnimmt. Die Bilder erscheinen umgekehrt,
weil die Strahlen von A her nach K und die
Strahlen von der linken Seite E nach rechts zu
E F hinübergehen.
Das macht sich so von selbst im Auge. — Man kann machen, dafs das Auge die
entfernten Objekte sieht, ohne dafs sie die ganze Verkleinerung erdulden, welche ihnen
zufolge der Gesetze des Sehens zukommt. Diese Verkleinerung rührt von Pyramiden der
Bilder des Objektes, welche im rechten Winkel durch die Sphärizität des Auges geschnitten
Fig. 29. werden, her. In der folgenden Figur sieht man,
A dafs man diese Pyramiden in gewisser Weise vor
B dem Augapfel schneiden kann. Es ist sehr wahr,
dafs der Augapfel uns die ganze Hemisphäre auf
einmal aufdeckt; dieses Kunstwerk*), welches ich
meine, würde nur einen Stern entdecken lassen. Aber dieser Stern wird grofs ; der Mond
wird auch gröfser, und wir werden besser seine Flecke erkennen!" Die letzten Sätze
sind in der That verwirrt, während die erste Erklärung durchaus klarer ist.
Leonardo.
*) Hieran knüpften Einige die Behauptung von der Entdeckung eines Fernrohrs durch
54
Allein es gibt noch eine Keine Aussprüche des Leonardo in anderen Manu-
skripten, welche über seine Auffassung mehr Licht verbreiten. Im Codex Atlanticus
spricht Leonardo: „Ich behaupte, dafs, wenn ein Haus oder ein Kaum oder eine Cam-
pagna, welche durch die Sonnenstrahlen getroffen wird, in seiner abgekehrten Seite einen
Raum hat, und in dieser Seite, auf welcher man nicht die Sonne sieht, sei ein kleines
rundes Loch hergestellt, alle beleuchteten Sachen durch dieses Loch ihr Bild hindurch-
werfen, und innerhalb des Kaumes an weifser Wand umgekehrt erscheinen, und bei
vielen solcher Löcher werden viele solcher Bilder erscheinen. Die Strahlung verhält
sich so. Wir wissen klar, dafs das Loch in der Wand einiges von dem Licht einführen
mufs in den Raum, und dieses Licht, welches es vermittelt, ist ausgegangen von einem
oder mehreren der vielen beleuchteten Körper. Wenn diese Körper nun verschiedene
Farben und Gestalten (stampe) haben, so weiden danach die Strahlen von ihrer Gestalt
sein und mit den Farben und der Gestalt die Repräsentation an der Mauer herstellen."
Eine andere Stelle verifizirt die Erscheinung, und im libro della Pictura setzt er
die Erscheinung nochmals auseinander. Leonardo ist in der That allen denen zuvor-
gekommen, denen man Antheil an der Camera obscura zutheilt, sowohl dem Cesar
Caesarianus (1521) als dem Cardanus (1550) als dem Porta 1558. Cardanus hat übrigens
ohnehin mehr geleistet für die Camera obscura als Porta, indem er derselben die Linse
hinzufügte und die ganzen Eigenschaften der Camera mit dem Auge und dem Sehen verglich.
Aber dem Cardanus war Leonardo da Vinci, sowohl mit der Beschreibung und Erklärung
der Camera zuvorgekommen, als auch mit dem Ausspruch: „ . . . quello spiraculo fatto in
una fenestra .... rende dentro tutte le similitudini de' corpi che gli sono per obbietto.
Cosi si protrebbe dire che l'occhiocosi facesse!" Und ebenso gut wie Cardanus
kannte Leonardo die Funktion der Linse in der Hervorbringung eines Augenbildes. „Ich
sage, dafs der Mensch die krystallinische Sphäre (spera) besitzt, um die empfangene
Erscheinung zum Geiste zu senden, allein wie die Notwendigkeit fordert, in einen dunklen
Ort". Wir fanden im Codex Atlanticus eine Reihe Figuren und Skizzen, um die Weise
des Sehens klar zu machen (che modo l'occhio vedere). Konstatirt ist es, dafs Leonardo
ein künstliches Auge hergestellt hatte, um zu zeigen, wie die Form des Bildes auf dem
wirklichen Auge erscheint. Aber auch die innere Einrichtung des Auges war ihm
bekannt (cosi avrai trovato la vera forma interiore del l'occhio). Er war also ein früher
Vorgänger des Franzosen le Cat (1740) und des Eustachius Divinus (16G3). „Das Auge
vermag ein Bild von beleuchteten Körpern längere Zeit festzuhalten; ihre Erscheinung
tritt nach innen." Weiter berührt er die Aehnlichkeit eines Tones für das Ohr und das
Bild eines erleuchteten Körpers für das Auge. Leonardo kannte die Erscheinung, dafs
wenn Licht von einer stärker erleuchteten Fläche auf die Netzhaut des Auges fällt, das-
selbe nicht blos auf die getroffene Stelle wirkt. Es ist das das Gesetz der Irradation.
Er setzt dies in seinem „Traktat der Malerei" auseinander und wendet selbst dasselbe zur
55
Erreichung von bestimmten Effekten auf seinen Bildern an, z. B. in seiner Madonna
dell' angello. Der Effekt, den die Stellung beider Augen hervorbringt für das Sehen,
ist dem Leonardo vollständig bekannt. Er erkennt die Verschiedenheit der Bilder, die
jedes Auge für sich aufnimmt, ebenso die Erscheinung, dafs man durch eine Wand mit
zwei Löchern (für jedes Auge eins) einen Körper dahinter in einer gewissen Distanz nicht
erblickt. Ueber das Verhältnifs der Lichtstärke zur Entfernung der Körper bemerkt
Leonardo: „Um so viel sich die Kraft des abgeleiteten Lichtes vermindert, um so mehr
nimmt die Gröfse zu." Seine Vergleichung der Intensität zweier Lichter kommt den
Gesetzen des Bouguer (1729) zuvor und hat eine ausgezeichnete Darstellung in seinem
Werk über die Malerei im Kapitel: von Licht und Schatten veranlafst, die noch
heute die beste Lehre des Malers ist. „Die Lichtseite kehre man gegen einen dunklen
Grund, die Schatten gegen einen helleren. Eins mufs das andere heben, doch ohne sich
zu befeinden; es mufs immer ein milder Uebergang sein. Neben Schatten müssen noch
oft unmerkliche, schwächere stehen. Der Grund, worauf ein Gemälde steht, mufs stets
dunkler sein als der erleuchtete Theil und schwächer als der beschattete Theil. Wieder-
scheine dienen auch öfter, um vom Grunde abzuheben; meistens müssen sie aber heller
als der Grund sein." —
Diese klaren Grundsätze hatte Leonardo aus der richtigen Betrachtung der
Schatten, welche entstehen bei dem Einfügen undurchsichtiger Körper zwischen der Licht-
quelle und einer Wand, ersehen. Er gibt für diese Betrachtung die folgenden Skizzen,
die die Konformität seiner Anschauung mit der unserigen klar darthun. (Fig. 30, 31,
32 und 33.)
Fig. 30.
Fig. 31
Auf die Diffraktion scheinen einige Bemerkungen hinzuweisen, doch wollen wir
hierüber dem Leonardo eine Kenntnifs nicht weiter vindiziren. (Dove i raggi reflessi
56
s'intersegano , quivi si raddoppiano tanto i gradi della caldezza, quanto sono il numero
delli ragi intersegati.)
Leoardo da Vinci gab mehrfache Vorschriften zur Fabrikation von Hohlspiegeln
(konkave, konvexe, parabolische, sphärische) und lehrte den Punkt kennen und bestimmen,
wo die reflektirten Strahlen sich durchschneiden.
Im Uebrigen müssen wir noch auf die Farbenlehre des Leonardo hinweisen.
„ Weifs ist nach Leonardo's Theorie die hervorbringende Ursache der Farben und Schwarz
die Beraubung. Um die Harmonie der Farben zu erkennen, oder wie sie sich zu ein-
ander verhalten, nehme man ein gefärbtes Glas, wodurch die Farbe des Gegenstandes,
der dahinter sich befindet, mit der Farbe des Glases sich vermischt, woraus man erkennt,
ob diese mit einer ähnlichen Mischung sich verträgt oder dadurch verdorben wird. In
einem blauen und schwarzen Glase verlieren alle Farben, und im Weifs am meisten; sie
gewinnen im Gelb und Grün. Soll eine Farbe der anderen, die sich ihr nähert,
Annehmlichkeit geben, so soll man sich der Farbenfolge des Regenbogens
bedienen, wo die Farben in ihrer nächsten Verwandtschaft sich zeigen. . . .
Blau ist das Erzeugnifs des reinsten Weifs mit dem Dunst der Luft. Das Weifs ist aller
Farben leer Man soll von den acht Grundfarben eine mit der anderen vermischen,
hernach zwei mit zweien u. s. w. bis zu dem Ende der vollen Farbenzahl."
Uebrigens sei bemerkt, dafs Leonardo sehr sorgfältige Studien machte über die
Farben und Lacke und über die Methoden der Mischung. In diesem Sinne nennt er das
Roth (Mennige) den gefährlichsten aller Körper etc. etc. Man lese diese Dinge nach in
seinem trefflichen Buch über die Malerei. —
X.
Ueber- den Magneten finden wir bei Leonardo da Vinci einige Stellen, welche
beweisen, dafs derselbe die Eigenschaften desselben zu ergründen suchte, allein etwas
Besonderes resultirte wohl nicht daraus.
Seine Ansichten über die Wärme dagegen fesseln uns mehr. Zunächst beob-
achtete er, dafs ein Eisendraht auf einem Ambos stark gehämmert den Schwefel anzog,
ohne vielleicht das Gesetz Motus est causa caloris zu kennen. Er beschreibt ferner,
wie ein trübes, schlammiges Wasser, wenn es gekocht werde, plötzlich klar werde, denn
die Hitze verdünne das Wasser, und dann könne das verdünnte (rarefatta) die schwereren
Fig. 34. Theile nicht mehr tragen. Die Aktion
der Aeolipile war dem Leonardo be-
kannt, und vielleicht gab sie ihm An-
lafs zur Konstruktion der Dampfka-
none, des Architronito, welche er aller-
"7 dings als eine Erfindung des Archi-
medes bezeichnet, — ohne dafs in den
57
Jf lg" 35' Schriften des letzteren eine Spur davon auf-
zufinden wäre. Wir geben hier Figur und
Beschreibung der Kanone. (Fig. 34. 35.)
3 „Der Architronito ist eine Maschine
von feinem Kupfer, welche eiserne Kugeln mit
grofsem Geräusch und vieler Gewalt fortschleudert. Man macht Gebrauch von dieser
Maschine; das Drittheil dieses Instruments besteht in einer grofsen Quantität Feuer und
Kohlen. Wenn das Wasser recht erhitzt ist, so wird die Schraube des mit Wasser ge-
füllten Gefäfses (abc) geschlossen, und in demselben Augenblicke, wo dies geschieht, ent-
weicht das ganze Wasser unterhalb, steigt in den erhitzten Theil des Instrumentes und
verwandelt sich sofort in Dampf, der so bedeutend und stark ist, dafs es wunderbar ist,
die Wuth dieses Rauches zu sehen und das hervorgebrachte Geräusch zu hören. Diese
Maschine warf eine Kugel von 1 Talent und 6."
Wir bemerken, dafs Leonardo im Cod. Altl. fol. 253 eine dunkle Idee zur Be-
wegung einer Barke mit Dampf gegeben hat, ferner fol. 300 einen Bratspiefs, welcher durch
Wärme getrieben wird, und zwar werden die Rauchgase, Dämpfe etc. in einen Rauch-
fang gesammelt und ziehen darin nach oben. Die Oeffnung aber zum Eintritt in den
Schornstein verschliefst ein mit Schaufeln versehenes horizontales Rad. Die warme Luft
tritt durch die schräg gestellten Schaufeln hindurch nach oben und bewegt dabei das
Rad und Achse desselben, welche nach unten hin mit einem Trieb in die Zahnräder des
Bratspiefses eingreift.
Ueber die strahlende Wärme gibt Leonardo folgende Sätze: „Eine Glasglocke,
mit Wasser gefüllt, läfst die Strahlen des Feuers durch sich hindurch, und diese werden
heifser als Feuer. Ein konkaver Spiegel, kalt seiend, empfängt die Feuerstrahlen und
gibt sie heifser als Feuer wieder zurück. In einem ähnlichen Experimente mache man
ein Stück Kupfer glühend und lasse es glänzen durch ein Loch von seiner Gröfse und
in gleicher Entfernung wie ein gewöhnlicher Spiegel zugleich mit einer Flamme. So hat
man also zwei Körper in gleicher Distanz vom Spiegel, aber verschieden an Farbe und
Glanz. Man wird finden, dafs der gröfseren Wärme die gröfsere Reflexion des Spiegels
entspricht."
XL
-Wir -dürfen- hier wohl einige Bemerkungen anfügen' über Leonardo's metallur- \
gische Kenntnisse. -/wi/yXt~^. J^'^-^J~~-*y^~^
/^Bekanntlich war zu Leonardo's Zeit die Chemie — Alchemie, und ebenso gehörte
die Metallurgie wesentlich zur Alchemie. Leonardo scheint kein Anhänger oder Freund
der Alchemie gewesen zu sein, sein klarer Verstand durchschaute vielleicht schnell das
trügerische Gewand, in welcher damals die chemische Wissenschaft einherschreiten mufste,
8
58
und nur einmal meldet er von einem Eremiten (Alchemisten), dafs derselbe behauptet,
dafs Quecksilber sei der Same (semenza) für alle Metalle, und bemerkt, wie unzutreffend
diese Ansicht gegenüber der Varietät der Dinge auf der Welt sei. Ferner führt er ein
Kezept zum griechischen Feuer an, sicherlich abgeschrieben aus den Schriften eines
Alchemisten und keineswegs eigene Komposition. Doch da Leonardo Kriegsingenieur
war, so finden wir auch bei ihm Kenntnifs des Pulvers und in dem Ambrosianischen
Codex Atlanticus 5 Figuren, welche wir für Illustrationen der Pulver fabrikation hal-
ten einzelner Bemerkungen wegen, Die erste der Illustrationen zeigt einen Ofen mit
schräg ansteigender Feuerplatte, durch deren sechs Oeffnungen sechs Tiegel hindurch-
hängenltrin die darunter hinstreichende Feuerluft. Es dürfte dieser Ofen für die Ab-
dampfung der Lösung des Salpeters dienen. Die folgende Illustration zeigt einen Mahl-
gang mit zwei Steinen. Die dritte Figur gibt einen Sublimirapparat für den Schwefel.
