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Full text of "Physikalische Diagnostik und deren Anwendung in der Medicin, Chirurgie, Oculistik, Otiatrik und Geburtshilfe : enthaltend : Inspection, Mensuration, Palpation, Percussion und Auscultation, nebst einer kurzen Diagnose der Krankheiten der Athmungs- und Kreislaufsorgane"

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BERLIN.  MHtelstr.  No.  5, 

w.   der  Friedrichs-    u.   Charlottensir. 


1-10-16-10M 


Boston 

Medical  Library 

8  The  Fenway 


PHYSIKALISCHE 


und  deren  Anwendung 

in  der 

MEDICIN,  CHIRURGIE,  OCÜLISTIK, 

OTIATRIK  UND  GEBURTSHILFE, 

enthaltend: 

INSPECTION,  MENSURATION,  PALPATION, 
PERCUSSION  UND  AUSCULTATION, 

nebst  einfcr 

kurzen  Diagnose  der  Krankheiten  der  Athmungs-  und  Kreislautsorgane. 

Von  C^*^ 

GUSTAV  VON  GAAL, 

Doclor  der  Medicin  und  Chirurgie  ,  Magister  der  Geburtshilfe  ,  Assistenten  an  der  Lehrkanzel  der 
Bpedellen  Pathologie  und  Therapie  und  der  medicinischen  Klinik  für  Aerzte  an  der  k.  k.  Universität 
zu  Wien,  Inslitutsarzt  der  vereinigten  ersten  österr.  Sparcasse  und  Versorgungsanstalt,  hochfärstiich 
Eslerhaz\'scliera  Baasarzte,  Milgliedc  der  hiesigen  medicinischen  Farnlfä't,  so  wie  des  geognoslisch- 
montanislNchen  Vereins  von  Tyrol  und  Vorarlberg  ,  der  k.  k.  Landwiiihschafts-Gescllsrhaft  in  Kr.iin. 
des  Vereins  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Dresden ,  der  naturforschenden  Gesellschaft  zu  Halle 
und  der  Gesellschaft  der  Aerzte  zu  Warschau. 

Anhang: 

Die  mikroskopisch- chemisoli- pathologische  Untersuchung 


sdb.  pdDxir.  sfslio  ansEaiLiESE. 


.<t^V 


Zweite  Auflage- 

Mit  zwei  lithograpuirten  Tafeln  und  Holzschnitten 


ay 


WIEN,  1849. 


WILHELM   BRAUMÜLLER, 

Buchhändler  des  k.  k.  Hofes  und  der  kais.  Academie  der  Wissenschaften. 


Man   halt  sich  zu  viel  an  die  Ideen  und  übersieh!  die  Ei-scheinun<ren 


C.  <»  t  h  e. 


Ouod  est  ante,  pedes ,   nemo 
c  0  otduutv  Xcc 


It  is  not  so  diffi 
there  is  this  para 
judiced  in  f'avonr  of  th 


coeti  scrutantw  piagas. 

(Cicero  de  Divinat.  Hb.  2.) 

)ovjatv. 

(Joannes  III.  11.) 


truths ,  afto  root  out  old  errors;  f'or 
which  is  new,  but  ore  pre- 

(Laeon  CXY  ) 


^r/vr 


'f 

I 


Seiner  Excellenz 


dem  Herrn 


FRANZ  FRGIH.  v  PILLERSDORF , 


Commandern*  des  königl.  ungarischen  St.  Stephan-Ordens, 
k.  k.  wirklichen  geheimen  Rathe ,  Hofkanzler,  mährischem , 
nieder  -  österreichischem  und  galizischem  Landstande  , 
Ehrenbürger  der  k.  k.  Haupt-  und  Residenzstadt  Wien, 
so  wie  der  k.  k.  Akademie  der  bildenden  Künste  daselbst, 
und    mehrerer    gelehrter    Gesellschaften     Ehrenmitgliede 

etc.  etc.  etc. 


Euer  ExccIIenz! 


In  den  Zeichen  der  huldvollen  Aufmerksam- 
keit, deren  Eure  Excellenz  unsere  beschei- 
denen wissenschaftlichen  Bestrebungen  zu  würdi- 
gen die  Gnade  haben ,  die  günstigsten  Auspicien 
für  unsere  fernere  Tbätigkeit  erkennend,  bitten 
wir,  die  Widmung  dieser  Schrift  als  einen,  wenn 
gleich  nur  schwachen ,  aber  reinen  Nachhall  der 
allgemeinen  Huldigung ,  welche  Euer  Excel- 
lenz unsterbliche  Verdienste  um  alles  Gedeihen 


und  Heil  der  vaterländischen  Wissenschaften  längst 
verherrlicht,  so  wie  als  ein  geringes  Pfand  des 
innigen  Dankgefühles  und  der  ehrerbietigen  unbe- 
grenzten Hochachtung  genehmigen  zu  wollen ,  mit 
welcher  wir  zeitlebens  sind 

Euer  Excellenz 

unterdiänigste  Diener 

"Br.  C-iiai.  Dr.  Heller« 


Vorwort. 


Wenn  ich  diessmal  nicht  minder  schüchtern ,  aber  mit 
leichterem  Herzen,  als  bei  meinen  früheren  schriftstelle- 
rischen Versuchen  die  Schwelle  der  Öffentlichkeit  be- 
trete ,  so  fühle  ich  mich  nicht  nur  durch  das  Bewusst- 
sein  redlichen  Bestrebens,  wie  damals,  sondern  auch 
durch  die  sehr  günstige  Aufnahme  meiner  Schrift  über 
Auscultation  und  Percussion,  und  meiner  Ab- 
handlung über  die  Krankheiten  des  Ohres  und 
deren  Behandlung  darüber  gerechtfertiget ,  ja 
selbst  durch  freundlichen  Zuspruch,  so  wie  durch  die 
schmeichelhaftesten  Urtheile  achtungswürdiger  Männer 
und  beglaubigter  Richter  dazu  aufgemuntert.  Einzelne 
persönliche  Anfechtungen  ,  womit  ich  beehrt  wurde, 
kann  und  werde  ich  nie  berücksichtigen;  denn  Derje- 
nige soll  noch  geboren  werden,  der  Moliere's  Behaup- 
tung widerlegen  könnte :  Contre  la  medisance  il  n'est 
point  de  rempart.  #) 

Und  so  übergebe  ich  auch  vorliegende  Arbeit  der 
gelehrten  Allgemeinde,  bescheiden  hoffend,  dassGeisfes- 
und  Berufsverwandte  sie  um  so  geneigter  ihrer  Nach- 


*)  Le  Tartuffe  Acte  I.  Scene  1. 


VIII 

sieht  würdigen  werden  ,  je  abschreckender  die  Grösse 
des  Gegenstandes  Jedem  erscheinen  dürfte,  der  heut 
zu  Tage  mit  dem  rastlosen  Conflicte  medicinischer  Doc- 
trinen,  so  wie  den  extremsten  Richtungen  der  Tenden- 
zen unserer  Zeit  überhaupt,  vertraut,  ihn  in  seinem 
ganzen  Umfange  zu  erfassen  und  zu  bearbeiten  versu- 
chen würde;  denn  was  ist  nicht  physikalisch  in  der  Na- 
tur, und  wo  sind  die  Grenzen  der  physikalischen  Eigen- 
schaften der  Körper? 

Es  erwarte  daher  Niemand  eine  vollständige 
Diagnostik  der  Medicin  und  ihrer  Fächer  in  diesen  Blät- 
tern ,  wohl  aber  eine  Anleitung  zur  physikalischen  Un- 
tersuchung ,  welcher  beispielsweise  und  um  praktisches 
Interesse  mit  zu  verbinden ,  die  Diagnose  der  wichtig- 
sten Krankheiten ,  vom  physikalischen  Standpuncte  aus 
betrachtet ,  beigefügt  ist.  Die  darin  gegebenen  Andeu- 
tungen werden  für  Jeden  ,  der  sich  mit  Exploration  be- 
schäftiget, hinreichen,  um  ihm  Stoff  zu  eigenem  Nach- 
denken und  Gelegenheit  zur  Anwendung  derselben  zu 
bieten. 

Die  Zeit  ist  vorüber ,  wo  der  Arzt  sich  nur  an  die 
Leitkette  älterer  herkömmlicher  Traditionen  hielt,   und 
für  verirrt  gehalten  wurde  ,  wenn  er  diese  verliess ;  wo 
der  Puls  allein  ,  der  doch  auch  ein  physikalisches  Sym- 
ptom ist,  in  dem  Labyrinthe  von  verschiedenen  Zei- 
chen ,  die  er  nicht  in  Einklang  zu  bringen  wusste ,  sein 
Geleiter  war.   Der  Nutzen  der  physikalischen  Explora- 
tion ist  nun  bereits  so  anerkannt,  dass  Manche  ihr  selbst 
eine  Ausdehnung  geben,  deren  sie  nicht  fähig  ist,  ja 
Manche  selbst  nur  das  erkennen  wollen,  was  sie,  so 
zu  sagen ,  mit  Händen  greifen  können  —  und  hierüber 


IX 

liegt  die  Rechtfertigung  des  Erscheinens  einer  physika- 
lischen Diagnostik. 

Noch  mehr  aber  fühle  ich  mich  zu  der  vorliegenden 
Arbeit  durch  den  Umstand  berufen ,  dass  es  mir  ver- 
gönnt ist ,  an  der  Seite  des  grossen  Klinikers ,  meines 
hochverehrten  Lehrers,  Professor  Dr.  Lippich,  dessen 
Diagnosen  wegen  ihrer  ausgezeichneten  Präcision  mit 
Recht  allgemein  bewundert  werden,  täglich  grossen- 
theils  mit  Exploration  beschäftigt  zu  sein ,  und  dass  ich 
als  Assistent  von  dem  mir  zukommenden  Rechte  vollen 
Gebrauch  mache ,  die  mir  tauglich  scheinenden  Kranken 
aus  allen,  immer  reichlich  belegten  Sälen  des  k.  k. 
allgemeinen  Wiener  Krankenhauses  auszuheben  und  auf 
die  medicinische  Klinik  fürÄrzte  zu  transferiren,  so  wie 
in  meinen  von  In-  und  Ausländern  wohlbesuchten  Corre- 
petitionen,  welche  zu  geben  den  Assistenten  allein  zu- 
steht, mich  am  Krankenbette  im  Vortrage  des  genann- 
ten Gegenstandes  zu  üben.  Da  ich  bei  Letzterem  mich 
hauptsächlich  auf  die  Diagnostik  der  Krankheiten  der 
Athmungs-  und  Kreislaufsorgane  beschränke,  so  ist  auch 
in  dieser  Hinsicht  dem  Mangel  eines  Handbuches  der 
Diagnostik  aller  Organe  und  aller  Fächer  der  Heilkunde 
nach  Möglichkeit  abgeholfen ,  worin  ich  meinen  Zuhö- 
rern einen  Rehelf  gebe  das  mündlich  Vorgetragene  nach- 
lesen und  vervollständigen  zu  können. 

Warum  ich  aber  eine  physikalische  Diagnostik  al- 
ler Zweige  der  Medicin  geschrieben,  hat  seinen 
Grund  darin  ,  weil  meines  Wissens  noch  keine  solche 
vorliegt ,  und  weil  ich  seit  einer  Reihe  von  Jahren  der 
Exploration  alle  Aufmerksamkeit  widmend,  schon  bei 
Herausgabe  meiner  Schrift  über  Auscultation  vielleicht 


bloss  durch  Fügung  des  Zufalles  der  Erste  war,  der  Al- 
les, was  über  ihre  Anwendung  in  allen  Fächern  der 
Heilkunde  undjene  der  verwandtenUntersuchungsmetho- 
den:  Inspection,  Mensuration,  Palpation  und  Percussion 
zerstreut  vorlag,  gesammelt,  und  wiewohl  in  einer  sehr 
mangelhaften  Skizze  dargelegt,  aber  mit  rastlosem  Eifer 
die  einmal  gebrochene  Bahn  weiter  verfolgend ,  durch 
seine  Verwendung  auf  den  Krankensälen  der  berühmte- 
sten Primarärzte  des  Wiener  k.  k.  allgemeinen  Kranken- 
hauses —  denen  ich,  so  wie  dessen  Directum,  für  die  edle 
Bereitwilligkeit ,  mit  der  sie  meinen  Bestrebungen  entge- 
gen kamen,  hiemit  den  gerührtesten  Dank  zolle  —  zur  fer- 
neren Ausbildung  in  diesem  schwierigen  Zweige  des 
ärztlichen  Wissens  hinlängliche  Gelegenheit  hatte. 

Spielt  die  in  Rede  stehende  Untersuchungsweise 
schon  in  der  Medicin  nicht  die  letzte  Rolle ,  so  kann  ihr 
Werth  in  der  Chirurgie  und  Geburtshilfe  noch  weniger 
bestritten  werden ,  da  ohnehin  die  den  beiden  letzteren 
Fächern  anheimfallenden  Krankheiten  sich  hauptsäch- 
lich mehr  durch  physikalische  Symptome  äussern;  die 
Medicin  soll  auch  mit  Chirurgie  vereint  betrieben  wer- 
den, eine  ohne  die  andere  ist  nur  halbes  Wissen,  und 
die  Grenzen  zwischen  beiden  lassen  sich  gar  nicht  be- 
stimmen. In  Folge  dieser  Überzeugung  habe  ich  die  phy- 
sikalische Exploration  auf  beide  Fächer  auszudehnen  für 
nöthig  erachtet,  um  so  mehr,  da  man  sie  jetzt  eifriger 
als  je  cultivirt,  und  bei  Besetzung  von  Stellen  Doctoren 
der  Medicin  und  Chirurgie  zugleich  billig  berücksichtiget. 

Man  kann  mir  weder  vorwerfen ,  dass  ich  zu  Tage 
liegende  Quellen  übersehen ,  noch  dass  ich  Blumen  ge- 
sammelt ,  die  fremden  Gärten  entsprossen  5  gegen  Er- 


XI 

steres  rechtfertigt  mich  der  Augenschein ,  Letzteres 
könnte  mich  nur  dann  treffen,  wenn  ich  jene  Blumen  in 
unfruchtbaren  Boden  übersetzt,  und  ihnen  alle  Sorgfalt 
und  Pflege  versagt  hätte.  Vielmehr  werden  die  Leser 
sich  überzeugen,  dass  keine  fremde  Erfahrung  ohne  die 
entsprechende  Autorität  in  diesen  Blättern  aufgenom- 
men ist,  oder  die  nicht  am  Probesteine  eigener  Über- 
zeugung für  echt  erkannt  wurde.  Bestimmte  mich  diese 
in  der  Richtung  meiner  Ansicht  und  Meinung  über  manche 
Puncte  vom  Herkömmlichen  abzuweichen,  so  wird  diess 
Niemand  tadeln,  der  da  weiss,  dass  den  Fortschritten 
der  Wissenschaft  Nichts  so  hinderlich  ist ,  als  starres 
Festhalten  an  Doctrinen  ,  deren  Ansehen  hauptsächlich 
in  der  Autorität  ihres  Vertheidigers  begründet  ist. 

Was  den  Plan  der  Schrift  betrifft,  so  habe  ich  zuerst 
die  Untersuchungsmethoden  und  ihre  Technik  im  Allge- 
meinen abgehandelt,  einzelne  Instrumente  und  Hand- 
griffe im  speciellen  Theile  beschreibend.  In  letzterem 
wird  die  Untersuchung  einzelner  Organe  dargestellt,  die 
Diagnose  ihrer  Krankheiten  angereiht,  und  wo  diess  zu 
weit  führen  würde,  wenigstens  Einige  derselben  bei- 
spielsweise angegeben  5  denn  war  ich  gleich  bemüht 
meine  Aufgabe  möglichst  vollständig  zu  lösen ,  so  ist 
doch  ihr  Gegenstand  zu  viel  umfassend  und  noch  lange 
nicht  erschöpft. 

Der  Diagnostik  der  Lungen-  und  Herzkrankheiten 
ist  zu  klarerem  Verständnisse  das  Nöthige  aus  der  pa- 
thologischen  Anatomie  beigefügt,  damit  auch  jene,  wel- 
che durch  ihre  Entfernung  von  der  Residenz  allen  den 
grossen  Hilfsquellen  für  die  ärztliche  Ausbildung,  wie 
sie  das  hiesige  allgemeine  Krankenhaus  darbietet ,  ent- 


XII 

rückt  sind  ,  daraus  in  Kürze  die  nöthige  Belehrung 
schöpfen. 

Habe  ich  mich  gleich  mit  mikroskopischen  Studien 
durch  längere  Zeit  vielfach  beschäftiget ,  so  überlasse 
ich  doch  den  darüber  handelnden  Abschnitt  dem  Herrn 
Dr.  Heller,  der  ihn  mit  der  chemischen  Untersuchung 
vereint  vortragen  wird ,  indem  die  Grenzen  dieser  Blät- 
ter zu  sehr  erweitert  würden,  wenn  wir  beide  Fächer 
getrennt  abhandelten. 

Niemand  aber,  der  diese  Blätter  zur  Hand  nimmt; 
glaube  durch  flüchtiges  Lesen  derselben  sich  schon  im 
Besitze  der  physikalisch -diagnostischen  Fertigkeit,  die 
nur  durch  grosse  Übung  erlangt  wird;  daher  auch  diese 
Schrift  nur  in  so  ferne  zum  Selbststudium  dienen  kann, 
als  der  Lernende  selbstthätig  sich  bemühen  muss ,  ihren 
Inhalt  in  sich  aufzunehmen  und  praktisch  anzuwenden ; 
weniger  aber  dürfte  es  gelingen ,  ohne  Aufwand  vielen 
Fleisses,  vieler  Zeit  und  Geduld,  ohne  Anleitung  und 
Führer  dieses  Ziel  zu  erreichen ;  namentlich  aber  halte 
ich  die  Auscultation  aus  Büchern  lernen  zu  wollen ,  für 
rein  vergeblich. 

Wien,  im  Juli  1845. 


Her  Verfasser. 


Inhalt» 


Seile 

Mit  i  n  1  e  i  t  u  n  g        1 

Definition  der  physicalischen  Untersuchung 2 

Nutzen  derselben 3 

Die  Untersuchungsmethoden 3 

Eintheilung  des  Körpers  in  Gegenden 12 

Erster  Theil. 

Die   IFniersuchuDgfsmethoden  im 

Allgemeinen 13 

I.  Von  der  Besichtigung  im  Allgemeinen    .     .     .  15 

Gestalt  und  Form 16 

Farbe 17 

Glanz 19 

Durchsichtigkeit        19 

Bewegung        20 

Unwillkürliche,  vitale  Bewegungen          20 

Willkürliche  Bewegungen 22 

Lage,  Haltung           24 

Kranken  physiognomik         26 

A)  specieller  Habitus  bei  Krankheitsanlagen 26 

1.  Hypocratisches  Gesicht        26 

2.  Gehirnhabitus         27 

3.  Apoplectischer  Habitus       27 

4.  Rückenmarks-Habitus 27 

5.  Piethorischer  Habitus 28 

6.  Lungen-Habitus          28 

7.  Tuberculöser  Habitus          28 

8.  Abdominaler  Habitus 28 

9.  Leber-Habitus        28 

10.  Milz-Habitus 29 

11.  Uterinal-Habilus 29 


XIV 

Seite 

12.  Hämorrhoidal-Habilus 29 

13.  Arthritischer  Habitus •    .    •  30 

14.  Säufer-Habitus 30 

15.  Habitus  der  Onanisten 30 

BJ  Physiognomie  und  Habitus  in  bestimmten  Krankheiten     .  30 

16.  Habitus  bei  Herzkrankheiten 30 

17.  »        „     Cyanose 31 

18.  »         »     Chlorose 31 

19.  »         »     Anämie 31 

20.  »         »     Blut  Heck  enkrankheit 31 

21.  >,         „     Scorbut 31 

22.  »         »     Scrofeln 32 

23.  „         »     Rachitis       32 

24.  »         »     Wassersucht 33 

25.  »         »     Diabetes 33 

26.  »         >,     Syphilis 33 

27.  »         »     Krebsdyscrasie 33 

28.  »         »     Helminthiasis 33 

29.  »         »     Gastromalacia  infantum 35 

30.  »         »     Cholera  infantum 35 

31.  »         »     Soor  der  Kinder 35 

32.  »         »     Hydrocephalus  acutus 35 

33.  M         >,     Hydrocephalus  chronicus 36 

34.  »         »     Angina  membranacea 36 

35.  »         »     Keuchhusten 36 

36.  >,         ,,     Grippe 37 

37.  >,        «    Wechselfieber 37 

38.  »        »    Perforatio  ventriculi  spontanea  circum- 

scripta      37 

39.  »         »     Dysenterie 37 

40.  >,         »     asiatischer  Cholera 38 

41.  „        »     Halsentzündung •    .  38 

42.  »        »     Encephalitis  acuta 38 

43.  ,,         „     Typhus 38 

44.  »         »     Pädatrophie 39 

45.  »         »     Enteritis  und  Gastritis       39 

46.  »         »     Bleikrankheit 39 

47.  »         »     Tobsucht •     .     .     .     .  40 

48.  ,,        >,    Epilepsie 40 


XV 

Seite 

49.  Habitus  bei  Ecstasis 41 

50.  »        »     Somnambulismus 41 

51.  »        y>    Katalepsie 41 

52.  »        „     Melancholie 41 

53.  „        »    Monomanie       41 

54.  v        „    Eratomanie 41 

55.  >,         „     Nymphomanie 41 

56.  »         „     Manie 41 

57.  »         »     Verwirrtsein 42 

58.  »         »     Idiotismus 43 

Untersuchung    der    Electricität  und   des   Magnetismus    am 

Menschen 44 

Instrumente  zur  Unterstützung  der  Inspection 44 

Von  der  Mensaration  im  Allgemeinen      .    .    .     .  45 

Instrumente  zur  Mensuration 46 

Messung  des  Kopfes 48 

»         »     Thorax       49 

„         »     Unterleibes          50 

Grössenverhältnisse  des  Menschen  im  Allgemeinen        ...  52 

Höhe 52 

Gewicht        53 

Breite  und  Dicke        53 

Proportion 53 

Magerkeit     . 57 

Wohlbeleibtheit 58 

Kleinbleiben ,  Kleinwerden 58 

Vergrösserung  des  Körpers 58 

Von  der  Palpation  im  Allgemeinen 59 

Untersuchung  der  Gestalt  und  des  Umfanges        59 

»               »     Resistenz  und  Elasticität 59 

»                »     Fluctuation 60 

»            durch  Succussion         61 

»            des  Knisterns,  der  Crepitation 61 

»            der  Temperatur 61 

Wahrnehmung  vitaler  Bewegungen 63 

»                   »               »              des  Fötus       63 

»                  »              »              „    Athmens       ....  63 


XVI 

Seite 
Wahrnehmung  vitaler  Bewegungen  der  Vibration  des  Tho- 
rax beim  Sprechen 64 

Wahrnehmung  des  Herzimpulses 64 

»                 »     Schwirrens  der  Arterien 64 

»                 »     Pulses 65 

Qualitäten  des  Pulses 65 

Nach  der  Zeit        65 

9      »     räumlichen  Ausdehnung  der  Arterien 67 

»       »     enthaltenen  Blutmenge 67 

»     dem  Rhythmus  der  einzelnen  Schläge 67 

Eintheilung  der  Palpation.  Äussere,  innere,  unmittelbare, 

mittelbare  Palpation 68 

Instrumente  zur  Palpation 69 

Anwendungsweise  der  Palpation 70 

Von  der  Percussion  im  Allgemeinen 71 

Definition 71 

Geschichtliche  Notizen 71 

Nutzen 72 

Anwendungsweise  der  Percussion  . 73 

Unmittelbare  und  mittelbare  Percussion 75 

Eigenschaften  des  Percussionsschalles 75 

Der  volle  und  helle  Schall 75 

Der  volle  und  dumpfe  Schall 75 

Der  leere  und  helle  Schall 76 

Der  leere  und  dumpfe  Schall 76 

Der  hohe  und  tiefe  Schall 76 

Der  tympanitische  Schall         77 

Der  metallische  Klang        78 

Das  Geräusch  des  gesprungenen  Topfes 78 

Das  Geräusch  des  durch  die  Zähne  gezogenen  Speichels  .    .     .  79 

Der  Hydatidenton 79 

Das  Rippenleberklatschen 79 

Der  beim  Percutiren  empfundene  Widerstand 79 

Von  derAuscultation  im  Allgemeinen.     .    .     .  80 

Definition 80 

Geschichtliches 80 

Nutzen 82 

Anwendungsweise  der  Auscultation 84 


XVII 

Seite 

Die  unmittelbare  und  mittelbare  Auscultation 84 

Das  Stethoskop , 85 

Zweiter  Theil. 

Untersuchung-  einzelner  Provinzen  des 
menschlichen  Körpers. 

Untersuchung  der  allgemeinen  Decke  und  der 

zun  ächst  dar  un  t  er  liegen  den  Th  eile     ...  91 

Die  Hautausschläge 91 

Primärformen 92 

Secundärformen 92 

Acute,  eigentliche  Exantheme 93 

Scarlatina 93 

Morbilli 93 

Variola  vera ,  modificata  —  Varicella 93 

Erythema       93 

Roseola 94 

Rubeola • 94 

Urticaria 94 

Miliaria 94 

Dermatitis 94 

Erysipelas 95 

Furunkel,  Carbunkel .  95 

Uneigentliche  Exantheme        95 

Hautverfärbungen ,   Purpura ,    Teleangiectasien  ,     Chloas- 

mafa,  Melasma 95 

Trennung  des  Zusammenhanges  der  Haut,   aj  Intertrigo, 

b)  Excoriatio ,  c)  Rhagades 95 

Anhäufung    der   Epidermisschichten ;     Schwielen  ,     Leich- 
dornen,  Warzen,  Cornua  cutanea ,  Ichthyasis,    Pso- 
riasis    95 

Papulöse  Ausschläge       96 

Durch  Retention  des  Serum  bedingt  Strophul.  chron,    .     .  96 
Durch  Exsudafablagerung  in  den  Follikel  bedingt.  Stro- 
phul. acutus  ,  Liehen  ,  Prurigo 96 

Durch    vermehrte  Secretion  in   den  Talgdrüsen   bedingt. 

a)  Seborrhöe,  bj  Acne  punctata 96 

Knotige  Ausschläge.  Acne  indurata,  A.  inentajra,  A.  rosa- 

ceay  A.  Itipus ...,,.».  96 

b 


XVIII 

Seite 
Molluscum,  Framboe'sie,  Knollenkrebs,  Elephantiasis  .       97 
Vesiculsöe  Ausschläge.  Herpes  zoster,  H.  iris,  H.praeputialis. 

Eczema  rubrum ,  Scabies       97 

Blasen-Ausschläge.  Pemphygusacut.,  chronicus.  Rupia    ...      98 
Pustelausschläge.    Impetigo  achor 9  I.  Psydrazion,   1.  Phly- 

cazion ,  Favus 98 

Syphilitische  Ausschläge 99 

Unterscheidung  einiger  ähnlicher  Arten 100 

Abscesse.  Lymphabscesse ,  Congestionsabscesse  .....     103 
Verhärtung,  Brand.  Entzündlicher  Br.,  Gangrän,   Sphacelus ; 

nicht  entzündlicher,  trockener,  feuchter  Br.     .     ,     »    .     104 

Carbunkel 105 

"Verbrennungen 105 

Erfrierungen 106 

Geschwülste.  Balggeschwülste,  Sarcome,  Steatome,  Li- 
pome, Neurome,  Lymphgeschwülste,  Osteosteatome, 
Angiectasie,    Condylome,   Fungus  medullari,  F.  hae- 

malodes ,  Scirrhus ♦     .     106 

Trennung  des  Zusammenhanges,  Wunden,  Geschwüre   .    ,     .     110 
Eintheilung  der  Geschwüre     1.  Nach    dem   Character:    das 

entzündliche,  atonische,  erethist.  Geschwür      ....     110 

2.  Nach   der   Form :   das    callöse  Geschwür ,   das  Hohlge- 

schwür, das  schwammige  Geschwür,  das  Fistel-,  das 
ödematöse,  das  varicöse,  das  faulige,  das  brandige 
Geschwür 111 

3.  Nach  dem  Allgemeinleiden :  das  scrophulöse,  das  syphi- 

litische und  mercurielle,  das  gichtische,  das  rheuma- 
tische, das  scorbutische  Geschwür 113 

Das  Emphysem  des  Unterhautzellgewebes         115 

Die  Zellgewebsverhärtung  der  Neugebornen        115 

Untersuchung   des   Kopfes,    der   Wirbel- 
säule und  des  Halses. 

Untersuchung  des  Kopfes        115 

Von  der  Untersuchung   des   Kopfes  im  Allgemeinen  und  des 

Craniums  durch  Inspection  und  Palpation 116 

Vergrösserung  und  Verkleinerung  des  Kopfes 116 

Eintheilung  des  Schädels  vom  chronologischen  Standpuncte 

aus 117 


XIX 

Seite 

Eintheilung  der  phrenologischen  Organe 123 

Bedeutung  einzelner  Theile  des  Schädels  vom  physiognomi- 

schen  Standpuncte 124 

Eintheilung  der  Gesichtslinien  nach  Bau  m  gart  n  er  und  Ja- 
delot     187 

1.  Gesichtslinien,  welche  in  bestimmter  Beziehung  zu  den  im 

Antlitze  befindlichen  Öffnungen  zu  stehen  scheinen.  Or- 
bitalparthie ,  Rhinalparthie,  Stomalparthie 127 

2.  Gesichtslinien,  die  durch  die  Wirkung  der  Muskel  hervor- 

gebracht werden 129 

Untersuchung    des   Auges   im    Allgemeinen.    Pupille,    Scle- 

rotica,  Conjunctiva,  Augenlider,  Blick 131 

Untersuchung  des  Mundes  im  Allgemeinen        133 

Vertiefungen  am  Kopfe 134 

Geschwülste  am  Kopfe.  Aneurysma.  Die  rheumatische  Schwie- 
le. Fungus  cranii.  Hydrocephalus  externus ,  Kopfblut- 
geschwulst, Hirnbruch,  Fungus  durat  malris,  die  Fon- 
tanellen   134 

Untersuchung  des  Kopfes  durch  Auscultation 136 

Untersuchung  des  Auges 137 

Allgemeine   Bemerkungen 

1.  Inspection.   Beleuchtung,  Stellung,  Einträuflung  vonNar- 

coticis,  Anwendung  des  Vergrösserungsglases  ....     137 

2.  Palpation.  Durch  den  Tastsinn,  durch  Instrumente     .     .     .     139 

3.  Anwendung   des   Gehörs ,    bei  Aneurysmen  ,  das  Schoten- 

geräusch       1^0 

A.  Untersuchung    der     den   Augapfel  umgebenden     Gebilde. 

Augenbraunen,     Augenlider,    Bindehaut,   Thränenor- 
gane,  Augenhöhle 140 

B.  Untersuchung  des  Augapfels  selbst. 

a.  Im  Ganzen.  Grösse,  Consistenz,  Beweglichkeit    .     .     •     150 

b.  Der  einzelnen  Theile  desselben.  Hornhaut ,  vordere 
Augenkammer,  wässerige  Feuchtigkeit,  Iris  ,  Pupille, 
hintere  Augenkammer ,  Krystallkörper ,  Glaskörper, 
Netzhaut,  Choroidea,  Sclerotica 153 

Untersuchung  der  Nase 160 

Unter  suchung  des  Gehörorga n es 163 

»                   der  Hörfähigkeit.  Gehörmesser   .     *     .     .  164 

»                   des  äusseren  Ohres.  Ohrenspiegel   .     .     .  167 


b  * 


XX 


Seite 

Untersuchung   des  mittleren  Ohres        174 

„               der  Ohrtrompeten.   Der  Ohrcatheter,  An- 
wendung desselben 175 

»  der  Paukenhöhle 182 


Untersuchung  der  Mund-nnd    Rachen  höhle   und 

der  Speiseröhre 183 

Der  Mund.  Angeborne  Verschliessung  desselben.  Verengerung 

desselben.  Hasenscharte 184 

Verrenkung  des  Unterkiefers 184 

Bruch  des  Oberkiefers         185 

Bruch  des  Unterkiefers 18c 

Anwendung  des  Spatels,  des  Mundspiegels 186 

Zähne.  Durchbruch  derselben 186 

Krankheiten  derselben.    Caries    Necrose.  Der  Zahnstein.  Pa- 

rulis.  Periodontitis 188 

Gaumen.  Spalten  und  Öffnungen  an  selbem 190 

Speichelfisteln.  Speichelsteine 190 

Stomatitis.  Ulceröse,  aphtöse  St 191 

Der  Soor.  Diphtheritis.  Stomacase.  Noma 192 

Zunge.    Verwachsung.    Entzündung    derselben.    Condylome 

der  Zunge.  Ranula.  Zungenkrampf 194 

Rachen.  Polypen.  Vergrösserung  des  Zäpfchens.  Rachenent- 
zündung. Tonsillen 195 

Speiseröhre.  Fremde  Körper  im  Ösophagus.  Schlundkrampf. 

Paralitische  Dysphagie.  Stricturen  des  Ösophagus       .  196 

Untersuchung  der  Wirbelsäule 198 

Spinalirritation.    Spondylarthrocace.   Verkrümmung.  Verren- 
kung. Bruch  der  Wirbelsäule 198 

Untersuchung  des  Halses 205 

Drüsengeschwülste.  Brandige  Entzündung  des  Zellgewebes. 

Kropf.  Schiefhals 205 

Untersuchung  des  Larynx 207 

Inspection  des  Larynx         207 

Palpation ■ 207 

Auscultation  des  Larynx  .  Das  laryngeale  Athmen.  Das  rauhe, 
raspelartige     Athmen.   Das   Pfeifen.     Das    Schnurren. 

Feuchte  Rasselgeräusche.  Husten.  Die  Stimme     .     »     .  207 

Bruch  des  Kehlkopfes.  Br.  des  Zungenbeines 210 


XXI 

Seite 

Fremde  Körper  im  Kehlkopfe 210 

Ödem  der  Glottis 211 

Untersuchung  der  Brust 211 

Untersuchung  der  Oberfläche.  Die  weiblichen  Brüste.  Rippen- 
brüche. Lungenfisteln.  Abacesse 218 

Untersuchung  der  Athmungs Werkzeuge     .    .     .  214 

Anatomisches  über  die  Respirationsorgane        214 

Function  der  Lungen 217 

Iospection  und  Mensuration  der  Brust.  Der  paralytische,  der 
pleuritische,  der  emphysematöse,  derPneumo-,  der  tu- 

berculose  Thorax 218 

Mensuration  der  Brust.  Der  Alhmungsmesser 220 

Palpation  der  Brust 281 

Percussion  der  Brust 222 

Ergebnisse    derselben  an  der  gesunden  Brust.  Modificationen  222 

Ergebnisse  derselben  im  krankhaften  Zustande 224 

1.  Bei  Vermehrung  derLuftmenge        284 

2.  Bei  Verminderung  derselben        225 

3.  Bei  gänzlichem  Luftmangel  in  der  Lunge      .     .     .     ♦  225 

Der  Widerstand  beim  Percutiren 226 

Auscultation  der  Athmungswerkzeuge 226 

Physiologische  Phänomene  des  Athmens 226 

Da§  laryngeale ,   das  tracheale  oder  bronchiale,    das  vesicu- 

läre,  das  puerile  Athmungsgeräusch 226 

Pathologische  Erscheinungen  des  Athmens 289 

I.  Abnormitäten  des  Rhythmus. 

1.  Häufigkeit,  häufiges,  seltenes  Athmen         230 

2.  Fortdauer,  stossweises  Athmen         231 

3.  Andauer,  verlängertes  Athmen 232 

II.  Abnormitäten  der  Intensität. 

«.starkes,    pueriles,    suplementäres,    hypervesiculäres 

Athmen       232 

b.  Vermindertes  Athmen       233 

c.  Mangelndes  Athmen .     .  234 

III.   Abnormitäten  des  Charakters  der  Athmungsgeräusche    .  235 

1.  Rauhes  Athmen        235 

2.  Bronchiales  Athmen  oder  Tubarblasen 235 

3.  Cavernöses  Athmen 239 

4.  Amphorische  Respiration  u.  metallisches  Klingen    .     .     .  239 


xxn 

Seite 
IV.  Beimischung  fremdartiger  Geräusche. 

1.  Das  Muskelrollen 240 

2.  Das  Reibungsgeräusch  der  Pleura 241 

3.  Die  Rasselgeräusche        2'i3 

a.  Die  trockenen  Rasselgeräusche,  das  Pfeifen,  das 
Schnurren 244 

b.  Die  feuchten  Rasselgeräusche,  das  feinblasige,  gleich- 
förmige oder  Knistern ;  das  grossblasige,  ungleichför- 
mige oder  Scbleimrasseln 245 

Anhang.  Auscultation  des  Hustens        249 

Auscultation  der  Stimmen        250 

Physiologische  Erscheinungen  an  der  Stimme        251 

Pathologische  Erscheinungen  an  der  Stimme 252 

1.  Die  Bronchophonie 253 

2.  Die  Ägophonie 255 

3.  Die  cavernöse  Stimme 256 

Anhang.  Autophonie »    •    •  257 

Diagnostik  der  wich  t  igst  en    Krankheiten    der 

Athmungsorgane 258 

Krankheiten    der  Pleura.  Pleuritis,  Rippenfellentzündung     .  258 

Anatomisch-pathologische  Charaktere 258 

A.  Primäre  Exsudate       259 

1.  Das  faserstoffige  Exsudat 259 

2.  Das  eiweissstoffige  Exsudat 261 

3.  Das  seröse  Exsudat 261 

4.  Das  hämorrhagische  Exsudat 263 

B,  Secundäre  Exsudate. 

1.  Das  eitrige  Exsudat 264 

2.  Das  jauchige  Exsudat 264 

3.  Das  tuberculöse  Exsudat 265 

4.  Das  krebsige  Exsudat 265 

5.  Das  secundär-hämorrbagische  Exsudat.     «...  266 
Diagnose   der    Exsudate.    Abgesackte   Exsudate.     Umschrie- 
bene Pleuritis 267 

Zeichen  der  Resorption 270 

Zeichen  der  Paracenthese        (  271 

Unterscheidende  Diagnose       272 

Hydrolhorax 273 

Pneumothorax         273 

Entstehung  derselben 273 


XXIII 

Seite 
Diagnose        275 

Krankheiten  der  Lunge       276 

Lungenemphysem 276 

1.  Vesiculäres  Emphysem.  Anatomisch  -  pathologische 
Charaktere,  Ursachen,  Folgen,  Diagnose,  Unterschiede 
zwischen    Pneumothorax,     Emphysem    und   pleuriti- 

scbem  Exsudat 276 

2.  Interlobuläres  Emphysem.  Ursache,  Folgen,  Dia- 
gnose       282 

Lungenblutung,  Die  primäre,  secundäre.  Anatomisch-patho- 
logische Charaktere.  Diagnose 282 

Lungenödem.   Die  primäre,  secundäre.  Anatomisch -patho- 

log.  Charaktere,  Ursachen,  Diagnose 28i 

Lungenbrand.  Anatomisch  -patholog.  Charaktere.  Der  um- 
schriebene   Lungenbrand ,     der     diffuse    Lungenbrand. 

Diagnose 287 

Lungenentzündung  (Pneumonie) 289 

A)  Acute  Pneumonie •     .     .     289 

I.  Die  primäre,  fasers(offige Lungenentzündung.  Anato- 

misch-patholog.  Charaktere 299 

1.  Stadium  der  entzündlichen  Anschoppung      .     .     .     289 

2.  Stadium  der  Hepatisation        290 

3.  Stadium  der  eitrigen  Zerfliessung 291 

Ursachen 292 

Ausgänge.  1.  Genesung;  2  andere  Krankheiten,  aj  Ab- 
scessbildung,  bj  indurirte  Hepatisation,  3.  Tubercu- 
lose 292 

Diagnose.  Allgemeine  Symptome.  Verstärkte  Herzaction. 
Entzündliches  Fieber.  Hirn- und  gastrische  Symptome. 
Gesicht,  Haut,  Urin,  Lage,  Schmerz,  Husten,  Aus- 
wurf  294 

Physicalische  Symptome.  Inspection ,  Mensuration  ,  und 
Palpation ,  Percussion  und  Auscultation     ...         .    295 

Unterschiede  von  Bronchitis,  Apoplexia  pulmonum,  Lun- 
genödem ,  Pleuritische  Exsudate 298 

II.  Die  secundäre ,  acute,  faserstoffige  Pneumonie  .     .     .     298 

Catarrhalische  Pneumonie 299 

Lobular-Hepatisation 298 

Hypostatische  Pneumonien.  Pneumonie  der  Kinder  .    .    301 


XXIV 

Seite 

Pneumonie  der  Greise        302 

B)  Chronische  Pneumonie       . 302 

Analom.  patholog.  Charaktere.  Diagnose 302 

Lungentuberculose 304 

Die  sogenannte  acute  oder  Miliartuberculose      ....  305 

Die  chronische  Lungentuberculose 306 

a)  Die  infiltrirte  Tuberculose.  Anatomisch -patho- 
log. Charaktere.  Bedingungen  dieser  Metamor- 
phose.  Folgezustände.    Verlauf 306 

b)  Die  interstitielle  Tuberculose.  Anat.  pathol.  Cha- 

raktere. Verlauf,  Diagnose 314 

1.  Interstitielle ,  rohe  Tuberkelgranulatio- 
nen. Allgemeine  Symptome.  Locale  Sym- 
ptome         315 

2.  Phthisis   tuberculosa.  Allgem.  Erscheinun- 

gen.   Physical.  Erscheinungen       .     .    .  318 
Der  Lungenkrebs.  Anatomisch-patholog.  Charaktere,  Folge- 

zustände.  Diagnose       321 

Untersuchung   der  Organe  des  Kreislaufes. 

Anatom.  Verhältnisse  des  Herzens  und   der  grossen  Gefässe  324 

Das  Herz        329 

Die  Aorta       329 

Die  Lungenschlagader 329 

Der  Herzbeutel        329 

Mechanismus  des  Kreislaufes 329 

Untersuchung  des  Herzens  und  der  grossen  Arterien     .     .     .  331 
Inspection.  a)  Im  normalen  Zustande,  b)  im  krankhaften 

Zustande 331 

Palpation        333 

Vom  Herzstosse       333 

aj   Ort   des  Herzstosses  ,  1    im  normalen  Zustande, 

2.  im  krankhaften  Zustande 333 

b)  Stärke  des  Herzstosses ,    1.    im   normalen    Zu- 
stande ,  2.  im  krankhaften  Zustande       ....  335 

c)  doppelter  Herzstoss 336 

d)  Umfang   des  Herzstosses:  1.  im  normalen,  2.  im 
krankhaften  Zustande       . 336 

Das  Katzenschwirren 337 

Der  Puls  der  Arterien 338 


XXV 

Seite 

Der  Puls  und  die  Schwellung  der  Venen 339 

Percussion  des  Herzens 341 

1.  Im  gesunden ,  2.  im  krankhaften  Zustande  .  .  .  341 
Auscultation  des  Herzens,  a)  Im  normalen  Zustande  .  .  342 
Ansichten  über  die  Entstehung  der  Herztöne 345 

b)  Im  krankhaften  Zustande 347 

1.  Sitz  der  Herztöne 348 

2.  Ausdehnung 348 

3.  Stärke 348 

4.  Rhythmus,  a)  Frequenz,  ß)  Aufeinanderfolge, 

y)  Zahl  der  Herztöne 348 

e)  Timbre-  und  Charakterverschiedenheit  der 

Herztöne 349 

6.  Beimischung  fremdartiger   Geräusche,  et)  Das 
Rotationsgeräusch,     ß)    das  Fluctuationsge- 
räusch,     y)     das     Reibungsgeräusch    des 
Herzbeutels ,    S)   Aflergeräusche  im  Her- 
zen   und    der  Gefässe 349 

Bedeutung    der  Aftergeräusche   für  die  Diagnostik  der  Herz- 
krankheiten       351 

AJ  Im  Herzen.  1.  Im  linken  Ventrikel 351 

et)  Geräusch  statt  des  ersten  Tones,  ß)  Geräusch  mit  dem 

zweiten  Tone       351 

2.  Im  rechten  Ventrikel.  Systolisches  Geräusch  .  .  .  553 
B)  In  den  grossen  Arterien 353 

Aortageräusch  statt  des  ersten  Tones       ......  353 

Lungenschlagader.  Blasende  Geräusche  mit  dem  ersten 

Tone.  Stärkere  Accentuirung  des  zweiten  Tones     .     .  353 
Carotis    und  Subclavia.    Katzenschnurren.    Kreiselge- 
räusch. Blasende  Geräusche       353 

Diagnose     der    wichtigsten    Krankheiten     der 

Kreislaufs  Organe        355 

Pericarditis.   Entzündung  des  Herzbeutels 355 

Eintheilung:  primäre,  seeundäre       .         .......  355 

Anatomisch-pathologische  Charaktere 355 

I.  Primäre  Exsudate         350* 

a)  Plastische  Exsudate,  et)  das   faserstoffige ,  ß)  das  al- 
buminöse  Exsudat 356 

b)  das  seröse  Exsudat 359 


XXVI 

Seite 

c")  das  primäre  hämorrhagische  Exsudat 360 

II.  Secundäre  Exsudate 360 

a)  das  eitrige  Exsudat 360 

bj  das  jauchige  Exsudat 361 

c)  das  secundär-hämorrhagische  Exsudat 361 

dj  das  tuberculöse  Exsudat 361 

ej  das  krebsige  Exsudat 362 

Diagnose ♦ 362 

Allgemeine  Erscheinungen 362 

In§pection 363 

Palpation 363 

Percussion 364 

Auscultation 365 

Herzbeutelwassersucht        366 

Gasansammlung  im  Pericardium 367 

Endocarditis.  Entzündung  der  inneren  Haut  des  Herzens  .     .  367 

Sitz 367 

Anatomische  Charaktere 368 

Folgen  der  Endocarditis 373 

1.  Stenose,  2.  Insufficienz  der  Klappen,  3.  Aneurysmen- 

bildung,   4.  Abscessbildung ,    5.  Eiterdyscrasie       .     .  373 

Verhältniss  zu  andern  Krankheiten 374 

Verlauf  und  Ausgänge 375 

Erscheinungen  der  Endocarditis 376 

a)  Locale  Symptome.  1.  Inspection,  2.  Palpation,   3.  Per- 
cussion ,  4.  Auscultation 376 

Unterscheidung  von  andern  Krankheiten. 

b)  Allgemeine  Symptome 379 

Carditis.  Herzfleischentzündung       380 

Sitz 380 

Anatomisch-pathologische  Charaktere 380 

Diagnose 381 

Das  Herzaneurysma        382 

Begriff 382 

Pathologisch -anatom.  Charaktere,  aj  acutes  Aneurysma, 

b)  chronisches  Aneurysma •     •  382 

Diagnose 383 

Die  Hypertrophie  des  Herzens 383 

Begriff 384 


XXVII 

Seite 

Sitz 384 

Anatomisch-pathologische  Charaktere 384 

Eintheilung.  a)  Einfache,  b)  excentrische,  c)  concenlrische  385 

Ursachen,  a)  Pericarditis 385 

bj  Hindernisie  der  Circulation  des  Herzens  Insufficienz 
der  Bicuspidalklappe ;  Stenose  des  linken  Ostium 
venosum.  —  Insufficienz  der  Aortaklappen ,  Stenose 
der  Aortenmündung.  —  Insufficienz  der  Tricuspidal- 

klappe 386 

c)  Hindernissein  der  Aorta.  Verengung,  Erweiterung    ,  388 

dj  Hindernisse  im  Capillargefässsysteme  der  Lungen  .     .  388 

Verlauf  und  Ausgänge 390 

Diagnose 391 

Subjective  Erscheinungen 391 

Physical.  Sympt.  Inspect.,  Palpation,   Percussion,  Auscult.  398 

Synopsis    der  physical.  Symptome  der  Herzhypertrophie    .  395 

Einfache  Hypertrophie 395 

Excentrische 395 

Concentrische 396 

Hypertrophie  des  linken  Ventrikels 396 

Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels 396 

Hypertrophie  der  Vorhöfe 397 

Unterscheidende  Diagnose 397 

Die  Atrophie  des  Herzens 398 

Begriff 398 

Eintheilung.    a)  Einfache,    b)    excentrische,   c)   concen- 
trische      398 

Sitz 399 

Anatomische  Charaktere 399 

Ursachen        399 

Verlauf 399 

Diagnose.  Allgemeine  Symptome,  Localsymptome,  Inspec- 

tion,    Palpation,   Percussion,  Auscultation    ....  399 

Die  Erweiterung  des  Herzens 400 

Begriff 400 

Sitz.  Totale  Dilatation.  Partielle  Dilatation 401 

Anatomische  Charaktere 401 

Ursachen        402 

Wirkungen  und  Folgezustände 403 


XXVIII 

Seite 
Diagnose.  Inspection,  Palpation,  Percussion,  Auscultation  403 
Unterscheidende  Diagnose.  1.  Von  Hypertrophie  des  Her- 
zens, 2.  Lungenemphysem 405 

Die  organischen  Klappenkrankheiten 406 

Hypertrophie  und  Verdickung 406 

Vergrösserung  und  Verdünnung 406 

Vegetationen 406 

Knorpelartige  Verdickung 406 

Verknöcherung  oder  Verkalkung 407 

Atherome        » 407 

Abscesse.  Geschwüre       407 

Aneurysmen 407 

Schwund        .     .     .     . 407 

Einteilung.  1.  Insuffizienzen,  2.  Stenosen 408 

Sitz  der  Klappenkrankheiten        408 

1.  Bei  Insufficienz  der  Klappen,  aj  In  den  Klappen,  bj 

in  den  Papillarsehnen,  c)  in  den  Papillarmuskeln , 

d)  in  den  Herzwandungen       .........  408 

2.  Bei  Stenose  der  Herzmündungen,  a)  Verengerung  des 
Insertionsringes  ;  b)  Rigidität  der  Klappenzipfel;  cj 
Verwachsung  derselben 409 

Verhältniss  der  Stenose  zur  Insufficienz 409 

Von  den  einzelnen   Klappenkrankheiten   insbesondere  .     .  409 

Insufficienz  der  Bicuspidalklappe 409 

Stenose  des  linken  Ostium  venosum 411 

Insufficienz  der  Aortaklappen 412 

Stenose  der  Aorteumündung 413 

Insufficienz  der  Tricuspidalklappe 414 

Stenose  des  linken  Ostium  venosum 415 

Die  Cyanose 416 

Begriff.  Ursachen.  Diagnose 416 

Das  nervöse  Herzklopfen. 419 

Begriff.  Ursachen.  Diagnose 419 

Die  Zerreissung  des  Herzens 419 

Begriff.  Ursachen.  Anatomisch -pathologische  Charaktere. 

