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EINBAND /TITEL/ UND / INITIALEN
ZEICHNETE/EMIL /RUDOLF/ WEISS
Digitized by the Internet Archive
in 2010 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/leonardodavincidOOIeon
LEONARDO, SELBSTBILDNIS
K. BIBL., TURIN
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DER/DENKER/FOR
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NACH/DEN/VEROEFFENTs
LICHTEM/HÄNDSCHRIFTEH
2ttJS>XAHL/UBERSETZUNG
ß EINLEITUNG/ VON//\A'
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P\E^ RTE/AUFLAGE/JENA 1906
EUGEN/DIEDERICHS/VERIÄG
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9
ALICE BARBI
BARONIN VON WOLFF
STOMERSEE
GEWIDMET
EINLEITUNG
EONARDO da Vinci ist durch sein geheimnisvoll
bestimmtes Schicksal ebenso scharf von seinen
Zeitgenossen geschieden wie durch die zauber-
hafte Sonderart seines Wesens. Wenn den
anderen Künstlern seines Jahrhunderts auch
manches unvollführt blieb, was sie geplant hatten, manches
zerstört ward, was sie geschaffen, — der größte Teil ihrer
Malereien glüht doch noch an den Wänden, leuchtet über
den Altären; ihre Erz- und Marmorgebilde schimmern noch
wie vormals auf den Plätzen, in den Kirchen; ihre Bau-
werke ragen heute noch mit den stolzen Fassaden, den
anmutigen Bogenpfeilern, den goldigen Kuppelkronen sieg-
reich in die blauen Lüfte. Von Leonardos Hand blieb
uns fast nichts als die Mona Lisa. Was auch sonst
sein Allgenie noch schuf, es ist verschollen, verdorben, zu-
grunde gegangen, — bloß als Skizze vorhanden, von der
Kritik in Stücke zerzweifelt, auf ein paar Pinselstriche,
die vielleicht echt sind, reduziert.
Während aber die Zeit und die gelehrten Herren uns
Leonardo den Künstler zu entreißen drohen, bis von ihm
kaum mehr übrig ist als der Name und die Aureole, er-
leben wir zugleich an ihm ein frohes Osterwunder. Die
ungeheueren Umrisse seines Wesens, von denen Burck-
hardt sprach, füllen sich und werden lebendig; Leonardo
der Forscher, der Denker, der Poet feiert in unseren Tagen
seine Auferstehung aus dem Grab der Bibliotheken. Seit
dreißig Jahren bemüht man sich, seine Schriften zu ent-
ziffern, zu veröffentlichen. Von den mehr als 5000 Ma-
nuskriptseiten, die uns noch erhalten sind, liegen nun
mehr als drei Viertel in musterhafter Faksimilewiedergabe
I Herzfeld, Leonardo
vor; vom Rest haben wir durch stofflich geordnete Aus-
züge einen vorläufigen Begriff. Man kann sich mit diesen
wunderbaren Aufzeichnungen durchaus nicht oberflächlich
einlassen. Leicht erschließen sie sich nicht; begann man
aber in sie einzudringen, so halten sie in göttlichster
Berauschung einen fest. Man findet in ihnen, das sei
gleich gesagt, kein einziges abgeschlossenes Werk; doch
aus diesen Teilabhandlungen, — Material zu Büchern, —
aus den tausendfältigen Einfällen, Beobachtungen, Ent-
würfen dieser reich illustrierten Merk- und Eintraghefte
quillt eine kaum überschauliche Fülle von Gedanken und
Poesie. Hier wird uns ein Geist offenbar, dessen Kraft
und Tiefe dem ungeheuersten Drang zu wissen und zu
verstehen, den die Erde jemals hervorgebracht hat, ganz
ebenbürtig gewesen ist. Es gibt kaum ein Fach der realen
Wissenschaften, in das Leonardo nicht die überraschendsten
Einsichten gewonnen. Nicht nur lehrt er lange vor Lord
Bacon die experimentelle Methode, sondern er übt sie
auch als Meister aus. Eine ganze Reihe der größten
physikalischen Entdeckungen hat er Jahrhunderten vor-
weggenommen. Früher als Kopernikus hat er die Erde
in die bescheidene Rolle eines Sternes unter Sternen ver-
wiesen und der Sonne die Bewegung abgesprochen. Sein
intuitives Fassen der Entwicklungsgeschichte unseres Welt-
balls, sein Blick für dessen Urzeit und dessen Zukunft
erfüllt mit Staunen und sein Irren ist ebenso genial wie
sein Erraten. Er ist nicht bloß praktisch, sondern auch
theoretisch einer der frühesten Meister des Wasserbaus.
Er hat die moderne bildliche Anatomie begründet, hat wohl
als erster vergleichende Anatomie in dem Sinn getrieben,
daß er das gemeinsame Grundschema im Leibesbau der
Menschen und der Tiere erkannte, in mehrfachen Varia-
tionen studierte und darstellte. Seine Manuskriptblätter
sind bedeckt mit Entwürfen und Berechnungen für Ma-
schinen aller Art. Nichts betont er mit solchem Stolz,
als daß er ein Erfinder sei. In welchem Maße er es war,
U
stellt die Forschung unserer Tage mit wachsender Be-
wunderung fest. Und diese Taten seines Genies sind
zum größten Teile fruchtlos geblieben. Die Zeitgenossen
wie die Generation, die auf ihn folgt, sie sprechen von
den Entdeckungen, Erfindungen Leonardos mit dem leisen
Grauen, das man vor dem Übernatürlichen hat, in un-
bestimmten, von beiläufigem Tadel verschleierten "Worten,
die uns nur alle dieser Vasari, Lomazzo Unverständnis auf-
decken und ihre Ablehnung solcher Dinge maskieren. Was,
abgerechnet von seinen Schriften über Malerei, sonst noch
von seinen staunenswerten Forschungsergebnissen in den
Kreislauf lebendiger Entwicklung gelangte, kam nachweisbar
erst auf Umwegen, Schleichwegen hinein; die Menschheit
wurde im Siegeslauf der Erkenntnis durch dies Mißgeschick
ein paar Jahrhunderte lang aufgehalten und um fast er-
reichte Ziele betrogen.
Heute ist der Inhalt der ungeheuren Lebensarbeit Leo-
nardos natürlich großenteils überholt, erweitert, korrigiert
und zu bloßem Material für die Geschichte des mensch-
lichen Geistes geworden; dennoch ist so viel Interessantes,
Seltsames in diesen Schriften, so viel Überlegenes, Welt-
überspannendes, ein so bannender, leuchtender Per-
sönlichkeitszauber, so viel, was in das Wesen des Genies
und in die Wandlung der Zeiten Einsicht gibt, daß auch
wir Ungelehrten Grund und Aufforderung fühlen, uns
davon einen klaren Begriff zu schaffen. Die großen Ge-
samtausgaben der Handschriften wenden sich an die
Fachwissenschaft; sie erfordern ein langsames, aufmerk-
sames Studium, ehe man in dieser Welt fragmenta-
rischer und durcheinander gerüttelter Aufzeichnungen die
Gedankenwege Leonardos teilweise aufdeckt. Dies ließ
den Plan entstehen, das Schönste, Merkwürdigste, Ver-
ständlichste aus diesen Schriften auszuwählen und so zu
ordnen, daß in Umrissen ein Bildnis Leonardos entstünde.
Der Versuch ist mehreremal gemacht worden. Ich kenne
nur das immer noch unentbehrliche Werk von Jean Paul
III
Richter, das italienisch-englisch in zwei Prachtbänden auf
Subskription erschienen ist und in etwa 300 Exemplaren
über die zivilisierte Welt verbreitet wurde, und ein anderes
in Duodezformat von Dr. Edmondo Solmi. Ich wage für
Deutsche ungefähr das gleiche wie dieser, nur mit etwas
anderer Methode in der Textbehandlung, Auswahl und
Gruppierung. Die Lebensbeschreibung Leonardos, die ich
auf Grund der Arbeiten der Herren Dr. Paul Müller-
Walde, Eugene Muntz, Adolf Rosenberg, E. Solmi, Georg
Gronau, Edward Mc Curdy und vieler anderer, sowie
jener wichtigen des Vasari, des florentinischen Anonymus
vom Codex Magliabechiano (Edition Carl Frey), des Lo-
mazzo. Amoretti, Giuseppe Bossi, Calvi usw., doch mit
strengster Anlehnung an die Dokumente zusammenstelle,
wird in Verbindung mit der Charakteristik seines geistigen
Wesens, wie sie aus der Schilderung seines Denkens,
seines Schaffens und Wirkens erfließt, mir helfen, das
Bruchstückartige zu ergänzen, das leider in der Natur der
Texte Leonardos und in der Natur eines Extraktes in
usum delphini liegt. Wir wissen freilich von Leonardos
Leben nur weniges sicher; will ich daher auf phantasie-
volle Kombinationen verzichten, so werde ich genötigt
sein, mancherlei Bekanntes zu wiederholen und allerlei
Anmutiges, oft Gedrucktes und auch neu Ausgesonnenes
hier wegzulassen; doch das Wahre hat seine eigene Schön-
heit und Beredsamkeit; einer anderen bedarf Leonardo
nicht.
Leonardo wurde 1452 nach einer heute noch lebendigen
Tradition zu Anchiano bei Vinci, einem Bergnest des
Monte Albano, geboren. Fünf Generationen hindurch sind
seine Vorfahren Notare gewesen, also Mitglieder einer der
höheren florentinischen Zünfte; nur Antonio, Leonardos
Großvater, trieb, scheint es, kein Gewerbe außer etwa Wein-
und Gartenbau. Im Hause dieses Großvaters zu Vinci, in
IV
dem 1457 noch die ganze Familie beisammen wohnte, hat
Leonardo seine ersten Jahre verbracht, hier seine ersten
geistigen Erlebnisse gehabt. Dieses ländliche Anwesen
seines Großvaters war ihm stets die Heimat geblieben;
auch ging es von Francesco, dem jüngeren Bruder seines
Vaters, durch Erbschaft später auf ihn über. „In der
frühesten Erinnerung aus meiner Kindheit", sagt er,
„scheint es mir, als wäre ein Hühnergeier zu mir herab-
gekommen, habe mit seinem Schwanz mir den Mund ge-
öffnet und mit selbigem Schwanz vielemale zwischen den
Lippen hin und hergeschlagen"; er meint halb scherz-
haft, halb ernst, in der symbolischen Art des ausgehenden
Mittelalters, deshalb sei es wohl seine Bestimmung ge-
worden, mit so viel Deutlichkeit vom Hühnergeier zu
schreiben. Jedenfalls hat die Natur seines heimatlichen
Fleckens ihn früh zum Beobachter aller Vögel und ihres
Fluges, der Gewässer und ihres Laufes, der Felsen und
ihrer Entstehung gemacht und ihm die Landschaft als
Träger tiefsten Stimmungszaubers enthüllt, als Versinn-
bildung eines etat d'àme malen gelehrt.
Leonardo ist der natürliche Sohn des Ser Piero da Vinci
und eines Bauernmädchens, „guten Blutes", wie der Ano-
nimo versichert und wie wir es, angesichts dieses Sohnes,
gern zu glauben erbötig sind. Noch 1452 heiratet Piero
„standesgemäß" und ebenso Caterina bald darauf: damit
verschwindet die Mutter ganz aus der Geschichte des
Sohnes. Dieser wuchs in der Familie seines Vaters auf;
denn außer bei Nachlaßteilungen nahm man es in jenen
Tagen mit der Legitimität nicht zu genau, und da die
erste und die zweite Ehe Pieros kinderlos blieb, so konnte
alle Zärtlichkeit der Eltern sich auf Leonardo vereinigen.
Als 1476 einer dritten Ehe endlich noch ein Sohn entsprang,
bedurfte Leonardo der väterlichen Obhut nicht mehr. —
Aus einer Katastereintragung erfahren wir, daß vor 1469
Ser Piero nach Florenz übersiedelt war. Er bewohnte
ein Haus, das auf der Stelle des nachherigen Palazzo Gondi
auf der Piazza S. Firenze stand. Er ernährte „vier
Münder", seine Frau, seine Mutter, eine Magd und Leo-
nardo, „figlio non legiptimo". Mit den Jahren mehrte
sich sein Hausstand gewaltig — aus der dritten und einer
vierten Ehe hatte er neun Söhne und zwei Töchter —
aber sein Wohlstand blieb dahinter nicht zurück. Ge-
schickt und jovial, wußte er sich mit Weltlichen und Geist-
lichen gut zu stellen. Wir finden ihn bald als Prokurator
des Klosters der Santa Annunziata, später als Notar der
Signoria, als Notar des Hauses Medici; um die Jahrhundert-
wende sind die wichtigsten und die zahlreichsten Kon-
trakte in Florenz von ihm aufgesetzt und unterfertigt.
Die Dokumente sprechen jedenfalls mehr von ihm als
von seinem Sohn. Von der ersten Entwicklung Leonardos
wissen wir nichts. Wie andere Bürgerssöhne ging er
wohl zum maestro dell' abbaco, dem Rechenmeister, ehe
er in die Werkstatt kam. Jedenfalls nennt sich Leonardo
öfters „senza lettere", ohne Bildung, d. h. ohne die Bildung
der Humanisten, welche man zu seiner Zeit begehrte.
Was er von dieser je besaß, hat er sich selbst angeeignet.
Seine Mailänder Aufschreibebücher zeigen reichliche
Spuren seiner lateinischen Sprachstudien; er dekliniert,
er konjugiert, legt Wörterverzeichnisse an, macht gram-
matische Analysen und bringt es so weit, daß er seinen
Archimedes, Aristoteles auf lateinisch liest, daß er latei-
nisch zitiert, lateinisch selber schreibt. Seine mathe-
matischen Kenntnisse dankt er wohl auch nicht der Schule
in Florenz. In seinen Notizheften von 1480 — 1500 lesen
wir z. B.: „laß dir vom Rechenmeister zeigen, wie man
ein Dreieck in ein Quadrat zurückverwandelt", „lerne bei
Magister Luca die Multiplikation der Wurzeln". Nach
Vasaris Bericht hätte er von Kindheit an seinen unbe-
ständigen Geist auf zu vielerlei gerichtet und, kaum be-
gonnen, jegliches Ding im Stich gelassen. „Nichtsdesto-
weniger, obschon er sich mit verschiedenen Dingen abgab,
ließ er niemals das Zeichnen sein und das Arbeiten in
VI
Relief, als der Dinge, welche mehr denn alle anderen
seiner Phantasie gemäß waren. Ser Piero, dies sehend,
und in Anbetracht der Höhe jenes Ingeniums, nahm eines
Tages etliche Zeichnungen, trug sie zu Andrea del Ver-
rocchio, welcher gar sehr sein Freund war, und bat ihn
dringend (strettamente), daß er ihm doch sagen möge,
ob Leonardo, wenn er sich aufs Zeichnen verlegte, irgend-
welchen Gewinn davon hätte. Es staunte Andrea, als
er den gewaltigen Anfang Leonardos sah, und bestärkte
Ser Piero darin, ihn dieser Sache obliegen zu lassen;
darum befahl Ser Piero dem Leonardo, daß er in die
Werkstatt des Andrea gehen möge: welches Leonardo
über die Maßen gerne tat." Reizvoller könnte „dieser
Anfang Leonardos" in einer Novelle nicht erzählt sein;
wir suchen aber umsonst nach einer Jahreszahl, nach
irgend einer Einzelheit, die der Prüfung standhielte. Ver-
rocchio war sicher unter allen Meistern in Florenz der-
jenige, der Leonardo am besten taugte. In jeder künst-
lerischen Technik, als Goldschmied, Mosaikarbeiter, Maler,
Erz- und Marmorbildner war er gleich erfahren, ein ewig
grübelnder Theoretiker und dabei ein Künstler, dessen
Weg in ungeheurem Schwünge von dem einfachen, tüch-
tigen Mediceersarkophag, mit dem er sich zuerst aus-
zeichnete, zum schönsten Reiterdenkmal der Welt, dem
des Colleoni, emporführte. Während der Lehrjahre Leo-
nardos entstand nachweisbar bei Verrocchio die Palla von
Santa Maria del Fiore, jene Kugel, welche das Kreuz
trägt, ein konstruktives Meisterstück, scheint es, in acht
Teilen aus Kupfer gehämmert und im Feuer vergoldet.
Leonardo erwähnt dieser Arbeit: „Erinnere dich des Löt-
mittels, mit welchem man die Palla von S. Maria del Fiore
lötete" (Ms. G. Fol. 84 v.). Es entstand der entzückende
David aus Bronze, dessen Kopf Leonardo in einer freien,
unendlich liebenswürdigen Variation gezeichnet hat (Mu-
seum zu Weimar). Vor allem aber, wenn die Tradition
nicht lügt, entstand die „Taufe Christi" (Florenz, Aka-
VU
demie), das Bild, in dem Leonardo zum erstenmal der
Welt „seine Hand wies". Der Meister hatte, heißt es,
mit Mühe, Fleiß und Treue die Hauptfiguren gemalt und
alles übrige, glaubt man, dem Schüler überlassen. Da-
hinein „arbeitete Leonardo einen Engel, der einige Kleider
trug, und obwohl er so jugendlich war, führte er ihn auf
solche Art aus, daß viel besser als die Figuren des
Andrea der Engel Leonardos beschaffen war: was der
Grund wurde", erzählt Vasari, „daß Andrea niemals mehr
die Farben berühren wollte, weil er sich darob entrüstete,
daß ein Kind mehr davon verstehe als er selbst". Trotz
der gegenteiligen Behauptung Morellis schreiben heutzu-
tage die meisten Kenner den kleiderhaltenden Engel dem
Leonardo zu, ja, mit Bayersdorfer wollen viele auch in
der Landschaft und in allen übrigen Partien des Bildes,
die mit Ölfarben die Tempera decken , den Pinsel des
großen Schülers erkennen: als stünde für uns überhaupt
die Weise Verrocchio des Malers heute schon fest! Die
einzigen, sicheren Daten über den jungen Leonardo hat
Gustavo Uzielli im „Libro Rosso", dem roten Buch der
„Compagnia de' Pittori", gefunden. Zwei Eintragungen
darin beweisen, daß 1472 Leonardo selbst ein Meister
gewesen, aber wohl kein sehr beschäftigter oder gut be-
zahlter, denn er war seinen Mitgliedsbeitrag und seinen
Anteil an den Opferkerzen für den Tag des heil. Lukas,
des Schutzpatrones der Zunft, schuldig geblieben; ja, er hat
wahrscheinlich auch fernerhin in der Werkstatt des Ver-
rocchio fortgearbeitet, 1476 hat er sogar bei ihm gewohnt.
In diesem Jahr fanden nämlich die „Ufficiali di Notte e
de'Monasteri", eine Art von florentinischer Sittenpolizei, in
ihrem „tamburo", dem Briefkasten zur Hinterlegung ge-
heimer Anzeigen , eine Anklage gegen vier junge Leute,
unter ihnen Leonardo da Vinci, „der bei Andrea del Ver*
rocchio wohnt", dahin lautend, daß sie unerlaubte Be-
ziehungen zu einem nichtsnutzigen jungen Burschen
unterhielten. Sie wurden am 8. April vorgeladen und
VIII
freigesprochen, bedingungsweise, wie die Form gebot, „cum
conditione ut retamburantur". Die neue Tamburation
kam am 7. Juni zum Austrag, mit neuem Freispruch aller
Angeklagten. Damals, in der Epoche des aufblühenden
Kultus alles dessen, was für antik, also für trefflich galt,
war der Sodomitismus das eleganteste aller Laster, und
diese Zeit, in der man sich gewöhnt hatte, dem Nächsten das
Ungeheuerlichste ohne Bedenken nachzusagen, war gerade
mit dieser Beschuldigung immer zu allererst bei der
Hand. Wem aber jener Freispruch weniger gilt als die
Beschuldigung, und wer heute noch, und wäre es als
Lob, in Leonardos Schönheitskult etwas anderes sieht
als das rein Künstlerische, verrät sich als geringer Kenner
der Schriften Leonardos und als schlechter Psycholog
gegenüber der hoheitsvollen Seele , der jene Schriften
entflossen sind. Von den Arbeiten dieser Epoche , die
Vasari mit anmutreicher Kunst uns schildert, ist keine
uns erhalten, weder der Karton für einen gewebten Tür-
vorhang mit Adam und Eva im Paradies, den er zu jener
Zeit „im glücklichen Hause" des Ottaviano Medici sah, noch
der Rundschild mit dem schreckeinflößenden Fabelwesen,
dessen Entstehung Vasari so hübsch schildert , und der
an den „Herzog von Mailand" kam, noch der Medusen-
kopf, dessen Beschreibung so viele falsche Leonardos
mit dem gleichen Thema in die Museen Europas gebracht
hat. Ebensowenig existiert die Muttergottes mit der
blumengefüllten Wasserflasche, zu der die Münchener
Madonna mit der Nelke vielleicht in einem gewissen Ab-
stammungsverhältnis steht. — Die früheste beglaubigte
Arbeit Leonardos ist eine in den florentinischen Offizien
aufbewahrte Federzeichnung, eine Landschaft mit burg-
gekrönten Felsen, lieblichen Hügeln, Bäumen, Ebene,
Wasser, alles voll zartem, jugendlichem Reiz. Das Blatt
ist von Leonardos Hand datiert: „dì di Sta Maria della
Neve — ad dì 5 d'agosto 1473" — Tag der h. Maria
im Schnee — 5. Tag des August 1473 — mit phan-
IX
tastisch dekorativen Buchstaben geschrieben, von rechts
nach links, wie es auch später des Meisters Art ge-
blieben. — Die so innig empfundene Verkündigung
(Louvre) gehört wohl ebenso in diese Frühzeit. Als
„Leonardo" beglaubigt sie eine schöne Studie zum Kopf
der heil. Jungfrau, die geistig sicher ihm angehört, selbst
wenn das Exemplar der Offizien zufällig eine Schülerkopie
wäre. Und nicht minder gehört in diese Zeit das poe-
tische Bildnis der Wiener Liechtensteingalerie, das, nur
etwas jünger, die gleiche Persönlichkeit darstellt wie die
in der Werkstatt Verrocchios entstandene Frauenbüste
(Bargello, Florenz), — ich meine die bekannte mit den
Primeln im Gewände und den seelenvollen, von d'An-
nunzio bewunderten Händen — welche Hände einen der
letzten Biographen Verrocchios, Hans Mackowsky, veranlaßt
haben, auch dieses Werk Leonardo zuzuschreiben. Vasari
erzählt von Tonbüsten lachender Frauen, die noch zu
seinen Tagen nach Vorbildern Leonardos in Gips ge-
gossen wurden, und ebenso von Kinderköpfchen, die aus
der Hand eines Meisters hervorgegangen schienen; der
Mailänder Maler Giovanni Paolo Lomazzo spricht in seinem
Traktat über Malerei von einer kleinen Tonbüste eines
Christus als Kind, die er besitze — derselben vielleicht,
auf die Leonardo (CA. Fol. 252 r.) anspielt: „da ich
unseren Herrgott als Knaben machte" . . . das ist aber
alles wie vom Erdboden spurlos verschwunden. Dafür
haben wir allerlei interessante, wenn auch dem Frag-
würdigen nicht ganz entrückte Kombinationen , z. B. die
Müller-Waldes, der das Stuckrelief „Die Zwietracht" (Lon-
don , South-Kensington) doch wohl zu hoch einschätzt,
wenn er dafür Leonardos direkte Urheberschaft bean-
sprucht, oder die besser begründeten Vermutungen
Wilhelm Bodes, der unter anderen in dem schönen
Bronzerelief „Die Beweinung Christi" (S. Maria in
Carmine, Venedig), das man bisher Verrocchio zu-
schrieb, die durchseelte Hand des jugendlichen Schülers
(1474) erkennen will. Das Scipiorelief des Louvre mag
von ihm sein.
Der Anonimo Fiorentino, aus dem Vasari für seine Lebens-
beschreibungen der Künstler geschöpft hat, erzählt, Lorenzo
habe als Jüngling beim Magnifico Lorenzo de' Medici ge-
wohnt, der für ihn gesorgt und ihn im Garten auf der
Piazza von S. Marco in Florenz, wo seine berühmten
Antiken standen, habe arbeiten lassen. Nirgends anderswo
wird Leonardo unter den Familiären des großen Mediceers
erwähnt, wie etwa der jüngere Michelangelo erwähnt ist;
auch bezeugt kein persönlicher Auftrag die Gunst Lorenzos
oder einen ausgesprochenen Geschmack für sein selbstherr-
liches Genie. Eine Tatsache erhellt vielleicht das Rätsel.
Als 1478 Giuliano Medici der Verschwörung der Pazzi zum
Opfer gefallen war und man Mörder und Verdächtige und
Schuldlose mit ihren Sippen und Magen in scheinbar
blinder Wut niederhaute, hängte — mit und ohne die
Zeremonie eines Prozesses, einfach, wo es sich eben traf,
an die Fensterstangen der Signoria oder des Palazzo des
„Kapitäns der Gerechtigkeit" knüpfte, da wurde nach
Brauch und Herkommen befohlen, die „Gerichteten" zum
abschreckenden Exempel an die Wand des Bargello zu
malen; die Ausführung wurde wohl einem aus der Schule
Verrocchios zuteil, aber, wie ein Zahlungseintrag von 1478
in den Büchern der Acht Prioren beweist, war dieser eine
Sandro Botticelli, den Lorenzo liebte: er durfte u. a. den ge-
flohenen Mörder Giulianos, Bernardo Bandini de' Baroncelli,
den man erst 1479 fing, im vorhinein als Gehängten ab-
bilden. Leonardo scheint sich für die Aufgabe interessiert
zu haben; eine Federzeichnung (im Besitz von L. Bonnat
in Paris) stellt den Mörder in der tödlichen Schlinge dar;
auf dem gleichen Blatt hat er die genaue Beschreibung
der Farben seiner Kleidung, bis auf die Strümpfe herab,
und den Kopf hat er noch einmal, etwas größer, gezeich-
net. Freilich besitzt die Skizze nichts Krudes, Grauen-
einflößendes. Wie ein armer Krammetsvogel, der in die
XI
Beeren ging und in die Dohnen geriet, so traurig hängt
Bandini da. Dergleichen war nicht für praktische Zwecke
brauchbar, und dieser Maler auch nicht, denke ich mir.
Wohl hatte damals Leonardo eine staatliche Bestellung
erhalten: für die Kapelle des h. Bernhard im Palazzo
vecchio sollte er ein Altarbild malen. Am 16. März 1478
empfing er 25 Goldgulden als Angeld für die Arbeit,
welche eine Woche vorher erst die Signoria an Piero del
Pollajuolo vergeben hatte. Um uns annehmen zu lassen,
daß Lorenzo die Änderung des Beschlusses herbeigeführt,
müßte seine Gunst für Leonardo besser bewiesen sein.
Geliefert hat der junge Meister das bestellte Gemälde
nicht. Ein anonymer Schriftsteller aus dem Anfang des
Cinquecento schreibt von ihm: „non colorì molte cose,
perchè mai, in niente anchor che belle, satisfecie a se
medesimo: et perciò ci sono poche cose di suo, che il suo
tanto conoscere gli errori non lo lasciò fare.* „Er malte
nicht viele Sachen, denn nie, in nichts, und wenn sie
noch so schön waren, tat er sich selbst Genüge: und
daher gibt es wenig Dinge von ihm, weil sein so großes
Kennen der Irrtümer ihn nicht machen ließ." Wir sind
nicht einmal genau unterrichtet, was die Prioren ihm
darzustellen aufgetragen. Der Anonimo Fiorentino (Aus-
gabe Carl Frey, S. 116) behauptet, Leonardo hab eeine
Madonna mit Figuren zu malen begonnen, welche Filippino
Lippi nach seiner Zeichnung dann fertig gemacht habe.
Das Bild des Filippino, eine Muttergottes mit den Heiligen
Viktor, Johannes dem Täufer, Bernhard und Zenobius,
das 1485 fertig wurde und nun in den Offizien aufbewahrt
ist, weist nicht auf eine so bedeutende Vorlage hin;
man darf aber vermuten, daß auch Leonardo für eine
Bernhardskapelle einen h. Bernhard mit der Muttergottes
darzustellen hatte und daß ein sehr wertvolles Skizzen-
blatt der Uffizien, so wie es Mr. Edward Mc Curdy an-
nimmt, mit diesem geplanten Bild in einem gewissen
Zusammenhang steht. Auf diesem Blatt befinden sich,
XII
nebst den Fragmenten von Maschinenteilen, zwei Köpfe
in Gegenüberstellung, der eines sehr würdevollen, alten
Mannes, dessen fast karikaturales Profil durch große,
tiefe Augen zu merkwürdiger Hoheit und Harmonie ge-
adelt ist, und der eines schwärmerisch aufblickenden
Jünglings, dessen Haupt von oben außen stark nach unten
innen gebogen und ganz von der Seite gesehen ist; dieser
Jüngling konnte ganz gut als eine Skizze zu dem eksta-
tischen h. Bernhard gedacht sein: es ist derselbe Kopf,
den irgend ein Schüler Verrocchios zugleich mit anderen
Studien Leonardos für das Bild des zum Himmel auf-
fahrenden Erlösers mit den Heiligen Leonhard und Lucia
benützte, das in Berlin nun für einen da Vinci gilt.
Unter den beiden in genialem Zug umrissenen Köpfen
der Federzeichnung steht in sehr verzierter Schrift von
rechts nach links das Fragment einer Notiz: „. . . bre 1478
io chominciai le 2 vergine Maria" (. . . ber 1478 begann
ich die zwei Jungfrauen Maria). Das kann sich sehr gut
auf einen Karton für das Bild der Bernhardskapelle be-
ziehen; auf welches zweite Madonnenbild Leonardo sich
bezieht, bleibt unserer Frage offen. Wir besitzen in
Windsor, in den Offizien variierte Studien aus dieser Früh-
zeit, Maria mit dem Kinde darstellend, das mit einer
Katze spielt. Ob das Motiv jemals ausgeführt wurde,
wissen wir nicht. Ein anderes Werk stammt im Entwurf
jedenfalls noch aus der florentinischen Zeit: ich meine
die „Madonna Litta" der Petersburger Eremitage; das
dortige Exemplar ist freilich eine spätere Schulreplik oder
von einem Restaurator mit einer wahren Tortenglasur ver-
sehen; aber auch da leuchtet die göttliche Schönheit des
Originales durch. Die herrlichen Studien zum Kopf der
Muttergottes (im Louvre und in Windsor), das eigen-
tümlich gemusterte Schleiertuch auf dem Haar der h.
Jungfrau, der leise verrocchieske Anklang im Typus des
Kindes, dessen Augen so weltenweit auseinander liegen,
unterstützen die Meinung, daß diese Madonna noch unter
XIII
dem Einfluß von Florenz entstand, wenn auch die große,
freie Ausführung von der Reife späterer Jahre spricht.
Um 1480, wird erwähnt, habe Leonardo „casa sua" ge-
habt, d. h. wohl Wohnung und Werkstatt für sich. Im
Juli 1481 schloß er mit den Mönchen von S. Donato in
Scopeto einen Vertrag ab, in dem er versprach, ihnen
im Lauf von spätestens 30 Monaten ein Bild für den
Hochaltar ihrer Kirche zu malen. Ob dieses jemals be-
gonnen wurde, wissen wir aus Dokumenten nicht; jeden-
falls gibt es in den Archiven ein paar Vermerke über
Naturallieferungen des Klosters an den Maler, — die
letzten vom 28. September 1481: „dem Meister Lionardo
di Ser Piero da Vinci, an besagtem Tag einen Eimer
roten Weines, den er hier in Sancto Donato erhielt.*
Weit kam Leonardo jedenfalls nicht mit seiner Malerei.
„Die Zeit verstrich, und uns erwuchs Nachteil daraus",
verzeichneten die Mönche. 1496 übernahm dann Filippino
Lippi den Auftrag und machte eine Anbetung der h. drei
Könige, die sich heute in den Uffizien befindet. Dort
befindet sich auch das Wunderwerk der Adorazione des
Leonardo, das trotz seines unvollendeten Zustandes, bloß
untermalt, im Verein mit den dazugehörigen vorbereiten-
den Studien in der Entwicklung der modernen Malerei
einen Markstein bildet. Daß die ersten Skizzen um 1481
in Florenz entstanden sind, ist unbestritten; ebenso nimmt
man jetzt fast allgemein an, daß dieses Gemälde für
S. Donato bestimmt war: die nicht ganz gewöhnlichen
Längen- und Breitenmaße des Bildes, welche sich mit
jenen der Anbetung des Filippino so ziemlich decken,
erregen diese Meinung. Ein günstiges Geschick hat uns
eine große Menge von Zeichnungen zu diesem Tafelbild
erhalten. Wir können die Wandlungen vom ersten Ge-
danken bis zur endgültig festgestellten Form verfolgen.
Und wir bekommen einen höchst belehrenden Einblick
in die schier unstillbare Fülle der, man möchte sagen,
novellistischen Erfindung Leonardos, in die ganze Art
XIV
seines künstlerischen Schaffens. Drei große Etappen,
scheint es, hat die Idee durchgemacht. Eine Zeichnung
im Besitz des M. Leon Bonnat und eine andere in
Windsor beweisen, daß Leonardo zuerst an eine An-
betung der Hirten gedacht habe, und dieses Thema soll
er, nach Vasari, in Mailand einmal ausgeführt haben.
In der Akademie von Venedig gibt es dazu zwei ent-
zückende Skizzenblätter (No. 256 und 259). Auf dem einen
kniet Maria, die sich dem Beschauer voll zuwendet, vor
dem h. Kind auf dem Boden. Der Bambino, der behag-
lich auf dem Bauche liegt, hat sich mit dem Oberkörper
halb auf die linke Seite gelegt, um die rechte Hand nach
rückwärts dem kleinen Johannes entgegenzustrecken, der
herbeigeeilt ist und schnell die Hände faltend nieder-
kniet. Die Bewegung der Eile liegt noch in Rumpf-
und Armhaltung. Im ersten Plan links sitzt vorgebeugt
ein älterer Mann mit überschlagenem Bein, der sich nach
rückwärts zu einem gerade hergetretenen jungen Mann
wendet, dem er die Hand zustreckt und offenbar das
Wunder vor ihm erklärt. Das zweite Blatt enthält Vari-
anten zur Haltung des Kindes und des Johannesknaben.
Wunderbar ist der Reichtum an Bewegungsmotiven, die
mehrere Momente verbinden und der Komposition eine
ungeheure Fülle von Linien, von Ausdruck und gewisser-
maßen Handlung geben. Noch reicher und bewegter
konnte natürlich das Thema der Anbetung gestaltet wer-
den, von dem wir in Florenz das untermalte Bild besitzen.
Hier fand die drängende Phantasie Leonardos in Ent-
würfen großen Spielraum. Die heiligste, menschlichste
aller Idyllen, drei Könige verschiedenen Alters, ein großes
Gefolge, fromme Hirten und gleichgültige Krieger, — das
reiche Leben, das er in diesem Gegenstand fühlte, lockte
ihn zum Außerordentlichsten. Er umstellte die Szene
mit einer weitläufigen Palastruine, die mit ihren Portiken,
Treppen, Erkern und Brüstungen Raum und Gelegenheit
zu mannigfachen Gestaltungen bot. Die tiefe Ergriffen-
XV
heit des Gefühles höher gearteter Menschen konnte mit
allerlei Stufungen im Alltagstreiben der breiten, teilnahms-
losen Massen in Gegensatz und langsam zur Ruhe kommen.
Zwei Zeichnungen, die eine im Besitz des M. Galichon
in Paris, die andere in Verwahrung der Offizien, stellen
zwei grundverschiedene Kompositionen desselben Ge-
dankens dar. Aber zu jeder dieser Kompositionen gibt
es noch eine Menge Detailstudien; Leonardo sieht offenbar
immer neue Gestalten mit ihren Beziehungen zur Heils-
botschaft, Szenen, die gänzlich aus dem Rahmen des einen
Gemäldes herausfallen müssen, Leute, die einander das
Wunderbare auf der Straße, in der Schenke, überall er-
zählen, wo zwei oder mehrere beisammen sind, bis alle
wissen, alle begreifen, und müßte man es den Tauben
ins Ohr posaunen, so wie es in der Tat einer auf der
Federzeichnung tut, die in der Malcolm -Sammlung zu
London existiert. Auf einem der Blätter des Louvre sind
mehrere solcher Erzählszenen skizziert, — zwei Leute,
die auf einer Bank zufällig nebeneinander zu sitzen kamen,
eine Reihe anderer, die wie nach einer Mahlzeit um
einen Tisch gruppiert sind und einem, der etwas Großes
mitteilt, aufs gespannteste lauschen. So kann Leonardo
sich in seinen beschreibenden Entwürfen zu Malereien
ja auch nie genugtun in Mitteilung von charakteristischem
Detail, das er noch, und noch immer weiter sich entwickeln
sieht. Dies Blatt erwähne ich aber besonders wegen seiner
Wichtigkeit für Leonardos Biographie. So wie eine klingende
Saite die verwandten Saiten zum Tönen bringt, so hat
das Thema von den Jünglingen, Männern, Greisen, die
um einen Tisch herum bei einer Mahlzeit sitzen und
etwas Großes, Erschütterndes hören, offenbar ein anderes
innerlich und äußerlich verwandtes Thema in Leonardos
Phantasie zum Klingen gebracht — das Thema vom letzten
Abendmahl. Auf jenem wunderbaren Blatt, weiter links
unten, sitzt vor einem Tisch der Herr, und deutlicher als
Worte spricht seine Gebärde; ober ihm ein Jünger, der
XVI
sich das Antlitz in Schmerz verhüllt. Das Thema wird
auf einem offenbar gleichzeitigen Blatt (Windsor) in flüch-
tiger Federzeichnung zwiefach ausgesponnen: Christus
setzt das Abendmahl ein, auf der einen Skizze; auf der
anderen, Christus sagt: „wahrlich, einer unter euch wird
mich verraten" und reicht das in Salz getauchte Brot dem
Judas, der ihm schräg gegenüber an der Tafel aufsteht
und frech-verlegen den Arm nach dem Bissen hinstreckt.
In einem außerordentlich geistvollen Aufsatz, der nur dem
Wesen des Genies vielleicht nicht genügend Rechnung
trägt (Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen, 1895),
hat der Grazer Professor Josef Strzygowski dieses Zu-
sammenblühen der Abendmahlideen und der Entwürfe
zur Anbetung als mitstützendes Argument benützt, um
zu beweisen, daß nur ein Teil der Skizzen zur Anbetung
so früh in Florenz entstanden; daß andere in Mailand
entworfen wurden, als ihn schon das Sforzadenkmal be-
schäftigte, mit seinen Pferd- und Reiterstudien (die ihr
Echo haben in den Pferden, Reitern, Kämpfern im Hinter-
grunde, welche schon zu den späteren Skizzen für die
Anghiaraschlacht überleiten) und als die Keime zu dem
„Letzten Abendmahl" des Klosters S. Maria delle Grazie
ihre ersten grünen Blätter aufrollten. Ja, Strzygowski
meint, die Komposition, so wie sie heute ist, mit dem
wundervollen Reichtum gegeneinander spielender Linien,
mit der so außerordentlich genialen Verwendung des
Lichtes als Ausdrucksmittel des Kompositionsgedankens,
so daß die Gruppen nach ihrer Wichtigkeit davon umhüllt,
da und dort getroffen, dort und da von ihm verlassen
erscheinen; daß die Erfindung der zwei Bäume, welche das
Licht verteilen und abhalten, daß der goldige Lichtnebel
dieser Luft, dies alles eine Höhe und Weisheit des Kunst-
verstandes verrate, die an den Erfahrungen der Cena
mußten herangereift sein. Strzygowski meint, daß die
„Anbetung" erst bei irgend einer zufälligen Anwesenheit
Leonardos in Florenz — er nennt 1494 — so weit ge-
li Herzfeld, Leonardo
XVII
bracht worden sei, wie sie nun existiert; sonst hätte sie
schon früher mit ihrer epochalen Neuheit die Florentiner
Kunst umgestalten müssen: nun würden die Spuren des
Einflusses dieses Wunderwerkes jedoch erst gegen 1498
sichtbar. Jedenfalls waren die Entwürfe zu diesem Ge-
mälde das letzte, was Leonardo in Florenz gemacht.
Sein Sinn stand nach der Ferne hin. Florenz war ihm
zu eng, die Atmosphäre daheim zu trocken, das miß-
trauische und spöttische Wesen ringsum dem Genie nicht
förderlich. In Republiken ist kein Platz für den, der unver-
hüllt die anderen überragt. Julius Cäsar hat es gebüßt;
Lorenzo Medici, vom Tod seines Bruders belehrt, erinnerte
sich der Mahnung seines weisen Großvaters Cosimo; wie
ein Bürger unter Bürgern ging er ohne Geleite, im un-
scheinbaren kurzen Mantel in den Straßen umher, und
die Bittsteller trafen ihn, den Magnifico, abends im Hofe
seines Hauses sitzend. In Florenz mußte man eben wie
der Nachbar handeln, wie jedermann sein; sonst verfiel
man dem Witz oder schlimmerer Verfolgung. Noch 70
bis 80 Jahre später sagt Vasari irgendwo: „Florenz tut
an seinen Künstlern, wie die Zeit an ihren Sachen tut,
die sie, kaum gemacht, wieder zermacht und nach und
nach verzehrt." Einen Leonardo freilich macht kein Staat;
der kommt aus anderen Weiten her — und bedarf anderer
Weiten. Daheim fand er nicht die Aufgaben, die er be-
gehrte, nicht das Verständnis, das er brauchte. Er war
mehr als bloß ein Maler, und ein Maler war in seinen
Augen mehr als ein simpler Handwerksmann. Sein Jahr-
hundert, dessen Meinungen von den Humanisten gelenkt
wurden, dachte anders. Es tat die Rhetorik unter die
sieben freien Künste, die Malerei mit nichten. Wenn der
junge Michelangelo als Gleicher unter Gleichen an des
Magnifico Tafel saß, so saß er als Ritterbürtiger da. Er
selbst schreibt, nur der Mann von guter Herkunft leiste
Großes, und so dachte die ganze Zeit, wenn man es uns
auch anders lehrt. Noch ein Baldassare Castiglione glaubt
XVIII
es entschuldigen zu müssen, wenn er fordert, daß der
vollkommene Hofmann malen könne: „Wundert euch
nicht, wenn ich auch diesen Teil verlange, der heute
vielleicht mechanisch erscheint und wenig schicklich für
einen Edelmann." — „Ihr habt die Malerei unter die
mechanischen Künste gesetzt," grollt Leonardo. Dem
entspricht die ganze Stellung des Künstlers am Ende des
Quattrocento. Wenn man ihn auch nicht mehr allgemein
duzte; wenn die Zeiten auch vorüber waren, wo Brunel-
lesco und Donatello im Schurzfell und in Holzpantoffeln
durch die Straßen liefen und David Ghirlandaio sich
empörte, daß man ihm und seinem Bruder Domenico im
Kloster zu Passignano die Abfälle der Tafel zu essen
gab, — noch zahlt man seine Arbeit wie im Taglohn
monatsweise, oder gar nach der Elle, so wie Borso d'Este
den Francesco Cossa, der die Fresken von Schifanoja
malte; noch war es zumeist ein armer, halb verhungerter
Geselle, derb, naiv, oft herzlich unwissend, obschon be-
gabt, der mit jeder Arbeit, groß und gering, vorlieb nehmen
und jeder gewachsen sein mußte, alles können und nichts
bedeuten. Leonardo selber hat, wie wir wissen, im
Kloster von S. Donato den Uhrturm mit Gold und Ultra-
marin frisch aufgeputzt. Zu solchen Hantierungen konnte
er sich nicht mehr bequemen; er war von einer anderen
geistigen Rasse als diese prächtigen Bursche, die Maler,
Bildhauer, Bau- und Zimmermeister von Florenz, mit
denen er vermengt, verwechselt wurde, ohne jedoch so
brauchbar wie sie gefunden zu werden. Nicht er bekam
die großen Aufträge, die Vertrauen fordern. Man über-
ließ ihn auch bedingungslos an Mailand, — nicht nur
leihweise, wie später der Soderini ihn den Franzosen gab
oder wie Lodovico Moro sich einmal den Perugino von
den Baglioni, seinen rechtmäßigen Herren, erbat. Man
hatte in Florenz damals keine Ahnung, was man mit
Leonardo verlor. Er wälzte unermeßliche Pläne in seinem
Gehirn herum, und andere als nur künstlerische. Er
II*
XIX
hatte schon begonnen, die Natur auf seine Art zu be-
fragen, um zu erkennen und um etwas zu leisten.
Einige Stellen in den englischen Manuskripten Leonardos,
welche, wenn der Charakter der Handschrift nicht trügt,
vor 1480 abgefaßt sind, beweisen, daß sich da Vinci
schon damals mit allerlei Erdproblemen beschäftigte. Er
durchforschte die Umgegend von Florenz, er hatte seine
eigenen Ideen über die Veränderungen, welche die Jahr-
tausende in der Physiognomie dieses Landes hervorge-
bracht und über die Rolle des Wassers bei der Gestal-
tung und Umgestaltung des Erdballes. Er beobachtet
das lebendige Leben auch der sogenannt anorganischen
Welt; er sieht den Kreislauf der Dinge und das Ende
von ihnen: die Erde wird wasserlos werden, verdorren,
zuletzt in Asche aufgehen, meint er. Seine Forschungen
waren von realen Zwecken ausgegangen. Ihn interessier-
ten allerlei Fragen der Mechanik. Der originale und tiefe
Denker, der Erfinder haben sich in ihm dabei schon früh
geregt. Von zwei Dingen, die sich auf Florenz beziehen,
berichtet Vasari. „Er war der erste,** sagt er, „der, ganz
jung noch, über den Fluß Arno sprach, um ihn von Pisa
bis Florenz zu kanalisieren** . . . „Unter diesen Modellen
und Zeichnungen war eine, mittels derer er mehrere Male
vielen der ingeniösen Bürger, so damals Florenz regierten,
zeigte, die Kirche von S. Giovanni heben und ihr Stufen
unterlegen zu wollen, ohne sie zu ruinieren; und mit so
starken Gründen überzeugte er davon, daß es möglich
schien, obschon jedermann, sobald er sich entfernt hatte,
bei sich die Unmöglichkeit einer solchen Unternehmung
einsah.** Schon im Jahre 1455 haben Gaspare Nardi
und Aristotile Fioravanti in Bologna den Turm della Ma-
gione von einer Stelle zur andern transportiert; an genia-
len Praktikern hat es Italien durchaus nicht gefehlt; aber
es wird hervorgehoben, daß Leonardo in seiner Zeit der
erste war, der versuchte, seine mechanischen Erfindungen
und Einfälle wissenschaftlich zu untermauern, — „immer
XX
muß die Praxis auf die gute Theorie gebaut sein", sagt
er, und den „Theoretiker" hat man mit vieler Achtung
angehört und hat ihm nicht geglaubt, als einem Plan-
macher, Phantasten, Ideologen — die Namen dafür wechseln;
die Sache bleibt in Ewigkeit die gleiche.
Für solche Unternehmungen, die ihn lockten, brauchte
Leonardo einen Fürsten, nicht bloß der Macht, sondern
auch der Gesinnung nach; er brauchte ein Reich mit
jungfräulichem Boden, wo für den Künstler, für den
Erfinder etwas zu leisten war. Das Trugbild eines
solchen Fürsten, eines solchen Reiches hat ihn sein lebe-
lang von Ort zu Ort gelockt, bis zu jenem, wo sein Grab
geschaufelt war. Nun sah er die Erfüllung seiner Träume
in Mailand.
Am 26. Dezember 1476 war Galeazzo Maria Sforza,
■^^ Herzog von Mailand, in der Kirche von ein paar Jüng-
lingen erdolcht worden, denen der Plutarch zu Kopf ge-
stiegen war. Seine Witwe Bona von Savoyen, Vor-
münderin des achtjährigen Gian Galeazzo, entfernte auf
den Rat ihres klugen Kanzlers Cicco Simonetta die ehr-
geizigen Brüder ihres Mannes. Der bedeutendste unter
ihnen war der älteste, Lodovico, in der Taufe auch Maurus,
Moro genannt; „der Moro" hieß er auch weiter in der
Familie und im Volk, obwohl er seit seinem sechsten
Jahr, nach einer Errettung aus schwerer Krankheit, in-
folge eines Gelöbnisses seiner Mutter der heil. Jungfrau
zu Ehren offiziell den Namen Lodovico Maria führte.
Dieser Moro wußte 1479 seine Schwägerin zu bewegen,
daß sie ihn aus Pisa, wohin er verbannt gewesen war,
zurückberief. Es bedurfte nur eines halben Jahres und
Simonetta war enthauptet. Bona so kompromittiert, daß
sie unmöglich geworden, der junge Herzog in den für-
sorglichen Händen Lodovicos und dieser selbst „Vikar*
und Regent von Mailand; Gian Galeazzo kam niemals
XXI
zur Herrschaft. Kaum war der Moro so weit, so zog er
anders klingende Saiten auf. „Ich bin nicht mehr der
Lodovico von Pisa," schreibt er; „ich bin der Sohn des
Francesco Sforza und werde es beweisen." Ein feiner
Kopf mit durchdringendem Verstand , glaubt er , mit
Menschen und Dingen jonglieren zu können. Er schätzt
sich nicht gering ein; er berühmt sich, den Papst
Alexander VI. zum Kaplan, den Kaiser Maximilian zum
Kondottiere, den König von Frankreich zum Kurier zu
haben. Den Venezianern droht er einmal, sie ins Meer
zu werfen; doch seine eigentlichen Mittel waren nicht
die der Gewalt, solang er es vermeiden konnte. „Le
dict seigneur Ludovic estoit homme très saige," schreibt
Philippe de Comynes, „mais fort craintif et bien souple
quant il avoit paour (j'en parle comme de celuy que j'ay
cogneu et beaucoup de choses traicté avec luy), et homme
Sans foy s'il veoit son prouffit pour la rompre." Sein
politisches Prinzip ist, Unruhe zu stiften, damit man ihn
in Ruhe lasse, die fremden Wasser zu trüben, damit er
darin fischen könne. Nicht ein Ruchloser im modernen
Sinn, sondern wie Burckhardt von ihm sagt: „Der Moro
ist die vollendetste fürstliche Charakterfigur dieser Zeit
und erscheint damit wieder wie ein Naturprodukt, dem
man nicht ganz böse sein kann. Bei der tiefsten Im-
moralität seiner Mittel ist er in deren Anwendung völlig
naiv." Ein Mann von weitem Geist, hoher Bildung,
großer Einsicht, ohne Grausamkeit und Härte, blutscheu
bis zur feigen Schwäche , prachtliebend , genußsüchtig,
will er sein Land zum blühendsten , glanzvollsten der
ganzen Welt gestalten. Er findet große Schätze ange-
sammelt vor; Mailand ergibt jährlich mit Leichtigkeit
500000 Dukaten; Lodovico versteht es, seinen Unter-
tanen 650000 abzupressen: die Stadt ist nach Venedig
die reichste von Italien, reicher als ganz Deutschland, als
Frankreich, als England; nur Spanien kommt ihr noch
zuvor. Mit solchen Mitteln, die sich in der Hand eines
XXII
Fürsten konzentrierten, ließ sich Großes leisten, und Lo-
dovico Moro war der Mann, Großes zu unternehmen. Es
fehlte in Mailand nicht an geistiger Kultur. Petrarca
hatte hier gelebt und nach ihm eine Schar von Huma-
nisten, als Hofpoeten, Staatssekretäre, Lehrer, Geschichts-
schreiber, oft parasitäre Existenzen, die zugleich Leute von
blendenden Gaben oder mindestens von geschicktem Talent
waren, und hie und da auch Männer mit wahrem Ver-
dienst, — die Decembrio, Vater und Sohn, Antonio Loschi,
der Kanzler, der kühne Antonio da Rhò, die beiden Bar-
zizza und vor allem Filelfo, der unverschämte und geniale
Vorgänger des Aretin, dessen Lob alle suchten, dessen
lästernden Spott alle fürchteten; der Papst und Sultan nach
seinem Willen bog; der die Fürsten brandschatzte, um
seine Töchter auszustatten, und meinte, die Unsterblich-
keit großer Taten hänge an der Spitze seiner Feder. Hat
Filelfo auch den glänzendsten Schliff und die Anmut des
eigenen Geistes in der reichen, üppigen Gesellschaft von
Mailand verbreitet, so hat sich doch nach seinem Bei-
spiel ein Epigonentypus des Humanisten ausgebildet, der
durchaus keine Sympathie erweckt, der Typus, gegen den
Leonardo sich so oft grollend wandte . . . Auch der Uni-
versität von Pavia fehlte es nicht an ausgezeichneten
Professoren aller Disziplinen, besonders nicht an bedeu-
tenden Vertretern jener Wissenschaften, die dem Quattro-
cento als der Inbegriff menschlicher Bildung galten. Chryso-
loras hatte da gewirkt, Antonio Beccadelli und der größte
von allen, Lorenzo Valla, der aufrichtigste, freieste unter
den kritisch schöpferischen Geistern der jungen Renais-
sance. Nun waren die Zeiten Lodovico Moros heran-
gekommen und die kulturellen Bestrebungen noch inten-
siver geworden. Es wimmelte von gelehrten Männern
in Pavia und in Mailand. Giorgio Merula, Demetrios
Chalkondylas unterrichteten. Bartolommeo Calco, ein
vorzüglicher Latinist und Beschützer aller redenden Künste,
hatte das Staatssekretariat inne; Giovanni Simonetti, der
XXIII
Bruder des enthaupteten Kanzlers Cicco, Corio waren
die eleganten Historiographen des Sforza; es gab eine
förmliche Milchstraße von Dichtern und Dichterlingen bei
Hof, Bernardo Bellincioni, Lancinus Curtius, Taccone, —
Gaspare Visconti, il Pistoja, Serafino d'Acquila, — von
hochbegabten Kavalieren wie Niccolò da Correggio zu
schweigen. Jedermann dichtete, jedermann sang und
spielte die Laute. Poesie und Musik dienten freilich
nicht bloß dem Bedürfnis nach innerer Weihe und Er-
hebung; doch als Schmuck des täglichen Lebens waren
sie unentbehrlich. Die besten Virtuosen kamen von weit
und breit nach Mailand geströmt; Atalante Migliorotti, der
Lyraspieler, Jacopo di Sansecondo, der vorzüglichste
Geiger der Zeit, Testagrossa, der treffliche Komponist,
Franchino Gaffurio, der Leiter einer ganzen Kapelle;
Sänger von großem Ruf, darunter Cristoforo Romano,
der berühmte Medailleur und Plastiker, standen im Dienst
Lodovico Moros. Hinsichtlich der bildenden Künste je=
doch, und folglich hinsichtlich seiner Schönheit stand
Mailand nicht auf der Höhe seiner sonstigen ästhetischen
Kultur. Seit den Tagen der ersten Visconti beherrschten
und verbrauchten zwei riesenhafte Unternehmungen alle
lebendige Kunstkraft des lombardischen Staates: der Bau
des Domes von Mailand und jener der Certosa von Pavia.
Alle Talente beschäftigten sie und zwangen unmerklich, aber
unausweichlich, jede junge Sonderart in den Linienbann
ihres vorgezeichneten Planes. Kein Entkommen gegenüber
der Wucht des Baugedankens, den vergangene Geschlechter
den Enkeln im Quattrocento als Erbschaft auferlegt. Die
Monumentalität der Anlage und des schon zu weit Ge-
diehenen beider erdrückte oder verwischte mindestens das
allzu sehr Persönliche in den Künstlern. Sie mögen schuld-
tragen, daß in Mailand länger als in anderen Städten Ita-
liens die mittelalterliche, korporative Kunstübung in Schwang
blieb. Wie im Trecento zu Florenz, vergab man hier im
Quattrocento noch die Arbeit stückweise. Man spricht von
XXIV
ganzen Künstlerfamilien gleich den Campionesen. Ein
Familienzug verbindet auch die einzelnen, oft sehr reichen
Begabungen. Große Namen wie die der Brüder Mante-
gazza, Omodeos, Dolcebuonos heften sich an ein wunder-
bares Fenster, an ein grandioses Portal, an Details einer
Fassade, und das Ganze stimmt doch wie in einer prästabi-
lierten Harmonie zusammen. All diese Kunst war näm-
lich gebundene Kunst, Dekor — trotz der Statuen zu
Tausenden, die über den Dom, über die Kartause ver-
streut waren, trotz der geistreichen, reizvollen Masken
und Köpfe von gebranntem Ton, die aus Fruchtkränzen
zum Himmel aufblickten, Friese durchbrachen, die Wände
belebten und die Räume zu erweitern schienen. In einer
übermächtigen, oft genialen Zierkunst erzogen, begehrte
der mailändische Geschmack keiner Donatellos, und als
dem Plastiker vom Moro neue andersartige Aufgaben ge-
setzt wurden, hatte man an den heimischen Kräften, nicht
an den Mantegazza, den Dolcebuono, Omodeo, ja, nicht
einmal an selbständigeren wie an Cristoforo Solario, ge-
nannt il Gobbo, oder an Cristoforo Poppa, den die Welt
als den berühmten Medailleur Caradosso kennt, kein Ge-
nügen mehr. — Noch viel weniger entwickelt war die
Malerei. Die kraftvollen, tüchtigen Meister Zenale, Vin-
cenzo Poppa, Butinone geradeso wie der zartere, innig
fühlende Ambrogio Borgognone, alle standen in tech-
nischer Vollendung, in künstlerischem Geschmack, im
Reichtum der persönlichen Note weit hinter ihren Zeit-
genossen zurück. Sogar zum Bauen — soweit es sich
um das Entwerfen neuer Pläne handelte — hatte man
stets des Auslandes bedurft; man mußte Heinrich von
Gmünd, Mignot, Nexenperger, — man mußte später
Michelozzo , Filarete befragen. Das Außerordentliche
wurde aus der Fremde geholt. Seit den Siebzigerjahren
des Quattrocento wirkte Bramante, der Urbinate, in
Mailand. Dorthin berief man auch Leonardo, den Floren-
tiner.
XXV
Nach dem Anonimo und nach Vasari wäre Leonardo
eigentlich als Musiker an den Hof des Sforza gekommen.
„Und er war dreißig Jahre alt," sagte jener, „als er von
genanntem Magnifico Lorenzo zugleich mit Atalante Mi-
gliorotti zum Herzog von Mailand geschickt wurde, um
ihm eine Lyra darzubieten, weil er einzig darin war, der-
gleichen Instrument zu spielen." — „Es geschah," sagt
Vasari, „als Giovan Galeazzo Herzog von Mailand ge-
storben war und Lodovico Sforza 1494 zum selben Grad
erhoben worden, daß Leonardo mit großem Ruf zum Her-
zog nach Mailand geführt wurde, der sich sehr am Klang
der Lyra freute, damit er dort spiele; und Leonardo
brachte jenes Instrument mit, das er mit eigener Hand,
aus Silber großenteils, in Form eines Pferdeschädels ge-
macht hatte, — bizarre und neue Sache, — damit die
Harmonie von größerer Tuba und Schall der Stimme sei;
dadurch übertraf er alle Musiker, die hier zum Spielen
versammelt waren." Um 1494 jedoch befand sich Leo-
nardo schon längst in Mailand. Wir besitzen Dokumente
darüber, daß er 1487 mehrere Teilzahlungen für das
Modell einer Zentralkuppel erhalten hatte, das er bei einer
Konkurrenz für den Dom von Mailand angefertigt, aber
1490 wieder zurückzog, mit dem Versprechen, eine andere
Zeichnung zu machen, was er dann niemals tat. Schon
1810 hat Giuseppe Bossi in seinem Buch über das „Abend-
mahl" nachgewiesen, daß Leonardo bereits 1482, späte-
stens 1483 am Hof Lodovicos beschäftigt war. Fra Sabba
da Castiglione, der ihn noch selbst gekannt, schreibt als
alter Mann in seinen „Ricordi" nach bewundernden Worten
für das Abendmahl, es seien wenig andere Werke seines
Pinsels erhalten; denn sobald Leonardo der Malerei hätte
obliegen sollen, „gab er sich ganz der Architektur, der
Geometrie, der Anatomie hin; und überdies beschäftigte
er sich mit der Form des Pferdes von Mailand, womit
er sechzehn Jahre hintereinander verbrachte, und sicher
ist, die Würdigkeit des Werkes war eine solche, daß man
XXVI
nicht sagen konnte, er habe die Zeit und die Mühe dabei
verloren". „Aber", fügt er hinzu, und ich möchte die
wichtige Stelle gleich hier anführen, „die Unwissenheit
und Nachlässigkeit einiger (die, weil sie die Tugend nicht
kennen, sie für nichts erachten) ließ diese Form schmach-
voll verfallen (roinare), und ich rufe euch zurück (und
nicht ohne Schmerz und Bedauern sage ich es), wie eine
so edle und sinnreiche Sache zur Zielscheibe gasko-
nischer Armbrustschützen geworden ist." Da jedoch Leo-
nardo 1499, als die Stadt den Franzosen in die Hände
fiel, Mailand für Jahre verlassen hatte, müßte er nach
Castiglione mindestens 1483 schon dort gewesen sein, —
es war aber ziemlich sicher früher, und das zu konstatieren
ist von Wichtigkeit; denn die Jahre zwischen 1481 und
1484 soll nach J. P. Richter Leonardo im Orient verbracht
haben, in Ägypten, Syrien usw. Die Beweise sind nur für
schon Überzeugte stichhaltig: daß er nach orientalischer
Art von rechts nach links geschrieben; daß er Briefe aus
Armenien verfaßt usf. (s. S. 222 u. fF.). Der platten Wahr-
heit nach müssen wir aber annehmen, daß Leonardo um
1482 etwa nach Mailand berufen worden, um für Lodo-
vico Moro das Reiterdenkmal seines Vaters Francesco
Sforza, des Gründers der Dynastie, anzufertigen: dies
bezeugt uns die Stelle des Codex atlanticus (S. 204), in
der Leonardo sich selbst als jenen bezeichnet, den „der
Herr (il Signore, nämlich Lodovico, Herr, obgleich noch
nicht Herzog von Mailand), um dieses Werk zu machen,
aus Florenz herbeigezogen hat (ha tratto di Firenze)".
Welches Werk jedoch hier gemeint ist, sagt eine Stelle
vorher: „das Pferd des Herzogs Francesco aus Bronze".
Es existiert im Cod. atlanticus Fol. 391 r. der Entwurf zu
dem berühmten Schriftstück, in welchem Leonardo sich
dem Lodovico Moro empfiehlt. Er sagt, daß er nun lang
genug die Probestücke jener gesehen und betrachtet habe,
so sich für Meister und Kompositoren von Kriegsgeräten
halten, und da er gefunden habe, daß diese in nichts von
XXVII
jenen abweichen, die im allgemeinen Gebrauche sind, so
wolle er, ohne jemand anderen herabzuziehen, seine Ge-
heimnisse eröffnen und sie Seiner Exzellenz zu jedem
Gefallen anbieten. Und nun zählt er in neun Paragraphen
seine Erfindungen auf: transportable Brücken; Belage-
rungsmaschinen; gedeckte Kriegswagen, Minengänge; Bom-
barden, Mörser und Passe volanten usw. für Land- und
Seekampf. In dem 10. Paragraphen meint er, er ver-
möge wie jeder andere in der Komposition von öffent-
lichen und privaten Gebäuden, sowie im Leiten des
Wassers von Ort zu Ort zufriedenzustellen; ebenso in
der Skulptur, sei es in Marmor, Erz oder Ton; similiter
in der Malerei, in Vergleich mit jedem, sei er, wer er
auch wolle. Außerdem könnte er, sagt Leonardo, neben-
bei dem Bronzepferd Arbeit schenken, das unsterblicher
Ruhm und ewige Ehre sein werde dem glücklichen An-
gedenken von Lodovicos Herrn Vater und des ganzen
erlauchten Hauses Sforza (Seite 198 u. ff.). Der Entwurf
ist leider undatiert, doch ist es klar, daß er gemacht ward,
als Skizzen für das Denkmal dem Moro schon vorgelegen.
Man möchte glauben, Leonardo, ohne entscheidende Ant-
wort, habe versucht, sich dem Herrn von Mailand ins
Gedächtnis zu rufen, indem er ihm, der gerade mit
Venedig in Fehde lag, vor allem seine Dienste als Kriegs-
ingenieur anbot, die nützlicher und daher verführerischer
scheinen mochten als die des einfachen Künstlers. Wie
dem auch sei, jedenfalls beweist uns das Schriftstück,
mit wieviel Dingen Leonardo sich damals schon abgab
und was er sich alles zutrauen durfte. Dennoch begann
erst jetzt die volle Entfaltung seines Genies.
Über die allernächsten Jahre in Mailand sind wir schlecht
unterrichtet. Wir wissen so obenhin, daß Leonardo
hier mehrere Porträts gemalt und haben Grund anzu-
nehmen, daß es um diese Zeit geschah. Wenn das Jüng-
lingsbildnis im IV. Saal der Brera, das neben der so-
genannten „mailändischen Prinzessin" hing und das auf
XXVIII
Galeazzo Sanseverino getauft war, sich wirklich als ein
Leonardo erwiese, wie es nach Abdeckung des Gemäldes
neuerlich behauptet wird, so könnte dies Konterfei — es
stellt nicht Galeazzo dar, sondern einen Musiker, etwa
Franchino Gaffurio, wie Beltrami vorschlägt — nur an-
fangs der Achtzigerjahre gemalt worden sein. Ebenso
das Bildnis der schönen Cecilia Gallerani, Geliebten des
Lodovico Moro, die man unter die bedeutendsten Frauen
des Quattrocento zählt. Von adeligem Geschlecht, später
an einen Grafen Bergamino verheiratet, reich und liebens-
würdig, vereinigte sie in ihrem Hause die Blüte der mai-
ländischen Gesellschaft zu jenen geistigen Festen, von
deren Zauber uns die Novellen, die Dialoge jener Zeit,
die Bilder des Giorgione und ein paar Porträts ein
sehnsuchtweckendes Andenken bewahren. »Da es mir
heute widerfahren," schreibt ihr im April 1498 Isabella
Gonzaga, „gewisse schöne Bildnisse von der Hand des
Zoanne Bellino zu sehen, sind wir im Gespräch auf die
Werke des Leonardo gekommen, mit dem Wunsch, sie im
Vergleich mit diesen zu sehen, so wir haben; und in Er-
innerung, daß er Euch nach der Natur konterfeit hat,
bitten wir Euch durch den gegenwärtigen Kavalier, den
wir nur um dessenwillen schicken, daß Ihr uns dies Euer
Bildnis senden wollet." — „Ich habe gesehen, was Eure
Herrlichkeit, ich weiß nicht, ob mit größerer Liebens-
würdigkeit oder Güte geschrieben hat, daß Sie es gern
hätte, mein Porträt zu sehen, welches ich Ihr schicke,
und schickte es viel lieber, wenn es mir gliche. Und
glaube Eure Herrlichkeit nicht, dies gehe aus einem
Fehler des Malers hervor; denn in Wahrheit, ich glaube,
es gibt seinesgleichen nicht; ist nur, weil dies Bild in
so unvollkommenem Alter gemacht wurde, daß ich jene
Ähnlichkeit völlig gewechselt habe, so daß, selbiges Bild
und mich ganz nebeneinander zu sehen, es keinen gibt,
der urteilte, es sei für mich gemacht." Leider ist uns
diese Arbeit nicht erhalten geblieben. Dagegen dürfte
XXIX
das Porträt der Lucrezia Crivelli — man glaubt, ohne
rechten Grund, es in der „Belle Ferronnière" des Louvre
zu erkennen, die wohl nicht einmal von Leonardo ist —
erst viel später gemalt worden sein.
In dieses Jahrzehnt fallen wahrscheinlich die meisten
der architektonischen Skizzen, die im Ms. B. des „Institut"
in Paris, im Codex Trivulzio und im Codex atlanticus,
in den Mss. des British Museum zu London usw. auf-
bewahrt sind. Man hat sich, trotz der Arbeiten des Baron
Henri Geymüller, noch nicht genug damit beschäftigt. Wenn
auch ein Teil dieser Zeichnungen nur dem Selbstunter-
richt gedient haben mochte, z. B. um alle Kombinations-
möglichkeiten eines Kuppelbaues auf verschiedenem Grund-
riß herauszufinden; wenn auch manches nur als Unter-
lage für den Traktat über Architektur gedacht sein mochte,
den Leonardo gleichwie ach! so vieles andere plante: —
daß sich seine praktische Tätigkeit als Architekt bloß auf
das Modell beschränkt haben soll, das er für die Kuppel
des mailänder Domes eingereicht und zurückgezogen hat,
ist doch nicht glaublich. Die Geschichte der Bauten, die
zwischen 1472 — 1499 in Mailand entstanden, ist weit ent-
fernt, ganz erforscht zu sein. Die Arbeiten Müller- Waldes
über Leonardo harren des Abschlusses. Wir müssen
uns damit begnügen, Geymüller anzuführen, welcher sagt
(J. P. Richter, Literary works of Leonardo, IL), es gebe
in der Lombardei hervorragende Gebäude aus dieser
Zeit, deren Urheber unbekannt geblieben und deren künst-
lerisches Verdienst ein so hohes ist, daß die Vermutung
gar nicht unwahrscheinlich ist, es sei Bramante oder
Leonardo an dem Bau beteiligt gewesen. Die Erforschung
der Werke Bramantes ist seither von dem glücklichsten,
überraschendsten Erfolg begleitet gewesen; Leonardo der
Architekt ist uns noch ein dunkles Rätsel.^ Wir können
uns nur an Leonardo den Theoretiker im Baufach halten,
der so viel Ansehen genoß, daß man sein Gutachten
einholte — in Mailand, in Pavia (1490), später in
XXX
Florenz; den Beginn eines solchen Gutachtens finden
wir im Cod. atlanticus entworfen (s. S. 200). Am inter-
essantesten aber sind uns seine Ideen über Städtebau.
Ob sie je in genaue Vorschläge formuliert werden durf-
ten? Sicher hat er von ihnen gesprochen, und seine
Aufzeichnungen sind nur ein Echo der Einwände, die
man ihm gemacht, ein Seufzer, den kein Sterblicher
vernommen. „Gib mir Autorität (alturità)," sagt er (Ms.
CA. Fol. 65 V.), „damit ohne Kosten für dich gemacht
werde, daß alle Plätze ihren Häuptern gehorchen, welche
Häupter . . . Der vorherige Ruhm wird ewig werden,
zugleich mit der Einwohnerschaft der Städte, so er er-
baut und vergrößert hat . . ." Dann, nach einigen
Süchtigen Worten über die Reinhaltung der Kanäle, ein
Versuch, den Fürsten auf andere Art für seine Pläne
zu kaptivieren: „Alle Völker gehorchen ihren Häuptern
und werden von ihnen geleitet, und selbige Häupter
sind mit den Herren (signori) durch zweierlei verbunden
und bezwungen: entweder durch die Verwandtschaft
des Blutes oder durch die des Gutes. Durch Blut,
wenn ihre Söhne gleichwie Geiseln Sicherheit und Pfand
ihrer bezweifelten Treue geben. Durch Gut, wenn du
jedem von ihnen ein bis zwei Häuser innerhalb seiner
Stadt wirst mauern lassen, von welchen er einige Steuer
ziehe. Und* — nun zeigt sich Leonardo in seinen Ideen
als ein Bürger unserer eigenen Zeit — „du wirst in zehn
Städten fünftausend Häuser mit dreißigtausend Einwohnern
erzielen und so viel Ansammlung von Volk zerstreuen,
die im Gleichnis der Ziegen eines auf dem Rücken des
anderen stehen und, jedes Tor mit Gestank anfüllend,
sich zum Samen pestilenzialischen Todes machen . . .
Und die Stadt macht Schönheit zur Gesellin ihres Namens,
und dir sich nützlich durch ihre Gaben und den ewigen
Ruhm ihres Wachstums" . . . Das Ms. B. des Institut
de France enthält Zeichnungen und Anweisungen für den
Bau dieser idealen Stadt. Sie soll am Meer oder an
XXXI
einem „schönen" Fluß gelegen sein, der Kanäle gäbe,
der nicht Geröll führte, wie der Tessin und die Adda,
der weder überschwemmte, noch austrocknete, zu welchem
Zweck man bei der Stadt Bassins anlegen müßte. Der
Fluß, die Kanäle wären da, um allen Schmutz des Ortes
wegzubringen. „Die Straßen seien so breit, wie die all-
gemeine Höhe der Häuser ist." Die Straßen seien dop-
pelte, obere und untere. Die oberen seien gegen die Mitte
zu geneigt, wo dann ein fingerbreiter Spalt das Regen-
wasser wegführt; die unteren werden vom Flußwasser
gereinigt und „mit Harken aller Schlamm, der sich dort
sammelt, weggebracht". — „Und wisse, daß, wer durch den
ganzen Ort auf den hohen Straßen gehen wollte, sie nach
seinem Dünken benutzen könnte, und wer durch die
niedrigeren gehen wollte, ebenfalls das gleiche. Durch
die hohen Straßen sollen nicht die Karren, noch andere
derartige Sachen gehen; im Gegenteil seien sie nur für
die edeln Leute (gentili uomini); durch die niedrigeren
sollen die Karren und die übrigen Lasten gehen, zu
Gebrauch und Bequemlichkeit des Volkes." Treppen
verbinden die oberen und die unteren Straßen, welch
letztere ihr Licht von oben erhalten. Die Häuser „kehren
einander den Rücken zu und lassen die niedrige Straße
in der Mitte zwischen sich". An den vorderen Toren
werden die Lebensmittel, Holz und Wein usw. herbei-
geschafft — einzelne Pläne zeigen Kanäle, die direkt zu
den Kellern führen — , alle menschlichen und tierischen
Abfälle werden auf unterirdischem Weg oder zu Wasser
aus den Häusern und Ställen geschafft. Ein Blatt des
Cod. atl., das ich reproduziere, ist bedeckt mit Entwürfen
zu Hebewerken, die teils mit Luftdruck arbeiten, teils
andere Methoden verwenden, um das Wasser bis in die
höchsten Stockwerke der Häuser zu leiten. Leonardo denkt
an alles — an Licht und Luft, an die Vorrichtungen zum
Heizen, an gute Kamine, — an Bratspieße, die von der
erwärmten Luft gedreht werden, — an selbstschließende
XXXII
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Türen, — an Bequemlichkeiten und an hygienische Ein-
richtungen, die uns das 19. Jahrhundert zum Teil ge-
bracht hat, — zum Teil auch nicht; denn die schöne,
gesunde, mittelgroße Stadt, die Leonardo ausgedacht und
aufgezeichnet hat, ist auch für uns noch ein Traum der
Zukunft. Dr. Solmi meint, diese Ideen und Pläne seien
in Leonardo nach der schrecklichen Pest entstanden, die
1484 — 1485 die Städte Mailands verheert und halb ent-
völkert hätte. Es spricht nichts gegen diese Vermutung.
Die Manuskripte erzählen uns aber noch von anderen
theoretischen Studien, die Leonardo im ersten Jahrzehnt
seines Aufenthalts in Mailand getrieben, — von Festungs-
bauten, — speziell Plänen zu einem Wachtturm, wie ver-
mutet wird, für das Kastell von Mailand, wobei auch ein
Versuch gemacht ist, ob Schönheit sich der Nützlich-
keit gesellen könne; denn eine Skizze zeigt solch einen
Turm, dessen Kuppel vielleicht weniger praktisch, dafür
aber in Harmonie mit den vielen Kuppeln, die sich unter
dem Einfluß Bramantes damals über Mailands Kirchen
zu wölben begannen. Andere Blätter sind mit Entwürfen
für Waffen bedeckt; ich gebe ein solches wieder, das
eine Bailiste zeigt. Ms. B. ist ganz angefüllt mit Zeich-
nungen von Angriffs- und Verteidigungsgerät. Man sieht
darin Altes in geistreichster Kombination neu in Betracht
gezogen, z. B. Kriegswagen, mit Doppeldeckel, wie eine
Schildkröte^ geformt, die Zugtiere innen, Schießscharten
im Mantel; man sieht die uralten Sichelwagen in einer
Ausführung, die mit der Überleitung der rotierenden Be-
wegung gänzlich an moderne amerikanische Mähmaschinen
erinnern, — interessant und unverwendbar, wie Leonardo
bald selbst einsieht; doch verblüffend sind die verschie-
denen Entwürfe zu Geschützen mit Vorder- und mit
Hinterladung (Ms. B. Fol. 32, 31, 24), zu deren Fabrikation
Leonardo eine eigene Maschine (Ms. CA. Fol. 2 r.) er-
dacht hat. Verblüffend ist nicht so sehr der Einfall. Wir
lernen ja allmählich einsehen, daß wir uns irrtümlich
III Herzfeld, Leonardo,
XXXIII
gewöhnt haben, das Mittelalter im selben Maße zu unter-
schätzen, in dem wir unsere eigenen Tage überschätzen.
Verblüffend ist die ganz moderne Einfachheit und Ele-
ganz der Lösung, welche diese wie alle Mechanismen
Leonardos charakterisiert. Und dabei ist Leonardo kein
Praktiker im gewöhnlichen Sinne. Zu seinen Erfindungen
kommt er auf theoretischem Wege. Sein Sinnen ist auf
die Erforschung der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeit
gerichtet. Er will sie begreifen, ehe er sie nutzbar zu
machen versucht. Auch für die Kunst. Denn die Kunst
soll nicht mehr bloß eine Handfertigkeit gescholten
werden. Sie soll eine feste wissenschaftliche Grundlage
erhalten. Schon plant Leonardo seinen großen Traktat
über Malerei. Er beginnt die Vorarbeit, indem er sich
mit Studien über Licht und Schatten, vor allem jedoch
mit der Ergründung des menschlichen Baues beschäftigt.
Eines jener Hefte der Windsor-Sammlung, das der Russe
Theodor Sabaschnikoff unter der sachverständigen Mit-
hilfe von Giovanni Piumati herausgegeben hat — es ist
der Band mit den Fogli B — enthält auf Fol. 42 r. die
Bemerkung: „A dì 2 d'aprile 1489 Libro titolato de figura
umana". Am zweiten Tag des April 1489, das Buch
betitelt: „Von der menschlichen Figur". Aber dies Buch
von der menschlichen Figur beschränkte sich nicht auf
das, was der Maler brauchte. Das gleiche Heft skizziert
auf Fol. 42 verso, über welche Dinge Leonardo seine
Untersuchungen erstrecken will: „Welcher Nerv ist der
Grund, durch die Bewegung des einen Auges zu machen,
daß die Bewegung das andere ziehe?" . . . Vom Schließen
des Lides, vom Offnen des Lides, vom Rümpfen der Nase,
vom Schmollen der Lippen usw., vom Lachen, Weinen,
Niesen, Gähnen; von Epilepsie, Paralyse, Zittern vor
Kälte; von Schweiß, Müdigkeit, Hunger, Schlaf will er
Ursache und Vorgang erforschen; zurückgehen will er
auf die Embryologie; über den Mechanismus der Be-
wegung verlangt er klar zu werden: das Programm kenn-
XXXIV
zeichnet das weit fassende Genie des Mannes. Auch
minder schwierige Dinge nahmen seine Zeit gebieterisch
in Anspruch, Dinge freilich, die man damals für ernst
und sehr würdig erachtete, weil im Leben nichts so
wichtig war, wie das Schöne in jeglicher Form, Man
erinnere sich bloß an die Rolle, die die Kleidung spielte,
— mit welcher Genauigkeit Briefe, Tagebücher, Chro-
niken, Gedichte berichten, was die und der (und ihr
Pferd und sein Knecht) an dem und jenem Tage getragen
hatten. Man feierte 1489 — 1490 im Mailändischen pracht-
volle Feste. Lodovico verheiratete seinen Neffen, den
Herzog Gian Galeazzo, dem er die Regierung vorzuent-
halten fest gewillt war, mit Isabella von Aragonien, Tochter
des Kronprinzen Alfonso von Neapel, also Enkelin des
mächtigen Königs Ferrante. Es war ein 1480 geschlos-
senes Kinderverlöbnis , das der Moro , trotz der Ge-
fahren, die es für seine Pläne barg, nicht aufzuheben ge-
wagt: er vertraute seinem auskunftsreichen Geist und dem
Zufall, dem er nur allzu viele Türen in sein Haus zu öffnen
stets bemüht gewesen. Der Tod von Lodovicos Schwester
Ippolita Sforza, welche die Mutter der jungen Braut war,
unterbrach die Hochzeitsfeste; erst ein Jahr später wurden
sie wieder aufgenommen und gipfelten in einer Vorstellung,
die, wie Dr. E. Solmi festgestellt hat, am 13. Januar 1490
stattfand. Man nannte sie „Paradies", „weil mit großem
Scharfsinn und mit Kunst Maestro Leonardo Vinci der
Florentiner den Himmel gebaut hat mit all den sieben
Planeten, der sich dreht, und die Planeten waren von
Menschen dargestellt, in Form und Kleidung, wie die
Poeten sie beschreiben; welche Planeten alle zum Lob
der bemeldeten Herzogin Isabella sprechen, wie du sehen
wirst, wenn du es liest" (Einleitung zu den Versen des
Bernardo Bellincioni, zitiert von Carlo Amoretti, Seite 35).
Die künstlerische Tätigkeit Leonardos war aber während
dieser ganzen Zeit besonders dem Sforzadenkmal ge-
widmet. Bekanntlich ist uns von ihm nichts übrig ge-
ni»
XXXV
blieben. Wir haben nicht einmal eine Beschreibung, die
hülfe, mit Sicherheit uns zurechtzufinden. Denn es
gilt eben, sich zurechtzufinden. Es gibt eine ver-
wirrende Menge von Studien Leonardos, die einem
Reiterdenkmal gelten. Aber welchem ? Es ist noch
ein anderer Anspruchswerber da. Wir haben nämlich
auch einen ganz ins einzelnste gehenden Kostenvoran-
schlag für ein Grabmal mit Reiterstatue, das nicht den
Sforza, sondern den Feind und Besieger der Sforza,
Gian Giacomo Trivulzio, verewigen sollte (Ms. CA. Fol.
179 V.). Allein dieser zweite Anspruchswerber ist uns
eher ein Glücksfall. Es wird behauptet, die Skizzen, die
ihm zukommen, hätten sichere Merkzeichen, die der
sorgfältigen Prüfung die Möglichkeit gewähren, die Ent-
würfe zu ordnen, zu gruppieren und in großen Umrissen
auch zu datieren. Auf dem Weg der scharfsinnigen, müh-
samen, leider nicht beendigten Untersuchungen des Dr.
Paul Müller-Walde (Jahrbuch der preußischen Kunst-
sammlungen, Bd. 18, 19, 20), dessen Methode Bewun-
derung erheischt, selbst wenn die Phantasie ihn oft beirrt,
kommt vielleicht einmal volles Licht in die Sache. Vasari
schreibt in seinem Leben des Antonio del Pollajuolo:
„Es fand sich nach seinem Tode die Zeichnung und das
Modell, so er dem Lodovico Sforza für die Statue zu
Pferd des Francesco Sforza, Herzogs von Mailand, ge-
macht hatte, welche Zeichnung in unserem Buche (Va-
saris Skizzensammlung) ist, in zweierlei Art: in der einen
hat er Verona unter sich ; in der zweiten ganz gewappnet
und auf einer Basis voll mit Schlachten, läßt er sein
Roß auf einen Bewaffneten springen; aber den Grund,
weshalb er diese Zeichnungen nicht ins Werk setzte,
habe ich noch nicht erfahren können." Eine dieser
Zeichnungen hat der italienische Senator und berühmte
Kunstkenner Giovanni Morelli (Iwan Lermolieff) in der
Pinakothek zu München entdeckt. „Das Profil des Reiters**,
bemerkt J. P. Richter (Bd. II, S. 2 seines Leonardo-
XXXVI
Werkes), „ist ein Porträt des Francesco Herzogs von
Mailand, und unter dem Pferd, das nach links galoppiert,
sehen wir einen Krieger niedergeworfen auf dem Boden
liegen, — genau dieselbe Idee, wie wir sie auf einigen
von Leonardos Zeichnungen für das Monument finden,
und da es unmöglich ist, dieses merkwürdige Zusammen-
treffen zu erklären, indem man annimmt, einer dieser
Künstler habe vom andern entlehnt, können wir nur
schließen, daß in den Bedingungen für den Bewerb der
Vorschlag war, den Herzog auf einem Pferd in vollem
Galopp, mit einem gefallenen Feind unter den Hufen, dar-
zustellen." Wenn der Schluß richtig ist, so wären jene
Skizzen Leonardos, in denen der Reiter über den gefallenen
Feind hinwegspringen will, vor dem das Pferd sich bäumt,
oder auf den es mit scheuem Mitleid herabsieht, während
der Kavalier, bald den Arm mit dem Kommandostab nach
rückwärts geworfen, um den Triumph zu künden, bald nur,
eine Waffe schwingend, wild vorzustürmen scheint usf.,
geniale Lösungen eines vorgeschriebenen Themas, dessen
Unerhörtheit ihn verführen mußte. Welche dieser Skizzen
Leonardo zum ersten Modell geformt hat, wissen wir
nicht. Es scheint aber, daß der Gedanke, diese Kühn-
heiten in so kolossale Massen von Bronze auszugießen,
ihn schließlich doch mit banger Skepsis erfüllt habe.
Ms. Ash. L, das aus den Jahren 1489 — 90 stammt, ent-
hält auf Fol. 16 r. eine Bemerkung, die sich wohl darauf
bezieht: „Die Figuren in erhabener Arbeit" (rilievo, wor-
unter Leonardo immer freistehende Figuren meint), „die
in Bewegung zu sein scheinen, — wenn du sie auf die
Füße stellen willst, fallen sie der Vernunft nach (per
ragione) vornüber." Ob die Weigerung Leonardos, auf
dieser Basis eine riesenhafte Reiterstatue auszuführen, dran
schuld trug, oder anderes, — es steht fest, daß es in diesem
Augenblick zwischen dem Künstler und seinem Auftrag-
geber zu Konflikten kam. In seiner so tiefgehenden
Arbeit veröffentlicht Müller-Walde folgenden Brief des
XXXVII
florentìnischen Geschäftsträgers zu Mailand, Piero Ale-
manni an Lorenzo Medici (Jahrbuch der preußischen
Kunstsammlungen, Bd. XVIII): „Der Herr Lodovico ist
gesonnen, dem Vater eine würdige Grabstätte zu machen,
und bereits hat er angeordnet, daß Leonardo da Vinci
das Modell dazu mache, nämlich ein sehr großes Pferd
aus Bronze, darauf den Herzog Francesco bewaffnet.
Und weil er eine Sache in superlativem Grade machen
will, hat er mir gesagt, ich solle Euch für sein Teil
schreiben, daß er wünsche, Ihr möchtet ihm einen Meister
oder zwei senden, geeignet zu solchem Werke. Denn
obwohl er die Sache Leonardo da Vinci übertragen,
scheint es mir nicht, er sei sehr getrost, daß der sie
auszuführen vermöchte." Dieser Brief ist vom 22, Juli
1489. Lorenzo Medici hat offenbar keinen anderen.
Meister nach Mailand geschickt (Müller-Walde meint frei-
lich, Pollajuolo habe damals seinen Entwurf gemacht),
und Leonardo hat dem Moro neue Skizzen vorgelegt.
Das Ms. C. zeigt auf Fol. 15 v. folgende Notiz: „Am
23. Tage des April 1490 begann ich dieses Buch und
begann ich wieder das Pferd (ricominciai il cavallo)".
Das heißt wohl, Leonardo habe an diesem Tage dieses
Jahres ein zweites, ganz andres Modell in Angriff ge-
nommen. Wenn man nun behauptet, dieses Modell sei
ein im Trott unaufhaltsam vorwärts schreitendes Pferd ge-
wesen, so findet diese Behauptung mehrere gute Stützen
in den Manuskripten. Der Codex atlanticus zeigt Fol.
216 V. diesen prachtvollen, lebensprühenden, von In-
telligenz durchglühten Trottgänger fest in ein Gerüst
eingeschlossen. Der Zweck dieser Zeichnung war für
Leonardo sicher der, sich zu überzeugen, wie die richtige
Armatur für das so beschaffene Modell zu sein habe,
und eine Bemerkung wegen aller „Köpfe der großen
Schraubennägel" bestätigt das. Die Zeichnung ist mit
roter Kreide gemacht — ein Material, das Leonardo erst
nach 1490 zu verwenden begann — , etwa gleichzeitig
XXXVIII
mit den Vorarbeiten für das Abendmahl; also handelt es
sich nicht um das erste, aufgegebene Modell. Man hat
in diesem so skulptural ersonnenen Pferd die Einwirkung
der Antike spüren wollen und sich an die Statue des
Marc Aurei, an die Bronze-Rosse von Venedig, ja sogar
an Donatello's Gattamalata- Denkmal zu Padua erinnert
gefühlt. Soviel man aber bisher weiß, war Leonardo vor
1499 weder in Padua, noch in Venedig, noch in Rom;
wohl hat er jedoch 1490 in Dombauangelegenheiten Pavia
besucht, wo in der Tat, wie Müller-Walde nachweist (s.
Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen, 1897), bis
1796 eine bewundernswerte antike Reiterstatue aus ver-
goldeter Bronze stand: schon Petrarca hat sie 1346 dem
Boccaccio angepriesen. Angeblich stellte sie den Goten-
könig Gisulf dar — man nannte sie im Volksmund Re-
gisolo — , sie stammte aus Ravenna und wurde 1796 von
den republikanischen Franzosen als Verherrlichung eines
Königs zerstört. Auf das Pferd des Regisolo beziehen
sich offenbar die Worte Leonardos aus dem Cod. atlan-
ticus Fol. 147r.: „An jenem von Pavia ist die Bewe-
gung lobenswerter als sonst irgend etwas. Die Nach-
ahmung der antiken Sachen ist lobenswerter als die der
modernen. Es kann nicht Schönheit und Nützlichkeit
vereinigt sein, wie an den Festungen sichtbar wird und
an den Menschen. Das Ganze ist fast von der Qualität
eines freien Pferdes. Wo die natürliche Lebendigkeit
fehlt, muß man eine künstliche (accidentale) machen."
Man glaubt förmlich zu hören, wie Leonardo sich selbst
zuredet. Er muß um des Nützlichen, Möglichen willen
auf etwas so Schönes, Kühnes, noch nicht Dagewesenes,
wie den Entwurf des galoppierenden, sich aufbäumenden
Pferdes mit dem zu Boden geworfenen Krieger unter
sich, verzichten — auf die „terribilità", das Gewaltige,
das der Renaissance so tief ins Herz hineingewachsen,
ihr Allerhöchstes war. Er, dessen Kunstprinzip es ist,
nichts zu wiederholen, auch sich selber nicht, fühlt sich
XXXIX
von der gemeinen „Nützlichkeit" gezwungen, auf das Alte,
doch Erprobte zurückzugreifen, und tröstet sich damit,
daß die Nachahmung antiker Sachen minder tadelnswert,
besonders wo das Nachzuahmende fast die Qualität eines
lebendigen Pferdes in Freiheit hat. Was ihm fehlt, im
Vergleich zu dem, was Leonardo zuerst gewollt, und was
dem Bewegungsmotiv in plastischer Ausführung fehlen
mußte, war durch etwas Künstliches zu ersetzen, — man
mußte eben alles, Bewegung und Ausdruck, eine Spur
über das Mögliche, über die Natur hinaus steigern: dann
erhielt man Leben. Unter dem Gesichtspunkt dieser
Anmerkung studiere m.an einmal die Zeichnungen Leo-
nardos zu diesem Denkmal, wie sie in Courajods, in
J. P. Richters Werk, v/ie sie in den Bänden 18 und 20
des Jahrbuches der preußischen Kunstsammlungen ver-
öffentlicht sind; man sehe, wie schwer und ungern sich
Leonardo von dem kühneren Entwürfe trennt; man sehe,
wie er das antike Vorbild und die Naturstudien inein-
ander verarbeitete, Naturstudien, die uns bezeugt sind
durch zahllose Blätter, durch Notizen wie: „Der große
Berber des Messer Galeazzo" (gemeint ist Gal. Sanse-
verino, der seit 1490 mit Madonna Bianca, einer natür-
lichen Tochter Lodovicos, vermählt war, derselben, die
man, ohne Grund, muß ich sagen, für das Urbild der so-
genannten „Mailändischen Prinzessin" im Saal IV der
Brera hält); „Der Sizilianer des Messer Galeazzo" (diese
neapolitanische Pferderasse war eine schöne Kreuzung spa-
nischer und maurischer Rosse); „Maß des Sizilianers, das
Hinterbein, von der Rückseite gesehen, erhoben und aus-
gestreckt" ; — „Morel der Florentiner des Messer Mariolo,
ein starkes Pferd mit schönem Hals und recht sehr
schönem Kopf"; — „Der weiße Hengst des Falkoniers
hat schöne Hinterschenkel", usf. — lauter Notizen aus
den Heften der Jahre 1490—1495, aus einer Zeit, wo
also offenbar das Modell noch unvollendet war, was uns
auch Bandello bestätigt, der von der Gleichzeitigkeit der
XL
Arbeit am Sforza-Entwurf und am Abendmahl höchst über-
zeugend spricht. Dies alles macht aber stets unglaub-
würdiger, was über hundert Jahre lang geglaubt worden
ist: daß nämlich 1493 bei der Hochzeit des Kaisers
Maximilian mit Bianca Maria Sforza das fertige Modell
unter einem Triumphbogen paradiert habe. Welches?
das kleine Wachsmodell etwa, von dem Vasari spricht?
Oder doch nicht das aus Ton, in natürlicher Größe, 7V2
Meter hoch, ohne den Reiter? Dieses ist wohl nie aus
der Corte vecchia herausgekommen, wo Leonardo es
formte und gießen sollte, und die Beschreibung des Pietro
Lazzarone: »An der vordersten Front stand, den der
ganze Erdkreis gekannt hat, Franciscus Sfortia, Beherr-
scher der Ligurer und des oberen Insubriens, vom Pferd
getragen" ist mißverständlich auf Leonardos Werk be-
zogen worden. Das Reiterbild unter dem Triumphbogen,
das beim Einzug prangte, war bloß auf schlichte Lein-
wand gemalt — vielleicht das gleiche, das man 1491
zur Dekoration eines Saales bei der Hochzeit Lodovicos
benützt; denn dergleichen war, wie Müller-Walde nach-
gewiesen hat (Jahrbuch der preußischen Kunstsamm-
lungen, 1897), im Hause Sforza Brauch. 1497 war das
Modell in jedem Fall gußbereit. In diesem Augenblick
drangsalierte Lodovico Moro nämlich den Künstler und
ließ ihn u. a. wegen des Abendmahls vermahnen: vom
Denkmal schweigt er. Leonardo war bereit; die Statue
konnte nur nicht gegossen werden. Der Auftrag fehlte.
Das Pferd sollte 7V2 Meter hoch sein; das brauchte 80000
Kilogramm Bronze, die Leonardo in 3 — 4 Öfen schmelzen
wollte, um den Guß aus einer einzigen Form d. h. in
einem Stück tadellos herauszubringen. Was er für den
Sockel geplant, was dieser gefordert hätte, hören wir
nicht. Keineswegs konnte das Sforzadenkmal einen hohlen
Unterbau gebrauchen, wie Leonardo ihn für das Trivul-
zio- Grabdenkmal vorschlug; wie hätte ein solcher Unter-
bau das Gewicht des Bronzekolosses zu tragen vermocht!
XLI
Es können also die Skizzen nicht für die Reiterstatue
Francesco Sforzas gedacht sein, deren Sockel sich nach
Art einer offenen säulengetragenen Kapelle über dem
Sarkophag mit der hingestreckten Figur des Toten wölbt,
es wäre denn für eine Ausführung in bescheideneren
Dimensionen. Da aber eine große Anzahl von Zeich-
nungen mit dem Pferd, das sich vor einem Gefallenen
bäumt oder über ihn hinwegsprengt, Zeichnungen, die
noch das Gepräge einer jugendlicheren Akkuratesse
tragen, solch eine Grabstätte in ihrem Sockel geborgen
zeigen, so kann ich nur annehmen, daß zuerst für den
Sforza ein Denkmal in kühner Bewegung und reicher
Ausführung, doch in mäßiger Größe und für eine Kirche
bestimmt geplant war; als dann ein zweites Modell die
ruhige Gangart des Pferdes vorschlug, so sollte die
terribilità, das Gewaltige, in den unerhörten Umfang von
Roß und Reiter verlegt werden. Wenn das Denkmal, bei
allen Konzessionen an die Möglichkeit und an den Be-
steller, nicht ausgeführt wurde, liegt der Grund hierfür
sicher nicht in Leonardos Willen und Können. Es be-
klagt sich Leonardo um diese Zeit, er müsse seinen
Lebensunterhalt auf andere Art verdienen; zwei Jahre
sei er mit seinen Leuten gänzlich ohne Gehalt geblieben.
Von allen Seiten bedrängten Feinde, Kriege den Moro;
es drohte ihm der Untergang; da war kein Geld für
große künstlerische Dinge übrig. Und daran scheiterte
wohl das Sforzadenkmal. Was noch folgt, ist nur das
Ende ohne Sang und Klang — die Vernachlässigung,
der Verfall des Modells in der Corte vecchia; die Bogen-
schützen, die 1500 aus Mutwillen danach schössen; aber
dies war noch nicht das allerletzte Ende. Am 19. Sep-
tember 1501 schrieb Ercole d'Este, Herzog von Ferrara,
an seinen mailändischen Agenten: „Wissend, daß in
Mailand das Modell eines Pferdes existiert, von einem
gewissen Messer Leonardo, einem Meister, sehr geschickt
in solchen Materien, Modell, das der Herzog Lodovico
XLII
immer die Absicht hatte, gießen zu lassen, denken wir,
daß, wenn man uns die Nutznießung dieses Modells
überließe, es eine gute und wünschenswerte Sache wäre,
es in Erz machen zu lassen . . . Wir würden bereitwillig
die Kosten des Transportes tragen, wissend, daß erwähn-
tes Modell, wie ihr es uns gesagt habt, Tag für Tag in
Ruin verfällt, da niemand es unter Obsorge nimmt ..."
Die Antwort des Agenten vom 24. September lautet:
„Was das Modell des Pferdes angeht, welches der Herzog
Lodovico errichtet hat, — soweit es ihn betrifft, willigt
Seine Hochwürdige Herrlichkeit (der Kardinal von Ronen)
gern in den Transport; jedoch da seine Majestät (Lud-
wig XIL) selbst die Statue gesehen hat, wagt Seine Herr-
lichkeit nicht, das Ersuchen des Herzogs anzunehmen,
ohne früher den König zu unterrichten." Dies ist das
letzte, was wir vom Sforzadenkmal hören.
T^as letzte Jahrzehnt des Quattrocento war für Leonardo
*-^ eine Epoche des ununterbrochenen Aufflugs. Nach
allen Seiten hin wuchs seine Natur. Es war darin die Zeit
seines größten Glücks, weil der größten Entwicklung ein-
beschlossen. Er hatte noch Jugend genug, um viel zu
erwarten und alles zu hoffen; er sah den Dingen der
Zukunft wie etwas Neuem, Unerlebtem entgegen. Er hatte
hier den Schutz, den Frieden, den er brauchte; er hatte
hin und wieder die Freiheit des Unbeachtet-, ja Vergessen-
seins, die er gleichfalls oft brauchte. Mit seinen Beob-
achtungen und Gedanken, mit seinen wissenschaftlichen
und künstlerischen Problemen unausgesetzt beschäftigt, mit
einem Genie, das alle vierundzwanzig Stunden des Tages
schöpferisch glühte, fand er in jeder Aufgabe, die man
ihm stellte, noch ein Experiment verborgen und damit
eine Förderung seines inneren Wesens. Die Zeit kam
ihm entgegen; der Aufgaben waren genug vorhanden.
Es war um 1490 Frieden im Land, und Lodovico ent-
XLIII
faltete eine ungeheuere Tätigkeit. Das feste Kastell der
Porta Giovia, das er bewohnte, ließ er, wie der Chronik-
schreiber Cicognola sagt, „mit wunderbaren und schönen
Bauten schmücken, und den Platz vor genanntem Kastell
ließ er vergrößern, und in den Umgegenden der Stadt
ließ er alle Hindernisse wegreißen, und die Fassaden
ließ er bemalen, auszieren und verschönern". Beson-
ders aber das Innere des Kastells ließ er künstlerisch
schmücken: er stand ja im Begriff, Beatrice von Este,
Tochter des Herzogs von Ferrara und Schwester der
Isabella Gonzaga, Markgräfin von Mantua, heimzuführen.
Daß Leonardo 1490 hier malte, den Plafond im Kabinett
der Liebesgötter und die Wände der Sala del tesauro,
wie es Müller- Walde will, wird angesichts dieser Amo-
rinen niemand Unbefangener glauben, und seitdem man
Bramantes Fresken aus der Casa Prinetti studiert hat, kann
es nicht zweifelhaft sein, daß die machtvolle Figur des
Argus in der Schatzkammer, die bloßgelegt zu haben
eines der vielen Verdienste unseres Müller-Walde ist, von
dem urbinatischen Meister gemacht worden ist, dessen
Künstlerruhm in Mailand von der Malerei ausging. Die
Dekoration des großen Saales della palla für das Hoch-
zeitsfest wurde minderen Kräften übergeben, einem ge-
gewissen Agostino da Pavia, dessen sich Leonardo manch-
mal als Gehilfen bediente. Der Schmuck bestand, wie
Gian Galeazzo Sforza einem Oheim berichtet, „der eine
aus der Decke, geziert mit goldenen Sternen in blauem
Feld, in Ähnlichkeit mit dem Himmel, der andere in der
Bedeckung der Wände mit Malerei, die auf Leinwand an-
gebracht war, auf welche wir für dieses Fest all die denk-
würdigen Siege und Taten unseres erlauchten Herrn Vor-
fahren haben setzen lassen, mit seinem Bildnis zu Pferde
unter einem Triumphbogen." Es ist diese Leinwand, von
der Müller-Walde meint, sie habe ein zweites Mal bei der
Hochzeit Maximilians an der Hauptmauer des Kastells ge-
prangt; von diesem „Francesco Sfortia" sei die Rede im
XLIV
Gedicht des Lazzarone, während Baldassare Taccone nur
vom Modell spricht, wenn er sagt: „Siehe, wie er in der
Corte (vecchia) aus Metall zum Gedächtnis des Vaters
einen großen Koloß machen läßt ..." Am 21. Januar
1491 fand die Hochzeit des Moro statt, mit großen Festlich-
keiten, einem Lanzenstechen, das Galeazzo Sanseverino
gab, und Schaustellungen, die Leonardo arrangierte. Zeich-
nungen, Notizen erinnern daran — eine längere repro-
duziere ich als charakteristisch für die Gemütsart des
Künstlers, für seine häuslichen Verhältnisse, für seine
damalige Stellung, für seine Tätigkeit, für seine Ver-
bindungen und seinen Verkehr (Ms. C. Fol. 15 v.): „Am
Tage 21 des April 1490 begann ich dieses Buch und
begann wieder das Pferd. Jacomo kam zu mir am Mag-
dalenentage tausend 490, im Alter von 10 Jahren. (Rand-
bemerkung: diebisch, lügnerisch, eigensinnig, gefräßig.)
— Am zweiten Tage ließ ich ihm zwei Hemden schneiden,
ein Paar Hosen und einen Wams, und als ich mir das
Geld beiseite legte, um genannte Sachen zu bezahlen,
stahl er mir dieses Geld aus der Geldtasche, und nie
war es mir möglich, ihn das beichten zu machen, ob-
wohl ich davon eine wahre Sicherheit hatte (Randnote:
4 Lire). Am folgenden Tage ging ich mit Jacopo Andrea
nachtmahlen, und vorbezeichneter Jacomo aß für 2 und
tat Böses für 4, indem er zwei Flaschen zerbrach, den
Wein verschüttete und dann zum Nachtmahl kam, wo
ich (war). Item, am 7. Tage des September stahl er dem
Marco, der mit mir war, einen Griffel im Werte von
22 Soldi, welcher aus Silber war, und nahm ihn aus
seinem Studio, und nachdem genannter Marco lang ge-
nug gesucht hatte, fand er selbigen in der Truhe des
bemeldeten Jacomo versteckt (Randnote: Lire 2 ein s(oldo)
di l(ira). Item, am 26. Tag des Januar darauf, als ich
im Hause des Messer Galeazzo da Sanseverino war, um
das Fest des Lanzenstechens anzuordnen und gewisse
Knappen sich auszogen, um etliche Wämser von wilden
XLV
Männern anzuprobieren, die bei selbigem Feste vorkamen,
näherte sich Jacomo der Geldkatze des einen unter ihnen,
die mit anderen Gewändern auf dem Bette lag, und nahm
daraus jene Münze, die sich darin befand (Randnote:
Lire 2, s. di 1. 4). — Item, als in genanntem Hause
Meister Agostino von Pavia mir ein türkisches Leder ge-
schenkt hatte, um mir daraus ein Paar Stiefel machen
zu lassen, entwendete es mir Jacomo innerhalb des
Monats und verkaufte es einem Flickschuster um 20 Soldi,
von welchem Gelde, nach dem, was er mir selber ge-
stand, er sich Aniskonfekt kaufte (Randnote: Lire 2). —
Item, auch noch am 2. Tage des April, da Gianantonio
einen Silberstift auf einer Zeichnung hatte liegen lassen,
stahl ihn selbiger Jacomo, welcher (Stift) 24 Soldi im
Werte hatte (Randnote: Lire eine, s. di 1. 4). — Im ersten
Jahr, ein Mantel, Lire 2; 6 Hemden, Lire 4; 3 Wämser,
Lire 6; 4 Paar Strümpfe, Lire 7, s. di 1. 8; gefütterter
Anzug, Lire 5; 24(?) Paar Schuhe, Lire 6 s. di 1. 5; ein
Barett, Lire 1; Gürtel, Nestel, Lire 1." Wie nah rückt
diese Aufzeichnung uns den ganzen Leonardo! Wir sehen
die große überlegene Güte, die wohl Schwäche scheinen
könnte, stünde nicht hart dabei die große Klugheit: „wie-
viel kostet mich der Junge?" Es wird uns das ganze
Milieu lebendig — der eine Freund „so gut wie Bruder"
und treue Anhänger des Moro, Jacopo Andrea di Ferrara,
Ingenieur und vorzüglicher Kenner des Vitruv; die Lehr-
jungen, Gehilfen, Schüler des Meisters: zwei soll er ja
schon aus Florenz mitgebracht haben — Atalante Miglio-
rotti, den er in Musik unterwiesen hatte, und Tomaso
Masini , genannt Zoroastro , Maler , Mosaikarbeiter und
Mechaniker; nun finden wir auch Marco d'Oggione bei
ihm und Giovan Antonio Boltraffio. Man konnte sicher
niemals als Maler mehr bei ihm lernen als in diesen
Jahren heißen Schaffens. Damals mag „die h. Jungfrau
von der Felsgrotte" entstanden sein. Ein Dokument,
welches E. Motta in den Mailänder Archiven fand, be-
XLVI
lehrt uns, daß die Scholaren der h. Empfängnis in
Mailand für ihre Kapelle in der Kirche S. Francesco ein
Altarwerk bestellt hatten, das „aus einer Tafel in Öl mit
Unserer lieben Frau" von Leonardo bestehen sollte und
aus Seitengemälden, zwei Engeln, in einer „Ancona mit
Figuren in Relief mit feinstem Golde belegt", deren Ver-
fertigung Ambrogio da Predis übernommen hatte. Da die
Bruderschaft jedoch sich weigerte, die 300 Dukaten zu
zahlen, welche die beiden Künstler wegen ihrer Mühe
und hohen Auslagen forderten und das Gemälde mit der
Muttergottes nicht höher schätzten als auf 25 Dukaten,
obschon, „wie aus einer Liste selbiger Supplikanten her-
vorgeht", dessen Wert sich auf mindestens hundert Du-
katen belief, um welches Geld sie zu kaufen auch meh-
rere Personen bereit waren, wendeten sich da Predis und
Leonardo mit einem Gesuch an die Behörden — man
nimmt an, zwischen 1491 und 1494 — , damit „ohne
weiteren Aufschub von Zeit" durch zwei Personen, die
„in talibus erfahren", eine Schätzung des Bildes vorge-
nommen werde, und daß nach dieser Schätzung die Scho-
laren von der h. Empfängnis gezwungen würden , ihrer
Pflicht zu genügen oder „genannten Exponenten genannte
Unsere liebe Frau in Öl zu überlassen". Diese Unsere
liebe Frau ist die berühmte „Vierge aux Rochers". Sie
existiert bekanntlich in mehreren Exemplaren, und die
Kenner haben lange genug darüber gestritten, welches das
Original sei, ob das Exemplar des Louvre oder das der
englischen Nationalgalerie. Das Londoner Bild stammt
aus der Kirche S. Francesco in Mailand selbst; es ist
dasselbe, welches Lomazzo 1584 beschrieb und das 1777
direkt aus der Kirche für 30 Dukaten in den Besitz des
englischen Sammlers Gavin Hamilton überging; das fran-
zösische aber soll schon Franz L besessen haben ; jeden-
falls erwähnen Cassiano del Pozzo (1625) und Pére le
Dan (1642) es als eines der Gemälde, die sie in der
königlichen Galerie von Fontainebleau bewunderten. Trotz
XLVII
dieser verblüffenden Tatsache ist es aus Stilgründen heute
nicht mehr zweifelhaft, welches von beiden Werken Leo-
nardo näher steht. Trotz vielfacher „Restaurierung",
d. h. trotz der Übermalungen, die z. B. die Haltung des
Engels ganz unverständlich gemacht , hat man sich un-
bedingt für die Pariser Madonna ausgesprochen. Nicht
bloß stimmen die Köpfe des Engels, des Johannesknaben
in Form und Wendung genau mit den prachtvollen Studien
überein , die wir, teils mit Durchpauselöchern versehen,
im Louvre und in der königlichen Bibliothek von Turin be-
sitzen; aber was mehr beweist, ist die Qualität der Ma-
lerei. Es geht von der wunderbaren Holdheit dieser
h. Jungfrau, von dem tiefinnigen Ernst der beiden Kinder,
von der Schönheit des Engels mit den paradiesestrunkenen
Augen; es geht von der göttlichen Erfindung dieser
Szenerie, der dunklen Felsgrotte, durch deren Spalten von
oben das zarte Himmelslicht auf die heiligen Gestalten
silbern niederrieselt und die rückwärts wie in Weltfernen
das Irdische ahnen lassen; es geht von der etwas altertüm-
lichen Befangenheit in der Erscheinung dieser süßreifen
Muttergottes, von dem Geheimnisvollen in der Gebärden-
sprache Marias und des Engels; es geht von jedem Stein und
jedem blühenden Kraut und dem toten Glanz des Wasser-
tümpels, in den das Christkind hineinglitte, hielte es der
Arm seines Schutzgeistes nicht; es geht von dem Zusammen-
spiel dieser Elemente in einem zauberischen Wechsel
von Hell und Dunkel eine unerklärlich zwingende Poesie
aus , gegen die das Londoner Bild mit seiner größeren
Deutlichkeit und Verständigkeit, mit seinem „Hübscheren",
mit all seinen Geschicklichkeiten in Anordnung der Aufbau-
linien, in der größeren Fixigkeit eines Pinsels, der von
keiner Überlegung weiß, aber auch in seiner größeren
Allgemeinheit, in der seelenlosen Leere so mancher Partie
gar nicht aufkommen kann. Gewisse Eigentümlichkeiten
der Zeichnung (z. B. die Kinderhände), die trübe Schwere
des Kolorits, besonders in den Fleischtönen, die mit der
XL VIII
Farbengebung auf den zugehörigen Seitenbildern ganz
übereinstimmt , lassen uns glauben , daß die ganze An-
cona, wenn auch unter Mitwirkung Leonardos, von Am-
brogio da Predis gemalt worden sei. Nach den Doku-
menten ist das Altarwerk für S. Francesco zwischen 1491
und 1494 entstanden. Beim Louvrebild möchte man an-
nehmen, es sei nicht zu lange nach der Florentiner „An-
betung" gemalt. Wer Leonardos zögernde Art zu arbeiten
kennt, vermag auch ein so neuartiges, grandioses Werk
mit seiner Lösung so vielfacher malerischer Probleme
der Lichtführung, der Komposition, der Formbehandlung
gar nicht in den Raum der Zeitspanne 1490 — 99 hinein-
zubringen, der vom Sforzadenkmal und dem h. Abend-
mahl so ganz erfüllt war. Die variierte Wiederholung
für die Kirche S. Francesco, bei der sich Leonardo haupt-
sächlich der Hand da Predis bediente, mag dann immer-
hin in die Neunzigerjahre gefallen und eben das Lon-
doner Exemplar der „Vierge aux rochers" sein. In den
letzten Jahren hat man in S. Ambrogio zu Affori bei
Mailand ein drittes, kleineres Exemplar der h. Jungfrau
von der Grotte entdeckt, das nachweislich im Besitz der
adeligen Familien Corbella, Litta, d'Adda gewesen ist und
1844 durch Erbschaft an jene Dorfkirche kam. Natürlich
hat auch dieses Werk seine Propheten gefunden, die es
für das eigentliche Urbild erklärten; es ist aber ganz
offenbar eine Wiederholung von Meisterhand, der des
Sodoma, sagen die einen, der des Luini die anderen.
In der „Vierge aux rochers" bringt sich Leonardo als
Künstler endlich voll zum Ausdruck, und zwar mit einer
Meisterschaft auf den ersten großen Wurf, die nicht
durch das unaufhörliche Studium der Natur in ihren Er-
scheinungen und Gesetzen allein, sondern gerade nur durch
etwas Unerklärbares, durch sein Genie, erklärt werden
kann. Nun war er zur Beherrschung all seiner Mittel und
damit zu einer Freiheit des Könnens gelangt, wie sie im
„Abendmahl" zu überwältigendem Ausdruck kommen.
IV Herzfeld, Leonardo
XLIX
Wann Leonardo den eigentlichen Auftrag erhielt, die
Wand des Refektoriums im Kloster St. Maria delle Grazie
auszuschmücken, wissen wir nicht; aber aus einer ver-
wischten Inschrift im Refektorium schließt Müller-Walde,
Leonardo habe zwischen 1490 — 1494 zu malen begonnen,
weil Beatrice in dieser Legende erwähnt und Herzogin
von Bari genannt wird. Am 21. Oktober 1495 jedoch
hörte Lodovico auf, den Titel Herzog von Bari zu führen,
— in jenem verhängnisvollen und doch für ihn glück-
lichen Moment, der ihn zum Herzog von Mailand machte.
Seit seiner Vermählung mit der energischen, ehrgeizigen
Prinzessin von Este war ein antreibendes Moment in
seine Politik gekommen. Beatrice fand es unleidlich,
daß sie eine zweite Rolle spielen müsse, daß dem un-
fähigen, in der Unmündigkeit festgehaltenen Gian Gale-
azzo Herrscherehren zukommen sollten. Sie drängte
ihren Mann zu Rücksichtslosigkeit und Härte; sie kränkte
unaufhörlich Isabella, die Gemahlin Gian Galeazzos, die
sich in Neapel aufs bitterste über die unwürdige Behand-
lung, so ihr zuteil ward, wie über die Gewalt beklagte,
mit der man ihren Mann von den Geschäften immer
noch fernhielt. König Ferrante erzürnte, drohte. Lodo-
vico suchte eine Ablenkung für ihn. Er redete dem
König von Frankreich zu, nach Italien zu kommen und
Neapel, als das Erbe der Anjou, für sich zu erobern.
Während Karl VIII. noch schwankte und Bündnisse für
und gegen ihn sich bildeten, versuchte Lodovico als
Gegengewicht den deutschen Kaiser an sich zu knüpfen,
indem er ihm die Schwester Gian Galeazzos mit einer
wahrhaft fürstlichen Aussteuer zur Frau und sich für alle
Fälle ein Dokument von ihm verschaffte, das ihn mit
dem Herzogtum von Mailand belehnte , weil er der in Purpur
geborene, also der einzig rechtmäßige Thronwerber: sein
älterer Bruder, Vater des Gian Galeazzo, war zur Welt
gekommen, ehe Francesco Sforza aus dem Kondottiere
zum Fürsten geworden. Dies Dokument behielt Lodovico
geheim für sich, denn Gian Galeazzo kränkelte, wurde
immer kränker — nicht ohne Zutun seines Oheims, hat
die Welt behauptet, obwohl vielleicht nicht durch Gift —
und starb im Oktober 1494, während Karl VIII. fast ohne
Schwertstreich, Sieger durch die Angst, die sein Heer
einflößte, nach Neapel zog. Lodovico wurde mit Hint-
ansetzung aller Rechte der Kinder des Verstorbenen zum
Herzog von Mailand ausgerufen. Diese Tage, die seine
Wünsche krönten, waren ihm der schwersten Sorgen
voll. Er hatte sich das Unternehmen der Franzosen ganz
anders, italienisch und zeitgemäß, höflicher, mehr diplo-
matisch gedacht. Im Kondottierekrieg, den er kannte,
behielt recht, wer am besten und am längsten zahlen
konnte, und das wäre stets er gewesen. Doch dieser
Karl kam gegen Vernunft und Rat mit leeren Taschen
und großem Heer heran und hielt in ein paar Wochen
ganz Mittel- und Süditalien wie einen gefangenen Vogel
in der Hand: er würde mit der Lombardei kein langes
Federlesen machen. Als es durch die angstvollen Be-
mühungen des Herzogs, trotz des kühlen Zauderns der
Venetianer, trotz des offenen Widerstrebens Kaiser
Maximilians, der nun, da er die Braut heimgeführt hatte,
vielleicht auch unter ihrem Einfluß, in Lodovico einen
Giftmischer und Thronräuber sah, als endlich gegen
Karl VIII., dessen Glück rasch Bedenken und Neid er-
regte, sich eine mächtige Liga bildete, trat der Moro ihr
bei und der König mußte froh sein, mit heiler Haut und
Ehre aus jenem Italien herauszukommen, das ein paar
Monate vorher ihm zu Füßen gelegen. Aber die italischen
Wirren und die französische Gefahr hörten nicht mehr
auf. Und als 1498 Karl VIII. starb, nannte sein Nach-
folger Ludwig XII., ein Enkel der Valentine Visconti, siqh
drohend König beider Sizilien und Herzog von Mailand.
Seit Lodovico wirklich den Thron von Mailand innehatte,
war etwas Fieberhaftes in sein Gebaren gekommen. Uns
genügt, die Spuren davon in den Manuskripten Leonardos,
IV»
LI
in den Aufträgen für ihn, in den Dokumenten zu suchen.
Bald ist der Meister in Vigevano, wo Lodovico großen Guts-
besitz hatte, mit technischen Arbeiten beschäftigt, bald beim
Kanal der Sforzesca, bald beim Austrocknen von Sümpfen,
bei der Anlage von Rieselwerken, der Verbesserung von
Mühlen; dann wieder ist er in Mailand; er studiert die
Gräben rings um die Stadt, die Gräben des Kastells; er
macht das Bad der Herzogin, eine Schwitzkammer, eine
selbstschließende Tür; dann Pläne für Bilder — so findet
man im Manuskript J. Fol. 107 r., das Noten aus dem
Jahre 1497 enthält, ein Rechteck gezeichnet, in der Mitte
gegen den Hintergrund ein kleineres Rechteck, das einen
Thron oder dergleichen vorstellt, darüber geschrieben:
„Nostra Donna", Unsere liebe Frau, rechts und links je
eine Kolonne mit Heiligen: Johannes der Täufer, S. Peter,
Elisabeth, Bernhard, Bonaventura, h. Franciscus, Faustinus,
Paulus, h. Clara, Ludwig, Antonius von Padua, dann
noch einmal mehrere dieser Heiligen mit ihren Attributen
aufgeführt. Anderwärts notiert: „Das Tafelbild des Her-
zogs." Auf einem Blatt des Ms. H. II, Fol. 125 r. und
Fol. 124 V. der Kostenvoranschlag für die Malerei eines
Gemaches (1494), vielleicht eines der Camerini im Kastell:
es sollten die Wölbungen und die Wände bemalt werden,
„24 römische Historien, à Lire 14 eine", und „Philosophen",
jeder zu 10 Lire; Pfeiler, Gesimse, eine ganze Architektur,
in die Bogenzwickel auch „Historien", scheint es. Da-
zwischen, wenn Vasari nicht irrt, eine Fahrt nach Florenz,
um hier zugleich mit Michelangelo, Giuliano di San Gallo,
Baccio d'Agnolo und Simone del Pollajuolo, genannt il
Cronaca, sein Gutachten über den Ausbau des großen
Ratsaales abzugeben: bei dieser Anwesenheit in Florenz,
meint Strzygowski, habe er sein Tafelbild der Anbetung
so weit gefördert, wie wir es heute sehen. Sagen wir
vielmehr: er habe es damals definitiv im Stich gelassen,
weil dieses Bild in Erfindung und Gruppierung der Reife
nicht entsprach, die Leonardos Können und Einsicht seit-
LII
her erlangt. Die große Arbeit dieser Jahre war, neben
dem Sforzakoloß, das Wandgemälde im Kloster S. Maria
delle Grazie. Leider haben wir auch von diesem Werk
nichts behalten als einen trüben, gespenstischen Schatten
im letzten Stadium des Verderbens, eine Menge Kopien,
die einander nur ganz allgemein gleichen, und einen Stich,
kalt, korrekt und nicht besonders sym^pathisch, in Florenz
nach den schwachen Zeichnungen eines Dritten angefertigt.
So aber, wie dieser Morghensche Stich nun einmal ist,
so hat die Komposition sich dem Bewußtsein der Menschen
eingeprägt. Wir ergänzen dann in der Phantasie die Köpfe
nach den Pastellskizzen zum Karton — dem h. Matthäus,
dem Judas, dem wundervollen Kopf des h. Philippus in
schwarzer Kreide (Windsor), nach der leider recht ver-
dorbenen Christusstudie in der Brera und den schönen
Zeichnungen, die direkt nach dem Bilde angefertigt sind
und die vor 100 Jahren Karl August von Sachsen-Weimar
in Italien erwarb. Allein wie gäbe uns das eine wahre
Vorstellung von der verlorenen Herrlichkeit des Originals!
Die Kompositionsentwürfe, die wir haben, stammen aus
den Dämmerzeiten, in denen der erste Gedanke sich all-
mählich bildet; ebenso die Niederschriften in den Mss.
des South Kensington Museums (s. S. 186, 187). Nichts,
fast nichts anderes ist uns davon übrig geblieben! Jedoch
der überwältigende Eindruck, den das Werk auf die
Phantasie der Zeit gemacht, spiegelt sich in den Anek-
doten, die sich an das Gemälde knüpfen, in den No-
vellen, die von ihm ihren Ausgang nehmen, und diesen
danken wir Züge, die uns Leonardos Wesen, Genie, Art
zu arbeiten besser versinnlichen als manche gelehrte Ab-
handlung. Matteo Bandello, ein Neffe des Priors von
St. Maria delle Grazie, der im letzten Jahrzehnt des
Quattrocento im Kloster Novize war, erzählt in der be-
rühmten Einleitung zu seiner 58. Novelle: „Es waren in
Mailand zur Zeit des Lodovico Sforza Visconti, Herzogs
von Mailand, mehrere Edelleute im Kloster delle Grazie
LUI
der Brüder des h. Domenico und standen still im Refek-
torium da, um das wunderbare und höchst berühmte
Abendmahl des Christus mit seinen Jüngern zu betrachten,
welches damals der ausgezeichnete Maler Leonardo Vinci
der Florentiner malte; welcher es sehr gern hatte, daß
jeder, der seine Gemälde sah, über sie ganz frei sein
Bedünken sagte. Er pflegte auch oft, und ich habe es
mehr als einmal gesehen und bemerkt, des Morgens früh-
zeitig herzugehen und auf die (fliegende) Brücke zu steigen,
weil das Abendmahl ein wenig über dem Boden erhöht
ist: er pflegte, sage ich, von der aufgehenden Sonne bis
zum verdämmerten Abend sich nicht den Pinsel aus der
Hand zu nehmen, sondern, des Essens und des Trinkens
vergessend, unaufhörlich zu malen. Dann waren wohl
auch wieder zwei, drei oder vier Tage gewesen, wo er
gar nicht Hand angelegt, und dennoch manchmal ein oder
zwei Stunden im Tage dablieb und nur schaute, überlegte
und in sich selber prüfend seine Figuren beurteilte. Ich
sah ihn auch (wenn ihm so die Laune oder Grille kam)
um Mittag, wenn die Sonne im Löwen steht, von der
Corte Vecchia fortgehen, wo er jenes stupende Pferd aus
Lehm komponierte, und direkt zu St. Maria delle Grazie
kommen und, auf das Gerüst gestiegen, den Pinsel er-
greifen, einer jener Figuren zwei, drei Pinselstriche geben
und sofort wieder weg und anderswohin gehen. Es
hatte damals gerade der Kardinal von Gurk (Gurcense il
vecchio) in delle Grazie Wohnung genommen, und ließ
sich's einfallen, ins Refektorium zu treten, um genanntes
Abendmahl zu sehen, während obenerwähnte Edelleute
versammelt waren. Als Leonardo den Kardinal erblickte,
kam er herab, ihm seine Reverenz zu bezeigen, und wurde
von jenem gnädig empfangen und höchlich gefeiert ....
Es frug der Kardinal, wieviel Gehalt er vom Herzog
Lodovico empfange. Leonardo antwortete, daß er für
gewöhnlich eine Pension von 2000 Dukaten habe, ohne
die Gaben und Geschenke, so den ganzen Tag der Herzog
LIV
ihm aufs freigebigste mache. Schien dieses dem Kardinal
eine große Sache und, vom Abendmahl sich trennend, zog
er sich in seine Gemächer zurück. Leonardo hierauf,
um zu zeigen, daß die ausgezeichneten Maler stets geehrt
worden seien, erzählte den versammelten Edelleuten dar-
über eine hübsche kleine Geschichte. Ich, der bei seinem
Gespräch anwesend war, zeichnete sie in meinem Geiste
auf," usw., und dann kommt die eigentliche Novelle
als die hübsche kleine Geschichte Leonardos. Raimund
Peraudi, Kardinal von Gurk und Gesandter Maximilians,
wohnte wirklich 1497 im Kloster Santa Maria delle Grazie;
was die Pension betrifft, so war sie wohl eine Erfindung
Bandellos oder eine Künstlerblague Leonardos; wenn
nicht, je nun, — Leonardo sagt ja dem staunenden Bar-
baren selbst, er habe sie „für gewöhnlich" bekommen: aber
manchmal blieb sie eben ein paar Jahre aus. — Weiter
finden wir in einem Dialog des Giovambattista Giraldi
(1554) folgendes Interessante: „Es dient auch dem Poeten,
jenes zu tun, was Leonardo Vinci, ausgezeichnetster Maler,
tat. Dieser, sobald er irgendwelche Figur malen wollte,
überlegte zuerst deren Qualität und deren Natur, nämlich,
ob sie edel sein sollte oder plebejisch, fröhlich oder
streng, betrübt oder heiter, alt oder jung, zornmütig oder
ruhigen Sinnes, gut oder bösartig: und wenn er dann ihr
Wesen erkannt, begab er sich dorthin, wo er wußte, daß
sich Leute von dieser Qualität versammelten, und be-
obachtete fleißig ihre Gesichter, ihre Manieren, die Ge-
wohnheiten und die Bewegungen ihres Körpers, und hatte
er etwas gefunden, das ihm geeignet schien für jenes,
das er machen wollte, so hinterlegte er es mit dem Stift
in dem Büchlein, das er allzeit bei sich im Gürtel trug.
Und nachdem er dieses viele und viele Male getan, so-
bald er so viel gesammelt hatte, als ihm zu genügen
schien für das, was er zu malen gedachte, begann er,
es zu formen, und machte es wunderbar gelingen. Und
gesetzt, er tat dies in jedem seiner Werke, so tat er es
LV
schon gar mit jeglichem Fleiß in jener Tafel, die er in
Mailand im Kloster der Predigermönche malte, in welchem
unser Erlöser mit seinen Jüngern abgebildet ist, die bei
Tische sitzen." Diese Erzählung ist gewiß richtig. Leo-
nardo empfiehlt dem Maler selbst, immer ein Büchlein
bei sich zu haben und mit ein paar Strichen zu notieren,
was ihm irgendwie merkwürdig schien. „Gefiel ihm so
sehr," sagt Vasari, „wenn er gewisse bizarre Köpfe sah,
entweder mit Barten oder mit Haaren der natürlichen
Menschen, daß er einem, der ihm gefiel, einen ganzen
Tag hätte folgen können, und er setzte sich ihn so in
das Gedächtnis, daß er nachher, zu Hause angelangt, ihn
zeichnete, als ob er ihn vor sich gehabt." Und Notizen
wie: „Giovannina, phantastisches Gesicht — wohnt in
Sta Caterina, im Spital" — „Cristofano da Castiglione
wohnt in der Pietà, hat einen guten Kopf" bestätigen
das ebenso wie seine Zeichnungen, besonders die soge-
nannten Karikaturen, die großenteils nur Studien nach
den grotesken Bildungen sind, welche die Natur hervor-
bringt und die Kunst ignoriert. Aber wer darum annimmt,
Leonardo habe jemals die Natur verwendet, so wie sie
sich ihm darbot, oder er habe, wie noch Goethe glauben
durfte, für die Idee, die ihm vorschwebte, „eine an-
nähernde Gestalt gesucht", um sie in die Stellung hinein-
zusetzen, welche die Komposition erforderte, gewisser-
maßen um ein Porträt in das kompositioneile Schema
hineinzuarbeiten, der hat diesen Künstler nicht erfaßt.
Leonardo studierte unaufhörlich die Wirklichkeit, nm
seiner Phantasie einen immer neuen Formenschatz zu-
zuführen; er kopierte aber, um daraus zu komponieren.
Was er in der Natur an Brauchbarem fand, mußte erst
in den Schmelztiegel seines Geistes und kam nicht heraus,
ehe es aussah, als wäre es ganz Leonardo und frei aus
seiner Idee herausgeboren — ein Werk, „al quale", wie
bei Dante, „han posto mano e cielo e terra", an das
Himmel und Erde Hand angelegt, bis daraus eine Sache
LVI
wurde, die Großes bedeutet, „una finzione che significa
cosa grande". Wir können diesen Prozeß bis ins einzelnste
bei den Skizzen zum Reiterdenkmal verfolgen. Wieso
das Abendmahl, diese Summe von höchster Weisheit und
höchstem Können, zugrunde gegangen ist, während die
Wandgemälde des ersten besten Dummkopfes jener Zeit
leben, wir wissen es: die Beschaffenheit der Mauer,
welcher Leonardo vergebens abzuhelfen gesucht; dazu
noch mancherlei Unglück und die Technik, in der es aus-
geführt. Allein erinnern wir uns: wie Lomazzo uns sagt,
war Leonardo einer der Ersten in Italien, welche die
Temperamalerei mit der Ölmalerei vertauscht haben; es
fehlte ihm noch manche Erfahrung, und ihn verlockte es,
zu suchen, was kein anderer gemacht. Vor allem jedoch:
nicht die Linie, nicht die Rundung, nicht die Farbe, nicht
die Gruppe, nicht das Licht, ja, auch nicht der Stoff selbst,
den er darstellt — lauter Mittel — sind das Zentrale
seiner Kunst: er ist Ausdrucksmaler; er will, wie die
Natur, das Seelische in der Erscheinung enthüllen, und
jede Regung zwar intensiv, aber dennoch aufs subtilste vor-
tragen, so daß es die Bescheidenheit der Natur nicht ver-
letzt, die mit unscheinbaren Mitteln Großes erreicht, aber
doch oft wie mit dem höchsten Reichtum und der höchsten
Schönheit auslesender Kunst auf uns wirkt. Das ist mit
dem abgekürzten Verfahren des Fresko nicht zu erzielen.