Die vierte Figur einen Trockenofen. Die fünfte Figur eine Mischmaschine mit einem
schmalen um seine Achse drehbaren verticalen Stein, der die in einer Schaale eingege-
benen Substanzen zermalmt und vermengt, während sich diese Schaale um ihre vertikale
Achse dreht. (Wir- wollen keineswegs die Richtigkeit unserer Auslegung aufser Frage
stellen.) Uebrigens sind Feuerungsanlagen nicht selten vertreten bei Leonardo. Wir
finden einen Glühofen, bei welchem das Gefäfs mit dem zu glühenden Körper in einen
eisernen Cylinder eingesetzt wird, während von unten her die Feuerung Flammen rings um
dies Gefäfs herum entsendet zwischen der Wandung des Cylinders und dem Gefäfse.
Ein anderer Ofen zeigt sich als Flammofen mit vorliegender Feuerung. Die Feuergase
treten durch fünf Oeffnungen in den Ofen ein. Bei diesem Ofen gibt die Schraffirung
genau die Zutrittsöffnungen, Feuerkanäle u. s. w. an, und wir möchten diesen Ofen für
einen Glasofen halten. Sehr trefflich vorgeführt ist ein Destillationsapparat.
Eine Kochschaale von Halbkreisquerschnitt über einer Rostfeuerung ist oben von einem
übergreifenden Deckel geschlossen, welcher lang ausgehend in eine seitliche Röhre, end-
lich nach unten sich biegt und in ein Gefäfs zum Auffangen einmündet. Aus einem
höher aufgestellten Wassergefäfs triefst kaltes Wasser auf das abgehende Rohr und be-
wirkt die Kondensation der übergehenden Gase durch Abkühlung. Vom Schmiedefeuer-
gebläse sprachen wir schon. Da Leonardo die Aufgabe erhalten hatte, das Denkmal
Francesco Sforza's zu machen, welches in Erzgufs vorgesehen war, so bemühte sich Leo-
nardo ohne Zweifel, die Gufssätze kennen zu lernen. Im Codex Trivolgianus gibt er
Rezepte an, die wohl von Verrochio, seinem Lehrer, und einem sehr tüchtigen Erzgiefser
herrühren. Weiter finden wir keine Angaben über den Erzgufs.
Dagegen treffen wir auf Stellen in seinem Manuskripte, aus welchen hervorgeht,
dafs Leonardo die Geologie der Appenninen und Alpen studirte und mancherlei Ent-
deckungen machte. Er beobachtete in den Felsen und Gesteinen eingeschlossene und
59
abgedruckte Thiere der Vorzeit und Pflanzen. Er schlofs auf eine allmähliche Zerstörung
der Felsen durch die Einwirkung des Wassers, welches die Trümmer in das Meer
führte.
XII.
Die Gedanken des Leonardo da Vinci gingen unter anderem auch den Wissen-
schaften nach, die die Erde, ihre Gestalt und Beschaffenheit, ihren Einflufs auf den Mond
zu begründen suchen, und die sich mit der Erforschung des Sonnensystems befassen.
Haben wir bereits oben jenes Beispiel aus seinen Schriften beigebracht, welches zeigt,
wie Leonardo sich mit der Bewegung der Erde vertraut gemacht zu haben scheint, und
wie er zwei Bewegungen auf der Oberfläche darzustellen verstand, so führen wir in
Folgendem seine Ansichten über die Himmelskörper und ihre gegenseitigen Beziehungen
an. Leonardo stellt sich beispielsweise vor, dafs die Erde in Stücke geschnitten sei, die
verstreut würden nach allen Richtungen, wie die Sterne am Himmel. Er sagt, dafs,
wenn ein solches Stück herabfalle, es bis zum gemeinsamen Zentrum sich begebe, aber
dort nicht bleiben, sondern seine Bewegung wird das Stück in die entgegengesetzten
Elemente treiben, wo es sich nicht ruhig niederlassen kann, sondern wieder umkehrt
und zurückkehrt zu dem Ort des Ausgangs. Es wird diese Fahrt zum zweitenmale
machen, wiederkehren, und so beständig wiederholen. Es ist das, wie man ein Gewicht
an einem Tau aufhängt, gestofsen von der einen Seite, sodann frei sich selbst überlassen,
geht und kommt lange Zeit, immer seine Bahn verkürzend, bis es zum Stillstand kommt
und an der Korde herabhängt. Wenn alle Stücke der Erde so ausgestreut, freigefallen
wären, eins nach dem andern in verschiedenen Zwischenräumen, so würden sich diese
Stücke begegnen und sich stofsen, zerbrechen. Es würde davon ein wildes Getümmel
in der Atmosphäre entstehen, welches Jahre lang dauern würde, bis endlich alle Stücke
mit dem Zentrum vereinigt wären! — Welche treffliche Ansicht, bei welcher Gravitation,
Zentrifugation und das Pendelgesetz zur Anwendung kommen. Von der Sphäricität der
Erdoberfläche überzeugt, glaubt Leonardo, dafs man 14 Meilen in See bereits dieselbe
an der Meeresoberfläche mit blofsen Augen wahrnehmen könne; allerdings eiu Irrthum,
— aber doch ein Zeugnifs für die absolute Ueberzeugung, dafs die Erdgestalt jene
Kurve zeige. Sehr interessirt scheint den Leonardo der Mond zu haben. Auf ihn be-
ziehen sich die meisten seiner Betrachtungen astronomischen Gepräges. Er findet, dafs
der Mond in jedem Monat einen Winter und einen Sommer haben müsse, die resp. kälter
und wärmer sein müfsten, als bei uns, und dafs die Aequinoctien des Mondes viel kälter
seien als bei uns. Es schwebt ihm dabei die Ansicht vor, dafs der Mond eine kleine
Erde sei. Wir reihen daran:
„Ich werde zeigen, dafs das Funkeln der Sterne vom Auge herkommt; doch das
Glänzen ist bei einigen Sternen merkbarer als bei anderen, und wie das Auge uns die
Sterne von Strahlen umgeben zeigt."
8*
60
„Die Erde wird dem Menschen auf dem Monde oder auf einem der Sterne als
ein himmlischer Körper erscheinen!"
„Dem Menschen auf der Erde erscheint der Mond genau so, wie die Erde den
Bewohnern des Mondes erscheinen wird."
„Der Mond hat seinen Tag und seine Nacht selbst wie die Erde, die Nacht
hat Statt auf dem dunkeln Theil, der Tag ist in dem hellen Theil. Die Theile des
Mondes, welche Tag haben bei Vollmond, treten in die volle Nacht bei Neumond."
„Die Erde ist nicht im Mittelpunkt der Sonnenbahn situirt, ebensowenig in der
Mitte des Weltalls. Sie ist in der Mitte ihrer Elemente, welche ihr zugetheilt und von
ihr abhängig sind. Für einen Menschen auf dem Monde würde die Erde und der
Ozean denselben Effekt auf den Mond ausüben mit Hülfe der Sonne, wenn die Sonne
und der Mond in der Nacht unter unserem Horizonte ständen, als er auf die Erde
ausübt."
„In der Verfinsterung der Sonne empfängt die Nacht des Mondes keine Zu-
rückstrahlung der Sonnenstrahlen durch die Erde, und bei der Verfinsterung des
Mondes empfängt die Erde vom Monde reflektirte Strahlen nicht."
„Wenn der Mond beim Herabgang umkränzt ist von einem durch die Sonne
erleuchteten Hinge, warum haben dann die Theile des Mondes, welche in der Mitte
dieses Kreises liegen, mehr Licht, als zur Zeit der Verfinsterung der Sonne? Das ist,
weil bei der Verfinsterung der Sonne der Mond seinen Schatten auf den Ocean wirft,
eine Erscheinung, welche nicht eintritt, sobald der Mond herabgesunken ist und die
Sonne ihre Strahlen in derselben Zeit auf den Ozean wirft."
Alle diese ausgesprochenen Ansichten sind gewifs bemerkenswerth , trotz der
Irrthümer, die sich darin befinden. Vor allem aber kam Leonardo dem Moestlin und
Keppler zuvor in der Erklärung, dafs das Mondlicht durch Reflexion der
Erde entsteht. —
„Die Sonnenwärme ist Ursache, dafs die Wasser des Meeres sich unter dem
Aequator erheben. Sie treten in Bewegung von allen Seiten dieser eminenten Wasser-
masse, um ihre vollkommene Sphärizität wiederherzustellen."
„Die Wasser der Meere in den Aequinoctialgegenden sind höher als die Wasser
des Nordens. Sie sind auch unter der Sonne höher als in anderen Gegenden des
Aequinoctialringes. Dies kann man beobachten an einem Gefäfs mit Wasser mit Hülfe
glühender Kohlen. Das Wasser, welches sich um das Zentrum des Siedens herum be-
findet, erhebt sich in Zirkular- Wellen. Die Wasser des Nordens stehen unter dem
Niveau der andern Meere, und zwar um so viel sie kälter sind."
„Die Wasserhöhen, welche die Sonne hervorbringt, bewegen sich zirkulär und
durchlaufen jede Stunde etwa 1000 Meilen."
Wir führen auch noch Leonardo's Ideen über den früheren Aufbau der Erde an :
61
„Wenn das Wasser der Flüsse seinen Schlamm absetzt auf die Thiere des
Meeres, welche die Küsten bewohnten, so legt sich dieser Schlamm auf die Thiere
selbst. Ist endlich das Meer zurückgetreten, so erhärtet, versteinert sich dieser Schlamm
ringsum und über den Muscheln der Schalthiere und vereinigt sie. Daher begegnet man
vielen Gegenden, — und fast alle solche versteinerte Muscheln gibt es in den Gebirgen,
— welche noch ihre unversehrten Muscheln habeD, besonders solche, die mehr Alter und
mehr Dauerhaftigkeit hatten. Ihr sagt mir, dafs die Natur und der Einflufs der Sterne
die Muscheln der Berge geformt haben. Zeigt mir also einen Ort in den Bergen, wo
die Sterne heute solche Muschelkörper machen, von verschiedenem Alter, von so ver-
schiedener Gestalt an einem und demselben Orte? — Und wie erklärt ihr nun den
Sand, welcher in Schichten sich erhärtet hat in verschiedenen Höhen der Gebirge?
Dieser Sand ist dorthin transportirt von verschiedenen Orten, durch die Wellen und
den Lauf der Flüsse. Der Sand ist nur geformt und gebildet durch die Stücke der
Steine, welche abgenutzt wurden und ihren Halt verloren durch die Eeibungen, die
Stöfse und den Sturz, der diese Stücke in das Wasser geschleudert hat, welches sie
dann an ihren Platz gerollt hat. Und wie erklärt ihr durch das Werk der Sterne die
grofse Anzahl der verschiedenen Blätter, fixirt und abgedrückt in den Gesteinen der
Berge? und die Algen, Meereskräuter, vermischt mit Muscheln und Sand, alles versteint
zu einer Masse mit den Krebsen des Meeres, gemengt unter denselben Muscheln?"
„Das Meer verändert das Gleichgewicht der Erde. Die Austern, die Muscheln,
welche im Schlamm des Meeres leben, bezeugen uns die Veränderung, welche die Erde
im ganzen Kreise der Elemente erlitten hat. Die grofsen Flüsse führen immer Terrain
mit sich, welches sie aus ihrem Bett durch Keibung loslösen. Diese Korrosion läfst uns
viele Muschelbänke, eingehüllt in diverse Bettungen, entdecken. Die Muscheln haben
früher an demselben Orte gelebt, als sie das Meer bedeckte. Diese Bänke sind im Laufe
der Zeit von anderen Lagen von Schlamm in verschiedener Höhe bedeckt, so dafs also die
Muscheln von dem herbeigespülten Schlamme eingeschlossen wurden, langsam, bis das
Wasser wich. Heute sind die Gründe selbst bis zur Höhe der Hügel und Berge ge-
wachsen, und die Flüsse nagen an ihnen und decken die Muschelbänke auf. Also eine
Partie der Erde, sehr leicht entstanden, erhebt sich gleichsam entgegengesetzt dem
Zentrum der Erde und naht sich allmählich jetzt demselben, und das, was zuvor Meeres-
grund war, ist der Gipfel der Berge geworden."
„Wenn ein Flufs Schlammhaufen bildet oder Sandbänke und sie dann verläfst, so
zeigt uns das Wasser, welches sich dieser Massen erleichtert, die Art und Weise, wie
die Berge und Thäler sich geformt haben können allmählich von dem Terrain, welches
aus dem Grund des Meeres emporgestiegen ist, obgleich dies Land im Emporsteigen bei-
nahe voll und vereinigt war. Das Wafser, welches dieses Erdreich anhäufte bis zur Er-
hebung über die Oberfläche des Ozeans, begann Strömungen an den tieferen Theilen zu.
62
bilden, und siedelte das Schilf dort an, welches wieder andere Anhäufungen erzeugte.
Das Schilf, ernährt durch die Regenwafser, nimmt täglich an Ausdehnung und Tiefe zu ;
es entstehen Strömungen und Thäler; diese bilden sich zu Flüssen, und diese, die Ufer
benagend, bauen unter sich Berge auf. Die Regen strömten unablässig und beraubten
diese Berge, so dafs nichts übrig blieb als die kahlen Felsen von Luft umgeben. Das
Terrain des Flufsbettes ist allmählich zu der Basis herabgestiegen. Der Grund des
Meeres hat sich erhöht, und das Meer, welches den Fufs der Berge bespülte, ist gezwun-
gen worden, sich davon zurückzuziehen."
In diesen drei Absätzen, die sich in verschiedenen Manuskripten zerstreut finden
(F. 11. N. 124. E. 4. F. 80.), zeigt sich eine den übrigen geistreichen Anschauungen
ebenbürtige Spekulation, wie sie nimmer bei einem der Philosophen vor ihm gefunden
werden kann. Venturi bezeichnet ihn dieserhalb als le premier des Philosophes modernes,
qui ont soutenu que la plüpart des continens ont ete jadis le fond de la mer. Und wir
finden den Werth der Ansichten des Leonardo darin, dafs er der erste Philosoph war,
der zu soichen Anschauungen sich emporschwingen konnte und den Muth hatte, die-
selben laut zu verkünden und dadurch dem Einflufs und den Behauptungen
der Kirche entgegen zu treten. Diese Lehren und Erklärungen aus der Astrono-
mie zogen ihm den Namen und Ruf eines Häretikers zu und verursachten ihm jene un-
annehmliche Stellung zu Mailand, dafs er es vorzog, diese Stadt zu verlassen.
Es bleibt noch übrig zu bemerken, dafs Leonardo bedeutendes Interesse an der
Geographie hatte, und dafs er durch seinen Freund Amerigo Vespucci zu Florenz mit
den Entdeckungen der Portugiesen und Spanier (Vasco, Diaz, Columbus) näher vertraut
ward. Vielleicht ist hierdurch die in London aufgefundene erste Karte von Amerika, die
von Leonardo gezeichnet sein soll, entstanden. Jedenfalls ist das Interesse Leonardo's
sicherlich auch für diese Entdeckungen angeregt gewesen, wenn er uns auch keinerlei
Nachrichten davon aufgeschrieben hat.
XIII.