Ausgänge.  Diagnose 419 

Die  Fettsucht  des  Herzens 422 

Begriff.  Ursachen.  Anatomische CbaraMere.  Diagnose.     .  424 

Krankheiten  der  Aorta 424 


XXIX 

Seite 
Aortitis.  —  Sitz.  Anatomisch -pathologische   Charaktere. 

Diagnose 424 

Obliteration  der  Aorta     .     . 428 

Erweiterung  der  Aorta 428 

Entstehung.  Eintheilung.  Diagnose 428 

Aneurysma  der  Aorta.  Entstehung.  Einlheilung:  aj  diffusum; 

b)  circumscriptum 429 

Anatomisch -pathologische  Charaktere 429 

Sitz  und  Vorkommen.  Verlauf  und  Ausgang      ....  430 
Diagnose.  1.  Aneurysma  der  Pars  ascendens  und  des  Bo- 

gens  der  Aorta 432 

Subjective  Erscheinungen 432 

Physicalische   Erscheinungen.    Inspection ,  Palpa- 
tion, Percussion,  Auscultation,  Differenzen     .     .  433 

2.  Aneurysma  der  absteigenden  Aorta 434 

Subjective  Erscheinungen 434 

Objective  Erscheinungen 435 

3.  Aneurysma  der  Bauchaorta 435 

Subjective  Erscheinungen 435 

Objective  Erscheinungen 435 

Differenzen.  1.  Geschwülste;  2,  nervöses  Pulsiren  436 

Krankheiten  der  Lungenschlagader 437 

Entzündung 437 

Die  gleichförmige  Erweiterung 437 

Aneurysma 437 

Untersuchung  des  Bauches  und  Unterleibes   .     .  439 

Untersuchung  der  Bauchdecken,  des  Peritoneum  durch  Inspec- 
tion, Palpation,  Mensuration,  Percussion,   Auscultation  441 

Untersuchung  des  Magens  und  Pancreas  durch  Inspection,  Pal- 
pation ,  Percussion  und  Auscultation 442 

Untersuchung  der  Gedärme   und  des  Gekröses  durch  Inspec- 
tion,   Palpation,   Percussion  und  Auscultation  ....  445 

Untersuchung   des    Mastdarms    durch    Inspection    (Afterspe- 

culum),  Palpation  und  Percussion 447 

Untersuchung  der  Leber  durch  Inspection,  Mensuration,  Pal- 
palion ,  Percussion,    Auscultation 449 

Untersuchung  der   Milz  durch  Inspection,  Mensuration,  Pal- 
pation ,  Percussion 450 

Untersuchung  der  Nieren  durch  Inspection,  Mensuration,  Pal- 
palion, Percussion 450 


XXX 

Seite 

Untersuchung  der  Uretheren  durch  Palpation 456 

Untersuchung  der  Harnblase  durch  Inspection,  Palpation,  Per- 
cussion, Auscultation 457 

Unterleibsbrüche  CHerniae) 459 

Eintheüung.  Diagnose  durch  Inspection,  Palpation,  Percussion.     459 
Untersuchung  der  männlichen  Geschlechtstheile. 

a)  Untersuchung  der  Harnröhre.  Inspection.   Phymosis , 
Paraphymosis ,    Tripper,    syphilitische    Geschwüre, 

Condylome,  Stricturen  . 460 

Palpation.    Catheter.   Einführung   desselben.  Bougies     462 

b)  Untersuchung  der  Prostata.  Anschwellung  derselben  .     467 

c)  Untersuchung  der  Hoden  und  des  Hodensackes.  Or- 

chitis,   Sarcom.  Verdickung  der  Albuginea.   Krebs, 
Markschwamm.  Hydrochele-  Oedema  scroti.  Homato- 

cele.  Varicocele 467 

dj  Untersuchung  der  umgebenden  Theile.  Bubonen     .     .     469 
Untersuchung  der  weiblichen  Geschlechtstheile. 

A)  Äussere  Untersuchung  durch  Inspection ,  Mensuration  , 
Palpation ,  Percussion ,  Auscultation.  Bewegung  der 
Frucht.  Wehenknarren.  Fluctuationsgeräusch,  Ulterial- 
geräusch.  Fötalpuls,  Pulsation  der  Nabelschnurarterien     469 

B)  Innere  Untersuchung  durch  Inspection  —  Scheidenspie- 

gel Ricord's,   Weisse's,    Chariere's.   Segalas's 

Speculum.  Einführung  des  Mutterspiegels 479 

Palpation.  Untersuchung  durch  die  Scheide  mit  dem  Finger. 

Gebärmuttersonden 495 

Untersuchung  durch  den  Mastdarm 489 

Mensuration.   Mit  den  Fingern.  Stein's,  Starkes  Becken- 
inesser,  Tasterzirkel  von  Baudelocqne.  Neigungsmesser 

des  Beckens 490 

Untersuchung  der  weiblichen  Urethra.  Inspection.   Palpation. 

Catheter.  Einführung  desselben 494 

Untersuchung  der  Extremitäten 497 

I.  Knochenbrüche 498 

Bruch  des  Schlüsselbeines 499 

Bruch  des  Schulterblattes 499 

1.  Bruch   des  Acromialfortsatzes  vom    Schulterblatte     .    499 

2.  Bruch  des  Halses  am  Schulterblatte 499 

Bruch  des  Oberarmbeines  am  Halse,  am  Körper,  an  den  Con- 

dylen 500 


XXXI 

Seite 

Bruch  am  Vorderarme 500 

Bruch  des  Olecranon 500 

Bruch   des  Radius  allein.    Bruch  der  Ulna  allein.    Bruch 

beider  Vorderarmknochen 500 

Bruch  der  Knochen  der  Hand 501 

Bruch  des  Oberschenkelknochens 501 

Bruch   des  Schenkelhalses 501 

Bruch  des  Körpers  vom  Schenkelbeine 500 

Bruch  der  Patella 5C3 

Bruch  des  Unterschenkelknochens        ........  503 

Bruch  der  Tibia  allein 503 

Bruch  der  Fibula  allein 504 

Bruch  beiderünterschenkelknochen     .......  504 

Brüche  am  Fusse  des  Fersenbeins 504 

Pseudoarthrosen 505 

Gelenksniäuschen 505 

Luxationen 506 

Luxation  des  Schlüsselbeines     .     .     .     .    • 506 

1.  Luxation  des  Sternalendes .  506 

2.  Luxation  des  Acrominalendes 507 

Luxation  des  Oberarms .     ,     .     .     .  508 

1.  Luxation  nach  vorne 508 

2.  Luxation  nach  unten 508 

3.  Luxation  nach  hinten •     .     •     ,     .  508 

Luxationen  am  El  bogen 509 

1.  Luxation  nach  hinten 509 

2.  Luxation  nach  vorne  ...........  509 

3.  Luxation  nach  den  Seiten    .     .    • 510 

Luxation  der  Ulna  allein 510 

Luxation  des  Radius  allein 510 

Luxationen  im  Handgelenke 510 

1.  Luxation  beider  Knochen  des  Vorderarms      .     .    .  510 

2.  Luxation  des  Radius  allein 511 

3.  Luxation  der  Ulna  allein 511 

Luxation  der  einzelnen  Knochen  der  Hand 511 

Luxation  im  Hüftgelenke 512 

1.  Luxation  nach  innen  und  oben     .......  513 

tk          »          »          »       »     unten 513 

3.  »    »  aussen  „  oben 513 

4.  »    »    »   »  unten 513 


XXXII 

Seite 

Luxation  der  Patella 514 

Luxation  des  Kniegelenkes 515 

Luxation  der  Fibula 515 

Luxation  am  Fussgelenke 516 

Entzündungen  der  Gelenke 517 

Entzündung  im  Hüftgelenke 517 

Unterschiede  des   freiwilligen  Hinkens  vom  Ange- 
bornen    518 

Entzündung  des  Kniegelenkes 518 

Physicalische    Unterschiede  zwischen    Gonarthro- 

cace  und  Tumor  albus 519 

Entzündung  der  Sehnenscheiden 519 

Gelenkswassersucht 520 

Gelenksteifigkeit 52t 

Verkrümmungen  der  Extremitäten        521 

1.  An  der  obern  Extremität 521 

Am  Ellbogen 581 

Permanente  Beugung  der  Hand.  Talipomanus      .     ,     .  522 

Permanente  Beugung   der   Finger.     Dactylogryposis  .  522 

Verkrümmungen  an  der  untern  Extremität 522 

Im  Kniegelenke 522 

Genu  valffum 522 

Genu  varum 523 

Verkrümmung  der  Füsse 523 

Klumpfuss.  Talipes  varus 523 

Pferde-  oder  Spitzfuss,  Pes  equ'mus 524 

Plattfuss.  Talipes  vnlgus 524 

Pferde-  oder  Hackenfuss 525 

Varices.  Blutaderknoten 525 

Wassersucht  der  Schleim beutel  und  serösen  Sehnenscheiden, 

Ganglia 525 

Caries 527 

Necrose 527 

Aneurysmen  an  den  Extremitäten 527 

Inspection,  Palpation,  Auscultation 527 

Die   pathologisch  -  chemische  und   mikro- 
skopische Untersuchung  zur  medicinischen 

Diagnose. 

Das   Mikroskop  und   dessen    Gebrauch  .     .    .    »  533 

I.  Das  grosse  zusammengesetzte  Mikroskop 535 


xxxm 

Seite 

a)  Das  mittlere  Mikroskop 537 

Theile  des  Mikroskopes 538 

Theile  des  Gerüstes 538 

Optischer  Theil 539 

Apparate  oder  Zugehör  des  Mikroskops 541 

Güte  des  Mikroskops 544 

Zeichnen  mikroskopischer  Objecte 545 

Aufbewahrung  mikroskopischer  Objecte 545 

Handhabung  und  Mass;  egeln  beim  Gebrauche  des  Mikro- 
skops    546 

Täuschungen ,   vor  denen   man  sich  hei  der  mikrosko- 
pischen Untersuchung  zu  hüten  hat 549 

Chemische  Apparate   und  Reagentien ,   welche    zu  diagnosti- 
schen Untersuchungen    hinreichen 553 

Apparate 554 

Reagentien 558 

Grundlehre   der   pathologisch-chemischen    und 
mikroskopischen  Untersuchung. 

Der  Harn 568 

Eigenschaften  des  normalen  Harns 563 

Die  Normalbestandtheile  des  Harns 565 

1.  Wasser    .    .     « 565 

2.  Harnstoff 566 

3.  Harnsäure 567 

4.  Hippursäure 569 

5.  Schleim 569 

6.  Fett 569 

7.  Häraophäin 579 

8.  Uroxanthin 570 

9.  Die  feuerbeständigen  Salze 571 

10.  Die  Extractivstoffe 573 

Die  abnormen  Bestandtheile  des  Harns 574 

1,  Albumin 574 

2.  Eine  neue  Proteinverbindung 576 

3    Emulsion 577 

4.  Blut 577 

5.  Biliphäin 578 

6.  Gallensaures  Natron 579 

7.  Zucker 580 


XXXIV 


Gleite 

8.  Schwefelwasserstoff 581 

9.  Uroglaucin 581 

10.  Urrhodin 581 

11.  Uroerythrin 588 

12.  Kohlensaures  Ammoniak 588 

13.  Phosphorsanre  Ammoniak -Magnesia 584 

H.  flarnsaures  Ammoniak 58% 

15.  Harnsaures  Natron 585 

16.  Kleesaurer  (oxalsanrer)  Kalk 596 

17.  Kohlensaurer  Kalk    . 586 

18.  Thonerde 587 

19.  Cystin 587 

80.  Eiter 588 

Erkennung  des  Eiters 589 

Trennung  des  Eiters  vom  Schleim  ......  589 

Trennung  des  Eiters  von  Blutkügelchen  ....  590 

Trennung  von  andern  Sedimenten  ......  591 

Bestimmung  des  Eiterursprunges 598 

Epithel ium   der  Bellini'schen  Röhrchen,  Bellini'- 

sches  Epithelium 598 

Spermatozoon 598 

Krebszellen 593 

Kurze  Methode  der  qualitativen   und  annähernd 
quantitativen  Harnanalyse  für  den  Arzt. 

Harnconcretionen 597 

Allgemeines 597 

Die  Harnconcretionen  insbesondere 599 

I.  Die  verbrennlichen  Steine       600 

1.   Steine  aus  Harnsäure 600 

8.  Steine  aus  harnsaurem  Ammoniak 601 

3.  Steine  aus  harniger  Säure  (Xantoxyd)      .     .     .  608 

4.  Steine  aus  Urostealith 608 

5.  Steine  aus   Cystin 608 

6.  Steine  aus  Proteinverbindungen 603 

II.  Nicht  oder  theilweise  verbrennliche  Steine     .     .     .  603 
a.  Nicht  schmelzbare  Steine 603 

1.  Steine  aus  oxalsaurem  Kalk 603 

8.  Steine  aus  kohlensaurem  Kalk  (Kreidensteine)     .  604 

3.  Steine  aus  kohlensaurem  Kalk  und  Thonerde  .     •  605 


XXXV 

Seite 

b.  Schmelzbare  Steine 605 

1.  Steine  aus  phosphorsaurer   Amnion iakmagnesia 

und  basisch  phosphorsaurem  Kalk 605 

2.  Steine  aus  neutralem  phosphorsauren  Kalk     .     .  606 
Anhang:  Präputial-  und  Eichelsteine  dann  Vaginalsteine     .  606 

Das  Blut 606 

Das  Blut  nach  seinen  wesentlichen  Bestandteilen  .     .    .  607 

Die  hierin  minder  wesentlichen  Bestandteile  des  Blutes  .  609 

A.  Untersuchung  des  Blutes  nach  seinen  Normalbestandtheilen  610 

1.  Mikroskopische  Untersuchung 610 

a.  Blutkügelchen 611 

b.  Chyluskörperchen  und  Lymphkügelchen      618 

c.  Fettkügelchen      612 

d.  Epithelialtheilchen 612 

2.  Das  Blut  nach  seinen  äusseren  Eigenschaften 613 

Eigenschaften  des  venösen  und  arteriellen  Blutes       .  613 

Wesentliche  Bedingungen  zur  Bildung  der  Fibrinhaut  614 

Eigenschaften  der  Fibrinhaut 614 

3.  Qualitative  und  annähernd  quantitative  chemische  Unter- 
suchung des  Blutes     616 

a.  Fibrin 617 

b.  Wasser 617 

c.  Albumin 618 

d.  Blutkörperchen 618 

e.  Feuerfeste  Salze 619 

4.  Quantitative  Analyse  des  Blutes  nach  den  Hauptbestand- 
theilen       619 

B.  Untersuchung  des  Blutes  nach  seinen  abnormen  Bestand- 
teilen        684 

1.  Biliphäin       684 

2.  Galle  (gallensaures  Natron) 624 

3.  Zucker 625 

4.  Harnstoff 685 

5.  Eiter 626 

6.  Emulsionskügelchen      627 

7.  Kohlensaures  Ammoniak      628 

8.  Uroxanthin 628 

9.  Harnsaures  Natron 628 

Untersuchung  hydropischer  und  seröser  Flüssigkeiten     .    .    .  628 

Constante  Bestandtheile 629 

1.  Albumin 689 

2.  Fett 629 

3.  Verseiftes  Fett 626 


XXXVI 

Seite 

4.  Mineralische  Salze 630 

5.  Extractivstoffe 630 

Nicht  constante  Bestandteile       630 

1.  Fibrin 630 

2.  Blut       630 

3.  Harnstoff 630 

4.  Cholesterin      630 

5.  Biliphäin      630 

6.  Gallensaures  Natron 630 

7.  Eiter •  .  631 

8.  Schwefelwasserstoff  und  Phosphorwasserstoff    .        .  631 

Untersuchung  des  Schweisses      632 

Im  normalen  Zustande       632 

Im  krankhaften  Zustande      633 

Untersuchung  des  Sperma 634 

Untersuchung  der  Milch 636 

1.  Die  Milch  von  der  Geburt       636 

2.  »         »       unmittelbar  nach  der  Geburt,  Colostrum  .    636 

3.  »     eigentliche  Milch  . 636 

a.  Die  normale  Milch     .    . 637 

6.  Die  abnorme  Milch 638 

Untersuchung  des  Speichels 639 

Untersuchung  der  Sputa        • 640 

Untersuchung  der  Darmexcrete,  Fäces 641 

Normale  Fäces 641 

Abnorme  Fäces 642 

1.  Blut      643 

2.  Albumin 643 

3.  Kohlensaures  Ammoniak      643 

4.  Eiter 643 

5.  Farbestoff 644 

6.  Concretionen       644 

a,  Gallensteine 644 

a.  Cholesterinsteine 644 

ß.  Biliphäinsteine 645 

y.  Cholesterinbiliphäinsteine      645 

S.  Gallensubstanzconcretionen       645 

e.  Kohlenhältige  Steine      645 

b.  Darmconcretionen       645 

Verschluckte  Knochen       646 

Erklärung  der  Kupfertafeln      647 


*A        *•• 


Einleitung. 


Wer  nur  mit  einiger  Aufmerksamkeit  die  Fortschritte  der 
Medicin  verfolgt,  und  zunächst  diejenigen  betrachtet,  welche 
dem  letzten  Jahrzehend  angehören ,  dem  muss  sich  unwill- 
kürlich  die  Bemerkung  aufdringen ,     dass   der    herrschende 
Zeitgeist  auch  die  Heilkunde  mit  seinen  Fittigen  berührt,  und 
ihren  Leistungen  das  Gepräge  der  jetzt  herrschenden  mate- 
riellen Tendenz  gegeben  hat.  Wohl  ist's  der  Geist  der  Gegen- 
wart ,  dessen  Walten  in  der  Medicin  diese  Umstimmung  her- 
vorgebracht ;  aber  ein  Geist,   dessen  Geburten  bleibend  auch 
für  die  Nachwelt  sich  erhalten  werden,  während  die  meisten 
Veränderungen ,  die  unsere  Wissenschaft  seit  Jahrtausenden 
erlitt ,    von  geringer  Wichtigkeit  waren  und  der  Herrschaft 
der  Mode  anheimfielen,   mit  letzterer  entstanden  und  durch 
nicht  weniger  schwankende  und  unbeständige  Neuerungen  ver- 
drängt wurden.  Es  musste  aber  so  kommen.  Bei  dem  allge- 
mein   anerkannten    Nutzen,     mit    dem    die    physikalischen 
Wissenschaften  in  alle  Fächer  eingreifen ,  bei  der  mehr  ree- 
len  Tendenz  alles  gelehrten  Strebens,  musste  auch  die  Me- 
dicin den  bunten  Mantel  hypothetischer  Träumereien  und  va- 
ger ,    herkömmlicher   Lieblingsbegriffe  abwerfen  und  es  sich 
zur  Aufgabe  stellen  ,  die  Krankheiten  in  ihrer  mehr  materiel- 
len  Realität  zu  betrachten ,    um  sich  davon  mit  bestimmten 
und  klaren  Umrissen  gezeichnete  Bilder  zu  verschaffen.  Das 
Gaal  Diagnostik.  1 


2 

Messer  der  pathologischen  Anatomen  bahnte  ihrem  eindrin- 
genden Geiste  den  Weg,  und  durch  unermüdeten  Fleiss  ka- 
men sie  nicht  minder  zur  Erkenntniss  mancher  bisher  unbe- 
kannter pathologischer  Vorgänge ,  sondern  berichligten  und 
läuterten  auch  die  Ansichten  über  Vieles  bereits  Nachgewie- 
sene. Hiebei  blieb  man  aber  nicht  stehen ,  da  man  erkannte, 
dass  die  Organe ,  wenn  sie  erkranken ,  andere  physikalische 
Eigenschaften  annehmen,  als  sie  im  gesunden  Zustande  hat- 
ten ,  und  auf  Hilfsmittel  denken  musste ,  die  natürlich  nur 
physikalische  sein  konnten ,  um  diese  Eigenschaften  mit  Si- 
cherheit zu  erkennen. 

Unter  ärztlicher  physikalischer  Untersuchung 
verstehen  wir  somit  die  Erforschung  krankhafter  Zustände 
des  menschlichen  Körpers ,  insoferne  sie  sich  durch  geän- 
derte physikalische  Eigenschaften  (als  Volumen  ,  Schwere, 
Dichte,  Schallschwingungsfähigkeit  u.  s.  w.)  an  demselben 
kund  geben  und  durch  physikalische  Mittel  erkannt  werden. 

Man  hat  gegen  den  Namen  »physikalische  Untersuchung« 
eingewendet,  wenn  man  ihn  gelten  lasse,  müsse  man  auch 
eine  metaphysische  Untersuchung  annehmen;  allein  die  in 
Rede  stehende  Bezeichnung  hat  nun  einmal  das  Bürgerrecht 
erlangt,  metaphysisch  aber  bildet  keinen  Gegensatz  zum  Bei- 
worte physikalisch,  sondern  ist  eher  dem  Worte  physisch 
entgegen  zu  stellen. 

Ist  man  im  regen  Eifer  für  die  neue  Untersuchungsweise 
zu  weit  gegangen ,  und  vergass  man  über  den  physikali- 
schen Symptomen  bisweilen ,  den  Kranken  zu  fragen ,  ob 
und  wo  er  Schmerzen  fühle  u.  dgi. ,  so  hat  man  sich  freilich 
dem  gerechten  Vorwurfe  einer  läppischen  Einseitigkeit  preis 
gegeben ,    der  aber    weder   die  Wissenschaft  selbst    treffen 


kann ,  noch  der  Untersuchungsweise  zur  Last  gelegt  wer- 
den darf,  von  der  wir  jetzt  handeln;  doch  ist  dieser  Vorwurf 
minder  schmählich,  als  der,  welcher  Ärzte  trifft,  die  aus  einer 
gewissen  Trägheit  des  Geistes  sich  gegen  die  Wahrheit 
sträuben,  da  es  ihnen  unbequem  ist,  dasjenige  nachzuholen, 
was  sie  in  ihren  Studienjahren  zu  lernen  nicht  Gelegenheit 
hatten,  und  die  über  das  mit  Geringschätzung  den  Stab  bre- 
chen, was  nicht  ihrem  Hirn  entsprungen  oder  was  ihrer  Bahn 
entrückt  geblieben. 

Ich  kann  mich  wohl  der  Mühe  überheben,  den  Nutzen 
der  physikalischen  Explorationsmethoden  hier  Eingangs  zu 
beweisen ,  denn  mit  jedem  Tage  wird  derselbe  einleuchten- 
der demjenigen,  der  sich  dieses  wichtigen  Hilfsmittels  be- 
dient, den  Sitz,  Grad  und  Verlauf  oft  dunkler  Krankheiten 
zu  erkennen  ,  um  dann  ,  wenn  der  Begriff  derselben  klar  ge- 
worden ,  eine  sichere  Prognose  zu  stellen ,  und  nach  rich- 
tigen Indicationen  die  Behandlung  mit  Erfolg  zu  unterneh- 
men ;  mit  jedem  Tage  wird  der,  der  die  physikalischen  Hilfs- 
mittel nicht  verschmäht,  mehr  einsehen,  dass  durch  diese 
Untersuchung  die  oft  schwierige  Erkenntniss  wesentlich  ge- 
fördert wird ,  ob  eine  Krankheit  selbstständig  besteht  oder 
sympathisch  oder  symptomatisch  von  einer  entfernten  oft  ver- 
borgenen Affection  abhängt,  —  mehr  einsehen,  wie  durch 
sie  oft  bei  Abwesenheit  einer  Functionsstörung  mit  beinahe 
mathematischer  Präcision  Krankheiten  tiefer  liegender  Or- 
gane sich  kund  geben.  Wie  werthvoll  sind  die  Ergebnisse 
dieser  Exploration ,  wenn  subjeetive  Zeichen  mangeln,  z.  B. 
bei  Soporösen !  Wie  dankbar  erkennt  diess  der  Kinderarzt ! 

Die  Untersuchungsweisen  ,  welche  den  Vorwurf  dieses 
Buches  ausmachen ,   sind  folgende  sechs :  die  Besichtigung 

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durch  das  freie  Auge  oder  mittelst  geeigneter  Instrumente, 
das  Messen,  die  Betastung,  das  Horchen  auf  den  durch  An- 
klopfen hervorgebrachten  Schall  und  die  Geräusche ,  welche 
durch  vitale  Bewegungen  des  erkrankten  Theiles  in  demsel- 
ben entstehen  und  die  chemische  Zerlegung  gewisser  dem 
menschlichen  Körper  entnommener  Stoffe.  Alle  subjeetiven 
Symptome  sind  somit  aus  dieser  Abhandlung  ausgeschlossen. 

Die  Besichtig*  ung  (Inspection)  nimmt  auf  Alles , 
was  an  dem  Kranken  sichtbar  ist,  Rücksicht.  Da  wir  aber 
nur  von  derselben  handeln  wollen,  insoferne  sie  die  physika- 
lische Untersuchung  fördert —  denn  sonst  müssten  wir  in  vor- 
liegenden Blättern  eine  vollständige  Semiotik  zu  geben  uns 
verpflichten  —  so  werden  wir  weniger  von  der  Farbe ,  dem 
Glänze  etc.  erkrankter  Theile  sprechen ,  als  von  ihren  sicht- 
baren räumlichen  Verhältnissen,  ihrer  abnormen  Form  und  Be- 
wegung. Viele  durch  das  Auge  wahrnehmbare  Erscheinun- 
gen werden ,  da  sie  vor  das  Forum  der  Chirurgie  gehören 
und  die  Marken  unseres  Werkes  zu  weit  ausdehnen  würden, 
von  uns  nur  berührt,  die  Hautausschläge  aber  nur  in  den 
allgemeinsten  Umrissen  skizzirt. 

Der  Messung  (Mensuration),  die gewissermassen  zur 
Inspection  gehört ,  fallen  die  räumlichen  Verhältnisse  der  lei- 
denden Theile  anheim ,  im  Vergleich  zu  denen  der  entspre- 
chenden gesunden.  Sie  ermittelt  den  Umfang  und  die  verschie- 
denen Durchmesser  kranker  Organe  und  zieht  hieraus  Schlüsse, 
die  freilich  erst  durch  die  Resultate  der  übrigen  Untersuchungs- 
methoden vollen  Wertherhalten,  aber  dennoch  ein  unentbehr- 
liches Glied  in  der  Kette  der  physikalischen  Diagnose  abgeben. 

Die  Betastung  (Palpation),  ein  Untersuchungsmittel, 
das  von  jeher  in  der  Chirurgie  oben  an  steht,  vergewissert 


sich  in  einigen  mehr  der  letztern  anheim  fallenden  Fällen 
über  die  Consistenz,  den  bestehenden  oder  aufgehobenen 
Zusammenhang  gewisser  Theile,  ihre  Schwappung,  wenn 
sie  Flüssigkeit  enthalten ,  die  Schallschwingung  und  die 
eigenthümliche  Weise  der  Blutbewegung  u.  s.  w.  in  denselben. 

Durch  das  Klopfen  (Percnssion)  erfahren  wir  aus  der 
Beschaffenheit  des  dabei  hervorgebrachten  Schalles  ,  ob  der 
zu  untersuchende  Theil  Luft  enthält  oder  nicht,  und  im  er- 
stem Falle  die  Art  ihrer  Vertheilung  in  demselben. 

Das  Horchen  (die  Auscultation)  belauscht  Geräusche, 
welche  im  Körper,  vornehmlich  in  der  Brust  durch  vitale  Be- 
wegungen Athmen,  Circulation  entstehen,  und  ist  in  Verbin- 
dung mit  der  Percussion  sicher  die  wichtigste  aller  hier  an- 
geführten Explorationsweisen. 

Die  chemische  Untersuchung  verschiedener  dem 
Organismus  entnommener  Stoffe  ist  bei  Stellung  einer  ge- 
nauen Diagnose  von  hoher  Wichtigkeit  und  zuweilen  uner- 
lässlich ,  z.  B.  bei  Morbus  Briyhtii  —  kann  aber  am  Kran- 
kenbette ,  selbst  in  Spitälern  und  auf  Kliniken  doch  nur  in 
der  Beschränkung  angewendet  werden  ,  welche  ihr  in  den 
Gränzen  dieser  Blätter  angewiesen  ist ,  die  aber  zur  Er- 
kenntniss  von  Krankheiten,  um  darnach  eine  richtige  Therapie 
einzuleiten ,    in  beinahe   allen  Fällen  vollkommen  hinreicht. 

Die  mikrosko  p  i  s  che  Untersuchung  pathologi- 
scher Producte  gehört  eigentlich  auch  zur  Inspection ,  allein 
sie  geht  zu  sehr  mit  der  chemischen  Exploration  Hand  in 
Hand ,  um  von  ihr  getrennt  abgehandelt  zu  werden. 

Der  Plan  und  die  Eintheilung  vorliegender  Schrift  wur- 
den schon  in  der  Vorrede  entwickelt;  es  bleibt  nur  noch  üb- 
rig, anzuführen,  dass  gewisse  Untersuchungsweisen ,  denen 


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wir  in  einem  spätem  Abschnitte  ein  weiteres  Feld  einräumen, 
an  andern  Orten  nur  kurze  Erwähnung*  finden,  und  diess 
mit  dem  beschränkten  Räume  dieser  Blätter  zu  entschuldigen. 

Um  aber  mit  Nutzen  irgend  eine  Untersuchung  vorneh- 
men zu  können  ,  ist  dem  Arzte  genaue  Kenntniss  der  Lage, 
des  Umfangcs  und  der  Begränzung  innerer  Organe  in  dem 
Grade  nöthig* ,  als  ob  sie  dem  Auge  zugänglich  wären.  Man 
hat  daher  die  Oberfläche,  besonders  des  Rumpfes,  da  er  Betreffs 
der  Lagerung  seiner  Eingeweide  die  meisten  Schwierigkeiten 
darbietet,  zur  \ bequemern  Übersicht  in  gewisse  den  unterlie- 
genden Organen  entsprechende  Gegenden  eingetheilt. 

S  i  e  b  e  r  t  ->ty  empfiehlt  Raciborski's  künstliche  Ein- 
teilung', indem  sie,  wenn  auch,  besonders  am  Rücken, 
nicht  genau  mit  dem  Umfange  der  Eingeweide  zusammen- 
fallend ,  dennoch  fast  die  brauchbarste  und  einfachste  ist, 
und  da  sie  lauter  rechtwinkelige  Quadrate  gibt  und  durch 
gerade  Linien  gebildet  wird ,  ziemlich  leicht  sowohl  in  der 
Vorstellung  als  in  Wirklichkeit  gemacht  werden  kann. 

Zu  dem  Ende  werden  zwei  Linien  perpendiculär  von 
den  Acromialenden  der  Schlüsselbeine  nach  den  vordem 
obern  Darmbeinhöckern  gezogen,  zwei  andere  gehen  von  den 
äussern  Augenwinkeln  gerade  zur  Leistengegend  herab.  Die- 
sen entsprechend  werden  ähnliche  Linien  auch  an  der  Rü- 
ckenfläche des  Rumpfes  gezogen ,  oder  gezogen  gedacht. 
Alle  diese  perpendiculären  Linien  werden  aber  von  horizon- 
talen unter  rechten  Winkeln  geschnitten ,  von  denen  vorne 
eine  Clavicular-,  eine  Mammal- ,  letzte  Rippen- und  Darm- 
beinhöckerlinie aufzuzählen  sind,  Überdiess   denke  man  sich 


*  Technik  der  meJic.  Diagnostik.  Erlangen,   1844. 


noch  quer  über  die  Spitze  des  Schwertknorpels  eine  Linie 
gezogen ,  welche  den  Raum  zwischen  Mammal-  und  letzter 
Rippenlinie  in  zwei  Theile  trennt.  Am  Rücken  sind  eine 
Acromial-,  eine  Unterschulterblatt-,  eine  Lumbal-  und  eine 
Darmbeinkammlinie  zu  ziehen ,  welche  mit  den  an  der  Vor- 
derfläche in  gleichem  Niveau  befindlichen  Zusammentreffen 
und  deren  Verlängerung  darstellen, 

So  zerfällt  der  ganze  Rumpf  in  32  Felder. 


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Erklärung-  der  Abbildungen. 

Xr.  1  und  2.  Obere  Schlüsselbeingegend  oder  obere  Lun- 
geugegend,  da  die  Lungen  das  Eingeweide  sind, 
das  hier  die  Aufmerksamkeit  besonders  in  Anspruch 
nimmt. 

Xr.  3.  Sternalgegend.  Darunter  liegen  die  Bronchien,  die 
grossen  Gefässe  und  ein  Theil  des  Herzens. 

Xr.  4  und  5.  Vordere  Brust-  oder  Lun£en£egend.  In  dem 
Felde  Xr.  5  liegt  nach  unten  ein  kleiner  Abschnitt,  der 
dem  Herzen  zukommt. 

Xr.   6.   Regio  epiyastrica. 


Nr.  7.  Obere  Leber-  oder  Leberlungengegend  ,  da  hier  ein 
Theil  der  Leber  unter  der  rechten  Lunge   hinaufreicht. 

Nr.   8.  Regio  gastrico-pulmonalis. 

Nr.  9.  Regio  gastrico-hepatica }  eine  für  die  Palpation  der 
beiden  genannten  Organe  besonders  wichtige  Gegend. 

Nr.  10.   Regio  hepatica. 

Nr.   11.     —     gastrico-colica. 

Nr.   12.     —     umbilicalis  oder  colica  media. 

Nr.  13.  —  ileo-colica  dextra.  An  dem  obern  Rande  die- 
ser Gegend  befindet  sich  der  untere  Leberrand  mit  der 
Einkerbung  für  die  Gallenblase. 


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Nr.  14.  Regio  ileo-colica  sitiislra.  Hier  liegen  grösstenteils 
Dünndärme,   doch   kann   die  ganze   Gegend  vom  Colon 
erfüllt  sein.    Hier  werden    Kothanhäufungen,  Mesente- 
rialdrüsenanschwellungen   und    Wucherungen   des   Ge- 
kröses vorzugsweise  Gegenstand  der  Untersuchung. 
Nr.   15.     —     hypogastrica  oder  iliaca  media,   da  man   hier 
gewöhnlich  nur  dünnen  Gedärmen  begegnet,  wenn  man 
gerade   in   den  Bauch  drückt.    Die  Harnblase  liegt  tief 
hinter  der  Schambeinfuge. 
Nr.   16.     —     lleo-coecalis  oder  iliaca  dextra. 
Nr.  17.     —     Iliaca-sinislra. 
Nr.  18.  Regio  Interscapularis. 
Nr.  19  und  20.   Hintere  Lungengegend  ,   nach  einigen  auch 

Schulterblattgegend. 
Nr.  21.  Regio  dorsalis  inferior. 
Nr.  22.     —     licnalis. 
Nr.  23.     —     hepatica  posterior. 
Nr.  24.     —     lumbalis. 
Nr.   25  und  26.  Regiones  renales.  Hier  findet  man  ausser  den 

Nieren  grösstenteils  Dickdarm. 
Nr.  27  und  30.  Achselgruben   und  seitliche  Lungengegend. 
Nr.  28.  Regio  linealis. 
Nr.   29.  Regio  colica  sinistra. 
Nr.   31.   Seitliche  Lebergegend. 
Nr.  32.  Regio  colica  dexlra. 

Bei  der  Untersuchung  der  Brust  ist  häufig  eine  natür- 
liche Angabe  der  Gegend  der  künstlichen  vorzuziehen ,  und 
ist  es  hinreichend  dieselben  nach  dem  Knochengerüste  zu 
bezeichnen  ,  und  sich  an  dessen  sichtbare  oder  wenigstens 
palpable  Vorsprünge  zu  halten.  So  ist  oft  die  Angabe  »zwi- 
schen dieser  und  jener  Rippe,«  oder  »am  untern  rechten  Schul- 
terblattwinkel« hinreichend,  um  den  Sitz  eines  Symptomes 
anzudeuten. 

Ausser  den  angeführten  Gegenden  sind  noch  viele ,  so- 
wohl für  den  Arzt,  als  besonders  für  den  Chirurgen  von  ho- 


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hem  Interesse.  Der  Raum  dieser  Blätter  gestattet  nicht,  sie 
alle  anzuführen  und  zu  beschreiben;  in  jeder  topographi- 
schen Anatomie  (Bock,  Lauthner  etc.)  dürften  die  ge- 
neigten Leser  hinreichende  Belehrung  darüber  finden,  wir 
beschränken  uns  daher  darauf ,  nur  beispielsweise  einige 
derselben  namhaft  zu  machen. 

So  sind  besonders  wichtig: 

Am  Halse.  Das  mit  der  Spitze  abwärts  gerichtete 
Trigonum  cervicale ,  das  von  den  Kopfnickern,  den  in  der 
Mitte  des  Halses  liegenden  Vorragungen  und  dem  untern 
Rande  des  Unterkiefers  gebildet  wird.  Nach  unten  zu  geht 
es  oberhalb  des  Brustbeins  in  eine  starke  Vertiefung  QJugu- 
lum)  über.  Diess  Dreieck  zerfällt  aber  wegen  der  leichteren 
Übersicht  der  in  demselben  gelegenen  wichtigen  Organe, 
noch  in  zwei  kleinere  Dreiecke ,  indem  man  sich  eine  Linie 
durchgezogen  denkt,  welche  vom  Zitzenfortsatze  entspringt, 
und  am  Zungenbein  endigt ,  und  uns  den  Zug  des  hintern 
Bauches  der  MM*  biventer  und  stylohyoideits  versinnlicht. 


Wir  finden  daselbst  die  Carotis  communis,  die  A.  sub- 
clavia und  die  V.  jugularis  interna  am  unteren  Theile  des 
Halses ,  in  der  Furche  zwischen  beiden  Ursprüngen  des 
Kopfnickers  a)>  ebenso  weiter  oben  in  gleicher  Höhe  mit  dem 
Kehlkopfe,    am  vorderen  Rande   dieses  Muskels  die  innere 


Drosselader  und  den  Stamm  der  Carotis  in  Gemeinschaft  mit 
dem  N.  vagus  und  den  absteigenden  Ast  des  N.  hypoglossus 
b),  noch  mehr  aufwärts,  in  gleicher  Höhe  mit  dem  Zungen- 
bein und  Schildknorpel  c) ,  findet  man  die  Theilung  der  Ca- 
rotis und  die  obere  Schilddrüsenarterie. 

Die  Fossa  supraclavicularis  dj  zeigt  sich  an  der  Seite  des 
Halses ,  nach  aussen  von  der  prominentia  slernomasloidea 
von  dieser,  dem  äusseren  Rande  des  M.  cucullaris  und  dem 
Schlüsselbeine  begränzt.  In  dieser  dreieckigen  ,  bei  Bewe- 
gung der  Schulter  nach  vor-  und  abwärts  deutlicher  wer- 
denden Grube,  findet  man  durch  Zufühlen  die  Stränge  der  vier 
unteren  Nackennerven  und  die  A.  subclavia  bei  ihrer  Aus- 
trittsstelle. 

Am  Arme  ist  ein  im  Buge  durch  Verlängerung  der 
zwei  convergirend  verlaufenden  Sulci  bicipitales  gebildetes 
Dreieck  nicht  ohne  Interesse  *,  hier  ist  es ,  wo  in  Folge  un- 
glücklich ausgeführter  Aderlässe  Aneurysmen  vorkommen. 

An  der  untern  Extremität  ist  die  Leistengegend 
und  der  Verlauf  des  N.  ischiadicus  für  den  Mediciner  von 
Belang.  Der  Hüftnerve  zieht  von  dem  grossen  Hüftausschnitte 
zwischen  Sitzknorren  und  grossem  Rollhügel  zur  hintern 
Gegend  des  Oberschenkels  nach  abwärts  zur  Kniekehle  und 
spaltet  sich  in  den  N.  tibialis,  der  von  da  zum  inneren  Knö- 
chel verläuft,  und  in  den  N.  peroneus,  der  nach  aussen  zum 
Köpfchen  des  Wadenbeines  gelangt,  um  sich  dann  weiter 
zu  verästeln. 

Nach  Berücksichtigung  der  einzelnen  Körpergegenden, 
deren  viele  im  speciellen  Theile  näher  beschrieben  werden 
sollen,  wenden  wir  nun  unsere  Aufmerksamkeit  auf  die  Unter- 
suchungsmethoden, welche  an  selben  in  Anwendung  kommen. 


Erster  Theil. 

Die  Untersuchungsmethoden  im  Allgemeinen. 


Von  tler  Besichtigung  im  Allgemeinen. 

JLfer  erste  Act  der  Untersuchung",  gleich  wie  man  sich  dem 
Kranken  nähert ,  beginnt  damit,  dass  man  denselben  in  Au- 
genschein nimmt;  unwillkürlich  wird  dabei  der  Gesichtssinn 
einen  Eindruck  erhalten ,  der  leicht  der  bleibende  wird,  und 
wrenn  er  unrichtig*  ist,  das  Fassen  einer  vorgefassten  Mei- 
nung* begünstigen  könnte.  Allein  immer  ist  ein  Überblick 
des  Tummelplatzes  der  ärztlichen  Kunst  nothwendig",  und 
manche  Praktiker  haben  es  hierin  zu  einer  solchen  Übung*, 
ich  möchte  sagen,  zu  einem  solchen Instincte  gebracht,  dass 
selbst  eine  ,  wenn  gleich  nur  oberflächliche  Betrachtung  ih- 
res Kranken  ihnen  manche  Fragen  erspart ,  andere , 
die  unzureichend  beantwortet  wurden,  ergänzt,  mit 
einem  Worte  ihnen  eine  Richtschnur  gibt,  nach  welcher  sie 
ihr  ganzes  Verfahren  einzuleiten  haben.  Dass  hiebei  von  ih- 
nen auch  die  den  Kranken  umgebenden  Verhältnisse  und 
manche  Nebenumstände  ,  die  sie  auf  den  ersten  Blick  erken- 
nen ,  gewürdiget  werden ,  versteht  sich  von  selbst. 

Der  erste  Eindruck  ist  oft  hinreichend,  wichtige  phy- 
siologische Vorgänge,  wie  vorgeschrittene  Schwangerschaft, 
Pubertätsentwicklung'  u.  s.  w,  zu  erkennen  zu  geben ,  so 
wie  zuweilen  ein  auffallendes  Missverhältniss  einzelner 
Theile,  z.  B.  Rückgratsverkrümmung,  Hinken  etc.  entdecken 
zu  lassen. 

Dass  zu  jeder  Inspection  Licht  nöthig  ist,  versteht  sich 
von  selbst ;  der  zu  untersuchende  Gegenstand  soll  aber  gut 
beleuchtet  sein.  Künstliches  Licht,  und  wäre  es  noch  so  in- 
tensiv, ist  jedoch  keineswegs  im  Stande,  das  der  Sonne  zu 
ersetzen. 


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Manche  Kranke ,  wie  furchtsame  Kinder  und  Geistes- 
kranke ,  lassen  sich  nicht  ins  Gesicht  blicken  ,  sondern  ver- 
kriechen sich  ins  Bette  oder  drücken  das  Antlitz  in  die  Kopf- 
kissen; ob  der  Arzt  mit  der  Untersuchung  in  einem  solchen 
Falle  warten  solle ,  bis  der  Kranke  besserer  Laune  ist, 
oder  jene  erzwingen  könne,  hängt  von  seinem  moralischen 
Einflüsse  und  manchen  andern  Umständen  ab.  Kleine  Kinder 
kann  man  am  besten  dadurch  so  lange  ruhig  halten ,  bis  man 
mit  der  Untersuchung  fertig  ist,  dass  man  ihre  Aufmerksamkeit 
zu  fesseln  sucht,  was  durch  Vorweisung  eines  glänzenden  Ge- 
genstandes,  der  Taschenuhr  etc.  geschieht. 

Zuerst  betrachtet  man  den  Kranken  im  Ganzen ,  ob  man 
es  mit  einem  Manne  oder  einer  Frau  ,  einem  Erwachsenen, 
einem  Kinde  oder  einem  Greise  zu  thun  hat;  man  berücksichti- 
get die  Statur,  die  körperliche  Enlwickelung*  des  zu  Untersu- 
chenden ,  und  sucht  so  zur  Erkenntniss  der  Constitution 
und  seines  allgemeinen  Habitus  zu  gelangen.  Nun 
erst  geht  man  zur  Betrachtung*  und  Vergleichung*  seiner  ein- 
zelnen Theile  und  ihrer  Form  über,  wiegt  ihr  gegenseitiges 
Grössenverhältniss  und  ihre  Symmetrie  obenhin  ab. 

Wohl  der  wichtigste  Gegenstand  der  Inspection  möchte 
die  Gestalt  und  äussere  Form  des  zu  untersuchenden  Theiles 
sein,  und  da  man  dabei,  wiewohl  bloss  durch  das  Augen- 
maass,  auch  auf  die  räumlichen  Verbältnisse  und  ßegrän- 
zung  desselben  Rücksicht  nimmt,  so  gehe  hier  Inspection 
und  Mensuration ,  welche  letztere  ohnehin  gewissermassen 
ein  Zweig  der  Besichtigung  ist ,  Hand  in  Hand.  Die  Form 
der  zu  untersuchenden  Theile  unterliegt  sehr  vielen  Verän- 
derungen, so  dass  die  geringste  Abweichung  von  der  Norm 
hiebei  nicht  übersehen  werden  darf,  und  anscheinend  gering- 
lügige  Umstände  eine  Bedeutung*  gewinnen.  So  z.  B.  er- 
scheint zuweilen  der  Bauch  vergrössert,  und  die  Zunahme 
desselben  betrifft  bei  aufrechter  Stellung  des  Kranken  vor- 
nehmlich den  unteren  Theil  des  Abdomen  •  dieser  Umstand 
reicht  für  den  aufmerksamen  Arzt  hin,  bei  der  Untersuchung 


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die  hieher  bezüglichen  Symptome  freier  Bauchwassersucht 
besonders  zu  berücksichtigen. 

Gewisse  physicalische  Eigenschaften  des  Körpers  sind 
es,  welche  nur  durch  die  Inspection  erkannt  werden,  als  die 
Farbe,  der  Glanz  und  die  Durchsichtigkeit;  diese 
kommen  dem  zu  Folge  zunächst  nach  Berücksichtigung  der 
Form  an  die  Reihe. 