Im üppigsten Quellen der Erfindung äußerst wählerisch,
überzeugt, daß nur eine Form die vollkommene sein kann,
sagte er, wie Zeuxis in der griechischen Anekdote, er
verweile lang bei jedem seiner Werke, damit es lange
lebe. Ein Mann tiefster Erwägungen, mußte es ihm mög-
lich bleiben, immer noch einen Reuezug, wie Goethe es
nennt, an seinem Bilde anzubringen. Er fiel seine Arbeit
nicht an wie der Löwe seine Beute: so muß es aber der
Freskomaler tun. Es wird uns oft und oft geschildert, er
habe sich nicht anders als am ganzen Leibe zitternd einer
großen Aufgabe zu nähern vermocht: er konnte sich keiner
LVII
anderen Technik bedienen als der in Öl , die zu Unter-
brechungen zwingt und den „feinsten Überlegungen", wie
Leonardo sagt, allen Spielraum gibt. So mußte der größte
Künstler, Denker, Erfinder der Renaissance durch die
Natur seines Genies an Dingen scheitern, die der letzte
seiner Schüler zu umgehen wußte, und so sind wir um
ein Meisterwerk ärmer, das in jeder Richtung ohne-
gleichen blieb.
Strzygowski setzt das nur untermalte Bild des heiligen
Hieronymus mit dem wundervoll groß und dekorativ im
Vordergrund liegenden Löwen (Vatikan) gleichfalls in die
neunziger Jahre , im Gegensatz zu Müller- Walde , der
glaubt, es sei in Florenz entstanden. Für ersteres sprechen
die Meisterschaft der Helldunkelbehandlung , der Licht-
verteilung und die gründliche Kenntnis der Anatomie.
Besonders die Hals- und Schulternpartie hat große Ver-
wandtschaft mit ein paar Zeichnungen, die Leonardo für
sein Buch von der menschlichen Figur gemacht hat.
Ferner hat sich Leonardo an der Ausschmückung des
Kastells beteiligt — seine Arbeit in der Saletta negra
ist zwar leider dem Unverstand zum Opfer gefallen, doch
dokumentarisch festgestellt; seine Malerei in der Sala
della Torre oder delle Asse ist nicht nur mit größter
Sorgfalt abgedeckt und freigelegt, sondern auch in voller
Schönheit und Treue, wie Luca Beltrami versichert, wieder-
hergestellt worden: eine geistreiche und anmutige Deko-
ration in Art einer Pergolata, mächtige Stämme, deren
dichtbelaubte Äste sich durchflechten und die mittels ver-
goldeter Schnüre im Spiel der wunderbarsten Verschlin-
gungen zusammengeknüpft smd. Studien dazu findet man
in den Blättern des Cod. atl. (Fol. 261 r., Fol. 273 v.) und
der "Windsor-Sammlung (s. z. B. Ed. Rouveyre's Ausgabe,
Notes et Croquis sur l'Anatomie du Cheval, Bd. IL, Fol. 57 r.).
Die Arbeiten Leonardos in den Gemächern des Kastells,
die gesucht und gefunden zu haben das Verdienst der
leidenschaftlichen Beharrlichkeit Müller-Waldes und Luca
LVIII
Beltramis ist, sind mit einer interessanten Episode ver-
flochten, welche ein scharfes Licht wirft auf die angeblich
so glänzende Existenz Leonardos am Hofe des Moro. Im
Herbst 1495 wurden an den „Camerini", die nach dem
Burggarten zu neben dem Turm des Kastells gelegen
waren, Türen durchgebrochen usw., und dann der Mal-
grund hergestellt; der Herzog wünschte diese Räume
schleunig fertig zu sehen. Nun existiert aber das Kon-
zept zu einem Brief, den Lodovico Moro am 8. Juni 1496
an den Erzbischof von Mailand nach Venedig schreiben
ließ: „Der Maler, welcher unsere Camerini malte, hat
heute einen gewissen Skandal gemacht, wegen dessen er
sich entfernte, und da wir nun an einen anderen Maler
zu denken haben, um das Werk zu liefern und jenem
zu genügen, wofür wir uns mit der Arbeit dessen be-
dienten, so sich absentiert hat, und da wir hören, daß
Meister Petro Perusino sich dort (in Venedig) befinde,
dünkt uns Euch aufzutragen, daß Ihr mit dem besagten
Perusino sprechet und von ihm höret, ob er kommen
wolle, um uns zu dienen, indem Ihr ihm saget, wenn er
käme, würden wir ihm solche Bedingungen machen, daß
er zufrieden sein könnte". . . Jedoch der Perugino hatte
Venedig schon verlassen und man wußte dort nicht, wo
er nun sei. Der Herzog hält hierauf Umfrage nach anderen
Malern; es ist ein Blatt vorhanden, interessant durch die
Charakteristik der Vorgeschlagenen — Botticelli, Filippino
Lippi , Domenico Ghirlandaio und wieder Perugino,
zwischen denen die Palme „è quasi ambigua", — so ziemlich
schvvanke. Am 28. März 1497 wendet sich Lodovico —
ebenso vergebens — an Guido und Rodolfo di Baglioni,
Herren von Perugia, um sie zu bitten, daß sie doch den
Perugino bewegen mögen , nach Mailand zu kommen,
„um einigen Sachen genug zu tun", die er vorhabe, und
dem Meister begreiflich zu machen, daß er, „wenn er
herkäme, von uns solches Traktament empfinge, daß er
allzeit zufrieden gestellt sein würde, gekommen zu sein".
LIX
— Wer war aber der Maler, der nach einem gewissen
Skandal die Arbeit an den Camerini im Stich gelassen,
und den man nur durch den besten Künstler Toskanas
meinte ersetzen zu müssen? Müller-Walde entscheidet
sich für Leonardo. Am 29. Juni 1497 gibt der Herzog
dem Marchesino Stanga den Auftrag, „Leonardo Fioren-
tino" zu mahnen, daß er die begonnene Arbeit im Re-
fektorium delle Grazie fertig mache , um nachher der
anderen Fassade selbigen Refektoriums „obzuliegen" (er
hat auf sie die Bildnisse des Lodovico, seiner Frau, seiner
Söhne gemalt). Und noch ein zweites Mal, am 29. No-
vember, schreibt er an dieselben Herren, zu bewirken,
daß er den Perugino „habe", entweder um dauernd in
seinen Diensten zu bleiben oder nur für beschränkte Zeit:
der Herzog würde ihn nehmen, ganz wie er es wünschte...
Auch das blieb ohne Resultat. — War es aber wirklich
zwischen dem Moro und Leonardo zum Bruch gekommen,
— wenn der Fürst Grund hatte zu klagen, so hatte es
der Künstler noch viel mehr. Ein paar halbe Worte,
die Müller-Walde auf den Herzog beziehen zu dürfen
meint, verraten tiefgehertden Verdruß: „erst die Bene-
fizien und nachher die Arbeiten und dann die Undankbar-
keiten und hierauf die unwürdigen Klagereien". . . . Wir
haben zwei Briefentwürfe von Leonardo (S. 206 und 207),
die , obwohl nur verstümmelt erhalten, doch von großer
Wichtigkeit sind, und einen Einblick geben in die Drang-
sale seiner Existenz. Es scheint, daß man ihm statt
Geldes „Benefizien" wie Tormauten, Wasserabgaben usw.
zugewiesen hatte — dies die „Geschenke", mit denen
„den ganzen Tag" der Herzog ihn überhäufte. Seit zwei
Jahren war er ohne Gehalt geblieben, mußte aber sechs
Personen ernähren. Auf diesem Untergrund hatten die
Differenzen sich so weit entwickelt, daß Leonardo seine
Arbeiten abbrach , und Lodovico einen Ersatz für ihn
suchte. Nun lenkt Leonardo dennoch ein. Er schreibt
dem Herzog. Der eine Brief klingt ganz , als hätte er
LX
seinem Stolz ihn mühsam abgerungen. Es tue ihm recht
sehr leid, daß die Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt
ZU' suchen , ihn zu unterbrechen gezwungen , das Werk
zu verfolgen, das Seine Herrlichkeit ihm aufgetragen;
doch hoffe er, in kurzem genug verdient zu haben, um
mit ausgeruhtem Gemüt Seiner Exzellenz Genüge zu tun;
denn wenn der Herzog glaube , daß er Geld habe , so
täusche er sich usw. Der zweite — es ist leider ein
Stück des Manuskriptblattes weggerissen — ist voll zittern-
der Erregung. Die Aufträge werden ihm weggenommen;
mit Anweisungen auf Benefizien kann er nichts anfangen;
er will seine Kunst wechseln. Er weiß wohl, daß der
Sinn Seiner Herrlichkeit beschäftigt ist — (am 2. Januar
1497 war Beatrice gestorben; die Franzosennot drohte
ganz in der Nähe), ... er hätte auch nicht gewagt, seine
Bagatellen ihm ins Gedächtnis zu rufen, fürchtete er nicht,
durch Schweigen ihn sich ungnädig zu machen. Vom
Pferd wolle er nichts sagen, er kenne die Zeiten; er sei
aber nun zwei Jahre her im Guthaben des Gehaltes ge-
blieben. Er hätte gern jenen , die nach ihm kommen,
durch Werke von Ruf gezeigt, was er könne; nun wisse
er aber nicht, wo er seine Werke verausgaben könne.
Er spricht von seiner Lage, erinnert den Herzog an den
Auftrag des Malens der Camerini ... Es vermittelten
vielleicht Freunde mit Erfolg; kurz, im März 1498 be-
richtet Messer Gualtieri dem Herzog wieder von Arbeiten
in den kleinen Kammern. Am 21. April schreibt er, in
der Saletta negra werde keine Zeit verloren. In der Sala
delle assi würden die Gerüste abgetragen; Meister Leo-
nardo verspreche, bis zum September alles zu vollenden,
und darüber könne man froh sein; die fliegenden Brücken,
die er mache, ließen unten den Raum frei usw. Ehe
das Jahr zu Ende geht, hat Leonardo die „Camerini*
gemalt und das Abendmahl „mit seiner unvergleichlichen
Hand" fertig „gepinselt (pennellegiato)". Fra Luca Pacioli,
der berühmte Mathematiker und Verfasser des Werkes
LXI
„De divina proportione", den der Moro 1496 nach Mai-
land gezogen hatte und der mit Leonardo rasch befreun-
det ward, berichtet, daß am 8. Februar 1499 „in der un-
überwindlichen Burg der erlauchten Stadt Mailand" in
Gegenwart des Herzogs ein „lobenswertes und wissen-
schaftliches Duell" stattfand, dem er in Gesellschaft „des
scharfsinnigsten Architekten und Ingenieurs und neuer
Sachen beflissenen Erfinders Leonardo da Vinci, unseres
florentinischen Landsmannes, beigewohnt". Am 26. April
schenkt der Herzog Leonardo einen Weingarten vor dem Tor
Vercelliana, im Umfang von 16 Ruten, mit Worten höchster
Ehrung und mit der Anerkennung, „ihm gegenüber so
viel Verpflichtung zu haben , daß , wenn wir ihm nicht
irgendein Geschenk machten , wir glauben würden , uns
selbst etwas zu vergeben". . . . Die Gunst und Gnade
konnte nicht mehr höher steigen; allein sie vermochte
eben nichts Wirksames mehr auszurichten. Der Papst
Alexander VL , Ludwig XIL und Venedig hatten gegen
Mailand ein Bündnis geschlossen. „Gut, ihr habt euch
mit dem König in meinen Staat geteilt," sagte der Moro
zu den Gesandten der Serenissima; „doch bei Gott! ich
werde euch zum Fischfang aufs Meer hinausschicken, und
ihr sollt auf dem Festlande keine Faustbreit Erde behalten"
(per Dio! vi farò andare a pescare a la marina, e non
avrete in terra ferma un palmo di terra). Er schloß ein
Gegenbündnis mit dem Kaiser, dem Sultan, dem König
von Neapel; doch als im Juli 1499 Ludwig XIL die Alpen
überschritt, als eine Feste nach der anderen „vor dem
Ungestüm der Schweizer und der Kinder Frankreichs"
fiel, hatte Maximilian natürlich gerade Kriegshändel mit
den Kantonen, und Federigo nahm des Momentes wahr
und verblieb untätig, bis es zu spät war: da wich Lodovico
Moro und floh mit all seinen Schätzen nach Tirol, während
Mailand seine Tore Gian Giacomo Trivulzio, dem fran-
zösischen Feldherrn, öffnete. Am 6. Oktober zog Lud-
wig XII. im Triumph ein und wurde vom Volke jubelnd
LXII
begrüßt. Allein die Franzosenherrschaft war noch härter
als die des Sforza. Deshalb, als Lodovico mit einem Heer
von Schweizern und Deutschen von Como her nahte, er-
hob sich Mailand , das von den Anhängern des Moro,
unter anderen von Jacopo Andrea da Ferrara aufgewiegelt
war, und am 5. Februar 1500 kehrte der Herzog in seine
Hauptstadt zurück. Aber die Franzosen kamen in Eil-
märschen aus der Romagna herbei, wo sie Cesare Bor-
gias Plänen Hilfe geleistet hatten; aus Frankreich zogen
neue Truppen heran. Als der Moro sich am 10. April
bei Novara dem Feind entgegenstellte, verweigerten die
Schweizer den Kampf und lieferten den Herzog aus.
Dieser wurde nach Frankreich gebracht und starb 1510
im Kerker zu Loches. „Ein Mann von singularer Weis-
heit," sagt Paolo Giovio, „doch von einem Ehrgeiz ohne
Grenzen, — geboren zum Verderben Italiens." Frank-
reich verhängt nun ein hartes Strafgericht über die
wankelmütige Stadt; die Parteigänger der Sforza werden
ihrer Güter beraubt, Jacopo Andrea wird gefangen ge-
nommen, enthauptet und gevierteilt.
Leonardo da Vinci hatte Mailand verlassen , ehe die
Katastrophe hereinbrach. Ob es Voraussicht , Vorsicht
oder ein Auftrag war, was ihn dazu bewog, läßt sich nicht
entscheiden; doch Loyalität, Patriotismus und dergleichen
allgemeine Bürgertugenden hätten ihn nie festgehalten
und gebunden. Leonardo gehört wie Faust zu den Un-
behausten; er ist ohne Verhältnis zu seiner Mitwelt. Er
liebt alle Kreatur; er ist voll Güte für alle, die von ihm
abhängig sind; seine Schüler sind seinem Herzen gleich-
wie Söhne nah; dennoch muß es betont werden und es
sollte keinen Wunder nehmen, daß nichts und niemand
Leonardo binden konnte, außer ein Problem, dem er nach-
ging; daß er keinem Fürsten, keinem Land, keinem Freund
und keiner Frau hätte leben können , sondern daß sein
ganzes Wesen und Dasein im Dienst der übermächtigen
Leidenschaft seines Geistes stand und ganz von den Zielen
LXIII
besessen war, die sein Schaffens- und Erkenntnistrieb
ihm unaufhörlich setzten. Keinem angehören können als
sich und seinem Werk, dies ist das angeborene Gesetz
des Genies und damit sein Schicksal; es macht den
außerordentlichen Menschen im faustischen Sinn zum
Einsamen, zum Übermenschen, zum Unmenschen. "Wäh-
rend die Franzosen nahen, arbeitet Leonardo unbeirrt fort.
„Am 1. August 1499 schrieb ich hier von der Bewegung
und dem Gewicht," notiert er (Cod. atl. Fol. 104 r.) und
sieben Zeichnungen: „Vom Bad der Herzogin Isabella. —
A ist gesetzt, damit der Zapfen sich nicht zugleich mit
der Schraube drehe. — Feder" — eine letzte Erinnerung
an die letzten Aufträge Lodovicos , der in allen gleich-
gültigen Wünschen der unglücklichen Witwe Gian Galeaz-
zos, „Ysabella de Aragonia Sforzia unicha in desgracia",
wie sie sich unterschrieb, gern entgegenkam. Eine andere
Aufzeichnung (Cod. atl. Fol. 284 r.) aber zeigt, daß Leo-
nardo den Ereignissen nicht blind entgegenging. Er
macht ein Inventar seines Geldbesitzes, nach den Münz-
sorten, die er in den verschiedensten Verstecken seiner
Wohnung aufbewahrte. Am 29. Dezember deponierte er
dann durch ein Mailändisches Bankhaus seine über-
flüssigen Barmittel im Hospital zu Santa Maria Nuova,
der florentinischen Sparkasse jener Zeit: 600 Goldgulden
im ganzen — das Resultat einer siebzehnjährigen un-
geheuren Tätigkeit. Leonardo selbst hat Mailand wohl
lange vorher verlassen. Im Cod. atl. Fol. 234 v. steht
folgendes Brouillon, das von den Forschern wohl über-
sehen wurde, weil es durchgestrichen ist : „Illustrissimi
Signori miei, da ich gesehen habe, daß die Türken nicht
auf irgend einem Teil des Festlandes vorher nach Italien
kommen können, ehe sie den Fluß Isonzo passierten, und
obschon ich weiß, daß es nicht möglich ist, irgend eine
Schutzwehr von langer Dauer zu machen, kann ich nicht
umhin, daran zu erinnern, daß die wenigen Leute mit
dem Beistand selbigen Flusses nicht für viele taugen,
LXIV
sintemalen, wo solche Flüsse* ... Er wiederholt, daß
eine kleine Truppe nichts helfe. Er hebt hervor, das
Wildwasser dieses Flusses, mit dem Flößholz, das es
mitführt, überschwemme die Ufer so hoch, daß ein Wall,
der widerstände, nicht herzustellen sei. Er erwähnt „die
Brücke von Görz". Die Ideen sind nur angedeutet. In
wessen Auftrag Leonardo eine Besichtigung der Grenz-
befestigungen und eine Flußregulierung im Friaulischen
vorgenommen, ist aus der Ansprache „Erhabene Herren"
nicht ersichtlich; doch möchte man am ehesten an
Venedig denken, gegen das der Sultan, vom Moro
aufgestachelt, heimlich rüstete. Und Leonardo muß
sein Gutachten jedenfalls im Spätsommer 1499 er-
stattet haben; denn nach Barbarenart, ohne weitere
Kriegserklärung wurden alle Venezianer in Konstanti-
nopel eines schönen Tages gefangen genommen; am
26. August fiel Lepanto in die Hände des Sultans; zu-
gleich überzog ein Streifkorps von 10000 Spahis sengend
und raubend die venezianischen Besitzungen und drang
im Oktober bis zum Tagliamento, ja bis gegen Vicenza
vor. Die Tatsachen hatten Leonardo recht gegeben. Als
Leonardo Mailand verließ, war er vorübergehend in Man-
tua, — nicht zum erstenmal. Schon im Dezember 1498
muß er dort gewesen sein, denn der Markgraf ordnet an,
daß der Schatzmeister ihm die Lauten- und Violasaiten
bezahle, die er aus Mailand mitgebracht. Ob 1498, ob
1499, die Markgräfin Isabella wünschte von ihm gemalt
zu werden und saß ihm auch zu einer Skizze. Charles
Yriarte wollte in der wunderbaren Porträtstudie des Louvre
das Bildnis dieser seltenen Frau erkennen. Der ausge-
zeichnete Direktor des k. Archivs in Mantua, Alessandro
Luzio hat in einer wertvollen Arbeit „I ritratti d'Isabella
d'Este" (Zeitschrift „Emporium", Bergamo, Mai- und
Juniheft 1900) bewiesen, wie unstichhaltig die Gründe
sind, die Yriarte für seine Behauptung anführt. Dennoch
aber, und trotz Yriarte, wird man annehmen dürfen, daß der
V Herzfeld, Leonardo
LXV
Karton des Louvre, von dem eine kleinere, viel weniger
lebendige Wiederholung in den Offizien existiert, Isabella
d'Este Gonzaga Markgräfin von Mantua darstelle. Kein
anderes ihrer Bildnisse malt uns besser ihr Wesen als diese
wunderschöne Skizze mit dem leisen Grüßen der lächelnden
Augen und dem bewegten Spiel der geistreichen, tempe-
ramentvoll geschürzten Lippen. Die gemeine „Ähnlichkeit
zum Schreien" hat Leonardo nie gesucht; doch es gleicht die
Studie in den Zügen und mehr noch durch die Bewegung der
Züge genügend den Porträts im Wiener Hofmuseum, denen
in bezug auf Ähnlichkeit Wert beizulegen ist: den Medaillen
Cristoforo Romanos und dem Miniaturbild aus Schloß
Ambras, einer Kopie jenes Porträts, das in der Familie
Gonzaga als das ähnlichste galt . . . Den Ausgang der Ge-
schicke von Mailand wartete Leonardo in Gesellschaft des
Luca Pacioli, der „wegen gewisser Vorfälle in jenen
Gegenden" (certi successi in questa parte) auch die Lom-
bardei verlassen hatte, in Venedig ab, wo der berühmte
Mathematiker durch seine Werke wohlbekannt war. Am
13. März 1500 schrieb der Musikinstrumentenmacher Lo-
renzo Gusnasco an Isabella von Mantua: „Es befindet
sich in Venedig Leonardo Vinci, welcher mir ein Konter-
fei Euerer Herrlichkeit gezeigt hat, welches ganz Natur
ist, so gut gemacht, wie es kaum möglich ist" (molto
naturale a quella, sta tanto bene facto non è possibile).
Und während in Mailand der Grund zusammenbricht, auf
den er seine Existenz gebaut, treibt Leonardo mathe-
matische, geologische Studien, beobachtet Ebbe und Flut,
das Leben der Flüsse; „denn", sagt er, „diese gütige
Natur sieht in solcher Art vor, daß überall in der Welt
du zu lernen findest". Mailand fällt endgültig in die
Hand der Franzosen; seine Hoffnungen sind zerstört, seine
größten Werke sind bedroht. In seine Notizen, welche
mehr die Memorabilien seines Geistes als seiner Erleb-
nisse bewahren, schreibt er auf eine Seite, die ich voll-
inhaltlich hierher setze: „Paolo di Vannocco in Siena (?)
LXVI
— ... co di Ronco (?). — Domenico der Schlosser. —
Die Saletta von oben, für die Apostel. — Notwendige
Gesellschaft hält die Feder mit dem Federmesser, und
ebenso nützliche Gesellschaft, weil das eine ohne das
andere nicht gar viel wert ist. — Gebäude des Bramante.
— Der Kastellan gefangen genommen. — Der Visconti
fortgeschleppt, und der Sohn nachher getötet. — Gian
della Rosa (Rosate, Astrolog des Moro), sein Geld ihm
weggenommen. Borgonzo (Schatzmeister des Sforza) fing
an und wollte nicht (?), und darum entfloh ihm auch das
Glück. — Der Herzog verlor den Staat und sein Gut
und die Freiheit, und keines seiner Werke wurde von
ihm beendigt. (Auf dem Seitenrand: Rhodus hat in seinem
Inneren 5000 Häuser.)" Dieser kurze Nachruf, den Leo-
nardo so beiläufig seinem eigenen Glücke widmet, steht
im Innendeckel eines Heftes, dessen Aufschreibungen aus
dem Jahre 1502 herstammen. Ich möchte annehmen,
daß auch diese Notiz erst 1502 gemacht wurde. Die
Wunde war tief; Leonardo rührte nicht an seinen Schmerz.
Er hatte keine Zeit für persönliche Gefühle. Es lebte
in ihm der feste Wille zum Gesundsein, jener starke
Heiltrieb der Natur, der charakteristisch ist für das große
Genie. Seine beständige Mahnung an die Künstler ist,
ihr Gemüt zu halten wie einen Spiegel, so still und treu
und rein. War er darum fühllos? Auf einem merkwürdigen
Blatt, — ein riesiger Tintenfleck ist über ein Gedicht aus-
gegossen, das nicht von Leonardo gemacht noch ge-
schrieben ist und von dem wir nichts mehr lesen können
als: „Lionardo (florentinische Form des Namens) mio,
non havete . . . Deh! Lionardo, per che tanto penate!
(Mein Leonardo, habt Ihr nicht . . . ach! Leonardo, was
quält Ihr Euch so sehr!)" — auf diesem Blatt steht das
Fragment eines Briefes oder dergleichen: »Oh! nicht
schätze mich gering, denn ich bin nicht arm; arm ist,
wer viele Dinge wünscht. Wohin ich mich wenden
werde? Wohin, das wirst du in kurzer Zeit wissen.
LXVII
Bleibe du nur ruhig. In kurzer Zeit" . . . Und auf
der gleichen Seite das emphatische: „O Zeit, Verzehrerin
aller Dinge!" (S. 299.) Wenn jemals in Leonardos
Leben der bittere Augenblick da war, für den diese ver-
haltenen Klagen paßten, so war es sicher der Augen-
blick, wo Mailand hinter ihm versank. Was hatten die
dort verlebten Jahre nicht alles enthalten! Seine Tätig-
keit ist kaum zu übersehen. Seine Arbeiten über die
Malerei, die Skulptur, die Architektur, über die Anatomie
des Pferdes, die menschliche Figur, über Licht, Schall,
Bewegung, über das Wasser, über den Vogelflug, über
Luftschiffahrt sind alle in dieser Zeit begonnen worden
und zum Teil zur Reife gelangt, wenn wir auch nicht
mehr dem Wortlaut nach glauben dürfen, was Luca
Pacioli sagt: „Als die Malerei des Cenacolo vollendet war,
machte er sich daran, das Werk von der lokalen Be-
wegung, dem Stoß und den Gewichten zu komponieren,
nachdem er bereits mit allem Fleiß das würdige Buch
von der Malerei und den menschlichen Bewegungen ab-
geschlossen hatte." 1494 wurde der Bestiarius nieder-
geschrieben. Die meisten Allegorien, einen großen Teil
der Maximen, Fabeln, Schwanke, Prophezeiungen hat
Leonardo in Mailand fixiert. Von seiner Musik, seinen
dichterischen Improvisationen spricht leider nur die Über-
lieferung. Der zwingende Zauber seines Wesens muß
unwiderstehlich gewesen sein, und er wußte sich dessen
wohl zu bedienen. „Als der Herzog die so wunderbaren
Gespräche (ragionamenti) des Leonardo vernahm, ver-
liebte er sich so in dessen Tugenden, daß es eine un-
glaubliche Sache war," sagt Vasari . . . „Mit dem Glanz
seines Äußeren, das wunderschön war, machte er jedes
traurige Gemüt wieder froh und mit den Worten bekehrte
er jede verhärtete Ansicht zu ja und zu nein." Dennoch
war es seine Lehre für den Künstler, die Einsamkeit zu
suchen oder nur Genossen seiner Studien. Er dachte
wie Goethe: „Wer für die Welt etwas tun will, darf
LXVIII
sich mit ihr nicht einlassen.* — „Wenn du allein bist,"
sagt er, „bist du völlig dein."
Tm April 1500 ist Leonardo da Vinci wieder daheim in
* Florenz. Er erhebt in Santa Maria Nuova 50 Goldgulden
von seinem Depot. Er wohnt mit Luca Pacioli, dem er
in der Mathematik viel verdankt und der ihm wieder viel
verdankt: neben der Fülle geistiger Anregung auch die
perspektivischen Zeichnungen und plastischen Modelle
regulärer und halbregulärer Körper für sein Werk „Über
die göttliche Proportion" und „Über Architektur" (gedruckt
1509 in Venedig), — „gefertigt und geformt von jener in-
effabile sinistra, unbeschreiblichen, allen mathematischen
Disziplinen angepaßten Linken des Fürsten und heutzu-
tage unter den Sterblichen an erster Stelle, unseres Leo-
nardo da Vinci aus Florenz, in jener glückseligen Zeit,
als wir zusammen in denselben Diensten in der gar
wundersamen Stadt Mailand uns befanden", wie der gute
Frate es in seinem bombastischen Enthusiasmus aus-
drückt— Arbeiten, die Leonardo 1508 — 1509 selbständig
fortsetzt. Er treibt im Spital von Santa Maria Nuova
unbehelligt seine geliebten anatomischen Studien. Er
nahm seine Untersuchungen bezüglich einer Schiffbar-
machung des Arno und eines Kanalsystemes wieder auf,
das den Wasserzufluß regelte, der Berieselung des Landes
und einer Trockenlegung der Sümpfe diente. Er gibt den
Konsuln der Kaufmannszunft ein Gutachten darüber ab,
aus welchen Gründen die Franziskanerkirche S. Salvadore
(auf dem Hügel von S. Miniato) — „la bella villanella,"
die Dorfschöne, nach Michelangelos Wort — einzustürzen
drohe; er konstatiert eine Erdbewegung und sagt, wie
abzuhelfen. — Vasari erzählt, Filippino Lippi, als der
liebenswürdige Mensch, der er war, habe Leonardo auf
dessen Wunsch den Auftrag abgetreten, den ihm die Mönche
de' Servi gegeben, eine Tafel für den Hauptaltar der Nun-
LXIX
ziata zu malen, und die Frati, damit Leonardo jene male,
hätten ihn ins Haus genommen, mit seinen Familiären (es
zählte Andrea Salai oder Salaino zu ihnen, der seit 1494
halb als Schüler, halb als Faktotum ihn nicht mehr ver-
ließ) und ihren Unterhalt bestritten: „und so hielt er
sie lange Zeit in Atem und fing niemals etwas an. End-
lich machte er einen Karton, worauf eine Nostra Donna
und eine h. Anna mit einem Christus, welche nicht bloß
alle Künstler staunen machten, sondern als sie fertig waren,
dauerte zwei Tage im Zimmer das Kommen, um sie zu
sehen, der Männer und der Frauen, der Jungen und der
Alten, wie man zu feierlichen Festen geht, um die Wunder
des Leonardo anzuschauen, welche alle diese Leute staunen
machten. Denn man nahm im Gesicht dieser Unserer
lieben Frau all jenes Einfache und Schöne wahr, was nur
immer an Einfachheit und Schönheit einer Mutter Christi
Gnade verleihen kann; denn er wollte jene Bescheiden-
heit und Demut zeigen, so in einer h. Jungfrau wohnt,
welche höchst zufrieden ist vor Freude, die Schönheit
ihres Sohnes zu sehen, den sie mit Zärtlichkeit auf dem
Schöße hält, während sie mit ehrbarem Blickesenken den
h. Johannesknaben wahrnimmt, der mit einem Lämmchen
spielt — nicht ohne ein Lächeln der h. Anna, die über-
voll von Glückseligkeit ihre irdische Nachkommenschaft
schon himmlisch geworden sieht: Überlegungen, wahrhaftig
aus dem Verstand und Genie des Leonardo heraus."
Dieser Karton kam nach Frankreich, sagt Vasari; die Be-
schreibung des Bildes, das Vasari nie gesehen, erinnert
eher an jenen Karton, der in der Royal Academy in
London aufbewahrt wird, der aber bei seiner skizzen-
haften Natur wohl nicht geeignet war, Prozessionen
von Bewunderern anzulocken. Am 27. März 1501 schrieb
Isabella Gonzaga an Pietro da Nuvolaria, Generalvikar
der Karmeliter, der in Santa Maria del Fiore die Fasten-
predigten hielt, und bat ihn, wenn Leonardo in Florenz
wäre, sich zu erkundigen, wie sein Leben eigentlich sei,
LXX
nämlich ob er irgend ein Werk begonnen habe, wie man
ihr berichtet, und ihn zu sondieren, ob er es übernehmen
würde, in ihrem Studio ein Gemälde zu machen — Zeit-
punkt und Erfindung wären ihm ganz überlassen. „Doch
fände er sich widerstrebend, trachtet wenigstens ihn zu
bewegen, daß er uns eine kleine Tafel mit der Madonna
mache, fromm und hold (devoto e dolce), wie es in
seiner Natur ist." Ferner bäte sie ihn um eine andere
Skizze des Porträts, nachdem der erhabene Herr, ihr
Gemahl, jene weggeschenkt habe, die Leonardo ihr zu-
rückgelassen. Der geistliche Herr antwortete am 3. April.
„Soviel mir vorkommt, ist das Leben Leonardos stark
ungleich und so unbestimmt, daß er von einem Tag
auf den anderen zu leben scheint. Er hat, seitdem er
in Florenz ist, bloß die Skizze zu einem Karton gemacht.
Er stellt einen Christus als Kind dar, etwa ein Jahr alt,
das, den Armen der Mutter (mamma) entgleitend, ein
Lamm faßt und, scheint es, drückt. Die Mutter, sich vom
Schoß der h. Anna fast erhebend, nimmt den Knaben,
um ihn loszulösen vom Lämmlein — Opfertier, das die
Passion bedeutet. Die h. Anna, ein wenig vom Sitz auf-
stehend, scheint die Tochter zurückhalten zu wollen, daß
sie nicht das Kind vom Lamm wegziehe, welche viel-
leicht die Kirche darstellen soll, so nicht möchte, daß
die Passion Christi verhindert werde. Und sind diese
Figuren in natürlicher Größe, aber befinden sich in kleinem
Karton, weil sie alle entweder sitzen oder gekrümmt stehen,
und die eine ist ein bißchen hinter der andern gegen die
linke Hand zu. Und diese Skizze ist noch nicht fertig.
Anderes hat er nicht gemacht, außer daß zwei seiner
Schüler Bildnisse malen und er manches Mal an irgend
eines Hand anlegt. Widmet starke Arbeit der Geometrie
und ist äußerst ungeduldig gegen den Pinsel." Dieser
wertvolle Brief gibt uns die Gewißheit, daß der Karton
zu dem Gemälde der h. Anna selbdritt des Louvre ira
Anfang dieser zweiten Florentiner Epoche des Meisters
LXXI
entworfen, wenngleich durchaus nicht vollendet worden ist.
Und schon damals knüpften sich die ersten zarten Fäden
zwischen Leonardo und Frankreich an, diesem Frankreich,
in dessen feinsten Köpfen seit den italienischen Feldzügen
eine heiße Sehnsucht nach italienischer Kunst erwacht war.
Am 4. April 1501 schreibt Nuvolaria aufs neue an Isa-
bella Gonzaga. Er hat erst über die „Meinungen" Leo-
nardos dessen Schüler Salai und andere, denen Leonardo
geneigt war (suoi affezionati), ausgefragt. „Im ganzen
haben seine mathematischen Experimente ihn so sehr vom
Malen abgezogen, daß er den Pinsel nicht mehr leiden
kann." Nun habe er Leonardo gesprochen, und dieser
sei sehr geneigt, dem Wunsch der Markgräfin nachzu-
kommen, wenn er nur imstande sei, sich ohne seine Un-
gnade vom König von Frankreich loszumachen, wie er
es höchstens in einem Monat zu tun hoffe. Allein auf
jeden Fall, wenn er das Täfelchen geliefert habe, das er
für einen Robertet, Günstling Ludwigs XII. — es ist
dessen allmächtiger Staatssekretär — anfertige, werde
er sofort das Porträt Isabellas machen. „Dieses Täfel-
chen, das er macht, ist eine Madonna, die sitzt, als wolle
sie Spindel aufwinden, und das Christkind, mit den Füßen
im Korb voller Spindel, hat den Haspel genommen und
betrachtet aufmerksam jene vier Strahlen, welche in Form
eines Kreuzes sind, und lächelt wie in Sehnsucht nach
selbigem Kreuz und hält es sicher und will es nicht
der Mutter geben, die es ihm wegnehmen zu wollen
scheint." . . Was aus diesem Bild geworden, wissen wir
nicht. So wenig als wir wissen, welche Verpflichtung
Leonardo für den König von Frankreich eingegangen. —
In der Bauhütte von S. Maria del Fiore stand ein un-
geheuerer, schöner, übel verhauener Marmorblock, aus
dem die Wollenzunft einen David wollte machen lassen.
Es heißt, Leonardo habe sich um den Block beworben,
doch habe Michelangelo Marmor und Auftrag erhalten.
Ich glaube nicht, daß der Stein und die Bestellung Leo-
LXXII
nardo um diese Zeit noch verlocken konnten. Er hatte
die Überzeugung, daß eine Kunst um so niedriger stehe,
je mehr sie mechanisch sei. Er hatte damals schon
niedergeschrieben, daß der Bildhauer „in Ausführung
seines Werkes durch Kraft des Armes und des Stoßes
den Marmor oder anderen hervorragenden Stein, der an
Maß die Figur übertrifft, so in ihm eingeschlossen ist,
durch höchst mechanische Ausübung (esercizio) verzehre",
und er schildert den Bildhauer und seine Wohnung von
Schmutz bedeckt; im Gegensatz der Maler, „der mit
großer Gemächlichkeit und wohlgekleidet vor seinem
Werke sitzt und den federleichten Pinsel mit den lieb-
lichen Farben bewegt. Er ist mit Gewändern geschmückt,
wie es ihm gefällt, und die Wohnung ist voll anmutiger
Gemälde und reinlich, und oft ist er begleitet von Musikern
oder von Vorlesern mannigfacher und schöner Werke,
welche — ohne den Lärm von Hämmern oder anderem
gemischten Geräusche — dann mit großem Vergnügen
gehört werden." An der Skulptur lobt er nur mehr den Guß
in Bronze, der eher den Geist als den Arm in Bewegung
setzt, und die Art, wie er sein Leben einzurichten trachtet,
ist nicht mehr weit von seiner Maxime, daß Anordnen
Herrenwerk sei. Ausführen aber Knechtesarbeit. Man
darf diese Auffassung, — bei Leonardo der Ausfluß wach-
sender Geistigkeit und einer geradezu morbiden Empfind-
lichkeit gegenüber dem Unschönen, — nicht vermengen
mit der Selbsteinschätzung jüngerer Künstler, die für sich
im Cinquecento eine halb fürstliche Stellung begehrten
und erlangten — eines Raffael, der nie ohne Kortege
ausging, eines Tizian, dem Karl V. den Pinsel aufhob,
oder eines Michelangelo, der die Bestellung eines Floren-
tiner Bekannten unwillig zurückwies; „Ich halte nicht Bude
für die Leute". Leonardo interessierte sich für einen
Auftrag nur so weit, als ihm darin eine neue Aufgabe
winkte. Der Rest war ihm lästig. Auch als Künstler ist
er in erster Linie Forscher, Erfinder. Wenn eine Kom-
LXXIII
Position gemacht ist und im Technischen kein Problem
verborgen steckt, so ist er augenblicklich fertig mit der
Sache. Das hat seine Mitwelt an ihm nicht begreifen
können. Das Mittelalter war noch nicht überwunden.
Der Erfinder in modernem Sinn wurde als Taschenspieler
akzeptiert oder, trieb er es in großem Stil, als Hexen-
meister verbrannt. Er war unheimlich. Der Forscher
war ein Ideal, das noch ganz außerhalb der Zeit lag.
Und dies Außerzeitliche, Fremdgeartete Leonardos trat
immer deutlicher in Erscheinung und immer mehr ins
Bewußtsein der Leute; nur wußte man sich sein Ver-
halten nicht anders zu erklären als aus den Erfahrungen,
die man an den anderen „Genies" und Künstlern ge-
macht. Er war also launenhaft , unverläßlich , begann
alles, machte nie etwas fertig, wie es selbst noch im
Vasari zu lesen steht. In ihm regten sich eben un-
geheure Gedankenwelten, von denen die hervorragendsten
Männer seiner Zeit keine Ahnung hatten, und die er für
sich in Klarheit bringen mußte ; es arbeiteten in ihm ge-
waltige, außerordentlich vielartige Kräfte und Fähigkeiten,
die sich betätigen mußten, wollten sie ihn nicht zugrunde
richten. Er konnte sich nicht mehr zufrieden geben,
für Robertet, für das Servitenkloster, für Isabella von
Este ein „Täfelchen" zu „pinseln". Er brauchte einen
großen Mäcen, dessen Dienst ihn gegen die kleinen
Mäcene sicherstellte, der Großes und Vielerlei von dem
Großen und Vielfachen fordern würde. Er brauchte un-
gestörte Ruhe für seine wissenschaftlichen Arbeiten und
im rechten Augenblick den, der sie verwerten konnte;
er brauchte einen Fürsten und ein Königreich. Es gab
damals in Italien nur einen, dessen Dienst Leonardo zu
verlocken vermochte, und dies war Cesare Borgia, dieses
prachtvollste menschliche Raubtier, das bis in unsere
Tage herüber nicht aufgehört hat, die Menschen in Grauen
anzuziehen und zu bezaubern. Cesare ging nach der
Wende des Quattrocento gerade wieder daran, die Er-
LXXIV
oberung der Romagna zu vollenden und sich in Mittel-
italien ein Reich aufzurichten. Der Schrecken zog vor
ihm her. Von unzähmbarem Willen, von einer kühnen
Tatkraft ohne Grenzen, auskunftsreich und unbedenklich,
brach er mit Gewalt und mit Verrat jeden Widerstand.
Sein Wesen unterstützte ihn. Von vornehmster Anmut,
furchtbar schön, mit der schwarzen Maske, die er fast
immer trug; in guten Stunden liebenswürdig, „heiter und
nichts als Festlichkeit", als Politiker tief und schweigsam,
eine brütende Wolke, aus deren Dunkel plötzlich wie
Blitzschläge unvorhersehbare Handlungen niederfuhren, —
mit seinem „unerhörten Glück und einem Mut und einer
Hoffnung, die mehr als menschlich", wie Machiavelli
sagt, machte er auf die Phantasie seiner Zeit den größten
Eindruck. Entsetzlich als Feind, wußte er seine Soldaten
an sich zu fesseln. Er hatte ergebene Diener. Er ver-
waltete seine Eroberungen so gut, daß in einer Epoche,
wo jede Treue ein Kinderspott geworden — um 1503, in
einem Augenblick, wo er gar nicht mehr gefährlich
schien, denn Papst Alexander war tot und Julius IL, der
Feind der Borgias, bestieg den Thron — , daß die Ro-
magna doch von ihm nicht abfiel. Dieser Mann war es,
der Leonardo an sich zu ziehen begehrte. Er war 1500
mit Ludwig XIL, der ihn zum Herzog von Valentinois
gemacht und ihm eine französische Prinzessin zur Frau
gegeben, in Mailand eingezogen und hatte dort wohl
sehen können, was Leonardo zu leisten vermochte.
Dieser scheint Ende März 1500 in Rom gewesen zu sein;
eine seiner Notizen lautet: „In Rom. Im alten Tivoli,
Haus des Hadrian. Laus Deo 1500, am Tage, . . . März";
der Borgia war damals in Rom. Vielleicht traf man schon
um diese Zeit Verabredungen. Im September 1501 war
Piombino in die Hände Cesares gefallen. Die Verstär-
kung, Umgestaltung der Feste dürfte die erste Arbeit
gewesen sein, die Leonardo für den Herzog „Valentino"
ausführte. Solmi setzt diese Arbeit in den März 1502;
LXXV
doch schon Ende Februar dieses Jahres hatte Cesare
Borgia mit dem Papst die Bauten besichtigt (s. Pastor,
Gesch. der Päpste, Bd. III, S. 486). Sicher festgestellt
ist nur ein längerer Aufenthalt Leonardos in Piombino.
Hier macht er Beobachtungen über die Winde; hier sah
er eine Wasserhose; hier interessiert ihn die Art, wie
man den Sumpf austrocknen konnte; er notiert zu einer
Zeichnung, „gemacht am Meer von Piombino", einiges
über die Natur der Wellen. — Am 13. Juni 1502 brach
Cesare Borgia aus Rom auf, um die Unterwerfung der
Romagna mit jener von Umbrien und der Emilia zu
krönen. Ein ungeheurer Schrecken bemächtigte sich aller.
Ohne Kriegserklärung überfiel er Urbino und bemächtigte
sich des Herzogtums; im Juli nahm er Camerino; nun
wollte er Bologna brechen; doch Ludwig XII. schien arg-
wöhnisch zu werden. Verkleidet eilte er insgeheim zum
König nach Asti und wußte ihn zu beruhigen. In Pavia
stellte er am 8. August Leonardo ein Patent aus, in dem
er all seinen Stellvertretern, Kastellanen, Kapitänen, Kon-
dottieren, Offizieren und Untertanen aufträgt und befiehlt,
daß seinem höchst vortrefflichen und geliebten Familiären,
Architekten und Generalingenieur Leonardo Vinci, Vor-
zeiger dieses, „welcher in unserem Auftrag die Plätze
und Festungen unserer Staaten zu besichtigen hat, damit
wir nach ihrem Bedürfnis und seinem Urteil sie versehen
können", daß überall ihm und den von ihm freundschaft-
lich Aufgenommenen ohne Abgabe freier Zutritt gewährt
und ihm gestattet werde, zu sehen, zu messen und gut
abzuschätzen; er befiehlt, daß man ihm Mittel und Leute
zur Verfügung stelle und daß wegen der Arbeiten in
seinem Dominium jeder Ingenieur sich mit Leonardo be-
rate und sich seiner Meinung anpasse. Leonardo ist um
diese Zeit schon längst in voller Tätigkeit. Er vergißt
dabei nie seine wissenschaftlichen Interessen. „Borges
(Borgia?) wird dir den Archimedes des Bischofs von
Padua verschaffen, Vitellozzo (Vitelli, der furchtbare Kon-
LXXVI
dottiere, damals im Gefolge des Borgia), jenen von Borgo
a S. Sepolcro". In Siena besteigt er den Glockenturm
und notiert die Art, wie die Glocke in Bewegung gesetzt
wird, und wie und wo der Klöppel befestigt ist. In Urbino
ist er bis Ende Juli, skizziert Pläne, zeichnet, macht An-
merkungen über die Zitadelle, die Festung, die Abzugs-
gräben, das Taubenhaus, die Treppenanlagen des pracht-
vollen Palastes. Am 1. August ist er in Pesaro, der
vormaligen Besitzung der Sforza. Er erwähnt der Biblio-
thek, mißt den Graben usw. und schreibt auf den Seiten-
rand des Blattes die melancholische Sentenz: „Decipimur
votis et tempore fallimur et mos deridet curas; anxia (?)
vita nihil." — Wir werden betrogen von unseren Wün-
schen, getäuscht von der Zeit, und die Gewohnheit ver-
lacht die Sorgen; angstvolles Leben ist nichts! — „Man
bringt durch den verschiedenartigen Fall von Wasser
Harmonien hervor, wie du an den Springbrunnen von
Rimini sahst, am 8. August 1502 sahst", bemerkt er in
sein Buch. Am 10. August ist er in Cesena, wo ihn
ein paar Wochen die Restaurierungsarbeiten des Kastells
beschäftigen, das einstens Friedrich II. von Hohenstaufen
errichtet hatte. Die Architektur dieses Kastells inter-
essierte ihn; er zeichnet ein Fenster. Er schreibt ein-
mal: „die Zahl der Grabenarbeiter ist pyramidal"; er
beschäftigt sich mit allem, sogar mit der Form der Karren,
die man in der Romagna, „Hauptort aller Plumpheit des
Geistes", verwendet; er sinnt über Erdaushebemaschinen
nach und notiert sich: „um meinen Gehalt zu erleichtern,
nicht die Arbeiten im ganzen weggeben; sondern mache,
daß der Höchstbelohnte jener sei, der vermittels meiner
Instrumente alle die überflüssigen und plumpen Erfin-
dungen (Arbeitsmethoden), die jene gebrauchen, abkürzt".
Und zwischen diesen Notizen bedecken sich die Manu-
skriptseiten mit Studien über Vogelflug, über das Wasser
usf. Ein Dokument, sagt Solmi (Leonardo da Vinci,
S. 137), erinnert an einen herzoglichen Architekten, der
LXXVII
im August 1502 einen schiffbaren Kanal zwischen Cesena
und Porto Cesenatico angelegt habe, und die Überliefe-
rung, welche dort noch immer lebendig ist, bezeichne
Leonardo als jenen Architekten. Am 6. September ist
Leonardo in Cesenatico, beschäftigt sich mit den Bastio-
nen usw. Im Oktober bildet sich eine Verschwörung
gegen den Valentino: die Baglioni von Perugia, die Pe-
trucci von Siena, die Bentivogli von Bologna, die Orsini,
Oliverotto da Fermo und Vitellozzo Vitelli, „um nicht
einer nach dem anderen vom Drachen verschlungen zu
werden" — eine nicht geringe Macht; viele gegen einen.
Urbino geht verloren. Camerino geht verloren; die Leute,
welche Cesare Borgia ihnen entgegenschickt, werden ge-
schlagen; ja, die Verbündeten belagern den Herzog sogar
in Imola. Leonardo scheint mit eingeschlossen gewesen
zu sein. Wir haben einen sorgfältig ausgeführten Stadt-
plan von ihm und die Abmessung der Straßen, die aus
der Festung nach allen Seiten der Romagna hinführen.
Machiavelli, der sich als florentinischer Legat beim Va-
lentino befand, hat uns fast Tag für Tag berichtet, mit
welcher Eleganz und Überlegenheit der Herzog über seine
Feinde Meister ward, wie er seine Opfer faszinierte, bis
sie wissend sich in seine Hände gaben, mit welch teuf-
lischer Ruhe und Kaltblütigkeit er sie vernichtete, um
dann „mit der besten Miene von der Welt" sich mit dem
Gesandten über seinen Erfolg zu freuen. Nachdem er
in Sinigaglia sein Netz über den Köpfen der Verschwo-
renen zusammengezogen hatte und Oliverotto da Fermo
sowie der Vitelli stranguliert worden sind — was Paolo
Giovio „eine wunderschöne Täuschung", der König von
Frankreich „die Handlung eines Römers" nennt — , zieht
er zur Rache aus gegen die Baglioni und die Petrucci.
Perugia und Siena fühlen lange nachher noch „das Feuer
der Hydra", und der Herzog schwelgt in der Freude,
jene „getäuscht zu haben, welche Meister des Verrates
gewesen". Aber während der Valentino durch Blut zur
LXXVIII
Vollkommenheit seiner Rache watet, erregen in Rom eine
Menge Verhaftungen, unbegreifliche Todesfälle, wie der
des eingekerkerten Kardinals Orsini, eine wahre Panik.
Die Orsini, die Colonna, die Savelli vertragen sich für
einmal, und der Papst gerät in Angst und Not. Er be-
festigt sich im Vatikan, die Kardinäle verrammeln sich
in ihren Palästen, und Alexander beruft „seinen" Herzog
schleunig nach Rom (Ende Februar 1503). Nicht ein
Wort in den Manuskripten verrät, daß Leonardo Zeuge
so furchtbarer Dinge gewesen. Er sieht und hört; aber
das Leben ist einem Künstler Stoff, — oft viel schatten-
hafter als das, was er daraus gestaltet. So geht Leonardo,
wie Walter Pater sagt, unbewegt durch die tragischsten
Geschicke, wie einer, der in irgend einem geheimen Auftrag
gleichsam nur durch Zufall durch die Ereignisse schreitet.
Sein geheimer Auftrag war: lernen, erkennen, schaffen.
Er stand unter der harten Botmäßigkeit seines Genius,
und das allgemein Menschliche lag zeitweise tief unter
ihm. Wer Goethes „Campagne in Frankreich" gelesen
hat, weiß, was ich meine. Man müßte sagen, auch
diese Episode im Leben Leonardos sei in nichts Greif-
bares zerronnen, hätten wir nicht die wunderbaren geo-
graphischen Aufnahmen, die Leonardo für den Borgia
gemacht und von denen Richter einige publizieren durfte.
Aber auch sonst trugen diese Monate gute Frucht. Leo-
nardo hatte den Krieg in der Nähe gesehen.
A m 5. März 1503 ist Leonardo wieder in Florenz und
^^ nimmt 50 Dukaten aus seinem ersparten Schatz, um
leben zu können, um Freunden zu borgen, um Schulden
zu bezahlen. Sein eigener Unterhalt kostet wenig. In
seinem Hause ißt man zwei-, dreimal die Woche Fleisch;
im übrigen nährt man sich von Eiern, Gemüse, Früchten,
Käse (ricotta), von Brot und Wein. Vasari sagt, Leonardo,
obwohl er nichts besaß und wenig arbeitete, habe beständig
LXXDC
Pferde und Diener gehalten: in den Aufschreibungen und
Rechnungen des Meisters ist davon keine Spur zu finden.
Einstweilen hatte das, was man von Leonardo sah, und
das, was man von ihm erzählen hörte, „den Ruhm dieses
göttlichsten Künstlers so gesteigert, daß alle Personen,
die sich an den Künsten freuten, ja, sogar die ganze,
ganze Stadt es wünschte, daß er ihr irgendwelches An-
denken lasse: und man sprach überall davon, ihn irgend
ein bemerkenswertes (notabile) und großes Werk machen
zu lassen, damit die Öffentlichkeit geschmückt und geehrt
würde durch so viel Genie, Anmut und Urteil, als man
in den Sachen Leonardos wahrnehmen konnte" (Vasari).
Und so kam es denn wirklich zu einem Auftrag. Leo-
nardo sollte auf eine Wand des großen, neu hergerich-
teten Ratssaales im Palast der Signoria „ein schönes Werk"
malen, für das er von 1504 an monatlich 15 Goldgulden
und außerdem das Material erhielt. War der Karton bis
zum Februar 1505 nicht fertig, versprach Leonardo die
Kosten zu ersetzen und den Karton der Stadt zu über-
lassen. Über die Ausführung wollte man einen neuen
Vertrag abschließen. — Die Wand gegenüber sollte
Michelangelo bemalen. Die beiden größten Künstler von
Florenz im Wettstreit — man durfte das Außerordentliche
erwarten. Am 24. Oktober 1503 lieferte der Rat Leonardo
die Schlüssel zum Papstsaal in Santa Maria Novella aus,
wo er den Riesenkarton vorzubereiten gedachte. Die
Rechnungen, welche die florentinischen Archive bergen,
geben Zeugnis vom ununterbrochenen Fortschritt der
Arbeit. Er hatte die Schlacht von Anghiari darzustellen
unternommen, in der Florenz 1440 über Mailand gesiegt
hatte. Der Gegenstand zog ihn an. Der Mensch in der
leidenschaftlichsten Wildheit und Erregung, Lebende,
Sterbende, Tote, Pferde in allen Stellungen, in heftigster
Bewegung; sonderbare Färb- und Lichtprobleme, Luft mit
Rauch und Staub vermischt, — das war schwierig, neu,
unerhört. Er hatte seine Vorstudien kürzlich nach der
LXXX
Natur machen können. Was seine Phantasie ihm vor-
gebildet (s. „Art und Weise, eine Schlacht darzustellen",
S. 187, geschrieben 1492), hatte er zum Teil erst kürzlich
gesehen. Die Kampagne in Umbrien und der Romagna
sollte ihm nun Früchte tragen. Der Cod. atl. (Fol. 74 r.)
enthält eine Beschreibung der Schlacht von Anghiari,
mit genauer Angabe von Namen, Örtlichkeiten, aus irgend
einer Chronik oder Erzählung entnommen. Es handelt
sich da hauptsächlich um einen Brückenkopf, um den
der Kampf wogte. Der Sieg wird durch die persönliche
Dazwischenkunft des h. Petrus gefördert, der einen Mo-
ment zwischen den Wolken erscheint. So vorteilhaft das
für die Florentiner gewesen sein mochte — als Rettung
und zugleich als Warnung für die Feinde aller Zukunft,
nie an dem zu rühren, der unter dem himmlischen Schutze
stand — , größer erschienen die Florentiner, wenn sie
sich selbst geholfen hatten. Von dem, was Leonardo aus
den Büchern oder der Überlieferung geschöpft, konnte er
für seine Schlacht nichts brauchen. Kaum, daß er ein
paar Züge seinen alten aufgeschriebenen Ideen entnahm;
das nämlich lassen ein paar Zeichnungen unserer Vermu-
tung offen. Wie das Gemälde selbst hätte aussehen sollen,
wissen wir nicht . . . Der Karton war zu rechter Zeit fertig
gewesen. Am 28. Februar 1505 gaben die „Operai del
Palazzo e della Sala del Consiglio", die Bauverweser, dem
Giovanni d'Andrea, genannt der Pfeifer, dem Vater Cellinis
eine gewisse Summe für das Gerüst, das Leonardo im
Ratssaal aufstellen ließ — einen besonderen Mechanismus,
den sich der Künstler ausgedacht. Bis zum 30. August
laufen die Zahlungen fort, für Ol, für Farben, für Gips,
für die Gehilfen Rafaello d'Antonio di Biagio, Ferrando
Spagnuolo, für „Tomaso, der die Farben reibt", für Leo-
nardo selbst. (Gaye, Carteggio, Bd. II S. 89—90.) Vollendet
wurde die Arbeit nicht. Ihre traurige Geschichte ist be-
kannt. Am ausführlichsten hat sie der Anonimo erzählt.
„Von Plinius", sagt er S. 114 der Freyschen Ausgabe,
VI Herzfeld, Leonardo
LXXXI
„nahm er jenen Stucco, auf dem er kolorierte, aber ver-
stand ihn nicht gut. Und das erste Mal versuchte er ihn
an einem Bild im Saal des Papstes, das an solchem Ort
er arbeitete, und vor demselben, das er an die Mauer
gelehnt hatte, zündete er ein großes Kohlenfeuer an,
wobei er durch die große Hitze genannter Kohlen besagte
Materie ausdünstete und trocknete; und nachher wollte
er das im Saal (des Rates) ins Werk setzen, wo hier
unten wohl das Feuer hinreichte und sie trocknete, aber
dort oben gelangte, wegen der großen Entfernung, das
Feuer nicht hin, und sie (die Materie) floß." Vasari sagt,
Leonardo sei darauf verfallen, mit Ol auf die Wand malen
zu wollen; er habe aber eine so grobe Mixtur als Grun-
dierung (incollato) für die Wand verwendet (es dürfte
Gips, Kolophonium, Leinöl und alexandrinisches Bleiweiß
gewesen sein), daß, als er fortfuhr, in genanntem Saal
zu malen, die Geschichte zu fließen begann und Leo-
nardo in kurzem die Sache, die er verderben sah, im
Stich ließ. Paul Jovius, in seiner Biographie des Leo-
nardo (1529), sagt: „Man sieht auch im Ratssaal der
Signoria zu Florenz eine Schlacht, einen Sieg über die
Pisaner (!), — ein Werk, Übermaßen ausgezeichnet, doch
unglücklich begonnen durch eine Grundierung (? vitio
tectorii), die mittels einer sonderbaren Widerspenstigkeit
die von Ol gebundenen, zerriebenen Farben zurückstieß;
das gerechte Bedauern dieses unerwarteten Unfalls scheint
aber dem unterbrochenen Werk eine erhöhte Grazie zu
verleihen." Was Leonardo im Ratssaal ausgeführt hat,
sagen uns verschiedene Berichte ganz deutlich. Es ist
jene berühmte Gruppe von Reitern, die um einen Fahnen-
stock kämpft, und die uns durch die Nachzeichnung
des Rubens (Louvre) einen Hauch des Originales bewahrt
hat. Die Beschreibung des Vasari deckt sich nicht ganz
mit der Zeichnung. „Man erkennt", schreibt er, „den
Zorn, den herausfordernden Trotz und die Rachelust
nicht weniger in den Menschen als in den Pferden, von
LXXXII
welchen zwei, die Vorderbeine verflochten, mit ihren
Zähnen sich nicht weniger bekriegen, als es, der sie
reitet, im Kampf um besagte Fahne tut; wo ein Soldat
im Handgemenge mit der Kraft der Schultern, während
er das Pferd in Flucht setzt und die ganze Person nach
rückwärts wendet, den Stock der Fahne, den er um-
klammert hält, mit Gewalt aus den Händen von vieren
zu ziehen sucht, von welchen zwei das Banner verteidigen,
jeder mit einer Hand, und die andere in der Luft, mit den
Schwertern den Stock zu durchhauen trachten, während
ein alter Krieger, mit rotem Barett, schreiend eine Hand
auf dem Schaft hält und mit der anderen ein Scimetar
schwingend, mit Wut einen Schlag führt, um jenen
allen beiden die Hand abzuschneiden, die, mit Kraft die
Zähne zusammenbeißend, in wildester Haltung ihre Fahne
verteidigen. Außerdem, auf der Erde, zwischen den
Beinen der Pferde, zwei Figuren in Verkürzung, die mit-
einander im Kampfe sind, während einer, ausgestreckt,
über sich einen Soldaten hat, welcher, den Arm so hoch ge-
hoben, als er nur kann, mit überlegener Kraft ihm den Dolch
an die Kehle setzt, um sein Leben zu enden, und jener
andere, mit den Beinen und mit den Armen um
sich schlagend, tut, was er kann, um nicht den Tod zu
erleiden. Es ist nicht auszudrücken, welche Zeichnung
Leonardo von den Kleidern der Soldaten machte, die er
aufs mannigfachste variierte, ebenso den Helmschmuck
und die anderen Ornamente, ohne zu reden von der un-
glaublichen Meisterschaft, die er in den Formen und
Linien der Pferde zeigte, welche Leonardo besser machte
als irgend einer, an den Muskeln und der schönen Er-
scheinung voll Bravour." Wie man sieht, schildert
Vasari die Verteidiger der Fahne als Angreifer; auch
scheint es, als spräche er von sechs Kriegern, von welchen
zwei den Schaft entreißen wollen. Ebenso erwähnt er nicht
des einen Fußsoldaten, der sich unter seinem Schilde
kauernd vor Hufschlägen zu schützen sucht. Dennoch
VI*
LXXXIII
muß Vasari ja die fertige Gruppe sehr genau gekannt
haben. Durch den ausgezeichneten englischen Kunst-
gelehrten Mr. B. Berenson aufmerksam gemacht, konnte
Mr. Herbert P. Hörne feststellen, daß noch um 1549
der Kampf um die Fahne im Ratssaal Bewunderung er-
regte (G. Bottari, Raccolta di Lettere etc., 1754, Bd. III,
S. 234). Folglich dürfte die Malerei noch ziemlich un-
versehrt vorhanden gewesen sein, als 1557 Vasari daran
ging, den Plafond des Saales zu heben, um hierauf Decke
und Wände zu bemalen. Seiner eigenen Dekoration,
scheint es, fiel die Arbeit Leonardos erst endgültig zum
Opfer . . . War aber die Reitergruppe alles, was Leonardo
im Ratssaal zu machen gedachte? Man möchte annehmen,
daß ihm nicht genügte, nur durch das unvergleichliche
Wunder dieser vollkommenen, herrlich abgewogenen
Komposition seinen jüngeren Nebenbuhler schlagen zu
wollen, sondern daß er auch gern zeigte, wie reich und
mannigfach seine Erfindung war. Vasari spricht vom
Karton, „in welchem er eine Gruppe von Pferden
zeichnete". Noch bestimmter drückt sich der Anonimo
aus. Er sagt, als Leonardo nach Frankreich ging, habe
er nebst anderen Dingen in Santa Maria Nuova den
größten Teil des Kartons vom Ratssaal zurückgelassen,
von dem die Zeichnung der Gruppe von Pferden, die
man heute ausgeführt sieht, im Palazzo blieb. Ferner
existiert in der Bibliothek zu Oxford eine ungemein
flüchtige Federzeichnung, die Raffael bei seiner Anwesen-
heit in Florenz (1504 — 6) nach der Fahnenschlacht ge-
macht. Unter der bekannten Gruppe sieht man darauf
ein Pferd in Verkürzung, das reiterlos gemütlich nach
rückwärts trabt: dieses Pferd findet sich in ganz gleicher
Stellung auf einer Zeichnung in Windsor, die eher von
einem Schüler Leonardos herstammt, als vom Meister
selbst; auf dieser Skizze ist das Pferd aber im Vorder-
grund, und im Mittelplan ein Reitertrupp, der nach vor-
wärts sprengt, mit flatternden Fahnen, hinter einem Ritter
LXXXIV
her, dessen Roß sich bäumt. Der Kampf um die Fahne
war also vielleicht nur die mittlere Hauptgruppe des Ge-
mäldes, das man leider nach den vorhandenen Skizzen
sich schwerlich wird rekonstruieren können. Der Karton
jedoch, der, wie Cellini (1558) in seiner Biographie sagt,
solange er im Papstsaal hing, „die Schule der ganzen
Welt gewesen", ist bis auf die letzte Spur verschwunden.
Während der Arbeit an der Reiterschlacht (in der nach
Machiavelli nur ein einziger Mann gefallen war) führt
Leonardo seine wissenschaftlichen Studien unentwegt fort.
Er hatte sich einen Arnokanal ausgedacht, der Florenz
mit Prato, Pistoja, Seravalle, dem See von Bientina, Lucca
und Pisa verbände, durch genügende „Katarakte" alle
versumpften „Teiche" belebte und zu allen Jahreszeiten
Wassergang hätte, um Schiffe zu tragen, Mühlen und
andere Werke zu treiben, Wiesen und Gärten zu berieseln.
Anfangs meinte er, dies ginge ohne Bassins und Schleusen,
deren Herstellung und Instandhaltung zu viel koste; mit
gründlicheren Untersuchungen der Bodengestaltung kommen
kompliziertere Pläne; aber sie werden das Land verbessern
und der ganzen Gegend 200 000 Dukaten tragen. (Näheres
darüber in den Zusammenstellungen von Mario Baratta,
Leonardo da Vinci negli studi per la navigazione dell'Arno,
Roma, Società Geografica Italiana, 1905.) „Sie wissen
nicht, warum der Arno nie in seinem Kanal verbleibt,
weil nämlich die Flüsse, die sich hinein ergießen, bei
ihrem Eintritt Terrain absetzen und beim entgegengesetzten
Ufer wegnehmen und den Fluß so biegen." Er hat einen
Sieneser Kaufmann über die flandrischen Wasserbauten
befragt und von ihm gelernt, daß dem Fluß, dessen Lauf
von einem Ort zum andern abgebogen wird, „geschmeichelt
werden muß, anstatt ihn durch Gewaltsamkeit aufzureizen",
und nun lehrt er, wie man durch Fischerwehren den Fluß
allmählich von der Stelle, die er schädigt, entfernen oder
ihn durch ein ganzes System von Dämmen in ein neues,
geregeltes Bett mit geregelten Einmündungen der Zu-
LXXXV
flüsse hineinleiten soll. Die Florentiner waren damals
in einen langwierigen Krieg mit Pisa verwickelt, das völlig
zu besiegen für sie eine Lebensfrage war. Wenn man
die Stadt auch noch so eng umzingelt hielt, die Lebens-
mittel wurden vom Meere aus durch den Fluß in die
Festung eingeschmuggelt. Die alten Vorschläge gewannen
daher neues Leben, den Arno von Pisa abzulenken und
nach Livorno zu führen; der Gonfaloniere Soderini und
Machiavelli unterstützten den Plan. Man wendete sich
an Leonardo. Im Juli 1503 fuhr er im Auftrag der Si-
gnoria mit Zeichnungen ins Lager von Pisa hinaus und
nahm das Terrain auf. Die Prioren billigten das Projekt;
die Ausführung wurde aber verzettelt, verfehlte dadurch
ihren Zweck und fiel bitterem Tadel anheim. Leonardo
hatte wohl gehofft, diese Arbeiten, die, zu Kriegszwecken
unternommen, nur flüchtig sein konnten, würden der An-
fang sein zu einem großartigen, umfassenden Werk, das
er nach seinen lombardischen Erfahrungen auszubauen
gedachte. Alle großen Städte Toskanas wären durch
Kanäle mit Florenz verbunden gewesen und hätten ihren
Stapelplatz im florentinischen Hafen Livorno gehabt; große
Reservoirs mit Wehren, die den Wasserzufluß regelten;
Schleusenwerke, die den Schiffen über die Verschieden-
heiten der Bodenhöhe weghalfen. Der Cod. atl. und die
Manuskripte von Windsor enthalten zahllose Entwürfe,
die Entwürfe geblieben sind. Florenz war eine engherzige,
sehr kleinbürgerliche Republik geworden, in der man
einem Künstler wie Leonardo seinen Gehalt in Kupfer-
münzen auszuzahlen versuchte — die Anekdote ist
charakteristisch für die knauserige Sinnesart, die am An-
fang des Cinquecento in der Signoria herrschte.
Zugleich mit diesen werden die mathematischen, astro-
nomischen, physikalischen Arbeiten immer intensiver be-
trieben, die Beobachtungen über das Fliegen gesammelt
und zu einer Theorie ausgestaltet, Versuche gemacht,
einen Flugapparat zu konstruieren.
LXXXVI
Am 12. Juli 1505 wird ein neues Heft begonnen (South
Kensington Museum) : „Von der Verwandlung eines Körpers
in einen andern, ohne Verkleinerung oder Vergrößerung
von Materie", in das Leonardo allerhand geometrische
Probleme eintragen wollte.
Müller-Walde glaubt, daß zugleich mit dem Karton für
den Reiterkampf eine erste Redaktion des h. Johannes
entstanden sei, von der Mr. Waters in London eine Schul-
replik habe: der Täufer in Halbfigur, von vorn gesehen,
die Rechte auf die Brust gelegt, die Linke mit ausge-
strecktem Zeigefinger zum Himmel weisend.
Als im Mai 1504 Isabella Gonzaga, „in die gute Hoff-
nung gekommen", von ihm irgend etwas zu erlangen,
persönlich an Leonardo schrieb und ihn um einen jugend-
lichen Christus bat, „der von jenem Alter wäre, das er
hatte, als er mit den Doktoren disputierte, und mit jener
Sanftmut und Holdseligkeit im Aussehen (dolcezza e suavità
di aere), die Ihr als besondere Kunst in Ausgezeichnetheit
besitzet", gab er nichts als Versprechungen. Noch einmal
versuchte es Isabella und fragte im Oktober an, ob er
nicht, wenn er „von der florentinischen Geschichte ge-
langweilt wäre (fastidito)", zur Erholung ihr die erbetene
Sache machen wollte; allein die so liebenswürdige Mahnung
an sein Versprechen, l'obbligo della fede, konnte Leonardo
nicht verführen. Sein Familiär und Schüler Salai habe
sich zu einer Arbeit erboten, sagt Dr. Solmi, sei aber
nicht für Leonardo angenommen worden.
Wenn Leonardo sich von der florentinischen Geschichte
gelangweilt und ermüdet fühlte, hatte er eine andere
Arbeit zu seiner Erholung. In diesen Jahren stand auf
seiner Staffelei jenes Bildnis, das der Inbegriff der höchsten
Kunst geworden und dessen Ruhm immerfort zu wachsen
scheint. So wie die großen Bücher der Menschheit nichts
Fertiges sind, sondern jedes Jahrhundert, jede Epoche,
jeder Mensch an ihnen weiter dichtet, so ist die Gioconda,
in der Leonardo sein höchstes Lied vom Weib, vom
LXXXVII
Menschen, von der Natur gesungen hat, immer neu ge-
sungen, immer neu instrumentiert, heute wie eine un-
geheure Weltpolyphonie, in der die Zeiten selber tönend
geworden sind. In der Tat, diese Frau mit den so weichen
und doch so eigensinnig gebildeten Zügen und dem wunder-
samen, von den Augen über die Wangen huschenden
Lächeln, in dem alle hingebende Hoffnung und alle
spöttische, wissende Entzauberung so nah beieinander
liegen wie bei dem rätselhaften Lächeln, das im letzten
luziden Augenblick den Sterbenden über das Antlitz
fliegt — , ist sie uns heute noch die Gioconda Leonardos?
ist sie je die wahre Gioconda gewesen, und nicht Leonardo
selbst, mit allen Fragen und Antworten seines Wesens,
mit seinem Aufschließenwollen und Erkennenwollen der
Erscheinungen und Kräfte, die man in Formeln auffangen, be-
schreiben, nachbilden kann, und die dann erst recht Rätsel
und Wunder sind? Vier Jahre, heißt es, habe Leonardo
an diesem Bild gearbeitet, vier Jahre alles hineingearbeitet,
was er in der Gioconda sah, und vier Jahre mit jedem
Pinselstrich mehr von sich selbst hineingetragen. Dieses
ganz individuelle Porträt einer bestimmten Person, der
Neapolitanerin Lisa Gherardini, dritten Gattin des Floren-
tiners Francesco del Giocondo, mit einer solchen Sorg-
falt und liebevollen Hingebung an die Natur gemacht,
daß man in der Tat meint, die schlicht herabfließenden
seidenweichen Haare zählen zu können, die so fein die
Kopfform zeichnen, und daß man, wie schon Vasari sagte,
glaubt, man sehe das Herz in der Halsgrube schlagen — ,
diese Züge haben in rätselhafter Sympathie von jeher
schemenhaft in Leonardos Seele gelegen. Wer sich an
die Madonna von der Felsgrotte, an die h. Anna selb-
dritt erinnert, kommt zum Gefühl, daß Leonardo in der
Mona Lisa sich selbst begegnet sei. Diese unsterbliche
Malerei, in der er alles zusammengetragen hat, was ihm
auf Erden köstlich und teuer war, die romantische Land-
schaft mit dem so geliebten Wasser, das sich wellt wie
LXXXVIII
Frauenhaar, mit den so viel studierten Felsen, uralten
Wundergebilden der Erde, mit jener weichen, lichtge-
tränkten, aber nicht sonnigen Luft, die den Zügen der
Frauen, wie er sagt, so viel holde Anmut leiht, und dann
die Gioconda selbst mit den wie von ihm erfundenen
Zügen, — so voll Ruh und Güte, so hoch über aller
Banalität, daß die Sprache für ihren Adel keine Bezeich-
nung hat, mit diesen schönen, so geduldigen Händen,
die vom Leben zu wissen scheinen und teilzunehmen
an jenem vielsagenden Lächeln, dessen Geheimnis hundert
Leben nicht ganz entschleiern könnten, weil nur hundert
Leben, das Leben von Geschlechtern die hundert Mög-
lichkeiten dieser Frau zu entwickeln vermöchten, — ist
das nicht Leonardo selbst? Der Eine, Vielfache, der rätsel-
volle Rätseldurchschauer, der so hoch über dem Leben
stand, daß er es hinnehmen konnte, ohne ihm Übles
nachzusagen, und der seine Weisheit in ein paar Sätze
faßte: „Die Geduld macht es mit den Kränkungen nicht
anders, als es die Gewänder mit der Kälte machen,
indem, wenn du dir die Gewänder vermehrst je nach
der Vermehrung der Kälte, selbige Kälte dir nicht wird
schaden können: gleicherweise, gegenüber den großen
Kränkungen, erhöhe die Geduld, und selbige Kränkungen
werden deinen Geist nicht verletzen können"; — „es
kehrt nicht um, wer an einen Stern gebunden ist"; —
„Aristoteles sagt im 3. seiner Ethik: der Mensch ist
würdig des Lobes oder Tadels nur in jenen Dingen,
welche zu tun oder nicht zu tun in seiner Macht liegt."
Als Leonardo nach vier Jahren endlich verzweifelt den
Pinsel aus der Hand legte, schien ihm das Bildnis der
Gioconda unvollendet. Und dennoch ist ihm mehr ge-
lungen, als er selbst von seiner geliebten Kunst verlangt:
„Sie hält im Leben zurück jene Harmonie der wohl-
proportionierten Glieder, welche die Natur mit all ihren
Kräften zu erhalten nicht vermöchte. Sie erhält das
Scheinbild (simulacro) einer göttlichen Schönheit, welchem
LXXXIX
die Zeit oder der Tod sein natürliches Beispiel (Vorbild)
kurzweg zerstört hat." — Cosa bella mortai passa e non
d'arte. Aber dieses Bild ist mehr als die Schönheit wohl-
proportionierter Glieder; es ist „eine natürliche Sache in
einem großen Spiegel gesehen", und dieser große Spiegel
ist die Seele Leonardos selbst. . . .
Was Leonardo sonst noch in Florenz erlebt hat, war
nicht sehr erfreulich: „Am 7. Tag des Juli 1504, Mitt-
woch um 7 Uhr, starb Ser Piero da Vinci, Notar des
Palazzo del Podestà, mein Vater. Er hatte das Alter
von 80 (richtig wäre: 77) Jahren, hinterließ 10 männ-
liche Kinder und 2 weibliche." (Ms. Br. M. Fol. 272r.)
Die gleiche Eintragung, noch kürzer, im Cod. atl. Fol. 71 v.
ohne weitere Bemerkung. Jene Zeit kannte noch nicht
das moderne, sentimentale Tagebuch. Man ließ die Tat-
sachen sprechen und knüpfte höchstens eine fromme
Betrachtung an sie. Fromme Betrachtungen praktischer
Art lagen aber nicht in der männlich aufrechten, fest in
sich ruhenden Natur Leonardos. Bei den alltäglichen
traurigen Dingen, die dem Menschen passieren, ließ er
Gott aus dem Spiel. Nicht weil er unfromm war, son-
dern weil seine Frommheit aus einer anderen höheren
Gesinnung kam und einem Geist entströmte, der die Ge-
walt und Vernunft des Geschehens bewundert und an-
betet, aber nichts für sich von ihr erbittet, außer der
Kraft, sie zu begreifen und sie zu lehren. Übrigens
brachte ihm der Tod des Vaters einen Kummer und eine
Enttäuschung. Er, der Große, der Ruhm und Stolz des
Hauses, blieb doch nur der natürliche Sohn und ging
erblos aus. Verdruß erwuchs ihm auch aus dem üblen
Verhältnis zum genialsten jüngeren Künstler von Florenz,
dem bitteren, gewaltsamen und mißtrauischen Michelangelo.
Es war eine leise Antipathie, denke ich, von Natur aus
zwischen ihnen, ein Abgestoßensein durch den Gegen-
satz des Temperamentes, Der eine zerrissenen Gemütes,
voll heftiger Anklage gegen alles Ungerechte, Sinnlose
XC
des Lebens, ein titanisch Leidender; der andere von
höchster Serenitas, in Erkenntnis der Notwendigkeit des
Schmerzes, des Übels, ja, des Bösen im Haushalt der
Natur, mit seiner makrokosmischen, seiner Weltanschauung
so übermenschlich hoch über allem rein Subjektiven und
dem gemein Menschlichen — ! Im Januar 1504 war Leo-
nardo in die Ratsversammlung geladen worden, in der eine
Reihe von Künstlern und Kennern ihre Meinung abgeben
sollten, wo der „David oder Gigant" aufzustellen wäre, den
Michelangelo aus dem früher erwähnten verhauenen Mar-
morblock herausgeschnitten hatte. Leonardo wollte die
Statue rückwärts in die Loggia dei Lanzi setzen, vor den
Wandvorsprung, an den man bei Festlichkeiten die Blumen-
spaliere lehnte; dort stand sie keinem im Wege, war
auch vor Wind und Wetter geschützt. Michelangelo, der
sein Werk im Freien, vor dem Palazzo der Signoria
wollte leuchten sehen, hat es seinem ungeliebten Rivalen
sicher übelgenommen, daß er diesen so bravourös ausge-
führten Koloß in die Ecke stellen wollte. Als eines Tages,
erzählt der Anonimo, Leonardo mit Giovanni da Gavina
von der Santa Trinità her an der Sitzbank der Spini vor-
überging, wo etliche bessere Leute (uomini da bene) ver-
sammelt waren und wo man über eine Stelle des Dante
stritt, riefen sie genannten Leonardo und sagten ihm, er
möge ihnen jene Stelle erklären. Durch Zufall kam gerade
Michelangelo vorbei, der als eifriger Dante-Leser bekannt
war und von einem gerufen, versetzte Leonardo: „Michele
Agnolo wird es euch erklären." Da es dem Michelangelo
schien, Leonardo habe das um ihn zu höhnen gesagt,
antwortete er ihm mit Zorn: „Erkläre nur Du es, der Du
die Zeichnung für ein Pferd machtest, um es in Bronze
zu gießen, und es nicht gießen konntest und aus Scham
es stehen ließest!" Und nachdem er dies gesagt, wandte
er ihnen den Rücken zu und ging fort: wo Leonardo zu-
rückblieb, der wegen dieser Worte rot wurde. „Und
außerdem", fügt der Erzähler hinzu, „sagte Michel
XCI
Agnolo, um Leonardo einen Stich zu versetzen: „Und
diese Kapaunerhirne von Mailändern, die Dir Glauben
schenkten!"
Das war noch vor dem Mißglücken der Reiterschlacht.
Nach Solmi hätte Leonardo um diese Zeit noch eine
andere große Enttäuschung erlitten. Seine Beobachtungen
über den Vogelflug sind schon mehrere Male erwähnt
worden. Die Manuskripte enthalten Zeichnungen zu Flug-
apparaten, die alle auf demselben Grundprinzip der Ak-
tion und Reaktion beruhen. „Die Sache, welche gegen
die Luft schlägt, ruft in ihr so viel Gegenkraft hervor,
wie die Luft in der Sache selbst (Tanta forza si fa colla
cosa incontro all'aria, quanto l'aria alla cosa). Du siehst,
daß der Flügelschlag gegen die Luft den schweren Adler
in der höchsten und dünnsten Luft erhält. Umgekehrt
siehst du die Luft, die sich auf dem Meere bewegt, die
geschwellten Segel füllen und das schwer beladene Schiff
laufen machen. Aus diesen Beweisen magst du erkennen,
daß der Mensch mit seinen großen Flügeln, indem er
gegen die widerstrebende Luft Kraft erzeugt, siegreich
diese unterwerfen und sich auf ihr wird erheben können."
Die Hauptsache bei dem Apparate sind also ungeheure
Flügel, welche die Form von Fledermausschwingen sinn-
reich in einen beweglichen Mechanismus verwandeln.
Hoben sich diese Flügel, so ließen sie, wie die Federn
der Vögel, die Luft durch; senkte man sie, so schlössen
sich die Öffnungen, und die durch den Flügelschlag nach
abwärts verdichtete Luft würde tragen wie ein Polster,
hoffte Leonardo. Er hatte auch an ein doppeltes Flügel-
paar mit Gegenbewegung gedacht: hob sich das obere,
so senkte sich zugleich das untere. Der Apparat selbst
sollte möglichst den Vogelleib nachahmen, ja, den Men-
schenleib selbst zu einem Vogelleib machen. Die Manu-
skripte B. und CA. enthalten interessante Zeichnungen da-
zu. Bald sind die Flügel an den Gliedern des Menschen
befestigt, bald an einem Brett, das einem umgekehrten
XCII
Schneeschuh gleicht und das mit Gurten an den Rumpf
gespannt ist, bald sind sie wie Ruder an einer Art von Boot
angebracht. Außerdem hatte Leonardo einen regelrechten
Fallschirm erfunden. „Versuche dein Instrument auf dem
Wasser," schreibt er, „damit du fallend dir nicht weh
tust." „Du wirst einen langen Schlauch umgürtet haben,
damit du beim Fallen nicht ertrinkst." So ausgerüstet,
meinte der Vater der modernsten Aeronautik — man
denkt an Lilienthal — allen luftigen Abenteuern gewachsen
zu sein, und er wollte um diese Zeit einen ernsten Ver-
such wagen. „Es wird seinen ersten Flug nehmen der
große Vogel, vom Rücken eines riesigen Schwanes (cecero)
aus, das Universum mit Verblüffung, alle Schriften mit
seinem Ruhme füllend und eine ewige Glorie dem Ort,
wo er geboren wurde", prophezeit er in zwei Variationen
(Ms. „Über den Vogelflug", Sul volo degli uccelli, Edi-
tion Sabaschnikoff, Innendeckel 2 und Fol. 18 v.). Nun
war Leonardo nachweislich im Jahre 1506 eine Zeitlang
in Fiesole, das einen langgestreckten kahlen Hügel, Monte
Ceceri, besitzt. Und in der Gegend lebt die Sage, teilt
Solmi mit, daß vom „nackten Berg bei Florenz" ein
großer Schwan aufgeflogen sei, der dann verschwand,
und niemand habe ihn mehr gesehen. Gerolamo Cardano
(1501 — 1576), der berühmte Gelehrte, dessen Vater Fazio
mit Leonardo innig befreundet war, der also manches
über den Künstler wissen konnte und der Erbe mancher
wissenschaftlichen Erkenntnis Leonardos sein mochte,
schreibt — ich zitiere nach Solmi — in „De subtilitate"
mit leiser Ironie: „Auch Leonardo da Vinci versuchte
zu fliegen; doch übel bekam es ihm: er war ein großer
Maler."
Am 30. Mai 1506 erhielt Leonardo vom Gonfaloniere
Piero Soderini die Erlaubnis, für drei Monate nach
Mailand zu gehen; wenn ersieh länger aufhielt, mußte er
XCIII
sich zu 150 Golddukaten Buße verpflichten. Man hoffte
also noch auf die Vollendung der Schlacht von Anghiari.
Er verstand es, Charles d'Amboise, Herrn von Chaumont-
sur-Loire, Marschall von Frankreich und Statthalter Lud-
wigs XII. (geb. 1473, gest. 1511), gänzlich zu bezaubern.
Am 18. August schrieb dieser an die Signoria und bat
sie, Leonardo den Urlaub um einen Monat zu verlängern,
da dieser „ein gewisses Werk" zu liefern habe. Auf
eine neue Bitte um noch ein paar Tage antwortete So-
derini unhöflich: er gewähre Leonardo nicht um einen Tag
mehr, „welcher sich nicht benommen hat, wie er sollte,
gegen diese Republik, indem er eine große Summe Geldes
genommen und einem großen Werk, das er machen sollte,
einen geringen Anfang gegeben hat und aus Liebe zu
Euerer Herrlichkeit sich schon als ein Verräter aufführt.
Wir wünschen keine ferneren Ansuchen, denn die Arbeit
hat die Allgemeinheit zu befriedigen, und wir können nicht
ohne unsere Lasten ihn länger durch Euere Herrlichkeit
erhalten lassen." „Als er einmal beschuldigt wurde, hin-
ters Licht geführt zu haben, und Piero Soderini gegen
ihn murrte", soll er, wie Vasari erzählt, mit Hilfe seiner
Freunde Geld gesammelt und es der Staatskasse zurück-
gegeben haben, doch Soderini nahm es nicht an. Solmi
möchte gern, daß dies eine Tatsache und um diese Zeit
gewesen wäre. Endlich entließ Chaumont den Leonardo
am 15. Dezember. „Erlauchte und erhabene Herren,
gleichwie Brüder zu ehren," schreibt er an die Signoria,
„die ausgezeichneten Werke, die in Italien und besonders
in dieser Stadt Magister Leonardo da Vinci, Euer Bürger,
ausgeführt, haben allen, die sie sahen, Neigung eingeflößt,
ihn ganz besonders zu lieben, selbst wenn sie ihn selbst
nie gesehen hatten. Und wir wollen gestehen, zur Zahl
jener zu gehören, die ihn liebten, ehe sie ihn je in der
Gegenwart kannten. Aber seit wir mit ihm zu tun ge-
habt und durch Erfahrung seine mannigfachen Tugenden
erprobt, sehen wir wahrhaftig, daß sein Name, gefeiert
XCIV
wegen der Malerei, dunkel ist im Vergleich zu dem, den
er im Lob verdiente für die anderen Teile, die in ihm
von höchster Tüchtigkeit sind, und wir wollen gestehen,
daß in den Proben, die er uns von einigen Sachen ge-
geben, die wir von ihm verlangten, Zeichnungen und
Architektur und andere Dinge, die zu unseren Umständen
gehören, wir nicht bloß von ihm befriedigt geblieben sind,
sondern dadurch Bewunderung gewonnen haben. Nach-
dem es Euer Belieben gewesen, ihn uns als Geschenk
für diese vergangenen Tage zu überlassen, — wenn wir
dafür nicht dankten, so sehr als wir es können, nun, da
er in sein Vaterland kommt, würden wir einem dankbaren
Sinn nicht genugzutun glauben." Und damit empfiehlt
d'Amboise Leonardo den Herren, „wenn es sich über-
haupt schickt, einen Mann von so viel Tugend den
Seinigen zu empfehlen". (Gaye, Carteggio, Bd. II, S. 94.)
Es kam damals entweder gar nicht zur Rückkehr oder
zu einer ganz kurzen; denn am 12. Januar 1507 schrieb
der florentinische Geschäftsträger Francesco Pandolfini
vom Hoflager Ludwigs XII. in Blois an die Prioren, daß
der König ihn habe rufen lassen und ihm gesagt: „Euere
Signori müssen mir einen Dienst erweisen. Schreibet
ihnen, daß ich mich des Meisters Leonardo, ihres Malers,
der in Mailand ist, zu bedienen wünsche, indem ich
möchte, daß er mir einige Sachen mache; und sehet,
daß jene Signori ihm auftragen und befehlen, daß er mir
sofort diene und von Mailand nicht abreise, vor meinem
Kommen. Er ist ein guter Meister, und ich will einige
Sachen von seiner Hand haben ..." All dies, sagt Pan-
dolfini, ist durch ein kleines Bild entstanden, welches
kürzlich von ihm (!) hierher gebracht wurde, welches für
eine sehr ausgezeichnete Sache gehalten wird (das für
Robertet gemalte?). Was für Werke Seine Majestät von
ihm möchte? fragt der Gesandte. „Gewisse Täfelchen
mit Unserer lieben Frau und anderes, je nachdem uns
die Phantasie kommt. Und vielleicht werde ich mich
xcv
selbst konterfeien lassen" — und macht die Sache nicht
bloß dringend, sondern schreibt am 14. Januar selbst:
„Nous avons nécessairement abésognes de maistre Leo-
nardo de Vince, paintre de votre cité de Fleurance, et
que intendons de luy faire fer quelque ouvrage de sa
main, incontenant que nous serons à Millan que sera en
briev, Dieu aidand. Et incontenent toutes lettres que vous
recevez, lui escripvez que, insynes (bis) a notre venue
à Millan, il ne bouge de delà." Dem mächtigen König
und Bundesgenossen hatte die Republik Florenz nichts zu
versagen. Sie gibt ihre Ansprüche gegenüber Leonardo
endgültig auf.
Welche Arbeiten Chaumont dem Leonardo aufgetragen,
wissen wir nicht. Die Wartezeit bis zur Ankunft des
Königs verbrachte der Künstler großenteils in Vaprio,
dem Landsitz der adeligen Familie Melzi, deren 1493 ge-
borener Sohn Francesco sein Schüler wurde und gleich-
wie ein Sohn ihm zärtlich anhing. Das Freskogemälde
auf der Stirnseite der Casa Melzi, eine riesenhafte Mutter-
gottes mit dem Kind, ist Leonardo zugeschrieben worden,
doch seiner Meisterhand durchaus nicht würdig. Ver-
schiedene Notizen in Manuskripten erwähnen Vaprio, be-
wahren das Andenken an die Studien, Versuche, Beob-
achtungen, die er hier gemacht.
Am 27. April bekam der Meister durch Chaumont den
Weingarten vor der Porta Vercelliana wieder zurückerstattet,
den Lodovico Sforza ihm einstens geschenkt. Nun zieht
er dort seinen eigenen Wein, pflanzt er Bäume, Blumen,
läßt sich aus Florenz Gemüsesamen schicken . . .
Am 24. Mai zog Ludwig XII. mit großem Pomp in Mai-
land ein. Um diese Zeit wurde Leonardo zum Hofmaler,
peintre du Roy, ernannt. Es fiel ihm nicht schwer, den
König ganz zu gewinnen. Sagt doch Paul Jovius von
ihm: „Er war ein bezaubernder Geist, höchst glänzend,
großartigen Wesens (liberale); sein Antlitz war das
schönste von der Welt. Da er ein wunderbarer Erfinder
XCVI
und Meister jeglicher Eleganz und vorzüglich der theatra-
lischen Unterhaltungen war, so wie er auch bewunderns-
wert sang, indem er sich auf der Lyra begleitete, gefiel
er sein Leben lang den Fürsten ganz sonderlich gut."
Auch nannte ihn Ludwig nur mehr „notre très-chier et
bien amé Léonard de Vince". Der König gab ihm Auf-
träge, u. a. für ein Madonnenbild; er interessierte sich
für seine hydraulischen Arbeiten und verlieh ihm nicht
bloß den Titel seines Ingenieurs, sondern schenkte ihm
auch ■ — • wann ist strittig — aus dem Kanal von S. Cristo-
fano eine Wassermenge, die nach Venturi der eines klei-
nen lombardischen Kanales gleichkommt.
Da stirbt Francesco da Vinci, der Oheim Leonardos, der
für diesen Neffen immer viel Zärtlichkeit gehabt, und
um die Erbschaft — ein Häuschen und ein Stück Land,
das jährlich etwa 500 L. abwarf — entspann sich zwi-
schen Leonardo und seinen Brüdern ein Rechtsstreit,
der auch auf das Erbe des Vaters insofern zurückgriff,
als Leonardo meinte, es müsse wenigstens eine Schen-
kungsurkunde für ihn, den illegitimen Sohn, vorhanden
sein. Ausgerüstet mit Empfehlungen des Chaumont vom
15. August 1507, unterstützt durch einen Brief des Königs
und durch die Protektion des Kardinals Ippolito von Este
(das Schreiben Leonardos an diesen ist in Modena auf-
bewahrt), beginnt er seinen Prozeß, der sich aber maßlos
in die Länge zieht. Der Künstler wohnt ein halbes Jahr
im Hause des Piero Martelli, beim Bildhauer Giovanni
Francesco Rustici. Er beschäftigt sich wie gewöhnlich.
,,Begonnen in Florenz", schreibt er auf die erste Seite des
Codex Br. M. (British Museum, London), „in der Casa
des Piero di Braccio Martelli, am 22. März 1508: und
dieses werde eine Sammlung ohne Folge, herausgezogen
aus vielen Papieren, die ich hier abgeschrieben habe,
hoffend, sie später der Ordnung nach an ihre Plätze zu
setzen, je nach der Materie, welche sie behandeln werden.
Und ich glaube, ehe ich an das Ende von diesem gelangt
VII Herz Feld, Leonardo
XCVII
bin, werde ich darin die gleiche Sache mehrere Male zu
wiederholen haben, so daß, o Leser, du mich nicht tadlest,
weil der Sachen viele sind, und das Gedächtnis sie nicht
bewahren kann und sagen: — „dieses will ich nicht
schreiben, weil ich es schon vorher schrieb". — Und
wollte ich in solchen Irrtum nicht verfallen, wäre es not-
wendig, daß für jeden Fall, den ich kopierte, ich, um
nicht zu wiederholen, immer das ganze Vergangene durch-
zulesen hätte, und besonders, da ich in langen Zwischen-
pausen von einem Male zum anderen ans Schreiben gehe."
Diese Eintragung zeigt uns die Arbeitsmethode Leonar-
dos. In kleine Notizbücher, wie er sie immer bei sich
trug — die französischen Manuskripte enthalten deren — ,
zeichnete er alles ein, was ihm auffiel und einfiel; dann
machte er aus diesen ungeordnete Auszüge, hierauf ord-
nete er die Auszüge nach Materien — z. B. das Ms. C.
in Paris, „Vom Licht und Schatten", das Ms. D., wel-
ches Zusammenstellungen über das Auge enthält, die
englischen Manuskripte in Windsor (W. An. I, II, III, IV)
über Anatomie: daraus wollte er dann einmal Traktate
machen, regelrechte Bücher. Immerfort zitiert er diese
seine Bücher über Mechanik, über das Wasser, — sie
sollten ein Riesenwerk über die „Dinge der Natur" bil-
den; wenn er jemals eines von ihnen anders als in der
Phantasie vollendet hat, so ist es uns leider verloren
gegangen. Jedoch solange Leonardo einen Atemzug be-
saß, hat er viel eher gezögert, das abzuschließen, was
unendlich ist; wann hätte ein Geist wie er und ein Erst-
ling wie er, der kaum auf irgend einem Feld brauchbare
Vorarbeiten fand — sein letzter Vorgänger ist Archime-
des — sagen können, er habe irgend ein Gebiet ganz
erforscht? Für den Scholastiker freilich war das anders
gewesen. Für ihn, wie Gabriel Séailles so schön sagt,
„la science est faite. Die Welt, — der Mensch, der sie
denkt, — Gott, der sie schafft, — das ist die Sache
einiger Foliobände. Sein Geist, wie sein Universum, ist
XCVIII
ein geschlossenes System (système clos). Er weiß, wo
die Wissenschaft anfängt, wo sie endet, ihre Einteilungen
und deren Ordnung; er weiß, nach wieviel himmlischen
Sphären man endlich zum Paradiese kommt und in das
Reich Gottes eintritt. Leonardo entdeckt eine Welt, deren
Grenzen vor ihm beständig zurückweichen. Er schaut,
und die Erscheinungen vervielfachen sich vor seinen
Augen." Er wird von Stufe zu Stufe, von der Praxis zur
Theorie, von Wissenschaft zu Wissenschaft gelockt. Seine
Methode untersagt ihm „les ambitions hàtives", die Über-
stürzungen des Ehrgeizes. Das System konnte nicht
am Anfang sein; und wo fand er das Ende? —
Zum Glück war Leonardo einer von den seltenen
Geistern, die die Wahrheit so sehr lieben, daß sie um
ihretwillen auch den Weg zu ihr lieben — wie er selbst
es ausdrückt, fliegt der Ruhm in den Armen der Mühe,
die dabei fast verschwindet. „Kein Werk vermag mich zu
ermüden. Von Natur aus hat die Natur mich so geartet."
Von der Wissenschaft erholte sich diese vollkommenste
menschliche Begabung in der Kunst.
Giovanni Francesco Rustici, bei dem er wohnte, war
damals mit einer Gruppe von Statuen beschäftigt, die ihm
1506 für das Baptisterium aufgetragen worden: Christus
zwischen dem Pharisäer und dem Leviten. Man schreibt
Leonardo mehr als einen bloßen Einfluß auf diese meister-
hafte Arbeit zu. Der Plastiker mochte damals wieder
stark in ihm lebendig sein. Es ist sogar möglich, daß
eines von den Werken, die Ludwig XIL 1507 zu Mailand mit
ihm besprochen hat, das Reiterdenkmal für den Marschall
von Frankreich Trivulzio gewesen sei. Der König mochte
wünschen, den Eroberer der Lombardei zu ehren, Leonardo
seine alten Pläne, wenn auch in bescheidenerem Maß-
stabe, verwirklicht zu sehen. Müller- Walde hat in seinen
hier oft erwähnten, leider unvollendeten Arbeiten (Jahr-
buch der preuß. Kunstsammlungen) höchst wahrscheinlich
gemacht, daß der Künstler im Juli 1509, da Ludwig XIL
VII*
XCIX
als Besieger von Venedig nach Mailand kam, dem König
jenen ins einzelne gehenden Kostenvoranschlag für das
Monument unterbreitete, der sich im Cod. atl. Fol. 179 v.
befindet. Ich setze den Wortlaut her, weil er über Leo-
nardos Absichten Auskunft gibt.
Grabmal des Messer Giovanni Jacomo da
Trevulzio. — Kosten für die Manufaktur und das
Material des Pferdes
Ein Streitroß in natürlicher Größe, mit dem
Mann darauf, verlangt an Spesen für Metall Duk. 500
Und für die Kosten des Eisengerüstes, das ins
Modell hineingeht, und für Kohlen und Holz
und die Grube zum Gießen und für das Fest-
machen der Form und für den Ofen, wo es
gegossen wird Duk. 200
Um das Modell in Lehm und dann in Wachs
zu machen Duk. 432
Für die Arbeiter, die es reinigen werden, wenn
es gegossen ist Duk. 450
sind in Summe Duk. 1582
Kosten für die Marmorarbeiten des Grabmals
Kosten des Marmors nach der Zeichung; das
Stück Marmor, welches unter das Pferd geht,
welches 4 Ellen lang ist und 2 Ellen 2 Zoll
(oncie) breit und 9 Zoll dick, 58 Zentner zu
4 Lire und 10 Soldi der Zentner .... Duk. 58
Und für 13 Ellen Karnies und 6 Zoll, breit 7 Zoll,
dick 4 Zoll, 24 Zentner Duk. 24
Und für den Fries und Architrav, der 4 Ellen
und 6 Zoll lang, 2 Ellen breit und 6 Zoll dick
ist, 20 Zentner Duk. 20
Und für die Kapitale, die aus Metall sind, kom-
men im Viereck 5 Zoll und in Dicke 2 Zoll,
jedes im Preis von 15 Dukaten, beläuft sich auf Duk. 120
C
Und für 8 Säulen von 2 Ellen 7 Zoll Höhe,
4 Zoll und V2 Dicke, 20 Zentner .... Duk. 20
Und für 8 Basen, die im Viereck sind 5Y2 Zoll
und 2 Zoll hoch, 5 Zentner Duk. 5
Und für den Stein, auf welchem das Grabmal
steht, lang 4 Ellen und 10 Zoll, breit 2 Ellen
und 4 Zoll und V2, 36 Zentner Duk. 36
Und für 8 Füße von Piedestalen, die herum-
gehen, lang 8 Ellen, und 6 und V2 Zoll breit
und 6 und V2 Zoll dick, 20 Zentner, belaufen
sich auf Duk. 20
Und für das Karnies, welches darunter ist, das
4 Ellen und 10 Zoll lang, 2 Ellen und 5 Zoll
breit und 4 Zoll dick ist, 32 Zentner . . . Duk. 32
Und für den Stein, aus welchem man den Toten
macht, der 3 Ellen und 8 Zoll lang, 1 Elle und
6 Zoll breit, 9 Zoll dick ist, 30 Zentner . . Duk. 30
Und für den Stein, welcher unter dem Toten
ist, der 3 Ellen und 4 Zoll lang, 1 Elle und
2 Zoll breit, 41/2 Zoll dick ist Duk. 16
Und für die zwischen die Piedestale einge-
setzten Marmortafeln, die 8 sind, und sind
9 Ellen lang, 9 Zoll breit, 3 Zoll dick, 8 Zentner Duk. 8
sind in Summe Duk. 389
Kosten für die Arbeit in Marmor
Rings um die Basis des Pferdes sind 8 Figuren
zu 25 Dukaten eine Duk. 200
Und an der gleichen Basis sind 8 Festons mit
gewissen andern Ornamenten, und an diesen
sind 4 zum Preis von 15 Dukaten jede, und
4 zum Preis von 8 Dukaten jede .... Duk. 92
Und für das Schneiden genannter Steine . . Duk. 6
Femer für das Karnies, welches unter der
Basis des Pferdes ist, welches 13 Ellen und
6 Zoll macht, zu 2 Dukaten per Elle . . . Duk. 27
CI
Und für 12 Ellen Fries, zu 5 Dukaten per
Elle Duk. 60
Und für 12 Ellen Architrav, zu 1 und ^'a Du-
katen eine Duk. 18
Und für 3 Rosetten, welche dem Grab das
Dach bilden, zu 20 Dukaten die Rosette . . Duk. 60
Und für 8 kannelierte Säulen, zu 8 Duk. eine Duk. 64
Und für 8 Basen, zu einem Dukaten eine . . Duk. 8
Und für 8 Piedestale, von welchen 4 zu 10
Dukaten jedes sind, die welchen über die
Ecken gehen, und 4 zu 6 Dukaten eines. . Duk. 64
Und für das Schneiden und Profilieren der
Piedestale, zu 2 Dukaten jedes, welche deren
8 sind Duk. 16
Und für 6 Tafeln mit Figuren und Trophäen,
zu 25 Dukaten eine Duk. 150
Und für das Profilieren des Steines, der unter
dem Toten ist Duk. 40
Für die Figur des Toten, um sie gut zu machen Duk. 100
Für 6 Harpyien mit den Kandelabern, zu 25
Dukaten eine Duk. 150
Für das Schneiden des Steines, auf den man
den Toten legt, und dessen Profilierung . . Duk. 20
In Summe Duk. 1075
In Summe, jede Sache zusammengestellt macht Duk. 3046
Auf Grund dieses Kostenanschlages und einiger erhal-
tener Skizzen, die leider aber sehr flüchtig sind, können
wir uns einen leisen Begriff von dem machen, was Leo-
nardo vorhatte — ein Werk von geringerem Maß, aber
von noch reicherer Phantasie als das Sforzadenkmal.
Auch hier zog er zweierlei Typen für das Pferd in Er-
wägung: das steigende, mit einem Gefallenen unter sich,
und das in unvergleichlich sieghaftem Zug vorwärts tra-
bende, den intelligenten Kopf leicht seitwärts gewendet;
der Reiter im Sattel gehoben, gleichfalls den Kopf seit-
CII
wärts gewendet, der erhobene rechte Arm mit dem Kom-
mandostab über den Nacken des edeln Tieres hinweg
nach vorn deutend, — das Ganze von einem unbeschreib-
lichen natürlichen Adel, von der schönsten Eurhythmie
der Linien, zum Ersatz für die Kühnheit und Leidenschaft
des ersteren Typus. Auch der Unterbau ist von zweierlei
Grundform. Er öffnet sich über dem Sarkophag mit dem
Toten in Form eines Triumphbogens oder in Form einer
Halle. Die acht Figuren des Monumentes sollten Ge-
fesselte sein — (kleine Skizzen dazu finden sich mehr-
fach in den Manuskripten; einmal schreibt Leonardo zu
solch einer Figur: „mache ihn aus Wachs, einen Finger
lang" — ), ein seltsames Begegnen zweier Genies im
gleichen künstlerischen Gedanken: bekanntlich sollten
Gefangene auch Michelangelos Grabmal des Papstes
Julius IL schmücken, das ja leider ein verstümmelter
Torso geblieben ist. Vom Trivulzio-Monument bleibt uns
weniger, — nichts als dieser großartige Entwurf auf dem
Papier, den, wie man hoffen muß, die Forschung noch in
ein helleres Licht wird rücken können. —
In den Jahren zwischen 1508 und 1513 schwankt alles
im Leben Leonardos. Man drängt in sie die Arbeiten,
Entwürfe des Meisters hinein, die man nicht anderswo
unterzubringen weiß; andere Werke wieder, von denen
Dokumente sprechen, sind verschwunden oder waren nur
geplant; man kann kaum etwas sicher datieren, nicht ein-
mal den Ausgang des Rechtsstreites mit den Brüdern.
Kam es 1508, kam es 1511 zur Entscheidung oder zu einem
Ausgleich? Sicherlich war Leonardo während dieser
Epoche zumeist in Mailand. Welche Madonnen er in
ziemlich vorgeschrittenem Zustand 1511 (oder 1508?, wie
Solmi behauptet) aus Florenz mitgebracht — er kündigt
in einem Briefentwurf, den ich S. 207 wiedergebe, die
Bilder dem Marschall Chaumont feierlich an — , wissen wir
nicht. Vielleicht war eines davon die h. Anna selbdritt.
Daß der Karton in Mailand auf die Leinwand gebracht
GUI
wurde, bezeugen die vielen lombardischen Schulrepliken
dieser herrlichen Komposition. Welche Geschlossenheit
in ihr und welche Fülle zugleich! Ein unendlicher Be-
wegungsinhalt in kleinstem Raum, wie H. Wölfflin sagt;
der ganze Reichtum kontrastierender Linien zu auserlesener
Schönheit gebändigt und ein Meer von Zärtlichkeit darüber
ausgegossen. Jenes vollkommenste Exemplar, das der
Louvre besitzt, das aber in den Farben doch sehr ver-
dorben ist, scheint zum Teil von des Meisters eigener
Hand, die man z. B. im Kopf der heiligen Anna und in
den wunderbar durchseelten Füßen zu erkennen vermeint.
Ferner entstand in Mailand der Bacchus als Karton —
ausgeführt hat das Gemälde wohl einer der Schüler unter
den Augen des Meisters. Daß diese poesievolle Kom-
position stets als Bacchus gedacht war, ist heute nicht
mehr zweifelhaft, weil man ein Epigramm eines Zeit-
genossen, des Flavio Antonio Giraldi, betitelt „Baccus (!)
Leonardi Vinci", gefunden hat, welches dieses Gemälde
feiert. Der göttliche Geist der reichen, schönheitdurch-
tränkten Natur ist niemals wunderbarer verkörpert worden.
Auch die formverwandte Halbfigur des heiligen Johannes
wurde hier erdacht, — freilich nicht die des Heuschrecken-
essers der Wüste, sondern des Herolds einer frohen Bot-
schaft, eines Reiches der Gerechtigkeit, der Menschen-
und Nächstenliebe, der Religion des verzeihenden Vaters
aller Menschen anstatt des strafenden Gottes, — der ver-
führerische Künder eines hohen Glücks, das Himmel und
Erde in Seligkeit tauchen würde. Es gibt kein anderes
Werk Leonardos, in dem das Sujet so sehr zur Neben-
sache wird wie hier. Noch einmal hat Leonardo alles
zusammengefaßt, was seine Kunst an Zauber besaß. Er
hat noch einmal so recht gemalt, aber nur um des Malens
willen, — um mit dem Helldunkel zu modellieren, um
durch das Spiel des Schattens und des Lichtes das wun-
derbare Lächeln auf holdselige Züge zu hauchen, das die
verschwiegenste Schönheit einer Seele offenbart; er hat
CIV
die Vollkommenheit des vollkommensten Gebildes der Na-
tur, eines menschlichen Leibes, mit den Mitteln höchsten
Könnens gezeigt, und sonst hat er nichts gewollt. Der
Name, den man diesem Wesen seiner Phantasie beilegen
mochte, war ihm Schall und Rauch.
Noch eine Komposition Leonardos ist uns beglaubigt,
und vielleicht gab ihr der Meister sogar mehrerlei Fas-
sungen — ich meine die Leda mit dem Schwan. Lomazzo
spricht von einer sitzenden Leda; kann sein, daß eine
solche in Mailand entworfen wurde: ihr letzter Nachklang
wäre die verschwundene Leda Correggios gewesen. Allein
die wahre Leda des Leonardo ist jedenfalls eine stehende
nackte Gestalt, mit seitwärts gewandtem Haupt und scham-
haftem Lächeln, neben ihr der Schwan, dessen mächtiger
Flügel ihre herrlich gebildete Hüfte wie ein großer ovaler
Schild umschmiegt. Oxford bewahrt eine Zeichnung Raf-
faels nach dieser Komposition, die in der römischen
Schule so oft wiederholt worden ist, daß man die Kom-
bination aufgestellt hat, ob das Bild nicht etwa mit Leo-
nardo nach Rom gekommen oder gar für Giuliano Medici
dort ausgeführt worden sei.
Ein großer Teil der praktischen Tätigkeit Leonardos
während dieses zweiten Mailänder Aufenthaltes galt
hydraulischen Arbeiten. Ob die Vereinigung des Marte-
sanakanales mit dem alten Tessinkanal, welche erst durch
Ausgleichung des Niveauunterschiedes vermittels mehrerer
Stauvorrichtungen möglich ward — ein Werk, das noch
Lodovico Moro ausführen ließ — , ob Leonardo das aus-
geführt hat, ist in neuerer Zeit bezweifelt worden. Um
1508 arbeitete Leonardo Pläne aus, die Adda bis zum
Comosee schiffbar zu machen, indem man die kurze
Strecke von Trezzo nach Brivio ausbaute und zwei
Schleusen anlegte. Dieses Projekt wurde 1519 zwar aus-
geführt, doch nicht genau nach Leonardos Vorschlägen,
und mißlang. Dagegen leitete Leonardo den Bau der
Schleuse des Naviglio Grande bei S. Gristofano, und
CV
durch ein großes Bassin gelang es, Mailand vor Über-
schwemmungen zu schützen, sowie den Kanal selbst
besser vor Geröll zu bewahren (S. die Arbeiten Luca
Beltramis usw.).
Leonardos anatomische Studien wurden nun bedeutend
vertieft. „Diesen Winter 1510 hoffe ich die ganze Ana-
tomie zu erledigen", schreibt er. Eine fördernde Freund-
schaft verbindet ihn mit Marcantonio della Torre (geb.
1481, gest. 1511 an der Pest), der in Pavia Anatomie
lehrt und der es ebenfalls gewagt hat, sich von der Autori-
tät der Alten loszulösen. Leonardo ist der erste, der
anatomische Tafeln nach menschlichen Präparaten zeich-
net, der erste, der vergleichende Anatomie treibt.
Ebenso reifen in dieser zweiten Mailänder Epoche die
Anschauungen Leonardos über Sonne, Mond und Sterne,
über die Erdgeschichte, über die Rolle des Wassers bei
der Bildung von Berg und Tal, über die geschichteten
Gesteine, über die Fossilien. Er beobachtet und ex-
perimentiert. Das Phänomen der Ebbe und Flut be-
schäftigt ihn; er studiert es, wo er kann, — bei den Mühlen
zu Vaprio sogar; er wird mit sich nicht einig darüber.
Ihn interessiert es, ob die Wärme etwas Materielles sei.
„Mache eine Wage mit einem Arm und wäge eine glühende
Sache, und wäge sie dann wieder kalt." Die Manuskripte
F., G., M. füllen sich mit Notizen über alle realen Wissen-
schaften.
Dazu gesellen sich Untersuchungen über die Sprache.
Zuerst scheint Leonardo nur seltenere Ausdrücke aufge-
zeichnet, Definitionen für seine wissenschaftliche Nomen-
klatur gesucht zu haben. Dies erweitert sich aber, und
zuletzt macht er Wörterverzeichnisse, die den Gedanken
nahelegen, er habe die Absicht gehabt, ein Wörterbuch
der italienischen Sprache zu verfassen.
In der Mathematik hört er nicht auf, zu lernen; um
diese Zeit macht er auch auf diesem Gebiet seine besten
Entdeckungen.
CVI
Allein die schöne, friedliche, fruchtbare mailändische
Arbeitsperiode ging schon zu Ende. Papst Julius II. wollte
die Franzosen in Italien nicht länger dulden, als er selbst
ihrer da bedurfte. Die „Barbaren" hinauszuwerfen war
der letzte Traum seines grandiosen Lebens. Er brachte
eine übermächtige Liga gegen Ludwig XII. zusammen.
Der Krieg entbrannte. Zweimal war der Papst am Rande
des Verderbens, in Gefahr, französischer Gefangener zu
werden. Weder Krankheit noch Unglück vermochten ihn
zu beugen. Das Geschick war schließlich mit ihm. Der
blutige Sieg der Franzosen bei Ravenna (am 11. April
1512) wurde wettgemacht durch den Tod des herrlichen
Führers Gaston de Foix (Chaumont war schon im März
1511 vor Bologna gefallen); sein Nachfolger La Palice
war schwach und unfähig; die Schweizer brachen ein;
die Mailänder standen auf; Ende Juni hatten die Franzosen
Italien geräumt. Die Liga setzte Massimiliano Sforza,
Sohn des Moro, in Mailand ein; aber dieser schwächliche
unbedeutende Knabe war kein Fürst, kein Herr nach
Leonardos Sinn.
Am 13. Mai 1513 hatte Giovanni Medici, der zweite
Sohn des Lorenzo il Magnifico unter dem Namen Leo X.
den päpstlichen Thron bestiegen. In Rom schien ein
augusteisches Zeitalter im Anbruch, das die Ära Julius' II.
noch übertreffen sollte. Die größten Künstler Italiens
arbeiteten dort, waren mit Aufträgen überhäuft, gewannen
Reichtümer und Ehren.
Auf Fol. 1 r. des Ms. E. verzeichnet Leonardo: „Ich
reiste am 24. Tag des September 1513 mit Giovan Fran-
cesco de Melsi, Salai, Lorenzo und dem Fanfoja (?) von
Mailand nach Rom ab." Er soll über Florenz gegangen
sein und in Santa Maria Nuova, wo sein Schatz in den
Jahren 1500 — 1507 auf 150Dukaten zusammengeschmolzen
war, 300 Goldgulden hinterlegt haben. In Rom hatte
Giuliano Medici, der jüngste Bruder des Papstes, für
Leonardo eine "Wohnung im Belvedere eingerichtet, wo
CVII
der Künstler in seiner unmittelbaren Nähe sein konnte.
Wahrscheinlich hatte er selbst ihn berufen; jedenfalls be-
schützte er ihn. Giuliano liebte die Künste; er interes-
sierte sich aber besonders für Mathematik und Mechanik;
Leonardo konnte sich also wieder seinen wissenschaft-
lichen Untersuchungen hingeben und hoffen, seine Er-
findungen ausführen zu dürfen. Es ist vielleicht ein
Mißverständnis des Vasari, wenn er für eine Spielerei
hält, was ein Experiment war, daß Leonardo nämlich im
„Gehen allerdünnste Tiere aus Wachs machte, mit Luft
gefüllt", die im Winde flogen; jedenfalls aber lag eher
ein grimmer Humor als ein närrischer Einfall darin, daß
er sorgfältig ausgeweidete Hammeldärme, die er in der
hohlen Hand zu bergen vermochte, mittels eines Blase-
balges so auftrieb, daß sie sein Zimmer bis an die Decke
füllten und die Leute verjagten. Wenn er wirklich einer
sonderbaren Eidechse, die ihm der „Weingärtner" des
Belvedere gebracht. Hörner aufsetzte, einen Bart an-
klebte und aus Lacertenschuppen Flügel fabrizierte, die
er ihr mittels einer Quecksilbermixtur an den Schultern
befestigte und die sonderbar zitterten, so oft das Tier
sich rührte; wenn er dies kleine Ungeheuer an eine
Schachtel gewöhnte, um seine Besucher damit in Flucht
zu schrecken, so war das eine Erfindung, um einen Papst
zu entzücken, der zwar die Künstler schätzte, aber Gauk-
ler, Alchimisten, Spaßmacher und Zwerge nicht um sehr
viel weniger (S. Arturo Graf, Attraverso il Cinquecento,
u. a. m.). — Eine Stelle der Windsor -Manuskripte, die
Richter im § 726 zitiert, beweist, daß Leonardo sich damit
beschäftigte, bessere Prägmethoden für die Münze in Rom
sich auszudenken — ob im Auftrag des Papstes, ist un-
erwiesen, ebenso wie es unsicher ist, ob er gewisse
Arbeiten im Hafen von Civita vecchia nur geplant oder
ausgeführt hat. Vasari erzählt, Leo X. habe bei Leonardo
ein Bild bestellt; sofort habe sich dieser daran gemacht,
Öle und Kräuter zu destillieren, um daraus einen Firnis
CVIII
zu bereiten. Als der Papst dies erfuhr, hätte er aus-
gerufen: „O weh! das ist keiner, der etwas zuwege bringt,
wenn er damit beginnt, ans Ende des Werkes zu denken,
ehe er noch angefangen hat." Mit Recht bemerkt Otto
Sachs in seiner Arbeit über Leonardo, die leider nicht
über eine Skizze hinausgekommen ist (Wiener Rundschau,
IV. Jahrg., Heft 4 und 6), daß für Leonardo diese kleine
unscheinbare Sache, über welche die großen Herren in
Rom und alle Künstler bis in die Tage Vasaris herab
lachten, daß gerade die Bereitung eines Firnisses, welcher
den Farben erhöhte Leuchtkraft gäbe, das Wichtigste und
jenes Moment sein mochte, das ihn zum Malen dieses
Bildes bewog. Wie war es aber möglich, daß in einer
Zeit der aufsteigenden Kunst, in der jeder Maler zum
überkommenen Schatz technischer Kenntnisse etwas Neues
fügte, ein Mann wie Leonardo, der größte Neuerer und
Erfinder auf diesem Gebiet, von dem sie alle, und zwar
das Wichtigste und Größte gelernt hatten — in der Kom-
position, in der Gruppenbildung, in der Perspektive, in
der Behandlung von Licht und Schatten, in der Model-
lierung durch das Helldunkel, im Kolorit, in der Zeich-
nung — von der Vertiefung des Ausdrucks, von der Ab-
wechslung in den Stellungen, von den Bewegungsmotiven,
von der Gewandbehandlung und gar von den ungreifbaren
Werten der holdseligen Poesie und göttlichen Schönheit
nicht zu reden — , daß ein Mann, dessen Ruhm schon
die Welt überflog, im Zentrum der damaligen Kultur zum
Gespött werden konnte? Wie? wenn er wirklich je be-
griffen worden ist, außer von ganz einzelnen, die öfters
keine Künstler waren? Vasari ist bloß das Echo der
Meinung aller, die eine Meinung haben durften, wenn er
immer von den „Verrücktheiten", „närrischen Einfällen",
„Schrullen", „Launen", — von der Unbeständigkeit, Un-
verläßlichkeit, Verstiegenheit, dem ewigen Fiasko Leo-
nardos spricht und zu verstehen gibt, Leonardo habe
mehr in Worten als in Taten geleistet. Der größten Be-
CK
•wunderung aller war ein Senfkorn spöttischer Mißachtung
immer beigemischt, — jener Mißachtung, deren der Schwan
im Ententeich stets versichert sein darf. Wenn Michel-
angelo dabei den Ton angab, wie immer erzählt wird und
wie die kleine Geschichte aus Florenz es in einem Bei-
spiel konzentriert beweist, so ist es nicht, weil er klein
oder kleinlich, sondern weil er so völlig anders ist und
ihm der Schlüssel zu diesem ganz konträren Geiste fehlt
— „era sdegno grandissimo fra Michelagnolo Buonarroti
e lui". Raffael freilich, mit seinem neidfernen, lieben-
den, einschmiegenden Wesen, welcher mit so viel Seelen-
zartheit erriet, was er mit dem Kopf vielleicht nicht ver-
stehen konnte, Raffael mochte in seinem Herzen sich
noch immer vor dem Meister neigen, dem er ganz Un-
geheueres verdankte; doch war er in diesen Jahren mit
seinem eigenen Ruhme beschäftigt und viel zu sehr mit der
eigenen Vollendung durch Aufnahme michelangelesker
Elemente in seine Kunst, um anderen Zeit und Gedanken
zu opfern. So blieb Leonardo in Rom ganz abseits und
wie aus dem reichen Leben der Zeit und des Ortes aus-
geschaltet. Er ging für sich umher, suchte in der Cam-
pagna die Spuren prähistorischen Lebens: „laß dich
unterrichten, wo die (fossilen) Muscheln des Monte Mario
sind" (CA. Fol. 92 v.); er macht beim Graben der
Engelsburg akustische Beobachtungen; er schließt „am
9. Juli um 1 1 Uhr nachts" eine geometrische Arbeit ab.
Sonst macht er ein paar „Bildchen" für den Pfründen-
kämmerer (datario) Baldassare Turini, die verschollen
sind — einige glauben, auch das Fresko im Kloster Sant'
Onofrio in Rom, das jedoch eher von seinem Schüler
Boltraffio herrührt, der für das Christkind eine Zeichnung
des Meisters benutzte — im übrigen ließ er von einem
deutschen Mechaniker „il tornio ovale", das Ovalrad,
ausführen, das er erfunden hatte, sowie anderes Geheime
für Giuliano Medici — was es war, wissen wir nicht;
wir erfahren davon durch die Briefentwürfe (S. 211 u. ff.),
CX
in denen Leonardo sich über diese deutschen Mechaniker
beschwert, die ihm das Leben verleiden, die nichts ar-
beiten, ihn ewig mißverstehen, ihre Fehler seiner Un-
wissenheit zur Last legen — „Instrumente von Gaunern
sind der Samen von Flüchen wider die Götter!" seufzt
er einmal halb ernst — , die seine Geheimnisse in die
Welt hinaustragen und sogar Verleumdungen nicht scheuen:
hat ihn doch der eine beim Papst verklagt, so daß ihm
die „Anatomie" untersagt worden ist. Krank ist er auch
gewesen. Die Zeiten sind vorüber, wo er, wie Vasari
uns berichtet, „mit seinen Kräften jede heftige Gewalt
aufhielt und mit der Rechten eine Mauerglocke oder ein
Hufeisen verbog, als wäre es reines Blei".
„Am 9. Tag des Januar 1515, um Sonnenaufgang, verließ
der erlauchte Giuliano de' Medici Rom, um seine Frau
in Savoyen heiraten zu gehen. Und am selben Tage
wurde uns der Tod des Königs von Frankreich (kund)",
schreibt Leonardo (Ms. G., Deckel v.). Giuliano, der den
Titel Herzog von Nemours erhält und mit dem der Papst
große Dinge vorhat — Neapel wäre ihm für ihn gerade recht
gewesen —, Giuliano Medici heiratet Philiberta — nee
pulchra, nee venusta, sagt ein Zeitgenosse — , die alternde
Schwester jener ewig jugendlichen Luisa von Savoyen,
deren Sohn eben als Nachfolger Ludwig XII. am 1. Januar
1515 den Thron von Frankreich bestieg. Mit diesem
jungen, ehrgeizigen, feurigen König kommt ein heftigeres
Tempo in die Händel der Welt. Müde des Ränkespiels
einer Politik, in der es zur Regel ward, sich gegen die
eigenen Verbündeten durch ein Gegenbündnis zu ver-
sichern, nimmt Franz die Pläne seiner Vorgänger Karl VIII.
und Ludwig XII. wieder auf, um durch die neuerliche
Eroberung von Mailand eine große Koalition zwischen
dem Papst, dem Kaiser, dem spanischen Könige, Mai-
land, Genua und den Schweizern zu verhindern (S. Lud-
wig Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. IV, 1906). An
der Spitze seines großen Heeres, in dem Führer wie
CXI
Gian Giacomo Trivulzio, Trémouille, Lautrec, Bayard
glänzten, bricht er, mit Umgehung der gut besetzten
Alpenpässe über den Col d'Argentière, der für unüber-
steiglich galt, in Italien ein. Prospero Colonna wird ge-
fangen genommen, die Schweizer weichen auf Mailand
zurück, Lorenzo de' Medici, der anstatt des erkrankten
Giuliano die Führung der päpstlichen Truppen übernommen
hat, temporisiert. Am 13. September greifen die Schweizer
jedoch unter Kardinal Schinner das befestigte Lager des
Königs Franz bei Marignano an; erst am 2. Tag endet
der blutige Kampf mit vollem Siege der Franzosen. Mai-
land öffnet seine Tore; Massimiliano Sforza verzichtet
gegen einen guten Jahresgehalt mit tausend Freuden auf
sein mühseliges Herzogtum. Diesmal steht Frankreich
nicht der Feuergeist eines Julius IL gegenüber. Der tief
erschrockene Papst sucht in Bologna (Dezember 1515)
eine Zusammenkunft mit dem König Franz.
Von Leonardo wissen wir die ganze Zeit über nicht
viel ganz Beglaubigtes. Er war „am 25. September 1514,
zu Parma, auf dem Lande" gewesen, vielleicht mit Giu-
liano, dessen Haushalt er eine Zeitlang angehörte; im
Dezember scheint er sich wieder in Rom befunden zu
haben, denn Alessandra da Vinci bittet in einem Brief
ihren Gatten Ser Giuliano, der dort weilt, sie seinem
Bruder Leonardo, „uomo excellentissimo e singhularissimo",
diesem höchst ausgezeichneten und seltenen Manne ins
Gedächtnis zurückzurufen. Am 31. März 1515 war der
Herzog von Nemours mit seiner Gemahlin Philiberta fest-
lich in Rom eingezogen; am 29. Juni war ihm als Banner-
träger der Kirche der Oberbefehl über das Heer des
Papstes übergeben worden; doch schon am 8. August
mußte Lorenzo Medici an seine Stelle treten, da er
schwer erkrankt war und sich nach Florenz zurückgezogen
hatte, wo er am 17. März 1516 einem schleichenden Siech-
tum erlag. Daß Leonardo in seinem Gefolge Rom ver-
lassen hatte, ist eine Annahme, die kein Dokument bisher
CXII
noch bestätigt hat. Jedenfalls hielt ihn nichts mehr in der
ewigen Stadt zurück, die künstlerisch ganz unter dem
Zeichen Michelangelos stand. Seine Spuren tauchen dann
Ende Dezember wieder im geliebten Lombardischen auf.
Nach Lomazzo hätte Leonardo für den Einzug Franz L
(in Pavia oder in Mailand — ?) einen Löwen geformt,
der dem König ein paar Schritte entgegentrat, hierauf
seine Brust öffnete, um die französischen Wappenlilien zu
zeigen, die ihm dort an Stelle des Herzens blühten.
Müller-Walde freilich meint, Leonardo habe diese Huldi-
gung Ludwig Xn. gelegentlich seiner Rückkehr als Sieger
von Agnadello (9. Juli 1509) dargebracht. Aber kein
Bericht, keine Aufzeichnung, kein Vers eines Zeitgenossen,
— nichts als eine unsichere Stelle des Cod. atlanticus,
die mit den Namen „Fiorenzuola, Borgo San Donnino,
Parma, Reggio, Modena, Bologna" die Wegetappen von
Piacenza zu dieser altehrwürdigen Universitätsstadt an-
führt, nichts als das und ein paar Skizzen in den Manu-
skripten, die mir nicht einmal von Leonardo selber ge-
macht scheinen, bezeugen mit Gewißheit die vorherige
Anwesenheit Leonardos in Bologna während der Zu-
sammenkunft des Papstes mit Franz L (11. — 15. Dezember
1515). Ich muß es daher völlig Schriftstellern mit mehr
Phantasie überlassen, im Wetteifer mit Romandichtern
diese Anwesenheit des Künstlers bei den dortigen Festen
zu schildern: das huldreiche Benehmen des Königs von
Frankreich gegen ihn, infolgedessen die veränderte Ge-
sinnung der römischen Schranzen, und dann weiter die
Rückkehr nach Mailand im Gefolge Franz L, sowie seine
Gedanken und Gefühle beim letzten Abschied von Italien.
Mr. Brown veröffentlicht in seinem „Life of Leonardo da
Vinci" einen Brief, dessen Original in Privatbesitz sein
soll; in diesem schreibt Leonardo an „Zanobi Boni, seinen
Verwalter" nach Fiesole, wo ein kleines ererbtes Gütchen
seines Oheims Francesco lag, um ihm zu sagen, die
letzten vier Flaschen Weines, die er bekommen, hätten
VIII Herzfeld, Leonardo
CXIII
nicht seiner Erwartung entsprochen, und er empfiehlt dem
Castaldo, die Reben mit Mörtelabfällen oder Mauerresten
zu düngen. Wenn dieser Brief echt ist, so wäre Leo-
nardo am 9. Dezember 1515 noch in Mailand gewesen.
Anfangs 1516 begab sich König Franz I. wieder nach
Frankreich. Ob Leonardo gleich mit ihm ging, wissen
wir nicht; Dr. E, Solmi hat in einer Arbeit, die er 1905
mit G. B. de Toni in den Rendiconti Veneti dell' Istoria di
Lettere e di Scienze veröffentlichte, die ich selbst aber
leider nicht gesehen, auf diese Kombination verzichtet
und nimmt an, Leonardo sei erst Ende 1516 in die
Dienste Franz L getreten. Der treue Francesco Melzi
und ein Diener, Battista de Villanis, begleiteten ihn. Der
König wies ihm 700 Taler jährlichen Gehaltes an, so sagt
Benvenuto Cellini wenigstens, und das Schloß Cloux in
der Touraine, nahe von Amboise, zum Aufenthalt. Und
Amboise lag gar nicht aus der Welt; es war im Gegen-
teil oft die Residenz des Hofes. Dort wurde 1517 der
Dauphin getauft; dort fand die Hochzeit des Lorenzo
Medici, Herzogs von Urbino, mit Madeleine von Bourbon
statt. Dort wurden glänzende Feste, Turniere abgehalten,
sogar in Cloux selbst einmal 1518 ein Bankett — da
und anderwärts mit Schaustellungen, die gewisse Erfin-
dungen und Einfälle des Leonardo wiederholten. Zwar
erwähnen die Dokumente dabei seinen Namen nicht, allein
er dürfte wohl der leitende Geist dieser Spiele gewesen
sein. So in Argentan (Normandie), wo Franz L im Sep-
tember— Oktober 1 5 1 7 zu Besuch bei seiner Schwester Mar-
garethe, Herzogin von Alen^on, der späteren Königin von
Navarra, weilte. Bei einem solchen Schauspiel, in dem
Franz selbst mitwirkt und dessen Plan die Prinzessin ent-
worfen hat, kommt ein Löwe auf den König zu, der mit
einer Rute das Tier berührt und dieses öffnet seine Brust,
in dessen Inneren man eine Lilie erblickt. Abends, beim
Bankett, bringt Montmorency ein Herz herbei, das, vor
dem König geöffnet, das Abbild eines Amor weist, in
CXIV
dem Liebe und Leid sich als untrennbar verbunden zeigen
(Richters Werk enthält die Abbildung dieser Allegorie).
Ein anderes Mal wird in einem Festsaal der Sternen-
himmel mit Sonne, Mond und Planeten dargestellt, wie
in Leonardos „Paradies" — kurz, überall fühlt man unsicht-
bar die Gegenwart des großen Meisters — das hat Solmi
aus Gesandtschaftsberichten, die er 1904 im Archivio
storico lombardo zum Abdruck brachte, verdienstvoll nach-
gewiesen. In Amboise wollte der König einen neuen Palast
erbauen: noch einmal durfte also Leonardo in großartigen,
architektonischen Entwürfen schwelgen. Im königlichen
Schloß zu Blois entstand während der Anwesenheit Leo-
nardos in der Touraine eine wundervolle Wendeltreppe,
für die im Juli 1516 die erste Baurate gezahlt worden
ist. Sie erinnert an eine gewisse Schnecke, genannt
Voluta vespertilio, die sich häufig im Mittelländischen
Meere findet und von denen hie und da ein Exemplar
seine Spirale von links nach rechts gedreht emporführt:
so auch diese Treppe, die wie von einem Linkshändigen
erdacht ist ; daher stellte Mr. Theodore Andrea Cook die
schöne Hypothese auf, Leonardo habe vielleicht den Plan
dieser Prachtstiege gemacht (s. The National Review,
1. und 15. April 1902). Sicherer sind andere Arbeiten
des alternden Künstlers. In der Nähe von Amboise
dehnte sich damals ödes Sumpfland aus, das erst im
19. Jahrhundert saniert worden ist. Leonardo studierte
das Terrain, die kleinen und großen Wasserläufe, die
Loire und ihre Nebenflüsse, und entwarf dann einen Plan
zur Verbindung der Touraine mit dem Lyonnais durch
die Saòne mittels eines Kanalsystems, welches dem Handel
dienen, der Bodenkultur aufhelfen und das Land gesund
machen würde. M, Charles Ravaisson-Mollien, der aus-
gezeichnete Herausgeber der französischen Manuskripte
Leonardos, sagt, die Kanäle, welche heute dort existierten,
entsprächen den Tracen und Ideen Leonardos und be-
wiesen deren Trefflichkeit. Der König hat diese Pläne
VIII*
cxv
des „Kanals von Romorantin" wohl gesehen. Cod. atl.