Das Gefallen an der Natur und ihren Schöpfungen machte Leonardo auch zum
Botaniker. Aber wie er die Natur mehr sezirend betrachtete, so ist er eher ein
Pflanzenanatom zu nennen. In seinem Werk über Malerei (Manzi, Roma) finden
wir im 6. Kap. gleichsam eine Pflanzenphysiologie. Er bringt Beobachtungen über die
Form, Vertheilung und Symmetrie der Blätter und Zweige, die Konstruktion in der Rinde
und im Holze. Diese und andere zahlreiche Mittheilungen Leonardo's über Botanik hat
Gustavo Uzielli bereits gesammelt und 18G9 veröffentlicht im Nuovo Giornale Bota-
nico Italiauo unter dem Titel: Sopra aleune osservazioni Botaniche di Leo-
nardo da Vinci. Uzielli vindizirt dem Leonardo die Begründung der Wissenschaft von
der Konstruktion und Gruppirung der Blätter (Fillotani), welche bisher dem Engländer
63
Brown (1658) zugeschrieben wurde. — Auch andere Manuskripte, zumal der Codex At-
lantiks, enthalten Beiträge für diese Seite der Botanik. Leonardo sucht auch die Art
der Ernährung der Pflanzen darzulegen. Er erklärt, dafs die Pflanzen, welche an Orten
stehen, wo viel Feuchtigkeit und Nahrung vorhanden ist, mehr Rinde ansetzen, als an
solchen, wo diese Nahrung fehlt oder spärlich ist. Die Bilduug der Jahresringe und ihre
verschiedene Dicke führt er zurück auf die gröfsere oder geringere Feuchtigkeit des
Jahres und findet einen Unterschied in dem Abstände des Zentrums von der nördlichen
Seite der Borke gegenüber der südlichen, indem er diesen Abstand für ersten Fall gröfser
nennt. Alle diese Beobachtungen wurden erst in späterer Zeit wieder gemacht und ver-
öffentlicht. Nach Dioscorides gab es nur wenige griechische und römische Gelehrte,
welche sich mit der Botanik befafsten. Gonza (1430) gab die Werke des Theophrast
heraus mit vielen Zufügungen; später kamen Barbaras und Virgilius, Leonicenus und
Brassavola und Mathioli (1501 — 77) — alle Kommentatoren des Dioscorides. Das letztere
Werk wurde für Italien ein Abschlufs. Später traten die Schriften von Costaeus, Porta,
Caesalpinus und Colonna auf. Letzterer gab (1592—1616) eine Arbeit mit Kupferstichen
von Blüthen und Früchten. In Deutschland kamen die illustrirten Arbeiten von Fuchs
(1542), Cordus (1561), Gesner (1565) dazu, in den Niederlanden Dodonaeus und Lobel
und Clusius, in Frankreich Champier, Ruellius (1536), Delechamp, in Spanien Nebrija,
Laguna (1543), Herrera (1513), in Portugal Garcia d'Orta, Acosta, Fraposo, in England
Ascham (1520), Turner u. s. w. Alle diese Gelehrten lebten später als Leonardo (nur
wenige waren kurze Zeit „Zeitgenossen" desselben), und eine ernste Betrachtung, wie
Leonardo sie gibt, ist selbst in diesen Werken nicht überall zu finden.
Interessant ist Leonardo's Versuch des Selbstdrucks der Blätter. Im Codex
Atlanticus befindet sich ein solcher Abdruck eines Salbeiblattes mit folgender Bemerkung :
Questa carta si dette tingere di fumo di candella temporato con colla dolce, e poi im-
brattare sottilmente la foglie di biacca a olio, come si fa alle lettere in istampa, e poi
stampire nel modo comune, e cosi tal foglia parrä nombrata ne' cavi e alluminata nelli
rilievi, il che interviene qui il contrario. Bekanntlich hat Auer in unseren Zeiten diese
Kunst ausgebildet und also erneut. —
Leonardo war, wie wir gesehen, sowohl bei dem Herzog Ludovico Sforza, als
später bei Borgia Kriegsingenieur. Für diese Stellung ist sein Brief, den er an
Sforza geschrieben, karakteristisch, welcher Jfolgt-,- -nachdem wir nicht anzuführen unter-X^r^^
lassen werden, dafs Leonardo in seinem Traktat der Malerei ausruft: nelle bataglie per
necessita accadono infiniti scorciamenti e piegamenti dei compositori di tal discordia o
vuoi dire pazzia bestiaüssima !
„Monseigneur, überzeugt, dafs die Vorspiegelungen von allen denen, welche sich J
64
Meister in der Kunst des Erfindens von Kriegsgeräth nennen, in Wirklichkeit nichts
Nützliches oder Neues geleistet wird, was nicht schon gewöhnlich ist, beeile ich mich
gegenwärtig, ohne jemanden schaden zu wollen, Eurer Herrlichkeit meine Geheimnisse
zu entschleiern und sie, wenn es Ihnen gefällt, zur Ausführung zu bringen; denn ich
wage zu hoffen, dafs alle Dinge, welche ich in diesem kurzen Brief einreiche, das ver-
langte Resultat erreichen.
1. Ich weifs zu konstruiren sehr leichte Brücken, welche man leicht von einem
zum andern Ort transportiren kann, und mit Hülfe welcher es oft möglich
wird, den Feind zu verfolgen und ihn in die Flucht zu jagen. Dieselben
sind sehr sicher und gegen Feuer geschützt, und widerstandsfähig im Wasser.
Sie lassen sich leicht aufschlagen und abbrechen. Ich habe auch ein
Mittel, die Brücken des Feindes zu zerstören und anzuzünden.
2. Ich habe ein Mittel gefunden, die Wasser bei einer Belagerung abzuleiten,
Fallbrücken zu machen und eine Reihe Instrumente für solche Gelegenheit.
3. Wenn die Höhe der Mauern oder die Stärke der Position eines Platzes
nicht erlaubt, in einer Belagerung mit den Kanonen zu nahen, habe ich
ein Mittel erfunden, jeden Thurm oder andere Befestigung, sobald sie nicht
auf Felsen gebaut ist, zu ruiniren.
4. Ich verstehe auch eine Art Kanonen (bombarde) zu fabriziren , sehr leicht
und bequem zu transportiren, welche entflammte Stoffe schiefst, um
Schrecken unter die Feinde zu verbreiten mit Hülfe eines grofsen Rauches,
ihnen Schaden zuzufügen und sie in Unordnung zu bringen.
5. Ferner eine Methode, ohne Lärm die unterirdischen Gänge zu graben, um
in einen Graben oder ein Flufsufer zu gelangen.
6. Kräftige Wagen, offen, defensiv und offensiv, mit Artillerie versehen, dringen
in die Mitte der Feinde ein; keine Waffenmasse gibt es, sie zu brechen, und
dicht dahinter kann Fufsvolk folgen ohne Schaden und Hindernifs.
7. Ich kann auch Bombarden giefsen, wenn es nöthig ist, Mörser und Feld-
geschütze in schöner und nützlicher Form und für den gewöhnlichen Gebrauch.
8. Dort, wo die Bombarden nicht angewendet werden können, fertige ich an-
dere Geschütze (briccole manghani, Arabucchi ed altri instrumenti) von
wunderbarem Effekt und starkem Gebrauch. Je nach Erfordernifs werde
ich die Offensivwaffe bis ins Unendliche variiren.
9. Wenn das Geschick einer Seeschlacht droht, so habe ich eine Reihe Waffen
und Instrumente für Angriff und Verteidigung in Bereitschaft; ebenso
Schiffe, welche dem Feuer der gröfsten Artillerie widerstehen (Panzer-
schiffe??) und Pulver und Feuerarten. J
10. In Friedenszeiten wird es nützlich sein, zu allgemeinem Nutzen (benissimo
65
a paragone di omni) Architektur zu pflegen, Gebäude für Private und die
Oeffentlichkeit, und die Wasser von Ort zu Ort zu führen.
Ich beschäftige mich auch mit Skulpturen in Marmor, in Bronze und in Erden;
ebenso fertige ich Gemälde, alles was man will. Ich würde auch an der Reiterstatue in
Bronze arbeiten können, welche zum unsterblichen Ruhme und ewiger Ehre, also auch
zur glücklichen Erinnerung Eurer Herrlichkeit Vaters und des fürstlichen Hauses Sforza
errichtet werden soll.
Wenn einige dieser Sachen, von denen ich geredet habe, unmöglich und unaus-
führbar erscheinen sollten, so biete ich mich an, sie auszuführen in Eurem Park oder
an einen Ort, wo Ew. Exzellenz will, — womit ich ergebenst mich so viel als mög-
lich empfehle."
Dieser Brief ist im Codex Atlanticus enthalten und unzählige Male kopirt und
edirt. Am sorgfältigsten hat ihn jedoch Francesco di Giorgio Martini geprüft und sich
die Mühe gegeben, die darin enthaltenen Versprechungen durch wirkliche Entwürfe,
Projekte etc. in den Manuskripten zu belegen. Es ist ihm dies nicht nur gelungen, son-
dern er hat im Codex Atlanticus eine solche Fülle von Material für die Beantwortung
der zehn Paragraphen gefunden, dafs er eine überreiche Ausbeute für seinen Trattato di
Architettura civile e militare (1841, Turin, Carlo Promis) sammelte.
Von den Entwürfen zu Feuerwaffen speziell, die von Leonardo in Menge vor-
geführt sind, haben verschiedene Schriftsteller kleinere oder gröfsere Auswahl getroffen
und edirt, so besonders Angelucci, Documenti inediti per la Storia delle armi da fuoco
Italiane. Venturi hat die folgenden Abschnitte nach den Pariser Manuskripten publizirt:
„Weil heute die Artillerie ihre Kraft um */* vermehrt hat, mufs man den Wider-
stand der Mauern auch um % vermehren. — Das Ravelin ist der Schlüssel des Platzes;
wie er den Platz vertheidigt, so mufs er vom Platze vertheidigt werden. Das Ravelin,
mehr entfernt vom Platze, ist den Schüssen der Angreifer mehr ausgesetzt. Der Feind
suche sich in den Trancheen des Glacis einzunisten, welches die Gräben LB und HK
Fig. 36.
Fig. 37.
66
Fig. 38.
begrenzt (Fig. 36), und richte sein Feuer so, dafs es das
ganze Ravelin zerstört. Alle Partieen des Glacis und
Ravelins müssen dem Bombardier des Platzes sichtbar
sein. Keine Artillerie darf A treffen. Die Fig. 37 gibt
ein Bild eines Ravelins für ein Fort. Diese Fortifikation
beherrscht den Graben und die Wälle. (Fig. 38.) Wenn
ein Feind A eingenommen hat und die Gräben mit Erde
ausfüllt, setzt er sich der Artillerie aus, die die Gräben
entlang schiefst. In einer Festung auf dem Gebirge
mufs man ringsum tiefe Keller graben, um zu verhindern,
dafs der Grund durch das Feuer von unten her zerstört
wird. Die Keller, welche man unter der Erde herstellt,
um die Mauer einer solchen Festung zu stützen, müssen unter der untern Mauernpartie
aufgeführt sein, etwa wie in Fig. 39 gezeigt wird. Die Gallerie AB soll etwa V/2 Ellen
Fis- 39- ! breit sein auf
-f »^ ^ B*ssa ^«k 3 E]len Höhe>
Man wendet bei
A B im rechten
Winkel, so bei G und D bis zum Thurm FO und fährt so fort. Wenn die Mauer
terrassirt ist, mufs man den Thurm jenseits der Mitte der Mauerdicke placiren." Eine
andere Stelle handelt von den Minen und deren Anlage. Leonardo bespricht ferner die
Wirksamkeit einer steinernen Kugel gegenüber dem Bleigeschofs. Er erläutert dies alles
noch durch Zeichnungen und Angaben, während eine Reihe Tafeln nur von Details und
besonders Befestigungen, Sturmmaschinen, Artillerie u. s. w. reden.
Unter diesen Zeichnungen sind die interessantesten folgende: Der Architronitus
oder die Dampfkanone, welche wir oben bereits abgebildet und beschrieben. Sie ist es,
die uns lehrt, dafs der Gebrauch des Wasserdampfes und seiner Expansion zu Leonardo's
Zeit nichts Ungewöhnliches, keine neue Idee war, und es beweist dies auch die (auf
Tafel 300 gegebene) Vorrichtung, um Wasser zu heben, bewegt durch Dampf, und die
gegen den Strom gehende Barke (Fol. 233), dafs die hierin ausgedrückten Kenntnisse
über den Wasserdampf der Zeit des Leonardo angehörten. Unter der Zahl der Kanonen-
konstruktionen finden wir mannigfache sinnreiche Stücke, rotirende, drehbare Mitrailleusen,
— ferner viele andere Geschütze unter Anwendung von Schleuderkraft und Schwung-
kraft, mächtige auf Räder gestellte Armbrüste, ferner ganze grofse Batterien von
Büchsenläufen, die auf dem Mantel grofser Treträder tangential in 4 bis 8 Reihen auf-
gebracht sind und nach einander abgeschossen werden.
Die Herstellung von Kanonen scheint ihn besonders beshäftigt zu haben. Wir
finden im Codex Atlanticus eine Zeichnung, die uns lehrt, mit was für einem Instrument
67
Leonardo bohrte, d. h. offenbar nachbohrte und Züge einschnitt. Dasselbe ercheint als
ein Cylinder, welcher der Längsachse nach mit Leisten von rechteckigem Querschnitt und
scharfen Kanten besetzt ist, welche in gleichen Zwischenräumen gleich der Hälfte ihrer
Kopfbreite aufgestellt sind. In diese Leisten ist eine Spirale eingeschnitten, die aller-
dings erhabene Züge hervorbringen müfste. Das Rohr ist vorn und hinten offen, —
also wie bei unseren Hinterladern, — und am vorderen Ende erblicken wir die Bohrstange
hervorragen und mit Hebeln zum Drehen versehen. Einige der Kanonen zeigen Orna-
mentik und stellen wohl Festkanonen vor, wie solche dazumal viel gefertigt wurden.
Ueber die Geschosse, ihre Gewichte, ihre Flugbahn, sowie über Tragweite der
Geschütze finden sich oft Bemerkungen. An einer solchen Stelle sagt Leonardo da Vinci:
„Die Kugeln der Bombarde machen eine Meile in fünf Zeitabschnitten, von
welchen Zeiten eine Stunde zusammengesetzt ist von 1080 u. s. w.", wobei er auf das
Resultat kommt, dafs eine solche Kugel per Sekunde 110 Meter macht. —
Also auf diesem Gebiete leistete Leonardo da Vinci Bedeutendes. Die Aner-
kennung, welche er bei seinen Zeitgenossen fand, war grofs; wir haben bereits oben
gesehen, dafs Magenta bei seinen Befestigungsarbeiten für Florenz den Leonardo fleifsig
studirte. Ebenso befahl Valentin Borgia allen seinen Platzingenieuren, sich nach den
Anordnungen des Leonardo zu richten.
XIV.