Die  Farbe  der  äusseren  Haut  gibt  im  Allgemeinen 
Zeugniss  von  der  Beschaffenheit,  Menge  und  Vertheilung 
des  an  der  Oberfläche  befindlichen  Blutes;  in  Hinsicht  der- 
selben hat  man  zu  beachten ,  ob  sie  habituell  ist  oder  nicht, 
und  ob  sie  wechselt  und  in  welchen  Ton  sie  sich  verändert. 
So  gibt  es  Menschen ,  welche  durch  Aufregung  roth  wer- 
den ,  andere ,  welche  aus  derselben  Ursache  erblassen.  Die 
Färbung  zeigt  nach  Alter  und  Geschlecht  gleichfalls  Ver- 
schiedenheiten. Im  höheren  Alter  nimmt  das  schöne  Colorit 
gewöhnlich  ab.  Weiber  wechseln  während  verschiedener  Ge- 
schlechtsfunctionen  die  Farbe ,  als  während  der  Menstrua- 
tion, der  Schwangerschaft.  Sanguiniker  sind  meistens  frisch, 
Phlegmatiker  blass,  Choleriker  gelblich,  Melancholiker  dun- 
kel gefärbt.  Die  angeborne  Farbe  macht  sich  trotz  aller 
krankhaften  Veränderungen  geltend,  Brünette  bleiben  immer 
bräunlich,  Blonde  werden  kreideweiss  oder  ihre  Wangen 
umschrieben  bläulichroth. 

Gesteigerte  lebhaft  eRöthe  begleitet  jedes  entzünd- 
liche Fieber,  Plethora,  acute  Exantheme  im  Stadium  der 
Eruption  etc.  Mit  Aufmerksamkeit  hat  man  übrigens  die  Art 
der  Vertheilung  der  Röthe  und  ihr  Wechseln  mit  Blässe  zu 
betrachten ,  da  dieselben  in  Beziehung  zum  Grade  des  Übels 
und  seinem  Verlaufe  stehen.  Röthe  des  Gesichtes  mit  Blässe 
des  übrigen  Körpers  spricht  für  active  Congestion  zum  Kopfe  ; 
spielt  die  Röthe  ins  Blaue ,  so  dürfte  die  Congestion  eine 
mehr  passive  sein.  Einseitige  Wangenröthe  bedeutet  zu- 
weilen ,  dass  der  Sitz  des  Leidens  dieselbe  Seite  betreffe. 
Gaal   Diagnostik.  2 


18 

Rothe  ,  um  schriebene  Wangen  in  geringem  Umfange  von 
zarter  Blässe  umgeben,  sind  Lungensüchtigen  eigen. 

Blässe  deutet  auf  mangelhafte  Blutbereitung  und  Anä- 
mie ,  bei  letzterer  spielt  die  Blässe  ins  Wachsfarbige ,  bei 
Hydrämie  ins  Schmutziggraue.  Ist  Samenverlust ,  Leucor- 
rhoe ',  Metrorrhargie ,  kurz  irgend  ein  krankhafter  Zustand 
der  Geschlechtssphäre  Ursache  der  bleichen  Farbe,  so  findet 
man  häufig  die  Augen  von  braunen  Ringen  umschrieben.  In 
der  Bleichsucht  zeigt  sich  nicht  selten  ein  grünlicher  Schim- 
mer der  Haut,  doch  bleibt  den  Wangen  zuweilen  eine  schwache 
Rosenfarbe.  Bei  secundärer  und  hartnäckiger  Chlorose  spielt 
die  Blässe  gerne  ins  Bräunliche  oder  livide.  Bleiche  Farbe 
aus  Erschöpfung  der  Kräfte  hat  einen  Stich  ins  Leder- 
farbige. 

Schmutziges  Colorit  ist  allen  Cachexien  eigen. 
Wurzeln  diese  im  Unterleibe,  so  ist  jenes  schmutziggelb, 
erdfahl.  Ähnlich  finden  wir  die  Färbung  bei  Wechselfieberkran- 
ken. Syphilis  verleiht  den  Eruptionen  einen  kupferrothen  oder 
braunrothenTon.  Sugillationen  und  Echymosen  sind  erstroth, 
dann  violett,  werden  immer  blässer,  und  gehen  wie  verwa- 
schen durch  die  braungrüne  in  die  normale  Hautfarbe  über. 
Scrofeln  und  Rachitis  werden  von  einer  schmutzig  weissen 
oder  käsefarbigen  Haut  begleitet ,  die  von  vielen  Comedonen 
besetzt  ist. 

Blaue,  livide  Hautfarbe  verdankt  ihr  Dasein  dem  Sto- 
cken des  Blutes  im  Capillarsysteme.  Sie  kommt  im  heftigen 
Fieberfroste  vor,  bei  Krankheiten  der  Circulation  und  chro- 
nischen Respirationsleiden.  Ausgezeichnet  blau  ist  die  Farbe 
Cyanotischer  und  in  der  asiatischen  Cholera.  Bei  Blutkrank- 
heiten erhält  das  Colorit  gerne  eine  livide  Beimischung,  so 
sind  z.  B.  im  Typhus  die  Wangen  zuweilen  blauroth  ge- 
tüncht. 

Gelbe  Farbe  in  allen  Abstufungen  bekommt  die  Haut 
durch  Aufnahme  der  Galle  ins  Blut.  Die  schönste  gelbe  Farbe 
zeigt  die  Albuginea  im  Icterus,  Gelbliche  Färbung  erscheint 


19 

auch  bei  ausgebreiteter  Pneumonie,  bei  Kopfverletzungen, 
Phlebitis  u.  s.  w.,  ohne  dass  aber  eine  mechanische  Cholo- 
planie  immer  zu  Grunde  liegt. 

Grünliche  Farbe  ist  Milzleiden  eigen,  sie  beglei- 
tet zuweilen  auch  Krankheiten  des  Pancreas,  Scirrhus  pi- 
lori  u.  s.  w. 

Braunes  Colorit  kommt  ausgesprochen  nur  als 
Chloasma  und  Ephelis  vor,  doch  verleihen  Leber-  und  Milz- 
krankheiten der  Hautfarbe  zuweilen  eine  bräunliche  Beimi- 
schung. Braune  Farbe  sah  ich  nach  Jodgebrauch  ,  wie  sie 
Einige  beobachtet  haben  wollen,  nie  entstehen,  wiewohl  ich 
die  Gelegenheit  hatte,  namentlich  als  ich  noch  an  der  syphi- 
litischen Abtheilung  für  Weiber  des  Wiener  allgemeinen 
Krankenhauses  als  Interne  angestellt  war,  die  Anwendung 
von  Jodpräparaten  in  zahlreichen  Fällen  zu  beobachten. 

Schwärzliche  Farbe  zeigt  die  Melanose;  mit 
gelbem  Colorite  gemischt,  Melasicterus,  Faulfieber,  As- 
phyxie durch  Kohlendunst  u.  s.  w.  Mercurialinunctionen,  de- 
nen Schwefeleinreibungen  folgen,  sollen  schwarze  Färbung 
hinterlassen.  Als  eigenthümlich  wird  die  Hautfärbung  nach 
Gebrauch  vom  Höllenstein  beschrieben;  gerade  betrachtet, 
soll  sich  die  Haut  graulicht  darstellen,  während  die  im  Profil 
stehenden  Flächen  schwarz  aussehen ,  so  dass  das  Gesicht 
grau  mit  schwarzen  Schatten  erscheint. 

Der  Glanz  tritt  an  den  Augen  deutlicher  hervor,  wird 
aber  sowohl  an  der  Haut  als  an  verschiedenen  Geschwülsten 
Gegenstand  der  Untersuchung.  Vor  Scarlatina  ist  das  Auge 
glänzend  und  trocken,  bei  Dissolutionskrankheiten  und  Para- 
lysen erhalten  die  Augen  einen  widrigen  Glasglanz ;  Säfte- 
verlust und  Mangel  an  Lebensturgor  macht  das  Auge  matt. 

Von  vollkommener  Durchsichtigkeit  geben  die 
Cornea  und  die  in  den  Augenkammern  gelegenen  Theile  ein 
schönes  Beispiel.  Doch  geht  in  Krankheiten  auch  jene  ver- 
loren. Um  das  Durchscheinen  einer  Geschwulst  zu  prüfen, 
bringt   sie  der  Ar  z  t   zwischen  sich  und  den   beleuchtenden 

2  W 


20 

Gegenstand  ;  so  zeigt  sich  bei  Hydrocele;  wenn  der  Kranke 
zwischen  dem  Fenster  und  dem  Arzte  steht,  das  Durchschei- 
nen des  Lichtes  an  den  Rändern  des  Hodensackes. 

Eine  andere  Erscheinung*  von  äusserster  Wichtigkeit 
für  die  Diagnose  ist  die  Bewegung  sowohl  im  Ganzen,  als 
seiner  Theile;  hieher  ist  auch  die  Betrachtung  der  Lage 
und  Haltung  des  Kranken  zu  rechnen. 

Die  Bewegung  ist  als  willkürliche,  und  als  un- 
willkürliche, vitale,  Gegenstand  der  Untersuchung.  Zu  letz- 
terer sind  auch  automatische  Bewegungen  zu  rechnen ,  die 
wohl  sonst  der  Willkür  unterworfen  sind,  in  bestimmten 
Krankheiten  aber  unbewusst  ausgeführt  werden. 

Die  unwillkürlichen  vitalen  Bewegungen  betref- 
fend ,  hat  man  zu  sehen ,  ob  diese  Statt  finden ,  das  Maass 
nicht  überschreiten ,  wie  Herzklopfen ,  Venenpuls ,  Pulsa- 
tion über  Aneurysmen  etc.,  und  ob  sie  mit  Leichtigkeit  voll- 
führt werden  oder  nicht.  So  hindern  grosse  Schmerzen  (^Pleu- 
ritis, Pleurodynia)  die  Bewegung  der  Rippen  beim  Athmen, 
so  dass  sie  nur  absatzweise  und  kurz,  wie  abgebrochen  Statt 
findet.  Zuweilen  treten  unwillkürliche  und  selbst  tumultua- 
rische  Bewegungen  in  Organen  auf,  welche  sonst  dem  Wil- 
lenseinflusse unterworfen  sind,  und  wechseln  selbst  mit  vor- 
übergehendem Stillstande  der  Bewegung  und  der  Starre  ab. 
Haben  sie  zwar  von  jeher  die  Aufmerksamkeit  des  Praktikers 
im  hohen  Grade  gefesselt  und  sind  sie  im  Allgemeinen  hin- 
länglich erkannt,  so  ist  es  doch  unmöglich,  im  Einzelnen 
alle  Formen  derselben  zu  beschreiben ,  da  sie  nicht  allein 
nach  dem  Ergriffenseyn  der  Organe  verschieden  sind,  son- 
dern im  Auftreten  und  der  Reihenfolge  unendliche  Abwech- 
selungen darbieten.  Hierher  gehört  das  Heer  der  krampfhaf- 
ten Erscheinungen,  die  entweder  tonisch,  clonisch  oder  bei- 
des abwechselnd  sind ,  und  die  sich  in  den  verschiedenen 
Provinzen  des  Körpers  auf  eigene  Art  kund  geben,  als  Au- 
genlidkrampf, Schielen ,  Stottern ,  Niesen  ,  Schluchzen  , 
Husten  ,    Asthma ,    das   Rülpsen  ,  Würgen  ,  Erbrechen  ,  die 


21 

Krämpfe  der  verschiedenen  Schliessmuskeln ,  so  dass  die 
Entleerung  von  den  betreffenden  Excretis  gehemmt  wird. 
Die  Reihe  der  Convulsionen,  vom  leichten  Zittern  an  ,  bis  zu 
der  Höhe  der  Eclampsie  und  Epilepsie,  des  Globus  hysteri- 
cus  y  die  Chorea  einerseits,  so  wie  anderseits  die  tetanischen 
Erscheinungen,  vom  Crampus,  der  Entasie  und  dem  Trismus 
angefangen,  bis  zum  ausgebildeten  Tetanus,  Pleurosthotonus, 
Opisthotonus ,  Embrosthotonus  u.  s.  w.  finden  hier  ihren 
Platz. 

Automatische  Bewegungen  zu  beobachten  ist  bei  Apo- 
plectischen,  Soporösen  und  Kindern  sehr  wichtig,  und  über- 
haupt wird  auch  selbst  bei  vielen  Kranken  ein  öfteres  un- 
willkürliches Betasten  einer  Gegend  im  Verlauf  des  Gesprä- 
ches die  Aufmerksamkeit  des  Arztes  auf  sich  ziehen ,  da 
nicht  selten  diese  der  Sitz  und  Herd  des  Leidens  ist.  Zu- 
pfen und  Reiben  der  Nase  deutet  bei  Kindern  zuweilen  auf 
Reizung  der  Darmschleimhaut,  Helminthiasis  etc.  In  An- 
gina membranacea  greifen  sie  oft  nach  dem  Kehlkopfe,  gleich- 
sam, um  das  dort  befindliche  Hinderniss  der  Respiration  zu 
entfernen. 

In  der  Kinderpraxis  sind  gewisse  Bewegungen  ,  die 
zugleich  mit  Schmerzäusserung  verbunden  sind,  sehr  werth- 
volle  Zeichen.  So  ist  z.  B.  im  Soor  das  Essen,  das  Husten 
und  Aufgehobenwerden  bei  Bronchitis  und  Pleuritis ,  das 
Waschen  und  Einwickeln  bei  Intertrigo  u.  s.  w.  mit  Schmerz 
verbunden,  der  sich  durch  ein  diese  Bewegungen  begleitendes 
Schreien  ankündiget.  Bewegungen ,  die  sich  heftig  und  un- 
ausgesetzt wiederholen ,  z.  B.  Heben  und  Fallenlassen  der 
Hand ,  rythmisches  Aufblasen  der  Backen  u.  dgl.  zeigen  bei 
Kindern  nur  die  Unerträglichkeit  und  Höhe  eines  Leidens 
an  ,  ohne  aber  über  die  Örtlichkeit  desselben  eine  Hinwei- 
sung zu  geben.  Die  gewöhnlichen  Bewegungen  kleiner  Kin- 
der bestehen  im  Strecken  und  Dehnen,  so  wie  in  Zusammen- 
ziehen und  Winden.  Entstehen  Schmerzen  ,  so  zeigen  die 
Bewegungen  ein  gleichsam  instinctartiges  Streben ,  den  be- 


82 

treffenden  Theil  dem  Leiden  zu  entziehen.  Jede  fieberhafte 
Krankheit  ist  bei  Kindern  mit  Unruhe  und  Herumwälzen  ver- 
bunden ,  plötzliches  Ruhigwerden  aber  ohne  Xachlass  der 
übrigen  Erscheinungen  kein  gutes  Zeichen. 

Zu  den  automatischen  Bewegungen  wird  auch  das  Be- 
tasten gewisser  Theilc  des  Kopfes  beim  Nachdenken,  welche 
gewissen  geistigen  Functionen  als  Sitz  dienen,  und  das 
Selbstmagnetisiren  der  Gehirnorgane  Somnambuler  beige- 
zählt. 

Von  den  willkürlichen  Bewegungen  sind  die 
Art  und  Weise  ihres  Zustandekommens ,  ihre  Freiheit  und 
Leichtigkeit,  oder  selbe  erschwerende  oder  gänzlich  ver- 
hindernde Umstände  und  ihr  Wechsel  mit  Ruhe  Gegen- 
stand der  Betrachtung.  So  verlieren  Kranke  in  der  Chorea 
den  Einfluss  des  Willens  auf  bestimmte  Bewegungen  ,  und 
vermögen  solche  nur  mühsam  und  durch  Umschweife  zu  voll- 
führen, so  dass  sie  z.  B.  ein  Trinkglas  nur  in  einem  Halbkreise 
zum  Munde  führen  können ,  und  nicht  leicht  im  Stande  zu 
schreiben  sind  u.  s.  w. 

Wenn  sich  Schwache  oder  Mangel  der  Bewegung  an 
einem  Körpertheile  darstellt,  wie  es  bei  Parese  und  Paralyse 
der  Fall  ist ,  so  hat  man  zu  sehen ,  ob  diese  Verminderung 
der  Bewegung  nur  zeitweilig  besteht,  ob  sie  mit  normaler 
oder  selbst  mit  convulsivischer  abwechselt ,  ob  sie  doch  durch 
den  Willenseinfluss  des  Kranken  oder  äussere  unterstützende 
Momente  überwunden  ,  durch  heftige  Reize  wenigstens  vor- 
übergehend aufgehoben  werden  kann,  und  auf  gleichzeiti- 
ges Bestehen  von  Kälte  oder  Fühllosigkeit  des  leidenden 
Theiles  besondere  Rücksicht  zu  nehmen,  ferner,  ob  die  Läh- 
mung eine  einseitige ,  eine  gekreuzte  oder  quere  ist  u.  s.  w. 

Der  Gang  kann  in  vielen  chronischen  Leiden  eine  dia- 
gnostische Bedeutung  erlangen.  So  lernen  Kinder  mit  Kno- 
chenleiden ,  Rachitis ,  Cretinismus ,  Hydrocephalus  chroni- 
cus etc.  spät  gehen,  und  rutschen  in  einem  Alter,  in  dem 
andere  Kinder  sich  schon  frei  bewegen,  noch  auf  dem  Boden 


93 

herum.  Sind  die  Extremitäten  verbildet,  so  wird  ihr  Gang 
schwankend;  ist  der  Kopf  zu  gross  und  schwer,  so  wird 
jener  taumelnd.  Auch  bei  Erwachsenen  unterscheidet  sich 
der  schwankende  Gang*,  der  durch  Schwäche  im  Allgemei- 
nen bedingt  ist,  von  dem  Taumel  im  Schwindel,  Kopfeon- 
gestionen  ,  Gehirnleiden  ,  Typhus  u.  s.  w. ,  wobei  die  Kran- 
ken häufig  die  Fiisse  kreuzen  und  sich  überall  anhalten, 
um  nicht  zu  fallen. 

Bei  halbseitiger  Lähmung ,  z.  B.  in  Folge  von  Apople- 
xie ,  wird  im  Gehen  der  erlahmte  Fuss  nachgeschleppt,  und 
beschreibt  einen  Kreisbogen;  die  ganze  gelähmte  Seite  er- 
scheint herabgesunken ,  die  kranke  Achsel  steht  tiefer ,  als 
die  gesunde  und  der  Arm  hängt  daselbst  vorne  gegen  die 
Mittellinie  des  Körpers.  Bei  Hirnerweichung  versagt  eine 
Extremität  plötzlich  den  Dienst,  ergriffene  Gegenstände  fal- 
len aus  der  Hand,  und  der  Kranke  ist  genöthigt,  eine  Zeit 
lang  niederzusitzen ,  bis  er  wieder  im  Stande  ist ,  sich  auf- 
zurichten. Dem  Hydrocephalus  acutus  pflegt  zuweilen  Hah- 
nengang mit  eigeuthümlichem  Erheben  der  Oberschenkel 
voranzugehen.  Bei  Leiden  des  kleinen  Gehirnes  hat  man  un- 
willkürliches Rückwärtsgehen  beobachtet. 

Bei  Rückenmarksleiden  scheinen  die  Füsse  im  Gehen 
eine  breite  Basis  zu  suchen.  Der  Kranke  kann  z.  B.  bei 
beginnender  Hydrorrhachie  nur  auf  diese  Weise,  und  indem 
er  sich  schrittweise  fortschwingt ,  im  Gehen  sein  Ziel  er- 
reichen. Im  Malum  Polii  ist  der  Gang  unsicher  und  zitternd. 
In  der  Tabes  dorsalis  werden  die  sehr  abgemagerten  Beine 
bei  jedem  Aufheben  gleichsam  weggeschleudert,  der  Gang 
ist  schiebend ,  die  Knie  sind  eingesunken,  der  Oberkörper 
nimmt  viel  Antheil  an  der  Bewegung,  und  die  weit  von  dem- 
selben abstehenden  Arme  suchen  durch  Rudern  das  Gleich- 
gewicht zu  erhalten. 

Herz-  und  Brustkranke  gehen  mit  vorgebeugtem  Ober- 
körper und  sind  beim  Ersteigen  einer  Treppe  oder  Anhöhe 
genöthiget,  häufig  stehen  zu  bleiben,  um  Athem  zu  schöpfen. 


34 

Unterleibskrankc  und  Schwangere  halten  sich  gerade, 
ziehen  das  Gesäss  ein ,  und  strecken  den  Bauch  vor.  Lei- 
den am  After  zwingen  die  Kranken  ,  die  Hinterbacken  vor- 
ragen zu  lassen.  Leiden  der  Geschlechtstheile,  grosse  Her- 
nien, Buhonen  etc.  bewirken  einen  eigenen  Gang  mit  ge- 
spreizten Beinen.  Mit  Blasenleiden  und  Harnsteinen  Behaf- 
tete gehen  mit  gebeugtem  Oberkörper ,  und  müssen  häufig 
stehen  bleiben.  Eben  so  ist  bei  denselben  Krankheiten  und 
beim  Tripper  die  Stellung  beim  Urinlassen. 

Individuen,  die  an  Ischialgie  leiden,  halten  den  erkrank- 
ten Fuss  mehr  rückwärts ,  und  hinken  darauf.  Podagristen 
treten  nur  mit  dem  ganzen  Fusse  auf,  suchen  aber  äusserst 
ängstlich  jeder  Unebenheit  des  Bodens  auszuweichen.  Im 
freiwilligen  Hinken  treten  die  Kranken  meist  nur  auf  den 
Zehen  auf,  halten  den  Fuss  im  Knie  gebogen,  das  Becken 
steht  schief,  und  das  Gewicht  des  Körpers  sinkt  nicht  allein 
bei  jedem  Schritte  auf  die  ergriffene  Seite  herab,  sondern 
die  Ausweichung  des  Gelenkskopfes  macht  sich  auch  durch 
eine  starke  Wölbung  der  Hinterbacke  bemerklich. 

Die  Art  und  Weise  des  Ganges ,  ob  derselbe  hastig 
oder  gravitätisch  ist,  wird  durch  das  Temperament  und  psy- 
chische Leiden  bedingt.  Grosse  Neigung  zum  Klettern  und 
Geschicklichkeit  dazu  findet  sich  zuweilen  bei  Chorea  und 
Schlafwandlern. 

Ist  schon  der  Gang  von  Bedeutsamkeit  für  die  Diagnose, 
so  ist  die  Lage  und  Haltung  des  ganzen  Körpers  nicht 
minder  werthvoll  für  dieselbe,  besonders  wenn  es  sich  um 
nicht  mittheilungsfähige  Individuen  handelt. 

Nackte  Neugeborne  liegen  fast  wie  im  Mutterleibe  zu- 
sammengekrümmt, mit  gekreuzten  und  angezogenen  Extre- 
mitäten. Abstossen  der  Beine  oder  ausgestreckte  Lage  der- 
selben sind  daher  bei  Säuglingen  ungünstige  Zeichen.  Be- 
gehren äussern  sie  durch  Herumfangen  mit  dem  Munde.  Ist 
das  Kind  4  Wochen  alt,  so  bewegt  es  die  Arme  frei,  mit 
8  Wochen  trägt  es  den  Kopf ,  mit  6 — 6  Monaten  vermag  es 


aufrecht  zu  sitzen,  und  mit  9  —  18  Monaten  fängt  es  an  zu 
gehen. 

In  Beurtheilung  der  Lage  kommt  in  Betracht,  ob  der 
Kranke  ruhig  liegt  oder  nicht ,  ob  er  eine  bestimmte  Lage 
vorzieht,  eine  gewisse  aber  gänzlich  vermeidet,  da  sie  ihm 
Unbehagen  oder  Schmerz  verursacht,  ob  die  Lage  eine  ge- 
wöhnliche oder  ungewöhnliche  ist;  jedenfalls  verdienen  ge- 
wisse Gewohnheiten  zu  liegen  ihre  Berücksichtigung. 

Bei  Gehirnleiden,  z.  B.  Hydrocephalus ,  ist  der  Kopf 
stets  zurückgebogen,  zuweilen  suchen  die  Kranken  densel- 
ben gleichsam  ins  Kissen  einzubohren,  solchen  Kranken  wird 
auch  das  Haupt  zu  schwer  und  hängt  auf  eine  Seite.  Beim 
Aufrichten  werden  sie  schwindlich  und  bekommen  Erbrechen. 
Bei  heftigen  Schmerzen  an  der  Vorderseite  des  Kopfes  (dem 
Gesichte)  liegen  die  Kranken  zuweilen  auf  dem  letzteren. 
Typhöse  liegen  gewöhnlich  in  einer  vernachlässigten  Stel- 
lung, zuweilen  unbeholfen,  wie  ein  Stück  Holz,  oft  mit 
angezogenen  und  gespreizten  Füssen  oder  schief  im  Bette. 
Ihr  Oberkörper  und  Kopf  sinkt  gerne  von  den  Kissen  herab. 
Nerven-  und  Geisteskranke  vergessen  nicht  selten  alle 
Scham. 

Bei  Brustkrankheiten  liegen  die  Kranken  mehr  aufrecht 
und  biegen  den  Kopf  zurück ,  um  der  Luft  den  Eintritt  in 
die  Athmungsorgane  zu  erleichtern.  Heftige  Athmennoth 
macht,  dass  die  Kranken  den  Oberkörper  vorwärts  beugen 
und  sich  auf  die  Arme  stützen  oder  selbst  mit  demselben  Ge- 
genstände hastig  ergreifen,  um  sich  daran  fest  zu  klammern. 
Bei  Pneumonie  gibt  die  Lage  kein  sicheres  Kennzeichen,  bei 
pleuritischem  Ergüsse  in  die  Brusthöhle  liegen  die  Kranken 
meist  auf  der  afficirten  Seite. 

Bauchkrankheiten  werden  gewöhnlich  in  der  Rückenlage 
überstanden,  doch  wird  bei  heftigen,  besonders  krampfhaf- 
ten Schmerzen  eine  gekrümmte  Lage  mit  Anziehung  der 
Füsse  vorgezogen.  Ist  eine  Seite  schmerzhaft,  so  ist  das 
Liegen  auf  der  entgegengesetzten  bequemer. 


26 

Viele  hierher  gehörigen  Puncte  werden  in  der  nun  fol- 
genden,  grösstenteils  nach  B  a  um  gärt  ne  r  #)  und  Sie- 
bert ##)  bearbeiteten  kurzen  Skizze  näher  erörtert  werden, 
welche  hier  eingereiht  wurden ,  da  diess  der  passendste  Ort 
dafür  ist.  Zu  vielen  Werth  darf  man  übrigens  der  Kran- 
kenphysiognomik nicht  einräumen,  denn  so  förderlich 
sie  der  Diagnose  sein  kann ,  so  sehr  kann  sie  täuschen ,  in- 
dem oft  heftige  Leiden  das  Äussere  wenig  verändern ;  an- 
derseits ist  nicht  zu  läugnen,  dass  viele  Krankheiten  theils 
an  und  für  sich ,  theils  durch  die  psychische  Stimmung, 
welche  sie  bewirken ,  eine  deutliche  Veränderung  der  Ge- 
sichtszüge hervorbringen ,  welche  für  die  Diagnose  von 
Wichtigkeit  ist,  ja  wie  es  z.  B.  in  der  Kinderpraxis  der  Fall 
ist ,  fast  den  einzigen  Anhaltspunct  darstellt. 

Im  Allgemeinen  lässt  sich  annehmen,  dass  je  weniger 
die  Mienen  von  dem  Gewöhnlichen  abweichen,  sie  desto  Bes- 
seres  hoffen  lassen.  Obenhin  betrachtet ,  sind  die  Gesichts- 
züge bei  Kopfleiden  starr,  und  richten  sich  alle  Gesichts- 
falten gegen  die  Augen;  bei  Brustleiden  erscheint  das  Ge- 
sicht etwas  breiter,  da  die  Nasenflügel  und  der  Mund  die 
erschwerte  Respiration  unterstützen ,  bei  Nervenleiden  ver- 
längert ,  da  sich  die  von  der  Nase  zum  Munde  ziehenden 
Falten  deutlicher  ausprägen.  Einiges  über  Physiognomik  so- 
wohl in  psychischen  als  in  körperlichen  Leiden  befindet  sich 
in  dem  der  Untersuchung  gewidmeten  Abschnitte. 

AJ  Specieller  Habitus  bei  Krankheitsanlagen. 

1.  Wem  wäre  das  II i  p  p  o  kr  a  t  ische  Gesicht  unbe- 
kannt, das  sich  durch  gespannte,  trockene,  oder  mit  kal- 
tem Schweisse  bedeckte  Stirnhaut,  bleiche,  herabhängende 
Lider,  matte,  glanzlose,  tief  eingesunk?:ie  Augen,  zusam- 


*)  Krankenphysiognomik,  2.  Auflage,  Stuttgart  1848. 
**)  Technik  der  medic.  Diagnostik.  Erlangen,  1843. 


27 

men gefallene  Nasenflügel ,  spitzige  Nase  ,  vorspringende 
Jochbeine ,  runzelichte  Wangen ,  kalte  Ohren  ,  entfärbte, 
herabhängende  Lippen,  offenstehenden  Mund  und  eingesun- 
kene Schläfen  kund  gibt.  Ist  es  nicht  ein  Zeichen  nahen  To- 
des,  so  deutet  es  doch  aut  allgemeine  Erschöpfung,  Läh- 
mung ,  Brand  u.  dgl. 

2.  Gehirnhabitus.  Personen,  die  zu  Kopfkrank- 
heiten mit  mehr  activein  Charakter  disponirt  sind,  bieten  die- 
sen dar.  Es  sind  meistens  Männer  von  magcrem  Körper, 
ernstem  Betragen  und  besonnener  Bewegung;  der  Kopf  zeigt 
die  schönsten  und  regelmässigsten  Verhältnisse ,  ist  nicht 
sehr  gross,  aber  in  allen  seinen  Theilen  vollendet,  dieStirne 
offen,  hoch  und  massig  gewölbt,  das  Hinterhaupt  ent- 
sprechend entwickelt ;  der  Gesichtswinkel  nähert  sich  einem 
rechten  •,  die  Nase  und  die  oberen  Augenbögen  springen 
stark  hervor,  während  die  unteren  Gesichtstheile  zurückge- 
drängt erscheinen.  Die  Augen  stehen  nicht  aus  der  Orbita 
hervor,  der  Kopf  ist  vorgebeugt ,  Haare  und  Iris  sind  mehr 
dunkel  gefärbt,  die  Röthe  der  Wangen  sieht  nicht  frisch  aus. 

3.  Der  apoplectische  Habitus  zeigt  fast  dem 
vorigen  entgegengesetzte  Merkmahle.  Der  Kopf  ist  im  Ver- 
hältnisse zum  Rumpfe  grösser,  die  Haare  sind  gelockt,  die 
Haut  des  Gesichtes  ist  bläulicht  roth ,  die  Augen  glänzen 
und  sind  injicirt,  die  Carotiden  pulsiren  und  die  Drossel- 
adern strotzen  vom  Blute.  Der  Hals  ist  kurz  ,  die  Schultern 
breit,  die  kurzen  Extremitäten  häufig  kühl.  Alle  Bewegun- 
gen zeigen  von  festem  Willen  und  Kraft,  sind  aber  nicht 
selten  heftig  und  zuweilen  unbeholfen.  Die  Respiration 
wird  häufig  beklommen  und  keuchend ,  besonders  wenn  zu- 
gleich Herz-Hypertrophie  vorhanden  ist. 

4.  Der  Rückenmarks-Habitus  äussert  sich  zu- 
weilen durch  Missverhältniss  der  Extremitäten  uud  der  un- 
teren Theile  zum  oberen  Abschnitte  des  Rumpfes ;  Kopf  und 
Thorax  sind  stark  entwickelt,  Arm  und  Waden  aber  auffal- 
lend mager  ,   Becken  und  Genitalien  klein. 


28 

6.  Der  plethorische  Habitus  charakterisirt  sich 
durch  den  hohen ,  kräftigen  Bau  und  den  Turgor  der  Haut. 
Die  Röthe  der  Wangen  wird  durch  Aufregnng  blauroth,  bei 
Einigen  blass. 

6.  Der  Lungen-Habitus,  der  zur  Pneumonie  und 
Hämoptoe*  disponiren  soll,  wird  auf  folgende  Weise  beschrie- 
ben: Die  Individuen  sind  schlank,  das  Fleisch  straff,  das 
Gesicht ,  der  Hals  und  der  Thorax  lang ,  die  Wangen  fast 
umschrieben  geröthet,  die  Augen  glänzend,  die  Haare  fein, 
die  Nase  schmal. 

7.  Der  tuberculöse  Habitus.  Der  obere  Umfang 
der  Brust  ist  verhältnissmässig  kleiner ,  der  Thorax  abge- 
plattet, über  Cavernen  zuweilen  eingesunken.  Die  Schul- 
terblätter stehen  flügelartig  ab  ,  die  Schlüsselbeine  sind  an 
ihrem  Acromialende  höher  gestellt ,  als  an  der  Verbindungs- 
stelle mit  dem  Brustbeine;  darüber  und  darunter  zeigen  sich 
meistens  Gruben.  Der  Hals  erscheint  lange  und  vorwärts  ge- 
neigt. Die  oberen  Theile,  Gesicht,  Thorax,  Arme  und  Fin- 
ger sind  mager ,  letztere  besonders  lang  und  an  den  Enden 
kolbig.  Die  Haut  ist  zart  und  fein  ,  weiss ,  die  Haare  sind 
fein  ,  die  milchweissen  Zähne  werden  leicht  cariös. 

8.  Der  Abdomin  al-Habitus  erscheint  bei  Kin- 
dern bis  zum  8.  Jahre  als  naturgemäss ,  kommt  aber  in  al- 
len anderen  Lebensperioden  als  abnorm  vor.  Die  Breite  ist 
in  allen  Theilen  vorwaltend.  Der  Kopf  rund,  die  kleine  Stirnc 
breit ,  die  Nase  dick ,  der  Hals  kurz ,  alle  Organe ,  welche 
der  Ernährung  dienen,  als  Kauwerkzeuge,  Bauch  und  Un- 
terleib sind  sehr  entwickelt.  Die  Gesichts-  und  die  Hautfarbe 
erscheint  gelblich  oder  fahl ;  in  den  kleinen  ,  tiefliegenden 
von  einem  lividen  Ringe  umgebenen  Augen  zeigt  die  Scle- 
rotica  eine  schmutzige  Färbung. 

9.  Der  Leber-Habitus  ist  wie  der Abdominal-Ha- 
bitus  ;  doch  hat  er  zwei  Formen  ,  von  denen  eine  sich  durch 
Fettentwicklung,  die  andere  aber  durch  Magerkeit,  schwarz- 
gelbes Colorit ,  gelbliche  Albuginea ,  schwarze  Augen  und 


29 

Haare  kund  gibt;  die  erstere  Form  zeigt  eine  besondere 
Hautfärbung.  Das  gelbe  Colorit  ist  anfangs  das  vorherr- 
schende ,  doch  spielt  an  den  sonst  gerötheten  Theilen  eine 
violette  Farbe  durch ,  ohne  sich  mit  dem  Gelben  zu  vermi- 
schen. Entwickelt  sich  im  Verlaufe  des  Leberleidens  die  Veno- 
sität  stärker,  so  bekommt  die  violette  Farbe  das  Übergewicht. 

10.  Der  Milz-Habitus  wird  am  weiblichen  Ge- 
schlechte  häufiger  beobachtet ,  und  auf  folgende  Weise  be- 
schrieben :  Die  Hautfarbe  ist  eine  Mischung  aus  dem  gel- 
ben und  violetten  Tone,  zuwreilen  grünlich,  das  Gesicht  hat 
einen  düstern  Ausdruck ,  die  Linien  sind  tief  ausgeprägt, 
die  Augen  dunkel ,  wie  beschattet,  die  Sclerotica  ist  schmu- 
tzig gefärbt ,  und  die  Zunge  meistens  rein  ,  trotz  der  häu- 
figen Dyspepsie. 

11.  Der  Uterinal-Habitus  zeigt  Neigung  zur 
Entartung  der  Gebärmutter  und  der  Eierstöcke  an.  Manche 
Frauen  fallen  dabei  durch  ihren  fast  männlichen  Bau  mit 
starken  Gesichtszügen  auf,  doch  wenn  auch  diess  nicht  der 
Fall  ist,  so  deuten  folgende  Zeichen  auf  das  Uterinleiden 
hin,  welches  sich  entweder  bei  der  Pubertät,  oder  in  der 
Periode  des  Wechsels  entwickelt ,  und  die  nicht  selten  mit 
denen  der  krebsigen  Anlage  verbinden ,  als :  Schmutzige 
Hautfarbe  mit  vielen  gelben  Flecken  ,  Neigung  zur  Kupfer- 
röthe  an  Nase  und  Wangen,  bräunliche  Zähne,  missmuthi- 
ger  Blick ,  tiefer  Siand  der  gewöhnlich  unfruchtbaren  Ge- 
bärmutter ;  um  die  Oberlippe  und  an  Warzen  im  Gesichte 
keimt  nicht  selten  ein  Flaum  ,  der  später  zu  borstigen  Haa- 
ren wird. 

12.  Der  Hämorrhoidal-Habitus  charakterisirt 
sich  durch  Vorwalten  der  unter  dem  Zwerchfelle  gelegenen 
Theile  ,  so  dass  der  Bau  des  männlichen  Unterleibes ,  dem 
des  weiblichen  Organismus  zuweilen  ähnelt ,  was  besonders 
am  Becken  autfällt.  Zugleich  bestehen  Zeichen  eines  stark  ent- 
wickelten Venensystems*,  in  der  Conjunctiva  zeigen  sich 
stern-  oder  inselartige  Gefässinjectionen. 


30 

13.  Im  arthritischen  Habitus  waltet  nach  Sie- 
bert der  Bau  der  Knochen  vor,  so  dass  diese  und  die  sich 
daran  befestigenden  Muskeln  sehr  entwickelt  erscheinen. 
Die  mehr  zarte  Haut  ist  zur  Transpiration  geneigt,  die  Re- 
spirationsbewegungen und  der  Puls  sind  meistens  gross. 

14.  Der  S  auf  er- Habi  tus  und  zwar  jener  der 
Weinsäufer,  äussert  sich  durch  Röthe  des  Gesichtes  und 
Halses,  Kupferröthe  auf  der  Nase,  die  dadurch  ungeheu- 
ren Umfang  erlangen  kann,  und  schlaffe  zur  Transpiration 
geneigte  Haut.  Die  Bewegung  ist  etwas  erschwert,  doch 
nicht  so  schwankend ,  wie  nach  dem  Missbrauche  anderer 
Spirituosa.  Ist  Zittern  vorhanden ,  so  verliert  sich  dieses 
nach  dem  Genüsse  von  Wein.  Der  Blick  zeigt  von  reger 
Geistesthätigkeit.  Die  Branntweintrinker  sehen  schmu- 
tzig-bleich aus,  zuweilen  zieht  Kupferröthe  quer  über  die 
Nase  und  Wangen  ,  ihr  Blick  ist  nichtssagend  und  unstät, 
die  Faser  schlapp,  die  Bewegung  zitternd,  auch  nach  dem 
Genüsse  von  Schnaps.  Biersäufer  haben  meistens  ein 
schwammigtes ,  aufgedunsenes  Ansehen,  sie  sind  nicht  sel- 
ten dick,  das  Gesichl  glänzt,  als  ob  es  mit  Fett  beschmiert 
wäre ,  die  Hautfarbe  ist  schmutzig ,  die  Bewegung  träge 
und  bewirkt  schnell  Ermüdung  und  Schweiss. 

15.  Onanisten  geben  sich  zuweilen  durch  unstäten, 
schleppenden  Gang  und  Mangel  an  Sicherheit  in  der  Hal- 
tung, Schwindel,  Herzklopfen,  Blässe  des  Gesichtes  und 
der  Lippen  und  matten  Blick  aus  den  mit  einem  braunen 
Hofe  umgebenen  Augen  zu  erkennen.  Dieser  Habitus  kommt 
aber  auch  bei  anderen  krankhaften  Zuständen  vor,  z.  B.  bei 
der  Ruhr;  andererseits  gibt  es  Onanisten  ,  die  sich  eines 
blühenden  Aussehens  erfreuen. 

B)    Physiognomie   und   Habitus   in   bestimmten 

Krankheiten. 

16.  Von  dem  Habitus  der  Herzkrankheiten 
wird  in  der  speciellen  Diagnostik  die  Rede  sein,  dasselbe  gilt 


31 

17.  vom  cyanotischen  Habitus. 

18.  Der  chlorolische  Habitus  äussert  sich  zu- 
weilen durch  Zurundung  aller  Formen ,  mit  Volumsvermeh- 
rung der  Theile ,  ferner  durch  Welkheit  der  Muskeln,  träge 
Bewegung.  Die  Haut  ist  wachsweiss,  öfters  mit  einem  Stich 
ins  Grüne ,  und  lässt  die  Venen  röthlich  durchschimmern *, 
die  Blässe  erstreckt  sich  von  der  Oberfläche  selbst  auf  die 
Schleimhäute  des  Mundes ;  Zahnfleisches,  die  Thränenca- 
runkel  etc.  Selten  behalten  die  Wangen  ihre  Rosenfarbe,  um 
die  Augen  sind  aber  beständig  braune  Ringe  gezogen. 

19.  Ähnlich  dem  vorigen  ist  der  Habitus 
bei  Anämie.  Äusserste,  wachsähnliche  Blässe  mit  rosen- 
roth  durchschimmernden  Venen  ,  Neigung  zur  Ohnmacht , 
Kraftlosigkeit  aller  Bewegungen  und  heftiges  Pulsiren  aller 
Arterien  bezeichnen  denselben. 

20.  Physiognomie  in  der  Blut fleckenk rank- 
heit. Die  Haut  ist  bleich  und  fahl,  das  Auge  matt  und  tro- 
cken, die  Schleimhäute  erscheinen  blass,  die  Muskel  schlaff, 
das  Zahnflesch  blutet  leicht,  überhaupt  zeigen  sich  Blutun- 
gen aus  allen  Organen.  An  der  Haut  sieht  man  rothe  Fle- 
cken ,  die  unter  dem  Fingerdrucke  nicht  verschwinden,  nach 
und  nach  dunkler  werden ,  bis  ins  Violette  gehen  und  end- 
lich verblassen.  Ödem  um  die  Knöchel  ist  keine  seltene  Er- 
scheinung dabei. 

21.  Der  sco  rbutis  che  Habi  tu  s  unterscheidet  sich 
wesentlich  von  dem  vorigen,  und  äussert  sich  durch  schmu- 
tzige Farbe  der  Haut,  welche  sich  hie  und  da  mit  Ecchymo- 
sen  bedeckt ;  diese  sind  frisch ,  dunkelroth ,  werden  aber 
nach  und  nach  grünbraun ,  und  stellen  verschiedene  Formen 
und  Gruppen  dar.  Die  Bewegung  ist  gehindert,  besonders 
das  Beugen  des  Kniees,  da  im  Unterhautzellgewebe  der  Füsse 
harte  oder  teigige,  plastische  Infiltration  Statt  findet,  welche 
nicht  selten  perlschnurartig  die  Sehnen  der  Muskeln  auf  ih- 
rem Zuge  begleitet ;  zuweilen  erscheinen  auf  den  unteren 
Extremitäten  schlaffe,  leicht  blutende  Geschwüre.  Das  Zahn- 


32 

fleisch  ist  gelockert,  schwammig*,  blutet  bei  geringem  An- 
lass ,  und  wird  so  wie  die  Schleimhaut  des  Mundes  von  mit 
einem  lividen  Rande  umgebenen  Geschwüren  bedeckt.  Die 
schmutzigen  Zähne  wackeln  und  fallen  leicht  aus. 

22.  Habitus  bei  S  ciofein.  Die  torpiden  Scrofeln 
prägen  sich  durch  folgende  Erscheinungen  aus :  Die  Haut 
ist  zart  und  Mass,  die  Faser  lax,  der  Kopf  dick,  die  Ge- 
sichtszüge sind  grob ,  die  Haare  gewöhnlich  blond ;  die 
breite,  angeschwollene  Nase  sondert  scharfen  Schleim  ab, 
welcher  die  Oberlippe  excoriirt.  Letztere  ist  wulstig  und  auf- 
geworfen, die  Zähne  kommen  spät,  sind  schlecht,  und  ste- 
hen in  unordentlicher  Reihe.  Der  dicke  Bauch  ist  im  Miss- 
verhältnisse zu  den  mageren  Extremitäten.  Noch  deutlicher 
wird  dieser  Habitus  durch  die  begleitenden  Localleiden,  Drü- 
senanschwellungen ,  Abscesse ,  Augenentzündungen  mit  ih- 
ren Folgen ,  verunstaltende  Narben ,  Kopfgrind  und  chroni- 
sche Ausschläge  im  Gesichte ,  Ohrenfluss  u.  s.  w.  characte- 
risirt.  Die  Form  der  irritablen  Scrofeln  befällt  gewöhnlich 
zarte  Kinder  mit  glänzenden,  dunklen  Augen,  welche  früh- 
reife Geistesentwicklung  verrathen ;  die  Gesichtszüge  sind 
zart  und  sprechend,  das  Haar  ist  meistens  dunkel.  Eine 
drüsenähnliche  Erhöhung  auf  den  Wangenbeinen  soll  nach 
Gölis  undKrie gelstein  auf  Mesenterialscrofeln  deuten. 

23.  Der  rachitische  Habitus.  Alle  Formen  sind 
stark  hervorspringend  und  unschön ,  die  Individuen  mager 
und  bleich.  Die  Kinder  lernen  spät  gehen ,  wobei  ihr  Gang 
wackelnd  wird,  wie  der  der  Enten;  am  liebsten  rutschen  sie 
am  Boden  herum.  Die  Fontanellen  stehen  lange  offen ,  das 
Stirnbein  ist  vorgetrieben,  und  zuweilen  derart  verbildet, 
dass  der  Kopf  ein  viereckiges  Aussehen  bekommt.  Die  Kno- 
chen sind  dünn  ,  die  Gesichtszüge  früh  reif  und  altklug ,  die 
Zähne  kommen  sehr  anomal ,  werden  lang,  und  sind  biswei- 
len mit  queren  braunen  Streifen  versehen.  Die  Wirbelsäule, 
die  Schlüsselbeine,  die  Knochen  des  Thorax,  des  Beckens 
und  der  Extremitäten  sind  mannigfach  verbildet  ,  und  beein- 


33 

trächtigen  durch  ihren  Druck  die  Eingeweide ,  Lungen , 
Herz  etc.  in  ihrer  Function.  Die  Epiphysen  sind  angeschwol- 
len und  der  Körper  bleibt  im  Wachsthume  zurück.  Kommt 
das  Übel  zur  Heilung,  so  bleiben  die  Verkrümmungen  wohl 
zurück ,   doch  wird  der  Knochenbau  besonders  stark. 

24.  Habitus  der  Wassersüchtigen.  Die  all- 
gemeine Decke  ist  Mass  und  schmutzig  gefärbt,  zuweilen 
glänzend ,  weich  und  wie  aufgedunsen.  An  den  infiltrirten 
Stellen  verliert  sie  die  Elasticität,  greift  sich  teigig  an,  und 
behält  den  Fingereindruck ;  die  Temperatur  ist  vermindert. 
Lippe  und  Zunge  sind  bleich,  das  untere  Augenlid  und  zu- 
weilen die  unteren  Theile  der  Backen  hängen  herab  und 
sind  ödematös ;  letztere  besonders  auf  der  Seite,  auf  der  der 
Kranke  eben  gelegen ,  ein  leichter  Anschlag  versetzt  sie 
zuweilen  in  ein  Zittern.  Nimmt  das  Ödem  im  Gesichte  zu, 
so  erhält  diess  eine  breite  Form,  und  es  schwillt  auch  das  obere 
Lid  an,  so  dass  die  Augenspalte  verengt  wird.  Die  Beine 
sind  meistens  gleichfalls  geschwollen,  und  die  Haut  der  Ge- 
schlechtstheile  wird  oft  zu  ungeheurer  Grösse  ausgedehnt, 
so  dass  diese  ganz  ungestaltet  aussehen;  bei  Hydrops,  der 
von  Herzkrankheiten  bedingt  ist,  beginnt  die  Anschwellung 
gewöhnlich  von  den  Füssen,  bei  M.  Brightii  mehr  von 
den  obern  Theilen  ;  die  Haut  verliert  auch  bei  letzterem  nicht 
so  sehr  ihre  Elasticität,  ist  gespannter,  resistenter  und 
greift  sich  nicht  so  kalt  an.  —  Bei  Brustwassersucht  haben 
wir  Zeichen  heftiger  Dyspnoe,  sitzende  Stellung  im  Bette, 
trüben  Blick ,  zuweilen  Herabhängen  der  Unterlippe  und 
die  übrigen  physicalischen  Zeichen ,  die  später  näher  erör- 
tert werden.  —  Bei  Ascites,  der  aus  organischer  Ursache 
entspringt ,  ist  das  Gesicht  häufig  missfärbig  und  abgema- 
gert,  der  Bauch  ragt  weit  nach  vorne  vor,  so  dass  die 
Kranken  die  Lenden  eingebogen  halten ,  und  die  Arme 
mehr  nach  hinten  gerichtet  sind  und  herabhängen;  der 
Gang  ist  dabei  wegen  der  Anschwellung  der  Füsse  unbe- 
holfen. 