Fol. 336 V. enthält die Notiz: „Am Vorabend des h. Anto-
nius kehrte ich von Romorantino nach Ambuosa zurück,
und der König verließ zwei Tage vorher Romorantino."
— Noch einmal erhalten wir wichtige Nachricht über
Leonardo. In der k. Bibliothek zu Neapel existiert die
Beschreibung einer Reise des Kardinals Luigi von Aragonien
durch Frankreich und Oberitalien, die der Kleriker Antonio
de Beatis zu Papier gebracht hat. „(10. Oktober 1517) . . .
ging man von Turso (Tours) nach Amboise. ... In einem
der Burgweiler ging der Signore mit uns anderen, Messer
Lunardo Vinci den Florentiner besuchen, einen Greis von
mehr als 70 Jahren, ausgezeichneten Maler unseres Zeit-
alters, welcher Seiner Herrlichkeit drei Bilder wies, eines
von einer gewissen florentinischen Dame, nach der Natur
gemacht auf Wunsch des quondam Magnifico Juliano de
Medici. Das andere vom h. Johannes dem Täufer als
Jüngling und eines von der Muttergottes und dem Sohn,
die sich auf dem Schöße der h. Anna halten, alle höchst
vollkommen, obschon von ihm, weil ihm eine gewisse
Paralyse in der Rechten gekommen ist, nicht gute Sache
mehr zu erwarten ist. Er hat einen geborenen Mailänder
abgerichtet, welcher recht gut arbeitet, und trotzdem der
obberührte Messer Lunardo nicht mehr mit jener Süßig-
keit kolorieren kann, wie er es pflegte, dient er dennoch,
Zeichnungen zu machen und andere zu unterweisen.
Dieser Edelmann hat über die Anatomie so außerordent-
lich mittels der Demonstration durch die Malerei kom-
poniert, sowohl der Gliedmaßen als der Muskeln, Nerven,
Venen, Gelenke, Eingeweide, und kann darüber so viel
sprechen, sowohl von den Körpern der Männer als der
Frauen auf eine Art, wie es noch niemals von irgend
einer anderen Person geschehen. Welches wir mit eigenen
Augen gesehen haben, und er sagte, daß er bereits mehr
als XXX Leiber, männliche und weibliche jeglichen Alters,
seziert habe. Hat auch von der Natur des Wassers ver-
CXVI
faßt. Von unterschiedlichen Maschinen und anderen
Sachen hat er berichtet: Unzähligkeit von Bänden, und
alle in der Vulgärsprache, die, wenn sie ans Licht kommen,
gewinnreich und sehr köstlich zum Lesen sein werden."
Derselbe Antonio de Beatis, dem wir diese sicheren Auf-
schlüsse über die letzte Zeit Leonardos verdanken, erzählt
auch, daß er in Mailand das „letzte Abendmahl" gesehen,
gemalt „von der Hand des Messer Lunardo Vinci, den
wir in Amboyse getroffen, welches (Bild) ausgezeichnet
ist, trotzdem es zu verderben beginnt, ich weiß nicht, ob
durch die Feuchtigkeit der Mauer oder andere Unvor-
sichtigkeit". . . . Sein Werk verdirbt, und er selbst beginnt
zu siechen. Noch arbeitet er, hat die Gemälde rings um
sich, welche nun einen Stolz des Louvre bilden: die h.
Anna selbdritt, den h. Johannes, ein Porträt — welches?
Wäre es die Mona Lisa? — Noch sammelt er Beobach-
tungen, ordnet seine Manuskripte und hofft vielleicht in
der Muße, die ihm der König fern von den Unruhen der
Welt geschaffen hat, seine großen Traktate abzufassen und
zu einer Enzyklopädie „von den Dingen der Natur" zu
vereinigen — wer weiß es? „Wenn ich glauben werde,
daß ich zu leben gelernt habe, werde ich zu sterben ge-
lernt haben", hat er aufgeschrieben (CA. Fol. 252 r.). Der
Augenblick des Faust. Nach Vasari wäre er längere Zeit
krank gelegen. „In Anbetracht der Sicherheit des Todes
und der Unsicherheit des gegenwärtigen Momentes" läßt
er den Notar kommen, Maitre Boreau und macht sein
Testament. Er empfiehlt seine Seele „ad nostro Signore
Messer Domine Dio, der glorreichen Jungfrau Maria, dem
Monsignore ^Sankt Michael und allen seligen Engeln und
Heiligen (Santi et Sante) des Paradieses", verlangt in der
Kirche des h. Florentinus zu Amboyse begraben zu werden,
mit dem Geleit und der Pracht, die dem Maler des
Königs nach den Ideen seiner Umgebung gebühren; er
ordnet die Zeremonien, die Seelenmessen, so wie Sitte
und Brauch seiner Zeit es begehren, und wie es dem Rang
CXVII
entspricht, in den er sich einschätzt. Seine Bücher und
„anderen Instrumente und Porträte über seine Kunst und
Betrieb der Maler (et altri instrumenti et Portracti circa
l'arte sua et industria de Pictori) hinterläßt er „Messer
Francesco da Melzo, Edelmann aus Mailand, als Remune-
ration der Dienste, so dieser ihm in der Vergangenheit
erwiesen", ferner alle Ansprüche an den Staatsschatz,
seine Kleider usw.; seinen leiblichen Brüdern die 400 Taler,
welche in Santa Maria Nuova deponiert sind; den Garten
in Mailand zu gleichen Teilen seinen Dienern Battista de
Villanis und Andrea Salai; seiner Dienerin Mathurine
einen Anzug aus gutem schwarzen Tuch mit Pelz ge-
füttert und zwei Dukaten, ein für allemal; einige fromme
Stiftungen, wie es üblich. Gegeben am 18. Tage des
April 1518 vor Ostern (d. h. 1519 neuen Stils). Ein Kodi-
zill vermacht Battista Villanis auch die Wasserrechte,
welche Ludwig XII., glücklichen Andenkens, ihm verliehen,
und die Möbel von Cloux. Das Gut bei Fiesole fällt an
die Brüder.
Am 2. Mai 1519 starb Leonardo.
Am 1. Juni schreibt Melzi an die Brüder, die schon
mündliche Botschaft erhalten hatten: „Ich glaube, Ihr
seid schon unterrichtet vom Tode des Maestro Leonardo,
Eueres Bruders und mir soviel wie besten Vaters, über
welchen Tod es mir unmöglich wäre, daß ich ausdrücken
könnte den Schmerz, der mich erfaßt hat, und solang
als diese meine Glieder noch zusammenhalten, werde
ich ein beständiges Unglück fühlen, und wohlverdienter-
maßen, weil ungeheuerste und wärmste Liebe er mir
tagtäglich entgegenbrachte. Es wird von jedermann be-
klagt der Tod eines solchen Mannes, dessen Gleichen
nicht mehr in der Macht der Natur ist. Nun schenke
ihm Gott die ewige Ruhe. Er ging aus diesem gegen-
wärtigen Leben hinüber am 2. Tag des Mai mit allen
Tröstungen der heiligen Mutter Kirche, und wohl vorbe-
reitet ..." Über den Ort seines Begräbnisses belehrt
CXVIII
uns ein Dokument: „Fut inhume dans le cloistre de cette
église Me. Lionard de Vincy, nosble millanais, premier
peintre et ingénieur et architecte du Roy, meschasnischien
d'estat et anchien directeur de peincture du Due de Milan.
Ca fut fait le douce jour d'aoust 1519."
Er wurde nicht beigesetzt wie Raffael und Michelangelo;
der Ort, wo er im Tode schläft, war bald verlassen und
vergessen. Größer als die anderen, trotz allen Mißlingens,
war er ein Einsamer, Abseitsgehender geblieben; so ruht
er auch billig abseits und einsam. Wie sein Leib ver-
weht ist, der Erde, dem Wasser, der Luft, die uns allen
gemeinsam, heimlich beigemengt, so schwingt die Essenz
seines Geistes und Schaffens, selbst wo dessen Spuren
nicht allen erkennbar, in den Linien, Farben, Gesten, —
im Rhythmus der Raumbelebung, in allem Kunstschönen,
in unserem ganzen Denken und Fühlen unsichtbar mit
und kann uns nie verloren gehen.
Es ist eine ungeheure Melancholie in dem Leben und
Sterben dieses Mannes. Es war seine Tragik, so groß
und doch nur ein begrenzter Mensch zu sein. Was er
wollte, mußte die Arbeit von Generationen erst erringen:
»die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit allein". Er hatte
keine zahlreichen Vorgänger, er hatte keine genügenden
Mithelfer, er hatte keine blendenden Schüler. Er wollte als
Künstler, als Forscher, als Erfinder so Ungeheueres, so
Unvereinbares, daß er als Einzelner scheitern mußte. Er
zerbrach an seiner eigenen Größe. Er versuchte, wonach
wir heute noch suchen, und war doch ein Kind des Quattro-
cento. Er rang um Gigantisches; in der Kunst wollte
er mit der Natur wetteifern, wenn sie am göttlichsten
und größten ist; in der Wissenschaft wollte er die un-
endlichen „ragioni", die in ihr verborgen ruhen „und nie
in Erfahrung traten", in Gesetze fassen. Im Gefühl der
Kürze des Daseins und des Unzureichenden des mensch-
lichen Geistes trieb es ihn von Ort zu Ort, um das
Klima zu finden, wo sein Wirken gedeihe — nicht inner-
CXIX
lieh ruhelos, wie oft gesagt ward; weder seine Werke
noch seine Manuskripte tragen die geringste Spur von
Unrast. Er suchte, wie er lang vermeinte, die Bedingungen,
wo er seine Pläne still ausreifen könnte, — das Glück,
— wie wir alle, und eines Tages durchsah er, was uns
alle treibt, ohne Wehmut, doch als der Weltweise, der
er war, mit leisem Lächeln:
„Der Mensch, welcher mit beständigen Wünschen immer
voll Festlichkeit den neuen Frühling erwartet, und immer
den neuen Sommer, und immer die neuen Monate und
neuen Jahre, während es ihm scheint, als ob die ersehnten
Dinge im Kommen zu sehr zögerten, und nicht merkt,
daß er seine eigene Auflösung wünscht!
Aber dieser Wunsch ist die Quintessenz, der wahre
Geist der Elemente, welche sich durch die Seele in den
menschlichen Leib eingeschlossen fühlen und immer zu
ihrem Aussender zurückzukehren verlangen. Und ich
will, daß Du wissest, dieser selbige Wunsch ist jene
Quintessenz, Begleiterin der Natur, und der Mensch ist
das Modell der ganzen Welt."
"Cs liegt nicht im Plan dieses Buches und nicht im Bereich
^ meiner Fähigkeit, mit Autorität von dem zu sprechen,
was Leonardo für die Kunst, das heißt für die Entwick-
lung des künstlerischen Sehens und des künstlerischen
Könnens geleistet hat. Über ihn als Architekten, ja so-
gar über ihn als Bildhauer kann überhaupt nur mit großer
Vorsicht geurteilt werden. Über den Maler Leonardo
sind Bände geschrieben worden; dennoch möchte ich nur
auf einen einzigen verweisen, auf Heinrich Wölfflins
schönes Werk: „Die klassische Kunst", in dem mit so
viel Geist, wenn auch nicht für alle Leser mit genügend
starkem Akzent, gezeigt wird, wie sehr Leonardo in allen
Stücken der großen Kunst der Erfinder gewesen ist,
- — ein Wegweiser und Vorbild für die späteren Meister.
cxx
Es ist in seinen Handzeichnungen auch keine Wendung,
kaum eine einzige Linie, die nicht hundertfach benützt
und nachgeahmt wäre. Der herrliche Trottgänger des
Sforzadenkmal-Entwurfes lebt in Dürers „Ritter, Tod und
Teufel" fort, das steigende Pferd anderer Skizzen von
Windsor hat variierte Nachbilder in Fernkorns „Erzherzog
Karl" (Wien) und in Falconets „Peter dem Großen"
(Petersburg). „Das unerhört feine Sitzen" der h. Jung-
frau und das „reizvolle Motiv der Drehung der Figur
mit dem sich seitwärts wendenden Knaben", das Leo-
nardo für seine „Anbetung der h. drei Könige" fand,
hat Raffael noch 1512 in seiner Madonna di Foligno
„wörtlich wiederholt", wie Wölfflin sagt. Diesem selben
wichtigen Jugendwerk sah es Botticelli und nach ihm
das reife Cinquecento ab, wie man die Eckfiguren als
rahmende Stützen und als festen Abschluß einer Kom-
position verwendet. Hier wird zum erstenmal seit dem
großen Masaccio und mit reicheren Mitteln der Versuch
gemacht, die Massen klar gruppiert einem Formgedanken
zu unterwerfen. Das Geheimnis aller Schönheit im Not-
wendigen und Gesetzmäßigen zu suchen und das Gesetz-
mäßige jeder Erscheinung auf Maß und Zahl zu bringen,
in Proportion und geometrischen Körperschemen auszu-
drücken, darauf mußte ein Geist von Leonardos Art un-
ausweichlich früher oder später verfallen. Wie er sein
Lebelang in den menschlichen und tierischen Formen
festen Größenverhältnissen nachgespürt hat, so war er
auch bald bemüht, der Komposition eines Kunstwerkes
den Umriß irgend einer einfachen, regelmäßigen Figur als
Gerüst zu unterlegen. Und wirklich taucht schon in der
„Adorazione", durch die Führung des Lichtes aus der
Masse herausmodelliert, ein gleichschenkeliges Dreieck
als kompositioneller Grundriß für die Hauptgruppe auf,
— ein Versuch, den er in der Vierge aux rochers wie-
der aufnimmt und besser ausgestaltet und der dann in
der prachtvollen Pyramide des Aufbaus der h. Anna
CXXI
Selbdritt, mit dem Formenspiel der in das Dreieck ein-
gezeichneten, diagonal zueinander gestellten Rhomboide
seine Vollendung und schließliches Genügen fand. Die
Leonardoschule hat hundertmal dies Meisterwerk wieder-
holt und abgewandelt; es ist in seine Kompositionsele-
mente hundertmal zerpflückt worden, und jedes ward zum
Kern eines neuen, obgleich minder schönen Gebildes;
man erkennt seine Bewegungsmotive, seine Umrißlinien
in Raffaels Madonna im Grünen, Madonna des Hauses
Alba; sogar Michelangelo hat sich seinem Einfluß nicht
entziehen können; es ist glaubhaft, wenn Wöliflin meint,
seine h. Familie der Tribuna in Florenz sei im Wider-
streit zu Leonardos Bild entstanden, um es zu über-
bieten, auszulöschen . . . Vom Standpunkt künstlerischer
Weisheit steht die Architektonik des Abendmahlbiides
vielleicht noch höher, wenn auch der gewöhnliche Kunst-
jünger mit dem Schema nichts Praktisches anzufangen
weiß: als wollte man den Versbau von Goethes „Über
allen Wipfeln ist Ruh" nachahmen! Es ist die einzige
Form, für den einzigen Inhalt erdacht und brauchbar;
aber die Belehrung, die sich z. B. aus der Verwendung
aller malerischen Mittel schöpfen läßt, durch die Christus,
der regungslose Einzelne, inmitten von vier Gruppen
leidenschaftlich erregter Menschen als der deutlich wird,
auf den sich alles bezieht, weil jede Linie zu ihm führt,
weil alles Licht ihn zu umscheinen da ist, — die Be-
lehrung solcher Dinge hat direkt und indirekt wohl in
die Ferne aller Zeiten gewirkt. Es ließen sich ganze
Kapitel über die Rolle der Landschaft in Leonardos Wer-
ken schreiben. Sie ist nicht bloß der Stimmungswecker,
der seelische Reflex der dargestellten Szenen und Men-
schen, sie dient zugleich der Tiefenillusion, den Farb-
wirkungen; sie ist im Gemälde oft ein integrierender Teil
des Baurisses: so im römischen Exemplar des Ledabildes,
wo die niederleitenden Linien des Geländes links und
des Hügels und Baumes rechts die Steile der in spitzer
CXXII
Pyramide aufsteigenden Gruppe Ledas mit dem Schwan
und der spielenden Kinder in stumpfem Winkel durch-
schneidet und damit fürs Auge zu lieblicher Schönheit
sänftigt. Und welchen Duft und Reiz gibt Leonardo, der
erste große Lehrer der Luftperspektive, den zart abge-
tönten Fernen seiner Landschaften! Wie weiß er Licht
und Linie zu verwenden, um den Menschen und alles
Getier und die Welt der Pflanzen, Fels und Wasser,
Himmel und Erde in eine allumfassende Harmonie zu
verschmelzen! Nicht umsonst nennt ihn Corot den Schöp-
fer der modernen Landschaft. Er überhöht den Men-
schen nicht, indem er ihn außerhalb der Natur stellt,
wie es das Cinquecento tat, dem die menschliche
Figur allein und über alles galt, und wie es besonders
sein großer Gegenpol in der Kunst, Michelangelo, getan.
Auch ist Leonardo der „universalste" Maler, der Alles-
könner seiner Zeit. Niemand hat das Pferd so sehr
studiert wie er. Wie er mit dem Löwen vertraut ist,
zeigt sein Hieronymus und manches schöne Studienblatt.
Seine Pflanzenzeichnungen sind die eines gelehrten Bo-
tanikers. Er will alles Lebende wiedergeben können.
Er weiß, daß die Bemeisterung der Linie dazu nicht ge-
nügt; man muß die Licht- und Schattenführung, die
Mischungen von Hell und Dunkel, die scharfen Kontraste
wie die „rauchigen" Übergänge bewältigen. Die Run-
dung, das Relief hat er zum Wichtigsten in der Malerei
gemacht. In der Lichtbehandlung hat erst Correggio über
ihn hinausgeführt. „Er ist der geborene vornehme Maler,"
sagt Wölfflin, „sensibel für das Delikate. Er hat Gefühl
für feine Hände, für durchsichtige Gewebe, für zarte
Haut. Er liebt im besonderen das schöne, weiche,
wellige Haar . . . Das Starke und das Weiche ist ihm
gleichmäßig vertraut. Wenn er eine Schlacht malt, so
überbietet er alle im Ausdruck der entfesselten Leiden-
schaft und ungeheueren Bewegung, und daneben weiß
er die zartesten Empfindungen zu beschleichen und den
CXXIII
eben verschwebenden Ausdruck festzuhalten. In einzelne
Charakterköpfe scheint er sich verbissen zu haben mit
dem Ungestüm eines geschworenen Wirklichkeitsmalers,
und dann plötzlich wirft er das wieder ganz weg und
überläßt sich den Visionen idealer Bildungen von einer
fast überirdischen Schönheit und träumt jenes leise, süße
Lächeln, das wie der Widerschein inneren Glanzes aus-
sieht ..." Im Übermaß stets frisch quellender Kombi-
nationsfähigkeit, die ein Grundmerkmal des schaffenden
Genius ist, mag Raffael Leonardo übertroffen haben, —
nicht aber in motivischer Erfindung, und nie hat Leo-
nardo leere maskenhafte Typen, wie Raffael so häufig:
seine physiognomische Bildung ist stets von Charakter
gesättigt. Er besitzt nicht die Wucht Michelangelos;
eine Gestalt wie die des Weltenrichters Christus, die
Erhabenheiten der letzten Szenen an der sixtinischen
Decke, ja, auch nur die wundervollen Erzgebilde der
füllenden Sklavenfiguren auf den Gesimsen hätte Leo-
nardo nicht zu malen vermocht; aber nirgends ist in
Leonardos Werk das Gewaltsame, Gequälte, oft Ge-
suchte, Erpreßte Michelangelos, — die Dissonanz als
Reflex titanischen Leidens förmlich zu dem Kunstprinzip
erhoben, mit dem die grandiose Laufbahn Buonarrotis
wie in einer Sackgasse abschließt. Bei Leonardo ist
über allem ein untrügliches Schönheitsgefühl, in allem
ein edler Zusammenklang. „Eigenschaften, die sich aus-
zuschließen scheinen, sind bei ihm vereinigt. Er emp-
findet den malerischen Reiz der Oberfläche aller Dinge
und denkt dabei als Physiker und Anatom; er hat das
unermüdliche Beobachten und Sammeln des Forschers
und die subtilste künstlerische Empfindsamkeit", sagt
Wölfflin mit Recht. Ergänzten und förderten sich beide
Seiten seines Wesens, so störten sie sich aber auch.
Wenn nicht dem Maler, so hat der Experimentator jeden-
falls den Gemälden geschadet. Und oft genug hat ein
wissenschaftliches Problem den Künstler vom begonnenen
CXXIV
Werk verlockt. So blieb uns wenig von seiner Hand
und das Wenige blieb uns in üblem Zustand.
Den Manuskripten Leonardos ging es nicht besser als
seinen anderen Werken, obwohl er mehr geschrieben
hat als gebaut, modelliert, gemalt. Er spricht einmal
(s. S. 90) von den 120 Büchern, die er abgefaßt; ein
anderes Mal zitiert er das 114. Buch. Es sind darunter
doch wohl nur Sammelbücher zu verstehen; an die fer-
tigen Werke glauben wir nicht mehr. Alle Nachrichten
über sie lauten zu unbestimmt gegenüber der Tatsache,
daß keines von ihnen existiert. „Das Buch von der
Malerei"? In seiner reichsten, vollständigsten Form hat
es Heinrich Ludwig (in den Eitelbergerschen Quellen-
schriften zur Kunstgeschichte) mustergültig herausgegeben,
ohne sich dabei zu verhehlen, daß es wohl nichts weiter
ist als eine sorgfältige Kompilation, die aus dem 16. Jahr-
hundert stammt, aus einer Zeit also, wo die Aufzeich-
nungen Leonardos noch alle gesammelt vorlagen. Wäre
es eine Kopie, so würde sie aber nur beweisen, daß die
Arbeit kein druckreifes Ganzes im modernen Sinn ge-
wesen ist. Das vielzitierte Werk Leonardos „Von der
Natur, der Bewegung und dem Gewicht des Wassers"
(veröffentlicht unter dem Titel „Del moto e misura del
l'acqua" als Bd. X einer Sammlung italienischer Auto-
ren, die über Hydraulik geschrieben, zu Bologna, 1824)
ist gleichfalls ein Auszug aus den Manuskripten, den der
gelehrte Dominikaner Lodovico Maria Arconati persönlich
für den kunstliebenden Kardinal Francesco Barberini an-
gefertigt hat (1643). So wie man etwa zwei Drittel vom
Inhalt des Malerbuches in den noch vorhandenen Manu-
skripten verstreut gefunden hat, ebenso besitzt man auch
einen großen Teil der wichtigen Arbeit über das Wasser
fragmentarisch in den erhaltenen Codices. Das Ms. C.
mit den Niederschriften „Über Licht und Schatten", das
cxxv
Ms, D. mit den Zusammenstellungen über das Auge,
die Windsor-Hefte über Anatomie unterscheiden sich von
den beiden großen, früher genannten Kompilationen nur
durch den Grad planloser Ungeordnetheit und durch die
Tatsache, daß sie von Leonardo selbst angefertigt sind —
als Material für eine letzte Bearbeitung und nur als Ma-
terial. Doch auch von diesem Material ist der größte
Teil leider ganz verschwunden, von dem Vorhandenen
ist wieder der größte Teil barbarisch zerstückelt. Als
Leonardo Italien verließ, war so manches Unersetzliche
in Santa Maria Nuova zu Florenz und anderwärts ge-
blieben. Francesco Melzi erbte nach dem Wortlaut des
Testamentes nur jene Schriften, Bücher, Zeichnungen,
Instrumente, Porträts, die Leonardo „gegenwärtig", d. h.
in Frankreich hatte; diese „sind ihm teuer, und er hält
für Reliquien solche Papiere, ebenso wie das Bildnis
des glücklichen Andenkens Leonardos", sagt Vasari; er
erzählt aber auch, daß er selbst Handzeichnungen des
Meisters hatte; er spricht ferner von einem Maler, dessen
Namen er durch Punkte bezeichnet, der „mehrere Schrif-
ten Leonardos besaß, die von der Malerei handeln und
von den Arten zu zeichnen und zu kolorieren", und nach
Rom ging, um sie herauszugeben. Bis Francesco Melzi
starb, also bis 1570, war immerhin ein Teil dieser Schätze
gut behütet; doch sein Sohn Orazio hatte kein Verständ-
nis für deren Wert. Die Sachen verstaubten auf dem
Dachboden zu Vaprio; es konnte davon nehmen, wem es
beliebte: so hatte ein gewisser Lelio Gavardi 13 Bände
der Manuskripte leihweise in Händen, und da der Be-
sitzer sich darum so gar nicht kümmerte, behielt sie
Gavardi; ja, er trat mit dem Großherzog Francesco von
Toskana wegen eines Verkaufs in Unterhandlung. Gianam-
brogio Mazzenta, ein mailändischer Edelmann, hielt ihm
das Unredliche seiner Handlungsweise vor, und da der
Großherzog starb, ehe das Geschäft zustande kam, war
es minder schwer, Gavardi zu überzeugen. Mazzenta
CXXVI
nahm hierauf die Bände Leonardos zu sich; doch als er
nach Mailand heimkehrte und Orazio Melzi die Manu-
skripte wieder brachte, „verwunderte sich dieser darob,
daß Mazzenta sich so viel Unbequemlichkeiten gemacht",
und schenkte ihm alle 13 Bände. 1590 ging Gianam-
brogio ins Kloster und überließ die Bände seinem Bru-
der, dem „gelehrten und besonders in der Hydraulik be-
wanderten Dr. Guido Mazzenta". Dieser redete zu viel
von der ganzen Geschichte, und nun kamen eine Menge
Leute zu Melzi und baten ihn alle um irgend ein Ge-
schenk, bis dieser weggegeben hatte, was er von Leo-
nardo besaß. Den größten Teil davon brachte ein Schü-
ler Michelangelos an sich, Pompeo Leoni, Bildhauer
Philipps IL von Spanien, und dieser erhitzte den Kopf
Orazio Melzis so sehr mit der Darstellung, was für
Ämter, Würden, Titel er (Orazio) vom König hätte er-
langen können, wenn er diesem statt dem Mazzenta die
13 Bände zu Füßen gelegt, daß der arme Tor außer sich
geriet, zu Mazzenta ging und ihn kniefällig beschwor, ihm
die Manuskripte zurückzustellen. Guido Mazzenta gab
ihm aber nur 7 Bände; von den übrigen sechs verwertete
er drei. Einen „verehrte" er dem Kardinal Federigo
Borromäus, Gründer der Ambrosianischen Bibliothek in
Mailand; es ist das heute mit C. bezeichnete Ms. Einen
Band erhielt der Herzog Carl Emanuel von Savoyen;
wahrscheinlich ist er bei einem der Turiner Bibliotheks-
brände verkohlt. Ein dritter ist 1775 im Besitz des eng-
lischen Konsuls Joseph Smith in Venedig gewesen und
seither verschollen. Die Bände 4, 5, 6 kamen aber
nach Mazzentas Tode 1613 in Leonis Hände: ob Melzi
die sieben anderen alle Pompeo gegeben, ist nicht klar-
gestellt. Die Bände Mazzentas (4, 5, 6) wurden von
Pompeo Leoni, der sich doch berühmte, ein Künstler zu
sein, zerschnitten und mit anderen erworbenen Hand-
schriften, Zeichnungen usw. einem Buchbinder zum schön
Einbinden gegeben: was dieser auch tat, freilich vom Ge-
CXXVII
Sichtspunkt eines Buchbinders aus, der die einzelnen
Blätter nur auf Format und Größe hin prüfte, aufklebte,
auch Zeichnungen mitten auseinanderschnitt und so jenen
gewaltigen Band von 402 Folios in eigenmächtiger Re-
daktion fertig brachte, den man seiner Größe und seines
umfassenden Inhaltes wegen den Codex atlanticus nennt.
Nachdem Leoni in Madrid mit Vincianischen Manuskripten
und Zeichnungen einen schwunghaften Handel getrieben
hatte, setzte er das in Mailand nach dem Tode Philipps II.
(1598) fort. 1610 erwarb Graf Arundel zwei Bände, die
in den Besitz der englischen Krone (Carl I. und Carl II.)
übergingen. Es sind die Mss. des British Museum und
der Bibliothek von Windsor (Ms. Br. M. und Ms. W. An.):
ersteres ist ebenso mißhandelt und die natürliche Reihen-
folge darin genau so gestört, wie es beim Codex atlanti-
cus der Fall. Die Mss. des Kensington-Museums hat
Lord Lytton in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
um wenig Geld, heißt es, in Wien erworben. Ist es
vielleicht der atomisierte Band des Joseph Smith, der
für verschollen galt? Die Geschichte der englischen Mss.
Leonardos ist noch nicht aufgehellt.
Nach dem Tode Pompeo Leonis erwarb Graf Galeazzo
Arconati den Codex atlanticus; es gelang ihm, noch zehn
andere Hefte minderen Umfanges zu erwerben; doch trotz-
dem man ihm von England Tausende bot, wies er das
alles zurück und schenkte den unermeßlichen Schatz 1637
der mailändischen Ambrosiana. Den Cod. K. gab Graf
Archimi der Bibliothek, die nun mit dem Cod. C. des
Kardinals Borromäus 13 Codices sehr verschiedenen Um-
fanges besaß, die aber nicht identisch sind mit den 13
großen Bänden Melzis. — Der Cod. der Casa Trivulzi
stammt aus dem Besitz Arconatis.
Als 1796 Bonaparte in die Lombardei einbrach, wurden
die Manuskripte Leonardos „zur Sicherheit" nach Paris
geschickt. Nach Monaten erst langten sie dort an. Die
Rückgabe der 13 Bände bildete 1815 einen Paragraphen
CXXVIII
des Friedensvertrages; jedoch nur der Codex atlanticus
war aufzufinden. Dieser gelangte in die Ambrosiana
zurück; die 12 kleineren Manuskripte sind in Frankreich
geblieben. Ein Gelehrter, Libri, der sie zum Zweck
einer Geschichte der mathematischen Wissenschaften be-
nutzen durfte, hat wichtige, große Partien aus ihnen
herausgenommen, zu „Codices" vereinigt und sie ver-
kauft. Drei solche Manuskripte kamen an Lord Ashburnham
nach England: zwei von ihnen sind 1888 von der Biblio-
thèque nationale zurückerworben (Ash. I und II) und zu-
gleich mit den anderen französischen Manuskripten von
M. Charles Ravaisson-Mollien in prachtvollen Faksimile-
reproduktionen herausgegeben. Ash. III befindet sich in
Florenz. Andere kleinere Teile kamen aus den Händen
Libris da und dort in Handel. Ein solcher ist der Cod.
„Sul volo degli uccelli", der einst dem Ms. B. als Appen-
dix angeheftet war und den 1868 Graf Giacomo Manzoni
indirekt von Libri erwarb. Seither ist er in den Besitz
des Russen Theodor Sabaschnikoff gelangt, der ihn 1893
unter Mitwirkung der Herren Giovanni Piumati und Char-
les Ravaisson-Mollien in einem herrlich reproduzierten
Band auf eigene Kosten herausgegeben hat.
So sind die Aufzeichnungen Leonardos teils verloren,
teils versplittert, und das Versplitterte ist noch großen-
teils aufs roheste aus der natürlichen Folge gerissen.
Nur wenige Hefte (z.B. die Mss. F., G., H., K., L., M.) sind,
wie man glaubt, unangetastet geblieben. Dieser Zustand
der Manuskripte erhöht ganz ungeheuer die Schwierigkeit,
die Manuskripte als Quelle für die Erforschung des Lebens
und der Meinungen Leonardos zu benützen. Erst wenn
alle Aufzeichnungen in genauen Reproduktionen für jeder-
mann zugänglich geworden; erst wenn man instand ge-
setzt sein wird, in jeder großen Bibliothek die kostbaren
Blätter der englischen, französischen, italienischen Manu-
skripte in täuschendster Wiedergabe nebeneinander zu
legen, um zu vergleichen, zu ordnen, zusammenzustellen,
IX Herzfeld, Leonardo
CXXIX
erst dann kann die große Arbeit, Leonardos Leben und
Meinungen zu rekonstruieren, mit Hoffnung auf Erfolg
neu begonnen werden.
Sollte jedoch deshalb der Versuch, der hier unternom-
men worden ist, anmaßend und verfrüht sein?
Die Natur einer solchen Sammlung von Fragmenten
kann durch keine Entdeckung, die in den Regionen der
hohen Wissenschaft vor sich geht, je sonderlich geändert
werden. Es ist ein bloßer Versuch, und zwar einer, der
steter Verbesserung, steter Ergänzung bedarf, der von
Auflage zu Auflage einer neuen Umarbeitung mit sehn-
süchtigem Wunsch entgegensieht; ein Versuch, an dem
man immer mehr lernt, wie es zu machen ist: dann wird
es später einmal nicht zu schwer sein, mit den Lücken
unseres Wissens von Leonardo auch die Lücken dieser
Arbeit gründlich auszufüllen. Selbst ungelehrt, wende
ich mich an die Ungelehrten. Wir haben alle An-
spruch, teilzunehmen an dem ungeheuren Wesen Leo-
nardos; wir dürsten nach Schönheit und haben jener end-
lich satt, die in der Kreatur nur das Gewürm bemerken.
Lang genug ward Morsches in uns eingerissen: nun wol-
len wir unser Inneres und seinen zerstörten Glauben an
den Menschen durch Großes emporrichten und neu auf-
bauen. Und von wem mehr als von Leonardo ging be-
lebend ein Strom jener adeligen Kraft aus, die, ein har-
monisches Zusammenspiel hohen Wollens und Könnens,
zu seiner Zeit Tugend genannt worden ist!
"WTenn man aus den Manuskripten die Summe der
^ Leistungen Leonardo da Vincis zieht, so erfaßt einen
Staunen vor dem Maße seines Geistes, Bewunderung vor
der übermenschlichen Fülle, die er jedem Augenblick ent-
lockt. Es gibt nichts Belehrenderes als seine Merktafeln:
Büchertitel ohne Ende; frage den und den um das und
das; laß dir zeigen; sieh nach; das Maß der Sonne, das
cxxx
dir Maestro Giovanni der Franzose versprach; die Pro-
portionen des Alchino (Al-Kindi, arabischer Aristoteliker),
„de centro gravitatis" des Archimedes; laß dir den Avi-
cenna übersetzen; erkundige dich, wie man in Flandern
auf dem Eise läuft, — und so mit Grazie das Entlegenste
nebeneinander fort, daß man Goethe an Wißbegier noch
übertroffen glaubt. Wenn man von Leonardo spricht, ist
man stets in Gefahr, ihm manches zuzuschreiben, was
der eine oder andere seiner Zeitgenossen auch schon
gewußt; man kann den Umfang seines Wesens aber sicher
nie groß genug schildern. Er ist so groß, nicht weil er
ein ganz modemer Mensch war, sondern weil er noch
so fest im Mittelalter fußt und dennoch mit seinem Den-
ken, Forschen, Wollen förmlich bis ins Herz unserer
Tage hineinwächst: das gibt ihm das Riesenmaß. Er
kam zur Wissenschaft wie so viele der besten Künstler
des Quattrocento, welche, um ihrer Kunst Herr zu wer-
den, sich um mehr bekümmern mußten als um ihre
Farbentöpfe. Was wir haben — oder zu haben ver-
meinen — , mußte damals erst gesucht und erfunden
werden. Wir Laien machen uns keinen rechten Begriff
davon, wieviel Scharfsinn, Nachdenken, Arbeit, Versuche
es allein gekostet hat, aus der Bildfläche einen tiefen
Raum zu schaffen und ihn mit Gestalt und Fülle zu
beleben. Erst mußten ein paar geistreich einfache Be-
helfe ersonnen sein, um Hand und Auge zu unterstützen;
es mußte viel mit Linien und Farben experimentiert wer-
den; mit unausgesetzter Beobachtung mußte der Natur
auf den Leib gerückt und nicht zum wenigsten mußte
Geometrie betrieben werden. Sie betrieben gar aller-
hand, die guten Künstler des Quattrocento, — so Piero
della Francesca, der große Perspektivist, Antonio da San
Gallo, der Kriegsingenieur, Leone Battista Alberti, der
Universalmensch und Erfinder der Camera obscura; als
Empiriker waren sie auch vielem gewachsen. Leonardo
jedoch erhob die Empirie zu einer Methode, und damit
IX*
CXXXI
beginnt die Neuzeit, die moderne Wissenschaft. Er setzt
die Erfahrung an die Stelle der inneren Spekulation; ein
Künstler, ruft er die Sinne an. Er entthront den blin-
den Glauben an die Autorität; er setzt jede Wahrheit,
und wäre sie noch so anerkannt und alt, unter die Kon-
trolle der Beobachtung und Vernunft; denn um zu leuch-
ten, muß die Wahrheit erst durch die tausend Feuer des
Zweifels gegangen sein. Wie hoch er sie schätzt, verrät
sein schönes Wort: „Sagte die Lüge Gutes von den
Dingen Gottes, sie würde deren Göttlichkeit die Gnade
rauben, und von solcher Auszeichnung ist die Wahrheit,
daß geringe Dinge, die sie lobt, höchst edel werden." Mit
diesen geringen Dingen will er sich abgeben und die anderen
„den schweifenden Ingenien" überlassen. Er studiert
vor allem die Phänomene der Natur; er schaut nicht nur,
er sieht, er bemerkt; er betrachtet zugleich mit dem Auge
und dem Verstand (speculare im Gegensatz zum bloßen
vedere). Das Meer mit seinen Bewegungen, der Fluß,
welcher das Ufer zerfrißt; der Baum, seine Aststellung,
das Blattwerk, die Sonne, die es durchleuchtet; der Vogel,
welcher die Lüfte teilt, eine Glocke, die klingt, ein phan-
tastisches Gesicht, — alles weckt sein Interesse, wird
notiert. Wie er aus tausend im Gedächtnis und auf
dem Papier festgehaltenen Bewegungen schließlich die
eine typische herausdestilliert, die er sucht und braucht,
so fällt er aus tausend festgehaltenen Tatsachen das
Typische, Allgemeine, die Regel, das Gesetz, oder wie
er es nennt: die Ursache heraus. Der gut geleitete Ver-
such muß aber erst die Beobachtung bestätigen; denn
„die Erfahrung irrt nicht; nur euere Urteile irren". Er
lehrt immer wieder, von der richtig festgestellten Er-
scheinung zur Ursache (dem Gesetz) aufzusteigen, ob-
schon die Natur anders verfährt, weil in ihr die vernunft-
gemäße Ursache das Primäre sei, welches die Erscheinung
hervorruft. Er tadelt aber jene keineswegs, die einmal
nicht induktiv verfahren, sondern eine Regel aus einer
CXXXII
anderen ableiten. Mit diesen ganz modernen Mitteln be-
treibt Leonardo seine Studien. Um ihnen jene Präzision
zu geben, die aus Kenntnissen eine Wissenschaft macht,
sucht er Maß und Zahl in sie einzuführen. „Keine
menschliche Untersuchung kann wahre Wissenschaft ge-
nannt werden, wenn sie nicht durch die mathematischen
Demonstrationen gegangen ist." . . . „Proportion ist nicht
bloß in den Zahlen und Maßen zu finden, sondern auch
in den Tönen, Gewichten, Zeiten und Orten und in jeder
Kraft, welche immer es sei." . . . „Wer die höchste
Sicherheit der Mathematik verschmäht, nährt sich von
Verwirrung und wird niemals Schweigen auferlegen den
sophistischen Wissenschaften, die nichts erzeugen als ein
ewiges Geschrei (gridore)." Von diesen lapidaren Sätzen
ist nicht weit zu Galilei, der sagt, das Buch der Natur
sei in mathematischer Sprache geschrieben, und zu Kant,
der meint, es wäre nur so viel eigentliche Wissenschaft
in der Naturlehre als Mathematik darin anzutreffen ist;
und so denkt in der Tat noch unsere ganze Zeit.
Mittels solcher Methoden versucht Leonardo, der Natur
beizukommen und die Wissenschaft „delle cose naturali"
neu zu begründen. Er hat mit Schwierigkeiten zu ringen,
die wir uns heute nicht vorstellen können. Nicht bloß
lag die Natur vor ihm wie ein hieroglyphisches Buch,
von dem man kaum ein paar Seiten entziffert hatte; er
mußte erst lernen, was er darin las, anderen mitteilbar
zu machen; er mußte die reale Wissenschaft und zu-
gleich die Sprache für sie förmlich schaffen. Die huma-
nistische Wissenschaft wurde noch lateinisch tradiert; im
Italienischen war der kurze, scharfe Ausdruck für klare,
kalte, naturwissenschaftliche Gedanken erst zu suchen.
Das Denken selbst war bildlich, anthropomorphisch und
die Beweisführung umständlich, voll scholastischen Bal-
lastes. Eine Definition gleicht auch bei Leonardo manch-
mal einer Romanepisode, und der Fall, der Stoß, jede Art
von Kraft oder violentia erlebt zwischen Geburt und Tod
CXXXIII
bei ihm die wunderbarsten Abenteuer. Alles ist noch
mehr erschaut als erdacht und hat den Reiz einer naiven
Poesie, die für manche Dunkelheit, Ungeschicklichkeit,
für die Länge der Deduktion den modernen Leser reich
entschädigt. Das Ringen um den präzisesten Ausdruck
ist oft rührend. Manchen Satz hat Leonardo zehnmal
geformt und wieder geformt.
Vor allem stellt er die Unverbrüchlichkeit der Gesetze
hin, die in der Natur »infuso", in sie hineinergossen, mit
ihr verschmolzen leben, — Ausfluß einer Notwendigkeit,
die vernünftig ist. Was gegen diese Gesetze ist, kann
nicht existieren, „man müßte denn das Wunder anneh-
men", wie er mehreremal sagt: daher bekämpft er in
einer Zeit, wo man Tote beschwört und die Sterne be-
fragt, Zauber übt und geheime Künste treibt, den Geister-
glauben ausführlichst mit Beweisgründen aus der Physik.
An der Spitze der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse
Leonardos stehen noch andere wuchtige und grundlegende
Sätze. Er weiß, daß alles Weltdasein, daß jede Erschei-
nung des Lebens Bewegung ist; er nennt Bewegung
direkt „die Ursache alles Seins" und sagt, daß jede
„Aktion durch Bewegung ausgeübt wird". Er kennt das
Gesetz der Trägheit und spricht es aus, daß keine Be-
wegung von selbst entsteht, noch von selbst endet; frei-
lich scheint ihm der Zustand der Ruhe der natürliche.
Bewegung ist gestörtes Gleichgewicht. Sie wird durch
eine Energie oder Kraft hervorgerufen, die Leonardo eine
geistige Wesenheit nennt, weil sie nichts an der Masse
und dem Gewicht des Körpers ändert. Sie teilt sich
durch den „impeto" dem Körper als virtù impressa mit,
als ein Eindruck, ein Impuls, der zwar „Ewigkeit will",
aber sich in der Bewegung aufzehrt: ein Gedankengang,
von dem sich auch Galilei noch nicht frei macht. Alle
Bewegung ist meßbar und berechenbar. Ihre Ursache —
d. h. die anstoßgebende Kraft, ist stets eine sinnbegabte.
Die letzte Quelle aller Kraft jedoch, also aller Bewegung,
CXXXIV
ist für Leonardo „der erste Beweger", den die florenti-
nischen Platoniker des Quattrocento von den arabischen
Philosophen und Aristotelikern übernommen hatten. Was
vermöchte inniger zu ergreifen als jener Ausbruch von
Entzücken, mit dem Leonardo bei der aufdämmernden
Ahnung des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft „die
wunderbare Gerechtigkeit des primo Motore" anruft, weil
er in diesem Gesetz eine Art von moralischer Grundlage
der Weltordnung erkennt und verehrt (S. 22). Séailles
erinnert an die Auffassung der Welt, die Leibniz uns ge-
lehrt hat: „Überall ist Geometrie und überall Moral."
Leonardo hielt für seine Aufgabe freilich bloß die Geo-
metrie, das heißt, womöglich die mathematische For-
mel für jedes Weltgesetz. Er sucht das Verhältnis zwi-
schen Kraft und Bewegung; die zunehmende Geschwin-
digkeit des Falls sucht er experimentell festzustellen.
Die Reibung hat er in allen Details studiert; daher funk-
tionieren seine Maschinen; daher bekämpft er die ewige
Bewegung und die Sphärenmusik. Wie Wilhelm Elsässer
konstatiert („Bedeutung L. d. V. für die exakten Natur-
wissenschaften", Preuß. Jahrbücher, Juli-Sept. 1899), ist
Leonardo der erste, welcher das Gesetz der virtuellen
Geschwindigkeiten mit einiger Präzision ausdrückt und
im wesentlichen ganz richtig kennt. In bezug auf den
freien Fall irrt er wohl, indem er meint, die Geschwin-
digkeit des fallenden Körpers sei proportional seinem Ge-
wichte; aber den Einfluß des Luftwiderstandes zieht er
beim Fall als erster in Rechnung. Besonders glücklich
sind seine Untersuchungen und Beobachtungen über den
Stoß, die er durch vorzügliche Zeichnungen wirkungsvoll
zu machen weiß. Weder Galilei noch Descartes errei-
chen seine Kenntnisse in diesem Punkt.
Als erster seit Archimedes und mit erweitertem Wis-
sen beschäftigt er sich mit den Hebelgesetzen. Er
zeigt, welche gesetzmäßigen Beziehungen zwischen der
Größe der Kraft und der Länge des Hebelarmes be-
cxxxv
stehen; er kennt, zeichnet, erklärt den Winkelhebel in
allen Formen; er untersucht die Druck- und Gewichts-
verhältnisse jedes Hebelpunktes aufs genaueste; er führt
die Rolle, den Flaschenzug, das Rad an der Welle auf
die Wirkung des einfachen und zusammengesetzten Hebels
zurück, sieht in den Bewegungen der Menschen und Tiere
nichts anderes als die Bewegung von Hebelarmen und
vergißt auch nicht, das Eigengewicht des Hebelarmes als
wirkenden Faktor mit den übrigen Kräften in Verbindung
zu setzen und in seine Beobachtungen einzubeziehen.
Nicht Ubaldi, nicht Stevinus, noch Benedetti, sondern
Leonardo hat das große Verdienst, als erster die Hebel-
gesetze nach allen Richtungen erkannt und angewendet
zu haben: damit erscheint er als Begründer der moder-
nen Mechanik.
Nicht minder gilt Leonardo als Vater der hydraulischen
Wissenschaften. Er kennt die Gesetze von der Fort-
pflanzung des Druckes im Wasser, die er als erster seit
Archimedes studiert und verstanden hat. Er ist ein eben-
bürtiger Vorgänger von Stevinus und Galilei in der Hy-
drostatik. Er versteht die molekularen Eigenschaften des
Wassers. Er weiß den Grund des Schwimmens eines
Körpers. Er kennt das Gesetz der kommunizierenden
Röhren; er weiß, daß Flüssigkeiten, die sich nicht mischen,
in solchen Gefäßen sich im Verhältnis ihres Gewichtes
zueinander ordnen. Er macht Versuche über den Aus-
fluß des Wassers bei verschiedenen Öffnungen; er unter-
sucht die Gründe des Wirbels, des Strudels usw. usw.
lange vor Castelli. Er hat als erster die Wellenbewegun-
gen des Meeres studiert, in ihren Gründen, in ihrer Er-
scheinung. Er weiß, daß die Welle den Ort ihrer Ent-
stehung flieht und das Wasser selbst sich nicht vom
Platz bewegt, wie die Wellen, die man über ein Korn-
feld eilen sieht, ohne daß das Getreide von der Stelle
wiche. Er weiß, daß zwei Wellen sich durchkreuzen
können, ohne einander zu zerstören. Er wendet die Ge-
CXXXVI
setze der Wellenbewegung, ihrer Fortpflanzung in Krei-
sen und nach allen Seiten, die Durchkreuzung ohne sich
auszulöschen, auf den Schall, auf das Licht, auf den
Magnetismus, ja, auf den menschlichen Gedanken an:
mehr und höheres kann von der genialen Intuition Leo-
nardos und von seinem Bedürfnis, in der Mannigfaltig-
keit der Dinge ein einziges großes Prinzip zu erkennen,
in der Tat, glaube ich, nicht ausgesagt werden: sogar
wenn mit Wilhelm Elsässer zugegeben werden muß, daß
von diesen Ahnungen noch weit zur modernen Undula-
tionstheorie ist.
Seine Erfahrungen über die Bewegung des Wassers
überträgt Leonardo auf die Luft, um den Wind zu stu-
dieren. Er interessiert sich für Meteorologie. Er be-
schäftigt sich mit dem Nebel, den Wolken, mit Regen,
Schnee und Hagel. Manches erschaut er einfach, so z. B.
die Flamme, die er zwar nicht erklären kann, aber so
richtig beobachtet, daß er die Lampe mit Zylinder und
Kugel erfindet. Und 250 Jahre vor Lavoisier hat er
schon einen leisen Begriff vom Bestandteil der Luft,
welcher allein zum Brennen und zum Atmen taugt. Bei
seinen unterirdischen Booten, Tauchapparaten — ach,
wer vermöchte in so engem Rahmen seine Erfindungen
auch nur aufzuzählen! — spricht er davon, Luft auszu-
pumpen und alito, Atemluft mit in die Tiefe zu nehmen.
Von seinen Beobachtungen des Vogelfluges, die bisher
noch von keinem übertroffen sein sollen, von seinen Flug-
apparaten, von seiner Erfindung des Fallschirmes ist schon
früher gesprochen worden.
Seine Leistungen auf dem Gebiete der Akustik sind
voll überraschender Ansätze. Überall fast findet man
ihn auf dem guten Weg. Er vergleicht die Fortpflanzung
des Schalls mit der Wellenbewegung, die entsteht, wenn
man einen Stein ins Wasser wirft und die ihr Zentrum
stets im Ausgangspunkt behält. Er sucht die Geschwin-
digkeit des Schalls zu messen. Er ahnt, wovon die Ton-
CXXXVII
höhe abhängt. Die Reflexion des Schalls, das Echo, den
Nachhall begreift er genau. Er entdeckt das Mitschwin-
gen gleicher und verwandter Töne.
Nebst den Gesetzen der Mechanik beschäftigt den Maler
natürlich am meisten das Licht, das Sehen, das Auge,
— die Optik, damals unter Perspektive einbegriffen. Auch
auf diesem Gebiete sind seine Ideen genial. Nichts von
materiellen Theorien. Geradlinige Fortpflanzung nach
allen Seiten, Reflexion, Refraktion; der Vergleich mit der
Wellenbewegung auch hier; man hört nur von Bewegung
und Bewegungsgesetzen. Die ganze Welt, auch die be-
lebte, steht unter den Gesetzen der Mechanik; die Erde
ist eine Maschine, und der Mensch ist es auch. Die
Camera obscura hat zwar schon Leone Battista Alberti
gekannt; doch Leonardo experimentiert mit ihr und findet
den richtigen Grund für das Entstehen des umgekehrten
Bildes auf ihrer Rückwand. Auch das Auge betrachtet
er als eine Camera obscura und müht sich ab, zu be-
greifen, wieso wir dennoch aufrecht sehen. Er nimmt
an, es geschehe beim Durchgang der Strahlen durch die
Kristallinse eine zweite Umkehrung des Bildes (wo die
erste und wo die zweite Kreuzungsstelle ist, darüber
kommt er nicht ins Klare); das Bild erscheine also auf-
recht auf der Rückwand des Auges; die Sehnervenden
empfangen es und führen es dem inneren, gemeinsamen
Sinne zu, in dem es erst verstanden wird. Manche Stel-
len, die freilich nicht sehr präzis sind, gestatten sogar
die Deutung, als habe Leonardo das Aufrechtsehen des
umgekehrten Bildes überhaupt diesem verstehenden ge-
meinsamen Sinn überlassen wollen: aber das sind Dinge,
deren Aufklärung heute, trotz der Zusammenstellungen
Dr. Edmondo Solmis (Nuovi Studi sulla Filosofia naturale
di L. d. Vinci, 1905), noch nicht möglich ist. Ungeheuere
Schwierigkeiten macht es Leonardo überhaupt, das Sicht-
barwerden der Dinge zu verstehen; sicher ist, daß er
im Auge nichts sah, als einen Auffangapparat; ob er das
CXXXVIII
Licht als Bilderreger betrachtete oder nur als Träger der
„Spezies", Scheinbilder der Dinge, die im ganzen All
verbreitet sind, muß bis auf weiteres dahingestellt bleiben.
Seine optischen Arbeiten sind jedenfalls voll geistreicher
Versuche und schöner Resultate. Elsässer schreibt ihm
das Verdienst zu, als erster eine methodische Darstel-
lung des Ganges der Lichtstrahlen im Auge und eine
geometrische Konstruktion des Bildes versucht zu haben.
Er begreift das körperliche Sehen; er fabriziert ein
künstliches Auge, um zu lernen, wie das natürliche funk-
tioniert. Er beschäftigt sich mit den Erscheinungen der
Irradiation, mit den negativen Nachbildern; er erklärt mit
viel Glück den Strahlenkranz an leuchtenden Körpern;
er erkennt das Mondlicht, freilich auch das Fixsternlicht,
als Reflexlicht der Sonne; er findet den richtigen Grund
für das Lumen cinereum. Er lehrt konkave, konvexe,
parabolische, sphärische Hohlspiegel fabrizieren; er be-
stimmt den Punkt, wo die zurückgeworfenen Strahlen sich
kreuzen. Seine Theorie der farbigen Schatten galt lange
Zeit für die einzig wahre; sie wird zugleich mit seinen
Farbentheorien nächstens durch eine Übersetzung des
Traktates von der Malerei deutschen Lesern leichter zu-
gänglich gemacht werden, als es bisher in der umfang-
reichen, gelehrten Ausgabe Ludwig Heinrichs möglich war.
Die Wärme untersucht Leonardo in ihren Wirkungen
vielfach und macht Versuche, den Dampf als Motor zu
verwenden. Er zeichnet eine Dampfbarkasse; er beschreibt
einen Bratspieß, der von heißer Luft getrieben; er kon-
struiert eine Dampfkanone, den Architronito, dessen Er-
findung er freilich dem Archimedes zuschreibt, — viel-
leicht, weil er fürchtete, als Hexenmeister verbrannt zu
werden. Leonardo trug nämlich, scheint es, keinerlei
Begehren, für irgend eine Überzeugung zu sterben; er
meinte wohl, es sei wertvoller, für seine Ideen zu leben.
Das Märtyrertum ist nur für jene, die ein einziger Ge-
danke ausfüllt. Leonardo hatte zu viele Gedanken.
CXXXIX
So entschieden sich Leonardo gegen die Goldmacher
ausspricht, so setzt er die Alchimie doch in scharfen
Gegensatz zur Astrologie, zur Nekromantie, und weiß,
welchen Nutzen sie stiftet. Er selbst lehrt Pulver fabri-
zieren, er konstruiert einen Glasofen, er zeichnet einen
trefflichen Destillierapparat.
Für die Leistungen Leonardos als Maschinenerfinder
muß ich auf Dr. Hermann Grothes „Leonardo da Vinci
als Ingenieur und Philosoph" (Berlin, 1874) verweisen.
Dieser Autor rühmt die genauen Kenntnisse, die Leo-
nardo von allen Maschinenteilen, ihren Eigenschaften,
ihren Verwendungsmöglichkeiten besaß. Sollte doch eine
Abhandlung des Meisters den elementi macchinali ge-
widmet werden, als Teil offenbar des Buches „von den
Anwendungen", dei giovamenti, welcher der Theorie der
Mechanik folgen sollte. Von den Maschinen, die Leo-
nardo zeichnet und beschreibt, führe ich nach Grothe
mehrere an, — nur solche, die weit über ihrem Jahr-
hundert stehen: Bohrmühlen, eine Hobelmaschine, eine
Sägemaschine, wie Grothe sie noch an einem lombardi-
schen Kanal vorfand, „der Leonardos geistreichen arte-
sischen Quellbrunnen seine Entstehung verdankt"; eine
Steinsägemaschine; eine unübertroffene Feilenhauma-
schine; eine vorzügliche Spinnmaschine; eine Seilspinn-
maschine; Webstühle; Tuchscherapparate; Waschma-
schinen; Töpferscheibe usw. usw.; Hebewerke; Mühlen;
Meßapparate, Dezimalwage, Zirkel, Ovalrad, Uhrwerke;
er kennt auch das Pendel. Dazu hydraulische Maschinen,
eine hydraulische Presse; Pumpwerke, — ich glaube, das
genügt.
Ohne tüchtige mathematische Kenntnisse wäre dies alles
nicht möglich gewesen. Leonardo hat aber auch einiges
der Wissenschaft beigefügt. Man sagt, er habe das Plus-
und Minus-Zeichen erfunden; er hat sich ihrer jedenfalls
früher als andere bedient. Er fabriziert einen Proportions-
zirkel mit beweglichem Zentrum; er lehrt in höchst ele-
CXL
ganter Art ein Oval konstruieren. Er ermittelt den Schwer-
punkt der Pyramide usw.
Will man die Einsichten recht würdigen, die Leonardo
in bezug auf die Astronomie gewonnen hat, so muß man
sich erinnern, daß seine Zeit noch kaum über die Ideen
des Aristoteles und der Scholastik hinausgekommen war,
die wir aus Dante kennen. Ich will das mit den schönen
Worten Gabriel Séailles' wiedergeben: „die Sterne sind
unverweslich, göttlich, ohne Beziehung zu unserer sub-
lunaren Welt, deren Gesetz die Zeugung ist, die Ver-
änderung, der Tod. Die Erde lehrt uns nichts über den
Himmel, der einer anderen Ordnung angehört . . . Kühn
zerbricht Leonardo diese Hierarchie, er versetzt die Erde
m den Himmel." — „Du hast in deiner Abhandlung zu
zeigen, daß die Erde ein Stern ist, wie der Mond oder
ungefähr, und so den Adel unserer Welt zu erweisen",
sagt daher Leonardo. Die gleichen Gesetze wie auf Erden
herrschen auf der ganzen Welt; die gleiche Notwendig-
keit schließt das Universum ein. Alles ist der Bewegung
unterworfen, dem Maß und der Zahl. Es drehen sich
nicht mehr die Himmel um einen festen Mittelpunkt,
bewegt von himmlischen Geistern, welche die Gestirne
bewohnen, und keine Musik begleitet ihre Bewegung
(s. Seite 24). Und die Sterne sind nicht glitzernde Dia-
manten, nach Adel und Würdigkeit in die einzelnen Himmel
eingezapft. Die Himmelskörper schweben frei im Raum,
im Gleichgewicht ihrer Elemente. Und die Erde ist nicht
im Mittelpunkt des Sonnenkreises, noch ist sie Mittel-
punkt und Herz der Welt. Sie ist den Sternen ein Stern
und dem Mond ein Mond; ihr Glanz, wie der des Mon-
des, ist ein Abglanz der Sonne, deren Licht von den
tausendfachen Spiegelungen des wellengefurchten Meeres
in starkem Leuchten den Gestirnen zugeworfen wird.
Die Vorstellung Leonardos ist seltsam, doch voll Märchen-
reiz und ganz realistisch ausgedacht. Der Mond gleicht der
Erde und verhält sich wie die Erde, von Wasser, Luft und
CXLI
Feuer umkleidet, Elemente, die er an sich zieht wie die Erde
die ihrigen, „so wie der Magnet Eisen an sich zieht". An
den vier Elementen hält Leonardo sonderbar fest; weiß
er doch mit dem Feuerelement gar nichts mehr zu be-
ginnen. Es ist nicht etwa das Brennende; es wird
höchstens von der Flamme herbeigezogen. Es ist dunkel,
wenn es sich nicht mit etwas anderem vermischt; sogar,
ob es heiß ist, scheint ihm manchmal fraglich: wie
grenzte sonst die Luft an das Feuer und wäre in den
Höhen dennoch kälter als in der Tiefe — ? Es ist das
dünnste Element, und vielleicht braucht es Leonardo, um
den Weltraum auszufüllen, da es, wie er betont, kein
Leeres gibt. Die Quelle alles Lichtes, die Quelle aller
"Wärme ist die Sonne. Er singt ihr einen Hymnus. Sie
ist göttlicher als die Götter, ist mächtiger als sie. Von
ihr kommt mit der Wärme alles Leben, alle Beseelung,
— jene Beseelung, die Leben ist, die man zu Zeiten
Lebenskraft nannte, zu Zeiten die Blutseele, eine körper-
liche, sterbliche oder wenigstens verflüchtigungsfähige Seele,
wie die Platoniker in Florenz sie neben dem unsterb-
lichen Geiste kannten. In einem seiner Manuskripte hat
Leonardo mit großen Buchstaben inmitten mathematischer
Formeln die Worte aufgezeichnet: „Die Sonne bewegt sich
nicht." War das eine spät gewonnene Überzeugung oder
wußte Leonardo diese gefährliche Wahrheit stets? Wenn
wir noch heute sagen, „die Sonne geht auf, die Sonne
geht unter", warum sollte nicht Leonardo vom vierund-
zwanzigstündigen Lauf der Sonne sprechen und dabei den
richtigen Sachverhalt im Sinne gehabt haben? Zu jenen
Zeiten war es nicht rätlich, mehr wissen zu wollen, als
hohen Ortes approbiert war. Schon die Anmaßung machte
höchst verdächtig.
Mehr als mit der Sonne hat Leonardo sich mit der Erde
beschäftigt, und zwar mit ihr nicht als dem Himmels-
körper, sondern als der menschlichen Heimat. So wie
sie nicht still steht, so steht auf ihr nichts still. Sie ist
CXLII
in ewigem Werden und Zerwerden, um ein Wort des Ange-
lus Silesius zu gebrauchen, ein Geschöpf des Wassers.
Kein Meeresgrund ist so tief, daß er nicht schon das
Licht der Sonne gesehen, und kein Bergesgipfel so hoch,
daß über ihn nicht ehemals Rudel von Fischen gezogen.
Die Salzlager der Erde Residuen früherer Meere, und
das Meereswasser salzig, weil es alte Kontinente auslaugt.
Ewig trägt das Wasser Erde von den Höhen zu Tal, zer-
frißt seine Ufer, sägt sich tiefer und tiefer ein, reißt weg
und höhlt aus und macht Berge und Höhen, und das er-
leichterte Festland hebt sich mehr und mehr aus den
ungeheueren Meeren. Und das Wasser fließt trüb von
der Erde, die es mitführt, und lagert sie ab — an den
Mündungen, im Meere. Und langsam steigt der Grund
des Ozeans und wird herauftauchen und zum Festland
werden und wo die Fische zogen, werden Vögel fliegen.
Durch die Anschwemmungen, durch die Ablagerungen
von Schlamm an den Gestaden, die langsam, langsam in
unendlichen Zeiten emporwuchsen, entstanden die Fossi-
lien, die wir Schicht für Schicht bis zu den Gipfeln der
Gebirge hinauf finden. Nicht der Einfluß der Gestirne
hat sie gebildet; nicht die Flut hat sie hinaufgebracht,
keine Sintflut, welche die ganze Erde überdeckte; eine
solche gab es nie, konnte es nie gegeben haben, — „du
glaubtest denn an Wunder" — was Leonardo nicht tut.
Er glaubt nicht an gewaltsame Eingriffe Gottes in die
geordnete Welt; er glaubt an Umbildungen, nicht an Um-
wälzungen, an Evolution, trotz der Allermodernsten. Er
rechnet mit Millionen Jahren; das wüst Katastrophale ist
ihm, wie Goethe, wider den Geschmack. Die unterirdi-
schen Feuerkräfte hat der Florentiner, der im ebenen,
wasserreichen Mailand lebt, nie am Werk gesehen und
nie richtig erkannt. So studiert er auch kein Urgestein. Er
weiß nur von neptunischem Gebilde.
Über die Gezeiten kommt er nicht ins klare. Ist Ebbe
und Flut eine Wirkung des Mondes, der Sonne? fragt er.
CXLIII
Die Antwort lautet verschieden. Bald meint er, es sei
das Atmen der Erde, die er lange, und nicht bloß im
Phantasiespiel, für ein lebendes Wesen, im Gleichnis des
Tieres gebildet hält, und es wären die Berge die Knochen,
und die Flüsse die Adern, gespeist aus unterirdischen
Wassern wie aus einem Blutsee, Wassern, die zu den
Gipfeln stiegen, wie das Blut zum Gehirn und so wie
aus einer geborstenen Vene durch den Felsspalt brächen
und Ursprung aller Flüsse würden: so kreisten die Wasser
und nährten die Erde, wie das Blut in den Adern kreist
und den Leib ernährt. Aber wie Leonardo in bezug auf
Ebbe und Flut als Atmung der Erde sich schließlich selbst
bekämpft — ich habe die Stelle leider im Text nicht
wiedergegeben — , so kommt er davon zurück, zu glauben,
daß im Inneren der Erde Wasserläufe zu den Höhen
führten, — es wäre interessant, zu wissen, ob er erkannt,
daß sie kein Pumpwerk besitzt gleich dem tierischen
Herzen; — er schilt sich selbst und rät sich, „wieder
Naturales zu lernen*, um solcher Meinungen zu erman-
geln, von denen er einen großen Vorrat angehäuft, neben
dem Kapital der Frucht, die er besitze (S. 65), — ich
glaube, Leonardo will sagen, neben dem, was er Frucht-
bringendes erworben. Wie Mario Baratta in seinem
schönen Buche „Leonardo da Vinci ed i problemi della
terra" mit Recht bemerkt, hat der große Forscher in
späteren Aufzeichnungen solche Theorien verlassen; er
nennt die Wolken „Aussäer der Flüsse" und präzisiert
diese Meinung mehr als einmal. — Außerordentlich groß-
artig sind die Bilder, welche Leonardo von den Verän-
derungen im Antlitz der Erde zeichnet, seine Vorstellun-
gen von der Vergangenheit, Zukunft der Länder des
Mittelmeerbeckens z. B. Allein es ist nicht notwendig,
mich darüber zu verbreiten; die Texte sprechen deutlich
für sich selbst.
Fast ein Menschenalter hindurch hat sich Leonardo, wie
wir schon sahen, mit Anatomie beschäftigt. Seine Kennt-
CXLIV
nisse gingen weit über das hinaus, was er als Künstler
wissen mußte; sie gingen aber auch weit über das hinaus,
was die gelehrte Mitzeit wußte, ja, sich träumen ließ.
War doch das Sezieren im Mittelalter eine kirchlich so
gut wie verbotene, eine höchstens geduldete Sache, über
die man wegsah, so lange es ging. Den medizinischen
Schulen lieferte man etwa hie und da einen Verbrecher-
leib aus, — unter der Herrschaft der Bentivogli hatte
die Universität von Bologna sogar jährlich zwei Justifi-
zierte frei. Auch war ein Bologneser Professor, Mon-
dino dei Luzzi, der erste, welcher menschliche Leichen
sezierte und anatomische Demonstrationen öffentlich vor-
nahm. Seine Schrift, die seit 1316 in zahlreichen, teils
sehr entstellten Kopien in Umlauf war und die seit 1478 bis
ins 16. Jahrhundert immer wieder gedruckt worden ist,
enthält auf 44 Seiten kurze Beschreibungen des Inhaltes
von Kopf, Brust und Bauch und hält sich mehr an Galen
und die Arabisten als an die Natur. Galen selbst aber,
die große Autorität der Alten, hat nie etwas anderes als
Affen und Hunde seziert. Er beglückwünscht sich, daß
er einmal nach Herzenslust hat menschliche Knochen
prüfen können, als ein ausgetretener Fluß, der ein Grab
zerstört hatte, Skelette auf einer sumpfigen Stelle zurück-
ließ. Mondinos Werk war ohne Abbildungen; erst Beren-
gar von Carpi, der in Bologna lehrte, versucht 1521 Text
und Bild nach den eigenen lückenhaften Forschungen
herzustellen — beides dürftig und irrig genug. Schon
allein die 30 Leichen, die Leonardo anatomisch zerlegt
hat, waren ein unerhörter Fall: ebenso unerhört war das
Resultat dieses intensiven Studiums. Dr. Fritz Raab in
seinem „Leonardo da Vinci als Naturforscher" (Samm-
lung gemeinverständlicher Vorträge, herausgegeben von
Virchow und Helmholtz, 1880) spricht vom anatomischen
Werk des Prof. Magnus Hundt, welches die seltsamen
Ideen beweise, die sich um 1501 die Wissenschaft von
den menschlichen Eingeweiden machte. Ebenso zeigt
X Herzfeld, Leonardo
CXLV
der erste anatomische Bilderatlas des Jan von Ketham,
der am Ende des Quattrocento in Italien gelebt hat, die
lächerlichen Irrtümer, welche damals im Schwange waren.
Leonardos zeichnerische Darstellungen dagegen sind
meisterhaft, und zwar nicht bloß künstlerisch meister-
haft. Prof. M. Holl sagt in seiner schönen Abhandlung
„Die Anatomie des L. d. V." (Separat-Abzug aus dem
Archiv f. Anat. und Physiol., Anat. Abteilung, 1905), daß
manche Darstellung Leonardos „auch heute noch nicht
erreicht worden ist". Mr. William Hunter, der berühmte
Leibarzt Georg III., der die Mss. von Windsor sah,
schreibt 1784 voll Entzücken, Leonardo müsse der größte
Anatom seiner Zeit gewesen sein; ohne Zweifel aber sei
er der erste, der die Anfertigung von anatomischen Zeich-
nungen schuf. Blumenbach bewundert an diesen Tafeln
die Kunst und Präzision, sowie „den Scharfblick des
Forschers, der schon auf Dinge geachtet hat, die noch
Jahrhunderte lang unbemerkt geblieben sind". Holl sagt,
„für die damalige und auch spätere, ja, selbst teilweise
für die neuere Zeit sind alle Tatsachen, die Leonardo
bringt, neu. Mit Bezug auf letzteres sei, um nur ein Bei-
spiel anzuführen, erwähnt, daß auf die Beckenneigung,
die Darstellung der richtigen Lage des Beckens im Kör-
per, obgleich sie schon Leonardo genau kannte und auch
abbildete, erst in der Neuzeit durch die Untersuchungen
Nägeles hingewiesen wurde." Leonardo ist auch der
erste und auf lange Zeit hinaus der einzige, der den
Brustkorb mit der richtigen Schieflage der Rippen, der
die Krümmungsverhältnisse der Wirbelsäule, kurz alles,
was mit dieser Beckenneigung zusammenhängt, korrekt
zu zeichnen verstand. Ebenso ist die Schädeldarstellung
meisterhaft und stets nach der Ebene orientiert, die wir heute
als die richtige erkennen. Nicht minder macht Leonardo
als Erster auf die pneumatischen Räume des Oberkiefers
und der Stirnhöhle aufmerksam. Ich zitiere nur einiges
und muß im übrigen auf die Fachliteratur über Leonardo
CXLVI
als Anatomen verweisen, die täglich reicher wird, beson-
ders seit 1903 Dr. Jackschath, ich muß sagen, ohne
gültigen Beweis, die ungeheuerliche Vermutung ausge-
sprochen, Vesals grundlegendes Werk über den Bau des
menschlichen Leibes sei, Text und Bild, nichts als ein
großes Plagiat, ein Diebstahl an Leonardos Lebensarbeit.
Wenn ich als Laie die anatomischen Forschungen Leo-
nardos richtig auffasse, so hat er die Anatomie nie, wie
Vesal, rein um der Anatomie willen betrieben, sogar
wenn er es zu tun vermeinte: wie sehr ihn das künst-
lerische Interesse beherrscht, beweist, glaube ich, die
Art, wie er die Muskelanatomie in Bild und Text be-
handelt hat. Ganz Selbstzweck ist ihm die Anatomie
überhaupt nicht geworden; den Bau des menschlichen
Leibes studiert er in erster Linie als Künstler; als
Mensch studiert er besonders die Funktion der Or-
gane. Er sucht eine Wissenschaft des Lebens. Seine
Notizen enthalten großartige Pläne zu einer vollständigen
Physiologie: sein Programm könnte auch heute kaum er-
weitert werden. Genial sind die Methoden, die Leonardo
anwendet, um zeichnerisch ein genaues, klares, allseiti-
ges Bild der verschiedenen Teile des Körpers, vonein-
ander gelöst und miteinander verbunden, ja, funktionie-
rend zu geben. Der berühmte französische Anatom
M. Mathias Duval sagt in seiner Einleitung zur Sabasch-
nikoffschen Ausgabe der vincianischen Anatomie, daß in
diesen Methoden wir auch heute noch kaum weiter ge-
kommen sind. Professor Holl meint, Leonardo müsse
verstanden haben, durch Injektion z. B. des Mesenteriums,
der Blutgefäße für seine Bildzwecke anatomische Präpa-
rate in modernem Sinn herzustellen.
Daß Leonardo als Erster vergleichende Anatomie ge-
trieben hat; daß er den gemeinsamen Typus im tierischen
Leibe wahrgenommen; daß er den Menschen als organi-
siertes Lebewesen wie etwas Selbstverständliches für nicht
mehr als ein zu höchst stehendes Tier gehalten und der
X»
CXLVII
Gattung der Affen vorangestellt; daß er die Funktionen
seines Leibes und die Bewegungen seiner Gliedmaßen
als den Gesetzen der Mechanik unterworfen erkannt hat,
— das sind nur ein paar Beiträge, welche die Freiheit
und Größe dieses überragenden Genies von einer neuen,
frappierenden Seite zeichnen.
Daß Leonardo seine biologischen Arbeiten zu einer Art
von Anthropologie auszugestalten gedachte, beweist die
Stelle (S. 92): „und so gefalle es unserem Urheber, daß
ich die Natur der Menschen und ihre Gewohnheiten in
der Art darzustellen vermöge, wie ich seine Figur be-
schreibe", und er hat zu dem Zweck schon Notizen ge-
sammelt, wie etwa folgende: „Die langen Nägel werden
von den Europäern in Mißachtung und von den Indiern
werden sie in großer Verehrung gehalten, und sie
lassen sie mit eindringenden Wässern färben, und sie
schmücken sie mittels verschiedener Durchbohrungen, und
sie sagen, dies sei eine Sache der edlen Leute und daß
die kurzen Nägel Sache von Arbeitern und Mechanikern
in verschiedenen Handwerken sei" (S. P., W.An. B. Fol.3r.).
In der Botanik sieht und erklärt Leonardo als Erster die
gesetzmäßige Anordnung der Äste, Zweige und Blätter;
als Erster bestimmt er das Alter der Bäume nach den
Ringen im Stamme; doch beschäftigt er sich mit der
Pflanzenwelt weitaus mehr als Künstler.
Zoologie trieb Leonardo eigentlich nur im Zusammenhange
mit der Anatomie und der Biologie.
Um so merkwürdiger berührt uns eine Arbeit Leonardos,
die in einem Heft enthalten ist, das scheinbar in den
Jahren 1493 — 1494 zusammengeschrieben wurde: ich
meine sein Tierbuch, seinen Bestiarius. Hier kommt näm-
lich ein wunderbares Stück Mittelalter zum Vorschein. Der
Urtypus des Buches war der alte Physiologus, „eine Zu-
sammenstellung von existierenden und fabelhaften Tieren,
Pflanzen, Steinen, deren Eigenschaften in einem der natur-
geschichtlichen Erzählung folgenden Abschnitt typologisch
CXLVIII
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„^m. •)»■•/ «Ar»!-, ,«„-1,
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LEONARDO, THORAX UND ABDOMEN
ROUVEYRE IV, FOL. 10 r.
gedeutet oder mit anderen Worten: als Typus für Christus,
den Teufel, die Kirche, den Menschen ausgelegt wurden" —
(s. die Arbeiten von Goldstaub und Wendriner und von
Anton Springer), — also Naturprodukte zum Zweck reli-
giöser Symbolik benutzt. Die Tiere, Pflanzen, Steine waren
ursprünglich solche, die in der Heiligen Schrift erwähnt
imd dadurch schon hervorgehoben und ausgezeichnet sind.
Bald ließ man die Pflanzen und Steine fallen; man ging
unbedenklich auch über die Bibel hinaus; statt der kirch-
lichen Symbolik trat die moralische in den Vordergrund,
und jedes Tier ward Bild und Lehre von Tugend und
Laster: in dieser Form, als Bestiarius, wurde das Buch
das verbreitetste, beliebteste Lehr- und Lesebuch des
Mittelalters. Seine Bearbeitungen sind in alle Sprachen
der christlichen Welt übersetzt; es existieren isländische
und syrische so gut wie holländische und provenzalische,
doch der Inhalt, der Tierkreis, die Deutung bleiben sich
in allen fast gleich. Den zahllosen Bearbeitungen schließt
sich als eine der letzten die Leonardos an. Stoff und
Behandlungsmethode, ja, die Anordnung selbst entlehnt
er den älteren: sonst wäre es kein Bestiarius geworden.
Seine Quellen sind „Fiori di virtù", ein vielgelesenes,
oft gedrucktes Buch mit kleinen Exkursen, die stets eine
Tugend und das entgegengesetzte Laster behandeln, mit
Beispielen aus dem Altertum, den Evangelien, Kirchen-
vätern und dem Tierbuch, — voll anmutigster Naivität, in
der Stimmung dem Fra Angelico vergleichbar: ein Drittel
der Arbeit Leonardos ist aus diesem Werk herausge-
zogen und schon an der paarweisen Anordnung „Tugend-
Laster" kenntlich; nur die zarte Ornamentik der Sprache
gehört dem Künstler Leonardo an. Die übrigen Quellen
sind Cecco d'Ascoli „L'acerba" (ein Werk, das ich nicht
gesehen) und besonders die Naturgeschichte des jüngeren
Plinius, dazu Brunetto Latini und Albertus Magnus, deren
Enzyklopädien auch moralisch-allegorische Tierbücher ent-
hielten, — Werke, die Leonardo kannte und teilweise
CXLDC
selbst besaß (näheres s. Goldstaub und Wendriner, „Ein
tosco-venezianischer Bestiarius", Halle a. S., Niemeyers
Verlag, 1892). — Nichts deutet darauf hin, aus welchem
Grunde Leonardo diese Arbeit gemacht hat, — die un-
selbständigste und dabei die einzige, die man fertig
nennen kann. Mit ihrem fabelhaften Inhalt, mit ihrer
Anlehnung an die Autorität scheint sie zwiefach dem
Wesen Leonardos zu widersprechen. Anfangs der neun-
ziger Jahre des Quattrocento hat der kritische Denker
Leonardo freilich noch einen weiten Weg der Entwick-
lung vor sich. Wir haben überhaupt ein paar Fragmente,
ganz wenige Stellen, die in Hinsicht auf das, was Leo-
nardo, und war es nur als Jüngling, zu glauben ver-
mochte, verblüffend wirken. Wie denn nicht! Was
gleichzeitige Reisende als Augenzeugen von fernen Län-
dern und Dingen zu berichten wußten, war nicht viel
minder wunderbar als die Geschichten vom Tiger und
vom Phönix, und jeder schwor auf ihre Worte. Das
phantastische Element, das Bizarre dieser „Naturge-
schichte" entsprach völlig einer Seite der damaligen
Zeit, einer Seite in Leonardos Genie, ganz wie der Hang
zur Symbolik: je seltsamer, desto besser; man lese nur die
von ihm damals ersonnenen Devisen und Allegorien, Texte
zu seinen Entwürfen und Zeichnungen. Ich glaube, daß
wir uns hüten müssen, Leonardo modern zu rationali-
sieren, und dagegen ist sein Tierbuch so gut wie eine
Warnungstafel. Halten wir uns nur vor Augen: Leonardo
kommt zu uns; wir kommen niemals völlig zu Leonardo.
Die Vergangenheit ist tot; es ist umsonst, sich heute
vorstellen zu wollen, wie jenen in Moder zerfallenen
Hirnen und Herzen einst zumute war.
Das ist die große melancholische Lehre, die man aus
jedem unbefangenen Studium verflossener Zeiten und
Dinge schöpft. Verstehen wir etwa einen vollen Re-
naissancemenschen in seiner Mischung von Ungeheuer-
lichem und Zartestem je! Wir machen im besten Fall
GL
einen dekadenten Sataniker aus ihm. Begreifen wir, was
ihn schon erschreckte oder was ihn noch zu ergötzen ver-
mochte? Sein Kindliches, sein Urderbes? Von beidem
sind Spuren in dem Allergrößten, selbst in einem Leo-
nardo. Sie geben das Helldunkel, das seine Erscheinung
plastisch modelliert. Lomazzo erzählt, Leonardo habe
manchmal Bauern vom Markt mit sich nach Hause ge-
nommen und sie mit Wein und Geschichten bewirtet,
daß sie sich voll und toll lachten: und wenn sie mit
Dank nachher aufgebrochen waren, zeichnete er die gro-
tesken Gesichter aus dem Gedächtnis. Unter seinen
Manuskripten hat er schöne Schwanke, „belle facezie",
aufbewahrt, die er gehört und gesammelt hat, um sie zu
verwerten, — Schwanke, sicherlich, um Bauern lachen
zu machen. Für uns ohne Witz, kaum verständlich, im
Deutschen nicht wiederzugeben, hat zu Leonardos Zeiten
Bandello dergleichen und Schlimmeres noch im Kreise
der gebildetsten, tugendreichsten, zartestfühlenden Frau
der Renaissance erzählt, zu Mantua, im Studio der schö-
nen Markgräfin Isabella Gonzaga, Prinzessin von Este.
Und es plätscherten draußen die Springbrunnen lieblich
dazu, von allen Wänden blickte die süße Poesie der Peru-
gino und Mantegna, und ernst und groß stand in einer Ecke
der Marmorcupido des jungen Buonarroti, ein Geschenk
des Cesare Borgia, Herzogs der Romagna. Auch Leo-
nardo verstand es, Prinzen und Prinzessinnen zu be-
zaubern. Noch ein halbes Jahrhundert erzählte man in
Florenz und Mailand vom verführerischen Glänze seines
Wesens. Er war ein Improvisator sondergleichen und
hatte den guten Geschmack, Improvisationen nicht auf-
zuschreiben. Seine besten Verse, Lieder hat er uns ge-
malt und gezeichnet hinterlassen. Doch seine Fabeln,
die Bruchstücke von Erzählungen, mit ihrer so modernen
Mischung von wissenschaftlicher Exaktheit und dichteri-
schem Flug geben uns schon einen Begriff davon, was
er schönen Damen zu erzählen pflegte, während er sie
GLI
konterfeite, damit er nicht die gelangweilte Trauer ihrer
Züge verewigen müsse. Die novellistischen Bruchstücke,
Fabeln, Schilderungen, — alles, was uns Leonardo auf-
gezeichnet vererbte, hat so deutlich den Sprechton, daß
die Sage entstehen konnte, es hätte als Unterlage ge-
dient für die Vorträge, welche Leonardo in seiner mai'
ländischen Akademie gehalten — einer Akademie, in
Parenthese, die nie existiert hat, außer im Kopf einiger
superkluger Herren und als Inschrift auf einigen kunst-
voll verschlungenen Ornamenten. Leonardos Schriften
sind aber allerdings fürs Sprechen gedacht, für das Ohr
bestimmt, dem die Betonung, dem die Pausen manches
gliedern und gruppieren; für die Rede mit dem langen
Atem jener Zeit gedacht, die gestattet hat, über Verstöße
gegen die Syntax hinwegzuschlüpfen und sie durch aus-
gleichende Verstöße wieder zuzudecken: ein wildblühen-
der Sprechstil, wie er in jedem Frühalter und im Mund
des Volkes allzeit wunderbar gedeiht. Diesen Stil ohne
grammatikalische Schulung warfen ihm die Pedanten zu
Florenz und Mailand wohl vor, gegen die er sich so oft
und so stolz zu verteidigen gewußt.
Eine höchst merkwürdige Produktion sind die „Prophe-
zeiungen" Leonardos. Was wir von ihnen datieren kön-
nen, ist 1497 zusammengestellt, also gerade zur Zeit,
wo Savonarola in Florenz und bis nach Frankreich hin-
über als Prophet galt. Ich stelle zusammen; ich mache
keine Theorie daraus. Ich meine nur, daß Leonardo dem
Manne gegenüber, der die Welt in ein nicht heiteres
Kloster verwandeln wollte, kaum anders empfinden mußte
als ein paar Jahrhunderte später Goethe, der ihn ein fratzen-
haftes, phantastisches Ungeheuer und einen unreinen
Enthusiasten nannte: nur war Leonardo noch ganz anders
als Goethe gewöhnt, die schlimmsten Greuel unter dem
Gesichtswinkel der Ewigkeit zu sehen und als geheimnis-
voll Notwendiges in Ergebung gutzuheißen. Er nahm die
Savonarola-Maske vor; was er unter ihr sagte, während er
CLII
mit Rätseln zu spielen und den Erast zu verspotten schien,
war so wie mit blühenden Zweigen blutige Striemen in den
Leib der Zeit zu reißen. Alles Mönchswesen war Leonardo
herzlich zuwider; doch spottete er voltairianisch, als Welt-
mann darüber, der um kein Schloß auf Erden gegen die
Predigt predigen möchte. Uns Modernen scheint er Luther
vorzufühlen. Er ging weit über ihn hinaus. Er hatte mit
dogmatischer Religion längst nichts mehr zu tun. Also
ungläubig? Was man so nennt. Und tief fromm dabei.
Voll ehrfürchtiger Schauer gegenüber den Wundern der
Natur, welche die ihr innewohnenden Gesetze nicht zer-
brechen, sondern nur enthüllen. Mit der Erkenntnis, daß
die Natur, wie Prof. Arturo Farinelli in seinem Aufsatz
„Sentimento e concetto della natura in Leon, da V."
(s. Miscellanea di studi critici, edita in onore di Arturo
Graf, Bergamo, 1903) so schön sagt, non vuole e non
disvuole, ma ha tutte prestabilite le necessità causale e
quelle segue e quelle impone — die weder will, noch
„verwill", sondern alle ursächlichen Notwendigkeiten in
sich vorbestimmt trägt und diese befolgt und diese auf-
erlegt. Ein Forscher, dessen Forschung Gottesdienst;
denn wahrhaftig, sagt er in dem Trattato della pittura, „die
große Liebe wird aus der großen Erkenntnis des Gegen-
standes geboren, den du liebst, und wenn du ihn nicht
kennst, wirst du ihn wenig oder gar nicht lieben können;
und liebst du ihn nur um des Guten willen, das du dir
von ihm erwartest, und nicht wegen der Summe seiner
Tugend, so tust du wie der Hund, der den Schweif be-
wegt und mit Festlichkeit sich aufrichtet zu dem, so ihm
einen Knochen zu geben vermöchte; aber kennte er die
Tugend solchen Mannes, er liebte ihn weit mehr, wenn
solche Kraft in seinem Bereiche läge." Erkennen und
Lieben, das sind die beiden natürlichen Funktionen in
Leonardos Wesen, Erkennen und Lieben als Vorbedin-
gung zum Finden und Schaffen. Eine Natur von solcher
Harmonie in der größten Vielförmigkeit hat die Erde nicht
CLIII
oft hervorgebracht. Es ist keine Gabe in ihm, die nicht
ihr Widerspiel hätte, und stören sie sich, so lähmen sie
sich nicht, seine Gaben, sondern schöpfen Kräfte aus ein-
ander. Ein ungeheurer Verstand, der kritisiert, zerlegt,
zersetzt; eine ungeheure Phantasie, die kombiniert, die
bildet, die erschaut. Ein Herz, das überströmt, das in
einer Zärtlichkeit ohnegleichen das ganze Leben, jede
Kreatur umfaßt; ein Charakter, der zusammenhält, alles
in eine Richtung biegt, in strenger Ökonomie zum Werke
zwingt. So vollkommen und dadurch wie in eine silberne
Rüstung unzugänglich eingeschlossen geht Leonardo durch
seine Zeit. Er ist allem in Liebe verwandt wie der Hei-
lige von Assisi und allem fremd wie der Bote einer ganz
anderen Welt, weil er sich nicht in die niedrige irdische
mischt und mit ihr gar wenig gemein hat. Mit der großen
Sophrosyne, dem heiteren Gleichmaß des äußeren Wesens,
die das Merkzeichen der höchsten Überlegenheit des Men-
schenadels ist, gilt er auch heute noch für gleichgültig
kühl, wie Goethe. Napoleon hatte diesen anders erkannt.
„C'est un homme qui a eu de grands chagrins", sagte
er von ihm. Das wundervolle Selbstbildnis Leonardos
erzählt das Gleiche. „Dig but deep enough, and under
all earth runs water and under all life runs grief." Wenn
es nicht Leonardos eigene Worte verraten haben: „wo
das größte Gefühl, ist das größte Märtyrertum". Das
Märtyrertum des eigenen, wahrhaftig größten Gefühls hat
den Mann, der an der Seite eines Borgia einst unbewegt
durch Blut und Greuel ging, schließlich fast zu einem
Buddhisten gemacht, dem alles Leben heilig war, bis zur
Enthaltung vom Fleischgenuß, damit um seinetwillen nicht
die geringste Kreatur Schmerz und Tod erleiden müsse.
Und in dem, der gesagt: „wer das Leben nicht zu schätzen
weiß, verdient es nicht", liegt hart daneben die tiefe Sehn-
sucht nach Ruhe, die Todessehnsucht. „Nacht" nennt
er den Spruch: „so wie ein gut verbrachtes Tagewerk
ein gutes Schlafen gibt, so gibt ein wohl angewandtes
CLIV
(Dasein) einen heiteren Tod". Und: „Jeder Teil hat
Neigung, sich mit seinem Ganzen wieder zu vereinigen,
um der Unvollkommenheit zu entfliehen . . . Nun sieh,
die Hoffnung und der Wunsch, wieder in seine Heimat
zurückzukehren, macht es wie der Schmetterling mit dem
Licht ..."
Solche Worte heben den letzten Schleier von Leonardos
Wesen. Der große Positivist war im tiefsten Grund sei-
ner schönheitsdurstigen Seele ein pantheistischer Mystiker.
"YY/er sich die Mühe genommen, vorstehende Seiten durch-
^ zulesen, wird schon ahnen, welche unermeßlichen
Schwierigkeiten das Verständnis, die Auslese, die Über-
setzung der Sachen des großen Meisters bieten. Ich zog
vor Jahren aus, urteilslos wie ein Kind, um mit der Nuß-
schale meines Könnens und Wissens ein Meer auszu-
schöpfen, und wie das beim Wasser ist: ich wurde nicht
Herr darüber, es wurde Herr über mich und ließ mich
nicht los. Was ich vom kostbaren Naß in meiner Schale
gesammelt habe, biete ich dem Leser nun zum zweiten-
mal, ob es ihm munde. Für mich blinken alle Schätze
der Welt darin.
So vieles mußte ich beiseite lassen. Ich konnte keinen
Begriff geben von der impulsiven Unmittelbarkeit dieser wie
persönlichen Ergüsse Leonardos, die dabei nichts sind als
die Formulierung einer physikalischen Wahrheit, die Be-
rechnung von Kegelschnitten, der Aufriß eines Zwanzig-
flaches; daneben steht aber: „falsch! nicht richtig! ge-
irrt!" oder „das ist ein schöner Zweifel und würdig, be-
trachtet zu werden!" oder so liebenswürdig froh: „Sag
mir, ob je etwas gemacht wurde ..." „Körper, hervor-
gegangen aus der Perspektive des Leonardo da Vinci,
Schülers der Wissenschaft."
Die Übersetzung ist weder elegant, noch ist sie sehr gut
deutsch; sie ist nur ganz getreu. Es wäre sehr leicht
CLV
gewesen, sie anders zu machen, viel bequemer für mich,
viel angenehmer für den Leser; ich meinte aber, Leo-
nardo wiedergeben zu müssen, nicht ihn irgendwie ver-
bessern zu dürfen. Wo er unklar ist, steht er unklar da:
meine Deutung wäre vielleicht eine Fälschung geworden. Ich
habe die Texte behandelt, wie man Dokumente behandelt;
jedes Umstellen eines Wortes konnte den Sinn verdunkeln.
Ich wollte mich nicht unter das Gesetz der Grammatik
stellen und Leonardo verwischen. So opferte ich wohl ein
Stück Klarheit, leichte Lesbarkeit, — denn die Grammatik
ist ja nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, —
doch ich gewann, glaube ich, ohne altertümliche Worte
aufzusuchen, einen altertümlich gebräunten Ton der
Sprache, die naive Umständlichkeit, die treuherzige Kind-
lichkeit und mit kecker Unbekümmertheit auch etwas von
der schönen Bildlichkeit zurück, — ein Stück von dem,
was ich um jeden Preis bewahren wollte. In meinen
schweren Gewissensnöten hat es mich oft beruhigt, daß
Paul Ernst in seiner meisterhaften Übersetzung altitalieni-
scher Novellen ebenso verfahren und daß ich Ähnliches
ja schon mit J. P. Jacobsen gewagt.
Zum Schluß möchte ich der hohen Direktion der k. k.
Hofbibliothek in Wien meine warme Dankbarkeit aus-
sprechen, daß sie mir das so kostbare Material für meine
schwierige Arbeit jahrelang in großdenkender Weise zur Ver-
fügung gestellt; ich möchte den Herren danken, die für mich
sich so viel Mühe gegeben, speziell den Herren Dr. Oth-
mar Doublier, Dr. Friedrich Egger von Möllwald,
Dr. Franz Schöchtner, den Herren Dr. Doernhöffer,
Dr. Egger, Dr. Weixelgaertner und schließlich Dr. Beer,
die mir alle in der Bibliothek und in der Kupferstich-
sammlung des allerhöchsten Kaiserhauses aufs liebens-
würdigste beigestanden haben und entgegengekommen
sind.
September 1906
MARIE HERZFELD
CLVI
ZUM VERSTÄNDNIS DER ABKÜRZUNGEN,
SIGNATUREN UND ZEICHEN
Die Aufzeichnungen Leonardos, welche in dieser Sammlung
zusammengestellt sind, wurden folgenden Publikationen ent-
nommen:
1. der schönen, musterhaft angeordneten Ausgabe der Manu-
skripte in 6 Foliobänden, welche die Bibliothek des Institut
de France in Paris besitzt (Les manuscrits de Léonard de Vinci,
publies en fac-similés phototypiques, avec transcriptions littérales
etc. par M. Charles Ravaisson-Mollien, Paris, Maison Quantin,
1881 — 1891). Die einzelnen Manuskripte tragen die Signaturen:
A., B., C, D., E., F., G., H. (I, II, III), I., K., L., M.; dazu die zwei aus
dem Besitz der Lords Ashburnham stammenden Handschriften,
welche man mit Ash. I, Ash. II bezeichnet.
2. der großen Prachtausgabe des Codex atlanticus der Am-
brosianischen Bibliothek (II codice atlantico di Leonardo da
Vinci nella Biblioteca Ambrosiana di Milano, riprodotto e pub-
blicato dalla Regia Accademia dei Lincei etc. Trascrizione diplo-
matica e critica di Giovanni Piumati. Ulrico Hoepli, Milano
1894 — 1903). Man bezeichnet diesen Codex mit CA.
3. dem Codex des Hauses Trivulzio (II Codice di L. d. V. nella
Biblioteca del Principe Trivulzio in Milano. Trascritto ed anno-
tato da Luca Beltrami etc. Milano 1891, Fratelli Dumolard).
Signatur Ms. Tr.
4. dem höchst verdienstvollen zweibändigen Werke von J. P.
Richter (Literary works of L. d. V. compiled and edited from the
original manuscripts by Jean Paul Richter etc. in two volumes
etc. London, Simpson Low, Matson, Searle & Rivington, 1883).
Dieses Werk, welches auf Subskription erschienen ist, ist uns
auch heute noch äußerst wichtig als Quelle für die Schätze der
englischen Bibliotheken, die leider größtenteils noch der Ver-
öffentlichung harren. Man kann gegen die Auswahl, welche
Richter traf, Einwendungen erheben — keine Auswahl ist ein-
wandfrei; er irrt sich auch manchmal im Lesen und Deuten
der Texte; die Übersetzung der Texte, welche er nicht selbst
gemacht hat, ist sicher in vorzüglichem Englisch, zeigt aber
ungenügende Kenntnis des Italienischen; dennoch wäre es ver-
fehlt, den ungeheuren Wert dieser großen Arbeit zu verkennen
und zu unterschätzen. Aus der Richterschen Transkription vincia-
nischer Texte habe ich entnommen: Stellen
CLVII
a) aus den Heften über Anatomie, welche die kgl. Bibliothek
von Windsor besitzt, Signatur W. An. (III, IV);
b) aus den Mss. des South Kensington Museum in London,
Signatur S. K. M. (I, II);
c) aus dem Ms. des British Museum, Signatur Br. M.;
d) aus dem Ms. der Bibliothek des Lord Leicester in Holkham
Hall, Norfolk, Signatur Leic;
e) aus dem Ms. der Windsor Library, Signatur W. L.;
f) aus dem Ms. der Windsor Library, Signatur Ms. W. P.;
g) aus den Blättern der k. Bibliothek in Turin, Signatur
Ms. Tur;
h) aus den Blättern der Oxforder Bibliothek, Signatur Ms. Ox.
4. aus der prachtvollen Publikation, die der Munificenz des
Russen Theodor Sabaschnikoff zu danken ist und für die er sich
die ausgezeichnete Mitarbeiterschaft der Herren Giovanni Piumati
und Charles Ravaisson-Molllen gesichert hat. Erschienen sind
bisher:
a) Codice sul volo degli uccelli e varie altri materie pubbli-
cato da Teodoro Sabachnikoff. Trascrizioni e note di Giovanni
Piumati, traduzione in lingua francese di Carlo Ravaisson-
Mollien. Facsimili di Angerer & Göschl, Vienna. Editore:
Edcuard Rouveyre, Parigi, 1893. Signatur: Ms. V. U.
b) I Manoscritti di Leonardo da Vinci della Reale Biblioteca
di Windsor: Dell' Anatomia, Fogli A. Pubblicati di Teodoro
Sabachnikoff, trascritti e annotati di Giovanni Piumati, con
traduzione in lingua francese di Carlo Ravaisson-Mollien. Prece-
duti di uno studio di Mathias-Duval, Parigi, Ed. Rouveyre, 1898;
Signatur: SP., Ms. W. An. A.
e) I Manoscritti di Leonardo da Vinci, della Reale Biblioteca
di Windsor: Dell' Anatomia, Fogli B, Pubblicati di Teodoro
Sabachnikoff, trascritti e annotati di Giov. Piumati, con tra-
duzione in francese di Carlo Ravaisson-Mollien; Torino-Roma,
Roux & Viarengo, Editori, 1901. Signatur: SP., Ms. W. An. B.
Außer dieser unvollendeten Ausgabe der englischen Mss., die
eine vom k. englischen Herrscherhause gestattete ist, gibt es
jetzt eine zweite, unerlaubte und auch sonst nicht einwandfreie
Facsimile-Reproduktion der Mss. von Windsor und jener des British
(South Kensington) Museum mit unentzifferten Texten —
erstere in 22 Bd., letztere auch in vielen Bänden, v. Ed. Rouveyre,
Paris 1901 herausgegeben. Ich habe sie nur teilweise sehen und
benützen können.
Um also die Signaturen recht zu verstehen:
Bezeichnung: Ms. CA. Fol. 12r. bedeutet, daß die betreffende
CLVIII
Stelle im Codex atlanticus, Blatt 12 recto zu finden ist; die
Signatur: R. 1194, Ms. S. K. M. Fol. 14v., daß die Stelle in
Richters Ausgabe, § 1194 steht und aus dem Ms. des South
Kensington Museums, Folioseite 14 verso entnommen ist.
Eine eckige Klammer im Text [ ] enthält Stellen, die Leonardo
durchgestrichen hat, die aber zur Aufhellung seiner Idee oder
als Beitrag zu seiner Biographie reproduziert werden.
Die runde Klammer ( ) enthält Beifügungen und Aufklärungen
von mir selbst.
^^^S:;;^^?^ ACHDEM ICH SEHE, DASS ICH KEINE
I ]XT[ i MATERIE VON GROSSER NÜTZLICH-
I Fx! I KEIT ODER WOHLGEFÄLLIGKEIT ER-
mi^^^ GREIFEN KANN, WEIL DIE MENSCHEN,
SO VOR MIR GEBOREN SIND, ALLE NÜTZLICHEN
UND NOTWENDIGEN GEGENSTÄNDE FÜR SICH
GENOMMEN HABEN, WERDE ICH ES MACHEN
WIE JENER, DER AUS ARMUT ALS LETZTER AUF
DEN JAHRMARKT KOMMT UND NICHT IMSTANDE,
SICH MIT ANDEREM VORZUSEHEN, ALLE DIE
SACHEN ZUSAMMENRAFFT, DIE SCHON VON DEN
ÜBRIGEN GESEHEN UND NICHT ANGENOMMEN
WORDEN, SONDERN ZURÜCKGEWIESEN WEGEN
IHRES GERINGEN WERTES. ICH, — DIESE GE-
RINGE UND VERSCHMÄHTE WARE, ÜBERBLEIBSEL
VON DEN VIELEN KÄUFERN, WERDE ICH AUF
MEIN SCHWACHES SAUMTIER LEGEN UND MIT
DIESEM, — NICHT DURCH DIE GROSSEN STÄDTE,
SONDERN DURCH DIE ARMEN DÖRFER WERDE
ICH AUSTEILEND GEHEN UND SOLCHEN LOHN
EMPFANGEN, WIE DIE SACHE VERDIENT, SO
VON MIR GEGEBEN WARD. MS. CA. FOL. 119 r.
I. ÜBER DIE WISSENSCHAFT
Theorie und R. 110, MS. BR. M. FOL. 171 r.
Praxis.
ußt zuerst die Theorie beschreiben und hierauf
die Praxis.
S{^
M
'i
M
Fährerschaft, H. MS. J. FOL. 130 f.
die dem Wissen
gebührt. Qjg Wissenschaft ist der Kapitän, die Praxis, das sind
Soldaten.
Es glaube der \\\
Künstler nicht.
entbehren zu
können.
MS. G. FOL. 8 r.
der Wissenschaft Vom Irrtum jener, so die Praxis ohne Wissen-
Schaft anwenden
Jene, die sich in die Praxis ohne Wissenschaft verlieben,
sind wie der Pilot, so ein Schiff ohne Steuer noch Kom-
paß betritt: welcher dann nie Sicherheit besitzt, wohin
es geht.
Immer muß die Praxis auf die gute Theorie gebaut sein,
zu der die Perspektive Führerin und Pforte ist, und ohne
sie macht man nichts gut in den Vorfällen der Malerei.
Unterschied zwi-
schenTheorie und
Praxis ; Gefahr
des reinen Theo-
retisierens.
IV. MS. CA. FOL. 93 v.
Wo die Wissenschaft der Gewichte durch die
Praxis betrogen ist
Die Wissenschaft von den Gewichten wird durch ihre
Praxis betrogen und in vielen Teilen ist diese nicht im
Einklang mit selbiger Wissenschaft, noch ist es möglich,
sie zusammenzustimmen, und dies wird von den Polen
der Wage hervorgebracht, vermittelst derer man aus
solchen Gewichten Wissenschaft zieht, welche Pole bei
den antiken Philosophen als Pole von der Natur der
mathematischen Linie angenommen wurden, und manchen-
orts als mathematische Punkte, welche Punkte und Linien
unkörperlich sind: und die Praxis setzt sie als körperlich,
weil Notwendigkeit es so befiehlt, sollen sie das Gewicht
selbiger Wage stützen, zugleich mit den Gewichten, die auf
ihn beurteilt werden.
Ich habe gefunden, daß selbige Alten sich in Beurteilung
der Gewichte geirrt haben, und dieser Irrtum wurde dar-
aus geboren, daß sie in einem großen Teil ihrer Wissen-
schaft körperliche Pole anwenden und in einem großen
Teil wieder mathematische Pole, das heißt geistige (ge-
dachte) oder besser unkörperliche.
V.
R. 1169, MS. S. K. M. III. FOL. 36 V. Nicht Worte, son-
' dern Tatsachen !
Fliehe jenes Studium, dessen erzieltes Werk mit dem ^'^Zfnef.''^'"
stirbt, durch das es gewirkt ward.
VL
MS. G. FOL. 96 v.
Keine Gewißheit dort, wo man nicht eine der mathema-
tischen Wissenschaften anzuwenden vermag, oder bei dem,
was nicht mit dieser Mathematik verbunden werden kann.
Nur in der Ma-
thematik ist
Sicherheit.
VII.
Mich lese, wer nicht Mathematiker ist, in meinen Grund
Zügen nicht.
R. 3, MS. W. AN. IV. FOL. 163 V. Die Mathematik
Grundlage aller
wahren Wissen-
schaft.
VIIL
MS. A. FOL. 31 r.
Alle Wissen-
schaft muß auf
Ich erinnere dich, daß du deine Behauptungen und daß ^'^gS^et sein''
du das obenan Geschriebene durch Beispiele erhärtest,
und nicht durch Behauptungen, was zu einfach wäre, und
du wirst also sagen: Experiment.
IX. MS. H. II. FOL. 90 r
Erinnere dich, wenn du das Wasser erklärst
Experiment anzuführen und hierauf die Ursache.
Man lernt und
überzeugt durch
erst das Beobachtung und
Versach.
1»
Das Experiment: X. MS. CA. FOL. 86 f.
ein planmäßiges
Nachahmen des Das Experiment, Dolmetsch zwischen der kunstreichen
Vorgehens der
Natur, um die Natur und der menschlichen Spezies, lehrt uns, was schon
z^ammfnMnge selbigc Natur unter den Sterblichen anwendet, daß man, von
Til'wus'enslhaft ^^^ Notwendigkeit gezwungen, nicht anders wirken könne,
bilden. ^jg ^jg (jjg Vernunft, ihr Steuer, sie zu wirken lehrt.
Aus der Unter- XL MS. E. FOL. 55 f.
suchang der Wir-
d^eUrsa^hln er- ^^^ einer Definition über die zusammengesetzte Wage).
kennen. . . . Aber crst Werde ich einige Versuche machen, ehe
ich weiter vorgehe, weil meine Absicht ist, zuerst das
Experiment vorzubringen, und dann mit der Ursache zu
zeigen, weshalb selbiges Experiment gezwungen ist, in
solcher Weise zu wirken. Und dieses ist die wahre Regel,
wie die Erforscher der Wirkungen der Natur vorgehen
müssen, und wenngleich die Natur mit der Ursache be-
ginnt und mit dem Experiment endet, wir müssen ent-
gegengesetzten Weg verfolgen, d. h. beginnen, wie ich
oben sagte, mit dem Experiment und mit diesem die Ur-
sache untersuchen.
Erst aus einer XU. MS. A. FOL. 47 f.
Reihe von Ex-
^^mar^üchJ'rT ' ' ' ^^^ ^^ ^"^ diescm Fall eine allgemeine Regel machst.
Schlösse ziehen, versuche ihn zwei- bis dreimal und sieh zu, ob die Experi-
mente auch die gleichen Wirkungen hervorbringen.
Nicht die Er- XIIL MS. CA. FOL. 154 r.
fahrung, unser
^'^^^\J^'^'=^^ Das Experiment irrt nie, sondern es irren nur eure
Urteile, die sich von jener eine Wirkung versprechen,
die in unseren Erfahrungen nicht begründet ist. Denn,
ein Anfang erst gegeben, ist es notwendig, daß jenes,
was hierauf kommt, die wahre Folge solchen Anfanges
sei, wenn es nicht eher schon (gestört und) behindert
wurde; und wenn auch eine Behinderung da war, — die
Wirkung, welche aus vorbesagtem Anfang hervorgehen
sollte, nimmt um so viel mehr oder weniger an genannter
uns.
Behinderung teil, als selbige mehr oder etwa weniger
machtvoll ist als der schon erwähnte Anfang.
Die Erfahrung irrt nicht, doch es irren bloß unsere Ur-
teile, von ihr sich Dinge versprechend, die nicht in ihrer
Macht sind. Mit Unrecht beklagen sich die Menschen
über die Erfahrung, welche sie mit höchsten Vorwürfen
beschuldigen, trügerisch zu sein. Aber lasset selbige
Erfahrung nur stehen und kehret solche Lamentation
wider eure Unwissenheit, welche euch dazu übereilen
läßt, mit euern eiteln und törichten Wünschen euch von
jener Dinge zu versprechen, die in ihrer Macht nicht
sind, sagend, sie sei trügerisch.
Mit Unrecht beklagen sich die Menschen über die un-
schuldige Erfahrung, diese häufig falscher und lügenhafter
Demonstrationen beschuldigend.
XIV. MS. F. FOL. 23 r.
Um einen Kanal auszutiefen: mache dies im Buch
„Von den Nutzanwendungen", und indem du sie
versuchest, beziehe dich auf die bewiesenen Sätze, und
dieses ist die wahre Ordnung; denn wolltest du jedem
Satz seine Anwendung erst zeigen, müßtest du nun Werk-
zeuge machen, um solche Nützlichkeit zu beweisen, und
so würdest du die Ordnung der vierzig Bücher untereinander
bringen, und ebenso die Ordnung der Abbildungen; das
heißt, du hättest die Praxis mit der Theorie zusammen-
zumischen, was eine verwirrte und ganz zerrissene
Sache wäre.
XV. R. 6, MS. BR. M. FOL. 32 v.
Es ist nicht zu tadeln, wenn innerhalb der Ordnung der
Entwicklung einer Wissenschaft irgendeine allgemeine
Regel gezeigt wird, die aus einem vorhergegangenen
Schluß geboren ist.
XVL MS. CA. FOL. 147 v.
Keine Wirkung ist in der Natur ohne Ursache; begreife
die Ursache, und du brauchst kein Experiment.
Wie in der Ma-
thematik, maß
man in allen
Wissenschaften
vom Bekannten
zum Unbekann-
ten aufsteigen.
Außer der ex-
perimentalen
Methode ist auch
die logische Be-
weisführung zu-
lässig.
Das Experiment
nur ein Hilfs-
mittel der Er-
kenntnis.
die wahre Wissenschaft von der
MS. E. FOL. 54 r.
Bewegung der
Alles wahre
Wissen lehrt uns,
die Grenzen anse-
res Geistes zu
erkennen und
nichts Unmög-
liches zu fordern.
Man muß immer XVII.
trachten, zu den
letzten Ursachen Uni
aufzusteigen, -,»..<• i t « . • ,.
will man sein Vogel in der Luft ZU geben, ist es notwendig, erst die
'"^nl^n. ^ Wissenschaft der Winde zu geben, die wir vermittelst der
Bewegungen des Wassers in sich selbst erweisen werden,
und diese selbige vernünftige Wissenschaft wird aus sich
eine Leiter machen, um auf ihr zur Kenntnis der Flieger
innerhalb der Luft und des Windes zu gelangen.
XVm. MS. CA. FOL. 1 19 r.
.... Diese Regeln sind Ursache, dich das Wahre vom
Falschen unterscheiden zu machen, welche Sache wieder
macht, daß die Menschen sich nur die möglichen Dinge
versprechen und mit mehr Mäßigkeit, und daß du dich
nicht in Unwissenheit verschleierst, was zur Folge hätte,
daß du keine Wirkung erzieltest und mit Verzweiflung
dich der Melancholie ergeben müßtest.
XIX. MS. M. FOL. 58 v.
Die Wahrheit war immer nur die Tochter der Zeit.
XX. MS. G. FOL. 47 r.
O du Erforscher der Dinge, rühme dich nicht, die Dinge
zu kennen, welche die Natur ordnungsgemäß durch sich
selber führt. Aber freue dich, Zweck und Ende der
Dinge zu wissen, die von deinem eigenen Geist ent-
worfen sind.
Die Erkenntnis
des Wahren ist
ein Werk der
Jahrtausende.
Man entreißt der
Natur nicht alle
Geheimnisse.
Wert der Kennt- XXI
nisse für Charak-
ter und Urteil
MS. CA. FOL. 223 r.
Die Erwerbung jeder Kenntnis ist immer nützlich für
den Intellekt, weil er aus sich die nutzlosen Dinge wird
hinausjagen können und die guten zurückbehalten. Weil
man keine Sache lieben kann noch hassen, wenn man
nicht erst Erkenntnis von ihr hat.
Gegen die,welche XXIL R. 1210, MS. W. AN. III, FOL. 241 T. UND V.
Auszüge aus den
Büchern machen Die Verkürzer der Werke tun der Kenntnis und der
und zusammen-
hängende Dar- Liebe Schaden, nachdem die Liebe zu welchem Gegen-
6
stand immer die Tochter selbiger Kenntnis ist; die Liebe ffi'""^ ""'^ '*.*•
° ' leitende Beweis-
ist um SO inniger, je sicherer die Kenntnis ist, welche fuhrang für aber.
_. , , . , . , yr • ,, . ^ . flüssig halten.
Sicherheit aus der integralen Kenntnis all jener Teile
entsteht, die miteinander vereinigt das Ganze der Dinge
bilden, die geliebt werden sollen; wozu taugt also jenem,
der, um die Teile jener Sachen abzukürzen, von denen
eine erschöpfende Nachricht zu geben er sich zum Hand-
werk macht, daß er den größeren Teil der Sachen zurück-
läßt, aus welchen das Ganze zusammengesetzt ist? Es
ist wahr, daß die Ungeduld, Mutter der Torheit, jene ist,
so die Kürze lobt: als ob diese selbigen nicht so viel
Leben noch übrig hätten, damit es ihnen diene, die völlige
Nachricht von einem einzigen solchen Detail erwerben zu
können, wie ein menschlicher Körper es ist. Und nach-
her wollen sie den Geist Gottes umfassen, in dem das
Weltall eingeschlossen ist, indem sie ihn auf Karate wägen
und in unendliche Teilchen zerstückeln, als hätten sie
ihn zu anatomisieren.
O menschliche Dummheit, nimmst du, die du dein ganzes
Leben mit dir selbst verbracht hast, nicht dich selber
wahr und hast nicht Kunde von dem, was du am meisten
besitzest, von deiner Narrheit nämlich? Und willst dann
mit der Mehrheit der Sophistischen dich betrügen und
andere, verachtend die mathematischen Wissenschaften,
in denen die Wahrheit wohnt und alle Kenntnis von den
Dingen, die in ihnen enthalten sind. Und willst dann zu
den Wundern davonlaufen und schreiben, daß du Kunde
habest von den Dingen, deren der menschliche Geist nicht
fähig ist und die sich durch kein Beispiel aus der Natur
nachweisen lassen, und du glaubst Wunder getan zu haben,
wenn du das Werk irgendeines spekulativen Ingeniums
zerstörst hast, und bemerkest nicht, daß du in den gleichen
Irrtum verfällst, wie jener, der den Baum des Schmuckes
seiner Zweige entblößt, die voll Laubes sind, untermischt
mit duftenden Blüten und Blättern . . . wie Justinus tat,
Abbreviatur der Geschichten, die Trogus Pompejus schrieb,
der schmuckvoll alle die ausgezeichneten Taten der Alten
beschrieb; und so komponierte er eine ganz nackte Sache,
doch allein würdig der ungeduldigen Geister, denen es
scheint, als verlören sie so viel von ihrer Zeit, als jene
ist, die sie nützlich verwenden, nämlich zum Studium der
Werke der Natur und der menschlichen Dinge. Aber
mögen diese selbigen nur in Gesellschaft des Viehes
bleiben. Unter ihren Gesellen seien Hunde und andere
Tiere, des Raubes voll, und die mögen sie begleiten
und hinter ihnen einherlaufen . . . und mögen auch die
unschuldigen Tiere ihnen folgen, die mit ihrem Hunger
in den Zeiten der großen Schneefälle dir vor das Haus
kommen und als von ihrem Vormund von dir Almosen
erbitten.
Gegen die Ver- XXIII
ächter der
strengen Wissen
Schaft.
R. 1157, MS. W. AN. III, FOL. 241 r.
Wer die höchste Weisheit der Mathematik tadelt, nährt
sich von Verwirrung und wird niemals Schweigen auf-
erlegen den Widersprüchen der sophistischen Wissen-
schaften, durch die man nur ein ewiges Geschrei erlernt.
Leonardo der XXIV. MS. CA. FOL. 1 19 T.
Forscher gegen Ich Weiß wohl, daß einigen Anmaßenden, weil ich nicht
fén and^efngebü- gelehrt bin, es scheinen wird, mich vernünftigerweise
^^^^nisten!^'^' tadeln zu können, darauf hinweisend, ich sei ein Mann
ohne literarische Bildung. Törichte Leute! Nicht weiß
dergleichen, daß, so wie Marius den römischen Patriziern
erwiderte, auch ich erwidern könnte, sagend: „Jene,
so mit anderer Mühen sich selber zierlich machen, die
meinigen wollen sie mir selber nicht zugestehen?" —
Sie werden sagen, weil ich ohne Literatur bin, würde ich
nicht gut das sagen können, wovon ich handeln will. Nun
wissen jene nicht, daß meine Sachen mehr als mit den
Worten anderer durch Erfahrung zu behandeln sind,
welche Lehrmeisterin jener war, so gut schrieben, und
ebenso nehme ich sie mir zur Meisterin, und auf sie werde
ich mich in allen Fällen berufen.
8
XXV. MS. CA. FOL. 117 r. Gegen gewisse
Wenngleich ich nicht, wie sie, die Autoren anzuführen
wüßte, viel größere und viel würdigere Sache zu lesen
ist das Anführen der Erfahrung, Meisterin ihrer Meister.
Jene Leute gehen aufgebläht und pomphaft herum, ge-
kleidet und geschmückt nicht mit den eigenen, sondern
mit anderer Mühen, und mir selbst gestehen sie nicht
die meinigen zu; und wenn sie mich Erfinder verachten,
um wieviel mehr werden sie, nicht Erfinder, sondern
Trompeten und Rezitatoren der Werke anderer, können
getadelt werden.
XXVI. MS. CA. FOL. 76 r. Gegen die Bach-
gelehrten , die
Wer disputiert und sich auf Autorität beruft, verwendet Scholastiker und
sonstigen un-
nicht seinen Geist, sondern eher sein Gedächtnis. freien Geister.
XXVIL MS. CA. FOL. 76 r. Geistige Gaben
sind höher zu
Die guten Wissenschaften sind emem guten Naturell schätzen ais
entsprungen; und weil man mehr die Ursache als die
Wirkung loben muß, wirst du mehr ein gutes Naturell
ohne Gelehrsamkeit loben, als einen guten Gelehrten
ohne Naturell.
XXVIIL MS. CA. FOL. 117 r. Gegen die Ober-
es müssen beurteilt werden und nicht anders geachtet Buchgeiehrten
die Männer, Erfinder und Vermittler zwischen der Natur Schätzung '^Zl
und den Menschen, im Vergleich zu den Rezitatoren und Nat^a^'^und dZ
Posaunen der Werke anderer, als wie der Gegenstand Erfinders.
außerhalb des Spiegels, der es weit hat zu dem Abbild
dieses Gegenstandes, so im Spiegel erscheint; weil der
eine schon für sich etwas ist, und der andere ist nichts.
Leute, wenig verpflichtet der Natur, weil sie nur zufällig
Bekleidung haben und ohne welches du sie den Herden
des Viehes gesellen könntest.
XXIX. MS. F. FOL. 27 V. Gegen das
Schmarotzertum
. Von den fünf regelmäßigen Körpern. jener, die vom
Gegen einige Kommentatoren, welche die alten Erfinder Geiste^ifbenT
tadeln, von denen die Grammatik und die Wissenschaften
zur Welt gebracht worden, und die sich zu Rittern gegen
die toten Erfinder machen, und warum sie selbst wegen
ihrer Faulheit nicht drauf verfallen sind, Erfinder aus
sich selbst zu machen, und wie sie sich mit so viel
Büchern nur abgeben, um mit falschen Argumenten ihre
Meister zu schelten . . .
Wer seine Augen XXX. MS. CA. FOL. 91 V.
aerNatuTunader
Erkenntnis ver- Deu Ehrgeiziecn, die sich nicht begnügen mit der Wohl-
schließt, schadet , , °, , . , ^ , . , . , ^r , •
sich selbst. tat des Lebens, noch mit der Schönheit der Welt, ist es
zur Buße gegeben, daß sie selbst dies Leben zerreißen
und daß sie Nützlichkeit und Schönheit der Welt nicht
besitzen.
VonderWahrheit. XXXI. SP., MS. V. U. FOL. 12 f.
Es ist von solcher Verächtlichkeit die Lüge, daß, wenn
sie von Gott selber große Dinge sagte, sie seiner Gött-
lichkeit die Gnade raubte, und es ist von solcher Für-
trefflichkeit die Wahrheit, daß, wenn sie ganz geringe
Dinge lobt, dieselbigen edel werden.
Ohne Zweifel, solcher Abstand ist zwischen der Wahr-
heit und der Lüge, wie er vom Licht zur Finsternis ist,
und es ist die Wahrheit an sich von solcher Vorzüglich-
keit, daß sogar, wenn sie sich über bescheidene und
niedrige Materien verbreitet, sie ohne Vergleich die Un-
gewißheiten und Lügen übertrifft, die sich über die groß-
artigen und erhabensten Gegenstände auslassen, weil,
besäße unser Geist auch die Lüge zum fünften Element,
es dennoch nicht hintanbleibt, daß die Wahrheit der Dinge
die höchste Nahrung der feinen Intellekte, aber nicht der
schweifenden Ingenien ist.
(Randnote). Aber du, so du von Träumen lebst, dir
gefallen besser die sophistischen Gründe und die Spitz-
bübereien von Ballaufbläsern in grandiosen und unge-
wissen Sachen, als sichere, natürliche, und nicht von
solcher Höhe.
10
XXXII. MS. CA. FOL. 79 r. ^ir müssen uns
«FT • »-.< . 1. -^ r> . . an die Erschei-
was ein Element sei; die Definition gar keiner Wesen- nang halten.
heit der Elemente ist in der Macht des Menschen; aber
ein großer Teil ihrer Wirkungen ist bekannt.
XXXIII. MS. J. FOL. 18 r. Die Natur ist tie-
Tx« »T • tt t it TT f^'' **'* unsere
Die Natur ist voll zahlloser Ursachen, die niemals in Erfahrung.
die Erfahrung traten. (La natura è piena d'infinite ragioni
che non furono mai in isperienza.)
II. VON DER NATUR/IHREN
KRÄFTEN UND GESETZEN
Die Notar und
die Notwendig-
keit.
i
<f<w
%
i
D
1
É
MA,
È
Unverbrüchlich-
keit des Natur-
gesetzes.
IL
R. 1135, MS. S. K. M. III, FOL. 49 r.
ie Notwendigkeit ist Meisterin und Vormünderin
der Natur.
Die Notwendigkeit ist der Grundgedanke und
die Erfinderin der Natur, und Zaum für sie
und ewige RegeL
MS. E. FOL. 43 v.
Die Natur bricht ihr Gesetz nicht.
IIL
MS. C. FOL. 23 V.
Vernänftigkeit
^Natu^gesetzet Die Natur ist unter dem Zwang der vernünftigen Ur-
Kausalität und
ihre Wirkung.
Die Natur wählt
immer den kür-
zesten Weg.
AlleVorgängeder
Natur beruhen
auf Bewegung.
Die Bewegung ist
meßbar.
Leben ist Bewe-
gung.
Sache des Gesetzes, das in ihr ausgegossen lebt.
IV. MS. CA. FOL. 169 v.
Wenn irgendeine Sache, Ursache einer andern, durch
ihre Bewegung irgendeine Wirkung hervorbringt, ist es
notwendig, daß die Bewegung der Wirkung der Bewegung
der Ursache folge.
V. MS. G. FOL. 75 r.
Jede natürliche Handlung wird von der Natur in der
kürzesten Art und Zeit ausgeführt, die möglich ist.
VI. MS. CA. FOL. 83 v.
Actio et passio sunt in patiente et quod actio est qui-
dam motus.
Actio et passio fundatur in motu.
Omnes motus mesurantur tempore.
Omnis motus est actus quo mobile movetur.
VII. MS. TR. FOL. 36 r.
Bewegung ist Ursache alles Lebens.
12
vili. MS. F. FOL. 74 V. Alle Bewegung
Keine vernunftlose Sache (insensata) bewegt sich von gendes zumckzu-
selbst, sondern ihre Bewegung wird von anderen hervor- '^^"' ''"^''*'*'
gerufen.
IX. MS. G. FOL. 73 V. Vom Antrieb.
Antrieb (impeto) ist der Impuls von Bewegung, den der
Motor auf den bewegten Gegenstand überträgt.
Antrieb ist eine Kraft, die vom Motor dem bewegten
Gegenstand mitgeteilt wird.
Jeder Impuls neigt zu ewiger Dauer oder wünscht ewige ^'^ Beharmngs-
Dauer.
Daß jeder Impuls ewige Dauer wünscht, beweist sich
aus dem Eindruck, den die Sonne im Auge des Beschauers
hervorruft, oder aus dem Eindruck des Klangs, den der
Hammer, Erschütterer selbiger Glocke, hervorruft.
Jeder Eindruck will Ewigkeit, wie die Erscheinung (simu-
lacro) der Bewegung, so dem bewegten Gegenstand ein-
gedrückt wurde, es uns beweist.
X. MS. CA. FOL. 253 v.
Kraft ist eine geistige Wesenheit (essentia), welche durch
äußerliche Gewalt sich den schweren Körpern, so von
ihrem natürlichen Verlangen gezogen werden, verbindet,
in welchen sie, obschon sie nur kurz dauere, nichtsdesto-
weniger oftmals von erstaunlicher Macht erscheint.
Kraft ist eine geistige Wesenheit, die durch äußerliche
Gewalt den schweren Körpern sich verbindet, welche
Körper durch ihr natürliches Verlangen fortgezogen werden
und in denen, obschon sie nur kurz lebt, sie nichts-
destoweniger von erstaunlicher Macht ist.
Kraft ist eine Macht, geistig, unkörperlich und ungreifbar,
die sich mit kurzem Leben in den Körpern erzeugt, so
durch äußerliche Gewalt aus ihrer natürlichen Ruhe
heraustreten.
Geistig, sage ich, weil in ihr unsichtbares, unkörper-
liches und ungreifbares Leben ist, nachdem der Körper,
Was ist Kraft?
13
der Natur.
in welchem sie geboren wird, weder in der Form noch
im Gewichte wächst.
Entwurf eiu einer xi. MS. A. FOL. 34 V.
umfassenden Er-
MämngvonKraft Wn«: i«it Krflff?
als Ursache der "^ a.S IST IVrail."
Bewegung, also
a"«j_ \fl^''ßfj^se Kraft nenne ich eine geistige Energie, eine unsichtbare
Macht, so mittels zufälliger äußerer Gewalt durch die
Bewegung hervorgerufen ist und den Körpern inne-
wohnend und mit ihnen verschmolzen, welche aus ihrer
natürlichen Gewohnheit herausgerissen und von ihr ab-
gebogen wurden. Sie gibt ihnen ein tätiges Leben von
merkwürdiger Macht, zwingt alle geschaffenen Dinge zu
Veränderung der Form und der Lage, eilt mit Wut zu
ihrem ersehnten Tode und wandelt sich je nach der Ur-
sache. Zaudern macht sie groß und Schnelligkeit macht
sie schwach. Sie wird aus der Gewalt geboren und
stirbt durch Freiheit. Und je größer sie ist, desto
rascher verzehrt sie sich. Verjagt mit Ungestüm, was
sich ihrer Zerstörung entgegensetzt, wünscht ihren eigenen
Grund und ihren Gegensatz zu besiegen, zu töten und
tötet siegend sich selbst. Wird mächtiger, wo sie größeren
Widerstand findet. Jegliches Ding flieht gern den Tod.
Selbst bedrängt, bezwingt sie alles. Keinerlei Ding be-
wegt sich ohne sie. Der Körper, in dem sie geboren
wird, wächst nicht an Gewicht noch an Form. Keine
Bewegung, die sie macht, ist dauernd. Wächst in Mühen
groß und schwindet in der Ruhe. Der Körper, in den
sie hineingezwungen, ist außerhalb der Freiheit. Und
sie erzeugt häufig mittels der Bewegung neue Kraft.
Die Kraft wird durch die Bewegung verursacht und mit
dem Gewicht verbunden. Und gleicherweise wird der
Stoß von der Bewegung verursacht und mit dem Gewicht
verbunden.
Die Kraft ist Ursache von Bewegung, die Bewegung ist
Ursache von Kraft; die Bewegung verschmilzt die Kraft
14
und den Stoß mit dem Gewicht durch das Mittel des
Entgegenstehenden (obbietto).
Die Kraft in irgendwelcher Wirkung, wenn sie sich ver-
flüchtigt, überträgt sich in jenen Körper, der vorwärts
flieht, und erzeugt, vermittelst der Bewegung, den Stoß
von größter Wirksamkeit und läßt Zerstörung hinter sich,
wie es in der Bewegung der Kugel erscheint, die von
der Kraft der Bombarde gejagt wird.
Der Stoß entsteht aus dem Sterben der Bewegung und
die Bewegung durch den Tod der Kraft.
XII. MS. CA. FOL. 302 V. Desgleichen.
Die Kraft (forza) ist überall ganz sie selbst und ist in
jedem Teil von sich ganz.
Kraft ist eine übersinnliche Tüchtigkeit (virtù spirituale),
eine unsichtbare Macht, welche durch akzidentelle (äußer-
liche, materielle) Gewalt allen Körpern eingeflößt ist, so
sich außerhalb ihrer natürlichen Neigung befinden.
Kraft ist nichts anderes als eine übersinnliche Tüchtig-
keit, eine unsichtbare Macht, welche durch äußere Ge-
walt in den sinnlosen von sinnbegabten Körpern erschaffen
und ihnen eingeflößt wird und die selbigen Körpern Ähn-
lichkeit des Lebens gibt, welches Leben von wunderbarer
Wirkung ist; zwingend und verwandelnd an Aufenthalt
und Form alle die geschaffenen Dinge, läuft sie zu ihrer
Vernichtung und vervielfältigt sich immerfort durch ihre
Ursachen (cagioni).
Zögern macht sie groß und Geschwindigkeit macht sie
schwach.
Lebt durch Gewalt und stirbt durch Freiheit. Zwingt
und verwandelt jeden Körper zu Änderung von Aufent-
halt und Form.
Große Macht gibt ihr große Sehnsucht nach dem Tode.
Verjagt mit Wut, was sich ihrem Ruin entgegenstellt.
Verwandlerin der verschiedenen Formen.
Lebt immer zur Beschwerde von dem, der sie in sich hält.
15
Widersetzt sich stets den natürlichen Wünschen.
Von ganz klein, durch Zaudern, erweitert sie sich und
entwickelt sich zu einer furchtbaren und wundersamen
Macht.
Und sich selber zwingend, zwingt sie jede Sache.
. . . wohnt in den Körpern, die außerhalb ihres natür-
lichen Laufes und Gebrauches sind.
. . . verzehrt sich bereitwillig selbst.
. . . Kraft ist ganz im Ganzen enthalten, und ganz über-
all im Körper, wo sie hervorgerufen ist.
. (M)acht ist einzig ein Wunsch nach Flucht.
. (I)mmer wünscht sie, sich zu schwächen und zu ver-
löschen.
(Sel)bst gezwungen, zwingt sie jeden Körper.
(Ni)chts bewegt sich ohne sie.
(Ke)in Ton oder Stimme wird ohne sie hörbar.
... ihr wahrer Samen ist in den sinnbegabten Körpern.
Gewicht. Das Gewicht ist in seinem ganzen senkrechten Wider-
stand ganz enthalten und ganz in jedem Teil von ihm.
Wenn der schräge Widerstand, der sich, dem Gewicht
entgegensetzt, unbefestigt und frei ist, wird es selbigem
Gewicht keine Gegenwehr leisten, sondern mit Zerstö-
rung zugleich mit jenem fallen.
Das Gewicht verscheidet seiner eigenen Natur nach in
der ersehnten Lage.
Jeder Teil selbiger Kraft enthält das Ganze, entgegen-
gesetzt dem Gewichte (contiene il tutto contrario al peso).
Und oft ist eines von ihnen Sieger über das andere.
Sie sind im Drücken von der gleichen Natur, und der
mächtige übertrifft den geringeren.