Wir haben uns bereits im III. Abschnitt unseres Resum^s bemüht zu zeigen, in
welcher Blüthe die Industrien in einzelnen Städten und Ländern von Italien standen
und arbeiteten. Diese letzte Behauptung belegt nun Leonardo noch ganz besonders
durch die zahlreichen Dessins und Skizzen, welche er bezüglich des Maschinenwesens
hinterlassen hat. Es würde lächerlich klingen, wollten wir behaupten, alle diese Skizzen
seien Inventionen des grofsen Mannes, — es wäre aber ebenso lächerlich, wenn wir ihm
nicht zuerkennen wollten, dafs er für die bessere Gestaltung und den Gang der Ma-
schinen und Apparate viel gethan habe, — ebenso wie es absurd erscheinen müfste,
wenn wir die maschinelle Arbeit in jener Zeit nicht anerkennen wollten! Mit den geschicht-
lichen Daten vielmehr stimmen die Leonardo'schen Skizzen vorzüglich überein! Wir
haben gesehen, welchen Ruf die Florentiner für ihre Appretur hatten — und wir
finden bei Leonardo trefflich ausgeführte Zeichnungen von Scheermaschinen, Wasch-
maschinen, Pressen und Calander; Wir wissen, dafs Bologna durch seine Spin-
nerei dominirte, und wir finden bei Leonardo schön durchdachte Spinnapparate, welche
das später erfundene Jürgens'sche Spinnrad weit hinter sich lassen an Vollkommenheit.
Die Bauten in Mailand und Florenz stiegen mächtig empor — und wir finden bei Leo-
nardo Steinsägen und Instrumente, die Steine zu bearbeiten. Ist dies alles so ganz
zufällig? Gewifs nicht! Die Blüthe der Industrie müfste den Leonardo anregen zur
9*
68
Theilnahme an dem wissenschaftlichen Theil, ihn den geschickten und aufmerksamen
Mann, — und andererseits konnte es nicht fehlen, dafs die Industrie sich bei diesem
talentvollen und zugleich menschenfreundlichen Manne Raths erholte, ihn anging, ihre
Maschinen zu verbessern und neue zu erfinden. Das bedeutendste Argument aber, dafs
eine gewisse Entwickelung des Maschinenwesens mit Leonardo's Talent dafür zusammen-
traf, finden wir in der Gestalt, Form und in den Details der Maschinenskizzen des Leo-
nardo. Da ist nichts von der Plumpheit der Formen, wie bei allen späteren Illustra-
tionen Jahrhunderte lang noch vorwaltete, nichts von verwickelten und albern erschei-
nenden Kombinationen, — alles ist proportionirt und richtig berechnet, ja oft von einer
gewissen eleganten Form, und die Details zeigen eine Fülle von Mechanismen, die dem
Leonardo das Abc der Maschinenkonstruktion scheinen. — Für uns, die wir die Ma-
nuskripte Leonardo's durchstuclirt haben, die wir die Geschichte der Industrie seiner
Zeit prüften , die wir das Leben und die Stellung des Mannes zu durchschauen uns be-
mühten, die wir die Thätigkeit seines Geistes, die Solidität seines Schaffens und Denkens,
seine Abneigung gegen unfruchtbare Spekulationen und Spielereien kennen, — für uns
steht fest, dafs Leonardo da Vinci seine Zeichnungen nach den und für die Maschinen
seiner Zeit gemacht hat, dafs er ebenso von ihnen gelernt und sie verbessert, vielleicht
manche neue erfunden hat.
Grothe hat sich über die Art und Weise, wie wohl Leonardo arbeitete, folgender
mafsen verbreitet (Polyt. Zeit. 1873 No. 10):
„Bevor ich auf die vielen Maschinenkonstruktionen des Leonardo eingehe, mufs
ich zunächst den Eindruck bezeichnen, den man bei dem Studium der zahlreichen Ma-
nuskripte gewinnt über die Art und Weise, mit welcher Leonardo da Vinci an den
Entwurf, re^p. die Konstruktion einer Maschine herangegangen ist und dabei zu Werke
gegangen ist. Natürlich rede ich hierbei nur von dem Eindruck; aber die Zahl seiner
Studien zu solchen Zwecken ist so grofs, und stets zeigt sich dabei eigentlich dieselbe
Methode, — so dafs man wohl den hieraus gewonnenen Eindruck als einen der That-
sache nahe verwandten erachten kann. — Ist dem Leonardo eine Aufgabe gestellt ge-
wesen, so hat er sich eine allgemeine Idee der Lösung gebildet und meistens diese
flüchtig skizzirt, und dann beginnt er die Details zu durchdenken und alle Momente
ins Auge zu fassen. Dies zeigen die zahlreichen Details und Variationen derselben,
von denen die meisten seiner Hauptblätter entourirt sind, ferner mathematische Figuren
und Rechnungen und eingeschriebene Bemerkungen, zuweilen speziellere Erklärungen
der Figuren. War er dann mit seiner Konstruktion zu Ende gelangt, war sie in allen
Theilen fertig, so nahm Leonardo ein frisches Blatt, und in sicheren Strichen steht dann
die Zeichnung da. Hat ihm die Lösung nicht gefallen oder ist ihm die ganze Sache
langweilig geworden, so zeichnet er mitten zwischen diese Details wohl eine Fratze oder
eine Arabeske. — Für die Rein-Zeichnungen mufs man rühmend erwähnen, dafs sie
69
sich gegen die späteren Zeichnungen, wie sie Vegetius Renatus, Salomon de Caus,
Besson, Ramelli, Reimondus Moutus, Zeising, Verantius, Branca, Nicolai Zucchio, Paulo
Casato, Jungenickel, Kircher, Furttenbach, Böckler, Leupold, Gallon u. s. w. geben,
vortheihaft auszeichnen durch Richtigkeit der Perspektive und Wirksamkeit der Schatten-
projektion, sowie durch proportionirte Formen der Gestelle, Getriebstheile u. s. w. Als
Beispiel hierfür führe ich die in dem Codex Atlanticus in Mailand auf Blatt 195 (No. II)
dargestellte Maschine zum Zersägen der Steine resp. des Mormors an. Leonardo gibt
hiervon auf der Mitte des Blattes eine kleine flüchtige Skizze, nebenher und darunter
noch mehrere, dann beschäftigt ihn die Befestigung der beiden Sägeblätter in einem
Rahmen speziell, sodann die Bewegung dieses Rahmens. In einigen Sätzen, die er
zwischen diese Details schrieb, setzt er seine Ideen über die Balance der Säge ausein-
ander und über die gleichmäfsige Einführung der Smirgelmaterien in die Schnittlöcher. Er
kommt zu der Ueberzeugung, dafs die Sägenblätter doppelt so lang sein müfsten als
der Stein selbst, wenn der Zug der Säge die Steineslänge betragen solle, und dafs die
Zugstangen auf festen, aber je nach der vorgerückten Tiefe des Schnittes versetzbaren
Unterlagen sich bewegen müfsten, die auch nach der Seite hin die Bewegung normali-
siren. Durch solche eingehende Betrachtungen, von ca. 32 Detailszeichnungen und
Skizzen begleitet, gelangte dann Leonardo zu der Schlufskonstruktion, die er uns in
einer perspektivischen Ansichtszeichnung, mit Sepia schattirt, so vorführt, dafs sie
einmal zeigt, wie Leonardo's Konstruktion mit der heutigen in Carrara u. s. w. gebrauchten
Marmorsäge identisch ist, sodann aber dafs sie sicherlich für die Praxis bestimmt war.
Ganz ähnlich könnte ich hundert Beispiele aus Leonardo's Manuskripten beibringen."
"Wir geben hier die ganze Tafel des Leonardo autographirt wieder.
Die allgemeine Maschinenlehre, wie sie Leonardo in seinen Manuskripten \
in der That aufbewahrt hat, ist überraschend umfangreich.
Beginnen wir mit den Motoren, so finden wir bei ihm das Wasser als den
ersten und hauptsächlichsten Motor benutzt, daneben aber die Menschenkraft am Tret-
rad in vielerlei Gestalt und an der Kurbel.
Die heifse Luft wendet er bei einem Bratspiefs an zur Bewegung desselben,
und mit Dampf bewegte er eine Pumpe und eine Barke. Wir wollen die letzten Bei-
spiele als Kuriositäten und Zufälligkeiten hinnehmen und wollen die Treträder nicht
weiter speziell betrachten, trotz der reichen Fülle der Variationen ihrer Konstruktion
bei Leonardo, sondern wollen seine Ideen für die Konstruktion der Wassermotoren näher
beleuchten.
Dafs Leonardo die gewöhnlichen, seiner Zeit bekannten Wasserradkonstruktionen
wiedergibt, ist ja natürlich. So gibt er die alten Löflelräder,*) in verschiedenen Varia-
*> Em sehr schön ausgeführtes Löffelrad gibt Leonardo in Codex Atlant, fol. II. Dasselbe ist
last genau so wie z. B. Luokenbacher's Mechanik fol. 191 wiedergibt, nur Bind die Schaufeln dichter
gestellt.
70
tionen , sowie mittel- und oberschlächtige und unterschlächtige Räder, die nur wenig von
den- Konstruktionen derjenigen abweichen, die allerdings erst nach Leonardo zuerst durch
Druck und Illustration bekannt wurden. Dagegen finden wir auch eine Zahl anderer
Ideen und Skizzen bei Leonardo, welche uns lehren, dafs der grofse Ingenieur bestrebt
war, eine bessere Ausnutzung der Wasserkraft zu erzielen. Er wurde hierauf wohl
durch seine Beobachtungen über die Bewegung des Wassers in Flüssen und Kanälen
hingeführt.
Wir bringen in folgenden Abbildungen z. B. Fig. 40 a. Ideen des Leonardo zur
Fig. 40. Fig. 40 a.
Anschauung, die Beachtung verdienen und die
Konstruktionen hier und der darauffolgenden
Zeit übertreffen. In Fig. 40 finden wir zunächst das oberschlächtige Rad c mit einer
Schaufelstellung, die bereits rationeller gedacht ist und bei welcher der wasserhaltende
Bogen sehr vergröfsert ist. Die Anordnung bei a aber läfst darauf schliefsen, dafs Leonardo
eine Art Spannschützen im Auge hatte, a ist deutlich skizzirt als ein verschiebbarer,
ausziehbarer Boden. Ob nun das Rad in den Armen hing, die von a ausgingen, ist
Fig. 41. zweifelhaft; vielmehr scheint es, als ob dieser Arm eine Art
Regulirung des Zuflusses mittelst eines am Rade vorhandenen
Mechanismus vollführen sollte. — In Fig. 41 ist eine Umän-
derung eines Löffelrades, aber in wesentlich verbesserter Ge-
stalt gegeben. Hier schliefst eine volle Scheibe zunächst das
ganze horizontale Rad. Um einen Radkern auf der stehenden
Welle sind dann die stehenden Schaufeln radial aufgesetzt, so dafs dieselben förmliche
Kasten mit Kernraantel und Scheiben bilden. Das Wasser wird in einem stehenden
Rohre zugeleitet und strömt durch eine rechtwinklige Umbiegung desselben direkt in
die Zellen ein. Der Gedanke der Aufsammlung des Wassers in stehenden Röhren und
Zuleitung durch Wassersäulen in freier Ausströmung auf diese Räder ist höchst be-
71
merkenswerth. — In Fig. 42 finden wir eine andere Lösung derselben Idee; hierbei ist
Fig. 42. Fjg 43 das horizontale Rad mit Kur-
venschaufeln versehen. Lei-
der ist die Skizze desselben
undeutlich; vielleicht drückte
sie viel mehr aus, als jetzt
ersichtlich ist. In Fig. 43
aber führen wir eine Skizze
vor, welche dem unbefan-
genen Beobachter selbst als
eine Idee zu einer Turbine (a la Fourneyron) erscheinen möchte. Dieselbe steht auf
einem Blatte des Codex Atlanticus, welches fast nur Skizzen hydraulischen Karakters
enthält, unter Anderem mehrere Skizzen von Wässerrädern, fol. 283. Wir enthalten uns,
wie gesagt, jeder positiven Behauptung hierüber, — da ein Aufschlufs gebender Text in
dem Manuskript fehlt.
Zu den Arbeits-Maschinen selbst übergehend, führen wir zunächst folgende Ein-
leitung aus der Po'yt. Zeitung (Grothe) hier an:
Wenn Reuleaux in der Einleitung zur Kinematik Leupold in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts als den ersten Mechaniker nennt, der in seinem Werke Theatrum
machinarum die Maschine in einzelne Theile zu zerlegen begann und diese für sich be-
trachtete, — so bedauren wir, dafs dem geistvollen Förderer der Kinematik eine Ein-
sicht in die Werke Leonardo's nicht vergönnt war [ — wie es ja leider seit Leonardo's
Tode nur 8—10 Männer gegeben hat, die diese Manuskripte studirten, und auch von
diesen thaten wieder mehrere dies nur zum Amüsement und betrachteten Leonardo's
Leistungen auf diesem Gebiete nur als Curiosa, wie z. B. der Artiste 1841 nur eine aus-
führliche Wiedergabe der Leonardo'schen Dampfkanone brachte, die in Förster's Bauzei-
tung von 1855 p. 143 übergegangen ist. Und doch schreibt auch hier der Publizist:
„So wunderbar die Sache ist, so ist sie nichts destoweniger wahr; die Dampfkanone wird
von dem unsterblichen Maler des heiligen Abendmahls und zwar mit einer Genauigkeit
beschrieben und skizzirt, welche nicht den geringsten Zweifel gestattet."] Die gröfsere
Veröffentlichung von Venturi enthält nur die Gedanken des Leonardo über Prinzipien
der Physik und Mechanik, nichts (wenigstens nichts von seinen Zeichnungen, die hierfür
Hauptsache sind) über seine machineilen Konstruktionen und mechanisch -praktischen
Studien. Wenn Leupold nun die Maschinen zu zerlegen anfing und eine Betrachtung
der Details folgen liefs, — so betrachtete Leonardo mit Rücksicht auf einen vorgesetzten
Zweck zuerst die ihm zu Gebote stehenden oder möglichen Maschinentheile und setzte
daraus eine Maschine zusammen. Dabei spielte die Art der Bewegung der einzelnen
Theile eine Hauptrolle. — Unter den Mitteln und Anordnungen, seinen Zweck zu er-
72
reichen, beweist Leonardo einen klaren Blick und ein umfassendes Genie, neue Mittel
zu erfinden, die seinem Vorsatz zu Hülfe kommen sollen. Dies wird uns aus vielen
seiner Entwürfe ganz einleuchtend. "Wir wollen hier nun eine Reihe von Bewegungs-
mechanismen mittheilen, die Leonardo kannte und bei Gelegenheit anwendete oder auch
auf Anwendbarkeit betrachtete und prüfte. In dem Ambrosianischen Codex Fol. 364
ist eine Betrachtung Leonardo's dieser Art aufbewahrt. In Fig. 44 geben wir danach
Fig. 44. Fig. 45. Fig. 46.