Gaal  Diagnostik.  ,  3 


34 

25.  In  den  Handbüchern  findet  sich  auch  der  diabe- 
tische Habitus  verzeichnet,  allein  dieser  bietet  wenig 
Characteristisches  dar.  In  den  meisten  Fällen  deutet  der  Ge- 
sichtsausdruck auf  grosse  Niedergeschlagenheit ,  die  be- 
deutende Abmagerung-  ist  in  keinem  Verhältnisse  zu  dem 
Heisshunger,  die  Haut  ist  fahl,  trocken,  stösst  sich  leicht  in 
Schüppchen  ab,  die  Elasticität  derselben  ist  vermindert,  und 
zuweilen  erscheint  die  Bewegung  der  unteren  Extremitäten 
erschwert,  wie  gelähmt. 

26.  Der  syphilitische  Habitus  äussert  sich  nur 
durch  die  Zerstörungen  ,  welche  das  Leiden  gesetzt,  und 
durch  eigenthümliche  kupferrothe  Farbe  von  Eruptionen,  die 
am  häufigsten  im  Gesichte  erscheinen,  eine  entschie- 
dene Neigung  zur  Kreisform  zeigen,  und  deren  Schuppen 
mit  einer  feinen,  glänzend  weissen  Linie  das  kupferbraune 
Pericarpium  umsä  umen ,  deren  Borken  aber  dick  aufliegen. 
An  den  ergriffenen  Stellen  fallen  die  Haare  aus.  Dass  diess 
Bild  nur  bei  constit  utioneller  Syphilis  erscheinen  könne,  ver- 
steht sich  wrohl  von  selbst. 

27.  Habitus  bei  Krebsdyscrasie.  Die  trockene, 
torpide  Haut  hat  einen  Stich  ins  Bräunliche,  besonders  deut- 
lich an  allen  gefurchten  Stellen ;  der  Blick  ist  trübe ,  die 
Physiognomie  bekommt  zuweilen  etwas  Bösartiges.  Die  spä- 
ter zu  beschreibende  linea  nasalis  ;  col lateralis  nasi  und  /«- 
bialis  sind  tief  gefurcht.  Die  Nase  ist  schmal,  spitzig,  die 
hintere  Insertion  der  Nasenflügel  ers  cheint  stark  eingedreht, 
die  Lippen  sind  dünn  und  eingekniffen.  Der  dieser  Dyscrasie 
eigene  Ausdruck  vermischt  sich  mit  den  das  topische  Leiden 
bezeichnenden  Gesichtszügen,  z.  B.  mit  Uterinhabitus;  un- 
ter den  betreffenden  Umständen  mit  dem  Zeichen  der  Anä- 
mie u.  s.  w. 

28.  Der  Habitus  wurmkranker  Kinder  äussert 
sich  zuweilen  durch  Blässe  und  Schlaffheit,  verschwommene 
Gesichtszüge  ,  trüben  Blick,  weite  Pupillen,  tiefliegende, 
starre ,    mit  blauen  Ringen   umgebene  Augen ,   Reiben  und 


35 

Zupfen  der  dadurch  etwas  angeschwollenen  Nase ,  Ausge- 
prägtsein der  Linea  buccalis  und  der  oculo-zygomalica  (nach 
Pieper),  belegte  Zunge  mit  vorragenden  rothen  Wärzchen, 
aufgetriebenen ,  festen ,  grossen  Bauch  und  verschiedene 
nervöse  Zufälle. 

29.  Habitus  in  der  Oaslromalacia  infan- 
tum. Es  zeigt  sich  grosse  Unruhe  und  hastiges  Verlangen 
nach  Getränke ,  das  wieder  schnell  ausgebrochen  wird,  La- 
xität  und  Kälte  der  Muskeln,  Blässe,  ängstlicher  Ausdruck 
des  Gesichtes,  in  dem  die  Linien  stark  ausgeprägt  hervor- 
treten; die  tiefliegenden  Augen  umgibt  ein  breiter,  bleifar- 
bener, matt  glänzender  Ring,  die  Nase  erscheint  gespitzt,  die 
Kinder  reiben  mit  dem  Hinterhaupte  im  Kissen  hin  und  her,  und 
bekommen  leicht  Convulsionen;  der  Bauch  ist  etwas  aufge- 
trieben. 

30.  Bei  Cholera  infantum  zeigt  sich  weniger 
Unruhe  und  Schmerzausdruck  als  im  vorigen  Falle,  doch 
stimmen  beide  in  vielen  Puncten  mit  einander  überein ;  die 
Augen  sind  nach  oben  verdreht,  und  von  den  oberen  Lidern 
halb  verdeckt ;  die  Bewegung  erscheint  matt  und  erschöpft, 
der  Bauch  schlapp  ;  characteristisch  sind  die  weissen  Durch- 
fälle. 

31.  Im  Soor  erzeugt  sich  ein  ähnlicher  Habitus ,  nur 
dass  er  weniger  schnell  auftritt ,  als  in  den  beiden  vorigen 
Fällen j  das  Schlingen  ist  schmerzhaft  und  erschwert,  der 
Körper  sehr  abgemagert  und  an  der  Haut  finden  sich  viele 
fratte  Stellen ;  den  Bauch  findet  man  schlapp  und  schmerz- 
los. Characteristisch  sind  die  weissen,  rahmartigen  Fleck- 
chen und  Lamellen ,  die  sich  in  der  dunkelrothen  Mund- 
höhle und  in  den  grünlichen ,  serösen  Fäces  zeigen. 

32.  Habitus  bei  Hydrocephalus  acutus  im 
Stadium  der  Reizung.  Die  blassen ,  welken  Kinder  heben  im 
Gehen  die  Füsse  hoch  auf  (Hahnengang)  und  straucheln 
leicht.  Der  Nacken  und  der  Kopf  sind  heiss ,  letzterer  wird 
häufig  rückwärts    ins.   Kissen    eingebohrt,    das  Gesicht   ist 

a  # 


36 

eingefallen  und  zeigt  blaue  Ringe  um  die  halboffenen  Augen. 
Wangen ,  Nase  und  Extremitäten  sind  kühl  und  trocken, 
die  Pupille  zusammengezogen,  der  Schlaf  unruhig,  von 
Zähneknirschen  und  Zusammenfahren  unterbrochen.  Nicht 
selten  zeigt  sich  das  Formey'sche  Exanthem.  Im  Stadium 
des  Gehirndruckes  erweitert  sich  die  Pupille ,  die  Augen 
schielen  zuweilen ,  es  kommen  Lähmungserscheinungen  und 
Contracturen ,  zuweilen  Convulsionen ,  der  Puls  wird  lang- 
sam ,  und  das  Gesicht  erhält  einen  stupiden  Ausdruck. 

33.  Hydrocephalus  chronicus  äussert  sich  durch 
nachstehende  Erscheinungen  :  Der  Kopf  ist  sehr  gross  und 
ungewöhnlich  wann ,  die  Fontanellen  sind  weit ,  zuweilen 
pulsirend  und  durchscheinend ,  der  Kopf  bekommt  in  einigen 
Fällen  ein  viereckiges  Ansehen.  Durch  Herabdrücken  der 
oberen  Wand  der  Orbita  wird  der  Bulbus  nach  abwärts  ge- 
richtet, das  magere,  kleine  Gesicht  sieht  oft  dreieckig  aus. 
Die  Pupille  ist  träge,  die  Gesichtsfarbe  wechselt  häufig,  die 
Kinder  setzen  im  Gehen  nicht  selten  eiuen  Fuss  über  den 
andern ,  und  kreuzen  dieselben  beinahe ,  die  Haut  ist  tro- 
cken ;  endlich  treten  die  Erscheinungen  der  Lähmung  und 
Convulsionen  in  den  äusserst  abgemagerten  Extremitäten  auf. 
Übrigens  gibt  es  ausser  dieser  Form  noch  eine  andere,  mit 
angebornem  kleineren  Umfange  und  nach  oben  zugespitzter 
Gestalt  des  Schädels. 

34.  In  der  A  n  g  in  a  m  em  b  ran  acea  suchen  die  Kinder 
nach  geschehener  Exsudation  den  Hals  zu  verlängern  ,  und 
durch  automatisches  Greifen  nach  der  Zunge  oder  dem  Kehl- 
kopfe das  Hemmniss  der  Respiration  zu  beseitigen;  das  Ge- 
sicht ist  bleich  und  drückt  grosse  Angst  aus ,  der  Mund 
steht  weit  offen.  Das  wichtigste  Zeichen,  das  sich  aber  nicht 
durch  Worte  beschreiben  lässt,  ist  der  eigenthümliche  Ton 
des  Hustens. 

35.  Der  Keuchhusten  bringt  keinen  eigenthüm- 
lichen  Habitus  mit  sich*,  doch  sind  die  Kinder  auch  ausser 
dem    Paroxysmus    livid ,    aufgedunsen ;    besonders  um    die 


37 

Lippen  und  Augenlider,  welche  letztere  ein  bläulichter  Ring 
umgibt;  in  den  Augen  sieht  man  nicht  selten  kleine  Echy- 
mosen. 

36.  In  der  G r  i  p p  e  verrathen  die  Bewegungen  grosse 
Mattigkeit,  die  Augen  thränen  und  sind  geröthet ,  so  wie 
die  Nasenöffnungen  ,  aus  welchen  ein  dünner  Schleim  fliesst. 

37.  Im  Wechselfieber  äussert  sich  der  Habitus 
durch  cachectisches  Aussehen,  erdfahle  Farbe,  wie  aus 
Chamois  und  grau  gemischt ,  mit  einem  Stiche  ins  Grüne, 
welcher  Ton  um  die  Augen  und  den  Mund  deutlicher  ent- 
wickelt erscheint.  Die  Lippen  sind  bräunlich ,  Zunge  und 
Mundschleimhaut  blässer  als  gewöhnlich,  die  tSclerotica 
zeigt  sich  schmutzig  tingirt ,  das  Gesicht  zuweilen  aufge- 
dunsen. Um  den  Mund  sieht  man  nicht  selten  eine  Bläschen- 
eruption. Während  des  Paroxysmus  zeigen  sich  die  Stadien 
entsprechender  bekannter  Erscheinungen.  Während  der  Kälte 
ist  der  Livor  aller  Theile ,  selbst  der  Nägel  auffallend ;  die 
Hautpapillen  treten  hervor  und  bilden  die  Cutis  anserina.  Die 
Glieder  werden  vom  Froste  heftig  geschüttelt.  Während  des 
Hitze-Stadiums  machen  sich  der  Turgor  und  die  gespannten 
Gesichtszüge  bemerkbar.  Die  trockene  Haut  wird  nach  und 
nach  weicher  und  zerfliesst  in  Schweiss. 

38.  Perfor alio  ventriculi  spontanen  cir- 
cumscripta. Das  schnelle  Auftreten  der  Krankheit  mit 
heftigen  Schmerzen,  die  dem  Kranken  in  keiner  Lage,  in 
keiner  Stellung  Ruhe  gönnen,  die  verzerrten  und  das  grösste 
Entsetzen  ausdrückenden  Gesichtszüge  sichern  die  Diagnose 
vor  Verwechslung  mit  Gastritis  toxica,  wo  das  Erbreohen 
pathognomonisches  Symptom  ist ,  und  jede  noch  so  geringe 
Bewegung  die  Entzündungssohmerzen  im  Magen  auf  das 
Äusserste  steigert. 

39.  Habitus  in  der  Dysenterie.  Die  Mattheit 
des  Blickes,  die  Glanzlosigkeit  der  von  einem  röthlichen 
Ringe  eingefassten  Augen  erinnern  nach  Siebert  an  die 
Physiognomie  der  Onanisten.  Nimmt  die  Krankheit  eine  üble 


38 

Wendung' ,  so  verfällt  das  Gesicht ,  die  Augen  liegen  tief 
und  nach  oben  gedreht,  Nasenlöcher  und  Zähne  bekommen 
einen  russigen  Anflug. 

40.  In  der  asiatischen  Ch  olera  höheren  Grades  ist 
die  Haut  äusserst  welk  und  unelastisch ,  so  dass  sie  sich  an 
den  Fingern  furcht,  und  eine  künstlich  gebildete  Falte  längere 
Zeit  stehen  bleibt  bei  äusserster  Kälte  aller  Theile.  Blässe 
und  cyanotische  Färbung  walten  vor,  letztere  besonders  an 
den  vorspringenden  Theilen  des  Gesichts.  Die  Augen  sind 
nach  oben  gerollt  und  vom  oberen  Lide  bedeckt ;  unter  der 
Cornea  ist  zuweilen  ein  bläulichter  Fleck.  Die  Augen  umge- 
ben breite ,  bleifarbige  Ringe. 

41.  In  der  H  alsent  zun  düng  mit  bedeutender  Ge- 
schwulst ist  das  Gesicht  geröthet  und  turgescirend  ,  die 
Stimme  näselt,  die  Unterkiefergegend  erscheint  geschwollen, 
so  dass  die  Kranken  den  Kopf  nicht  wenden  können ,  ohne 
dabei  den  Oberleib  mit  zu  drehen. 

42.  Encephalitis  acuta  gibt  sich  durch  hohe,  um- 
schriebene Röthe  der  Wangen ,  glänzende  Augen  und  um- 
düsterten  Blick  zu  erkennen.  Der  heisseKopf  ist  schwer  und 
wird  zwar  hoch,  aber  hintenüber  gebogen  gelegt ;  beim  Auf- 
sitzen verlieren  die  Kranken  das  Bewusstseyn  ,  zeigen  äus- 
serste  Unruhe ,  machen  automatische  Bewegungen  und  Ver- 
suche, aus  dem  Bette  zu  springen.  Bei  Arachnitis  spt- 
nalis  sind  die  Nackenmuskeln  äusserst  gespannt. 

43.  Typhuskranke  fallen  durch  die  schmutzige  Haut- 
farbe und  zuweilen  durch  den  Livor  im  Gesichte  auf.  Die 
Stirnlinien  sind  nicht  selten  gefaltet  und  die  halbkreisför- 
migen Züge  von  der  Nase  und  dem  Munde  herab  stark  mar- 
kirt,  die  Nasenflügel  in  die  Höhe  gezogen,  wodurch  die 
Oberlippe  von  den  Zähnen  sich  etwas  zurückzieht ,  und  der 
Physiognomie  einen  schmerzlichen  Ausdruck  verleiht,  der 
durch  angebrachten  Druck  auf  den  Bauch  noch  mehr  ver- 
mehrt wird.  Der  Blick  ist  stupid,  indifferent,  die  Aufmerk- 
samkeit geringe ,  das  Auge  matt  und  gebrochen ;  die  meist 


39 

rothe  und  rissige ,  zitternde  Zunge  bleibt  zuweilen  wie  aus 
Vergesslichkeit  auf  den  Lippen  liegen;  die  Kranken  lallen 
im  Sprechen,  die  Zähne  sind  russig,  die  Haut  ist  trocken 
und  heiss,  wenn  nicht  ungleiche  Temperatur  beobachtet  wird, 
die  Lage  vernachlässigt ,  mit  gespreizten  Füssen ,  das  Auf- 
richten kaum  möglich  und  bringt  Übelkeit  hervor.  Flocken- 
lesen ,  Sehnenhüpfen  und  automatisches  Betasten  der  Geni- 
talien sind  nicht  seltene  Erscheinungen. 

44.  Pädatrophia  ist  meistens  mit  Scrofeln  und  Ra- 
chitismus verbunden.  Die  Haut  zeigt  sich  vornehmlich  auf 
der  Stirn  und  den  Wangen  von  Runzeln  durchfurcht ;  das 
Gesicht  ist  das  eines  Alten  ,  der  Blick  sehr  verständig.  Am 
Thorax  sieht  man  wegen  der  bedeutenden  Abmagerung  alle 
Knochen  deutlich  hervorspringen ,  die  falschen  Rippen  von 
dem  vergrösserten  Bauche  auswärts  getrieben  und  die  Füsse 
angezogen. 

45.  Enteritis  und  Gastritis.  Das  verlängerte, 
gelbblasse  Gesicht  zeigt  einen  eigenthümlichen  Schmerzaus- 
druck, der  sich  durch  Markirung  der  orbiculären  Nasenlinien 
und  der  Züge  des  M.  risorius  ausspricht.  Waltet  ein  Krampf- 
schmerz vor,  so  ist  der  Mund  durch  Anpressen  der  Unter- 
lippe an  die  obere  geschlossen  und  die  strahligten  Sternal- 
linien treten  hervor ;  ist  das  Peritonäum  äff  icirt,  so  steht  der 
Mund  offen ,  und  die  Orbicular-Linien  z  eigen  sich  entwi- 
ckelter. Um  die  Nasenflügel  und  den  Mund  zieht  eine  ge- 
wisse Blässe ,  während  die  Wangen  fieberhaft  geröthet  sind. 
Im  Ganzen  ist  der  Ausdruck  ängstlich,  die  Augen  sind  tief- 
liegend ,  und  die  Kranken  fürchten  durch  die  geringste  Be- 
wegung den  Schmerz  zu  erhöhen. 

46.  Bleikrankheit  ver leiht  dem  Organismus  das  Ge- 
präge der  Trockenheit  und  Rigidität.  Die  Hautfarbe  ist  erdfahl, 
die  Augen  sind  von  lividen  Ringen  um  zogen,  das  Zahnfleisch 
zeigt  einen  bläulichten  Saum  um  die  schmutzigen ,  bräun- 
lichen Zähne.  Das  Fleisch  ist  mager ,  die  Bewegung  träge, 
zuweilen  wird  Zittern  bemerkbar,  oder  es  finden  sich  Contrac- 


40 

turen.  Kommt  es  zu  ei  nem  Kolikanfalle ,  so  sind  die  Kran- 
ken äusserst  unruhig ,  wälzen  sich  herum ,  pressen  den 
Bauch ,  und  suchen  durch  Beschweren  desselben  mit  den 
Kopfkissen  oder  durch  Liegen  auf  demselben  sich  die  Schmer- 
zen zu  erleichtern.  Hoden  und  After  werden  dabei  krampf- 
haft aufgezogen ,  so  dass  man  die  Mündung  des  letztern 
kaum  zu  finden  im  Stande  ist. 

47.  Physiognomie  eines  Tobsüchtigen.  Das 
Gesicht  ist  gefärbt  oder  sehr  bleich,  immer  convulsivisch, 
das  Auge  hervorgetrieben  ,  feurig ,  rollend  ,  der  Blick  un- 
heimlich, böse.  Die  Stimme  stark,  zuweilen  rauh ,  der  Ton 
drohend ,  der  ganze  Körper  im  Zustande  convulsivischer  Be- 
wegung. Auf  den  Anfall  folgt  gewöhnlich  Mattigkeit  und  Hin- 
fälligkeit der  Kräfte. 

48.  Habitus  der  Epilepsie.  Ausser  dem  Anfalle 
ist  meistens  wenig  Abnormes  zu  sehen.  Der  Blick  aus  glo- 
tzenden Augen  hat  wohl  etwas  Fremdartiges  an  sich,  möchte 
aber  häufig  täuschen.  Die  meisten  Epileptischen  sind  mager 
und  bleich.  Während  der  Anfälle ,  die  von  verschiedener 
Form  und  Intensität  sind  ,  sträuben  sich  zuweilen  die  Haare, 
runzelt  sich  die  Stirne ,  treten  die  wilden  und  schielenden 
Augen  hervor;  öffnen  sich  die  Augenlider,  so  sieht  man 
meistens  den  Augapfel  stier  nach  aufwärts  gerichtet,  oder 
in  fortwährender  convulsivischer  Rotation ;  das  Gesicht  schwillt 
an  und  wird  roth.  Vor  dem  verzerrten  Munde  steht  zuwei- 
len Schaum.  Die  Carotiden  pulsiren  heftig,  die  Drosseladern 
sind  geschwollen ,  der  Hals  ist  meistens  steif.  Der  Stamm 
und  die  Extremitäten  verfallen  in  convulsivisohe  Bewegung 
oder  Verdrehung  verschiedener  Art.  Die  Daumen  sind  häufig 
eingezogen.  Nach  den  Anfällen  folgt  meist  Erschöpfung  und 
Schlaf.  Diess  Bild  ist  von  der  Eclarapsie  nicht  viel  zu  unter- 
scheiden, um  so  weniger,  da  man  häufig  nicht  im  Stande 
ist,  zu  sagen,  ob  einer  Krankheit  mehr  die  Benennung 
Eclampsie  oder  Epilepsie  gebühre. 

49.  Ecstatischer  Habitus.    Während   des  Paro- 


41 

xysmus  ist  das  Gesicht  geröthet,  wie  von  dem  Gefühle  der 
Seligkeit  durchdrungen ,  oder  von  einem  heiligen  Feuer 
durchglüht;  das  Auge  ist  dabei  beständig  nach  oben  und  auf 
einen  Punct  geröthet,  der  Leib  ruhig,  zuweilen  auf  den 
Knien  ruhend ,  die  Hände  sind  nicht  selten  wie  zum  Gebethe 
gefaltet,  oder  bewegen  sich  nach  der  Richtung  der  Augen. 

50.  Bei  Somnambulen  höheren  Grades  wird 
häufig  ein  ähnlicher  Ausdruck  beobachtet.  Anfangs  des  Pa- 
roxysmus  verlieren  die  Augendeckel  die  Neigung  zu  blin- 
zeln ,  so  dass  die  Augen  starr  offen  stehen.  Zuweilen  sin- 
ken die  oberen  Lider  zum  Theile  über  Letztere,  so  dass  sie 
ungefähr  drei  Viertheile  davon  bedecken;  der  Bulbus  ist 
meistens  aufwärts  gerollt  und  die  Pupille  unempfindlich  bei 
Hirnsomnambulen  ,  bei  Herzsomnambulen  hingegen  steht  er 
nach  abwärts  gerichtet.  Nicht  selten  umspielt  den  Mund  ein 
verklärtes  Lächeln ,  und  machen  die  Hände  automatische  Be- 
wegungen im  Kreise  um  das  Haupt ,  oder  berühren  ein  oder 
das  andere  Organ ,  gleichsam  um  letzteres  selbst  zu  mag- 
netisiren.  Der  Herzschlag  und  Puls  sind  meistens  verlang- 
samt (T  h  o  w  s  e  n  d).  Die  Respirationsbewegungen  sind  ver- 
schieden ,  doch  wird  das  Athmen  oft  von  stossweisen  Seuf- 
zern unterbrochen.  Die  Extremitäten  liegen  gestreckt  neben 
dem  Rumpfe,  ohne  aber  unbiegsam  zu  sein.  Bewunderungs- 
würdig ist  die  Geschicklichkeit  der  Schlafwandler  im  Klet- 
tern und  die  Neigung  dazu ,  besonders  zur  Zeit  des  Voll- 
mondes. 

Öl.  Katalepsie  ist  mehr  ein  Symptom,  als  eine  Krank- 
heit, verleiht  auch  dem  Kranken  keinen  bezeichnenden  Aus- 
druck ;  zu  bemerken  ist  die  wächserne  Biegsamkeit  der  Glie- 
der ,  welche  in  derselben  Stellung,  die  ihnen  der  Untersu- 
chende gibt,  verharren,  wäre  es  selbst  gegen  die  Gesetze 
der  Schwere  oder  der  Beweglichkeit.  Häufig  wechselt  sie 
mit  Epilepsie  und  allen  Formen  der  Convulsionen. 

52.  Melancholischer  Habitus.  Melancholische 
haben  einen    schlanken ,    magern    Körper ,    häufig    dunkles 


42 

Haar,  bleiche,  gelbliche  Gesichtsfarbe  ;  die  Haut  ist  trocken, 
schuppig  und  bräunlich ,  die  Nase  mehr  geröthet ,  die  Phy- 
siognomie stier  und  unbeweglich,  und  die  krampfhaft  ge- 
spannten, zusammengezogenen  Gesichfsmuskeln  drücken 
Traurigkeit ,  Furcht  oder  Schrecken  aus.  Die  Augen  stehen 
stier,  entweder  zur  Erde  gesenkt,  oder  in  die  Ferne  gerich- 
tet, der  Blick  ist  scheu,  schielend,  argwöhnisch;  die  Hände 
sind  abgemagert  und  fahl  gefärbt  oder  angeschwollen  und 
violett  (Esquirol).  Die  Bewegung  geschieht  langsam. 

53.  Monomanische  sehen  meist  beseelt  aus,  sie 
lachen,  die  Augen  sind  lebhaft  und  glänzend,  die  Bewe- 
gungen geschehen  meistens  hastig  und  mit  Leichtigkeit. 

64.  Eratomanischer  Habitus.  Die  Augen  sind 
munter  und  belebt,  der  Blick  zeigt  Leidenschaft,  die  Mus- 
kelthätigkeit  ist  vermehrt ,  wenn  die  Kranken  in  der  Nähe 
des  geliebten  Gegenstandes  sind;  findet  aber  das  Gegentheil 
Statt,  so  werden  sie  bleich,  niedergeschlagen  und  die  Be- 
wegung träger ,  oder  sie  betasten  ihre  Zeugungstheile. 

55.  In  der  Nymphomanie  wird  zugleich  alle  Schick- 
lichkeit bei  Seite  gesetzt ,  die  Kranken  entblössen  sich,  be- 
sonders in  Gegenwart  von  Personen  anderen  Geschlechtes, 
machen  geile  Bewegungen  und  betasten  die  Schamtheile. 

56.  In  der  Manie  ist  das  Gesicht  gefärbt  und  aufge- 
regt, oder  bleich,  die  Augen  strotzen  und  glänzen,  oder 
liegen  hohl ,  das  Haar  ist  gesträubt ,  die  Bewegung 
hastig. 

57.  Verwirrte  machen  fast  in  der  Regel  unwillkür- 
liche Bewegungen  und  haben  gewisse  Manieren  in  ihren  Ge- 
sten. Manche  laufen  beständig  umher ,  wie  als  ob  sie  etwas 
suchten ,  das  sie  nicht  finden  können.  Einige  wiederholen 
beständig  eine  und  dieselbe  Bewegung,  oder  kauern  auf 
derselben  Stelle  durch  Monate,  ja  durch  Jahre  (Esquirol). 
Das  Gesicht  ist  meistens  bleich,  die  Augen  trübe,  von  Thrä- 
nen  befeuchtet,  die  Pupillen  erweitert,  die  Conjunctiva  in- 
jicirt,    die  Physiognomie    ohne  bestimmten  Ausdruck,    der 


43 

Blick  ungewiss.    Der  Körper  erscheint  mager,  häufig  aber 
voll  und  wohlgenährt;  der  Hals  ist  gewöhnlich  kurz. 

58.  Idioten  zeigen  nicht  selten  Spuren  von  Rachitis 
oder  Scrofeln.  Der  Kopf  ist  meistens  zu  gross  oder  zu  klein, 
verbildet ,  das  Hinterhaupt  flach  und  abgeplattet ,  im  Ver- 
hältnisse zum  Gesichte  klein.  Die  Zöge  des  letzteren  er- 
scheinen meistens  unregelmässig,  die  Stirneist  kurz,  schmal, 
fast  spitzig ,  zuweilen  rechts  mehr  gewölbt  als  links.  Die 
Augen  sind  von  ungleicher  Grösse,  nicht  selten  schielend.  Aus 
dem  weit  geschlitzten  ,  mit  dicken  Lippen  versehenen  ,  halb 
offenen  Munde  fliesst  Speichel.  Die  Sinneswerkzeuge  zeigen 
sich  meistens  unsymmetrisch  und  unvollkommen.  Die  Arme 
sind  häufig  lang,  contrahirt ,  abgemagert,  die  Hände  un- 
förmlich und  dünn,  die  Finger  bewegungslos  oder  gekrümmt. 
Die  Kranken  halten  die  Arme  schwankend  und  convulsivisch,  er- 
greifen die  Körper  linkisch,  können  sie  nicht  festhalten,  so  dass 
sie  ihnen  aus  den  Händen  fallen.  Ihr  Gang  ist  schwer,  schwan- 
kend, so  dass  sie  leicht  umgeworfen  werden  können.  Manche 
verharren  aber  in  der  Stellung,  die  man  ihnen  gibt;  die 
Haut  ist  dick,  runzlich  und  weniger  elastisch  (Esquirol). 

Nicht  allein  von  Geisteskranken ,  von  denen  man  übri- 
gens sagen  kann  ,  dass  keiner  dem  andern  gleicht ,  sondern 
überhaupt  von  den  meisten  Krankheiten  Hessen  sich  Züge 
auffinden,  aus  denen  man  characteristische  Bilder  entwerfen 
könnte ,  allein  dazu  reichen  beschränkte  Kräfte  und  die  ge- 
wöhnlichen Verhältnisse,  ja  selbst  die  nicht  unbedeutende 
Gelegenheit,  die  ein  Krankenhaus,  wie  das  Wiener  allgem. 
Spital  darbietet ,  nicht  aus ,  dazu  gehören  eine  durchdrin- 
gende Beobachtungsgabe  und  die  Forschungen  wenigstens 
einer  Lebenszeit,  um  nur  einigermassen  den  Anforderungen 
zu  entsprechen.  Ich  kann  daher  nichts  Angelegeneres  thun, 
als  vorstehende  Zeilen  der  Nachsicht  der  geneigten  Leser 
empfehlen,  die  sie  nur  als  Skizze  betrachten,  und  so  vieles 
Mangelhafte  durch  eigene  Erfahrung  ersetzen  mögen. 


44 

Zu  erwähnen  ist  hier  noch,  dass  die  Zeichen  der  El  e  c- 
t rici tat  und  des  Magnetismus  des  kranken  Körpers, 
die  sich  an  den  geeigneten  Instrumenten  äussern,  Gegen- 
stand der  Besichtigung  werden. 

Dazu  dienen  mancherlei  Electrometer  und  die  M  a  g- 
netnadel,  von  deren  Abweichung  bei  stark  magnetischen 
Personen  man  nicht  selten  sich  zu  überzeugen  Gelegenheit 
findet.  Will  man  die  Hautelectricität  messen ,  muss  man 
über  die  der  Luft  in  Gewissheit  sein ,  indem  man  sonst  un- 
verlässliche  Resultate  gewinnen  würde.  Ebenso  soll  während 
der  Untersuchung  die  Gegenwart  mehrerer  Menschen  ver- 
mieden werden ,  da  ihre  verschiedene  Electricität  dabei  nur 
störend  einwirken  kann.  Behufs  der  Untersuchung  nehme  der 
auf  dem  Isolirschemmel  befindliche  Kranke  den  Condensator 
eines  Bo  hn  en berge r'schen  Electrometers  in  die  Hand, 
und  stelle  dann  denselben  auf  den  Messingteller  des  In- 
strumentes. Die  Gold-  und  Strohstreifen  zeigen  dann 
durch  ihre  Richtung  die  Art  der  Electricität  und  durch  den 
Grad  ihrer  Abweichung  von  einander  einigermassen  ihre 
Intensität  an. 

Die  Inspection  geschieht  entweder  mit  dem  unbewaff- 
neten Auge ,  oder  mittelst  der  Loupe  oder  des  Microscopes. 
Unmittelbare  und  mittelbare  Besichtigung.  Über  den 
Gebrauch  des  Microscopes  ist  das  Betreffende  in  dem 
der  chemisch-microscopischen  Untersuchung  gewidmeten  Ab- 
schnitte zu  lesen. 

Höhlen,  in  welche  das  Licht  nicht  dringt,  oder  deren 
Wände  an  einander  liegen  (Mastdarm,  Vagina),  werden  durch 
Spiegel  erweitert  und  dem  Liohtzutritte  geöffnet. 

Die  Sp  iegel  QSpecula,  Diopteres)  sind  hohle 
Cylinder  von  Metali  (die  von  Glas  sind  verwerflich),  welche 
innen  polirt  sind,  und  je  nach  ihrem  Zwecke,  entweder  aus  einem 
Stücke  bestehen ,  oder  aus  mehreren  von  einander  entfern- 
baren Blättern  zusammengesetzt  sind.  Über  ihre  Construc- 
tion  für  die  Untersuchung  einzelner  Organe  und  besondere 


45 

Zwecke  und  über  die  Handgriffe  bei  ihrer  Anwendung-  wird 
an  betreffenden  Orten  abgehandelt  werden. 

Übrigens  wird  daselbst  auch  noch  von  andern  die  Be- 
sichtigung fördernden  Instrumenten  die  Rede  seyn ,  z.  B. 
vom  Spatel,  der  zum  Niederdrücken  der  Zunge  dient,  um 
die  Exploration  der  Mundhöhle  zu  erleichtern ,  vom  Augen- 
lidhalter ,  Inspector  auris  u.  s.  w. 


Von  der  IVIeiisuraliou  im  Allgemeinen. 

Die  Mensuration  dient  dazu ,  die  absolute  und  relative 
Grösse  eines  Körpertheils,  seinen  Umfang'  und  seine  Durch- 
messer zu  ermitteln ,  und  wenn  er  zu  den  paarigen  Organen 
gehört,  die  Resultate  der  Messung  mit  denen,  die  sich  an 
der  anderen  Seite  ergeben ,  zu  vergleichen ,  so  wie  eine 
etwa  bemerkbare  Ab-  oder  Zunahme  des  Volumens  im  Ver- 
laufe einer  Krankheit  zu  erkennen.  Zum  Theile  beschäftigt 
sie  sich  auch  mit  dem  Gewichte  des  Körpers. 

Die  Mensuration  ist  eigentlich  ein  Zweig  der  Inspec- 
tion ,  da  sie  auch  den  Gesichtssinn  besonders  in  Anspruch 
nimmt,  und  wenn  es  sich  nicht  um  besondere  Genauigkeit 
handelt,  durch  das  Augenmass  geschieht;  da  sie  aber,  wenn 
sie  irgend  richtige  Resultate  liefern  soll ,  durch  besondere 
Instrumente  vermittelt  wird,  und  in  manchen  Fällen  ent- 
scheidende Aufschlüsse  gibt ,  wo  die  blosse  Besichtigung 
uns  im  Stiche  lässt,  so  verdient  sie  wohl  von  letzterer  ge- 
trennt abgehandelt  zu  werden. 

Dass  die  durch  die  Mensuration  gewonnenen  Ergebnisse 
allein ,  ohne  mit  den  andern  Explorations-Methoden  Hand  in 
Hand  zu  gehen ,  nur  einen  sehr  beschränkten  Werth  haben, 
wird  wohl  Jeder  einsehen ,  der  sich  nur  einigermassen  mit 
physicalischer  Untersuchung  beschäftigt,   nicht  minder  aber 


46 

auch ,  dass  diese  Ergebnisse  oft  nur  anscheinend  unbedeu- 
tend sind ,  und  krankhaften  Processen  von  grosser  Wichtig- 
keit ihre  Entstehung  verdanken,  so  z.  B.  ist  ein  Unterschied 
der  Circumferenz  von  '/a — i"  beider  Thoraxhälften  schon 
hinreichend,  einen  bedeutenden  pleuritischen  Erguss  zumuth- 
massen,  und  zwar  mit  beinahe  entschiedener  Gewissheit, 
wenn  gleichzeitig  andere  characteristische  Zeichen  für  dessen 
Bestehen  sprechen. 

Die  Instrumente ,  deren  man  sich  zur  Mensuration  be- 
dient, sind  ein  gewöhnlicher,  in  Schuhe,  Zolle  und  Linien 
getheilter  Längenmassstab;  Circumferenzen  misst  man 
mittelst  nicht  elastischer,  graduirter  Bänder  (wie  sie 
die  Schneider  als  Masse  gebrauchen)  oder  derMessket  t  e. 
Letzterer  ist  von  Messing,  und  besteht  aus  flachgedrückten, 
mit  Ziffern  bezeichneten  Gliedern,  deren  vier  auf  einen 
Zoll  gehen.  Das  graduirte  Band  mit  dem  Stethoscope  ver- 
eint zu  haben,  wie  es  Montault  empfiehlt,  halte  ich  nicht 
für  gerathen ,  da  dadurch  die  Schallleitung  des  Hörrohres 
gestört  werden  kann. 

Durchmesser  werden  mittelst  des  Tasterzirkels  ge- 
messen. Dieser  besteht  aus  zwei  in  einem  Halbkreise  gebo- 
genen ,  an  den  Spitzen  mit  Knöpfen  £ aa)  versehenen  stäh- 
lernen Schenkeln  [AÄ)  und  aus  dem  Mittelstücke  fll),  an 
welchem  ein  Gradbogen  (C)  befindlich  ist,  worauf  die  Zolle 
und  Linien ,  welche  durch  die  Enden  der  Schenkel  gemes- 
sen werden,  im  verjüngten  Massstabe  verzeichnet  sich  be- 
finden. 

Um  das  Instrument  bequem  bei  sich  tragen  zu  können, 
ist  es  so  eingerichtet ,  dass  man  die  Schenkel  aus  dem  Mit- 
telstücke nach  Belieben  entfernen ,  oder  daselbst  durch 
Schrauben  (&&)  befestigen  kann. 


47 


Von  andern  Instrumenten,  welche  dazu  dienen,  ein- 
zelne Theile  zu  bemessen,  z.  B.  Palatometer,  graduirte  Son- 
den ,  Beckenmesser  u.  s.  w. ,  wird  seines  Orts  im  speciellen 
Theile  die  Rede  sein. 


48 

Der  Kopf  wird  im  Allgemeinen  auf  folgende  Weise  ab- 
gemessen : 

Den  geraden  Durchmesser  erhält  man,  wenn 
man  den  einen  Knopf  des  Tasterzirkels  auf  die  Glabella,  den 
andern  auf  die  hervorragendste  Stelle  des  Hinterhaupt- 
heines setzt. 

Der  quere  Durchmesser  wird  genommen,  wenn 
man  die  Zirkelspitzen  ober  den  Ohren  an  der  breitesten  Stelle 
aufsetzt. 

Für  den  schrägen  Durchmesser  sind  der  Zitzen- 
fortsatz einerseits  ,  anderseits  der  Processus  xygomaticus 
Ansatzpuncte;  für  die  Höhe  des  Schädels  der  War- 
zenfortsatz und  der  Scheitel. 

Der  Umfang  des  Schädels  wird  mit  dem  Bande  in 
der  Ebene  gemessen,  in  welche  der  Hinterhaupthöcker,  die 
Ohrhöhe  und  die  Glabella  liegen.  Den  Grad  der  Wölbung 
des  Schädels  erhält  man,  wenn  man  den  horizontalen 
Umfang  desselben  in  verschiedenen  durch  das  Cranium  ge- 
dachten Ebenen  misst. 

Das  Verhältniss  des  Vorderkopfes  zum  Hinterhaupte  er- 
gibt sich  durch  die  Messung  von  der  Nasenwurzel  zum 
Scheitel  und  durch  Betrachtung  der  Entfernung  von  hier  bis 
zum  Anfang  des  Nackens  an  einer  dem  Hinterhauptsloche 
entsprechenden  Stelle. 

Nach  C  a  r  u  s  misst  man  ,  um  die  räumlichen  Verhält- 
nisse der  Kopfwirbel  (nach  seinem  Systeme)  zu  erhalten,  auf 
folgende  Weise : 

Man  erforscht: 

1.  Die  Breite  aller  3  Schädelwirbel ,  also  : 

o)  Die  Breite  der  Stirn  beiderseits  gegen  die  Kranz- 
naht hin. 

b)  Die  Breite  des  Mittelhauptes  in  der  Entfernung  der 
beiden  Scheitelbeinehöcker,  und 

cj  Die  Breite   des   Hinterhauptes    an  den   beiden  un- 


49 

tern  Enden  der  Lambdanaht  und  hinter  den  Zitzenfortsätzen 
der  Schläfenbeine. 

2.  Um  die  Höhe  aller  3  Kopfwirbel  zu  erhalten,  muss 
man  den  äussern  knöchernen  Gehörgang  zum  Stützpuncte 
haben.  Man  setzt  das  eine  geknöpfte  Ende  des  Tasterzir- 
kels entweder  am  trockenen  Schädel  unmittelbar  dort ,  oder 
am  Lebenden  so  tief  in  den  knorpeligen  Gehörgang  ein,  dass 
er  bis  gegen  den  Anfang  des  knöchernen  Canals  zu  liegen 
kommt ,  und  misst  nun  von  da 

a)  bis  gegen  die  Mitte  der  stärksten  Wölbung  der  Stirn, 
die  Höhe  des  Vorderhauptwirbels ; 

b)  bis  gegen  die  stärkste  Wölbung  des  Scheitels  in  der 
Pfeilnaht ,  die  Höhe  des  Mittelhauptwirbels  ; 

c)  bis  gegen  die  stärkste  Wölbung  des  Hinterhaupt- 
beines ,  die  Höhe  des  Hinterhauptwirbels. 

3.  Die  Länge  jedes  der  3  Schädelwirbel  findet  sich, 
wenn  man 

d)  Von  der  Nasenwurzel  aus  die  Länge  der  Stirne  bis 
zum  Anfange  der  Pfeilnaht  misst,  als  Länge  des  Vorder- 
hauptwirbels. 

b)  Die  Länge  der  ganzen  Pfeilnaht,  oder  des  oberen 
Randes  der  Scheitelbeine  misst ,  als  Länge  des  Mittelhaupt- 
wirbels. 

cj  Die  Länge  des  Hinterhauptes  von  der  höchsten  Mitte 
der  Lambdanaht  bis  zum  Hinterrande  des  Foramen  maynum 
nimmt ,  als  Länge  des  Hinterhauptwirbels. 

Misst  man  an  einer  lebenden  Person ,  so  kann  man  auf 
die  Dimension  des  knöchernen  Schädels  nur  schliessen,  wenn 
man  bei  jedem  Masse  2  Linien  für  die  Dicke  der  Haut  in 
Abzug  bringt. 

Will  man  beide  Schädelhälft  en  mit  einander  ver- 
gleichen, so  denke  man  sich  das  Cranium  durch  eine  von 
der  Nasenwurzel  über  die  Pfeilnaht  zum  Hinterhaupthöcker 
gezogene  Linie  in  zwei  Hemisphären  getheilt.  Eine  zweite 
Gaal  Diagnostik.  4 


: 


50        f 


inie  geht  horizontal  von  der  Glabella  hart  ober  den  Ohren 
zur  Protuberantia  occipitalis.  Nun  misst  man  beiderseits  so- 
^Yfohl  die  Schädelhöhle,  als  mittelst   des    graduirten  Bandes 
<Jen  halbseitigen  Umfang,  und  vergleicht  die  Ergebnisse  der 
^.Mensuration  an  beiden  Kopfhälften.  Dass  an  Lebenden  der- 
lei Messungen  nur  annäherungsweise  genaue  Resultate  ge- 
/  ben,  hat  darin  seinen  Grund,  weil  man  sich  nicht  leicht  wie 
am  trockenen  Schädel   die  Linien  wirklich  ziehen ,  sondern 
nur  gezogen  denken  kann. 

Den  Umfang  des  Thorax  misst  man  mit  dem  gra- 
duirten  Bande  oder  der  Messkette ,  und  notirt  sowohl  das 
während  des  Einathmens,  als  das  während  der  Exspiration 
erhaltene  Mass,  aus  deren  Vergleichung  sich  dann  die  mitt- 
lere Zahl  ergibt. 

Zu  dem  Zwecke  wird  das  eine  Ende  des  Instrumentes 
auf  den  Dornfortsatz  des  zweiten  Rückenwirkeis  gesetzt, 
und  die  massig  gespannte  und  gut  anliegende  Kette  bis  zu 
dem  Mittelpuncte  der  Handhabe  des  Brustblattes ,  den  man 
sich  früher  entweder  mit  Tinte  oder  durch  einen  Nagelein- 
druck bezeichnet  hat ,  geführt,  wenn  es  sich  darum  handelt, 
den  Umfang  einer  Brusthälfte  zu  bestimmen ,  und  mit  dem 
der  andern  zu  vergleichen ;  —  wünscht  man  aber  die  Cir- 
cumferenz  der  ganzen  Brust  zu  erhalten  ,  so  geht  man  mit 
dem  Instrumente  in  demselben  Niveau  weiter  über  den  Tho- 
rax ,  bis  man  wieder  zum  Dornfortsatze  gelangt.  Nun  hat 
man  die  obere  Circumferenz  der  Brust ;  diese  ist  aber  nicht 
hinreichend ;  man  muss  meistens  eine  mittlere  unter  der  Brust- 
warze, und  eine  untere  von  dem  Dornfortsatze  der  12.  Rippe 
bis  zum  Schwertfortsatze  des  Brustblattes  messen.  Aus  der 
durch  mehrere  in  verschiedenen  Zeiträumen  vorgenommenen 
Messungen  ersichtlichen  Zu-  oder  Abnahme  des  Brustum- 
fangs während  des  Verlaufes  von  Krankheiten ,  z.  B.  Pleu- 
ritis ,  ergeben  sich  wichtige  Schlüsse  auf  das  Wachsen  oder 
die  Verminderung  des  Leidens.    Zu  bemerken  ist  übrigens, 


51 

dass  der  rechte  Thorax  in  der  Regel  etwas  umfänglicher  ist, 
als  der  linke,  und  dass  der  halbe  Zoll,  der  ihm  zu  Gute 
kommt ,  bei  vergleichender  Messung  heider  Brusthälften, 
rechterseits  immer  abzuziehen  ist. 

Die  Durchmesser  des  Thorax  werden  mittelst  des 
Tasterzirkels  ermittelt ;  der  gerade  geht  von  der  Mitte  des 
Brustbeins  zum  entsprechenden  Dornfortsatze.  Man  kann 
auch  mehrere  gerade  Durchmesser  annehmen,  deren  End- 
puncte  in  den  Ebenen  liegen ,  in  welchen  man  den  Umfang 
des  Thorax  misst. 

Quere  Durchmesser  werden  nach  Seeger  sowohl  durch 
die  grösste  Convexität  der  4.  Rippen  beiderseits,  als  auch 
durch  dieselben  Puncte  der  beiden  8.  Rippen   gezogen    ge- 
dacht. 

Piorry  misst  auch  einen  Längendurchmesser  von  einem 
im  Niveau  der  Schlüsselbeine  gelegenen  Punkte  der  Schul- 
ter bis  zu  dem  vorspringenden  Rande  an  der  Spitze  der  letz- 
ten wahren  Rippe.  Die  dadurch  gewonnenen  Resultate  ha- 
ben aber  einen  geringeren  Werth ,  als  die ,  welche  sich  aus 
der  Betrachtung  der  Circumferenz  des  Thorax  ergeben. 

Finden  sich  Verschiedenheiten  des  Umfanges  in  einzel- 
nen Gegenden  der  Brust,  so  misst  man  auf  die  angegebenen 
Weisen ,  beschränkt  sich  aber  auf  die  fraglichen  Stellen. 

Der  Umfang  des  Unterleibes  wird  auf  dieselbe 
Weise  geschätzt,  doch  ist  es  gerathen,  denselben  zugleich 
an  mehreren  Stellen  zu  messen;  z.  B.  in  einer  Linie  vom  Na- 
bel über  die  Lenden  bis  zum  Dornfortsatze,  um  so  den  Um- 
fang und  die  Höhe  des  ganzen  Bauches  zu  erkennen ;  ferner 
die  Entfernung  von  der  Spitze  des  schwertförmigen  Knor- 
pels über  den  Nabel  bis  zur  Schambeinfuge  zu  bestimmen, 
woraus  sich  die  Wölbung  der  vorderen  Bauchwand  ergibt , 
und  endlich  eine  von  den  letzten  Rippen  zum  Darmbeinkamme 
gezogene  Linie  zu  bemessen.  Hierdurch  wird,  wenn  sich 
bei  wiederholter  Messung  eine  Veränderung  ergibt,   ein  ein- 


62 

seitiger  und  daher  trügerischer  Schluss  verhütet,  zu  dem 
die  Messung  einer  der  genannten  Linien  allein  sicher  führen 
würde. 

Grössenverhältnisse    des   Menschen    im  Allge- 
meinen. 

Es  ist  nöthig,  bestimmte  Ansichten  über  die  normalen 
Grössenverhältnisse  des  Menschen  und  seiner  Theile  zu  be- 
sitzen, um  Abweichungen  von  der  Regel  mit  Sicherheit  er- 
kennen zu  können.  In  folgenden  Zeilen  werden  wir  versu- 
chen, einige  Ergebnisse  der  Mensuration  im  Allgemeinen, 
die  wir  Arnold's  Handbuch  der  Anatomie  entnommen,  in 
Kürze  wieder  zu  geben  und  uns  bestreben ,  Veränderungen 
in  den  räumlichen  Verhältnissen  einzelner  Theile ,  so  weit 
sie  durch  Mensuration  sich  nachweisen  lassen ,  ihres  Ortes 
im  speciellen  Theile  mit  möglichster  Gründlichkeit  und  Kürze 
zu  erörtern. 

Die  Grösse ,  der  Umfang  und  daher  auch  das  Gewicht 
des  erwachsenen  Körpers  und  seiner  Theile  wechseln  so  wie 
die  äussere  Form. 