Das Gewicht ändert nur übelwillig (seine Lage), und die
Kraft ist immer daran, zu fliehen.
Das Gewicht ist körperlich, und die Kraft unkörperlich.
Das Gewicht ist materiell, und die Kraft ist geistig.
Wenn die eine von sich Flucht begehrt und Tod, jenes
16
andere will Stabilität und Dauer. Sind häufig die Erzeuger
einer des andern.
Wenn das Gewicht die Kraft gebiert, und die Kraft das
Gewicht.
Wenn das Gewicht die Kraft besiegt, und die Kraft das
Gewicht.
Und wenn sie von gleichem Temperament (Beschaffen-
heit) sind, werden sie lange Gemeinschaft machen.
Wenn das eine ewig ist, — jene andre ist sterblich.
XIII. MS. CA. FOL. 382 r.
Niemals hatte die Kraft Gewicht, nicht einmal wenn sie
selbst das Amt des Gewichtes ausübt.
Immer ist die Kraft gleich dem Gewicht, von dem sie
erzeugt wird ....
XIV. MS. CA. FOL. 288 v.
Die Ungleichheit ist Ursache aller gleichen Bewegungen.
Keine Ruhe ist ohne Ausgeglichenheit (equalità).
JCV. MS. F. FOL. 74 v.
Kein Impuls kann gleich aufhören; er verzehrt sich mit
dem Grade der Bewegung.
Gewicht als
Kraftmaß.
Gleichgewicht
and Bewegung.
Energie and Ar-
beit.
XVL MS. TR. FOL. 1 1 V. Verhältnis zwi-
schen Kraft and
Alle geistigen Potenzen, je mehr sie sich von ihrer Entfernung.
ersten oder zweiten Ursache entfernen, um so mehr Raum
nehmen sie ein und verlieren um so mehr von ihrer
Wirksamkeit.
XVII. MS. A. FOL. 35 r. Entwürfe zur Er-
klärung der Be-
Die Gewaltsamkeit (violentia) besteht aus viererlei Dingen; Ziehungen zwi-
, o o sehen Kraft, Be-
sie sind das Gewicht, die Kraft, die Bewegung, der Stoß, wegung.stoß und
und einige nennen die Gewaltsamkeit aus dreierlei Leiden-
schaften (passioni) komponiert, aus Kraft, Bewegung und
Stoß, und die am mächtigsten ist, besitzt das geringste
Leben, nämlich der Stoß; zweite in der Reihe ist der
Stoß, dritte, durch ihre Schwäche, wäre die Bewegung,
2 Herzfeld, Leonardo
17
und würde das Gewicht in diese Zahl aufgenommen, —
es ist schwächer und von mehr Ewigkeit als irgendeine
der obgenannten.
Jedes Gewicht verlangt auf dem kürzesten Weg zum
Mittelpunkt hinabzusteigen, und wo größere Schwere,
dort ist auch größeres Verlangen, und jene Sache, die
am meisten wiegt, — wenn sie frei ist, fällt sie am
schnellsten. Und jene Gegenlage, die am wenigsten ab-
schüssig ist, leistet ihr am meisten Widerstand. Aber
das Gewicht überwindet seiner Natur nach alle seine
Stützen und so, von Unterlage zu Unterlage dringend, geht
es und wird schwerer von Körper zu Körper, bis es
seinen Wunsch befriedigt. Die Not zieht es an, und der
Überfluß verjagt es. Und es ist ganz in seinem senk-
rechten Widerstand enthalten und ganz in jedem Teil
(grado) von ihm. Und jener Widerstand, der schräger
ist, wird es im Hinabsteigen nicht aufhalten, sondern,
wenn frei, mit ihm zugleich fallen. In der Ausübung
(uffìzio) des Drückens, Lastens ist es der Kraft ähnlich.
Das Gewicht wird besiegt von der Kraft, wie die Kraft
vom Gewicht. Das Gewicht für sich ist sichtbar ohne
Kraft, und die Kraft ist unsichtbar ohne Gewicht. Wenn
das Gewicht keinen Nachbarn hat, mit Wut sucht es
einen, und die Kraft verjagt ihn (den Nachbarn) mit Wut.
Wenn das Gewicht einen unveränderlichen Platz wünscht,
flieht ihn gern die Kraft. Das Gewicht begehrt Aufent-
halt und die Kraft ist immer im Verlangen nach Flucht.
Das Gewicht an sich ist ohne Anstrengung und die Kraft
ist nie ohne selbige. Das Gewicht, je mehr es stürzt,
desto mehr wächst es, und die Kraft, je mehr sie stürzt,
desto geringer wird sie. Wenn das eine ewig ist, ist
die andere sterblich. Das Gewicht ist von Natur aus,
und die Kraft durch Zufall. Das Gewicht will Stabilität
und unendliche Dauer, und die Kraft will Flucht und den
eigenen Tod. Gewicht, Kraft und Stoß, im Druck haben
sie untereinander Ähnlichkeit.
18
XVIII. MS. A. FOL. 35 V. Skizzen zur bes-
seren Formulie-
Von Gewicht, Kraft, Bewegung und Stoß mng desselben
' ^ "^ Gedankens.
Das Gewicht drückt immer auf seine Stütze und dringt
und geht vermöge seiner Natur von der Stütze zu deren
Unterlage, und von jeder durch jede Stütze und ganz
durch jede Unterlage selbiger Stütze, und ganz durch
jede Stütze der Unterlage, und dringt von Stütze zu Stütze
bis ans Zentrum der Welt.
Das Gewicht drückt immer auf eine Stütze; die Kraft
versagt dem Körper, in dem sie entsteht.
Die Bewegung schwächt sich ab und verzehrt sich im
Laufe, der Stoß stirbt gleich, da er geboren, und läßt
seine Ursache bemakelt zurück.
Das Gewicht, so ev/ig wirkt in seinem Druck, ist von
minderer Macht als die drei andern Passionen, die in
ihm sind, nämlich Kraft, Bewegung und Stoß. Die zweite
Sache von geringerer Dauer ist die Kraft, weniger macht-
voll als das Gewicht, und wenig währt ihr Amt; die dritte
Permanenz wäre die Bewegung, von größerer Macht als
die Kraft und von ihr erzeugt; das vierte, von kleinerer
Dauer, ist der Stoß, der ein Sohn ist der Bewegung und
Enkel der Kraft, und alle sind sie aus dem Gewicht
geboren.
YTY MS. CA. FOL. 288 V. Vom Schner-
^^^' punkt der V/age.
Der Mittelpunkt der Schwere einer Wage mit den an sie
angehängten Gewichten befindet sich am Ende der Mittel-
linie, die von selbigem Mittelpunkt zum Mittelpunkt der
Welt (Erde) hinabführt.
y Y R. 860, MS. BR. M. FOL. 175 r. Wirkung der
^^- ' Schwerkraft.
Das Gewicht, warum verharrt es nicht in seiner Lage?
Es verharrt nicht, weil es keinen Widerstand hat.
Und wohin wird es sich bewegen?
Es wird sich gegen den Mittelpunkt bewegen.
Und warum nicht auf andern Linien?
2»
19
Weil das Gewicht, welches keinen Widerstand findet,
auf dem kürzesten Weg in die Tiefe gehen wird, und der
tiefste Ort ist das Zentrum der Welt.
Und wieso weiß solches Gewicht es mit solcher Schnellig-
keit zu finden?
Weil es nicht als ein Sinnloses erst auf verschiedenen
Linien herumirrt.
Geradlinigkeit XXI. MS. G. FOL. 54 V.
des Falls.
Von der Bewegung des Pfeiles, den der Bogen
abschnellt
Der Pfeil, vom Mittelpunkt der Welt zum höchsten Teil
der Elemente abgeschossen, wird auf ein und derselben
geraden (recta) Linie hinaufsteigen und herabkommen,
obwohl die Elemente in rundkreisender Bewegung rings
um das Zentrum selbiger Elemente sind.
Das Schwere, welches durch die rundkreisenden Elemente
herabsteigt, immer hat es seine Bewegung nach dem
Geraden der Linie, die sich vom Anfang der Bewegung
zum Mittelpunkt der Welt erstreckt.
Die Linie des XXII. MS. G. FOL. 55 f.
Falls , bestimmt
durch dieSchwer- Vom Schwereu, das durch die Luft herabfällt,
kraft und durch . t-. t • •
die Drehung der während die Elemente im Rundkreisen sind, bei
Erde um sich , .. n- tti t> • ^ ^ a e> j^ j
selbst. einer völligen Umlaufszeit von 24 Stunden
Das Bewegte (mobile), welches vom höchsten Teil der
Sphäre des Feuers herabsteigt, wird eine geradlinige Be-
wegung zur Erde herab machen, obwohl die Elemente in
beständiger rundkreisender Bewegung um das Zentrum
der Welt sind. Das beweist man: es sei B die Last,
welche von A sich durch die Elemente bewegt, um zum
Zentrum der Welt M herabzusteigen. Ich sage, daß solche
Last, obschon sie einen kurvenförmigen Abstieg macht,
nach Art einer Schraubenlinie, doch nie von ihrem gerad-
linigen Lauf abweichen wird, welche Last in beständigem
Fortschreiten ist zwischen dem Ort, von dem sie sich
20
trennte, und dem Mittelpunkte der Welt. Denn wenn sie
vom Punkte A ausging und nach B hinabstieg, — in der
Zeit, wo sie nach B hinabstieg, und nach C getragen
wurde, hat A sich nach D gedreht, und so befindet sich
der bewegte Körper in der geraden Linie, die von D zum
Zentrum M führt. Wenn das Mobile von C nach F her-
absteigt, hat D, der Anfang der Bewegung, sich in der-
selben Zeit nach E bewegt, und wenn F nach H geht,
dreht sich E nach G, und so fallt das Mobile in 24 Stun-
den unter dem Ort auf die Erde, von dem es sich im
Anfang trennte; und solche Bewegung ist eine zusammen-
gesetzte.
Wenn der bewegte Körper in 24 Stunden vom höchsten
Teil der Elemente zum tiefsten herabsteigt, ist seine
Bewegung aus gerade und kurvig zusammengesetzt. Ich
sage gerade, weil sie niemals von der kürzesten Linie
abweichen wird, die sich vom Ort, den er verlassen hat
bis zum Mittelpunkt der Elemente erstreckt, und er wird
am tiefsten Ende solcher Geradlinigkeit stillhalten, die
dem Zenit nach sich immer unter dem Orte befindet,
von dem solches Mobile sich trennte. Und diese Be-
wegung ist in sich kurvig, mit allen Teilen ihrer Linie,
und ist folglich auch am Schlüsse mit der ganzen Linie
kurvig; und daher kommt es, daß der Stein, welcher von
einem Turm herabgeworfen wurde, nicht früher an die
Seite selbigen Turmes anprallt als erst ganz am Boden.
XXIII. MS. M. FOL. 44 V. Das Gesetz von
der regelmäßig
Findet in einer Luft von gleichmäßiger Dichtigkeit statt. — zunehmendenCe-
_. ^ ° " ^ , schwindigkeitdes
Die Last, welche nach unten zu geht, in jedem Grade Faiu.
von Zeit erwirbt sie einen Grad von Vorwärtsbewegung
mehr als den Grad der vergangenen Zeit, und gleicher-
weise einen Grad von Schnelligkeit mehr als den Grad
der gewesenen Bewegung. Daher, in jeder verdoppelten
Quantität von Zeit verdoppelt sich die Länge des Herab-
gehens (Weges) und die Geschwindigkeit der Bewegung.
21
Gewicht und Be- XXIV. MS. CA. FOL. 354 V.
wegung.
Jegliches Schwere lastet in sich nach der Richtung seiner
Bewegung, gegen den Ort zu, nach dem es sich bewegt.
Die Kraft ist der XXV. MS. A. FOL. 60 V.
Geschwindigkeit
proportional; Es gehört sich, daß jede Bewegung, hervorgerufen durch
'zeit. die Kraft, einen Lauf mache, der gleich wie das Verhältnis
ist zwischen der bewegten Sache und jener, die bewegt.
Und wenn sie eine widerstehende Gegenlage (opposizione)
findet, wird sie die Länge ihrer gebührenden Reise durch
eine kreisförmige Bewegung liefern und durch allerlei
andere Sprünge und Hopser, welche, die Zeit und den
durchgehenden Lauf in Rechnung gezogen, (an Länge)
sein werden, als ob der Lauf ohne Widerrede stattge-
funden hätte.
Erste Ahnung XX VL MS. A. FOL. 24 f.
vom Gesetz der
Erhaltung der Jeder Sphärische Körper mit dichter und unnachgiebiger
Oberfläche, von gleicher (pari) Kraft in Bewegung gesetzt,
macht mit seinen Sprüngen, die vom harten und glatten
Boden (auf den er prallt) hervorgebracht, ebensoviel Be-
wegung, als hätte sie ihn frei durch die Luft geschleu-
dert.
O bewundernsv/ürdige Gerechtigkeit des ersten Urhebers
aller Bewegung, der nicht irgendeiner Kraft die ganze
Ordnung und Eigenschaft ihrer notwendigen Wirkungen
hatte versagen wollen! Daher, wenn eine Kraft den von
ihr besiegten Gegenstand hundert Ellen weit jagen soll
und dieser in seiner Bewegung ein Hindernis findet, hat
er angeordnet, daß die Kraft des Anpralls neue Bewegung
wiederverursache, welche durch verschiedene Sprünge
die ganze Summe seines gebührenden Weges zurücker-
lange. Und wenn du dann den Weg mißt, den besagte
Sprünge machten, so wirst du ihn von solcher Länge
finden, wie sie wäre, wenn mit derselben Kraft ein glei-
cher Gegenstand frei durch die Luft gezogen würde.
22
XXVII. MS. J. FOL. 103 V., 102 r., 101 V. ^" der Berech-
nang des Verhält-
Wenn einige gesagt haben, daß, je kleiner der bewegte 'JJ^^/^ Ind'^ce-
Körper wird, um so mehr der bewegende ihn jagt, im schwindigkeit
r TT • -TT , . 7 Sind die Wider-
Verhältnis zu dessen Verkleinerung, ms Unendliche, immer stände nicht zu
neue Geschwindigkeit erwerbend, so würde daraus folgen, vergessen.
daß ein Atom fast so hurtig wäre wie die Phantasie oder
wie das Auge, das plötzlich zur Höhe der Sterne läuft.
Infolgedessen wäre seine Reise unbegrenzt, weil die Sache,
welche sich unendlich verkleinern kann, unbegrenzt ge-
schwind würde und in unendlichem Gange sich bewegte,
nachdem jede kontinuierliche Quantität in Unendliche teil-
bar ist. Welche Meinung von der Vernunft, und folglich
auch von der Erfahrung verworfen wird.
(Folgt nun die Anwendung auf Bombarden.)
Daher, o Forscher, trauet nicht den Schriftstellern, die ^ForZTemT^ei-
nur mit der Phantasie sich zu Dolmetschen zwischen che du Kritik bei
der Beobachtung
der Natur und dem Menschen machen gewollt, sondern vernachlässigen.
bloß jenen, welche nicht an den Winken (cenni) der Natur,
sondern an den Wirkungen ihrer eigenen Versuche ihren
Geist geübt haben: welche Versuche jenen täuschen, der
ihr Wesen nicht kennt; denn die, welche häufig ein und
dasselbe scheinen, sind oft von großer Verschiedenheit,
wie hier bewiesen wird.
XXVIII. MS. M. FOL. 57 v. UND 57 r. a'«^ wiederholte
V ersuche geben
Wenn viele Körper von gleichem Gewicht und gleicher Sicherheit.
Figur einer nach dem andern in gleichem Tempo fallen
gelassen werden, werden die Überschreitungen der Inter-
valle untereinander gleich sein.
Demonstration
Durch die 5. des I., die besagt, wie die Sache, die herab-
kommt, mit jedem Grade der Bewegung (nach abwärts)
gleiche Grade der Geschwindigkeit erwirbt.
Also daher, um vieles schneller wird die Bewegung der
letzten (Kugel) unten als der ersten an der Spitze (usw.).
23
Das Experiment vorstehenden Schlusses über die Be-
wegung muß man in solcher Form machen, nämlich : man
nimmt zwei Bälle, gleich an Gewicht und Gestalt, und
man läßt sie aus großer Höhe so fallen, daß am Anfang
ihrer Bewegung sie einander berühren und der Experi-
mentator auf dem Boden unten steht, um zu sehen, ob
ihr Fallen sie noch in Kontakt gehalten hat oder nicht.
Und dies Experiment mache man mehrere Male, damit
irgendein Zufall solche Probe nicht hindere oder fälsche,
weil sonst das Experiment unrichtig wäre und den For-
scher täuschte oder auch nicht.
Anziehungskraft XXIX. MS. CA. FOL. 223 V.
eine allgemeine
Eigenschaft. Jeder schwere Körper (gravità) strebt, daß sein Zentrum
sich zum Zentrum leichterer Elemente mache.
Ober die Anzie-
hungskraft.
XXX. MS. CA. FOL. 273 r.
Jedes Teil von Element, so von seiner Masse getrennt
ist, begehrt auf dem kürzesten Wege zu ihr zurückzu-
kehren.
Zwischen den Teilen der Elemente, die vermischt sind,
wird jener, der von größerer Summe (somma) ist, die
Gesellen auf selbiger Linie mit sich ziehen, von der er
hergekommen ist, wie es bei Luft unter Wasser geschieht,
bei Feuer in der Luft, bei Erde auf dem Wasser, bei
Wasser über der Luft.
Gegen das Pro- XXXI
blem der ewigen
Bewegung.
MS. A. FOL. 22 v.
Gegen die ewige Bewegung
Kein vernunftloser Gegenstand wird sich von selbst be-
wegen, daher er, wenn er sich bewegt, von einer aus
dem Gleichmaß gekommenen Potenz bewegt sein müßte,
nämlich von ungleichmäßiger (disequale) Zeit (?) und
Bewegung oder von einem schweren Gegenstand, der aus
dem Gleichgewicht kam; und hört dann der Wunsch des
ersten Motors auf, sofort wird auch der zweite aufhören.
24
XXXII. R. 1206, MS. S. K. M. II2, FOL. 67 r. Gegen die.welche
das Perpetaam
O Erforscher der beständigen Bewegung, wie viele eitle moMie sacken.
Pläne habt ihr in dergleichen Suche geschaffen! Gesellet
euch denen, so Gold (zu machen) suchen.
XXXIII. MS. F. FOL. 56 V. Gegen die
Sphärenmusik.
Von der Reibung der Himmel
Jeder Ton entsteht durch die Luft, die auf einen dichten
Körper trifft, und wenn er von zwei schweren Körpern unter-
einander gemacht wird, geschieht es vermittels der Luft,
die sie umgibt, und diese derartige Reibung verzehrt die
geriebenen Körper. Also würde daraus folgen, daß die
Himmel in ihrer Richtung, weil sie keine Luft zwischen-
einander haben, keinen Ton erzeugen, und wenn derartige
Reibung auch Wahrheit hätte, in so viel Jahrhunderten,
wie diese Himmel sich drehen, würden sie von so unend-
licher Geschwindigkeit jedes Tages schon aufgezehrt sein.
Und wenn sie dennoch einen Ton hervorbrächten, könnte
er sich nicht verbreiten; denn auch der Ton eines Zu-
sammenstoßes unter dem Wasser ist wenig zu hören,
und wenig oder gar nicht würde er in festen Körpern
gehört. Außerdem, bei glattpolierten Körpern macht die
Reibung keinen Lärm, was gleicherweise, nämlich keinen
Lärm hervorzurufen, bei der Berührung oder besser Rei-
bung der Himmel geschehen würde. Und wenn diese
Himmel durch den Kontakt ihrer Reibung nicht poliert
worden sind, so folgt, daß sie eine rauhe und körnige
Oberfläche haben; daher ist der Kontakt bei ihnen kein
ununterbrochener, und wenn dem so ist, entsteht das Va-
kuum, von dem man folgert, daß es in der Natur nicht
existiert. Also wird geschlossen, daß Reibung die Gren-
zen jedes Himmels schon verzehrt habe, und um so viel
schneller er in der Mitte als gegen die Pole hin ist, um
so mehr verzehrte er sich in der Mitte als an den Polen;
und dann riebe er sich eben nicht mehr, und der Ton
hörte auf, und die Tänzer blieben still stehen — außer
25
die Himmel drehten sich der eine nach dem Orient, der
andere nach dem Okzident.
über Mechanik. XXXIV. MS. E. FOL. 8 V.
Die Mechanik ist das Paradies der mathematischen Wissen-
schaften; denn durch sie kommt man zur mathematischen
Frucht.
Nochmals über XXXV. SP., MS. V. U. FOL. 3 f.
Mechanik als die
Wissenschaft, Die instrumentale oder mechanische Wissenschaft ist
auch für die höchst edel und über alle andern äußerst nützlich, nach-
^ p'er^gTiten"'^ dem Vermittels ihrer alle belebten Körper, die Bewegung
haben, ihre verschiedenen Operationen machen, welche
Bewegungen im Zentrum ihrer Schwere entstehen, das
sich in der seitlichen Mitte ungleicher Gewichte befindet:
und besitzen (diese Körper) Armut und Reichtum der
Muskeln, und gleicherweise Hebel und Gegenhebel.
Mathematik in XXXVI. MS. K. FOL. 49 r.
ihrer Anwend-
barkeit auf alles. Proportion ist nicht bloß in den Zahlen und Maßen auf-
zufinden, sondern etiam in den Tönen, Gewichten, Zeiten
und Orten und in welcher Kraft immer es sei.
Gegen die Wider- XXXVII. R. 1 157, MS. W. AN. III., FOL. 241 r.
sacher der Ma-
thematik. Wer die höchste Gewißheit der Mathematik schmäht,
nährt sich von Verwirrung und wird niemals Schweigen
gebieten den Widersprüchen der sophistischen Wissen-
schaften, durch welche man nur ein ewiges Geschrei er-
lernt.
Von der Ver- XXXVIII.
brennung.
MS. CA. FOL. 237 v.
Von der Flamme
1) Wo die Flamme entsteht, dort entsteht ringsherum
Wind, dessen Lauf zur Nahrung und Vermehrung selbiger
Flamme dient. 2) Die Bewegung dieses Windes wird
um so ungestümer sein, je größer die Menge von Flamme
ist, so er zu nähren hat. 3) Jene Flamme wird von
26
größerer Hitze sein, die leuchtender ist. Folgt das Um-
gekehrte: und jene wird leuchtender sein, die von größerer
Hitze ist.
Jene Flamme wird sich in größerer Länge verbreiten,
die in Luft von ausgezeichneterer Wärme entsteht, und
umgekehrt, wird von kürzerer Länge sein, wenn sie in
einem Ort von größerer Kälte entsteht.
Die Bewegung der Flamme in Gesellschaft des Windes,
welcher durch sie entsteht, wird kreisförmig sein, wenn
selbige Flamme von einem Stoffe gleichartiger Nahrung
gespeist wird, und solches Kreisen wird parallel sein,
oder der Kreis wird von hohler Zirkulation, das heißt,
ringförmig sein; also bewegt sich das Wachstum der
Flamme gegen den Wind, von dem es sich nährt; doch
der entgegengesetzte Wind, der innerhalb des Zentrums
solcher Zirkulation entsteht, bricht Lanzen (giostra) mit
dem Wind, welcher außerhalb dieses Kreises erzeugt
wird, und innerhalb (der Fläche) ihres Begegnens schlie-
ßen sie die Flamme ein und prallen an sie an, und ihr
Anprall wird zurückgeworfen und springt gegen Himmel
auf . . . ., wobei er die erzeugte Flamme mit sich nimmt.
Der Wind, welcher innerhalb des ringförmigen Brenn-
herdes entsteht, kommt von oben, nicht von unten her,
und jener, der vom Ring erzeugt ist, bewegt sich von
oben und von unten, wie zu beweisen ist.
Das Feuerelement verzehrt unaufhörlich die Luft, die
zum Teil es nährt, und bliebe in Berührung mit dem
Vakuum, wenn die nachfolgende Luft nicht zu Hilfe eilte,
es auszufüllen ....
XXXIX. MS. CA. FOL. 270 r. Ein chemischer
Prozeß in der
Die Flamme bereitet erst die Materie, welche sie nähren Verbrennung.
soll, und hierauf nährt sie sich von ihr.
XL. MS. CA. FOL. 270 r. Sauerstoff und
Wo die Flamme nicht lebt, lebt kein Wesen, das atmet. ^' Zmunl ~
27
Mittelalterliche
Ideen Leonardos
über das Feuer-
element im Ver-
hältnis zur
Flamme.
XLI. MS. CA. FOL. 270 v.
Das Feuer kann in seiner eigenen Sphäre nicht leuchten,
wenn es sich nicht mit andern Elementen mischt, die ihm
angemessen sind, und das gleiche geschieht außerhalb
seiner Sphäre.
Das so entstandene Feuer (foco elementato) verschmilzt
nicht mit dem Element des Feuers, aber steht in Be-
rührung mit ihm, so wie man es bei den feuchten und
den öligen Flüssigkeiten geschehen sieht.
Plan für dasBuch XLII.
vom Fliegen.
MS. K. FOL. 3 r.
Teile den Traktat von den Vögeln in 4 Bücher, von
welchen das erste von ihrem Fliegen mittels Schiagens
der Flügel sei, das zweite vom Flug ohne Flügelschlag
und durch Windesgunst, das dritte vom Fliegen im allge-
meinen wie dem der Vögel, Fledermäuse, Fische, Tiere,
Insekten und als allerletztes vom instrumentalen (mecha-
nischen) Fliegen.
Fliegen und
Schwimmen.
XLIII. MS. K. 13 r.
Die Spitze der Schwinge des Vogels führt sich in der
Luft auf, wie es die Spitze des Ruders im Wasser tut,
oder der Arm oder besser die Hand des Schwimmers unter
dem Wasser.
Warum das Auf-
fliegen leichter
ist.
XLIV. MS. E. 39 r.
Die einfache Bewegung, die die Flügel der Vögel haben,
ist für sie leichter, wenn sie sich erheben, als wenn sie
sich senken. Diese Leichtigkeit der Bewegung entsteht
aus zwei Ursachen, deren erste ist, daß das sinkende
Gewicht (des Vogels) selbst ein wenig die Federn in
die Höhe hebt; die zweite ist, daß, nachdem die Flügel
obenauf konvex sind und drunter konkav, die Luft leichter
dem Anprall der Schwinge beim Aufflug entweicht als
beim Niedersenken, wo die in der Konkavität einge-
28
schlossene Luft eher eine Verdichtung erzeugt, als ihre
Flucht hervorruft.
XLV. SP., MS. V. U. FOL. 6 r. UND 6 V. Fliegen mit and
ohne Flügel-
Wenn der Vogel sich nach der rechten oder der linken '"ani wenden'"
Seite drehen will, beim Schlagen der Flügel, dann wird
er dort den Flügel tiefer schlagen, wo er sich hinkehren
will, und so wird der Vogel die Bewegung nach
dem Antrieb (impeto) jenes Flügels drehen, der
sich mehr bewegte, und macht die reflektierte Bewe-
gung unter dem Wind, von der entgegengesetzten Seite.
Wenn der Vogel mit seinem Flügelschlag sich erheben
will, hebt er die Schultern und schlägt die Spitzen seiner
Schwingen gegen sich und macht so die Luft verdichten,
die sich zwischen die Enden der Flügel und die Brust
des Vogels legt (und) deren Spannung den Vogel in die
Luft hebt.
Der Geier und die andern Vögel, die wenig mit den
Flügeln schlagen, suchen immer den Lauf (corso) des
Windes auf, und wenn der Wind oben herrscht, dann
werden sie in großer Höhe gesehen, und herrscht er
unten, bleiben sie tief unten.
Wenn der Wind in der Luft herrscht, dann schlägt der
Geier mehrere Male die Luft in seinem Fliegen, in sol-
cher Art, daß er sich hoch hebt und Antrieb (impeto)
erwirbt, mit welchem Antrieb er dann, sich ein wenig
herabsenkend, eine lange Strecke ohne Flügelschlag geht,
und wenn er gesunken ist, macht er von neuem das
gleiche und so fährt er sukzessiv fort, und dies Sinken
ohne Flügelschlag rechtfertigt ihn, indem es ihn nach der
Mühe vorbesagten Flügelschiagens in der Luft ausruht.
Alle Vögel, die in Stößen fliegen, heben sich mit ihrem
Flügelschlag, und wenn sie sinken, kommen sie zum
Ausruhen, weil sie im Sinken nicht mit den Flügeln
schlagen.
29
Wind und Flug. XLVI. SP^ MS. V. U. FOL. 7 r.
Von den 4 Reflexions- und Einfallsbewegungen
nach den verschiedenen Richtungen des Windes,
so die Vögel machen
Immer wird der schräge Niederflug (discenso) der Vögel,
wenn er gegen den Wind gemacht ist, unter dem Wind
gemacht sein, und seine Reflexionsbewegung wird auf dem
Wind gemacht sein. Aber wenn eine solche Einfallsbe-
wegung nach der Levante zu gemacht wird, während eine
Tramontana (Nordostwind) zieht, wird der Tramontanaflügel
unter dem Wind stehen und bei der Reflexionsbewegung
wird er das gleiche tun, daher sich der Vogel am Ende
selbiger Reflexion mit der Stirn nach Nordosten befinden
wird. Und wenn der Vogel nach Mittag abwärts geht, bei
herrschendem Nordwind, wird er solchen Niedergang auf
dem Winde machen und seine Reflexionsbewegung unter
dem Wind; aber hier entsteht ein langer Disput, wovon
an seinem Ort gesprochen werden wird, weil hier zu ge-
schehen scheint, daß eine Reflexionsbewegung nicht ge-
macht werden kann.
Wenn der Vogel seine Reflexionsbewegung gegen Ober-
wind macht, dann wird er sehr viel höher steigen, als
seinem natürlichen Antrieb zukommt, nachdem sich die
Gunst des Windes ihm beifügt, welcher, indem er unter
ihn tritt, das Amt eines Keiles verrichtet. Aber wenn
der Vogel am Ende seines Aufstieges ist, wird er seinen
Antrieb aufgezehrt haben und wird ihm nur die Gunst
des Windes bleiben, der ihn umwerfen und umwenden
würde, weil er ihn gegen die Brust stößt, wäre es nicht,
daß jener den rechten oder den linken Flügel senkte,
welche ihn nach rechts oder nach links werden fliegen
machen und im halben Kreise abwärts kommen.
Für das Luft. XLVII. SP., MS. V. U. FOL. 16 r.
schiff muß die _, ,., ,^,.»r ,.« i <
Bauart der Fie- Ermnero dich, daß dem Vogel nichts anderes nach-
^™'"sein°'^ ' ahmen darf als die Fledermaus, aus dem Grund, weil
30
ihr Gewebe eine Armatur oder besser eine Verbindung
der Armatur, das heißt das Hauptsegel der Flügel, aus-
macht.
Und ahmtest du die Schwingen der gefiederten Vögel
nach, selbige sind von mächtigeren Knochen und stärkerer
Nervatur, weil sie durchlöchert sind, d. h. weil ihre Federn
unverbunden und von der Luft durchstrichen sind.
Aber die Fledermaus hat die Hilfe des Gewebes, das
alles verbindet und nicht durchlöchert ist.
XLVIII. SP., MS. V. U. FOL. 7 v.
Immer müßte die Bewegung des Vogels über den Wol-
ken sein, damit der Flügel nicht sich bade, und um mehr
Land zu entdecken und um der Gefahr der Drehungen
der Winde innerhalb der Bergschluchten zu entfliehen,
wo es immer Ansammlungen und Wirbel von Winden
gibt. Und außer diesem, wenn der Vogel sich um und
um wälzte, hast du da noch weite Zeit, ihn mittels der
schon gesagten Regeln wieder umzukehren, ehe er die
Erde erreicht.
DieFlagmaschine
muß die Höhe
suchen.
XLIX. SP., MS. V. U. FOL. 8 r.
Der vorbesagte Vogel muß sich mit Hilfe des Windes
in große Höhe erheben und dies sei ihm seine Sicher-
heit, denn auch im Fall, als alle früher erwähnten Um-
drehungen ihm dazwischen kämen, er hat Zeit, in die Lage
des Gleichgewichtes zurückzukehren, wenn nur seine
Glieder von großer Widerstandskraft sind, damit sie dem
Furor und der Gewaltsamkeit durch die erwähnten Ver-
teidigungsmittel und durch ihre Gelenke (giunture) aus
starkem gegerbten Leder und ihre Nerven aus stärksten
rohseidenen Stricken widerstehen können, und es lasse
sich keiner toll machen mit Eisenzeug, weil es in seinen
Windungen bald zerbräche oder sich abnützte, aus welcher
Ursache man sich mit ihm nicht abgeben darf.
Resistenz der
Flagmaschine.
31
Die Flugschiffer. L. SP., MS. V. U. FOL. 6 T.
Der Mensch in seinem Flieger (volatile) hat sich vom
Gürtel aufwärts frei zu halten, um zu balancieren, wie
er es im Boote tat, damit sein Schwerpunkt und der
seiner Maschine schwanken könne und sich wandeln, wo
die Notwendigkeit bei der Änderung des Zentrums seines
Widerstandes es verlangt.
Leonardo sieht LI. SP., MS. V. U. INNENDECKEL 2.
schon seinen
.Vogel' der sich £§ wird Seinen ersten Flug nehmen der große Vogel,
(Schwan), einem vom Rücken seines riesigen Schwanes aus, das Universum
tiüsßl hßi Flo~
rem, in die Luft mit Verblüffung, alle Schriften mit seinem Ruhme füllen
**"' und ewige Glorie sein dem Neste, wo er geboren ward.
Vom Wasser. LH. MS. C. FOL. 26 V.
Was für ein Ding das Wasser ist
Wasser ist unter den vier Elementen das zweite, we-
niger schwere und von zweiter Beweglichkeit. Dieses
hat niemals Ruhe, bis es sich seinem maritimen Ele-
ment vereinigt, wo es, von den Winden nicht belästigt,
ins Gleichgewicht kommt und, mit seiner Oberfläche (über-
all) gleichweit entfernt vom Mittelpunkt der Welt, aus-
ruht. Dieses Wasser ist die Vermehrung und der Saft
aller lebendigen Körper; nichts behält ohne es seine
frühere Gestalt ; es bindet und vergrößert die Körper im
Wachstum. Keine Sache, die leichter ist, kann ohne Ge-
walt es durchdringen; gern erhebt es sich vermöge der
Wärme als feiner Dampf in die Luft; die Kälte macht es
gefrieren, die Unbeweglichkeit verdirbt es (d. h. die Wärme
bewegt es, die Kälte macht es gefrieren, die Ruhe ver-
dirbt es). Nimmt jeden Geruch, Farbe und Geschmack
an; von selber hat es keinen; durchdringt alle porösen
Körper. Gegen seine Wut taugt keine menschliche
Schutzwehr, und taugte sie, wäre es nicht auf immer.
In seinem geschwinden Laufe macht es sich zum Auf-
rechterhalter von Dingen, welche schwerer sind als es
32
selbst. Es kann durch Bewegung oder Sprung sich so
weit in die Höhe erheben, als es sich gesenkt hat. Es
begräbt in seinem Untergang die Sachen, so leichter sind
als es selbst. Das Prinzipat (die Hauptsächlichkeit) seines
Laufes liegt bald an der Oberfläche, bald in der Mitte,
manches Mal auf dem Grunde. Die eine Menge steigt
über den durchquerenden Lauf der andern, und wäre das
nicht so, so blieben die Oberflächen der strömenden
Wasser ohne Kugelungen (globosità). Jedes kleine Hin-
dernis, am Ufer oder Grunde, wird auf dem entgegen-
gesetzten Ufer Verderben bringen; das niedrige Wasser
tut dem Ufer in seinem Lauf mehr Schaden, als es macht,
wenn es in Fülle fließt. Es drücken seine Teile gar
nicht auf den unterworfenen seiner Teile. Kein Fluß
wird jemals seinen Kurs auch nur an irgendeinem Ort
zwischen seinen Dämmen aufrechthalten; seine oberen
Partien lasten auf den unteren nicht.
LUI. MS. F. FOL. 30 V. Vom Wasser.
Das Wasser hat an sich keine Festigkeit und bewegt
sich von selbst nicht, wenn es nicht hinabsteigt.
Das Wasser steht nicht von selbst ruhig, wenn es nicht
(irgendwo) enthalten (contenuto) ist.
LIV. MS. H. II, FOL. 92 r. Das archime-
dische Pnnzip
So viel Gewichtes Wasser wird aus seiner Lage fliehen, und das schwim-
^ men.
als die Summe des Gewichtes ist, die selbiges Wasser
verjagt.
So groß ist das Gewicht, das sich auf dem Wasser er-
hält, wie die Summe des Gewichtes vom Wasser ist, so
diesem Gewichte Platz macht.
LV. MS. H. FOL. 76 r- Die Kugelgestalt
*" • "»^. »•■• ^gj Wassers auf
Jeder Teil des Wassers wünscht, daß seine Teile, sowie '''fJSgefS'
das ganze Element, gleichweit von seinem Mittelpunkt
entfernt seien.
3 Herzfeld, Leonardo
33
Nochmals die LVI. MS. F. FOL. 22 V.
Kugelgestalt des
Es bewege sich die Erde, nach welcher Richtung sie wolle,
nie wird die Oberfläche des Wassers aus ihrer Kugelform
(spera) gehen, sondern wird immer gleich fern vom Mittel-
punkt der Welt (Erde) sein.
Desgleichen. LVII. MS. C. FOL. 5 r.
Kein Teil des wässerigen Elementes wird sich erheben
oder weiter vom gemeinsamen Mittelpunkt entfernen, wenn
nicht durch Gewalt. — Keine Gewalt hat Dauer.
Die doppelte LVIIL MS. CA. FOL. 75 V.
Sphärizität des
^Ml^l^mut'^ Warum, wenn zwei sphärische Flüssigkeiten von
ungleicher Menge zum Anfang einer Berührung
kommen, die größere die kleinere an sich ziehen
wird und unmittelbar sich einverleiben, ohne die
Vollkommenheit ihrer Kugelgestalt zu zerstören
Das ist eine schwierige Antwort; aber deshalb werde
ich doch nicht zögern, mein eigenes Dünken zu sagen.
Das Wasser, von der Luft umkleidet, will von Natur aus
seiner eigenen Sphäre vereinigt bleiben, weil es in solcher
Lage sich selbst die Schwere nimmt. Welche Schwere
doppelt ist, nämlich so, daß sein Ganzes Schwere hat in
bezug auf den Mittelpunkt aller Elemente; die zweite
Schwere bezieht sich auf den Mittelpunkt selbiger sphä-
rischen Gestalt des Wassers; wäre dem nicht so, würde
es aus sich nur eine halbe Kugel machen, welches jene
wäre, die vom (eigenen) Mittelpunkt sich nach oben er-
hebt. Aber ich sehe im menschlichen Geist nicht die
Möglichkeit, davon Kenntnis (oder Erklärung) zu geben,
außer etwa zu sagen, wie man vom Magnet sagt, daß
er Eisen anzieht: nämlich daß solche Tugend eine ok-
kulte Eigenschaft sei, deren es in der Natur unzählige
gibt.
34
LIX. MS. CA. FOL. 270 r. Ausdehnung
durch Wärme.
Das Feuchte wird um so leichter, je mehr es sich aus-
dehnt, und es wird um so schwerer, je mehr es sich abkühlt.
LX. MS. A. FOL. 55 V. Wärme. Ver-
dunstung, Wol-
Von der Wärme in der Welt ken. Regen. Ha-
gel; Regen als
Wo Leben, dort ist Wärme, und wo Lebenswärme, dort ist ^^^mLe^^'^
Bewegung der Säfte. Dies beweist sich selbst, indem man
der Wirkung nach sieht, daß das Warme im Element des
Feuers immer die Feuchtigkeiten an sich zieht, — Dünste
und dichte Nebel und häufig Wolken, die sie aus den
Meeren nimmt und andern Pfützen und Flüssen und nassen
Tälern, und indem sie jene nach und nach bis in die
kalte Region zieht, bleibt jener erste Teil stehen, weil
das Warme und Feuchte nicht zum Kalten und Trockenen
paßt; wo der erste Teil stehen blieb, gesellen sich ihm
die andern Teile, und so, Teil zu Teil fügend, entstehen
dicke und dunkle Wolken und werden oft fortbewegt und
durch Winde von einer in die andre Gegend getragen,
wo durch ihre Dichtigkeit sie so starkes Gewicht aus-
machen, daß sie mit dichtem Regen herabfallen; und
wenn die Hitze der Sonne sich mit der Kraft des Feuer-
elementes vereinigt, werden die Wolken noch höher
hinaufgezogen und finden noch größere Kälte, in der sie
gefrieren, und es entsteht stürmisches Hagelwetter. Nun,
jene selbe Wärme, welche so ein großes Gewicht Wassers
hält, wie man es aus den Wolken regnen sieht, sie reißt
es von unten aus den Gründen der Berge hinauf und
führt es und hält es drinnen in den Gipfeln des Gebirges,
wo sie (die Wässer), irgendwelche Spalten findend, fort-
laufen und, hervorkommend, Flüsse verursachen.
LXL R. 300, MS. LEIC. FOL, 4 r. Atmosphärische
Erscheinungen.
Von der Farbe der Luft
Ich sage, daß das Azur, in dem die Luft sich zeigt,
nicht ihre eigene Farbe ist, sondern verursacht durch
35
die warme Feuchtigkeit, die, in winzige und nicht wahr-
nehmbare Atome verdunstet, den Anprall der Sonnen-
strahlen in sich aufnimmt und leuchtend wird unter der
Dunkelheit jener ungeheuren Finsternisse der Region des
Feuers, die über ihr einen Deckel bildet. Und dies wird
mlnuRo^ sehen, wie ich es sah, wer auf den Momboso, das Joch
der Alpen geht, die Frankreich von Italien trennen, wel-
dlT'^dfe'^Rhone ^^^^ ß^^g einen Fuß hat, der die vier Flüsse gebiert,
der Rhein, die SO in vier Verschiedenen Richtungen ganz Europa be-
Donaa and der „ -i,.,-^ , • t^/-.- ,•« tt...
Po auf dem wassem: und kein Berg hat semen Fuß in gleicher Hohe
'^"sprin^gTnf" wie er. Dieser erhebt sich zu solcher Höhe, daß er fast
alle Wolken übertrifft, und selten fällt dort Schnee, son-
dern bloß Hagel im Sommer, wenn die Wolken in der
höchsten Höhe sind; und dieser Hagel erhält sich dort
derartig, daß, wäre nicht die Seltenheit des Herabfallens
und des Aufsteigens von Wolken, was nicht zweimal in
einem (età) Menschenalter (? Sommer) geschieht, es dort
sehr hohe Mengen Eis, aufgehäuft durch die Stufen des
Hagels, gäbe. Welches Eis ich Mitte Juli sehr dick fand,
und sah die Luft über mir dunkel und die Sonne, welche
auf den Berg fiel, hier viel leuchtender als in den nie-
drigen Ebenen, weil geringere Dichte der Luft sich zwi-
schen den Gipfel und die Sonne schob.
Regen, Schnee, LXII. MS. F. FOL. 35 f.
Eis, Eisblumen.
Buch 42. Vom Regen
Das Wasser, welches von der Wolke fällt, löst sich
manches Mal zu solcher Leichtigkeit auf, daß es wegen
der Reibung, die es mit der Luft hat, die Luft nicht mehr
zerteilen kann und sich in selbige Luft zu verwandeln
scheint. Hie und da, im Abwärtsgehen, vermehrt (ver-
dichtet) es sich, weil es die winzigen Partikeln von Wasser
antrifft, die wegen ihrer Leichtigkeit langsamen Falles
waren, und diese verleiben es sich ein und bei jedem
Teil ihres Abstieges (discenso) werben sie Mengen von
Wasser an. Manches Mal biegen die Winde den Regen
36
und machen seinen Lauf schief, daher aus solchem Grunde
sein Herabkommen zögernd und langsam wird, und ver-
wandelt sich oft in so kleine Teilchen, daß er nicht mehr
herunter kann und so in der Luft bleibt.
Schreibe, wie die Wolken sich zusammensetzen und wie
sie sich auflösen, und welche Ursache die Wasserdünste
der Erde in die Luft hebt, und den Grund der Nebel
und der verdichteten Luft, und warum sie sich das eine
Mal mehr azurfarbig zeigt und das andere Mal weniger
azurfarbig; und ebenso schreibe von den Regionen der
Luft und dem Grund der Schneefälle und des Hagels, und
vom Zusammenziehen des Wassers und Verhärten zu Eis
und vom Schaffen neuer Figuren von Schnee in der Luft,
und neuer Blattgestalten an den Bäumen in den kalten
Ländern, und von den Eisfelsen und dem Reif, welche
sich zu neuen Gestalten von Pflanzen zusammensetzen,
mit verschiedenen Blättern, wobei dieser Reif fast tut,
als wäre er Tau, angeordnet, besagte Blätter zu nähren
und hervorzubringen.
LXm. MS. CA. FOL. 212 V. Ve&e/, Wind,
Wogen, Wolken,
Wie das Wasser auf verschiedenen Wegen aus dem zu-
sammengedrückten Schwamm herausflüchtet, oder wie die
Luft aus dem Blasebalg, so ist von den dünnen und po-
rösen Nebeln, welche die durch Hitze verursachte Re-
flexion (refression calorose) in die Höhe getrieben, jener
erste Teil, der sich obenauf befindet, derjenige, welcher
vor allem in die kalte Region gerät und hier, durch kalt
und trocken aufgehalten, seinen Gefährten erwartet; jener
von unten, der zum haltenden hinaufsteigt, macht es mit
der Luft, so sich in der Mitte findet, wie eine Spritze;
welche Luft dann zwischendurch und abwärts flieht;
hinauf geht sie nicht, weil sie die Wolke so dicht findet,
daß sie nicht hindurch kann.
Aus diesem Grunde kommen alle Winde, so die Ober-
fläche der Erde bekriegen, von oben herab, und wenn sie
37
Blitz.
auf die widerstehende Erde stoßen, entsteht dadurch hier
eine Rückprallbewegung, welche, im Willen sich wieder
emporzuheben, da den andern Wind findet, der herabsteigt,
diesen Aufstieg bekämpft, wodurch besagte (Luft-)Er-
hebung gezwungen ist, ihre natürliche Ordnung zu brechen,
und, einen Querweg nehmend, einen heftigen Lauf ver-
folgt, der beständig die Oberfläche der Erde streift.
Und wenn die besagten Winde auftreffend die salzigen
Wasser verwunden, erscheint hier klärlich die Form, der
Winkel, nämlich, geschaffen von der Einfallslinie und der
Reflexionslinie, woraus die stolzen und drohenden Wogen
und Sturzseen resultieren, von denen die meisten Male
eine die andere verursacht.
Hier vermöchte wohl irgendwer sich glauben zu machen,
er dürfe wider meinen Beweis von den Winden einwen-
dend mich korrigieren, indem er sagte, diese könnten
nicht von den Wolken erzeugt werden, indem notwendig
wäre, daß die einen stillstünden und die andern in Be-
wegung setzten, und dies werde nicht sichtbar, da, wenn
eine Tramontana (Nordostwind) aufzieht, die Wolken alle
miteinander um die Wette vor besagtem Winde her fliehen.
In betreff dieses ist zu sagen, daß, wenn die Luft in
Ruhe ist und eine volle Provinz von Wolken in die Höhe
steigt und da oben, wie gesagt wurde, sich zusammen-
schließt, so verdrängen sie zwischeneinander all die Luft,
welche durch die gegebene Gewalt (violenza) so viel Be-
wegung in der Atmosphäre gewinnt, daß sie, wie du siehst,
den andern kleinen Wolken Bewegung mitteilt.
Und indem auch sie Luft vorwärts treiben, geben sie in
gleicher Art sich selber Grund zu stärkerer Flucht, denn
wenn sich eine Wolke in der Mitte oder getrennt von
den andern befindet, sobald sie hinter sich Wind erzeugt,
so wird jene Luft, die sich zwischen ihr und ihrem nach-
folgenden Nachbarn befindet, sich vermehren (verdichten),
und, vermehrt, wird selbe nicht anders es machen als das
Pulver in der Bombarde, welches aus seiner benachbarten
38
Lage den weniger schweren Körper und das leichtere
Gewicht verjagt; ist es so, da geschieht es, daß die Wolke,
die den Wind gegen die andern widerstehenden jagt, Ur-
sache wird, sich selber in die Flucht zu jagen.
Und indem sie diese Vorhut von Winden vor sich her
schickt, gibt sie zugleich den andern Vermehrung.
Und schickt sie sie in die Quere, entsteht für irgend-
eine Wolke ein wirbelnder Kreis, und dann kehrt sie in
die Verbindung mit den übrigen zurück.
Gleichwie die natürliche Wärme, so über die mensch-
lichen Gliedmaßen verstreut ist, vom umgebenden Frost,
ihrem Gegner und Feind, rückwärts gejagt wird und, in
den See des Herzens und in die Leber zurückgeströmt,
sich dort verstärkt und aus diesen ihre Festung und
Bastion macht: —
So die Wolken, von warm und feucht zusammengesetzt,
und im Sommer von gewissen trockenen Dünsten, und
wenn sich diese in der kalten und trockenen Region finden,
machen sie es ähnlich wie gewisse Blumen und Blätter,
die vom kalten Reif bekämpft werden, welche, sich zu-
sammenpressend, größeren Widerstand leisten.
Ebenso, bei der ersten Berührung, die selbige mit der
kalten Luft haben, beginnen sie zu widerstehen und nicht
mehr weitergehen zu wollen; die andern von unten be-
obachten ein fortgesetztes Steigen ; der obere Teil, still-
haltend, strebt sich zu verdichten; das Warme und das
Trockene ziehen sich in die Mitte zurück, die Partie von
oben, im Stich gelassen von der Wärme, fängt an zu ge-
frieren oder, genauer, sich aufzulösen; die Wolken von
unten, immer noch aufsteigend, nähern das Warme mehr
dem Kalten, woher es, gezwungen, sich in reines Element
zu verwandeln, sich plötzlich in Feuer umschafft und sich
in die trockenen Dünste mischt und inmitten der Wolke
großes Wachstum macht und, zwischen dem abgekühlten
Gewölke sich entzündend, einen Lärm, wie Wasser, das
in siedendes Pech oder Öl fällt, oder wie geschmolzenes
39
Wasser und
Wärme.
Kupfer, das man in kaltes Wasser warf; also von seinem
Gegner gejagt, zerreißt es das widerstrebende Gewölke
und, die Luft durcheilend, bricht und zerschmettert es,
was sich ihm entgegenstellt; und dieses ist der Blitz.
LXIV. MS. H. III, FOL. 95 r.
Das Wasser, Lebenssaft der irdischen Maschine, bewegt
sich durch seine natürliche Wärme.
Rolle des Wassers LXV
im Naturhaas
halt.
AIS. K. FOL. 2 r.
Das Wasser ist der Kärrner der Natur.
Wasserwirbel
and Lockenhaar.
Schwimmen;
Tauchapparate ;
Anspielung auf
Unterseeboote
und Einrich-
tungen , Schiffe
anter dem Wasser
anzubohren, wo-
zu in den Manu-
skripten Ent-
würfe vorhanden
sind.
LXVI. R. 389, MS. W. FOL. IV.
Beobachte die Bewegung der Oberfläche des Wassers,
das es nach der Gewohnheit (uso) der Haare macht, die
zwei Bewegungen haben, deren eine abhängt vom Ge-
wicht des Strähnes, die andre vom Umriß der Gesichter;
so hat das Wasser seine wirbelnden Drehungen, von denen
ein Teil abhängt vom Anstoß des hauptsächlichen Laufes,
der andre abhängt von der einfallenden und zurückge-
worfenen Bewegung.
LXVII. R. 1 1 14, MS. LEIC. FOL. 22 v.
Wie mittels kleiner Schläuche dies Heer schwimmend
den Fluß übersetzen soll . . . Von der Art, wie die Fische
schwimmen; von der Art, wie sie aus dem Wasser
springen, so wie man die Delphine tun sieht, was als
eine wunderbare Sache erscheint: Sprünge zu machen
auf einem Gegenstand, der nicht verharrt, sondern flieht;
— vom Schwimmen der Tiere langer Gestalt, wie Aale
und dergleichen; — von der Art, gegen die Strömung
und großes Gefälle der Flüsse zu schwimmen; — von
der Art, wie Fische runder Gestalt schwimmen; — wie
die Tiere, so keine langen Hinterbeine haben, nicht
schwimmen können; — wie alle andern Tiere von Natur
aus schwimmen können, so sie die Füße mit Zehen
haben, außer der Mensch; — wie der Mensch schwim-
men lernen soll; — von der Art, sich auf dem Wasser
40
auszuruhen; — wie der Mensch sich gegen die Wirbel
oder Strudel des Wassers verteidigen soll, die ihn auf
den Grund ziehen; — wie der auf den Grund hinabge-
zogene Mensch die Reflexbewegung suchen soll, die ihn
aus der Tiefe emporschleudert; — wie man mit den
Armen gehen soll; — wie man auf dem Rücken
schwimmen soll; — wie, und wie nicht man unter dem
Wasser bleiben kann, außer man vermag den Atem zu-
rückzuhalten; — wie viele vermittels eines Instrumentes
eine Weile unter dem Wasser bleiben; — wie und warum
ich nicht meine Art schreibe, unter dem Wasser zu blei-
ben, solang ich bleiben kann, ohne zu essen; und dies
veröffentliche ich nicht oder erkläre es, wegen der bösen
Natur der Menschen, welche Art sie zu Ermordungen auf
dem Grund des Meeres anwenden würden, indem sie
den Boden der Schiffe brächen und selbige mitsamt den
Menschen versenkten, die drinnen sind, und wenn ich
andre Arten lehre, sind diese nicht gefährlich, weil über
dem Wasser der Mund des Rohres erscheint, durch das
sie, getragen von den Schläuchen oder Kork, atmen.
LXVIII. MS. A. FOL. 61 r. Fortpflanzung
des Schalls.
Obwohl die Stimmen, so diese Luft durchdringen, sich
in kreisförmigen Bewegungen von ihrer Ursache trennen,
— nichtsdestoweniger begegnen die Kreise, die sich von
verschiedenen Anfängen bewegen, einander ohne irgend-
welche Hinderung und durchdringen und passieren einer
den anderen, — so erhalten sie sich doch immer ihre
Ursache als Mittelpunkt.
Weil in allen Fällen der Bewegung das Wasser große
Gleichheit mit der Luft hat, werde ich es, des Beispiels
halber, mit obengenanntem Satz verbinden. Ich sage,
wenn du zu gleicher Zeit zwei kleine Steine, ein bißchen
entfernt einen vom andern, in einen See von Wasser,
das ohne Bewegung, wirfst, wirst du rings um die zwei
besagten Stücke zwei getrennte Mengen von Kreisen her-
41
vorgerufen sehen, welche Mengen, wachsend, sich schließ-
lich begegnen, dann sich einander einverleiben, indem
ein Kreis den andern durchschneidet, und immer dabei
als Mittelpunkt die Orte aufrecht erhält, wo die Steine
aufschlugen. Und der Grund davon ist, daß, obschon
sich irgendein Anschein von Bewegung zeigte, das Wasser
sich nicht von seinem Platze trennt, weil die Öffnungen,
die ihm von den Steinen gemacht worden sind, sofort
sich wieder schlössen, und diese Bewegung des plötz-
lichen Öffnens und Schließens des Wassers macht darin
eine gewisse Erschütterung, die man viel eher als ein
Zittern denn als Bewegung ansprechen kann. Und damit,
was ich dir sage, sich dir offenbarer mache, gib acht auf
jene Splitterchen, die wegen ihrer Leichtigkeit auf dem
Wasser bleiben, — daß durch die Welle, so unter ihnen
durch das Herankommen der Kreise entsteht, sie dennoch
nicht ihren früheren Ort verlassen. Nachdem also diese
ganze Erschütterung des Wassers viel eher ein Erzittern
als eine Bewegung ist, können sie (die Kreise) sich beim
Begegnen nicht einer den andern zerbrechen; denn weil
das Wasser alle seine Partien von der gleichen Qualität
hat, ist es notwendig, daß die Teile mit selbigem Zittern
einander anstecken, ohne sich von ihrem Ort zu rühren,
weil das Wasser, indem es auf seinem Platze bleibt,
leicht dieses Zittern von dem benachbarten Teile über-
nehmen kann und sie dem andern benachbarten weiter-
geben, immer dessen Kraft vermindernd, bis zu Ende.
Wo der Schall LXIX. MS. A. FOL. 22 V.
erzeugt wird.
Vom Schlag
Der Schlag der Glocke läßt hinter sich sein Abbild zu-
rück, eingedrückt wie es die Sonne dem Auge ist oder
der Geruch der Luft; aber es muß nachgesehen werden,
ob das Abbild des Schlages in der Glocke bleibt oder
in der Luft, und dies wirst du erkennen, wenn du nach
42
selbigem Schlag dein Ohr auf die Oberfläche der Glocke
legst.
LXX. MS. A. FOL. 22 V. Mitklingen glei.
eher und ver-
Vom Schlag wandter Töne.
Der einer Glocke gegebene Schlag wird beantwortet und
bewegt ein bißchen eine andere ihr gleiche Glocke, und
die berührte Saite einer Laute findet Antwort und bewegt
ein wenig eine andere gleiche Saite von gleicher Stimme
in einer andern Laute, und dies wirst du sehen, wenn
du einen Strohhalm auf die Saite legst, so der gespielten
gleich ist.
LXXI. MS. A. FOL. 23 r. Kraft des Tones.
Ob viele kleine Stimmen zusammengetan ein Geräusch
machen, wie eine große? — Ich sage nein, denn wenn
du zehntausend Stimmen von Fliegen vereinigt nähmest,
werden sie nicht so von weitem gehört werden, wie die
Stimme eines Menschen, welche Stimme des Menschen,
in zehntausend Teile geteilt, in keinem dieser Teile gleich
sein wird der Größe der Stimme einer Fliege.
LXXIL MS. B. FOL. 6 r. Fortpflanzung
, . r> 1 • no • it rr- n • ^^^ SchulleS in
wenn du dem Schirr anhalten wirst und den Kopf eines flüssigen und in
Sprachrohrs auf das Wasser setzen und das andere Ende ^^ *"?'*'■"•
an dein Ohr, so wirst du Schiffe hören, die recht weit
von dir entfernt sind.
Und das gleiche wirst du machen, wenn du besagten
Kopf des Sprachrohres auf die Erde stellst, und du wirst
hören, wer weit von dir vorübergeht.
LXXIIL MS. A.FOL. 9 V. Der Schall und
das Licht ver-
Wie der Stein, ins Wasser geworfen, sich zum Mittel- breiten_ sich
punkte macht und verschiedene Kreise verursacht, so ver-
breitet der in der Luft erzeugte Ton sich in Kreisen; so
breitet jeder Körper, der in die leuchtende Atmosphäre
43
wellenförmig.
gestellt ist, sich in Kreisen aus und füllt die umgebenden
Teile mit zahllosen seiner Abbilder und erscheint als
Ganzes völlig und völlig in jedem Teile.
Reflexion des LXXIV. MS. A. FOL. 19 V.
Schalles.
Die Stimme, die an ein Objekt anprallt, wird zum Ohr
auf einer Linie von gleicher Neigung zurückkehren, als
die Einfallslinie war, nämlich die Linie, welche die
Stimme von ihrer Urheberschaft zum Orte hinträgt, wo
diese Stimme sich wieder zu bilden vermag (wo sie auf-
gefangen wird), und macht es diese Stimme im Gleich-
nis einer Sache, die man im Spiegel sieht, welche Sache
ganz auf dem ganzen Spiegel ist und ganz auf jedem
Teil
Nehmen wir das Beispiel der Sonne; wenn du am Ufer
eines Flusses einhergehst und du siehst die Sonne in
genanntem Fluß sich spiegeln, solang als du neben dem
Fluß wandelst, so lang wird dir scheinen, daß die Sonne
mit dir gehe, und dies, weil die Sonne ganz im Ganzen
und ganz in jedem Teile ist.
Die Lichtstrahlen LXXV. MS. A. FOL. 8 V.
pflanzen sich im
gleichen Mittel Ich bitte, daß mir die Behauptung zugestanden werde,
img 0 . ^^^ ^jj^ Strahlen, welche durch eine Luft von gleich-
förmiger Feinheit durchgehen, auf gerader Linie von ihrem
Ursprung zu ihrem Objekt oder Anprall eilen.
Undeutliche Ah- LXXVI. MS. A. FOL. 64 r.
nang vom Zu-
sammenhang der Jeder Körper, den man durch ein gekrümmtes Mittel
Strahlen- . , . .._
brechung und der Sieht, erschemt großer.
Art des Mittels.
Desgleichen. LXXVII. MS. F. FOL. 60 F.
Alle Grade der Elemente, durch welche die Abbilder
der himmlischen Körper gehen, so in unser Auge kom-
men, sind krumm und die Winkel, in welchen die mitt-
leren Linien dieser Abbilder in sie eindringen, sind nicht
gleich.
44
LXXVIII. CA. FOL. 121 r. Ahnlicher Ge-
Die Bewegung des Blitzes, der in der Wolke geboren
wird, ist gekrümmt, weil er sich vom Dichten ins Dünne
biegt, welche Dichtigkeit durch die Wut seiner vorbe-
sagten Bewegung entsteht. Selbiger Blitz, weil er sich
nicht mit der begonnenen Geradheit ausbreiten kann, biegt
zum allergeschwindesten Durchlauf des Weges ab, den
er dann fortsetzt, bis er sich das zweitnächste Hindernis
erzeugt hat, und derartig, nach solcher Regel, geht es
weiter bis an sein Ende.
LXXIX. MS. A. FOL. 2 V. über die Fort-
Pflanzung des
Jeder Körper füllt die umgebende Luft mit seinem Ab- Lichtes.
biid, welches Abbild völlig ist im Ganzen und völlig im
Teile.
Die Luft ist voll von unzähligen geraden und leuchten-
den Linien, die sich durchschneiden und miteinander ver-
weben ohne gegenseitige Verdrängung: präsentieren jeg-
lichem, das sich ihnen gegenüberstellt (Objekt, obbietto)
die wahre Form ihrer Ursache.
LXXX. MS. ASH. I, FOL. 6 V. Desgleichen.
Der Körper der Luft ist voll zahlloser Pyramiden, zu-
sammengesetzt aus leuchtenden und geraden Linien, die
von den oberflächlichen Enden (Grenzen) der schattigen
Körper verursacht werden, so in selbige Luft gesetzt sind,
und je mehr sie sich von ihrer Ursache entfernen, desto
spitzer werden sie, und obwohl ihr Lauf durchschnitten
und mit anderen verwebt ist, verwirren sie sich doch
nicht ineinander und mit divergierendem Laufe gehen sie,
sich verbreitend durch die ganze umgebende Luft, die sie
erfüllen, sind untereinander von gleicher Kraft und alle
wie eine und eine wie alle, und durch sie wird das Bild
des Körpers getragen und als Ganzes überall hingetragen
und ganz in jedem Teil, und jede Pyramide für sich emp-
fängt in jedem minimalsten seiner Teile die ganze Form
seiner Ursache.
45
Desgleichen. LXXXI. MS. CA. FOL. 101 V.
Der Körper der Luft ist angefüllt mit zahllosen Strahlen-
Pyramiden, hervorgerufen von den Dingen, die in selbige
gestellt sind, welche (Strahlenpyramiden), sich durchsägend
und ineinander verwebt, ohne einander zu verdrängen, mit
gesondertem Laufe sich der ganzen umliegenden Luft
verschmelzen, und sind von gleicher Macht, und alle ver-
mögen soviel wie jede, und jede so viel wie alle, und durch
sie wird das Abbild des Körpers ganz ins Ganze getragen
und ganz in die Teile, und jedes empfängt in jedem klein-
sten Teil die Ursache völlig.
Versuche mit der LXXXIL R. 66, MS. W. L. FOL. 145.
Camera obscara.
Die Abbilder (spezie) der Körper sind völlig in die Luft
hinein ergossen (infuso), welche sie sieht, und sind alle
in jedem Teil der Luft enthalten; man beweist es: seien
es die Objekte a, c, e, deren Abbilder durch die kleinen
Löcher u, p in ein dunkles Zimmer dringen und sich auf
der Wand /, i abdrucken, welche selbigen kleinen Löchern
gegenübersteht. Diese Eindrücke werden auf so vielen
Orten selbiger Wand gemacht sein, als die Zahl besagter
Löcher ist.
Das Aufrecht- LXXXIIL MS. C. FOL. 6 f.
sehen.
. . . Alle die Sachen, welche das Auge jenseits des kleinen
Spaltes sieht, werden von diesem Auge kopfüber gesehen
und als aufrecht erkannt (conosciute).
Vom Sehen und LXXXIV. MS. CA. FOL. 345 f.
der Pupille.
Zeige, wie keinerlei Sache gesehen werden kann, außer
durch einen kleinen Spalt, wo die Luft voller Abbilder
(spezie) der Gegenstände hindurchgeht, welche (Abbilder)
einander zwischen den dichten und undurchsichtigen Sei-
ten des vorbesagten Spaltes durchsägen (kreuzen), und
deshalb vermag eine Sache, die keinen Körper hat, weder
Gestalt noch Farbe irgendeines Gegenstandes zu sehen,
sintemalen es ihm notwendig ist, daß ein dichtes und
46
undurchsichtiges Instrument für den Spalt vorhanden sei,
durch welchen die Spezien dem Objekte (das sie auffängt)
ihre Farben und Gestalten aufdrücken.
LXXXV. MS. CA. FOL. 345 V. Desgleichen.
(Die Natur des Auges studierend:)
Hier sind die Figuren, hier die Farben, hier alle Ab-
bilder der Teile des Weltalls in einen Punkt gesammelt,
und dieser Punkt ist ein solches Wunder!
O wunderbare und staunenswerte Notwendigkeit, du
zwingst mit deinem Gesetz alle Wirkungen, auf kürzestem
Weg an ihren Ursachen teilzuhaben.
Dieses sind die Wunder, welche (unleserlich)
Schreibe in deiner Anatomie, wie in so winzigem Räume
das Bild (der sichtbaren Dinge) wiedergeboren werden
und sich in seiner Ausdehnung wiederherstellen könne.
il III. SONNE/MOND UND ERDE
Die Sonne.
MS. F. FOL. 5 r.
Ihre Größe.
Irrtum des
Epikar.
Irrtum des
Schrates.
Lob der Sonne
enn du die Sterne anschaust, ohne Strahlen —
wie man es tut, wenn man sie durch ein kleines
Loch ansieht, das mit der äußersten Spitze der
feinen Nadel gemacht ist und welches so gestellt
ist, das es fast das Auge berührt, — wirst du
selbige Sterne so winzig finden, daß keine Sache kleiner
zu sein scheint; und wahrhaftig, die weite Entfernung
leiht ihnen vernunftgemäße Verringerung, obschon es viele
gibt, die vielmalig größer sind als jener Stern, so die
Erde mit dem Wasser ist. Nun denke, was dieser unser
Stern in solcher Entfernung scheinen müßte, und über-
lege dann, wie viele Sterne man sowohl in der Länge als
in der Breite zwischen selbige Sterne legte, die im finstern
Raum ausgesät sind. Aber ich bin außerstande, nicht
zu tadeln viele von den Alten, welche sagen, daß die
Sonne keine andere Größe habe als die, welche sie zeigt:
unter denen Epikur war, und ich glaube, sie nahmen
solchen Grund von einem Licht, das in diese unsre Luft
gesetzt wäre, die in stets gleicher Entfernung vom Zen-
trum ist: wer es sieht, sieht es nie verkleinert an Größe,
in keiner Entfernung, und die Gründe ihrer Größe und
MS. FOL. 4 V.
Tugend verspare ich auf das vierte Buch; aber wohl
staune ich, daß Sokrates diesen selbigen Körper tadelt
und daß er ihn einem feurigen Steine gleich nennt, und
sicher, wer ihn darob des Irrtums zieh, sündigte kaum.
Doch ich möchte Wörter haben, die mir dienten, jene zu
tadeln, die es mehr loben wollen, Menschen anzubeten als
48
dergleichen Sonne, da ich im Weltall keinen Körper von
größerer Erhabenheit und Tugend sehe als sie, und ihr
Licht erleuchtet alle Himmelskörper, die über das Weltall
sich verteilen. Alle Seelen stammen von ihr, weil die
Wärme, die in den lebenden Wesen ist, von den Seelen
kommt, und keine andere Wärme noch Licht im Universum
ist, wie ich im vierten Buche zeigen werde. Und sicher,
daß jene, so Menschen für Götter haben anbeten wollen,
wie Jupiter, Saturn, Mars und dergleichen, den größten
Irrtum begangen haben, sehend, daß, auch wenn der
Mensch so groß wäre wie unsre Welt, daß er gleich
einem winzigen Stern wäre, der ein Punkt im Weltall
scheint, und außerdem bemerkend, daß selbige Menschen
sterblich sind und verweslich und faulbar in ihren Särgen.
Randbemerkung: Die Spera und Marullo loben, mit
vielen anderen, selbige Sonne.
II. MS. F. FOL. 6 r.
Vielleicht sah Epikur die Schatten der Säulen, die auf
die gegenüberstehende Mauer zurückgeworfen waren, dem
Durchmesser der Säule gleich, von der solcher Schatten
ausging. Da also der Zusammenlauf der Schatten parallel
blieb vom Ausgang bis zum Ende, schien ihm zu schließen,
daß die Sonne gleichfalls einer solchen Parallele Front biete
und folglich nicht dicker sei als solche Säule, und bemerkte
gar nicht, daß solche Verkleinerung des Schattens nicht
fühlbar sei, wegen der weiten Entfernung der Sonne.
Wäre die Sonne kleiner als die Erde, ein großer Teil
der Sterne unserer Hemisphäre würde ohne Licht sein.
Gegen Epikur, der sagt, so groß ist die Sonne, als wie
sie scheint.
m. MS. F. FOL. 8 V.
Epikur sagt, die Sonne ist so groß, wie sie sich dar-
zeigt; also, sie scheint einen Fuß groß, und für so haben
wir sie zu halten. Folgte daraus, daß der Mond, wenn
er die Sonne verfinstern macht, die Sonne ihn an Größe
Quelle des
Lichtes der
Sterne.
Quelle der
Wärme and des
Lebens — alles
Beseelung.
Die Sonne ist
mehr Gott als
die Götter der
Griechen es
waren, diese Ver-
göttlichungen des
Menschen in sei-
ner Kleinheit und
Vergänglichkeit.
Die ^ Spera''
von Goto Dati
(Florenz, 1478).
„Hymni et epi-
grammata" des
Michele Tarca-
nioto , genannt
Marullo(Florenz,
1497).
Fortsetzung.
Fortsetzung.
Herzfeld, Leonardo
49
nicht übertrifft, wie sie es tut; deshalb, da der Mond
kleiner als die Sonne, wäre selbiger Mond weniger denn
einen Fuß groß, und folglich, wenn unsre Welt den Mond
verfinstern macht, wäre sie noch um einen Zoll kleiner
als der Fuß. In der Tat, wenn die Sonne einen Fuß hat,
und unsre Erde auf dem Mond einen pyramidenförmigen
Schatten macht, ist es notwendig, daß größer sei die
leuchtende Ursache des Pyramidenschattens als das Opake,
Grund dieser Pyramide.
Beweis, daß IV. MS. F. FOL. 10 r.
EpikarsAnnahme
falsch ist. jviiß, wieviel Sonnen man in ihren Lauf von 24 Stunden
setzen könnte.
Mache einen Kreis und wende ihn nach Süden, wie es
die Sonnenuhren sind; stecke einen Stab in die Mitte,
auf die Art, daß seine Länge um das Zentrum selbigen
Kreises bewegt wird ; bezeichne den Schatten, den die
Sonne von diesem Stab auf dem Umfang dieses Zirkels
macht, und daß der Schatten breit sein wird, sagen wir,
im ganzen a n. Nun miß, wievielmal solcher Schatten
hineingeht in solchen Umfang des Kreises, und so viel
wird die Zahl sein, als der Sonnenkörper in seinen Lauf
von 24 Stunden hineingeht. Und da wird man sehen
können, ob Epikur es richtig sagte, daß die Sonne so
groß sei, wie sie scheint, daß — nachdem der Durch-
messer der Sonne ein Fußmaß scheint, und selbige Sonne
tausendmal in ihren Lauf von 24 Stunden hineingeht, —
sie tausend Fuß, d. h. 500 Ellen, gelaufen wäre, was ein
Sechstel einer Meile ist. Also ist es, daß der Lauf der
Sonne in Tag und Nacht den sechsten Teil einer Meile
gegangen wäre, und daß diese ehrwürdige Schnecke von
Sonne 25 (20^*'/i2) Ellen die Stunde zurückgelegt hätte.
Ob die Sonne an V. MS. F. FOL. 86 r.
sich warm ist.
Es gehen die Sonnenstrahlen durch die kalte Region der
Luft und ändern ihre Natur nicht, gehen durch Gläser
50
voll kalten Wassers und mangeln nicht gegen ihre Natur,
und durch welchen durchsichtigen Ort sie auch gingen,
ist's, als durchdrängen sie ebensoviel Luft.
Und wenn du willst, daß die kalten Strahlen der Sonne
sich die Hitze des Feuers einverleiben, indem sie sein
Element durchdringen, wie sie sich die Farbe der Gläser
einverleiben, die sie durchdringen, würde daraus folgen,
daß beim Durchdringen der kalten Region sie sich selbige
Kälte aneigneten, nach der Einverleibung genannter Wärme,
und so würde die Kälte die Wärme vernichten, so daß
die Sonnenstrahlen der Wärme beraubt zu uns kämen.
Da dies durch die Erfahrung nicht bestätigt wird, ist der- ^'"ieites^^del^'
gleichen Meinung, daß die Sonne kalt sei, eitel. Feuers and des
o o? 7 Elementes der
Aber wenn du sagtest, daß die Kälte, durch welche die ^«/f «o/ die
_ -, , , , ,. .. , .. n. TT. Sonnenstrahlen.
entflammten Sonnenstrahlen gehen, die übermäßige Hitze
solcher Strahlen ein wenig milderte, würde daraus folgen,
daß auf den hohen Gipfeln des Caucas (Kaukasus), eines
skythischen Gebirges, man eine größere Hitze als in den
Tälern spürte, weil dieser Berg die mittlere Region der
Luft überragt, so daß es nahe dem Gipfel nie Wolken
gibt, noch irgendeine Sache dort hervorgebracht wird.
VL MS. F. FOL. 86 r. Widerlegungen.
Und wenn du sagst, daß solche Sonnenstrahlen das Ele-
ment des Feuers zu uns schieben, durch welches sie in
örtlicher Bewegung gehen, so kann das nicht fest bestehen,
weil die fortschreitende Bewegung solchen Strahles durch
die Luft nicht ohne Länge der Zeit geschieht, und um
so viel mehr, wenn sie am Horizont erscheint, wo die
Sonne um 3500 Meilen weiter von uns entfernt ist, als
wenn sie in der Mitte unseres Himmels steht; und täte
sie so, sie würde unsern entgegengesetzten Horizont ab-
kühlen, weil sie mit ihren Strahlen die entgegengesetzte
Partie des Feuers wegtrüge, das sie durchdringt.
(Auf dem Rand): Wenn das kleinere Feuer vom größeren '^'""Ij*^^"*''"
angezogen und unterworfen wird, wie in der Erfahrung
4*
51
Weitere Beweise,
daß die Sonne
warm ist.
Wärmestrahlen
von Hohlspiegeln
reflektiert.
Wärmestrahlen,
die durch eine
Kagel mit kaltem
Wasser gehen.
Polemik gegen
ene , die be-
haupten, die
Sonne sei kalt.
man es geschehen sieht, so ist es notwendig, daß die
Sonne viel eher das Element des Feuers an sich zieht,
als daß sie es verjagte oder zu uns stieße.
Und die Hitze des Feuers steigt nicht herab, wenn sie
nicht feuriger Materie folgt ; und wenn sie also tut, ist
sie materiell und daher sichtbar.
VII. MS. F. FOL. 85 v.
Es erweist sich die Sonne nach ihrer Natur warm zu
sein, und nicht kalt, wie schon gesagt wurde.
Der Konkavspiegel, welcher kalt ist, — wenn er die
Strahlen des Feuers empfängt, er wirft sie zurück, heißer
als das Feuer selbst.
Die Glaskugel, mit kaltem Wasser gefüllt, schickt aus
sich heraus die Strahlen, die aus dem Feuer genommen
sind, noch viel heißer als dieses Feuer.
Aus diesen zwei besagten Versuchen folgt, daß selbige
Wärme der Strahlen, die aus dem Spiegel oder aus der
Kugel mit kaltem Wasser kamen, warm ist aus eigener
Kraft und Tugend, und nicht, weil selbiger Spiegel oder
Kugel warm gewesen; und das gleiche in diesem Falle
geschieht der Sonne, die durch diese Körper geht, die sie
durch eigene Kraft erwärmt, und darum hat man ge-
schlossen, daß die Sonne nicht heiß sei, während man
durch dieselben angedeuteten Versuche beweist, daß die
Sonne außerordentlich heiß ist, — durch besagten Ver-
such vom Spiegel und der Kugel, die, an sich kalt, die
Strahlen der Wärme des Feuers ergreifend, sie als warme
Strahlen zurückgeben, weil ihre erste Ursache warm ist,
und das gleiche geschieht mit der Sonne, die, selber
warm, durch kalte Spiegel gehend, große Wärme zurück-
strahlt.
VIII. MS. F. FOL. 34 V.
Von der Sonne
Sie sagen, die Sonne sei nicht heiß, weil sie nicht von
der Farbe des Feuers ist, sondern viel weißer und heller.
52
Und diesen kann man antworten, daß, wenn die Bronze,
flüssig gemacht, viel heißer ist, sie der Farbe der Sonne
ähnlicher ist und, wenn sie weniger heiß ist, sie mehr
die Farbe des Feuers hat.
IX. R. 886, MS. W. L. FOL. 132 r. Unbewegiichkeit
der Sonne.
Die Sonne bewegt sich nicht
(J. P. Richter bemerkt hierzu: „Dieser Satz stößt einem mitten
unter mathematischen Noten auf und ist mit ungewöhnlich
großen Buchstaben geschrieben".
X. MS. CA. FOL. 119 r. Gegenjene, die
ihm Mangel an
Viele werden glauben, mich vernünftigerweise rügen zu Ehrfurcht vor
. , . , n , . , , « • T^ • «'«i Autoritäten
können, mdem sie darauf hmdeuten, daß meine Beweise vorwerfen wer-
gegen die Autorität einiger Männer sind, denen große
Ehrfurcht gebührt, wobei sie in ihren unreifen Urteilen
nicht beachten, daß meine Sachen aus der einfachen und
bloßen Erfahrung geboren sind, welche die wahre Lehr-
meisterin ist. Diese Regeln sind der Grund usw.
XL R. 876, MS. BR. M. FOL. 28 r. Vom Licht des
Mondes.
Unmöglich ist es, daß so viel, als die Sonne vom sphä-
rischen Spiegel beleuchtet, so viel von selbigem Spiegel
zurückzuglänzen habe, wenn selbiger Spiegel nicht gewellt
oder mit kleinen Erhabenheiten bedeckt wäre.
Sieh hier die Sonne einen sphärischen Spiegel, den Mond,
beleuchten, und so viel selbige Sonne von ihm erblickt,
so viel macht sie glänzen.
Hier wird man schließen, daß jenes, was von dem
Monde leuchtet, Wasser ist, gleich jenem unserer Meere;
was von ihm nicht leuchtet, sind Inseln und festes Land.
XIL R. 892, MS. BR. M. FOL. 94 r.
Vom Mond Allerlei Mond-
fragen.
Wenn ich vom Wesen des Mondes handeln will, ist es
notwendig, erst die Perspektive der flachen, vertieften S^ÄÄ??.
und erhabenen Spiegel zu beschreiben, und vorerst, was kavspiegeis.
ein Lichtstrahl ist und wie er sich nach der verschie-
53
denen Natur der Mittel biegt. Hierauf, wo der zurück-
geworfene Strahl am mächtigsten ist, entweder, wo der
Einfallswinkel ein spitzer, rechter und stumpfer ist, oder
in der Konvexität, der Planfläche oder Konkavität, oder
wenn er von einem dichten oder einem durchsichtigen
Körper kommt. Überdies, wie die Sonnenstrahlen, so auf
die Wogen des Meeres prallen, sich dem Auge in gleicher
Weite des Sehwinkels darstellen, wie auf der letzten
Spitze der Wogen am Horizont, und daß darum es nicht
fehlt, daß solcher Glanz der Sonne, von den Meereswogen
zurückgeworfen, pyramidale Form habe und daher bei
jedem Grad der Entfernung Grade der Breite erwerbe,
wenngleich unserem Gesicht sie parallel erscheinen.
^'"sch^lbu"""^ 1° Kein ganz Leichtes ist opak.
2° Nichts Leichteres steht tiefer als das minder
Leichte.
3° Ob der Mond seinen Sitz inmitten seiner Ele-
mente hat oder nicht,
und wenn er keinen eigenen Platz hat, wie die Erde, in-
mitten seiner Elemente, warum fällt er nicht ins Zentrum
unserer Elemente?
Und wenn der Mond nicht in der Mitte seiner Elemente
ist und dennoch nicht herabkommt, also ist er leichter
als anderes Element.
Und wenn der Mond leichter ist als anderes Element
warum ist er fest und scheint nicht durch (und ist nicht
durchsichtig)?
Wenn Gegenstände verschiedener Größe, die, in ver-
schiedene Entfernungen gesetzt, sich gleich zeigen, muß
solches Verhältnis zwischen Entfernung und Entfernung
sein wie zwischen Größe und Größe.
Mondlicht, Er- XIII. R. 896, MS. BR. M. FOL. 94 v.
Vom Mond
Der Mond hat kein Licht von sich, aber so viel, als die
Sonne von ihm sieht, so viel erleuchtet sie, von welchem
54
Leuchtenden wir so viel erblicken, als es von uns sieht.
Und seine Nacht empfängt so viel Glanz, als ihm unsere
Gewässer leihen, indem sie ihm das Abbild der Sonne
zurückwerfen, die in allen jenen (Gewässern), so Sonne
und Mond sehen, sich spiegelt. Die Haut oder besser
Oberfläche des Wassers, aus dem sich das Meer des Mon-
des und das Meer unserer Erde zusammensetzt, ist immer
gerunzelt, wenig oder viel oder mehr oder weniger, und
diese Runzeln sind der Grund, die zahllosen Scheinbilder
der Sonne auszudehnen, die auf den Hügeln und Erhaben-
heiten und Seiten und Fronten der unzähligen Runzeln
sich spiegeln, das heißt, an so viel verschiedenen Plätzen
jeder Runzel als die Plätze verschieden sind, so die
Augen innehaben, welche sie sehen, was nicht geschehen
könnte, wenn die Sphäre von Wasser, welche den Mond
zum großen Teil umkleidet, von gleichförmiger Rundung
wäre, weil dann das Scheinbild der Sonne eins wäre für
jedes Auge, und seine Reflexion einzeln abgesondert und
wäre immer kugeliger Glanz, wie es uns deutlich die
vergoldeten Bälle anzeigen, die auf den Spitzen der
hohen Gebäude sind. Aber wenn selbige goldenen Bälle
runzelig wären und höckerig, wie es die Maulbeeren
sind, schwarze Früchte, zusammengesetzt aus winzigen
runden Kügelchen, dann würde jeder von den Teilen
selbiger Kugeligkeit, von der Sonne gesehen und dem
Auge, selbigem Auge den Glanz zeigen, so das Schein-
bild der Sonne hervorgerufen, und so sähe man in ein
und demselben Körper viele winzige Sonnen, bei denen
häufig jene Male sind, wo sie wegen langer Entfernung
sich vereinigen und verschmolzen erscheinen . . .
XIV. R. 896, MS. BR. M. FOL. 94 V. Der Mond ein
fester andarch-
Der Mond ist ein undurchsichtiger und fester Körper, sic/i«iger Körper.
und wenn er, im Gegenteil, durchsichtig wäre, nähme er ^ ...
° ' Ol £^ schwebt in
nicht das Licht der Sonne in Empfang. seinen Elementen
TX i^i. j T^ t T^. .,-.. ... • "''^ <i<^^ Eidotter
Das Gelbe oder Dotter des Eies befindet sich inmitten im Eiweiß.
55
erhält.
seines Eiweiß, ohne in irgendwelchen Teil hinabzusinken;
und ist leichter oder schwerer oder gleich schwer wie
selbiges Eiweiß; und wäre es leichter, so müßte es über
alles Eiweiß aufsteigen und bei der Berührung mit der
Schale selbigen Eies stehen bleiben, und wäre es schwerer,
so müßte es sinken, und ist es gleich schwer, so könnte
es an einem der Enden stehen, ebenso wie in der Mitte
oder darunter.
^'t ^TZ^°A 'l XV. R. 902, MS. LEIC. FOL. 2 r.
sich erklart, daß '
der Mond sich Vom Mnnd
im Gleichgewicht V Om iVlOUa
Kein Dichtes ist leichter als die Luft.
Nachdem wir bewiesen haben, daß jener Teil des Mondes,
der leuchtet, Wasser ist, das den Körper der Sonne
spiegelt und den von ihr erhaltenen Glanz zurückwirft,
und daß, wenn selbiges Wasser ohne Wellen wäre, er
sich klein zeigen müßte, aber an Glanz fast gleich der
Sonne; — so muß nun bewiesen werden, ob selbiger
Mond ein schwerer Körper ist oder ein leichter, denn,
wäre er schwer, zugegeben sogar, daß von der Erde auf-
wärts mit jedem Grad von Höhe man Grade von Leichtig-
keit hinzu erwirbt, weshalb das Wasser leichter ist denn
die Erde, und die Luft als das Wasser, und das Feuer als
die Luft, und so der Reihe nach folgend, — es würde
scheinen, daß der Mond, wenn er Dichte besäße, wie er
sie ja hat, er auch Schwere hätte, und wenn er Schwere
hat, daß der Raum, in dem er sich befindet, ihn nicht
tragen könnte, und daher er gegen den Mittelpunkt des
Universums sinken und sich mit der Erde vereinigen
müßte, und wenn schon nicht er, wenigstens seine Ge-
wässer zu fallen hätten und ihn von sich zu entblößen,
und gegen das Zentrum zu fallen und den Mond ihrer
beraubt zu lassen und ohne Glanz; daher, nicht befolgend,
was von ihm die Vernunft uns verspricht, ist offenbares
Zeichen vorhanden, daß der Mond von seinen Elementen
bekleidet ist, d. h. von Wasser, Luft und Feuer und also
56
in sich beschlossen durch sich selbst in jenem Räume
sich erhält, wie es diese unsere Erde mit ihren Elementen
in diesem andern Räume tut, und daß solchen Dienst die
schweren Dinge in seinen Elementen vollziehen, welchen
die andern schweren Dinge in unsern Elementen machen.
Wenn das Auge im Osten den Mond im Westen nahe Erklärung des
der untergegangenen Sonne erblickt, sieht es ihn mit
seiner beschatteten Partie von einem leuchtenden Teil
umgeben, von welchem Licht der seitliche und obere Teil
von der Sonne herstammt, und der untere Teil vom
Ozean, der gleichfalls die Sonnenstrahlen empfängt und
sie auf die untern Meere des Mondes zurückwirft, und
auch über die ganze schattige Partie des Mondes hin so
viel Glanz gibt, als jener ist, den der Mond um Mitter-
nacht der Erde gibt, und daher bleibt jene Partie nicht
ganz dunkel, woraus einige gemeint haben, der Mond
habe zum Teil Licht von sich, außer dem, so ihm die
Sonne gibt, welches Licht aus vorbesagtem Grunde von
unsern Meeren stammt, die die Sonne beleuchtet . . .
XVL R, 906, MS. BR. M. FOL. 19 r. Die Flecken des
Mondes.
Wenn du die Einzelheiten der Flecken des Mondes
unter Beobachtung hältst, wirst du in ihnen oftmals großen
Unterschied finden, und davon habe ich selbst Proben
gemacht, indem ich sie zeichnete. Und dies kommt von
Wolken, die sich aus den Wassern dieses Mondes heben,
so sich zwischen die Sonne und selbige Wasser schieben
und mit ihrem Schatten die Strahlen der Sonne solchem
Wasser rauben, wodurch jenes Wasser dazu kommt,
dunkel zu bleiben, weil es den Sonnenkörper nicht spie-
geln kann.
XVII. MS. CA. FOL. 190 r. Fernrohr?
Mache Gläser für die Augen, um den Mond groß zu
sehen.
57
Ober die Natar XVIII. MS. F. FOL. 84 r.
der Flecken im
Mond. Flecken des Mondes
Einige sagen, daß sich auf ihm Dünste erheben, in Art
von Wolken, und sich zwischen den Mond und unsere
Augen schieben; welches, wenn dem so wäre, machte,
daß solche Flecken nie stabil sein würden, weder in der
Stellung, noch in der Figur, und da man den Mond in
verschiedenen Aspekten sieht, — auch wenn jene Flecken
selbst sich nicht veränderten, sie müßten die Gestalt
wechseln, wie jene Sache tut, die man von verschiedenen
Seiten sieht.
Irrtümliche XIX. MS. CA. FOL. 303 V.
Theorie über die
Jahreszeiten des Der Mond hat jeden Monat einen wmter und emen
Mondes. _
Sommer.
Er hat größere Hitzen und größere Kälten, und seine
Äquinoktien sind kälter als die unsrigen.
Weshalb man bei XX. MS. F. FOL. 5 V.
Tag die Sterne . ~^
nicht sieht. Man Sieht die Sterne des Nachts und nicht bei Tag,
weil wir uns unter der Dicke der Luft befinden, welche
voll unendlicher Teilchen von Feuchtigkeit ist, die jedes
für sich, wenn von den Strahlen der Sonne getroffen,
Glanz geben, und es verdecken diese unzählbaren Schim-
mer selbige Sterne, und wenn dergleichen Luft nicht wäre,
der Himmel würde stets die Sterne in seinem Dunkel
zeigen.
Die Erde leuchtet XXI. MS. F. FOL. 94 V.
wie der Mond.
Sie erscheint in Mein Buch Strebt ZU zeigen, wie der Ozean mit den
" ein\teZ^'^^ andern Meeren vermittels der Sonne unsere Welt gleich
dem Monde leuchten macht, und daß sie den Entfernten
ein Stern scheint, und dies beweise ich.
Fankein der Zeige erst, wie jedes Licht, vom Auge entfernt, Strahlen
macht, welche scheinbar die Figur solchen leuchtenden
Körpers vergrößern, und daraus folgt, daß . . .
^'uÄ^i?" (Auf dem Rand.) Der Mond, kalt und feucht.
58
Das Wasser ist kalt und feucht. Solchen Einfluß hat
unser Meer auf den Mond, wie der Mond auf uns.
XXII. MS. F. FOL. 41 V. Die Erde ist nicht
Mittelpunkt der
Wie die Erde nicht inmitten des Sonnenkreises, noch weit; sie ist nicht
im Mittelpunkt der Welt ist, aber wohl in der Mitte ihrer Sonnenkreises.
Elemente, die ihre Gefährten und mit ihr verbunden sind;
und wer auf dem Mond stünde, — so sehr als dieser
samt der Sonne unter uns ist, so würde diese unsere
Erde mit dem Element des Wassers erscheinen und den
gleichen Dienst tun, den der Mond uns tut.
Die Erde
Stern.
Die Erde und ihre
Elemente. Ent-
wurf.
XXIII. MS. F. FOL. 56 r.
Du in deiner Rede hast zu schließen, daß die Erde ein
Stern ist, so ähnlich wie der Mond — und so wirst du
den Adel unserer Welt beweisen — und dann wirst du
einen Diskurs über die Größe vieler Sterne machen, nach
den Autoren.
XXIV. MS. F. FOL. 69 v.
Wie die Erde, den Dienst eines Mondes machend, viel
von ihrem alten Licht in unserer Hemisphäre durch das
Fallen der Gewässer verloren hat, wie im 4. Buche »Von
der Welt und den Wassern" bewiesen wird ....
— Die Erde ist schwer in ihrer Sphäre, und um so
mehr, als sie in einem leichtern Element ist.
— Das Feuer ist leicht in seiner Sphäre, und um so
mehr, als es in einem schwereren Element ist.
— Kein einfaches Element hat Schwere oder Leichtig-
keit in seiner eigenen Sphäre.
XXV. MS. F. FOL. 22 V. Wasser und Erde.
Luft, Wasser, Erde
Drehe sich die Erde, nach welcher Seite sie wolle, nie
wird die Oberfläche des Wassers aus ihrer sphärischen
Gestalt treten, sondern immer gleich entfernt sein vom
Mittelpunkt unserer Welt.
59
Gegeben, daß die Erde sich aus dem Zentrum unserer
Welt herausiöewegte, was täte das Wasser?
Es bliebe rings um selbiges Zentrum in gleicher Dich-
tigkeit, doch geringeren Durchmessers, als da es die Erde
noch im Leibe hatte.
Der Erdball ist XXVI. MS. A. FOL. 58 V.
nur vollkommen
wä^se7°nmSbt ^^^ Mittelpunkt der Sphäre des Wassers ist auch der
wahre Mittelpunkt der Rundung unserer Welt, welche
sich aus Wasser und Erde in runder Form zusammen-
setzt. Aber wenn du das Zentrum des Elementes der
Erde finden wolltest, dieses ist in gleicher Entfernung
von der Oberfläche des ozeanischen Meeres enthalten,
und nicht von der gleich entfernten Oberfläche der
Erde . . . ., weil klar zu verstehen ist, daß dieser Ball
der Erde nichts von vollkommener Rundung habe, außer
in jenem Teile, wo Meer ist oder Sumpf oder anderes
totes Gewässer; und welcher Teil immer selbiger Erde
aus selbigem Meer heraustritt, entfernt sich von seinem
Mittelpunkt.
^unkf''d!r^Erde XXVII. MS. CA. FOL. 102 T.
untiTr!e\ige Die Flut und die Ebbe bewegen unaufhörlich die Erde
i'eit'^'^nicht^ablr ^^^ ^^^ ihren Elementen vom Zentrum der Elemente weg.
im Weltraum. Wird durch das erste (Kapitel) dieses Buches bewiesen,
welches sagt, das Zentrum der Welt trage dem Rechnung,
was höher ist, weil keine Mulde (conca) tiefer als es
selber liegt. Der Mittelpunkt der Welt ist an sich un-
beweglich; aber der Ort, wo er sich befindet, ist in fort-
währender Bewegung nach verschiedenen Aspekten. Das
Zentrum der Welt verändert beständig den Sitz, von wel-
chen Veränderungen manche eine langsamere Bewegung
hat als die andere, indem sie sich alle 6 Stunden wandelt
und manche in vielen 1000 Jahren. Aber jene von 6
Stunden entsteht aus Flut und Ebbe des Meeres, die
andere leitet sich von der Verzehrung der Berge durch
60
die Bewegung der Wasser her, aus dem Regen geboren
und dem unaufhörlichen Lauf der Flüsse. Es ändert sich
der Sitz dem Zentrum der Welt, und nicht das Zentrum
dem Sitze, weil solches Zentrum unbeweglich ist und sein
Sitz sich immer in geradliniger Bewegung bewegt, und
nie würde solche Bewegung krummlinig sein.
XXVIII. MS. A. FOL. 55 v. UND MS. CA. FOL. 80 r. ^'^ ^^«^.^ ?'«'c''-
sam ein orga-
Beginn des Traktates über das Wasser "'" »«en. ^ *'
Der Mensch wird von den Alten eine Welt im kleinen
genannt, und sicher ist die Aussage dieses Namens auf
den rechten Platz gestellt; denn wie der Mensch aus
Erde, Wasser, Luft und Feuer zusammengesetzt, dieser
Körper der Erde ist desgleichen. Wenn der Mensch in
sich Knochen hat. Stützen und Armatur des Fleisches,
— die Welt hat das Gestein, Stützen der Erde; wenn
der Mensch in sich den See des Blutes hat, wo die Lunge
im Atmen wächst und abnimmt, der Körper der Erde hat
sein ozeanisches Meer, das, auch dieses, wächst und ab-
nimmt, alle 6 Stunden, beim Atmen der Welt; wenn von
besagtem See des Blutes Adern entspringen, die, sich
verzweigend, durch den menschlichen Leib gehen, gleicher-
weise füllt das ozeanische Meer den Leib der Erde mit
ungezählten Wasseradern. Fehlen dem Körper der Erde
die Nerven (Sehnen), welche nicht da sind, weil die Ner-
ven zum Zwecke der Bewegung gemacht sind, und da die
Welt in beständigem Gleichgewicht ist, fällt Bewegung da
nicht vor, und da keine Bewegung vorhanden, sind die
Nerven hier nicht nötig. Aber in allen andern Sachen
sind viele Gleichheiten da.
XXIX. R. 956, MS. LEIC. FOL. 17 v. Fiat und Ebbe.
Ob die Flut und Ebbe von Mond oder Sonne stammt,
oder ob es das Atmen dieser Erdmaschine ist. Wie Flut
und Ebbe verschieden sind in den verschiedenen Ländern
und Meeren.
61
Lebendiges ent-
steht nur aus
Lebendigem; da-
her müsse die
Erde eine Art von
animalischem
Wesen sein.
XXX.
R. 1000. MS. LEIC. FOL. 34 r.
Vegetative Seele,
Körperseele, wie
sie die plato-
nische Akademie
in Florenz an-
nahm, — die
„Lebenskraft"'
späterer Zeiten.
Keinerlei Ding entsteht an einem Ort, wo nicht sensi-
tives, vegetatives und rationales Leben vorhanden ist: die
Federn kommen bei den Vögeln hervor und wechseln
jedes Jahr; die Haare wachsen auf den Tieren und wechseln
außer an einigen Teilen jedes Jahr, wie die Haare des
Bartes der Löwen, Katzen und ähnlicher; es entstehen
die Kräuter auf den Wiesen und die Blätter auf den
Bäumen und erneuern sich jedes Jahr in großer Zahl;
also können wir sagen, daß die Erde eine vegetative
Seele habe, und daß ihr Fleisch sei der Boden; ihre
Knochen seien die Ordnungen der Zusammenhänge von
Gestein, aus denen sich Berge zusammensetzen; ihr Ge-
knorpel sei der Tuff; ihr Blut sind die Adern des Wassers;
der See des Blutes, so um das Herz herumliegt, ist das
ozeanische Meer, ihr Atmen und das Wachsen und Ab-
nehmen des Blutes durch die Pulse ist bei der Erde die
Flut und Ebbe des Meeres, und die Wärme der Seele
der Welt ist das Feuer, so der Erde innewohnt, und der
Aufenthalt der vegetativen Seele sind die Feuer, die aus
verschiedenen Orten der Erde in Bäder hauchen und in
Schwefelminen und in Vulkane, in den Mongibello (Ätna)
von Sizilien und in andere Orte genug.
Woher das XXXI
Wasser derFlässe
kommt.
MS. A. FOL. 56 r. UND 56 v.
Meinung einiger, die sagen, das Wasser verschie-
dener Meere sei höher als die höchsten Spitzen
der Berge, und darum werde das Wasser nach
diesen Höhen getrieben
Das Wasser wird sich nicht von Ort zu Ort bewegen,
wenn die Niedrigkeit es nicht zieht. Und in natürlichem
Lauf wird es niemals zu einer Höhe gleich der jenes
Ortes zurückzukehren vermögen, wo es beim Herauskom-
men aus den Bergen sich zuerst dem Himmel gezeigt.
Und jener Teil des Meeres, den mit falscher Einbildung
62
du so hoch sagtest, daß es sich auf die Gipfel der hohen
Berge ergoß, — seit vielen Jahrhunderten wäre es er-
schöpft und weggeflossen durch den Ausgang dieser Ge-
birge. Du kannst dir wohl denken, daß der Euphrat und
der Tigris zwischen den Höhen der Berge und den Ruinen
sich so lange Zeit ergossen haben, daß man glauben kann,
das ganze Wasser des Ozeans sei viele Male durch diese
genannten Mündungen hindurchgegangen; nun glaubst du
wohl nicht, daß der Nil mehr Wasser ins Meer gegossen
hat, als jetzt das ganze Element ausmacht? Sicher ist,
wenn genanntes Wasser aus diesem Körper der Erde
herausgefallen wäre, diese Maschine würde schon längst
ohne Wasser dagestanden sein, so daß man schließen
darf, das Wasser gehe aus den Flüssen zum Meer und
vom Meer zu den Flüssen, immer so kreisend und um-
kehrend, und daß das ganze Meer und die Flüsse durch
die Mündung des Nils unzählige Male hindurchgegangen
seien.
XXXII. MS. H. II. FOL. 77 r. ^Jf^^''^ «' f««
Blut der Erde.
Das Wasser, so in den Bergen aufquillt, ist das Blut,
welches selbiges Gebirge lebendig erhält, und wenn
hineingebohrt wird oder selbige Vene quer durchgeschnit-
ten, — die Natur, Helferin ihrer lebendigen (Wesen),
reichlich in der Vermehrung, um den Abgang der ver-
gossenen Säfte zu besiegen, überströmt dort in wunder-
barem Zufluß, ähnlich wie wenn bei einem Menschen
irgendeine Stelle eingeschlagen ward, und man dort zur
Aushilfe das Blut unter der Haut in Form einer Schwellung
sich vermehren sieht, um am kranken Teile sich zu öffnen;
ebenso, da das Leben auf der hohen Spitze abgeschnitten
ist, sendet die Natur aus den tiefsten Wurzeln zur höch-
sten Höhe des durchschnittenen Ortes ihre Säfte, und
wenn diese vergossen sind, läßt sie ihn nie im Stich mit
Lebenssaft, bis ans Ende seines Daseins.
63
Die Wärme als XXXIII
Motor des Was-
serkreislaufes.
Der Wasserkreis-
lauf im Leib der
Erde gleicht dem
Blutkreislauf.
MS. A. FOL. 56 r.
Von der Bekräftigung, warum das Wasser auf
den Spitzen der Berge ist
Ich sage, daß, wie die natürliche Wärme das Blut in den
Adern hoch oben im Menschen festhält, und wenn der
Mensch tot ist, dieses Blut, kalt geworden, sich in die
unteren Teile zurückzieht, und wenn die Sonne dem
Menschen den Kopf erwärmt, das Blut sich ihm vermehrt
und ihn so mit Flüssigkeit überfällt, daß es die Adern
überwältigt und Kopfschmerz erzeugt; — so gleichermaßen
die Adern, welche sich verästelnd durch den Leib der
Erde gehen; und durch die natürliche Wärme, welche in
dem ganzen Erdkörper verbreitet ist, wird das Wasser in
den Venen bis zu den hohen Gipfeln der Berge hinauf-
gehoben. Und dieses Wasser, das im Körper dieses
Berges wie eine tote Sache durch eine gemauerte Leitung
fließt, wird aus seiner ursprünglichen Niedrigkeit nicht
heraustreten, wenn es nicht erwärmt ist von der Lebens-
wärme der ersten Ader. Aber auch die Wärme des Ele-
mentes des Feuers und bei Tag die Wärme der Sonne
hat die Macht, in die Höhe hinaufzureißen.
XXXIV. R. 965, MS. BR. M. FOL. 236 v.
Das Wasser ist es in der Tat, so zum Lebenssafte dieser
dürren Erde bestimmt ist, und jene Kraft, die sie durch
deren verzweigte Adern bewegt, gegen den natürlichen
Lauf der schweren Dinge, ist eben diejenige, so auch die
Säfte in allen Spezies der tierischen Leiber bewegt. Doch
das Wasser, unter höchster Bewunderung seiner Beschauer,
von den tiefsten Tiefen des Meeres hebt es sich zu den
höchsten Spitzen der Berge, und durch die geborstenen
Adern sich ergießend, kehrt es zum niedrigen Meere
zurück. Und von neuem, mit Geschwindigkeit, übersteigt
es und kehrt zu vorgenanntem Herabstieg so von den
innersten Teilen zu den äußeren zurück, so von den unter-
sten wieder zu den oberen umwendend, wenn es im natür-
64
lichen Lauf zu Tale geht. Also zusammen verbunden,
in beständiger Umdrehung, geht es kreisend durch die
irdischen Kanäle.
XXXV. R. 970, MS. LEIC. FOL. 33 v.
Vom Ursprung der Flüsse
Der Körper der Erde, gleichwie die Körper der Tiere,
ist aus Verästelungen der Venen gewoben, die alle mit-
einander verbunden sind und eingerichtet zur Ernährung
und Belebung selbiger Erde; sie gehen aus von den Tiefen
des Meeres und zu diesen haben sie, nach vielen Revo-
lutionen, durch die Flüsse zurückzukehren, welche aus
den Brüchen selbiger Venen in der Höhe geschaffen sind
XXXVL MS. F. FOL. 72 v.
Wenn das Wasser, das durch die hohen Gipfel der
Berge quillt, vom Meere kommt, aus welchem dessen
Gewicht es hinauftreibt, um höher zu sein als diese
Berge; — weshalb hat selbiges Teilchen Wasser derart
Erlaubnis, sich in so große Höhe zu erheben und die
Erde mit so viel Mühe und Zeit zu durchdringen, und
ist es dem Rest des Wasserelementes nicht gewährt, das
gleiche zu tun, so doch an die Luft grenzt, welche nicht
imstande ist, ihr zu widerstehen, so daß das Ganze sich
zur selben Höhe wie vorbenannter Teil erhöbe? Und
du, der auf solche Erfindung fiel, kehre um, wieder die
Dinge der Natur zu lernen, damit du solch ähnlicher
Meinungen ermangelst, von denen du großen Vorrat ge-
häuft hast, zusammen mit dem Kapital der Frucht, die du
besitzest.
XXXVIL MS. G. FOL. 49 v.
Von der Bewegung der Erde
Die unterirdischen Wasserläufe, gleichwie jene, die
zwischen der Luft und der Erde gemacht worden, sind
die, so beständig das Bett ihrer Läufe verzehren und
vertiefen.
5 Herzfeld, Leonardo
65
Der Ursprung der
Flüsse vom Meere
genährt.
Leonardo kommt
von der Meinung
zurück, udß die
Flüsse vermittels
unterirdischer
Kanäle, die zu
den Bergspitzen
führen, vom Meer
gespeist seien.
Die Wasserlättfe
als Bildner von
Inseln , Bergen,
Kontinenten. Das
Wasser der Kärr-
ner der Natur.
Die Erde, welche von den Flüssen ausgehoben wird,
ladet sich bei den Endpartien ihres Laufes ab, oder besser:
die Erde, so von den hochgelegenen Flußläufen ausgehoben
wurde, ladet sich bei den letzten Niederungen ihrer Be-
wegung ab.
Wo die süßen Wasser quellen, an der Oberfläche des
Meeres, enthüllen sie das Wunder der Schöpfung einer
Insel, die sich um so viel früher oder später aufdecken
wird als das Wasser, das hervorsprudelt, von größerer
oder minderer Menge ist.
Und diese selbige Insel erzeugt sich aus der Menge von
Erde oder durch Zerstörung von Gestein, welche der unter-
irdische Lauf des Wassers all die Orte hindurch, von
denen es abfließt, anrichtet.
Wie die mittel- XXXVIIL R. 953, MS. LEIC. FOL. 20 r.
landischen Meere
TerSn and^^f- ^^^ ^^® Ufer des Meeres unaufhörlich gegen die Mitte
schwinden. ^jgg Meeres zu an Boden gewinnen. Wie die Felsen und
Vorgebirge der Meere beständig zerfallen und sich auf-
zehren. Wie die mittelländischen Meere ihre Gründe
der Luft bloßlegen werden und nichts bewahren als den
Kanal des größten Flusses, so sich hinein ergießt: der
dann zum Ozean fließen wird und dort hinein seine Wasser
werfen, zugleich mit jenen aller Flüsse, die seine Begleiter
sind.
Aller Meeres- XXXIX. MS. CA. FOL. 45 V.
grand ist schon
einmal Festland Von der Welt
gewesen.
Kein Teil der Erde wird von der Aufzehrung des Wasser-
laufes bloßgelegt, der nicht schon einst Oberfläche der
Erde gewesen wäre, welche die Sonne gesehen hat.
Was ist eine
Welle? XL. MS. CA. FOL. 84 V.
Die Welle ist der Eindruck (impressione) eines zurück-
geworfenen Stoßes.
66
XLI. MS. F. FOL. 72 r. Die einfallende
and die zarück-
Die Inzidenzbewegung (der Welle) ist geschwinder als 5f"""^^"^ ,^/?;*'
die reflektierte.
gnng der Welle.
XLII. MS. H. FOL. 31 r. DerhöchstePankt
,, . r- 1 •, r-. . '^^^ Wellenbergs
Die welle ist trager am Ende ihres Steigens als an ein Rahepunkt.
irgendwelcher anderen Stelle.
XLIIL MS. G. FOL. 48 V. WammdasMeer-
ivasser salzig ist.
Warum das Wasser salzig ist
Es sagt Plinius in seinem 2. Buche, Kapitel 103, daß
das Wasser des Meeres gesalzen sei, weil die Glut der
Sonne das Feuchte bräune und dörre und es aufsauge,
und das gebe dem Meere, das sich sehr verbreitert, den
Geschmack von Salz; aber dies wird nicht zugestanden;
denn hätte die Salzigkeit des Meeres ihren Grund in der
Glut der Sonne, so ist kein Zweifel, daß die Seen, Teiche
und Sümpfe um so viel mehr gesalzener wären, als ihre
Gewässer weniger beweglich und von geringerer Tiefe
sind: und die Erfahrung zeigt uns das Gegenteil; solche
Sümpfe zeigen uns ihre Gewässer gänzlich des Salzigen
beraubt. Auch führt Plinius im selben Kapitel an, daß
dergleichen Salzigkeit entstehen könnte, weil, jeden süßen
und subtilen Teiles beraubt, welchen die Wärme leicht
an sich zieht, nur der herbere und gröbere Teil übrig-
bleibe, und darum sei das Wasser, so auf der Oberfläche
ist, süßer als auf dem Grunde. Diesem widerspricht
man mit den gleichen, oben besagten Gründen, nämlich,
daß dasselbe den Sümpfen und anderen Gewässern ge-
schähe, welche von der Wärme aufgetrocknet wurden.
Auch wurde gesagt, die Salzigkeit des Meeres sei Schweiß
der Erde: auf dieses antwortet man, daß alle Wasseradern,
welche den Boden durchdringen, müßten gesalzen sein.
Aber man schließt wohl, daß die Salzigkeit des Meeres
aus den vielen Wasseradern geboren sei, welche im Durch- Aufgelöste Saiz-
dringen der Erde die Salzminen treffen und jene teilweise
5«
67
in sich auflösen und mit zum Ozean und den anderen
Meeren führen, von wo niemals die Wolken, Aussäer
der Flüsse, es wegnehmen: und da wäre das Meer in
unseren Zeiten salziger, als es je zu irgendeiner Zeit
gewesen. Und wenn der Gegner sich sagte, daß die un-
Die Salzminen - endliche Zeit das Meer in Salz vertrocknete oder gefröre,
ausgetrocknete
Meere. beantwortet sich dieses, daß solches Salz der Erde wieder-
gegeben wird, durch die Befreiung selbiger Erde, welche
sich mit ihrem erworbenen Salze (aus der See) erhebt,
und die Flüsse erstatten es wieder der untergetauchten
Erde.
Noch mehr vom XLIV
Salz.
MS. G. FOL. 49 r.
. . Aber, um besser zu sagen, die Welt als ewig gegeben,
ist es notwendig, daß ihre Völker alle, auch sie, ewig
seien, daher die menschliche Gattung auch ewig Ver-
zehrerin des Salzes war und sein wird; und wenn die
ganze Masse der Erde Salz wäre, sie würde den mensch-
lichen Speisen nicht genügen, um welcher Sache willen
wir bekennen müssen, entweder daß die Spezies des Salzes
ewig sei, zugleich mit der Welt, oder daß jenes sterbe
und wieder geboren werde, zugleich mit den Menschen,
seinen Verzehrern; aber wenn die Erfahrung uns lehrt,
daß jenes keinen Tod haben könne, wie durch das Feuer
sich offenbart, so es nicht verzehrt, und durch das Wasser,
welches, so viel es damit gesalzen wird, so viel in sich
auflöst, und wenn das Wasser verdunstet, immer das Salz
in der früheren Menge da bleibt, so taugt es, durch die
menschlichen Körper zu gehen, daß es im Harn oder
im Schweiß oder anderen Überflüssigkeiten wiedergefunden
werde, und wieviel auch das Salz sei, das man jedes
Jahr in die Städte bringt, so werden wir also sagen, daß
der Regen, Durchdringer der Erde, jenes sei, was unter
den Fundamenten der Städte und Bevölkerungen, und jenes
sei, was durch die Kanäle der Erde die Salzung zurück-
gibt, so vom Meer genommen wurde, und daß die Wand-
68
Das Festland aus
diluvialen
Schichtungen ge-
bildet.
lung der See, welche schon über allen Bergen gestanden,
sie den Minen lasse, welche sich in selbigen Bergen
finden usw. usw.
Als dritten und letzten Grund wollen wir sagen, daß das
Salz in allen geschaffenen Dingen ist, und das lehren
uns die Gewässer, so durch alle Aschen und Kalke der
verbrannten Sachen gingen, und der Harn eines welchen
Tieres immer, und das Überschüssige, so aus ihren
Körpern kam, und die Erden, in welche sich die Fäul-
nisse aller Dinge verwandeln.
XLV. R. 789, MS. BR. M. FOL. 138 r.
Jeder Teil der Tiefe, welchen die Erde in einiger Er-
streckung hat, ist aus Schichten gemacht, und jede Schicht
besteht aus Teilen, die schwerer oder leichter eines als
das andere sind: im Vertieften ist sie schwerer, und dies
beweist sich, weil diese selbigen Schichten aus den Trü-
bungen der Wasser zusammengesetzt sind, ins Meer vom
Lauf der Flüsse abgeladen, welche sich in jenes ergießen:
von welchen Trübungen die schwerere jene war, die zuerst
sich sukzessiv ablagerte, und dies macht das Wasser, wo
es stehen bleibt, das früher, wo selbiges sich noch be-
wegte, wegnahm.
Und von dergleichen Schichten zeigt sich an den Seiten
der Flüsse, welche durch ihr beständiges Laufen und mit
großer Tiefe des Einschnittes einen Berg vom andern ge-
sägt und getrennt haben : wo dann an den kiesigen Schich-
ten die Wasser abgelaufen sind und deswegen die Materie
sich ausgetrocknet und in harten Stein verwandelt hat,
und hauptsächlich jener Schlamm, der feiner war; und
dies macht uns schließen, daß jeder Teil der irdischen
Oberflächen schon Mittelpunkt der Erde gewesen, und
ebenso umgekehrt usw.
XLVI, R. 1063, MS. LEIC. FOL. 10 r. VondenVerände-
rungen der Erd-
Jener Teil der Erde hat sich am meisten dem /»littel- Oberfläche.
punkt der Welt entfremdet, der leichter geworden ist.
Das Rinnsal der
Flüsse hat sich
so tief eingesägt
und erweitert,
daß Berg und Tal
entstand.
Und jener Teil der Erde ist leichter geworden, durch
welchen größerer Lauf von Wassern hindurchging. Und
es ist also jener Teil leichter geworden, von dem größere
Zahl von Flüssen abfließt, wie die Alpen, welche Deutsch-
land von Frankreich und Italien trennen; von denen die
Rhone gegen Mittag hervorgeht, und der Rhein nach
Norden, die Donau, Danubio oder eigentlich Danoja, nach
Nordwest und der Po nach Levante, mit unzähligen
Flüssen, die sie geleiten, welche immer trübe fließen,
wegen der Erde, welche sie ins Meer tragen.
Es bewegen sich beständig die Seestrande der Mitte des
Das Miüeiiän- Meercs ZU uud verjagen es aus seinem früheren Sitz. Es
dtsche Meer wird ' °
zum Bett des Nils wird sich den niedrigsten Teil des Mittelländischen als
einschrumpfen, , » o -i ■n.y, p, ■, -i tt n
so wie der Po Bett uud Lauf des Niles aufbewahren, des Hauptflusses,
flLsen^der^Rest der sich in selbiges Meer ergießt. Und ihm werden sich
denen Meer^ist. alle ZU ihm gehörigen Flüsse gesellen, welche bevor in
selbiges Meer ihre Wasser zu schütten pflegten, wie man
den Po es machen sieht, mit seinen Nebenflüssen, welche
einstmals sich ins Meer ergossen, das zwischen dem
Apennin und den germanischen Alpen sich mit dem Adria-
tischen vereint hatte.
Vormals. XL VII. R. 1085, MS. LEIC. FOL. 10 v.
Der mittelländische Busen, als Binnensee, empfängt die
Hauptgewässer von Afrika, Asien und Europa, die ihm
zugewendet sind; seine Wasser erreichten (einst) den Strand
der Berge, die ihn umgaben und ihm ein Gestade bildeten,
und die Gipfel des Apennin standen in selbigem Meer
in Form von Inseln, umgeben von salzigem Wasser, und
auch Afrika drinnen bei seinem Atlasgebirge zeigte nicht
dem Himmel entblößt den Boden seiner großen Ebenen
von etwa 3000 Meilen Länge, und Memphis lag an der
Küste solchen Meeres, und auf den Ebenen Italiens, wo
heute die Vögel in Scharen fliegen, pflegten die Fische
in großen Rudeln zu wandern.
70
XLVIII. R. 984, MS. LEIC. FOL. 31 r. Nicht Doku-
mente, sondern
Nachdem die Dinge viel älter sind als die "Wissenschaften, '^'.\, ^''^f ß.^-
° ' zahlen die Ge-
ist es kein Wunder, wenn in unsern Tagen keine Schrift schUhtederErde.
vorhanden, daß die besagten Meere so viele Länder be-
deckt hatten, und wenn doch irgendwelche Schrift zum
Vorschein gekommen war, — die Kriege, die Feuers-
brünste, die Wasserfluten, die Änderungen in den Sprachen
und Gesetzen haben alle Altertümer verzehrt; aber uns
genügen die Zeugnisse der Dinge, die, im salzigen Wasser
geboren, sich auf den hohen Bergen finden, weit von den
Meeren von damals entfernt.
XLIX. MS. E. FOL. 4 V. Die Fossilien
legen Zeugnis ab.
Vom Meer, so das Gewicht der Erde ändert
Die Muscheln, Austern und andre ähnliche Tiere, welche
im Meeresschlamm geboren werden, bezeugen uns die
Veränderung der Erde rings um den Mittelpunkt unsrer
Elemente herum; es beweist sich also: Die Hauptflüsse
laufen stets mit Trübungen, wegen der Erde, die sie ver-
mittelst der Reibung ihrer Gewässer vom Grund und an
den Ufern wegheben, und diese Verzehrung entblößt die
Stirnseite der Stufen, die in Schichten aus jenen Muscheln
entstanden, so auf der Oberfläche des Meerschlammes
leben: welche in jenen Orten geboren wurden, als das
Salzwasser sie noch bedeckte. Und diese selbigen Stufen
wurden von Zeit zu Zeit von Schlamm verschiedener
Dichte bedeckt, wie er durch die Flüsse mit Diluvien ver-
schiedenen Umfanges in die See geführt wird; und so
blieben diese Muscheln eingemauert und umgebracht unter
derartigem Schlamm in solcher Höhe übereinandergesetzt,
daß dieser Meeresgrund sich der Luft bloßlegte. Nun sind
selbige Gründe von solcher Höhe, daß aus ihnen Hügel
oder hohe Berge geworden, und die Flüsse, Verzehrer der
Seiten selbiger Berge, legen die Stufen dieser Muscheln
frei, und so erhebt sich die erleichterte Seite der Erde
71
unaufhörlich, und die Antipoden nähern sich mehr dem
Zentrum der Welt, und die alten Gründe des Meeres
werden zu Gebirgsjochen gemacht.
Wert der Kennt-
nis der Erdge-
schichte.
L. MS. CA. FOL. 373 v.
Die Kenntnis der Vergangenheit und der Lage der Erde
ist Schmuck und Nahrung des menschlichen Geistes.
Leonardo hält LI
alles Gebirge für
Anschwemmung
and Ablagerung.
R. 980, MS. LEIC. FOL. 10 r.
. . . Wie bei dem gefalteten Gestein der Berge alle Stufen
des Schlammes durch die Überschwemmungen der Flüsse
eine über die andre gesetzt sind; wie die verschiedene
Dicke der Faltungen des Gesteines von den verschiedenen
Überschwemmungen der Flüsse geschaffen ist, das heißt,
von größerer Flutung oder geringerer.
Desgleichen. LIL
MS. CA. FOL. 160 v.
Die Felsgesteine setzen sich in Falten zusammen, oder
besser, in Stufen, nach der Ablagerung der Trübungen, so
durch den Lauf der Flüsse herbeigebracht sind.
Die Felsgesteine sind nicht, wo nicht Meer oder See
gewesen.
Erdbeben durch
innere Eirtstürze
und Spannung
der Gase.
Uli.
MS. CA. FOL. 289 v.
Der Zusammensturz (der Ruin) der Berge über hohlen
Orten preßt die Luft aus den Höhlen: welche, um zu
fliehen, die Erde zerbricht und die Erdbeben erzeugt.
Sagt der Gegner, dies könne nicht sein: denn entweder
falle der ganze Berg zusammen, so die Höhle bedeckte,
oder es falle nur der innere Teil ein; und falle alles,
dann fliehe die zusammengedrückte Luft durch die Öffnung
des aufgedeckten Loches, und stürzt nur der innere Teil,
dann flieht die gedrückte Luft in das Leere, welches hinter
sich die Erde ließ, die fìel.
72
LIV. MS. F. FOL. 80 r. Sind die Fossilien
durch Einfluß der
Von den Muscheln in den Bergen Gestirne entstan-
v/ » ö "^ »* den, wie es noch
..., , ,, ,,,,.,, .... f"s zum Ende des
Und wenn du sagen wolltest, daß die Muscheln in dem 17. Jahrhunderts
Gebirge von der Natur durch die Konstellationen der ^'^'""^^ """'''•'
Sterne hervorgebracht seien, auf welchem Weg, würdest
du zeigen, bringt solche Konstellation die Muscheln von
verschiedener Größe und verschiedenem Alter und ver-
schiedener Gattung in der gleichen Gegend hervor?
Und wie würdest du mir den Kies erklären, der in ver-
schiedener Höhe der hohen Berge in Stufen zusammen-
gebacken ist, warum hier, und aus verschiedenen Regi-
onen, Kies, vom Lauf der Flüsse aus verschiedenen Län-
dern in diese Gegend gebracht? Und dieser Kies ist
nichts anderes als allerlei Stücke aus Stein, welche durch
das ewige Um- und Umdrehen und durch verschiedene
Stöße und Stürze, die sie durch den Lauf der Gewässer,
welche sie an solchen Ort brachten, die Ecken verloren
haben.
Wie kannst du die große Anzahl Gattungen von Blättern
klarlegen, die in den hohen Felsen solcher Berge einge-
froren sind, und die Alge, eine Meerespflanze, die mit
Muscheln und Sand vermischt liegend vorhanden ist?
Und so wirst du allerlei Versteinerung zusammen mit See-
krebsen sehen, die in Stücke zerbrochen, getrennt und
mit jenen Muscheln vermischt sind. Wie . . .
LV. MS. F. FOL. 79 r. Von der Ent-
stehung der Ver-
Von den Tieren, welche die Knochen außen haben, steinemngen.
wie Muscheln, Schnecken, Austern, Jakobs- '
mu seh ein und ähnliche, die von zahllosen Arten sind
Als die Überschwemmungen der Flüsse, die von feinem
Schlamm getrübt waren, diesen auf die Tiere abluden,
die unter dem Wasser nahe den Küsten des Meeres
wohnen, blieben diese Tiere in solchen Schlamm hinein-
gedrückt, und da sie sich ziemlich tief unter einem großen
73
Gewicht solchen Schlammes befanden, mußten sie not-
wendig sterben, weil ihnen die Tiere fehlten, von denen
sie sich zu nähren pflegten. Als das Meer mit der Zeit
sank und das Salzwasser abgeflossen war, begann jener
Schlamm sich in Stein zu verwandeln und die Schalen
selbiger Muscheln, deren Tiere schon hinweggeschwunden,
wurden anstatt von diesen nun von Schlamm neu ange-
füllt; und so, bei der Umschaffung all des Schlammes rings-
um in Stein, begann auch jener Schlamm, der innerhalb
der etwas geöffneten Schalen der Muscheln geblieben
und durch diese Öffnung mit dem übrigen Schlamm ver-
bunden war, sich auch in Stein zu verwandeln, und so
blieben alle Rinden solcher Muscheln zwischen 2 Steinen,
d. h. zwischen dem, der sie umschloß, und dem, welchen
sie einschlössen: wie man sie noch in vielen Orten auf-
findet. Und fast alle die versteinerten Muscheln in den
Blöcken der Berge haben noch ihren natürlichen Mantel
herum, und besonders jene, die hinreichend alt gewesen,
um durch ihre Härte sich zu erhalten; und die jungen,
schon zum großen Teil verkalkt, waren von einem zähen
und petrifizierenden Saft durchdrungen worden.
Gegen jene, die LVI. R. 987, MS. LEIC. FOL. 8v.
meinen, die Mu-
dfr'%n'tflut 7nf Von der Sintflut und den Meeresmuscheln
die Bergeshöhen
gebracht worden, Wenn du sagtcst, daß die Muscheln, die man in unseren
ehe sie verstei- ° ^
nerten. Tagen innerhalb der Grenzen Italiens weit von den Meeren
in solcher Höhe findet, von der Sintflut, die sie dort ließ,
zurückgeblieben seien, antworte ich dir, nachdem du
glaubst, die Sintflut habe den höchsten Berg um 7 Ellen
übertroffen, wie es schrieb, der sie gemessen hat: der-
gleichen Muscheln, die stets in der Nachbarschaft der
Seeküste leben, sie mußten ganz droben auf den Bergen
bleiben und nicht bloß so wenig über der Wurzel (radice)
der Berge überall, Schicht auf Schicht, in der gleichen
Höhe. Und wenn du sagtest, dergleichen Muscheln seien
74
begierig, den Meeresküsten nahezubleiben und daß, als es
in solche Höhen wuchs, die Muscheln ihren ersten Sitz
verließen und dem Anwachsen des Wassers bis zu dessen
letzter Höhe folgten: hierauf ist zu erwidern, daß die
Muscheln Tiere von nicht hurtigerer Bewegung als es
die Schnecke ist, außerhalb des Wassers, und noch etwas
langsamer als diese, weil sie nicht schwimmen, sondern
im Gegenteil eine Furche im Sande machen und durch die
Seiten dieser Furche, auf die sie sich lehnen, in einem
Tage 3 — 4 Ellen wandern; also diese werden mit der
gleichen Schnelligkeit nicht vom Adriatischen Meer bis
nach Monferrato in der Lombardei, das 250 Meilen ent-
fernt ist, in 40 Tagen gegangen sein, wie jener schreibt,
der selbige Zeit gezählt hat; und wenn du sagst, daß die
Wellen sie hintrugen, — wegen ihrer Dicke konnten sie
sich nicht erhalten, außer auf dem Boden; und wenn du
mir das nicht zugibst, gestehe mir wenigstens, daß sie
hätten auf den Gipfeln der höchsten Berge bleiben müssen
und in den Seen, die sich zwischen den Bergen ein-
schließen: wie Lago di Lario oder Como und der Maggiore,
oder der von Fiesole (? hier war nie ein See!) und Peru-
gia und ähnliche.
Und wenn du sagst, daß die Muscheln von den Wellen
getragen wurden, als sie leer und tot waren, so sage ich,
daß, wo die Toten gingen, sie sich wenig von den Leben-
den trennten, und daß in diesen Bergen alle die Leben-
digen gefunden werden, die man leicht erkennt, weil sie
mit gepaarten Mänteln versehen sind, und sind in einer
Reihe, wo es keine Toten gibt, und ein wenig höher
werden deren gefunden, wo von den Wogen alle Toten
hingeschleudert wurden, die mit getrennten Schalen näm-
lich, dort neben, wo die Flüsse ins Meer stürzten, in
große Tiefen — , so der Arno, der von der Gonfolina
bei Montelupo herabfiel, wo er das Geröll zurückließ, das
man noch sehen kann, welches sich miteinander wieder
vereinigt und mit Steinen verschiedener Länder, Art und
Lucas Larius der
römische Name
des Comosees.
(J. P. Richter be-
merkt zu dieser
Stelle, daß er elf
Zeilen des Manu-
skriptes aasläßt,
— eine Abschwei-
fung, die vom Ge-
wicht des Wassen
handelt.)
75
Farbe und Härte ein einziges Agglomerai gebildet hat, und
ein bißchen weiter hat das Sandkonglomerat Tuff gebildet,
dort wo es sich gegen Castel Fiorentino wendet; noch
weiter weg lagerte sich der Schlamm ab, in dem die
Muscheln lebten, der sich gradweise hob, je nach dem
Schwall, den der trübe Arno in jenes Meer ergoß, und
von Zeit zu Zeit hob sich der Grund des Meeres, der
gradweise jene Muscheln aufwies, wie sich im Einschnitt
der Colli Gonzoli zeigt, die vom Arnofluß ausgebrochen
sind, der ihren Fuß zerstört: in welchem Einschnitt man
deutlich die vorbesagten Lager von Muscheln im Schlamme
blauen sieht, und dort findet man noch allerlei Meer-
sachen. Und es hat sich die Erde unserer Hemisphäre
um so viel mehr gehoben denn sie pflegte, als sie an
Wassern niedriger wurde, die ihr durch den Einschnitt
von Calpe und Abila (Ceuta und Gibraltar) verloren gin-
gen, und hat sich überdies noch mehr gehoben, weil das
Gewicht des Wassers, so ihr hier verloren ging, sich
der Erde hinzufügte, die nach der andern Hemisphäre
gekehrt ist. Und wären die Muscheln von der trüben
Sintflut hergetragen worden, so hätten sie sich, getrennt
voneinander, im Schlamme doch gemischt, und nicht in
geordneten Graden zu Schichten, wie man sie in unseren
Tagen sieht.
Wie die fossilen
IVlascheln auf das
Festland and die
Berge kamen.
LVII.
Von jenen, die
R. 988, MS. LEIC. FOL. 9 r.
sagen, die Muscheln seien vor langer
Zeit und fern von den Meeren durch die Natur des Ortes
und des Himmels erzeugt, der solchen Ort zu dergleichen
Schöpfung geeignet macht und beeinflußt; ihnen ist zu
antworten, daß, wenn solcher Einfluß auf Tiere existiert,
würden sie ihm nicht in einer einzigen Linie unterliegen,
es wären denn Tiere gleicher Sorte und Alters, und nicht
das alte mit dem jungen, und es würde nicht manches
mit Schale und das andere ohne seinen Deckel sein, und
nicht das eine zerbrochen und das andere ganz, und nicht
76
das eine mit Meeressand gefüllt und kleinen und großen
Bruchstücken anderer Muscheln im Inneren der ganzen
Muscheln, welche dort offen geblieben, und nicht die
Mäuler von Krabben ohne den Rest ihres Ganzen, und
nicht die Muscheln anderer Gattungen an sie gehängt,
in Form eines Tieres, so auf jenen sich bewegte, weil
noch die Spur seines Weges auf der Schale geblieben,
die es ja, nach Art des Holzwurmes auf dem Balken, im
Gehen zerfraß; man fände nicht in ihnen Knochen und
Zähne von Fischen, so manche Pfeile benennen und an-
dere Zungen von Schlangen, und es fänden sich nicht so
viele Glieder verschiedener Tiere miteinander vereinigt,
wenn sie nicht von den Meeresküsten hierher geworfen
wären. Und die Sintflut hätte sie nicht hierher tragen
können, weil Sachen, die schwerer sind als das Wasser
nicht auf dem Wasser flott bleiben, und besagte Sachen be-
fänden sich nicht in solcher Höhe, wenn sie nicht etwa
auf den Wassern schwimmend dorthin gebracht wurden,
welches wegen ihres Gewichtes unmöglich ist. Wo die
Täler das salzige Wasser des Meeres nicht aufnahmen,
dort sieht man die versteinerten Muscheln nie, wie es
sich offenbar zeigt beim großen Tal des Arno oberhalb der
Gonfolina, einem Felsen, der in alten Zeiten mit dem Monte
Albano in Form einer sehr hohen Bank vereinigt war:
welche selbigen Fluß aufgedämmt hielt, in solcher Weise,
daß, ehe er sich ins Meer ergoß, was nachher zu Füßen
selbigen Felsens geschah, er zwei große Seen bildete,
von denen der erste war, wo man heute die Stadt Florenz
blühen sieht, zugleich mit Prato und Pistoja, und Monte
Albano folgte dem Rest der Bank bis dorthin, wo heute
Serravalle gelegen ist. Vom Val d'Arno aufwärts bis
Arezzo bildete sich ein zweiter See, der in den erstge-
nannten See seine Gewässer ergoß, abgeschlossen, etwa
wo man jetzt Girone sieht; und nahm das ganze genannte
Tal von oben in der Ausdehnung von 40 Meilen Länge
ein. Dieses Tal empfängt auf seiner Sohle die ganze
77
Erde, welche das von ihr getrübte Wasser herbeibringt
und so man noch zu Füßen des Prato Magno sehr hoch
liegen sieht, wo die Flüsse sie noch nicht verzehrt haben,
und zwischen dieser Erde sieht man die tiefen Einschnitte
der Flüsse, so hier durchgegangen sind: welche vom hohen
Berge des Prato Magno herabsteigen, in deren Einschnitten
man nicht irgendwelche Spur von Muscheln oder Meeres-
grund sieht. Dieser See war mit dem See von Perugia
vereinigt.