Leonardo's Skizze wieder für eine Bewegungsübertragung mittelst eines Rades, dessen
Mantel mit spirallinigen Nuthen versehen ist, in welche die Stäbe des getriebenen Spei-
chenrades eingreifen und dieses somit in eine gleichförmige Umdrehung versetzt wird.
Bei der Einrichtung in Fig. 45 sind die Nuthen in wellenförmigen Kurven am Mantel
herumgelegt. Figur 46 zeigt dagegen eine Zickzacknuth, die in einem Gange um den
Fig. 47. Mantel gelegt ist. Das getriebene Rad erhält dadurch eine fort-
schreitende Bewegung mit kleinen Ruhe- und Rückgangsintervallen.
— Bei Figur 47 und 48 will Leonardo durch das Rad direkt ein
Werkzeug bewegen, und zwar versieht er die obere und untere
Kante des Mantels 3 in Fig. 00 mit scharf absetzenden
Zähnen, deren Gipfelpunkte in der Parallelen zur Treib-
axe und in einer Linie liegen. Diese Zähne werden be-
rührt unten und oben von den Armen einer Zange, deren
Maul und Arbeitsbacken nach aufsen gestellt sind. Federn
drücken die Hebelarme mit dem Maul zusammen und
wirken dadurch auf die Griffe der Zange und bewirken, dafs dieselben stets auf der
Kante der Mantelzähne schleifen. Befinden sie sich auf den Höhen der korrespondiren-
den Zähne, so erfolgt ein Oeffnen der Zange, gleiten sie zum Fnfs der Zähne, so erfolgt
durch Wirkung der Federn plötzlicher Schlufs der Backen. In der Figur 48 ist blofs
ein Zahnausschnittskranz des Rades vorgesehen zur direkten Bewegung eines schweren
Schmiedehammers. — Alle diese Räder mufs man sich vorstellen als auf einer Turbinen-
achse aufgesetzt; Leonardo zeichnet ein horizontales Wasserrad unter Fig. 48 unmittel-
bar darunter. — In Fig. 49 begegnen wir der allerdings interessantesten Idee. Leonardo
denkt hier an ein hyperbolisches Schraubenrad oder eine von Nuthen in Spiralkurven
umzogene Hyperboloide als Radform. Die Kurve der Hyperboloide ist hierbei durch den
Kreis bestimmt, welchen die Umdrehung des getriebenen, vierarmigen Rades zur Um-
ürehung verlangt, während der Gedanke des Leonardo den unteren ankommenden Flügel
73
von dem Anfang der Nuth erfassen läfst, in demselben Moment, wo der obere Flügel
die Kurvennuth verläfst. Mir scheint, dafs Leonardo die unmmittelbar unter Fig. 49
Fig. 49. Fig. 50. Fig. 51. Fig. 52.
#r^
Fig. 55.
folgende Fig. 50 nur angegeben hat zur näheren Berechnung der Kurven auf den
Flächen des Hyperboloids; es stimmen die Gänge und die Lage derselben überein. —
Fig. 53. Fig. 54. In Fig. 51 ist ein Eingriff eines Zahn-
rades in ein Drehlingsrad auch als kegel-
förmiges Stabrad gedacht, während der
Drehling ebenfalls Kegelrad ist. In der
kleinen Skizze Fig. 52 denkt Leonardo
zunächst an ein Zahnrad, mit welchem
ein in schräger Ebene dazu wirkendes getriebenes Rad zusammen-
arbeitet. Augenscheinlich beschäftigt Leonardo in dieser Skizze der
Gedanke an eine schräge Verzahnung, die er dann in den folgenden Figuren 53 u. 54
zur Bewegung einer Schnecke ausführt, in einer Art von Hyperbelrädern.
In Fig. 55 gibt Leo-
nardo seine Idee über die Be-
nutzung des Friktionskegelbe-
triebes.
Er denkt in einer andern
ähnlichen Skizze an den Betrieb
i i^pi unutfVon (jre| stehenden Kegelrädern,
welche zusammen mit einem hän-
genden arbeiten.
Die folgende Gruppe
(Fig. 56, siehe umstehend) von
Mechanismen zeigt die ersten
Anfänge und Studien zu den
Kegelrädern in Figur 7
und 8. Fig. 8 ist offenbar nur eine Untersuchungsfigur, um etwa die Umgangsverhält-
nisse der in Fig. 7 dargestellten drei Scheiben des Kegelrades klar zu machen. Ein
sonderbares aber zu den fiachkonischen Rädern gehöriges Räderpaar ist in Fig. 5 dar-
10
dSb
gestellt. Die Zähne haben dabei im Durchschnitt die Gestalt eines rechtwinkligen Drei-
ecks, dessen gröfsere Kathete in die Ebene des Hades fällt. Aufserordentlich vertraut
ist Leonardo mit den Schraubenrädern. Auf der angeführten Tafel 364 behandelt er die
durch Schraube ohne Ende getriebenen Zahnräder unter rechtwinklig geschränkten Achsen
wie ein ganz geläufiges Konstruktionsmittel, und so auf einer grofsen Anzahl anderer
Blätter und in vielen Maschinenkonstruktionen. So benutzt er eine Anordnung, wie
Fig. 1 zeigt, ziemlich oft, sogar bei dem Bewegungsmechanismus eines Flugapparates.
Bei einer Maschine zur Streckung des Eisens benutzt Leonardo Schraubenräder
zur Uebertragung , bei welchen die Schraube ohne Ende dreimal eingeschaltet ist. Bei
derselben ist auch ein getriebenes Zahnrad mit Schraubenmutter im Zentrum versehen,
welche die mit Schrauben ganz versehene Zugstange voranzieht. Bei dieser Gelegenheit
gibt Leonardo zugleich eine Berechnung der Bewegungsübersetzung bis auf die Walz-
scheibe vom Wasserrade her.
Die intermittirende , aussetzende Bewegung sucht Leonardo häufig und auf
verschiedene Weise zu erreichen. Hierzu dienen ihm Daumenwalzen vorzugsweise, so-
dann Mechanismen, wie bereits oben abgebildet. Auf vorstehender Gruppe in Fig. 11
gibt Leonardo noch eine andere Anordnung.
75
Die Zahnräder behandelt Leonardo ebenfalls sorgfältig, und dafs er nach
Zahnformen gesucht hat, davon zeugen die Skizzen 2, 3, 4 und andere. Höchst
Fig. 57. interessant sind seine Räder mit schräger Verzah-
nung, sowohl bei konischer, als cylindrischer Grund-
form (Fig. 57). Es sind dies auch die ersten Beispiele
von Hyperbelrädern. Leonardo hat dieselben recht-
winklig zur Uebertragung von Bewegung benutzt
und dabei den Trieb selbst mit schräger Verzahnung
versehen. — Die Zahnformen haben im allgemeinen bei Leonardo eine viel gefälligere
und zweckmässigere Form, als bei den späteren Illustrationen hervortritt.
Hin - und hergehende Bewegungen erzeugt Leonardo theils mittelst Kurbeln
und Zugstangen, theils durch Nuthen und Stifte. Eine solche gleitende, alter-
nierende Bewegung eines Pumpenkolbens ist durch eine Kurvennuth in Fig. 9 darge-
stellt, zugleich ein sehr interessantes Beispiel für Pumpenkonstruktion. Eine gröfsere
Anwendung der Nuth zeigt auf dem Mantel einer grofsen cylindrischen Scheibe acht
Zickzackkurven, in welche der Gleitstift eines Mechanismus einragt.
In Fig. 58 und 59 sind die Stell- oder Klinkräder dargestellt, deren sich Leo-
nardo bei der Bewegung der Seilwinden bediente, theilweis um direkt Seile auf die Achse
Fig. 58.
Fig. 59.
dieser Räder aufzuwinden, theilweise, um durch die Bewegung der mit Schraubengängen
versehenen Achse eine Mutter heranzuziehen, an welcher mittelst Ring und Tauen die
Lasten befestigt sind. Sehr zweckdienlich sind hierbei die mit innerem Zahnkranz ver-
sehenen, eine volle Scheibe auf der Achse mit zwei diametral gegenüberstehenden Ein-
griffklinken umfassenden Bügelscheiben mit Hebel.
In einer Zeichnung des Räderwerkes einer Uhr wendet Leonardo zwei Steigräder
an, deren Zähne um 1/2 verstellt sind, eine oszillirende Hemmung greift in diese Zähne
ein. (Die Uhr ist übrigens mit Doppelwerk.) Die Anwendung von Riemen und Riemen-
scheiben findet sich in Leonardo's Entwürfen seltener vor. — Bewegungsübertragung
durch Zahnstangen finden sich ebenfalls vor, zumal bei Uhrwerken.
10*
76
Fie- 60- Sehr interessant ist Leonardo's Bekanntschaft mit dem
Universalgelenk, für das bisher Cardanus als früheste Quelle
angegeben wurde. Wir geben die Zeichnung davon in Fig. 60.*)
Von Kuppelungen finden wir bei Leonardo die in Gruppe Fig. 56
als Fig. 10 dargestellte. Sonst hat er die Kuppelung auch wohl
durch Scheiben mit Verzahnung bewirkt.
Sehr vielfach wendet Leonardo Kurbeln an, sowohl an
den Enden der Welle, als auch in dieselben eingeschaltet.
Die Lage der Wellen mit ihren Scheiben horizontal, geneigt
und vertikal bildet den Gegenstand einer besonderen Betrachtung
des Meisters. —
Diese Uebersicht wird bereits zur Genüge zeigen, dafs Leonardo
die Elemente des Maschinenbaues in einer für seine Zeit weit vorgeschrittenen Weise kannte.
Wir führen nun weiter an von seinen Maschinen:
1. Maschine zum Ausziehen (Walzen, Profiliren) von Eisenstäben. Diese im
Codex Atlanticus foglio 2 von einer schönen, deutlichen Figur begleitete Darstellung
zeigt aufs Neue, wie eingehend Leonardo studirte.
Leonardo hatte die Aufgabe, die nach damaliger Fabrikationsart der Kanonen-
läufe aus Eisenstäben notwendigen Eisenstäbe in einem Profil herzustellen, so dafs die
aneinander gefügten Stäbe den runden Lauf zusammensetzten, und nun geeignet ver-
bunden (zusammengeschweifst) werden konnten. Um die Stäbe in dieser Weise auszu-
ziehen, benutzt er einen Mechanismus, der von einer Turbine (Reaktionsrad (retrecine)
der damaligen Mode) getrieben wird. Die Turbine enthält am obern Theil ihrer Welle
ein Schneckenrad, welches rechts in ein festgestelltes vertikales Zahnrad eingreift, links
aber ein mit seiner Welle festverbundenes Zahnrad treibt, welches weiterhin durch eine
stehende Zwischenwelle mit Schnecke die Bewegung und Kraft auf eine schwere, starke
Achse überträgt, die am andern Ende eine Scheibe enthält, welche die Profilirungsscheibe
der Eisenstange sein soll. Diese Profilscheibe ist mit einer Art Spiralkurve umzogen,
deren Gestalt, Höhe, Bogensteigung etc. genau berechnet ist. Das obenbesagte rechts
von der Turbinenwelle getriebene Rad enthält im Mittelpunkte eine Schraubenmutter,
durch welche eine der Länge der auszuziehenden Eisenstange entsprechende Schrauben-
spindel hindurchläuft. Bei Drehung des übrigens festgestellten Rades wird also die sich nicht
drehende Schraubenspindel bewegt. Diese Spindel enthält am andern Ende eine Klaue,
in welcher die Eisenstange befestigt wird. Die Eisenstange ist von Rollen unterstützt
*) Dafs Fig 60 ein Universalgelenk darstellen soll, bleibt zu bezweifeln, da das eigentliche
Zapfenkreuz, an welches die beiden Wellen je mit einer Gabel angreifen, fehlt. Willis gibt in der
neuen Auflage seiner Princ. of. mechani=m. übrigens den Nachweis, dafs Cardano nur anführt, er habe
in dem Hause eines Freundes jene Vorrichtung gesehen, sowie dafs Vilars de Honecort, ein Architekt
des XIII. Jahrhunderts, die Aufhängung einer Lampe oder eines Kohlenbeckens in den von uns soge-
nannten Cardanischen Ringen bereits kennt und zwar ausführlich beschreibt. Die Red.
77
und bewegt sich unter der Profilscheibe durch, indem sie gegenüber dieser ein festes
eingesenktes Formlager mit Profilseite erhält. Die Profilscheibe ist schwer, prefst das
Eisen mächtig an. Leonardo berechnet sowohl die Last, als auch die Kraft, welche
nothwendig an der Mutter der Ziehscheibe thätig sein mufs, um das Eisen unter de»
Faconwalze durchzuziehen, und kommt zu genauen Resultaten. Er beschäftigt sich so-
dann mit andern Profilen und theilt mit, in wie vielen Operationen das Ausziehen der-
selben zu machen sei, und auf einer Reihe von Tafeln sehen wir ihn immer wieder mit
der Lösung dieses Problems beschäftigt. Man achte aber darauf, dafs er uns auf der
betreffenden Tafel nicht blos die Profilscheibe, nebst Auffindung der Kurve für deren
Mantelfläche, sowie das unbewegliche Matrizengegenlager gibt, sondern er lehrt auch
zugleich seinen Apparat kennen, mit welchem er das Werkzeug und die Matrize herstellt,
nämlich eine Maschine mit konischer Smirgelwalze und mit Lager zur Aufnahme der
Scheibe vielleicht (die durchgehende Welle nicht als Schraubenwelle bestimmt ausgelegt,
obgleich bei der zahlreichen Anwendung, die Leonardo davon macht, dies fast gestattet
sein dürfte), an einer Schraubenspindel bewegt und an der Smirgelwalze hingeführt.
Bei dieser Beschreibung führt Leonardo seine Elementi macchmali an und ver-
weist bei Berechnung der Kraft eines Maschinentheils auf den zweiundzwanzigsten Fall
derselben. Es läfst sich also wohl voraussetzen, dafs Leonardo, sowie für die Hydrosta-
tik so auch für die Maschinenlehre Gesetze präzisirt und aufgestellt hatte. Er sagt:
Le quali potenza sono vere come e provato nella 13 a del ventiduesimo delli elementi
macchinali da me composti. Er sagt bei der Erklärung der Radberechnung: „Wenn
du nicht die Zahl (Zähnezahl) der Räder multipliziren willst, so multiplizire ihre Gröfse,
das macht dasselbe." Ferner steht folgender Rathschlag für die Maschinenkonstruktion
da: „Sei eingedenk, alle Glieder der Instrumente gleich oder gröfser (d. h. stärker) zu
machen als die Kraft des Motors." Ferner: „Weil ohne Erfahrung eine richtige Kennt-
nifs der Kraft sich ergeben kann, mit welcher das auszuziehende Eisen seinem Trafilator
widersteht, habe ich in dem fraglichen Theile vier Räder durch Schrauben ohne Ende
gemacht, von denen Jedermann den Beweis hat durch Anzeichnung ihres Grades, welche
Kraft diese Kombination hat." (Hier folgt obiger Hinweis 13. XXII.)