Die  Höhe  des  männlichen  Körpers  unserer  Race  und 
Zone  beträgt  zwischen  54 — 70  Zoll.  Die  mittlere  Grösse  des 
Mannes  wird  auf  ö  Pariser  Fuss  und  2—4  Zoll  geschätzt, 
die  des  Weibes  um  5 — 6  Zoll  weniger ,  die  Race  hat  natür- 
lich viel  Einfluss  auf  die  Grössenverhältnisse ,  so  dass  die 
mittlere  Grösse  des  Menschengeschlechtes  zwischen  4 — 6 
Fuss  3  Zoll  schwankt.  Nach  Q  u  e  t  e  1  e  t's  Forschungen  sind 
Städter  gewöhnlich  grösser  als  Landbewohner ,  indem  letz- 
tere sich  eines  geringeren  Wohlstandes  und  einer  minderen 
Ernährung  zu  erfreuen  haben.  Da  wir  in  Folge  der  Ermü- 
dung im  Stehen  und  Sitzen  den  Stamm  sinken  lassen,  und 
den  Hals-  und  Lendentheil  der  Wirbelsäule  etwas  nach  vor- 
wärts beugen,  erscheinen  wir  Abends  kleiner,  als  frühMor- 


63 

gens,  gleich  nachdem  wir  das  Bett  verlassen.  —  Am  schnell- 
sten wächst  der  Mensch  bis  zum  7.  Jahre  ;  von  diesem  bis 
zur  Zeit  der  Pubertät  geht  das  Wachsthum  langsamer  vor 
sich.  Von  der  Pubertät  bis  zum  20.  Jahre  bemerkt  man  wie- 
der eine  schnellere  Entwicklung  des  Körpers. 

Die  Breite  und  Dicke  des  Leibes  hängt  von  der  Aus- 
bildung des  Gerippes ,  dem  Knochenbaue ,  der  Musculatur 
und  dem  Fettreichthume  ab.  Die  Breite  des  Kopfes  wechselt 
zwischen  5 — 6  Zoll,  die  der  Brust  in  der  Gegend  der  7.  Rippe 
zwischen  10 — il  Zoll,  die  Schulterhöhen  schwanken  zwi- 
schen 13  —  15  Zoll,  der  Querdurchmesser  des  Beckens  be- 
trägt an  den  Rollhügeln  zwischen  11 — 12  Zoll.  Diess  gilt 
natürlich  nur  von  dem  Knochengerüste;  über  das,  was  man 
diesermassen  für  die  bedeckenden  Theile  zuzugeben  hat, 
lässt  sich  kein  bestimmtes  Verhältniss  ermitteln ,  denn  zwi- 
schen mager  und  dickleibig  gibt  es  noch  viele  Zwischen- 
stufen. 

Das  Gewicht  des  Körpers  ist  sehr  verschieden;  doch 
scheint  es  nach  Quetelet,  dass  die  Gewichte  vollkommen 
entwickelter  Personen  beiderlei  Geschlechts  sich  ungefähr 
wie  die  Quadrate  des  Wuchses  zu  einander  verhalten.  Das 
Durchschnitts-Verhältniss  zwischen  den  leichtesten  und 
schwersten  Individuen  ist  wie  1 :  2  anzunehmen ;  hinsicht- 
lich des  Wuchses  ist  das  Durchschnitts-Verhältniss  wie  1 : 1  /3 ; 
ein  neugebornes  Kind  ist  im  Durchschnitte  16 — 20  Zoll  lang', 
und  wiegt  6 — 7  Pfunde,  es  nimmt  bis  Ende  des  9.  Monats 
an  Länge  bis  6—8  Zolle,  und  an  Gewicht  um  10 — 12  Pf. 
zu.  Mit  dem  7.  Jahre  erreicht  es  zuweilen  eine  Länge  von 
42  Zoll  und  ein  Gewicht  von  40  Pfunden.  Das  Maximum  des 
Gewichtes  erreicht  der  Körper  zwischen  dem  40.  bis  50.  Le- 
bensjahre. Nach  Quetelet  verliert  der  Körper  im  hohen 
Alter  bei  12 — 14  Pfunde  an  Schwere.  Das  mittlere  Gewicht 
des  Mannes  von  60/  Zoll  Höhe  beträgt  126  Pfunde;  des 
Weibes  von  56/,  Zoll  Höhe,  110  Pfunde.  Das  Gewicht  va- 
riirt  bei  Männern  zwischen  96 — 198  ,  bei  Weibern  zwischen 


54 

86—178  Pfunden.  Es  scheint,  dass  man  beiläufig*  auf  1  Zoll 
Höhe  32  Unzen  Gewichtes  rechnen  kann.  Das  specifische  Ge- 
wicht des  Körpers  beträgt  im  Mittel  1,0551  &).  Puchelt 
will  eine  auffallende  Verminderung  der  Schwere  bei  croup- 
kranken  Kindern ,  die  viel  Calomel  genommen  hatten ,  be- 
merkt haben.  Die  scheinbare  Schwere  des  Körpers  in  der  te- 
tanischen  Starre  darf  übrigens  nicht  mit  wirklicher  verwech- 
selt werden. 

Die  Theile  des  Körpers  stehen  wieder  im  gewissen  Ver- 
hältnisse der  Grösse  zu  einander.  Um  die  Proportionen 
zu  schätzen  ,  nahmen  die  Alten  die  Länge  des  Fusses  als 
Maasseinheit  an  ,  bei  den  Neueren  gilt  die  Kopfhöhe  als 
solche;  Arnold  findet  aber  als  Ergebniss  vieler  Messun- 
gen ,  dass  der  Kopf  für  den  Rumpf,  die  Hand  für  den  Arm, 
und  der  Fuss  für  das  ganze  Bein  als  Maasseinheiten  anzu- 
nehmen seien.  Die  Mitte  der  Kopfhöhe  variirt  ein  wenig*. 
Weiber  haben  gewöhnlich  kürzere  Füsse  im  Verhältnisse  zum 
Stamme ,  als  Männer.  Die  Mitte  der  Körperhöhe  fällt  daher 
bald  auf,  bald  über ,  bald  unter  die  Schambeinsvereinigung. 
Nach  Arnold  stehen  einzelne  Partien  des  Körpers  in  ihren 
kleineren  Theilen  in  einem  viel  geregelteren  Verhältnisse, 
als  die  Hauptabtheilungen  derselben  zu  einander.  Nach  des- 
selben Forschers  Messungen  ergibt  sich,  dass  die  Höhe  der 
Vorderfläche  des  Kopfes  mit  3  multiplicirt ,  gleich  der  des 
Rumpfes  (vom  Kinne  bis  zur  Schamfuge)  sei.  Die  Läng'e  der 
Hand  X  mit  3  ist  die  des  Ober- und  Vorderarmes;  dieFuss- 
länge   X  mit  3  gibt  die  des  Ober-  und  Unterschenkels. 

Die  Höhe  des  Kopfes  hat  im 

Männer     Weiber 

Durchschnitte 8"  7"  6  " 

multiplicirt  mit         3  3 

Höhe  des  Rumpfes 24"         22"  6 " 


*)  Krause  Handbuch  der  Anatomie  §.  228. 


Männer 

Weiber 

32' 

30' 

9"  9" 

8"  6"' 

3 

3 

29    3" 

25    6 

2"  9'" 

2'  6  ' 

32' 

28'' 

32 

30' 

64'' 

58" 

7'  3'" 

6 "  6  ' 

3 

3 

21    9 

19"  6  ' 

7"  3'" 

6'    6  ' 

29' 

26" 

55 


Kopf  und  Rumpf  zusammen     .     .     . 
Die  Länge  des  Fusses  beträgt     .     . 

multiplicirt  mit 
Länge  des  Ober-  und  Unterschenkels 
Zusammen  mit  der  Höhe  der  Fusswurzel 
Macht  für  die  Höhe  der  untern  Glieder 
dazu  Kopf-  und  Rumpfhöhe     .     .     . 

Gibt  die  Körperhöhe 

Die  mittlere  Länge  der  Hand  beträgt 

multiplicirt  mit 
ergibt  die  Länge  des  Ober-  und  Vor- 
derarmes        

dazu  die  Handlänge  gerechnet 
gibt  das  Maass  für  die  Extremität 

Nach  demselben  Gesetze  lässt  sich  die  normale  und  zu 
den  übrigen  Theilen  proportionale  Grösse  einzelner  kleinerer 
Parthien  des  menschlichen  Körpers  um  so  richtiger  bestim- 
men ,  da  die  Natur  in  ihrer  Bildung  denselben  Typus  befolgt, 
der  in  dem  Verhältnisse  der  Entwicklung  grösserer  Abschnitte 
des  Körpers  ersichtlich  ist. 

Arnold  5''s)  hat  auf  diese  Art  die  Länge  der  Nasen- 
beine ,  des  Oberkiefertheiles  des  Antlitzes  u.  s.  w.  bestimmt. 
Dass  übrigens  auch  Abweichungen  von  der  Regel  vorkom- 
men ,  findet  in  dem  Erscheinen  so  vieler  Abnormitäten  ande- 
rer Art  seine  Erklärung;  es  zeigt  sich  demnach  nicht  selten 
selbst  bei  übrigens  wohl  proportionirten  Körpern  ein  Über- 
wiegen eines  Theiles  über  den  andern;  doch  sind  die  mitt- 
leren Proportionen  ,  welche  von  Anatomen  und  Künstlern  er- 
mittelt wurden ,  und  die  doch  wieder  einem  gewissen  Prin- 
cipe zu  gehorchen  scheinen,  folgende: 


*)  1.  c.  p.  73. 


56 

Männer     Weiber 

Schädeltheil  des  Kopfes     ....         3"  8"       3"   6  " 

Antlitztheil 4"  4"       4" 

Oberkiefertheil 2"  8"       2'    6" 

Unterkiefertheil        1"  8"       1"  6" 

Hals  und  Brust        12"  10" 

Hals 3    9         3"  9" 

Brust  bis  zur  Spitze  des  Schwert- 
fortsatzes           8"  3'"       6"  3'" 

Von  der  Herzgrube  bis  zur  Spitze 

des  Schwertfortsatzes     .     .     .         r/2"         2" 

Bauch        12'  12"  6 

Von  der  Spitze  des  Proc.  ensifor- 

mis  bis  zum  Nabel     ....         6"  6" 

Vom  Nabel  bis  zur  Symphyse     .     .         6"  6"  6" 

Oberarm  12"  11" 

Vorderarm      . 9"  9"       8"  6"' 

Oberschenkel 16"  13"  %'" 

Unterschenkel 13"  3"  11"  V" 

Was  die  Breite  und  Dicke  betrifft,  so  lässt  sich  diese 
nicht  nach  bestimmten  Regeln  ermitteln  und  ihre  Proportion 
ist  sehr  schwankend. 

Männer     Weiber 

Grösste  Breite  des  Kopfes  dicht  über 

den  Ohren 6"  5     6" 

Dicke  von  der  Stirne  zum  Hinterhaupte  7"  6"  6"' 

Breite  in  der  Augengegend     ...  5'  4"  7" 

Hievon  kommt  ein  Theil  auf  die  Breite  der  Nasenwur- 
zel, bis  zum  innern  Augenwinkel,  der  2.  und  3.  Theil  auf 
die  Augenlidspalten  ,  der  4.  und  5.  auf  die  Schläfen. 

Männer     Weiber 

Die  Breite  der  Wangen  in  der  Höhe 

der  Nasenflügel  beträgt      .  •   .     .       4"  2"       3"  9" 


Männer 

Weiber 

5"  6"' 

5 

4" 

3*  9 ' 

9 "  6 

8"  6'" 

10''  6  ' 

9     6" 

14 

12     6 

67 

Zwei  von  den  inneren  Augenwinkeln  abwärts  gezogene 
senkrechte  Linien  schliessen  die  Basis  der  Nase  mit  den  Flü- 
geln derselben  zwischen  sich  ein. 

Breiten-Durchmesser  dicht  vor  den  Oh- 
ren an  der  Wurzel  der  Jochbögen 

Der  Hals  ist  so  breit  und  so  dick,  wie 
eine  halbe  Kopthöhe 

somit  Breite  der  Brust  in  der  Höhe  der 
Achselgruben 

Breite  in  der  Gegend  der  7.  u.  8.  Rippe     10"  6 

Von  einer  Schulterhöhe  zur  andern 

Breite  des   Bauches  in   der  Höhe  der 

Hüftbeinkämme 11"  10"  6" 

Beckenbreite  von  einem  Trochanter  zum 

andern 11"  6"  11"  6" 

Die  Dicke  des  Oberarmes  verhält  sich  zu  dessen  Breite 

wie  2  :  l'/2 ,  die  des  Fusses  wie  1 :  2. 

Findet  man  nun  durch  die  Ergebnisse  der  Messung, 
welche  entweder  nur  obenhin  durch  das  Augenmaass  ge- 
schieht ,  oder  als  eigentliche  Mensuration  durch  Instrumente 
vorgenommen  wird,  ein  die  Räumlichkeit  oder  das  Gewicht 
betreffendes  Symptom,  das  entweder  durch  seine  Bedeutsam- 
keit oder  Ungewöhnlichkeit  auffällt,  so  handelt  es  sich  darum, 
zu  beurtheilen,  ob  dasselbe  constant  oder  zeitweilig  besteht, 
ob  es  zu-  oder  abnimmt,  in  welchem  Grade  und  welcher  Ex- 
tension dasselbe  sich  kund  gibt,  und  in  welchem  Zusammen- 
hange es  mit  andern  krankhaften  Erscheinungen  stehe. 

Im  Allgemeinen  magern  Kranke  häufiger  ab ,  als  sie 
an  Umfange  gewinnen ,  und  die  Volumszunahme  ist  oft  nur 
partiell  (z.  B.  bei  Ascites).  Abmagern  ,  das  eine  länger 
dauernde  Kränklichkeit  begleitet ,  ist  meist  durch  ein  tiefe- 
res Leiden  eines  wichtigen  innern  Organes  bedingt;  verzehrt 


68 

sich  der  Organismus  schnell,  so  ist  eine  ungünstige  Pro- 
gnose zu  stellen.  Die  Ursachen  der  Abmagerung  sind  sehr 
verschieden ,  Consumtionskrankheiten ,  Erlöschen  der  Ge- 
schlechtsfunction ,  eingreifende  Verdauungsstörungen,  De- 
primentia,  Ausschweifungen,  Missbrauch  von  Säuren,  Blei, 
Jod,  Metallpräparaten  u.  s.  w. 

In  vielen  Fällen  ist  die  Abmagerung  partiell,  oder  beob- 
achtet eine  gewisse  Reihenfolge  in  Ergreifung  verschiedener 
Provinzen  des  Organismus.  So  magern  bei  Scrophula  mese- 
raica ,  bei  Rückenmarksleiden ,  chronischer  Darmverschwä- 
rung  die  Füsse  auffallend  ab  •,  so  schreitet  bei  Diabetes  die 
Abmagerung  von  den  Füssen  zuweilen  nach  aufwärts  fort. 
In  der  Lungentuberculose  schwindet  die  Gegend  um  die 
Schlüsselbeine,  und  die  obern  Extremitäten  werden  schmächtig. 

Die  Wohlbeleibtheit  ist  immer  bei  Kindern  und 
Frauen  häufiger  als  bei  Männern. 

Zunahme  des  Umfang  es  des  ganzen  Körpers 
oder  eines  grösseren  Abschnittes  desselben  bemerken  wir 
zuweilen  bei  allgemeiner  Plethora,  Fettsucht,  Ödem,  Haut- 
wassersucht ,  in  manchen  Fällen  von  Chlorose  und  dem 
selten  beobachteten  ausgebreiteten ,  oberflächlichen  Em- 
physeme. 

Das  Kl  ein  bleiben  ist  ein  Fehler  der  Entwicklung 
(z.  B.  bei  Rachitis),  und  nicht  mit  Klein  werden  zu  ver- 
wechseln ,  das  durch  Alter ,  Nachlass  der  Kräfte  ,  vorwärts 
gebeugte  Haltung,  Leiden  der  Gelenkköpfe  und  Zwischen- 
knorpel zu  Stande  kömmt.  Hier  ist  auch  der  nicht  selten 
zu  beobachtenden  Verkürzung  einer  Extremität  zu  erwähnen, 
die  entweder  scheinbar  oder  wirklich ,  und  häufig  Beglei- 
terin der  Coxalgie  ist. 

Vergrösserung  des  Körpers  ist  meist  nur  schein- 
bar ,  wie  es  in  der  Reconvalescenz  nach  mit  Abmagerung 
verbundenen  Krankheiten  der  Fall  ist,  oder  sie  ist  wirklich, 
durch  schnelles  Wachsthum  bedingt.  Theilweise  Verlänge- 
rung, z.  B.  des  Thorax,  wird  in  Brustkrankheiten,  schein- 


59 

bare  oder  wirkliche  Längenzunahme  der  Extremitäten  inAr- 
throcace  etc.  beobachtet. 


Ton  der  Palpation  im  Allgemeinen. 

Durch  den  Tastsinn  erkennen  wir  die  Form  von  krank- 
haft veränderten  Körpertheilen  ,  wo  die  Besichtigung*  dieser 
allein  nicht  hinreicht,  zu  erkennen,  wie  dieselbe  beschaffen 
sei,  ob  begränzt  oder  im  Umfange,  wie  verwaschen  endigend 
(Ödem,  oberflächliches  Emphysem)  ,  rund,  oval  oder  eckig; 
ob  sie  regelmässig  oder  irregulär  gefunden  werde;  ob  die 
untersuchten  Theile  glatt  und  eben,  oder  rauh,  uneben,  höckerig 
seien  (Krebsmassen) ;  ob  eine  vorhandene  Geschwulst  aus  einem 
Stücke  bestehe ,  oder  ob  man  davon  mehrere  Abschnitte,  die 
zuweilen  mit  einander  zusammenhängen  ,  fühlen  könne ,  und 
wie  weit  sich  eine  Anschwellung  verfolgen  lasse  (Entzün- 
dung der  Lymphgefässe ,  Neurome  am  Vagus)  u.  s.  w. 

Dem  Tastsinne  liegt  es  ferner  ob,  über  die  Resistenz 
und  Elasticität  der  Theile  zu  urtheilen ;  die  Geschwulst 
beim  Rothlaufe  findet  man  z.  B.  meistens  elastisch.  Von  dem 
Widerstände ,  den  der  klopfende  Finger  beim  Percutiren  er- 
fährt ,  handelt  der  der  Percussion  gewidmete  Abschnitt.  Die 
Palpation  findet  die  zu  untersuchende  Partie  hart  oder  weich 
und  beim  Drucke  nachgiebig,  den  Fingereindruck  längere 
Zeit  behaltend  (Anasarca,  Ödem),  teigig  oder  elastisch  ge- 
spannt (entzündliche  Geschwulst ,  Abscesse)  oder  schlaff, 
wie  bei  Polypen.  Zwischen  den  genannten  Qualitäten  des 
Getastes,  gibt  es  viele  Zwischenstufen ;  so  ist  z.  B.  die  Ge- 
schwulst bei  Brightischer  Wassersucht  wohl  teigig,  aber 
doch  mehr  gespannt  und  resistent,  als  bei  gewöhnlicher 
Anasarca,  so  ist  sie  bei Induratio  textus  cellulosi  härter  als 
beim  Ödem.  Emphysem  der  Haut  ist  weich,  elastisch,  be- 
hält den  Fingerdruck,  und  erregt  dabei  die  Empfindung  eines 
eigenen  knisternden  Gefühles. 


60 

Durch  die  Anwendung;  der  Fingerspitzen  erkennen  wir 
ferner,  ob  eine  Geschwulst  beweglich,  verschiebbar  ist  oder 
nicht ,  ob  sie  zusammengedrückt  werden ,"  und  ihr  Gehalt 
nach  einer  Seite  entweichen  kann ,  z.  B.  Hautemphysem, 
Congestionsabscesseu.  s.  w.  Eine  Art  von  künstlich  in  einer 
untersuchten  Stelle  hervorgerufener  Bewegung  ist  ferner  die 
Fluctuation. 

Ist  eine  kleine  Stelle  ,  z.  B.  ein  Abscess  auf  die  Flu  c- 
tuation  zu  untersuchen,  so  stellt  man  die  Spitzen  der  bei- 
den Mittelfinger  auf  die  Geschwulst  und  drückt  abwechselnd 
damit.  Während  nun  der  Eine  derselben  niederdrückt ,  so 
bekommt  der  andere  das  Gefühl ,  als  würde  er  emporgeho- 
ben. Ist  die  Geschwulst  keine  von  den  kleinen ,  so  thut  man 
gut,  die  Finger  einer  Hand  an  ein  Ende  derselben  zule- 
gen ,  um  die  durch  Klopfen  mit  der  anderen  Hand  in  Bewe- 
gung gesetzte  Flüssigkeitswelle  anprallen  zu  fühlen. 

Ist  die  Flüssigkeit  in  einer  grösseren  Höhle ,  z.  B.  in 
der  Bauchhöhle,  so  kann  man  dieselbe  Explorationsmethode 
anwenden,  so  wie  auch  nach  der  Weise  Tarral's  die  so- 
genannte peripherische  Fluctuation  hervorrufen. 
Derselbe  empfiehlt  die  tastende  Hand  auf  die  gewöhnliche 
Weise  auf  einer  Seite  des  Bauches  anzulegen  und  mit  den 
Fingern  der  andern  schnellend  oder  schnipsend  an  der  gegen- 
über liegenden  Seite  zu  klopfen.  Diese  Untersuchungsweise 
gewährt  den  Vortheil,  dass  die  sehr  geringe  Bewegungsich 
nur  der  Flüssigkeit,  nicht  aber  den  etwa  vorhandenen  Fettmas- 
sen oder  Geschwülsten  mittheilt ,  welche  durch  stärkeres 
Anklopfen,  wie  es  auf  die  gewöhnliche  Weise  geschieht,  in 
Schwingung  versetzt ,  diese  der  angelegten  Hand  zuweilen 
auf  eine  täuschende  Weise  als  Empfindung  von  Fluctuation 
überliefern ,  ohne  dass  Flüssigkeit  vorhanden  ist.  Glaubt 
man,  dass  freie  Flüssigkeit  angesammelt  sei,  so  ist  es  bis- 
weilen möglich ,  sich  über  ihre  Gegenwart  dadurch  zu  ver- 
gewissern ,  dass  man  sie  ihren  Ort  wechseln  lässt , 
und  an  jeder   Stelle   aufs  iVeue    Fluctuation    hervorzurufen 


61 

sucht.  Zu  dem  Ende  untersuche  man  den  Kranken  sowohl 
stehend,  als  am  Rücken  liegend,  als  auf  die  Knie  und  Ellbo- 
gen gestützt,  wobei  die  Flüssigkeit,  die  den  Gesetzen  der 
Schwere  zu  Folge,  immer  den  am  tiefsten  gelegenen  Ort 
einnimmt,  unter  verschiedenen  räumlichen  Verhältnissen  ge- 
prüft werden  kann. 

Hier  erwähnen  wir  auch  die  Succussion  des  Kran- 
ken ,  wodurch  man ,  wenn  in  einer  Höhle  freie  Flüssigkeit 
enthalten  ist ,    deren  Bewegung  zuweilen  äusserlich  fühlt. 

Zu  den  eigenen  Sensationen,  die  der  Arzt  erfährt,  wenn 
er  im  zu  untersuchenden  Theile  Bewegung  hervorruft,  ge- 
hört das  schon  angeführte  Knistern  beim  Hautemphyseme 
und  das  Crepitiren  der  Knochenenden  bei  Beinbrüchen, 
wenn  man  sie  durch  Bewegung  übereinander  gleiten  lässt. 

Durch  die  Palpation  wird  ferner  erkannt,  ob  die  zu  un- 
tersuchende Stelle  trocken  ist,  und  zwar  vielleicht  in  dem 
Grade,  dass  sie  beim  Darüberstreifen  der  Hand  rauscht,  oder 
ob  sie  feucht ,  selbst  nass  gefühlt  wird.  Die  dabei  an  den 
Fingern  haftende  Feuchtigkeit  (Schweiss ,  Schleim ,  Blut) 
ist  entweder  klebrig  oder  nicht,  dünnflüssig,  viseid  oder 
fettig ,  was  theils  durch  Zusammendrücken  derselben  zwi- 
schen den  Spitzen  des  Daumens  und  Zeigefingers  erkannt 
wird ,  oder  sich  durch  das  eigene  nicht  näher  zu  beschrei- 
bende Gefühl  kund  gibt.  Dass  auch  die  Inspection  dabei  zu 
Rathe  gezogen  werden  muss  ,  um  über  die  Dichte  und  Con- 
sistenz  der  an  den  Fingern  haftenden  Flüssigkeit  näheren 
Aufschluss  zu  geben,  ist  einleuchtend  ;  manche  Eigenschaf- 
ten des  Schweisses  aber  zu  prüfen ,  fällt  der  chemischen 
Untersuchung  durch  Reagenspapier  u.  s.  w.  anheim. 

Durch  das  Getaste  prüfen  wir  ferner  die  Temperatur 
gewisser  Theile ;  diess  geschieht  gewöhnlich  mit  der  Hand, 
in  selteneren  Fällen  muss  wohl  das  Thermometer  zu  Hilfe 
genommen  werden. 

Die  untersuchende  Hand  sei  dabei  massig  erwärmt,  da 
das  Betasten  mit  einer  zu  kalten  Hand  sowohl  dem  Kranken 


m 

lästig*  fällt,  als  auch  durch  den  Temperatursunterschied  bei- 
der leicht  Täuschung  verursacht  werden  kann.  Aus  dem  letz- 
teren Grunde  soll  auch  der  Arzt ,  so  lange  er  noch  zu  sehr 
erhitzt  ist ,  keine  Untersuchung  vornehmen. 

Die  Untersuchung  mittelst  des  Thermometers  ge- 
schieht durch  Aufsetzen  der  Quecksilberkugel  eines  gewöhn- 
lichen Reaumurischen  Instrumentes  auf  die  Hautfläche  oder 
durch  Einsenken  derselben  in  die  zu  untersuchende  Körperhöhe 
und  Ablesen  des  betreffenden  Temperaturgrades  an  der  Scala. 

Durch  thermometrische  Untersuchungen  ergab  sich,  dass 
in  gesunden  Individuen  die  Temperatur  in  der  Achselgrube 
und  Leistengegend  constant  höher  sei,  als  an  den  übrigen 
Stellen  des  Körpers,  die  Wärme  in  der  Vagina  aber  stets 
grösser  sich  zeige  ,  als  selbst  in  der  Achselhöhle.  Sie  be- 
trägt daselbst  29-30°,  im  Munde  24—32°,  amEpigastrium 
26-31'/,°,  in  der  Hohlhand  18'/— 29°.  Die  Temperatur  der 
Kinder  ist  nach  Edwards  um  1 — l1/,  Grade  geringer  als 

die  der  Erwachsenen.  Eben  so  findet  man  auch  bei  Greisen  eine 

« 
um  1  —  2°   niedere  Temperatur.  Nach  Autenrieth  ist  sie 

im  Schlafe  und  des  Morgens  um  1 — '/3°  geringer  als  zu  je- 
der anderen  Zeit. 

In  Krankheiten  wird  die  Temperatur  gewöhnlich  geän- 
dert ,  und  ist  die  Vertheilung  der  Wärme  auch  von  verschie- 
denen Körpertheilen  eine  differente,  so  sind  z.  B.  im  hecti- 
schen  Fieber  die  Handteller  undFusssohlen  auffallend  heiss ; 
man  muss  daher  jedesmal,  wenn  man  die  Hautwärme  unter- 
sucht, an  verschiedenen  Körperstellen,  am  Kopfe  so  wie 
an  den  Extremitäten  zufühlen.  Die  eigene  Empfindung,  ob 
die  Hitze  eine  trockene  oder  feuchte ,  eine  angenehme  oder 
unangenehme,  stechende  Qcalor  mordax)  ist,  kann  man 
nur  durch  die  aufgelegte  Hand ,  nie  aber  durch  das  aufge- 
setzte Thermometer  ermitteln.  Die  beissende  Hitze  charac- 
terisirt  sich  dadurch;  dass  die  Wärme  bei  längerem  Ver- 
weilen der  aufgelegten  Hand  unter  derselben  zuzunehmen 
scheint ,  und  in  dieser  eine  eigene ,  prickelnde  Empfindung 


63 

erzeugt,  wahrend  sie  auf  dem  Instrumente  eine  von  der 
normalen  Temperatur  nur  unbedeutend  abweichende  Verän- 
derung hervorbringt.  Unter  allen  Krankheiten ,  welche  mit 
Wärmeverminderu  n  g  verbunden  sind ,  steht  die  Cho- 
lera oben  an;  man  fand  jene  selbst  im  Munde  auf  20 — 18° 
gesunken.  Deprimentia,  phlegmatisches  und  nervöses  Tem- 
perament, Anämie,  Chlorose,  Hydrops,  Cyanose  bewirken 
oft  eine  nicht  unbeträchtliche  Wärmeverminderung. 

Bei  Lähmungen  zeigen  sich  gewöhnlich  die  erkrankten 
Theile  kühler ,  als  die  gesunden.  Man  muss  aber  nicht  ver- 
gessen, dass  hier  nur  von  objectiver  Wärme  die  Rede  ist, 
die  meistens  zur  subjectiven ,  vom  Kranken  empfundenen 
Wärmeveränderung  in  keinem  Verhältnisse  steht.  Doch  fin- 
det man  bei  heftigen  Fieberfrösten  die  thermometrische  Wärme 
gesunken.  Zeigt  sich  erhöhte  Wärme,  so  muss  man 
stets  berücksichtigen,  ob  diese  durch  Aufregung,  Spiri- 
tuosa ,  Verweilen  in  einem  sehr  warmen  Medium  veranlasst, 
oder  von  inneren  constanten  Momenten  bedingt  wird.  Im 
Hitzestadium  vom  Fieber  kann  die  Wärmeerhöhung  erstaun- 
lich werden.  Willan  fand  die  Temperatur  der  Haut  im 
Scharlach  von  110°  bis  112°  (Fahrenheit). 

Aber  nicht  allein  die  angegebenen  physicalischen  Ei- 
genschaften der  Körpertheile  machen  sie  zum  Gegenstande 
der  Palpation.  Dass  durch  Betasten  subjective  Empfindun- 
gen,  Schmerz  u.  dgl.  erregt  werden,  ist  bekannt,  darauf 
näher  einzugehen,  liegt  ausser  dem  Plane  unserer  Abhand- 
lung. Wir  stossen  aber  auf  gewisse  vitale  Bewegun- 
gen, welche  durch  das  Getaste  wahrgenommen  werden,  und 
deren  Erforschung  strenge  unserem  Bereiche  anheimfällt. 

So  fühlt  die  auf  den  Unterleib  einer  Schwangeren  ge- 
legte Hand,  in  der  zweiten  Hälfte  der  Schwangerschaftszeit, 
die  Bewegung  des  Fötus,  besonders,  wenn  man  zu- 
gleich den  Uterus  ballotiren  lässt,  und  die  an  der  ßauch- 
wand  fühlende  Hand  kalt  ist. 


64 

Auf  diese  Untersuchungsweise  werden  wir  übrigens  sei- 
nes Ortes  zurück  kommen. 

Setzt  man  auf  stark  magnetische  Kranke  einen  gewöhn- 
lichen einfachen  Magnetstab,  so  erhält  die  denselben  füh- 
rende Hand  die  Empfindung,  als  ob  der  berührte  Thcil  des 
Kranken  daran  hafte ,  der  auch  nicht  selten  dem  Zuge  des 
Stäbchens  folgt. 

Die  Bewegung  des  normalen  A  t  h  m  e  n  s  ist  der  auf  den 
Thorax  aufgelegten  Hand  durch  ein  nicht  wTohl  zu  beschrei- 
bendes elastisches  Wogen  fühlbar,  daraus  lassen  sich  Ab- 
normitäten des  Athmens ,  seine  Zeit,  seinen  Rythmus ,  seine 
Grösse  u.  s.  w.  betreffend ,  um  so  leichter  bestimmen ,  wenn 
man  dabei  die  Inspection  zu  Rathe  zieht. 

Ein  für  die  Diagnose  der  Brustkrankheiten  sehr  wich- 
tiges Symptom  ist  die  durch  die  Hand  wahrnehmbare  V  ib  ra- 
tio n  der  Thoraxwände  während  des  Sprechens  (Reynaud). 
Besonders  deutlich  stellt  sich  dieses  an  der  Rückenfläche 
der  Brust  dar ,  und  wird  bei  gewissen  Krankheiten  dersel- 
ben vermindert,  ja  selbst  unfühlbar. 

Des  in  der  Herzgegend  zu  beobachtenden  Impulses 
des  Herzens  und  seiner  krankhaften  Veränderungen  wird  im 
Verlaufe  dieser  Blätter  weitläufig  gedacht  werden  ,  ebenso 
des  eigenthümlichen  Schwirren  s,  das  der  aufgelegte  Fin- 
ger über  manchen  Arterien  bei  gewissen  Krankheiten  der 
Circulationsorgane  fühlt. 

Eine  der  wichtigsten  Erscheinungen,  welche  die  Auf- 
merksamkeit des  Diagnostikers  fesseln,  ist  der  Puls  der 
kleineren  Arterien.  Man  beurtheilt  dadurch  den  Zustand  des 
arteriellen  Systems,  Bewegung  und  Vertheilung  des  Blutes. 
Nach  Hamernjk  ist  der  den  Puls  bildende  Arterienschlag 
eine  complicirte  Erscheinung ,  welche  von  der  Forttreibung 
der  Blutwelle  in  den  Arterien  erzeugt  wird,  und  aus  der  Zu- 
nahme des  Umfanges  letzterer,  der  Vermehrung  ihrer  Krüm- 
mung durch  Verlängerung  und  öfters  aus  einer  Lageverän- 
derung derselben  entsteht.  Der  Puls  wird  an  Arterien  gefühlt, 


65 

die  der  Betastung*  leicht  zugänglich  sind,  gewöhnlich  an  der 
Radialarterie  dicht  an  der  Handwurzel,  aber  auch  an  ande- 
ren Stellen,  um  Vergleiche  anzustellen,  oder  wenn  die  ge- 
nannte Schlagader  anomal  verläuft.  Bei  Kindern  werden  die 
Finger  gewöhnlich  an  die  Schläfenarterie  angelegt. 

Man  setzt,  um  den  Puls  zu  fühlen,  die  Spitzen  der 
drei  Mittelfinger  auf  die  Arterie  auf,  und  drückt  mit  abwech- 
selnder Stärke  dieselbe  nieder _,  um  an  ihr  verschiedene 
Eigenschaften  zu  erfahren.  Weder  die  eigene  Hand,  noch  die 
des  Kranken  darf  dabei  in  einer  gepressten  oder  gezwunge- 
nen Stellung  sein,  auch  warte  man  etwas,  nachdem  man 
sich  dem  Kranken  genähert,  mit  dem  Fühlen  des  Pulses,  da 
dieser  sonst,  wegen  der  mit  den  ersten  Momenten  der  Annä- 
herung* verbundenen  psychischen  Aufregung",  beschleunigt 
erscheint.  Eben  so  ist  darauf  Rücksicht  zu  nehmen ,  dass 
manche  Personen  einen  habituell  beschleunigten  Puls  haben. 
Häufig  ist  zu  untersuchen,  ob  die  Propulsivkraft  des  Herzens 
hinreicht,  in  den  peripherischen  Arterien  den  Puls  hervorzu- 
bringen, ob  also  ein  Puls  zu  fühlen  ist  oder  nicht,  wie  es 
in  der  Asphyxie  oder  wegen  localer  Hindernisse  in  den  Ar- 
terien,    z.  B.  Obliteration ,  Gangrän  der  Fall  ist. 

Die  Pulsmesser  QSphygmometer^)  sind  entbehrliche 
Werkzeuge,  da  das  eigene  Gefühl  sich  durch  nichts  ersetzen 
last.  Eine  gute  Secundenuhr  mit  springendem  Secun- 
denzeiger  ist  aber  ein  Instrument ,  das  der  Arzt  immer  mit 
sich  führen  soll,  und  das  auch  die  Zeit  der  Untersuchung 
abkürzt,  indem  die  Zahl  der  binnen  10  Secunden  geschehe- 
nen Pulsschläge  mit  6  multiplicirt ,  der  Summe  ,  welche  auf 
eine  Minute  entfallen  würde  ,  gleichkommt. 

Qualitäten   des    Pulses. 

Man  beobachtet  am  Pulse  cf)  die  Zeit ,  und  zwar  wie 

viel  Schläge  in  der  Minute  erfolgen.  Der  normale  Puls  schwankt 

in  einer  Häufigkeit  von  64 — 80  Schlägen  in  der  Minute ;  72 

ist  also  die  Mittelzahl.   In  Krankheiten  kann  der  Puls  sehr 

Gaal  Diagnostik.  5 


66 


häufig  (frequens).  (Wendt  zählte  seihst  243  Schlä- 
ge in  der  Minute),  oder  selten  (rarus),  wie  hei  Ge- 
hirnkrankheiten, Digitalis-Narcose,  werden.  (Spens  beob- 
achtete seihst  nur  9  Schläge.)  Bei  Kindern  ist  der  Puls 
häufiger ,  als  bei  Erwachsenen ,  doch  hat  man  die  Angaben 
darüber  etwas  übertrieben.  Ein  Puls ,  der  80  Schläge  über- 
schreitet, ist  krankhaft,  120  in  der  Minute  deuten  auf  ein 
heftiges  Fieber.  Folgende  Tabelle  gibt  die  Zahl  der  Puls- 
schläge während  einer  Minute  in  verschiedenen  Lebensjahren 
nach  den  Messungen  verschiedener  Forscher. 

Magen  die     Adelon   Dictionnaire  de  med. 


Geburt  .  .  . 

130- 

-40         130-40 

140 

1.  Jahr  .  .  . 

.      120- 

-30 

120 

— 

2.     »     .  .  . 

100- 

-10 

110 

100 

3.     »     .  .  . 

90- 

-100 

90 

— 

Pubertät  .  . 

80 

90 

Mannsalter 

70 

Greisenalter 

60 

Nach  Guitelet: 

hei  Männern 

bei 

Frauen 

Jahre 

Minimum 

Mittel 

Maxim. 

Mittel 

0 

104     - 

-     136 

—  165 

135 

5 

73     - 

88 

—  100 

— 

10—15 

60     - 

-       78 

—     98 

— 

15—20 

57     - 

-       69,5 

—     90 

78 

20—25 

61     - 

-       69,7 

—     98 

77 

25—30 

59     - 

-       61 

—     90 

72 

30—50 

56     - 

-       70 

—  112 

74,5 

Ferner  beobachtet  man  am  Pulse  die  Zeit,  welche  je- 
der einzelne  Schlag  zu  seiner  Vollendung  braucht;  in  dieser 
Hinsicht  ist  der  Puls  schnell  QcelerJ  oder  langsam 
Qlentus  s.  tardusj.  Es  ist  eben  so  einleuchtend,  dass  der 
Puls  zugleich  schnell  und  selten  sein  könne,  als  dass  man 
ihn  als  lardus  et  rarus  oder  als  schnell  und  häufig  erkennt. 


67 

b)  Kommt  die  räumliche  Ausdehnung  der  Arterie  wäh- 
rend ihrer  Diastole  (Systole  des  Herzens)  in  Betracht.  In  die- 
ser Hinsicht  finden  wir  den  Puls  entweder  gross  (riiagnus), 
oder  klein  Qparvus).  Die  Kleinheit  des  Pulses  wird  durch 
die  Elasticität  der  Arterien  bedingt,  die  sich  nur  so  viel  er- 
weitern, als  es  die  vom  Herzen  getriebene  Blutwelle  erfor- 
dert. Bei  schnellen  beträchtlichen  Ausscheidungen  wird 
somit  der  Puls  klein  ,  und  die  Kleinheit  des  sogenannten 
Pulsus  abdominalis  bei  Peritonäitis  ist  Folge  des  Exsudates 
(Hamernjk). 

c)  Die  in  der  Arterie  enthaltene  Blutmenge  bringt  den 
Eindruck  des  vollen  Qplenus^)  und  des  leeren  (vacuus) 
Pulses  hervor.  Der  Puls  ist  voll,  wenn  auch  während  der 
Systole  der  Arterie  diese  sich  nicht  gänzlich  entleert  5  leer, 
wenn  die  Ader  nicht  rund  gefüllt  wird,  da  selbst  bei  ihrer 
Diastole  sie  von  der  Blutwelle  nicht  vollkommen  ausgedehnt 
wird.  Bei  kräftiger  Herzaction  ist  der  Puls  stark  (forlis), 
im  Gegentheile  wird  er  schwach  Qdebilis').  Der  Widerstand, 
den  die  Ader  dem  gegen  sie  drückenden  Finger  entgegenstellt, 
bestimmt  den  harten  (^durus)  und  den  weich  en  (mollis) 
Puls.  Kann  man  den  Puls  leicht  durch  den  Fingerdruck  un- 
terdrücken ,  ist  aber  der  Durchmesser  der  Arterie  zugleich 
klein,  so  heisst  der  Puls  unterdrückt  (suppressus)  ,  wie 
er  bei  Pneumonie  vorkömmt.  Ein  harter  und  zugleich  grosser 
Puls ,  ist  wie  eine  gespannte  Saite  zu  fühlen  QP.  (ensus.J 
Ein  harter  und  zugleich  kleiner  Puls  zeigt  sich  als  zusam- 
mengezogener (contractus),  wie  bei  Enteritis.  Ein  wei- 
cher und  kleiner  Puls  heisst  faden  förmig  (filiformis) , 
wie  er  in  der  Cholera  und  bei  heftiger  Dysenterie  bemerkt  wird 

f)  Hinsichtlich  des  Rhythmus  der  einzelnen  Schläge  ist 
der  Puls  regelmässig  (regularis)  oder  nicht ,  gleich- 
massig  (aequalis))  oder  er  besitzt  die  entgegengesetzte 
Eigenschaft,  aussetzend  (intermittens),  wenn  nach  eini- 
gen Schlägen  einer  ausbleibt ;  intercurrens,  wenn  eine 
Reihe  regelmässiger  Schläge  von  mehreren  unregelmässigen 

5  # 


68 

Pulsationen  unterbrochen  wird.  Doch  kann  selbst  in  dieser 
Unregelmässigkeit  eine  gewisse  Ordnung  und  Symmetrie  zu 
beobachten  sein.  Ferner  findet  man  den  Puls  doppeis chlä- 
gig  (dicrotus)  ,  wo  zwei  Schläge  schnell  einander  folgen  , 
deren  ersterer  gehaltener,  der  zweite  leichter  ist  ( — „) , 
worauf  eine  längere  Pause  folgt ,  wie  ihn  im  Höhestadium 
von  Krankheiten  und  als  Vorläufer  von  Crisen  schon  Spren- 
gel beobachtet  hat.  Bei  dem  hüpfenden  Pulse  (capri- 
%ans~)  geht  in  dem  Doppelschlage  der  leichtere  dem  gewich- 
tigeren voran  (w — ).  Hamernjik  erklärt  diess  Phänomen 
durch  die  Wahrnehmung  der  Locomotion  der  Arterien  und 
ihres  Zurückspringens  auf  den  früheren  Ort  durch  den  Tastsinn. 

Der  Puls us  myurus  zeigt  eine  Reihe  von  sich  im- 
mer verkleinernden  Pulsschlägen,  bis  wieder  ein  grösserer 
folgt  und  die  ganze  Serie  sich  wiederholt,  und  kommt  zu- 
weilen bei  alten  Leuten,  die  grosse  Arterien  haben,  vor 
(Siebert). 

Dem  eigenen  Gefühle  nach  unterscheidet  man  noch 
einen  wellenförmigen  (undulosus),  zitternden  £for- 
micans  seu  tremulus'),  wurmförmigen,  hinkriechen- 
den (vermicularis)  und  einen  verworrenen  (confusus') 
Puls. 

Viele  von  den  genannten  Verschiedenheiten  sind  nur 
von  untergeordneter  pathologischer  Bedeutung,  und  von  man- 
chen derselben  ist  der  nächste  Grund  sogar  noch  nicht  recht 
erkannt;  die  Meinung  aber  ,  dass  der  Puls  der  Erkrankung 
gewisser  Organe  entsprechende  Eigenthümlichkeiten  dar- 
biete, ist  schon  längst  aufgegeben,  und  dem  zu  Folge  wurden 
die  Benennungen  Cerebral-,  Abdominal-,  Uteri- 
nal-,  Guttural-  und  Nasal  puls  (!)  als  unnützer  Bal- 
last über  Bord  geworfen. 

Je  nach  der  Lage  der  zu  untersuchenden  Theile  ist  die 
Palpation  eine  äussere  oder  eine  innere  (wie  in  der 
Scheide,  dem  Mastdarme).  Sie  geschieht  entweder  mit  blos- 
sen Fingerspitzen  als  unmittelbare  P.,  oder  mittelbar 


69 

durch  verschiedene  Sonden.  Letztere  sind  gleichsam  als 
Verlängerungen  der  Finger  zu  betrachten ,  und  dienen  na- 
mentlich zur  Erforschung  in  Theilen,  wo  die  Finger  entwe- 
der wegen  Enge  des  Canals  nicht  eingebracht  werden  kön- 
nen, oder  wo  dieselben  zu  kurz  sind,  um  die  zu  untersuchende 
Stelle  zu  erreichen.  Da  die  Sonden  somit  ein  verlängertes 
Tastorgan  darstellen,  soll  der  Arzt  durch  Übung  ein  so  fei- 
nes Gefühl  in  ihrer  Handhabung  zu  erlangen  suchen,   dass 

ihm  das  Instrument  fast  dieselben  Aufschlüsse  gewährt ,   die 

* 
ihm  die  Manualuntersuchung  ergeben  würde,  wenn  sie  mög- 
lich wäre. 

Die  Sonden  sind  entweder  vom  Metall  oder  elastisch  zum 
exploratorischen  Zwecke,  aber  immer  an  der  Spitze  mit  einem 
Knöpfchen  versehen.  Sehr  feine  Canäle  werden  durch 
Schweinsborsten  sondirt.  Für  verschiedene  Organe  gibt  es 
verschiedene  Sonden,  z.  B.  Schlund  -  Steinsonden.  Zuwei- 
len dienen  zu  demselben  Zwecke  auch  andere  Instrumente, 
wie  z.  B.  für  die  Harnröhre :  Bougies,  Catheter  etc.  Manche 
Sonden  sind  mit  Modellirwachs  versehen,  um  durch  den  nach 
ihrer  Einbringung  an  denselben  befindlichen  Abdruck  die  Art 
und  die  Entfernung  einer  verengerten  Stelle  u.  dergl.  zu 
bemessen. 

In  allen  Höhlen,  mit  Ausnahme  der  Mundhöhlen,  werden 
sowohl  Finger  als  Sonden  wohl  beöhlt  eingeführt,  um  den 
Untersuchenden  nicht  zu  verletzen.  In  früherer  Zeit  stritten 
namentlich  die  Geburtshelfer,  wie  man  sich  bei  der  Manual- 
untersuchung syphilitischer  Individuen  vor  Ansteckung  ver- 
wahren könne,  und  es  wurde  zu  diesem  Zwecke  auch  das 
unyt.  mercuriale  vorgeschlagen ,  um  sich  damit  die  Finger 
zu  schützen.  Gewöhnliches  Fett  dürfte  aber  denselben  Schutz 
gewähren. 

Sowohl  die  Finger,  als  auch  die  Sonden  dienen  biswei- 
len zurMensuration.  So  ist  die  Hand  einer  der  brauchbarsten 
Beckenmesser  für  den  Geburtshelfer ;  so  gibt  die  Sonde  über 
die  Entfernung  gewisser  pathologischer  Objecte ,  die  Länge 


70 

eines  Hohlganges  etc.  gewünschten  Aufschluss.  Letztere 
kann  man  in  manchen  Fällen  dadurch  bestimmen  ,  dass  man 
die  Spitze  der  eingebrachten  Sonde  etwas  hebt,  und  der 
äusseren  Bedeckung  zu  nähern  sucht,  wo  man  sie  dann  mit 
der  andern  Hand  fühlen  kann.  Will  man  im  Allgemeinen  die 
Länge  eines  Kanals  durch  die  Sonde  ermitteln,  so  bedient 
man  sich  graduirter  Instrumente,  oder  man  setzt  den  Nagel 
des  Daumens  hart  am  Eingange  auf  die  Sonde,  die  man  so 
weit  eingebracht  hat  als  es  ging ,  zieht  solche  heraus,  und 
misst  die  dadurch  angegebene  Länge  mittelst  des  Zollstabes. 