Eine große Menge von Muscheln sieht man, wo die
Flüsse sich ins Meer ergießen, obschon in solchen Orten
die Gev/ässer nicht so salzig sind, durch die Mischung
von süßen Wassern, mit denen sie sich vereinen. Und
das Zeichen davon sieht man, wo vor alten Zeiten die
apenninischen Berge ihre Flüsse ins Adriatische Meer er-
gossen, die großenteils zwischen den Bergen große Mengen
von Muscheln aufweisen, mit bläulichem Meeresboden,
und alle Steinblöcke, die man an solchem Ort ausgräbt,
sind voller Muscheln. Das gleiche, weiß man, hat der
Arno getan, als er vom Felsen der Gonfolina ins Meer
fiel, das sich dort nicht zu tief unter ihm befand, weil
es zu jenen Zeiten an Höhe San Miniato al Tedesco über-
traf; denn auf dem höchsten Rücken von diesem sieht
man die Ufer voller Muscheln und Austern innerhalb ihrer
Wände; es verbreiteten sich die Muscheln nicht gegen das
Val di Nieve, weil die süßen Wasser des Arno nicht bis
dahin sich ausdehnten.
Wie die Muscheln nicht durch die Sintflut vom Meere
getrennt wurden; denn die Wasser, die vom Lande kamen,
zogen nicht bloß das Meer an Land, weil sie es waren,
die seinen Grund durchwühlten, sondern das Wasser, das
von der Richtung des Landes kommt, hat auch mehr
Strömung als das des Meeres und taucht folglich mäch-
tiger unter das andere Wasser des Meeres und rührt
den Grund auf und nimmt alle beweglichen Dinge mit
sich, die es dort findet, wie es die vorbesagten Muscheln
78
sind und andere ähnliche Sachen und um so viel, als das
Wasser, das vom Lande kommt, getrübter ist als das des
Meeres, um so viel mächtiger und schwerer zeigt es
sich als jenes: daher sehe ich nicht die Art, wie ge-
nannte Muscheln so weit in das Land hinein zu ziehen
wären, wenn sie nicht etwa dort geboren sind. Sagst
du mir dann, der Fluß Era (Loire?), welcher durch Frank-
reich geht, bedecke, wenn die See schwillt, mehr als
achtzig Meilen des Landes, weil es ein Ort großer Eben-
heit ist und das Meer dort um etwa zwanzigEUen steigt, und
Muscheln in selbiger Ebene zu finden sind, achtzig Meilen
von der See entfernt, so ist darauf die Antwort, daß in
unseren mittelländischen Meeren Flut und Ebbe keine
so große Verschiedenheit ausmachen, denn in Genua
variiert es gar nicht, in Venedig um geringes, in Afrika
wenig, und wo der Unterschied wenig, bedeckt das Wasser
wenig Land.
LVIII. R. 989, MS. LEIC. FOL. 9 V. . Widerlegung
jener, welche die
__-.,, ,. . -i^.-^ L Sintflut alsG rund
Widerlegung, die gegen jene gerichtet ist, so be- für das vorkom-
haupten, die Muscheln seien viele Tagereisen ^Zcheinimcl''-
weit von den Meeren durch die Sintflut getragen, birge betrachten.,
so hoch, daß es alle Höhen überstieg
Ich sage, daß die Sintflut die vom Meer geborenen
Sachen nicht auf die Berge tragen konnte, außer das
Meer, anschwellend, schuf Überflutungen bis zu obbesagten
Orten, welche Anschwellungen nicht vorfallen konnten,
weil sich dabei ein Vakuum ergäbe und wenn du sagtest,
die Luft fülle dort nach, — wir haben geschlossen, das
Schwere könne sich nicht auf dem Leichten erhalten, wo-
her durch Notwendigkeit man weiter schließt, daß diese
Überschwemmung von Regenwasser verursacht war, und
wenn dem so ist, laufen selbige Wasser alle zum Meer
und läuft nicht das Meer zu den Bergen, und wenn sie
zum Meere laufen, stoßen sie die Muscheln vom Strand
79
des Meeres weg und ziehen sie nicht zu sich heran. Und
wenn du sagtest, nachdem das Meer durch die Regen-
wasser stieg, trug es selbige Muscheln zu solcher Höhe,
— • wir haben schon gesagt, daß die Dinge, schwerer als
das Wasser, nicht darauf schwimmen, sondern in der
Tiefe bleiben, von denen sie sich nicht wegrühren, außer
durch den Anprall der Wogen. Und wenn du sagtest, die
Wogen trügen sie zu so hohen Orten, — wir haben be-
wiesen, daß die Wogen in den großen Tiefen sich ver-
kehrt zur Bewegung von oben auf dem Grunde umwenden,
welche Sache sich kundgibt in der Trübung des Meeres
durch das Erdreich, nah dem Strand entrissen. Es bewegt
sich die Sache, so leichter als das Wasser ist, zugleich
mit dessen Wogen und wird in der höchsten Gegend des
Ufers von der höchsten Woge zurückgelassen. Es bewegt
sich der Gegenstand, so schwerer als das Wasser ist, fort-
gestoßen von den Wogen der Oberfläche und des Grun-
des, und aus diesen zwei Schlüssen, die an ihrem Platze
werden bewiesen werden, urteilen wir, daß die oberfläch-
liche Woge nicht Muscheln tragen kann, von wegen des
Schwererseins als das Wasser.
Wenn die Sintflut die Muscheln dreihundert und vier-
hundert Meilen entfernt von den Meeren hätte zu tragen
gehabt, würde sie sie vermischt gebracht haben, solche
von verschiedener Natur zusammengehäuft, und wir sehen
in solchen Entfernungen die Austern alle beisammen,
und die Konchylien, und die Tintenfische und alle anderen
Muscheln, die in Brüderschaften beisammen leben, alle
miteinander tot gefunden werden, und die einsiedlerischen
Muscheln voneinander entfernt finden, wie wir es auch
jetzt an dem Meeresstrande den ganzen Tag über sehen
können. Und wenn wir die Austern, ungemein groß,
zusammengesellt finden, unter welchen du viele siehst,
die noch die Schale geschlossen haben, hat das zu be-
deuten, daß sie vom Meere hier gelassen wurden, wäh-
rend sie noch lebten, damals als die Meerenge von Gib-
80
raltar eingeschnitten wurde. Man sieht in den Bergen
von Parma und Piacenza noch ganze Massen von Muscheln
und wurmstichigen Korallen an die Felsen angeklebt,
wovon, als ich das große Pferd von Mailand machte, mir
ein ganzer Sack voll von gewissen Bauern in meine Werk-
statt gebracht wurde: welche (Muscheln) an solchen Orten
gefunden und unter welchen viele noch in erster Güte
erhalten waren.
Es finden sich unter der Erde und unter den tiefen
Steinbrüchen Hölzer von bearbeiteten Balken, die schon
schwarz geworden, welche man zu meiner Zeit in jenem
Bruch von Castel Fiorentino gefunden hatte, und diese, in
so tiefem Orte, haben sich dort befunden, ehe noch der
Flußschlamm hier in solcher Höhe zurückgelassen ward,
den der Arno in jenes Meer geworfen, das einmal dieses
Land bedeckte, und ehe noch die Ebenen des Casentino
durch das Erdreich, das sie stets von dort weggebracht
haben, so niedrig geworden.
(Auf dem Seitenrand): Und du sagtest, solche Muscheln
seien geschaffen und würden immer noch geschaffen in
solchen Orten durch die Natur der Gegend und des
Himmels, die darauf Einfluß haben, — diese selbige
Meinung wohnt nicht in Gehirnen mit zu viel Urteil; denn
hier zählt man die Jahre ihres Wachstums auf ihren
Schalen, und man sieht kleine und große, welche ohne
Nahrung nicht gewachsen wären, und, ohne sich zu be-
wegen, hätten sie sich nicht ernähren können, und hier
bewegen konnten sie sich nicht.
LIX. R, 990, MS. LEIC. FOL. 10 r. Zusammen-
fassendes Sche-
Wie in den Schichten, zwischen der einen und der an- ""^ '''^r^^^'' ""**
dern, sich noch die Gänge der Regenwürmer finden, die
zwischen ihnen herumspazierten, als sie noch nicht trocken
waren. Wie aller Meeresschlamm noch Muscheln enthält:
und ist die Muschel zugleich mit dem Schlamm verstei-
nert. Von der Torheit und Einfältigkeit jener, die wollen,
6 Herzfeld, Leonardo
81
daß solche Tiere an weit von der See entfernte Orte von
der Sintflut her gebracht seien. Wie andere Rotten Un-
wissender behaupten, die Natur oder die Himmel hätten
sie durch himmlische Einflüsse an solchen Orten ge-
schaffen, als ob sich an solchen nicht das Skelett von
Fischen fände, die in der Länge der Zeit gewachsen waren,
als ob man an den Schalen der Muscheln und Schnecken
nicht die Jahre oder die Monate ihres Lebens abzählen
könnte, wie an den Hörnern der Ochsen und der Hammel
und an den Verästelungen der Bäume, die nie, in keinem
Teile, geschnitten wurden. Und nachdem durch solche
gewiesene Zeichen die Dauer ihres Lebens offenbar ge-
worden, da ist es notwendig, zu gestehen, daß solche
^Tiere nicht ohne Bewegung leben können, um ihre Nahrung
zu suchen, und an ihnen sieht man keine Werkzeuge, in
die Erde oder in den Stein einzudringen, wo sie sich ein-
geschlossen finden. Aber auf welche Art könnten sich
in einer großen Schnecke die Bruchstücke und Teile
vieler anderer Sorten von Muscheln verschiedener Natur
vorfinden, wenn auf sie, die auf dem Seestrand schon tot
war, selbige nicht von den Wogen des Meeres geworfen
worden wären,wie andere leichte Dinge, die es an Land
wirft? Warum finden sich so viele zertrümmerte und
ganze Muscheln zwischen Schicht und Schicht des Ge-
steins, wenn sie nicht bereits auf dem Seestrand von
einer vom Meere ausgeworfenen Erde bedeckt worden
wären, welche später versteinerte? Und wenn vorbesagte
Sintflut sie in solche Gegenden des Meeres gebracht
hätte, du fändest selbige Muscheln am Ende einer einzi-
gen Schicht, und nicht am Ende von vielen. Man muß
dann die Winterszeiten der Jahre abzählen, in denen das
Meer die Schichten von Sand und Schlamm vervielfältigte,
die ihm von den benachbarten Flüssen zugetragen wurden,
und die sie an seinen Küsten abluden; und wenn du
sagen wolltest, daß mehrere Sintfluten daran gewesen
seien, solche Schichtungen und Muscheln zwischen ihnen
82
hervorzubringen, wäre es notwendig, daß du auch behaup-
tetest, es habe jedes Jahr eine solche Sintflut stattgefunden.
Auch, gegenüber den Bruchstücken solcher Muscheln, muß
in solcher Gegend ein Meeresstrand vorausgesetzt werden,
auf dem alle Muscheln zerbrochen und getrennt und nie
gepaart ausgeworfen werden, so wie sie sich lebend im
Meere mit zwei Schalen befinden, die den Deckel für-
einander bilden. Und zwischen den Schichten der Küste
und des Seestrandes findet man Bruchstücke. Und inner-
halb der Grenzenden der Felsen werden seltene und
zusammengepaarte Schalen gefunden, wie jene, die vom
Meere zurückgelassen wurden, lebendig drinnen im
Schlamm begraben, welcher dann austrocknete und ver-
steinerte. M
LX. R. 991, MS. LEIC. FOL. 10 v.
Und wenn du sagen willst, daß solche Sintflut jene war,
welche solche Muscheln Hunderte von Meilen aus den
Meeren hinaustrug, — dies kann nicht sein, nachdem
selbige Sintflut durch Regengüsse entstand, weil natür-
licherweise Regengüsse die Flüsse zugleich mit den von
ihnen getragenen Sachen dem Meere zutreiben, und nicht
gegen die Berge hin die toten Gegenstände von dem
Seestrand herziehen. Und wenn du sagtest, daß sich
die Sintflut dann mit ihren Gewässern über die Berge
erhob, die Bewegung des Meeres war so zaudernd mit
seinem Gang gegen den Lauf der Flüsse, daß es nicht
hätte oben schwimmend erhalten die Dinge, welche
schwerer waren als es selbst, und hätte es sie auch
erhalten, es würde im Steigen sie in verschiedenen Orten
verstreut lassen haben. Aber wie werden wir die Korallen
unterbringen, welche man gegen den Monte Ferrato in
der Lombardei tagtäglich findet, wurmzerfressen, an die
Felsen befestigt, von den Strömungen der Flüsse bloß-
gelegt? Und die genannten Felsen sind ganz bedeckt von
Verwandtschaften und Familien von Austern, von denen
6»
83
Fortsetzung.
Und die Korallen
mitten in der
Lombardei ?
^enden\^aschli- ^^^ wisscD, daß sie sich iiicht bcwegen, sondern immer
arten? mit einer der Schalen am Fels befestigt bleiben und die
andere Schale öffnen, um sich von kleinen Tierchen zu
nähren, die durch das Wasser schwimmen, welche, indem
sie glauben, selbst gute Weide zu finden, Speise vor-
benannter Muschel werden; man findet nicht den Sand
mit der Meeresalge vermischt petrifiziert, weil die Alge,
welche dazwischen war, weggeschwunden ist, und das
entdeckt (uns) tagtäglich der Po in den Ruinen seiner Ufer.
Erdkatastrophe LXI. R. 994, MS. BR. M. FOL. 156 V.
and Sintflut.
(Nach dem cha- Wegen der beiden Reihen von Muscheln muß gesagt
'^tchVift^stammt' Werden, daß die Erde aus Unwillen unter das Meer hinab-
diese Notiz aas
der Zeit zwischen
tauchte und so die erste Lage machte; dann machte die
1470 und 1480, Ci«tf1iit die zweite
während L. die ^l"!""^ "1^ /.WCIlC.
reiferen Ideen
wahrscheinlich ..„ ^. „^,
um 1510 nieder- LXII. MS. CA. FOL. 155 f.
geschrieben hat.) . . . ^^ . „ , -, ■,•
Es regt sich hier em Zweifel, und dieser ist, ob die
War die Sintflut Sintflut, die Zuzeiten Noahs kam, allgemein war oder
zuzeiten Noahs /-^
überhaupt eine nicht und hier wird scheinen, nein, aus den Gründen,
die werden angeführt werden. Wir haben in der Bibel,
daß vorbesagte Flut sich aus vierzig Tagen und vierzig
Nächten fortgesetzten und allgemeinen Regens zusammen-
gesetzt habe, und daß solcher Regen um sechs Ellen sich
über den höchsten Berg des Weltalls erhob; und wenn
dem so war, daß der Regen allgemein gewesen sein würde,
so bekleidete er durch seine Wasser unsere Erde mit
sphärischer Gestalt, und die sphärische Oberfläche hat
jeden seiner Teile gleich weit entfernt vom Zentrum
seiner Sphäre; daher, befand sich die Sphäre des Wassers
in der Art des genannten Umstandes, so ist es unmöglich,
daß das Wasser auf ihr sich bewegte, weil das Wasser
in sich selber sich nicht bewegt, außer es steigt herab;
also, das Wasser einer solchen Flut, wie ging es weg,
wenn hier bewiesen ist, daß es keine Bewegung hatte?
Und wenn es wegging, wie bewegte es sich, wenn es
84
nicht abwärts ging? Und hier fehlen die natürlichen
Ursachen, daher ist es notwendig, zum Sukkurs solchen ,,
' ^ Um es zu glau-
Zweifels das Wunder zu Hilfe zu rufen oder zu sagen, daß ben, muß man
1 TT- 1 o f. '^'^^ Wunder zu
solches Wasser von der Hitze der bonne weggedampft wurde. HUfe rufen.
LXIII. R. 1217, MS. BR. M. FOL. 156 r.
Beispiel des Blitzes aus den Wolken
O mächtiges und einst belebtes Instrument der kunst-
reichen Natur, da dir selbst deine großen Kräfte nichts
taugen, schickt es sich dir, das stille Dasein zu verlassen,
und dem Gesetze zu gehorchen, welches Gott der schaffen-
den Natur gegeben und . . . (unverständlich).
O wie viele Male sah man die erschreckten Scharen
der Delphine und große Thunfische vor deiner ruchlosen
Wut entfliehen, und du, so mit wechselnder Bewegung der
Flügel, mit dem gegabelten Schwanz blitzschnell im Meere
plötzliches Unwetter erzeugtest, mit großen Schlägen und
mit Untertauchen von Schiffen, mit großem Gewoge, die
bloßgelegten Gestade mit entsetzten und verwirrten Fischen
füllend, die sich dir entrissen und durch das Verlassen
der See an Ort und Stelle geblieben, übermäßige und
reichliche Beute der benachbarten Völker wurden!
O Zeit, schneller Erbeuter der geschaffenen Dinge, wie
viele Könige, wie viele Völker hast du vernichtet, und
wie viele Änderungen von Staaten und verschiedenen Um-
ständen sind erfolgt, seit die wunderbare Form dieses
Fisches in dem ausgehöhlten und verschlungenen Innern
hier starb; von der Zeit zerstört, liegst du nun geduldig
in diesem verschlossenen Ort; mit dem fleischentblößten
und nackten Gerippe hast du die Armatur gebildet und
die Stütze dem darüber ruhenden Berge.
LXIV. MS. CA. FOL. 265 r.
Beispiele und Beweise des Wachstums der Erde
Nimm ein Gefäß und fülle es mit reiner Erde und stelle
es auf ein Dach; du wirst sehen, daß unmittelbar die
Ein Fossil.
(Richterbemerkt,
daß dieser Bogen
des Ms., der die
Nummern R.
1217,1218,1339
enthält, ebenso
rvie der folgende,
dessen Inhalt in
der Nummer
R. 1219 wieder-
gegeben ist, nach
Leonardos
Schrift der Zeit
vor 1480 ange-
hört. Die Züge
sind leider sehr
undeutlich ge-
worden, fast un-
leserlich, schwer
deutbar.)
Vom Wachstum
der Erde.
85
dicht belaubten Kräuter drin zu sprießen beginnen werden
und, emporgewachsen, verschiedene Samen machen, und
wenn die Kinder zu Füßen ihrer Eltern wieder abgefallen,
wirst du die Pflanzen, wenn sie ihre Samen gemacht
haben, verdorben sehen und zur Erde herabgefallen in
wenig Zeit sich in jene Erde verwandeln und ihr Zuwachs
geben; hierauf wirst du die (frisch) geborenen Samen
denselben Lauf machen sehen, und immer die frischen,
wenn sie ihren natürlichen Lauf vollbracht, wirst du mit
ihrem Tod und Verfäulnis der Erde Zuwachs geben sehen;
und wenn du zehn Jahre vorübergehen ließest und mäßest
den irdischen Zuwachs, so könntest du sehen, um wieviel
die Erde allgemein gewachsen ist, und, multiplizierend,
v/ürdest du sehen, um wieviel in tausend Jahren die
Erdenwelt größer geworden ist. Es könnten einige
sagen, das Beispiel des obgenannten Gefäßes genüge nicht
der angewiesenen Probe, indem man bei den vorerwähn-
ten Gefäßen oft sehe, daß zum Vorteil der erwarteten
Blumen man häufig mit neuer und fetter Erde wegen des
eingeschrumpften Bodens jene nachfüllen müsse, und ich
antworte dir, daß die Erde, so man dort hineingetan,
wegen der beigemischten Fettheiten und Moderteile ver-
schiedener Dinge, nicht reine Erde genannt werden kann;
die beigemischten Sachen, durch ihre Fäulnis einen Teil
ihrer Form verlierend, verwandeln sich in fette und
nährende Säfte der eingewurzelten und eingesetzten Pflan-
zen, und dieses ist der Grund, welcher dir scheinen
macht, daß die Erde schwinde; und wenn du dort drinnen
die geborenen Kräuter sterben ließest und wieder geboren
werden ihre Samen, du sähest mit der Zeit ihr Anwachsen.
Und siehst du nicht auf den hohen Bergen die Mauern
der alten und vernichteten Städte vom Anwachsen der
Erde eingenommen und versteckt werden?
Nun, und hat man nicht gesehen, wie die felsigen Gipfel
der Berge, das lebendige Gestein lange Zeit hindurch
mittels seines Wachstums eine angelehnte Säule ver-
86
schlungen hatte, und wenn mit schneidenden Eisen aus-
gegraben und herausgezogen, wie diese im lebendigen
Gestein ihre kanelierte Form zurückgelassen?
LXV. R. 1218, MS. BR. M. FOL. 155 V. Die Erde wird
rvasserlos und
Es blieb das Element des Wassers innerhalb der empor- 'i^rr werden und
gewachsenen Ufer der Flüsse eingeschlossen, und man
sieht das Meer zwischen der aufgestiegenen Erde, und
die umgebende Luft, welche die vermehrte (vergrößerte)
Maschine der Erde einzuwickeln und zu umgrenzen hat,
— ihre Dichtigkeit, die zwischen dem Wasser und dem
Element des Feuers stand, wird sich dann wohl sehr ver-
mindert haben und des notwendigen Wassers beraubt
bleiben; die Flüsse werden ohne ihre Gewässer sein, die
fruchtbare Erde wird nicht mehr leichtes Blattwerk her-
vorsenden, die Felder werden nicht mehr von überhängen-
den Bäumen geschmückt werden; alle Tiere, so nicht
mehr frische Kräuter zu weiden fänden, werden sterben,
und es wird die Speise fehlen den räuberischen Löwen
und Wölfen und anderen Tieren, die von Beute leben;
und den Menschen, nach vielen Aushilfsmitteln, wird es
notwendig sein, ihr Leben zu verlassen und das mensch-
liche Geschlecht wird nicht da sein. Auf diese Art wird
die ergiebige und fruchtreiche Erde verlassen, dürr und
unfruchtbar werden, und durch die eingeschlossene Feuch-
tigkeit des Wassers, das in ihrem Bauch versperrt, und
durch die lebendige Natur wird sie noch ein wenig bei
ihrem Wachstum verbleiben, bis die kalte und dünne Luft . ,
Dies schrieb Leo-
ganz vergangen und sie gezwungen ist, mit dem Element nardo, nach dem.
des Feuers zu enden: dann wird ihre Oberfläche zu ver- Handschrift, vor
brannter Asche werden, und dies wäre das Ende der ^Tändf^EpldiT
irdischen Natur.
LXVI. MS. F. FOL. 84 r. vom Ende unse-
Von der Welt ''' ^'"■
Alles Schwere strebt nach unten und die hohen Sachen
werden auf ihrer Höhe nicht bleiben, sondern mit der
87
Zeit werden sie alle heruntersteigen, und so, allmählich,
wird die Welt sphärisch werden: folglich wird alles vom
Wasser bedeckt werden, und die unterirdischen Venen
werden unbewegt bleiben.
Desgleichen. LXVII. MS. F. FOL. 52 V.
(Ansichten Leo-
nardos um^ISOS Immerwährend sind bloß die niedrigen Orte, die auf
dem Grunde des Meeres, und das Gegenteil davon, die
Gipfel der Berge: folgt daraus, daß die Erde sphärisch
werden wird, und ganz vom Wasser bedeckt und unbe-
wohnbar.
-1509.)
IV. MENSCHEN/TIERE/PFLANZEN
ralen Anatomie.
R. 796, MS. W. AN. IV. FOL. 167 r. Anatomie - eine
.. . , . brotlose Wissen-
ch Will Wunder tun; — möge ich weniger schaft.
haben als die anderen ruhigeren Menschen und
als jene, so sich in einem Tage bereichern
wollen; möge ich lange Zeit in großer Armut
leben, wie es geschieht und ewig geschehen
wird den Alchimisten, die Gold und Silber zu schaffen
suchen, und den Ingenieuren, welche wollen, das tote
Wasser solle sich selbst bewegendes Leben mit bestän-
diger Bewegung geben, und jenen Hauptnarren, den Nekro-
manten und Zauberern.
Und wenn du sagst, es sei besser, (selbst) Anatomie zu za seiner figu-
^ ' ' rn Jan A nnfnm io
machen als solche Zeichnungen anzusehen, würdest du
richtig reden, wenn es möglich wäre, alle diese Sachen,
welche in solchen Zeichnungen gewiesen werden, in einer
einzigen Figur wahrzunehmen, an welcher du mit all deinem
Verstand nichts sehen wirst und von nichts eine Idee
haben wirst, als von etlichen wenigen Adern, für welche
ich, um einen wahren und vollen Begriff davon zu be-
kommen, mehr als zehn menschliche Körper zerlegt habe,
alle übrigen Glieder zerstörend, mit den winzigsten Teilchen
alles Fleisch vernichtend, so sich rings um diese Adern
befand, ohne sie blutig zu machen, außer etwa mit der
unmerkbaren Beblutung der Kapillargefäße; und ein Körper
genügte nicht für so lange Zeit, so daß man nach der
Reihe an so vielen Körpern fortschreiten mußte, damit
man die völlige Erkenntnis beendige; was ich zweimal
wiederholte, um die Unterschiede zu sehen.
Und wenn du die Liebe zu solcher Sache hättest, du
wärest vielleicht durch den Magen verhindert, und wenn
89
Beschreibung
und Zeichnung
müssen in der
Anatomie sich er-
gänzen.
Entwurf der An-
ordnung des
Baches über Ana-
tomie (1489).
dieser dich nicht hinderte, so würdest du vielleicht durch
die Furcht gehindert, zu nächtlichen Zeiten in Gesell-
schaft von solchen gevierteilten, geschundenen, schreck-
lich anzusehenden Toten zu wohnen; und wenn das dich
nicht hindert, vielleicht fehlt dir dann das gute Zeichnen,
welches zu solcher Darstellung gehört. Und hättest du
das Zeichnen, und es wäre nicht von der Perspektive be-
gleitet, und wenn es auch begleitet wäre und dir mangelte
die Ordnung geometrischer Demonstrationen und die Me-
thode der Berechnung der Kräfte und Ausdauer der
Muskeln? Und vielleicht wird dir die Geduld fehlen,
daß du nicht fleißig sein wirst. Wovon, ob in mir alle
diese Sachen vorhanden gewesen sind oder nicht, die
hundertzwanzig von mir verfaßten Bücher Urteil des Ja
oder Nein abgeben werden, wobei ich weder durch Geld-
gier noch Nachlässigkeit gehindert wurde, sondern nur
von der Zeit. Lebe wohl.
II. SP., MS. W. AN. A. FOL. 14 v.
Und du, so du mit Worten die Figur des Menschen in
allen Ansichten seiner Gliederung demonstrieren willst,
entferne von dir nur solche Meinung, denn je mehr ins
einzelne du beschreiben wirst, desto mehr wirst du den Geist
des Lesers verwirren und desto mehr wirst du ihn von der
Kenntnis der beschriebenen Sachen abbringen; daher ist
es notwendig zu zeichnen und zu beschreiben.
III SP., MS. W. AN. B. FOL. 20 V.
Von der Anordnung des Buches
Dies Werk muß beginnen mit der Empfängnis des Men-
schen, und du mußt die Art des Uterus beschreiben und
wie das Kind ihn bewohnt, und in v/elcher Stufe es sich
in jenem aufhält, und die Art, lebendig zu werden und
sich zu nähren. Und sein Wachstum, und welches Inter-
vall sei zwischen einem Grad des Wachstums bis zum
anderen, und was es hinausstößt aus dem Leib der Mutter
90
und aus welchem Grund es manches Mal aus dem Bauche
seiner Mutter vor der gehörigen Zeit herauskommt.
Dann wirst du beschreiben, welches die Glieder seien,
so nachher, wenn das Kind geboren ist, schneller wachsen
als die anderen, und das Maß eines Kindes von einem
Jahre.
Dann beschreibe den erwachsenen Mann und die Frau
und deren Maße und verschiedene Natur der Beschaffen-
heit, Farbe und Physiognomie.
Nachher beschreibe, wie er zusammengesetzt ist aus
Adern, Nerven, Muskeln und Knochen. Dies wirst du
im letzten des Buches tun.
Stelle hierauf in vier Geschichten vier allgemeine mensch-
liche Fälle dar, nämlich Heiterkeit mit verschiedenen
Gesten des Lachens, und erkläre seine Ursache; Weinen
in verschiedenen Arten mit seiner Ursache; Streit mit ver-
schiedenen Bewegungen des Tötens, Flüchtens, der Angst,
der Wildheit, Kühnheit, von Mannesmord und allen Sachen,
die zu solchen Fällen gehören. Dann stelle ein Mühen
dar, mit Ziehen, Stoßen, Tragen, Aufhalten, Unterstützen
und ähnlichen Dingen.
Ferner beschreibe Stellungen und Bewegungen ; nachher
Perspektive für den Dienst und die Wirkungen des Auges
und des Ohres, — du wirst von der Musik sprechen, —
und beschreibe die anderen Sinne.
Und dann schreibe von der Natur der Sinne.
Diese instrumentale Gestalt des Menschen werden wir
in Figuren demonstrieren, von denen die drei ersten
die Verzweigungen der Knochen sein werden, nämlich,
eine (Figur) von vorn, welche die Höhe der Lage und
Figur der Knochen zeigt; die zweite wird im Profil ge-
sehen werden und wird die Tiefe des Ganzen zeigen und
die der Teile und ihre Lage. Die dritte Figur sei der
Demonstrator der Knochen des rückwärtigen Teiles. Hier-
auf werden wir drei andere Figuren machen von gleicher
Ansicht, mit durchsägten Knochen, in denen ihre Dicke
91
und Höhlung sichtbar sein wird; drei andere Figuren
werden wir machen mit den ganzen Knochen und den
Nerven, die im Nacken entspringen und in welchen
Gliedern sie sich verzweigen. Und drei andere mit
Knochen und Adern und wo sie sich verzweigen, hierauf
drei mit Muskeln und drei mit der Haut, und propor-
tionierte Figuren; und drei von der Frau, um den Uterus
zu demonstrieren und die Menstrualadern, die zu den
Brüsten gehen.
Darstellung des IV. R. 798, MS. W. AN. IV. FOL. 157 r.
Mikrokosmos
j/iensch'',sowie . , . Also hier, in zwölf ganzen Figuren wird dir die
Ptolomäns den ' ° =»
Makrokosmos der Kosmographic der kleineren Welt vorgeführt, nach der-
Welt darstellte. ,, /^ , ■.. • r-. < .. • . t^
selben Ordnung, die vor mir Ptolomaus in semer Kos-
mographie verwendet hat, und so werde ich dann jene
in Glieder teilen, so wie er das Ganze in Provinzen teilte,
und dann werde ich die Verrichtung aller Teile in jeder
Hinsicht zeigen, indem ich dir die Aufnotierung der ganzen
Gestalt und das Vermögen des Menschen in bezug auf
Ortsbewegung vermittels seiner Teile vor Augen stelle.
Und so gefalle es unserem Urheber, daß ich die Natur
der Menschen und ihre Gewohnheiten in der Art darzu-
stellen vermöge, wie ich seine Figur beschreibe. . . .
Plan für die Ord- V. SP., MS. W. AN. A. FOL. 16 T.
nang der anato-
mischen Zeich- Beginne deine Anatomie mit dem vollkommenen Men-
schen, und nachher mache den alten, weniger muskulösen,
hierauf gehe vorwärts, indem du ihn gradweise bis auf
die Knochen bloßlegst.
Wie die Anato- VL SP., MS. W. AN. A. FOL. i V.
mie der Glied-
maßenambesten Die Wahre Kenntnis der Gestalt welchen Körpers immer
^eiit wird. muß durch das Sehen desselben von verschiedenen An-
sichten kommen; daher, um Kunde von der wirklichen
Figur irgendeines Gliedes des Menschen, höchsten Tieres
unter den Lebendigen, zu geben, werde ich die vorbesagte
Regel beobachten, indem ich von jedem vier Demon-
92
strationen von seinen vier Seiten mache, und vom Knochen
werde ich fünf machen, indem ich ihn mittendurch säge
und die Höhlung von jedem zeige, von denen die eine
markhaltig, die andere schwammig ist, oder leer oder fest.
VII. SP., MS. W. AN. A. FOL. 18 r. ^'^ne für die
anatomischen
Du wirst zuerst die Knochen getrennt, und ein wenig Ta/ein.
aus dem Gelenk gehoben zeichnen, damit man besser die
Gestalt jedes Knochenstückes für sich unterscheide. Dann
wirst du sie aneinanderfügen, auf die Art, daß sie von
der ersten Demonstration in nichts abweichen, außer durch
die Teile, die bei ihrem Kontakt sich verbergen. Wenn
das geschehen, wirst du die dritte Demonstration mit jenen
Muskeln machen, welche die Knochen zusammenbinden.
Hierauf wirst du die vierte machen, von den Nerven,
welche die Träger der Empfindung sind. Nachher folgt
die fünfte, der Nerven, die bewegen oder besser den
ersten Gliedern der Finger (Zehen) Vernunft (senso) geben.
Und in der sechsten wirst du die oberen Muskeln des
Fußes machen, in denen sich die Gefühlsnerven verteilen.
Und die siebente sei jene der Venen, die selbige Muskeln
des Fußes ernähren. Die achte werde jene der Nerven,
so die Spitzen der Zehen bewegen. Die neunte von den
Venen und Arterien, die sich zwischen die Haut und
das Fleisch legen. Die zehnte und letzte muß der fertige
Fuß mit allen Empfindungen (sentimenti) sein. Du könn-
test eine elfte machen, nach Art eines durchsichtigen
Fußes, in dem man alle die oben gesagten Dinge zu
sehen vermöchte.
SP., MS. W. AN. A. FOL. 18 r. Das Skelett und
seine Bekleidung.
Mache hier zuerst die einfachen Knochen und hierauf
bekleide sie sukzessiv mit Schichten, in der gleichen Art,
wie die Natur sie bekleidete.
VIIL SP., AIS. W. AN. A. FOL. 1 r. WiederKnochen-
. 1, ,. . ^''" '^^ Fußes
Du Wirst zuerst alle diese Knochen den einen vom an- darzustellen sei.
deren getrennt machen und so gelegen, daß jeder Teil
93
jedes Knochens nach dem Teil jenes Knochens schaue
oder hingekehrt sei, von dem er sich getrennt hat und
wo er sich wieder einzufügen hat, wenn du alle Knochen
eines solchen Fußes zu seinem früheren Wesen wieder
zusammenfügst. Und solche derartige Demonstration ist
gemacht, um besser die wahre Gestalt jedes Knochens
an sich selbst zu erkennen, und dies wirst du bei jeder
Vorführung jedes Gliedes, es sei nach welcher Ansicht
immer gedreht, wohl beachten.
Wie der Knochen-
bau des Halses
am besten de-
monstriert wird.
Vervielfältigung
deranatomischen
Tafeln Leonardos
durch — Kupfer-
stich ?
Figurale Darstel-
lung der Muskeln
in Verbindung
mit denKnochen.
IX. SP., MS. W. AN. A. FOL. 8 v.
Du wirst von diesen Knochen des Halses drei Ansichten
machen, wenn sie alle zusammengefügt, und drei An-
sichten von ihnen, wenn sie getrennt sind; und dann wirst
du sie von zwei Seiten machen, nämlich von unten ge-
sehen und von oben, und so wirst du die wahre Kunde
von ihrer Gestalt geben, von welcher es unmöglich ist,
daß die alten Schriftsteller und die modernen jemals
wirkliche Nachricht ohne unendliche und fade und ver-
wirrte Länge von Schreiberei und Zeit zu geben ver-
mochten. Aber durch diese allerkürzeste Art, sie von
verschiedenen Seiten zu zeichnen, gibt man von ihnen
volle und wahre Kenntnis, und damit solche Wohltat, die
ich den Menschen erweise, (nicht vergehe), lehre ich die
Art, die Figuren der Ordnung nach wieder zu drucken
und bitte euch, o meine Nachfolger, daß der Geiz euch
nicht zwinge, den Druck in . . .
X. SP., MS. W. AN. A. FOL. 4 v.
Ehe du Muskeln machst, zeichne an ihrer Statt Fäden,
welche die Lage selbiger Muskeln zu zeigen hätten, die
mit ihren Enden bei den Anheftungsstellen der Muskeln
auf ihrem Knochen aufhören werden. Und dies wird ge-
schicktere Kunde geben, wenn du alle Muskeln, eine über
der anderen, wirst darstellen wollen. Und machst du es
anders, so wird deine Figur verwirrt sein.
94
XI. SP., MS. W. AN. A. FOL. 14 v.
Mache eine Demonstration mit mageren und dünnen
Muskeln, damit der Raum, der zwischen dem einen und
dem anderen entsteht, ein Fenster bilde, um zu zeigen,
was sich unter ihnen befindet.
XII. SP., MS. W. AN. FOL. 18.
Anmerkung
Du wirst lauter Konfusionen machen mit deinen Demon-
strationen von Muskeln und ihrer Lage, Ursprüngen und
Enden, wenn du nicht vorher eine Darstellung der Mus-
keln gibst, dünn nach Art der Fäden des Zwirnes, und
so wirst du einen (Muskel) über dem anderen zeichnen,
wie die Natur sie gelagert hat, und dann wirst du sie
nach dem Gliede benennen können, dem sie dienen, das
heißt, den Beweger der Spitze des Mittelfingers und seines
Mittelknochens oder des Daumens usf. Und angenommen,
du hast solche Kenntnis, wirst du zu selten von diesem
die wahre Form und Quantität (Größe) und Lage jedes
Muskels zeichnen, aber erinnere dich daran, die Fäden,
welche die Muskeln lehren, in derselben Lage darzu-
stellen, in der die zentralen Linien jedes Muskels sind,
und so werden dergleichen Fäden die Gestalt des Beines
demonstrieren und seine (Muskel-)Distanzen abgelöst und
klar.
XIIL SP., MS. W. AN. B. FOL. 10 r.
Zeichne den Arm Francescos, des Miniaturenmalers, der
viele Venen zeigt.
Du wirst in dieser Art von Demonstrationen die wahren
Umrisse der Glieder mit einer einzigen Linie zeichnen,
und in ihre Mitte stelle ihre Knochen mit den richtigen
Entfernungen von ihrer Haut, nämlich der Haut der Arme,
und dann wirst du die Adern machen, die ganz in durch-
sichtigem Felde befindlich seien, und so wird man klare
Kunde von der Lage der Knochen, Adern und Sehnen
(nervi) geben.
Wie die schicht-
weise Lagerang
der Muskeln
zeichnerisch dar-
stellbar ist.
Wie die Muskeln
zu zeichnen and
zu benennen sind.
Wie ein Arm im
richtigen Umriß
mit eingezeich-
neten Knochen,
Muskulatur, Ner-
ven und Adern
darzustellen ist.
95
Ober die Anord- XIV. SP., MS. W. AN. A. FOL. 13 V.
nung der Adern
Tei Findern uTd ^^^* ^^ ^^^^ bemerkt, mit welchem Fleiß die Natur die
Zehen. Nerven, Arterien und Venen an den Fingern seitlich und
nicht in der Mitte angebracht hat, damit sie bei den Be-
schäftigungen der Finger nicht irgendwie dazu kämen,
sich zu durchbohren oder zu durchschneiden.
Herz und Adern. XV. SP., MS. W. AN, B. FOL. 11 T.
Das Herz ist der Kern, welcher den Baum der Adern
hervorbringt, welche Adern ihre Wurzeln im Dünger,
nämlich in den Venen des Gekröses haben, die das er-
worbene Blut in der Leber niederzulegen gehen, wo
nachher die größeren Adern der Leber sich nähren.
Das Herz, seine
Anatomie, seine
Funktion.
Das Herz : ein
Gefäß mitdichter
Muskulatur.
XVI. SP., MS. W. AN. B. FOL. 12 r.
Wunderbares Instrument, erfunden vom höchsten Werk-
meister.
Herz, durchgeschnitten im Behältnis der Geister, näm-
lich in der Arterie, und in M ergreift oder eigentlich
gibt es das Blut der Arterie und beim Munde B er-
frischt es sich am Wind der Lunge, und von C aus füllt
es S die Vorhöfe des Herzens. N, harter Muskel, zieht sich
zurück und ist erste Ursache der Bewegung des Herzens,
und im Zurückziehen verdickt er sich, und im Verdicken
verkürzt er sich und zieht alle kleineren und größeren
Muskeln zurück und schließt die Pforte M und verkleinert
den Raum, der zwischen die Basis und den First des
Herzens gelegt ist, wodurch er es zu entleeren vermag
und frische Luft in sich hineinzuziehen.
XVIL SP., MS. W. AN. B. FOL. 33 v.
Das Herz an sich ist nicht Ursprung des Lebens, son-
dern ein Gefäß, aus dichter Muskulatur gemacht, belebt
und genährt von den Arterien und Venen, wie es die
anderen Muskeln sind. Wahr ist es, daß das Blut und
die Adern, die in ihm sich reinigen, Leben und Nahrung
96
der anderen Muskeln sind, und es ist von solcher Dichtig- ^''^Ym'^F^^^/'^^
keit, daß kaum das Feuer ihm schaden kann; und das
sieht man bei den verbrannten Menschen, bei denen, wenn
ihre Knochen schon in Asche verwandelt sind, das Herz
noch innen blutig ist, und diese so viele Widerstands-
kraft gegen die Wärme hat die Natur gemacht, damit es
der großen Hitze widerstehe, die in der linken Seite des
Herzens durch das Blut der Arterie erzeugt wird, das in
solcher Kammer sich verdünnt.
Die Adern im
Alter und in der
Jagend.
XVIII. SP., MS. W. AN. B. FOL. 12 r. Blatwärme and
Herzbewegung,
Von der Ursache der Wärme des Blutes
Die Wärme erzeugt sich durch die Bewegung des Herzens,
und dies offenbart sich, indem, je eiliger das Herz sich
bewegt, um so mehr die Wärme sich vervielfältigt, wie
der Puls der Fiebernden, bewegt vom Klopfen des Herzens,
es uns lehrt.
XIX. SP., MS. W. AN. B. FOL. 10 r.
Natur der Adern in der Jugend und im Alter
Wenn die Adern altern, zerstören sie die Geradheit
(rettitudine) in ihren Verzweigungen und werden um so
verbogener oder vielmehr: stärker geschlängelt und von
um so dickerer Rinde, als das Alter an Jahren reich-
licher (abbondante) wird . . .
XX. SP., MS. W. AN. B. FOL. 10 V. AnatomischeVer-
änderungen der
Die Arterien und Venen, die sich zwischen Milz und Blutgefäße im
Leber verbreiten, bekommen bei den alten Leuten eine so
dicke Haut, daß selbige den Durchgang des Blutes ver-
schließt, das von den Gefäßen des Gekröses kommt:
durch welche Gefäße selbiges Blut zur Leber und zum
Herzen und zu den zwei Hauptadern und folglich zum
ganzen Körper hindurchfließt, und diese Venen, außer daß
sich ihre Haut verdickt, wachsen sie auch noch in die
Länge und krümmen sich wie eine Schlange, und die Leber
7 Herzfeld, Leonardo
97
Alter.
'^''ten^Leuìen'^^ Verliert die Feuchtigkeit des Blutes, die von diesen ihr
zugetragen ward, woher selbige Leber austrocknet und
wie zusammengefrorene Kleie wird, sowohl in der Farbe,
wie in der Materie, so daß mit ganz weniger Reibung,
die auf ihr stattfand, selbige Materie in winzige Partikel,
gleichwie Sägespäne, zerfällt und die Venen und Arterien
übrigläßt, und die Gefäße der Galle und des Nabels,
welche durch die Pforte der Leber in selbige Leber ein-
treten, bleiben ganz der Materie dieser Leber beraubt,
sowie Mohrenhirse oder Sorghoweizen, wenn die Körner
ausgelöst worden.
Der Grimmdarm und die anderen Eingeweide verengern
sich bei den alten Leuten sehr und in ihren Adern, die
Anevrismen und unter dem Brustknochen durchgehen, habe ich Steine ge-
Phlebolithe. „, ,, „ .„. jt-
funden, welche groß waren wie Kastanien, von der Form
und Farbe der Trüffeln, oder besser der Lava- oder Eisen-
schlacke, welche Steine äußerst hart waren, wie selbige
Schlacke, und Säcke gebildet hatten, an genannte Adern
angeheftet, gleichwie Kröpfe.
Und solch ein Greis, wenige Stunden vor seinem Tode
Altersschwäche, erzählte er mir, über 100 Jahre alt zu sein und daß er
an seiner Person gar keine Ermangelung (mancamento)
spüre, außer vielleicht an Kraft, und so auf einem Bette
sitzend, im Hospital von Santa Maria Nuova zu Florenz,
ohne andere Bewegung oder sonstiges Zeichen irgend-
eines Unfalles, schied er aus diesem Leben hinüber.
Und ich machte seine Anatomie, um den Grund so
sanften Todes zu sehen, der ohnmächtig ward wegen
Mangels von Blut in den Venen und Arterien, so das
Herz und die anderen untergeordneten Glieder (Organe)
des Körpers ernährte, die ich vertrocknet, abgezehrt und
dürr fand: welche Anatomie ich gar fleißig und mit
großer Leichtigkeit beschreibe, weil sie des Fettes und
Leonardo seziert der Feuchtigkeit bar, die recht sehr die Erkenntnis der
einen marasti- _ ., ,
sehen Greis und Teile erschweren.
^"gen Knaben"' Dì© andere Anatomie war die eines Knaben von zwei
98
Jahren, in welchem ich jede Sache entgegengesetzt der des
Greises fand.
(Auf dem Rand des Blattes). Die alten Leute, die mit Biutamiauf and
, Ernährung.
Gesundheit leben (vivono con sanità), sterben aus darben-
der Ernährung, und dies geschieht, weil ihr der Durch-
gang in die Venen des Gekröses beständig durch das
sukzessive Dickerwerden der Wände (pelle) der Adern ein-
geschränkt wird bis zu den Kapillargefäßen, welche die
ersten sind, so sich völlig verschließen, und daher er-
zeugt es sich, daß die Alten mehr die Kälte fürchten als
die Jungen, und daß jene, die sehr alt sind, ihre Haut
von der Farbe des Holzes oder trockener Kastanien haben,
weil solche Haut fast völlig der Nahrung beraubt ist.
Und diese Adernhülle (tonica di vene) macht es beim
Menschen, wie bei den Pomeranzen, denen die Schale
sich um so mehr verdickt und das Fleisch verringert, je
älter sie werden. Und wenn du sagtest, die Verdickung
des Blutes liefe eben nicht mehr durch die Adern, ist
das nicht wahr, weil das Blut in den Adern gar nicht
eindickt, denn unaufhörlich stirbt es und wird wieder- Beständige Er-
' neuerang des
geboren. Biates.
XXI. SP., MS. W. AN. B. FOL. 17 r. du Lunge und
ihre Funktion.
Wenn die Lunge den Wind hervorgeschickt hat und sie
an Umfang sich um so viel verringert, als der Wind hatte,
der aus ihr hinausging, dann muß man prüfen, woher der
Raum des Kastens der verkleinerten Lunge die Luft an
sich ziehe, welche ihre Vergrößerung anfüllt, nachdem es
in der Natur kein Vakuum gibt.
Und außerdem fragt es sich, woher, beim Vergrößern
der Lunge, die Luft aus ihrem Behältnis hervorgejagt
wird, auf welchem Weg sie entflieht und, geflohen, was
das ist, wo sie aufgenommen ward.
Die Lunge bleibt immer ganz von einer Menge Luft er-
füllt, auch wenn sie jene Luft hinausgestoßen hat, die zu
ihrem Ausatmen verlangt ward, und wenn sie sich mit
7»
99
neuer Luft erfrischt, lehnt sie sich an die Rippen der
Brust und diese erweitert sie ein wenig und drängt sie
hervor, wie man es sieht und fühlt, wenn man die Hand
auf die Brust legt bei ihrem Atemholen: daß die Brust
schwillt und fällt, und um so mehr, wenn irgend ein
Seufzer erzeugt wird.
Und hat es eingerichtet die Natur, daß solche Anstren-
gung (forza) von den Rippen der Brust gemacht werde
und nicht vom Gewebe, das die Substanz der Lunge be-
grenzt, damit nicht durch eine höchste Ansammlung von
Luft, um irgendwelchen übermäßigen Seufzer zu schaffen,
solches Gewebe am Ende reiße und zerplatze .... Außer-
dem lehnt selbige Luft, die von der Lunge und dem
Zwerchfell hervorgestoßen ward, sich an den Kasten, der
das Herz umkleidet, und jenes bißchen Flüssigkeit, das
auf dem Boden selbigen Kastens ist, steigt und badet das
ganze Herz und so, beständig, vermittelst dieses Badens
befeuchtet sie das in Glut stehende (infocato) Herz und
macht, daß es durch so viel Sichbewegen nicht etwa ver-
trockne.
Leber und Galle. XXIL SP., MS. W. AN. B. FOL. 2 V,
Die Leber ist Verwalterin und Austeilerin der Lebens-
ernährung des Menschen.
Die Galle ist die Hausmagd oder Dienerin der Leber,
welche allen Unrat und die zurückgebliebenen Überflüssig-
keiten der Nahrung, so die Leber an die Glieder verteilte,
auskehrt und wegsäubert.
Rückenmark und XXIII. SP., MS. W. AN. A. FOL. 23 f.
Bewegungs-
nerven. Die Substanz des Rückenmarks tritt eine Strecke lang
in die Ursprünge der Nerven ein und folgt dann dem
durchbohrten Nerv bis in seine letzten Verästelungen,
durch welche Durchbohrung das Gefühl in jeden Muskel
getragen wird: welcher Muskel aus so vielen minimalen
Muskeln besteht, als der Fäden sind, in die man jeden
100
Muskel auflösen kann, und jeder kleinste dieser Muskeln
ist in fast unmerkbare Gewebe eingehüllt, in die sich die
äußersten Verzweigungen vorbesagter Nerven umwandeln.
Welche Nerven jeder Aufforderung des Gefühls, so durch
die Höhlung des Nerves hindurchgeht, gehorchen und
durch ihr Zurückziehen den Muskel verkürzen und ver-
dicken. Aber um zum Rückenmark zurückzukehren, das
in zwei Gewebe eingewickelt ist, von denen eines bloß
das Rückenmark umkleidet und beim Heraustreten aus
der Öffnung des Wirbels sich in den Nerv verwandelt
und das andere den Nerv bekleidet und zugleich seine
Hauptäste, und sich dann mit jedem Ast des Nervs ver-
zweigt, und so ein zweites Kleid des Rückenmarkes bildet,
indem es sich zwischen den Knochen der Wirbel und die
erste Haut selbigen Rückenmarkes legt.
XXIV. SP., MS. W. AN. B. FOL. 23 r. Rückenmark and
Gehirnhäute.
Das Rückenmark ist Quelle der Nerven, die den Gliedern
willkürliche Bewegung geben.
Die weiche und die harte Gehirnhaut bekleidet alle Nerven,
die vom Rückenmark ausgehen.
XXV. SP., MS. W. AN. B. FOL. 1 r. Pläne zar Phy-
siologie.
Von den Nerven (Sehnen), welche die Schultern heben
und die den Kopf heben
und die ihn senken
und die ihn drehen
und die ihn quer (schräg) biegen.
Das Rückgrat bücken
es beugen
es verdrehen
es heben.
Du wirst von Physiognomien (filosomja) schreiben. Physiognomik.
Ich habe gefunden, daß die Adern kein anderes Amt ver- ^<^«™ "'"' ^«'■-
ven.
sehen als zu wärmen, wie die Nerven und Dinge (cose),
welche Gefühl zu verleihen haben.
101
Skizzierung eines
Buches, das von
den Funktionen
des Körpers han-
dein sollte.
Notiz über ver-
gleichende Ana-
tomie der Einge-
weide.
XXVI. SP., MS. W. AN. B. FOL. 1 v.
Grund des Atmens.
Grund der Bewegung des Herzens.
Grund des Erbrechens.
Grund des Hinabgehens der Speise in den Magen.
Grund des Leerens der Eingeweide.
Grund der Bewegung aller Überflüssigkeit (superfruità)
durch die Eingeweide.
Grund des Schluckens.
Grund des Hustens.
Grund des Gähnens.
Grund des Niesens.
Grund des Einschlafens der verschiedenen Glieder.
Grund des Verlierens des Gefühls in einzelnen Gliedern.
Grund des Juckens.
Grund der Wollust und anderer Notwendigkeiten des
Leibes.
Grund des Hamens.
Und so aller natürlichen Verrichtungen (azioni) des Körpers.
XXVI!. R. 817, MS. W. AN. II. FOL. 206 v.
Schreibe von den Abweichungen der Eingeweide der
menschlichen Gattung, der Affen und ähnlicher. Hierauf,
wo die Löwenart abweicht, hierauf die Rinderart, und
zuletzt die Vögel, und benütze solche Beschreibung zum
Zweck einer Abhandlung.
XXVIII.
R. 819, MS. W. AN. IV. FOL. 167 r.
Notiz zu ver-
tomie der Zunge Schreibe von der Zunge des Spechtes und den Kinn-
und der Kinn- . , , tt- i j-i
laden. laden des Krokodils.
Vergleichende
Anatomie des
Fußes.
XXIX. SP., MS. W. AN. A. FOL. 17 r.
Zeichne hier den Fuß des Bären und Affen und anderer
Tiere in dem, worin sie vom Fuße des Menschen ab-
weichen, und überdies setze die Füße irgendwelchen
Vogels daneben.
102
. . . Und so viele sind der Muskeln des Fußes unten und
oben, als die Zahl der Zehen verdoppelt beträgt, aber weil
ich solchen Diskurs noch nicht fertig habe, so lasse ich
das für jetzt und gedenke diesen Winter Eintausend 510 Datienmg dieses
,. ,. . . , . Buches {1510).
all diese Anatomie wegzubringen.
XXX. SP., MS. W. AN. A. FOL. 10 r. Die Lehre von
den Bewegungen
Mache, daß dein Buch von den maschinellen Elementen derMenschenund
.. T-» . t T^ . IT-. . Tiere auf die
mit ihrer Praxis den Demonstrationen der Bewegung und Lehre von den
TJ- o^ j »» . j j T-' u j Maschinenteilen
Kraft des Menschen und anderer Tiere vorangehe, und gestützt.
mit Hilfe dieses Buches wirst du jeden deiner Sätze be-
weisen können.
XXXI.
MS. CA. FOL. 297 r.
Vom Gehen des Menschen
Das Gehen der Menschen ist immer nach Art des all-
gemeinen Gehens der Tiere mit vier Füßen; denn ganz
so wie selbe ihre Füße kreuzweise bewegen, beim Trott
des Pferdes, so bewegt der Mensch seine vier Glieder
kreuzweise, nämlich, wirft er den rechten Fuß nach vorn,
um zu schreiten, so wirft er zugleich mit jenem den
linken Arm nach vorn, und immer so weiter.
XXXn. SP., MS. W. AN. B. FOL. 13 r.
Ich habe in der Zusammensetzung des menschlichen
Körpers gefunden, daß, unter allen Zusammensetzungen
von Tieren, er die stumpfsten und gröbsten Empfindungen
hat. So besteht er aus weniger sinnreichen Werkzeugen
und aus Räumen, die weniger fähig sind, die Kraft der
Sinne aufzunehmen. Ich habe bei der Löwengattung die
Substanz des Gehirns am Geruchsinn teilhaben sehen,
hinabsteigen in den sehr umfänglichen Fassungsraum des
Geruchswerkzeuges, dem Geruch entgegen, der zwischen
einer großen Anzahl von knorpeligen Säckchen auf vielen
Wegen der Begegnung vorbesagten Gehirnes entgegen-
kommt.
Vom mensch-
lichen Gang.
Von den Sinnes-
werkzeugen des
Menschen und
der Tiere.
103
Die Augen der Löwengattung haben einen großen Teil des
Löwenkopfes zum Behältnis, und die Sehnerven vereinigen
sich unmittelbar mit dem Gehirn: was bei den Menschen
sich gegenteilig findet; denn das Gehäuse für die Augen
ist nur eine kleine Partie des Kopfes, und die Sehnerven
sind dünn und lang und schwach, und mit schwacher
Wirkung sehen sie bei Tag, und schlechter bei Nacht,
und die besagten Tiere sehen in der Nacht wie bei Tag;
und das Zeichen davon nimmt man wahr, denn sie gehen
des Nachts auf die Beute aus und schlafen bei Tag, wie
außerdem die Nachtvögel tun.
Das Licht oder besser die Pupille des menschlichen
Auges wächst und verkleinert sich um die Hälfte ihrer
Größe, und bei dem nächtlichen Getier verringert es
sich und wächst um mehr als den hundertfachen Teil
seiner Größe, und dies konnte man am Auge der Eule
sehen, indem man dem Auge eine angezündete Fackel
näherte, und noch mehr, wenn du sie in die Sonne sehen
ließest; denn dann würdest du die Pupille, die früher
das ganze Auge einnahm, sich auf die Größe eines Hirse-
korns verkleinern sehen, und in dieser Verkleinerung
gleicht es dem Auge des Menschen und erscheinen ihm
die hellen Dinge und Glanzschimmer von derselben Farbe,
wie sie in gleicher Zeit dem Menschen erscheinen, und
um so mehr, als das Gehirn eines solchen Tieres kleiner
ist als das des Menschen: daher geschieht es, daß solche
Pupille, in nächtlicher Zeit hundertmal mehr wachsend
als die des Menschen, hundertmal mehr Licht erblickt
als der Mensch, derartig, daß selbige Sehkraft dann nicht
von dem nächtlichen Dunkel überwältigt wird; und das
menschliche Licht (Pupille), das sich in seiner Größe
nur verdoppelt, sieht wenig Helligkeit, fast wie die Fleder-
maus, die in den Stunden zu großer Finsternis nicht
fliegt.
In der Tat, der Mensch weicht vom Tier nicht ab, außer
im Akzidentalen (Nichtnotwendigen), durch das er sich
104
als eine göttliche Sache erweist; denn wo die Natur auf- ^tün^r^'^^ "'*
hört, ihre Abbilder zu schaffen, dort beginnt der Mensch, Schöpfer.
aus den natürlichen Dingen, mit Hilfe der Natur, unend-
liche Bilder zu machen, die dem nicht notwendig sind,
der sich gut beschränkt, wie es die Tiere tun; in selbigen
Tieren ist dafür keine Anlage zu suchen.
XXXIII.
SP., MS. W. AN. B. FOL. 21 v.
Es scheint mir nicht, daß grobe Menschen von schlechten
Sitten und geringem Urteil ein so schönes Instrument,
noch solche Vielfältigkeit der inneren Einrichtung ver-
dienen wie die nachdenklichen Menschen von großen
Kenntnissen, sondern bloß einen Sack, der die Nahrung
aufnimmt und aus dem sie wieder hinausgeht; denn in
Wahrheit, für anderes als für einen Durchgang von Speise
können sie nicht erachtet werden, weil sie durch nichts,
scheint mir, an der menschlichen Spezies Anteil haben
als etwa durch die Stimme und die Gestalt, und alles
andere ist viel weniger als Vieh.
Unwürdige und
oberflächliche
Menschen ver-
dienen nicht eine
so reiche Organi-
sation wie den
menschlichen
Körper.
XXXIV.
MS. CA. FOL. 119 r. Vom Auge.
Einleitung in die Perspektive
Nun überlege, o Leser, was wir unsern Alten glauben
können, welche haben definieren wollen, was für eine
Sache Seele und Leben, unbeweisbare Dinge, seien, wenn
jene Dinge, so mittels der Erfahrung jederzeit klar er-
kannt und bewiesen werden können, durch so viele Jahr-
hunderte nicht gewußt und fälschlich geglaubt worden
sind! Das Auge, welches so klärlich von seinem Amt
Experimente gibt, ist bis zu meinen Zeiten von unzäh-
ligen Autoren auf eine Art erklärt worden; ich finde
durch Erfahrung, daß es auf ganz andere Art sein muß.
XXXV. MS. CA. FOL. 345 v.
Schreibe in deiner Anatomie, welche Proportionen unter-
einander die Durchmesser aller Sphären des Auges haben
Anatomie des
Auges.
105
und welche Entfernung von ihnen die kristallinische Sphäre
(Kristallinse) hat.
Die Pupille und XXXVI. MS. D. FOL. 5 r.
die Lichtstärke.
Die Pupille des Auges wandelt sich in so viele
verschiedene Größen, als es Verschiedenheiten
in der Helligkeit und Dunkelheit der Objekte
gibt, die sich vor ihr darstellen
In diesem Fall hat die Natur der Sehkraft beigestanden,
wenn sie vom übermäßigen Lichte beleidigt ist, die Pu-
pille des Auges verkleinern zu können, und wenn sie
von der verschiedenartigen Dunkelheit verletzt ist, selbi-
ges Lichtloch zu erweitern, gleichwie den Mund einer
Börse. Und macht es hier die Natur gleichwie jener,
der in seiner Wohnung zu viel Licht hat, welcher ein
halbes Fenster schließt, und mehr oder weniger, nach
Bedarf; und wenn die Nacht kommt, öffnet er das ganze
Fenster, um drinnen in besagter Wohnung besser zu
sehen. Und wendet hier die Natur eine beständige
Gleichung an, mit unaufhörlichem Temperieren und Ein-
richten, mit Wachsen der Öffnung und Verkleinern der
Pupille, im Verhältnis der vorerwähnten Dunkelheiten und
Helligkeiten, welche sich ihr immerfort darstellen.
Die Größe der XXXVII. MS. J. FOL. 20 f.
Pupille ist ver-
änderiich. Die Pupille des Auges ändert in freier Luft die Grade
ihrer Größe bei jedem Grad von Bewegung, den die
Sonne macht.
^'^ffi^'"" Und bei jedem Grad von Größe (der Pupille) wird die
gleiche gesehene Sache sich von verschiedener Größe
erweisen, obwohl oftmals der Vergleich mit den um-
gebenden Dingen solche Änderung einer einzigen Sache,
die man anschaut, nicht wahrnehmen läßt.
Vom Schatz des XXXVIII. MS. CA. FOL. 1 16 r.
Weil das Auge das Fenster der Seele ist, ist diese immer
in Angst, es zu verlieren, so daß, wenn sich ihm ein
106
Ding so entgegenbewegt, daß es dem Menschen plötzlich
Furcht einflößt, dieser mit den Händen nicht dem Herzen,
der Quelle des Lebens, zu Hilfe kommt, noch dem Kopf,
dem Behälter des Beherrschers der Sinne, noch dem
Gehör, Geruch oder dem Geschmack, sondern sofort dem
erschreckten Sinne: nicht genügend, die Augen mit ihren
Deckeln zu schließen, die mit höchster Kraft zusammen-
gepreßt werden, so daß es sie gleich nach entgegen-
gesetzter Richtung dreht; da dies sie noch nicht sichert,
legt er die eine Hand darauf und streckt die andre aus,
so seinem Verdacht eine Vorhut bildend. Auch hat die
Natur es angeordnet, daß das menschliche Auge von
selbst sich mit dem Lide (helfe), damit, von ihm Schla-
fenden unbeschützt, es von keiner Sache verletzt werden
könne.
XXXIX. MS. CA. FOL. 345 V. Von der Funktion
der Pupille.
Nachdem die Abbilder der Gegenstände alle in der
ganzen ihnen entgegenstehenden (antiposta) Luft enthalten
sind und alle in jedem Punkt von ihr, ist es notwendig,
daß die Abbilder unserer ganzen Hemisphäre mit all den
Himmelskörpern durch den einen natürlichen Punkt ein-
gehen und hindurchgehen, wo sie sich in der Durch-
dringung und Durchsägung des einen durch den anderen
und des anderen durch den einen verschmelzen und
vereinigen, wo dann die Abbilder des Mondes im Osten
und die Abbilder der Sonne im Westen in solch natür-
lichem Punkte mit unserer ganzen Hemisphäre vereinigt
und verwebt sind. O v/underbare Notwendigkeit, mit
höchstem Verstände zwingst du alle Wirkungen, an ihren
Ursachen teilzuhaben, und mit erhabenem und unwider-
ruflichem Gesetz gehorcht in schnellster Ausführung
(operazione) dir jedwede Handlung der Natur. Wer
würde glauben, daß solch kleinster Raum die Abbilder
des ganzen Weltalls aufzunehmen fähig wäre? O groß-
mächtige Erscheinung, welcher Geist vermöchte solche
107
Natur zu durchdringen? Welche Sprache wäre es, welche
dergleichen Wunder zu erklären imstande? Sicher keine.
Dies führt die menschliche Überlegung zur Betrachtung
des Göttlichen usw.
Von den Zangen- ^j^
maskeln.
Die Zunge als
Sitz des Ge-
schmacks.
Die Zunge als Or-
gan der Sprache.
SP., MS. W. AN. B. FOL. 28 V.
Von den Muskeln, welche die Zunge bewegen
Kein Muskel hat eine so große Anzahl von Muskeln
notwendig wie die Zunge, von welchen 24 bekannt sind,
außer jenen anderen, die ich gefunden habe, und von
allen Gliedern, die sich willkürlich bewegen, übertrifft
dieses alle anderen an Zahl der Bewegungen.
Und wolltest du sagen, daß es das Amt des Auges ist,
alle Abbilder der unendlich vielen Gestalten und Farben
der Objekte aufzunehmen, die ihm gegenübergestellt
sind, und der Geruch die unendlich vielen Mischungen
der Düfte und das Ohr die der Töne, so würden wir
sagen, daß die Zunge auch die unendlich vielen Ge-
schmäcke, einfache und zusammengesetzte, fühlt; aber
das ist nicht in unserem Vorsatz, nachdem wir es uns
zur Aufgabe gemacht, hier bloß von der örtlichen Be-
wegung jedes Gliedes zu handeln.
Nimm gut in Betracht, wie durch die Bewegung der
Zunge, mit Hilfe der Lippen und der Zähne, die Aus-
sprache (pronunziazione) aller Namen der Dinge uns be-
kannt geworden ist (ci son note), und die einfachen
Wörter einer Sprache und die zusammengesetzten an
unser Ohr nur vermittelst dieses Instrumentes gelangen:
welche, wenn alle Effekte der Natur einen Namen hätten,
sich bis zur Unendlichkeit erstreckten, zugleich mit der
Unendlichkeit der Dinge, welche in der Wirklichkeit und
welche in der Möglichkeit der Natur liegen; und dies
würde sie (die Zunge) nicht bloß in einer einzigen Sprache
ausdrücken, sondern in außerordentlich vielen, welche,
auch sie, sich ins Unendliche erstrecken, weil sie be-
108
ständig von Jahrhundert zu Jahrhundert und von Land
zu Land sich verändern, wegen der Vermischung der
Völker, so durch Kriege und andere Zufälle unauf-
hörlich sich mengen, und dieselben Sprachen sind der
Vergessenheit unterworfen und sind sterblich wie die
anderen geschaffenen Dinge , und wenn wir unsere
Welt als ewig zugäben, müßten wir sagen, daß solche
Sprachen von unendlicher Mannigfaltigkeit gewesen sind
und noch sein müssen, wegen der Unendlichkeit der
Jahrhunderte, die in der Unendlichkeit der Zeit enthalten
sind usw.
Und dies ist in keinem zweiten Sinn gemeint, weil sie
sich nur auf die Dinge erstrecken, so die Natur unab-
lässig hervorbringt, welche nicht die gewöhnlichen Spezies
der von ihr geschaffenen Dinge verändert, wie von Zeit
zu Zeit die Dinge sich ändern, die vom Menschen, dem
größten Werkzeug der Natur, geschaffen sind, weil die
Natur sich nur auf die Hervorbringung des Einfachen be-
schränkt, der Mensch jedoch aus diesem Einfachen eine
unendliche Anzahl von Zusammensetzungen erzeugt, da-
gegen nicht die Macht hat, irgendein solches Einfache
hervorzubringen, wenn nicht ein zweites Selbst, nämlich
seine Kinder; und dafür werden mir die alten Alchimisten
Zeugen sein, die niemals, weder durch Zufall noch durch
absichtliches Experiment es erreichten, die geringste Sache
zu schaffen, die von selbiger Natur geschaffen werden
kann, und dieses derartige Geschlecht von Alchimisten
verdient unendliche Lobsprüche wegen der Nützlichkeit
der Dinge, die sie zum Nutzen der Menschen gefunden
haben, und verdienten deren noch mehr, wären sie nicht
Erfinder schädlicher Dinge gewesen, wie von Giften und
anderen ähnlichen Schäden für Leben und Verstand, wo-
von sie nicht freizusprechen sind, da sie mit großem
Studium und Bemühen die Sache schaffen wollen, so die
nicht wenigst edle ist, das Gold, wahres Kind der Sonne,
nämlich, weil es mehr als irgendein anderes Geschöpf
Menge, Mannig-
faltigkeit, Ans-
dm cksfähigkeit
der Sprachen.
Der Mensch, das
machtvollste
Werkzeug der
Natur.
Seine Begren-
zung.
Der Mensch kann
das „Einfache"
nicht schaffen.
Beispiel die Al-
chimisten. Was
sie können und
was sie nicht
können.
Gold.
109
ihr gleicht, und keine Sache von größerer Ewigkeit ist
[folgt nun unten das, was fehlt]
(Auf dem Rand des Blattes) als selbiges Gold. Dieses
ist von Zerstörung durch Feuer ausgeschlossen, die sich
sonst auf alle geschaffenen Dinge erstreckt: welche sich
in Asche verwandeln oder in Glas oder in Rauch. Und
wenn dennoch alberner Geiz dich zu solchem Irrtum
brächte, warum gehst du nicht in die Bergminen, wo die
Was die Gold- Natur solches Gold hervorbringt, und machst dich dort
minen lehren. ~ , .. , ,. ,. , ... , . _, , .
ZU ihrem Schuler, die dich getreulich von deiner Torheit
heilen wird, indem sie dir zeigt, daß keine Sache, von
dir im Feuer ausgeführt, irgendeine von jenen sein wird,
so die Natur zum Hervorbringen des selbigen Goldes
anwendet. Hier kein Quecksilber, hier kein Schwefel
von keinerlei Art, hier kein Feuer noch andere Wärme
als jene der Natur, Beleberin der toten Welt, welche dir
die Verästelungen des Goldes im Lapislazuli oder besser
Utramarinblau zeigen wird, das eine Farbe ist, die von
der Gewalt des Feuers frei ist. Und betrachte gut solche
Verästelung des Goldes und du wirst an seinen Enden
sehen, daß sie mit langsamer Bewegung immerwährend
wachsen und in Gold verwandeln, was an diese Enden
Die vegetative rührt, uud bemerke, daß hier eben eine vegetative
Seele. ' .
Seele innewohnt, die hervorzubringen nicht in deiner
Macht ist.
Die fünf Sinne XU. SP., MS. W. AN. B. FOL. 2 r.
and die Seele
(1489). ^jg jjjg f^jjf Sinne Beamte der Seele sind
Die Seele scheint sich im urteilenden Teil des Men-
schen aufzuhalten und der urteilende Teil scheint an dem
Ort zu sein, wo alle Sinne zusammenlaufen: welchen
man den allgemeinen Sinn nennt (senso commune). Und
ist nicht als Ganzes im ganzen Leib verbreitet, wie viele
geglaubt haben, im Gegenteil ganz in einem Teil ver-
sammelt; denn wäre er ein Ganzes überall und ein Ganzes
110
in jedem Teil, so wäre nicht notwendig, daß die Instru-
mente der Sinne untereinander an einem einzigen Orte
zusammenliefen, sondern es genügte, wenn das Auge das
Amt des Begreifens auf seiner Oberfläche vollzöge, und
nicht erst über den Weg des Sehnerven das Bild der
gesehenen Dinge dem (allgemeinen) Sinn zuschickte,
weil die Seele aus obgesagtem Grund auf leibiger Ober-
fläche des Auges verstehen könnte. Und ebenso, dem
Sinn des Gehörs genügte es, daß die Stimme bloß in
der gehöhlten Porosität des Felsenbeines widerhallte,
welches hinter dem Ohre steht, und brauchte nicht von
selbigem Knochen zum allgemeinen Sinn einen anderen
Durchgang, wo dieser Mund sich an das gemeinsame
Urteil wendet. Der Sinn des Geruches, auch der sieht
sich durch die Notwendigkeit gezwungen, sich um besagte
Urteilskraft zu bewerben. Das Gefühl geht aus den per-
forierten Strängen (Nerven) nicht heraus und wird (durch
sie) zum selbigen allgemeinen Sinn geleitet, welche Stränge
mit unendlichen Verästelungen in der Haut sich verbreiten,
so die körperlichen Glieder und Eingeweide umgibt. Die
perforierten Stränge leiten die Aufträge und Empfin-
dungen zu den amtführenden Gliedern, welche Stränge
(Nerven) und Nerven (Sehnen), zwischen die Muskeln
und Flechsen eingetreten, jenen die Bewegung befehlen.
Jene gehorchen, und solcher Gehorsam wird in Tat um-
gesetzt durch Schwellung, nachdem das Aufschwellen ihre
Länge verkürzt, und es ziehen sich die Nerven zurück,
so die Partikel der Glieder durchweben; durch die Enden
der Finger gezogen, tragen die dem allgemeinen Sinn
die Ursache ihres Tastreizes zu.
Die Nerven (Sehnen) mit ihren Muskeln dienen den
Strängen wie Soldaten dem Bandenführer (condottiero),
und die Stränge (Nerven) dienen dem allgemeinen Sinn
wie der Bandenführer (condottiere) dem Feldherrn, und
der allgemeine Sinn gehorcht der Seele wie der Feldherr
seinem Fürsten.
Funktion der
Nerven.
Wie die Maskeln
arbeiten.
111
strichen.
Also, das Gelenk der Knochen gehorcht der Sehne, und
die Sehne (nervo) dem Muskel, und der Muskel dem
Nervenstrang, und der Nervenstrang dem allgemeinen
Sinn, und der allgemeine Sinn ist der Sitz der Seele
und das Gedächtnis ist ihre Munition und das Eindrucks-
vermögen ihr Berichterstatter.
Wie jeder Sinn der Seele gibt und nicht die Seele den
Sinnen, und wo der Sinn, Diener der Seele, fehlt, fehlt
in diesem Leben der Seele die Kunde vom Dienste dieses
Sinnes, wie es beim Stummen zum Vorschein kommt und
beim Blindgeborenen.
Nochmals die XLII. MS. CA. FOL. 90 r.
fünf Sinne and
die Urteilskraft. Der allgemeine Sinn ist jener, der die ihm von den
andern Sinnen gegebenen Dinge beurteilt.
Die Partien in [Der allgemeine Sinn wird in Bewegung gesetzt durch
eckiger Klammer ,. _^. , , -, <>•• n /->•
hat L. durchge- die Dmge, welche ihm von den andern fünf Sinnen ge-
geben werden.
Und selbige Sinne rühren sich vermittelst der Objekte,
und diese Objekte schicken ihre Abbilder den fünf Sinnen,
von welchen sie der Aufnahmskraft (imprensiva) und von
dieser dem allgemeinen Sinn übermittelt werden; und von
hier, beurteilt, werden sie dem Gedächtnis zugesendet,
in welchem sie, je nach ihrer Kraft, mehr oder weniger
aufbewahrt werden.
Die fünf Sinne sind diese: Sehen, Hören, Berühren,
Schmecken, Riechen.]
Die alten Forscher haben geschlossen, daß jener Teil
von Urteil, der dem Menschen gegeben ist, durch ein
Instrument verursacht sei, dem die fünf Sinne mittels
der Impressivität referieren, und sie sagen, daß dieser
Sinn inmitten des Kopfes (zwischen der Impressivität und
dem Gedächtnis) [gelegen] sei. Und diesen Namen des
allgemeinen Sinnes sprechen sie nur aus, weil es das
Gemeinsame der andern fünf Sinne, nämlich des Sehens,
Hörens, Berührens, Schmeckens, Riechens ist. Der allge-
112
meine Sinn wird in Bewegung gesetzt durch die Impres-
sivität, die zwischen ihm und den Sinnen liegt. Die
Impressivität wird in Bewegung gesetzt durch die Abbilder
der Dinge, so ihr von den oberflächlichen Instrumenten,
nämlich den Sinnen, gegeben werden, die inmitten liegen
zwischen den äußern Dingen und der Impressivität, und
gleicherweise werden die Sinne von den Objekten in Be-
wegung gesetzt. Das Bild der umliegenden Gegenstände
sendet seine Abbilder den Sinnen, selbige Sinne über-
mitteln sie der Impressivität, die Impressivität schickt sie
dem allgemeinen Sinn, und von jenem werden sie im
Gedächtnis stabilisiert, und hier werden sie, mehr oder
weniger, zurückbehalten, je nach der Wichtigkeit oder
Macht der gegebenen Dinge.
Jener Sinn ist rascher in seinem Dienst, so der Im-
pressivität am nächsten; welches das Auge ist, der über-
legene und Fürst der andern, von dem allein wir handeln
werden, und die andern werden wir lassen, um von un-
serer Materie uns nicht zu entfernen . . .
XLIII. R. 859, MS. BR. M. FOL. 151 r. Die mecha-
nischen Gesetze
Die Kraft wird durch Mangel oder Überfluß erzeugt; sie '""^ 'j^'örpe!^'''^
ist ein Kind materieller Bewegung und ein Enkel der
spiritualen Bewegung, Mutter und Ursprung des Gewichts;
und selbiges Gewicht ist beschränkt im Element des
Wassers und der Erde, und die Kraft selbst ist unbe-
schränkt, weil durch sie unendliche Welten bewegt werden
könnten, vermöchte man bloß Werkzeuge zu machen, von
denen diese Kraft hervorgebracht würde.
Die Kraft mit der materiellen Bewegung und das Ge-
wicht mit dem Stoß sind die vier äußeren Mächte, durch
welche alles Werk der Sterblichen sein Dasein und seinen
Tod hat.
Die Kraft hat ihren Ursprung in geistiger Bewegung,
welche Bewegung, durch die Glieder der Tiere, die Be-
8 Herzfeld, Leonardo
113
wußtsein haben, eilend, die Muskel derselbigen schwellt,
wodurch verdickt selbige Muskeln sich zu verkürzen be-
ginnen und die Nerven, so mit ihnen verbunden sind,
sich zusammenzuziehen, und daher kommt die Kraft in
den menschlichen Gliedern.
Die Art und Menge der Kräfte eines Menschen kann
andere Kraft gebären, welche proportional um so größer
sein wird, je länger die Bewegung der einen als die der
andern sein wird.
Die Muskeln und XLIV. MS. CA. FOL. 1 19 V.
das Bewußtsein.
Von den Muskeln
Die Natur hat im Menschen die dienenden Muskeln an-
geordnet, welche von den Nerven, so die Glieder bewegen
können, nach Wunsch und Willen des allgemeinen Sinnes
gezogen werden, im Gleichnis der Beamten, die von
einem Herrn über verschiedene Provinzen und Städte
verteilt sind: welche dann in selbigen Orten den Willen
des selbigen Herrn repräsentieren und befolgen. Und
jener Beamte, der in einem einzelnen Falle dem Vor-
recht, das ihm der Mund des Herrn gegeben, besser
gehorcht hat, wird später für sich, im gleichen Falle,
nichts machen, was vom Willen des selbigen Herrn ab-
weicht. So sieht man oft die Finger tun, die, mit höch-
stem Gehorsam die Sache auf einem Instrument lernend,
welche ihnen vom Urteil befohlen ist, — wenn sie sie
erlernt haben, werden sie sie spielen, ohne daß das Urteil
darauf merkt. Die Muskeln, welche die Beine bewegen,
tun sie nicht auch ihren Dienst, ohne daß der Mensch
es weiß?
Unabhängigkeit XLV. SP.. MS. W. AN. A. FOL. 13 V.
der Sinnesnerven
Sieh, ob du nicht glaubst, daß solcher Sinn (Tastsinn)
bei einem Orgelspieler angestrengt sei, und die Seele
merkt zu gleicher Zeit auf den Sinn des Gehörs.
114
voneinander.
XLVI. SP., MS. W. AN. B. FOL. 2 V. Automatische
Bewegungen.
Wie die Nerven manches Mal von selbst wirken,
ohne den Befehl von Seiten der andern Beamten
und der Seele
Dies erscheint klar; denn du wirst paralytische und frie-
rende und erstarrende Personen ihre zitternden Glieder
wie den Kopf und die Hände ohne Erlaubnis der Seele
bewegen sehen, welche Seele mit all ihren Kräften sel-
bigen Gliedern nicht verbieten kann, daß sie zittern.
Dieses gleiche geschieht bei der fallenden Sucht und bei
abgeschnittenen Gliedern, wie bei den Schwänzen der
Eidechsen.
Die Idee oder Vorstellungskraft ist Steuer und Zügel
der Sinne, da die vorgestellte Sache den Sinn erregt.
Präimaginieren ist das Imaginieren der Dinge, die sein
werden.
Postimaginieren (erinnern) ist das Imaginieren der ver-
gangenen Dinge.
XLVII. MS. A.FOL. 56 V. Vom Blutumlauf.
Vom Blut, das im Scheitel des Kopfes ist
Und schiene so, nach einem ganz einfachen, daß, wenn
jemand den Scheitel des Kopfes eines Menschen zer-
bräche, — daß durch besagten Bruch nichts herausfließen
dürfte, außer das Blut, welches sich zwischen des Bruches
Lippen befände, sintemalen jegliches schwere Ding sich
niedrige Orte verlangt. Das Blut hat Gewicht, und scheint
unmöglich, daß dieses von selbst in die Höhe steigen
solle, wie eine luftige und leichte Sache. Und wenn du
sagen wolltest, das Wachstum, welches die Lunge im See ^'«^ «""^ Lunge.
des Blutes hervorruft, wenn diese Lunge beim Einziehen
des Atems sich mit Luft anfüllt und, sich zusammen-
ziehend, das Blut verjagt, das durch die Adern fliehend
diese vergrößern und anschwellen macht; — daß diese An-
schwellung jenes Blut aus obbesagtem Bruch des Scheitels
8»
115
des Kopfes fliehen mache; — diese Meinung ist bald
zurückgewiesen, sintemalen die Adern wohl fähig und
geeignet sind, bequeme Aufnahme dem Anwachsen des
Blutes zu geben, ohne daß es durch den Bruch im Kopfe,
wie hungernd nach Raum, überfließen müßte.
Blut und Wärme. XLVIII. MS. A. FOL. 56 V.
Warum dies Blut durch den Scheitel des Kopfes
flieht
Die geistigen Teile haben die Kraft, die materiellen zu
bewegen und mit ihrem Lauf zu begleiten. Wir sehen
das Feuer in dem dampfenden Rauch vermittelst des
Geistigen der Wärme Elemente der Materie, erdenhaft
und schwer, durch den Kamin hinaufschicken, wie man
es im Ruße wahrnimmt, der, wenn du ihn verbrenntest,
wieder zu Asche würde. So die Wärme, ins Blut hinein-
gemischt, verlangend, sich ihrem Element zu vereinen,
findet durch den Bruch (Gelegenheit) zu verflüchtigen
und nimmt in ihrer Gesellschaft das Blut mit, dem diese
Wärme eingeflößt und beigemischt ist. — Der Grund,
daß der Rauch mit so viel Wut in die Höhe steigt und
Irdisches mit sich trägt, ist der: das Feuer, so sich im
Holz entzündet, nährt und sättigt sich an einer subtilen
Feuchtigkeit, und diese Feuchtigkeit ist zu dick, um vom
Feuer ganz verzehrt zu werden, von der Wärme des Feuers,
die sich drin findet; das Feuer
MS. A. FOL. 57 r.
will zu seinem Element zurückkehren und nimmt die
erhitzten Säfte mit, wie zu sehen ist, wenn du in einer
Quecksilber- Retorte das Quecksilber destilliertest; du würdest sehen,
ver amp ung. ^^^^ diescs SO schwcre Silber mit der Wärme des Feuers
vermischt wäre, daß es sich erhebt und in Rauch in seinem
zweiten Rezipienten zu seiner ersten Natur zurückfällt.
Noch vom Blute. XLIX. R. 849, MS. LEIC. FOL. 21 v.
Es kreisen die Wasser in unablässiger Bewegung von
den untersten Tiefen der Meere zu den höchsten Spitzen
116
der Berge, nicht beobachtend die Natur der schweren
Dinge, und in diesem machen sie es wie das Blut der ß'"' «''<i Herz.
Tiere, das immerfort sich aus dem Meere des Herzens
bewegt und zur Spitze ihrer Häupter läuft und daß hier,
bersten die Adern, wie man an einer gerissenen Vene
in der Nase sieht, alles Blut von der Tiefe sich zur Höhe
der gesprungenen Ader hebt. — Wenn das Wasser aus
der gesprungenen Ader der Erde tritt, beobachtet es die
Natur der andern Dinge, die schwerer sind als die Luft,
sucht daher immer die niedrigen Orte.
L. R. 850, MS. W. A. III. FOL. 226 r. Arterienblut und
' Venenblat.
Wie das Blut, welches zurückkehrt, wenn das Herz sich
wieder öffnet, nicht das ist, so die Tore des Herzens
schließt.
LI. R. 846, MS. S. K. M. III. FOL. 74 r. -D/« ^^^Y' J>fì
eine Stiefmatter
Die Natur scheint hier in vielen oder bei vielen Tieren
eher eine grausame Stiefmutter, denn Mutter gewesen zu
sein, und von einigen nicht die Stiefmutter, sondern höchst
barmherzige Mutter.
LH. MS. H. II. FOL. 41 V. Kreislauf des
Lebens.
Wir machen unser Leben mit dem Tode anderer. In
dem toten Gegenstand bleibt bewußtloses Leben zurück,
das, dem Magen der Lebenden neu einverleibt, sinnliches
und verstehendes Leben wiedergewinnt.
LUI. SP., MS. W. AN. B. FOL. 28 r. Leben ist ein be-
ständiges Sterben
Wie der Körper des Tieres ohne Unterlaß stirbt «"'* mederge-
^ borenwerden.
und wiedergeboren wird
Der Körper, von welchem Ding immer, das Nahrung auf-
nimmt, stirbt beständig und wird beständig wiedergeboren;
denn hineingehen kann Nahrung nirgends, außer in solche
Orte, von wo die vergangene Nahrung weggeschieden ist,
und wenn sie weggeschieden, ist sie nicht mehr bei
Leben, und wenn du ihnen nicht solche Nahrung wieder-
117
gibst wie die verschwundene, so wird das Leben an Kraft
abnehmen, und wenn du ihnen selbige Nahrung nimmst,
so wird das Leben im ganzen zerstört bleiben. Aber
wenn du ihm so viel zurückgibst, als im Tag davon zer-
stört wird, so ersteht so viel vom Leben wieder, als ver-
zehrt wurde, im Gleichnis des Lichtes der Kerze, mit
der Nahrung, so ihm die Säfte selbiger Kerze geben,
welches Licht auch beständig mit raschestem Sukkurs
von unten wiederherstellt, was von oben sich im Sterben
davon verzehrt und aus glänzendem Lichte sterbend sich
in nächtigen Rauch umwandelt: welcher Tod beständig
ist, wie der Rauch ohne Unterlaß ist, und die Bestän-
digkeit solchen Rauches ist gleich der fortgesetzten Er-
nährung, und im Augenblick ist das Licht tot und wie-
der ganz erstanden, zugleich mit der Bewegung seiner
Nahrung.
Einteilung der UV. SP., MS. W. AN. B. FOL. 13 f.
Säugetiere , wo-
bei der Mensch Mcnsch. Die Beschreibung des Menschen, in der
die Gattung der ° '
Affen vertritt, auch jene enthalten sind, die ungefähr von gleicher Gat-
tung sind, wie Pavian, Affe, und ähnliche, deren es viele
gibt.
Löwe und sein Gefolge, wie Panther, Unze, Tiger, Leo-
parde, Wölfe, Luchse, Wildkatzen, Genetten und gewöhn-
liche Katzen und andere mehr.
Pferd und sein Gefolge, wie Maultiere, Esel und ähn-
liche, die oben und unten Zähne haben.
Rind und sein Gefolge, gehörnt und ohne Oberzähne,
wie Büffel, Hirsch, Damhirsch, Rehbock, Schaf, Ziege,
Steinbock, Moschustier, Gemse, Giraffe.
Die erfindangs- LV. R. 837, MS. W. AN. IV. FOL. 184 r.
reiche Natur.
Wenngleich der menschliche Geist verschiedene Erfin-
dungen macht und mit verschiedenen Werkzeugen dem
gleichen Zweck entspricht, nie wird er schönere Erfin-
dung machen, noch Leichteres oder Kürzeres als die Natur
118
Die bildende
Seele, die Körper-
seele.
erfinden, weil in den Erfindungen von ihr nichts fehlt
und nichts überflüssig ist, und geht nicht erst mit Gegen-
gewichten, wenn sie in den Gliedern der Tiere diese zu
Bewegungen geeignet macht. Sondern sie setzt die Seele
in selbigen Körper, die bildende, nämlich die Seele der
Mutter, so zuerst im Schöße die Gestalt des Menschen
bildet und zu gehöriger Zeit die Seele aufweckt, so von
selbiger der Bewohner sein soll, welche vorher im Schlafe
war und in Hut der Seele von der Mutter, so sie nährt
und belebt durch die Nabelschnur, mit all ihren geistigen
Gliedern, und wird so fortfahren, solang als selbiger
Nabel mit der Frucht und den Keimblättern verbunden
bleibt, wodurch das Kind sich mit der Mutter vereint;
und diese sind der Grund, daß ein Wunsch, eine starke
Begierde, eine Angst, so die Mutter empfände, und sonsti-
ger seelischer Schmerz noch mehr Macht im Kinde hat
als in der Mutter, denn häufig sind die Fälle, wo der
Sohn dadurch das Leben verliert usw.
Dieser Diskurs paßt nicht hierher, sondern ist notwendig
bei der Zusammensetzung der belebten Körper. Und den
Rest der Definition der Seele überlasse ich dem Geist
der Klosterbrüder, dieser Väter der Völker, die durch
Eingebung alle Geheimnisse kennen.
Die gekrönten Bücher laß ich stehen, weil in ihnen Die h. Schriften
höchste Wahrheit ist.
Die höhere Seele
und die Kloster-
brüder.
LVI. MS. G.FOL. 16 V.
Vom Ansatz der Blätter auf ihren Zweigen
Es vermindert sich die Dicke eines Zweiges im Raum,
der von einem Blatte zum andern ist, nicht um mehr als
die Dicke des Auges ist, das sich ober selbigem Blatt
befindet, welche Dicke dem Zweige fehlt, der bis zum
andern Blatte nachfolgt.
Es hat die Natur an vielen Pflanzen die Blätter der
letzten Zweige so gesetzt, daß immer das sechste Blatt
über dem ersten steht, und so geht es sukzessive, wenn
Anordnung der
Blätter an den
Zweigen.
119
Zweckdienlich-
keit dieser An-
ordnung.
die Regel nicht behindert ist, und das hat sie für zwei
Nützlichkeiten der Pflanzen getan, und die erste davon
ist, daß der Zweig oder die Frucht, im folgenden Jahr
aus dem Reis oder Auge sprießend, das sich darüber in
Berührung mit dem Ansatz des Blattes befindet, — daß
jenes Wasser, welches selbigen Zweig badet, hinabgehen
könne, um solches Reis zu nähren, indem der Tropfen
in der Ausbauchung des Blattansatzes stehen bleibt; und
der zweite Vorteil ist, daß, wenn solche Zweige im fol-
genden Jahre sprießen, einer nicht den andern deckt,
weil die fünf Zweige in fünf Richtungen gedreht hervor-
kommen, und der sechste kommt über dem ersten ziem-
lich weit entfernt hervor.
MatterroUe des LVII
Blattes, aber dem
ein Zweig hervor-
sprießt.
MS. G.FOL. 33 V.
Jeder Zweig und jede Frucht kommen gerade über dem
Ursprung eines Blattes hervor, das ihnen die Mutter er-
setzt, indem es ihnen das Wasser des Regens darreicht
oder das Naß des Taus, welcher bei Nacht darauf fällt;
und nimmt ihnen oft die übermäßigen Hitzen der Sonnen-
strahlen weg.
Verdickung der LVIII
Rinde.
Giftige Früchte
ziehen.
MS. CA. FOL. 76 r.
Wenn der Baum irgendwo an der Rinde abgeschält wird,
wendet die Natur, die diesem vorsorgt, selbiger Ab-
schälung eine viel größere Menge von nährenden Säften
als irgendeiner andern Stelle zu, so daß, durch vorbe-
sagtes Fehlen, die Rinde dort viel dicker wächst als an
irgendeinem andern Fleck. Und ist so ungestüm dieser
Saft, daß er, am Ort des Sukkurses angelangt, sich zum
Teil in die Höhe hebt, nach Art eines springenden Balles,
mit unterschiedlichem Hervorquellen oder besser Hervor-
gurgeln, nicht anders als wie ein siedendes Wasser.
LIX. MS. CA. FOL. 12 r.
Indem man mit einem Bohrer in ein Bäumlein ein Loch
macht und Arsenik und Königsgelb, sublimiert und auf-
120
gelöst in gebranntem Wasser, hineinjagt, hat das die Kraft,
die Früchte giftig zu machen oder den Baum verdorren.
Aber muß groß sein, die Öffnung, und hineingehen bis
ins Mark, und muß geschehen beim Reifen der Früchte,
und genanntes giftiges Wasser muß in besagtes Loch mit
einer Spritze hineingegeben werden, und mit einem star-
ken Holz gespundet. Man kann das auch tun, wenn die
Bäumchen im Säfteschießen sind.
V. PHILOSOPHISCHE GEDANKEN
R. 1132, MS. K. M. III. FOL. 64 V.
Leonardo und iwjj-i^^ai ch gchorche dir, Herr, erstens wegen der
Gott, ^S ^^yVjpv^Vj C^
Liebe, so vernünftigerweise für dich ich hegen
muß, zweitens, weil du verstehst, das Leben
der Menschen abzukürzen oder zu verlängern.
Ein geistiges, ver- H. MS. TR, FOL. 36 V.
nänftiges Prinzip
herrscht in Gott Unser Leib ist dem Himmel unterworfen, und der Him-
and Welt.
mei ist dem Geist unterworfen.
Die Seele wirkt III
nur durch den
Körper.
MS. TR. FOL. 40 V.
Die Seele kann nicht verwesen in der Verwesung des
Leibes, aber sie macht es im Körper gleichwie der Wind,
so die Ursache ist des Tones der Orgel; wenn eine Pfeife
an ihr verdirbt, kam aus dem Leeren durch sie nicht
gute Wirkung.
Gegen das Trans- IV.
zendentale.
MS. H. II. FOL. 67 (19) r.
Von der Seele
Die Bewegung der Erde gegen die Erde, im Rückprall,
erschüttert wenig die gestoßenen Teile.
Das Wasser, vom Wasser gestoßen, macht um den Ort
des Stoßes in weiter Entfernung Kreise; die Stimme in
der Luft noch weiter; ein Feuer noch mehr; der Geist
(la mente) innerhalb des Weltalls aber — weil er be-
grenzt ist, verbreitet er sich nicht durch das Unbegrenzte.
Das Streben zum V
Ganzen.
MS. CA. FOL. 59 r.
Wenn die Vollkommenheit der Wirkung in der Ursache
liegt, so liegt die Vollkommenheit des Anstoßes in der
Kraft, die ihn hervorbringt.
122
Jeder Teil wünscht in seinem Ganzen zu sein, in wel-
chem er sich besser erhält.
Jeder Teil hat Neigung, sich mit seinem Ganzen wieder
zu vereinigen, um seiner Unvollkommenheit zu entfliehen.
Die Seele wünscht mit ihrem Körper zu sein, weil sie
ohne die organischen "Werkzeuge dieses selbigen Körpers
nichts ausrichten noch empfinden kann.
VI. R. 1162, MS. BR. M. FOL. 156 V. Die Quintessem
des Seins.
Nun sieh, die Hoffnung und der Wunsch, wieder in seine
Heimat zu kommen (ripatriarsi) und in den früheren
Zustand zurückzukehren, macht es gleichwie der Schmet-
terling mit dem Lichte, und der Mensch, der mit unauf-
hörlichem Verlangen immer voll Festlichkeit den neuen
Frühling erwartet, und immer den neuen Sommer und
immer die neuen Monde und neuen Jahre, wobei es ihm
scheint, als ob die ersehnten Dinge im Kommen viel zu
langsam seien: und merkt nicht, daß er seine eigene
Auflösung wünscht! Aber dieser Wunsch ist die Quin-
tessenz, wahrer Geist der Elemente, welche durch die
Seele in den menschlichen Leib sich eingeschlossen
fühlen und stets zu ihrem Aussender zurückzukehren
verlangen. Und ist notwendig, daß du es wissest: dieser
selbige Wunsch ist eben die Quintessenz, Begleiterin
der Natur, und der Mensch ist das Modell der ganzen
Welt.
VII. MS. ASH. I. FOL. 7 r. mnk der Natur.
Die Natur bildet sich die Größe der Behausung des
Intellektes früher als jene des Lebensgeistes aus.
VIII. MS. K. FOL. 101 V. Wo ist der letzte
Das Wasser, welches durch den Fluß sich bewegt, ent- Dinge — ;
weder ist es gerufen, oder es ist gejagt, oder es bewegt
sich von selbst. Wenn es gerufen ist oder, wollen
wir sagen: herbeiverlangt, — wer ist der Verlangende?
Wenn es gejagt ist, wer ist's, der es jagt? Wenn es sich
123
Der Mensch, der
sich anmaßt, die
Natur verbessern
za wollen — /
Argument gegen
die Goldsucher.
Gegen die Nekro-
mantie.
Leonardo erkennt
wohl die Ver-
dienste der Al-
chimie,
von selbst bewegt, zeigt es Urteilskraft; aber in Körpern
von beständiger Änderung der Form ist es unmöglich,
Urteil zu haben, weil in solchen Körpern keine Ver-
nunft ist.
IX. MS. CA. FOL. 76 r.
Die Handlung, den Pferden die Nüstern zu schneiden,
ist eine Sache des Lachens wert. Und diese Toren be-
obachten diesen Gebrauch, fast als glaubten sie, die Natur
habe notwendige Dinge versäumt, wegen deren die Men-
schen ihre Verbesserer zu sein hätten. Sie hat die bei-
den Löcher der Nase gemacht, welche, jedes für sich,
für die Hälfte von der Weite des Rohres der Lunge ist,
durch das der Atem haucht, und wenn selbige Löcher
nicht wären, der Mund würde für den reichlichen Atem
genügen. Und sagtest du mir: — „Warum hat diese
Natur den Tieren die Nüstern gemacht, wenn das Atmen
durch den Mund genügend ist?" — ich antworte dir, daß
die Nüstern gemacht sind, um verwendet zu werden,
wenn der Mund beschäftigt ist, seine Speise zu kauen.
X. MS. CA. FOL. 76 r.
Die lügenhaften Interpreten der Natur behaupten, das
Quecksilber sei der gemeinsame Same aller Metalle, ohne
sich zu erinnern, daß die Natur die Samen variiert, nach
der Verschiedenheit der Dinge, die sie in der Welt her-
vorbringen will.
XL SP., MS. W. AN. B. FOL. 31 v.
. . . Aber unter die dümmsten menschlichen Diskurse
sind jene zu rechnen, die sich über den Aberglauben der
Nekromantie verbreiten, dieser Schwester der Alchimie,
Gebärerin einfacher und natürlicher Dinge. Ist aber um
so viel würdiger des Tadels, als sie keinerlei Ding ge-
biert, außer eines, das ihr gleich ist, nämlich Lüge; was
bei der Alchimie nicht vorkommt, so Verwalterin der ein-
fachen Produkte der Natur ist, deren Dienst von dieser
124
Natur nicht geleistet werden kann, weil in ihr nicht
die organischen Instrumente existieren, mit denen sie
das hervorbringen kann, was der Mensch durch seine
Hände ausrichtet, die in solchem Amt Gläser usw. ge-
macht haben. Aber jene Nekromantie, Standarte oder
auch fliegendes Banner, vom Winde bewegt, ist Führerin
der dummen Menge, die mit ihrem Gebell beständig
Zeugnis ablegt für die unendlichen Effekte solcher Kunst;
und es füllen sich die Bücher, bejahend, daß die Geister
wirkten und ohne Zunge sprechen könnten, und ohne die
organischen Instrumente sprächen, ohne welche man nicht
sprechen kann, und höchst schwere Lasten trügen, ge-
wittern ließen und regnen, und daß die Menschen sich
in Katzen verwandelten, in Wölfe und andere Bestien,
obwohl in Bestien vorerst jene fahren, die dergleichen
Dinge behaupten.
Und sicher, wenn solche Nekromantie im Dasein wäre,
wie von den niedrigen Ingenien geglaubt wird, — keine
Sache gibt es auf der Erde, die zum Schaden und Dienst
des Menschen so viel Wert besäße; denn wäre es wahr,
daß in solcher Kunst man die Macht hätte, die ruhige
Heiterkeit der Luft zu trüben, diese in nächtliches Aus-
sehen verwandelnd, und Wetterleuchten zu machen oder
Gewitter, die mit furchtbarem Donner und Blitzen aus der
Finsternis stürzen und mit ungestümem Winde die hohen
Gebäude zerstören und die Wälder entwurzeln und da-
mit die Heere erschüttern und brechen und zu Boden
werfen, und außer diesem, die Schadenwetter, so die
Landleute des Preises ihrer Mühe berauben ; — denn
welche Art von Krieg könnte es geben, der mit so viel
Schaden seinen Feind beleidigen könnte, als die Macht
zu haben, ihn seiner Ernten zu berauben? Welche See-
schlacht kann es geben, die sich mit jener dessen ver-
gliche, welcher den Winden gebietet und die Stürme
macht, die jede Flotte vernichten und in den Grund
bohren? Sicher, wer solchen ungestümen Gewalten
125
befiehlt, wird Herr über die Völker sein und kein mensch-
licher Geist wird seinen schädlichen Kräften widerstehen
können. Die verborgenen Schätze und Kleinodien, die
im Körper der Erde ruhen, werden jenem alle offenbar
sein; kein Schloß noch unüberwindliche Festung werden
dasjenige sein, was jemanden retten könnte ohne den
Willen solches Nekromanten. Dieser wird sich vom Orient
nach dem Okzident durch die Luft tragen lassen und
durch all die verschiedenen Richtungen des Weltalls.
Doch warum will ich mich noch mehr verbreiten? Wel-
ches ist denn die Sache, die sich durch solche Künste
nicht machen ließe? Keine fast, außer den Tod zu ver-
nichten; also ist einbeschlossen zum Teil der Schaden
und der Nutzen, der in solcher Kunst enthalten ist, wenn
sie nur wahr und wirklich ist; und ist sie wirklich, weshalb
blieb sie da nicht unter den Menschen, die sie so er-
sehnen, ohne Rücksicht auf irgendwelche Gottheit zu
nehmen? Und ich weiß, daß es deren unendliche gibt,
die, um irgendeinen Appetit zu befriedigen, Gott mit der
ganzen Welt zugrunde richten würden. Und wenn die
Nekromantie nicht unter den Menschen erhalten geblieben,
nachdem sie ihnen so notwendig wäre, dann ist sie nie-
mals dagewesen, noch wird sie jemals sein, nach der
Definition des Geistes, der unsichtbar, unkörperlich ist
und innerhalb der Elemente gibt es keine unkörperlichen
Dinge; denn wo kein Körper ist, ist ein Vakuum, und
das Vakuum gibt es nicht innerhalb der Elemente, weil
es gleich vom Element wieder ausgefüllt wäre. Wende
das Blatt um.
VondenGeistern. XII. SP., MS. W. AN. B. FOL. 36 f.
Von den Geistern
Wir haben bisher rückwärts auf der anderen Seite ge-
sagt, wie die Definition von Geist „eine dem Körper
vereinigte Macht" ist, weil von selbst sich aufrechter-
halten er nicht kann, noch irgendeine Art von örtlicher
126
Bewegung machen. Und wenn du sagtest, daß er sich
durch sich selbst aufrechthält, — das kann nicht sein
innerhalb der Elemente, weil, wenn der Geist eine un-
körperliche Quantität ist, diese Quantität Vakuum hieße,
und ein Vakuum gibt es nicht in der Natur, und voraus-
gesetzt, es gäbe das, gleich wäre es ausgefüllt vom Ruin
jenes Elementes, in dem das Vakuum sich erzeugte.
Also, aus der Definition des Gewichtes, welches sagt:
— „Die Schwere ist eine äußere Potenz, geschaffen von
irgendeinem Element, das von irgendeinem Element ge-
zogen wird oder vom anderen weggestoßen", — folgt,
daß, nachdem kein Element im gleichen Element lastet,
es im höheren Element lastet, das leichter ist als es
selbst, wie man sieht: der eine Teil des Wassers hat
nicht mehr Schwere oder Leichtigkeit als das übrige
Wasser; aber wenn du es in die Luft ziehst, dann er-
wirbt es Gewicht, und wenn du die Luft unter das Wasser
ziehst, dann erwirbt es Gewicht, welches Gewicht sich
von selbst nicht erhalten kann, daher ist ihm sein Ruin
notwendig und so fällt es zwischen dem Wasser in jenen
Ort, der leer von Wasser ist. Solches widerführe dem
Geist, so sich innerhalb der Elemente befände: der un-
aufhörlich ein Vakuum in solchem Elemente erzeugte,
in dem er wäre, wegen welcher Sache ihm eine bestän-
dige Flucht zum Himmel notwendig würde, bis er aus
solchen Elementen herausgekommen.
Ob der Geist innerhalb der Elemente einen Kör- ^[^Z^^hailfer*
per annimmt Elemente einen
*^ Korper an ?
Wir haben bewiesen, wie der Geist nicht von selbst
ohne Körper innerhalb der Elemente verbleiben kann,
noch von selbst mit willkürlicher Bewegung sich be-
wegen, es wäre denn nach oben zu. Doch gegenwärtig
werden wir sagen, wie, wenn solcher Geist einen Kör-
per aus Luft annimmt, es notwendig ist, daß er innerhalb
selbiger Luft mit ihr verschmelze; denn wenn sie selbst
127
vereinigt bliebe, wäre er getrennt und würde der Erzeu-
gung eines Vakuums verfallen, wie oben gesagt worden.
Daher ist es notwendig, daß, um innerhalb der Luft bleiben
zu können, er sich einer Menge von Luft einverschmelze;
und, wenn er sich in die Luft mischt, verfällt er zwei
Unannehmlichkeiten, nämlich, daß er diese Menge Luft
leichter macht, in die er eingemischt ist, aus welchem
Grund die erleichterte Luft von selbst in die Höhe fliegt
und nicht innerhalb der Luft bleibt, die so viel dicker
als sie, und überdies in dieser selbigen geistigen Kraft
verstreut, löst sie sich auseinander und ändert ihre Natur,
aus welchem Grunde sie ihrer früheren Tugend entbehrt.
Kommt noch eine dritte Unannehmlichkeit hinzu, und diese
ist, daß solcher Leib von Luft, vom Geist angenommen,
der Durchdringung der Winde unterworfen ist, welche un-
aufhörlich die vereinigten Teile der Luft veruneinigen
und zerreißen, indem sie sie innerhalb der anderen Luft
hin und her drehen und herumwirbeln. Daher wird der
Geist, in solche
SP., MS. W. AN. B. FOL. 30 v.
Luft einverleibt, zergliedert oder besser : zerfetzt und
zerbrochen werden, zugleich mit der Luft, in die er sich
eingeflößt hat.
Kann sich der XIIL SP., MS. W. AN. B. FOL. 30 V.
Geistmittels eines
Luftleibes bewe- Ob der Geist, wenn er einen Luftleib ange-
nommen, sich von selbst bewegen kann oder
nicht
Unmöglich ist es, daß der Geist, in eine Quantität von
Luft hineingeschmolzen, die selbige Luft bewegen könne,
und dies offenbart sich in der Stelle, wo es heißt: —
„Der Geist macht leichter jene Quantität der Luft, der
er sich einverleibt;" daher wird dieser Teil der Luft
sich über die andere Luft erheben, und es wird eine Be-
wegung sein, die von der Luft durch ihre Leichtigkeit
gemacht ist und nicht durch eine absichtliche Bewegung
128
gen;
des Geistes, und wenn diese Luft mit dem Wind zu-
sammengerät, nach Nummer 3 von diesem, wird die sel-
bige Luft vom Wind bewegt werden und nicht von dem
mit ihr verschmolzenen Geist.
Ob der Geist sprechen kann oder nicht ^* ^'' 9^«*
^ sprechen kann.
Um zu zeigen, ob der Geist reden kann oder nicht, ist
es notwendig, vorerst zu erklären, was eine Stimme ist
und wie sie sich erzeugt, und wir werden es auf diese
Art sagen: „die Stimme ist eine Bewegung der Luft, so
sich an einem festen Körper reibt, oder ein dichter Kör-
per, der sich an der Luft reibt, was das gleiche ist,
welche Reibung des Dichten mit dem Dünnen das Dünne
verdichtet und sich so Widerstand verursacht, und auch das
geschwinde Dünne im langsamen Dünnen verdichten eins
das andere beim Kontakt und machen Ton oder unge-
heueren Lärm, und der Ton oder auch Gemurmel ist vom
Dünnen hervorgebracht, das sich im Dünrten mit mäßiger
Bewegung bewegt, wie die große Flamme, Erzeugerin von singende Fiam-
Tönen in der Luft, und der ungeheuere Lärm ist hervor-
gerufen vom Dünnen im Dünnen, wenn das geschwinde
Dünne ins bewegliche Dünne eindringt wie die Flamme
des Feuers, so aus der Bombarde kommt und gegen die
Luft schlägt, und ferner die Flamme, so aus der Wolke
kommt und die Luft in der Erzeugung des Blitzes er-
schüttert." Also werden wir sagen, daß der Geist keine
Stimme hervorbringen kann ohne Bewegung der Luft, und
Luft ist in ihm nicht, noch kann er sie von sich jagen,
wenn er sie nicht hat, und wenn er jene bewegen will,
in die er einverleibt ist, so muß der Geist sich multipli-
zieren (verdichten), und sich multiplizieren kann er nicht,
wenn er selbst nicht Quantität hat, nach dem vierten, das
sagt: „Kein Dünnes bewegt sich, wenn es nicht einen ge-
festigten Ort hat, von dem aus es Bewegung annimmt,
und vor allem, wenn das Element sich im (eigenen) Ele-
ment zu bewegen hat, das sich nicht von selbst bewegt,
9 Herzfeld, Leonardo
129
Zasammen-
fassung.
Desgleichen.
außer durch gleichförmiges Verdampfen vom Mittelpunkt
der verdampften Sache aus, wie es im Schwamm ge-
schieht, der von der Hand zusammengepreßt wird, die
unter dem Wasser steht: aus welchem das Wasser flieht,
nach jeder Richtung, mit gleicher Bewegung, durch die
Spalten, die zwischen den Fingern der Hand befindlich
sind, so ihn innerhalb von sich drückt." —
Ob der Geist eine artikulierte Stimme hat und ob er
gehört werden kann; und was für ein Ding hören und
sehen ist; und wie die Welle der Stimme durch die Luft
geht, und wie die Bilder der Gegenstände zum Auge
gehen . . .
XIV. MS. B. FOL. 4 v.
Es kann keine Stimme sein, wo nicht Bewegung und
Erschütterung der Luft ist; es kann keine Erschütterung
der Luft sein, wo kein Instrument ist; es kann kein In-
strument unkörperlich sein; wenn dem so ist, so vermag
ein Geist weder Stimme, noch Form, noch Kraft zu haben,
und wenn er Körper annimmt, so wird er nicht eindringen
noch eintreten können, wo die Eingänge versperrt sind;
und wenn jemand sagte: „durch verdichtete und zusammen-
gepreßte Luft nimmt der Geist Körper von verschiedenen
Formen an und durch dieses Instrument spricht er und
bewegt sich mit Kraft", auf dies Teil sage ich, wo keine
Sehnen und Knochen sind, kann nicht Kraft sein, aus-
geübt in irgendeiner Bewegung von den eingebildeten
Geistern.
Fliehe die Lehren jener Spekulatoren, denn ihre Gründe
werden von der Erfahrung nicht bestätigt.
XV. MS. CA. FOL. 190 v.
O Mathematiker, schaffet solchem Irrtum Licht!
Der Geist hat keine Stimme, denn wo Stimme ist, ist
Körper, und wo Körper ist, ist Ausfüllung von Raum,
welches das Auge verhindert, Sachen zu sehen, die hinter
130
solchen Raum gesetzt sind: also füllt solcher Körper mit
sich die ganze, ihn umgebende Luft, nämlich mit seinem
Schein (Abbildern).
XVI. MS. TR. FOL. 33 r.
Die Sinne sind irdisch, die Vernunft steht außerhalb von
ihnen, wenn sie betrachtet.
XVIL SP., MS. W. AN. B. FOL. 21 v.
Der Gegenstand setzt den Sinn in Bewegung (l'obbietto
move il senso).
XVIII. MS. CA. FOL. 29 v.
Unser Urteil beurteilt die Dinge, so in verschiedenen
Entfernungen der Zeit geschehen sind, nicht in den ge-
bührenden und ihnen eigenen Entfernungen; denn viele
Dinge, die vor vielen Jahren vorgefallen, werden nahe-
liegend und benachbart erscheinen, und viele nachbarliche
Dinge werden alt erscheinen, zu gleich mit dem Alter
unserer Jugend; und ebenso tut das Auge zwischen ent-
fernten Dingen, die, weil von der Sonne beleuchtet, dem
Auge nahe scheinen, und viele nahe Dinge scheinen fern.
XIX. MS. H. II. FOL. 60 r.
Wenn die Natur in die vegetativen Lebewesen den
Schmerz befohlen hat, zugleich mit der Bewegung, zur
Erhaltung der Instrumente, die sich durch die Bewegung
vermindern und verderben könnten, haben die vegetativen
Lebewesen ohne Bewegung nicht gegen die ihnen ent-
gegengestellten Objekte anzurennen; daher ist der Schmerz
in den Pflanzen nicht notwendig, so daß, wenn man sie
bricht, sie den Schmerz nicht spüren wie die Tiere.
XX. MS. TR. FOL. 20.
Jede unserer Erkenntnisse hat ihren Ursprung in der
Empfindung.
XXI. MS. TR. FOL. 6.
Wo am meisten Empfindung ist, ist größtes Märtyrertum.
9«
131
Sinne und Ver-
nunft.
Die Sinne von
der Außenwelt
abhängig.
Selbst-
täuschungen.
Der Schmerz und
seine Rolle.
Desgleichen.
Reversseiie.
Körper and Seele XXII. MS. CA. FOL. 76 T,
in Wechselwir-
kung, -^gj. sehen will, wie die Seele in ihrem Körper wohnt,
sehe nach, wie dieser Körper seine tägliche Bewohner-
schaft gebraucht; nämlich, wenn jene ohne Ordnung und
verwirrt ist, wird der Körper, der von seiner Seele be-
sessen ist, auch unordentlich und wirr sein.
Menschen, denen XXIII. R. 1179, MS. S. K. M. III. FOL. 17 f.
das höhere gei-
stige Leben nichts Hier gibt es einige, die man nicht anders als Durchgang
von Speise und Vermehrer von Unrat und Füller von
Abtritten nennen kann, weil für sie nichts anderes auf der
Welt ist noch irgendeine Tugend sich ins Werk setzt, so
daß von ihnen anderes als volle Latrinen nicht übrigbleibt.
Das Schlimmste xxiV. R. 844, MS. W. AN. III. FOL. 241 r.
auf Erden ist der '
Mensch. -^j^ ^^ ^^^ König der Tiere beschrieben hast, — aber
ich würde besser sprechen, wenn ich sagte König der
Bestien, indem du von ihnen die größte bist, weil du sie
nur nicht getötet hast, damit sie später dir ihre Jungen
geben können, zum Besten deines Gaumens, mit welchem
du versucht hast, dich zum Grabe aller Tiere zu machen,
und noch Weiteres würde ich sagen, wenn das Wahre zu
sagen mir völlig gestattet wäre. Doch wir bleiben inner-
halb der menschlichen Dinge, indem wir eine höchste
Ruchlosigkeit nennen, die nicht vorkommt bei den Tieren
der Erde, sintemalen unter denen sich keine finden, so
von ihrer eigenen Spezies essen, außer aus Mangel an
Gehirn [bei wenigen von ihnen und bei Müttern, wie bei
. „ . den Menschen, obschon sie bei jenen nicht in so großer
AmengoVespncci ^ f o
in Briefen über Zahl sind], und dics geschieht nicht, außer bei den Raub-
die kanarischen . .,.,^ jt- jt j
Inseln, die er tiereu , Wie bei der Gattung der Löwen und Leoparde,
Gonfaloniere So- Panther, Luchse, Katzen und ähnlichen, welche manches
'^'%chtelr''' Mal ihre Jungen fressen. Aber du ißt außer den Jungen
Von dem Mästen auch den Vater, die Mutter, Brüder und Freunde, und
der Gefangenen . . i r. i •
erzählt Manda- nicht gcnugen dir diese, so daß du jagen gehst auf an-
Buchäber/remde derer Inselu, die andern Menschen raubend, und diese,,
132
halb nackt an Gliedern und Lenden, fütterst du fett und Y°.'.''^'i '"}^ f'^-
' brauche, das Leo-
jagst sie dir durch den Schlund. Ja, bringt denn die "'^'"'^o ^^^'^ß-
Natur nicht so viel Einfaches hervor, daß du dich sättigen uiZanM^B'arto-
kannst? Und wenn du dich nicht mit dem Einfachen be- ^nanniptltiiàfìn
enügst, kannst du nicht durch die Mischung dieser unend- seinem Buch: De
° ° ' ° la honesta volup-
lich viele Zusammensetzungen machen, wie der Piatina ''^'«. <^'^^ ^^ch in
Leonardos Biblio-
es beschrieb und die anderen Autoren des Gaumens? thek befand.
XXV. R. 1219, MS. BR. M. FOL. 156 V. ^^rum dieNatar
nicht verbot, daß
Warum verbot die Natur nicht, daß das eine Tier vom ein per vom an-
deren lebe.
Tode des anderen lebe? Die Natur, die begierig danach
ist und Vergnügen findet am Schaffen und Machen be-
ständig neuer Leben und Formen, weil sie erkennt, daß
hierin ein Anwachsen ihrer irdischen Materie ist, ist will-
fährig und viel schneller in ihrem Schaffen, als die Zeit
im Zerstören; und darum hat sie angeordnet, daß viele
Tiere Speise seien eines für das andere; und da dieses
solchem Wunsche nicht Genüge tut, sendet sie oft ge-
wisse vergiftete und pestilenzialische Dünste herab auf
die großen Vermehrungen und Ansammlungen von Tieren
und vor allem auf die Menschen, die großes Anwachsen
haben, weil andere Tiere sich nicht von ihnen nähren
und da die Ursachen genommen sind, auch die Wirkungen
fehlen. Also sucht diese Erde von ihrem Leben zu ver-
lieren, dabei beständige Vermehrung wünschend; nach
deinem angedeuteten und bewiesenen Grunde gleichen
die Wirkungen oft ihren Ursachen; die Tiere sind vor-
bildliches Exempel des ganzen irdischen Lebens.
XXVL R. 917, MS. BR. M. FOL. 176 r. Zeit als philoso-
phischer Begriff.
Schreibe von der Qualität der Zeit, getrennt von der
Geometrie.
XXVn. R. 916, MS. BR. M. FOL. 173 V. Von der Zeit.
Obwohl die Zeit unter die kontinuierlichen Quantitäten
gezählt wird, fällt sie doch, weil sie unsichtbar und ohne
Körper ist, nicht gänzlich unter die geometrische Potenz,
133
welche es mit Figuren und Körpern von unendlicher
Mannigfaltigkeit zu tun hat, wie sie sich beständig in den
sichtbaren und körperlichen Dingen zeigen. Aber nur
mit deren ersten Anfängen stimmt sie überein, das heißt,
mit dem Punkt und der Linie; der Punkt der Zeit kann
mit dem Moment gleichgestellt werden, und die Linie
hat Ähnlichkeit mit der Länge einer Quantität von Zeit,
und wie die Punkte Anfang und Ende vorbesagter Linie
sind, so sind die Augenblicke Ausgang und Beginn welch
immer gegebenen Raumes von Zeit; — und wenn die
Linie unendlich teilbar ist, der Raum irgendeiner Zeit
ist solcher Teilbarkeit nicht fremd, und wenn die Teile
der Linie untereinander proportionierbar sind, werden auch
die Teile der Zeit unter sich zu proportionieren sein.
Für ger.aae Zeit- XXVIII. R. 918, MS. BR. M. FOL. 191 r.
messungen.
Mache, daß eine Stunde in 3000 Teile geteilt sei, und
dies wirst du mit der Uhr tun, indem du das Gegenge-
wicht erleichterst oder schwerer machst.
Zum Entwarf
einer neuartigen
Uhr.
Rätsel.
XXIX. MS. CA. FOL. 12 v.
... Es fehlen uns nicht Arten noch Wege, abzuteilen
und zu messen diese unsere elenden Tage, in denen wir
uns noch gefallen müssen, wenn wir sie nicht vergeblich
verbringen und sie hinstreichen lassen ohne irgendwelches
Lob und ohne von uns irgendeine Erinnerung im Geiste
der Sterblichen zurückzulassen.
Auf daß dieser unser elender Lauf nicht umsonst ver-
fließe . . .
XXX. MS. CA. FOL. 384 r.
»Ich werde ein Wort oder zwei oder zehn oder noch
mehr sagen, wie es mich freut, und will dabei, daß in
der gleichen Zeit mehr als tausend Personen dasselbe
sagen, das heißt, daß sie unmittelbar das sagen, was ich,
und werden mich nicht sehen, noch werden sie das hören,
was ich sage."
134
«Dies wären die Stunden, die von dir aufgezählt werden,
so daß, wenn du eins sagtest, alle jene so wie du die
Stunden aufzählen, dieselbe Nummer sagten, wie du in
dieser Zeit."
XXXI. R. 1216, MS. BR. M. FOL. 131 r. Vom Nichts.
Jede kontinuierliche Quantität ist intellektuell ins Unend-
liche teilbar.
[Unter den Größen der Dinge, die rund um uns sind,
hat das Dasein des Nichts die Vorherrschaft inne, und
sein Amt erstreckt sich über die Dinge, die kein Dasein
haben, und seine Wesenheit wohnt in der Zeit zwischen
dem Vergangenen und der Zukunft und besitzt gar nichts
von der Gegenwart. Dieses Nichts hat seinen Teil gleich
dem Ganzen, und das Ganze gleich dem Teile, und das
Teilbare dem Unteilbaren, und hat die gleiche Summe im
Produkt, in der Division wie in der Multiplikation, und
im Summieren so viel wie im Subtrahieren, wie es sich
bei den Arithmetikern in ihrer zehnten Ziffer beweist,
die das selbige Nichts (0) repräsentiert; und seine Macht
dehnt sich nicht auf die Dinge der Natur aus.]
[Das, was Nichts genannt wird, findet sich nur in der
Zeit und in den Worten; in der Zeit findet es sich im
Vergangenen und in der Zukunft, und hat nichts von der
Gegenwart inne; und ebenso in den Worten der Dinge,
von denen man sagt, daß sie nicht sind oder daß sie un-
möglich sind.]
In der Zeit residiert das Nichts im Vergangenen und in
der Zukunft und besitzet nichts in der Gegenwart, und
in der Natur gesellt es sich den unmöglichen Dingen,
woher, nach dem, was gesagt wurde, es kein Dasein hat.
Nachdem, wo das Nichts wäre, das Vakuum vorhanden
sein müßte.
XXXII. MS. CA. FOL. 398 V. Vom Nichts: an-
dere Formulie-
Unter den großen Dingen, die sich unter uns vorfinden, '■«nf-
ist das Dasein des Nichts besonders groß. Es residiert
135
in der Zeit und streckt seine Glieder ins Vergangene und
ins Künftige aus, womit es alle gewesenen Werke und
die erst kommen sollen in sich aufnimmt (occupa), ebenso
die der Natur wie die der Lebenden, und besitzt nichts
vom unteilbaren Gegenwärtigen. Dieses verbreitet sich
aber nicht über die Wesenheit irgend einer Sache.
Ober die Ver- XXXIII. MS. CA. FOL. 76 f.
gänglichkeit.
Mit Unrecht beklagen sich die Menschen über die Flucht
der Zeit, diese einer zu großen Geschwindigkeit beschul-
digend, und bemerken nicht, daß jene von ganz genügender
Vergänglichkeit ist; doch gutes Gedächtnis, mit dem die
Natur uns begabt hat, macht, daß jede lang vergangene
Sache uns gegenwärtig zu sein scheint.
Bild der Gegen- XXXIV. MS. TR. FOL. 34 f.
wart.
Das Wasser, das von den Flüssen du berührst, ist das
letzte von jenem, das ging, und das erste von jenem, das
kommt: also auch die gegenwärtige Zeit.
Das Unendliche. XXXV. MS. CA. FOL. 131 f.
Welches ist jene Sache, die es nicht gibt, und die, wenn
es sie gäbe, nicht existierte?
Es ist das Unendliche, welches, wenn es das geben
könnte, begrenzt und endlich wäre, weil das, was existiert,
Grenzen hat in der Sache, die es an seinem Äußeren
umgibt, und was eben nicht existiert, ist jene Sache, so
keine Grenzen hat.
Einheit aller XXXVI. MS. CA. FOL. 385 V.
Dinge.
Anaxagoras: Jede Sache kommt von jeder Sache, und
jede Sache wird zu jeder Sache, und jede Sache kehrt
in jede Sache zurück, weil alles, was in den Elementen
existiert, aus selbigen Elementen gemacht ist.
Was ist- XXXVII. MS. F. FOL. 49 v.
Sieh das Licht und beachte seine Schönheit. Blinzle
mit den Augen und schau es dann an; das, was von
136
ihm du siehst, war vorher nicht, und was davon war, ist
nicht mehr.
Wer ist's, der es wieder herstellt, wenn sein Urheber
beständig stirbt!
XXXVIII. MS. CA. FOL. 289 r. Punkt undNichts.
Vom Punkt
Das Nichts ist Fehlen des Seins oder des Gegenstandes.
Der Punkt ist das Ende des Seins oder der Sache.
XXXIX. MS. CA. FOL. 289 v. ^""■
Das Nichts (Null) hat keine Mitte, und seine Enden sind
nichts (null).
XL. MS.JCA. FOL. 244 V. in der Weit gibt
es keine ^quantità
Zwei Schwächen, so sich aneinander lehnen, machen négugeatie^.
eine Stärke. Also hält die halbe Welt, sich auf die an-
dere stützend, sich im Gleichgewicht.
Keine teilbare Sache ist so leicht, daß sie nicht die Welt
bewegte.
XLI. SP., MS. W. A. FOL. A. 2 r. Wert des gering-
sten Lebens
Und du, o Mensch, so du in dieser meiner Arbeit die f'''^ Randbemer-
' ' kung za anato-
wunderbaren Werke der Natur betrachtest, — wenn du mischen Zeich-
nungen und Er-
es als eine ruchlose Sache beurteiltest, meine Mühe zu kiärangenj.
zerstören, dann überlege, wie es ruchloseste Sache ist,
einem Menschen das Leben zu nehmen, von welchem
(Menschen), wenn diese seine Zusammensetzung dir von
wunderbarer Kunstfertigkeit scheint, bedenke, daß dieses
nichts ist im Vergleich zu der Seele, die in solchem Bau-
werke wohnt, und wahrhaftig, was immer sie sei, es ist
eine göttliche Sache, die sie in ihrem Werke nach ihrem
Gutbedünken wohnen läßt, und wolle nicht, daß dein Zorn
oder Böswilligkeit dergleichen Leben zerstöre; denn in
der Tat, wer es nicht achtet, der verdient es nicht.
137
Weil sie so widerwillig vom Körper sich losscheidet, und
ich glaube wohl, daß ihr Weinen und Schmerz nicht ohne
Berechtigung ist.
^'^^"Luf '^" ^^^ bemühe dich, die Gesundheit zu erhalten, welche
Sache dir um so mehr gelingen wird, je mehr du dich vor
den Ärzten hütest.
Weil ihre Mischungen eine Art von Alchimie sind, von
der es eine nicht geringere Anzahl von Büchern gibt,
als sie von der Medizin existieren.
Ihre Mittel.
VI. APHORISMEN /ALLEGORIEN
R. 1133, W. AN. IV. FOL. 172 r.
Anrufung (Oratio)
u, o Herr, verkaufst uns alle Güter um den
Preis von Mühe.
II. R. 685, MS. W. P. FOL. 1 1 v.
Eher der Bewegung beraubt sein, als zu nützen müde.
Eher Tod, als Müdigkeit.
Ich werde nicht satt, zu dienen.
Ich ermüde nicht zu nützen — ein Karnevalsmotto.
Sine lassitudine.
Kein Werk vermag mich zu ermüden.
Hände, in welche Dukaten und kostbare Steine nieder-
flocken, die ermüden nie zu dienen; aber solcher Dienst ist
nur zu eigenem Nutzen und ist nach unserm Vorsatz nicht.
Von Natur aus hat Natur mich so geartet (natura cosi
mi dispone, naturalmente).
III. MS. ASH. I. FOL. 34 v.
Verlange nicht Reichtum, der verloren gehen kann. Die
Tugend ist unser wahres Gut und gibt seinem Besitzer
den wahren Lohn; sie kann nicht verloren gehen; sie
verläßt uns nicht, wenn nicht vorher das Leben uns ver-
läßt. Alles Eigentum und der äußere Wohlstand, du be-
wahrst sie mit Angst, und oft lassen sie mit Verachtung
und verhöhnt ihren Besitzer zurück, der sie verliert.
IV. MS. CA. FOL. 109 v.
Anordnen ist Herrenwerk, Ausführen ist Knechteshand-
lung (l'ordinare è opra signorile, l'oprare è atto servile).
Anrufung.
Schaffenstrieb,
Reichtum und
Tugend,
Geistige Arbeit
und Händewerk,
139
Geistige Leiden-
schaften.
V. MS. CA. FOL. 358 v.
Die Leidenschaft des Geistes jagt die Begierden (lussu-
ria) davon.
Liebe als Symbol VI. MS. TR. FOL. 1 1 .
alles Geschehens.
Es setzt sich der Geliebte für den geliebten Gegenstand
in Bewegung, wie der Sinn für das Wahrnehmbare und
vereinigt sich mit ihm und macht sich mit ihm zu ein
und derselben Sache.
Das Werk ist das erste, was aus der Vereinigung ge-
boren wird. Wenn die geliebte Sache niedrig war, so
wird der Liebende niedrig. Wenn die vereinigte Sache
ihrem Vereiniger angepaßt ist, so folgt daraus Genuß und
Vergnügen und Befriedigung.
Wenn der Liebende dem Geliebten verbunden ist, so
ruht er sich da aus; wenn das Gewicht sein Gleich-
gewicht gefunden, so ruht es darin.
Die Sache, welche unser Intellekt erkannte ....
Die Begierden. VIL MS. H. IIL FOL. 1 19 f.
Wer die Wollust nicht zügelt, gesellt sich den Tieren.
Selbst-
beherrschung.
Vm. MS. H. m. FOL. 119 r.
Man kann keine größere noch kleinere Herrschaft be-
sitzen als die über sich selbst.