2. In Beckmann's Beiträgen zur Geschichte der Erfindungen und in Poppe's
Geschichte der Technologie und an anderen Orten heifst es, dafs Bohrmühlen oder
Mühlen zum Bohren hölzerner Röhren schon im 16. Jahrhundert bekannt waren, und
zwar verweisen alle diese Schriftsteller auf Felix Fabri, Historia Suevorum. Derselbe
erzählt von einer Bohrmühle in Ulm. Da Fabri schon 1502 starb, so existirte diese
Bohrmühle also schon 1500. Kein bekanntes Werk der damaligen Zeit enthält eine Ab-
bildung dieser Maschine (Fig. 61), erst spätere Werke bringen eine solche. Karmarsch
berücksichtigt in seiner Geschichte der Technologie weder diese Fabri'sche Mittheilung
noch aber spätere Konstruktionen und erwähnt nur, dafs man im vorigen Jahrhundert
solchn Handbohrmaschinen gehabt habe. Es fällt dies etwas auf, da Karmarsch sonst
78
Poppe und Beckmann oft benutzt. Der erste bisher bekannte Schriftsteller, welcher
Bohrmühlen abbildet und beschreibt, ist Georg Andreas Böckler. In seinem Theatrum
machinarum novum von 1661 befindet sich eine solche in Kap. LXXXVI, in seinem
Theatr. mach, novum von 1673 stellt er zwei Bohrmühlen dar. Leupold gibt später
Fig. 61.
(1724) in seinem Theatrum Machinarum Hydrotechnicarum in Kap. 5, 6 und 12 Abhand-
lungen von Bohrern und Bohrstühlen. Metallbohrmaschinen waren 1720 in Gebrauch
gekommen. Von einer Bohrmaschine, um Brunnenrohre zu bohren, finden wir aber eine
Zeichnung von Leonardo's Hand aufbewahrt, — somit die älteste Zeichnung dieses Genres
Maschinen. Wir geben dieselbe vorstehend in Abbildung. Leonardo starb 1510; seine
technologischen Studien fallen hauptsächlich in die Jahre 1480 bis 1506. Nun liefse
sich zweierlei aus Fabri's und Leonardo's Aufzeichnungen schliefsen: Erstens, dafs
Leonardo diese Bohrmaschine selbst entworfen und ausgeführt habe, und dafs dieselbe
von Norditalien nach Nürnberg, wie um jene Zeit so vieles, verpflanzt ward, oder zweitens,
dafs die Bohrmaschine zu Leonardo's Zeit gar nichts Seltenes war, als man anzunehmen
bisher geneigt war. Ueberhaupt ist die gewöhnliche Annahme, dafs vor Galilei's Zeit
die Technik und die mechanischen Wissenschaften in einem Stadium der Stagnation sich
79
befunden, das seit Jahrhunderten andauerte, nicht mehr haltbar, nachdem neuere For-
schungen gezeigt haben, dafs jene Zeit nicht arm an Entwicklung und Fortschritt war.
Die Maschine zum Bohren, welche Leonardo auf fol. 78. uns darstellt, und die
ich in Facsimileskizze wiedergebe (mit von mir eingeschriebenen Buchstaben), entspricht
nicht nur Poppe's Beschreibung der früheren Bohrmühlen („Der Bohrer wird durch eine
Welle in Umlauf gesetzt und der zu bohrende Baum rückt ihm auf einem sogenannten
Wagen oder Schlitten immer mehr entgegen"), sondern die Details zeigen, dafs Leo-
nardo's Maschine ziemlich vollkommen eingerichtet war. Auf einem kräftigen Gestell
ist im Gerüst d die Bohrwelle g mit Bohrer b eingelegt, der am Ende durch einen
Führer unterstüzt geleitet wird, a ist der zu durchbohrende Baiwn, der in eine Art
Klemmfutter genau eingespannt ist. Dasselbe besteht aus zwei Ringen c, durch welche
2x4 Schraubenbolzen hindurchgehen und mit ihren Enden n gegen a drücken. Diese
Schraubenbolzen sind mit Muttern c versehen und durch Bügel festgestellt. Wie es
scheint, sind die vier Schraubenmuttern, die am Mantel gezahnte Cylinder sind, mittelst
des eingreifenden, an einer Kante verzahnten Ringes p zugleich zu dreheD. Diese Ein-
spannvorrichtung ist auf einen Schlitten o o gesetzt, der unterhalb durch eine Schrauben-
welle e bewegt wird. — Diese von Leonardo vorgeführte Maschine sticht gegen Skizzen
derjenigen Bohrvorrichtungen, die noch heute in kleinen Orten zum Brunnenrohrbohren
Anwendung finden, sehr vortheilhaft ab. Die Einsteilvorrichtung erweist sich in der
That sinnreich und wohl durchdacht.
3. Hobelmaschine. Karmarsch setzt als die ersten Hobelmaschinen die Ver-
suche des Focq 1770 und Crillon 1809, einen wirklichen Hobel durch einen Mechanismus
in Bewegung zu setzen, hin, welche jedoch keinen Erfolg hatten. Die Figur zeigt es nun,
dafs Leonardo eine Hobelmaschine nach ähnlichem Grundsatz zu konstruiren unternahm.
Fis- 62- Wir wollen uns
gern bescheiden,
dafs diese Erfin-
dung des Leo-
nardo keinen Er-
folghatte,— aber
konstatirt mufs
werden, dafs er
in der beigefüg-
ten Skizze den
Versuch machte.
(Fig. 62.)
4. Sägema-
schine. Diese so-
wohl wie die Hobelmaschine gibt Leonardo von mancherlei Details begleitet. Dieses Gatter
80
gibt, trotz seiner Unvollkommenheit, doch ebenfalls Nachricht davon, dafs man die Bewegung
der Sägen mechanisch schon damals versuchte. Wir können auch nicht umhin zu erwähnen,
dafs wir in Lodi eine Säge fanden, welche seit langen Jahren an einem Kanal belegen
ist, der Leonardo's geistreichen artesischen Quellenbrunnen seine Entstehung verdankt,
und heute noch die Gestalt zeigt, welche uns Leonardo von einer Säge skizzirt. —
5. Steinsäge. Wir haben darüber bereits oben referirt und eine Abbildung
der bezüglichen Tafel gegeben.
6. Feilenhaumaschine. Ursprünglich war die Feilenhauerei deutsche Kunst,
und Nürnberg stand dafür im 15. Jahrhundert in Ansehen, seit 1618 begann England
in Sheffield dieses Handwerk, und zwar mit so hohem Erfolg, dafs die englische Feilen-
fabrikation bis zum Anfang dieses Jahrhunderts dominirte. Karmarsch sagt, dafs seit
mehr als einem Jahrhundert zahlreiche Versuche zur Konstruktion einer Feilenhauma-
schine gemacht seien, und führt nach anderen Quellen an, dafs Duverger schon vor 1735
die erste Feilenhaumaschine entworfen habe. Diese Angabe ist insofern ungenau, als
Duverger bereits 1699 diese Maschine entwarf und der Akademie präsentirte, und als
die Beschreibung derselben bereits 1702 im Journal des savants zu finden ist. Allein,
wie nun Leonardo da Vinci's Manuskripte lehren, so ist Duverger nicht der erste, son-
dern wir sehen, dafs Leonardo eine Feilenhaumaschine entworfen hat, und zwar vor 1505.
Die Zeichnung (Fig. 63) ist in allen Theilen sorgsam, und alle Details sind vorhanden;
in den verschiedenen Entwürfen von Hammerköpfen finden wir den grübelnden Tech-
niker wieder. Leonardo beabsichtigte die Maschine von der Kurbel und Menschenkraft
unabhängig zu machen. Es soll ein Gewicht mittelst Taues die Hauptwelle in Bewegung
setzen, letzteres so lang, ersteres so hoch herabkommend, als im Verhältnifs zu der
Länge der zu hauenden Feile nöthig.
Wenn bei irgend einer Maschine, so bewahrheitet sich bei dieser das Wort des
Leibnitz, das wir oben anführten; in der That haben wir die Feilenhaumaschine noch
nicht viel über den in Leonardo's Skizze sichtbaren Standpunkt hinausgebracht.
7. Spinnmaschine. Leonardo da Vinci hat sich mehrfach mit Entwurf und
Konstruktion von Spinnapparaten befafst. Aus allen seinen Entwürfen und Bemerkungen
geht hervor, dafs er das Hauptgewicht auf die Bewegungsverhältnisse der Spindel und
Spule legte. Alle seine Zeichnungen geben die Spindel in horizontaler Anordnung und
mit einem, genau wie unsere modernen Vorspinnflügel geformten Flügel fest verbunden.
Ferner stellt er die Spule fest und läfst die Spindel seitlich sich verschieben. Leonardo
sucht auch die Geschwindigkeiten zwischen Spule und Spindel in Einklang zu bringen
und ordnet daher für jede einzelne eine Bewegungsübertragung an. Seine klarste Zeich-
nung haben wir hier im Durchschnitt wiedergegeben und möglichst an das Original an-
schliefsend (das wir leider nicht durchzeichnen durften).
In der Zeichnung (Fi^ 64) ist a a der Flügel, b die Spindel, c die Spule, d die
iz.
Spulenwelle, e der Spulenwellen wirtel, g der Spindel wirtel, i Spindellager, k Wirtel auf
der Spindel für die Gabel m, welche von einer oszillh enden Welle her den Spindelwirtel
h umfafst und die Spindel in eine hin- und hergehende Bewegung versetzt, die für Ver-
keilung des Fadens auf die Spule nöthig ist. Wie trefflich diese Anordnung gegenüber
den ersten Spindelanordnungen des 18. Jahrhunderts ist, wird jeder Kenner sofort sehen
Aber die Originalität dieser Konstruktion von etwa 1490 tritt noch mehr an das Licht,
wenn wir bedenken, dafs 1530 erst das Spinnrad von Jürgens auftauchte, welches in
unendlich viel unvollkommenerer Gestalt mehrere Jahrhunderte hindurch der vollkommenste
Apparat zum Spinnen blieb, dafs ferner zuerst 1792 und 1795 der Engländer Antis eine
Vorrichtuug angab, um ein gleich mäfsiges Hin- und Herschieben der Garnspule zu bewirken
Leonardo hat seine Spinnmaschine mit zwei Spindeln gedacht, die horizontal in einem
Gestell so angebracht sind, dafs die Spule an der Aufsenwand hervorragt, ebenso Flügel
und Spindel, so weit nöthig. In der sauber ausgeführten perspektivischen Skizze hat
Leonardo dem Triebrad für die Spindel doppelte Gröfse gegeben, als dem Triebrad für
den Spulenwirtel. Die Wirtel für Spule und Spindel sind mit Diametern wie 1 : l/2 Se"
wählt. Es hat somit die Spindel, die sich in der Spulenrolle als Hülse dreht, eine drei-
mal so grofse Geschwindigkeit wie die Spule. Die Scheibe für Bewegung des Spindel-
wirtels ist etwa sechs mal so grofs als der Spindelwirtel; der Durchmesser der Scheibe
zur Bewegung der Spule aber nur doppelt so grofs als der Spulenwirtel; es ergibt sich
daher für die Spindel (bei Annahme von 50 Umdrehungen der Hauptwelle) eine Um-
drehungszahl gleich 300 und für die Spule 100. Es kommen somit, da sich beide,
Spindel und Spule, in gleicher Richtung drehen, und die Spulenhülse also nur V» Um-
drehung macht während einer Umdrehung der Spindel, 900 Spindel Umgänge auf eine
Aufwicklung des Fadens. — Es ist gewifs bemerkenswerth, dafs Leonardo da Vinci von
der differirenden Spindel- und Spulenbewegung Gebrauch machte, wie sie heute bei den
Kontinuemaschinen gebraucht wird, und dafs er die Rotationsbewegung der Spindel mit
der alternirenden zu kombiniren verstand.
8) Seilspinnmaschinen. Es scheint, dafs Leonardo für die Konstruktion
von Seilerrädern sehr vielfach beansprucht wurde. Wer die mannichfaltigen Gerüstkon-
struktionen des Leonardo durchgesehen hat, wird wissen, dafs die Verbindung der
83
Balken und Bäume durchweg mittelst Seilen geschah, zumal bei den Wasserbauten.
Ferner waren alle seine Handwerkzeuge mit Seilen ausgestattet. Dadurch hat er
sicherlich den Anlafs gehabt, auf eine gute Herstellung der Stricke und Taue zu achten.
Seine Seilräder unterscheiden sich nun wesentlich durch gute Anordnung
von den bei uns heute gebräuchlichen Seilerrädern, so dafs wir sagen müssen,
dafs diese Apparate in unserer Zeit Rückschritte gemacht haben. Eine seiner Abbil-
dungen zeigt 14 Spindelhaken im Halbkreis aufgestellt, jeder mit einem Wirtel versehen,
der von einer gemeinschaftlichen Trommel her durch Schnur bewegt wird. Eine zweite
Zeichnung gibt 3 Spindeln an. Am Ende der Spinnbahn ist eine mit Gewicht und Tau
versehene Trommel aufgestellt, um welche Stricke mit Haken genommen werden. Die
Enden der Stricke werden an den Haken befestigt, und nach Beendigung der Dreherei werden
die gefertigten Längen auf die Trommel aufgewickelt.
9) Weberei. Leonardo gibt mehrere Skizzen von Webestühlen. Leider sind
dieselben sehr undeutlich gehalten, so dafs man dieselben nicht sicher beurtheilen kann.
Wir wollen uns nicht so weit versteigen, aus einem skizzirten Webeapparate, trotz
einiger ähnlicher Momente, einen Vorläufer der Jacquardmaschine herauszulesen.