Der  Finger  sowohl,  als  die  Sonde,  werde  um  jeden 
fraglichen  Gegenstand  nach  allen  Seiten  herumgeführt,  letz- 
tere besonders ,  um  die  Art  des  Aufsitzens  einer  Geschwulst 
und  ihrer  Verbindung  mit  dem  Mutterboden  zu  ermitteln,  da 
in  Höhlen  diess  selten  durch  die  Inspection  erkannt  wird. 
Sonden  werden  der  Schonung  des  Kranken  wegen  und  damit 
sie  an  Vorsprüngen  des  zu  untersuchenden  Canales  nicht 
stecken  bleiben,  zwischen  denVolarflächen  des  Daumens  und 
Zeigefingers  in  ihrer  Mitte  gehalten ,  gerne  gelinde  drehend 
eingeführt  ;  die  Untersuchung  daure  nicht  zu  lange ,  zumal 
wenn  sie  schmerzhafte  oder  gereizte  Theile  betrifft,  doch  ist 
eine  gründliche  und  längere  Exploration  einer  öfters  wie- 
derholten vorzuziehen ,  die  wegen  Flüchtigkeit  eine  unsi- 
chere Diagnose  ergab.  Besonders  aufmerksam  untersuche 
man  fistulöse  Geschwüre  und  Wunden,  in  die  vielleicht  Stücke 
des  verletzenden  Körpers  eingedrungen  und  dem  Gesichts- 
sinne nicht  zugänglich  sind.  Von  speciellen  Handgriffen  wird 
übrigens  bei  der  Sondirung  der  einzelnen  Organe  gehandelt 
werden.  Übrigens  lassen  sich  dafür  nicht  sowohl  Vorschrif- 
ten geben ,  als  sie  sich  in  der  Praxis  bei  jedem  einzelnen 
Falle  selbst  dictiren. 

Dass  man  dem  Kranken  zur  Untersuchung  eine  geeig- 
nete Lage  geben  müsse ,  ist  einleuchtend ;  dass  diese  nach 
Umständen  gewechselt  oder  verändert  werden  müsse ,  bedarf 
auch  keines  Beweises.  So  ist  es  oft  zweckmässig,  den  Kran- 


71 

ken  stehend  und  liegend  zu  untersuchen,  ihn  athmen,  spre- 
chen oder  husten  zu  lassen,  z.  B.  bei  der  Diagnose  einer 
Hernie.  Bei  frischen  Verwundungen  ist  es  räthlich  den  Kran- 
ken jene  Stellung*  einnehmen  zu  lassen,  welche  er  im  Augen- 
blicke der  Verletzung  inne  hatte ,  da  man  so  mittelst  der 
Sonde  am  besten  die  Richtung  derselben  zu  verfolgen  im 
Stande  sein  wird. 

Für  die  gewöhnliche  Manualexploration  des  Bauches  ist 
die  Rückenlage  wohl  die  zweckmässigste ,  besonders  wenn 
durch  gleichzeitiges  Anziehen  der  Oberschenkel  die  Bauch- 
decken der  Art  erschlafft  sind  ,  dass  die  untersuchenden  Fin- 
ger ungehindert  selbst  die  Gränzen  tiefer  gelegener  Organe 
umgehen,  undletztere  auf  ihre  palpablen  Eigenschaften  prüfen 
können. 


Von  der  Pereussion  im  Allgemeinen. 

Dieselbe  ist  die  Untersuchungsweise,  welche  durch  An- 
klopfen gewissen  Theilen  der  Körperoberfläche  einen  Schall 
entlockt ,  um  aus  dessen  Beschaffenheit  einen  Schluss  auf 
den  Zustand  der  unterliegenden  Organe  zu  machen. 

Diese  Explorationsmethode  fusst  sich  auf  die  Eigen- 
schaft lufthaltiger,  mit  einer  gewissen  Elasticität  versehener 
Körper,  wenn  sie  durch  Anklopfen  in  Schwingungen  versetzt 
werden ,  je  nach  dem  Luftgehalte  und  der  Schwingungsfä- 
higkeit der  Theile  zu  schallen.  So  klingt  ein  leeres,  d.  i.  nur 
Luft  in  sich  haltendes  Fass  hell  bei  Anklopfen,  ein  mit  Wein 
gefülltes  hingegen  dumpf. 

Geschichtliche  Notizen.  Die  Wiener  Schule 
nennt  mit  Stolz  diese  Explorationsmethode  die  ihre ,  da  sie 
schon  im  Jahre  1761  von  Auenbrugger  in  Wien  erfun- 
den, und  in  der  Neuzeit  daselbst  wesentlich  vervollkommt  ward. 
Freilich  hatten  sich  damals  gegen  die  neue  Erfindung  alle 
Stimmen  erhoben,  und  sie  musste  erst  ins  Ausland  wandern , 
wo  besonders  in  Frankreich  sich  derselben  Rosiere  de  la 


7* 

Chassagne  annahm  und  Corvisart  zur  Würdigung  ihrer 
Wichtigkeit  das  Meiste  beitrug ,  bis  sie  sich  volle  Geltung 
auf.  heimatlichem  Boden  erwarb,  wo  besonders  P.  Frank 
sie  zur  Diagnose  des  Ascites  anwendete.  Unter  jenen,  die 
sich  um  diese  Explorationsmethode  besondere  Verdienste  er- 
warben, ist  vor  Allen  Piorry  zu  erwähnen,  dem  wir  die 
Erfindung  des  Plessimeters  verdanken.  In  der  neuesten  Zeit 
wurden  verschiedene  Percussionshämmer  ersonnen,  die  aber 
fast  alle,  wenn  nicht  zweckwidrig,  doch  wenigstens  nutz- 
los sind.  Der  beste  unter  ihnen  ist  der  von  Win  terich  er- 
fundene und  im  Jahre  1841  in  derBerl.  med.  Central-Zeitung 
beschriebene.  Dass  jedoch  bei  Anwendung  derselben  das 
eigenthümliche  Gefühl  des  Widerstandes ,  das  nur  der  klo- 
pfende Finger  erfährt,  mangelt,  leuchtet  von  selbst  ein. 

Nutzen.  Es  möchte  nicht  mehr  fruchtbringend  sein, 
diese  Untersuchungsmethode  auf  Kosten  der  andern  zu  er- 
heben, als  zwischen  ihnen  Parallelen  ziehen  zu  wollen.  Über 
ihren  hohen  Werth ,  besonders  wenn  sie  mit  andern  Unter- 
suchungsweisen, namentlich  der  Auscultation,  Hand  in  Hand 
geht ,  ist  in  unseren  Tagen  Niemand  mehr  in  Zweifel ;  und 
sie  ist  es,  welche  nicht  allein  bei  Brustkrankheiten,  sondern 
hauptsächlich  bei  der  Erforschung  dunkler  Leiden  des  Unter- 
leibes ihren  Nutzen  so  einleuchtend  beurkundet.  Exudate  pla- 
stischer Art  in  der  Bauchhöhle  ,  Volumskrankheiten  der  Le- 
ber, der  Milz,  des  Uterus  etc.  können  nur  durch  die  Percus- 
sion  zur  Evidenz  erwiesen  werden;  dieselbe  kann  den  Sitz 
von  Fäcalmassen  in  den  Gedärmen  darthun  und  ihrer  Ortsver- 
änderung von  Tag  zu  Tage  folgen;  sie  zeigt  für  den  hohen 
Blasenschnitt  die  Stelle  ,  wo  die  ausgedehnte  Harnblase  an 
der  Bauchwand  anliegt ,  warnt  vor  daselbst  vorgelagerten 
Darmschlingen ,  und  ist  unentbehrlich  für  die  Diagnose  der 
Schwangerschaft  und  der  Puerperalkrankheiten. 

Wohl  ist  man  bei  Würdigung  der  Percussion  zu  weit 
gegangen ,  und  hat  sie  entweder  nur  einseitig  cultivirt  oder 
überschätzt.  Was  kann  sie  z.  B.  bei  Gehirnkrankheiten  lei- 


73 

sten  und  wer  möchte  gleich  schon  nach  der  ersten  Gabe  Chi- 
nin im  Wechselfieber  auf  eine  durch  das  Plessimeter  nach- 
weisbare Verkleinerung  der  Milz  hoffen?  Die  Percussion 
allein ,  so  hohen  Werth  sie  auch  immer  für  die  Diagnostik 
habe,  gewährt  keine  sicheren  Resultate,  von  ihr  allein  muss 
man  auch  nicht  alles  erwarten ,  und  soll  sie  fruchtbringend 
sein,  so  muss  man  sie  mit  den  übrigen  Untersuchungsweisen, 
besonders  mit  der  Auscultation  im  Bunde  anwenden,  und 
eine  durch  die  andere  controlliren ,  denn  ohne  Zusammen- 
wirken der  äussern  Sinne  und  des  vereinenden  Geistes  beruht 
die  Diagnose  nur  auf  unsicherem  Grunde. 

Anwendungs  weise.  Die  Percussion  geschieht  durch 
das  Anklopfen  entweder  auf  das  vordere  Glied  eines  unterleg- 
ten Fingers  der  andern  Hand  ,  oder  auf  das  Plessimeter. 

Die  erstere  Weise  ist  vorzuziehen :  Wenn  es  sich  um 
die  Untersuchung  einer  sehr  kleinen  unterliegenden  Partie 
handelt,  ferner  in  der  Herzgegend,  bei  sehr  mageren  Indi- 
viduen mit  weiten  eingesunkenen  Zwischenrippenräumen , 
auf  dem  Schlüsselbeine  und  auf  einem  verbildeten  Sternum 
um  dessen  Vertiefung  oder  dessen  Vorsprung  untersuchen 
zu  können. 

Des  Plessimeters  bedienen  wir  uns  an  der  Rückenflächc 
des  Thorax  jederzeit,  ferner  zur  Untersuchung  des  Bauches, 
bei  musculösen,  fetten  Individuen ,  bei  vollbusigen  Frauen 
und  um  auch  den  Widerstand,  den  der  anklopfende  Finger 
erfährt ,   als  diagnostisches  Zeichen  zu  benützen. 

Das  Plessimeter  ist  eine  elfenbeinerne  Scheibe  von  der 
Grösse  und  Dicke  eines  österreichischen  Guldenstückes  ,  mit 
aufgeworfenem  Rande.  Ist  es  zu  dünn ,  so  wird  der  Percus- 
sionston  unrein,  ist  es  zu  dick,  so  muss  man  zu  stark  klo- 
pfen und  verändert  dadurch  die  Qualität  des  Percussions- 
schalles.  Grössere  Plessimeter  können  nicht  an  allen  Stellen 
des  Körpers  angewendet  werden. 

Beim  Percutiren  wird  das  Plessimeter  (lach  und  gleich- 
massig  auf  den  zu  untersuchenden  Thcil  aufgedrückt ,  und 


74 

in  dieser  Lage  durch  den  aufgeworfenen  Rand  zwischen  dem 
Daumen  und  dem  Zeigefinger  der  linken  Hand  erhalten.  Mit 
dem  rechtwinkelig  gekrümmten  Zeige-  oder  Mittelfinger  der 
rechten  Hand,  dessen  Nagel  wohl  abgeschnitten  sein  muss, 
da  sonst  ein  Klappern  entsteht ,  wird  nun  massig  stark  auf 
das  Plessimeter  geklopft ,  ohne  aber  dabei  den  Arm  ausser 
im  Handwurzelgelenke  zu  bewegen ,  oder  mit  den  Fingern 
zu  stossen.  Man  kann  auch  mit  zwei  oder  drei  in  einen  Keil 
vereinigten  Fingern  klopfen  ,  allein  der  dadurch  hervorgeru- 
fene Schall  wird  unrein  und  pelzig,  auch  möchte  die  Kraft, 
die  ein  einzelner  Finger  besitzt,  wohl  hinreichen,  einen  deut- 
lichen Percussionsschall  zu  erregen.  Die  einzelnen  Schläge 
sollen  nicht  zu  schnell  aufeinanderfolgen ,  um  den  Schall- 
schwingungen Zeit  zum  Auslaufen  zu  gönnen  und  nicht  den 
Schall  zu  verwirren.  Nach  jedem  einzelnen  Anschlag  ist  der 
Finger  gleich  schnellend  aufzuheben ,  ausser  man  wollte  aus 
der  sich  in  demselben  entwickelnden  unangenehmen  Empfin- 
dung einen  Schluss  auf  den  Widerstand  und  die  Dichte  der 
zu  untersuchenden  Organe  machen.  —  Hat  man  oberflächliche 
Theile  zu  untersuchen ,  so  setze  man  das  Plessimeter  leicht 
auf;  tiefer  gelegenen  Organen,  z.  ß.  in  der  Bauchhöhle  be- 
findlichen, sucht  man  durch  möglichst  tiefes  Eindrücken  das 
Plessimeter  näher  zu  bringen. 

Der  Kranke  nehme  zur  Untersuchung  eine  so  viel  als 
möglich  bequeme  Stellung  ein ,  und  erschlaffe  die  Muskeln , 
welche  die  fragliche  Stelle  bedecken;  so  empfiehlt  sich  für 
die  Untersuchung  des  Rückens  eine  sitzende  Stellung  mit 
vorgebeugtem  Kopfe,  die  Arme  auf  der  Brust  gekreuzt,  und 
beide  Hände  auf  die  Achseln  gelegt;  die  Untersuchung  des 
Unterleibes  wird  durch  Erschlaffung  der  Bauchdecken  mit  an- 
gezogenen Schenkeln  wesentlich  befördert.  Ist  die  obere 
Schlüsselbeingegend  zu  untersuchen  ,  so  muss  der  Kranke 
den  Kopf  nach  der  entgegengesetzten  Seite  wenden.  Zur  Un- 
tersuchung der  Seitengegenden  des  Thorax  lasse  man  den 
Kranken  eine  entsprechende  Seitenlage  annehmen,  und  nach 


75 

Bedarf  einen  Arm  über  den  Kopf  legen.  Die  zu  prüfenden 
Theile  müssen  entweder  nackt  oder  nur  mit  dem  Hemde  be- 
deckt sein  ,  dickere  Kleidungsstücke  verändern  den  durch 
die  Percussion  gewonnenen  Schall. 

Räthlich  ist  es ,  am  Thorax  immer  beide  Seiten  verglei- 
chungsweise  zu  percutiren ,  denn  nur  so  werden  kleine 
Schallverschiedenheiten  wahrnehmbar,  die  sich  sonst  der 
Beobachtung,  besonders  Ungeübter,  entziehen. 

Eigenschaften  des  Percussionsschalles. 
Derselbe  ist  entweder  voll  oder  leer,  hell  oder  dumpf, 
hoch  oder  tief,  oder  er  hat  besondere  Qualitäten  an  sich, 
wie  den  ty  mp  an  itis  chen  ,  den  metallischen  Klang 
oder  er  erscheint  als  Geräusch  des  gesprungenen  To- 
pfes, oder  durch  die  Zähne  gezogenen  Spei- 
chels und  als  Hydatidenton.  Der  Begriff  von  Völle 
des  Schalles  ist  aus  dem  gemeinen  Leben  bekannt  und 
lässt  sich  so  wenig  in  Worten  ausdrücken  als  das,  was  man 
an  der  Stimme  eines  Sängers  mit  dem  Beiworte  sonor  bezeich- 
net (Sonus  plenus  sive  sonorusj.  Er  ist  etwas  länger  an- 
haltend, und  deutet  auf  Reichthum  an  schwingungsfähigen , 
lufthaltigen  Theilen.  Der  leere  Schall  ist  kurz,  seine 
Schwingungen  gehen  bald  zu  Ende,  da  er  nur  durch  eine 
kleine  Menge  lufthaltiger  Theile  erzeugt  wird  QSonus  va- 
cuusj.  Die  Begriffe  von  hellem  (s.  clarusj  und  dumpfem 
oder  gedämpftem  Schalle  (s.  obtusus)  dürfen  mit  denen  von 
voll  und  leer  nicht  verwechselt  werden,  wiewohl  die  ge- 
nannten Arten  des  Percussionsschalles  selten  von  einander 
getrennt  vorkommen. 

So  erhalten  wir  eine  n  vollen  und  zugleich  hel- 
1  e  n  Percussionsschall  bei  hinreichender  Elasticität  der 
schwingenden  und  Leitungsfähigkeit  der  benachbarten  Theile, 
z.  B.  im  Normalzustande  des  Lungenparenchyms  bei  bieg- 
samen Rippenwandungen,  im  ausgebreiteten  vesiculärenEm- 
physeme. 

Der  Schall  wird  gedämpft,    bleibt  aber  noch  voll, 


7« 

wenn  zwischen  dem  lufthaltigen  Organe  ein  nicht  lufthaltiges 
Stratum  liegt ,  wodurch  sowohl  die  nöthige  Stärke  des  An- 
schlages gebrochen  ,  als  die  Leitung  des  Schalles  gestört 
wird,  da  er  ein  Mittel  von  verschiedener  Consistenz  passi- 
ren  muss ,  z.  B.  bei  beginnender  nach  aussen  gelegener 
Pneumonie,  bei  kleinen  pleuritischen  Exsudaten  ,  bei  Verdi- 
ckung der  Pleura  etc. 

Leer  aber  hell  wird  der  Percussionsschall ,  wenn 
nur  wenige  und  auf  einen  kleinen  Raum  beschränkte  schwin- 
gungsfähige Theile  zum  Schallen  gebracht  werden  ,  wobei 
dieselben  auch  schnell  zur  Ruhe  kommen,  so  klingt  z.  B.  die 
unter  einer  dünnen  biegsamen  Brustwand  gelegene ,  nur 
kleine  Parthie  lufthaltiger  Lunge,  während  diese  ringsum 
luftleer  ist ,  hell  und  leer;  eben  so  ist  der  Schall  einer  luft- 
haltigen Lungenpartie ,  deren  unterer  Theil  entweder  durch 
pleuritisches  Exsudat  comprimirt  oder  durch  Hepatisation  oder 
tuberculöse  Infiltration  luftleer  geworden  ist. 

Ist  aber  das  Lungenparenchym  vollkommen  luftleer  ge- 
worden ,  oder  wird  die  Percussion  über  schon  im  Normalzu- 
stande luftleeren  Organen  angestellt ,  z.  B.  der  Leber ,  der 
Milz,  so  erhält  man  einen  vollkommen  leeren  und 
dumpfen  Percussionsschall,  um  so  mehr,  da  die  Elasti- 
cität  derselben  nur  eine  geringe  ist. 

Die  Höhe  oder  Tiefe  des  Percussionsschalles  hängt 
von  zu  vielen  noch  nicht  bestimmt  erkannten  Umständen  ab , 
als  dass  man  dieser  Eigenschaft  einen  besonderen  diagnosti- 
schen Wcrth  beilegen  dürfte.  Wohl  scheinen  zuweilen  luft- 
haltige grössere  Räume  einen  tieferen  Schall  zu  geben ,  als 
kleine  und  enge-,  doch  findet  diess  nicht  immer  Statt,  und 
hängt  häufig  von  der  Beschaffenheit  der  umgebenden  Theile 
ab.  So  fand  sich  bei  Sarcocele  vollkommen  matter  und  dum- 
pfer Percussionsschall ,  durch  Gegenwart  einer  Hernie  ward 
letzterer  zuweilen  voller  und  zugleich  hoch ,  wenn  die  Vor- 
lagerung klein  war ,  tief  wenn  sie  grosse  lufthaltige  Darm- 
stücke enthielt. 


77 

Aus  Obigem  ist  ersichtlich ,  dass  fast  alle  genannten 
Schöllverschiedenheiten  sich  mit  einander  verbinden ,  und 
dass  man  kaum  eine  einzelne  davon  an  einem  Organ  vorkom- 
mend finden  kann.  Siebert  hat  in  seiner  Technik  der  Diag- 
nostik beispielsweise  eine  Tabelle  zusammengestellt,  welche 
derlei  Schallcombinationen  anschaulich  macht.  Auf  die  Un- 
terscheidung des  oberflächlichen  und  des  aus  der 
Tiefe  kommenden  Percussionsschalles  lege  ich  weniger 
Gewicht ,  da  die  Beurtheilung  der  Entfernung  des  Schalles 
weniger  von  seiner  Qualität,  als  von  Berücksichtigung  der 
mehr  oberflächlichen  oder  tieferen  Lage  des  percutirten  Or- 
ganes  abhängt,  und  jeder,  der  nicht  weiss,  welches  Organ 
percutirt  wird  und  mit  geschlossenen  Augen  einer  Untersu- 
chung durch  das  Plessimeter  beiwohnt,  meistens  den  stärke- 
ren und  helleren  Percussionston  für  den  näheren,  den  schwä- 
cheren und  gedämpften  für  den  entfernteren  halten  wird. 

Der  tympanitische  Schall  ist  nur  solchen  Thei- 
len ,  welche  unter  dünnen  und  biegsamen  Bedeckungen  lie- 
gen, zu  entlocken.  Seine  Entstehung  scheint  in  einer  gewis- 
sen Gleichartigkeit  der  Schallschwingungen  in  dem  erkrank- 
ten Organe ,  verbunden  mit  Abwesenheit  von  Spannung  in 
den  über  dem  untersuchten  Organe  gelegenen  Bedeckungen 
ihren  Grund  zu  haben. 

Wir  erhalten  den  tympanitischen  Schall  aus  grossen  luft- 
haltigen Räumen ,  z.  B.  im  Pneumothorax,  aus  dem  Magen 
oder  den  von  Gas  aufgetriebenen  Gedärmen ,  selbst  wenn 
ziemlich  viel  Flüssigkeit  im  Bauche  enthalten  ist,  unter  der 
Bedingung ,  dass  die  Bedeckungen  darüber  nicht  gespannt 
sind;  würde  man  die  Bauchwand  über  dem  Magen  straff  an- 
ziehen ,  so  könnte  es  geschehen ,  dass  man  keinen  tympani- 
tischen Schall  durch  das  Percutiren  bekommt.  Im  ausgebrei- 
teten Emphyseme  ist  der  Schall  nur  dann  tympanitisch,  wenn 
die  Lungenbläschen  paralysirt  sind,  und  ihre  Spannung  ver- 
loren haben.  In  den  obengenannten  Fällen  ist  der  Percussions- 
schall  zugleich   voll.   Tympanitisch  und   leer  wird  er  aber 


78 

sein  in  der  Nähe  von  Hepatisation  der  Lunge  oder  von  Tuber- 
kelinfiltrat ,  wenn  die  angränzenden  Stellen  von  Emphyseme 
aufgebläht  sind,  bei  Compression  der  Lungen  durch  pleuri- 
tisches  Exsudat  über  demselben .  und  wenn  der  Luftgehalt 
der  Lunge  etwas  vermindert  i:-t .   z.  B.  bei  dem  Lungenödem. 

Zuweilen  verbindet  sich  mit  dem  Percussionstone  ein 
metallischer  Klang,  ähnlich  dem,  den  man  durch  An- 
klopfen an  leere  Fässer  erhält  oder  der  die  Stimme  in  leeren 
grossen  Zimmern  begleitet.  Man  vernimmt  ihn  beim  Pneumo- 
thorax ,  über  der  halb  erfüllten  Urinblase,  über  dem  Magen 
bei  starkem  Anschlage,  über  einem  lufthaltigen  Darmstücke, 
das  rings  in  Flüssigkeit  getaucht  und  an  die  Bauchwand  ge- 
presst  ist,  zuweilen  auch  über  grossen  oberflächlichen  Lun- 
gencavernen,  wenn  sie  lufthaltig  sind. 

Man  hält  den  metallischen  Klang  für  einen  höheren 
Grad  des  tympanitischen  Percussionstones ;  dieser  Meinung 
glauben  wir  aber  den  Umstand  entgegenhalten  zu  dürfen , 
dass  zur  Erzeugung  des  tympanitischen  Schalles  die  Bede- 
ckungen über  dem  untersuchten  Theile  nicht  zu  gespannt 
sein  dürfen ,  während  wir  den  metallischen  Klang  zuweilen 
gerade  in  Fällen  finden  ,  wo  das  Gegen theil  Statt  findet . 
z.  B.  im  Pneumothorax. 

Das  Geräusch  wie  eines  gesprungenen  Topfes 
ahmt  man  am  besten  nach ,  wenn  man  die  linke  Hand  flach 
über  sein  linkes  Ohr  legt,  und  mit  der  rechten  sanft  darauf 
klopft,  oder  wenn  man  beide  Hände  derart  haltet,  dass 
zwischen  ihnen  eine  Höhlung  bleibt  und  mit  einem  Hand- 
rücken das  Knie  percutirt.  Es  kommt  am  Thorax  über 
grossen  .  lufthaltigen,  oberflächlich  liegenden  Cavernen 
vor,  welche  mit  einem  Bronchialaste  in  Verbindung  stehen. 
Durch  die  Percussion  wird  die  in  der  Höhle  befindliche 
Luft  in  Schallschwingungen  versetzt,  zum  Theil  aber  in  die 
enge  Mündung  des  Bronchialastes  getrieben.  Der  helle,  leere 
und  tympanitische  Schall  der  Caverne  scheint  dann  in  Ver- 
bindung mit  dem  zischenden  Geräusche,  der  das  Eindringen 


79 

der  Luft  in  den  Bronchus  begleitet ,    den  in  Rede   stehenden 
Percussionsschall  zu  geben. 

Dieselben  Bedingnisse  bestehen  zur  Erzeugung  des 
Tones  wie  durch  die  Zähne  gezogenen  Spei- 
chels, nur  dass  dann  nebst  der  Luft  auch  etwas  Flüssig- 
keit aus  der  Caverne  in   den  Bronchialast  entweicht. 

Briancon's  Hydatydenton  besteht  in  einem  mehr 
fühlbaren  als  hörbaren  Vibriren ,  ähnlich  den  Schwingungen 
der  Feder  einer  Taschenrepetiruhr  und  scheint  Flüs- 
sigkeiten zuzukommen,  welche  ohne  Luft  in  einer  Höhle  eng 
eingeschlossen  sind ,  z.  B.  gab  der  gänzlich  von  Flüssigkeit 
erfüllte  ,  unter  gespannter  Bauchwand  gelegene  Magen  den- 
selben. Zur  Erzeugung  dieses  Schalles  sind  also  nicht  noth- 
wendig  Hydatiden  erforderlich. 

Das  von  Saussier  und  Mailliot  bemerkte  Rip- 
penleberklatschen  (claquement  costo-hepatique) ,  dem 
vergleichbar ,  welches  durch  Klopfen  auf  den  Deckel  einer 
etwas  geöffneten,  mit  Charnieren  versehenen  Tabaksdose  her- 
vorgebracht werden  kann  ,  war  ich  nie  so  glücklich  ,  auffin- 
den zu  können.  S.  bezeichnet  als  Ursache  dasAnstossen  einer 
Rippe  an  die  Leber ,  wenn  die  dazwischen  gelegene  Lun- 
genpartie durch  Gas  verdrängt  ist. 

Der  Widerstand,  den  der  klopfende  Finger  beim 
Percutiren  erfährt ,  trägt  immerhin  Einiges  zur  Diagnose 
bei ,  und  ist  daher  jedenfalls  zu  berücksichtigen.  Je  dichter 
und  luftleerer  die  unterliegenden  Theile  sind,  desto  mehr 
wird  die  Resistenz  fühlbar ,  ja  kann  sich  selbst  bis  zu  einer 
unangenehmen  Empfindung  steigern ,  wie  man  sie  zuweilen 
bei  beträchtlichen  pleuritischen  Exsudaten  erfährt.  Im  Allge- 
meinen kann  man  annehmen,  dass,  je  dumpfer  und  leerer  der 
Percussionsschall  wird,  desto  deutlicher  das  Gefühl  des  Wi- 
derstandes erscheint. 


Von  der  Ausciilf  ation  im  Allgemeinen. 

Das  Einströmen  der  Luft  in  die  Athmungswerkzeuge , 
so  wie  die  vitale  Bewegung  anderer  Theile  überhaupt  (als 
des  Blutes,  der  Gelenke  etc.)?  bringt  Geräusche  hervor, 
welche  zuweilen  so  stark  werden,  dass  man  sie  selbst  in 
seltenen  Fällen  in  einiger  Entfernung  von  den  Kranken  hören 
kann.  Hört  man  aber  absichtlich  auf  dieselben,  um  aus  ihrer 
Beschaffenheit  Schlüsse  auf  den  Zustand  der  Organe  zu  ma- 
chen ,  in  welchem  sie  entstehen ,  so  bedient  man  sich  einer 
Untersuchungsweise  ,  die  wir  Auscultation  nennen. 

Geschichtliches. 

Die  Stelle  des  Hippocr  ate  s  #)  yv  xpos  ix&v  to  öS? 
är.ovactf  xpös  tu  x'Ktvpa  (wenn  man  das  Ohr  an  die  Brust 
legend  hört)  dürfte  für  das  hohe  und  ehrwürdige  Alter  dieser 
Untersuchung  sprechen ,  doch  liess  man  den  Strahl  des  Gei- 
stes, der  aus  der  angeführten  Stelle  leuchtet,  verlöschen 
und  es  fehlen  alle  Spuren ,  dass  man  im  Innern  entstandene 
Geräusche  beobachtet  habe,  bis  Harvey,  der  sich  in  sei- 
ner Dissertatio  de  motu  cordis  etc.  dahin  ausspricht  »pul- 
sum  fieri  et  exaudiri  in  pectore,«  und  dass  ein  Geräusch, 
wie  bei  der  Deglutition  eines  Pferdes  entstehe,  wras  »soni- 
tum  facit  et  auscultantibus  et  tangenlibus  exhibet.« 

Aemilianus  Parisanus  ##)  aus  Venedig  läug- 
net  hingegen  die  Existenz  des  von  Harvey  bemerkten  Ge- 
räusches gänzlich,  und  macht  sich  darüber  lustig,  in- 
dem er  sagt:  »quem  nos  surdaslri  audire  non  possumus« 
und  welches  »tantumodo  Londini  exauditur.«  Caelius 
Aurelian  s##-''c)    spricht  von   den  Symptomen  der  Pleu- 


*)  mot  voSwv  libr.  II.  Edit.  Kühn  p.   279. 
**)  Recentiorum  disceptationes  de  motu  cordis  ,  sanguinis  et  chyli 

in  animalibus.  Lvgd.  Batav.  Xföbpag.  101  u.  107. 
***)  Acut.  morb.  libr.  II.  pag.  127. 


81 

ritis:  »gulturis  Stridor  vel  sonitus  interius  resonans  in  ea 
parle,  quae  palitur.«  BisCorvisart  fehlen  alle  Andeu- 
tungen über  diesen  Gegenstand,  derselbe  und  B  ayl  e  scheint 
in  den  Fällen ,  wo  die  Herzschläge  nicht  recht  zu  fühlen 
waren,  das  Ohr  angelegt  zu  haben.  D  o  u  b  1  e  spricht  gleich- 
falls von  Athmungsgeräuschen  und  solchen,  die  durch  die 
Pulsation  des  Herzens  entstehen.  Diese  Keime  wurden  aber 
erst  von  Lännec  befruchtet,  und  zwar  so  ergiebig, 
dass  es  ihm  gar  nicht  streitig  gemacht  werden  kann , 
ungeachtet  jener  vagen  Hinweisungen  auf  den  in  Rede  ste- 
henden Gegenstand,  die  Auscultation  nicht  allein  erfunden, 
sondern  auch  selbst  beinahe  vollendet ,  und  seinen  Nachfol- 
gern kaum  etwas  mehr  übriggelassen  zu  haben,  als  das  von 
ihm  Gegebene  mehr  zu  ordnen. 

Skoda's  Leistungen  im  Gebiete  der  Stethoskopie  sind 
allbekannt,  so  wie  Zehetmayer  der  Ruhm  unbestritten 
bleibt,  das  beste  Werk  über  Auscultation  geliefert  zu  ha- 
ben. Für  die  wissenschaftliche  Begründung  und  Verbreitung 
der  physicalischen  Untersuchung  in  all'  ihren  Zweigen  aber 
hat  Prof.  Dr.  L  i  p  p  i  c  h  als  Vorstand  der  medic.  Klinik  für 
Ärzte  zu  Wien  das  grösste  Verdienst,  indem  er  jeden 
Kranken  mit  erschöpfender  Genauigkeit  und  Vollständigkeit 
untersucht,  und  seinen  zahlreichen  Schülern  hinreichende  Ge- 
legenheit gibt ,  sich  in  diesem ,  so  wie  in  allen  andern  Fä- 
chern des  medicinischen  Wissens  tüchtig  auszubilden. 

Das  grösste  Verdienst  um  die  Verpflanzung  der  Aus- 
cultation nach  Wien  gebührt  unstreitig  dem  Dr.  Friedrich 
Müller,  einem  Freunde  und  Schüler  Lännec's,  der  das 
Stethoscop  schon  vor  20  Jahren  an  mir  selbst  anwendete,  und 
zeither  unbekümmert  um  die  Anfeindungen,  welche  die 
neue  Lehre  zu  bestehen  hatte,  und  ohne  Ansprüche  auf  den 
Ruhm,  den  Andere  durch  selbe  geerntet  hatten,  sie  in  sei- 
ner ausgebreiteten  Praxis  bloss  zum  Heile  und  Frommen 
seiner  Mitbürger  anwendet. 

Gaal  Diagnostik.  6 


82 

Nutzen  der  Auscultation. 

Wenn  Bertin  sagt,  dass  für  die  Diagnostik  der  Krank- 
heiten in  einem  Jahrzehend  mehr  gethan  worden ,  als  in  den 
vorhergehenden  zehn  Menschenaltern ,  so  bezieht  sich  diess 
hauptsächlich  auf  die  Auscultation ,  die  in  Erkenntniss  der 
Brustkrankheiten  seit  ihrer  Erfindung  eine  Reihe  von  Trium- 
phen feiert.  Und  wie  sollte  sie  diess  auch  nicht,  da  sie  fast 
die  einzige  Quelle  ist ,  aus  der  wir  eine  bestimmte  Kennt- 
niss  über  die  verderblichsten  Krankheiten ,  die  Brustleiden 
nämlich,  die  nach  Prus  5«\)  fast  die  Hälfte  der  alten  Leute 
und  nach  Barth  und  Roger  ##)  mehr  als  ein  Drittheil 
der  Menschen  hinwegraffen,  zu  schöpfen  vermögen,  eine 
Erkenntniss,  deren  Schwierigkeit  Baglivi's  Worte:  »0 
quantum  difficile  est,  curare  morbos  pulmonum!  o  quanto 
diflicilius ,  eos  cognoscere«  hinreichend  bezeugen. 

Die  Auscultation  zeigt,  besonders  von  den  andern  phy- 
sicalischen  Explorationsmethoden  unterstützt,  das  Bestehen 
einer  Krankheit,  deren  Sitz,  Grad,  Extension,  Verlauf, 
Complication  und  zuweilen  selbst  ihre  Natur  an.  Vor  ihr  wird 
die  oft  so  schwierige  Unterscheidung  wesentlich  gefördert, 
ob  ein  Leiden  selbstständig  besteht,  oder  sympathisch  oder 
symptomatisch  der  Krankheit  eines  anderen  Organes  sein 
Dasein  verdankt;  sie  zeigt  mit  Bestimmtheit  beginnende  Lei- 
den früher  an,  als  Functionsstörungen  bemerkbar  werden. 
Fusst  sich  aber  eine  rationelle  Prognose  auf  eine  sichere 
Diagnose,  so  kann  ihr  Nutzen  für  diese  nicht  geläugnet  wer- 
den. Dasselbe  gilt  für  die  Therapie ,  wobei  noch  zu  bemer- 
ken ist,  dass  sie  durch  die  Auscultation  Tag  für  Tag  con- 
trollirt  werden  kann ,  indem  letztere  bestimmte  Kennzeichen 
der  Ab-  oder  Zunahme  des  Übels  und  der  eintretenden  Arz- 
neiwirkung zu  geben  im  Stande  ist.  Was  hätte  der  Arzt  in 


*)  Gaz.  med.  1838. 
**)  Übers,  v.  P  u  c  h  e  1 1.  Stuttgart  1848,  p.  5. 


83 

Fällen,  wo  bloss  objective  Erscheinungen  sich  aussprechen, 
z.  B.  im  Coma,  Delirium  oder  in  der  Kinderpraxis  für  schätz- 
barere Zeichen,  als  die  Auscultation?  »Nollemesse  medicus 
sine  auscullatione  et  percussione !  (C  o  r  vi  s  a  r  t.) 

Dass  die  Auscultation  nur  ein ,  wenn  gleich  wesentli- 
ches, Glied  in  der  Kette  der  physicalischen  Diagnose  sei,  und 
dass  man  sie  für  die  Irrthümer  derjenigen ,  von  denen  sie 
einseitig  mit  Vernachlässigung  aller  übrigen  Zeichen  culti- 
virt  wird,  nicht  verantwortlich  machen  könne,  braucht  weiter 
keine  Erinnerung. 

Der  Arzt  vernachlässige  übrigens  nie ,  gleich  wie  er 
zum  Kranken  tritt,  die  Auscultatio  ad  dislans  anzu- 
wenden ,  und  die  sich  ihm  selbst  aufdringenden  Töne  und 
Geräusche  der  Respiration  und  der  Stimme  zu  berücksichti- 
gen. So  wird  der  Kinderarzt  aus  dem  eigentümlichen  Croup- 
tone  im  Stande  sein,  das  oft  zu  spät  erkannte  Leiden  in 
seinem  Beginne  zu  betreten;  so  ist  man  zuweilen  imstande, 
durch  Schütteln  des  Kranken  auf  Ansammlung  von  Flüssig- 
keit in  demselben  mittelst  des  Gehörsinnes  zu  schliessen; 
so  geben  sich  Knochen-  und  Gelenksgeräusche  öfters  schon 
aus  der  Entfernung  kund ,  ehe  man  die  Hand  auf  den 
leidenden  Theil  gelegt.  Das  Schreien  und  Weinen  kleiner 
Kinder  ist  meistens  die  einzige  Äusserung  derselben ;  wohl 
dem  Arzte,   der  diese  zu  deuten  vermag! 

Will  man  den  Klang  des  Hustens  hören ,  so  lasse  man 
diesen  künstlich  hervorrufen;  kleinen  Kindern  gibt  man  zu 
trinken,  es  stellt  sich  dann,  wenn  ja  Reiz  dazu  vorhanden 
ist ,  gewöhnlich  Husten  ein. 

Im  Vorbeigehen  gesagt,  kann  das  gurgelnde  Intestinal - 
geräusch ,  das  aus  nervösen  Damen  zu  ihrer  grossen  Ver- 
legenheit erschallt,  zuweilen  Gegenstand  der  ärztlichen  Auf- 
merksamkeit werden.  Der  Arzt  vergesse  dann  nicht,  dass 
sie  es  durch  Ansichhalten  des  Athems  gewöhnlich  zu  ver- 
bergen suchen. 

6  # 


84 


Anwendungsweise    der  Auscultation  am  Kran- 
ken selbst. 

Der  zu  untersuchende  Theil  sei  entweder  nackt,  oder 
von  dem  Hemde  bedeckt;  dickere  und  besonders  seidene 
Kleidungsstücke  lassen  die  Töne  nicht  durch ,  ohne  sie  zu 
schwächen  ,  oder  durch  ihr  eigenes  Rauschen  deren  Rein- 
heit zu  beeinträchtigen. 

Die  Stellung  des  zu  untersuchenden  Kranken  sei  für 
denselben,  so  wie  für  den  Arzt  bequem-,  die  für  die  Per- 
cussion  angegebene  möchte  auch  für  die  Auscultation  an- 
wendbar sein. 

Der  Arzt  steht  meistens  an  der  Seite ,  die  er  untersu- 
chen will;  für  die  Untersuchung  der  Herztöne  ist  es  besser, 
zur  Rechten  des  Kranken  zu  stehen ,  diesen  sich  recht  nahe 
legen  zu  lassen,  und  sich  dann  über  denselben  zu  biegen. 
Übrigens  soll  der  Arzt ,  wie  schon  bei  der  Percussion  er- 
wähnt wurde ,  immer  beide  Seiten  der  Brust  rücksichtlich 
der  hörbaren  Geräusche  vergleichen. 

Anfänger  sollen  sich  übrigens  gewöhnen ,  mit  beiden 
Ohren  zu  auscultiren ,  da  man  sonst  nicht  die  Vorder-  und 
Rückseite  des  Thorax  am  Krankenbette  untersuchen  kann, 
ohne  bald  auf  die  rechte,  bald  auf  die  linke  Seite  des  Bettes 
sich  zu  stellen ,  was  wohl  in  Spitälern  möglich  ist ,  in  der 
Privatpraxis  aber  dadurch ,  dass  die  meisten  Betten  an  der 
Wand  stehen ,  verhindert  wird. 

Zugleich  ist  gespannte  Aufmerksamkeit  und  Concentra- 
tion  des  Geistes  auf  die  Untersuchung  nothwendig ,  da  äus- 
sere Geräusche  leicht  zerstreuen  und  verwirren,  und  es  sich 
oft  darum  handelt ,  aus  mehreren  gleichzeitig  im  Innern  ent- 
standenen Geräuschen  Eines,  und  oft  das  schwächste  von 
allen,  im  Geiste  von  den  übrigen  zu  sondern  und  es  allein  zu 
studieren. 

Die  Auscultation  wird  unmittelbar  durch  Anlegen 
des  unbewaffneten  Ohres,  oder  mit  telbar  durch  das  S  t  e- 


85 

thoscop  verübt.  Diess  Instrument  ist  ein  9 — 12  Zoll  lan- 
ger und  3  '"  weiter  Cylinder  von  leichtem  Holze,  dessen  un- 
tere oder  Ansatzmündung*  auf  die  Grösse  eines  Groschen- 
stückes trichterförmig*  erweitert,  und  mit  einem  dicken ,  ge- 
rundeten Rande  versehen  ist,  damit  nicht  bei  dessen  Appli- 
cation derselbe  sich  in  die  Weichtheile  des  Kranken  ein- 
drücke und  ihm  Schmerz  verursache.  Mit  diesem  trichter- 
förmigen Ende  hat  man  das  Plessimeter  meistens  in  Verbin- 
dung. Ob  der  Schaft  des  Stethoscopes  im  Ganzen,  oder  durch 
ein  zwischen  dem  oberen  und  mittleren  Drittheile  befindliches 
Schraubengewinde  unterbrochen  ist ,  hat  auf  die  Schalllei- 
tungsfähigkeit des  Instrumentes  keinen  Einfluss.  Leichter  in 
der  Tasche  zu  tragen  sind  immer  die  gegliederten  Hörröhre ; 
auch  gestatten  sie  durch  ihre  leicht  zu  verändernde  Grösse, 
den  Kranken  in  jeder  Lage  zu  untersuchen.  Nach  oben  steht 
das  Rohr  mit  einer  Elfenbeinplatte  in  Verbindung,  worauf 
der  Arzt  sein  Ohr  legt,  und  die  denselben  entsprechend  con- 
cav,  convex ,  oder  selbst  mit  einem  kreisrunden  Wulste 
versehen  sein  kann.  Eine  Platte ,  wie  sie  die  beigefügte 
Abbildung  darstellt,  dürfte  am  leichtesten  jedem  Ohre  ent- 
sprechen. 


Übrigens  gibt  es  noch  Stethoscope  von  mancherlei  Form 
und  Stoff,  elastische,  biegsame  u.  s.  w. ,  die  aber  alle  dem 


86 

erst  beschriebenen  kaum  den  Rang'  streitig*  machen  dürften. 
Zu  erwähnen  ist  noch  das  Polyscop  von  Landouzy, 
das  ein  langes  Blechrohr  darstellt,  an  dessen  Oberfläche 
mehrere  Ärzte  zugleich  ihre  Stethoscope  aufsetzen  können, 
dessen  Anwendbarkeit  aber  noch  sehr  in  Zweifel  gestellt 
werden  kann.  Der  in  den  meisten  Stethoscopen  befindliche 
hölzerne  Zapfen  (ObduratorJ  ist  ganz  unnütz. 

Das  Metroscop  zur  Auscultation  des  schwängern 
Uterus  ist  ein  entbehrliches  Instrument,  indem  jedes  Ste- 
thoscop  mit  weiterer  trichterartiger  Mündung  dieselben,  wenn 
nicht  bessere  Dienste  leistet,  und  die  Auscultation  der  Ge- 
bärmutter durch  die  Scheide  aufgegeben  ist.  Die  unmittel- 
bare Auscultation  ist  fast  in  allen  Fällen  der  mittelbaren  vor- 
zuziehen ,  denn  das  Ohr  ist  ein  vor  allen ,  selbst  den  besten 
Stethoscopen  unersetzbares  Instrument ,  auch  wird  jeder 
Arzt  schneller  unmittelbar  auscultiren  lernen,  als  mittelst 
des  Hörrohres. 

Auf  verwundeten  Stellen  ist  es  besser,  mit  freiem  Ohre 
zu  horchen,  als  durch  Aufsetzen  des  Stethoscopes  dem 
Kranken  Schmerz  zu  verursachen;  der  Reinlichkeit  halber 
legt  man  dann  während  der  Untersuchung  einen  Fleck  Lein- 
wand über  die  Wunde.  Kleine  Kinder  erschrecken  beim  An- 
blicke des  Instrumentes,  und  machen  durch  ihr  Geschrei  des- 
sen Anwendung  nutzlos.  Besser  ist  es,  während  man  mit  ihnen 
schäckert,  das  blosse  Ohr  anzulegen.  Doch  sind  Fälle,  wo 
man  des  Stethoscopes  unumgänglich  bedarf,  z.  B.  über  Ca- 
vernen  und  in  der  Herzgegend,  wo  das  blosse  Ohr  den  Sitz 
und  Entstehungsort  der  Geräusche  kaum  so  genau  zu  ermit- 
teln vermag,  als  das  Instrument,  das  ihre  Gränzen  gleich- 
sam umschreibt  und  selbe  isolirt.  Das  Anlegen  des  Ohres 
an  den  weiblichen  Busen  verbietet  das  Zartgefühl ,  ebenso 
dürfte  das  Stethoscop  bei  Untersuchung  des  Bauches  sich 
anständiger  anwenden,  und  nach  Bedarf  besser  in  die  Bauch- 
decken eindrücken  lassen,  als  der  Kopf  des  Auscultirenden. 
Die  Hals-  ,  die  Schlüsselbeingegend  ,  die  Achselhöhle  ,  ein 


87 

rachitisches  Brustblatt  möchten  auch  eine  genaue  Anlegung 
des  blossen  Ohres  kaum  gestatten.  Unreinlichkeit  vieler 
Kranken ,  besonders  in  Spitälern ,  Contagien  und  starker 
Schweiss  empfehlen  gleichfalls  den  Gebrauch  des  In- 
strumentes. 

Will  man  das  Stethoscop  anwenden ,  so  fasse  man  es 
wie  eine  Schreibfeder,  und  setze  es  mit  dem  trichterförmigen 
Ende  gleichmässig  und  fest,  doch  ohne  den  Kranken  Schmerz 
zu  verursachen  ,  auf  die  zu  untersuchende  Partie  auf,  um 
die  in  der  Höhlung  enthaltene  Luft  von  der  äusseren  abzu- 
schliessen ,  da  sonst  störende  Geräusche  entstehen.  Hierauf 
lege  man  das  Ohr  auf  die  Elfenbeinplatte,  um  zu  hören,  und 
erhalte  das  Instrument  durch  letzteres  und  ohne  Beihilfe  der 
Finger,  deren  geringste  Bewegung  oder  leisestes  Anstrei- 
fen durch  hervorgerufene  Geräusche  störend  einwirkt,  un- 
verrückt in  seiner  Lage.  Aus  demselben  Grundeist  das  Hemd 
des  Kranken  an  der  zu  untersuchenden  Stelle  glatt  zu  strei- 
fen,  jede  Falte  zu  entfernen,  und  überhaupt  jede  Berüh- 
rung mit  der  Bettwäsche  oder  den  Kleidungsstücken  zu  ver- 
meiden. Das  Ohr  muss  an  das  Instrument  genau  angelegt 
werden ,  da  sonst  ein  Sausen  vernommen  wird ,  was  leicht 
Irrthum  in  der  Diagnose  veranlassen  könnte. 


Zweiter  Theil. 

Untersuchung  einzelner  Provinzen  des  menschlicher! 

Körpers. 


Untersuchung  der  allgemeinen  Deeke  und  tler 
zunächst  darunter  liegenden   Tlieile. 

JhLoin  Theil  des  menschlichen  Körpers  ist  dem  Gesichts- 
sinne so  preisgegeben ,  kein  Theil  leichter  zu  betasten,  als 
die  allgemeine  Decke.  Das  Gesicht  und  das  Gefühl  können 
somit  als  diejenigen  Sinne  gelten,  welche  zur  Untersuchung 
derselben  am  natürlichsten  angewiesen  sind. 