Das Unerreich- IX. SP., MS. W. AN. B. FOL. 21 V.
bare nicht er-
streben. Versprich dir keine Dinge und tu um ihretwillen nichts,
wenn du siehst, daß sie nicht zu haben in dir Leiden-
schaft erweckte (Non ti promettere delle cose e non le
fare, se tu ve' che non l'avendo t'abbino a dare passione).
Die Gedanken- X
losen.
MS. H. in. FOL. 119r.
Wer wenig denkt, irrt viel.
Vorhersicht. XI. MS. H. III. FOL. 119 f.
Leichter widersetzt man sich dem Anfang als dem Ende.
140
XII. MS. H. III. FOL. 1 19 r. Bester Rat.
Kein Rat ist so aufrichtig wie der, den man von Schiffen
aus gibt, die in Gefahr sind.
XIII. MS. H. III. FOL. 119 r. Schlechter Rat.
Es erwarte Schaden, wer sich von denen leiten läßt,
welche jugendlich im Rate sind.
XIV. MS. CA. FOL. 117 r. Geduld.
Die Geduld macht es mit den Kränkungen nicht anders,
als es die Gewänder mit der Kälte machen, indem, wenn
du dir die Gewänder vermehren wirst je nach der Ver-
mehrung der Kälte, diese Kälte dir nicht wird schaden
können; gleicherweise, gegenüber den großen Kränkungen,
erhöhe die Geduld, und selbige Kränkungen werden deinen
Geist nicht verletzen können.
XV. MS. CA. FOL. 112 r. Vorsorge.
Erwirb in deiner Jugend, was den Schaden deines Alters
gut macht. Und wenn du begreifst, daß das Alter die
Weisheit zu seiner Speise habe, benimm dich in deiner
Jugend so, daß solchem Alter nicht die Nahrung mangle.
XVI. MS. L FOL. 15 r. Wert des Lebens.
Wer das Leben nicht schätzt, verdient es nicht.
Gegen den
Schlaf.
XVII. MS. CA. FOL. 76 r.
O Schläfer! was ist der Schlummer denn? Der Schlaf
hat Ähnlichkeit mit dem Tode; o, warum also machst
du nicht solches Werk, daß nach dem Tode du Ähnlich-
keit habest mit dem vollkommen Lebenden, statt lebend
durch den Schlaf dich den elenden Toten gleich zu
machen?
XVIII. R. 682, MS. W. L. FOL. 198 r. Hohe Ziele.
Hindernis beugt mich nicht.
Jedes Hindernis wird durch Strenge zerstört.
Es kehrt nicht um, wer an einen Stern gebunden ist.
141
Sinnbild des XIX. MS. H. I. FOL. 39 r.
Starken.
Das Eisen, so beständig den Prall des strömenden
Wassers empfängt, rostet nie, sondern verzehrt sich, in-
dem es sich bräunt.
Schlimmer Ruf. XX. MS. H. I. FOL. 40 r.
Nichts ist zu fürchten als beschmutzter Ruf. Dieser
beschmutzte Ruf ist aus den Lastern geboren.
Weisheit. XXL R. 1150, MS. S. K. M. IIL FOL. 80 v.
Die Weisheit ist eine Tochter der Erfahrung.
DerMißtranische. XXIL MS. CA. FOL. 344 f.
Dies ist durch Erfahrung erprobt, daß der, welcher nie-
mals traut, betrogen sein wird.
Hoffnung.
Desgleichen.
Undankbarkeit.
Freundschaft.
Vorsicht.
Wahrheit im
Erinnern.
LasterundLeben.
XXIII. MS. CA. FOL. 68 v.
Die Gedanken wenden sich der Hoffnung zu.
XXIV. MS. H. LFOL.48V.
Es entsteht Leere, wo die Hoffnung stirbt.
XXV. MS. H. I. FOL. 16 v.
Das Gedächtnis für Wohltaten erlernte Undankbarkeit;
es ist hinfällig.
XXVI. MS. H. I, FOL. 16 v.
Tadle den Freund im geheimen und lobe ihn öffentlich.
XXVn. MS. H. LFOL. 16v.
Wer die Gefahren fürchtet, geht durch sie nicht zugrunde.
XXVIII. MS. H. I. FOL. 16 v.
Lüge das Vergangene nicht hinweg. (Non esser bugiardo
del preterito.)
XXIX. MS. H. I. FOL. 32 r.
Wollust ist der Grund aller Zeugung.
Eßgier ist Erhaltung des Lebens.
Angst oder Furchtsamkeit ist Verlängerung des Lebens.
Betrug ist Heil des Instrumentes.
142
XXX. MS. CA. FOL. 76 r. Angst als Schutz.
So wie Feindseligkeit Gefahr für das Leben ist, so ist
Angst Sicherheit für selbiges.
XXXI. MS. L. FOL. 90 v.
Die Furcht entsteht schneller als alles andere.
Furcht.
XXXII MS. CA. FOL. 170 r. Furcht und Vor-
'^^^^'^- Sicht.
Wer nichts fürchtet, ist oft voller Schaden, bereut es oft.
XXXIII.
Der Efeu ist langen Lebens.
R. 683, MS. W. L. FOL. 198 V. ^^r Schutz
' sucht.
XXXIV. R. 1281, MS. S. K. M. III. FOL. 73 V. Der Wein und der
Trinker.
Der Wein, vom Trunkenbold verzehrt, selbiger Wein
rächt sich am Trinker.
XXXV. MS. H. L FOL. 48 v.
Mäßigkeit zügelt alle Laster.
Der Hermelin — eher sterben als sich beschmutzen.
Reinheit.
XXXVL MS. ASH. I. FOL. 34 r. Lernen ohne
Wißbegier.
Wie das Essen ohne Lust der Gesundheit schädlich ist,
so verdirbt das Studium ohne Begier das Gedächtnis, so
daß es nichts von dem behält, was es zu sich nimmt.
XXXVII. MS. CA. FOL. 289 v.
Wie ohne Übung das Eisen rostet und das Wasser fault
oder in der Kälte gefriert, so der menschliche Geist ohne
Übung desselben.
XXXVIII. MS. CA. FOL. 289 v.
Übel tust du, wenn du lobst, und übler, wenn du schmähst
die Sache, welche du nicht gut verstehst.
Arbeit.
Was du nicht
verstehst.
XXXIX.
MS. CA. FOL. 289 v. Glück und
Geistesgegen-
Wenn das Glück kommt, fasse es mit sicherer Hand, — ^art.
von vorn, rat ich dir; hinten ist's als kahl bekannt.
143
Dem Verräter. XL. MS. H. III. FOL. 118 F.
Wer eine Mauer abgräbt, dem fällt sie auf den Rücken.
Wer den Baum durchschneidet, an dem rächt dieser sich
durch seinen Ruin.
Dem Verräter ist der Tod Leben.
Der richtige Rat- XU. MS. H. III. FOL. 1 18 V.
getter.
Verlange Rat von dem, der sich gut beherrscht.
Gerechtigkeit. XLIL MS. H. IIL FOL. 118 V.
Gerechtigkeit braucht Kraft, Intelligenz und Willen und
gesellt sich dem König der Bienen.
Lässigkeit. XLIIL MS. H. m. FOL. 118v.
Wer das Schlechte nicht bestraft, befiehlt, daß es ge-
schehe.
Beim rechten XLIV. MS. H. III. FOL. 118v.
Ende fassen. i. r^ , < . «
Wer die Schlange beim Schwänze nimmt, wird von ihr
gebissen.
Hinterlist und XLV. MS. H. III FOL. 1 18 V.
Strafe.
Wer eine Grube gräbt, wird von ihr begraben.
Der Tüchtige. XLVI. MS. CA. FOL. 76 r.
Selten fällt, wer gut geht.
Aus sicherem Ort. XLVII. MS. CA. FOL. 71 F.
Drohungen sind eine Waffe nur des Unbedrohten.
Glück. XLVIII. MS. CA. FOL. 71 r.
Wo das Glück eintritt, eröffnet der Neid die Belagerung
und bekämpft es; und wo es scheidet, hinterläßt es Schmerz
und Bedauern.
(Auf dem Seitenrand.) Am 23. Tag des April 1490.
Neid. XLIX. MS. H. II. FOL. 60 v.
Der Neid verletzt durch vorgegebene Niederträchtigkeit,
das heißt, durch Herabziehen des anderen, welche Sache
die Tugend entsetzt.
144
L. MS. B.FOL. 3 V. Das Erdgehun-
Wenn du den Leib der Tugend gemäß hättest, begehrtest ^"^ "TeZ^.^
du nicht in dieser Welt.
LI. MS. B.FOL. 3 V.
Du wächst an Ruf wie Brot den Kindern auf der flachen
Hand wächst.
LIL MS. M. FOL. 4 r.
Das Übel, so mir nicht schadet, ist wie das Gut, so mir
nicht nützt.
LIIL MS. M. FOL. 4 r.
Das Schilfrohr, das die Hälmchen zurückhält, welche es
ertränkt.
Ohne eigene
Mähe.
Passivität,
Allegorie der
Tücke.
LIV.
MS. M. FOL. 4 V. Unvorsichtig.
Kälte.
Der richtige
Instinkt.
Wer andere verletzt, sorgt nicht um sich.
LV. MS. CA. FOL. 289 v.
Dir gefrieren die Worte im Mund, und du würdest im
Mongibello (Ätna) Eis machen.
LVL MS. F. FOL. 96 V.
Der Mensch hat viel Überlegung, von welcher der größte
Teil hohl und falsch ist; die Tiere haben sie gering, doch
ist sie nützlich und tüchtig: besser die kleine Gewißheit
als die große Lüge.
LVIL MS. CA. FOL. 37 V. Schmeichelei.
Allgemeiner Brauch
Ein armer Teufel werde umschmeichelt, und die Schmeich-
ler werden stets die Betrüger und Bestehler und Mörder
selbigen armen Teufels sein.
LVIIL MS. F. FOL. 96 V. Gegen die Ärzte.
Jeder Mensch wünscht Kapital zu erwerben, — um es
den Ärzten, Zerstörern des Lebens, zu geben: also müssen
diese reich sein.
10 Herzfeld, Leonardo
145
Schlaf. LIX. MS. I. FOL. 56 r.
Welches ist die Sache, die von dem Menschen sehr ge-
wünscht wird und die, wenn er sie hat, er nicht kennen
kann? Der Schlaf.
EingatesSterben. LX.
MS. TR. FOL. 27 r.
Nacht
So wie ein gut verbrachtes Tageswerk ein frohes Schlafen
gibt, so gibt ein wohl angewandtes Leben einen heiteren
Tod.
Der Freie.
LXL
Frei gehorcht man besser.
MS. TR. FOL. 26 r.
Mangel an Ein-
sicht.
LXn. MS. CA. FOL. 80 v.
Es ist eine Sache, die, je mehr man ihrer bedarf, man
um so mehr zurückweist, und dies ist der Rat, unwillig
angehört von jenen, so seiner am meisten bedürfen, näm-
lich den Unwissenden.
Es gibt eine Sache, die, je mehr du sie fürchtest und
je mehr sie fliehst, du um so mehr dir näherst, und dies
ist das Elend, welches, je mehr du es fliehst, um so mehr
dich elend macht und ohne Ruhe.
Vom Einfältigen. LXIIL MS. CA. FOL. 233 V.
Wer einfältig ist von Natur und wissend durch zufällige
Umstände — wenn er natürlich spricht oder arbeitet, wird
er stets einfältig scheinen, und weise im Nebensäch-
lichen.
Die Wundertäter. LXIV. MS. F. FOL. 5 V.
Und viele halten Bude mit Trug und vorgeblichen Wun-
dern, die dumme Menge täuschend, und wenn sich nie-
mand als Kenner ihrer Betrügereien enthüllte, brächten
sie sie an den Mann.
Pharüäer. LXV. MS. TR. FOL. 34 r.
Pharisäer, will sagen: heilige Klosterbrüder.
146
LXVI. MS. CA. FOL. 358 v.
Instrumente von Gaunern sind der Samen von Flüchen
wider die Götter.
LXVII. MS. CA. FOL. 39 v.
Die höchste Glückseligkeit wird der Grund von Unglück
sein, und die Vollkommenheit der Weisheit Ursache von
Torheit.
Herzensseufzer
Leonardos.
Nichts Voll-
kommenes.
MS. TR. FOL. 34 r. Der Inhalt eines
Lebens.
LXVIIL
Wohl angewendetes Leben ist lang.
LXIX. MS. H. L FOL. 17 V. Rahm und Mähe.
Die Mühe fliegt mit dem Ruhm im Arm, fast versteckt
von ihm.
LXX. MS, C. FOL. 19 V. Guter Rat.
Es gibt eine Sache, die man, je mehr man ihrer bedarf,
um so weniger schätzt — : es ist der gute Rat.
LXXL R. 687, MS. BR. M. FOL. 173 r. Undank.
Undankbarkeit
Wenn die Sonne erscheint, so die Finsternis im allge-
meinen verjagt, löschst du das Licht aus, welches dir
nach deinem Bedarf und deiner Bequemlichkeit das Dunkel
verjagte.
LXXn. R. 1182, MS. TUR. FOL. 17 V. Torheit und eitle
Die blinde Unwissenheit führt uns so mit der Wirkung
lasziver Vergnügungen.
Weil wir das wahre Licht kennen . . .
Und der eitle Glanz nimmt uns das Sein . . . sieh uns,
die wegen des Glanzes in das Feuer gehen, wie blinde
Unwissenheit uns leitet.
O elende Menschen, öffnet die Augen.
LXXIIL R. 1186, MS. W. FOL. XIIL
Wer in einem Tage reich werden will, ist in einem Jahre
gehängt.
10*
147
Spitzbuben-
schicksal.
Der Geizige.
Falsche Nach-
rede.
Das Bleibende.
Das Auge des
Besitzers.
Rezept für
Bächer.
Beständigkeit.
LXXIV. R. 1 187, MS. S. K. M. III. FOL. 77 r.
Und dieser Mann hat eine höchste Narrheit, nämlich,
der immer darbt, um nicht zu darben, und das Leben
entflieht ihm in der Hoffnung, die Güter zu genießen, die
er mit größter Mühe erworben.
LXXV. R. 1 196, MS. S. K. M. 112. FOL. 24 r.
Ebenso viel ist, Gutes zu sagen von einem Schlechten,
als schlecht zu reden von einem Guten.
LXXVI. MS. CA. FOL. 71 v.
Die Lebenszeit, die fliegt, entläuft verborgen und betrügt
einen; und keine Sache ist so hurtig wie die Jahre. Und
wer Tugend sät, erntet Ruhm.
LXXVII. MS. CA. FOL. 344 r.
Glücklich jener Besitz, auf dem das Auge seines Herrn
ruht.
LXXVIIL MS. TR. FOL. 14 r.
Nichts kann geschrieben werden, was noch gesucht wer-
den muß.
LXXIX. MS. H. III. FOL. 101 (53) r.
Nicht, wer anfängt, sondern wer ausharrt.
Der Edle ist tiefer LXXX
verletzlich.
Regel, um zu ge-
fallen.
MS. TR. FOL. 38 r.
Vergleich
Ein rohes Gefäß, wenn zerbrochen, ist wieder herzu-
stellen ; ein gebranntes nie.
LXXXI. MS. G. FOL. 49 r.
Die Worte, die dem Ohr des Hörers nicht gefallen,
erregen ihm stets Langweile oder Verdruß, und als das
Anzeichen davon wirst du an solchen Zuhörern reich-
liches Gähnen sehen. Also du, der du vor Menschen
sprichst, bei denen du Wohlwollen suchst, wenn du sol-
che Wahrzeichen des Verdrusses siehst, kürze dein Reden
148
ab oder ändere das Gespräch, und wenn du anders tust,
dann, anstatt der ersehnten Gunst, wirst du Haß und
Feindseligkeit erwerben.
Und wenn du sehen willst, woran einer Vergnügen fin-
det, — ohne ihn reden zu hören, — sprich zu ihm, in-
dem du verschiedene Male den Gegenstand wechselst,
und denjenigen, bei dem du ihn aufmerksam bleiben
siehst ohne Gähnen, Runzeln der Brauen oder andere ver-
schiedene Gebärden, sei sicher, daß jene Sache, von der
gesprochen wird, die ist, welche ihm Vergnügen macht.
LXXXII. MS. CA. FOL. 344 r. Kraft der Liebe.
Liebe siegt über alles.
LXXXIII. MS. H. II. FOL. 63 r. Ruhmwürdigkeit
und Niedertracht
Der Ruhm fliegt und erhebt sich zum Himmel, weil die (Zeichnung).
tugendhaften Dinge Gott freund sind.
Die Niedertracht muß kopfüber gebildet werden, weil
all ihre Wirkungen Gott zuwider sind und sich zur Hölle
wenden.
LXXXIV. MS. ASH. I. FOL. 34 V. Allegorie der Un-
dankbarkeit
Am 10. Tag des Juli 1492. (Zeichnung).
In die Hand der Undankbarkeit zu setzen
Das Holz nährt das Feuer, von dem es verzehrt wird.
LXXXV. MS. H. III. FOL. 100 V. Wertprobe.
An der Probe erkennt man das feine Gold.
LXXXVI. MS. H. III. FOL. 100 V. Das Vorbild.
Wie die Stanze, so die Prägung.
LXXXVII. MS. H. III. FOL. 101 r. Vornehmer Sinn.
Großherzigkeit
Der Falke fängt nur große Vögel und stirbt eher, als er
Fleisch von nicht gutem Gerüche frißt.
149
Läge.
Sinnbild des
Truges.
Allegorien anf
Lodovico Moro
und auf Messer
Gualtieri di
Bottapetri , Ver-
trauten des Moro.
LXXXVIII. MS. J. FOL. 39 r.
Alle Dinge, so im Winter etwa unter dem Schnee ver-
borgen, werden im Sommer enthüllt und offenbar werden.
Der Lüge gesagt, die nicht geheim bleiben kann.
LXXXIX. MS. J. FOL. 49 v.
Montag kaufe ich 46 Ellen Leinwand Lire 13 s. 14 und
V2, am 17. Tage des Oktober 1497.
Die Biene kann man dem Trug vergleichen, denn sie hat
den Honig im Munde und den Stachel im Rückteil.
XC. MS. J. FOL. 138 v.
Der Moro in Figur des Glücks, mit Haaren und Ge-
wändern und Händen nach vorwärts, und Messer Gual-
tieri, der mit ehrerbietiger Gebärde ihn am Zipfel des
Kleides faßt, indem er von vom her kommt. —
Ferner, die Armut in erschreckender Gestalt läuft hinter
einem Jüngling her, und der Moro deckt ihn mit dem
Saum des Kleides und mit dem vergoldeten Stabe be-
droht er selbiges Ungetüm.
Wurzellos
(Allegorie).
XCL MS.J. FOL. 138v.
Pflanze mit den Wurzeln nach oben
Auf jemanden, der im Begriffe stünde, Gut und Gnade
zu verlieren.
Allegorie auf
Galeazzo Sanse-
verino ?
XCIL MS. H. III. FOL. 98 r.
Galeazzo, zwischen ruhiger Zeit und Flucht des Glücks.
Der Strauß, der mit Geduld seine Jungen zur Welt
bringt.
Feuerprobe
(Allegorie).
XCIII.
MS. H. III. FOL. 98 r.
Das Gold in Stangen verfeinert sich im Feuer.
Allegorische XCIV.
Zeichnung.
Alles um den Schlechten auszurotten
MS. H. III. FOL. 98 v.
150
XCV. MS. H. III. FOL. 99 r. Gleichfalls.
Alles Gekrümmte richtet sich wieder auf.
XCVI. MS. H. III. FOL. 99 r. Ebenso.
. . . damit die guten Kräuter wachsen.
XCVII.
Vom Guten zum Bessern.
MS. H. III. FOL. 99 V. . Devise
(mit Zeichnung).
XCVIII. R. 677, MS. OX. FOL. 2 v.
Diesen Neid stellt man dar, mit der Feige gen Himmel,
weil, wenn er könnte, er seine Kräfte gegen Gott wenden
würde; man macht ihn mit der Maske des schönen Scheins
vor dem Gesicht; man macht, daß er im Auge durch
Palmen und Oliven verwundet ist; man macht das Ohr
durch Lorbeer und Myrten verwundet, zum Zeichen, daß
Sieg und Wahrheit ihn verletzen; man läßt von ihm viele
Blitze ausgehen, um sein übles Reden anzudeuten; man
macht ihn mager und dürr, weil er immer in beständiger
Betrübnis ist; man macht sein Herz von einer geschwol-
lenen Schlange zernagt; man macht ihm einen Köcher,
als Pfeile Zungen, weil er oft mit dieser verletzt; man
macht ihm das Fell eines Leoparden, weil dieser aus
Neid den Löwen umbringt, mittels Betrug; man macht ihn
mit einer Vase in der Hand, voller Blumen, und selbige
sei angefüllt mit Skorpionen und Kröten und anderem
Giftigen; man läßt ihn auf dem Tod reiten, weil der Neid
nie stirbt und nie müde wird zu herrschen; man macht
ihm den Zügel von verschiedenen Waffen schwer, weil
dies alles Werkzeuge des Todes sind.
Kaum ist die Tugend geboren, so bringt sie wider sich
den Neid zur Welt; eher ist ein Körper ohne Schatten,
als die Tugend ohne den Neid.
XCIX. R. 676, MS. OX. FOL. 2 r.
Vergnügen und Mißvergnügen werden als Zwillinge ge-
macht, weil nie das eine ohne das andere ist, als hingen
Neid
(Erklärung zu ei-
ner allegorischen
Zeichnung).
Vergnügen und
Mißvergnügen
(Text zu allego-
rischen Zeich-
nungen).
151
sie aneinander; wenden sich den Rücken, weil sie ein-
ander entgegengesetzt sind. Wenn du dir ein Vergnügen
machst, wisse, daß es hinter sich etwas hat, das dir
Drangsal und Reue geben wird.
Dies hier ist Vergnügen mit Mißvergnügen, und werden
als Zwillinge abgebildet, weil nie das eine ohne das
andere ist, als hingen sie miteinander zusammen; man
macht sie mit dem Rücken gegeneinander, weil sie Gegen-
sätze sind; man m.acht sie auf den gemeinsamen Körper
gegründet, weil sie den gleichen Grund haben, nachdem
der Grund alles Vergnügens der Überdruß am Mißver-
gnügen ist; der Grund des Mißvergnügens sind die ver-
schiedenen und leichtfertigen Vergnügungen. Und darum
sind sie hier dargestellt mit Schilfrohr in der Rechten,
das hohl ist und ohne Kraft; und die Stiche, so man mit
ihm macht, sind giftig. In Toskana gibt man es als Stütze
in die Betten, um anzuzeigen, daß man hier die eiteln
Träume hat und daß sich hier ein großer Teil des Lebens
verzehrt; hier wirft man eine Menge nützlicher Zeit weg,
nämlich jene des Morgens, weil der Geist da nüchtern
und ausgeruht und so der Körper geeignet ist, neue
Mühen auf sich zu nehmen. Auch errafft man da eine
Menge hohler Vergnügungen, sowohl indem man mit dem
Geist an sich unmögliche Dinge ausheckt, als auch, in-
dem man sich mit dem Leib jene Vergnügungen schafft,
die oft der Grund eines verfehlten Daseins sind, so daß
um dessentwillen man das Rohr für solche Stützen nimmt.
Feuer und Läge C. R. 684, MS. W. P. FOL. 1 1 T.
(zu allegorischen
Entwürfen). Das Feuer zerstört die Lüge, das ist den Sophismus,
und stellt die Wahrheit wieder her, indem es das Dunkel
verjagt.
Das Feuer muß als Verzehrer alles Sophismus und Ent-
decker und Beweiser der Wahrheit gesetzt werden, weil
es das Licht ist, der Verjager aller Finsternis, dieser
Hehlerin jegliches Wesenhaften.
152
Das Feuer zerstört jeden Sophismus, das heißt den Trug,
und hält nur die Wahrheit aufrecht, nämlich das Gold.
Die Wahrheit läßt sich endlich nicht verhehlen; Ver-
stellung taugt nicht.
Die Verstellung, vor so viel Richtern, ist eine Täu-
schung.
Die Lüge nimmt eine Maske vor.
Nichts Verborgenes unter der Sonne.
Das Feuer ist für die Wahrheit das Sinnbild, weil es
jede Sophistik und Lüge zerstört, und die Maske ist Sinn-
bild für die Falschheit und Lüge, Hehler der Wahrheit.
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VII. ÜBER KUNST
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Natnrund Kunst.
Malerei und
Poesie,
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R. 651, MS. S. K. M. III. FOL. 19 v.
as Schöne sterblicher Dinge vergeht, und nicht
das der Kunst (Cosa bella mortai passa e non
d'arte).
II. MS. ASH. I. FOL. 19 r.
Wieso die Malerei alles Menschenwerk durch die
feine Überlegung, die ihr eigen ist, übertrifft
Das Auge, das man Fenster der Seele nennt, ist der
hauptsächliche Weg, auf dem der allgemeine Sinn reich-
lich und prachtvoll die unendlichen Werke der Natur be-
trachten kann, und das Ohr ist der zweitnächste, der sich
Adel erwirbt durch die erzählten Dinge, die das Auge
wahrgenommen hat. Wenn ihr, Geschichtschreiber oder
Poeten oder sonstige Mathematiker, nicht die Dinge mit
dem Auge gesehen hättet, schlecht würdet ihr sie durch
die Schriften berichten. Und wenn du, Poet, eine Ge-
schichte mit der Malerei der Feder darstellen wirst, so
wird der Maler sie mit dem Pinsel zu leichterer Befrie-
digung (der anderen) machen und minder langweilig, zu
verstehen. Wenn du die Malerei stumme Poesie nennst,
würde der Maler von der Schrift des Poeten sagen kön-
nen: blinde Malerei. Jetzt schau: — welcher Spott ist
beißender: blind oder stumm?
Wenn der Dichter frei ist wie der Maler, in seinen Er-
findungen, so sind doch seine Fiktionen nicht von solcher
Zufriedenstellung für die Menschen wie die Gemälde;
denn strebt die Poesie mit Worten an. Formen, Hand-
lungen und Orte darzustellen, so bewegt der Maler sich
154
darin, mit den Abbildern der Formen selbst die Formen
nachzuahmen. Nun sieh, was dem Menschen näher steht,
der Name des Menschen oder das Bildnis dieses Menschen.
Der Name Mensch wechselt mit den wechselnden Län-
dern; die Form wird nicht verändert, außer durch den Tod,
MS. ASH. I. FOL. 19 V.
und wenn der Poet der Vernunft durch das Ohr dient,
so der Maler durch das Auge, einen würdigeren Sinn.
Aber ich will nichts weiter von ihnen, außer daß ein guter
Maler die Wut einer Schlacht darstelle und daß der
Dichter eine andere schildere, und daß beides gemeinsam
öffentlich ausgestellt werde: du wirst sehen, wo die Be-
schauer mehr stehen bleiben, wo sie mehr betrachten
werden, wo sie mehr Lob geben, und was mehr zufrieden-
stellt. Sicher, die Malerei, weitaus nützlicher und schöner,
wird mehr gefallen. Stelle den Namen Gottes geschrieben
an einem Ort und gegenüber stelle seine Gestalt auf:
du wirst sehen, was mehr verehrt wird. Wenn die
Malerei alle Formen der Natur umspannt, habt ihr bloß
die Namen, die nicht allgemein wie die Formen sind.
Habt ihr die Wirksamkeit von Darlegungen, so haben wir
die Darlegung der Wirklichkeit selbst.
Man nehme einen Dichter, welcher die Schönheiten einer
Frau dem beschreibt, der sie liebt, und einen Maler, der
sie darstellt; du wirst schon sehen, wohin die Natur den
liebenden Beurteiler wendet. Siehe, die Erprobung der
Dinge sollte den Urteilsspruch der Erfahrung anheim-
geben.
Ihr habt die Malerei unter die mechanischen Künste
versetzt. Gewiß, wenn die Maler fähig wären, ihr Werk
durch Schreiben zu loben, wie ihr (eueres), würde sie
nicht einem so häßlichen Zunamen verfallen. Wenn ihr
sie mechanisch nennt, weil die Hände durch Handfertig-
keit darstellen, was die Maler in ihrer Phantasie finden,
auch ihr Schriftsteller zeichnet mit der Feder durch
Handfertigkeit auf, was in euerm Geist vorhanden ist;
155
und wenn ihr sie Handwerk nennt, weil sie für Geld
geübt wird, — wer verfällt mehr in diesen Irrtum, wenn
Irrtum man es nennen kann, als ihr? Wenn ihr für die
Universitäten lest, geht ihr da nicht zu jener, die euch
am meisten lohnt? Macht ihr irgend ein Werk ohne
Lohn? Obwohl ich das nicht sage, um solche Meinungen
zu tadeln, da jede Mühe Belohnung erwartet. Und kann
ein Dichter sagen: „ich werde eine Fabel erfinden, die
etwas Großes bedeuten wird" (io farò una finzione che
significa cosa grande), so tut das gleiche auch der Maler,
wie Apelles mit seiner „Verleumdung" tat.
Wenn ihr sagt: — „die Poesie ist von größerer Ewig-
keit", — werde ich darauf erwidern, daß die Werke eines
Kesselschmiedes noch ewiger sind, da die Zeit sie mehr
bewahrt als eure Arbeiten oder die unsern; dennoch sind
sie von geringer Phantasie, und die Malerei, wenn sie
mit Glasschmelze auf Kupfer malt, kann sich viel dauern-
der machen. Wir, in unsrer Kunst, dürfen Enkelsöhne
Gottes genannt werden.
Wenn die Poesie die Moralphilosophie berührt, ist die
Malerei mitten in der Philosophie der Natur; beschreibt
jene die Operationen des Geistes, der betrachtet, operiert
diese mit dem Geist in den Bewegungen; wenn jene die
Völker mit Fiktionen von der Hölle erschreckt, macht
diese mit den gleichen Gegenständen in Akten dasselbe.
Nehme sich der Dichter vor, eine Schönheit darzustellen,
eine Grausamkeit, eine ruchlose und häßliche Sache, eine
ungeheuerliche, zugleich mit dem Maler; er mache nach
seiner Art, wie ihm beliebt, eine Verwandlung der Formen,
so daß der Maler nicht mehr hinreicht. Hat man nicht
Malereien gesehen, die mit dem wahren Gegenstand so
übereinstimmend waren, daß sie Menschen und Tiere
täuschten?
MS. ASH. I. FOL. 20 r.
Wenn du reden kannst und die Demonstration der For-
men schreiben, so wird der Maler sie machen, so daß
156
sie belebt scheinen werden, mit Schatten und Lichtern,
die das Aussehen der Gesichter hervorbringen; was du
nicht mit der Feder erreichen kannst, das erreicht der
Pinsel.
III. MS. ASH. FOL. 20 r.
Wie der die Malerei mißachtet, weder die Philo-
sophie liebt, noch die Natur
Willst du die Malerei mißachten, welche die einzige
Nachahmerin aller offenbaren Werke der Natur ist, so
mißachtest du sicherlich eine feine Erfindung, die mit
philosophischer und subtiler Überlegung alle die Eigen-
schaften der Formen betrachtet, Lüfte und Orte, Bäume,
Tiere, Gräser und Blumen, die von Licht und Schatten
umgeben sind. Und wahrhaftig, dieses ist eine Wissen-
schaft und rechtmäßige Tochter der Natur, weil die Ma-
lerei von selbiger Natur geboren ist. Aber, um noch
richtiger zu sprechen, werden wir sagen, Enkelkind der
Natur, weil alle offenbaren Dinge von der Natur hervor-
gebracht sind, welche hervorgebrachten Dinge die Malerei
geboren haben, daher werden wir sie richtigerweise En-
kelin der Natur nennen und Gott verwandt.
IV. MS. ASH. I. FOL. 25 r.
Wie die Skulptur von minderem Geist als die
Malerei ist und in sich vieler Stücke aus der
Natur ermangelt
Da ich mich nicht weniger in der Skulptur betätige als
in der Malerei und die eine wie die andere in gleichem
Grade übe, scheint es mir, ich könne mit geringer An-
maßung ein Urteil darüber abgeben, wie der einen von
ihnen mehr Genie und Schwierigkeit und Vollendung
eigen sei als der andern. Erstlich ist die Skulptur einer
gewissen Beleuchtung unterstellt, nämlich der von oben,
und die Malerei führt Licht und Schatten überall mit sich.
Licht und Schatten bildet also das Hauptgewicht für die
Wer die Malerei
mißachtet, liebt
weder die Natur
noch die Philo-
sophie.
Skulptur und
Malerei.
157
Skulptur. Dem Bildhauer hilft in diesem Fall die Natur
des Reliefs, die jene von selbst erzeugt; der Maler bringt
sie durch seine äußerliche Kunst an den Stellen an, wo
die Natur sie vernünftigerweise hin machen würde. Der
Bildhauer vermag nicht in der verschiedenfältigen Natur
der Färbung der Dinge sich zu vermannigfachen; der
Malerei fehlt's da in keinem Stücke. Die Perspektiven
des Bildhauers scheinen nie etwas Wahres; jene des Malers
führen Hunderte von Meilen ins Werk hinein. Die Luft-
perspektive ist ihrem Werke fremd. Sie können nicht die
durchsichtigen Körper darstellen, nicht die leuchtenden
darstellen, keine zurückgeworfenen Strahlen, noch blanke
Flächen wie Spiegel und ähnliche glänzende Körper, keine
Nebel, keine trüben Himmel und zahllose andere Dinge, von
denen man nicht spricht, um nicht zu langweilen. Was sie
hat, ist, daß sie der Zeit mehr widersteht, obwohl ein eben-
solches Widerstehen die Malerei auf grobem Kupfer hat; mit
weißem Schmelz bedeckt und darauf mit Schmelzfarben
bemalt und noch einmal ins Feuer getan und darin brennen
lassen: so übertrifft sie an Ewigkeit die Skulptur. Man kann
auch sagen, daß, wo sie irgend einen Fehler gemacht
haben, er nicht leicht auszubessern ist. Es ist aber ein
trauriges Argument, beweisen zu wollen, daß eine unver-
besserbare Gedankenlosigkeit einem Werke größere
Würdigkeit gäbe. Wohl aber sage ich, den Geist des
Meisters zu verbessern, der solche Irrtümer macht, ist
viel schwieriger, als das von ihm verdorbene Werk zu
verbessern.
MS. ASH. I. FOL. 24 v.
Wir wissen wohl, wer praktisch und tüchtig ist, wird
nicht dergleichen machen; im Gegenteil mit guten Regeln
wird er vorwärts gehen und immer so wenig auf einmal
wegnehmen, daß er sein Werk gut vollführt. Auch, wenn
der Bildhauer in Lehm oder in Wachs arbeitet, kann er
wegnehmen und zufügen, und wenn er fertig ist, wird es
mit Leichtigkeit in Bronze gegossen, und das ist die letzte
158
Operation und das dauerhafteste, was die Skulptur besitzt,
indem jene Arbeit, die nur aus Marmor ist, der Zer-
störung unterworfen ist, aber nicht die Bronze. Also,
jene Malerei auf Kupfer, bei der man, wie ich dir von
der Malerei sagte, wegnehmen und zufügen kann, ist gleich
wie die Bronze, von der du, als du das Werk erst in
Wachs machtest, auch wegnehmen und hinzufügen konntest.
Wenn diese Skulptur in Bronze ewig ist, so ist diese
aus Kupfer und Glasfluß allerewigst. Wenn die Bronze
schwarz und häßlich wird, ist diese voll mannigfacher und
lieblicher Farben und von unendlicher Abwechslung in
obenerwähnter Art. Wenn du nur von der Malerei auf
Tafeln reden wolltest, so wäre ich zufrieden, das Urteil
gegen die Skulptur abzugeben, indem ich so sage: während
die Malerei schöner ist und von größerer Phantasie und
größerer Fülle, ist die Skulptur dauerhafter, und weiter
hat die Skulptur nichts. Sie zeigt mit wenig Mühe, was
sie ist; die Malerei scheint eine wunderbare Sache, in-
dem sie Ungreifbares greifbar vorkommen läßt, erhaben
die flachen Gegenstände und entfernt die nahen. In der
Tat, die Malerei ist mit unendlichen Überlegungen ge-
schmückt, so die Bildhauerei nicht in Anwendung bringt.
y. MS. CA. FOL. 382 V. Zweierlei Krebs-
schaden der mu-
Die Musik hat zweierlei Krankheiten, von denen eine ^''^•
zum Tod und die andere zur Hinfälligkeit führt; die töd-
liche ist immer an den Augenblick gebunden, der sie
schafft; die hinfällige macht sie verhaßt und gemein in
den Wiederholungen.
VI. R. 662, MS. S. K. M. III. FOL. 48 r. Der Maler und
die Natur.
Der Maler streitet und wetteifert mit der Natur.
VII. MS. K. FOL. 110 V. Wer seine Figuren
nicht zu ge-
Die Menschen und die Worte sind etwas Wirkliches, und
wenn du, o Maler, deine Figuren nicht ins Werk zu setzen
159
brauchen ver-
steht.
weißt, bist du wie der Redner, so seine Worte nicht an-
zuwenden versteht.
Der Dichter und VIII. R. 658, MS. W. A. IV. FOL. 152 r.
der Maler.
Wenn der Dichter aufhört, mit Worten darzustellen, was
in der Natur eine Tatsache ist, dann macht der Dichter
sich nicht zum Gleichen des Malers; denn läßt selbiger
Dichter solche Darstellung sein und beschreibt die schmuck-
vollen und überzeugenden Worte dessen, den er will
sprechen lassen, dann macht er sich zum Redner und
ist nicht mehr Dichter, noch ist er ein Maler; und spricht
er von den Himmeln, macht er sich zum Astrologen;
zum Philosophen und Theologen, wenn er von den Dingen
der Natur und von Gott spricht; aber wenn er zur Dar-
stellung von irgend etwas zurückkehrt, würde er sich
zum Wettstreiter des Malers machen, könnte er nur das
Auge in Worten befriedigen, wie es der Maler tut.
Entwicklang der IX. MS. CA. FOL. 141 f.
Malerei.
. . . Wie die Malerei von Lebensalter zu Lebensalter
immer mehr niedergeht und sich verliert, wenn die Maler
nichts anderes zum Urheber (Vorbild) haben als die schon
gemachte Malerei.
Der Maler wird in seiner Malerei von geringer Vorzüg-
lichkeit sein, wenn er zum Vorbild eines anderen Male-
reien nimmt; aber wenn er von den Dingen in der Natur
lernt, wird er gute Frucht erzeugen: wie wir an den
Malern nach den Römern sehen, die stets einer den an-
deren nachahmten, und von einem Zeitalter zum anderen
genannte Kunst in den Niedergang schickten. Nach diesen
kam Giotto der Florentiner, welcher in einsamen Bergen
geboren, die nur von Ziegen und ähnlichen Tieren be-
wohnt waren, — von der Natur solcher Kunst zugeneigt,
begann dieser droben auf den Felsen die Stellungen der
Ziegen zu zeichnen, von denen er der Zuschauer war;
und so fing er an, alle Tiere zu machen, die sich fanden;
in solcher Art, daß dieser, nach vielem Studium, nicht
160
nur die Meister seiner Zeit überflügelte, sondern die von
vielen verflossenen Jahrhunderten. Nach diesem fiel die
Kunst wieder zurück, weil alle die gedachten Malereien
nachmachten, und so ging sie von Jahrhundert zu Jahr-
hundert mehr in Verfall, bis Tomaso der Florentiner, zu-
benannt Masaccio, mit vollkommenem Werke zeigte, wie
jene, so zum Urheber anderes nahmen als die Natur, Lehr-
meisterin der Meister, sich umsonst bemühten.
So will ich von jenen mathematischen Dingen sagen,
daß die, so nur die Autoren studieren und nicht die
Werke der Natur, in der Kunst Enkel sind, nicht Kinder
selbiger Natur, Lehrmeisterin der guten Autoren. — O
der höchsten Torheit derer, welche jene tadeln, die von
der Natur lernen und stehen lassen die Autoren, Schüler
selbiger Natur!
X. R. 498, MS. S. K. M. III. FOL. 24 v.
Armselig der Schüler, der seinen Lehrer nicht übertrifft.
XL MS. ASH. I. FOL. 25 v.
Wie der Maler nicht lobenswürdig ist, wenn er
nicht allseitig ist
Von einigen kann man klar heraussagen, daß sie irren,
wenn sie einen guten Meister den Maler nennen, der
nur einen Kopf gut macht oder eine Figur. Sicherlich
ist es nichts Großes, daß einer, wenn er die Zeit seines
Lebens eine einzige Sache studiert, darin schließlich zu
einiger Vollendung kommt; mir aber, wissend, daß die
Malerei in sich alle Dinge umfaßt und enthält, so die
Natur hervorbringt und das gelegentliche Wirken des
Menschen ausführt, und endlich alles, was sich mit den
Augen verstehen läßt, — mir scheint ein trauriger Meister,
der nichts als eine Figur gut macht. Ja, siehst du denn
nicht, wie viele und was für Bewegungen nur allein vom
Menschen gemacht werden? Siehst du nicht die vielen
verschiedenen Tiere, und ebenso Bäume, Kräuter, Blumen,
Die Natur Lehr-
meisterin.
Schüler und
Lehrer.
Allseitigkeit.
Herzfeld, Leonardo
161
die Mannigfaltigkeit von Gegenden, gebirgigen und flachen,
— von Quellen, Flüssen, Städten, öffentlichen Bauwerken
und privaten, Werkzeugen, geschickt zum menschlichen
Gebrauche, verschiedenartigen Trachten und Ornamenten
und Künsten? Von allen diesen Sachen gehört es sich,
daß sie von gleicher Wirksamkeit und Güte in der An-
wendung jener seien, so du gute Maler nennen willst.
Anweisung, wie XII. MS. G. FOL. 5 V.
man allseitig
wird. Von der Ordnung, sich universell zu machen
Leichte Sache für den, welcher den Menschen zu machen
weiß, sich dann allgemein zu bilden, nachdem alle Tiere
des Landes Ähnlichkeit in den Gliedern, d. h. Muskeln,
Nerven und Knochen haben und in nichts variieren, außer
in Länge und Breite, wie es in der „Anatomia" gezeigt
werden wird. Sind dann noch die Wassertiere, die von
großer Abwechslung sind, von der ich den Maler nicht
überzeugen werde, daß er darin eine Regel suche, weil
sie von unendlichen Varietäten sind, und ebenso die In-
sektentiere.
Handwerker und XIII. MS. ASH. I. FOL. 25 r.
Künstler.
Von der traurigen Entschuldigung, die jene vor-
bringen, so fälschlich und unwürdigerweise sich
Maler nennen lassen
Es gibt eine Generation von Malern, die wegen ihres
geringen Studiums unter dem Schild der Schönheit von
Gold und Azur ihr Leben fristen und die mit ausgesuchter
Albernheit behaupten, wegen der traurigen Bezahlung
nicht die guten Sachen ins Werk zu setzen, die wohl
auch sie, wie ein anderer, machen könnten, würden sie
gut bezahlt. Nun sieh einmal das dumme Volk! sie wissen
nicht einmal irgendein Werk gut zu halten, indem sie
sagen: „dieses ist zu hohem Preis und das da zu mittlerem
und jenes dort ist Ausschuß" und zeigen, daß sie Arbeit
zu jedem Preise haben.
162
XIV. MS. CA. FOL, 76 r. Wer ohne Nach-
denken arbeitet.
Der Maler, der mittels seiner Übung und Urteil des
Auges ohne Vernunft zeichnet, ist wie der Spiegel, der
in sich alle ihm gegenübergestellten Sachen nachahmt,
ohne Erkenntnis von ihnen.
XV MS. ASH. I. FOL. 22 V. Von den zehn Am-
tern des Aages.
Von den zehn Ämtern des Auges, alle die Malerei
betreffend
Die Malerei erstreckt sich über alle die zehn Ämter
des Auges, nämlich Dunkel, Licht, Körper und Farbe,
Figur und Gegend, Entfernung und Nähe, Bewegung und
Ruhe, von welchen Ämtern dies mein kleines Werk durch-
webt sein wird, indem ich den Maler daran erinnere, mit
welcher Regel und Art er alle diese Dinge, Werk der
Natur und Schmuck der Welt, mittels seiner Kunst nach-
ahmen soll.
XVL MS. ASH. L FOL. 27 r. Studium der
Anatomie.
Wie es für den Maler notwendig ist, die inner-
liche Form des Menschen zu kennen
Jener Maler, der Kenntnis von der Natur der Nerven,
Muskeln und Sehnen hat, wird beim Bewegen eines Glie-
des wohl wissen, wie viele und was für Nerven der Grund
davon sind, welcher Muskel im Anschwellen die Ursache
ist, jenen Nerv zu verkürzen, und welche Stränge, in die
zartesten Knorpel verwandelt, diesen Muskel umgeben
und zusammenhalten. Und so wird er ein wechselvoller
und allseitiger Darleger der Muskeln sein, die alle ver-
schiedenen Tätigkeitsäußerungen der Figuren vermitteln,
und wird es nicht machen wie jene, welche in den ver-
schiedensten Stellungen immer die gleichen Sachen an
den Armen, Beinen, Brust und Rücken zeigen, was unter
die nicht geringen Versehen gesetzt werden muß.
11*
163
Gegen diejeni- XVII. MS. E. FOL. 19 V.
gen, die mit ihrer
^'"'^Zchen.^'"'' O Maleranatom, gib acht, auf daß nicht dies zu viel
Wissen um die Knochen, Sehnen und Muskeln Ursache
werde, dich zu einem hölzernen Maler zu machen, im
Bestreben, daß deine nackten Figuren alle ihre Empfin-
dungen zeigen. Deshalb, um diesem abzuhelfen, sieh nur,
auf welche Art die Muskeln bei den Alten oder Mageren
ihre Knochen zudecken oder besser: bekleiden, und außer
diesem notiere die Regel, wie die gleichen Muskeln die
oberflächlichen Strecken ausfüllen, die sich zwischen sie
legen. Und welches die Muskeln sind, von denen man
die Wahrnehmung nie verliert, in keinem Grad von Dicke,
und welches die Muskeln sind, von denen man beim ge-
ringsten Grad von Üppigkeit die Kenntnis ihrer Berüh-
rungspunkte verliert, und vielfach sind die Male, wo aus
vielen Muskeln einer gemacht wird beim Fettwerden, und
viele sind jene Male, wo beim Abmagern oder Altern
aus einem Muskel mehrere Muskel gemacht werden. Von
diesem Diskurs werden seinerzeit alle Einzelheiten gezeigt
werden usw.
Ordnung im XVIII. MS. CA. FOL. 199 V.
Studium.
Ich sage, daß man erst die Gliedmaßen und ihre Ver-
richtungen lernen muß, und wenn solche Kunde fertig,
muß man die Stellungen nach den Zufällen, in die der
Mensch gerät, verfolgen, und drittens die Historien
komponieren (lernen), von welchen das Studium nach den
natürlichen Gebärden gemacht werden wird, gemacht, je
nachdem sie passend sind für die Vorfälle; und auf sie
achten auf den Straßen, Marktplätzen, Feldern, und sie
mit kurzer Umschreibung der Linien notieren: nämlich
so, daß man für einen Kopf eine 0 macht, und für einen
Arm eine gerade und eine abgebogene Linie, und ähnlich
mache man es für die Beine und den Rumpf; und hierauf
heimkehrend, solche Erinnerungen in vollkommener Form
zeichnen.
164
Sagt der Gegner, daß, um praktisch zu werden und
viele Werke zu machen, es besser ist, wenn die erste
Zeit des Studiums drangesetzt werde, verschiedene Kom-
positionen zu zeichnen, die für Papier oder Mauern von
verschiedenen Meistern gemacht worden, und in solchem
bekomme man geschwinde Praxis und gute Gewohnheit.
Worauf geantwortet wird, daß diese Gewohnheit gut wäre,
wenn nach Werken guter Komposition und von lerneifrigen
Meistern gemacht; und weil diese derartigen Meister so
selten sind, daß man wenige davon findet, ist es sicherer,
zu den Dingen in der Natur zu gehen, als zu jenen dieser
selbigen Natur mit großer Verschlechterung nachgeahmten
und sich dabei böse Gewohnheiten zu machen; denn wer
zur Quelle gehen kann, gehe nicht zum Wassertopf.
XIX. MS. ASH. I. FOL. 28 r. Lehre für die
Anfanger.
Diese Regel muß man den Malerjungen geben
Wir wissen klar, daß das Sehen eine der schnellsten
Tätigkeiten ist, die es gibt und in einem Punkte zahllose
Formen wahrnimmt; nichtsdestoweniger faßt es nicht mehr
als eine Sache auf einmal. Nehmen wir den Fall, du,
Leser, erschautest mit einem einzigen Blick dies ganze
beschriebene Blatt und urteiltest gleich, daß es voll ver-
schiedener Buchstaben ist; du wirst aber in dieser Zeit
nicht zu erkennen vermögen, welche Buchstaben es seien,
noch was sie sagen wollen; daher mußt du Wort für Wort
nehmen, Vers für Vers, um Kunde zu haben von diesen
Buchstaben. Ebenso, wenn du auf die Höhe eines Ge-
bäudes steigen willst, muß es dir Stufe für Stufe zu
steigen passen; anders wäre es unmöglich, hinauf zu
kommen. So sage ich auch zu dir, den die Natur zu
dieser Kunst hinneigt, wenn du wahre Kenntnis von den
Formen der Dinge haben willst, beginne bei den Einzel-
heiten von ihnen, und nicht zur zweiten gehe, ehe du
die erste gut im Gedächtnis und in der Übung hast,
und wenn du anders tust, wirst du die Zeit wegwerfen
165
und wahrhaftig sehr das Studium verlängern. Und er-
innere dich, eher die Beflissenheit zu lernen als die
Flinkheit.
Studium,Einsam- XX. MS. CA. FOL. 184 V.
keit und innere
Ruhe. Pur den Maler ist notwendig die Mathematik, die zu sel-
biger Malerei gehörig, und die Entbehrung von Gesell-
schaften, die seinen Studien fremd sind, und ein Gehirn,
wandelbar nach der Verschiedenheit der Gegenstände,
die sich ihm entgegenstellen, und entfernt von anderen
Sorgen.
Und wenn es bei der Betrachtung und Definition eines
Falles ist, wie es geschieht, wenn das Objekt den Sinn
in Bewegung bringt, dann muß man von solchen Fällen
beurteilen, welcher von der mühevollsten Definition ist,
und diesem bis zu seiner letzten Klarheit folgen, und
dann die Definition des anderen verfolgen.
Und vor allem von Gemüt sein gleich der Oberfläche
des Spiegels, die sich in so viele verschiedene Farben
verwandelt als die Farben ihrer Objekte sind; und seine
Gesellschaften mögen Ähnlichkeit haben mit ihm in sol-
chen Studien, und, keine solchen findend, gehe er mit
sich selbst um in seinen Betrachtungen, weil er schließ-
lich keine nützlichere Gesellschaft finden wird.
Allerlei XXI. MS. ASH. I. FOL. 17 V.
Anweisungen. t^ •... ■,. ■•■, t-T-. t • -,
Der Jungimg soll vor allem die Perspektive lernen; dann
die Maße von allen Dingen; hierauf von der Hand eines
guten Meisters, um sich an gute Gliedmaßen zu gewöhnen;
hierauf nach der Natur, um sich in den Gründen der er-
lernten Sachen zu befestigen; hierauf eine Zeitlang (Dinge)
von der Hand verschiedener Meister sehen; hierauf sich
gewöhnen, selber etwas ins Werk zu setzen (mettere in
pratica) und die Kunst zu erlernen.
— Wie das erste Gemälde bloß eine einzige Linie war,
welche den Schatten des Menschen umgab, den die Sonne
auf die Mauer warf.
166
— Daß das Gemälde nur von einem einzigen Fenster
gesehen werden soll, wie es an so gemachten Figuren
einem klar wird.
— Wenn du in einer gewissen Höhe eine runde Kugel
machen willst, mußt du sie, so wie hier, lang machen
und so weit rückwärts stehen, daß sie verkürzt er-
scheint.
— Daß (gemalte) Geschichten nicht von vielen Personen
eingenommen und verwirrt sein sollen.
— Daß man einer Draperie nicht die Verwirrung vieler
Falten geben darf; mache deren sogar nur dort, wo die
Gewandung von den Händen oder den Armen zurückge-
halten ist; der Rest möge einfach herabfallen, wo seine
Natur ihn hinzieht, und das Nackte werde nicht von zu
viel Linien oder Brechungen von Falten überquert.
— Daß die Drapierung nach der Natur gezeichnet sein
muß, das heißt, wenn du eine Wollgewandung machen
willst, so benütze die Falten von einer solchen, oder wenn
es Seide sein soll, oder feines Tuch oder bäuerisches,
oder Schleier so mache die Falten jedem nach seiner
Art verschieden und mache nicht, wie viele tun, Gewänder
über Modellen, die mit Papier oder feinem Leder bedeckt
sind; da würdest du sehr betrogen sein.
— Daß die Alten mit trägen und langsamen Bewegungen
gemacht werden müssen, die Beine in den Knien gebogen,
wenn sie stillstehen, die Füße gleich und ein wenig von-
einander entfernt, das Rückgrat tief gekrümmt, den Kopf
nach vorn und herabgeneigt und die Arme nicht weit
weggestreckt.
— Wie man die Frauen darstellen muß, mit schamhaften
Gebärden, die Beine fest geschlossen, die Arme an sich
gesammelt, die Köpfe geneigt und zur Seite gewendet.
— Wie die alten Frauen heftige und rasche und zor-
nige Bewegungen haben müssen, nach der Art höllischer
Furien, und die Bewegungen müssen an den Armen und
am Kopf rascher erscheinen als an den Beinen.
167
— Die kleinen Jungen mit raschen und verdrehten Be-
wegungen, wenn sie sitzen, und wenn sie aufrecht stehen,
mit schüchternen und ängstlichen.
Wert der Per- XXII. MS. ASH. I. FOL. 13 T.
spektive.
Die Perspektive ist Zügel und Steuer der Malerei.
Von der Perspek- XXIII. MS. CA. FOL. 203 T.
Uve und der Lehre
vom Licht. Unter den Studien der natürlichen Ursachen und Gründe
entzückt das Licht die Beschauer am meisten; unter den
großen Dingen der mathematischen Wissenschaften er-
hebt die Sicherheit der Beweisführung am herrlichsten
den Geist der Nachforschenden.
Die Perspektive ist daher allen Abhandlungen und mensch-
lichen Disziplinen vorzusetzen, in deren Feld die ver-
wickelte strahlende Linie die Mittel für die Demonstra-
tionen gibt; in welcher sich die Glorie nicht so sehr der
Mathematik als der Physik befindet, verziert mit Blumen
der einen und der anderen, die Sentenzen von welchen,
(weil sie) mit großer Abschweifung ausgedehnt, ich in
folgernder Kürze enger ziehen werde, indem ich, nach Art
der Materie, naturalische und mathematische Demonstra-
tionen hineinflechte und einige Male auf die Wirkungen
durch die Ursachen schließe und einige Male auf die Ur-
sachen aus den Wirkungen; meinen Schlußfolgerungen
werde ich noch einige beifügen, die nicht in jenen ent-
halten sind und nichtsdestoweniger von jenen handeln, so
wie mich eben der Herr, Licht aller Dinge, zu erleuchten
geruhen wird, mich, den Traktator des Lichtes ....
Gegen die prak- XXIV. MS. CA. FOL. 1 19 T.
tischen Leute. ■,, ,
Vorrede
Von Natur aus verlangen die guten Menschen zu wissen.
Ich weiß, daß viele dieses ein unnütz Werk nennen wer-
den, und das werden jene sein, von denen Deometro
(Demetrius) sagt, er mache sich nicht mehr aus dem Wind,
den in ihrem Munde die Worte erzeugten, als aus . . .;
168
Menschen, die bloß nach körperlichen Reichtümern, nach
Vergnügen Begierde haben und die ganz bar sind jener
nach Weisheit, Speise und wahrhaftig sicherem Reichtum
der Seele; denn, um so viel als die Seele würdiger ist als
der Körper, um so viel werden die Reichtümer der
Seele würdiger sein als die des Körpers. Und oft, wenn
ich irgendwen von solchen dieses Werk in die Hand
nehmen sehe, zweifle ich gar nicht, daß, gleichwie der
Affe, er es zur Nase führen werde und mich fragen, ob
das etwas zu essen sei.
XXV. MS. A. FOL. 10 r. ^'^ «? Perspek-
tive ?
Perspektive ist ein beweisführender Gegenstand, durch
den die Erfahrung bestätigt, daß alle Dinge ihr Abbild
mittels pyramidaler Linien ins Auge senden. Unter pyra-
midalen Linien verstehe ich die, welche von den ober-
flächlichen Enden der Körper ausgehen und durch ein
Zusammenlaufen von fernher sich zu einem einzigen
Punkte hinführen, welchen Punkt ich in diesem Fall als
im Auge, dem allgemeinen Richter über alle Körper, ge-
legen zeigen will. Punkt sage ich von dem, was nicht
zu trennen ist, in keinem Teile; also da dieser Punkt,
der im Auge gelegen, unteilbar ist, wird kein Körper
vom Gesicht gesehen werden, der nicht größer ist als
dieser Punkt; sintemalen dem so ist, ist es notwendig,
daß die Linien, die vom Körper zum Punkte kommen,
pyramidisch seien. Und wenn jemand beweisen wollte,
daß die Sehkraft nicht in diesem Punkte liegt, sondern
im Gegenteil in jenem schwarzen Punkte, den man in-
mitten der Pupille sieht, könnte man diesem antworten,
daß ein kleiner Gegenstand durch keine Entfernung je
kleiner werden könnte, es möchte selbst ein Hirsekorn
oder ein Fenchelsamen sein oder anderes dergleichen,
und dann jener Gegenstand, der größer wäre als jener
Punkt, niemals ganz gesehen werden könnte, wie aus fol-
gendem Beweis usw.
169
Was schwerer XXVI. MS. ASH. I. FOL. 1 r.
ist, ob Licht und
Schatten zu ver- Wes schwercF ist, Licht und Schatten oder nur
stehen oder gut
zu zeichnen. gute Zeichnung
Ich sage, daß jene Sache schwerer ist, die in eine
Grenze gezwungen, als jene, die frei ist. Die Schatten
haben in gewissen Graden ihre Grenzen, und wer darin
unwissend ist, dessen Sachen sind ohne die Rundung,
welche Rundung das Wichtige und die Seele der Malerei
ist. Die Zeichnung ist frei, sintemalen, wenn du zahl-
lose Gesichter siehst, werden alle verschieden sein; der
hat eine lange Nase oder eine kurze; also kann der Maler
auch sich diese Freiheit nehmen, und wo Freiheit, da gibt
es keine Regel.
Naturstttdinm. XXVII. MS. G. FOL. 33 r.
.... Daher, o Maler, der du keine solchen Regeln hast,
— um dem Tadel der Verstehenden zu entgehen, sei be-
flissen, all deine Sache nach der Natur zu zeichnen und
nicht das Studium zu verschmähen, wie die Verdiener es tun.
Abwechslung
und Reichtum.
Auswendig-
lernen.
XXVIII. MS. G. FOL. 5 v.
Von der Varietät der Figuren
Der Maler muß trachten, universell zu sein, weil er der
Würde sehr ermangelt, wenn er eine Sache gut macht
und die andere schlecht, wie viele, die nur das wohl-
gemessene und proportionierte Nackte studieren und nicht
dessen Abweichungen aufsuchen, da ein Mann doch pro-
portioniert sein kann und kurz und dick oder lang und
dünn und mittelmäßig. Und wer dieser Abwechslung
nicht Rechnung trägt, macht immer seine Figuren im
Abdruck, so daß sie alle Geschwister zu sein scheinen,
welche Sache großen Tadel verdient.
XXIX. MS. ASH. L FOL. 24 r.
Von der Art, gut auswendig zu lernen
Wenn du eine studierte Sache gut auswendig kennen
willst, halte diese Art ein; nämlich, sobald du einen
170
Gedächtnis-
übung.
Gegenstand so oft gezeichnet, daß du glaubst, ihn im
Kopf zu haben, versuche, ihn ohne das Beispiel (Vorbild)
zu machen, und habe auf ein dünnes und planes Glas
dein Beispiel gepaust, und das wirst du auf die Sache
legen, so du ohne Modell gemacht hast. Beachte wohl,
wo sich die Pause nicht mit deiner Zeichnung begegnet,
und wo du dich geirrt zu haben findest, da erinnere
dich, nicht mehr zu irren; kehre sogar zum Modell
zurück, um so oft jene irrige Stelle zu zeichnen, daß
du sie gut in der Vorstellung habest, und wenn du, um
etwas zu pausen, kein planes Glas besitzest, nimm ein
sehr dünnes Blatt aus Ziegenpergament, gut gesalbt und
dann getrocknet, und wenn du es hierauf zu deiner Zeich-
nung verwendet hast, kannst du mit dem Schwamm sel-
bige auslöschen und eine zweite machen.
XXX. MS. ASH. I. FOL. 26 r.
Vom Studieren, bis du aufstehst, oder ehe du ein-
schläfst, im Bett, im Dunkeln
Ich habe an mir erprobt, daß es von nicht geringer
Nützlichkeit sei, wenn du im Dunkeln dich im Bette
befindest, mit der Einbildungskraft daranzugehen, die
oberflächlichen Lineamente der Formen dir zu wieder-
holen, so du vorher studiert hast, oder andere bemerkens-
werte Dinge, die von einer feinen Überlegung begriffen
werden. Und ist dieses eine Handlung, lobenswert und
nützlich, um die Sachen im Gedächtnis zu befestigen.
XXXI. MS. ASH. I. FOL. 22 V. Nützliche Spiele
der Phantasie.
Art, den Geist zu bereichern und zu verschiede-
nen Erfindungen aufzuwecken
Ich kann nicht umhin, unter diese Vorschriften eine
neue Erfindung von Spekulation zu setzen, die, obschon
sie unbedeutend scheinen mag und fast des Lachens
würdig, nichtsdestoweniger von großer Nützlichkeit ist,
den Geist zu verschiedenen Erfindungen aufzuwecken,
171
und das ist: wenn du in allerlei Gemäuer hineinschaust,
das mit vielfachen Flecken beschmutzt ist, oder in Gestein
von verschiedener Mischung, — hast du da irgendwelche
Szenerie zu erfinden, so wirst du dort Ähnlichkeiten mit
diversen Landschaften finden, die mit Bergen geschmückt
sind, Flüsse, Felsen, Bäume, — Ebenen, große Täler
und Hügel in wechselvoller Art; auch wirst du dort
allerlei Schlachten sehen, und lebhafte Gebärden von
Figuren, sonderbare Physiognomien und Trachten und
unendlich viele Dinge, die du auf eine vollkommene und
gute Form zurückbringen kannst. Und ist mit solchen
Mauern und Gemisch wie mit dem Klang von Glocken,
daß du in ihren Schlägen jeden Namen und jedes Vokabel
finden kannst, so du auszudenken vermagst.
Anwendung des XXXII. MS. ASH. I. FOL. 24 V.
Spiegels.
Wie der Spiegel den Malern ein Lehrer sei
Willst du sehen, ob dein Bild im ganzen mit der Sache
Übereinstimmung habe, die du nach der Natur gemacht
hast, so nimm einen Spiegel, laß darin den lebendigen
Gegenstand sich spiegeln, vergleiche den abgespiegelten
Gegenstand mit deinem Gemälde und schau gut nach,
ob das Objekt des einen und das andere Abbild mitein-
ander in Übereinstimmung sind. Und vor allem den Spiegel.
Man muß den Spiegel zum Meister nehmen, das heißt,
• den ebenen Spiegel, weil auf seiner Oberfläche die Dinge
mit einem Bild in vielen Teilen Ähnlichkeit besitzen.
Das will sagen, du siehst ein Bild, das auf einer Fläche
gemacht ist, Dinge aufweisen, die erhaben scheinen, und
der ebene Spiegel tut das gleiche; das Gemälde hat eine
einzige Fläche und der Spiegel ebenfalls. Das gemalte
Bild ist nicht greifbar, in der Hinsicht, daß, was darin
rund und frei abgelöst scheint, nicht mit den Händen
umfaßt werden kann, und ebenso ist es mit dem Spiegel;
der Spiegel und das Gemälde zeigen Ähnlichkeiten der
Dinge von Licht und Schatten umgeben; bei beiden er-
172
scheinen diese sehr weit hinter der Oberfläche zu stehen.
Und wenn du weißt, daß der Spiegel durch das Mittel
der Umrisse, der Lichter und Schatten die Dinge dir
losgelöst und frei erscheinen läßt, und da du unter dei-
nen Farben die Lichter und Schatten viel wirkungsvoller
hast als jene des Spiegels, sicher, wenn du sie dann gut
zusammenzusetzen verstehst, so wird auch dein Gemälde
erscheinen wie ein Stück Natur (una cosa naturale), das
in einem großen Spiegel gesehen ist.
XXXIII. MS. ASH. I. FOL. 8 v.
Vorschrift für Malerei
Das Skizzieren der Geschichten sei rasch und die Glie-
derung nicht zu vollendet. Begnüge dich nur, die Stel-
lung der Glieder anzudeuten, die du nachher in schöner
Muße, wie dir gefällt, fertig ausführen kannst.
XXXIV. MS. ASH. I. FOL. 31 v.
Wie man auf allen Reisen lernen kann
Die gütige Natur hat die Welt in solcher Weise versehen,
daß du überall nachzuahmen findest.
Ober das
Skizzieren,
Reisen,
XXXV.
MS. A. FOL. 23 r. Befangenheit des
Uiieils innerhalb
Von der Täuschung, der man im Urteil über die der Grenzen des
° eigenen Wesens.
Gliedmaßen unterworfen ist
Jener Maler, der plumpe Hände besitzt, wird sie in
seinen Werken ebenso machen, und dieses gleiche wird
ihm mit jeglichem Gliede widerfahren, wenn ein langes
Studium ihn davon nicht abhält. Daher, o Maler, be-
trachte gut jenen Teil von dir, den du an deiner ganzen
Person am häßlichsten hast, und an diesem bringe durch
dein Studium gute Verbesserung an; denn, bist du besti-
alisch, deine Figuren werden desgleichen sein und ohne
Vernunft, und gleicherweise wird jeder Teil von Gutem
und Schlechtem, so du in dir hast, sich zum Teil in deinen
Figuren zeigen.
173
Sei wählerisch! XXXVI. MS. ASH. I. FOL. 27 r.
Von der Auswahl schöner Gesichter
Es scheint mir eine nicht geringe Anmut bei einem
Maler, wenn er seinen Figuren ein gutes Aussehen gibt,
eine Anmut, die sich, wenn man sie nicht von Natur
aus hat, durch gelegentliches Studium auf solche Art er-
werben läßt: suche die guten Partien aus vielen schönen
Gesichtern herauszunehmen, deren Schönheit mehr durch
öffentlichen Ruhm bekräftigt sei als durch dein Urteil,
weil du dich täuschen könntest, indem du Gesichter
nähmest, die Ähnlichkeit mit deinem haben; denn oft-
mals scheint es, als gefielen uns solche Ähnlichkeiten,
und wärest du häßlich, du wähltest nicht schöne Ge-
sichter und machtest häßliche, wie viele Maler, deren
Figuren häufig dem Meister gleichen. Daher nimm Schön-
heiten, wie ich es dir sage, und diese präge deinem
Geist ein.
Inneres
und äußeres
Ebenmaß.
XXXVII. MS. CA. FOL. 375 r.
Monstruös ist jener, der einen sehr großen Kopf und
kurze Beine hat, und monstruös jener, der zugleich mit
reicher Kleidung große Armut besitzt; daher werden wir
proportioniert denjenigen nennen, von welchem die ein-
zelnen Teile seinem Ganzen entsprechend sind.
Um Anmut za XXXVIII.
geben.
MS. ASH. I. FOL. 22 v.
Vom Schlängeln und Balancieren der Figuren und
andern belebten Wesen
Welche Gestalten oder welch anmutiges Lebendige du
auch machest, bedenke das Hölzerne zu fliehen, das heißt,
sie mögen sich in Kontraposten bewegen, oder besser:
balancierend gehend, so daß sie nicht erscheinen wie ein
Stock.
Die du aber als stark darstellen willst, die nicht so
machen, außer in der Wendung des Kopfes auf den
Schultern.
174
XXXIX. MS. ASH. I. FOL. 20 v.
Über die Wahl der Luft, die den Gesichtern
Anmut gibt
Wenn du einen Hof hättest, den du nach Wunsch mit
einem Leinenzelt bedecken könntest, wäre dieses Licht
gut. Oder wenn du jemanden malen willst, male ihn bei
schlechtem Wetter oder beim Herandämmern des Abends,
indem du den Gemalten mit dem Rückgrat gegen eine
der Mauern selbigen Hofes stellst. Beobachte auf den
Straßen beim Nahen des Abends die Gesichter der Män-
ner und Frauen, wenn das Wetter schlecht ist, wieviel
Anmut und Süße man da als ihnen eigen wahrnimmt.
Darum, o Maler, wirst du einen Hof haben, hergerichtet
mit schwarz getünchten Mauern, mit ein bißchen Dach-
vorsprung über genannter Mauer. Und soll 10 Ellen weit
sein und 20 lang und 10 hoch, und wenn Sonne, ihn mit
Zelt eindecken oder aber eine Stunde vor dem Nahen
des Abends malen, während es wolkig ist oder nebelig.
Und dieses ist die vollkommene Luft.
XL. MS. A. FOL. 22 r.
Von der Qualität des Lichtes
Das Licht groß, hoch und nicht zu mächtig, dieses wäre
jenes, das die Teile des Körpers sehr angenehm macht.
XLL MS. ASH. I. FOL. 20 r.
Wie die Glieder machen
Die Glieder, so Mühen erduldet haben, diese recht mus-
kulös machen, und jene, die sich nicht betätigen, wirst
du ohne Muskeln machen und weich.
XLIL MS. ASH. I. FOL. 20 r.
Von den Gebärden der Figuren
Du wirst die Figuren in solcher Bewegung machen, daß
sie ausreiche, zu zeigen, was diese Figur in ihrem Gemüt
hat; sonst wäre deine Kunst nicht lobenswert.
Welche Laftstim-
mung am gün-
stigsten für den
Ausdruck des
menschlichen Ge-
sichtes ist.
Gate Beleuch-
tung.
Wie die Glieder
machen.
Von den passen-
den Gebärden.
175
Aasdruck. XLIII. MS. ASH. I. FOL. 29 v.
Wie eine Figur nicht lobenswert ist, wenn an ihr nicht
irgendeine Gebärde die Leidenschaft der Seele ausdrückt.
Jene Figur ist am meisten zu loben, die durch die Ge-
bärde am besten die Leidenschaft ihres Wesens ausdrückt.
Miene und Ge- XLIV. MS. CA. FOL. 139 r.
bürde als Aus-
drncksmittei. . . . Die Malerei, oder besser: die gemalten Figuren müssen
in solcher Weise gemacht sein, daß die Beschauer von
ihnen mit Leichtigkeit aus ihren Stellungen den Vorsatz
ihres Gemüts zu erkennen vermögen. Und wenn du
einen rechtschaffenen Menschen hast reden zu machen,
mache, daß seine Aktion Gefährte der guten Worte sei ;
und gleicherweise, wenn du einen bestialischen Menschen
zu gestalten hast, mache ihn mit wilden Bewegungen, die
Arme gegen den Zuhörer werfend, und den Kopf an die
Brust gedrückt, die Beine auseinandergestreckt, welches
die Hände des Redners begleite.
In Gleichheit mit dem Stummen (Taubstummen), welcher,
zwei Redner sehend, obschon er des Gehörs beraubt,
nichtsdestoweniger durch die Effekte und die Gebärden
selbiger Redner den Gegenstand ihres Disputs versteht.
Ich sah in Florenz einen zufällig Taubgewordenen, der,
wenn du laut zu ihm sprachst, er dich nicht verstand,
und leise sprechend, ohne Klang der Stimme, verstand
er dich allein durch die Führung der Lippen. Nun könn-
test du mir sagen: — „bewegt einer die Lippen nicht, der
laut spricht, so wie leise ? und wenn sie der eine wie
der andere bewegt, würde nicht der eine wie der andere
verstanden?" — Dafür überlasse ich das Urteil abzugeben
der Erfahrung: mache jemand leise sprechen, und hierauf
laut, und gib auf die Lippen acht.
Rauch und Luft. XLV. MS. F. FOL. 18 f.
Wenn der Rauch von trockenem Holz sich zwischen
dem Auge befindet, das ihn sieht, und einem anderen
dunkeln Ort, erscheint er blau.
176
Also wird die Luft blau durch die Finsternis, die sie
hinter sich hat. Und wenn du gegen den Horizont des
Himmels schaust, wirst du die Luft nicht blau sein sehen,
und dies entsteht aus ihrer Dicke. Und so, mit jedem
Grad, den du das Auge an dem Horizont hinaufhebst,
bis zum Himmel, der über dir steht, wirst du die Luft
dunkler werden sehen, und das ist, weil geringere Menge
Luft sich zwischen dein Auge und selbige Finsternis
schiebt. Und wenn du dich auf einem hohen Berg be-
findest, wird die Luft über dir um so dunkler werden, als
sie dünner geworden ist zwischen dir und genannter
Finsternis, und so folgt es weiter bei jedem Grad von
Höhe, bis zum Schluß sie dunkel bleibt.
Jener Rauch scheint azurner, der aus dem trockensten
Holz entsteht und der näher seinem Urheber ist und der
im dunkelsten Feld gesehen wird, mit dem Licht der
Sonne, das darauf fällt.
XLVL MS. G.FOL. 11 V. Landschaft und
Licht.
Von den Bäumen und ihrem Licht
Die wahre Manier des Praktikers, eine Campagna oder,
will ich sagen: Landschaft mit ihren Pflanzen darzustellen,
ist die, zu wählen, daß am Himmel die Sonne bedeckt
sei, damit selbige Campagna das allgemeine Licht emp-
fange und nicht das besondere der Sonne, das die
Schatten abgeschnitten macht und sehr abstechend von
den Lichtern.
XLVn. MS. G. FOL. 4 V. Laubwerk.
Nur niemals durchscheinende Blätter in der Sonne dar-
stellen, weil sie wirr sind, und das passiert, weil über
der Transparenz des einen Blattes der Schatten eines
anderen Blattes sich eindrücken wird, das darüber steht,
welcher Schatten von bestimmten Grenzen und entschie-
dener Dunkelheit ist, und manchmal ist es der halbe
oder dritte Teil dieses Blattes, welcher Schatten hat, und
12 Herzfeld, Leonardo
177
auf diese Art ist solche Verästelung wirr und ihre Nach-
ahmung zu fliehen.
Vom Kolorit. XLVIII. MS. F. FOL. 75 r.
Weil das Weiß keine Farbe ist, aber von rezeptiver
Kraft für jede Farbe, so sind all seine Schatten, wenn
es sich in freiem Felde befindet, blau; und dies kommt
vom vierten (Satz), der sagt: „Die Oberfläche jedes un-
durchsichtigen Körpers nimmt teil an der Farbe ihres
Gegenübers". Also wenn dies Weiß des Lichtes der
Sonne beraubt wird durch die Zwischenkunft eines Gegen-
standes, der zwischen die Sonne und dies Weiß gebracht
ward, so bleibt also das ganze Weiß, welches die Sonne
und die Luft sieht, der Farbe der Sonne und der Luft
teilhaftig, und jene Partie, welche die Sonne nicht sieht,
bleibt schattig, teilnehmend an der Farbe der Luft. Und
wenn dergleichen Weiß nicht das Grün der Landschaft
bis zum Horizont hinan sähe, ohne Zweifel würde das
Weiß dann von der einfachen Farbe zu sein scheinen, von
der die Luft zu sein sich zeigt.
Wert der Regeln. XLIX. MS. CA. FOL. 221 V.
. . . Diese Regeln sind nur zu benützen zur Überprüfung
der Figuren, sintemalen jedermann bei der ersten Kom-
position irgendwelchen Fehler macht, und wer sie (die
Fehler) nicht kennt, verbessert sie nicht; daher du, um
die Fehler zu kennen, dein Werk überprüfen wirst, und
wo du genannte Fehler findest, verbessere sie und halte
dir im Geist gegenwärtig, nie wieder in sie zu verfallen.
Aber, wenn du die Regeln beim Komponieren verwenden
wolltest, kämest du nie zu einem Beginn und brächtest
Verwirrung in deine Werke.
Diese Regeln machen, daß du ein freies und gutes Ur-
teil habest, sintemalen das gute Urteil von einem guten
Verständnis kommt, und das gute Verständnis stammt
von einem Gegenstand, der nach guten Regeln behandelt
ist, und die guten Regeln sind Kinder der guten Er-
178
fahrung, gemeinsamer Mutter aller Wissenschaften und
Künste.
Daher, hast du gut im Gedächtnis die Vorschriften
meiner Regeln, wirst du, bloß mit dem verbesserten
Urteil, jedes Werk von schlechten Proportionen zu be-
urteilen und erkennen vermögen, sowohl in der Perspek-
tive wie in den Figuren oder anderen Sachen.
L. MS. ASH. I. FOL. 28 r. Um das Urteil za
_-,. »»< • < •• bilden.
Um deine Malerei gut zu beurteilen
Wir wissen genau, daß man die Versehen besser in den
Werken anderer erkennt als in den eigenen und oft,
während du die kleinen Fehler anderer schiltst, weißt du
deine eigenen großen nicht. Um solcher Unwissenheit
zu entgehen, sorge vor allem dafür, daß du ein guter
„Perspektivist" seiest; hierauf habe völlige Kenntnis der
Maße des Menschen und anderer Tiere, und außerdem
sei ein tüchtiger Architekt, das heißt, soweit es notwendig
ist für die Form der Gebäude und der andern Dinge, die
sich auf der Erde befinden und deren Formen zahllose
sind. Je mehr du von ihnen Kenntnis hast, um so lobens-
würdiger wird deine Arbeit sein. Und diejenigen, welche
dir nicht geläufig sind, verschmähe nicht, nach der Natur
abzubilden . . .
LI. MS. ASH. I. FOL. 26 r. Fremdes Urteil.
Wie der Maler wünschen muß, bei seiner Arbeit
das Urteil von jedermann zu hören
Sicherlich, und es soll, während man malt, nicht das
Urte'l von jedermann zurückgewiesen werden, da wir genau
wissen, daß der Mensch, auch wenn er kein Maler ist,
Kenntnis von den Formen eines andern Menschen hat
und richtig beurteilen wird, ob er bucklig ist oder eine
Schulter zu hoch oder zu niedrig hat, oder ob er den
Mund groß hat, oder die Nase, oder andere Fehler, und
wenn wir an den Menschen imstande sind, mit Wahrheit
12*
179
das Werk der Natur zu beurteilen, um wieviel mehr ge-
bührt es sich, zuzugestehen, daß sie unsere Versehen
beurteilen können! Du weißt doch, wie sehr sich der
Mensch über seine eigenen Werke täuscht, und wenn du
es nicht von dir weißt, beobachte es an andern, und du
wirst Nutzen aus fremden Irrtümern ziehen, so daß du
also begierig sein sollst, mit Geduld die Meinungen an-
derer anzuhören. Und betrachte wohl und bedenke gut,
ob der Tadler recht hat oder nicht, dich zu tadeln, und
wenn du findest, ja, so verbessere es, und findest du,
nein, so mache Miene, ihn nicht verstanden zu haben,
oder zeige ihm, wenn es ein Mann ist, den du achtest,
durch Gründe, weshalb er selbst sich täuscht.
Immer wieder LH. MS. ASH. I. FOL. 26 T.
Naturstadium.
Warum bei Werken von Wichtigkeit der Mensch
sich nicht so sehr auf sein Gedächtnis verlassen
soll, daß er es verschmäht, nach der Natur zu
arbeiten
Jener Meister, der zu verstehen gäbe, alle Formen und
Effekte der Natur in sich aufbewahren zu können, sicher,
mir schiene der mit sehr viel Unwissenheit geziert, sinte-
malen besagter Effekte zahllose sind, und unser Gedächtnis
nicht von solcher Fähigkeit, daß es hinreiche. Darum,
0 Maler, sieh zu, daß Gier des Gewinns nicht in dir die
Ehre der Kunst überwinde, da der Gewinn der Ehre viel
größer ist als die Ehre der Reichtümer. So daß aus
diesen und aus andern Gründen, die man anführen könnte,
du streben wirst, erst mit der Zeichnung in andeutender
Form dem Auge die Absicht und die Erfindung zu zeigen,
die zuerst in deiner Einbildungskraft entstanden ist, dann
geh weiter, indem du so viel wegnimmst oder zufügst,
daß es dich befriedigt; hierauf mache, daß du die Men-
schen, bekleidete oder nackte, in der Art, wie du sie auf
deinem Werk geordnet hast, verbesserst und mache, daß,
in Maßen und in Größe der Perspektive unterworfen,
180
nichts dir im Werke durchgehe, was nicht wohl beraten
ist, sowohl durch die Vernunft als durch die Effekte der
Natur. Und das sei der Weg, durch deine Kunst dich
zu Ehren zu bringen . . .
LIII. MS. CA. FOL. 122 V.
Wie der Körper mit großem Zaudern, hervorgerufen
durch die Länge seiner konträren Bewegung, mit mehr
Weg zurückkehrt und dann stärkern Schlag gibt, und
jener, der von kontinuierlicher und kurzer Bewegung ist,
wenig Kraft hat; — so hat im Studium ein und der-
selben Materie, in langen Zwischenräumen der Zeit ge-
macht, das Urteil sich vervollkommnet und erkennt besser
seinen Irrtum. Und das gleiche tut das Auge des Malers,
indem es sich von seiner Malerei entfernt.
Ausruhen des
Auges.
LIV.
MS. ASH. I. FOL. 16 r. WelcheGemächer
dem Maler am
Die kleinen Gemächer oder Wohnungen sammeln den ^^^^^"- '««»f««-
Geist, und die großen zerstreuen ihn.
LV. MS. ASH. I. FOL. 27 V. Wie der Maler
leben soll.
Vom Leben des Malers in seinem Studium
Damit nicht das Behagen des Leibes etwa das Gedeihen
des Geistes schädige, soll der Maler oder Zeichner ein-
sam sein, und besonders, wenn er sich den Beobachtungen
und Betrachtungen hingibt, die dem Auge immerfort sich
darbieten und dem Gedächtnis Stoff geben, um gut darin
verwahrt zu werden. Wenn du allein bist, bist du völlig
dein, und wärest du von einem einzigen Gefährten be-
gleitet, so gehörst du dir bloß halb mehr an, und um so
weniger, je größer die Zudringlichkeit seines Umgangs
ist, und wenn du mit mehreren bist, so verfällst du noch
mehr in solche Unzukömmlichkeiten. Und wolltest du
nun sagen: — „ich werde nach meiner eigenen Art tun;
ich werde mich abseits halten, um die Formen der Dinge
in der Natur besser beschauen zu können" — , so er-
widere ich, das geht wohl nicht an, weil du es nicht
181
machen kannst, ohne häufig dein Ohr ihrem Geschwätz
zu leihen, und da niemand zwei Herren zugleich dienen
kann, so würdest du übel das Amt eines Gesellschafters
erfüllen, und übler noch wäre der Erfolg der künstlerischen
Betrachtung; und sagtest du: — „ich werde mich so weit
abseits halten, daß ihre "Worte nicht bis zu mir gelangen
und mich nicht stören können" —, so antworte ich dir
in diesem Stück, daß man dich für verrückt erklären wird.
Und siehst du denn nicht, daß du, wenn du so handelst,
auch allein wärest?
Desgleichen. LVI. MS. ASH. I. FOL, 2 r.
Der Geist des Malers will dem Spiegel gleichen, der
sich immer in die Farbe jener Sache verwandelt, so er
zu seinem Gegenstand hat, und sich mit so viel Abbildern
füllt, als der Dinge sind, die man ihm gegenüberstellt.
Also du, Maler, wohl bewußt, daß du nicht gut sein
kannst, wenn du nicht universaler Meister darin bist, mit
deiner Kunst alle Eigenschaften der Formen nachzumachen,
so die Natur hervorbringt, welche Formen du nicht wirst
zu machen wissen, außer du siehst sie und behältst sie
im Gedächtnis zurück; — wenn du über die Fluren gehst,
trachte daher, daß dein Urteil sich zu verschiedenen
Gegenständen wende und nachderhand jetzt diese Sache
beschaue, und jetzt jene andere, indem es so aus den
mannigfachen erlesenen und unter minder guten heraus-
gewählten Sachen einen Strauß windet. Und tue nicht
wie so mancher Maler, der müde in der Phantasie sein
Werk stehen läßt und, um sich Bewegung zu machen,
auf Kurzweil ausgeht, wobei er seine Müdigkeit im Geiste
weiter bewahrt, durch die er nichts sehen noch die ver-
schiedenen Sachen ins Gemüt aufnehmen kann, dagegen
häufige Male die Freunde und Verwandten treffend und
von ihnen begrüßt, so wenig etwas sieht und hört und
nicht anders erkennt, als ob er ebensovieler Luft be-
gegnet wäre.
182
LVII. MS. ASH, I. FOL. 29 V. Darstellung des
. . r, Zorns.
Wie man eine in Zorn versetzte Person macht
Die Person in Zorn läßt du jemanden bei den Haaren
fassen, ihm den Kopf zur Erde drehen und ein Knie in
die Flanken stemmen. Mit dem rechten Arm schüttle
sie die Faust empor. Ihre Haare habe sie gesträubt, die
Brauen niedrig und zusammengezogen, die Zähne aufein-
ander gepreßt und die beiden Ausläufer des Mundes
seitlich zu einem Bogen gekrümmt; der Hals, dick und
vorgeneigt, weil er sich über den Feind beugt, sei voller
Runzeln.
LVIII. MS. ASH. I. FOL. 29 V. Darstellung eines
Verzweifelten.
Wie man einen Verzweifelten darstellt
Den Verzweifelten wirst du sich eins mit dem Messer
versetzen lassen. Die Kleider habe er sich zerrissen
und sei gerade daran, sich mit der einen Hand die Wunde
aufzureißen. Und du wirst ihn mit den Füßen ausein-
ander und etwas geknickten Beinen machen, und die ganze
Figur gleichfalls zur Erde gebeugt, mit zerrauftem und
wirrem Haar.
LIX. MS. ASH. L FOL. 21 r. Einer redet vor
T» • j 11 j vielen.
Einen darzustellen, der zu mehreren Personen
red et
Gewöhnlich wird jener, von dem du willst, daß er vor
vielen Leuten rede, die Materie in Betracht nehmen, die
er zu behandeln hat, und ihr die Gebärden anpassen, die
zu dieser Materie gehören: das heißt, wenn seine Materie
Überredung ist, daß die Gebärden nach der Absicht seien;
wenn die Materie eine Klarlegung durch verschiedene
Gründe ist, daß der, welcher spricht, mit zwei Fingern
der rechten Hand einen von der linken fasse, von der
er die zwei kleinen zusammengepreßt hat, und das Ge-
sicht lebhaft dem Volk zugewendet; mit dem Mund ein
wenig geöffnet, so daß es scheint, er rede, und v/enn er
183
saß, daß es scheint, er richte sich ein bißchen auf und
strecke den Kopf vor; und wenn er steht, mache ihn
mit vorgeneigter Brust und den Kopf gegen das Volk hin,
welches du schweigend und aufmerksam darstellen wirst,
alle dem Redner mit bewundernden Gebärden ins Antlitz
schauend, und den Mund irgendwelcher Alten vor Staunen
über die gehörten Sentenzen so, daß sie mit den Aus-
läufern des Mundes, die sie niedrig halten, nach rück-
wärts viele Falten über die Wangen ziehen und die
Augenbrauen, wo sie zusammenstoßen, emporgerissen,
viele Falten auf der Stirn schaffen. Einige Sitzende
mögen mit den zusammengeflochtenen Fingern die müden
Knie zwischen den Händen halten, andere ein Knie über
das andre schlagen und die Hand darauf legen, die in
ihrer Höhlung den Ellbogen aufnimmt, dessen Hand
das bärtige Kinn irgendeines vorgebeugten Greises unter-
stützen wird.
Wie man eine LX. MS. ASH. I. FOL. 18 V.
Nacht malt.
Von der Art, eine Nacht darzustellen
Was gänzlich des Lichtes beraubt ist, ist völlige Dunkel-
heit. Da die Nacht in diesen Umständen ist, und du in
ihr eine Geschichte darstellen willst, wirst du es so
machen, daß, nachdem ein großes Feuer sich in dieser
Nacht befindet, daß alles, was mehr in der Nachbarschaft
besagten Feuers ist, sich mehr in dessen Farbe kleide,
weil die Sache, die einem Gegenstand näher ist, auch
mehr an dessen Natur teilnimmt. Und da du das Feuer
zur roten Farbe wirst hinneigen lassen, wirst du alle
von diesem erleuchteten Sachen auch rötlich machen,
und die von jenem Feuer mehr entfernt sind, müssen
mehr die schwarze Farbe der Nacht tragen. Die Figuren,
die zwischen dir und dem Feuer sind, erscheinen dunkel
in der Dunkelheit der Nacht und nicht von der Hellig-
keit des Feuers, und die sich auf den Seiten befinden,
seien zur Hälfte dunkel und zur Hälfte rötlich. Die
184
man jenseits der Flammengrenzen sehen kann, werden
in schwarzem Felde ganz von rötlichem Licht erleuch-
tet sein.
Was die Gebärden anlangt, wirst du jene, die ihm ganz
nahe sind, mit den Händen und den Mänteln zum Schutz
gegen die übermäßige Hitze sich einen Schild machen
lassen und, mit dem Gesicht nach der entgegengesetzten
Seite abgewendet, scheinbar zu jenen weiter Entfernten
fliehen; du wirst einen großen Teil von ihnen sich die
Augen mit den Händen vor dem überstarken Lichtglanz
schirmen lassen, der sie verletzt.
LXI. MS. ASH. I. FOL. 21 r. Ein Ungewitter.
Wie man ein Ungewitter darstellen soll
Wenn du ein Ungewitter gut darstellen willst, beachte
und setze wohl seine Wirkungen hin, wenn der Wind,
über die Oberfläche des Meeres und der Erde blasend,
aufrührt und mit sich führt, was nicht fest in der allge-
meinen Masse sitzt. Und um dieses Ungewitter recht
darzustellen, wirst du erst die zerfetzten und auseinander-
gerissenen Wolken nach dem Lauf des Sturmes treiben
und von dem sandigen Staub begleiten lassen, der vom
Meeresstrand aufgewirbelt worden, und von Zweigen und
Blättern, welche die Macht der Wut des Windes empor-
gehoben, in der Luft weit verstreut hat, in Gesellschaft
von vielen andern leichten Sachen. Die Bäume und die
Kräuter, zur Erde gebogen, scheinen fast der Richtung
des Windes folgen zu wollen, mit Zweigen, die aus ihrer
natürlichen Lage heraus verdreht sind und ihr Laub
zerzaust und umgekehrt haben. Die Menschen, die sich
vorfinden, zum Teil umgeworfen und herumgewirbelt durch
ihre Gewänder und den Staub, seien fast unkenntlich, und
die, welche sich aufrechterhalten, mögen hinter irgend-
einem Baum sein, den sie umarmen, damit der Sturm
sie nicht mitreiße; andere, mit der Hand vor den Augen,
wegen des Staubes, zur Erde gebeugt, und Kleider und
185
Notizen zum
-Abendmahl" .
Desgleichen.
Haare in der Windrichtung flatternd. Das aufgewühlte
und stürmische Meer sei voller wirbelnden Gischtes
zwischen den sich aufbäumenden Wogen, und der Wind
hebe in die gepeitschten Lüfte leichten Schaum, gleich-
wie einen dichten und verhüllenden Nebel. Von den
Fahrzeugen, die sich darin befinden, mache einige mit
zerbrochenen Segeln und die Fetzen davon in Gesell-
schaft einiger zerrissener Taue in den Lüften flatternd;
Mastbäume zersplittert, umgestürzt, mit dem Schiff, das
von den stürmischen Wogen überflutet und zerbrochen
ist; mehrere Menschen, die schreiend die Trümmer des
Fahrzeugs umklammern; du wirst die Wolken machen,
die, von den ungestümen Winden dahergejagt, an die
hohen Gipfel der Berge geschleudert, um diese verhül-
lende Wirbel bilden, ähnlich den Wellen, die gegen
Klippen schlagen. Die Luft schauerlich durch das finstere
Dunkel, das der Staub, der Nebel und das dichte Gewölk
in der Luft erzeugen.
LXIL R. 665, MS. S. K. M. II. FOL. 2 r.
Einer, der getrunken hat und seinen Becher liegen ließ
und sich mit dem Kopf zum Redner wendet. Ein anderer,
die Finger seiner beiden Hände zusammen verflochten,
und mit starren Brauen, kehrt sich zum Gefährten, der
andere, mit geöffneten Händen, zeigt die inneren Flächen
von ihnen, hebt die Schultern gegen die Ohren und macht
die Miene (la bocca) der Verwunderung. Wieder einer
spricht in das Ohr des andern, und dieser, der ihm zu-
hört, dreht sich zu ihm und leiht ihm sein Ohr, in einer
Hand ein Messer, in der andern das Brot, welches das
selbige Messer halb geteilt; ein anderer, beim Umwenden,
ein Messer in der Hand haltend, wirft mit derselben
Hand einen Becher auf dem Tisch um.
LXIII. R. 666, MS. S. K. M. 112. FOL. 1 r.
Einer legt die Hände auf den Tisch und schaut, ein
anderer bläst den Bissen; ein anderer beugt sich vor, um
186
den Sprechenden zu sehen, und macht sich Schatten über
den Augen; ein anderer zieht sich hinter den zurück, der
sich vorbeugt, und sieht nach dem Sprechenden zwischen
der Mauer und dem Vorgebeugten.
LXIV. MS. ASH. I. FOL. 31 r. Eine Schlacht.
Art und Weise, eine Schlacht darzustellen
Du wirst vor allem den Rauch der Artillerie machen,
der in die Luft gemischt ist, zugleich mit dem Staub,
den die Bewegung der Pferde und Kämpfer aufrührt.
Welche Mischung du so anwendest: der Staub als eine
erdige und schwere Sache, wenn er gleich vermöge seiner
Feinheit sich leicht erhebt und in die Luft mengt, kehrt
doch gern wieder in die Tiefe zurück herab, und am
höchsten steigen die feinsten Teile, darum sieht man das
am wenigsten, und es erscheint fast in der Farbe der
Luft; der Rauch, der sich in die verstaubte Luft hinein-
mischt, erscheint, je mehr er sich zu einer gewissen Höhe
erhebt, um so mehr als eine dunkle Wolke, und man
sieht also ganz oben den Pulverdampf deutlicher als den
Staub. Der Rauch wird in seiner Farbe ein wenig zum
Blauen neigen, und der Staub wird an seiner Farbe fest-
halten : auf der Seite, wo das Licht herkommt, wird diese
Mischung von Luft, Rauch und Staub viel leuchtender
erscheinen als auf der entgegengesetzten Seite; je mehr
die Kämpfer inmitten dieses Aufruhrs stecken, um so
weniger sind sie sichtbar, und um so geringer wird der
Unterschied zwischen ihren Lichtern und Schatten. Du
wirst die Gesichter und die Gestalten, und das Geschütz
und die Arkebusiere zugleich mit ihrer Nachbarschaft
rötlich machen, und diese Röte verliert sich, je mehr sie
sich von ihrer Ursache entfernt, und die Figuren, die
zwischen dir und dem Licht sind, werden, da sie sich
entfernt befinden, dunkel in hellem Feld erscheinen, und
ihre Beine, je mehr sie sich dem Boden nähern, werden
um so weniger gesehen werden, weil der Staub da gröber
187
und dichter ist. Und wenn du Pferde machst, die aus
dem Schwärm laufen, mache ihnen Staubwölkchen, die
so weit voneinander entfernt seien, wie der Zwischenraum
der Sprünge ist, die das Pferd gemacht, und jene Wolke,
die von besagtem Pferd weiter entfernt ist, sehe man
weniger; im Gegenteil, sie sei hoch oben, zerstreut und
dünn, und die nähere sei besser sichtbar und kleiner und
dichter.
Die Luft sei voller Pfeilschwärme verschiedener Gat-
tung: die einen steigen, die anderen fallen, manche
fliegen in ebener Linie, und die Kugeln aus den Büchsen
sind hinter sich längs ihres Laufs von ein wenig Rauch
begleitet.
Und die vordersten Gestalten wirst du staubbedeckt
machen, — die Haare und Augenbrauen und sonstige
flache Stellen, die geeignet sind, den Staub aufzuhalten.
Die Sieger wirst du laufend machen, Haare und sonstige
leichte Sachen im Winde zerstreut; die Augenbrauen
herabgezogen, jagt er die entgegengesetzten Gliedmaßen
zugleich nach vorn, d. h. wenn er den rechten Fuß voran-
schickt, daß der linke Arm auch mit vorkommt. Und
wenn du einen Gefallenen machst, so mache die Spur
des Ausgleitens, die durch den Staub in eine blutige
Lache führt, und ringsum in der mäßigen Durchfeuchtung
des Bodens lasse die Fußstapfen der Menschen und Pferde
abgedruckt sehen, die hier vorübergekommen sind.
Irgendein Pferd wirst du seinen Herrn zu Tode schleifen
lassen und hinter ihm durch Staub und Kot die Spur des
geschleiften Körpers machen. Die Besiegten und Ge-
schlagenen machst du bleich, die Augenbrauen dort, wo
sie zusammenstoßen, hochgezogen, und das Fleisch,
welches auf ihnen ruht, sei reich an Schmerzesfältchen.
Auf dem Nasenrücken seien ein paar Runzeln, die im
Bogen von den Flügeln ausgehen und beim Anfang des
Auges enden; die Nüstern hochgezogen, was der Grund
dieser Falten; die Lippen, im Bogen gekrümmt, entblößen
188
die oberen Zähne, und die Zähne trennen sich, wie um
mit Wehklage zu schreien. Eine von den Händen halte
sich wie ein Schild vor die angstvollen Augen, die Innen-
fläche dem Feind zukehrend, die andere stemme sich
gegen die Erde, um den erhobenen Rumpf zu stützen.
Andere mache schreiend, mit weit aufgerissenem Munde,
und fliehend. Du wirst zwischen den Füßen der Kämpfenden
viele Arten von Waffen machen, wie zerbrochene Schilde,
Lanzen, abgebrochene Schwerter und sonst dergleichen;
du machst tote Menschen, einige halb vom Staub bedeckt,
bei anderen den ganzen Staub, welcher sich mit dem
herausgeflossenen Blut vermischt, in roten Schlamm ver-
wandelt; und das Blut lasse in seiner Farbe sehen, wie
es gekrümmten Laufes aus dem Körper in den Staub
hinabfließt. Andere Tote lasse mit den Zähnen knirschen
oder die Augen verdrehen, die Fäuste an sich pressen
und die Beine krümmen. Man könnte auch irgendeinen
sehen, der vom Feind entwaffnet und niedergeschlagen,
sich nach diesem plötzlich umkehrt und mit Zähnen und
Nägeln grausame und wilde Rache nimmt; du könntest
ein Pferd leicht und ledig zeigen, das mit im Winde
flatternder Mähne zwischen die Feinde rennt und mit den
Beinen vielen Schaden tut; man sähe vielleicht einen
verstümmelt zu Boden gefallen, der sich mit dem Schilde
zum Schirm bedeckt, und den Feind herabgebeugt, um
mit Gewalt ihm den Tod zu geben.
Man könnte auch viele Männer in einem Haufen über
ein totes Pferd gefallen sehen. Einige von den Siegern
ließen schon vom Kampf ab und gingen aus dem Schwärm,
indem sie sich mit beiden Händen die Augen und die
Wangen von dem Kote reinigten, der durch die Tränen
hervorgerufen wurde, so die Augen dem Staub zuliebe
geweint. Man sähe die Reserveschwadronen voll Hoff-
nung und voll Mißtrauen stehen, mit gespannten Augen-
brauen, die sie mit der Hand beschatten, in den dichten
und wirren Dunst hineinschauen, in aufmerksamer Er-
189
Wartung des Kommandos ihres Hauptmanns. Und des-
gleichen den Hauptmann mit erhobenem Stock zu den
Hilfsscharen sprengen und ihnen die Stelle weisen, wo
ihrer schwere Not ist. Und irgendwelchen Fluß, darin
umher rennende Pferde, die das Wasser ringsum mit
trüben Wirbeln schäumender Wellen und wirren Wassers
füllen, das in die Luft und zwischen die Beine und die
Leiber der Rosse spritzt. Und keine flache Stelle machen,
ohne daß die Fußspuren darin mit Blut gefüllt wären.
Sintfluutudien. LXV. R. 608, MS. W. FOL. 158 r.
Sintflut und ihre Darstellung in der Malerei
Man sah die finstere und neblige Luft vom Lauf ent-
gegengesetzter Winde bekämpft und vom fortgesetzten
Regen eingehüllt und vermengt mit Hagel, welche Winde
bald hier, bald dort zahllose Verzweigungen der zerfetzten
Pflanzen und vermischt mit ungeheuer viel Blättern
trugen. Rings herum sah man die alten Bäume entwur-
zelt und zerbrochen von der Wut des Sturmes. Man
sah die Ruinen der Berge, schon bloßgelegten Fußes,
dank dem Lauf ihrer Flüsse, auf dieselben Flüsse in
Ruinen stürzen und ihre Täler sperren; welch selbige
Flüsse, angeschwollen, (die Ufer) überschwemmten und
die vielen Länder samt ihren Völkern unter Wasser
setzten.
Auch hattest du auf den Höhen der zahlreichen Gebirge
viele verschiedene Gattungen Tiere zusammengedrängt
sehen können, voll Entsetzen und nun endlich vertraulich
zusammengedrängt, in Gesellschaft der entflohenen Männer
und Frauen mit ihren Kindern. Und die mit Wasser be-
deckten Ebenen zeigten ihre Fluten zum großen Teil mit
Tischen, Bettgestellen, Barken und anderen verschiedenen
Geräten bedeckt, welche die Notwendigkeit und die Angst
, vor dem Tod erzeugt, auf denen Frauen, Männer waren
samt ihren zusammengemischten Kindern, mit den ver-
schiedensten Wehklagen und Tränen, entsetzt durch die
190
Wut der Winde, die mit ungeheuerem Sturm die Wasser von
oben nach unten kehrten, nebst den Toten, welche dieses
vernichtet hatte. Und es gab keinerlei Ding, leichter denn
das Wasser, so nicht bedeckt gewesen wäre mit verschie-
denen Tieren, welche Waffenstillstand geschlossen hatten
und in angstvoller Gesellung miteinander waren, unter
welchen Wölfe, Füchse, Schlangen und allerhand Sorten,
vor dem Tod Flüchtige. Und die ganze Flut, an ihre
Ufer schlagend, bekämpfte diese mit den verschiedenen
Stößen von allerlei Leibern Umgekommener, welch selbige
Stöße jene töteten, denen noch Leben geblieben war.
Einige Ansammlungen von Menschen hättest du sehen
können, die mit gewaffneter Hand die kleinen Flecke, so
ihnen geblieben, gegen Löwen, Wölfe und reißende Tiere
verteidigten, welche da ihr Heil suchten. Ach, wieviel
schreckliches Getöse vernahm man in der Finsternis der
Luft, welche von Donnern und von den Blitzen erschüttert,
sowie diesen verjagt wurde: die zerstörend selbige Luft
durchliefen, das niederschlagend, was sich ihrem Lauf
widersetzte! O, wie viele hättest du gesehen, die sich
mit den eignen Händen die Ohren verschlossen, um das
ungeheuere Getöse zu vermeiden, welches in der nächtigen
Luft von der Wut des mit Regen, him.mlischen Donner-
schlägen und der Wut der Blitzstrahlen vermischten Stur-
mes hervorgebracht wurde!
Andere, denen das Schließen der Augen nicht genügte;
sondern mit den eigenen Händen, die eine auf die andere
legend, bedeckten sich hierauf jene mit diesen, um das
grausame Gemetzel nicht zu sehen, das der Zorn Gottes
dem menschlichen Geschlechte widerfahren ließ. — - O,
wie viele Klagen, und wieviel Entsetzte warfen sich von
den Felsen! Man sah die großen Äste der großen Eichen,
mit Menschen beladen, von der Wut der ungestümen
Winde durch die Luft getragen. Wie viele waren die um
und um gewälzten Barken, und diese ganz und jene in
Stücken, alle mit Leuten voll, die sich um ihr Entkommen
191
mit schmerzlichen Gebärden und Bewegungen plagten,
die den furchtbaren Tod schon ahnten. Andere, mit de-
speraten Bewegungen, nahmen sich das Leben, daran
verzweifelnd, solchen Schmerz ertragen zu können: von
welchen einige sich von den hohen Klippen warfen, andere
sich die Kehle mit den eigenen Händen zuschnürten,
manche die eigenen Kinder nahmen und mit großer
Schnelligkeit ganz erschlugen, mehrere mit den eigenen
Waffen sich verwundeten und sich selber umbrachten,
andere sich auf die Knie warfen und sich Gott empfahlen.
Ach! wie viele Mütter beweinten ihre ertrunkenen Kinder,
selbe auf den Knien haltend, die geöffneten Arme gegen
Himmel hebend, und mit Stimmen, die sich aus unter-
schiedlichem Geheul zusammensetzten, schalten sie den
Zorn der Götter; andere, mit gefalteten Händen und
die Finger ineinander geschlungen, bissen und verzehrten
diese mit blutigen Bissen, indem sie sich vor ungeheuerem
und unerträglichem Schmerz mit der Brust zu den Knien
herabbogen.
Man sah die Herden von Tieren, wie Pferde, Ochsen,
Ziegen, Schafe, schon umgeben vom Wasser und auf
einer Insel auf den hohen Gipfeln der Berge geblieben,
sich zusammenzwängen und die in der Mitte sich empor-
heben und auf die anderen steigen und unter ihnen großen
Streit erregen, von denen eine Menge aus Mangel an
Nahrung starben.
Und schon setzten die Vögel sich auf die Menschen
und anderen Tiere, weil sie nicht mehr entblößte Erde
fanden, die nicht von Lebenden eingenommen war; schon
hatte der Hunger, Minister des Todes, einem großen Teil
der Tiere das Leben geraubt, als die toten Körper, bereits
in Gärung übergegangen, sich vom Grund der tiefen
Wasser hoben und heraufkamen. Und zwischen den
kämpfenden Wogen, auf welchen eins das andere gegen-
seitig hin- und herstieß und wie mit Wind gefüllte Bälle
zurücksprang vom Orte des Stoßes, machten diese sich zur
192
Unterlage besagter Toten. Und über dieser Verdamm-
nis sah man die Luft mit schwarzen Wolken bedeckt,
welche von den schlängelnden Bewegungen der rasend
gewordenen himmlischen Pfeile zerspalten wurden, die
bald da und bald dort das Dunkel der Finsternis er-
leuchteten.
Man nimmt die Bewegung der Luft wahr durch die Be-
wegung des Staubes, der vom Lauf des Pferdes aufge-
wühlt wird, die Bewegung von welchem so schnell ist im
Wiederausfüllen der Leere, so sie in der Luft hinterließ,
die sich mit dem Staub bekleidete, als die Geschwindig-
keit des selbigen Pferdes im Flüchten durch besagte Luft
gewesen. Und es wird dir vielleicht scheinen, als könntest
du mich tadeln, daß ich die Straßen dargestellt, welche
die Bewegung des Windes durch die Luft gemacht, weil der
Wind an sich in der Luft nicht gesehen wird. Auf diesen
Teil ist zu entgegnen, daß nicht die Bewegung des Windes,
jedoch die Bewegung der Dinge, die er trägt, allein es
ist, was man in der Luft wahrnimmt.
Abteilungen:
Dunkel, Wind, Meeressturm, Überschwemmung, brennende
Wälder, Regen, Blitzschläge vom Himmel, Erdbeben und
Bergstürze, der Erde gleichgemachte Städte.
Wirbelstürme, welche Wasser, Äste von Bäumen und
Menschen durch die Luft führen.
Von den Winden zerbrochene Äste, in den Lauf der
Winde gemischt, mit Menschen darauf.
Gebrochene Bäume, von Leuten belastet.
Schiffe in Trümmer geschlagen und gegen die Klippen
geschleudert.
Herden, Hagel, Blitz, Wirbelwinde.
Leute, die auf den Stämmen sind und sich nicht erhalten
können, Bäume und Felsen, Türme, Hügel voller Men-
schen, Barken, Tische, Backtröge und was sonst noch
schwimmen kann, Anhöhen bedeckt mit Männern und
13 Herzfeld, Leonardo
193
Frauen und Tieren; und Blitze aus den Wolken, so die
Dinge beleuchten.
Desgleichen. LXVI. R. 609, MS. W. FOL. 158 V.
Beschreibung der Sintflut
Zuerst sei dargestellt der Gipfel eines steilen Berges,
mit einigen Tälern, rings um seinen Fuß gelegen, und
auf den Seiten desselben sieht man die Rinde des Bodens
mit den feinsten Wurzeln kleiner Büsche sich erheben
und große Teile der umliegenden Felsen bloßlegen; ver-
heerendes Herabkommen solch eines Erdsturzes ; im Un-
gestüm des Laufes erschüttere und entblöße er die ge-
wundenen und knorrigen Wurzeln der großen Gewächse
und begrabe diese über und über. Und die Berge, nackt
gelegt, enthüllen die tiefen Spalte, welche frühere Erd-
beben hervorgerufen haben, und der Fuß dieser Berge
sei großenteils bedeckt und bekleidet mit den Ruinen der
Gesträucher, die von den Seiten der hohen Gipfel be-
sagter Berge herabgestürzt, welch selbige mit Schlamm
untermischt sind, Wurzeln, Baumzweigen, mit verschie-
denen Blättern, die dem Schlamm eingemengt sind, und
Erde und Steinen.
Und die Trümmer irgendwelcher Berge seien in die
Tiefe irgendeines Tales herabgestiegen und machten sich
zum Damm des angeschwollenen Wassers seines Flusses,
welcher Damm schon gebrochen ist, so daß er mit außer-
ordentlich großen Wogen abfließt, von denen die größten
die Mauern der Städte und Villen selbigen Tales er-
schüttern und zerstören. Und die Ruinen der hohen Ge-
bäude vorbesagter Städte mögen großen Staub aufwirbeln,
das Wasser hebe sich in Form von Rauch oder ein-
gehüllter Wolken in die Höhe und bewege sich dem
herabfallenden Regen entgegen. Aber das angeschwollene
Wasser gehe wirbelnd durch den See, der es in sich
verschließt, und mit kreisenden Strudeln gegen verschie-
dene Objekte prallend und mit schlammigem Schaum in
194
die Luft aufspringend und im Zurückfallen das gepeitschte
Wasser in die Luft zurückwerfend. Und die Kreiswellen,
die vom Ort des Stoßes wegfliehen, mit ihrem Anstoß
quer über die Bewegung der andern Kreiswellen hinweg-
gehend, die sich ihnen entgegenbewegen; und nach dem
vollzogenen Anprall steigen sie wieder in die Höhe, doch
ohne sich von ihrer Basis abzutrennen. Und beim Aus-
tritt des Wassers aus selbigem See sieht man die auf-
gelösten Wellen sich gegen den Ausgang zu strecken,
nach welchem es, durch die Luft abstürzend oder hinab-
fließend. Gewicht und ungestüme Bewegung bekommt,
worauf es, das durchgewühlte Wasser durchdringend, es
vor sich öffnet und mit Wut zum Anprall des Bodens
vordringt, von welchem, dann zurückgeworfen, es gegen
die Oberfläche des Sees zurückspringt, von Luft begleitet,
die mit ihm untergetaucht war und mit dem Schaum beim
Ausfluß bleibt, untermengt mit Holzstücken und andern
Sachen, die leichter sind als das Wasser, rings um welche
die Wellen ihren Ursprung nehmen, die um so mehr an
Umfang wachsen, je mehr sie an Bewegung zunehmen:
und diese Bewegung macht sie um so niedriger, je brei-
tere Basis sie erwerben, und dadurch sind sie weniger
bemerkbar in ihrem Schwinden. Aber wenn die Wellen
an den verschiedenen Dingen abprallen, so springen sie
zurück, über die herankommenden andern Wellen weg,
indem sie das Anschwellen derselben Kurve beobachten,
die sie erreicht hätten, wenn sie die schon begonnene
Bewegung weiter verfolgt hätten.
Aber der Regen, im Herabfallen aus seinen Wolken,
hat die gleiche Farbe wie selbige Wolken, das heißt, in
seinem schattigen Teil, wenn nicht die Strahlen der Sonne
ihn schon durchdringen: denn sofern dies wäre, würde
der Regen sich von minderer Dunkelheit erweisen als
dieselbige Wolke. Und wenn die großen Gewichte der
ungeheueren Trümmer großer Berge oder sonstiger hoher
Gebäude in ihrem Zerfall die großen Seen aufwühlten,
13«
195
dann würden große Massen Wasser in die Luft zurück-
springen, von welchem die Bewegung sich in entgegen-
gesetzter Richtung von jener vollzöge, welche die Be-
wegung der das Wasser durchstoßenden Massen gehabt,
das heißt, im Reflexionswinkel, und dieser wäre gleich
dem Einfallswinkel.
Von den Gegenständen, die der Lauf des Wassers
fortträgt, werden sich jene am meisten von den gegen-
überliegenden Ufern entfernen, die am schwersten oder
am zahlreichsten sind. Die Wirbel des Wassers in ihren
Teilen sind um so rascher, je näher sie ihrem Mittel-
punkte sind. Die Spitzen der Wogen des Meeres steigen
unter ihre Basis herab, sie bekämpfend und sich reibend
auf den Kugelblasen der Oberfläche: und diese Reibung
zerquirlt das herabfallende Wasser in winzige Teilchen,
die, in dicken Nebel verwandelt, sich in den Lauf der
Winde nach Art sich kräuselnden Rauches und sich ballen-
der Wolken mischen und zum Schluß sich in die Luft
heben und zu Gewölk werden. Doch der Regen, der vom
Himmel herabfällt, bekriegt und gepeitscht vom Lauf der
Winde, wird stark oder schwach, je nach der Stärke oder
Schwäche des Windes, und dadurch entsteht in der Luft
eine Überflutung von Durchsichtigem, erzeugt vom Fall
des Regens, welcher dem Auge nahe ist, so sie wahrnimmt.
Die Wogen des Meeres, welche sich an der Senkung der
Berge brechen, so mit ihm zusammentreffen, werden
schäumen, mit Geschwindigkeit gegen den Rücken ge-
nannter Höhen branden, und im Zurückkehren werden
sie mit dem Herankommen der zweiten Woge zusammen-
treffen, und nach ihrem großen Tosen kehren sie mit
riesigem Schwall zum Meere zurück, von dem sie aus-
gingen. Große Mengen von Völkern, Menschen und ver-
schiedenen Tieren sieht man vom Steigen der Flut gegen
die Gipfel der Berge verjagt, die besagten Wassern be-
nachbart sind.
Wogen des Meeres von Piombino, ganz aus Wassergischt.
196
Vom Wasser, das aufspringt; die Winde von Piombino;
in Piombino Wirbel von Wind und Regen, mit Ästen und
Bäumen, in den Wind gemischt; Ausleeren des Wassers,
das in die Barken regnet.
LXVII. MS. G. FOL. 6 V. Desgleichen.
Darstellung der Sintflut
Die Luft war finster vom dichten Regen, der in schrä-
gem Fall, gebogen durch den queren Lauf der Winde,
Wellen durch die Luft hin machte, nicht anders als man
es den Staub machen sieht, aber nur mit der Abweichung,
daß solche Überflutung von Linien durchzogen ist, her-
vorgerufen durch die kleinen Tropfen des Wassers, so
herabkommt. Aber seine Farbe war gefärbt vom Feuer,
erzeugt von den Blitzen, Spaltern und Vierteilem der
Wolken, deren Flammen die großen Seen der gefüllten
Täler durchzuckten und öffneten, welche Öffnungen in
deren Bäuchen die gebogenen Wipfel der Bäume zeigten.
Und Neptun sah man inmitten der Wasser mit dem Drei-
zack, und man sah Äolus mit seinen Winden die schwim-
menden entwurzelten Gewächse, mit den unendlichen
Wogen vermischt, einhüllen. Der Horizont mit der ganzen
Hemisphäre war aufgewühlt und durchflammt von der Glut
der unaufhörlichen Blitze. Man sah die Menschen und
die Vögel, die mit sich die großen Bäume füllten, so von
den ausgeweiteten Wogen bloß gelassen, Hügel bildeten,
welche die großen Wasserschlünde umgaben.
mmm viii. entwürfe zu Briefen
GUTACHTEN /BESCHREIBUNGEN
ERZÄHLUNGEN liüüMigüüiSigiS
Entwurf des
Briefes, den Leo-
nardo, wahr-
scheinlich schon
von Florenz aus,
um 1480 hemm an
Lodovico Sforza,
genannt il Moro,
richtet, am ihm
seine Dienste an-
zubieten. Der
Entwurf ist mög-
licherweise nicht
von Leonardos
Hand geschrie-
ben , vielleicht
diktiert und um-
gestellt, worauf
der Fehler in der
Numerierung der
Paragraphen hin-
deutet.
MS. CA. FOL. 391 r.
achdem ich, erhabener Herr, nunmehr zur Ge-
nüge die Proben von allen jenen gesehen und
betrachtet habe, die sich Meister wähnen und
Kompositoren von Kriegsgeräten, und die Er-
findung der Wirkung besagter Geräte in nichts
entfernt ist (von jenen) allgemeinen Gebrauches: werde ich
mich anstrengen, ohne irgendeinem andern Abbruch zu tun,
Euerer Exzellenz mich zu Gehör zu bringen, indem ich
derselben meine Geheimnisse mitteile, um nachher, sie
ihr zu jeglichem Belieben anbietend, wenn die Zeiten
sich schicken, auch alle jene Sachen zur Wirkung auszu-
arbeiten, die in Kürze zum Teil hier unten aufgezeichnet
werden.
1) Habe ich Arten von Brücken, sehr leichte und starke
und geeignet, aufs bequemste getragen zu werden und
mit jenen den Feinden zu folgen, und manches Mal (vor
ihnen) zu fliehen, und andere, sicher und unverletzlich
in Feuer und Schlacht, leicht und bequem wegzunehmen
und aufzustellen. Und Arten, jene des Feindes zu ver-
brennen und zu zerstören.
2) Weiß ich bei der Belagerung eines Platzes das Wassei
der Gräben wegzunehmen und unendliche Brücken, Mauer-
brecher und Leitern und andere Geräte zu machen, die
zu benannter Expedition gehören.
3) Item, wenn wegen Höhe des Ufers oder wegen Festig-
keit von Ort und Lage man bei Belagerung eines Platzes
198
nicht den Dienst der Bombarden verwenden könnte, habe
ich Arten, jede Burg oder andere Festung zu zerstören,
wenn sie nicht etwa oben auf einem Felsen gegründet
wäre usw.
4) Habe auch Arten von Bombarden, äußerst leicht und
bequem zu tragen. Und mit jenen kleine Steine zu
schleudern, fast ähnlich einem Ungewitter. Und mit dem
Rauch von jenen dem Feinde großen Schrecken gebend,
mit ernstem Schaden für ihn und Verwirrung usw.
9) Und geschähe es, daß man auf der See wäre, so
habe ich Arten von vielerlei Geräten, höchst geeignet
zum Angreifen und Verteidigen: und Schiffe, die Wider-
stand leisteten gegen das Abfeuern von jeder allergrößten
Bombarde : und Pulver und Rauch.
5) Auch habe ich Arten, durch Höhlungen und geheime
und gewundene Wege, ohne irgendwelchen Lärm gemacht
zu haben, zu einem bezeichneten (Punkt?) zu kommen,
selbst wenn man unter Gräben oder irgendeinem Fluß
passieren müßte.
6) Item werde ich Wagen machen, bedeckt und sicher,
unangreifbar, welche mit ihrer Artillerie zwischen die
Feinde so hineinfahren, daß keine so große Menge von
Waffenleuten existiert, die sie nicht brächen. Und hinter
diesen könnte Infanterie recht unverletzt und ohne Hin-
dernis folgen.
7) Item, wenn der Notfall käme, würde ich Bombarden
machen, Mörser und Pasvolanten von allerschönsten und
nützlichen Formen, ganz außerhalb jener des allgemeinen
Gebrauchs.
8; Wo die Wirkung der Bombarden fehlte, würde ich
Katapulte zusammensetzen, Wurfmaschinen, Donnerbüchsen
und andere Geräte von bewundernswerter Wirksamkeit
und außerhalb des Gebräuchlichen. Und im ganzen, nach
der Mannigfaltigkeit der Fälle, würde ich verschiedene
und unzählbare Sachen zum Angreifen komponieren und
zum ....
199
10) In Zeiten des Friedens glaube ich aufs beste, in
Vergleich mit jedem anderen, in der Architektur, im Ent-
wurf von Gebäuden, sowohl öffentlichen als privaten,
Genüge leisten zu können. Und im Leiten von Wasser
von einem Ort zum anderen.
Item werde ich Skulptur ausführen in Marmor, in Bronze
und in Ton; ebenso in Malerei, was sich machen läßt,
in Vergleich mit jedem anderen, und sei er, wer er
wolle.
Auch werde ich ins Werk setzen können jenes Pferd
von Bronze, das unsterblicher Ruhm sein wird und ewige
Ehre dem glücklichen Angedenken Eueres Herrn Vaters
und des erlauchten Hauses Sforza.
Und wenn irgendeine der obenerwähnten Sachen irgend-
wem unmöglich und unausführbar schiene, erbiete ich
mich aufs bereitwilligste, davon das Experiment zu
machen, in Euerem Park oder an welchem Ort es Euerer
Exzellenz belieben wird, welcher ich mich demütigst, so
sehr ich kann, empfehle usw.
fl5;"Ä'"i)fm "• MS. CA. FOL. 270 r.
GatZien'''ab- Meine Herren abgesandten Väter, so wie Ärzten, Vor-
^ends^eiwähnu "^ündem, Pflegern von Kranken notwendig ist, zu wissen,
was der Mensch ist, was das Leben ist, was Gesundheit
ist und in welcher Weise eine Parität, eine Konkordanz
der Elemente sie erhält und ebenso eine Diskordanz von
jenen sie zerstört und vernichtet, und so wie der, welcher
die obbezeichneten Naturen gut kennt, besser imstande
sein wird, sie herzustellen, als wer dieser Kenntnis ent-
blößt ist . . .
Ihr wisset, daß die Medizinen, gut angewendet, den
Kranken die Gesundheit zurückgeben; dieses „gut an-
gewendet" wird stattfinden, wenn der Arzt, mit dem Ver-
stehen ihrer Naturen, verstehen wird, was der Mensch
ist, was das Leben ist, was Leibesbeschaffenheit und also
Gesundheit ist. Diese gut kennend, wird er gut dessen
200
Gegenteil kennen; wenn dem so ist, wird er gut wieder-
herstellen können ....
Ihr wisset von den Medizinen, daß sie, gut angewendet,
den Kranken die Gesundheit wiedergeben, und jener, der
sie gut kennt, wird sie gut anwenden, wenn er überdies
noch wissen wird, was der Mensch ist, was Leben und
KörperbeschafFenheit ist, was Gesundheit ist; diese gut
kennend, wird er auch ihr Gegenteil kennen: wenn dies
der Fall ist, wird er dem Wiederherstellen näher sein
als irgendwer anderer. Dies gleiche braucht der kranke
Dom, das heißt, einen ärztlichen Architekten, der gut
verstehe, was ein Gebäude ist und von welchen Regeln
das richtige Bauen herstammt, und woher diese Regeln
gezogen sind, und in wie viele Teile sie geteilt sind, und
welches die Gründe sind, die das Gebäude zusammen-
halten und es dauernd machen, und welches die Natur
der Schwere sei, und welches das Verlangen der Kraft
sei, und in welcher Art sie verflochten und miteinander
verbunden werden müssen, und, wenn vereinigt, welchen
Effekt sie hervorbringen werden. Wer von den oben-
genannten Dingen wahre Kenntnis hat, wird Euch von
seiner Vernunft (rason) und Arbeit befriedigt sein lassen.
Also deswegen werde ich mich, ohne jemanden herab-
zuziehen, zu verschwärzen, bemühen, teils durch Gründe,
teils durch das Werk Genüge zu tun, indem ich manches
Mal die Wirkungen aus den Ursachen demonstriere,
manches Mal die Gründe durch die Erfahrungen bekräf-
tige und diese mit einiger Autorität der antiken Archi-
tekten schmücke, deren Gebäude die Probe bestanden
und (zeigen), welches die Gründe ihres Ruins und ihrer
Erhaltung sind usw.
Und mit diesem demonstrieren, welches die erste Auf-
gabe ist und welches und wie viele die Ursachen seien,
die den Gebäuden Ruin bringen, und welches die Art
ihrer Unveränderlichkeit und Dauer ist.
Aber um Eueren Exzellenzen nicht gar zu weitschweifig
201
zu sein, werde ich zuerst die Erfindung des ersten Ar-
chitekten des Domes sagen und klar demonstrieren, was
seine Absicht gewesen, diese am begonnenen Gebäude
bestätigend, und indem ich Euch dies verstehen mache,
werdet Ihr klar zu erkennen vermögen, daß jenes Modell,
das ich gemacht habe, die Symmetrie, die Übereinstim-
mung, die Gleichförmigkeit besitzt, die dem angefangenen
Bauwerk angehört.
Was ein Gebäude ist, und woher die Regeln des rich-
tigen Bauens ihre Herkunft haben, und welches und wie
viele die Teile seien, die zu jenem gehören.
Mich oder anderen, der es besser demonstrierte als ich,
nehmt ihn Euch, setzet jede Leidenschaft beiseite.
Leonardo warnt m. MS. CA. FOL. 323 r.
die Bauverweser
des Domes von Piacenza ist Durchgaugsboden wie Florenz
Piacenza, den ° °
B%nzetürVn Erhabene Bauverweser, da ich vernehme, Euere Magni-
wtglben!^ pia- ßzcnzcn hätten den Entschluß ergriffen, gewisse große
cenza gehörte dar Arbeiten aus Bronze zu machen, will ich Euch über sie
mais za Mailand. '
einige Mahnungen geben, erstens, daß Ihr nicht so eilig
und so rasch seiet, selbige Bestellung zu erteilen, weil
durch selbige Schnelligkeit Euch der Weg benommen
würde, eine gute Auswahl des Werkes zu machen und
zum Meister irgendwelchen Mann (. . .), der durch seine
Unzulänglichkeit bei Eueren Nachfolgern mit Schmach be-
decken würde sowohl Euer Zeitalter als ... da Italien
bis hieher (finici) voll guter Köpfe ist, was andeuten
würde, daß (hier) dieses Zeitalter schlecht versehen ist
mit Leuten von gutem Verstand sowohl als guten Meistern :
da man doch sieht, wie die andern Städte, und am mei-
sten die Stadt der Florentiner, fast zu gleichen Zeiten
mit so schönen und großen Werken von Bronze begabt
ist, unter welchen die Pforten des Baptisteriums; welches
Florenz, gerade wie Piacenza, Durchgangsboden ist, wo
viele Fremde zusammenströmen, die, wenn sie die guten
und schönen Werke betrachten, von ihnen sich selbst den
202
Eindruck verschaffen, jene Stadt sei mit würdigen Ein-
wohnern versehen, wenn sie die Werke, Zeugen selbiger
Meinung, anschauen, und das Gegenteil, wenn sie so viel
Aufwand an Metall so traurig verarbeitet sehen, daß es
der Stadt geringere Schande sein würde, wenn selbige
Türen aus einfachem Holze wären, weil die wenige Aus-
gabe für das Material nicht großer Ausgaben für die Be-
meisterung wert erschiene, daher es . . .
Die hauptsächlichen Teile, so man in den Städten auf-
sucht, sind die Dome derselben, von welchen, wenn man
sich genähert, die ersten Dinge, so dem Auge erscheinen,
die Türen sind, durch welche man in selbige Kirchen
hineingehen kann . . .
Gebt wohl acht, Ihr Herren Bauverweser, daß die allzu
große Hast, den Auftrag so großen Werkes mit so viel
Eile zur Erledigung bringen zu wollen, wie ich es höre,
daß es von Euch angeordnet sei, nicht Ursache werde,
daß jenes, so zu Ehren Gottes und der Menschen ge-
macht wird, zur großen Unehre Eueres Urteils und Euerer
Stadt ausschlage, die, weil es ein würdiger Platz ist, ein
Ort des Durchgangs ist und Zusammenlaufs unzählbarer
Fremden. Und diese Unehre widerführe, wenn Ihr durch
Euere Sorglosigkeit irgendeinem Prahlhans Glauben
schenktet, welcher durch seine Aufschneidereien oder
durch Gunst, so ihm von hier aus erwiesen würde, von
Euch ein ähnliches Werk erreichen möchte, durch welches
sich ihm und Euch lange und größte Ehrlosigkeit gebären
müßte, was nicht geschehen kann, ohne daß ich zornig
werde, wenn ich überlege, was für Männer es sind,
die mir alle mitgeteilt haben, in ein ähnliches Unter-
nehmen eintreten zu wollen, ohne an ihre Unzulänglich-
keit zu denken. Ohne davon anderes zu sagen: einer Herm" =
ist Meister von Pokalen, einer von Kürassen, einer f^J^'^'^^ ^^
Glockenmacher, einer Klingelmacher, und bis zum Bom- Leonardo stets
*^ Lodovico Sforza
bardenmacher herab, unter welchen einer des Herrn sich au den Beherr-
berühmt hat, daß, weil er der Kumpan des Messer Am- land bezeichnet.
203
rio^^Balte^nkom- ^Fosio Fercrc ist, QT irgendeinen Auftrag habe und von
missär ''f/'^/'«^- seiner Seite gute Versprechungen, und wenn dieses nicht
genügte, daß er zu Pferde' steigen und zum Herrn gehen
werde und von ihm solchen Brief erlangen, daß von Euch
ihm ein derartig Werk niemals verweigert werden könnte.
Nun schauet, wohin die armen Beflissenen, so zu ähn-
lichen Werken geeignet wären, geraten sind, wenn sie
mit derartigen Männern zu wetteifern haben!
(Randanmerkung.) Mit welcher Hoffnung können sie
Belohnung ihrer Tüchtigkeit (virtù) erwarten!
Öffnet die Augen und wollet gut zusehen, daß Euer Geld
nicht ausgegeben werde. Euere Schande zu kaufen. Ich
weiß Euch anzumelden, daß aus diesem Boden Ihr nichts
anderes ziehen werdet, denn Arbeiten von derber und
von niedriger und grober Mache; nicht ein Mann ist da,
der tauge, und glaubet es mir, außer L(e)onar(do) der Flo-
rentiner, so das Pferd des Herzogs Francesco in Bronze
macht, welcher nicht notwendig hat, auf das zu achten,
weil er zu tun hat für die Zeit seines Lebens, und ich
zweifle, weil es ein gar so großes Werk ist, daß er es
jemals zu Ende bringe.
MS. CA. FOL. 323 v.
(Dieser folgende Passus ist durchgestrichen:) [Da habet
Ihr einen, den der Herr (Lodovico), um dieses Werk zu
machen, aus Florenz hergezogen, welcher ein würdiger
Meister ist, doch er hat so viel, so viel Beschäftigung,
daß er nie damit wird fertig werden.
Was meint Ihr, was für ein Unterschied es sei, eine
schöne Sache zu sehen, oder eine häßliche, erwähnt
Plinius.]
Bruchstück eines IV. MS. CA. FOL. 62 r.
Briefes an seinen
Vater. Tcuerstcf Vater! Am letzten des vergangenen empfing
ich den Brief, so Ihr mir schriebt, welcher in kurzem
Zwischenraum mir Freude und Betrübnis gab. Freude
insofern, als ich durch ihn vernahm, daß Ihr gesund seid,
204
wofür ich Gott Dank sage ; ich empfand Betrübnis, weil
ich von Euerer mißlichen Lage hörte.
V. MS. CA. FOL. 65 V. 2» Planen über
neue Städtebau-
Gib mir Autorität, damit ohne deine Unkosten es ge- '«"• vielleicht
° anläßlich der
schehe, daß alle Besitzungen ihren Häuptern gehorchen, Pest von^ i484
welche Häupter ... (?) weicher àngeb-
Der vorherige Ruhm wird ewig, zugleich mit den Ein- 5000'oMe^cTen
wohnern der Städte, die von ihm erbaut oder vergrößert ^t<^'-cen.
worden.