10) Tuchscheermaschine. Leonardo gibt zahlreiche Skizzen von Tuch-
scheermaschinen, und uns ist es kein Zweifel in Anbetracht der Entwicklung und des
weltanerkannten Uebergewichts der italienischen Appretur, dafs solche Scheermaschinen
wirklich ausgeführt worden sind. Leonardo konstruirt sie in vielfacher Weise. Die
gröfste Anordnung zeigt vier Scheertische neben einander nebst vier Scheeren. Diese
Scheeren haben die Gestalt der alten Tuchscheeren. Leonardo bemüht sich, das eine
Fig. 65.
oder beide der Blätter der Scheeren zu
bewegen, und wende* abwechselnd Kurbeln,
Doppelkurbeln, Daumenräder, Federn u. s.
w. an. Eine kleinere Figur, bei welcher
der Mechanismus in einem Kasten ver-
schlossen ist und nur die Scheere auf dem
Scheertisch freiliegt, ist unterschrieben mit:
Modo di occultare il secreto del primo
motu, als ob Leonardo Nachahmungen be-
fürchtet habe! — Den mechanisch am wei-
testen gehenden Entwurf zeigt Fig. 65. —
Bei demselben ist der Scheertisch in einen
rotirenden Zylinder verwandelt, während
die Scheere festliegt, — eine andere Lösung
der kontinuirlichen Scheermaschine, als wir
sie jetzt besitzen. —
11*
84
Bekanntlich wollte Alcan nachweisen, dafs Leonardo eine Longitudinalscheer-
maschine erfunden habe, aber Mr. Alcan hat sich arg getäuscht und eine Federzieh-
maschine für eine Tuchscheere genommen. — Unberechtigt ist aber Karmarsch's Ur-
theil*) über die Skizze der Leonardo'schen Scheermaschine, „die er eine oberflächliche
und naive Skizze nennt, dafs man eine danach gemachte Ausführung nicht wahrscheinlich
finden könne" — ungefähr das Gegentheil mufs derjenige annehmen, welcher sich mit
Leonardo's Arbeiten und der Geschichte der Gewerbe in seiner Zeit beschäftigt hat. Die
späteren ersten Scheermaschinen von Everett 1758 und 1759 sind unseres Erachtens
viel unvollkommener als die des Leonardo. Von den Scheeren des Harmar (1794)
und des Douglas (1802) gibt Karmarsch selbst zu, dafs sie dem Wesen nach dieselben
Konstruktionen wie die von Leonardo da Vinci seien.
11) Waschmaschine. Auf demselben Blatt, wo die gröfste Scheermaschine steht,
istauch eine Waschmaschine mit 2 Walzen zugefügt. Leonardo schreibt selbst daneben „Bono".
Sie hat ihm also selbst gefallen. Leider ist diese Zeichnung unklar und flüchtiger als andere.
12) Kalander. Im Codex Atlanticus ist eine Figur enthalten, welche in
kräftigem Gestell zwei Walzen von grofsem Durchmesser enthält, auf deren oberste ein
herabzulassender, schwerer Halbkreis herabgesenkt wird, der verschiedene Rollen auf
den oberen Cylinder drückt. Leider fehlt der Text hierzu, durch den es nur möglich
sein würde, die Bestimmung dieser Maschine genauer einzusehen.
13) Töpferscheibe mit von oben einzusetzendem Formmodel für verschiedene
Profile.
Fig. 66, 14) Federhammer. Die Zeichnung
dieses Instrumentes würde unserer Zeit
Ehre machen. Sie läuft dem Leonardo da
Vinci so mit unter bei Gelegenheit der Kon-
struktion eines Getriebes für einen all-
hammer. Fig. 66. — Die Feder scheint
hierbei von besonderer Konstruktion. —
Hierbei wollen wir gleich anführen, dafs Leo-
nardo sich bemühte, die Schmiedehämmer
selbstthätig herzurichten.
16) Maschine zum Ziehen der Metall federn. Leonardo hat hierfür eine
Reihe Entwürfe, 9 gröfsere Figuren entworfen, von denen wir in Fig. 67 die beste und
deutlichere beibringen. Die Idee ist die, mittelst Tau und Zange /, g, h die Feder e
durch die Presse c, d zu ziehen. Es geschieht das mit Hülfe der Kurbel b und des
Zahnrades a, auf dessen Achse auch die Zugscheibe des Seiles sitzt. i ist die Stell-
schraube für die Presse. Die übrigen Figuren zeigen noch weitere Betrachtungen, die
*) Karmarsch, Geschichte der Technologie. Pag. 727.
85
FiS- 67- nicht ganz klar werden. — Aus
der angegebenen Figur aber wird
man die Idee unserer Ziehbänke
für Draht sehr genau wieder-
finden, die aus dem 14. Jahr-
hundert nachweislich stammt, —
ein Beispiel von dem Alter ge-
brauchter maschineller Vorrich-
tungen.
17) Hebezeuge. Leonardo
machte nicht nur den ausgedehntesten Gebrauch von Flaschenzügen, Rollenkombi-
nation, Schraubenhebel u. s. w., sondern er konstruirte Hebevorrichtungen, welche
den Namen „Maschinen" vollständig verdienen. Im Codex Atlanticus finden wir
unter anderem eine Winde mit Zahnstange. Die Zahnstange wird durch zweiseitig
angebrachte Getriebe auf und ab bewegt, während sie unten die Last trägt. Sehr
ausgebildet sind seine Krane. Ein solcher (auf fol. 48 C. A.) ist sowohl fahrbar
auf einen kleinen, schweren Rollwagen gestellt, als auch um seine Vertikalachse voll-
kommen drehbar. Der Aufzug wird durch ein Tau bewirkt, welches auf eine Welle
sich aufwindet, die durch ein kleines Getriebe und grofses Stirnrad umgedreht wird.
Das kleine Getriebe erhält seine Bewegung durch Kurbel. Eine Stufenreihe am Säulen-
baum ermöglicht ein Besteigen des Krans, der mittelst starker Seile festgestellt wird.
Eine andere Hebevorrichtung ist so konstruirt, dafs auf einem Dreibaumgestell von an-
gemessener Höhe eine Platte aufgebracht ist, durch welche der Bolzen einer starken
Fig. 68 u. 69. Schraube hindurchgeht, gehalten von der oberhalb bleibenden Scheibe
und Mutter. Dieser Bolzen ist unten mit Armen und Klammern ver-
sehen, in welche der zu hebende Gegenstand eingehängt wird. Solche
Klammern und Angriffvorrichtungen sind von Leonardo sehr variirt;
wir geben hier einige solche in bildlicher Vorführung. Fig. 68 und 69.
Bei allen diesen Apparaten ist eine hebende Bewegung durch Schrauben
nach dem Greifen vorgesehen. Von den Winden brachten wir bereits
oben einige Details. Auch diese Hebewerkzeuge sind vorzüglich durch-
dacht und dürften in unserer Zeit keineswegs übertroffen dastehen.
Seine mechanische Betrachtung auf fol. 52 C. A. über die Konstruktion
ist umgehend durchgeführt auf Abwägung der Vertheilung der Last und
Kraft auf Wellen und Stellräder. Er stellt eine Konstruktion mit der
Ueberschrift „falso" einer andern gegenüber, mit der Ueberschrift „giusto"
und gibt Bemerkungen zur Begründung dazu.
18) Im Anschlufs an die Betrachtung unter 17) wollen wir hier
86
kurz bemerken, dafs Leonardo's Baukonstruktionen, von denen Details überreich in
den Manuskripten zu finden sind, sehr gründlich sind. Er verbreitet sich über die Ver-
bindung der Balken und Langhölzer, er bestimmt die Verbindung der Holztheile mit dem
Mauerwerk, er lehrt Gerüste schlagen, Brücken, Uferschaalung und Schleusen bauen,
Kriegsvorrichtungen errichten u. s. w. In diesem Theile seiner Manuskripte hegt so viel
Material verschlossen, dafs es gewifs der Mühe werth wäre, dieselben ausgiebig zu studiren,
um Leonardo als Baumeister darzustellen.
19. Leonardo hatte ein eigenes Werk geschrieben über Mühlwerke, wie
Lommazzo (Trattato della pittura) berichtet, das leider verzettelt worden ist. Es war
kolorirt und nur wenige Blätter sind erhalten. Einige Skizzen von Presswerken und
Mahlgängen sind in seinen Manuskripten zerstreut zu finden, so ein Mahlgang mit zwei
horizontalen Steinen und eine Olivenpresse, von der Leonardo selbst sagt, dafs sie die
Oliven trocken presse.
20. Mefsinstrumente umfassen bei Leonardo Skizzen von Dezimalwaagen
und andere Waagen, — zu einem Dynamometer (Trattato della pittura 148), — zu
einem Instrument, um die Geschwindigkeit des Wassers zu messen, — zu einem
Fig. 70. Fig. 71. Modell, um jede Sache zu messen ;
— seine Zirkel, sein Ovalwerk
sind bekannt und anerkannt wor-
den; seinen Hygrometer be-
schrieben wir bereits; seinen
Wegmesser lobt er selbst.
3> Hierher gehören auch seine
Uhrwerke. Ein solches stellt
die folgende Fig. 70 u. 71 dar.
In der Figur deutet oben an
der Achse der „Palmola" der
nach rechts hinübergehende
Faden einen Motor der Uhr an.
Leonardo gibt uns im Cod. N.
einen Apparat an, der Uhren
bewegt. Es ist das ein Stab
mit Zähnen, die in Zähne eines
Eades eingreifen, und Leonardo
sagt davon: „Derselbe Stab
wirkt wie ein Balancier in den
Uhren, d. h. er wirkt alternativ,
bald an der einen, bald an der
87
andern Seite des Rades ohne Unterbrechung." Venturi sagt zu der letzten Stelle, dafs
also Atwood, den man den Erfinder des Balanciers für Uhren nennt, im 16. Jahrhundert
schon in Leonardo einen Vorgänger gehabt, ja dafs Arnault bereits vor 1465 einen Ba-
lancier beschrieb, und Vinci redet davon allerdings als von etwas Bekanntem.
Im Uebrigen bewegte Leonardo seine Uhren theils durch Wasser oder Luft
theils durch besondere Einrichtungen. Bei einem der interessantesten Entwürfe hat Leo-
nardo zwei Blasebälge angewendet, deren abwechselndes Ausdehnen eine bewegliche
Zahnstange in die Zähne der Uhrrädchen eingreifen läfst, beim Rückgehen aber die Zahn-
stange aushebt. Der Mechanismus ist sehr sorgfältig gezeichnet. —
Was Govi richtig auseinandersetzt bei Aufzählung der „Inventioni" des Leonardo
ist das, dafs er behauptet, dafs Leonardo das Pendel kannte. Wir haben bereits Ge-
legenheit gehabt, mehrmals auf diese Thatsache aufmerksam zu machen bei der
Wellenbewegung, bei der Darstellung der astronomischen Kenntnisse des Leonardo u. a.
a. 0. Nun finden wir aber bei einer Figur, die ein Perpetuum mobile darstellen soll,
folgende Bemerkung zu einem pendelartig schwingenden Körper, der seine Bewegung
dem Mechanismus mittheilen soll: „Questo contrappeso lavora di sopra colla sua asta
nella intaccata rota, a similitudine dell' asta del tempo degli orologi, cioe or da capo
or da pie, e non perde mai tempo." Sollte bei solchem Vergleich angenommen werden
können, dafs das Pendel in der Bewegung der Uhren zu Leonardo's Zeit unbekannt war?
Wir glauben diese Frage mit „Nein" beantworten zu müssen.
Fig. 72. Fig. 73. 21. Konstruktion der Ketten, Leitern, Strickleitern.
Auch diese Mittel für mechanische Leistungen haben den
Leonardo sehr interessirt. Neben den gewöhnlichen Glieder-
ketten finden wir bei Leonardo die beiden Kettenformen, in
Fig. 72 u. 73 dargestellt, welche man für gewöhnlich dem
Vaucanson und dem Galle zuschreibt und sie auch so Vau-
ca'nson'sche und Galle'sche Kette nennt. Letztere Spezies
findet bei Leonardo besondere Beobachtung und sorgsame
bildliche Darstellung.
23. Drolligst Leonardo's dreibeiniges Malerstühlchen
zum Zusammenlegen für Studien im Freien. Interessant sind
seine Musikinstrumente. Pauken bewegte er mechanisch.
24. Aufser dem oben bereits angeführten Bratspiefsmechanismus, von dem er
sagt, „dafs er um so schneller gehe, je heifser die Luft werde, die vom Feuer aufsteigt,",
erfand Leonardo geeignete Vorrichtungen zum Schliefsen der Kamine und Schornsteine
und zur Regelung des Zuges.
Es sei noch der einrädrige Bergmannskarren hier vorgeführt, dessen Konstruktion
«8
Fi8- 74- für gewöhnlich einer
späteren Zeit zuge-
theiltwird. (Fig. 74.)
26. Hydrau-
lische Maschinen
und Apparate.
Aufser den oben be-
reits betrachteten hy-
draulischen Motoren
des Leonardo enthalten seine Manuskripte sehr viele Entwürfe von Saug- und Druck-
pumpen und dergleichen Apparaten, worunter natürlich die im Mittelalter viel ge-
brauchten Wasserschnecken und Wasserschrauben, so wie Schöpfräder nicht fehlen.
Fig. 75. Unter den Pumpwerken nennen wir zunächst die Kettenpumpe, die bei Leo-
nardo eine ausgebildete Gestalt hat, wie Fig. 75 zeigt. Bekanntlich war
Ö diese Ketten — oder Gefäfspumpe seit dem Alterthum bekannt, allein eine so
vollkommene Gestalt der Scheibe rührt doch (wie auch Ewbank Descript.
and Histor. etc. p. 156 lehrt) erst aus späterem Zeitalter her. — Leonardo's
Bestreben ging augenscheinlich und ausgesprochenermafsen darauf aus,
, einen kontinuirlichen Wasserstrahl zu erzeugen zu Fontainen, Spritzen
u. s. w." Er konstruirte daher vorherrschend zweicylindrige Pumpwerke,
die das Wasser in geschlossene Gefäfse einpumpten, wo dann die Luft-
kompression das ihrige that. Die Pumpwerke sind theils Kolbenpumpen,
theils blasebalgartige Schläuche, theils Cylinder, die sich ineinander verschieben und mit
ihren Böden wie Kolben wirken und bei denen der Herabgang durch Bleigewichte unter-
stützt ist. Eine dieser Pumpen aber mufs unsere Aufmerksamkeit im höchsten Grade
erregen. Sie trägt die Inschrift: „Acqua alzata per forza di vento." Wie die Zeich-
nung 76 darthut, enthält diese Maschine einen runden horizontalen Cylinder, der sich
offenbar nicht dreht, denn er ist durch Bänder am Gestell festgehalten, die über eine
geriefte Fläche gelegt sind. Von diesem Cylinder geht ein Rohr in den Brunnen
hinab. Dasselbe enthält nach Leonardo's Angaben ein Ventil. Aus dem Cylinder geht
seitlich ein Ausgufsrohr ab. Dasselbe enthält auch ein Ventil (animelli). Ein zweites
projektirtes Rohr (wenn das erste fortfällt) ist gerade senkrecht in die Luft geführt.
Wir sehen andererseits eine Welle aus diesem Cylinder herausragen, welche mit einem
Stift versehen ist, der in einer Nuthenscheibe (vom Getriebe her bewegt) geführt, der
Welle eine alternirende Bewegung ertheilt. Das Spiel der Pumpe ist offenbar so. Die
Welle trägt im Innern einen dichtschliefsenden Kolben, geht derselbe nach links, so
schliefst sich das Ventil im Speirohr, und das Ventil im Saugrohr öffnet sich. Bei Rück-
gang des Kolbens schliefst sich das Saugventil und öffnet sich das Ventil nach aufsen,
so dafs der Kolben das Wasser herausdrückt.
«9
Wir haben es also mit einer kompletten, einfach konstruirten Saug -Druck-
pumpe zu thun (Fig. 76).