Durch  letztere  vermögen  wir  nicht  allein  über  alle  Aus- 
schlagskrankheiten, über  entzündliche  Processe  der  äussern 
Haut  mit  ihren  viererlei  Arten  und  Ausgängen,  sondern  auch 
über  die  unter  derselben  gelegenen  Geschwülste  u.  s.  w. 
uns  ziemlich  genaue  Kenntniss  zu  verschaffen.  Zur  Diagnose 
letzterer  trägt ,  wenn  sie  die  Grösse  des  Plessimeters  er- 
reichen, auch  die  Percussion  das  ihrige  bei.  Dass  man- 
cherlei Verfärbungen  der  Haut,  wie  sie  z.  B.  bei  einigen 
Cachexien  vorkommen,  hier  nicht  besprochen  werden,  glau- 
ben wir  damit  rechtfertigen  zu  können ,  dass  solcher  schon 
in  dem  allgemeinen,  der  Inspection  gewidmeten  Abschnitte  Er- 
wähnung geschah,  und  dass  man  sie  weniger  als  Krankheit, 
denn  als  Krankheitssymptom  zu  betrachten  hat. 

Nehmen  wir  der  Ordnung  gemäss  die  Haut  zuerst  in 
Betracht,  indem  wir  uns  dann  zu  den  das  Unterhautzellge- 
webe u.  s.  w.  betreffenden  Zuständen  wenden ,  so  finden  die 
Hautkrankheiten  im  engeren  Sinne  zuerst  hier  ihren  Platz. 
Wer  Ausführlicheres  über  die  Diagnose  derselben  nach  ihrer 
äussern  Form  erfahren  will,  der  wird  gewiss  in  der  Diagno- 
stik der  Hautkrankheiten  in  tabellarischer  Form  von  Dr.  B. 
Schulz  nach  Dr.  Hebras  Vorträgen  Befriedigung  finden, 


92 

Als  Primärformen  der  Hautausschläge  unterschei- 
den wir: 

a)  Den  Fleck  (Macula)  ohne  wahrnehmbare  Tex- 
turveränderung der  Haut; 

b)  das  Stippchen  (Stigma),  einen  Fleck,  dereine 
kleine  Erhöhung*  einschliesst; 

c)  das  Knötchen  (Papula),  welches  durch  Abla- 
gerung von  Exsudat  in  den  Hautfollikel  entsteht,  welch' 
letzteres  entweder  fest  oder  flüssig  sein  kann ; 

d)  den  Knoten  (Tuber  culum) }  ein  Knötchen  von 
der  Grösse  einer  Erbse ,  bis  zu  der  einer  Haselnuss ; 

e)  den  Knollen  QPhyma)  >  einen  noch  grösseren 
Knoten; 

/)  die  Quaddel  ( Urtica) ,  eine  flache  Erhebung 
über  das  Hautniveau  ; 

g)  das  Bläschen  ( Vesicula)  eine  seröses  Exsu- 
dat haltende,  kleinere,  durchsichtige  Hauterhöhung,  die 
mit  dem  grössten  Durchmesser  aufsitzt; 

h)  die  Blase  (Bulla)  zeigt  dieselben  Charaktere, 
nur  ist  sie  über  erbsengross,  und  sitzt  nicht  mit  dem  breite- 
sten Durchmesser  auf; 

i)  die  Pustel  (Pustula)  ist  eine  Eiter  enthaltende 
Blase ,  und  entsteht  gewöhnlich  durch  eitrige  Schmelzung 
des  in  eine  der  früher  genannten  Formen  abgeschiedenen 
Exsudates.  Diese  sind  entweder: 

a)  A chores,  kleine,  runde,  in  der  Mitte  etwas  ein- 
gedrückte Pusteln,  welche  da  sie  von  einem  Haare  durchlöchert 
sind,  die  zu  einer  granulirten,  gelben  Borke  vertrocknen; 

ß)  Psydrazien,  das  sind  grössere,  nicht  runde  Pu- 
steln ,  welche  reinen  Eiter  enthalten  und  zu  grünen  Borken 
vertrocknen;  und 

y)  Plyzazien,  nämlich  runde,  mit  vom  Blute  braun 
gefärbte  Pusteln ,  welche  braune  Borken  zurücklassen. 

Als  Secundärformen  werden  die  Schuppen 
(Squamae)  und  die  Borken  (Crustae)  aufgeführt. 


93 

Den  primären  Formen  werden  gewöhnlich  Einteilungen 
der  Hautausschläge  zu  Grunde  gelegt.  Von  den  meisten 
derselben  sind  die  Charaktere,  die  sie  im  Stadium  der  vollen 
Entwicklung  darbieten  ,  in  folgenden  Zeilen  gegeben. 

Acute,  eigentliche  Exantheme. 

Scarlatina.  Es  erscheint  zugleich  mit  anginösen  Er- 
scheinungen eine  dem  Fingerdrucke  weichende ,  punetirte, 
verbreitete ,  intensive  Röthe  der  Haut,  welche  mit  Abschup- 
pung in  Form  grosser,  zusammenhängender  Schuppen  endet. 

Morbilli  äussern  sich  durch  linsenförmige,  blasse, 
rothe  Flecke ,  die  wohl  dem  Fingerdrucke  weichen ,  aber 
doch  einen  rothen  Punct  zurücklassen ,  der  dem  entzünde- 
ten Haarfollikel  entspricht.  Die  Schuppen  in  der  Desquama- 
tion sind  klein  und  nicht  zusammenhängend. 

Variola  (V.  veraj  entwickelt  sich  aus  den  Morbillen 
ähnlichen ,  einzeln  stehenden ,  rothen  Flecken  in  anatomi- 
scher Ordnung  vom  Kopfe  bis  zu  den  Zehen.  Nach  und  nach 
bildet  sich  in  der  Mitte  jedes  Fleckes  ein  Stippchen,  das  zur 
Papula ,  endlich  zum  Bläschen  sich  entwickelt,  welch'  letz- 
teres einen  zelligen  Bau  besitzt,  daher  man  durch  einen 
Einstich  nicht  dessen  ganzen  Inhalt  entleeren  kann.  In  der 
Mitte  jedes  Bläschens  ist  übrigens  dort ,  wo  es  vom  Haare 
durchbohrt  wird,  eine  kleine  Vertiefung.  Während  des  Sup- 
purationsstadiums  verwandelt  sich  das  in  dem  Bläschen  ent- 
haltene Exsudat  in  Eiter,  und  vertrocknet  endlich  zu  Borken, 
nach  deren  Abfallen  braune  Pigmentflecken  und  Narben  zu- 
rückbleiben. 

Bei  der  Variola  mo  difica  ta  geht  der  ganze  Pro- 
cess  viel  rascher  vor  sich ,  und  hält  sich  nicht  an  die  anato- 
mische Ordnung. 

Die  Varicella  hat  einen  noch  rascheren  und  unor- 
dentlicheren Verlauf. 

Erythema  zeigt  sich  als  diffuse,  anhaltende  Haut- 
röthung,    die  mit  Abschuppung  endet.  Der  Fingereindruck 


94 

bringt  momentan  eine  gelbliche  Färbung  hervor,  weil  das 
Exsudat  in  der  Haut  gelblich  erscheint,  und  nur  die  beglei- 
tende Congestion  die  rothe  Farbe  durchschimmern  lässr. 

Roseola  wird  meistens  als  Variola  abortiva  betrachtet. 

Rubeola  steht  in  der  Mitte  zwischen  Scarlatina  und 
Morbille,  und  theilt  sich  in  die  Erscheinungen  beider. 

Urticaria  ist  eine,  in  Quaddelformerscheinende  Erup- 
tion ,  die  meistens  eine  grosse  Flüchtigkeit  verräth. 

Miliaria  erscheint  als  eigenes  Exanthem,  und  symp- 
tomatisch unter  der  Form  von  getrennt  stehenden,  hirse- 
korng'rossen  Bläschen,  welche  von  einer  durchsichtigen,  zu- 
weilen milchigen  Flüssigkeit  erfüllt  sind.  Je  nach  der  Farbe 
ihres  Mutterbodens  bilden  sie  die  M.  alba  und  rubra. 

Dermatitis  zeigt  die  Erscheinungen  der  gewöhnli- 
chen Entzündung,  als:  Röthe,  Hitze  und  Geschwulst,  hat 
aber  verschiedene  Abarten;  auch  sind  je  nach  der  Ausbrei- 
tung derselben  die  Erscheinungen  sowohl,  als  der  Verlauf 
eigentümlich  modificirt. 

Specifische  Hautentzündungen ,  so  wie  verschiedene 
Metamorphosen  des  Exsudates,  Geschwülste  u.  s.  w.  werden 
weiter  unten  beschrieben  werden. 

Eine  besondere  Art  der  Hautentzündung  ist  das 

Erysipelas,  welches  von  dem  Mittelpuncte  der  Pro- 
vinz ,  die  es  bei  seiner  Entwicklung*  inne  hat,  beginnt;  im 
Gesichte  z.  B.  von  der  Nase.  Seine  Röthe  ist  Mass ,  mit 
einem  Stiche  ins  Gelbliche,  verwaschen  endigend,  und  dem 
Fingerdrucke  weichend ;  die  Geschwulst  ist  gespannt ,  ela- 
stisch ,  und  die  Haut  erscheint  wie  verdickt  und  schuppt  sich 
endlich  ab. 

Die  p  hie  g  mono  se  Dermatitis  ergreift  die  tiefereu 
Schichten  der  Haut  und  das  darunter  liegende  Zellgewebe. 
Die  Symptome  sind  dabei  heftiger,  und  es  zeigt  sich  Neigung 
zur  brandigen  Zerstörung. 

Pseudoerysipelas;  dabei  ist  die  Haut  fest  und 
hart,    behält  den  Fingerdruck,   fluctuirt  später  hie  und  da, 


95 

endlich  wird  die  Röthe  bläulich ,  es  erheben  sich  Bläschen, 
welche  bersten,  und  aus  denen  Eiter  mit  necrosirtem  Zell- 
gewebe austritt. 

Hierher  gehört  auch  der  unten  zu  beschreibende  Fu- 
runkel oder  Carbunkel. 

Uneigentliche  Exantheme. 

Hautverfärbungen  erscheinen  entweder  in  Folge 
örtlicher  Congestion  ,  wobei  sie  dem  Fingerdrucke  weichen, 
oder  von  Stasis  (Cyanosis),  oder  durch  Blutextravasaf ;  letz- 
tere schwinden  nicht  durch  den  Fingerdruck.  Hieher  gehört : 

Purpura.  Ferner  sind  die 

Teleangiectasien,  von  deren  weiterer  Entwick- 
lung später  die  Rede  sein  wird ,  in  geringerem  Grade ,  und 
wenn  sie  bloss  die  Haut  betreffen  (als  Naevi),  Ursachen  der 
Farbenveränderung  derselben. 

Durch  Pigmentablagerung  in  das  Hautgewebe  kommen 
die  unter  Form  von  gelb-  und  schwarzbraunen  Flecken  ent- 
stehenden Lentigines,  Chloasmata  und  das  Me- 
lasma  zum  Vorscheine. 

Wird  der  Zusammenhang  der  Haut  aufgegeben, 
so  entstehen  durch  Verlust  der  Epidermis : 

a)  Intertrigo  durch  Abreibung  der  Oberhaut,  wo- 
bei das  Plasma  frei  austritt,  und  somit  ein  Nässen  bemerkt 
wird,  zugleich  auch  die  Gefässe  der  Haut  mehr  roth  durch- 
schimmern ; 

b)  Excoriationen,  welche  braune  Schorfe  bilden. 

c)  Rhagades  oder  Spalten  und  Risse,  die  am  häu- 
figsten an  der  Hand  und  den  Fusssohlen  und  dort  vorkom- 
men, wo  die  äussere  Haut  in  die  Schleimmembran  übergeht , 
z.  B.  an  der  Nase ,  After  u.  s.  w. 

Geht  die  Spalte  tief,  so  tritt  durch  dieselbe  Plasma  aus. 

Durch  Anhäufung  der  Epidermisschichten  entstehen  die 
Schwielen,  Leichdornen,  Warzen  und  die  Cor- 
nua  cutanea. 


96 

Zerfällt  die  Epidermis  über  der  gesunden  Haut  in  Schup- 
pen ,  so  entsteht  der  Schuppenausschlag'  [Ichthyosis). 

Psoriasis  zeigt  sich  als  weisse  Schuppen  auf  rothem 
Grunde,  durch  deren  Abkratzen  letzterer  blutet.  Je  nach  der 
Verbreitung  und  centralen  Anreihung'  entstehen  die  Spiel- 
arten :  Ps.  guttata ,  orbicularis ,  gyrata  u.  s.  w. 

Von  den  papulösen  Ausschlägen  sind  zu  bemerken : 

Durch  Retention  des  Serum  bedingt,  der  S tr  ophulus 
chronicus  der  Kinder  und  das  Grutum  der  Erwach- 
senen ; 

durch  Exsudatablagerung  in  den  Follikel  bedingt : 

1.  Strophulus  acutus ,  rothe  Fleckchen,  in  de- 
ren Mitte  sich  kleine  Knötchen  entwickeln ,  welche  mit  De- 
squamation enden. 

2.  Liehen.  Dieser  äussert  sich  als  aus  rothen  Knöt- 
chen bestehend ,  welche  nicht  weggekratzt  werden  können, 
und  an  ihrer  Spitze  eine  kleine  Schuppe  haben;  die  Röthe 
weicht  dem  Fingerdrucke,  und  hinterlässt  eine  gelbliche 
Färbung. 

3.  Prurigo.  Dieser  äussert  sich  durch  kleine,  der 
Haut  gleichgefärbte  Knötchen,  die  aufgekratzt  ein  wässriges 
Fluidum  entleeren,  und  durch  Reibung  in  Pusteln  ver- 
wandelt werden  können.  Diese  Affection  soll  ein  Bubo  be- 
gleiten. 

Durch  vermehrt  e  Secretion  der  Talgdrüsen  ent- 
steht: 

a)  Die  Seborrhoe  (zu  deren  Abarten  auch  der  Gneis 
zu  rechnen  ist) ,  wenn  nämlich  die  Flüssigkeit  an  die  Ober- 
fläche tritt,  und  wenn  das  Secret  in  dem Hautfollikel  bleibt; 

b)  Acne  punctata  (Mitfresser,  Comedo)  als  schwarze 
Puncte ,  aus  denen  sich  weisse ,  Würmchen  ähnliche  Kör- 
perchen ausdrücken  lassen. 

Zu  den  knotigen  Ausschlägen  rechnet  man : 
1)  Acne  indurat a,  ein  rothes  Knötchen,  das  den 
ausdrückbaren  Comedo  in  sich  schliesst, 


97 

2.  Acne  mentagra,  ein  rothes  Knötchen  von  einem 
Haare  durchbohrt,  am  behaarten  Theile  des  Gesichtes, 

3.  Acne  rosacea  mit  Hypertrophie  der  Haut  und 
vermehrter  Gefässentwicklung , 

4.  Acne  lupus,  der  je  nach  der  Entwicklung  als 
harte ,  blaurothe  Flecken  oder  als  derlei  Knoten  sich  dar- 
stellt, und  mit  Abschuppung  oder  mit  Exulceration  enden 
kann. 

Hierher  rechnet  man  noch  : 

Molluscum,  Framboesie,  Knollenkrebs  der 
Haut  und  Elephantiasis. 

Zu  den  vesiculären  Hautkrankheiten  zählt  man: 

1.  Herpes.  Hier  entstehen  aus  rothen  Flecken  und 
Stippchen  Bläschen  ,  welche  sich  gruppenweise  entwickeln 
und  rückbilden.  Ihre  Nachschübe  kommen  nie  an  der  schon 
einmal  befallenen  Stelle  zum  Vorschein.   Species  sind: 

H.  zoster,  der  von  einem  Puncte  der  Wirbelsäule, 
nach  dem  Verlaufe  des  daselbst  ausgehenden  Nerven,  strei- 
fenförmig die  Hälfte  des  Körpers  umschliesst. 

H.  iris:  wo  ein  grösseres  Centralbläschen  von  einem 
Ringe  kleinerer,  confluirender  umgeben  ist;  und 

H.  pr aepu  Cialis. 

2.  Eczem.  Die  Bläschen  entstehen,  ohne  eigentlich 
Gruppen  zu  bilden ,  gleich  als  solche  und  enthalten  ein 
durchsichtiges  Fluidum  ,  daher  nässen  sie  ;  ihre  Nachschübe 
kommen  an  der  schon  einmal  befallenen  Stelle  zum  Vorschein. 

Sitzen  die  Bläschen  auf  rothem  Grunde,  so  ergibt  sich 
die  Species  E.  rubrum.  Werden  die  Vesiculae  zerstört, 
so  sieht  man  helle,  wässrige  Tropfen  unmittelbar  aus  der 
gerötheten  Hautstelle  treten.  —  Es  hat  nach  der  Form,  Ur- 
sache und  Nebenumständen  vielerlei  Unterarten,  als:  die 
Badeausschläge,  die  medicamentösen  Eczeme,  die  Salz- 
flüsse, wobei  die  Haut  der  Füsse  so  verdickt  wird,  dass 
man  keine  Falten  derselben  bilden  kann  ,  die  crusta  lactea 
etc.  etc. 

Gaal  Diagnostik.  7 


98 

3.  Scabies.  Dieselbe  kommt  nach  dem  Entwicklungs- 
grade und  der  äusseren  Einwirkung,  z.  B.  Kratzen,  fast  in 
jeder  primären  und  selbst  in  Geschwürsform  vor.  Charakteri- 
stisch sind  die  geschlängelten  Milbengänge  ,  welche  durch 
den  in  ihnen  enthaltenen  Sarcoptes  gebildet  werden.  Durch 
diese  unterscheidet  man  die  Krätze  von  vielen  andern  äus- 
serst ähnlichen  Efflorescenzen.  Die  Milbe  wird  leicht  mit- 
telst einer  Impflancette  aus  ihren  Gängen  herausgefördert. 

Unter  den  Blasen  ausschlagen  sind  zu  nennen: 

1.  Pemphigus  acutus.  Es  entsteht  auf  einem  ro- 
then  Flecke  ein  weisser  Punct,  aus  welchem  sich  eine  Blase 
entwickelt ,   die  zu  Krusten  vertrocknet. 

P.  chronicus  oder  Pomp  hol  ix  ist  dem  vorigen 
ähnlich  ,  doch  platzt  die  Blase,  es  bildet  sich  keine  Borke  und 
das  Plasma  kann  aus  der  von  der  Epidermis  entblössten  Stelle 
durch  längere  Zeit  aussickern. 

2.  Rupia  beginnt  ebenfalls  mit  einem  rothen  Flecke, 
aus  welchem  ein  weisslicher  Punct  sich  entwickelt,  der 
dann  zu  einer  trüben  ,  undurchsichtigen  Blase  wird,  welche 
aber  nicht,  wie  jene  des  Pompholix,  berstet,  sondern  durch 
Eintrocknen  eine  haftende  Borke  bildet.  Diese  erreicht  durch 
beständige  Ansammlung  des  Exsudates  unter  ihr  und  Ver- 
trocknen desselben  eine  Kegelform  und  ist  an  ihrer  Basis 
von  einem  Blasenkreise  umgeben.  Nach  Abfallen  der  Borken 
bleibt  eine  Narbe  zurück. 

Häufig  steht  diese  Krankheit  mit  constitutioneller  Sy- 
philis im  Zusammenhange. 

Die  Pustel  auss  chläg  e  erscheinen  gewöhnlich  als: 

1.  Imp  etigo  Achor.  Die  Charaktere  sind  die  der 
Achores  überhaupt,  um  sie  aber  richtig  zu  erkennen,  muss 
man  die  Borken  wegnehmen  und  findet  einen  eitrig  nässen- 
den Grund.   Species  sind : 

A.  capillitii,  welcher  die  Kopfhaare  büschelförmig 
verklebt,  ferner 

A.  decalvans ,    der   aus   nicht  confluirenden ,    von 


99 

einem  Haare  durchbohrten,  in  einem  Entzündungshofe  sitzen- 
den Pusteln  besteht.    Die  Haare  fallen  dadurch  aus. 

2.  I.  Psydrazion  stellt  Pusteln  dar,  die  entweder 
aus  Entzündung  sich  entwickeln,  oder  ohne  selbe  zu  Stande 
kommen,  als  I.  metastalica ,  z.  B.  bei  Eitergährung  des 
Blutes. 

3.  I.  Phlycazion  oder  Ectbyma;  die  Pusteln 
werden  von  der  Grösse  eines  Silbergroschens  gefunden,  und 
entwickeln  sich  nach  einander,  nicht  alle  gleichzeitig.  Ihr 
Hof  ist,  besonders  bei  dyscrasischen  Individuen,  pigmentirt. 

Der  Favus  besteht  in  einem  in  dem  Haarfollikel  kei- 
menden Fadenpilze,  der  unter  der  Epidermis  sitzt,  schimm- 
lich  riecht,  und  äusserlich  als  gelbliche ,  bröckliche  Masse 
sich  darstellt ,  welche  einzeln  stehend  und  in  nicht  modifi- 
cirter  Entwicklung  eine  aussen  hohle ,  nach  innen  convexe 
Schildform  annimmt  Qtinea  scutellata).  Nimmt  man  solche 
Schildchen  weg,  so  findet  man  darunter  das  Corium  gerö- 
thet ,  leicht  blutend  und  jeder  einzelnen  Convexität  ent- 
sprechend vertieft. 

Die  syphilitischen  Ausschläge  erscheinen  fast 
unter  allen  eben  genannten  Formen ,  doch  unterscheiden  sie 
sich  von  den  gleichartigen  nicht  syphilitischen : 

a)  durch  eine  eigene ,  schmutzig-braunrothe  Färbung  ; 

b)  durch  die  meistens  runde  Form  ,  oder  beim  Weiter- 
schreiten dadurch ,  dass  diese  Kreissegmente  darstellt ; 

c)  durch  die  Ausbreitung.  Sie  sind  meistens  über  den 
Körper  verbreitet  und  lieben ,  wenn  sie  sich  auf  einzelne 
Theile  beschränken ,  solche  Stellen ,  wo  die  Haut  nahe  über 
den  Knochen  liegt,  als :  Kopf,  Gesicht,  Clavicula,  Tibia  etc. 

d)  durch  die  äusserst  zarten ,  weissen  Schüppchen ; 

e)  oder  die  sehr  dicken  Borken ; 

f)  ferner  dadurch,  dass  einige  Formen  nicht  selten  in 
der  Kälte  zurücktreten  und  durch  die  Wärme  deutlicher  sich 
entwickeln-,  endlich 

g)  durch  die  übrigen  Zeichen  der  syphilit.  Dyscrasie. 

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leicht  ab. 

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send    beim     Abschaben 
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nicht     sehr    infiltrirt 
und  blutet  aus  einzel- 
nen    Puncten,    wenn 
man  die  Schuppen  ab- 
schabt. 

die  weissen,    auf  einem 
rothen  Puncte  sich  ent- 
wickelnden Schüppchen. 

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Nun  folgt  die  Charakteristik  einiger  Krankheiten,  welche 
nicht  allein  die  Haut,  sondern  auch  die  zunächst  darunter 
gelegenen  Thcile ,  Zellgewebe  u.  s.  w.  betreffen ,  wie  die 
meisten  Entzündungsausgänge,  Geschwülste,  Geschwüre 
u.  s,   w. 

Abscesse  entstehen  unter  den  Zeichen  der  Entzün- 
dung: Röthe  ,  Hitze,  Anschwellung  und  Spannung  des  lei- 
denden Theiles  ;  nach  und  nach  begränzt  sich  die  Geschwulst 
mehr,  unter  Zunahme  der  übrigen  Erscheinungen,  sie  wird, 
wenn  das  Exsudat  sich  in  Eiter  verwandelt,  endlich  bleicher, 
erhebt  sich  in  der  Mitte  mehr  und  zeigt  daselbst  Fluctua- 
tion.  In  der  Umgebung  entsteht  zuweilen  eine  ödematöse 
Anschwellung.  Kommt  es  zum  Aufbruche,  so  platzt  eine 
sich  an  der  höchsten  Stelle  bildende  Pustel  oder  ein  gelb- 
lich weisser  Fleck  und  entleert  den  enthaltenen  Eiter,  zu- 
weilen mit  Pfropfen  von  Zellgewebe  vermischt. 

Die  eben  beschriebene  Art  der  Abscesse,  als  Metamor- 
phose des  Entzündungsproductes  (Ausgang  der  Inflamma- 
tion),  unterscheidet  sich  aber  wesentlich  von  den  Lymph-  oder 
kalten  und  den  sogenannten  Congestionsabscessen. 

Lymphabscesse  oder  kalteAbscesse  sind  nach 
Walt  her  anfangs  kleine,  langsam  wachsende,  ungleich 
begränzte,  elastische,  nicht  verschiebbare  ,  schon  frühzei- 
tig deutlich  schwappende  Geschwülste  von  normaler  Haut- 
farbe ,  welche  eine  dickliche ,  trübe ,  weiss-graulichte  Flüs- 
sigkeit enthalten. 

Congestions abscesse,  die  durch  Senkung  des 
Eiters  von  einem  entfernteren  Entzündungsherde  nach  der 
Oberfläche  hin  entstehen  ,  da  der  Eiter  sich  wegen  tiefer 
Lage  oder  umgebenden  dichteren  Geweben  keinen  Ausweg 
zu  bahnen  vermag,  werden  als  überall  gleichmässig*  fluctui- 
rende  Geschwülste  erkannt ,  denen  die  Entzündungshärte  im 
Umfange  mangelt ,  und  die  sich  durch  Druck  und  entspre- 
chende Lage  des  Kranken  zuweilen  verkleinern  lassen,  nach 
Aufhebung  des  Druckes  aber  und  in  aufrechter  Stellung,  be- 


104 

sonders  bei  damit  verbundener  Anstrengung,  Niesen,  Hu- 
sten u.  dgl,  sich  wieder  füllen. 

Nach  Entzündung  zurückbleibende  Verhärtungen 
werden  leicht  durch  den  Tastsinn  erkannt. 

Der  Brand  entsteht  entweder  aus  heftiger  Entzündung, 
oder  ohne  deren  Vorangehen. 

Der  entzündliche  Brand  ist  in  seinem  ersten 
Stadium  als  heisser  Brand  :  G  angr  aen  a  bekannt  und  geht 
endlich  in  den  wahren  kalten  Brand:  Sphacelus  über. 

Die  Erscheinungen  des  ersteren  sind :  die  früher  ge- 
spannte und  harte  Entzündungsgeschwulst  wird  teigig  und 
weicher,  die  hohe  Röthe  bläulich  und  verbreiteter,  die  Wärme 
nimmt  ab.  Zuweilen  erscheinen  schon  jetzt  mit  blau-röthli- 
chem  Serum  gefüllte  Blasen ,  und  der  Erkrankungsprocess 
schreitet  weiter. 

Im  Sphacelus  sind  die  Theile  leichenkalt,  missfärbig, 
grau  marmorirt,  von  erweiterten  Venen  durchzogen  und 
werden  selbst  schwarz.  Die  Umgegend  erscheint  welk ,  tei- 
gig ,  matsch  anzufühlen ,  zuweilen  empfindet  man  selbst 
ein  Knistern  unter  dem  Drucke  QEmphysema  sphacelosum') . 
Es  erheben  sich  Brandblasen ,  die  Theile  darunter  sind  livid, 
grünlich  oder  schwarz  gefärbt  und  mit  einem  grauen  oder 
braunrothen  Exsudate  bedeckt.  Die  Jauche  ist  schmutzig, 
bräunlich ,  stinkend  ,  scharf  und  mit  aufgelöstem  Blute  ver- 
mischt ;  die  erkrankten  Gewebe  zerfallen  endlich  gänzlich 
und  lösen  sich  in  Fetzen  und  breiige  Masse  auf.  Nie  wird 
Erzeugung  von  Würmern  beobachtet.  Rundum  ist  meistens 
noch  Gangrän,  und  die  benachbarten  Gefässe  sind  als  ge- 
schwollene Stränge  zu  fühlen. 

Der  nicht  entzündliche  Brand  entsteht  entwe- 
der als  trockener  oder  als  feuchter. 

Der  trockene  erscheint  unter  Temperatursverminde- 
rung, Verblassung,  oder  grauer,  selbst  schwarzer  Färbung 
des  Theiles ,  der  zu  einer  lederartigen  Masse  einschrumpft ; 
der  Brandschorf  ist   schwarz ,    seltener  weissgelblich.    Der 


.     105 

Process  begränzt  sich  meistens  durch  die  Entzündung,  die 
als  Reaction  auf  secundäre  Weise  entsteht. 

Der  feuchte  Brand  hat  seinen  Entstehungsgrund 
im  aufgehobenen  Blutumlaufe  in  einem  Theile,  der  dann  kalt, 
emphysematös  und  ödematös  angeschwollen  erscheint,  und 
zuerst  blau  gefleckt ,  dann  aber  gleichmässig  schiefergrau 
oder  schwarz  sich  darstellt. 

Endlich  bilden  sich  Brandblasen ,  nach  deren  Bersten 
man  alles  darunter  zerstört  findet. 

Dem  Brande  können  wir  füglich  den  Carbunkel  als  bran- 
dige Entzündung  anreihen. 

Der  Carbunkel  stellt  eine  harte,  dunkelrothe  Ge- 
schwulst im  Unterhautzellgewebe  dar,  deren  Härte  am  Um- 
fange immer  bemerklich  bleibt ,  selbst  wenn  die  Mitte  schon 
Fluctuation  zeigen  sollte.  Im  ferneren  Verlaufe  wird  die  Ge- 
schwulst livid,  teigig,  platzt  oder  zeigt  erst  mehrere  Brand- 
blasen, die  bald  aufbrechen  und  sich  mit  grauen  oder  schwar- 
zen Schorfen  bedecken.  Nachdem  diese  abgefallen,  ergiesst 
sich  aus  mehreren  kleinen  Öffnungen  etwas  blutige  Jauche. 
Endlich  stosst  sich  das  abgestorbene  Zellgewebe  los  und 
zeigt  ein  grosses  oder  mehrere  kleine,  vereinigte  Geschwüre, 
auf  deren  Grunde  die  unterliegenden  Gebilde  entblösst  lie- 
gen. Die  Haut  ist  immer  verdünnt,  abgestorben,  livid,  und 
in  den  Nachbartheilen  eine  weit  verbreitete  Röthe  zu  be- 
merken. 

Verbrennungen  sowohl  als  Erfrierungen  zeigen  bei  hö- 
herer Entwicklung  Neigung  zu  Gangrän ,  und  mögen  somit 
hier  ihren  Platz  finden. 

Verbrennungen  werden  aus  der  vorausgegangenen 
Ursache ,  so  wie  aus  dem  Hauterytheme  erkannt ,  wenn  sie 
bloss  oberflächlich  sind;  g*eht  die  Verbrennung  aber  tiefer, 
so  löst  sich  die  Epidermis  vom  Corium  ab,  und  bildet  mit 
klarem  ,  gelblichen  Serum  gefüllte  Blasen ,  oder  es  sind  bei 
noch  tieferer  Einwirkung  des  grossen  Hitzgrades  selbst  die 
Muskeln  bis  auf  die  Knochen  zerstört  und  verkohlt, 


106 

Erfrierungen  äussern  sich,  wenn  sie  oberflächlich 
sind,  durch  vorübergehende  Entzündungsröthe  und  An- 
schwellung* der  Theile.  Bei  höherem  Grade  des  Leidens  wer- 
den diese  dunkelroth  oder  violett  gefärbt,  Hitze  und  Ge- 
schwulst sind  grösser,  und  es  kann  sich  selbst  die  Epidermis 
in  mit  klarem  Serum  gefüllte  Blasen  erheben.  Im  höchsten 
Grade  der  Erfrierung  oder  nach  zu  vorschneller  Erwärmung 
der  erkrankten  Theile  geht  die  Entzündung  leicht  in  Brand 
über. 

Sind  die  Hautausschläge  und  die  Entzündung  mit  ihren 
specifischen  Verschiedenheiten  ein  wichtiger  Gegenstand  der 
Inspection  und  Palpation,  so  werden  diese  Sinne  nicht  minder 
zur  Stellung  der  Diagnose  so  mancher  unter  der  Haut  un- 
mittelbar gelegenen  Geschwülste  u.  s.  w.  passend  in  An- 
spruch genommen,  und  wir  wollen  nun  versuchen,  die  äus- 
seren Merkmale  derselben  zu  geben  und  wenigstens  deren 
Umrisse  so  zu  zeichnen,  dass  die  Bilder,  welche  in  Wal- 
ther, Jäger  und  Radius  Handwörterbuch  der  Chirurgie, 
mit  Meisterstrichen  ausgeführt,  vorgestellt  werden  ,  in  un- 
serer Skizze  doch  wenigstens  zu  erkennen  seien. 

Bai ggesch wülste  sind  unter  der  Haut  oder  den 
Muskeln  gelegene,  runde,  kugelige,  glatte,  elastisch  re- 
sistente, bewegliche,  bisweilen  fluctuirende  Geschwülste. 
Ihr  Inhalt  ist  flüssig  von  verschiedener  Consistenz,  die  Ent- 
wicklung langsam.  Hieher  gehören  die  Hydatiden,  Ho- 
niggeschwülste QMeliceris),  Atherome  der  Chi- 
rurgen ,  Breigeschwülste  u.  s.  w. 

Fleischgewächse,  Sarcome,  erkennt  man  als 
gleichförmige ,  massig  feste  ,  fleischharte  Geschwülste  von 
verschiedener  Form  und  Grösse  ,  doch  sind  sie  meistens  rund 
oder  länglich  begränzt  und  haben  einen  breiten  oder  schma- 
len, gestielten  Grund;  ihre  Oberfläche  ist  gleich  und  eben, 
und  lassen  sich  Abtheilungen  wahrnehmen ,  so  zeigen  sich 
diese  nicht  so  hart  und  höckerig,  wie  beim  Scirrhus.  Sie 


107 

sind  meistens    beweglich   und  enthalten  selten   Brei-  oder 
Schleimniassen. 

Steatome  (Speckgeschwülste)  sind  meist  rundliche 
Erhabenheiten  von  massig*  fester  Consistenz  und  scheinbar 
aus  verschiedenen  Lappen  gebildet ,  da  die  darüber  hinge- 
henden Sehnen  und  Muskeln  darin  Einschnitte  machen.  An 
der  kleinen  Basis  fühlt  man  nicht  selten  wurzelartig  ausge- 
hende Stränge.  Die  bedeckende  Haut  ist  verschiebbar  und 
nur  im  weiteren  Verlaufe  des  Übels  gespannt  und  entzündet. 

Lipome  sind  weiche,  schlaffe,  schwammige,  dem 
Drucke  nicht  widerstrebende  Geschwülste. 

Neurom e  erkennt  man  an  ihrer  Härte,  Festigkeit  und 
Verschiebbarkeit ,  dem  Sitze  an  dem  Verlaufe  eines  ober- 
flächlich liegenden  Nervenstammes,  ihre  runde  oder  bohnen- 
artige Form  und  an  dem  heftigen  Schmerz,  der  durch  Druck, 
und  Zerrung  der  Geschwulst  und  Bewegung  des  betref- 
fenden Körpertheiles  verursacht  wird. 

Lymphgeschwülste  entstehen  durch  den  Austritt 
von  lymphatischer  Feuchtigkeit  ins  Zellgewebe,  und  erschei- 
nen als  anfangs  kleine,  umschriebene,  elastische,  normal 
gefärbte  Geschwülste.  Zuweilen,  wenn  sie  noch  nicht  grös- 
ser als  eine  Bohne  sind,  lassen  sie  sich  durch  Druck  besei- 
tigen und  hinterlassen  nur  einen  kleinen  Knoten  (Lymphon- 
cus).  Sie  können  aber  zu  beträchtlicher  Grösse  anwachsen, 
wobei  zwar  die  Hautfarbe  verändert  und  Fluctuation  deut- 
lich wahrnehmbar  wird ,  ihre  Diagnose  aber  dennoch  nicht 
ohne  Schwierigkeit  zu  stellen  ist. 

Osteosteatome  sind  Geschwülste ,  die  sich  am  Kno- 
chen als  unebene,  harte,  dem  Fingerdrucke  nicht  weichende 
Auftreibungen  kund  geben  ,  wobei  anfangs  die  bedeckenden 
Weichtheile  sich  noch  im  Zustande  völliger  Integrität  befin- 
den, später  aber  selbst  diese  in  die  krankhafte  Me- 
tamorphose gezogen  werden  und  die  Grunze  zwischen  Kno- 
chen und  Weichtheilen  sich  immer  mehr  verwischt.  Letztere 
sind  gespannt,  härtlich  anzufühlen,  zeigen  hie  und  daselbst 


108 

dunkle  Fluktuation ,    bis  die  Haut  aufbricht  und  häufig  ein 
carcinomatöses  Geschwür  zum  Vorschein  kommen  lässt. 

Die  Angiectasien  bestehen  in  widernatürlicher  Aus- 
dehnung* der  Capillargefässe,  wodurch  weiche ,  sammtartig- 
anzufühlende ,  elastische ,  meistens  mit  breiter  Basis  auf- 
sitzende ,  seltener  gestielte  ,  schmerzlose  Geschwülste  ge- 
bildet werden.  Sie  kommen  häufiger  an  den  oberen  Theilen 
des  Körpers  vor ,  als  an  den  unteren.  Arteriöse ,  mehr  ent- 
wickelte Angiectasien  lassen  auch  Pulsation  fühlen. 

Condylome  sind  entweder  gespitzt,  erdbeer- oder 
hahnenkammartig  aufsitzende ,  oder  auch  flache  ,  meist  näs- 
sende (zuweilen  auch  schrundige)  Geschwülste,  von  schmu- 
tzig rother  Farbe.  Sie  bestehen  aus  Zellgewebe  und  Gefäs- 
sen.  Sie  kommen  überall  vor,  wo  Schleimhaut  ist,  besonders 
an  den  Geschlechtstheilen ,  der  Zunge,  dem  Rachen,  Ge- 
hörgang, After,  aber  auch  an  den  Brustwarzen,  unter  der 
Achsel,  am  Mittelfleisch;  selbst  am  behaarten  Theile  des 
Kopfes  hatte  ich,  als  ehemaliger  Interne  der  syphilitischen 
Abtheilung ,  einige  Male  Gelegenheit ,  sie  mit  bedeutender 
Absonderung  verbunden  zu  beobachten.  Die  genannten  Stel- 
len sollen  daher  immer  genau  untersucht  werden,  wenn  es 
sich  um  Ausmittlung  eines  syphilitischen  Leidens  handelt. 

Hauk's  subcutane  Condylome  sind  der  Haut  gleichfar- 
bige Erhabenheiten,  gewöhnlich  in  der  Nähe  der  Geschlechts- 
theile ,  aus  denen  durch  Druck  der  weisse ,  traubenförmige 
Inhalt  des  Follikels  entfernt  werden  kann. 

Schwamm gewächse  {Fungus  medullaris  der  Chi- 
rurgen) erscheinen  anfangs  als  härtliche,  glatte  Geschwülste, 
ausser  es  liegen  deren  mehrere  an  einander,  wodurch  die 
Oberfläche  ungleich  wird.  Später  werden  einzelne  Theile 
weich,  teigig ,  uneben  und  zeigen  Fluctuation.  Endlich  bre- 
chen sie  auf,  und  zeigen  blumenkohlartige  Wucherungen  in 
einem  jauchigen  Geschwüre,  das  sich  häufig  mit  einer  leicht 
ablösbaren  Kruste  bedeckt. 

Fun  g  us  haema  Codes  erscheint  als  vermehrte  Ge- 


109 

fässentwicklung  eines  Theiles  (ähnlich  der  Angiectasie),  und 
stellt  eine  rothe,  oder  wenn  zugleich  Pigment  ins  Innere  der- 
selben abgelagert  wurde,  eine  blaurothe ,  beerenartige  Ge- 
schwulst ("F.  melanodesj  dar.  Letztere  scheint  aus  mehre- 
ren Körnern ,  Knoten ,  oder  Läppchen  zusammengesetzt 
zu  sein ,  ist  zusammendrückbar ,  locker  und  wird  zuweilen 
unter  dem  Drucke  blässer ;  verletzt  blutet  sie  stark. 

Scirrhus.  Der  Krebs  äussert  sich  als  unmerklich  ent- 
stehende ,  genau  begränzte ,  bewegliche,  sehr  harte  Ge- 
schwulst, die  in  einem  weiteren  Stadium  als  Carcinoma 
nach  und  nach  mit  den  nebenliegenden  Theilen  verwächst, 
dadurch  ihre  Verschiebbarkeit  verliert,  höckerig  und  hie  und 
da  scheinbar  fluctuirend  wird.  Die  damit  verwachsende  Haut 
erscheint  livid ,  verdünnt  und  von  Venen  durchzogen ;  die 
nächsten  Lymphdrüsen  schwellen  an  ,  und  das  fahle  Gesicht 
erhält  einen  eigenen  Ausdruck.  —  Endlich  bricht  die  Ge- 
schwulst auf  (Cancer  apertus)  und  bildet  ein  um  sich  fres- 
sendes Geschwür  mit  hartem,  höckerigem,  braunrothem 
Grunde ,  hartem ,  aufgeworfenem ,  oft  unterminirtem,  zacki- 
gen Rande  und  serösem,  gelblichem  Secrete,  von  dem  die 
Silbersonde  schwarz  gefärbt  wird.  Statt  der  Granulationen 
entstehen  gerne  dem  Carfiol  ähnliche,  an  der  Oberfläche  abster- 
bende ,  aber  sich  immer  neu  erzeugende  Wucherungen. 

Als  Spielart  davon  wird  der  vielarmige  Krebs 
beschrieben.  Er  erscheint  anfangs  unter  der  Form  einzeln 
stehender,  kleiner,  ästiger  Gebilde,  welche  knorpelhart, 
gerundet  und  verschiebbar  sind,  langsam  wachsen,  und 
wenn  sie  eine  gewisse  Grösse  erreicht  haben  ,  eine  höcke- 
rige Oberfläche  darbieten.  Entstehen  neue  Knötchen  im  Um- 
kreise, so  unterscheiden  sich  diese  von  den  genannten  Hö- 
ckern durch  ihre  Verschiebbarkeit.  Endlich  erweicht  sich 
die  gewölbteste  Stelle ,  bricht  auf  und  stellt  ein  oberflächli- 
ches, grauliches,  speckiges  Geschwür  dar.  Zuweilen  fallen 
statt  eines  grossen  Geschwüres  mehrere  kleine,  seichte 
Löcherchen  aus  der  Haut  aus ,  und  bilden  sich  im  Umkreise 


110 

ästige ,    strangartige  Verhärtungen  j    an  deren   Spitzen  die 
Haut  etwas  eingezogen  erscheint. 

Der  Hautkrebs  besteht  aus  einem  einzelnen,  harten, 
verschiebbaren  Knoten,  oder  aus  melanotischen  Körnern, 
oder  stellt  Alibert's  Keloid  dar. 

Solches  äussert  sich  durch  kleine ,  flache,  unregelmäs- 
sige ,  meist  ovale,  in  der  Mitte  deprimirte  Hautanschwellun- 
gen. Diese  Knoten  sind  hart,  roth  und  verblassen  nicht  beim 
Druck.  Sie  gehen  endlich  wohl  auch  in  Verschwärung  über, 
ohne  aber  die  Charaktere  des  Krebsgeschwüres  darzubieten, 
und  ohne  von  Drüsenanschwellung ,  Erweiterung  der  Ge- 
fässe  u.  s.  w.  begleitet  zu  sein.  Hieher  gehört  auch  der  in 
England  beobachtete  Schornsteinfegerkrebs,  der 
als  eine  harte ,  endlich  verschwärende  Warze  des  Scrotums 
sich  darstellt. 

Zu  den  Trennungen  des  Zusammenhang  es  der 
Körperoberfläche  werden  Risse,  Wunden  und  Geschwüre  ge- 
rechnet, von  deren  einigen  wir  die  Beschreibung'  versuchen 
wollen. 

Wunden  werden  durch  die  Inspection  und  die  Sonde 
leicht  erkannt,  ebenso  ob  sie  oberflächlich  oder  tiefdringend, 
Schnitt-,  Hieb-,  Stich-,  Schuss-  oder  Quetschungswunden 
sind,  u.  s.  w. 

Dass  diese  nach  ihrem  Sitze  und  ihrer  Ausdehnung  ver- 
schiedene physikalische  Erscheinungen  haben,  versteht  sich 
wohl  von  selbst.  So  verbinden  sich  z.  B.  mit  den  Symptomen 
einer  durchdringenden  Brustwunde  häufig  die  Erscheinungen 
des  Extravasates  in  der  Brusthöhle  oder  des  Pneumothorax  etc. 

Verwundete  Venen  lassen  das  dunkle  Blut  in  gleichmäs- 
sigem  Strome  ausfliessen;  besteht  aber  ein  Hinderniss  des 
Rückflusses  im  Gefässe,  selbst  im  Bogen ;  aus  verwundeten  Ar- 
terien spritzt  hingegen  das  hellrothe  Blut  im  hüpfenden  Strahle. 

In  jenen  Venen-Stämmen ,  welche  die  obere  Hohlader 
zusammensetzen ,  tritt  bei  ihrer  Verwundung  gerne  Luft 
unter   einem    zischenden   Geräusche    ein ,    und   verursacht , 


111 

wenn  sie  ins  Herz  gelangt,  schnelle  Ohnmacht,  selbst  den 
Tod. 

Geschwüre  QU  leer  a)  sind  abnorme  wunde  Secre- 
tionsflächen ,  welche  übelbeschafFenen  Eiter  (Jauche)  ab- 
setzen ,  und  Neigung*  zur  Zerstörung  der  Gewebe  zeigen. 
Ihre  Eintheilung  ist  mannigfach :  in  idiopathische  ,  deutero- 
pathische ,  symptomatische,  dyscrasische ,  einfache,  com- 
plicirte  o.  s.  f. 

Den  äusseren  Merkmalen  nach  dürften  folgende  Unter- 
arten wohl  die  merkwürdigsten  sein : 

Nach  dem  Charakter. 

1.  Das  entzündliche  G.  zeigt  einen  gerötheten 
Rand  und  Grund,  wenig  Absonderung,  und  jene,  welche 
erscheint ,  ist  mehr  serös-blutig ,  als  eitrig.  Die  Umgebung 
findet  man  hart,  geschwollen,  rosenartig  geröthet  und  heiss. 

2.  Das  atonische  G.  äussert  sich  durch  die  entge- 
gengesetzten Merkmale.  Die  Geschwürsflächen  und  die  Um- 
gebung sind  Mass,  schlaff,  ödematös ;  das  Secret  ist  dünn 
und  serös. 

3.  Das  durch  seine  Empfindlichkeit  ausgezeichnete  ere- 
thistische  G.  zeigt  eine  leicht  blutende,  gewölbte  Ge- 
schwürsfläche; sparsames  und  scharfes  Secret,  das  zuweilen 
mit  Blut  gemengt,  nach  Cooper's  Vergleich ,  wie  Milch 
mit  Erdbeeren  aussieht.  Die  Ränder  sind  scharf  und  gekerbt, 
die  Umgegend  rosenartig  geröthet. 

Nach  der  Form. 

1.  Schwielige  oder  callöse  G.  sind  meistens  ato- 
nische, und  zeichnen  sich  durch  die  knorpelige  Härte, 
Glätte,  Aufgetrieben heit  und  Blässe  der  Ränder  aus,  so  wie 
durch  den  missfärbigen,  dünnen,  Jauche  absondernden  Grund. 
Zuweilen  erstreckt  sich  die  Callosität  auch  auf  den  letzte- 
ren, so  dass  auf  demselben  unregelmässige  Inseln  erscheinen. 

2.  Hohlgeschwüre  haben  eine  kleine  Öffnung,  aber 


112 

einen  höhlenartig  untergrabenen  Rand.  Die  Haut  darüber  ist 
meistens  dünn  und  bläulieh  gefärbt. 

3.  Schwammige  G.  zeigen  Wucherungen  von  ver- 
schiedener Form ,  Farbe  und  Consistenz,  welche  dem  Boden 
entsprossen  (Caro  luxuriansj. 

4.  Fistelgeschwüre  äussern  sich  durch  eine  oder 
mehrere ,  anfangs  geröthete  ,  später  callöse  Hautüffnungen  , 
welche  mehr  Eiter  oder  Jauche  liefern  ,  als  man  nach  ihrer 
sichtbaren  Grösse  erwarten  sollte ,  besonders  aber ,  wenn 
man  in  der  Umgebung  drückt ,  oder  dem  Theile  verschiedene 
Stellungen  gibt.  Die  enge  Mündung  ist  zuweilen  trichterför- 
mig eingezogen  und  mit  einer  schwammigen  Wucherung  be- 
deckt, in  der  die  Sonde  einen  Canal  entdeckt,  dessen  räum- 
liche Verhältnisse  verschieden  sein  können,  und  der  öfters 
mit  anderen  Canälen  in  Verbindung  steht.  In  manchen  Fällen 
fliesst  ausser  dem  Eiter  noch  ein  Secret  oder  der  Inhalt 
einer  Höhle  heraus,  wenn  nämlich  der  Fistelgang  bis  zu  letz- 
terer gedrungen  ist  und  sich  diese  geöffnet  hat.  In  diesem 
Falle ,  und  wenn  der  Hohlgang  zwei  Öffnungen  hat ,  nennt 
man  den  Zustand  eine  wahre  Fistel;  wenn  er  aber  nur 
eine  Mündung  zeigt ,  eine  unvollkommene,  blinde, 
oder  f  alsch  e. 