Der Grund des Gewässers, das hinter den Gärten ist,
sei hoch wie die Ebene der Gärten, und mittels der Aus-
flußrohre (spine) mögen sie jeden Abend ihnen Wasser
geben können, so oft als es sich staut, indem man die
Reservoirs um eine halbe Elle hebt; und dazu seien die
Stadtältesten verhalten . . .
Und nichts werde in die Kanäle geworfen, und daß jede
Barke gezwungen sei, so und so viel Unrat des Haupt-
kanals hinauszuführen und ihn dann aufs Ufer zu werfen . . .
Es werden aus 10 Städten fünftausend Häuser mit
30000 Einwohnern zu ziehen sein, und du wirst zer-
streuen so viel Zusammenhäufung von Volk, das, in
Gleichnis der Ziegen, eins auf dem Rücken des anderen
steht, jedes Tor mit Gestank erfüllend, und sich zum
Samen pestilenzialischen Todes machend.
Und die Stadt macht Schönheit zur Gesellin ihres Na-
mens, und dir sich durch Gaben nützlich, und durch den
ewigen Ruhm ihres Wachstums . . .
VI. R. 1342, MS. S. K. M. III. FOL. 23 v. f^odell.
Es gefalle euch anzusehen ein Modell, von welchem
Nützliches erwachsen wird für euch und für mich und
Nützlichkeit für jene, die Ursache unserer Nützlichkeit
waren.
VII. R. 1343, MS. S. K. M. III. FOL. 79 V. Um Schmierig-
keiten za Plänen
Hier sind. Signore, viele Edelleute, welche diese Aus- /"'■ Kanaibaaten
' ° ' , za beseitigen,
gäbe untereinander aufbringen werden, wenn man sie
205
das Erträgnis des Wassers genießen läßt, Mühlen und
das Passieren der Schiffe, und wenn selbiges verkauft
ist, wird den Preis der Kanal von Martesana zurück-
erstatten . . .
Briefent^urf, der VUL MS. CA. FOL. 315 V.
leider durch Feh- D^g Nein tut mir so leid ... zu sein.
len eines Stuckes
vom Blatt unvoll- Recht Sehr tut es mir leid, in Not zu sein: aber am
kommen erhalten
ist. An Lodovico meisten schmerzt mich, daß jene Grund sei, mein Ver-
Moro gerichtet, , , , . . . _,
wahrscheinlich langen zu unterbrechen, so immer geneigt ist. Euerer
Te'ine/zeit7wò Exzelleuz ZU gchorchen.
irr"'die''Art?'ten Es tut mir recht sehr leid, daß du mich verlan(gt) ...
<us Herzogs im habest iu Not gefunden und daß mein den Lebensunter-
òticn gelassen °
hatte und viel- halt gewinnen müssen mich unterbrechen machte . . .
leicht technische _., , ...i,^ .,t,
Arbeiten (Ma- Rccht sehr tut es mir leid, daß mein den Lebensunter-
^'^ föhrte'!'"' halt gewinnen müssen mich zu unterbrechen (gezwungen)
habe, das Werk zu verfolgen, so Euere Herrlichkeit be-
reits mir auftrug; aber ich hoffe in kurzem so viel ver-
dient zu haben, daß ich mit ausgeruhtem Gemüt Euerer
Exzellenz werde Genüge tun können, welcher ich mich
empfehle, und wenn Euere Herrlichkeit bei sich glauben
sollte, daß ich Geld hätte, würde Sie sich täuschen, denn
ich habe 6 Münder 36 Monate lang erhalten und nur
Gualtieri di SO Dukatcn bekommen. Vielleicht daß Euere Exzellenz
Cottavreti , die
rechte Hand des Mcsser Gualtieri nichts anderes auftrug, glaubend, daß
Lodovico Sforza. . , ^^ , , , ..
ich Geld hatte . . .
Briefentwurf,
auch an Lodovico IX. MS. CA. FOL. 335 V.
gerichtet , den
Leonardo stets Und wcnn Ihr mir nicht mehr irgendeinen Auftrag gebt
mit „Signore'' be- & o &
zeichnet, von der ZU irgendeiner . . . der Belohnung meines Dienstes, weil
Zeit her, wo Moro . , , . . i » • » • ..
wohl Herr von ich nicht imstandc bin, zu . . . was Anweisungen, weil
ni^h^recMmafii- SÌ e Einnahmen haben von ... die sie wohl in Ordnung
war,sondIrnbioß bringen können, mehr denn ich . . . nicht meine Kunst,
„Fifcar- des un- welche ich wechscln will, und . . . irgendwelches Klei-
mundigen und bis j o
zu seinem Tod dungsstück gegeben [wenn ich eine Summe] . . . Signore!
tenen Gian Ga- da mir bewußt, daß der Sinn Euerer Exzellenz beschäftigt
seines Neffen^ ist ... Eucrer Herrlichkeit meine kleinen (Angelegen-
206
Das „Pferd' —
Entwarf des
Reiterdenkmals,
dessen Gaß
80 000 Kilo
Bronze gefordert
hätte.
heilen?) zurückzurufen, und ich hätte sie in Stille ge-
hüllt, . . . daß mein Schweigen Grund wäre, Euere Herr-
lichkeit ungnädig zu machen . . . mein Leben zu Eueren
Diensten hält mich fortwährend bereit, zu gehorchen . . .
Vom Pferd werde ich nichts sagen, weil ich die Zeiten
kenne, . . . Euerer Herrlichkeit, wie ich im Guthaben des
Gehaltes von 2 Jahren blieb . . . mit zwei Meistern,
welche fortwährend bei mir in Gehalt und Ausgabe standen
. . . daß zum Schluß ich von besagtem Werk schließlich
etwa 15 Lire Vorteil hatte. Nun . . . Werke von Ruf, durch
welche ich jenen, die kommen werden, zeigen könnte,
ich sei gewesen . . . Allesmacher; aber ich weiß nicht,
wo ich meine Werke verausgaben könnte, um zu . . .
mein darauf achten müssen, mir das Leben zu verdienen
. . . weil (Euere Herrlichkeit?) nicht unterrichtet war, [in
welcher Lage ich mich befinde, wie ich auch mich] . . .
erinnert sich an den Auftrag des Malens der Camerini
. . . Euerer Herrlichkeit darbrachte, von derselben bloß
verlangend . . .
X. MS. CA. FOL. 202 v.
Mein allerliebster Bruder, nur dieses, um dir zu sagen,
daß in den letzten Tagen ich einen (Brief) von dir hatte,
aus dem ich ersah, daß du Strafantrag (erete) erlangt
hast, aus welcher Sache ich errate, was für eine außer-
ordentliche Freude du dir machtest; wodurch, da ich dich
für klug erachte, ich im ganzen darüber klar bin, daß
ich so fern davon bin, ein gutes Urteil zu haben, wie du
von der Klugheit, nachdem du dich gefreut hast, dir einen
emsigen Feind geschaffen zu haben, der mit all seinem
Schweiße die Freiheit erwünschen wird, die nicht sein
wird ohne deinen Tod . . .
XL MS. CA. FOL. 372 V. Entwarf zu einem
Brief an Charles
Ich habe den Verdacht, ob meine geringe Vergütung d'Amboise, Mar-
der großen Benefizien, die ich von Euerer Exzellenz er- mont,statthaUer
halten habe. Euch nicht etwa gegen mich habe erzürnen Mauand—wahr-
Die Camerini,
kleine Gemächer
im Kastell; 1498
hat dann, wie
Briefe des Gual-
tiero bezeugen,
Leonardo sie be-
malt.
An einen der
Brüder Leo-
nardos.
207
bS^nii, wäk- gemacht, und zwar, weil von allen Briefen, welche ich
rend Leonardo EuercF Herrlichkeit geschrieben habe, ich auf keinen
wegen Lro- " '
schaftsstreitig- AntwoFt bekommen habe. Jetzt sende ich jenen Salai,
keifen m Florenz _,
weilte, geschrie- UTTi Euere Herrlichkeit verstehen zu machen, daß ich
ziemlich am Ende des Rechtshandels bin, den ich mit
meinen Brüdern habe, und daß ich glaube, mich diese
Ostern dort (in Mailand) zu befinden und zwei Gemälde
von zweien Unserer lieben Frauen von verschiedener
Größe mit mir zu bringen, die für unseren allerchrist-
lichsten König, oder für wen sonst es Euerer Herrlichkeit
gefalle, g:emacht sind. Es wäre mir wohl lieb, bei meiner
Rückkehr dorthin zu wissen, wo ich für den Augenblick
bleiben sollte, um Euerer Herrlichkeit nicht mehr Miß-
vergnügen zu machen, und auch, nachdem ich für den
Allerchristlichsten gearbeitet habe, ob mein Gehalt fort-
zulaufen habe oder nicht. Ich schreibe dem Präsidenten
uonard^"n509 ì^^^^ Wassers, welches mir der König gab, in dessen
etwa) „12 Unzen Besitz ich nicht gesetzt worden bin, weil zu jener Zeit
Wasser'^ ge-
schenkt, zu ent- im Schiffahrtskanal durch die große Dürre daran Mangel
nehmen dem Ka- j m • » - j • i.. i.
nai von Gozzano, War, Und weil scme Ausmundungen nicht geregelt waren;
'^' 'ming^wn^'^' ^^^^ wohl vcrsprach er mir, sobald diese Regelung ge-
d^s ^Tages^''"i'e "lacht sci, ich in dessen Besitz gesetzt würde, so daß
^'^K yk ^'^^° ^'^^ Euere Herrlichkeit bitte, jetzt, da solche Mündungen
geregelt sind, den Präsidenten an meine Erledigung er-
innern zu lassen, mir nämlich den Besitz jenes Wassers
zu geben, weil bei meiner Ankunft ich darauf Geräte
und Dinge zu machen hoffe, welche unserem allerchrist-
lichsten König zu großem Vergnügen sein werden. An-
deres fällt mir nicht ein. Ich bin immer zu Eueren Be-
fehlen.
In gleicher An- XII. MS. CA. FOL. 372 V.
gelegenheit an
den Präsidenten Hohcr Präsident, ich sende Salai, meinen Schüler, wel-
des Amtes, dem .. ' '
die Aufsicht aber eher der Überbringer dieses ist, und von ihm werdet Ihr
lierung and die mündlich den Gruud erfahren meines vielen . . .
""gen'^waf.*'^'^' Hoher Präsident, ich ...
208
Hoher Präsident, mich öfters der Anerbietungen er-
innernd, welche Euere Exzellenz mir mehrere Male ge-
macht, habe ich die Sicherheit geschöpft, schreiben zu
dürfen und derselben die Versprechungen zurückzurufen,
die ich bei der letzten Abreise erhalten, nämlich des
Besitzes jener 12 Unzen Wasser, so mir vom allerchrist-
lichsten König gegeben wurden; Euere Herrlichkeit weiß,
daß ich niemals in Besitz selbiger trat, weil in jener Zeit,
als sie mir geschenkt wurden, Mangel an Wasser im
Kanäle war, sowohl wegen der großen Dürre als wegen
seiner noch nicht geregelten Ausmündungen; doch mir
wurde von Euerer Exzellenz versprochen, daß, wenn solche
Regelung gemacht sei, ich mein Erwartetes haben würde;
hierauf vernehmend, daß der Kanal ausgebessert sei,
schrieb ich mehrere Male an Euere Herrlichkeit und
Messer Girolamo da Cusano, welcher das Papier mit der
Schenkung bei sich hat; und ebenso schrieb ich dem
Corigero und erhielt niemals Antwort. Nun sende ich
Salai hin, meinen Schüler, Überbringer dieses, welchem
Euere Herrlichkeit wird alles mündlich sagen können,
was geschehen ist, um welche Sache ich Euere Exzellenz
bitte. Ich glaube, diese Ostern dort (in Mailand) zu sein,
weil ich mit meinem Rechtshandel fast zu Ende bin, und
ich werde zwei Bilder Unserer lieben Frau mit mir bringen,
die ich begonnen habe, und in den Zeiten, die ich vor
mich gebracht, habe ich sie in recht guten Hafen geführt.
Anderes fällt mir nicht ein.
XIII. MS. CA. FOL. 372 V. In gleicher An-
gelegenheit an
Guten Tag, Messer Francesco; helf mir Gott, daß auf Francesco Meizi.
so viele Briefe, die ich Euch geschrieben habe, Ihr mir
niemals geantwortet habet. Nun wartet bloß, daß ich
dorthin komme; bei Gott, ob ich Euch nicht so viel werde
schreiben lassen, daß es Euch vielleicht leid tun wird.
Mein lieber Messer Francesco, ich sende Salai hin, um
von der Magnifizenz des Präsidenten zu hören, welches
14 Herzfeld, Leonardo
209
Ende die Regelung des Wassers genommen, die bei meiner
Abreise für die Ausläufer des SchifFahrtskanales angeord-
net wurde, weil der hohe Präsident mir versprach, daß
sofort, wenn solche Regelung gemacht, ich erledigt würde.
Nun ist es einige Zeit, daß ich vernahm, der Kanal werde
ausgebessert, und gleicherweise seine Ausläufer, und
gleich schrieb ich dem Präsidenten und Euch, und wieder-
holte nachher, und nie bekam ich Antwort. Also werdet
Ihr die Gnade haben (degnerete), mir zu antworten, was
erfolgt ist, und wenn es nicht beim Erledigen ist, sei es
Euch aus Liebe zu mir nicht leid, den Präsidenten und
ebenso Messer Girolamo da Cusano ein wenig zu mahnen,
welchem Ihr mich empfehlen werdet und Seiner Magni-
fizenz mich darbieten.
Bezieht sich
gleichfalls auf
die Schenkung
des Königs, die
Leonardo für hy-
draulische Arbei-
ten am Kanal
von S. Cristofano
erhalten.
XIV. MS. CA. FOL. 93 r.
Wenn gesagt wird, daß dem König zweiundsiebzig Du-
katen Einkünfte entgehen, im Fall solches Wasser von
Sancto Cristofano genommen wird ....
Dies weiß Seine Majestät; was er mir gibt, er nimmt
es sich selbst.
Aber hier wird nichts dem Könige genommen, sondern
es wird dem weggenommen, der gestohlen hat, weil beim
Regulieren der Mündungen, die sie erweitert haben, die
Räuber des Wassers ....
Wenn gesagt wird, daß dieses zum Schaden vieler sei, —
dies ist nichts anderes, als den Dieben wieder nehmen,
was sie zurückzugeben haben.
Welche Sache der Magistrat beständig zurücknimmt, ohne
meine Schuld, und übersteigt mehr als fünfhundert Unzen
Wasser, und mir sind nur zwölf Unzen Wasser stabilisiert.
Wenn man sagt, dies mein Wasser betrage im Jahre
viel, hier vermietet man das Wasser bei solcher Niedrig-
keit des Kanales um bloß sieben Dukaten, zu vier Lire
jeden, per Unze im Jahr, was siebzig macht.
Wenn sie sagen, das hindere die Schiffahrt, dies ist
210
nicht wahr, weil die Mündungen, die zu solcher Bewäs-
serung dienen, oberhalb der Schiffahrt sind.
XV. MS. CA. FOL. 389 r.
Ich habe einen, der, weil er sich von mir Sachen ver-
sprochen, die recht viel weniger als gebührlich sind, und
in seinem anmaßenden Verlangen betrogen geblieben, ver-
sucht hat, mir alle meine Freunde zu nehmen; und weil
er sie weise befunden und nicht leicht zu seinem Willen,
hat er mich bedroht, er werde solche Beschuldigungen
finden, daß er mir die Wohltäter rauben werde; daher
ich von diesem Eure Herrlichkeit in Kenntnis gesetzt
habe, damit, wenn jener die gewohnten Skandale aussäen
wollte, er keinen geeigneten Boden zum Säen fände und
die Gedanken und Handlungen seiner schlechten Natur
in sich aufzunehmen. Damit, wenn er versucht, aus Eurer
Herrlichkeit das Werkzeug seiner tückischen und ruchlosen
Natur zu machen, er in seinem Wunsch betrogen bleibe.
XVI. MS. CA. FOL. 247 v.
Erlauchtester Herr!
Sehr freue ich mich, mein erlauchtester Herr, über
Eu . . . .
So sehr habe ich mich gefreut, mein erlauchtester Herr,
[über die große Erwerbung], über die [famose] herbeige-
sehnte Erwerbung Eurer Gesundheit, daß ich fast [daß
ich wahrhaftig meine Gesundheit wiederbekommen habe
und am Ende meines Übels bin] mein Übel von mir ge-
flohen ist durch die fast wiederhergestellte Gesundheit
Eurer Exzellenz [. . . .]. Aber sehr leid tut mir [die
Bosheit], daß ich nicht vollständig habe genugtun können
den Wünschen Eurer Exzellenz, durch die Böswilligkeit
dieses Betrügers, bei dem ich gar nichts unterlassen habe,
womit ich ihm hätte nützen können, was nicht von mir
wäre getan worden, und vor allem sein Gehalt ist ihm
vor der Zeit augenblicklich gezahlt worden, was, glaube
ich, er gern abgeleugnet, wenn ich nicht die Schrift und
14*
211
Durckstrichener
Briefentwarf.
Entwürfe zu
einem Brief an
Giuliano Medici,
Herzog von Ne-
mours , dritten
Sohn des Lorenzo
Magnifico und
Bruder Leo X.,
unter dessen
Schutz Leonardo
1513 bis 1515 in
Rom war. Erhatte
eine Wohnung im
Belvedere erhal-
ten und ließ hier
für Giuliano ge-
wisse Erfindun-
gen ausführen
(ein Fernrohr?
Bren nspiegel — ?),
zu deren Anfer-
tigung er sich
eines Deutschen,
namens Georg
(Giorgio Tedesco)
bediente, — viel-
leicht auch jenes
Johannes, der hier
erwähnt wird.
Bestätigung von der Hand des Dolmetschers hätte, und
als ich sah, daß für mich nicht gearbeitet wurde, außer
wenn die Arbeiten für andere ihm fehlten [von welchen
er ein eifriger Ausforscher war] . . . Ich bat ihn, daß
er mit mir essen möge und neben mir arbeiten, weil
außer auf Rechnung zu stellen (auf dem Rande): ....
gut für die Arbeit, er die italienische Sprache erwerben
würde, immer [versprach er es und niemals wollte er
es tun], und dies tat er auch, weil dieser Johannes der
Deutsche, welcher die Spiegel macht, ihm täglich in der
Werkstatt war und sehen wollte und hören, was er
mache, und es über die Erde verbreitete, jenes tadelnd,
was er nicht verstand. Und dies tat er, weil er [mit
den Deutschen] mit jenen von der Garde des Papstes
aß und dann in Gesellschaft fort wegging, in diesen alten
Gemäuern mit den Flinten Vögel tötend, und so ging
es weiter von nach dem Frühstück bis zum Abend. Und
wenn ich Lorenzo schickte [ihn zu erinnern], ihn zur
Arbeit zu ersuchen, geriet er in Zorn und s . . . gte, er
wolle nicht so viele Herren auf dem Halse haben und
daß wenn [die Art] und daß seine Arbeit für die Kammer
Eurer Exzellenz sei, und [derart] verbrachte zwei Mo-
nate, und so ging es weiter [wenn nicht], und eines
Tages Giannicolo von der Kammer treffend, fragte ich
ihn, ob er [hab] ob der Deutsche die Arbeit für Seine
Magnifizenz fertig gemacht habe, und er sagte mir, es
sei nicht wahr, sondern daß er ihm nur zwei Flinten zu
putzen gegeben habe, und da ich ihn hierauf mahnen
ließ, verließ er die Werkstatt und begann zu Hause zu
arbeiten und verlor viel Zeit, indem er eine andere
Kneipzange und Feilen und andere Instrumente mit
Schrauben machte, und daselbst arbeitete er Handmühlen
zum Zwirnen von Seide, die er versteckte, wenn jemand
von den Meinigen dort eintrat, und mit tausend Flüchen
und groben Vorwürfen, so daß niemand von den Meinigen
mehr hineingehen wollte ....
212
So sehr habe ich mich gefreut, mein erlauchtester Herr,
über die herbeigesehnte Erlangung Eurer Gesundheit, daß
nahezu mein eigenes Übel von mir entflohen ist. Aber
sehr leid ist mir, daß ich den Wünschen Eurer Exzellenz
nicht habe genugtun können, vermittelst der Böswilligkeit
jenes deutschen Betrügers, für welchen ich keine Sache
unterlassen habe, mit der ich geglaubt hätte, ihm Ver-
gnügen zu machen. Und vorerst außer ihn einzuladen,
mit mir zu wohnen und zu leben, durch welche Sache
ich beständig das Werk sah, das er machte, und mit
Leichtigkeit die Fehler verbesserte; und über diesem
würde er auch die italienische Sprache erlernen, mittels
welcher er mit Leichtigkeit sprechen könnte, ohne Dol-
metsch; und vor allem, sein Geld wurde ihm immer vor
der Zeit gegeben; im ganzen wurde es. Hierauf, das
Verlangen von jenem war, die Modelle fertig in Kolz
zu bekommen, wie sie in Eisen sein sollten: die er in
seine Heimat nehmen wollte. Welche Sache ich ihm
verweigerte, sagend, daß ich ihm in Zeichnung die Breite,
Länge und Dicke und Figur von dem geben würde, was
er zu machen hätte; und so verblieben wir mißge-
stimmt.
Die zweite Sache war, daß er sich eine andere Werk-
statt aufmachte, mit neuen Kneipzangen und Instrumenten,
in der Kammer, wo er schlief, und hier für andere arbei-
tete; ferner ging er mit den Schweizern von der Leib-
wache frühstücken, wo es müßige Leute gibt, in welcher
Sache er sie alle besiegte; von da ging er weg, und die
meisten Male gingen zwei oder drei von ihnen fort, mit
den Flinten töteten sie Vögel im alten Gemäuer, und
dieses dauerte bis zum Abend.
Zum Schluß habe ich gefunden, wie dieser Meister Jo-
hannes von den Spiegeln das Ganze gemacht hat, aus
zwei Gründen, und der erste, weil er zu sagen gehabt
hat, daß mein Hieherkommen ihm die Unterredung und
Gunst Eurer Herrlichkeit geraubt habe, die immer . . .
213
der zweite ist, daß die Wohnung dieses Schmiedes ....
sagte, ihm geziemte, um die Spiegel zu arbeiten, und
davon ist der Beweis geführt worden, denn außer daß
er jenen mir feindlich machte, hat er ihn all das Seinige
verkaufen und ihm seine Werkstatt überlassen gemacht,
in welcher er (nun) mit vielen Arbeitern recht genügend
Spiegel macht, um auf die Jahrmärkte zu schicken ....
Desgleichen. XVII. MS. CA. FOL. 283.
So sehr habe ich mich gefreut, erlauchtester Herr, über
die ersehnte Erwerbung Eurer Gesundheit, daß fast mein
Übel auch von mir geflohen ist, wofür Gott gelobt sei.
Aber sehr leid ist mir, daß ich nicht habe völlig Genüge
tun können den Wünschen Eurer Exzellenz, wegen der
Böswilligkeit jenes deutschen Betrügers, für welchen ich
gar keine Sache unterlassen habe, mit welcher ich ge-
glaubt hätte, ihm Vergnügen zu machen. Und erstens,
seine Gelder wurden ihm gänzlich gezahlt, vor dem
Monat, während welchem sein Gehalt laufen sollte; zwei-
tens lud ich ihn ein, mit mir zu wohnen und zu leben,
wegen welcher Sache ich ein Brett am Fuß eines dieser
Fenster wollte aufpflanzen lassen, wo er mit der Feile
arbeiten und die heimlich fabrizierten Sachen hätte be-
endigen können, und so sähe ich beständig das Werk,
welches er machte, und verbesserte es mit Leichtigkeit.
Und außer diesem erlernte er die italienische Sprache,
mittels welcher er hernach mit Leichtigkeit ohne Dol-
metsch reden könnte ....
Anderes Brach- XVIIL MS. CA. FOL. 182 V.
Ich wollte ihn anhalten, mit mir zu essen, uns befin-
dend ....
Er ging mit der Leibwache essen, wobei, außerdem daß
er zwei oder drei Stunden bei Tisch verbrachte, noch
die häufigsten Male der Rest des Tages dadurch aufge-
zehrt wurde, daß er mit der Flinte zwischen diesem alten
Gemäuer Vögel schießen ging.
214
Und wenn irgendwer von den Meinigen in die Bude
trat und ihm Vorwürfe machte, und wenn einer ihn schalt,
sagte er, daß er für die Waffenkammer arbeite und
Rüstungen und Büchsen reinige.
Was das Geld betrifft, gleich am Anfang des Monates
war er eifrigst, es zu beheben.
Und um nicht angetrieben zu werden, verließ er die
Werkstatt und machte sich eine in seiner Kammer und
arbeitete für andere, und als ich ihm schließlich sagen
ließ ....
Da ich sah, daß jener selten in der Werkstatt war und
viel verbrauchte, ließ ich ihm sagen, daß, wenn es ihm
gefiele, ich mit ihm über jede Sache Handel abschließen
wolle, die er mache, und nach Schätzung und so viel ihm
geben wolle, als wir ausmachen würden; er beriet sich
mit dem Nachbarn und verließ die Wohnung, alles mer-
kend, und suchte auf ....
Dieser andere hat mir beim Papst die Anatomie ver-
hindert, sie tadelnd, und ebenso beim Spital, und füllte
mit Werkstätten für Spiegel dies ganze Belvedere, oder
mit Arbeitern, und so hat er gemacht in der Wohnung
des Meisters Georg.
Dieser machte gar keine Arbeit, ohne daß er jeden Tag
mit Johannes konferierte, der es dann verbreitete und
über die Erde ausrief, sagend, daß er Meister solcher
Kunst sei, und von dem, was er nicht verstand, sagte
er, daß ich nicht wisse, was er mir machen wolle, mich
seiner Unwissenheit beschuldigend.
Ich kann vermittelst seiner nicht geheime Dinge machen,
weil jener andere ihm allzeit auf den Fersen sitzt.
Weil die eine Wohnung in die andere geht.
Aber seine ganze Absicht war, sich dieser beiden Woh-
nungen zu bemeistern, um Spiegel arbeiten zu lassen.
Und wenn ich ihn dazu stellte, meinen Krummspiegel
zu machen, wurde alles veröffentlicht usw.
Er sagte, daß acht Dukaten ihm seien versprochen
215
worden, jeden Monat, vom ersten an beginnend, als er
sich auf den Weg gemacht, oder später, als er Euch
sprach und Ihr ihn aufnähmet usv/.
Gieichfaiu. XIX. MS. CA. FOL. 92 r.
Ich habe mich überzeugt, daß er für viele arbeitet und
daß er Bude hält für das Volk, wegen welcher ich nicht
will, daß er für mich auf Vorrat arbeite, sondern daß er
bezahlt werde für die Arbeiten, die er für mich macht,
und weil er Bude und Haus vom Magnifico hat, daß er
gehalten werde, die Arbeiten des Magnifico allen voran-
zuschicken.
Fragment. XX. R. 1358, MS. W. AN. III. FOL. 241 r.
Und in diesem Falle weiß ich, daß ich nicht wenig
Feinde erwerben werde, obschon niemand glauben wird,
was ich von ihm etwa sagen kann, weil wenige von jenen
sind, welchen seine Laster mißfallen; im Gegenteil, nur
solchen Menschen mißfallen sie, die von Natur aus wider
solche Laster sind; und viele hassen ihre Väter und ver-
derben sich die Freundschaften, Tadler ihrer Laster, und
wollen nicht Beispiele, die ihnen entgegengesetzt sind,
noch irgendwie menschlichen Rat.
Und wenn irgendwer gut und tugendhaft befunden wird,
jagt ihn nicht von euch weg; tut ihm Ehre an, daß er
nicht von euch flüchten müsse und sich auf Einsiedeleien
beschränken, oder Höhlen oder andere verlassene Orte,
und wenn irgendwelche solche sich finden, erweiset ihnen
Ehre, denn diese sind eure irdischen Götter; diese ver-
dienen von euch Statuen und Bilder; doch erinnert euch
wohl, daß ihre Bilder nicht von euch verzehrt werden,
wie noch in einigen Teilen von Indien; denn sobald diese
Bilder irgendwelche Wunder, nach ihrer Meinung, wirken,
schneiden die Priester sie in Stücke, nachdem sie von
Holz sind, und geben davon allen im Lande, nicht ohne
Bezahlung; und jeder zerraspelt ganz fein seinen Anteil
und gibt das auf das erste Nahrungsmittel, das er ißt;
216
und so halten sie es für Religion, ihren Heiligen verzehrt
zu haben, und glauben, daß er sie dann vor allen Ge-
fahren bewahre. Was hältst du, Mensch, da von deiner
Gattung? Bist du so weise, wie du zu sein glaubst? Sind
dieses Dinge, so von Menschen gemacht werden sollten?
XXI. R. 1355, MS. W. FOL. XXXI. f'" •^«^f ^ff.^?:
' lang — ? Nicht
.... Welcher Geist das Gehirn wieder aufsucht, von ganz entziffert.
dem er sich geschieden hatte; mit lauter Stimme brach
er in solche Worte aus ....
„Und wenn irgendein Mensch, obwohl er Klugheit und
Güte hat .... von den anderen Menschen .... und
schlimmer, wenn sie von ihnen entfernt sind.
„O glücklicher, o begünstigter Geist, von wo bist du
geschieden! Ich habe diesen Menschen, sehr gegen
meinen Willen, wohl gekannt. Dies ist ein Gefäß der
Miedertracht, dies ist wahrhaftig eine Häufung höchsten
Undanks, in Gesellschaft aller Laster. Doch was gehe
ich weiter und ermüde mich umsonst mit Worten? Die
Summe der Sünden ist einzig in ihm zu finden. Und
wenn irgendwer unter ihnen sich träfe, so irgendwelche
Güte besäße, nicht anders als ich werden sie von anderen
Menschen behandelt; und in der Tat habe ich diese
Schlußfolgerung, daß es schlimm ist, wenn sie Feinde
sind, und schlimmer, wenn sie Freunde sind."
XXII. R. 1 104, MS. W. FOL. XVII v. Cypem.
Von den Küsten Ciliciens sieht man gegen Mittag zu
die schöne Insel Cypem, die das Reich der Göttin Venus
war, und viele, gereizt von ihrer Schönheit, haben Schiff
und Takelung zerbrochen zwischen den Klippen, die von
brandenden Wogen umgeben sind. Hier ladet die Schön-
heit der sanften Hügel die irrenden Schiffer zur Erholung
zwischen ihrem blühenden Grünen ein, wo die schwei-
fenden Winde die Insel und das umliegende Meer mit
süßen Düften füllen. O, wie viele Schiffe sind hier schon
untergegangen, und wie viele Fahrzeuge an den Riffen
217
zerschellt! Hier könnte man unzählige Barken sehen,
manches Boot zertrümmert und halb von Sand bedeckt;
dies zeigt sich vom Bug und dies vom Gatt, und das
vom Kiel und das von den Rippen, und schiene gleichsam
ein jüngstes Gericht, das tote Schiffe auferstehen machen
will; so groß ist die Zahl jener, so die ganze septentrio-
nale Küste bedecken; die nördlichen Winde, hier wider-
hallend, bringen vielfache und schreckliche Töne hervor.
Auf einem zer- XXIII. MS. CA. FOL. 71 f.
rissenen Blatt.
Oh! nicht schätze mich gering, denn ich bin nicht arm;
arm ist jener, der viele Dinge wünscht. Wohin ich mich
setzen werde? Wohin, von jetzt an in kurzer Zeit wirst
du es wissen. Bleibe du nur ruhig. Von jetzt an in
kurzer Zeit ...(?)
O Griechen, ich denke nicht, daß meine Taten euch
.... seien, obschon ihr sie gesehen habt; es sage ....
die seinigen, daß er ohne Zeugen war, wovon nur Mit-
wisser ist die dunkle Nacht.
Eine Reiseerinne- XXIV. R. 1339, MS. BR. M. FOL. 155 r.
rung oder eine
geographische In Ähnlichkeit mit einem wirbelnden Wind, welcher
DerChamkte^der durch ein sandiges und ausgehöhltes Tal fliegt, der in
%hantasthcht^'^ Seinem hurtigen Lauf alle jene Dinge, die sich seinem
^o^nath Msoab- Taseuden Lauf entgegensetzen, zum Mittelpunkt jagt . . .
streift. Ein zei- Njcht auders prallt der nördliche Polarsturm mit seinem
chen am Schluß ^
der Mannskript- Ungewittcr . . .
Seite deutet auf ... , , „ /-> , ..,< i .. • , m
eine Fortsetzung; Nicht macht SO großcs Gebrull das sturmische Meer,
doch konnte bis- , i xt j ■ j • ^ • l •• j
her diese nächste Wenn der rauhe Nordwmd es mit semen schaumenden
schiaß1'icht%7. Wellen zwischen Scylla und Charybdis hin und her wirft,
fanden werden, j^q^j^ ^jgj. Stromboli oder Mongibello (Ätna), wenn die
eingeschlossenen schwefeligen Flammen, mit Gewalt aus-
brechend und den großen Berg öffnend, durch die Luft
Steine, Erde zugleich mit heraustretenden und ausge-
spienen Flammen schleudern.
Noch wenn die in Glut versetzten Höhlen des Mongibello,
wieder ausspeiend das schlecht behaltene Element, es
218
zu der eigenen Region hinstoßend, mit Wut jegliches
Hindernis vor sich herjagen, das sich vor seine ungestüme
Wut stellt . . .
Und von meinem sehnsüchtigen Willen gezogen, begierig,
die große (Mengung?) der verschiedenen und seltsamen
Formen zu sehen, so die kunstreiche Natur hervorge-
bracht, — nachdem ich mich ein wenig zwischen den
schattenvollen Klippen herumgedreht, gelangte ich zum
Eingang einer großen Höhle, vor welcher ich ein wenig
betroffen stehen blieb, — und unwissend solcher Sache,
meinen Rücken in Bogenform gebeugt und die müde Hand
aufs Knie gestemmt, machte ich mir mit der Rechten
Dunkel vor die gesenkten und geschlossenen Lider; und
oft mich dahin und dorthin biegend, um zu schauen, ob
drinnen irgend etwas zu unterscheiden sei, und da dies
mir von der großen Finsternis verwehrt, so dort drinnen
war, und nachdem ich so ein bißchen geblieben, erwachten
in mir plötzlich zwei Dinge, Furcht und Verlangen, Furcht
vor dem bedrohlichen schwarzen Loch, Verlangen zu
sehen, ob da innen etwas Wunderbares sei . . .
XXV. MS. 1. FOL. 139 r. k« Riese.
Er war schwärzer als eine Hornisse; die Augen hatte
er rot wie ein glühendes Feuer und ritt auf einem großen
Hengst, sechs Ellen breit und mehr als zwanzig lang,
mit sechs Riesen am Sattelbogen hängend und einem in
der Hand, den er mit den Zähnen nagte. Und hinter
ihm kamen Wildschweine, mit Hauern aus dem Maule,
von vielleicht zehn Ellen.
XXVL MS. CA. FOL. 96 V. Desgleichen.
Das schwarze Gesicht, am ersten Gegenstand, ist äußerst
grauenhaft und schrecklich anzusehen, und besonders die
tiefgehöhlten und roten Augen, unter die furchtbaren und
finsteren Brauen gesetzt, um den Himmel sich umwölken
und die Erde erbeben zu machen. Und glaube mir, es
gibt keinen so stolzen Menschen, der, wenn jener die
219
entflammten Augen hindrehte, sich nicht gern mit Flügeln
bekleidete, um zu fliehen, weil Luzifer der Höllische ein
Engelsantlitz im Vergleich zu jenem schiene. Die ge-
rümpfte Nase mit den weiten Nüstern, aus denen viele
und große Borsten herauskamen; unter denen der ver-
zogene Mund mit den dicken Lippen, auf deren Enden
Haare nach Art der Katzen standen, und gelbe Zähne.
Er ragt über Menschen zu Pferde mit dem ganzen Rücken
von den Beinen auf hinweg.
Und da ihm das viele Bücken leid tat, und überwältigt
von der Lästigkeit dieses Mühsamen, kehrte er den Ärger
in Wut und begann mit den Füßen, hin und her ge-
schlenkert von der Raserei der mächtigen Schenkel, in
die Menge hineinzutreten, und mit den Fersen schleuderte
er die Menschen durch die Luft, die nicht anders, als
wären sie ein dichter Hagel, auf die anderen Menschen
fielen. Und viele waren es, die sterbend den Tod gaben;
und diese Grausamkeit hielt an, bis der Staub, aufge-
wirbelt von den großen Füßen und in die Luft gehoben,
diese höllische Furia zwang, sich zurückzuziehen. Und
wir folgten der Flucht.
O, wie viele vergebliche Angriffe wurden gegen diese
Eingeteufelte (Furie) angewendet, für die jede Verletzung
nichts war! O armselige Leute, euch taugen nichts die
uneinnehmbaren Festungen, euch die hohen Mauern der
Städte nicht, nicht euch das eine Menge sein, nicht die
Häuser oder Paläste; es ist euch nichts geblieben, außer
die kleinen Löcher und Keller unter der Erde, wie den
Krabben oder Grillen oder ähnlichen Tieren: suchet Heil
und Entrinnen!
Ach, wie viele unglückliche Mütter und Väter wurden
ihrer Söhne beraubt! O, wie viele elende Frauen ihrer
Gesellschaft! Sicher, sicher, mein lieber Benedetto, ich
glaube nicht, daß, seit die Welt geschaffen, jemals ein
Lamento gesehen wurde, ein öffentliches Weinen mit so
viel Entsetzen geschah.
220
Sicher, in diesem Fall hat die menschliche Spezies jede
andere Gattung von Tieren zu beneiden; nachdem, wenn
der Adler die anderen Vögel durch Macht besiegt, —
wenigstens sind sie nicht in der Schnelligkeit des Fluges
besiegt: daher die Schwalben, mit ihrer Geschwindigkeit,
dem Raube der Drossel entfliehen; die Delphine, mit ihrer
raschen Flucht, entkommen dem Raub der Wale und der
großen Pottfische; aber wir Elenden! uns taugt keine
Flucht, sintemalen dieser, mit langsamem Schritt, weitaus
den Lauf jedes hurtigen Renners übertrifft. Ich weiß
nicht, was sagen oder was machen; mir dünkt allerwege,
ich schwämme mit gebeugtem Haupte durch den großen
Rachen und verharrte wirren Todes im ungeheueren
Bauche begraben.
XXVII. MS. CA. FOL. 31 1 r. Bruchstück and
Fortsetzung.
. . . Dieser Gigant war auf dem Berge Atlas geboren
und war schwarz, und hielt es gegen Artaxerxes mit den
Ägyptern, Medern und Persern, lebte im Meer der Wal-
fische, großen Pottwale und der Narwale (Schiffe? navili)
(Quer:) Lieber Benedetto, um dir Nachricht zu geben
von den Sachen hier in der Levante, wisse, daß im Monat
Juni ein Riese erschienen ist, so in der Wüste Lybia lebt.
So wie Ameisen, welche bald da, bald dort herumrasend,
auf dem Eichbaum, den die Säge des rauhen Landmannes
gefällt hat . . .
Lieber Benedetto de Pertarti!
Als der wilde Riese, dank der blutgetränkten und auf-
geschlemmten Erde, stürzte, schien es, als stürzte ein
Berg, daher die Landschaft, von Erdbeben gebeutelt, dem
höllischen Pluto selbst ein Schrecken war. Er, durch
die große Erschütterung, streckte sich auf der flachen Erde
ein wenig betäubt hin, und das Volk sofort, glaubend,
er sei durch irgendwelchen Blitz getötet, — in großem
Schwärm zurückgekehrt, — nach Art der Ameisen, welche
in Wut über den Leib der gefallenen Steineiche (?) herum-
221
rennen — so diese, durcheinander laufend über die aus-
gedehnten Gliedmaßen, indem sie durch häufige Wunden
sie zerrissen.
Hierauf der Riese, wieder erwacht und sich von der
Menge fast bedeckt fühlend, spürte sich sofort wegen
der Stiche aufflammen, stieß ein Gebrüll aus, das ein
entsetzlicher Donner zu sein schien, und die beiden Hände
auf den Boden gestützt und das furchtbare Gesicht er-
hoben, und die eine der Hände auf den Kopf legend,
fand er selbigen voller Menschen, die an den Haaren
hingen, wie die winzigen Tiere, so auf diesen zu ent-
stehen pflegen, von wo, das Haupt schüttelnd, er die
Menschen nicht anders durch die Luft wirft, als wäre es
Hagel, der mit der Wut der Winde fliegt, und fand sich,
daß viele dieser Menschen getötet waren von jenen, die
auf ihm herumgewitterten; hierauf aufgerichtet, sie mit
den Füßen zertretend. — Und von dem großen Sturze
schien die ganze Gegend zu zittern. Und sich an seinen
Haaren haltend und zwischen ihnen sich zu verstecken
trachtend, machten sie es wie die Seeleute, wenn Un-
wetter ist, so über die Taue hinaufrennen, um sie auf
wenig Wind herabzulassen.
Dieses Brach- XXVIII. MS. CA. FOL. 145 V.
Stack wurde von , t^ ,
j. p. Richter und Einteilung des Buches
von vielen ande-
ren für eine Re- Qjg Predigt und Überredung zum Glauben.
miniszenz eines ° .. °
Aufenthaltes im £)ie plötzHchc Überschwemmung bis zu ihrem Ende.
Oriente gehalten. 01
Der Text ist mit Die Zerstörung der Stadt.
glnuimtriert. Der Tod des Volkes und Verzweifelung.
Die Verjagung des Predigers und seine Befreiung und
sein Wohlwollen.
Beschreibung der Zerstörung des Berges und ihrer Ursache.
Der angerichtete Schaden.
Schneelawinen.
Fund des Propheten.
Seine Prophezeiung.
222
Überflutung der niedrigen Teile des westlichen Erminia
(Armenien), deren Abflußgraben der Einschnitt des Taurus-
gebirges war.
Wie dem neuen Propheten diese Zerstörung gerade zu-
paß ist.
Beschreibung des Berges Taurus und des Flusses
Euphrates
An den Diodar (Devadar) von Soria (Syrien),
Statthalter des heiligen Sultan von Babylonia
Das neue Unglück, welches in diesen unseren westlichen
Teilen geschehen ist, das, ich bin sicher, nicht bloß dir,
sondern dem ganzen Weltall Entsetzen einflößen wird, soll
dir sukzessiv nach der Ordnung gesagt werden, indem erst
die Wirkung und dann die Ursache gezeigt wird.
Mich wieder in diesen Gegenden von Erminia (Arme-
nien) befindend, um mit Liebe und Eifer jenen Auftrag
ins Werk zu setzen, wegen dessen du mich schicktest,
und um in diesen Teilen den Anfang zu machen, welche
mir am besten für unseren Vorsatz geeignet zu sein
schienen, betrat ich die Stadt Calindra (das mittelalter-
liche Kelindreh) in der Nachbarschaft unserer Grenzen.
Diese Stadt ist am Gestade jenes Teiles des Berges
Taurus gelegen, der vom Euphrates gespalten ist und die
Homer des großen Berges Taurus vom Westen erblickt.
Diese Hörner sind von solcher Höhe, daß es scheint,
als berührten sie den Himmel, weil im Weltall kein irdi-
scher Teil vorhanden ist, der höher wäre als sein Gipfel,
und immer 4 Stunden vor Tages prallen auf ihn die
Strahlen der Sonne von Osten; und weil er von aller-
weißestem Gestein ist, leuchtet er stark und leistet diesen
Erminiern den Dienst, wie ihn ein schönes Licht des
Mondes mitten im Dunkel leistete, und vermöge seiner
großen Höhe übertrifft er die höchste Höhe der Wolken
um den Raum von 4 Meilen in gerader Linie. Dieser
Gipfel wird von einem großen Teil des Okzidentes von
223
der Sonne nach ihrem Untergange noch bis zum dritten
Teil der Nacht erleuchtet gesehen, und es ist jenes, was
wir bei euch bei heiterem Wetter dafür gehalten haben,
ein Komet zu sein, und scheint sich uns im Dunkel der
Nacht in verschiedene Gestalt zu verwandeln und bald
sich in zwei oder drei Teile zu trennen, und bald lang
und bald kurz; und dies kommt von den Wolken, die am
Horizont des Himmels sich zwischen den selbigen Berg
und die Sonne stellen; und um ihm selbige Strahlen der
Sonne abzuschneiden, ist das Licht des Berges in ver-
schiedenen Zwischenräumen unterbrochen und ist deshalb
von wechselnder Gestalt in seinem Glänze.
Skizze. Warum der Berg auf seinem Gipfel die Hälfte oder das
Dritteil der Nacht leuchtet und jenen im Westen ein
Komet scheint, nach dem Abend, und vor Tages jenen
im Osten.
Warum dieser Komet von wechselnder Gestalt erscheint,
auf die Art, daß er nun rund ist, nun lang, und nun in
zwei oder drei Teile geteilt und nun vereinigt, und bald
sich verliert und bald wieder gesehen wird.
Gestalt des Taurusgebirges
Nicht ist mir, o Diodario, von dir Faulheit beizumessen,
wie deine Vorwürfe es anzudeuten scheinen; aber die
übermäßige Liebe, welche das Benefiz geschaffen hat, das
ich von dir besitze, ist jene, so mich gezwungen hat,
mit dem höchsten Eifer zu suchen und mit Fleiß zu er-
forschen den Grund so großer und erstaunlicher Wirkung,
welche Sache nicht ohne Zeit hat ausgeführt werden
können. Nun, um dich wegen des Grundes so großer
Wirkung gut zufrieden zu stellen, ist es notwendig, daß
ich dir die Form der Gegend zeige, und dann werde ich
auf die Wirkung kommen, womit, glaube ich, du befriedigt
sein wirst ....
Nicht beklage dich, o Diodario, über mein Zaudern, auf
dein verlangendes Begehren Antwort zu geben, weil diese
224
i
Sachen, über die du mich befragtest, von solcher Natur
sind, daß sie nicht ohne Verlauf von Zeit gut ausgedrückt
werden können, und zumeist weil, um den Grund so gro-
ßen Effektes zu zeigen, es nötig ist, in guter Form die
Natur der Gegend zu beschreiben, und vermittelst dessen
wirst du dann mit Leichtigkeit dich über die vorbesagte
Anfrage befriedigen.
Ich werde die Beschreibung der Form Kleinasiens zurück-
lassen und welche Meere oder Länder jene seien, so die
Figur seiner Quantität begrenzen, weil ich weiß, daß der
Fleiß und Eifer deiner Studien dich nicht haben solcher
Nachricht beraubt lassen, und nur daran gehen, die
wahre Gestalt des Taurus anzudeuten, welche es ist, so
die Verursacherin des so verblüffenden und schadenbrin-
genden Wunders ist, das der Erledigung unseres Vor-
habens dient.
Dieser Berg Taurus ist jener, der von vielen als das Joch
des Gebirges Kaukasus beschrieben wird; aber da ich
mich gut aufklären wollte, habe ich mit einigen von denen
sprechen wollen, so am Kaspischen Meere wohnen, welche
zeigen, daß, obschon ihre Berge den gleichen Namen
tragen, diese von größerer Höhe sind, und darum bekräf-
tigen sie, daß jener der wahre Berg Kaukasus sei, weil
Kaukasus in skythischer Sprache höchste Höhe sagen will.
Und in der Tat gibt es keine Nachricht, daß der Orient,
noch der Okzident, einen Berg von solcher Höhe habe,
und der Beweis, daß dem so sei, ist, daß die Bewohner
der Landschaften, so im Westen von ihm liegen, die
Strahlen der Sonne sehen, welche bis zum vierten Teil
der längsten Nacht einen Teil seines Gipfels erleuchten,
und das gleiche tut er jenen Landschaften, die von ihm
nach Osten gelegen sind.
Qualität und Quantität des Berges Taurus
Der Schatten des Joches dieses Berges Taurus ist von
solcher Höhe, daß im halben Juni, wenn die Sonne im
15 Herzfeld, Leonardo
225
Mittag steht, sein Schatten sich bis zum Anfang von Sar-
matien erstreckt, welches über zehn Tagesreisen ist, und
um Mitte Dezember erstreckt er sich bis zu den hyper-
boräischen Bergen, was eine Reise von einem Monat
gegen Untergang zu ist; und immer ist sein dem Wind
entgegengesetzter Teil voller Wolken und Nebel, weil der
Wind, der sich beim Zusammenstoß mit dem Felsen öffnet,
nach jenem Felsen sich wieder zusammenschließt und
solcherweise die Wolken von allen Seiten mit sich führt
und sie bei ihrem Anprall zurückläßt; und ist immer
voller Schläge von Blitzen, wegen der großen Menge von
Wolken, welche dort aufgenommen sind, so daß der Fels
ganz zerschmettert ist und voll ungeheurer Trümmer.
Dieser ist an seinen Wurzeln von außerordentlich reichen
Völkern bewohnt; und ist voll der schönsten Quellen und
Flüsse und fruchtbar und überfließend von jedem Gut,
und besonders in den Teilen, die nach Süden sehen;
aber wenn man etwa drei Meilen gestiegen ist, beginnt
man die Wälder mit hohen Tannen, Fichten, Buchen und
anderen ähnlichen Bäumen zu finden; nach diesen, in
einem Zwischenraum von wieder drei Meilen, befinden
sich Wiesen und ungeheure Weiden; und der ganze Rest,
bis zum Fuße des Berges Taurus herab, ist ewiger Schnee,
der nie, bei keinem Wetter, weggeht, der sich bis zur
Höhe von etwa vierzehn Meilen im ganzen erstreckt.
Von diesem Fuß des Taurus bis zur Höhe einer Meile
vergehen die Wolken nie; denn hier haben wir fünfzehn
Meilen, welche in gerader Linie etwa fünf Meilen Höhe
sind, und ebensoviel, oder ungefähr, finden wir den Gipfel
der Hörner des Taurus, auf denen man, von der Mitte
aufwärts, Luft zu finden beginnt, die durchwärmt ist, und
man spürt dort gar kein Blasen der Winde, aber keiner-
lei Ding vermag dort so recht zu leben; dort wird nichts
geboren, außer ein paar Raubvögel, die in den hohen
Spalten des Taurus brüten und dann unterhalb der Wol-
ken hinabsteigen, um auf den grasreichen Bergen ihre
226
Beute zu machen. — All dies ist völlig einfaches Gestein,
das heißt, über den Wolken, und ist ganz weißes Gestein,
und auf die hohe Spitze kann man nicht hinaufgehen,
wegen des steilen und gefährlichen Aufstiegs.
XXIX. MS. CA. FOL. 214 V.
Nachdem ich dich öfters durch meine Briefe zum Teil-
haber der Sachen gemacht, die hier vorgefallen sind, hat
es mir nicht geschienen, schweigen zu sollen über eine
neue, in den vergangenen Tagen geschehene, welche . . .
Nachdem ich dich öfters ....
Nachdem ich mich öfters durch Briefe mit dir deines
gedeihenden Glückes gefreut habe, weiß ich, daß du dich
gegenwärtig als Freund mit mir über den elenden Zustand
betrüben wirst, in dem ich mich befinde, und das ist, daß
in den vergangenen Tagen ich in so viel Sorge, Angst,
Gefahr und Schaden gewesen bin, zugleich mit diesen
elenden Landleuten, daß wir die Toten zu beneiden hatten;
und sicher, ich glaube nicht, daß, seitdem die Elemente
durch ihre Trennung das große Chaos auflösten, daß sie
ihre Kraft, ja, Wut je vereinigten, um den Menschen so
viel Schaden anzutun, wie es jetzt von uns gesehen und
erfahren worden ist, so daß ich mir nicht vorstellen kann,
was noch vergrößern könnte so viel Übel, als wir im
Raum von zehn Stunden durchgemacht haben.
Zuerst wurden wir vom Ungestüm und der Wut der
Winde angegriffen und bekriegt, und zu diesem gesellten
sich die Ruinen der großen Berge von Schnee, welche
alle diese Täler ausgefüllt und einen großen Teil unserer
Stadt zertrümmert haben. Und sich damit nicht be-
gnügend, mußte ein Sturm mit plötzlichen Wasserfluten
den ganzen niedrigen Teil dieser Stadt überschwemmen;
außer diesem kam noch ein Platzregen dazu, nein, ein
verderblicher Orkan voller Wasser, Sand, Schlamm und
Steinen, zusammengewickelt mit Wurzeln, Gestrüpp und
Büscheln von verschiedenen Pflanzen, und alles, was durch
15*
227
die Luft eilte, senkte sich herab auf uns; und zum Über-
fluß eine Feuersbrunst, die nicht nur von den Winden
hergeführt schien, sondern von zehntausend Teufeln ge-
tragen, und welche diese ganze Gegend abgebrannt und
zugrunde gerichtet und noch nicht aufgehört hat.
Und die wenigen, so wir übrig sind, blieben mit so viel
Bestürzung und solcher Furcht zurück, daß wir, wie blöde,
kaum wagen, einer mit dem andern zu reden. All unsere
Besorgungen im Stiche lassend, halten wir uns miteinander
vereinigt in gewissen Ruinen von Kirchen auf, alle ver-
mischt, Männer und Frauen, Kleine und Große, wie Rudel
von Ziegen. Die Nachbarn, welche früher unsere Feinde
waren, aus Barmherzigkeit haben sie uns mit Nahrungs-
mitteln Beistand geleistet, und wäre uns damit nicht ge-
holfen worden, alle würden wir vor Hunger gestorben sein.
Nun sieh, wie es uns geht! Und alle diese Übel sind
nichts im Vergleich zu jenen, die in kurzer Zeit uns ver-
sprochen sind.
Ich weiß, daß du als Freund dich über mein Unglück
betrüben wirst, so wie bereits ich durch Briefe wirkungs-
voll gezeigt habe, mich deines Glücks zu freuen.
Bruchstück. XXX. MS. CA. FOL. 155 r.
Man sah Leute, die mit großem Eifer Lebensmittel auf
verschiedenen Arten von Fahrzeugen herrichteten, die aus
Notwendigkeit aufs schnellste gemacht worden ....
Die Glanzlichter der Wellen zeigten sich an jenen Orten
nicht, wo die dunkeln Regen mit ihren Wolken sich
reflektierten.
Aber wo die Flammen, erzeugt von den himmlischen
Blitzen, sich spiegelten, sah man so viel Glanzlichter,
hervorgerufen von den Abbildern ihrer Flammen, als
Wellen da waren, die sie in die Augen der Umstehenden
zurückwerfen konnten.
Um so viel wuchs die Zahl der Abbilder, von den Flam-
men der Blitze auf den Wellen des Wassers gemacht,
228
als die Entfernung der Augen ihrer Betrachter wuchs, —
wie bewiesen ist in der Beschreibung vom Leuchten des
Mondes.
Und um so viel verminderte sich solche Zahl von Ab-
bildern, als sie sich den Augen jener, die sie sahen,
näherten, — wie bewiesen ist in der Definition vom
Leuchten des Mondes und unserem Meereshorizont, wenn
die Sonne sich dort mit ihren Strahlen reflektiert und
das Auge, so diesen Reflex empfängt, vom besagten
Meere weit wäre.
Irgendein Meer-
angeheuer.
XXXI. MS. CA. FOL. 265 r,
O wie oft wurdest du zwischen den Wogen des ge-
schwollenen und großen Ozeans gesehen, mit borstigem
und schwarzem Rücken, wie ein Berg, und mit ernster
und stolzer Haltung ....
Und oftmals wurdest du zwischen den Wogen des ange-
schwollenen und großen Ozeans gesehen, und mit stolzem
und ernstem Kreisen in dem Seegewässer umtreiben. Und
mit borstigem und schwarzem Rücken, einem Berge gleich,
jene besiegen und übertreffen ....
O, wie viele Male wurdest du innerhalb der Wogen des
angeschwollenen und großen Ozeans gesehen, gleichwie
ein Berg jene besiegen und übertreffen und mit borstigem
und schwarzem Rücken das Seegewässer furchen, und
mit stolzer und ernster Haltung ....
MS. CA. FOL. 71 r. Vergänglichkeit.
O Zeit, du Verzehrerin der Dinge, und o neidisches Alter-
tum, du zerstörst alle Sachen! Ihr verzehret alles mit
den harten Zähnen der Jahre, allmählich, allmählich, in
langsamem Tode! Helena, als sie sich im Spiegel besah,
die schlaffen Runzeln ihres Gesichtes bemerkend, die vom
Alter gemacht, weinte sie und dachte bei sich, weshalb
sie zweimal ein Raub geworden sei.
O Zeit, du Verzehrerin der Dinge, und o neidisches Alter-
tum, durch welches alle Sachen verzehrt werden!
229
1! il IX. ALLEGORISCHE NATUR-
GESCHICHTE (BESTIARIUS) m m
Eine letzte Re-
daktion der im
Mittelalter so be-
liebtenBestiarien.
Die Quellen des
Leonardo sind
^Fiore di virtii^,
„L'acerba" von
Cecco d 'Ascoli
und die Natur-
geschichte des
jüngeren Plinius.
Aber sein Stoff ist
der den meisten
Bestiarien ge-
meinsame. S.Ein-
leitung.
77m
i
Y
Ù
1
^
m>p
i
MS. H. L FOL. 5 r.
Liebe zur Tugend
ie Lerche ist ein Vogel, von dem man sagt,
wenn er vor einen Kranken gebracht werde
und besagter Kranker soll sterben, dieser
Vogel ihm den Kopf von rückwärts zudrehe
und nie ihn anschaue, und wenn der Kranke
davonkommen solle, dieser Vogel ihn wieder nicht aus
den Augen lasse und so bewirke, daß jedes Übel von
ihm genommen werde.
Gleicherweise achtet die Liebe zur Tugend niemals
niedriger noch schlechter Sache, sondern gesellt sich
immer nur ehren- und tugendhaften Dingen und nimmt
in den edeln Herzen ihre Heimat, gleichwie Vögel in
grünen Wäldern auf blühenden Zweigen. Und zeigt mehr
selbige Liebe sich in Widerwärtigkeit, denn im Wohlge-
deihen, indem sie es macht wie das Licht, welches um
desto heller leuchtet, je dunkleren Ort es finden kann.
II. MS. H. L FOL. 5. v.
Neid
Vom Geier liest man, daß er seinen Jungen, wenn er sie
im Nest zu dick werden sieht, aus Neid in die Rippen
pickt und sie ohne Futter hält.
III.
Heiterkeit
Die Heiterkeit wird dem Hahn zugeeignet, der über jede
kleine Sache sich erfreut und mit mannigfachen und
scherzhaften Bewegungen kräht.
230
IV.
Traurigkeit
Die Traurigkeit vergleicht sich mit dem Raben, der, wenn
er seine neugeborenen Kinder weiß erblickt, wegen des
großen Schmerzes wegfliegt, mit großem Wehklagen sie
verläßt und sie nicht füttert, ehe er an ihnen zum min-
desten etliche wenige schwarze Federn sieht.
V. MS. H . I. FOL. 6 r.
Friedfertigkeit
Vom Biber liest man, daß er, wenn er verfolgt wird,
wohl wissend, es geschehe um der Tugend seiner heil-
kräftigen Testikeln willen, er, sobald er nicht mehr fliehen
kann, stehen bleibt und, um vor den Jägern Frieden zu
haben, mit seinen schneidenden Zähnen sich die Testikeln
abbeißt und sie seinen Feinden überläßt.
VI.
Zorn
Vom Bären heißt es, daß, wenn er zu den Häusern der
Bienen geht, um ihnen den Honig wegzunehmen, selbige
Bienen ihn zu stechen beginnen, worauf er den Honig
läßt und zur Rache läuft, und da er sich an allen, die
ihn beißen, rächen will, so rächt er sich an keinem, in
solcher Weise, daß sein Zorn sich in Raserei verkehrt,
er sich auf den Boden wirft und, mit Händen und Füßen
sie nur reizend, sich vergeblich gegen sie verteidigt.
VII. MS. H. I. FOL. 6 V.
Dankbarkeit
Die Tugend der Dankbarkeit soll besonders in dem
Vogel, genannt Wiedehopf, vorhanden sein, welcher, da
er die von Vater und Mutter empfangene Wohltat des
Lebens und der Ernährung erkennt, wenn er jene alt
sieht, ihnen ein Nest macht und sie hegt und sie füttert
und ihnen mit dem Schnabel die alten und schlechten
Federn entfernt und mit Hilfe gewisser Kräuter das
231
Gesicht wiedergibt, so daß sie zu neuem Wohlgedeihen
kommen.
VIII.
Geiz
Die Kröte nährt sich von Erde und immer bleibt sie
mager, weil sie nie sich sättigt; so groß ist die Angst,
daß diese Erde ihr einmal mangeln könne.
IX. MS. H. I. FOL. 7 r.
Undankbarkeit
Die Tauben werden der Undankbarkeit verglichen; denn
sind sie in dem Alter, daß sie nicht mehr gefüttert zu
werden brauchen, so beginnen sie mit dem Vater zu
kämpfen, und nicht endet dieser Kampf, ehe sie den Vater
hinausgejagt und ihm seine Frau genommen haben, indem
sie sie zu der ihrigen machen.
X.
Grausamkeit
Der Basilisk ist von solcher Grausamkeit, daß, wenn er
mit seinem giftigen Blick nicht Tiere töten kann, er sich
den Gräsern oder Kräutern zuwendet und, seinen Blick
auf sie heftend, er sie verdorren macht.
XL • MS. H. LF0L.7V.
Freigebigkeit
Vom Adler sagt man, er habe nie so großen Hunger,
daß er nicht einen Teil seiner Beute jenen Vöglein übrig
lasse, die um ihn sind; da diese sich nicht selbst er-
nähren können, ist es notwendig, daß sie die Begleiter
des Adlers seien; denn so finden sie ihr Brot.
XIL
Züchtigung
Wenn der Wolf mit Vorsicht irgendeinen Stall mit Vieh
umschleicht und durch Zufall er den einen Fuß fehlsetzt,
232
\so daß er Lärm macht, so beißt er sich ins Bein, um
sich für ein solches Versehen selbst zu züchtigen.
XIII. MS. H. I. FOL. 8 r.
Schmeichelei oder Lobhudelei
Die Sirene singt so süß, daß sie die Schiffer in Schlummer
lullt, und sie steigt auf das Fahrzeug und tötet die Ein-
geschläferten.
XIV.
Vorsicht
Die Ameise, auf Rat ihrer Natur, versieht sich im Sommer
für den Winter, indem sie das eingesammelte Saatkorn
tötet, damit es nicht wieder keime, und von diesem, wenn
die Zeit kommt, nährt sie sich.
XV.
Tollheit
Der wilde Stier hat auf die rote Farbe seinen Haß (ge-
worfen), deshalb bekleiden die Jäger den Stamm eines
Baumes mit Rot; jener Stier berennt den Stamm und mit
großer Wut nagelt er seine Hörner hinein, worauf die
Jäger ihn töten.
XVI. MS. H. I. FOL. 8 v.
Gerechtigkeit
Man kann die Tugend der Gerechtigkeit dem König der
Bienen vergleichen, der jede Sache mit Vernunft anordnet
und zuteilt, indem einige Bienen hinbefohlen werden, nach
Blumen auszugehen, andere beauftragt werden, zu arbeiten,
andere, mit den Wespen zu kämpfen, andere, den Un-
rat wegzuschaffen, andere, ihren König zu begleiten und
zu umgeben; und wenn er alt ist und ohne Flügel, tragen
sie ihn, und wenn eine von ihnen ihren Dienst versäumt,
wird sie ohne Gnade bestraft.
XVII.
Wahrheit
Obwohl die Schnepfen eine der anderen die Eier stehlen,
233
so kehren doch die Kinder, die aus diesen Eiern geboren
sind, immer zu ihrer wahren Mutter zurück.
XVIII. MS. H. I. FOL. 9 r.
Treue oder Hingebung
Die Kraniche sind ihrem Könige so treu und ergeben,
daß bei Nacht, wenn er schläft, einige auf die Wiese
ringsum gehen, um in der Entfernung zu wachen; andere
von ihnen stehen in der Nähe und halten jeder einen
Stein in der Pratze, damit, wenn der Schlaf sie besiegte,
dieser Stein herabfiele und solchen Lärm machte, daß sie
davon wieder aufwachen würden; andere gibt es, die mit-
einander rings um den König schlafen, und das tun sie
jede Nacht, abwechselnd, damit ihr König ihnen erhalten
bleibe.
XIX.
Falschheit
Der Fuchs, wenn er einen Schwärm von Elstern, Krähen
oder ähnlichen Vögeln erblickt, wirft sich augenblicklich
auf den Boden, so daß mit dem offenen Maul er tot
scheint. Jene Vögel wollen ihm die Zunge herauspicken,
und er reißt ihnen den Kopf ab.
XX. MS. H. I. FOL. 9 v.
Lüge
Der Maulwurf hat sehr kleine Augen und bleibt immer
unter der Erde, und so lange lebt er, als er verborgen
bleibt; sobald er ans Licht kommt, stirbt er sofort, weil
er andern offenbar wird. — Also die Lüge.
XXI.
Kraft
Der Löwe hat nie Angst, sondern kämpft starken Mutes
in wilder Schlacht gegen die Menge der Jäger, indem er
stets den anzugreifen sucht, der ihn zuerst angegriffen
hat.
234
XXII.
Furcht oder Feigheit
Der Hase fürchtet immer, und die Blätter, so im Herbst
von den Bäumen fallen, halten ihn stets in Angst und
zumeist in Flucht.
XXIII. MS. H. I. FOL. 10 r.
Großherzigkeit
Der Falke jagt nicht, außer auf große Vögel, und eher
ließe er sich sterben, ehe er sich von kleinen nährte,
oder daß er faules Fleisch fräße.
XXIV.
Ruhmsucht
Diesem Laster, liest man, ist der Pfau mehr als jedes
andere Tier unterworfen, weil er immerfort die Schönheit
seines Schweifes beschaut, in Form eines Rades ihn aus-
breitet und durch sein Geschrei den Blick der Tiere in
der Umgebung auf sich zieht.
Und dies ist das letzte Laster, so man besiegen kann.
XXV. MS. H. I. FOL. 10 v.
Beständigkeit
Der Beständigkeit vergleicht sich der Phönix, der sich
von Natur aus seine Erneuerung vorsetzt und standhaft
die siedend heißen Flammen aushält, so ihn verzehren
und aus denen er hernach neu geboren wird.
XXVI.
Unbeständigkeit
Die Schwalbe setzt man für die Unbeständigkeit, weil
sie immer in Bewegung ist, um nicht die geringste Un-
bequemlichkeit zu ertragen.
XXVII.
Enthaltsamkeit
Das Kamel ist das geilste aller Tiere, das es gibt, und
es ginge tausend Meilen hinter einem Kamelweibchen
235
her; doch wenn es auch beständig mit seiner Mutter oder
seinen Schwestern beisammen wäre, nie berührt es sie;
so gut weiß es sich zu beherrschen.
XXVIII. MS. H.I.FOL. 11 r.
Unmäßigkeit
Das Einhorn, wegen seiner Unmäßigkeit und Unfähigkeit,
sich beherrschen zu können, — im Entzücken, das es
an Jungfrauen findet, vergißt es seine Scheu und Wild-
heit; jeden Verdacht beiseite stellend, geht es zum
sitzenden Mädchen (donzella) hin und schläft auf ihrem
Schöße ein; und die Jäger, auf solche Art fangen sie es.
XXIX.
Demütigkeit
Von der Demütigkeit sieht man den hauptsächlichsten
Beweis beim Schaf, das sich jedem Tier unterwirft; und
wenn man sie (Schafe) eingekerkerten Löwen zur Speise
gibt, so unterwerfen sie sich diesen wie der eigenen
Mutter, so daß, wie man oft gesehen hat, die Löwen sie
gar nicht töten wollten.
XXX. MS. H.I.FOL. 11 V.
Stolz
Der Falke in seinem Hochmut und Stolz will alle andern
Vögel beherrschen und übertreffen, die auf Raub aus-
gehen, und begehrt immer allein zu sein, und oft hat man
den Falken den Adler angreifen gesehen, den König der
Vögel.
XXXI.
Enthaltsamkeit
Der wilde Esel, wenn er zur Quelle geht, um zu trinken,
und das Wasser getrübt findet, wird niemals so großen
Durst haben, daß er des Trinkens sich nicht enthielte
und wartete, bis das Wasser klar wird.
236
XXXII.
Gefräßigkeit
Der Geier ist seinem Schlund so unterworfen, daß er
tausend Meilen ginge, um von einer Leiche zu fressen,
und darum folgt er den Heeren.
XXXIII. MS. H. I. FOL. 12 r.
Keuschheit
Die Turteltaube vergeht sich nie wider ihren Gefährten,
und wenn eines von ihnen stirbt, beobachtet das andere
ewige Keuschheit und setzt sich nie auf einen grünen
Zweig und trinkt nie mehr klares Wasser.
XXXIV.
Unkeuschheit
Die Fledermaus in ihrer zügellosen Unkeuschheit beob-
achtet keine allgemeine Regel der Lust, sondern Männ-
chen mit Männchen, Weibchen und Weibchen, wie sie
durch Zufall beisammen sind, begatten sich.
XXXV.
Mäßigkeit
Das Hermelin in seiner Mäßigkeit ißt nicht mehr als
einmal im Tag, und eher läßt es sich von den Jägern
fangen, als es in eine schmutzige Höhle flöhe, nur um
seine Lieblichkeit nicht zu beflecken.
XXXVI. MS. H. I. FOL. 12 v.
Adler
Der Adler, wenn er alt ist, fliegt so hoch hinauf, daß
er seine Federn versengt, und die Natur willigt ein, daß
er sich in Jugend erneuere, wenn er in seichtes Wasser
fällt. Und wenn seine Jungen den Anblick der Sonne
nicht aushalten, füttert er sie nicht. Daß kein Vogel,
der nicht sterben will, sich seinem Neste nähere! Die
Tiere, wie sehr sie ihn auch fürchten, er schädigt sie
nicht; immer läßt er ihnen von seiner Beute übrig.
237
XXXVII.
Lumerpa — Ruhm
Dieser Vogel wird in Vorderasien geboren und leuchtet
so stark, daß er seine eigenen Schatten aufzehrt, und
auch sterbend verliert er nicht dieses Licht, und seine
Federn fallen niemals aus, und die Feder, die man von
ihm abtrennt, leuchtet nicht mehr.
XXXVIII. MS. H. I. FOL. 13 r.
Der Pelikan
Dieser hegt große Liebe für seine Jungen, und wenn
er sie im Neste von einer Schlange getötet findet, sticht
er sich gleichfalls ins Herz, und indem er sie mit seinem
strömenden Blute badet, bringt er sie zum Leben zurück.
XXXIX.
Der Salamander
Der Salamander verfeinert im Feuer seine
Schale: — gilt für die Tugend.
Er hat keine leidensfähigen Glieder und kümmert sich
um keine andere Speise als Feuer, und häufig erneuert
er in diesem seine Schale.
XL.
Chamäleon
Dieses lebt von der Luft und in dieser ist es allen
Vögeln unterworfen; und um mehr Sicherheit zu haben,
fliegt es über die Wolken und findet so dünne Luft, daß
sie den Vogel nicht trägt, der ihm etwa folgte. — In
diese Höhe erhebt sich nicht, außer, wem es vom
Himmel verliehen ist, — das heißt, dorthin nicht, wo
das Chamäleon noch fliegt.
XLL MS. H. LFOL. 13v.
Der Fisch Alep
Der Alep lebt nicht außerhalb des Wassers.
238
XLII.
Der Strauß
Dieser verwandelt sich Eisen in Speise; brütet Eier
mittels des Blickes aus. Gilt für die Waffen, Nah-
rung der Kapitäne.
XLIII.
Der Schwan
Der Schwan ist weiß, ohne irgendwelchen Makel, und
singt süß, indem er stirbt, welches Singen sein Leben
endet.
XLIV.
Storch
Dieser vertreibt von sich das Übel, indem er Salzwasser
trinkt. Wenn er seine Gefährtin schuldig findet, verläßt
er sie, und wenn er alt ist, hegen und nähren ihn seine
Kinder, bis er stirbt.
XLV. MS. H. I. FOL. 14 r.
Die Zikade
Diese, durch ihren Gesang, macht den Kuckuck schweigen,
stirbt im Öl und wird im Essig wieder lebendig, singt
während der glühenden Hitzen.
XLVL
Die Fledermaus
Diese, je mehr Licht vorhanden, um so weniger sieht
sie, und je mehr sie die Sonne anschaut, um so blinder
wird sie : gilt für das Laster, das es dort nicht aushält,
wo die Tugend wohnt.
XLVIL
Das Rebhuhn
Dieses verwandelt sich aus einem Weibchen in ein
Männchen und vergißt sein früheres Geschlecht, und
entwendet aus Neid anderen die Eier und brütet sie aus;
aber die Jungen folgen ihrer wahren Mutter.
239
XLVIII.
Die Schwalbe
Diese, mittels Chelidonia, gibt ihren blindgeborenen
Kindern das Augenlicht.
XLIX. MS. H.I.FOL. 14 V.
Die Auster — gilt für Verräterei
Diese, wenn der Mond voll ist, öffnet sich gänzlich,
und wenn die Krabbe es bemerkt, wirft sie ihr irgend-
welchen Stein oder Splitter hinein, und diese kann sich
nicht mehr einsperren, wodurch sie die Speise jener
Krabbe wird: so geschieht es dem Mund, der sein Ge-
heimnis sagt, daß er dem indiskreten Hörer zur Beute
wird.
L.
Der Basilisk — Grausamkeit
Dieser wird von allen Schlangen geflohen ; das Wiesel,
vermittelst der Raute, kämpft mit ihm und tötet ihn so. —
Raute für die Tugend.
LI.
Die Viper
Diese trägt plötzlichen Tod in ihren Zähnen, und um
keine Zauberweisen zu hören, verstopft sie sich mit dem
Schweif die Ohren.
LIL MS. H. I. FOL. 15 r.
Der Drache
Dieser umwindet dem Elefanten die Füße, und dieser
fällt ihm auf den Rücken, und der eine und der andere
stirbt, und sterbend übt er seine Rache.
LUX.
Die Kreuzotter
Diese, bei der Paarung, Öffnet den Mund und preßt am
Schluß die Zähne zusammen und tötet den Gatten; die
240
Kinder hierauf, die in ihrem Leib gewachsen, zerreißen
den Bauch und bringen die Mutter um.
LIV.
Der Skorpion
Speichel, nüchtern auf selbigen Skorpion gespuckt, tötet
ihn, im Gleichnis der Enthaltsamkeit des Gaumens, so
die Krankheiten hinwegnimmt und tötet, die von besagtem
Gaumen abhängen, und den Tugenden eine Straße öffnet.
LV. MS. H. I. FOL. 17 r.
Das Krokodil — Heuchelei
Dieses Tier fängt den Menschen und tötet ihn sogleich.
Nachdem es ihn umgebracht, mit klagender Stimme und
mit vielen Tränen beweint es ihn, und wenn es die Klage
beendet hat, verzehrt es ihn grausam: so tut der Heuch-
ler, der um jede kleine Sache sein Gesicht mit Tränen
füllt und im Herzen den Tiger zeigt, indem er sich in
seinem Inneren des Übels anderer mit mitleidsvollem
Antlitz freut.
LVI.
Die Kröte
Die Kröte flieht das Licht der Sonne, und wenn sie
dennoch mit Gewalt festgehalten wird, bläht sie sich so,
daß sie den Kopf unten versteckt und sich selbigen
Strahlen entzieht. Also macht auch, wer ein Feind der
hellen und leuchtenden Tugend ist, der nicht anders als
mit aufgebauschtem Mute, gezwungen ihr steht.
LVn. MS. H. 1. FOL. 17 V. .R.'f?f Allegorie
_^ . _, durfte ohne alte-
DieKaupe res VorbUd sein.
Von der Tugend im allgemeinen.
Die Raupe mit ihrem ausgeübten Studium, voll wunder-
barer Kunstfertigkeit und zartester Arbeit um sich herum
ihr neues Haus zu weben, kommt dann aus diesem mit
bemalten und schönen Flügeln heraus und schwingt sich
mit ihnen zum Himmel auf.
16 Herzfeld, Leonardo
241
Desgleichen. LVIII.
Die Spinne
Die Spinne gebiert aus sich die künstliche und meister-
hafte Leinwand, so ihr zum Gewinn die gefangene Beute
abgibt.
LIX. MS. H. I. FOL. 18 r.
Der Löwe
Dieses Tier mit seinem donnerartigen Ruf weckt seine
Jungen am dritten Tag nach ihrer Geburt und belehrt
all ihre schlummernden Sinne: und alle die wilden Tiere,
so sich im Wald befinden, fliehen.
Läßt sich den Kindern der Tugend vergleichen, welche durch
den Ruf der Lobpreisungen aufwachen und die ehren-
bringenden Studien fördern, durch die sie immer höher
gehoben werden. Und alle Schlechten fliehen bei diesem
Ruf, indem sie sich von den Tugendhaften scheiden.
Ferner, der Löwe deckt seine Fußstapfen zu, damit seine
Wanderung von den Feinden nicht erraten werde. Dies
steht dem Befehlshaber gut, die Geheimnisse seines In-
neren zu verbergen, auf daß die Feinde seine Züge nicht
kennen.
LX. MS. H. l. FOL. 18 v.
Die Tarantel
Der Biß der Tarantel erhält den Menschen bei seinem
Vorsatz, das ist, bei dem, was er erwog, als er gestochen
wurde.
LXL
Die Ohreule oder das Käuzchen
Diese strafen, so mit ihnen fechten, indem sie sie des
Augenlichts berauben ; denn so ist es von der Natur ein-
gerichtet, damit sie sich ernähren.
LXn. MS. H. LFOL. 19r.
Der Elefant
Der große Elefant hat von Natur aus, was selten bei
Menschen sich findet, nämlich Ehrlichkeit, Klugheit, Billig-
242
keit und Beobachtung der Religion; denn sobald der
Mond sich erneut, gehen selbige (Elefanten) zum Flusse
und, hier sich reinigend, waschen sie sich feierlich, und
indem sie so den Planeten begrüßt haben, kehren sie in
die Wälder zurück. Und wenn sie krank sind, auf dem
Rücken liegend, werfen sie Gras gegen Himmel, wie als
wollten sie opfern. Vergräbt seine Zähne, wenn sie vor
Alter ihm ausfallen. Von diesen seinen Zähnen richtet
er den einen her, um Wurzeln auszugraben, von denen
er sich nährt; dem anderen bewahrt er die Spitze, um
zu kämpfen. Wenn sie von Jägern überwunden sind, und
die Müdigkeit sie besiegt, stoßen sich die Elefanten die
Zähne ein, und indem sie sie herausreißen, kaufen sie
sich mit ihnen los.
MS. H. I. FOL. 19 V.
Sie sind barmherzig und kennen die Gefahren, und
wenn einer den Menschen allein und verirrt antrifft,
bringt er ihn gefällig auf die verlorene Straße zurück;
wenn er die Fußspur des Menschen findet, ehe er den
Menschen selbst sieht, fürchtet er Verrat, daher er stehen
bleibt und bläst, indem er selbiges den anderen Elefanten
zeigt, und sie bilden eine Schar und gehen mit Vorsicht.
Sie gehen immer scharenweise, und der älteste geht
voran, und der nächste im Alter bleibt als letzter und so
führen sie die Schar. Sie fürchten die Schande; sie
paaren sich nicht außer bei Nacht im Verborgenen und
kehren nachher nicht zur Herde zurück, wenn sie nicht
vorher sich im Flusse gewaschen haben; sie kämpfen
mit den Weibchen nicht wie andere Tiere. Sind so
barmherzig, daß sie von Natur aus jenen ungern Schaden
zufügen, so weniger stark sind als sie selbst, und wenn
einer auf seinem Wege Haufen und Herden von Schafen
antrifft,
MS. H.I.FOL. 20 r.
so schiebt er sie mit seinem Rüssel beiseite, um sie mit
den Füßen nicht zu zertreten; auch schädigt er nie, außer
16«
243
sie werden herausgefordert. Wenn sie in den Graben
gefallen sind, füllen die anderen mit Zweigen, Erde und
Steinen den Graben aus, heben derart den Boden, daß
sie leicht wieder frei werden. Sie fürchten sehr das
Geschrei der Schweine und fliehen nach rückwärts und
richten dann mit ihren Füßen unter den Ihrigen nicht
weniger Schaden an als unter den Feinden. Sie haben
große Freude an den Flüssen und streichen immer um
diese herum, und wegen ihres großen Gewichtes können
sie nicht schwimmen; sie verzehren die Steine, und
Stämme von Bäumen sind ihnen willkommenste Speise.
Sie hassen die Ratten. Die Fliegen lieben ihren Geruch,
und wenn sie sich ihnen auf den Rücken setzen, runzelt
der Elefant seine Haut, und zwischen den zusammen-
gepreßten Falten tötet er sie.
MS. H.I.FOL. 20 V.
Wenn die Elefanten die Flüsse überschreiten, schicken
sie die Jungen gegen den Fall des Wassers, und indem
sie dem Abhang zugekehrt sind, brechen sie die Einheit
im Lauf des Wassers, auf daß die Strömung sie nicht
mitführe ; der Drache wirft sich ihm unter den Leib, mit
dem Schweif verknüpft er ihm die Beine und mit den
Flügeln und den Krallen umspannt er ihm die Rippen
und mit den Zähnen zerbeißt er ihm die Kehle; der
Elefant fällt auf ihn und der Drache zerplatzt, und
so, vermittelst seines Todes, rächt er sich an seinem
Feind.
LXIII.
Der Drache
Diese gesellen sich einander und verflechten sich so
wie Wurzeln und, den Kopf hochgehoben, überqueren sie
die Sümpfe und schwimmen dorthin, wo sie besseres
Futter finden, und wenn sie sich nicht so vereinigten,
MS. H. h FOL. 21 r.
würden sie ertrinken. Dies macht die Eintracht.
244
LXIV.
Der Lindwurm
Der Lindwurm, ein sehr großes Tier, wenn es irgend-
einen Vogel in der Luft sieht, zieht es so stark den
Atem in sich, daß es die Vögel in den Mund zieht.
Marcus Regulus, der Konsul des römischen Heeres,
wurde mit seiner Armee von solch einem Tiere angegriffen
und fast vernichtet. Welches Tier, von einer Belagerungs-
maschine umgebracht, 123 Fuß lang gemessen wurde,
das ist 64 Ellen und einhalb. Erhob sich mit dem Kopf
über alle Stämme eines Waldes.
LXV.
Die Boa
Dies ist eine große Natter, die mit sich selbst die Füße
der Kuh umwickelt, so daß sie sich nicht rührt; melkt
sie hierauf derartig, daß sie sie fast austrocknet. Von
dieser Gattung wurde zur Zeit des Kaisers Claudius auf
dem Mons Vaticanus eine getötet,
MS. H. I. FOL. 21 V.
die ein ganzes Kind im Leibe hatte, so sie hinabge-
schlungen.
LXVL
Das Elentier wird im Schlaf gefaßt
Dies Tier wird auf der Insel Skandinavia geboren, hat
die Form eines großen Pferdes, außer daß davon die
große Länge des Halses und der Ohren abweichen; es
weidet im Gras nach rückwärts, weil es die Oberlippe
so lang hat, daß sie, wenn es nach vorn hin weidete, das
Gras zudecken würde. Es hat die Beine aus einem Stück;
deshalb, wenn es schlafen will, lehnt es sich an einen
Baum, und die Jäger, den gewohnten Platz zu schlafen
vorhersehend, sägen fast den ganzen Stamm durch, und
wenn es sich dann im Schlafen anlehnt, fällt es durch
seinen Schlaf um; die Jäger fangen es dann, und jede
245
andere Art, es zu fangen, ist vergeblich, weil es von un-
glaublicher Geschwindigkeit im Laufen ist.
LXVII. MS. H. I. FOL. 22 r.
Der Bison schadet durch die Flucht
Dieser wird in Pannonien geboren, hat einen Hals mit
Mähne wie das Pferd; in allen anderen Teilen ist er
dem Stiere ähnlich, außer daß seine HÖrner auf solche
Art nach rückwärts gebogen sind, daß er nicht stoßen
kann, und deshalb hat er keinen anderen Ausweg als die
Flucht, in welcher er Unrat im Kreis von 400 Ellen
seines Laufes schleudert: der, wo er ankommt, so wie
Feuer brennt.
LXVIIL
Löwen, Pardel, Panther, Tiger
Diese halten ihre Klauen in der Scheide und entblößen
sie nie, außer wider die Beute oder den Feind.
LXIX.
Die Löwin
Wenn die Löwin ihre Jungen gegen die Hände der Jäger
verteidigt, senkt sie, um vor den Speeren nicht zu er-
schrecken, die Augen zu Boden, auf daß nicht, infolge
ihrer Flucht, ihre Kinder Gefangene würden.
LXX. MS. H. l. FOL. 22 v.
Der Löwe
Dieses so furchtbare Tier fürchtet nichts so sehr wie
das Gerassel leerer Karren und gleicherweise das Lied
des Hahnes; er fürchtet auch sehr dessen Anblick und
mit ängstlichen Mienen betrachtet er seinen Kamm und
wird sehr verzagt, wenn man ihm das Antlitz zudeckt.
LXXI.
Der Panther in Afrika
Er hat die Gestalt einer Löwin, aber höhere Beine und
ist geschmeidiger und länger und ganz weiß und mit
246
schwarzen Flecken von Art der Rosetten getupft: das ge-
fallt allen Tieren anzusehen, und immer würden sie um
ihn herum bleiben, wenn nicht die Schrecklichkeit seines
Gesichtes wäre,
MS. H. I. FOL. 23 r.
weshalb er auch, dies wissend, sein Gesicht verbirgt;
und die Tiere ringsum beruhigen sich und kommen nahe
heran, um so viel Schönheit besser genießen zu können,
worauf dieser sofort den nächsten ergreift und ihn gleich
verzehrt.
LXXII.
Kamele
Die von Baktrien haben zwei Höcker, die arabischen
einen; sind behend in der Schlacht und äußerst nützlich
beim Tragen von Lasten. Dies Tier ist höchst genau in
Beachtung von Regel und Maß, denn es rührt sich nicht,
wenn es mehr Lasten hat als das Gewohnte, und wenn
es mehr Weg machen soll, tut es dasselbe; sofort bleibt
es stehen, wodurch es die Kaufleute zwingt, sich aufzu-
halten.
LXXIIL MS. H. I. FOL. 23 v.
Der Tiger
Dieser wird in Hyrkanien geboren, ist ein wenig dem
Panther ähnlich, durch die verschiedenen Flecken seines
Fells, und ist ein Tier von furchtbarer Geschwindigkeit.
Der Jäger, wenn er dessen Junge findet, raubt sie, indem
er rasch Spiegel an den Ort legt, wo er sie wegnimmt,
und gleich, auf hurtigem Rosse, flieht er. Der Tiger,
heimkehrend, findet die Spiegel auf dem Boden, in denen,
während er sich selbst sieht, er seine Kinder zu sehen
wähnt, und mit den Pranken kratzend, entdeckt er den
Betrug, worauf er, dank dem Geruch der Kleinen, dem
Jäger folgt; und wenn dieser Jäger den Tiger bemerkt,
läßt er eines der Jungen zurück, und jener nimmt es
247
und trägt es in das Nest und kehrt sofort zum Jäger
zurück und der tut
MS. H. I. FOL. 24 r.
das gleiche, bis er sein Boot besteigt.
LXXIV.
Catoblepas (Gnu)
Dieses wird in Äthiopien geboren, nahe der Quelle
Nigerhaupt (Nigricapo); es ist ein nicht zu großes Tier,
ist träge in allen Gliedern und hat den Kopf von solcher
Größe, daß es ihn nur widerwillig trägt, so daß es immer
zu Boden gebückt ist: sonst wäre es die schlimmste Pest
für die Menschen, denn wer immer von seinen Augen
erblickt wird, stirbt sofort.
LXXV.
Der Basilisk
Dieser wird in der Provinz Cyrenaica geboren und ist
nicht größer als zwölf Zoll und hat auf dem Kopf einen
weißen Fleck wie ein Diadem. Mit seinem Zischen jagt
er alle Schlangen. Hat Ähnlichkeit mit der Natter, aber
bewegt sich nicht in Windungen, sondern gerade von der
Mitte aus vorwärts. Man sagt, daß, wenn einer
MS. H.I.FOL. 24 V.
mittels eines Speers von jemandem getötet wird, so zu
Pferd ist, sein Gift längs des Speers hinanläuft, aber
nicht den Menschen tötet, sondern das Pferd. Er schadet
dem Getreide, und nicht nur dem, das er berührt, sondern
auch, wo er hinhaucht; das Gras verdorrt, die Steine
bersten.
LXXVI.
Das Wiesel
Dieses, wenn es die Höhle des Basilisken findet, tötet
ihn durch den Geruch seines verspritzten Harns; der
Geruch welchen Harns sogar viele Male das Wiesel
selbst umbringt.
248
LXXVII.
Die Hornviper
Diese haben vier kleine bewegliche Hörner; daher,
wenn sie fressen wollen, verstecken sie unter den Blät-
tern ihre ganze Person, ausgenommen diese Hörnchen,
die sie bewegen und die den Vögeln wie kleine Würm-
chen vorkommen, welche scherzen, darum sie sich gleich
herabsenken, um sie aufzupicken, und jene umschlingt
sie plötzlich in Ringen und so verzehrt sie sie.
LXXVIII. MS. H. I. FOL. 25 r.
Die Ringelechse — Amphisbaena
Diese hat zwei Köpfe, den einen am richtigen Platz, den
anderen im Schweif, als ob es nicht genügte, daß von
einem einzigen Platz aus das Gift gesprüht würde.
LXXIX.
Die Pfeilschlange
Diese steht auf den Stämmen und schleudert sich wie
ein Pfeil und durchbohrt die wilden Tiere und tötet sie.
LXXX.
Aspis (Uräusschlange)
Der Biß dieses Tieres kann nicht geheilt werden, außer
durch sofortiges Wegschneiden der gebissenen Teile.
Dieses so pestilenzialische Tier hat eine derartige Zu-
neigung für seine Gefährtin, daß sie immer gesellt gehen,
so daß, wenn unglücklicherweise eines von ihnen getötet
wird, das andere mit unglaublicher Geschwindigkeit dem
Mörder folgt; und ist so eifrig und auf die Rache erpicht,
daß es jede Schwierigkeit besiegt und jedes Heer über-
holt. Nur seinen Feind sucht es zu verletzen und jede
Entfernung überkommt es, und man kann ihm nicht ent-
gehen, außer wenn man das Wasser überschreitet oder
durch eilige Flucht. Es hat die Augen im Inneren, und
große Ohren und wird mehr vom Gehör geleitet als vom
Gesicht.
249
LXXXI. MS. H.I.FOL. 25 V.
Das Ichneumon
Dieses Tier ist der Uräusschlange ein tödlicher Feind,
wird in Ägypten geboren und, wenn es neben seinem
Aufenthaltsort eine Aspis sieht, gleich lauft es zum Fluß-
sand oder Schlamm des Nils und beschmiert sich mit
diesem ganz und hierauf, von der Sonne getrocknet, be-
schmiert es sich wieder mit dem Schlamm, und so, eines
über das andere trocknend, macht es sich drei oder vier
Wämser, gleichsam einen Panzer, und nachher greift es
die Aspis an und kämpft mit ihr gut, so daß es, die
richtige Zeit erfassend, ihr in die Gurgel hineinspringt
und sie tötet.
Der Trochilus,
Kolibri, ist hier
mit dem Kroko-
dilwächter,einem
Vogel aas der
Regenpfeifer-
gattung, ver-
wechselt, der be-
ständig auf dem
Krokodil herum-
häpft, ihm
Maden, Egel usw.
aas der Haut
keraaspickt, ja
Brocken aas sei-
nem Maule holt.
LXXXII.
Das Krokodil
Dieses wird im Nil geboren, hat vier Füße, tut Schaden
zu Wasser und zu Lande; auch findet sich kein irdisches
Tier ohne Zunge außer dieses, und beißt nur, indem es
den Oberkiefer bewegt; es wächst bis zu 40 Fuß, ist
mit Krallen versehen, mit Lederhaut bewaffnet, die jedem
Schlag widersteht; und den Tag über ist es auf dem Land
und die Nacht im Wasser. Von Fischen sich nährend,
schläft es am Ufer des Nils mit offenem Munde ein, und
der Vogel, genannt
MS. H. I. FOL. 26 r.
Trochilo, ein winzig kleiner Vogel, läuft ihm sogleich in
den Mund und, zwischen den Zähnen ihm herumhüpfend,
geht er hin und wieder, die zurückgebliebene Speise
wegpickend, und indem er so mit genußreicher Wollust
(sein Gebiß) ausstochert, lädt er es dazu ein, den
Mund völlig zu öffnen, und so schläft es ein. Wenn
das Eumon (Ichneumon) dies sieht, stürzt es sich ihm
gleich in den Rachen und, nachdem es ihm den Magen
und die Eingeweide durchbohrt hat, tötet es selbiges
schließlich.
250
LXXXIII.
Der Delphin
Die Natur hat den Tieren solche Erkenntnis gegeben,
daß sie außer dem Wissen um den eigenen Vorteil auch
Wissen um den Nachteil des Feindes besitzen; daher be-
greift der Delphin, wieviel ein Schnitt der scharfen Finnen
wert ist, die ihm auf dem Rücken sitzen, und wie sehr
der Bauch des Krokodiles zart ist; also, wenn sie mit-
einander kämpfen, wirft er sich unter seinen Gegner und
zerschneidet ihm den Bauch und tötet ihn so.
Das Krokodil ist furchtbar jenen, die es fliehen, und
höchst feig gegen jene, die es jagen.
LXXXIV. MS. H. I. FOL. 26 v.
Das Hippopotamus
Dieses, wenn es sich beschwert fühlt, geht Dornen suchen
oder dorthin, wo die Strünke abgeschnittenen Schilfrohrs
zu finden, und reibt daran so lang eine Ader, bis es sie
durchschneidet, und nachdem es sich das Blut abgenom-
men, welches nötig, beschmiert es sich mit Flußsand und
heilt die Wunde. Es hat fast die Gestalt eines Pferdes,
den Huf gespalten, den Schwanz geringelt und die Zähne
eines Ebers, den Nacken mit einer Mähne; die Haut ist
undurchbohrbar, außer wenn es badet; es nährt sich von
Getreide; in die Felder geht es rücklings hinein, damit
es scheint, es sei herausgegangen.
LXXXV.
Der Ibis
Dieser hat Ähnlichkeit mit dem Kranich und , wenn er
sich krank spürt, füllt er seinen Kropf mit Wasser an
und mit dem Schnabel gibt er sich ein Klystier.
LXXXVI.
Hirsch
Dieser, wenn er sich von der Spinne, genannt Weber-
knecht, gebissen fühlt, frißt Krebse und befreit sich von
solchem Gift.
251
LXXXVII. MS. H. I. FOL. 27 r.
Die Lazerte
Diese, wenn sie mit den Schlangen kämpft, ißt die Sau-
distel und befreit sich.
LXXXVIII.
Die Schwalbe
Diese gibt ihren erblindeten Jungen durch den Saft der
Chalidonia das Augenlicht wieder.
LXXXIX.
Das Wiesel
Dieses, wenn es Ratten jagt, ißt vorher Raute.
XC.
Der Wildeber
Dieser heilt seine Übel, indem er Efeu frißt.
XCI.
Die Schlange
Diese, wenn sie sich erneuern will, wirft die alte Haut
ab, indem sie beim Kopf beginnt; sie wechselt in einem
Tag und einer Nacht.
XCII.
Der Panther
Dieser, wenn ihm das Eingeweide schon heraushängt,
er kämpft noch mit Hunden und mit Jägern.
XCIII. MS. H. I. FOL. 27 v.
Das Chamäleon
Dieses nimmt immer die Farbe des Gegenstandes an,
auf den es sich setzt; daher, zugleich mit dem Laub, auf
dem sie sitzen, werden sie oft von den Elefanten ver-
zehrt.
XCIV.
Der Rabe
Dieser, wenn er das Chamäleon getötet hat, purgiert
sich mit Lorbeer.
252
XCV. MS. H.H. FOL. 68 V.
Der Distelfink
Der Distelfink gibt den eingekerkerten Jungen Wolfs-
milch. — Lieber sterben, als die Freiheit verlieren!
XCVI. MS. H. III. FOL. 118 V.
Der Kranich
Die Kraniche, damit ihr König nicht wegen schlechter
Bewachung sterbe, umgeben ihn des Nachts mit Steinen
in den Krallen.
Liebe, Angst und Ehrfurcht: dieses schreibe auf drei
Steine der Kraniche.
XCVII.
Von der Vorhersicht
Der Hahn kräht nicht, wenn er nicht vorher dreimal
die Flügel schlägt; der Papagei, wenn er sich zwischen
den Zweigen bewegt, setzt nirgends den Fuß hin, wohin
er nicht vorher den Schnabel gesetzt.
Hi H IH IH li li X. FABELN il H Hill IH m
R. 1322, MS. S. K. M. III. FOL. 66 v.
Papier und Tinte. l^yjfflfflHftiVU ^^ Papier, wclchcs sich VOI! der dunkeln
Schwärze der Tinte ganz beschmutzt sieht,
beklagt sich über diese, welche ihm zeigt,
daß die Worte, so auf ihm zusammengesetzt
sind, der Grund für seine Erhaltung sind.
Vom Wasser. II. R. 1271, MS. S. K. M. III. FOL. 93 V.
Dem Wasser, das sich im stolzen Meere, seinem Ele-
ment, befand, kam der Wunsch, in die Luft emporzu-
steigen, und darin vom Feuerelement getröstet und als
feiner Dunst hinauf erhoben, schien es fast so dünn als
wie die Luft. In die Höhe gestiegen, kam es zu der
noch dünneren und kälteren Luft, wo es vom Feuer ver-
lassen wurde; und die kleinen Körnchen, zusammenge-
preßt, vereinigen sich schon und werden schwer, wobei,
sinkend, der Stolz in Flucht sich verwandelt, und es fällt
vom Himmel, wobei es von der trockenen Erde aufge-
trunken wird, wo es, lange Zeit eingekerkert, für seine
Sünde Buße tut.
Die Flamme und III. MS. CA. FOL. 67 T.
Die Flammen, welche schon einen Monat im Glasofen
dauerten und eine Kerze in einem schönen und glänzen-
den Leuchter sich nähern sahen, bemühten sich mit
großem Verlangen, sie zu erreichen. Unter welchen eine,
— ihren natürlichen Lauf verlassend und sich innen durch
einen hohlen Feuerbrand ziehend, von dem sie sich nährte,
und am andern Ende durch eine kleine Ritze heraus-
dringend, warf sie sich auf die Kerze, so ihr nahe war,
und mit höchster Gier und Gefräßigkeit jene verzehrend.
254
brachte sie sich fast zu ihrem Ende; und indem sie
der Verlängerung ihres Daseins nachhelfen wollte, strebte
sie vergebens, in den Ofen zurückzukehren, von dem sie
sich geschieden hatte, sondern war gezwungen, zu sterben
und hinzuschwinden, zugleich mit der Kerze, wobei sie
schließlich, mit Weinen und Reue, sich in unaussteh-
lichen Rauch verwandelte, während alle ihre Schwestern in
glänzendem und langem Leben und Schönheit zurückblieben.
IV. MS. CA. FOL. 67 r. Die sich ernied-
rigen, werden
Es befand sich, auf die Spitze eines Felsens geheftet, erhöht.
ein ganz klein wenig Schnee, der auf die äußerste Höhe
eines ungeheueren Berges gestellt war, und in sich die
Einbildungskraft sammelnd, begann er mit jener zu be-
trachten und in seinem Innern zu sagen: „Nun, muß ich
nicht als etwas Hochmütiges und Stolzes beurteilt werden,
daß ich mich, klein winziges Teilchen Schnee, auf so
hohen Ort gesetzt habe, und ist zu ertragen, daß solche
Menge Schnee, als von hier aus von mir gesehen werden
kann, tiefer unten bleibe? Sicher, meine geringe Menge
verdient nicht solche Höhe; denn ganz gut kann ich, zur
Bezeugung meiner kleinen Gestalt, erfahren müssen, was
die Sonne gestern mit meinen Gefährten tat, welche in
wenig Stunden von der Sonne vernichtet wurden; und das
kam über sie, weil sie sich höher gestellt hatten, als es
sich für sie gehörte. Ich will den Zorn der Sonne fliehen
und mich erniedrigen und einen Ort finden, der für meine
Geringheit paßt." — Und nachdem er sich hinabgeschleu-
dert hatte und den Abstieg begonnen, von den hohen
Gestaden über den andern Schnee hinrollend, — je tieferen
Ort er suchte, desto mehr wuchs seine Menge, so daß,
als er seinen Lauf beendet hatte, er sich von fast nicht
geringerer Größe auf einem Hügel fand, als der Hügel,
der ihn trug, und war der letzte, welcher in jenem Sommer
von der Sonne aufgelöst wurde. Für jene gesagt, welche
sich demütigen; sie werden erhöht.
255
Der Stein. V. MS. CA. FOL. 175 V.
Ein Stein, neulich erst vom Wasser bloßgelegt und von
schöner Größe, befand sich auf einem gewissen erhöhten
Ort, wo ein entzückendes Wäldchen endete, oberhalb einer
mit Felsstücken übersäten Straße, in Gesellschaft von
Kräutern, die von verschiedenen Blüten in mannigfachen
Farben geschmückt waren; und sah die große Menge von
Steinen, die auf der unter ihm gelegenen Straße ver-
sammelt waren. Es kam ihm der Wunsch, sich da hinab-
fallen zu lassen, in sich sprechend: „Was tue ich hier
bei diesen Kräutern? Ich will mit diesen meinen Ge-
schwistern in Gesellschaft wohnen." — Und, nachdem er
sich hatte hinabfallen lassen, endete er unter den ge-
wünschten Gefährten die Geschwindigkeit seines Laufs.
Und kaum ein wenig da gewesen, begann er durch die
Räder der Wagen, durch die Füße der eisenbeschlagenen
Pferde und der Wanderer in unaufhörlicher Drangsal zu
sein; der kehrte ihn um, jener zerrieb ihn; manches Mal
hob er sich ein kleines Stück, wenn er von Schmutz oder
vom Unrat irgendeines Tieres bedeckt ward, und ver-
gebens betrachtete er den Ort, von dem er gekommen
war, den Ort des einsamen und ruhigen Friedens. So
geschieht es jenen, die aus dem stillen und beschaulichen
Leben weg in die Stadt wollen kommen, zwischen die
Leute voll unendlicher Übel.
Das Rasier- VL MS. CA. FOL. 175 V.
Das Rasiermesser, als es emes Tages aus jener Hand-
habe herauskam, aus der es sich selbst eine Scheide
macht, und sich in die Sonne legte, sah die Sonne sich
in seinem Leibe spiegeln; durch welche Sache es sich
in ungeheurer Glorie fühlte, und den Gedanken rückwärts
gewendet, begann es zu sich selbst zu sagen: „Werde
ich jetzt noch in die Bude zurückkehren, aus welcher ich
erst gekommen bin? Sicher nicht! nicht gefalle es den
Göttern, daß so glanzvolle Schönheit in solche Niedrig-
256
keit des Sinnes verfalle! Welcher Wahnsinn wäre es,
der mich dazu verleitete, die eingeseiften Barte der bäue-
rischen Dorfleute zu rasieren und mechanische Arbeit
zu tun! Ist dies ein Leib zu solcher Übung? Wahrhaftig
nicht. Ich will mich in irgendeinen verborgenen Ort ver-
stecken und da in stiller Ruhe mein Leben verbringen."
— Und so, nachdem es einige Monate versteckt gewesen,
kehrte es eines Tages an die Luft zurück, und seine
Scheide verlassend, sah es sich in Ähnlichkeit einer
rostenden Säge umgeschaffen und seine Oberfläche nicht
mehr die leuchtende Sonne widerspiegeln. Mit eitler
Reue beweinte es vergebens den nicht gutzumachenden
Schaden, bei sich selber sagend: — „O, wieviel besser
war, beim Barbier meine nun verlorene Schneide von solcher
Feinheit zu üben! Wo ist jetzt die glänzende Oberfläche?
Sicher, der lästige und abscheuliche Rost hat sie verzehrt!"
— Dieses gleiche geschieht den Geistern, die im Tausch
für die Übung sich dem Müßiggang ergeben: welche, in
Ähnlichkeit mit obgenanntem Rasiermesser, ihre schnei-
dende Feinheit verlieren, und der Rost der Unwissenheit
verdirbt ihre Form.
VII. MS. H. I. FOL. 14 r. Die Lilie.
Fabel
Die Lilie setzt sich an das Ufer des Tessin, und die
Strömung zieht dessen Rand mit der Lilie fort.
VIII. MS. CA. FOL. 76 r. Der Naßbaum
Der Nußbaum, über eine Straße hinüber den Vorüber-
gehenden den Reichtum seiner Früchte zeigend, wurde
von jedermann gesteinigt.
IX. MS. CA. FOL. 76 r. Der Feigenbaum.
Der Feigenbaum, ohne Früchte, wurde von keinem an-
gesehen; als er mittels Hervorbringung von selbigen
Früchten von den Menschen gelobt werden wollte, wurde
er von jenen gebogen und gebrochen.
17 Herzfeld, Leonardo
257
Die grane Pfianze X.
and der dürre
Stab.
Die Zeder und die
anderer. Bäume.
Die Waldrebe.
R. 1276, MS. S. K. M. III, FOL. 45 r.
Die Pflanze beklagt sich über den alten und dürren Stock,
der ihr beigegeben ist, und über die trockenen Pfähle, so
sie umgeben.
Der eine hält sie aufrecht, die andern behüten sie vor
der schlechten Gesellschaft.
XI. MS. CA. FOL. 67 r.
Die Zeder, anmaßend gemacht durch die eigene Schön-
heit, beginnt den Bäumen zu mißtrauen, die um sie herum-
stehen, und läßt sie niederreißen; der Wind hierauf, nicht
mehr unterbrochen, wirft jene entwurzelt zu Boden.
XIL MS. CA. FOL. 67 r.
Die Waldrebe, nicht zufrieden in ihrer Hecke, begann
mit ihren Ästen die gewöhnliche Straße zu überschreiten
und sich an die Hecke gegenüber anzuheften, worauf sie
von den Vorübergehenden gebrochen wurde.
XIII. MS. CA. FOL. 76 r.
Die Zeder, bemüht, auf ihrem Wipfel eine schöne und
große Frucht zu machen, brachte es mit aller Kraft seiner
Säfte zur Vollführung: welche Frucht, herangewachsen,
die Ursache ward, die hohe und aufrechte Spitze sich
biegen zu machen.
XIV. MS. CA. FOL. 76 r.
Der Pfirsichbaum, neidisch, zu sehen, wie sein Nachbar,
der Nußbaum, eine große Menge von Früchten hervor-
bringe, und entschlossen, das gleiche zu tun, belud sich
mit den seinigen auf solche Art, daß die Schwere be-
sagter Früchte ihn entwurzelt und gebrochen zur ebenen
Erde zog.
Die Ulme und der XV. MS. CA. FOL. 76 f.
F^iscuhcLUTTi»
Der Feigenbaum, welcher in Nachbarschaft der Ulme
stand, ihre Zweige ohne Früchte sehend und voll heißen
Verlangens, die Sonne für seine sauern Feigen zu haben.
Die Zeder.
Der Pfirsich-
baum.
258
sagte mit Vorwürfen zu ihr: — „O Ulme, schämst du
dich denn nicht, so vor mir zu stehen? Aber warte nur,
bis meine Kinder in reifem Alter sind, und du wirst sehen,
wo du dich da befindest." — Welche Kinder später heran-
gereift, — als eine Schwadron Soldaten dahin geriet,
wurde er von diesen, um die Feigen abreißen zu können,
ganz zerrissen und entzweigt und geknickt. Welchen, als
er so an seinen Gliedern verstümmelt da stand, die Ulme
fragte: „O Feigenbaum, um wieviel war es besser, ohne
Kinder zu sein, als wegen dieser in so elenden Zustand
zu kommen!"
XVI. MS. CA. FOL. 67 r.
Der Lorbeer und die Myrte, da sie sahen, wie der
Birnbaum umgehauen wurde, schrien mit lauter Stimme:
„O Birnbaum! wohin gehst du denn? Wo ist der Stolz,
den du besaßest, wenn du deine Früchte schön reif
hattest? Jetzt wirst du uns nicht mehr Schatten machen
mit deinen dichten Haaren !" — Da antwortete der Birn-
baum: — „Ich gehe mit dem Landmann, der mich ab-
schneidet und mich in die Bude eines trefflichen Bild-
hauers bringt, welcher mittels seiner Kunst mich die Form
des Gottes Jupiter wird annehmen machen, und ich werde
dem Tempel gewidmet werden und von den Menschen
anstatt Jovis angebetet. Aber du, mache dich bereit,
häufig verstümmelt und abgeschält zu werden, um deiner
Zweige willen, die von den Menschen, um mich zu ehren,
werden rings um mich herum gewunden werden."
XVn. MS. CA. FOL. 67 r.
Die eitle und flatterhafte Lichtmotte, nicht zufrieden,
bequem in der Luft herumfliegen zu können und besiegt
von der reizvollen Flamme der Kerze, beschloß, in jene
hineinzufliegen, und ihre frohe Bewegung wurde die
Ursache rascher Traurigkeit. Als in besagtem Lichte
die zarten Flügel sich verzehrten, und der Schmetterling,
elend, ganz verbrannt am Fuß des Leuchters hingefallen,
17*
259
Lorbeer, Myrte
und Birnbaum.
Falscher Glanz
fährt ins Ver-
derben.
— nach vielem Weinen und Bereuen, wischte er sich die
Tränen aus den überströmten Augen und, das Gesicht
emporgehoben, sagte er: — „O falsches Licht! wie viele,
gleich mir, mußt du schon in vergangenen Zeiten elen-
diglich getäuscht haben! Ach, wenn ich bloß das Licht
sehen wollte, hätte ich da nicht die Sonne vom falschen
Schein des schmutzigen Talges unterscheiden sollen?"
Die Edelkastanie XVIII. MS. CA. FOL. 67 f.
und der Feigen-
baum. Der Kastanienbaum, da er' auf dem Feigenbaum droben
den Menschen sah, wie selbiger dessen Zweige zu sich
heranbog und von ihnen die reifen Früchte pflückte, —
welche selbiger in den offenen Mund steckte und mit
harten Zähnen zerfaserte und zerfleischte, — seine langen
Zweige schüttelnd, sagte er mit aufgeregtem Rauschen:
— „O Feigenbaum! um wieviel bist du der Natur weni-
ger verpflichtet als ich! Siehst du, wie sie meine lieben
Kinder in mir verschlossen ordnete, erst in ein zartes
Hemd gekleidet, über welches die harte und gefütterte
Rinde getan ist; und indem sie sich nicht zufrieden gab,
mich so mit Gutem zu überhäufen, daß sie ihnen noch
die starke Behausung machte und auf diese spitzige und
dichte Dörner gründete, damit die Hände der Menschen
mir nicht schaden können?" — Da begann der Feigen-
baum mitsamt seinen Kindern zu lachen, und, als das
Lachen geendet, sagte er: — „Wisse, daß der Mensch
solchen Geistes ist, daß er mit Ruten und Steinen und
Reisern wohl versteht, dich unter deine Zweige herunter-
zuziehen, dich an Früchten arm zu machen, und wenn
diese herabgefallen, mit den Füßen und mit Steinen
darauf stampft, so daß die Früchte von dir, zerrissen und
verstümmelt, aus ihrem gewappneten Hause kommen;
und ich werde mit allem Fleiß von den Händen berührt,
und nicht wie du, von Stöcken und von Steinen."
Der Hartriegel XIX. MS. CA. FOL. 67 r.
und die Drossel, ••
Der Hartriegel, an seinen zarten Asten, die voll frischer
260
Früchte hingen, durch die stechenden Krallen und Schnä-
bel der zudringlichen Drosseln gereizt, beklagte sich mit
schmerzlichem Jammern gegenüber selbiger Drossel, sie
bittend, daß, nachdem sie ihm seine teueren Früchte
nehme, sie ihm doch wenigstens nicht die Blätter raube,
die ihn gegen die glühenden Strahlen der Sonne schütz-
ten, und daß sie mit den scharfen Nägeln ihn nicht
schinde und seiner feinen Rinde entkleide. Worauf die
Drossel, mit bäurischem Schelten, versetzte: — „O schwei-
ge, wildes Gestrüpp! Weißt du nicht, daß die Natur dich
diese Früchte zu meiner Nahrung hervorbringen ließ?
Siehst du nicht, daß du auf der Welt bist, um mir zu
selbiger Speise zu dienen? Weißt du Tölpel nicht, daß
du künftigen Winter Nahrung und Speise des Feuers sein
wirst?" — Welche Worte vom Baum geduldig, wenn-
gleich nicht ohne Tränen, angehört waren, als innerhalb
kurzer Zeit, — nachdem die Drossel im Netz gefangen,
und Zweige abgerissen worden, um den Käfig zu machen, in
welchen jene Drossel zu sperren, — als unter den anderen
Zweigen es den biegsamen Hartriegel traf, das Rutenge-
flecht des Bauers zu bilden; welcher Hartriegel, da er
sich als die Ursache des Verlustes der Freiheit des
Vogels sah, nachdem er sich gefreut hatte, folgende
Worte äußerte: — „O Drossel! ich bin hier, noch nicht,
wie du sagtest, vom Feuer verzehrt; eher werde ich dich
gefangen, als du mich verbrannt sehen!"
XX. MS. CA. FOL. 67 r. Die Nuß and dir
Glockenturm.
Es begab sich, daß die Nuß von einer Krähe auf einen
hohen Glockenturm hinaufgetragen wurde, und durch einen
Spalt, in den sie fiel, ward sie von dem tödlichen Schna-
bel befreit; sie bat jene Mauer, um der Gnade zuliebe,
die Gott ihr verliehen, so hervorragend und großartig und
reich an schönen Glocken und so ehrenvollen Klanges zu
sein, daß sie ihr beistehen möge; denn, nachdem sie
nicht hatte unter die grünen Zweige ihres alten Vaters
261
fallen können und in der fetten Erde wieder von seinen
herabfallenden Blättern zugedeckt werden, so wolle doch
sie sie nicht verlassen: indem, als sie sich im wilden
Schnabel der wilden Krähe befand, sie sich gelobt habe,
daß, wenn sie nur aus diesem Schnabel entkomme, sie
ihr Leben in einem kleinen Loch enden wolle. — Nach
welchen Worten der Turm, zu Mitleid bewegt, gezwungen
war, sie in dem Ort aufzunehmen, wohin sie gefallen.
Und binnen kurzer Zeit begann die Nuß sich zu öffnen
und die Wurzeln zwischen die Ritzen der Steine zu
stecken und sie zu erweitern, und die Zweige aus ihrer
Höhle hinaus zu werfen, und bald, als sie diese über das
Gebäude erhoben und die gewundenen Wurzeln verdickt
hatte, begann sie die Mauern zu öffnen und die antiken
Steine aus ihren alten Plätzen zu jagen. Da beweinte
der Turm spät und umsonst den Grund seines Schadens
und, in kurzem gespalten, zerfiel ein großer Teil seiner
Gliedmaßen.
Die Weide und XXI. MS. CA. FOL. 67 f.
der Kürbis.
Die arme Weide fand bei sich, sie könne nicht das Ver-
gnügen genießen, ihre biegsamen Zweige zur ersehnten
Größe wachsen oder auch geführt zu sehen, und sich
zum Himmel aufrichten; wegen der Weinreben und eini-
ger Bäume, die in ihrer Nähe standen, blieb sie immer
krüppelig und abgeästet und verpfuscht; und mit allen
Geistern in sich gesammelt, öffnet sie und stößt mittels die-
ser der Phantasie die Tore auf; und in beständiger Er-
wägung und mit jener die Welt der Pflanzen aufsuchend,
(um zu wissen), mit welcher von diesen sie sich verbin-
den könne, die nicht des Beistands ihrer Fesselung be-
dürfe, und ein wenig in dieser nahrhaften Einbildung
(notritiva imaginazione) verharrend, kam ihr in plötzlichem
Überfall der Kürbis in den Sinn, und vor großen Freu-
den schüttelte sie alle ihre Zweige, da es ihr schien,
eine Gesellschaft nach ihrem Wunsch und Vorsatz ge-
262
funden zu haben, sintemalen der Kürbis mehr geeignet
ist, andere zu binden, als gebunden zu werden. — Und
nachdem sie solchen Entschluß gefaßt, hob sie ihre Äste
zum Himmel, aufmerksam irgendeinen befreundeten klei-
nen Vogel erwartend, der solchem Wunsche der Mittler
wäre. Unter welchen, als sie die Elster sah, sie zu dieser
hin sprach: — „O freundlicher Vogel, ich bitte dich, bei
jener Hilfe, so du dieser Tage des Morgens in meinen
Zweigen fandest, als der ausgehungerte Falke, raubgierig
und grausam, dich verzehren wollte; und bei jenem Aus-
ruhen, das auf mir du häufig geübt, wenn deine Flügel
von dir Ruhe begehrten; und bei jenem Vergnügen, das
innerhalb meiner besagten Zweige du, in Liebe mit dei-
nen Gefährtinnen scherzend, oft gefunden hast: ich bitte
dich, daß du den Kürbis aufsuchest und von diesem einige
seiner Samen erlangest, und sage diesen, daß, wenn sie
erst geboren, ich sie nicht anders behandeln würde, als
ob aus meinem eigenen Leib ich sie mir erzeugt hätte;
und gleicherweise benütze alle jene Worte, die zu solcher
Absicht überredend sind, obschon dich, Meisterin der
Sprache, man nicht zu unterweisen braucht. Und wenn
du dies tust, bin ich es zufrieden, dein Nest mitsamt
deiner Familie im Ansatz meiner Zweige, ohne Bezahlung
irgendwelcher Miete, aufzunehmen." — Die Elster, nach-
dem einige Kapitulationen mit der Weide gemacht oder
neu abgeschlossen worden waren, und besonders, daß sie
Nattern und Marder niemals aufnehmen werde, — den
Schwanz gehoben und den Kopf gesenkt, warf sie sich
vom Ast und vertraute ihr Gewicht den Schwingen an.
Und diese über die flüchtige Luft schlagend, bald da,
bald dorthin neugierig mit dem Steuer des Schweifes
dirigierend, kam sie zu einem Kürbis, und mit schönem
Gruße und ein paar guten Worten erlangte sie die ge-
wünschten Samen. Und wurde, als sie sie zur Weide
gebracht, mit frohem Gesicht empfangen; und den Boden
neben der Weide ein wenig mit den Füßen aufscharrend,
263
Der Adler.
Die Spinne,
pflanzte sie mittels des Schnabels selbige Körner im
Kreis um den Baum. Welche, in kurzer Zeit, wachsend,
mit dem Emporschießen und Entfalten ihrer Zweige alle
Äste der Weide in Beschlag zu nehmen anfingen und
mit ihren großen Blättern selbiger die Schönheit der
Sonne und des Himmels wegzunehmen. Und nicht genug
an so viel Übel im Gefolge der Kürbisse, begannen sie
durch übermäßiges Gewicht die Wipfel der zarten Zweige
gegen die Erde zu ziehen, mit sonderbaren Torturen und
Beschwerden für dieselben. Hierauf, sich beutelnd und
vergeblich schüttelnd, um jene Kürbisse von sich herab-
fallen zu machen, und umsonst mehrere Tage in solcher
Täuschung vertändelnd, weil die gute und feste Umschlie-
ßung solche Gedanken verneinte; — als der Baum den
Wind vorüberkommen sah, empfahl er sich ihm, und die-
ser blies stark. Da öffnete sich der alte und hohle Schoß
der Weide in zwei Teile bis herab zu ihren Wurzeln,
und in zwei Teile zerfallen, beweinte sie vergebens sich
selbst und erkannte, daß sie geboren sei, um niemals
irgend etwas Gutes zu haben.
XXII. MS. CA. FOL. 67 r.
Der Adler, indem er die Eule verhöhnen wollte, blieb
mit den Flügeln im Vogelleim und ward vom Menschen
gefangen und getötet.
XXIII. MS. CA. FOL. 67 r.
Die Spinne, welche die Fliege mittels ihrer falschen
Netze fangen wollte, wurde auf diesen von der Hornisse
grausam umgebracht.
Der Krebs. XXIV.
R. 1314, MS. BR. M. FOL. 42 v.
Fabel
Als der Krebs unter dem Felsblock sich aufhielt, um
die Fische zu fangen, die unter jenen hineingingen, kam
das Hochwasser mit verderblichem Herabsturz von Steinen,
und mit ihrem Kollern zerschmetterten sie selbigen Krebs.
264
XXV. MS. CA. FOL. 67 r.
Der Esel, welcher auf dem Eis eines tiefen Sees einge-
schlafen war; seine Wärme machte selbiges Eis schmelzen,
und unter Wasser, zum eigenen Schaden, wachte er auf
und ertrank sogleich.
XXVI. MS. CA. FOL. 67 r.
Als die Ameise ein Hirsekorn gefunden, rief das Korn,
das sich von jener ergriffen fühlte: — „Wenn du mir
so viel Glück vergönnen willst, daß ich meines Verlangens,
geboren zu werden, froh werden kann, werde ich dir hun-
dert von meinen Selbst zurückerstatten." — Und so ge-
schah es auch.
XXVIL MS. H. IL FOL. 51 v.
Die Auster, die zugleich mit den anderen Fischen im
Hause des Fischers nah dem Meere abgeladen worden,
bittet die Ratte, daß sie sie ans Meer führe. Die Ratte,
so die Absicht gefaßt hat, sie zu essen, macht, daß sie
sich öffnet, und da sie sie beißt, klemmt jene ihr den
Kopf ein und hält sie fest. Kommt die Katze und
tötet sie.
XXVIII. MS. CA. FOL. 76 r.
Der Falke, nicht imstande, in Geduld das Versteckenspiel
zu ertragen, welches die Ente mit ihm treibt, wenn sie vor
ihm flieht und unter das Wasser geht, wollte es machen
wie jene, unter dem Wasser verfolgen, doch, die Federn
erst gebadet, blieb er in selbigem Wasser, und die Ente,
sich in die Luft erhebend, verspottete den Falken, welcher
ertrank.
XXIX. MS. CA. FOL. 117 r.
Die Krammetsvögel freuten sich sehr, als sie sahen, daß
der Mensch das Käuzchen fing und ihm die Freiheit nahm,
es mit starken Banden an seinen Füßen bindend. Wel-
ches Käuzchen dann, mittels des Vogelleims, Ursache
ward, die Krammetsvögel nicht ihre Freiheit, sondern das
Leben selbst verlieren zu machen. — Für jene Gebiete
erzählt, die sich freuen, ihre Herren die Freiheit verlieren
Der EseL
Die Ameise und
das Hirsekorn,
Auster, Ratte
und Katze.
Der Falke und
die Ente,
Die KrammetS'
vögel.
265
Der Hund and
der Floh.
Katze, Wiesel
und Maus.
Der Affe and das
Vögelein.
ZU sehen, wodurch sie dann allen Beistand verlieren und
in der Macht des Feindes gebunden bleiben, selbst die
Freiheit lassend und häufige Male das Leben.
XXX. MS. CA. FOL. 119 r.
Der Hund schlief auf dem Fell eines Hammels. Einer
seiner Flöhe, den Geruch der fetten Wolle spürend, ur-
teilte, das müsse ein Ort besseren Lebens sein und
sicherer vor den Zähnen und Krallen des Hundes, als
sich vom Hunde zu nähren; und ohne andere Gedanken
verließ er den Hund. Und, zwischen die dichte Wolle
eingetreten, begann er mit höchster Anstrengung zu den
Wurzeln der Haare durchdringen zu wollen, welche Unter-
suchung er, nach sehr viel Schweiß, als eitel erfand, weil
solche Haare so häufig waren, daß sie sich fast berührten,
und war dort kein Raum, wo der Floh von selbigem Fell
zu kosten vermochte. Weshalb, nach langer Drangsal und
Plage, er begann zu seinem Hund zurückkehren zu
wollen, welcher schon davongelaufen war, so daß er ge-
zwungen war, nach langer Reue, bitteren Tränen, Hungers
zu sterben.
XXXL MS. CA. FOL. 67 r.
Es wurde die Maus in ihrer winzigen Behausung vom
Wiesel belagert, das mit beständiger Wachsamkeit auf
ihre Zerstörung bedacht war, und durch eine kleine Spalte
betrachtete sie ihre große Gefahr. Einstweilen kam die
Katze, und sofort fing sie das Wiesel und hatte es gleich
verzehrt. Die Maus hierauf, nachdem sie Jovi mit
mehreren ihrer Haselnüsse ein Opfer dargebracht, dankte
ihrer Gottheit außerordentlich und ging aus ihrem Loch
heraus, um die schon verlorene Freiheit recht zu ge-
nießen, deren sie sofort, zugleich mit dem Leben, durch
die grausamen Krallen und Zähne der Katze beraubt ward.
XXXII. MS. CA. FOL. 67 r.
Ein Affe, der ein Nest voll kleiner Vögel fand und sich
ganz fröhlich an diese heran machte, die schon zum Aus-
266
fliegen waren, konnte nur den kleinsten davon fangen.
Voller Freuden, mit diesem in der Hand, ging er zu
seinem Schlupfwinkel fort, und da er begonnen hatte, das
Vöglein zu betrachten, fing er an, es zu küssen, und aus
eingefleischter Liebe küßte er es so sehr und drehte und
drückte es, daß er ihm das Leben nahm. Ist für jene
gesagt, welche, da sie ihre Kinder nicht straften, übel an-
kommen.
XXXIII. MS. CA. FOL. 67 r. ^P'^Yraube^'^'"'
Eine Spinne, die eine Weintraube gefunden, welche
wegen ihrer Süßigkeit von Bienen und verschiedenen
Arten von Fliegen viel besucht wurde, glaubte einen für
ihren Betrug sehr bequemen Ort gefunden zu haben.
Und nachdem sie sich auf ihrem zarten Faden herab-
gelassen und die neue Wohnung betreten hatte, sich hier
an die Spalte machend, die aus den Zwischenräumen der
einzelnen Körner der Trauben gebildet war, griff sie
jeden Tag als Dieb die armen Tiere an, die vor ihr nicht
auf der Hut waren. Und da einige Tage vergangen, —
nachdem der Weinleser selbige Traube abgeschnitten hatte
und zu den übrigen gelegt, wurde sie zugleich mit jenen
gepreßt. Und so wurde die Traube Schlinge und Hinter-
halt für die betrügerische Spinne, wie für die betrogenen
Fliegen.
XXXIV. MS. CA. FOL. 67 r. Die Legende vom
Wein und von
Der Wein, göttlicher Saft der Trauben, sich in einer Mahomed.
goldenen und reichen Tasse auf der Tafel des Mahomed
findend und über so viel Ehre vor Freuden außer sich
geraten, wurde plötzlich von einer entgegengesetzten Er-
wägung angefallen und sagte zu sich selbst: — „Was mache
ich? Worüber freue ich mich? Bemerke ich denn nicht,
daß ich meinem Tode nahe bin und die goldene Behau-
sung dieser Tasse verlassen muß und eintreten in die
häßlichen und übelriechenden Höhlen des Körpers und
da aus duftendem und süßem Saft mich in abscheulichen
267
und elenden Harn verwandeln? Und nicht genug an so
viel Übel, daß ich noch so lange in den greulichen Be-
hältern mit anderer stinkender und verfaulter Materie
liegen muß, die aus dem menschlichen Innern kam!" —
Er schrie zum Himmel auf, Rache fordernd für so viel
Schaden, und daß von nun an ein Ende gesetzt werde
so vieler Erniedrigung; daß, nachdem dieses Land die
schönsten und besten Trauben der ganzen Welt hervor-
bringe, sie wenigstens nicht zu Wein gemacht würden.
Da machte Zeus, daß der von Mahomed getrunkene Wein
seine Seele zum Gehirn hob und dieses so befleckte, daß
es ihn verrückt machte und so viele Irrtümer erzeugte,
daß er, wieder zu sich gekommen, zum Gesetz aufstellte,
daß kein Asiate je mehr Wein tränke. Und wurden von
da an die Rebstöcke mit ihren Früchten wohl in Ruhe
gelassen.
(Auf dem Seitenrand.) Der Wein, in den Magen ein-
getreten, fing gleich an zu wallen und zu schwellen; gleich
begann die Seele von jenem den Körper zu verlassen;
bereits kehrt sie sich zum Himmel, findet das Gehirn
auf, verursacht eine Teilung in seinem Körper; schon
fängt sie an, es zu beflecken und ihn wie einen Tollen
wüten zu machen; schon begeht er unsühnbare Irrtümer,
seine Freunde tötend , . .
Stahl und Stein. XXXV. MS. CA. FOL. 257 r.
Fabel
Der Stein, vom Feuerstahl geschlagen , wunderte sich
sehr und sagte diesem mit strenger Stimme: — „Welche
Anmaßung bewegt dich, mir Beschwerde zu machen?
Tu mir nicht Schmerz an, denn du hast mich aus Irrtum
hergenommen; ich mißfiel nie irgend jemandem." Worauf
der Feuerstahl antwortete: „Wenn du geduldig bist, wirst
du sehen, welche wunderbare Frucht aus dir herauskommen
wird." Auf welche Worte der Stein, Frieden gebend, mit
Geduld der Marter standhielt und aus sich das wunder-
268
bare Feuer geboren werden sah, welches mit seinem
Anblick in zahllosen Dingen wirkte.
Für jene gesagt, welche am Anfang der Studien er-
schrecken, und dann, wenn sie sich anschicken, sich selbst
zu befehlen und mit Geduld fortdauernde Arbeit selbigen
Studien zu geben, sieht man aus jenen Dinge von wunder-
barer Beweiskraft resultieren.
XXXVI. MS. CA. FOL. 116 V. Die Flamme und
der Kessel
Ein wenig Feuer, das in einer kleinen Kohle zwischen (Entwarf).
der lauen Asche zurückgeblieben, vom wenigen Saft, der
in ihr übrig war, nährte es sich kümmerlich und dürftig.
Als die Verwalterin der Küche, um jenes bei ihrem ge-
wöhnlichen Kochamt zu verwenden, hier erschien und
nachdem sie das Holz in den Herd gelegt und mit dem
Schwefelfaden aus ihm, das schon fast tot war, ein kleines
Flämmchen wieder aufgeweckt und zwischen den geord-
neten Scheiten dieses angefacht und den Kessel darüber
gesetzt hatte, ohne andern Verdacht ging sie voll Sicher-
heit wieder fort. Das Feuer dann, sich freuend des über
ihm liegenden Holzes, begann sich zu erheben, die Luft
durch die Zwischenräume selbiger Holzscheite jagend,
zwischen welche in scherzhaftem und fröhlichem Durch-
zug es selbst sich selber wirkte. Es hatte schon begonnen,
aus den Intervallen des Holzes herauszuschimmern, aus
denen es für sich selbst lustige Fenster gemacht hatte,
und leuchtende und rötlich funkelnde Flämmchen hervor-
stoßend, verjagte es plötzlich die schwarzen Dunkel der
versperrten Küche, und voll Freude scherzten die schon
angewachsenen Flammen mit der Luft, Umgebung von
ihnen, und mit sanftem Gesumme singend, schuf das
süßen Klang . . .
. . . Das Feuer, sich des trockenen Holzes freuend, das
es im Herd gefunden hatte, und sich drin anfachend, be-
gann mit den Scheiten zu scherzen, seine kleinen
Flämmchen herumwirkend, und jetzt da, jetzt dort, zog
269
es durch die Zwischenräume, die sich zwischen jenen
befanden. Und zwischen ihnen mit festlichem, fröhlichen
Durchzug herumlaufend, begann es aufzuschimmern und
erschien bei den Intervallen der oberen Scheite, aus
ihnen bald hier, bald dort sich lustige Fenster machend.
Da es sich schon stark über das Holz gewachsen und
recht groß geworden sah, begann es seinen sanften und
ruhigen Mut zu geblähtem und unerträglichem Stolz zu
erheben, indem es sich gewissermaßen glauben machte,
es ziehe das ganze obere Element (das Feuer) auf das
bißchen Holz herab. Und zu pusten beginnend und den
ganzen umliegenden Herd mit Geknister und sprühenden
Funken füllend, richteten die Flammen, groß geworden,
sich schon vereinigt in die Luft ... als die höchsten
Flammen, beim Boden des oberen Kessels durchstießen . . .