Fig. 76
A
Karmarsch hat die Geschichte der Pumpen in seinem Werke „Geschichte der
Technologie" fehlen lassen. Ewbank gibt eine einigermafsen ähnlich vollkommene Druck-
pumpe erst aus dem 16. Jahrhundert an.
Sodann haben wir noch zu erwähnen, dafs Leonardo eine Zeichnung gibt mit der
Inschrift: „Per questa via si farä salire l'acqua per tutta la casa per condotti." Ihm
schwebte also eine Wasserleitung durch das Haus vor. —
Endlich geben wir noch folgende Zeichnung, welche auf dem bereits mehrfach
benannten Blatt 283 des Codex Atlanticus steht. Dieselbe dürfte kaum anders zu er-
klären sein, als dafs man sie als hydraulische Presse betrachtet. Auch hier fehlen
Fig. 77.
Bemerkungen des Leonardo, welche das Dunkel aufklären
könnten ; aber die auf jenem Blatt enthaltenen vielen Skizzen
für die Verwendung und die Eigenschaften des Wassers lassen
leicht unsere Auffassung als richtig erscheinen. Fig. 77.
Schliefslich erwähnen wir das Fol 45 des Codex Atlan-
ticus, welches sich mit einer Betrachtung der Wasserleitung
über Berge beschäftigt, bei welcher Leonardo Gebrauch macht
von dem Gesetz der schiefen Ebene und mechanischen Mitteln
zur Hebung.
12
90
Die Wasserwerke des Leonardo umfassen
1. Kanal von Florenz nach Pisa, — von Leonardo da Vinci projektirt am
Arno entlang, durch die Felder von Prato, Pistoja, Serravalle und durch den
See von Sesto. Viviani hat später unter Benutzung des Vinci'schen Pro-
jektes die Verbindung zwischen Pisa und Florenz hergestellt, theilweise
durch Verbreiterung und Vertiefung des Arno — und zwar nicht glücklich.
Leonardo's Projekt ist erhalten in den Pariser Codices.
2. Kanal von Martesana und Tessin. Der Kanal von Martesana war bereits
1460 begonnen. Leonardo da Vinci vollendete ihn durch das Stück Trezzo-
Brivio, welches vorzügliche Schwierigkeiten bot. Er konstruirte grofse
Schleusenwerke mit doppelten Pforten. Die Anlage derselben hat Leonardo
jedoch nicht erfunden, wie einige seiner Verehrer behauptet haben, sondern
dieselbe rührte bereits von 1441 oder vielleicht einer noch weiter zurück-
liegenden Zeit her. Die Zeichnungen für diese Anlagen im Codex Atlan-
ticus sind vorzüglich.
3. Kanal von Romorentin, für Franz I. entworfen und später nach seinem
Tode von Meda ausgeführt. In diesem Projekt hatte Vinci Schleusenthore
besonderer Art vorgesehen, die jedoch von Meda falsch aufgefafst wurden.
Schlufs.
Nachdem wir im Obigem versucht haben, die Kenntnisse und Anschauungen und
Leistungen des Leonardo näher darzuthun, nachdem wir sie mit dem geistigen Stand-
punkte seiner Zeit verglichen, als auch auf den der nachfolgenden Periode hinwiesen, —
nachdem wir die Lebensumstände des Leonardo und ihren Einflufs auf seine geistige
Thätigkeit veranschaulicht haben, dürfen wir wohl fragen, was folgt aus allen diesen
Momenten? Wir antworten:
a. Es geht aus Leonardo's Schriften evident hervor, dafs er selbst eine unserer
Zeit sehr nahe stehende Kenntnifs von vielen Gesetzen, Erscheinungen u. s. w. gehabt
habe, vor allem aber, dafö er Erklärungen über eine Reihe von Erscheinungen bereits
abgab, deren spätere erneute Auffindung durch Attwood, Porta, Galilei, Halley, Muschem-
broeck, Gassendi, Duverger u. a., diesen Männern zum Ruhme gereichte und ihnen den
Namen als Entdecker der betreffenden Gesetze etc. einbrachte.
b. Leonardo war unter den Gelehrten des Mittelalters und zumal seines Jahr-
hunderts der erste, welcher die Erscheinungen in der Natur, die Naturkräfte rationell
durchforschte, nicht aus oberflächlichen Wahrnehmungen seine Ansichten
schöpfte, sondern sie auf Grund genauer Prüfung und angestellter Experimente
sich bildete, nicht an ihnen hing als unumstöfslichen Wahrheiten, sondern sie modifi-
zirte, je nachdem weiteres Eindringen in die Erscheinungen solche Modifikationen
herbeiführten. Aus seinem Gedankengange resultirten klare und präzise Begriffe und
91
eine Wortwiedergabe des Ergründeten, welche meistens die Richtigkeit und
Wahrheit des Erforschten kurz und treffend bezeichnete und erklärte. Die Reihe
solcher Präzisionen ergab sodann die Gelegenheit, Systeme der mechanischen, hydrau-
lischen etc. Gesetze zu formiren; diese Systeme stellten die Grundgesetze der Natur-
kräfte und natürlichen Erscheinungen auf und nebeneinander in logischer Entwickelung,
so dafs er bei Untersuchungen auf diese Fundamentalsätze zurückgreifen konnte, ebenso
aber alle Untersuchungen nach den darin enthaltenen Gesichtspunkten durchführen
konnte. Leonardo verfasste solche Systeme für vielleicht alle Gebiete der induktiven
Wissenschaften; aus seinen nachgelassenen Schriften kennen wir solche Elemente,
solche Systeme für die Malerei, Perspektive, Lichtwirkung, für die Hydrostatik und
Hydraulik, für die Maschinenkonstruktion, für die Skulptur. Es läfst sich
wohl annehmen, dafs Leonardo da Vinci diese systematischen Aufstellungen gleichsam
betrachtete und gab als Leitfäden für die Vorlesungen an seiner Akademie in Mailand.
Aus der Art der Abfassung, z. B. aus den oft auftretenden Anreden: „Du mufst Dich
erinnern"; „Wenn Du dies thun willst" etc. scheint diese Auslegung fast zur Evidenz
richtig. — Leonardo war also der erste, der versuchte, die Grundgesetze der Naturkräfte
und Naturerscheinungen zu erklären und zu systematisiren. Welchen hohen Vor-
theil eine solche Betrachtungsweise stets hat und haben wird, ist uns wohl klar genug,
da wir derselben huldigen, — aber auch die spätere Geschichte der induktiven Wissen-
schaft kann an vielen Fällen erweisen, dafs diese Betrachtungsweise immer zu bedeu-
tenden Resultaten geführt hat, — gerade gegenüber der verschwommenen Weise der
Aristoteliker und der Scholastiker, Mystiker und Dogmatiker. Wir verdanken derselben
auch wohl die Fülle von Wahrheiten, die in Leonardo's Lehren enthalten ist; ja selbst
da, wo Leonardo auf falscher Fährte ist, leistet diese Methode doch noch soviel, dafs
man den Grund der unrichtigen Ansicht schnell einsieht. —
c. Es läfst sich behaupten, dafs Leonardo die von ihm erkannten Fundamental-
gesetze der Naturerscheinungen und Naturkräfte anzuwenden verstand und auf Grund
dessen eine Reihe nützlicher Erfindungen gemacht hat, und dafs seine Konstruktionen
zum Theil in die Praxis übergegangen sind, ja zum Theil sich bis auf den heutigen Tag
erhalten haben!
d. Leonardo's Darstellungsweise läfst uns ersehen, dafs viele in seiner Schrift
ausgedrückten Anschauungen die Anschauungen seiner Zeit waren! Wenn nun, wie
oben mehrfach angeführt, Whewell sagt: „Die dunkle Nacht (seit Archimedes) währte bei-
nahe zwei volle Jahrtausende, namentlich bis auf die Zeit der ersten Ausbreitung der Ko-
pernikanischen Entdeckung," und wenn für ihn das Erwachen der neueren Zeit erst mit
Cardanus, Ubaldus, Benedetti, Varro, Jordanus, Tartaglia, Apian, Commandinus u. s. w.
beginnt und erst den Karakter des wahren Fortschritts durch Stevinus erhält, ist diese
Darstellung noch haltbar, wenn wir heute wissen, dafs zu Leonardo da Vinci's Zeit
12*
92
bereits bekannt waren die Gesetze der schiefen Ebene, die Bestimmung des Schwer-
punktes, die Drehung der Erde, die Schwere der Luft, die Verbrennung und die Rolle
der Luft dabei, die Camera obscura, der Fallschirm, der Einflufs der Erde auf den Mond,
der freie Fall und vieles andere der statischen Gesetze, Gesetze der Reibung, der Wellen-
bewegung, des Schalls, des Lichts u. s. w., ja noch mehr, — bekannt waren zum Theil in
viel präziserer und richtigerer Fassung als noch zwei Jahrhunderte nachher?
Wir können Leonardo's Schriften betrachten als die vornehmste Aufzeichnung der An-
schauungen, die die Gebildeten seiner Zeit hatten, und dabei besonders auf Leonardo's
Einfiufs auf und durch einen grofsen Schülerkreis hinweisen. Leonardo schöpfte mehr-
fach auch aus anderen Quellen, und dafs dieselben gedruckt oder geschrieben waren,
wird annehmbar aus manchen Uebereinstimmungen Leonardo's mit späteren, z. B. Porta,
der sogar in einem Falle dieselben Worte gebraucht wie Leonardo. Für seine mathe-
matischen Studien gibt er uns selbst eine Reihe Schriften an, welche er liebte und
fleifsig studirte.
Wollte man nicht gelten lassen, dafs Leonardo gleichsam auch der Ausdruck
seiner Zeit wäre, nun so gewönne seine eigene Persönlichkeit so gewaltig, dafs sie
auch in der Wissenschaft und Technik den bedeutendsten Erscheinungen aller Jahrhun-
derte zugerechnet werden müfste, er würde dann wie ein Berg in der Ebene über seine
Zeit hervorragen.
Stets aber haben wir die Erscheinung beobachten können, dafs eine erhabene
Kunstepoche der Blüthe der Wissenschaft vorangeht! „Die Kunst ist ihrer Natur
nach praktisch; die Wissenschaft aber ist theoretisch oder rein spekulativ." Als daher
die Blüthe der Kunst in Italien aufgegangen war mit Leonardo da Vinci, Raphael und
Michel Angelo, da brach auch der Geist der Wissenschaften aus der Schleierhülle der
Befangenheit, Beschränkung und Furchtsamkeit hervor. Zu jeder solchen Zeitepoche
gehört eine Vorbereitung. Sie war der Kunst gegeben, und Leonardo da Vinci, selbst
erfüllt eine hervorragend lehrende, anleitende Rolle, — so auch der Wissenschaft.
Aber während Leonardo in der Kunst selbst den Parnassus der Vollendung miterstieg,
— blieb er in der Wissenschaft, wenn auch hoch und erhaben über sein Jahrhundert
und die Jahrhunderte vorher, doch unterhalb des Gipfels stehen, — weil er ihn in der
Wissenschaft auch nicht erstrebte. Fast unbewufst, zu seiner eigenen Freude und Be-
friedigung diente er ihr. Wir wollen daher festhalten, dafs Leonardo da Vinci für die
Geschichte der Wissenschaften und Technik seiner Zeit das Organ ist, dafs das Bekannt-
werden und Ausschöpfen der Leonardo'schen Schriften ein neues Licht über eine ganze
Zeitperiode verbreitet. Es wird dasselbe die Verdienste des Galilei, Kopernikus u. A.
nicht verdunkeln, sondern vielleicht einen Dritten dem Bunde zufügen, einen Mann, der
in der Malerei gleichberechtigter Vorgänger Michel Angelo's und Raphael's war und die
Gesetze der Kunst neu belebte und lehrte, der in der Architektur die römische Kunst
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wieder zu Ehren brachte, — der als Ingenieur die gröfsten Kanalbauten seiner Zeit
ausführte, und mit seinem klaren Verstände in den Zusammenhang der Natur eindrang,
um ihn zu erklären und die Kräfte der Natur zum Wohle der Menschen nutzbar zu
machen. — Leonardo da Vinci mufs betrachtet werden als der hervorragendste Vor-
arbeiter der Galileischen Epoche der Entwickelung der induktiven Wissenschaften und
als Förderer der Technik seiner Zeit, — sowie als Repräsentant vieler
Anschauungen seiner Zeit, über welche er uns klares Licht verschafft!! —
und so zur Aufhellung des Dunkels beiträgt, welches über der geistigen Thätigkeit seiner
Zeit bisher lagerte. —
Anhang.
Das Geschriebene auf der Tafel lautet:
links oben: a. b. pesa quanto un par di molle e
n. m. e la sega
f. g. e la guida
Farai fare due molle simili a questa a. b. colle sue chiavarde ovali in grossezza
da trarre e mettere, quando si trae o mette la sua sega
Si delle due seghe non ne toccassi se non una, fa che quella una sia in mezzo
del suo telajo accioche il peso del telaio sia sempre comparatito a modo di bilancia
sopra il taglio della sega che si adopra insino a tanto che la seconda sega discen-
da al constatto della pietra che si deve segare e allora tu metterai le due seghe
in mezzo al detto telaio. II moto della sega deve essere insino che il centro
della gravitä della sega giunga alli estremi della pietra segata e qualche cosa
piü, acciocche la sega si innalzi dalla parte piü lieve per dare luogo all' in-
troito dello smeriglio sieche entri sotto l'alzata parte della sega. Adunque
sia tanto il moto della sega, quanto e la lunghezza della pietra che si deve
segare, cioe in questa tal pietra, ma non in tutte, perche ella protrebbe essere
tanto piecola o tanto grande, che tale regola non sarebbe buona.
In der Mitte: Barbera stampa.
Oben rechts: Sega dasseghare pietre.
Unten rechts: Questa staffa si pub fare d'un sol pezzo, e mettergli le seghe, e poi
saldarle rinchiudendo dentro a se esse staffe. Ma falla pure di due pezzi
perche non si avrä se non a cavare la chiavarda nel mettere la sega.
Links unten: Fa 4 chiavette di ferro per mettere in n. m. o. p. da poter mettere e
cavare le seghe.
Unten: Fa li ferri al fabbro, e falli di cartone.
Bei der grofsen Figur links: Fa che sia piü alto un' oncia il disotto della pietra,
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che si deve segare, quando tu la incolli, che non e il piano del disopra del
desco ; e questo si deve fare acciocche la sega possa ventilare e pigliare sotto
di se lo smiriglio.
Unter der grofsen Figur: a.b. sono viti per poter fermare e congiungere lo scanno
a questo desco, dove sega il segatore, e queste bandeile sono causa che il
desco non si dimeni nel segare.
Die gegebenen Figuren sind theils genau genommene Durchzeichnungen, theils Kopien, theils
Nachzeichnungen, — wie es die Gelegenheit erlaubte. —
Druck von G. Hickethi
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