Vom dummen XXXVII. MS. CA. FOL. 257 r.
Schmetterling. , r> ,. . , r.
Der bemalte Schmetterimg, m der verfinsterten Nacht
herumschwärmend und eilend, bekam auf einmal ein Licht
vor die Augen, nach dem er gleich sich wendete, und, in
verschiedenen Ringen jenes umkreisend, wunderte er sich
stark über so viel glänzende Schönheit. Und nicht zu-
frieden damit, es nur zu sehen, machte er sich daran,
mit jenem zu tun, wie er mit den duftenden Blumen zu
tun pflegte, und seinen Flug hingekehrt, begab er sich
kühnen Muts in die Nähe des Lichts, das ihm die Enden
der Flügel und Beine und andere Zieraten verzehrte.
Und jenem zu Füßen hingesunken, betrachtete er mit
Verwunderung diesen Fall, in den er hineingekommen
war, indem es ihm nicht in den Sinn eingehen wollte,
daß von so schöner Sache Übles oder Schaden kommen
könnte; und, die versagenden Kräfte ein wenig neu
hergestellt, nahm er wieder einen zweiten Flug vor, und
nachdem er den Körper desselbigen Lichtes durchquert,
fiel er plötzlich verbrannt in das Öl, so dieses Licht
nährte, und blieb ihm nur so viel Leben, daß er die
270
Ursache seines Schadens betrachten konnte, jenem sagend:
„O verfluchtes Licht! Ich glaubte in dir mein Glück ge-
funden zu haben; ich beweine vergebens den wahnwitzi-
gen Wunsch und durch meinen Schaden habe ich deine
verzehrende, gefährliche Natur erkannt." Auf welches
das Licht erwiderte: „So tue ich jenem, der mich nicht
gut zu gebrauchen weiß."
Für jene gesagt, die vor sich diese lasziven und welt-
lichen Vergnügungen sehend, gleich dem Schmetterling
selbigen zulaufen, ohne die Natur jener in Betracht zu
ziehen, welche von selbigen Menschen, nach langem
Gebrauch, mit ihrer Scham und ihrem Schaden erkannt
werden.
XXXVIII. R. 1314, MS. BR. M. FOL. 42 v.
Die Spinne, zwischen den Trauben befindlich, fing die
Fliegen ab, so auf selbigen Trauben sich nährten; kam
die Weinlese, und wurde die Spinne mitsamt den Trauben
zerstampft.
Die Rebe, auf dem bejahrten Baum alt geworden, fiel
zugleich mit der Zerstörung des Baumes und mußte,
wegen der schlechten Gesellschaft, mit jenem zugrunde
gehen.
Der Wildbach führte so viele Erde und Steine in seinem
Bett mit, daß er gezwungen wurde, seinen Lauf zu ver-
ändern.
Das Netz, so die Fische zu fangen pflegte, wurde ge-
fangen und fortgetragen vom Furor der Fische.
XXXIX. R. 1314, MS. BR. M. FOL. 42 v.
Der Schneeball, je mehr er rollend von den Bergen
Schnee hinabtrug, desto mehr wuchs seine Größe.
Die Weide, welche mit ihren langen Schößlingen gewillt
ist zu wachsen und jeden andern Baum zu überragen, —
weil sie mit der Weinrebe Gesellschaft schloß, die jedes
Jahr beschnitten wird, wurde auch sie immer wieder
verkrüppelt.
Entwürfe.
Desgleichen,
271
Entwurf.
Fragment.
Entwurf.
Entwurf.
Entwurf und
Fragment.
XL. MS. G. FOL. 89 r.
Für den Dornbusch, dem man gute Früchte aufpfropft.
Er bedeutet jenen, der an sich nicht zum Guten angelegt
war, doch mittels Beistand des Erziehers die nützlichsten
Tugenden trägt.
XLL MS. G. FOL. 89 r.
Das Gewandstück, das mit der Hand in den Lauf des
fließenden Wassers gehalten wird, in welchem Wasser das
Zeug seinen ganzen Schmutz läßt, bedeutet dieses usw.
XLIL MS. L.FOL. 72 V.
Der Flachs ist dem Tod und der Fäulnis der Sterblichen
geweiht, — dem Tod durch die Schlingen und Netze für
die Vögel, Tiere und Fische; der Fäulnis durch die Linnen-
gewebe, in die man die Leichen wickelt, so man beerdigt
und die in solchen Linnen vermodern.
Und dann, der Flachs löst sich nicht von seinen Fasern
ab, wenn er nicht zu modern und zu faulen beginnt, und
mit diesem sollte man die Leichenbegängnisse bekränzen
und schmücken.
XLin. MS. CA. FOL. 67 r.
Fabel von der Zunge, die von den Zähnen gebissen ward.
XLIV. R. 1324, MS. S. K. M. IIL FOL. 48 r.
Das Messer, zufällige Waffe, verjagt dem Menschen seine
Nägel, natürliche Waffe.
Der Spiegel spielte sehr den Herrn, weil er in sich
die Königin abgespiegelt hielt; da diese jedoch abgereist,
blieben in den . . .
XI. SCHÖNE SCHWANKE
mann.
MS. CA. FOL. 150 V. ^,„^,,,,,,,^,,
s halten die Minoritenbrüder zu gewissen Zeiten "'»«"* ^'»/-
^ mann.
irgendwelche ihrer Fasten, während welcher sie
in ihren Klöstern kein Fleisch essen; doch auf
Reisen, da sie von Almosen leben, haben sie
Lizenz, das zu essen, was ihnen vorgesetzt wird.
Daher, als auf genannten Reisen ein paar selbiger Brüder in
einem Wirtshaus sich niederließen, in Gesellschaft eines
gewissen kleinen Kaufmanns, der an dem gleichen Tische
saß, an dem, wegen der Armut des Wirtshauses, nichts
aufgetragen wurde als ein gekochtes Huhn, selbiger
kleine Kaufmann, sehend, daß dieses für ihn wenig sei,
sich zu selbigen Klosterbrüdern wendete und sprach: —
„Wenn ich mich recht erinnere, esset ihr an solchen
Tagen in eueren Klöstern in keinerlei Weise Fleisch".
— Auf welche Worte die Brüder um ihrer Regel willen
gezwungen waren, ohne andere Spitzfindigkeit zu sagen,
daß dies die Wahrheit sei: daher der Kaufmann seinen
Willen hatte und so selbiges Huhn für sich aufaß; und
die Klosterbrüder machten das Beste daraus.
Nun, nach solchem Frühstück brachen diese Tisch-
genossen alle drei in Gesellschaft auf und
MS. CA. FOL. 150 r.
da sie nach kurzem Wege einen Fluß trafen, von tüch-
tiger Breite und Tiefe, und alle drei zu Fuß waren, —
die Mönche aus Armut und der andere aus Geiz, war
es zum Nutzen der Gesellschaft notwendig, daß einer
der Klosterbrüder, nachdem er die Schuhe ausgezogen,
selbigen Kaufmann auf seinen Schultern hinübertrage:
18 Herzfeld, Leonardo
273
worauf, nachdem der Frate ihm die Holzpantoffel zum
Aufheben gegeben, er sich selbigen Mann auflud.
Nun geschah es, daß selbiger Frate, sich inmitten des
Flusses befindend, auch er sich seiner Regel erinnerte,
und stehen bleibend, wie der h. Christophorus, erhob er
den Kopf zu jenem, der auf ihm lastete: — »Sag mir
ein wenig, hast du kein Geld bei dir?" — „Wohl weißt
du es," antwortete er; „wie glaubt ihr denn, daß ein
Kaufmann meinesgleichen anderswie herumginge?" —
„O weh!" sprach der Frate; „unsere Regel verbietet, daß
wir Geld bei uns tragen dürfen" — und warf ihn plötz-
lich ins Wasser. Welche Sache dem Kaufmann bewußt
geworden, daß nämlich scherzhaft die angetane Kränkung
gerächt worden war, ertrug er mit liebenswürdigem Lachen,
friedlich und vor Scham halb errötet, diese Rache.
Ein Priester, der am Karsamstag durch seine Ge-
meinde ging und, wie es Brauch ist, in den Häusern
das Weihwasser sprengte, geriet in das Zimmer eines
Malers, wo, als er das Wasser auf irgendwelches seiner
Bilder spritzte, selbiger Maler, sich etwas ärgerlich um-
kehrend, fragte, warum er denn seine Gemälde so be-
spritze. Darauf sagte der Geistliche, es sei derart Brauch
und seine Pflicht, also zu tun, und daß er gut tue, und
wer Gutes tue, habe Gutes und Besseres zu erwarten,
denn so versprach es Gott, und daß von allem Guten,
so man auf Erden tue, man von oben für jegliches
das Hundertfache kriegen werde. Der Maler hierauf,
wartend, daß jener hinausginge, machte sich droben an
das Fenster und goß einen großen Kübel Wasser selbi-
gem Priester über den Kopf, sprechend: — „Da, nun
kriegst du von oben das Hundertfache für jegliches,
wie du sagtest, daß es geschehen werde für das Gute,
so du mir durch dein heiliges Weihwasser tatest, mit
dem du meine Malereien halb verdorben hast."
274
III. MS. CA. FOL. 76 r. ff<«ch« Antwort.
Einer sagte, daß seine Heimat die sonderbarsten Dinge
der Welt hervorbringe. Der andere versetzte: — „Du,
so dort geboren ist, bestätigest das durch die Sonderbar-
keit deiner häßlichen Gegenwart."
IV. MS. M.FOL. 58 V. Ein Pythagoräer
äbertrampfl.
Als einer mit der Autorität des Pythagoras beweisen
wollte, wie schon andere Male er auf der Welt gewesen,
und jemand ihn seine Begründung nicht beendigen ließ,
da sagte jener zu diesem also: — „Und zum Beweis,
daß ich zum anderen Male hier bin: ich erinnere mich,
du warst damals Müller." — Dieser, der sich von den
Worten gestochen fühlte, bestätigte hierauf, daß es wahr
sei, und daß als Gegenzeichen wieder er sich erinnere,
jener selbige sei der Esel gewesen, der ihm damals das
Mehl trug.
V. MS. M. FOL. 58 V. Schwank.
Man fragte einen Maler, warum, nachdem er seine Fi-
guren so schön machte, die doch tote Sachen wären, aus
welchem Grund er seine Kinder so häßlich gemacht.
Hierauf erwiderte der Maler, seine Malereien, die mache
er eben bei Tag und die Kinder bei Nacht.
VI. MS. CA. FOL. 306 V. Ein wahrer
Freund.
Jemand ließ den Verkehr mit einem seiner Freunde,
weil dieser ihm häufig von seinen eigenen Freunden
Übles sprach. Welcher, von seinem Freunde verlassen,
sich eines Tages bei ihm beklagte und nach vielem Klagen
bat, er möge ihm doch sagen, welches die Ursache sei,
die ihn so viel Freundschaft habe vergessen gemacht.
Worauf selbiger antwortete: — „Ich will mit dir nicht
mehr verkehren, weil ich dir gut bin und nicht will,
daß, wenn du anderen Übles erzählest von mir, deinem
Freunde, diese anderen wie ich von dir einen schlechten
Eindruck erfahren, weil du von mir, deinem Freunde,
18*
275
Scherz,
Der Handwerker
and der Herr,
Ein Sieben-
schläfer
Gewonnene
Wette,
jenen Übles erzählst; daher, wenn wir nicht mehr mit-
einander verkehren, wird es scheinen, wir seien Feinde
geworden, und wegen deines von mir Übles Redens, wie
es deine Gewohnheit ist, wirst du nicht so sehr getadelt
zu werden brauchen, wie wenn wir miteinander verkehrten."
VII. R. 1290, MS. S. K. M. 112. FOL. 44 r.
Ein Kranker, in articulo mortis, hörte an seiner Türe
klopfen, und als er einen seiner Diener fragte, wer am
Eingang klopfe, antwortete derselbige Diener, es sei eine
Frau, die sich Madonna Bona nenne. Da hob der Kranke
seine Arme zum Himmel und dankte Gott mit lauter
Stimme; dann sagte er den Dienern, sie mögen jene
rasch hereinkommen lassen, damit er eine „donna bona"
(eine gute Frau) sehen könne, ehe er stürbe, indem er
zu seinen Lebzeiten niemals eine solche gesehen habe.
VIII. R. 1282, MS. S. K. M. III. FOL. 58 r.
Ein Handwerker, der oft ging, einen gebietenden Herrn zu
besuchen, ohne irgend etwas dabei zu verlangen, wurde
von selbigem Herrn gefragt, was er eigentlich hier mache.
Dieser sagte, er komme her, um Vergnügungen zu haben,
die jener zu haben nicht vermöge; denn er sehe gern
Männer, die mächtiger seien als er, wie die Bürgersleute
so tun, aber daß der Herr nichts sehen könne als Men-
schen von geringerer Macht als der seinen ; daher fehlte
den Signori derartiges Vergnügen.
IX. R. 1291, MS. S. K. M. 112 FOL. 43 v.
Es wurde einem gesagt, er möge doch aus dem Bett
aufstehen, denn die Sonne sei schon aufgestanden. Und
er antwortete: „Wenn ich eine solche Reise und so viel
zu tun vorhätte wie sie, wäre ich auch schon aufgestan-
den; aber da ich nur einen so kleinen Weg habe, bleibe
ich noch im Bett."
X. MS. CA. FOL. 76 r.
Als einer disputierend sich rühmte, viele verschieden-
276
artige und schöne Spiele zu wissen, sagte ihm ein an-
derer der Umstehenden: — „Ich weiß ein Spiel, welches
jeden nach meinem Gutdünken Hosen überziehen macht."
— Der erste Prahler, der keine Beinkleider trug: —
„Wahrhaftig nicht," sagte er; „mich wirst du keine über-
ziehen machen! Und gehe es um ein Paar Strümpfe!" —
Der Proponent selbigen Spieles, die Einladung annehmend,
verschaffte sich mehrere Paare Beinkleider und zog sie
in raschem Strich dem Einsetzer von Strümpfen über das
Gesicht und gewann so die Wette.
XI. MS. CA. FOL. 76 r.
Einer sagte zu seinem Bekannten: — „Du hast deine
Augen in sonderbarer Farbe verändert." — Jener ant-
wortete, das geschehe ihm oft; „aber du hast ihm keine
Aufmerksamkeit geschenkt." — »Und wann geschieht es
dir?" — Versetzte der andere: — „So oft als meine
Augen dein sonderbares Gesicht sehen, durch die Ge-
walt, die ihnen so großes Mißfallen antut, erbleichen sie
und wechseln in so sonderbarer Farbe."
XII. MS. TR. FOL. 40 V.
Ein Greis verhöhnte einen Jüngling öffentlich, indem er
kühn jenen nicht zu fürchten zeigte, worauf der Jüngling
ihm erwiderte, langes Alter sei ihm ein besserer Schild
als seine Zunge oder Kraft.
Schlagfertige
Antwort.
Feine Lektion.
XII. PROPHEZEIUNGEN
M
MS. J. FOL. 63 r.
an wird die Gattung des Löwen mit den be-
krallten Pranken die Erde öffnen und in die
gemachten Löcher zugleich mit sich selbst
die anderen ihr unterworfenen Tiere begraben
sehen.
Es werden aus der Erde Tiere, in Dunkelheit geklei-
det, hervorkommen, die mit merkwürdigen Sprüngen das
menschliche Geschlecht angreifen werden, und dieses, von
wilden Bestien gebissen, wird eine Vergießung seines
Blutes machen, das von ihnen aufgezehrt wird.
Auch wird die Luft durcheilen die ruchlose beflügelte
Art, so die Menschen und die Tiere überfallen und sich
von ihnen mit großem Geschrei nähren wird. Sie wer-
den sich ihre Bäuche mit purpurrotem Blute füllen.
IL MS. J. FOL. 63 v.
Man wird das Blut aus dem zerrissenen Fleisch heraus-
kommen sehen, die oberflächlichen Teile der Menschen
überrieseln.
— Man wird an den Menschen solch grausame Krank-
heit sehen, daß sie mit den eigenen Nägeln sich ihr
Fleisch zerreißen werden — es wird die Krätze sein.
— Man wird die Pflanzen ohne Blätter sehen und die
Flüsse im Lauf innehalten.
IIL MS. J. FOL. 63 V.
Das Wasser des Meeres wird sich über die hohen Gipfel
der Berge zum Himmel erheben und auf die Wohnungen
der Menschen herabfallen. — Nämlich in Wolken.
278
— Man wird die größten Bäume des Waldes von der
Wut der Stürme vom Orient zum Okzident getragen sehen.
— Das heißt vom Meer.
Die Menschen werden die eigenen Nahrungsmittel weg-
werfen, nämlich säend.
IV. MS. CA. FOL. 145 r.
Von den Kindern, die in Wickel gebunden sind
O Städte am Meer! Ich sehe in euch euere Bürger,
männliche wie weibliche, mit starken Binden an den
Armen und Beinen von Leuten fest gewickelt, so unsere
(euere) Sprachen nicht verstehen; und eueren Schmerzen
und der verlorenen Freiheit werdet ihr nur Luft machen
können mittels tränenreichen Weinens und Seufzens und
Klagens unter euch selbst; denn die euch banden,
werden euch nicht verstehen, noch werdet ihr sie ver-
stehen.
V. MS. J. FOL. 64 r.
Es wird das menschliche Geschlecht auf einen solchen
Punkt kommen, daß der eine nicht mehr das Reden des
andern verstehen wird — nämlich der Deutsche nicht
den Türken.
— Man wird die Väter ihre Töchter der Wollust der
Männer preisgeben und diese belohnen und jede frühere
Aufsicht verlassen sehen — wenn die Mägdlein sich ver-
heiraten.
— Die Menschen werden aus den Gräbern kommen,
in Vögel verwandelt, und werden die andern Menschen
anfallen, ihnen die Speise von den eigenen Händen und
Tischen nehmen. — Die Fliegen ....
VI. MS. J. FOL. 64 r.
— Zahlreich werden jene sein, die ihre Mutter schin-
den und ihr die Haut umdrehen. — Die Ackerbauer.
— Glücklich werden die sein, so den Worten der Toten
Gehör schenken. — Gute Werke lesen und beachten.
279
VII. MS. J. FOL. 65 r.
— Die Federn werden die Menschen gleichwie Vögel
gegen Himmel heben — nämlich durch die Bücher, so
diese Federn gemacht.
— Die Werke der Menschen werden Ursachen ihres
Todes sein: die Schwerter und Lanzen.
— Die Menschen werden jene Sache verfolgen, vor der
sie sich am meisten fürchten, d. h. sie werden elend sein,
um nicht ins Elend zu geraten.
— Die getrennten Sachen werden sich vereinigen, und
in sich solche Kraft bekommen, daß sie den Menschen
das verlorene Gedächtnis wiedergeben werden. — Näm-
lich, die Papyrus, welche aus zertrennten Fasern gemacht
sind und die menschlichen Dinge und Taten der Er-
innerung aufbewahren.
— Man wird die Gebeine der Toten mit hurtiger Be-
wegung das Glück derer behandeln sehen, die sie
VIII. MS. J. FOL. 64 V.
in Bewegung setzen. — Die Würfel.
— Die Rinder werden mit ihren Hörnern das Feuer
gegen den Tod verteidigen. — Die Laternen.
— Die Wälder werden Kinder gebären, die die Ursache
ihres Todes sein werden. — Den Stiel der Axt.
IX. MS. J. FOL. 65 r.
— Die Menschen werden jene scharf schlagen, so die
Ursache ihres Lebens sind. — Sie werden das Getreide
dreschen.
— Die Häute der Tiere werden die Menschen mit gro-
ßem Geschrei und Flüchen aus ihrem Schweigen bringen.
— Die Bälle zum Spielen.
— Oftmals wird die veruneinigte Sache Grund großer
Einigkeit werden — nämlich der Kamm, der aus Rohr
gemacht ist, einigt den Faden der Leinwand.
— Der Wind, der durch die Haut der Tiere ging, wird
280
die Menschen springen machen. — Das ist der Dudel-
sack, welcher tanzen macht.
X. MS. J. FOL. 65 V.
Von geprügelten Nußbäumen
Die es am besten gemacht, werden am meisten ge-
schlagen werden, und ihre Kinder ihnen weggenommen,
oder selben die Haut abgezogen oder weggerissen, und
sie werden zerbrochen und ihre Knochen zertrümmert
werden.
Von den Skulpturen
Weh mir! Was sehe ich! Der Heiland aufs neue ge-
kreuzigt!
Vom Mund des Menschen, der ein Grab ist
Es werden große Geräusche kommen aus den Gräbern
jener, so eines Übeln und gewaltsamen Todes gestorben sind.
Von den Häuten der Tiere, die das Verständnis
des Taktes haben, welcher über den Schriften
steht
Je mehr man mittels der Häute, Kleidern des Gefühles,
reden wird, desto mehr wird man Weisheit erwerben.
Von Priestern, die die Hostie im Leibe haben
Dann werden fast alle Tabernakel, in denen das Corpus
domini ist, ganz offenbar von selbst verschiedene Wege
der Welt gehen.
XI. MS.J FOL. 66 r.
— Und jene, so die Luft ernährt, werden aus der Nacht
Tag machen. — Unschlitt.
— Und viele Tiere der Erde und des Wassers werden
unter die Sterne steigen. — Planeten.
— Man wird die Toten die Lebendigen nach verschie-
denen Teilen tragen sehen. — Schiffe und Wogen.
— Vielen wird die Nahrung vom Munde weggenommen
werden. — Den Backöfen.
281
— Und jenen, die den Mund gefüllt haben durch an-
derer Hände, wird die Speise aus dem Mund genommen
werden. — Dem Ofen.
XII. MS. J. FOL. 66 V.
Von verkauften Kruzifixen
Ich sehe von neuem den gekreuzigten Christus ver-
kaufen und seine Heiligen martern.
Von den Ärzten, die von den Kranken leben
Die Menschen werden in solche Armseligkeit geraten,
daß sie es zu Gnaden nehmen, wenn andere über ihre
Übel triumphieren.
Oder über den Verlust ihres wahren Reichtums, das ist
der Gesundheit.
Von der Religion der Mönche, die von ihren schon
lang verstorbenen Heiligen leben
Die gestorben sind, nach tausend Jahren werden es jene
sein, welche viele Lebende erhalten werden.
Von den Steinen, so in Kalk verwandelt sind und
aus denen man die Gefängnisse mauert
Viele, die vor dieser Zeit vom Feuer zerstört wurden,
werden vielen Menschen die Freiheit rauben.
XIII. MS. J.FOL. 67 r.
Von den Kindern, die gesäugt werden
Mancher Franziskus, Dominik und Benedikt wird das
essen, was von andern andere Male ganz in der Nähe ge-
gessen wurde, und wird viele Monate so verbleiben, ehe
er sprechen kann.
Von Muscheln und Schnecken, die vom Meer ver-
schmäht in ihren Schalen faulen werden
Wie viele sind derer, welche tot in ihren eigenen Häu-
sern vermodern und die Umgebung mit üblem Gestank
erfüllen.
282
XIV. MS. CA. FOL. 129 v.
Von den Nattern in der Störche Schnabel
In großer Höhe der Luft wird man ungeheuer lange
Schlangen mit Vögeln kämpfen sehen.
XV. MS. L. FOL. 91 r.
Von den Maultieren, so die reichen Summen des
Goldes und Silbers tragen
Viele der Schätze und der großen Reichtümer werden
bei den Tieren mit vier Füßen sein, die sie nach ver-
schiedenen Orten tragen werden.
XVI. MS.J. FOL. 138v.
Elstern und Stare
Wer sich getrauen wird, neben ihnen zu wohnen, — es
werden große Schwärme sein, — fast alle werden eines
grausamen Todes sterben, und man wird die Väter, die
Mütter und zugleich deren Familien von grausamen Tie-
ren verzehrt und getötet sehen.
XVIL MS. K. FOL. 50.
Vom Schatten, den der Mensch des Nachts mit
dem Lichte macht
Werden sehr große Figuren in menschlicher Form er-
scheinen, die, je mehr sie sich dir nähern, desto mehr
ihre ungeheuere Größe verlieren werden.
XVin. MS. CA. FOL. 145 r.
Vom Träumen
Es wird dem Menschen scheinen, am Himmel neues
Verderbnis zu sehen; er wird glauben, sich fliegend zu
jenem hinaufzuheben und dann mit Angst die Flammen
zu fliehen, die von ihm herabsteigen; sie werden die
Tiere reden hören, von jeglicher Sorte, in menschlicher
Sprache; sie werden unmittelbar mit der eigenen Person
die verschiedenen Teile der Welt durcheilen, ohne Be-
wegung; sie werden in den Finsternissen ungeheuere
283
Klarheiten sehen. — O Wunder der menschlichen Gattung!
Welcher Wahnsinn hat dich geleitet? Du wirst mit Tie-
ren aller Art reden, und diese mit dir, in menschlicher
Sprache. Du wirst dich von großen Höhen fallen sehen,
ohne deinen Schaden. Die Wildbäche werden dich ge-
leiten . . .
XIX. MS. CA. FOL. 145 r.
Von den Schafen, Kühen, Ziegen und ähnlichen
Unzähligen werden ihre kleinen Kinder genommen wer-
den, und diese abgehäutet und grausamst gevierteilt.
XX. MS. CA. FOL. 37 v.
Der Zusammenstoß der Sonnensphäre
Wird etwas erscheinen, so daß, wer zu bedecken glaubt,
von ihm bedeckt werden wird.
XXL MS. CA. FOL. 37 v.
Von Geld und Gold
Wird aus abgründigen Löchern hervorgehen, was in
Schweiß alle Völker der Welt mit großen Leiden, Ängsten
und Mühen sich plagen machen wird, um von ihm unter-
stützt zu werden.
XXII. MS. CA. FOL. 37 v.
Von der Furcht vor Armut
Die Ruchlosigkeit und Schrecklichkeit werden aus sich
den Menschen so viel Angst einflößen, daß selbige, fast
wie Narren, indem sie ihr zu entfliehen glauben, in hur-
tiger Bewegung vor ihrer unermessenen Kraft werden
Anker werfen.
XXIII. MS. CA. FOL. 37 v.
Vom Rat
Und der, dem er am notwendigsten wäre, — der des Rates
bedarf, dem wird er unbekannt sein, und wenn bekannt,
sehr verachtet.
284
XXIV. MS. CA. FOL. 145 r.
Von den geprügelten Eseln
O wahrlose Natur, warum hast du dich parteiisch ge-
macht, deinen Kindern, den einen eine barmherzige und
gütige Mutter, den anderen die grausamste und mitleidsbare
Stiefmutter? Ich sehe deine Kinder in die Knechtschaft
anderer gegeben, ohne jemals irgendeine Wohltat, und
statt der Belohnung für geleistete Dienste, mit unge-
heueren Martern gezahlt werden und stets ihr Leben zum
Einkommen ihrer Übeltäter verwenden.
XXV. MS. CA. FOL. 145 r.
Von den Katzen, so die Mäuse fressen
Bei euch, Städte Afrikas, wird man euere Eingeborenen
in den eigenen Häusern von höchst grausamen und raub-
gierigen Tieren eueres Landes zerrissen sehen.
XXVL MS. CA. FOL. 145 r.
Von den Bienen
Und vielen anderen werden die Vorräte und ihre Speise
genommen werden, und grausam, von Menschen ohne
Vernunft, werden sie ertränkt und vernichtet werden. O
Gerechtigkeit Gottes, warum erwachst du nicht, um deine
Geschöpfe so mißhandelt zu sehen!
XXVn. MS. CA. FOL. 145 r.
Von den Ameisen
Viele Völker werden es sein, die sich und ihre Kin-
der und Mundvorräte innerhalb dunkler Höhlen verbergen
werden, und hier, in den finsteren Orten, werden sie
sich und ihre Familien viele Monate ernähren, ohne
irgendwelches andere künstliche oder natürliche Licht.
XXVIIL MS. CA. FOL. 145 r.
Von den Nüssen und Oliven und Eicheln und
Kastanien und ähnlichem
Viele Kinder, von Ruchlosen geschlagen, werden den
Armen der eigenen Mütter entrissen werden und zu
Boden geworfen und dann zerfleischt.
285
XXIX. MS. CA. FOL. 145 r.
Von Gottesdienst, Begräbnissen und Prozessio-
nen und Lichtern und Glocken und Kompagnie
Den Menschen werden große Ehren und Pomp erwiesen
werden, ohne ihr Wissen.
XXX. MS. CA. FOL. 145 r.
Von den Menschen, welche auf den Balken des
Baumes schlafen
Die Menschen werden schlafen und essen und wohnen
zwischen den Bäumen, die im Wald und auf den Äckern
geboren sind.
XXXL MS. CA. FOL. 145 r.
Von den Christen
Viele, so den Glauben an den Sohn festhalten und nur
im Namen der Mutter Tempel errichten.
XXXII. MS. CA. FOL. 145 r.
Von der Speise, die lebendig wird
Ein großer Teil der belebten Körper wird durch die
Körper der anderen Wesen gehen, nämlich die unbewohn-
ten Häuser werden in Stücken durch die bewohnten
Häuser gehen, ihnen etwas Nützliches gebend und ihre
Schädlichkeiten mitführend: das ist nämlich, das Leben
des Menschen wird gemacht durch die gegessenen Dinge,
welche jenen Teil des Menschen, der gestorben ist, mit
sich nehmen.
XXXIII. MS. CA. FOL. 145 r.
Von den Bombarden, die aus der Grube und der
Form hervorkommen
Es wird unter der Erde hervorkommen, was mit furcht-
barem Schrei die umstehenden Nachbarn entsetzen und
mit seinem Atem die Menschen töten wird und Städte
und Kastelle zerstören.
286
XXXIV. R. 1297, MS. BR. M. FOL. 42 v.
Viele werden jene sein, so in den eigenen Ruinen
wachsen.
Der Schneeball, der über den Schnee hinrollt.
Groß wird die Schar jener sein, die, in Vergessenheit
ihres Namens und Daseins, wie Tote auf den Beutestücken
von anderen Toten liegen werden.
Das Schlafen auf den Federn von Vögeln.
Man wird die östlichen Teile zu den westlichen fliehen
sehen, und die südlichen nach dem Norden, im ganzen
Weltall mit großem Lärm und Erschütterung und Wut
durcheinander geratend.
Der Ostwind, der nach Westen fuhr.
XXXV. R. 1297, MS. BR. M. FOL. 42 v.
Ein großer Teil des Meeres wird sich gegen den Him-
mel flüchten und durch lange Zeit nicht zurückkehren.
— Das ist, als Wolken.
Bleibt uns die Bewegung, die den Motor vom Bewegten
trennt.
Es wird vernichtet werden, wer das Licht für den Dienst
Gottes bereitet. Die Bienen, die das Wachs für die
Kerzen machen.
Die Toten werden unter der Erde hervorkommen, und
durch ihre wilden Bewegungen werden sie ungezählte
menschliche Geschöpfe aus der Welt jagen.
Das Eisen, welches man unter der Erde hervorzieht,
ist tot, und man macht daraus Waffen, die so viele Men-
schen töten.
Die größten Berge, wenn sie auch vom Meeresstrand
noch so weit entfernt sind, werden das Meer von seinem
Platz vertreiben.
Es sind das die Flüsse, welche die Erde bringen, so
sie von den Bergen weggenommen haben, und sie am
Merresstrand abladen; und wo diese Erde hinkommt,
flieht das Meer.
287
XXXVI. R. 1297, MS. BR. M. FOL. 42 v.
Das Wasser, welches aus den Wolken gefallen, so noch
über den Abhängen der Berge in Bewegung sind, wird
für lange Zeit sich aufhalten, ohne sich irgendwie zu
rühren, und das wird in vielen und verschiedenen Pro-
vinzen geschehen.
Der Schnee, so in Flocken fällt, und Wasser ist.
Die großen Steine der Berge werden Feuer auswerfen,
so daß sie das Holz von vielen und sehr großen Wäldern
und viele wilde und zahme Tiere verbrennen werden.
Der Flintenstein, der Feuer macht, welches alle die
Ladungen von Holz verbrennen wird, und so die Wälder
verwüsten. Und man wird damit das Fleisch der Tiere
braten.
O, wie viele große Gebäude werden wegen des Feuers
zerstört!
Vom Feuer der Bombarden.
Die Ochsen werden zum großen Teil Ursache sein des
Ruines der Städte, und gleicherweise Pferde und Büffel.
Sie ziehen die Bombarden.
XXXVIL R. 1310, MS. BR. M. FOL. 212 v.
Vom Korn und anderen Samen
Es werden die Menschen aus den eigenen Häusern die
Lebensmittel hinauswerfen, welche bestimmt waren, ihr
Dasein zu unterhalten.
Von den Bäumen, so die Pfropfreiser nähren
Man wird die Väter und Mütter viel mehr Vorteile den
Stiefkindern gewähren sehen als ihren wahren Kindern.
Von den Weihrauchfässern
Jene, die in weißen Gewändern herumgehen werden,
mit anmaßenden Bewegungen mittels Metall und Feuer
andere bedrohend, die ihnen nicht den geringsten Scha-
den getan ....
288
XXXVIII. R. 1312, MS. S. K. M. II2. FOL. 3 r.
Die Schuster
Menschen werden mit Vergnügen die eigenen Werke
verderben und zerreißen sehen.
XXXIX. R. 1311, MS. S. K. M. II2. FOL. 53 v.
Vom Mähen des Grases
Es werden ungezählte Leben erlöschen und auf der Erde
zahllose Löcher entstehen.
Vom Leben der Menschen, die jedes Jahr ihr
Fleisch wechseln
Die Menschen werden tot durch die eigenen Eingeweide
gehen.
XL. R. 1313, MS. S. K. M. IP. FOL. 69r.
Von den Zicklein
Es werden die Zeiten des Herodes wiederkehren, denn
die unschuldigen Kindlein werden ihren Ammen entrissen
werden und von grausamen Menschen mit großen Wun-
den umgebracht.
XLL R. 1329, MS. W. FOL. XXX.
Von den Bienen
Sie leben in Völkerschaften zusammen, werden ver-
nichtet, um ihnen den Honig wegzunehmen. Viele und
große Völkerschaften werden in den eigenen Häusern
verrichtet werden.
XLII. MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Geizigen
Viele werden es sein, die mit allem Fleiß und Eifer
jener Sache voll Wut nachfolgen, vor welcher sie immer
erschrocken sind, ohne ihre Bosheit zu kennen.
19 Herzfeld, Leonardo
289
XLIII. MS. CA. Fol. 370 r.
Von den Menschen, die, je mehr sie altern, um
so geiziger werden; welche, da sie nur wenig
Zeit mehr hier zu bleiben haben, freigebig wer-
den sollten
Man wird sehen, daß jene, welche man für reicher an
Erfahrung und Urteil hält, die Dinge, je weniger sie ihrer
bedürfen, mit um so größerer Gier aufsuchen und wieder
aufsuchen.
XLIV. MS. CA. FOL. 370 r.
Von der Grube
Werden viele beschäftigt sein in der Übung, von jener
Sache wegzunehmen, die um so viel wachsen wird, als
von ihr genommen wurde.
XLV. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Dingen, die man ißt, die man vorher
tötet
Es werden von ihnen ihre Ernährer umgebracht werden
und mit unbarmherzigem Tode gegeißelt.
XLVL MS. CA. Fol. 370 r.
Vom Gewicht, das auf den Federkissen liegt
Und an vielen Körpern wird man sehen, daß sie, wenn
der Kopf sich von ihnen hebt, sichtbarlich wachsen, und
wenn der aufgehobene Kopf ihnen zurückgegeben wird,
sie sofort die Größe vermindern.
XLVIL MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Fangen der Läuse
Und es wird viele Jäger von Tieren geben, die, je mehr
sie fangen, um so weniger haben, und ebenso umgekehrt
um so mehr haben werden, je weniger sie fangen.
290
XLVIII. MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Schöpfen des Wassers mit 2 Eimern an
einem einzigen Strick
Und werden viele mit einer Sache beschäftigt sein, die,
je mehr sie die heraufziehen, um so mehr in entgegen-
gesetzter Richtung fliehen wird.
XLIX. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Federn in den Betten
Die geflügelten Tiere werden mit ihren eigenen Federn
die Menschen aufrechthalten.
L. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Laternen
Die grausamen Hörner der mächtigen Stiere werden
das nächtliche Licht gegen die heftige Wut der Stürme
verteidigen.
LL MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Tieren, welche auf den Bäumen gehen,
wenn sie auf Holzstöckeln gehen
Werden so groß sein, die Kotpfützen, daß die Menschen
auf den Bäumen ihrer Gegend herumgehen werden.
LH. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Sohlen der Schuhe, die vom Ochsen
sind
Und man wird in großen Teilen des Landes auf den
Häuten der großen Tiere herumschreiten sehen.
Lin. MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Schiffahren
Es werden große Stürme sein, durch welche die orien-
talischen Sachen zu okzidentalischen werden, und jene
von Mittag zum großen Teil in den Lauf der Winde ge-
mischt, werden ihnen durch weite Länder folgen.
19*
291
LIV. MS. CA. FOL. 370 r.
Die Bilder der Heiligen angebetet
Es werden die Menschen mit Menschen reden, die nichts
vernehmen, welche die Augen offen haben und nicht
sehen; sie werden zu diesen reden und keine Antwort
bekommen; sie werden Gnaden erbitten von dem, wel-
cher Ohren hat und nicht hört; sie werden Lichter an-
zünden für den, der blind ist.
LV. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Schnittern
Werden viele sein, die sich einer gegen den andern be-
wegen, in der Hand das schneidende Messer haltend.
Diese werden sich keinen andern Schaden tun als den
der Müdigkeit, weil, so viel der eine vorwärts treibt, um
so viel zieht sich der andere zurück; aber elend, wer
sich in die Mitte dazwischen stellt, weil er zum Schluß
in Stücke zerschnitten sein wird.
LVI. MS. CA. FOL. 370 r.
Die Seidenspindel
Es wird das klagende Rufen zu hören sein, das laute
Geschrei, die rauhe und heiser gewordene Stimme jener,
die mit Qualen beraubt werden und zum Schluß nackt
und ohne Bewegung liegen bleiben; und dies wäre durch
Schuld des Motors, welcher alles dreht.
LVIL MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Hineinlegen und Herausziehen des Brotes
aus dem Mund des Ofens
In allen Städten und Ortschaften und Schlössern und
Häusern wird man, aus Verlangen zu essen, die eigene
Speise einer dem andern aus dem Munde ziehen sehen,
ohne irgendeinen Widerstand leisten zu können.
LVIIL MS. CA. FOL. 370 r.
Die gepflügte Erde
Man wird die Erde von unten nach oben kehren und
292
die entgegengesetzten Hemisphären betrachten und die
Löcher wildester Tiere aufdecken sehen.
LIX. MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Säen
Hierauf wird ein großer Teil der Menschen, die noch
am Leben sind, die aufgehobenen Nahrungsmittel aus
ihren Häusern hinauswerfen, als freie Beute der Vögel
und Tiere der Erde, ohne sich in irgendwelcher Weise
um sie zu kümmern.
LX. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Regengüssen, welche machen, daß trüb
gewordene Flüsse die Erde forttragen
Wird vom Himmel herkommen, was einen großen Teil
von Afrika verändert, welches sich selbigem Himmel von
Europa zeigt, und jener von Europa gegen Afrika hin
und jener der skythischen Provinzen, sie vermischen sich
in großer Revolution.
LXL MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Holzscheiten, die verbrennen
Die Bäume und Büsche der großen Wälder werden sich
in Asche verwandeln.
LXn. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Ziegel- und Kalköfen
Zuletzt wird die Erde rot werden von der Zündglut
vieler Tage, und die Steine werden sich in Asche ver-
wandeln.
LXin. MS. CA, FOL. 370 r.
Die gekochten Fische
Die Wassertiere werden in brodelnden Gewässern sterben.
LXIV. MS. CA. FOL. 370 r.
Die Oliven, welche von den Ölbäumen fallen,
geben uns das Öl, welches Licht macht
Mit Heftigkeit wird zur Erde herabsteigen, was uns
Nahrung und Licht geben wird.
293
LXV. MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Flachs, der die Menschen in Obsorge
nimmt
Es werden verehrt und hochgeachtet und mit Ehrfurcht
und Liebe angehört die Vorschriften dessen, welcher zu-
erst gebunden, zerrissen und von verschiedenen und
vielen Klopfhölzem gemartert wurde.
LXVI. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Büchern, welche Regeln lehren
Die Körper ohne Seele werden uns mit ihren Sentenzen
nützliche Vorschriften für ein gutes Sterben geben.
LXVII. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Gegeißelten und schlimm Gebesserten
Die Menschen werden sich unter den Schalen der ab-
gehäuteten Pflanzen verstecken, und dort werden sie
schreiend, durch Schlagen ihrer Glieder, sich selbst
Martern machen.
LXVIII. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Ochsen, die gegessen werden
Es werden die Herren der Besitzungen ihre eigenen
Arbeiter verzehren.
LXIX. MS. CA. FOL. 370 r.
Von dem Heft der Messer, das aus den Hörnern
der Hammel gemacht ist
In den Hörnern der Tiere wird man schneidende Eisen
sehen, mit welchen man vielen der Ihrigen das Leben
nehmen wird.
LXX. MS. CA. FOL. 370 r.
Von der Nacht, in der man keine Farben kennt
Es wird so weit kommen, daß man keinen Unterschied
zwischen den Farben kennen wird, sondern im Gegenteil
alle von schwarzer Qualität werden gemacht werden.
294
LXXI. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Schwertern und Lanzen, die von selbst
niemandem schaden
Wer an sich selbst sanft ist und ohne jegliches Verletzen,
wird schrecklich und wild werden durch die schlechten
Gesellschaften, und wird aufs grausamste vielen Menschen
das Leben nehmen; und noch mehr von ihnen würde er
töten, wenn Körper ohne Seele und aus ihren Höhlen
herausgekommen, sie nicht verteidigten, nämlich die Pan-
zer aus Eisen.
LXXII. MS. CA. FOL. 370 r.
Von Schlingen und Fallen
Viele Tote werden sich mit Heftigkeit bewegen und die
Lebenden fangen und binden, und werden sie ihren Fein-
den zum Zweck von Tod und Vernichtung vorsetzen.
LXXIIL MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Feuer
Wird aus kleinem Anfang entstehen, der mit Schnellig-
keit groß wird; dieser wird keine geschaffene Sache
achten, im Gegenteil mit seiner Macht fast alles in der
Macht haben, aus dem eigenen Wesen in ein anderes
zu verwandeln.
LXXIV. MS. CA. FOL. 370 r.
Von Schiffen, die untersinken
Man wird ungeheuere Körper ohne Leben Mengen von
Menschen mit Heftigkeit zur Zerstörung von deren Leben
tragen sehen.
LXXV. MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Abspiegeln der Mauern der Städte im Was-
ser ihrer Gräben
Man wird die hohen Mauern der großen Städte drunter
und drüber in ihren Gräben sehen.
295
LXXVI. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Metallen
Wird aus den dunkeln und nächtigen Höhlen hervor-
gehen, was der ganzen menschlichen Gattung große
Schmerzen, Gefahren und Tod bringen wird. Manchen
von ihrem Gefolge werden sie, nach vielen Leiden, Ge-
nuß bereiten; doch wer nicht ihr Parteigänger, wird in
Kümmerlichkeit und Not sterben. Dieses wird unzählige
Verrätereien begehen; dieses wird sich vermehren und
alle Menschen zu Ermordungen, Räubereien und Nieder-
trächtigkeiten verleiten; dieses wird seinen Partisanen
Verdacht erregen; dieses wird den freien Städten den
Staat wegnehmen; dieses wird vielen das Leben rauben;
dieses wird die Menschen mit sehr viel Künsten, Trug
und Verrat untereinander aufwiegeln. O ungeheuerliches
Wesen! Um wieviel besser wäre es für die Menschen,
wenn du zur Hölle zurückkehrtest. Um seinetwegen
werden die großen Wälder ihrer Bäume beraubt werden;
um seinetwillen werden zahllose Tiere ihr Leben verlieren.
LXXVIL MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Klopfen des Bettes, um es in Ordnung zu
bringen
In solcher Undankbarkeit wird man die Menschen finden,
daß sie den, welcher ihnen Herberge gibt, ohne irgend-
welchen Lohn, mit Schlägen überhäufen werden, so daß
große Teile seines Innern von ihrem Platze werden weg-
gestoßen und um- und umgedreht durch seinen Körper
gehen werden.
LXXVin. MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Wasser, das trübe und mit Erde gemischt
fließt, und von Staub und Nebel, mit der Luft
vermischt, und vom Feuer, mit dem seinigen
vermischt, und anderes mit jedem
Man wird alle Elemente zusammengemischt mit großer
Umwälzung hin und her eilen sehen, bald gegen das Zen-
296
trum der Welt, bald gegen den Himmel, und nun von
den südlichen Teilen mit großer Wut gegen den kalten
Norden laufen, manches Mal vom Orient zum Okzident,
und ebenso von dieser zu jener andern Halbkugel.
LXXIX. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Eiern, die gegessen keine Küchlein
machen können
O, wie viele werden jene sein, denen es verboten ist,
geboren zu werden!
LXXX. MS. CA. FOL. 370 r.
In jedem Punkte kann man die Teilung der zwei
Hemisphären machen
Die Menschen alle werden plötzlich die Hemisphäre
wechseln.
LXXXL MS. CA. FOL. 370 r.
In jedem Punkte ist Teilung zwischen Ost und
West
Es werden sich alle lebenden Wesen von Sonnenaufgang
nach Sonnenuntergang bewegen, und ebenso abwechselnd
von Mittag nach Mitternacht, und umgekehrt.
LXXXII. MS. CA. FOL. 370 r.
Von der Bewegung der Gewässer, welche Hölzer
tragen, die tot sind
Körper ohne Seele werden von selbst sich bewegen und
werden mit sich unzählbare Generationen von Toten führen,
den umwohnenden Lebenden die Reichtümer raubend.
LXXXIIL MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Klagen am Karfreitag
In allen Teilen Europas wird von großen Völkerschaften
geweint werden um den Tod eines einzigen Mannes, der
im Orient gestorben.
297
LXXXIV. MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Träumen
Es werden die Menschen gehen und sich nicht bewegen;
sie werden mit dem sprechen, der nicht da ist; sie wer-
den den hören, der nicht spricht.
LXXXV. MS. CA. FOL. 370 r.
Von Bogen, aus Hörnern von Ochsen gemacht
Viele werden jene sein, welche durch Schuld der Ochsen-
hörner eines schmerzhaften Todes sterben werden.
LXXXVL MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Schatten, der sich mit dem Menschen bewegt
Man wird Figuren von Menschen und Tieren sehen,
welche selbigen Tieren und Menschen folgen werden,
wohin immer sie fliehen, und so wird die Bewegung von
ihm sein wie vom andern, aber wird ganz wundersame
Sache scheinen, wegen der verschiedenen Größe, in die
sie sich verwandeln.
LXXXVII. MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Schatten in der Sonne und vom gleich-
zeitigen Spiegeln in einem Wasser
Man wird viele Male den einen Mann drei werden sehen,
und alle folgen ihm, und oft verläßt ihn der eine, der
sicherste.
LXXXVIIL MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Schuhus und Käuzchen, mit denen man
auf der Leimrute Vögel fängt
Viele werden an Schädelbruch sterben, und es werden
ihnen die Augen großenteils aus dem Kopfe springen,
durch die Schuld schrecklicher Tiere, die aus dem Dunkel
hervorkamen.
LXXXIX. MS. CA. FOL. 370 r.
Von der Mitgift der Mädchen
Und wo man früher die weibliche Jugend gar nicht vor
298
der Begierde der Männer und vor Raub schützen konnte,
nicht durch die Wachsamkeit der Eltern, nicht durch
Stärke der Mauern, wird die Zeit kommen, wo Vater und
Verwandte selbiger Mädchen werden jene mit großem
Preise bezahlen müssen, daß sie mit diesen schlafen
wollen, selbst wenn sie reich, adelig und allerschönst
wären. Sicher, es scheint, als wollte die Natur die
menschliche Gattung auslöschen, als eine Sache, unnütz
für die Welt und Verderberin alles Geschaffenen.
XC. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Truhen, die viele Schätze verwahren
Es werden sich innerhalb der Nußbäume und der Bäume
und anderer Pflanzen ungeheure Schätze finden, welche
darin versteckt und gut bewacht sind.
XCI. MS. CA. FOL. 370 r.
Vom A.uslöschen des Lichtes durch den, der zu
Bett geht
Viele, indem sie mit zu großer Geschwindigkeit den
Atem hinausschicken, werden das Sehen verlieren, und
in kurzem alle Gefühle.
XCIL MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Schellen der Maultiere, die sie nah zu
ihren Ohren tragen
Man wird in vielen Teilen Europas Instrumente von ver-
schiedener Größe mannigfache Harmonien mit großen
Beschwerden jener machen hören, die sie am nächsten
vernehmen.
XCIIL MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Eseln
Die vielen Mühen werden mit Hunger belohnt werden,
mit Durst, mit Ungemach, und mit Stockschlägen, und
Stichen, und Flüchen und großen Niederträchtigkeiten.
299
XCIV. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Soldaten zu Pferde
Viele wird man von großen Tieren in geschwindem Lauf
zum Ruin ihres Lebens und schnellstem Tode getragen
sehen.
Durch die Luft und über die Erde wird man Tiere von
verschiedenen Farben mit Wut die Menschen zur Zer-
störung ihres Lebens tragen sehen.
XCV. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Sternen der Sporen
Durch die Sterne wird man die Menschen äußerst rasch
sein, auf gleicher Stufe mit irgendwelchem hurtigen Tiere
sehen.
XCVL MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Stock, welcher tot ist
Die Bewegung der Toten wird viele Lebende mit Schmerz
und Weinen und Schreien fliehen machen.
XCVIL MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Feuerschwamm
Mit Stein und mit Eisen wird man Dinge sichtbar machen,
die vorher nicht zu sehen waren.
XCVIIL MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Schiffahren
Man wird die Bäume der großen Wälder des Taurus
und Sinai, des Apennins und des Atlas durch die Luft
eilen sehen, von Ost nach West, von Nord nach Süd,
und sie werden große Mengen von Menschen durch die
Luft tragen. Oh! wie viele Gelübde! ach, wieviel Tote!
oh, wieviel Trennung von Freunden! von Verwandten!
und wie viele werden jene sein, so nicht mehr ihre Pro-
vinzen wiedersehen, noch ihr Vaterland, und die ohne
Begräbnis sterben werden, mit ihren Knochen in ver-
schiedene Gegenden der Welt verstreut!
300
XCIX. MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Umzug zu Allerheiligen
Viele werden die eigenen Behausungen verlassen und
mit sich all ihre Wertsachen tragen und in andere Gegen-
den wohnen gehen.
C. MS. CA. FOL. 370 r.
Von Allerseelen
Und wie viele werden jene sein, welche ihre alten Toten
beweinen werden und ihnen Lichter bringen!
CI. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Mönchen, welche, indem sie Worte aus-
geben, große Reichtümer empfangen und das Pa-
radies verleihen
Die unsichtbaren Münzen werden viele von denen, welche
sie ausgeben, triumphieren machen.
CIL MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Briefeschreiben aus einem Land in ein
anderes
Es werden die Menschen aus den entlegensten Ländern
einer mit dem andern sprechen und sich antworten.
ein. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Hemisphären, welche unendlich viele
sind und von unendlichen Linien geteilt werden,
so daß stets jedermann eine von selbigen Linien
zwischen einem der Füße und dem andern hat
Es werden die Menschen miteinander reden, einander
berühren und umarmen, von der einen bis zur andern
Hemisphäre stehend, und ihre Sprachen werden sich
gegenseitig verstehen.
CIV. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Priestern, welche die Messe lesen
Viele werden jene sein, welche, um ihr Handwerk aus-
zuüben, sich aufs reichste kleiden werden, und das
301
(Kleid) wird nach Art von Schürzen gemacht zu sein
scheinen.
CV. MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Beichtvätern
Die unglücklichen Frauen werden aus eigenem Willen
gehen, den Männern ihre Ausschweifungen und schmach-
vollen, geheimsten Werke zu offenbaren.
GVL MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Kirchen und Wohnungen der Mönche
Viele werden derer sein, so die Arbeiten und die Mühen,
die Armut des Lebens und der Besitztümer verlassen
und gehen werden, in Reichtümern und triumphierenden
Gebäuden zu wohnen und zu zeigen, dieses sei das Mittel,
sich zu Freunden Gottes zu machen.
CVIL MS. CA. FOL. 370 r.
Vom Verkaufen des Paradieses
Unendliche Mengen werden öffentlich und friedlich
Sachen vom größten Wert ohne Lizenz vom Besitzer
selbiger verkaufen, und welche niemals ihnen gehörten,
noch in ihrer Gewalt waren; und diesem wird die mensch-
liche Justiz nicht Einhalt tun.
CVIIL MS. CA. FOL. 370 r.
Von den Toten, die man begraben geht
Die einfachen Leute werden große Menge Lichter tragen,
um auf den Wegen für alle jene Licht zu machen, die
vollkommen die Sehkraft verloren haben.
CIX. MS. CA. FOL. 370 r.
Von der Grausamkeit des Menschen
Man wird Tiere auf der Erde sehen, welche immer
untereinander kämpfen werden, und mit größtem Schaden
und häufigem Sterben auf jeder der beiden Seiten; diese
302
werden keine Grenzen haben in ihrer Bosheit; durch die
wilden Gliedmaßen von ihnen wird ein großer Teil von
den Bäumen der großen Wälder des Universums zu Boden
herabkommen, und dann, wenn sie gesättigt sind, wird
es die Speise ihrer Wünsche sein, Tod zu geben, und
Leiden und Ungemach und Kriege und Wut, welcher
lebendigen Sache immer; und in ihrem maßlosen Hoch-
mut werden selbige sich zum Himmel hinaufheben wollen,
doch die übermäßige Schwere ihrer Glieder wird sie
drunten hinsetzen; nichts wird auf der Erde oder unter
der Erde und im Wasser bleiben, was nicht verfolgt,
aufgestöbert oder verdorben wird und von dem einen
Land ins andre versetzt; und der Körper von selbigen
wird sich zum Grabe und Durchgang machen für alle
die bereits von ihnen getöteten belebten Körper. O Welt!
wie ist es, daß du dich nicht öffnest, um sie in die tiefen
Spalte deiner Schlünde und Höhlen hinabzuschleudern
und nicht mehr dem Himmel ein so grausames und ruch-
loses Ungeheuer zu zeigen
INHALTSVERZEICHNIS
Die in die 2. Auflage ganz oder teils neu aufgenom-
menen Absätze sind mit einem Sternchen bezeichnet.
Einleitung
Zum Verständnis der Signaturen, Abkürzungen und Zeichen
Seite I— CLVI
, CLVII— CLIX
Über die Wissenschaft
(S. 2— 11)
Seite
Theorie und Praxis (R.110,Ms.Br.M.Fol.l71 r.) 2
Führerscliaft, die dem Wissen gebührt (Ms. J.
Fol. 130r.) 2
Es glaube der Künstler nicht, der Wissenschaft
entbehren zu können (Ms. G. Fol. 8r.). . . 2
Unterschied zwischen Theorie und Praxis; Ge-
fahr des reinen Theoretisierens (Ms. CA.
Fol. 93v.) 2
Nicht Worte, sondern Tatsachen! Gegen die
Schönredner(R.l 169, Ms. S. K. M. III. Fol.36 v.) 3
Nur in der Mathematik ist Sicherheit (Ms. G.
Fol. 96v.) 3
Die Mathematik, Grundlage aller wahrenWissen-
schaft (R.3, Ms. W. An, IV, Fol. 163v.) . . 3
Alle Wissenschaft muß auf Erfahrung gegrün-
det sein (Ms. A. Fol. 31 r.) 3
Man lernt und überzeugt durch Beobachtung
und Versuch (Ms. H. II. Fol. 90r.) .... 3
Das Experiment, ein planmäßiges Nachahmen
des Vorgehens der Natur, um die gesetz-
mäßigen Zusammenhänge zu finden, welche
die Wissenschaft bilden (Ms. CA. Fol. 86 r.) 4
Aus der Untersuchung der Wirkungen wirst
du die Ursachen erkennen (Ms. E. Fol. 55 r.) 4
Erst aus einer Reihe von Experimenten kann
man sichere Schlüsse ziehen (Ms. A. Fol. 47 r.) 4
Nicht die Erfahrung, unser Urteil täuscht uns
(Ms. CA. Fol. 154 r.) 4
Wie in der Mathematik, muß man in allen Wis-
senschaften vom Bekannten zum Unbekannten
aufsteigen (Ms. F. Fol. 23 r.) 5
Außer der experimentellen Methode ist auch
die logische Beweisführung zulässig (R. 6,
Ms. Br. M. Fol. 32v.) 5
Das Experiment nur ein Hilfsmittel der Er-
kenntnis (Ms. CA. Fol. 147 V.) 5
Man muß immer trachten, zu den letzten Ur-
sachen aufzusteigen, will man sein Wissen
gut begründen (Ms. E. Fol. 54 r.) 6
Alles wahre Wissen lehrt uns, die Grenzen
unseres Geistes zu erkennen und nichts Un-
mögliches zu fordern (Ms. CA. Fol. 119 r.) . 6
Seite
Die Erkenntnis des Wahren ist ein Werk der
Jahrtausende (Ms. M. Fol. 53v.) 6
Man entreißt der Natur nicht alle Geheimnisse
(Ms. G. Fol. 47 r.) 6
Wert der Kenntnisse für Charakter und Urteil
(Ms. CA. Fol. 223r.) 6
Gegen die, welche Auszüge aus den Büchern
machen und zusammenhängende Darstellung
und ableitende Beweisführung für überflüssig
halten (R. 1210, Ms. W. An. III. Fol. 241 r.
und 241 V.) 6
Gegen die Verächter der strengen Wissenschaft
(R. 1157, Ms. W. An. III. Fol. 241 r.) ... 8
Leonardo, der Autodidakt und Forscher, gegen
die Zunftgelehrten und eingebildeten Huma-
nisten (Ms. CA. Fol. 119 r.) 8
Gegen gewisse Humanisten (Ms. CA. Fol. 117 r.) 9
Gegen die Buchgelehrten, die Scholastiker und
sonstigen unfreien Geister (Ms. CA. Fol. 76 r.) 9
Geistige Gaben sind höher zu schätzen als
geistige Dressur (Ms. CA. Fol. 76r.) . . . 9
Gegen die Überschätzung- des Buchgelehrten und
gegen die Unterschätzung des Erforschers der
Natur und des Erfinders (Ms. CA. Fol. 117 r.) 9
Gegen das Schmarotzertum jener, die vom
Tadel dergroßen Geister leben (Ms.F. Fol.27 v.) 9
Wer seine Augen der Natur und der Erkennt-
nis verschließt, schadet sich selbst (Ms. CA.
Fol. 91 V.) 10
Von der Wahrheit (SP., Ms. V. U. Fol. 12r.). 10
Wir müssen uns an die Erscheinung halten
(Ms. CA. Fol. 79r.) 11
Die Natur ist tiefer als unsere Erfahrung
(A\s.J. Fol. 18r.) 11
II. Von der Natur, ihren Kräften
und Gesetzen (S. 12—47)
Die Natur und die Notwendigkeit (R. 1135,
S. K. M. III, Fol. 49r.) 12
Unverbrüchlichkeit des Naturgesetzes (Ms. E.
Fol. 43v.) 12
Vernünftigkeit und Zwang des Naturgesetzes
(Ms. C. Fol. 23v.) 12
304
Seite
KausalitätundihreWirkung(Ms.CA. Fol. 169v.) 12
Die Natur wäiilt immer den kürzesten Weg
(Ms. G. Fol. 75r.) 12
Alle Vorgänge in der Natur beruhen auf Be-
wegung. Die Bewegung ist meßbar (Ms. CA.
Fol. 83 V.) 12
Leben ist Bewegung (Ms. Tr. Fol. 36 r.) . . . 12
Alle Bewegung ist auf ein Bewegendes zurück-
zuführen; Trägheit (Ms. F. Fol. 74 v.). . . 13
Vom Antrieb. Beharrungsvermögen (Ms. G.
Fol. 73v.) 13
Was ist Kraft? (Ms. CA. Fol. 253v.) .... 13
Entwürfe zu einer umfassenden Erklärung von
Kraft als Ursache der Bewegung, also aller
Vorgänge der Natur (Ms. A. Fol.34v.) . . 14
Desgleichen. Gewicht (Ms. CA. Fol. 302v.) . 15
»Gewicht als Kraftmaß (Ms. CA. Fol. 382r.) . 17
Gleichgewicht und Bewegung (Ms. CA. Fol.288v.) 17
Energie und Arbeit (Ms. F. Fol. 74v.) ... 17
Verhältnis zwischen Kraft und Entfernung
(Ms. Tr. Fol. 11 v.) 17
Entwürfe zur Erklärung der Beziehungen zwi-
schen Kraft, Bewegung, Stoß und Gewicht
(Ms. A. Fol. 35r.) 17
Skizzen zur besseren Formulierung desselben
Gedankens (Ms. A. Fol. 35 V.) 19
Vom Schwerpunkt der Wage (Ms. CA. Fol. 288 v.) 19
Wirkung der Schwerkraft (R. 860, Ms. Br. M.
Fol. 175 r.) 19
Geradlinigkeit des Falls (Ms. G. Fol. 54 V.). . 20
Die Linie des Falls, bestimmt durch die Schwer-
kraft und durch die Drehung der Erde um
sich selbst (Ms. G. Fol. 55 r.) 20
Das Gesetz von der regelmäßig zunehmenden
Geschwindigkeit des Falls (Ms. M. Fol. 44 v.) 21
Gewicht und Bewegung (Ms. CA. Fol. 354 v.) . 22
Die Kraft ist der Geschwindigkeit proportional;
Stoß, Weg und Zeit (Ms. A. Fol. 60 v.). . . 22
Erste Ahnung vom Gesetz der Erhaltung der
Kraft (Ms. A. Fol. 24 r.) 22
In der Berechnung des Verhältnisses zwischen
Masse und Geschwindigkeit sind die Wider-
stände nicht zu vergessen. Warnung vor den
Forschern , welche die Kritik bei der Beob-
achtung vernachlässigen (Ms. J. Fol. 103v.,
102r., 101 V.) 23
Nur wiederholte Versuche geben Sicherheit
(Ms. M. Fol. 57 V. und 57 r.) 23
Anziehungskraft, eine allgemeine Eigenschaft
(Ms. CA. Fol. 223v.) 24
Über die Anziehungskraft (Ms. CA. Fol. 273 r.) 24
Gegen das Problem der ewigen Bewegung
(Ms. A. Fol. 22v.) 24
Gegen die, welche das Perpetuum mobile suchen
(R. 1206, Ms. S. K. M. 112, Fol. 67r.) . . . 25
20 Herzfeld, Leonardo
Seite
Gegen die Sphärenmusik (Ms. F. Fol. 56v.) . 25
Über Mechanik (Ms. E. Fol. 8v.) 26
Nochmals über Mechanik als die Wissenschaft,
deren Gesetze auch für die lebendigen Kör-
per gelten (SP., Ms. V. U. Fol. 3r.) .... 26
Mathematik in ihrer Anwendbarkeit auf alles
(Ms. K. Fol. 49r.) 26
Gegen die Widersacher der Mathematik (R. 1 157,
Ms. W. An. III, Fol. 241 r.) 26
Von der Verbrennung (Ms. CA. Fol. 237 v.) . . 26
Ein chemischer Prozeß in der Verbrennung
(Ms. CA. Fol. 270 r.) 27
Sauerstoff und Verbrennung— Atmung (Ms. CA.
Fol. 270r.) . 27
Mittelalterliche Ideen Leonardos über das Feuer-
element im Verhältnis zur Flamme (Ms. CA.
Fol. 270v.) 28
♦Plan für das Buch vom Fliegen (Ms. K. Fol.3r.) 28
»Fliegen und Schwimmen (Ms. K. Fol. 13 r.) . 28
*Warum das Auffliegen leichter ist (Ms. E.
Fol. 39r.) 28
♦Fliegen mit und ohne Flügelschlag — Steuern
und Wenden (SP., Ms.V. U. Fol. 6r. und 6v.) 29
»Wind und Flug (SP., Ms. V. U. Fol. 7r.) . . 30
Für das Luftschiff muß die Bauart der Fleder-
maus Vorbild sein (SP., Ms.V. U. Fol. 16 r.) 30
»Die Flugmaschine muß die Höhe suchen (SP.,
Ms.V. U. Fol. 7v.) 31
»Resistenz der Flugmaschine (SP., Ms. V. U.
Fol. 8r.) 31
»Die Flugschiffer (SP., Ms.V. U. Fol. 6r.) . . 32
Leonardo sieht schon seinen „Vogel", der sich
vom Cecero (Schwan), einem Hügel bei
Florenz, in die Luft hebt (SP., Ms.V. U.,
Innendeckel 2) 32
Vom Wasser (Ms. C. Fol. 26v.) 32
Vom Wasser (Ms. F. Fol. 30 v.) 33
Das archimedische Prinzip und das Schwimmen
(Ms. H. IL, Fol. 92r.) 33
Die Kugelgestalt des Wassers auf die Schwer-
kraft zurückgeführt (Ms. H., Fol. 76 r.) . . 33
Nochmals die Kugelgestalt des Wassers (Ms. F.
Fol. 22v.) 34
Desgleichen (Ms. C. Fol. 5 r.) 34
Die doppelte Sphärizität des Wassers und der
Magnetismus (Ms. CA. Fol. 75 v.) .... 34
Ausdehnung durch die Wärme (Ms. CA.
Fol.270r.) 35
Wärme, Verdunstung, Wolken, Regen, Hagel;
Regen als Ursache der Flüsse (Ms. A. Fol. 55 v.) 35
Atmosphärische Erscheinungen (R. 300, Ms.
Leic. Fol. 4r.) 35
Regen, Schnee, Eis, Eisblumen (Ms. F. Fol. 35 r.) 36
Nebel, Wind, Wogen, Wolken, Blitz (Ms. CA.
Fol. 212v.) 37
305
Seite
Wasser und Wärme (Ms. H. 111., Fol. 95r.) . 40
Rolle des Wassers im Naturhaushalte (Ms. K.
Fol. 2r.) 40
Wasserwirbel und Lockenhaar (R. 389, Ms. W.
Fol. IV) 40
Schwimmen; Tauchapparate; Anspielung auf
Unterseeboote und Einrichtungen, Schiffer
unter dem Wasser anzubohren, wozu in den
Manuslcripten Entwürfe enthalten sind (R.
1114, Ms. Leic. Fol. 22v.) 40
Fortpflanzung des Schalls (Ms. A. Fol. 61 r.) . 41
Wo der Schall erzeugt wird (Ms. A. Fol. 22 v.) 42
Mitklingen gleicher und verwandter Töne (Ms. A.
Fol. 22v.) 43
Kraft des Tones (Ms. A. Fol. 23 r.) 43
Fortpflanzung des Schalles in flüssigen und in
festen Körpern (Ms. B. Fol. 6r.) 43
Der Schall und das Licht verbreiten sich wel-
lenförmig (Ms. A. Fol. 9v.) 43
Reflexion des Schalles (Ms. A. Fol. 19v.) . . 44
Die Lichtstrahlen pflanzen sich im gleichen
Mittel geradlinig fort (Ms. A. Fol. 8v.) . . 44
♦Undeutliche Ahnung vom Zusammenhang der
Strahlenbrechung und der Art des Mittels
(Ms. A. Fol. 64 r.) 44
»Desgleichen (Ms. F. Fol. 60 r.) 44
•Ähnlicher Gedanke (Ms. CA. Fol. 121 r.) . . 45
Über die Fortpflanzung des Lichtes (Ms. A.
Fol. 2v.) 45
Desgleichen (Ms. Ash. I., Fol. 6v.) .... 45
Desgleichen (Ms. CA. Fol. 101 V.) 46
Versuche mit der Camera obscura (R. 66,
Ms. W. L. Fol. 145) 46
Das Aufrechtsehen (Ms. C. Fol.6r.) .... 46
Vom Sehen und der Pupille (Ms. CA. Fol. 345 r.) 46
Desgleichen (Ms. CA. Fol. 345v.) 47
III. Sonne, Mond und Erde
(S. 48—88)
Die Sonne. Ihre Größe. Irrtum des Epikur.
Irrtum des Sokrates. Quelle des Lichtes der
Sterne, Quelle der Wärme und des Lebens,
aller Beseelung (Ms. F. Fol. 5r. und Fol.
4v.)
48
Fortsetzung (Ms. F. Fol.6r.) 49
Fortsetzung (Ms. F. Fol. 8v.) 49
Beweis, daß Epikurs Annahme falsch ist
(Ms. F. Fol. lOr.) 50
Ob die Sonne an sich warm ist (Ms. F. Fol. 86 r.) 50
Widerlegungen. Vom Element des Feuers
(Ms. F. Fol. 86r.) 51
Weitere Beweise, daß die Sonne warm ist.
Wärmestrahlen, von Hohlspiegeln reflektiert.
Wärmestrahlen, die durch eine Kugel mit
kaltem Wasser gehen (Ms. F. Fol. 85v.) . . 52
Seite
Polemik gegen jene, die behaupten, die Sonne
sei kalt (Ms. F. Fol. 34v.) 52
Unbeweglichkeit der Sonne (R. 886, Ms. W. L.
Fol. 132r.) 53
Gegen jene, die ihm Mangel an Ehrfurcht vor
den Autoritäten vorwerfen werden (Ms. CA.
Fol. 119r.) 53
Vom Licht des Mondes (R. 876, Ms. Br. M.
Fol. 28r.) 53
Allerlei Mondfragen. Der Mond hat die Natur
eines Konkavspiegels. Wieso der Mond
schwebt (R. 892, Ms. Br. M. Fol. 94r.) . . 53
Mondlicht, Erdenlicht (R. 896, Ms. Br. M.
Fol. 94v.) 54
Der A\ond, ein fester, undurchsichtiger Körper.
Er schwebt in seinen Elementen wie das Ei-
dotter im Eiweiß (R.896,Ms. Br. M.Fol. 94 V.) 55
Wie Leonardo es sich erklärt, daß der Mond
sich im Gleichgewicht erhält. Erklärung des
lumen cinereum (R. 902, Ms. Leic. Fol. 2r.) 56
Die Flecken des Mondes (R. 906, Ms. Br. M.
Fol. 19r.) 57
Fernrohr? (Ms. CA. Fol. 190 r.) 57
Über die Natur der Flecken im Mond (Ms. F.
Fol. 84 r.) 58
Irrtümliche Theorie über die Jahreszeiten des
Mondes (Ms. CA. Fol. 303v.) 58
Weshalb man bei Tag die Sterne nicht sieht
(Ms. F. Fol. 5v.) 58
Die Erde leuchtet wie der Mond. Sie erscheint
in der Entfernung ein Stern. Funkeln der
Sterne. Der Mond ist kalt und feucht (Ms. F.
Fol. 94v.) 58
Die Erde ist nicht Mittelpunkt der Welt; sie
ist nicht in der Mitte des Sonnenkreises
(Ms. F. Fol. 41 v.) 59
Die Erde ein Stern (Ms. F. Fol. 56 r.) ... 59
Die Erde und ihre Elemente. Entwurf (Ms. F.
Fol. 69v.) 59
Wasser und Erde (Ms. F. Fol. 22v.) .... 59
Der Erdball ist nur vollkommen rund, wo Ge-
wässer ihn umgibt (Ms. A. Fol. 58v.) ... 60
Wie der Schwerpunkt der Erde veränderlich
ist und seine Lage im Erdkern wechselt, nicht
aber im Weltenraum (Ms. CA. Fol. 102 r.) . 60
Die Erde gleichsam ein organisches Lebewesen
(Ms. A. Fol. 55 v. und Ms. CA. Fol. 80 r.) . 61
Flut und Ebbe (R. 956, Ms. Leic. Fol. 17 v.) . 61
Lebendiges entsteht nur aus Lebendigem ; da-
her müsse die Erde eine Art von animalischem
Wesen sein. Vegetative Seele der Erde (R.
1000, Ms. Leic. Fol. 34 r.) 62
Woher das Wasser der Flüsse kommt (Ms. A.
Fol. 56 r. und Fol. 56 v.) 62
306
Seite
Wasser ist das Blut der Erde (Ms. H. 11.,
Fol. 77 r.)
Die Wärme als Motor des Wasserkreislaufes
(Ms. A. Fol. 56 r.)
Der Wasserkreislauf im Leib der Erde gleicht
dem Blutkreislauf (R. 965, Ms. Br. M. 236v.)
Der Ursprung der Flüsse vom Meere genährt
(R. 970, Ms. Leic. Fol. 33v.)
Leonardo kommt von der Meinung zurück, daß
die Flüsse vermittelst unterirdischer Kanäle,
die zu den Bergspitzen führen, vom Meer
gespeist seien (Ms. F. Fol. 72v.)
Die Wasserläufe als Bildner von Inseln, Ber
gen, Kontinenten. Das Wasser, der Kärrner
der Natur (Ms. G. Fol. 49v.)
Wie die mittelländischen Meere trocken gelegt
werden und verschwinden (R. 953, Ms. Leic
Fol. 20 r.)
64
64
65
65
65
66
Aller Meeresgrund ist schon einmal Festland
gewesen (Ms. CA. Fol. 45 v.) 66
Was ist eine Welle? (Ms. CA. Fol.84v.) . . 66
Die einfallende und die zurückgeworfene Be
wegung der Welle (Ms. F. Fol. 72 r.) ... 67
Der höchste Punkt des Wellenbergs ein Ruhe
punkt (Ms. H. Fol. 31r.) 67
Warum das Meereswasser salzig ist. Auf-
gelöste Salzminen. Die Salzminen, aus
getrocknete Meere (Ms. G. Fol. 48 v.) ... 67
Noch mehr vom Salz (Ms. G. Fol. 49 r.) . . 68
Das Festland aus diluvialen Schichtungen
bildet. Das Rinnsal der Flüsse hat sich so
tief eingesägt und erweitert, daß Berg und
Tal entstand (R. 789, Ms. Br. M. Fol. 138r.) 69
Von den Veränderungen der Erdoberfläche.
Das Mittelländische Meer wird zum Bett des
Nils einschrumpfen, so wie der Po mit seinen
Nebenflüssen der Rest eines verschwundenen
Meeres ist (R. 1063, Ms. Leic. Fol. 10 r.). . 69
Vormals (R. 1085, Ms. Leic. Fol. lOv.) ... 70
Nicht Dokumente, sondern die Dinge erzählen
die Geschichte der Erde (R. 984, Ms. Leic.
Fol. 31 r.) 71
Die Fossilien legen Zeugnis ab (Ms. E. Fol.4v.) 71
Wert der Kenntnis der Erdgeschichte (Ms. CA.
Fol,373v.) 72
Leonardo hält alles Gebirge für Anschwemmung
und Ablagerung (R. 980, Ms. Leic. Fol. 10 r.) 72
Desgleichen (Ms. CA. Fol. 160v.) 72
Erdbeben durch innere Einstürze und Span-
nung der Gase (Ms. CA. Fol. 289 v.) . . . 72
Sind die Fossilien durch Einfluß der Gestirne
entstanden, wie es noch bis zum Ende des
17. Jahrhunderts geglaubt ward? (Ms. F.
Fol. 80r.) 73
20*
Seite
Von der Entstehung der Versteinerungen (Ms. F.
Fol. 79r.) 73
Gegen jene, die meinen, die Muscheln seien
von der Sintflut auf die Bergeshöhen ge-
bracht worden, ehe sie versteinerten (R. 987,
Ms. Leic. Fol. 8v.) 74
Wie die fossilen Muscheln auf das Festland
und die Berge kamen (R. 988, Ms. Leic. Fol. 9 r.) 76
Widerlegung jener, welche die Sintflut als Grund
für das Vorkommen versteinerter Muscheln
im Gebirge betrachten (R. 989, Ms. Leic.
Fol. 9v.) 79
Zusammenfassendes Schema aller Für und
Wider (R. 990, Ms. Leic. Fol. 10 r.). ... 81
Fortsetzung. Und die Korallen mitten in der
Lombardei? Und die festsitzenden Muschel-
arten? (R. 991, Ms. Leic. Fol. 11 v.) ... 84
Erdkatastrophe und Sintflut (R.994, Ms. Br.M.
Fol. 156v.) 84
War die Sintflut zur Zeit Noahs überhaupt eine
allgemeine? Um es zu glauben, muß man
das Wunder zu Hilfe rufen (Ms. CA. Fol. 155 r.) 84
Ein Fossil (R. 1217, Ms. Br. M. Fol. 156r.) . 85
Vom Wachstum der Erde (Ms. CA. Fol. 265 r.) 85
Die Erde wird wasserlos und dürr werden und
im Feuer enden (R. 1218, Ms. Br. M. Fol. 155 v.) 87
Vom Ende unserer Welt (Ms. F. Fol. 84 r.) . 87
Desgleichen. Ansichten Leonardos etwa zwi-
schen 1508—1509 (Ms. F. Fol. 52v.) ... 88
IV. Menschen, Tiere, Pflanzen
(S. 89— 121)
Anatomie — eine brotlose Wissenschaft. Zu
seiner figuralen Anatomie (R. 796, Ms. W.
An. IV. Fol. 167 r.) 89
'Beschreibung und Zeichnung müssen in der
Anatomie sich ergänzen (SP., Ms. W. An.A.
Fol. 14 v.) 90
Entwurf und Anordnung des Buches über die Ana-
tomie von 1489 (SP., Ms. W. An. B.Fol. 20 V.) 90
Darstellung des Mikrokosmos „Mensch", so
wie Ptolomäus den Makrokosmos der Welt
darstellte (R. 798, Ms. W. An. IV. Fol. 157 r.) 92
*Plan für die Ordnung der anatomischen Zeich-
nungen (SP., Ms. W. An.A. Fol. 16r.) . . 92
*Wie die Anatomie der Gliedmaßen am besten
figurai dargestellt wird (SP., Ms. W. An. A.
Fol. Iv.) 92
*Pläne für die anatomischen Tafeln (SP., Ms.W.
An. A. Fol. 18v.). Das Skelett und seine Be-
kleidung (SP., Ms.W. An. A. Fol. 18r.) . . 93
»Wie der Knochenbau des Fußes darzustellen
sei (SP., Ms. W. An. A. Fol. Ir.) .... 93
307
Seite
*Wie der Knochenbau des Halses am besten
demonstriert wird. Vervielfältigung der ana-
tomischen Tafeln Leonardos durch — Kupfer-
stich? (SP., Ms. W. An. A. Fol. 8v.) • . • 94
•Figurale Darstellung der Muskeln in Verbin-
dung mit den Knochen (SP., Ms. W. An. A.
Fol. 4v.) 94
*Wie die schichtweise Lagerung der Muskeln
zeichnerisch darstellbar ist (SP. , Ms. W.
An. A. Fol. 14v.) 95
♦Wie die Muskeln zu zeichnen und zu benennen
sind (SP., Ms. W. An. A. Fol. 18r.) ... 95
♦Wie ein Arm im richtigen Umriß mit ein-
gezeichneten Knochen, Muskulatur, Nerven
und Adern darzustellen ist (SP., Ms. W.
An. B. Fol. lOr.) 95
♦Über die Anordnung der Adern und Nerven
an den Fingern und Zehen (SP., Ms. W.
An. A. Fol. 13v.) 96
♦Herz und Adern (SP., Ms. W. An. B. Fol. 11 r.) 96
♦Das Herz, seine Anatomie, seine Funktion
(SP,, Ms.W. An. B. Fol. 12r.) 96
♦Das Herz, ein Gefäß mit dichter Muskulatur.
Seine Widerstandskraft im Feuer (SP., Ms.
W. An. B. Fol. 33v.) 96
♦Blutwärme und Herzbewegung (SP. , Ms. W.
An. B. Fol. 12r.) 97
♦Die Adern im Alter und in der Jugend (SP.,
Ms. W. An. B. Fol. 10 r.) 97
♦Anatomische Veränderungen der Blutgefäße
im Alter. Die Leber bei alten Leuten. Anev-
rismen und Phlebolithe. Altersschwäche.
Leonardo seziert einen marastischen Greis
und einen zweijährigen Knaben. Blutumlauf
und Ernährung. Beständige Erneuerung des
Blutes (SP., Ms. W. An. B. Fol. lOv.) . . 97
♦Die Lunge und ihre Funktion (SP., Ms.W.
An. B. Fol. 17r.) 99
♦Leber und Galle (SP., Ms. W. An. B. Fol. 2 v.) 100
♦Rückenmark und Bewegungsnerven (SP,, Ms.
W. An. A. Fol, 23r.) 100
♦Rückenmark und Gehirnhäute (SP., Ms.W.
An. B. Fol.23r.) 101
♦Pläne zur Physiologie. Physiognomik. Adern
und Nerven (SP., Ms. W. An. B. Fol. 1 r.) . 101
♦Skizzierung eines Buches, das von den Funk-
tionen des Körpers handeln sollte (SP.,
Ms. W. An. B. Fol. Iv.) 102
Notiz über vergleichende Anatomie der Ein-
geweide (R. 817, Ms. W. An. II, Fol. 206v.) 102
Notiz zu vergleichender Anatomie der Zunge
und der Kinnladen (R. 819, Ms. W. An.
IV. Fol, 167r.) 102
♦Vergleichende Anatomie des Fußes, Datierung
Seite
dieses Buches, Winter 1510 (SP., Ms.W.
An. A. Fol. 17r.) 102
♦Die Lehre von den Bewegungen der Menschen
und Tiere auf die Lehre von den Maschinen-
teilen gestützt (SP., Ms.W. An. A. Fol. 10 r.) 103
Vom Gehen der Menschen (Ms. CA. Fol. 297 r.) 103
♦Von den Sinneswerkzeugen des Menschen und
der Tiere. Unterschied zwischen Mensch
und Tier. Der Mensch als künstlerischer
Schöpfer (SP., Ms.W. An. B. Fol. 13 r.) . 103
Unwürdige und oberflächliche Menschen ver-
dienen nicht eine so reiche Organisation wie
den menschlichen Körper (SP., Ms. W. An. B.
Fol, 21 V.) 105
Vom Auge (Ms. CA, Fol, 119 r.) 105
Anatomie des Auges (Ms. CA. Fol. 345v.) . 105
Die Pupille und die Lichtstärke (Ms. D.Fol.Sr.) 106
Die Größe der Pupille ist veränderlich. Was
daraus folgt (Ms.J. Fol. 20 r.) 106
Vom Schutz des Auges (MS. CA. Fol. 116r.) . 106
VonderFunktionderPupille(Ms.CA. Fol.345v.) 107
♦Von den Zungenmuskeln. Die Zunge als Sitz
des Geschmacks. Die Zunge als Organ der
Sprache. Menge, Mannigfaltigkeit, Ausdrucks-
fähigkeit der Sprachen. Der Mensch, das
machtvollste Werkzeug der Natur. Seine
Begrenzung. Der Mensch kann das „Ein-
fache" nicht schaffen. Beispiel der Alchi-
misten. Was sie können und was sie nicht
können. Gold. Was die Goldminen lehren.
Die vegetative Seele (SP. , Ms. W. An, B,
Fol. 28v.) 108
Die fünf Sinne und die Seele (1489). Funktion
der Nerven. Wie die Muskeln arbeiten (SP.,
Ms. W. An. B. Fol. 2r.) HO
Nochmals die fünf Sinne und die Urteilskraft
(Ms. CA. Fol.90r.) 112
Die mechanischen Gesetze und der tierische
Körper (R. 859, Ms. Br. M. Fol. 151 r.) . . 113
Die Muskeln und das Bewußtsein (Ms. CA.
119r.) 114
Fol.
♦Unabhängigkeit der Sinnesnerven von ein-
ander (SP., Ms.W. An. A. Fol. 13 v.) . . .114
Automatische Bewegungen. Vorstellungskraft
und Sinne. ♦Präimaginieren, Postimaginieren
(SP., Ms. W. An. B. FoL2v.) 115
Vom Blutumlauf. Blut und Lunge (Ms. A.
Fol. 56v.) 115
Blut und Wärme (Ms. A. Fol. 56v.). Queck-
silberverdampfung (Ms. A. Fol. 57 r.) . . .116
Noch mehr vom Blute. Blut und Herz. Wasser
(R.849, Ms. Leic. Fol. 21v.) 116
Arterienblut und Venenblut (R. 850, Ms.W.
An. III. Fol. 226r.) 117
308
Seite
Die Natur, oft eine Stiefmutter (R.846, Ms.
S, K. M. III. Fol. 74r.) 117
Kreislauf des Lebens (Ms. H. II. Fol. 41 v.) . 117
Leben ist ein beständiges Sterben und Wieder-
geborenwerden (SP., Ms.W. An.B. Fol.28r.) 117
Einteilung der Säugetiere, wobei der Mensch
die Ganung der Affen vertritt (SP., Ms. W.
An.B. Fol. 13r.) 118
Die erfindungsreiche Natur. Die bildende Seele,
Körperseele. Die höhere Seele und die Klo-
sterbrüder. Die h. Schriften (R. 837, Ms.W.
An. IV. Fol. 184r.) 118
Anordnung der Blätter an den Zweig-en. Zweck-
dienlichkeit dieser Anordnung (Ms. G.
Fol. 16v.) 119
Mutterrolle des Blattes, über dem ein Zweig
hervorsprießt (Ms. G. Fol. 33v.) 120
Verdickung der Rinde (Ms. CA. Fol. 76r.) . . 120
Giftige Früchte ziehen (Ms. CA. Fol. 12 r.). . 120
V. Philosophische Gedanken
(S. 122—138)
Leonardo und Gott (R. 1132, Ms. S. K. M. III.
Fol. 46v.) .122
Ein geistiges, vernünftiges Prinzip herrscht in
Gott und Welt (Ms. Tr. Fol. 36 v.) .... 122
Die Seele wirkt nur durch den Körper (Ms. Tr.
Fol.40v.) 122
Gegen das Transzendentale (Ms. H. II. Fol. 67
(19)r.) 122
Das Streben zum Ganzen (Ms. CA. Fol. 59 r.) 122
Die Quintessenz des Seins (R. 1162, Ms. Br. M.
Fol. 156v.) 123
Wink der Natur (Ms. Ash. I. Fol. 7r.) ... 123
Wo ist der letzte Grund der Dinge — ? (Ms. K.
Fol. 101 V.) 123
Der Mensch, der sich anmaßt, die Natur ver-
bessern zu wollen — ! (Ms. CA. Fol. 76 r.) . 124
Argument gegen die Goldsucher (Ms. Ch.
Fol. 76r.) 124
Gegen die Nekromantie. Leonardo erkennt die
Verdienste der Alchimie wohl (SP., Ms.W.
An. B. Fol. 31 V.) 124
Von den Geistern. Nimmt der Geist inner-
halb der Elemente einen Körper an? (SP.,
Ms.W. An. B. Fol. 36r. und Fol. 30v.) . . 126
Kann sich der Geist mittels eines Luftleibes
bewegen? — Ob der Geist sprechen kann.
Singende Flamme (SP. , Ms. W. An. B.
Fol. 30v.) 128
Zusammenfassung (Ms. B. Fol. 4v.) . . . - 130
Desgleichen (Ms. CA. Fol. 190v.) 130
Sinne und Vernunft (Ms. Tr. Fol.33r.) . . .131
Seite
*Die Sinne von der Außenwelt abhängig (SP.,
Ms. W. An. B. Fol. 21 V.) 131
Selbsttäuschungen (Ms. CA. Fol. 29 v.) . . . 131
Der Schmerz und seine Rolle (Ms. H. II.
Fol. 60r.) 131
Desgleichen (Ms. Tr. Fol. 20) 131
Reversseite (Ms. Tr. Fol. 6) 131
Körper und Seele in Wechselwirkung (Ms. CA.
Fol. 76r.) 132
Menschen, denen das höhere geistige Leben
nichts ist (R. 1 179, Ms. S. K. M. III. Fol. 17 r.) 132
Das Schlimmste auf Erden ist der Mensch
(R. 844, Ms.W. An. III. Fol. 241 r.) . . .132
Warum die Natur nicht verbot, daß ein Tier
vom anderen lebe (R. 1219, Ms. Br. M.
Fol. 156v.) 133
Zeit als philosophischer Begriff (R.917, Ms.
Br. M. Fol. 176r.) 133
Von der Zeit (R. 916, Ms. Br. M. Fol. 173v.). 133
Für genaue Zeitmessungen (R.918, Ms. Br. M.
Fol. 191 r.) 134
Zum Entwurf einer neuartigen Uhr (Ms. CA.
Fol. 12v.) 134
•Rätsel (Ms. CA. Fol. 384r.) 134
Vom Nichts (R. 1216, Ms. Br. M. Fol. 131 r.) . 135
Vom Nichts; andere Formulierung (Ms. CA.
Fol. 39 V.) 135
Über die Vergänglichkeit (Ms. CA. Fol. 76r.). 136
Bild der Gegenwart (Ms. Tr. Fol. 34 r.) ... 136
Das Unendliche (Ms. CA. Fol. 131 r.) ... 136
Einheit aller Dinge (Ms. CA. Fol. 385v.) . . 136
Was ist? (Ms. F. Fol.49v.) 136
Punkt und Nichts (Ms. CA. Fol. 289 r.) . . . 137
Null (Ms. CA. Fol. 289v.) 137
In der Welt gibt es keine „quantité néglìgeable"
(Ms. CA. Fol. 244 V.) 137
♦Wert des geringsten Lebens. Ausfall auf die
Ärzte. Ihre Mittel (SP., Ms.W. An. A. Fol. 2r.) 137
VI. Aohorismen, Allegorien
(S. 139—153)
Anrufung (R. 1133, W. An. IV. Fol. 172r.) . . 139
Schaffenstrieb (R. 685, Ms. W. P. Fol. 11 v.) . 139
Reichtum und Tugend (Ms. Ash. I. Fol. 34 v.) 139
Geistige Arbeit und Händewerk (Ms. CA.
Fol. 109v.) 139
Geistige Leidenschaften (Ms. CA. Fol. 358v.). 140
Liebe als Symbol alles Geschehens (Ms. Tr.
Fol. 11) 140
Die Begierden (Ms. H. III. Fol. 119r.) ... 140
Selbstbeherrschung (Ms. H. III. Fol. 119r.) . 140
*Das Unerreichbare nicht erstreben (SP.,
Ms. W. An. B. Fol. 21 V.) 140
Die Gedankenlosen (Ms. H. III. Fol. 119r.) . 140
309
Seite
Vorhersicht (Ms. H. III. Fol. 119r.) .... 140
Bester Rat (Ms. H. III. Fol. 119r.) 141
Schlechter Rat (Ms. H. III. Fol. 119r.) . . . 141
Geduld (Ms. CA. Fol. 117 r.) 141
Vorsorge (Ms. CA. Fol. 112r.) 141
Wert des Lebens (Ms. I. Fol. 15r.) .... 141
Gegen den Schlaf (Ms. CA. Fol. 76 r.) . . .141
Hohe Ziele (R. 682, Ms. W. L. Fol. 198 r.) . . 141
Sinnbild des Starken (Ms. H. I. Fol. 39r.) . . 142
Schlimmer Ruf (Ms. H. I. Fol. 40 r.) .... 142
Weisheit (R. 1150, Ms. S. K. M. III. Fol. 80v.) 142
Der Mißtrauische (Ms. CA. Fol. 344 r.) ... 142
Hoffnung (Ms. CA. Fol. 68 V.) 142
Desgleichen (Ms. H. I. Fol. 48 V.) 142
Undankbarkeit (Ms. H. I. Fol. 16v.) .... 142
Freundschaft (Ms. H. I. Fol. 16 v.) 142
Vorsicht (Ms. H. I. Fol. 16v.) 142
Wahrheit im Erinnern (.Ms. H. I. Fol. 16v.) . 142
Laster und Leben (Ms. H. I. Fol. 32r.) . . .142
Angst als Schutz (Ms. CA. Fol. 76r.). ... 143
Furcht (Ms. L. Fol. 90v.) 143
Furcht und Vorsicht (Ms. CA. Fol. 170r.) . . 143
Wer Schutz sucht (R.683, Ms. W. L. Fol. 198 v.) 143
Der Wein und der Trinker (R. 1281, Ms. S. K.
M. III. Fol. 73v.) 143
Reinheit (Ms. H. I. Fol. 48v.) 143
Lernen ohne Wißbegier (Ms. Ash. I. Fol.34r.) 143
Arbeit (Ms. CA. Fol. 289 V.) 143
Was du nicht verstehst (Ms. CA. Fol. 289v.) . 143
GlückundGeistesgegenwart(Ms.CA.Fol.289v.) 143
Dem Verräter (Ms. H. III. Fol. 118v.) ... 144
Der richtige Ratgeber (Ms. H. III. Fol. 118v.) 144
Gerechtigkeit (Ms. H. III. Fol. 118v.). ... 144
Lässigkeit (Ms. H. III. Fol. 118v.) 144
Beim rechten Ende fassen (Ms. H. III. Fol.llSv.) 144
Hinterlist und Strafe (Ms. H. III. Fol. 118v.). 144
Der Tüchtige (Ms. CA. Fol. 76r.) 144
Aus sicherem Ort (Ms. CA. Fol. 71 r.) . . . 144
Glück (Ms. CA. Fol. 71 r.) 144
Neid (Ms. H. II. Fol, 60v.) 144
Das Erdgebundene unseres Wesens (Ms. B.
Fol. 3v.) 145
. 145
. 145
. 145
. 145
. 145
. 145
. 145
. 145
. 146
. 146
. 146
. 146
. 146
Ohne eigene Mühe (Ms. B. Fol. 3v.) . .
Passivität (Ms. M. Fol. 4r.)
Allegorie der Tücke (Ms. M. Fol. 4r.)
Unvorsichtig (Ms. M. Fol. 4v.) . . . .
Kälte (Ms. CA. Fol. 289v.)
Der richtige Instinkt (Ms. F. Fol. 96v.) .
Schmeichelei (Ms. CA. Fol. 37 v.) . . ,
Gegen die Arzte (Ms. F. Fol. 96v.)
Schlaf (Ms. I. Fol. 56r.)
Ein gutes Sterben (Ms. Tr. Fol. 27 r.). .
Der Freie (Ms. Tr. Fol. 26 r.)
Mangel an Einsicht (Ms. CA. Fol.SOv.).
Vom Einfältigen (Ms. CA. Fol. 233 v.) ,
Seite
Die Wundertäter (Ms. F. Fol. 5v.) 146
Pharisäer (Ms. Tr. Fol.34r.) 146
Herzensseufzer Leonardos (Ms. CA. Fol. 358 v.) 147
Nichts Vollkommenes (Ms. CA. Fol. 39 v.) . . 147
Der Inhalt eines Lebens (Ms. Tr. Fol. 34 r.) . 147
Ruhm und Mühe (Ms. H. I. Fol. 17v.) ... 147
Guter Rat (Ms. C. Fol. 19 v.) 147
Undank (R. 687, Ms. Br. M. Fol. 173 r.) . . .147
Torheit und eitle Lust (R. 1182, Ms. Tur.
Fol. 17v.) 147
Spitzbubenschicksal (R. 1186, Ms. W. Fol. XIII.) 147
Der Geizige (R. 1187, Ms. S. K.M. III. Fol. 77 r.) 148
Falsche Nachrede (R. 1196, Ms. S. K. M. 11«.
Fol. 24 r.) 148
Das Bleibende (Ms. CA. Fol. 71 v.) 148
Das Auge des Besitzers (Ms. CA. Fol. 344 r.). 148
Rezept für Bücher (Ms. Tr. Fol. 14 r.) ... 148
Beständigkeit (Ms. H. III. Fol. 101(53)r.) . . 148
Der Edle ist tiefer verletzlich (Ms.Tr. Fol.38r.) 148
Regel um zu gefallen (Ms. G. Fol. 49 r.). . . 148
Kraft der Liebe (Ms. CA. Fol. 344 r.) . . . . 149
Ruhmwürdigkeit und Niedertracht (Ms. H. II.
Fol. 63 r.) 149
Allegorie der Undankbarkeit (Ms. Ash. I.
Fol. 34 v.) 149
Wertprobe (Ms. H. III. Fol. lOOv.) 149
Das Vorbild (Ms. H. III. Fol. lOOv.) .... 149
Vornehmer Sinn (Ms. H. III. Fol. 101 r.) . . 149
Lüge (Ms.J. Fol. 39r.) 150
Sinnbild des Truges (Ms.J. Fol. 49 v.) . . . 150
Allegorien auf Lodovico Moro und auf Messer
Gualtiero di Bottapreti, Vertrauten des Moro
(Ms.J. Fol. 138v.) 150
Wurzellos (Ms.J. Fol. 138v.) 150
Allegorie auf Galeazzo Sanseverino ? (Ms. H. III.
Fol. 98r.) 150
Feuerprobe, Allegorie (Ms. H. III. Fol. 98r.) . 150
Allegorische Zeichnung (Ms. H. III. Fol. 98v.) 150
Gleichfalls (Ms. H. III. Fol. 99r.) 151
Ebenso (Ms. H. III. Fol. 99r.) 151
Devise mit Zeichnung (Ms. H. III. Fol. 99v.). 151
Neid, Erklärung zu einer allegorischen Zeich-
nung (R. 677, Ms. Ox. Fol.2v.) 151
Vergnügen und Mißvergnügen, Text zu alle-
gorischen Zeichnungen (R. 676, Ms. Ox.
Fol. 2r.) 151
Feuer und Lüge, zu allegorischen Entwürfen
(R. 684, Ms. W. P. Fol. llr.) 152
VII. über Kunst (S. 154—197)
Natur und Kunst (R. 651 , Ms. S. K. M. III.
Fol. 19v.) 154
Malerei und Poesie (Ms. Ash. I. Fol. 19r.,
Fol. 19 v., Fol. 20r.) 154
310
Seite
Wer die Malerei mißachtet, liebt weder die
Natur, noch die Philosophie (Ms. Ash. I.
Fol. 20r.) 157
Skulptur und Malerei (Ms. Ash. I. Fol. 25 r.
und Fol. 24v.) 157
•Zweierlei Krebsschaden der Musik (Ms. CA.
Fol.382v.) 159
Der Maler und die Natur (R. 662, Ms. S. K.
M. III. Fol.48r.) 159
Wer seine Figuren nicht zu gebrauchen ver-
steht (Ms. K. Fol, 110 v.) 159
Der Dichter und der Maler (R. 658, Ms. W.
An. IV. Fol. 152r.) 160
Entwicklung der Malerei. Die A'atur Lehr-
meisterin (Ms. CA. Fol. 141 r.) 160
Schüler und Lehrer. (R. 498, Ms. S. K. M. III.
Fol. 24v.) 161
Allseitigkeit (M. Ash. I. Fol. 25 v.) 161
Anweisung, wie man allseitig wird (Ms. G.
Fol. 5v.) 162
Handwerker und Künstler (Ms. Ash. I. Fol. 25 r.) 162
Wer ohne Nachdenken arbeitet (Ms. CA.
Fol. 76r.). 163
Von den 10 Ämtern des Auges (Ms. Ash. I.
Fol. 22v.) 163
Studium der Anatomie (Ms. Ash. I. Fol. 27r.). 163
Gegen diejenigen, die mit ihrer Anatomie Staat
machen (Ms. E. Fol. 19 r.) 164
Ordnung im Studium (Ms. CA. Fol. 199v.). . 164
Lehre für die Anfänger (Ms. Ash. I. Fol. 28r.) 165
Studium, Einsamkeit und innere Ruhe (Ms. CA.
Fol. 184v.) 166
Allerlei Anweisungen (Ms. Ash. I. Fol. 17v.) . 166
Wert der Perspektive (Ms. Ash. I. Fol. 13r.) . 168
Von der Perspektive und der Lehre vom Licht
(Ms. CA. Fol. 203r.) 168
Gegen die praktischen Leute (Ms. CA. Fol. 119 r.) 168
Was ist Perspektive? (Ms. A. Fol. 10 r.) . . 169
Was schwerer ist, ob Licht und Schatten gut zu
verstehen oder ob gut zu zeichnen (Ms. Ash. I.
Fol. Ir.) 170
Naturstudium (Ms. G. Fol. 33 r.) 170
Abwechslung und Reichtum (Ms. G. Fol. 5v.) 170
Auswendiglernen (Ms. Ash. I. Fol. 24r.) . . . 170
Gedächtnisübung (Ms. Ash. I. Fol. 26r.). . .171
Nützliche Spiele der Phantasie (Ms. Ash. I.
Fol. 22 v.) 171
Anwendung des Spiegels (Ms. Ash. 1. Fol. 24 v.) 172
Über das Skizzieren (Ms. Ash. I. Fol. 8v.) . . 173
Reisen (Ms. Ash. I. Fol. 31 v.) 173
Befangenheit des Urteils innerhalb der Grenzen
des eigenen Wesens (Ms. A. I. Fol. 23 r.). . 173
Sei wählerisch! (Ms. Ash. Fol. 27 r.) .... 174
•Inneres und äußeres Ebenmaß (Ms. CA.
Fol. 375r.) 174
Seite
Um Anmut zu geben (Ms. Ash. I. Fol. 22v.) . 174
Welche Luftstimmung am günstigsten für den
Ausdruck des menschlichen Gesichtes ist
(Ms. Ash. I. Fol. 20v.) 175
•Gute Beleuchtung (Ms. A. Fol. 22r.). . . . 175
Wie die Glieder machen (Ms. Ash. I. Fol. 20r.) 175
Von den passenden Gebärden (Ms. Ash. I.
Fol. 20r.) 175
Ausdruck (Ms. Ash. I. Fol. 29v.) 176
Miene und Gebärde als Ausdrucksmittel (Ms.
CA. Fol. 139 r.) 176
Rauch und Luft (Ms. F. Fol. 18r.) 176
Landschaft und Licht (Ms. G. Fol. llv.) . . 177
Laubwerk (Ms. G. Fol. 4 v.) 177
Vom Kolorit (Ms. F. Fol. 75 r.) 178
Wert der Regeln (Ms. CA. Fol. 221 v.) . . . 178
Um das Urteil zu bilden (Ms. Ash. I. Fol.28r.) 179
Fremdes Urteil (Ms. Ash. I. Fol. 26 r.) . . .179
Immer wieder Naturstudium (Ms. Ash. I.
Fol.26r.) 180
Ausruhen des Auges (Ms. CA. Fol. 122 v.) . . 181
Welche Gemächer dem Maler am besten taugen
(Ms. Ash. I. Fol. 16r.) 181
Wie der Maler leben soll (Ms. Ash. I. Fol. 27 v.) 181
Desgleichen (Ms. Ash. I. Fol. 2 r.) 182
Darstellung des Zorns (Ms. Ash. I. Fol. 29v.) . 183
Darstellung eines Verzweifelten (Ms. Ash. I.
Fol. 29v.) ■ . 183
Einer redet vor vielen (Ms. Ash. I. Fol, 21 r.) . 183
Wie man eine Nacht malt (Ms. Ash. I. Fol. 18v.) 184
Ein Ungewitter (Ms. Ash. I. Fol. 21r.). . . . 185
Notizen zum „Abendmahl" (R. 665, Ms. S. K.
M. IP. Fol. 2r.) 186
Desgleichen (R. 666, Ms. S. K. M. II'^^. Fol. 1 r.) 186
Eine Schlacht (Ms. Ash. I. Fol. 31 r.) . . . . 187
Sintflutstudien (R. 608, Ms. W. Fol. 158 r.) . .190
Desgleichen (R. 609, Ms. W. Fol. 158 V.) . . . 194
Desgleichen (Ms. G. Fol. 6 V.) 197
VIII, Entwürfe zu Briefen,Gutachten,
Beschreibungen, Erzählungen
(S, 198—229)
Entwurf eines Briefes, in dem Leonardo seine
Dienste Lodovico Moro Sforza anbietet und
aufzählt, was er leisten kann (Ms. CA.
Fol. 391 r.) 198
Entwurf zu einem Gutachten über einen ge-
schädigten Dom (Ms. CA. Fol. 270 r.) ... 20«
Leonardo warnt die Bauverweser des Domes
von Piacenza, den Auftrag für Bronzetüren
leichtsinnig zu vergeben (Ms. CA. Fol. 323 r.
und Fol. 323v.) 302
Bruchstück eines Briefes an seinen Vater
(Ms. CA. Fol. 62 r.) 201
311
Seite
Zu Plänen über neue Städtebauten (Ms. CA.
Fol.65v.) 205
Modell (R. 1342, Ms. S. K. M. III. Fol. 23v.) . 205
Um Schwierigkeiten zu Plänen für Kanalbauten
zu beseitigen (R. 1343, Ms. S. K. M. III.
Fol. 79v.) 205
Unvollkommen erhaltener Briefentwurf. An
Lodovico Moro gerichtet, um 1497 etwa, als
er die Arbeiten des Herzogs im Stich lassen
und sich mit Anderem beschäftigte (Ms. CA.
FoI.315v.) 206
Verstümmelter Entwurf eines Briefes an Lodo-
vico Moro, wohl um die gleiche Zeit; er
spricht vom aufgeschobenen Guß des Bronze-
pferdes, vom Auftrag, die Camerini zu malen
(Ms. CA. Fol. 335 V.) 206
An einen der Brüder Leonardos (Ms. CA.
Fol. 202v.) 207
Entwurf zu einem Brief, wahrscheinlich an
Charles d'Amboise, den Marschall von Chau-
mont, Statthalter Ludwig XII. in Mailand, et-
wa 1510— 1511 geschrieben (Ms. CA. Fol. 372 V.) 207
In gleicher Angelegenheit an den Präsidenten
des Amtes , dem die Aufsicht über die Ka-
näle und die Wasserregulierung übertragen
war (Ms. CA. Fol. 372 V.)
In gleicher Angelegenheit an Francesco Melzi
(Ms. CA. Fol. 372v.)
Bezieht sich gleichfalls auf die Schenkung des
Königs, die Leonardo für hydraulische Ar-
beiten am Kanal von S. Cristofano erhalten
(Ms. CA. Fol. 93r.)
Durchstrichener Briefentwurf (Ms. CA. Fol.
389r.) •. .• ^'*
Entwürfe zu einem Brief an Giuliano Medici,
Herzog von Nemours, drittem Sohn des
Lorenzo Magnifico und Bruder Leo X., in
dessen Schutz und Dienst Leonardo in Rom
1513 — 1515 stand. Er beschwert sich über
einen deutschen Arbeiter, namens Georg
(Ms. CA. Fol. 247v.) 211
Desgleichen (Ms. CA. Fol. 283 r.) 214
Anderes Bruchstück (Ms. CA. Fol. 182 v.) . . 214
Gleichfalls (Ms. CA. Fol. 92 r.) 216
Fragment (R. 1358, Ms. W. An. III. Fol. 241 r.) 216
Ein Stück Erzählung — ? Nicht ganz entziffert
(R. 1355, Ms. W. Fol. XXXI.) 217
Cypern (R. 1104, Ms. W. Fol. XVII v.) . . .217
Auf einem zerrissenen Blatt (Ms. CA. Fol. 71 r.) 218
Eine Reiseerinnerung oder eine geographische
Phantasie — ? (R. 1339, Ms. Br. M. Fol. 155 r.) 218
Ein Riese (Ms. 1. Fol. 139 r.) 219
Desgleichen (Ms. CA. Fol. 96 V.) 219
Bruchstück und Fortsetzung (Ms. CA. Fol.311r.) 221
208
209
210
Fol
Seite
Bruchstück, das J. P. Richter als Reminiszenz
eines Aufenthaltes im Orient ansah (Ms. CA.
Fol. 145v.) 222
Brief, vielleicht Teil einer Erzählung (Ms. CA.
Fol. 214 V.) 227
Bruchstück (Ms. CA. Fol. 155 r.) 228
Irgend ein Meerungeheuer (Ms. CA. Fol. 265 r.) 229
Vergänglichkeit (Ms. CA. Fol. 71 r.) 229
IX. Allegorische Naturgeschichte
(Bestiarius) (S. 230—253)
Liebe zur Tugend (Ms. H. I. Fol. 5r.)
Neid (Ms. H. I. Fol. 5v.). . . .
Heiterkeit (Ms. H. I. Fol. 5v.) . .
Traurigkeit (Ms. H. I. Fol. 5v.) .
Friedfertigkeit (Ms. H. I. Fol. 6r.)
Zorn (Ms. H. I. Fol. 6r.). . . .
Dankbarkeit (Ms. H. I. Fol. 6v.) .
Geiz (Ms. H. I. Fol. 6v.). . . .
Undankbarkeit (Ms. H. I. Fol. 7r.)
Grausamkeit (Ms. H. I. Fol. 7r.).
Freigebigkeit (Ms. H. I. FoL 7v.) .
Züchtigung (Ms. H. I. Fol. 7v.) .
Schmeichelei oder Lobhudelei (Ms.H
Vorsicht (Ms. H. I. Fol. 8r.) . .
Tollheit (Ms. H. I. Fol. 8r.). . ,
Gerechtigkeit (Ms. H. I. FoL8v.)
Wahrheit (Ms. H. I. Fol. 8v.) .
Treue oder Hingebung (Ms. H. I. Fol.
Falschheit (Ms. H. I. Fol. 9r.) . .
Lüge (Ms. H. I. FoL9v.). . . .
Kraft (Ms. H. I. Fol. 9v.) ...
Furcht oder Feigheit (Ms. H. I. Fol
Großherzigkeit (Ms. H. I. Fol. lOr.)
Ruhmsucht (Ms. H. I. Fol. lOr.) .
Beständigkeit (Ms. H. I. Fol. 10 v.)
Unbeständigkeit (Ms. H. I. Fol. 10 v
Enthaltsamkeit (Ms. H. I. Fol. lOv.)
Unmäßigkeit (Ms. H. I. Fol. llr.)
Demütigkeit (Ms. H. I. Fol. Hr.).
Stolz (Ms. H. I. Fol. llv.) . . .
Enthaltsamkeit (Ms. H. I. Fol. llv.)
Gefräßigkeit (Ms. H. I. Fol. llv.)
Keuschheit (Ms. H. I. Fol. 12r.) .
Unkeuschheit (Ms. H. I. FoL 12 r.)
Mäßigkeit (Ms. H. I. Fol. 12 r.) .
Adler (Ms. H. I. Fol. 12v.) . . .
Lumerpa — Ruhm (Ms. H. I. Fol. 12 v,
Der Pelikan (Ms. H. I. Fol. 13r.)
Der Salamander (Ms. H. I. Fol. ISr
Chamäleon (Ms. H. I. Fol. 13 r.) .
Der Fisch Alep (Ms. H. I. Fol. 13v
Der Strauß (Ms. H. I. Fol. 13v.) .
Der Schwan (Ms. H. I. Fol. 13v.)
9r,
V.)
. 230
. 230
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. 231
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8r.) 233
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312
Der Storch (Ms. H. I. Fol. 13v.) . . .
Die Zikade (Ms. H. I. Fol. 14 r.) . . .
Die Fledermaus (Ms. H. I. Fol. Hr.) .
Das Rebhuhn (Ms. H. I. Fol. 14 r.) . .
Die Schwalbe (Ms. H. I. Fol. 14 r.) . .
Die Auster — gilt für Verräterei (Ms. H. I.
Seite
. 239
. 239
. 239
. 239
. 240
Fol. 14 V.)
240
Der Basilisk — Grausamkeit (Ms. H. I. Fol. 14 v.) 240
Die Viper (Ms. H. 1. Fol. 14 V.) 240
Der Drache (Ms. H. I. Fol. 15 r.) 240
Die Kreuzoner (Ms. H. I. Fol. 15 r.) .... 240
Der Skorpion (Ms. H. I. Fol. 15 r.) 241
Das Krokodil — Heuchelei (Ms. H. I. Fol. 17 r.) 241
Die Kröte (Ms. H. I. Fol. 17 r.) 241
Die Raupe (Ms. H. I. Fol. 17 V.) 241
Die Spinne (Ms. H. I. Fol. 17 V.) 242
Der Löwe (Ms. H.l. Fol. 18 r.) 242
Die Tarantel (Ms. H. I. Fol. 18 v.) 242
Die Ohreule oder das Käuzchen (Ms. H. I.
Fol. 18v.) 242
Der Elefant (Ms. H. I. Fol. 19 r., Fol. 19 v.,
Fol. 20 r. und Fol. 20 V.) 242
Der Drache (Ms. H. I. Fol. 20v. und Fol. 21 r.) 244
Der Lindwurm (Ms. H. L Fol. 21 r.) .... 245
Die Boa (Ms. H. 1. Fol. 21 r. und FoL 21 v.) . 245
Das Elentier wird im Schlaf gefaßt (Ms. H. L
Fol. 21 V.) 245
Der Bison schadet durch die Flucht (Ms. H. L
Fol. 22r.) 246
Löwen, Pardel, Panther, Tiger (Ms. H. L
Fol. 22r.) 246
Die Löwin (Ms. H. I. Fol. 22 r.) 246
Der Löwe (Ms. H. I. Fol. 22 V.) 246
Der Panther in Afrika (Ms. H. I. Fol. 22 v. und
Fol. 23r.) 246
Kamele (Ms. H. L Fol. 23 r.) 247
Der Tiger (Ms. H. L Fol. 23v. und Fol. 24r.) . 247
Catoblepas (Gnu) — (Ms. H. I. Fol. 24 r.) . . 248
Der Basilisk (Ms. H. L Fol. 24 r. und Fol. 24 v.) 248
Das Wiesel (Ms. H. L Fol. 24 V.) 248
Die Hornviper (Ms. H. L Fol. 24 v.) .... 249
Die Ringelechse — Amphisbaena (Ms. H. I.
Fol. 25r.) 249
Die Pfeilschlange (Ms. H.L Fol. 25r.) . . .249
Aspis (Uräusschlange) — (Ms. H. I. Fol. 25 r.) 249
Das Ichneumon (Ms. H. I. Fol. 25 v.) .... 250
Das Krokodil (Ms. H. I. Fol. 25 v. und Fol. 26 r.) 250
Der Delphin (Ms. H. I. Fol. 26 r.) 251
Das Hippopotamus (Ms. H. I. Fol. 2Gv.). . . 251
Der Ibis (Ms. H. L Fol. 26 V.) 251
Hirsch (Ms. H. I. Fol. 26v.) 251
Die Lazerte (Ms. H. I. Fol. 27r.) 252
Die Schwalbe (Ms. H. I. Fol. 27 r.) 252
Das Wiesel (Ms. H. I. Fol. 27 r.) 252
Der Wildeber (Ms. H. I. Fol. 27 r.) 252
Die Schlange (Ms. H. I. Fol. 27 r.) .
Der Panther (.Ms. H. I. Fol. 27 r.) .
Das Chamäleon (Ms. H. I. Fol. 27 v.)
Der Rabe (Ms. H. I. Fol. 27 v.) . .
Der Distelfink (Ms. H. II. Fol. 68v.)
Der Kranich (Ms. H. III. Fol. 118v.)
Von der Vorhersicht (Ms. H. III. Fol. 118v.)
Seite
. 252
. 252
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. 252
. 253
. 253
. 253
X. Fabeln (S. 254—272)
Papier und Tinte (R. 1322, Ms. S. K. M. III.
Fol. 66v.) 254
Vom Wasser (R. 1271, Ms. S. K. M.IIl. Fol. 93 v.) 254
Die Flamme und die Kerze (Ms. CA. Fol. 67 r.) 254
Die sich erniedrigen, werden erhöht (Ms. CA.
Fol. 67 r.) 255
Der Stein (Ms. CA. Fol. 175 v.) 256
Das Rasiermesser (Ms. CA. Fol. 175 v.) . . . 256
Die Lilie (Ms. H. I. Fol. 14r.) 257
Der Nußbaum (Ms. CA. Fol. 76 r.) 257
Der Feigenbaum (Ms. CA. Fol. 76 r.) . . . . 257
Die grüne Pflanze und der dürre Stab (R. 1276,
Ms. S. K. M. III. Fol. 45r.) 258
Die Zeder und die anderen Bäume (Ms. CA.
Fol. 67 r.) 258
Die Waldrebe (Ats. CA. Fol. 67 r.) 258
Die Zeder (Ms. CA. Fol. 76 r.) 258
Der Pfirsichbaum (Ms. CA. FoL 76 r.) . . . .258
Die Ulme und der Feigenbaum (Ms. CA. Fol. 76 r.) 258
Lorbeer, Myrte und Birnbaum (Ms. CA.
Fol. 67 r.) 259
Falscher Glanz führt ins Verderben (Ms. CA.
Fol. 67 r.) 259
Dis Edelkastanie und der Feigenbaum (Ms. CA.
Fol. 67 r.) 260
Der Hartriegel und die Drossel (Ms. CA.
FoL 67 r.) 260
Die Nuß und der Glockenturm (Ms. CA.
Fol. 67 r.) 261
Die Weide urd der Kürbis (Ms. CA. Fol. 67 r.) 262
Der Adler (Ms. CA. Fol. 67 r.) 264
Die Spinne (.Ms. CA. Fol. 67 r.) 264
Der Krebs (R. 1314, Ms. Br. M. FoL 42 v.) . . 264
Der Esel (Ms. CA. FoL 67 r.) 265
Die Ameise und das Hirsekorn (Ms. CA.
Fol. 67 r.) 265
Auster, Ratte und Katze (Ms. H. II. Fol. 51 v.) 265
Der Falke und die Ente (Ms. CA. Fol. 76 r.) . 265
Die Krammetsvögel {^\s. CA. FoL 117r.) . . 265
Der Hund und der Floh (Ms. CA. FoL 119r.). 266
Katze, Wiesel und Maus (Ms. CA. Fol. 67 r.) . 266
Der Affe und das Vögelein (Ms. CA. Fol. 67 r.) 266
Spinne und Weintraube (Ms. CA. Fol. 67 r.) . 267
Die Legende vom Wein und von Mahomed
(Ms. CA. FoL 67 r.) 267
313
Seite
Stahl und Stein (Ms. CA. Fol. 257 r.) .... 268
Die Flamme und der Kessel. Entwurf (Ms.
CA. Fol. 116v.) 269
Vom dummen Schmetterling (Ms. CA. Fol.257r.) 270
Entwürfe (R. 1314, Ms. Br. M. Fol. 42v.). . . 271
Desgleichen (R. 1314, Ms. Br. M. Fol. 42 v.). . 271
Entvi-urf (Ms. G. Fol. 89r.) 272
Fragment (Ms. G. Fol. 89 r.) 272
Entv^'urf (Ms. L. Fol. 72v.) 272
Entwurf (Ms. CA. Fol. 67 r.) 272
Entwurf und Fragment (R. 1324, Ms. S. K.
M. III. Fol. 48r.) 272
XI. Schöne Schwanke (S. 273—277)
Ein Klosterbruder einem Kaufmann (Ms. CA.
Fol. 150 V. und 150 r.) 273
Ein Maler einem Priester (Ms. CA. Fol. 119 r.) 274
Rasche Antwort (Ms. CA. Fol. 76 r.) .... 275
Ein Pythagoräer übertrumpfe (Ms. M. Fol. 58 v.) 275
Schwank (Ms. M. Fol. 58 V.) 275
Ein wahrer Freund (Ms. CA. Fol. 306 r.) . . .275
Scherz (R. 1290, Ms. S. K. M. 11=. Fol. 44 r.) . 276
Der Handwerker und der Herr (R. 1282, Ms.
8. K.M. III, Fol. 58r.) 276
Ein Siebenschläfer (R. 1291 , Ms. S. K. M. II 2.
Fol. 43v.) 276
Gewonnene Wette (Ms. CA. Fol. 76 r.). . . .276
Schlagfertige Antwort (Ms. CA. Fol. 76 r.) . . 277
Feine Lektion (Ms. Tr. Fol. 40 V.) 277
XII. Prophezeiungen (S. 278— 303)
„Man wird die Gattung der Löwen" (Ms. J.
Fol. 63r.) 278
„Man wird das Blut aus dem zerrissenen
Fleisch" (Ms. J. Fol. 63 v.) 278
„Man wird das Wasser des Meeres" (Ms. J.
FoL63v.) 278
Von den Wickelkindern (Ms. CA. Fol. 145 r.) . 279
Der Deutsche und der Türke — Heiraten —
Fliegen (Ms. J. Fol. 64 r.) 279
Ackerbauer — Gute Werke lesen und beachten
(Ms. J. Fol. 64 r.) 279
Federn — Schwerter und Lanzen — Geiz —
Papyrus (Ms. J. Fol. 64 r.) 280
Würfel — Laternen — Axtstiel (Ms.J. Fol. 64 v.) 280
Getreide dreschen — Bälle zum Spielen —
Kamm — Dudelsack (Ms.J. Fol. 65r.) . . 280
Von geprügelten Nußbäumen — Skulpturen
— Der Mund des Menschen, der ein Grab
ist — Von den Tierhäuten, die reden — Von
den Priestern, die die Hostie im Leibe haben
(Ms.J. Fol. 65 V.) 281
Unschlitt — Planeten — Schiffe und Wogen —
Backöfen — Ofen (Ms.J. FoL66r.). ... 281
Seite
Von den verkauften Kruzifixen — Von den Ärz-
ten, die von den Kranken leben — Von der
Religion der Mönche, die von ihren schon
lang verstorbenen Heiligen leben — Von den
Steinen , die in Kalk verwandelt sind und
aus denen man Gefängnisse mauert (Ms. J.
Fol. 66 V.) 282
Von den Kindern , die gesäugt werden — Von
Muscheln und Schnecken, die vom Meer ver-
schmäht in ihren Schalen faulen werden
(Ms.J. FoL67r.) 282
Von den Nattern in der Störche Schnabel
(Ms. CA. Fol. 129v.) 283
Von den Maultieren, so die reichen Summen
des Goldes und Silbers tragen (Ms. L.
Fol. 91 r.) 283
Elstern und Stare (Ms. J. Fol. 138 V.) . . . . 283
Vom Schatten, den der Mensch nachts mit dem
Lichte macht (Ms. K. Fol. 50) 283
Vom Träumen (Ms. CA. Fol. 145 r.) .... 283
Von den Schafen, Kühen, Ziegen und ähnlichen
(Ms. CA. Fol. 145 r.) 284
Der Zusammenstoß der Sonnensphäre (Ms. CA.
FoL37v.) 284
Von Geld und Gold (Ms. CA. Fol. 37 v.). . .284
Von der Furcht vor Armut (Ms. CA. Fol. 37 v.) 284
Vom Rat (Ms. CA. Fol. 37 V.) 284
Von den geprügelten Eseln (Ms. CA. Fol. 145 r.) 285
Von den Katzen, so die Mäuse fressen (Ms. CA.
Fol. 145r.) 285
Von den Bienen (Ms. CA. Fol. 145 r.) .... 285
Von den Ameisen (Ms. CA. Fol. 145 r.) . . . 285
Von den Nüssen und Oliven und Eicheln und
Kastanien und ähnlichem (Ms. CA. Fol. 145r.) 285
Von Gottesdienst, Begräbnissen und Prozes-
sionen und Lichtern und Glocken und Com-
pagnie (Ms. CA. Fol. 145 r.) 286
Von den Menschen, welche auf den Balken
des Baumes schlafen (Ms. CA. Fol. 145 r.) . 286
Von den Christen (Ms. CA. Fol. 145 r.) ... 286
Von der Speise, die lebendig wird (Ms. CA.
Fol. 145r.) 286
Von den Bombarden, die aus der Grube und
der Form hervorkommen (Ms. CA. Fol. 145 r.) 286
Der Schneeball, der über den Schnee hinrollt
— Das Schlafen auf den Federn der Vögel —
Der Ostwind, der nach Westen fuhr (R. 1297,
Ms. Br. M. Fol. 42 v.) 287
Wolken — Die Bienen, die das Wachs für die
Kerzen machen — Das Eisen — Die Flüsse
(R. 1297, Ms. Br. M. Fol. 42v.) 287
Der Schnee — Der Flintenstein — Feuer der
Bombarden — Die Ochsen, die Bombarden
ziehen (R. 1297, Ms. Br. M. Fol. 42 v.) . . .288
314
Seite
Vom Korn und anderem Samen — Von den
Bäumen, so die Propfreiser nähren — Von
den Weilirauchfässern (R. 1310, Ms. Br. M.
Fol. 212v.) 288
Die Schuster (R. 1312, Ms. S. K. M. II 2. Fol. 3 r.) 289
Vom Mähen des Grases — Vom Leben der
Menschen, die jedes Jahr ihr Fleisch wechseln
(R. 1311, h\s. S. K. M. II 2. Fol. 53 V.). . . . 289
Von den Zicklein (R. 1313, Ms. S. K. M. IP.
Fol. 69r.) 289
Von den Bienen (R. 1329, Ms. W. Fol. XXX) . 289
Vom Geizigen (Ms. CA. Fol. 370 r.) 289
Von den Menschen, die, je mehr sie altern, desto
geiziger werden (Ms. CA. Fol. 370 r.) ... 290
Von der Grube (Ms. CA. Fol. 370 r.) . . . . 290
Von den Dingen die man ißt, die man vorher
tötet (Ms. CA. Fol. 370 r.) 290
Vom Gewicht, das auf den Federkissen liegt
(Ms. CA. Fol. 370 r.) 290
Vom Fangen der Läuse (Ms. CA. Fol. 370 r.) . 290
Vom Schöpfen des Wassers mit 2 Eimern an
einem einzigen Strick (Ms. CA. Fol. 370 r.) . 291
Von den Federn in den Betten(Ms. CA. Fol.370r.) 291
Von den Laternen (Ms. CA. Fol. 370 r.) . . .291
Von den Tieren, die auf den Bäumen gehen,
wenn sie auf Holzstöckeln gehen (Ms. CA.
Fol. 370r.) 291
Von den Sohlen der Schuhe, die vom Ochsen
sind (Ms. CA. Fol. 370 V.) 291
Vom Schiffahren (Ms. CA. Fol. 370r.). . . . 291
Die Bilder der Heiligen angebetet (Ms. CA.
Fol. 370r.) 292
Von den Schnittern (Ms. CA. Fol. 370 r.) . . .292
Die Seidenspindel (Ms. CA. Fol. 370 r.) . . . 292
Vom Hineinlegen und Herausziehen des Brotes
aus dem Mund des Ofens (Ms. CA. Fol. 370 r.) 292
Die gepflügte Erde (Ms. CA. Fol. 370 r.) . . .292
Vom Säen (Ms. CA. Fol. 370 r.) 293
Von den Regengüssen, welche machen, daß trüb
gewordene Flüsse die Erde forttragen (Ms.
CA. Fol. 370r.) 293
Von den Holzscheiten, die verbrennen (Ms. CA.
Fol. 370r.) 293
Von den Ziegel- und Kalköfen (Ms. CA. Fol. 370 r.) 293
Die gekochten Fische (Ms. CA. Fol. 370 r.) . . 293
Die Oliven, welche von den Oelbäumen fallen,
geben uns das Oel, welches Licht macht (Ms.
CA. Fol. 370r.) 293
Vom Flachs , der die Menschen in Obsorge
nimmt (Ms. CA. Fol. 370 r.) 294
Von den Büchern , welche Regeln lehren (Ms.
CA. Fol. 370r.) 294
Von den Gegeißelten und schlimm Gebesserten
(Ms. CA. Fol. 370 r.) 294
Von den Ochsen, die gegessen werden (Ms. CA.
Fol. 370r.)
Seite
294
Vom Heft des Messer, das aus den Hörnern
der Hammel gemacht ist (Ms. CA. Fol. 370 r.) 294
Von der Nacht, in der man keine Farben kennt
(Ms. CA. Fol. 370r.) 294
Von den Schwertern und Lanzen, die von selbst
niemandem schaden (Ms. CA. Fol. 370r.) . . 295
Von Schlingen und Fallen (Ms. CA. Fol 370 r.) 295
Vom Feuer (Ms. CA. Fol. 370 r.) 295
Von Schiffen, die untersinken (Ms. CA. Fol. 370 r.) 295
Vom Abspiegeln der Mauern der Städte im
Wasser ihrer Gräben (Ms. CA. Fo!.370r.) . 295
Von den Metallen (Ms. CA. Fol. 370 r.) ... 296
Vom Klopfen des Bettes, um es in Ordnung
zu bringen (Ms. CA. Fol. 370 r.) 296
Vom Wasser, das trübe und mit Erde gemischt
fließt, und von Staub und Nebel, mit der
Luft vermischt, und vom Feuer, mit dem
seinigen vermischt, und anderes mit jedem
(Ms. CA. Fol. 370 r.) 296
Von den Eiern , die gegessen keine Küchlein
machen können (Ms. CA. Fol. 370 r.) . . . 297
In jedem Punkt kann man die Teilung der zwei
Hemisphären machen (Ms. CA. Fol. 370r.) . 297
In jedem Punkt ist Teilung zwischen Ost und
West (Ms. CA. Fol. 370 r.) 297
Von der Bewegung der Gewässer, welche Hölzer
tragen, die tot sind (Ms. CA. Fol. 370 r.) . . 297
Vom Klagen am Karfreitag (Ms. CA. Fol. 370 r.) 297
Vom Träumen (Ms. CA. Fol. 370 r.) 298
Vom Bogen, aus Hörnern von Ochsen gemacht
(Ms. CA. Fol. 370 r.) 298
Vom Schatten, der sich mit dem Menschen be-
wegt (Ms. CA. Fol. 370 r.) 298
Vom Schatten in der Sonne und vom gleichzeitigen
Spiegeln in einem Wasser (Ms. CA. Fol. 370 r.) 298
Von den Schuhus und Käuzchen, mit denen
man auf der Leimrute Vögel fängt (Ms. CA.
Fol. 370r.) 298
Von der Mitgift der Mädchen (Ms. CA. Fol. 370 r.) 298
Von den Truhen, die viel Schätze verwahren
(Ms. CA. Fol. 370 r.) 299
Vom Auslöschen des Lichtes durch den, der zu
Bett geht (Ms. CA. Fol. 370 r.) 299
Von den Schellen der Maultiere, die sie nah
zu ihren Ohren tragen (Ms. CA. Fol.370r.) . 299
Von den Eseln (Ms. CA. Fol. 370r.) 299
Von den Soldaten zu Pferde (Ms. CA. Fol. 370 r.) 300
Von den Sternen der Sporen (Ms. CA. Fol. 370 r.) 300
Vom Stock, welcher tot ist (Ms. CA. Fol. 370 r.) 300
Vom Feuerschwamm (Ms. CA. Fol. 370r.) . . 300
Vom Schiffahren (Ms. CA. Fol. 370 r.) . . . . 300
Vom Umzug zu Allerheiligen (Ms. CA. Fol. 370 r.) 301
315
Seite
Von Allerseelen (Ms. CA. Fol. 370 r.) . . . . 301
Von den Mönchen, welche, indem sie Worte
ausgeben, große Reichtümer empfangen und
das Paradies verleihen (Ms. CA. Fol. 370r.). 301
Vom Briefschreiben aus einem Land in ein
anderes (Ms. CA. Fol. 370 r.) 301
Von den Hemisphären, welche unendlich viele
sind und von unendlichen Linien geteilt wer-
den, so daß stets jedermann eine dieser Li-
nien zwischen einem der Füße und dem
anderen hat (Ms. CA. Fol. 370r.) 301
Seite
Von den Priestern , welche die Messe lesen
(Ms. CA. Fol. 370 r.) 301
Von den Beichtvätern (Ms. CA. Fol. 370 r.) . . 302
Von den Kirchen und Wohnungen der Mönche
(Ms.CA. Fol. 370r.) 302
Vom Verkaufen des Paradieses (Ms. CA.
Fol. 370 r.) 302
Von den Toten, die man begraben geht (Ms. CA.
Fol. 370r.) 302
Von der Grausamkeit des Menschen (Ms. CA.
Fol. 370r.) 302
TAFELN
1) Selbstbildnis nach der Rötelskizze des Meisters, k. Bibl. zu
Turin Titelblatt
2) Druckwerke verschiedener Art, um Wasser zu pumpen und in
die Häuser zu leiten; links ein Mann mit Tauchapparat (CA.,
Fol. 386r. b) S. XXXII
3) Baiester (Steinschleudermaschine) (CA., Fol. 53v. b) S. XXXIII
4) Brust- und Baucheingeweide, nach einem Blatt der k. Bibl.
zu Windsor (Edit. Ronveyre, Bd. IV, Fol. 10 r.) Originalgröße
46.5—32.5 cm S. CXLIX
DIE REPRODUKTIONEN WURDEN IN DER KUNSTANSTALT VON J. LÓWY
IN WIEN HERGESTELLT. DRUCK VON BRFITKOPF & HÄRTEL IN LEIPZIG
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