Auf  die  Untersuchung  mittelst  der  Sonde ,  dem  Finger 
oder  durch  Einspritzungen,  muss  man  bei  Untersuchung  von 
Fisteln  viele  Aufmerksamkeit  verwenden,  und  selbe  öfters 
wiederholen.  Zuweilen  fühlt  man  nach  dem  Verlaufe  des  Hohl- 
ganges, eine  strangartige  Härte,  und  bei  alten  callösen 
Fisteln  nicht  selten  ein  Knarren,  wie  wenn  man  mit  der  Sonde 
auf  einen  entblössten  Knorpel  stiesse. 

5.  Ödematöse  G.  sind  meist  atonischen  Charakters, 
blass ,  haben  aufgedunsene  Ränder,  einen  glatten,  glänzen- 
den Grund  und  sondern  viel  wässeriges  Secret  ab.  Um  das 
Geschwür  herum  sind  die  Theile  bleich,  ödematös  oder  ro- 
senartig geröthet. 

6.  Das  varicöse  G.  zeigt  sich  entweder  auf  varicö- 


113 

sen  Theilen,  oder  es  wird  selbst  varicös.  Der  Grund  solcher 
Geschwüre  ist  flach ,  braunroth  ,  zuweilen  mit  Blutpuncten 
gezeichnet;  die  scharf  abgeschnittenen  Ränder  werden  nach 
und  nach  hart  und  callös,  und  das  wässerige  Secret  erscheint 
nicht  selten  von  beigemischtem  Blute  schmutzigroth  gefärbt. 
Die  varicöse  knotige  Umgebung  zeigt  meistens  ein  bräunli- 
ches Colorit. 

7.  Das  faulige  Geschwür  wird  an  der  weiss- 
grauen  B'ärbung,  der  Welkheit  und  Schlaffheit  erkannt.  Seine 
Oberfläche  sondert  viele  ätzende ,  rothgraue ,  stinkende 
Jauche  ab.  Wird  es  brandig,  so  erscheint  es  fast  schwarz, 
und  zieht  alle  nahen  Theile  in  den  Zerstörungsprocess.  Ent- 
zündliche Reaction,  wenn  sich  ja  welche  im  Umkreise  zeigt, 
ist  immer  äusserst  gering.  Zuweilen  erzeugen  sich  in  die- 
sen Geschwüren  Maden. 

8.  Bran dige  G.  (V.  gangraen  osa)  sind  von  heftig 
entzündeten,  dunkelroth  gefärbten  Theilen  umgeben,  und 
haben  eine  trockene,  braunrothe ,  oft  schwarz  verschorfte 
Geschwürsfläche.  Wunden  aber,  welche  dem  Einflüsse  des 
Hospital-Brandes  unterliegen,  zeigen  nach  Rust  am 
Grunde  oder  den  gewulsteten  Rändern  einen  grauweissen 
oder  dunkelbraunen  Fleck,  der  je  nachdem  er  auf  dem  Grunde, 
oder  an  den  Rändern  entsteht,  gleich  anfangs  rund,  oder 
erst  halbmondförmig  ist,  um  dann  die  runde  Form  anzuneh- 
men. Diese  Flecke  vergrössern  sich  excentrisch ,  bedingen 
dadurch  eine  kreisrunde  Form  der  Geschwüre ,  ausser  es 
hätte  die  Zerstörung  schon  in  die  Tiefe  gegriffen.  Zuweilen 
erscheinen  derlei  Geschwüre  wie  mit  einer  schimmlichen , 
fest  anhängenden  Haut  überzogen.  Jedesmal  sind  aber  die 
Ränder  zerrissen,  untergraben,  becherförmig  nach  Aussen 
umgestülpt,  und  die  fernere  Umgebung  ödematös  oder  em- 
physematös,  bleich  oder  wachsgelb.  In  weiterer  Entwicklung 
des  Hospitalbrandes  zerfallen  alle  Theile  in  eine  graue  oder 
braune,   breiige  Masse,  welche  das  Geschwür  überzieht. 

Andere    Unterarten     der    Geschwüre    sind: 
Gaal  Diagnostik.  $ 


114 

das  unreine ,  das  jauchige ,  das  fressende,  das  krebsige , 
wandernde,  excentrisch  um  sich  greifende,  vcrschorfende , 
Borken  bildende  Geschwür  u.  s.  f.  oder  nach  zu  Grunde  lie- 
genden dyscrasischen  Krankheiten:  das  scrophulöse,  syphi- 
litische ,  gichtische ,  rheumatische ,  scorbutische ,  mercu- 
rielle,  carcinomatöse,  exanthematische  u.  s.  w.,  deren  Diag- 
nose durch  Berücksichtigung  der  Erscheinungen  des  beglei- 
tenden Allgemeinleidens  wesentlich  erleichtert  wird. 

Scrophulöse  G.  zeigen  übrigens  meistens  einen 
blassen ,  schwammigen  Grund  mit  schlaffen  dunkelrothen , 
unterminirten  Rändern  und  serösem,  mit  käseähnlichen  Thei- 
len  gemischten  Eiter. 

Drüsenverschwärungen  sind  durch  die  zerrissenen  har- 
ten ,  eingezogenen  ,  von  einem  violetten ,  streng  begränzten 
Hofe  umgebenen  Ränder,  den  unebenen,  blassen  Grund  und  den 
Charakter  der  Torpidität  ausgezeichnet.  Die  Narben,  welche 
darnach  zurückbleiben,  sind  lange  Zeit  g'eröthet,  werden 
endlich  blass,  schwielig  und  faltig. 

Von  den  syphilitischen  und  mercuriellen  Ge- 
schwüren wird  in  den ,  der  Untersuchung  der  Rachenhöhle 
und  der  Geschlechtstheile  gewidmeten  Abschnitte  die  Rede 
sein. 

Gicht geschwüre  werden  als  unregelmässige,  ober- 
flächliche Geschwüre  mit  glattem,  braunrothem  Grunde  und 
harten ,  blassen ,  selbst  callösen  Rändern  beschrieben.  Ihre 
scharfe,  wässerige  Jauche  färbt  Verbandstücke  und  Silber- 
sonden schwärzlich ;  die  Narben  nach  ihrer  Heilung  sind 
dünn,  im  Umkreise  dunkel  gefärbt,  unregelmässig  und  gezackt. 

Rheumatische  G.  kommen  meistens  in  der  Nähe  von 
Gelenken  oder  des  Schienbeines  vor,  sind  oberflächlich,  und 
zeigen  einen  glatten,  gelbröthlichen  Grund,  dünnen  Rand, 
umfänglichen  Entzündungshof,  und  secerniren  eine  scharfe , 
gallertartige  Flüssigkeit. 

Scorbutische  G.  entwickeln  sich  oft  aus  unbedeuten- 
den Verletzungen  unter  dem   Einflüsse    der  scorbutjschen 


115 

Blutmischung'.  Dieselben  zeigen  einen  unebenen,  braunro- 
then  oder  U  vi  den  Grund,  der  mit  halbgeronnenem  Blute  oder 
Wucherungen  besetzt  ist,  zerrissene,  aufgeworfene  Ränder, 
die  von  einem  schmalen ,  bläulichen  Saume  umgeben  sind , 
und  sondern  viel  missfärbige ,  blutige  Jauche  ab.  Kommen 
sie  zur  Heilung,  so  bleibt  eine  ausgebreitete,  livide,  glän- 
zende Narbe  zurück. 

Emphysem  des  Unterhautzellgewebes  kommt 
als  weisse,  glänzende,  elastische  Geschwulst  von  verschie- 
den grosser  Ausdehnung  vor,  welche  den  Fingereindruck 
nicht  behält,  (Unterschied  von  Ödem)  und  durch  Druck  oder 
Friction  in  ihrer  Form  und  Verbreitung  geändert  werden 
kann,  wobei  die  Luft  unter  einem  fühl-  und  selbst  hörbaren 
Knistern  in  das  nächste  Zellgewebe  ausweicht. 

Eine  den  Neugeborenen  eigene  Krankheit  ist  die  Zell- 
g  e  w  e  b  s  v  e  r  h  ä  r  t  u  n  g  (Induralio  textus  cellulosQ  , 
welche  gewöhnlich  von  den  Waden  beginnt  und  nach  auf- 
wärts fortschreitet.  Es  schwellen  die  Theile  an,  werden  tro- 
cken ,  hart  und  kalt ,  zuweilen  livid  oder  roth,  das  Thermo- 
meter zeigte  im  Munde  ergriffener  Kinder  selbst  nur  21°  R., 
während  die  Temperatur  im  gesunden  Zustande  daselbst  bis 
30°  beträgt. 

Die  Bewegung  ist  dabei  natürlich  erschwert. 


Hut  ersuehimg  lies  Kopfes,  der  Wirbelgäule  iintl 

des  Halses. 

Untersuchung  des  Kopfes. 

An  dem  Kopfe  sind  die  Verhältnisse  desselben  im  All- 
gemeinen ,  ferner  das  Cranium  ,  die  Augen  ,  die  Ohren  ,  und 
die  Mundhöhle,  Gegenstand  der  Untersuchung. 

8  # 


116 


Von    der  Untersuchung    des   Kopfes    im  Allge- 
meinenund  desCraniums  durch  Inspect  io  n  und 

P  alpation. 

Der  Kopf  bietet  die  häufigsten  Anomalien  bei  Kindern 
dar,  und  ihre  Krankheiten  sind  es,  welche  dessen  Grösse 
und  Gestalt  oft  deutlich  verändern. 

Die  normale  Grösse  des  Kopfes  steht  nach  dem  Lebens- 
alter in  verschiedenem  Verhältnisse  zu  den  übrigen  Theilen 
des  Körpers.  Sein  Wachsthum  wird  bei  vorrückender  Entwi- 
ckelung  der  übrigen  Organe  von  dem  der  letzteren  verhält- 
nissmässig  weit  überholt,  so  dass  der  Kopf,  der  bei  Neu- 
geborenen fast  den  dritten  Theil  des  ganzen  Körpers  aus- 
machte ,  bei  Erwachsenen  als  dessen  7.  bis  8.  Theil  er- 
scheint. Das  Verhältniss  des  Kopfes  zu  dem  übrigen  Körper 
ist  nach  dem 

1.  Lebensjahre  1:4,5 

*•  »      »  1:5 

3.  »      »  1:6 

Die  Untersuchung  der  Grössenverhältnisse  des  ganzen 
Kopfes  sowie  einzelner  Theile  ist  für  den  Arzt  der  Kinder,  der 
Geistes-  und  Nervenkranken  von  grossem  Belange.  Der  Kopf 
findet  sich  übrigens  bei  Kindern  im  Ganzen  vergrös- 
sert,  oft  nur  in  Folge  schnellerer Entwickelung  desselben, 
wobei  die  Stirne  durch  den  Gehirnreichthum  zuweilen  vorge- 
trieben erscheint ,  die  Verknöcherung  aber  rasch  vorschrei- 
tet; diess  ist  eine  Kugelform ,  aus  der  keine  deutliche  Stö- 
rung des  Wohlbefindens  entspringt,  und  die  sich  im  7.  bis 
8.  Lebensjahre  meistens  verliert.  Bei  Rachitisch  en  blei- 
ben dabei  die  Fontanellen  lange  offen ,  und  erscheinen  die 
Schläfen  eingedrückt,  die  Seitenwandbeine  weichen  ausein- 
ander, und  die  Knochen  sind  auffallend  dünn.  Der  Schädel- 
form bei  II y  dr  o  cephalus  ehr  onicus  wurde  schon  ge- 
dacht; in  seltenen  Fällen  findet  sich  der  Kopf  einer  grossen 
mit  Wasser  gefüllten  Blase   ähnlich,    an  dem  nur   einzelne 


117 

Verknöcherungspuncte  sichtbar  sind.  Gewöhnlich  verknö- 
chern Nähte  und  Fontanellen  spät,  und  erscheinen  wulstig 
über  die  Kopfknochen  vorgetrieben ;  doch  geschieht  es  auch, 
dass  jene  verknöchert  sind,  während  die  breiten  Schädelkno- 
chen verdünnt  und  vorgetrieben  erscheinen.  In  diesem  Falle 
liegen  die  Nähte  tief. 

Bei  vulgärem  Cretinismus  ist  die  Grösse  des 
breiten  Kopfes  von  der  vorwaltenden  Entwickelung  der  Kno- 
chen in  die  Dicke  abhängig,  so  dass  dadurch  die  Räume  der 
Kopfhöhlen  sehr  beschränkt  werden.  Solche  Köpfe  zeigen 
meist  eine  niedere  Stirne ,  die  im  Vergleich  zu  den  vorwal- 
tenden Kiefern  noch  minder  entwickelt  erscheint,  und  eine 
Abflachung  des  Hinterhauptes. 

Kleinheit  des  Schädels  in  allen  Dimensionen ,  Flachheit 
der  Stirne  und  des  Hinterhauptes ,  das  wie  abgehackt  aus- 
sieht, mit  zuckerhutartiger  Zuspitzung  des  Scheitels  soll  in 
Schönlei  n's  Cretinismus  c  amp  es  tris  und  ange- 
borener Gehirnatrophie  überhaupt  vorkommen;  die 
Kopfknochen  sind  dabei  gewöhnlich  verdickt.  Durch  unglei- 
che Entwicklung  der  beiden  Kopfhälften  entsteht  der  schiefe 
Kopf,  der  in  der  Ätiologie  von  Geistes-  und  Nervenkrank- 
heiten  eine  nicht  unbedeutende  Rolle  spielt. 

Vom  phrenologischen  Standpuncte  aus  hat  man 
die  Grössenverhältnisse  des  Kopfes  im  Ganzen  und  in  seinen 
Theilen  besonders  zu  betrachten.  Die  Grösse  des  Vorderlap- 
pens gibt  nach  C  o  m  b  e  #)  hier  das  Maass  für  die  Verstandes- 
vermögen ab;  am  Lebenden  erkennt  man  den  Vorderlappen, 
als  den  auf  der  Gehirnkarte  vor  dem  Bausinne  und  Wohlwol- 
len liegenden  Abschnitt.  Zuweilen  zeigt  sich  der  untere 
Theil  des  Vorderlappens ;  vom  Bausinne  nach  vor-  und  ab- 
wärts zur  Basis ,    als   grösser ,    und  entspricht  dem  entwi- 


*)  System  der  Phrenologie  überhaupt,  v.  Hirsohfeld.  Braun- 
schvveig  1833.  Pag.  76. 


118 

ekelten  Wahrnehmungsvermögen ;  zuweilen  wird  aber  der 
obere  Theil,  dem  das  Denkvermögen  zugeschrieben  wird, 
als  mehr  ausgebildet  erkannt.  Wo  der  hintere  Lappen  und 
die  Basis  des  Gehirnes  stark  entwickelt  erscheinen,  sollen 
die  thierischen  Triebe  mehr  vorherrschen.  Was  hinter  einer 
vom  Zitzenfortsatze  aufwärts  zum  Scheitel  gelegenen  Linie 
liegt,  gehört  in  diese  Sphäre. 

Der  Scheiteltheil  des  Gehirnes  ist  der  Sitz  der  morali- 
schen Gefühle  ;  seine  Grösse  wird  nach  der  Höhe  und  Aus- 
breitung des  Schädels  über  den  Organen  der  Vorsicht  in  der 
Mitte  der  Scheitelbeine  und  des  Schlussvermögens  am  Vor- 
derhaupte geschätzt. 

Der  Technik  der  Mensuration  des  Schädels  ward  schon 
gedacht ;  so  wichtig  aber  die  Ergebnisse  der  Messung  sei- 
ner Durchmesser  sind,  so  muss  man  doch  nicht  glauben,  da- 
mit Alles  gethan  zu  haben,  denn  die  Seelenkräfte  lassen  sich 
nicht  mit  dem  Tasterzirkel,  wie  geographische  Meilen  ohne 
Rücksicht  der  Zonen,  Höhen  und  Fluren  bemessen,  es  ge- 
hört eine  allseitige  Würdigung  der  Seelenäusserungen  zur 
Kenntniss  ihrer  Organe. 

Der  Schädel  zerfällt  nach  Grohmann  in  drei  Zonen, 
so  wie  sich  am  Gesichte  drei  Regionen  zeigen :  die  3  Theile 
des  Schädels  sind:    a)  Vorderhaupt  —  Denken; 

6)  Seitenmittelhaupt  —  Empfindung  ; 
c)  Hinterhaupt  —  Trieb ,  Wille. 

DieStirne  lässt  sich  ebenfalls  in  drei  Abschnitte  theilen : 

d)  Orbitalränder — Sinnensphäre,  wahrnehmende  An- 
schauung. 

6)  Mittlere  Breite  —  Reflexion,  Combination,  innere  Vor- 
stellung ,  Imagination. 

c)  Oberer  Stirnrand  —  Denken. 

Drei  Längsstreifen  von  der  Stirn  aufwärts  umfassen : 

d)  Von  der  Nasenwurzel  aufwärts  —  abstractes  Begriffs- 
vermögen y  massiges  Vorstellen  und  Denken. 


119 

ft)  &  c)  Von  den  beiden  OrbitaJrändern  hinauf  —  Witz, 
Phantasie ,  Imagination. 

Das  Seiten-  oder  Mittelhaupt  zeigt  gleichfalls  drei  Theile : 

d)  tiefere  Ohrgegend —  niederes  Gefühl,  Ernährungs- 
trieb ,  Egoismus. 

6)  mittlere  ober  dem  Ohre   —  Mitleidenschaft  u.  s.  w. 

c)  höhere  Scheitelgegend  —  höheres,  ideales  Gefühl. 

Das  Hinterhaupt  in  drei  Abschnitte  getheilt,   zeigt  in: 

a)   der  niedern  Gegend  —  Sexualtrieb,  Instinct; 

6)  im  mittleren  Theile,  —  mehr  selbstbewussten,  conser- 
vativen  Trieb ; 

c)  in  der  oberen  Gegend  —  freie  ,  ideale  Richtung  des 
Willens. 

In  einem  Längenstreifen,  der  von  der  Nasenwurzelnach 
dem  Hinterhaupte  über  den  Scheitel  gezogen  gedacht  wird , 
liegen  oben  die  Centralpuncte  des  veredelten  Denk-,  Em- 
pfindung^- und  Willenlebens  : 

a)   Scharfsinn; 

6)  Wohlwollen,  und 

c)  Selbstachtung. 

Nach  Grohmann#)  sind  vorzüglich  folgende  Kopf- 
formen als  bezeichnend  zu  betrachten. 

1.  Die  allgemeinste  Schädelform ,  die  sich  aus  der  em- 
bryonischen Eiforni  des  kindlichen  Schädels  als  primitiver 
Typus  entwickelt,  ist  die  Kugel.  Sie  bietet  keine  ausdrucks- 
vollen Merkmale,  und  scheint  nur  da  zu  sein,  damit  erst  et- 
was darauf  gezeichnet  werde.  Der  Schädel  ist  klein ,  rund , 
die  Stirne  kurz  und  klein,  und  steht  in  gerader  oder  einwärts 
gebogener  Linie,  das  kleine  Auge  liegt  unter  den  wenig  ab- 
stehenden Orbitalrändern  ,  die  Jochbeine  sind  breit ,  die  Nase 
ist  stumpf  oder  ragt  nur  mit  kleiner  Spitze  hervor,  die  runde 
Kiefergegend  scheint  Nichts  zu  bedeuten.  Solche  sehr  häufig 


*)  Untersuchungen  d.  Phrenologie.  Grimma.  18^2.  p.  47. 


120 

vorkommende  Physiognomien  bezeichnen  den  Nichts  sagen- 
den Ausdruck  sinnlichen  vegetativen  Daseins ,  das  vielleicht 
zu  etwas  höherem  heraufgebildet  werden  kann. 

2.  In  der  viereckigen,  gleichseitigen  Form  des  Antlitzes 
und  Schädels  ,  der  oben  in  scharfe  Kanten  ausgeht ,  scheint 
sich  ein  energischer  Charakter  und  einförmiges,  aber  nach- 
drucksvolles, bei  einem  Entschlüsse  beharrliches,  sinnliches 
Handeln  auszusprechen. 

3.  Der  oblonge,  viereckige  Kopf,  wobei  Schädel  und 
Antlitz  von  den  Seiten  in  einer  breiten  langen  Linie  aufstei- 
gen ,  letzteres  aber  und  die  hinteren  Theile  des  Schädels 
schmal  sind,  deutet  auf  einseitiges,  wenig  umsichtiges  Den- 
ken, starren  Willen ,  indifferentes  Empfinden  und  eine  An- 
schauung,  welche  nur  im  Stande  ist,  jedesmal  einen  Punct 
der  Betrachtung  aufzufinden.  Kritische  Neigung  scheint  in 
dieser  Schädelform  ihre  Anlage  zu  finden,  Ehrgeiz  und  Eitel- 
keit sich  durch  selbe  zu  characterisiren. 

4.  Der  dreieckige  Kopf  mit  oben  befindlicher  Basis,  ohne 
am  Schädel  bedeutende  Wölbung  bemerken  zu  lassen,  und 
sich  nach  unten  am  Kiefer  zuspitzend,  wie  an  den  Schädeln 
der  Nagethiere ,  scheint  Ausdruck  der  Anlage  für  das  tech- 
nisch-mechanische Talent  zu  sein. 

5.  Die  gerade  entgegengesetzte  dreieckige  Kopfform  mit 
unten  breiter  Basis  und  kantiger  Wölbung  des  Cranium,  stellt 
Grohmann  in  Verhältniss  zur  Anlage  zur  närrischen  Ein- 
bildung und  zum  Wahnwitz. 

6.  Eine  Kopfform  ,  wo  an  den  Seiten ,  zwischen  Antlitz 
und  Schädel  eine  Senkung  ist,  und  die  steil  herausliegenden 
Seiten  des  Craniums  von  dem  schmalen  Antlitze  nach  aus- 
und  aufwärts  steigen ,  zeigte  sich  kaum  in  Verbindung  mit 
edlerer,  geistiger  Natur,  begleitete  aber  kräftiges  Handeln 
und  Verarbeiten  der  Aussendinge. 

Diess  waren  mehr  geradlinige  Kopfformen,  von  diesen 
unterscheiden  sich  wesentlich  folgende ,  durch  krumme  Li- 
nien bezeichnete. 


121 

7.  Die  runde  Form,  die  sich  aber  von  jener  Primitivform 
darin  unterscheidet,  dass  bei  jener  Kleinheit  und  mangelhafte 
Entwickelungder  Organe  vorwalten,  bei  dieser  aber  Letz- 
tere mehr  ausgeprägt  sind,  ohne  aber  die  breite,  runde  Form 
des  Kopfes  zu  beeinträchtigen.  Der  psychische  Ausdruck  die- 
ser Form  deutet  auf  passives  Aufnehmen,  speicherartiges 
Niederlegen  des  durch  das  mechanische  Gedächtniss  Gesam- 
melten ,  ohne  geniale  Erfindung  und  Phantasie. 

8.  Die  ovale  mehr  nach  rückwärts  strebende  Form ,  mit 
weit  über  den  Nacken  vorragendem  Hinterhaupte,  deutet  auf 
wohlwollenden  und  handelnden  Charakter,  Phantasie  und  leb- 
haftes Gedankenspiel.  Bei  Sanguinikern  sind  die  Stirne  und 
alle  Formen  mehr  platt  und  flach ,  bei  dem  Choleriker  mehr 
gewölbt,  voller  und  gedrängter. 

9.  Eine  mehr  nach  aufwärts  strebende  und  geschwun- 
gene ovale  oder  parabolische  Form  des  Schädels  mit  kühne- 
rer Wölbung*  der  Stirne  und  vorragendem  Scheitel,  charac- 
terisirt  den  Genius  des  Denkens  und  Dichtens. 

Erst  nach  Betrachtung  der  Grösse  und  Form  des  Kopfes 
im  Ganzen  geht  man  zur  Untersuchung  aller  einzelnen  Organe 
desselben  über,  und  bemerkt,  welche  mehr,  welche  weniger 
entwickelt  erscheinen,  und  bringt  alle  mit  einander  in  ver- 
gleichende Beziehung,  weil  sich  aus  der  Betrachtung  ein- 
zelner Organe  noch  kein  Schluss  folgern  lässt,  und 
viele  Seelenäusserungen  als  Resultat  der  Thätigkeit  mehre- 
rer Organe  erscheinen.  Selbst  die  Bildung  des  Nackens, 
der  obersten  Columna  vertebralis  gibt  wesentliche  Kenn- 
zeichen. 

In  nachstehender  Abbildung  ist  eine  Karte  der  Organe  des 
Gehirnes  gegeben-,  kleine,  recht  brauchbare  colorirte  Büsten 
befinden  sich  in  der  Niederlage  der  k.  k.  Wiener-Porzellan- 
Fabrik. 


122 


Übereinstimmende  Namen  und  Einteilung  der  phre  nolo- 
gischen  Organe  nach  Spur  z  heim,  Corabe,  v.  Struveft) 


und  Gall: 


*)  Handbuch  der  Phrenologie.   Leipzig.  Brockhaus  1845. 


193 


I.  Sinnlichkeit  oder  Triebe. 

1.  Geschlechtstrieb; 

2.  Kinderliebe ; 

3.  Einheitstrieb ,   Abschliessungstrieb  #)  ; 

4.  Anhänglichkeit,  Heimatsliebe; 

5.  Bekämpfungstrieb,  Mutti; 

6.  Zerstörungstrieb; 

7.  Verheimlichungstrieb ,  Intrigue  ; 

8.  Erwerbtrieb,  Zuneigungstrieb; 

9.  Nahrungs  trieb. 

II.  Empfindungsvermögen  oder  Gefühle. 

10.  Selbstgefühl; 

11.  Beifallsliebe,  Eitelkeit  (Eifersucht); 

12.  Sorglichkeit,  Vorsicht; 

13.  Wohlwollen; 

14.  Ehrerbietung,  Gottesfurcht; 

15.  Festigkeit; 

16.  Gewissenhaftigkeit,  Gerechtigkeit; 

17.  Hoffnung; 

18.  Sinn  für  das  Wunderbare ; 

19.  Sinn  für  das  Schöne;  Idealität,  Poesie. 

III.  Darstellungsvermögen  oder  Talente. 

9.  Zusammensetzungssinn  für  mechanische  Kunst,  Bau- 
talent ; 

20.  Witz,  Scherz  nach  Spur zheim  19) ; 

21.  Nachahmungstalent; 
29.  Ordnungssinn; 

32.  Tonsinn,  Melodiensinn; 

33.  Sprach-  oder  Wortsinn  (Wortgedächtniss). 


*)  Nach  Königsfeld. 


124 

IV.  Erkenntnissverniö  gen  oder  Fähigkeiten, 
aj  Nach  dem  Räume. 

22.  Gegenstandssinn; 

23.  Gestaltensinn  (Personengedächtniss)  ; 

24.  Grössensinn ; 

27.  Ortssinn; 

25.  Gewichtssinn; 

26.  Farbensinn. 

b)  Nach  der  Zeit 
31.  Zeitsinn; 
30.  Thatsachensinn. 

cj  Nach  der  Zahl. 

28.  Zahlensinn. 

V.  Denkvermögen  oder  Gaben. 

34.  Vergleichungsgabe  (synthetischer  Verstand)  ; 

35.  Schlussvermögen  (analystischer  Verstand),  metaphy- 
sischer Sinn. 

Zu  bemerken  ist  übrigens  ,  dass  in  GalTs  Tafeln  meh- 
rere der  genannten,  erst  später  entdeckten  Organe  vergeb- 
lich gesucht  werden,  und  dass  die  Zahlen  daselbst  mit  den 
hier  angeführten  nicht  übereinstimmen. 

Die  psychologische  Physiognomik  von  der  Phreno- 
logie trennen  zu  wollen ,  hiesse  das  bewegende  Organ  von 
dem,  in  welchem  sich  die  Bewegung  sichtbar  äussert,  ent- 
fernen; es  hiesse  die  Gesetze  der  bildenden  Natur  verken- 
nen wollen,  welche  sich  in  der  kleinsten,  scheinbar  gering- 
fügigen Gestaltung  als  Offenbarung  eines  geistigen,  unsicht- 
baren Lebens  kund  gibt ,  und  die  am  Haupte  und  im  Ant- 
litze von  der  Thätigkeit  der  geheimen  geistigen  Kräfte ,  die 
wir  Wille  ,  Gemüth  und  Verstand  nennen ,  sichtbares  Zeug- 
nis s  gibt. 

Nach  Lavater  sind  folgende  Punc(e  nicht  ohne  Bedeu- 
tung für  die  Erkenntniss  der  Seelenthätigkeit: 

Die  Stirne  ist   breit  bei  Verstand  und  Genie,   gewölbt 


125 

beim  cholerischen  Temperamente,  schmal  bei  geringen  Gei- 
steskräften ,  hoch  bei  Melancholikern ,  hoch  und  schmal 
mit  langem  Angesichte  und  kleinem  Kinne  bei  tyranni- 
schem Sinne;  zu  hohe  Stirn  soll  auf  Langsamkeit  im 
Begreifen  und  Handeln  deuten.  Bei  Kindern  ist  eine  senk- 
rechte, hohe,  in  der  Mitte  etwas  eingebogene  Stirne  ein  Merk- 
mal von  Eigensinn.  —  Eine  kurze  Stirn  bezeichnet  Geistes- 
armuth ,  eine  kantige ,  viereckige  findet  sich  bei  den  klüg- 
sten und  zuverlässigsten  Charaktern  ,  und  deutet  auf  Geist, 
Muth  und  richtiges  Urtheil.  Eine  nach  den  Schläfen  abge- 
rundete Stirn  wird  als  Zeichen  eines  schwachen,  weibischen 
Geistes  angesehen.  Je  senkrechter  die  Stirne ,  deso  mehr 
Muth  und  festen  Sinn  drückt  sie  aus;  doch  ist  vollkommene 
Perpendicularität  ein  Zeichen  von  Verstandesschwäche.  Vor- 
springende Augenbögen  sind  immer  mit  Anlage  zu  feinen 
Verstandesübungen  verbunden.  Massig  gewölbte,  hohe  Stirne 
gilt  als  Zeichen  von  Verstand ,  Lebhaftigkeit  und  Zorn- 
sucht. 

Hervorspringende  Höcker  sollen  feuriges  Wirken,  Ehr- 
geiz ,  Stolz  und  unbeugsamen  Charakter  bezeichnen ,  Ein- 
drücke hingegen  für  Hinterlist  sprechen. 

Stirnfalten  hält  Lavater  für  Zeichen  eines  finsteren 
Charakters,  Längenfalten  in  der  Nähe  der  Nasenwurzel  für 
den  Ausdruck  von  Kraft ,  Querfalten  hingegen ,  die  in  der 
Mitte  auf-  und  abwärts  gebrochen  sind ,  sollen  Kraftlosig- 
keit bedeuten. 

Struppige  Augenbraunen  sprechen  für  heftigen  Charak- 
ter, gerade  sind  die  Zeichen  eines  männliches  Geistes,  hän- 
gende bezeichnen  ein  finsteres  Gemüth. 

Eine  grosse  Nase  wird  für  ein  Zeichen  von  Geistesga- 
ben gehalten.  Eine  kleine  Nase  von  hohlem  Profil  findet  sich 
bei  den  vortrefflichsten  Menschen  ,  deren  Seelenleben  aber 
mehr  passiv  ist.  Nach  L.  soll  eine  breite  Nase  aussergewöhn- 
liche  Menschen  bezeichnen.  Eine  spitze  Nase  begleitet  Gei- 
stesschärfe und  rege  Phantasie,     eine   stumpfe   deutet  auf 


126 

sinnliche  Neigung* ,  Stumpfsinn  und  Sorglosigkeit.  Eine  ge- 
bogene Nase  bezeichnet  bald  Neigung  zu  Spott,  bald  Herrsch- 
sucht und  Zerstürungstrieb. 

Weite  Nasenlöcher  sollen  auf  Neigung  zur  Sinnlichkeit 
und  Wollust  deuten,  enge  hingegen  einem  furchtsamen  Cha- 
rakter eigen  sein. 

Dicke  Lippen  hält  L  a  va  t  er  für  ein  Zeichen  von  Sinn- 
lichkeit ,  Üppigkeit ;  schmale  Lippen  hingegen  zeugen  für 
Ordnungsliebe,  Fleiss  und  Reinlichkeit,  und  kommen  melan- 
cholischem Temperamente  zu.  Sanft  überhängende  Lippen  be- 
deuten Gutmüthigkeit ,  stark  aufgeworfene  dagegen  Frech- 
heit. Eine  vorspringende  Unterlippe  soll  Ruhmredigkeit  und 
Dummheit  bezeichnen  (auch  die  Unkeuschheit,  den  Geiz 
u.  s.  w.  nach  Andern). 

Ein  spitzes  Kinn  soll  List  und  Geiz  bezeichnen ,  ein 
glattes  auf  Kälte ,  ein  zugleich  kleines  auf  Mangel  an  Un- 
ternehmungsgeist deuten.  Ein  eckiges  Kinn  kommt  klugen 
und  festen  Charakteien  zu,  ein  doppeltes,  fettes  bezeichnet 
Wohlleben. 

Ist  gleich  allen  Arbeiten  Lavater's  das  Gepräge  eines 
grossen  Beobachtungsgeistes  aufgedrückt,  sind  seine  Deu- 
tungen zu  vorhandenen  Gemälden,  Porträten  u.  s.  w.  gleich 
treffend  und  bezeichnend,  so  verlieren  doch  diese  ihren  gan- 
zen Werth,  wenn  sie  von  den  Abbildungen  getrennt  behoben 
werden ,  und  kommen  selbst  mit  manchen  Puncten  der  Phre- 
nologie in  Widerspruch,  da  sie  einer  festeren,  wissen- 
schaftlicheren Basis  ermangeln. 

Wer  sich  mitphrenologischenundpsychisch-physiogno- 
mischen  Studien  beschäftigen  will,  dem  kann  ich  ausser  den 
angeführten  phrenologischen  Schriften  noch  D  eb  aut's  Es- 
quisse  de  la  Phrenologie  empfehlen;  in  derselben  ist  fast  al- 
les in  gedrängter  Kürze  enthalten ,  was  dem  gebildeten 
Arzte  aus  den  beiden  Fächern  zu  wissen  dringend  nöthig 
ist.  Zu  rein  physiognomischen  Studien  gibt  das  weitläufige 
und  weniger  streng  wissenschaftliche,  aber  bisher  unerreichte 


127 

Werk  vonjLavater  #) ,  das  auch  in  der  reichen,  künst- 
lerischen Ausstattung*  mit  vortrefflichen  Kupferstichen  seines 
Gleichen  sucht,  hinlängliche  Gelegenheit. 

Behufs  der  psychischen  Physiognomik  sowohl ,  als  zur 
Erleichterung  des  Studiums  des  Gesichtsausdruckes  in  Krank- 
heiten hat  man  sich  bemüht ,  gewisse  Linien  und  Züge  auf- 
zustellen ,  deren  stärkeres  Vortreten  oder  Vcrwischtseyn 
verschiedene  seelische  und  körperliche  Zustände  begleitet. 
Einige  davon  werden  den  geneigten  Lesern  aus  der  schon 
gegebenen  Skizze  des  Habitus  bei  gewissen  Krankheiten 
noch  erinnerlich  sein,  doch  wollen  wir  sie  sämmtlich  in  mög- 
lichster Kürze  und  Vollständigkeit  besprechen. 

Man  unterscheidet  nach  Baumgärtner  und  J a d e  1  o t 
gewisse  Gesichtslinien ,  welche  in  bestimmter  Beziehung  zu 
den  im  Antlitze  befindlichen  Öffnungen  zu  stehen  scheinen. 
Man  theilt  sie  demnach  am  passendsten  1)  in  eine  Orbi- 
talpartie, 2)  in  jene,  welche  die  Nasenlöcher  betrifft, 
Rhinalpartie,  und  3)  in  jene,  welche  sich  auf  den  Mund 
bezieht ,  S  t  o  m  a  1  p  a  r  t  i  e. 

Die  Linien  selbst  sind  entweder  Kreislinien,  die 
von  Muskeln  hervorgebracht  werden ,  welche  die  Öffnungen 
erweitern,  oder  S  tr  ahle  nlinien  ,  welche  durch  Action 
der  Schliessmuskel  entstehen.  Diese  Linien  werden  aber 
durch  die  Thätigkeit  benachbarter  Muskel  nicht  selten  ver- 
zogen,  wodurch  die  verschobenen  Gesichtslinien 
bewirkt  werden. 

In  psychischer  Hinsicht  soll  die  EntWickelung  der  Kreis  • 
linien  mehr  das  Ergriffenseyn  der  sensitiven  Seite  und  pas- 
sive Zustände ,  das  Ausgeprägtseyn  der  Strahlenlinien  hin- 
gegen Vorwalten  der  motorischen  Sphäre  und  Reaction  be- 
zeichnen. 

1.    Orbitalpartie,    a)  Die   inneren  Kreislinien 


*)  Physiognomischc  Fragmente.    Leipzig,  k  Bd.  in  4.  1775—78. 


128 

werden  von  den  auf  den  Augenlidern  befindlichen ,  geboge- 
nen Furchen  gebildet ;  b)  die  äusseren  Kreislinien  sind  die 
horizontalen  Stirnlinien.  Die  Linea  oculo  zygomatica 
geht  vom  innern  Augenwinkel  bis  zu  einer  etwas  unter  dem 
Jochbeine  gelegenen  Stelle,  wo  sie  verwaschen  endet.  Sie 
deutet  bei  Kindern  auf  Hirnleiden,  bei  Erwachsenen  auf  ge- 
schlechtliche Unordnung.  Strahlenlinien,  a)  Die  inne- 
ren Strahlenlinien  entstehen  durch  Zusammenziehung  des 
Kreismuskels  ,  sind  am  äusseren  Augenwinkel  stärker  ent- 
wickelt, als  an  der  Nasenwurzel,  und  stellen  dort  den  soge- 
nannten Hahnenfuss  oder  Hühnertritt  dar;  b)  die  äusseren 
Strahlenlinien  sind  senkrechte  Furchen  auf  der  Stirne. 

2.  Rhinalp  artie.  Kreislinien,  aj  Die  innersten 
werden  durch  den  Rand  der  Nasenlöcher  gebildet ;  b)  die  mitt- 
lere geht  vom  obern  Rande  des  Nasenflügels  beginnend  in  die 
mittlere  Kreislinie  des  Mundes  über.  Diese  Linie  ist  bei  Er- 
wachsenen immer  deutlich ,  und  selbst  bei  Kindern  sind  ge- 
ringe Reproductionsstörungen  hinreichend,  sie  mehr  sichtbar 
zu  machen.  Je  deutlicher  markirt  diese  Linie  erscheint ,  ein 
desto  tieferes  Leiden  deutet  sie  an  ;  ihr  oberer  Theil  wird  als 
Darmleiden  begleitend  angegeben,  der  untere  Theil  sollMa- 
genkrankheiten  anzeigen;  c)  bei  manchen  Personen  findet 
man  noch  auf  der  Mitte  der  Wange  eine  schwach  angedeu- 
tete, äussere,  kreisförmige  Rhinallinie.  —  Strahlenli- 
nien sind  nur  am  Rücken  der  Nase  und  gegen  die  Flügel 
hin  vorhanden  ,  wenn  selbe  gerunzelt  wird. 

3.  Stomalpartie.  Kreislinien,  a)  Der  Rand  der 
Lippen,  als  innerste  Orbicularlinie;  ft)  die  mittlere  schliesst 
den  Mundwinkel  ein  ,  verbindet  sich  nach  oben  mit  der  mitt- 
leren Kreislinie  der  Nase  ,  mit  der  sie  die  E-Linie  bil- 
det ,  und  verliert  sich  nach  unten  zu  in  das  Kinn  oder  in  die 
Strahlenlinie  des  Mundwinkels,  c)  Die  äusseren  Kreislinien 
des  Mundes,  bei  manchen  Individuen,  als  die  3.  und  4.  Or- 
bicularlinie der  Stomalpartie,  ziehen  über  die  Wangen  die 
vorigen  einschliessend.  —  Strahlenlini  en.    a)  Kleine, 


129 

strahlige  Linien  durch  Zusammenziehung  des  M.  orbicuL  und 
risorius  hervorgebracht ;  b~)  die  Buccalfurche,  bedingt  durch 
den  M.  buccinator,  zieht  von  der  Mitte  der  Backe  zum  Mund- 
winkel hin ;  c)  am  Kinne  prägen  sich  bei  Zusammenziehung 
des  Levator  menti  Strahlenlinien  aus. 

Die  durch  die  Wirkung  der  Muskel  hervorgebrachten 
Gesichtszüge  erscheinen  nach  Moser  #)  als  folgende : 

d)  In  derO  rb  italp  artie,  1.  Züge  des  Orbicularis 
palpebr  arum:  Augenspalte  geschlossen,  strahlige  Palpe- 
brarlinien,  die  Gesichtshaut  am  Mundwinkel  in  die  Höhe  gezo- 
gen —  bei  Schmerzen,  Lichtscheu  und  Widerstreben  gegen  ge- 
wisse Gegenstände;  2)  Züge  des  Cor  ruga  lor:  die  Augen- 
braunen sind  einander  genähert,  eine  senkrechte  Falte  steht 
über  der  Nasenwurzel,  am  Augenbogen  sind  mehrere  strahlige 
Frontalfalten.  —  Diese  Züge  kommen  in  denselben  Fällen 
vor,  wie  die  des  Orbicularis,  und  bezeichnen  übrigens  noch  tie- 
fes Nachdenken  und  Zorn.  3)  Züge  des  Fr  o  n  lalis:  Stark 
gebogene  frontale  Kreislinien ,  weit  offene  Augenspalte,  auf- 
wärts gezogene  Augenbraunen  —  bei  Lichtgier  ,  assimilati- 
vem  Nachdenken ,   Erstaunen. 

ft)  In  der  Rhinal-  und  Stomalpartie,  1)  Züge 
des  Compressor  nasi:  Aufwärts  gezogene  und  g*e- 
spannte ,  strahlige  Rhinallinien  und  im  mittleren  Theile  auf- 
wärts gezogene  Lippe  —  Widerstreben  gegen  unangeneh- 
men Geruch,  Schmerz,  Gemüthsaffecte ,  wie  Verachtung. 
2)  Züge  des  Orbicularis  oris:  Zusammengezogene, 
kleine  Mundspalte ,  rüsselförmig  vorgetriebene  Lippen ,  die 
strahligen  Stomallinien  deutlich,  die  kreisförmigen  aber  ver- 
wischt —  Widerwille  gegen  Nahrung,  Unzufriedenheit, 
leichtes,  psychisches  Aufbrausen.  3)  Züge  des  Buccina- 
tor:  Buccalfurche,  ausgeprägte  Strahlenfalte  des  Mundwin- 
kels ,    sogenanntes    Hasenmaul    mit  vorstehender ,    faltiger 


*)  Die  medic.  Diagnostik  und  Semiolik.  Leipzig  18i5 ,  p.  39. 
Gaal  Diagnostik.  9 


130 

Oberlippe  —  willkürliche  Unterbrechung  des  Athmens ,  ge- 
dankenlose Ruhe ,  eitle  Selbstzufriedenheit,  wenn  zugleich 
die  Züge  des  M.  zygomaticus  major  vortreten.  4)  Züge  des 
L  ev  ator  menti:  Halbmondförmige  Mund  spalte  ,  deren 
Winkel  nach  abwärts  sehen,  die  Lippen  an  einander  ge- 
presst  und  vorgetrieben,  geradegezogene  Rhinal-  und  Sto- 
malkreislinien ,  das  untere  Ende  der  Stomalkreislinie  verbin- 
det sich  mit  den  Strahlenlinien  des  Mundwinkels  zu  einem 
Bogen ,  in  der  aufwärts  gezogenen  Kinnhaut  sieht  man  viele 
strahlige,  unten  nach  aussen  gebogene  Linien  —  dieser  Zug 
wird  bei  leichtem  Schmerz ,  Ekel ,  Vomiturition  und  ga- 
strischen Leiden  beobachtet.  5)  Züge  der  M .  incisivi :  Fast  an 
die  Zähne  gepresste,  eingezogene  Lippen  mit  aufwärts  ge- 
zogener aber  glatter  Kinnhaut,  verlängerter  und  geschlosse- 
ner Mundspalte,  stark  gebogener  Kreislinie  des  Mundes,  Un- 
deutlichwerden der  Nasenkreislinie  —  deuten  auf  verbissenen 
Schmerz  und  Bosheit.  6)  Züge  des  M asseter  und  Tem- 
pora Us:  Die  Muskeln  treten  stärker  vor,  die  untere  Kinn- 
lade ist  an  die  obere  gepresst ;  wirken  die  Plerigoidei  mit, 
so  ist  jene  auch  noch  nach  vorne  verschoben.  7)  Züge  des 
Levalor  alae  nasi:  Weit  offene  Nasenlöcher  und  erho- 
bene Nasenspitze  —  bedeuten  Respirationshindernisse,  ver- 
mehrte Thätigkeit  des  Geruchsorganes ,  Staunen  und  Angst. 
8)  Züge  des  Z  y  g  o  matte  us  minor:  Starke  Nasenkreis- 
linie, im  oberen  Theile  gespannte  Mundkreislinie ,  stärkeres 
Hervortreten  der  strahligen  Palpebrarlinien  bei  offenem  Auge. 
Diese  Züge  kommen  tiefen  Leiden  der  Verdauungsorgane 
zu  ,  besonders  wenn  sie  schmerzhaft  sind,  und  bezeichnen 
auch  Seelenschmerz  ohne  Reaction.  9)  Züge  des  Zygo- 
maticus  major:  Stark  gebogene  mittlere  Kreislinie  des 
Mundes  ,  deutliche  äussere  Stomallinie,  lange,  etwas  offene 
Mundspalte,  deren  Winkel  wenig  nach  oben  gerichtet  sind, 
und  ausgeprägte  Nasenkreislinien  —  deuten  auf  Wohlbehagen, 
gutmüthiges  Lachen.  10)  Züge  des  Risori us:  Die  Mund- 
spalte ist  lang  und  horizontal,  die  mittlere  orbiculäre  Mund- 


131 

linie  knieförmig  gebogen,  die  äussere  sehr  gewölbt,  die 
strahligen  Palpebrarlinien  sind  mehr  ausgeprägt.  Dieser  Zug* 
bedeutet  Ironie ,  in  Verbindung  aber  mit  dem  des  Zyyomati- 
cus  minor  Schmerz.  11)  Züge  des  Trianyularis:  Die 
Mundwinkel  und  die  kreisförmigen  Sternallinien  sind  nach 
unten  und  aussen  verzogen ,  die  Mundspalte  erscheint  lang 
und  geschlossen  —  bei  deprimirenden  Gemüthsaffecten  ,  Nei- 
gung zum  Weinen.  Verbindet  sich  dieser  Zug  mit  dem  des 
Zygom.  min. ,  so  bedeutet  er  verhaltenen  Schmerz ;  gesellt 
er  sich  zu  dem  des  Zygom.  major,  so  drückt  er  zum  Lachen 
geneigte  Stimmung  aus.  12)  Die  Züge  des  Quadr atus 
menli  sind  den  vorigen  ähnlich,  doch  ist  dabei  der  Mund- 
winkel weniger  abwärts,  und  die  Kreislinie  des  Mundes  we- 
niger in  die  Länge  gezogen-,  dieser  Zug  entspricht  Brust- 
beklemmung, Dyspnoe  und  Unzufriedenheit. 

Mehr  Aufschluss,  als  die  genannten  Linien  und  Züge, 
gewährt  in  vielen  Fällen  die  vergleichende  Betrachtung 
des  Auges  und  des  Blickes  mit  den  Symptomen,  welche  aus 
der  Stellung  und  Bewegung  des  Mundes  sich  ergeben.  Gei- 
steskranke zumal  erkennt  man  häufig  auf  den  ersten  Blick, 
ohne  noch  irgend  eine  krankhafte  Äusserung  an  ihnen  zu 
bemerken ,  an  der  Disharmonie  der  Bewegungen  und  des 
Mienenspieles  der  oberen  und  der  unteren  Gesichtshälfte,  so 
dass  z.  B.  ein  düsterer  Blick  mit  einem  lächelnden  Munde 
sich  paart. 

Der  speciellen  Untersuchung  des  Auges  ist  ein  eige- 
ner Abschnitt  gewidmet.  Von  den  Symptomen ,  welche  an 
selbem  für  Leiden  anderer  oft  entfernt  liegender  Organe 
sprechen,  genüge  es  Einige  hier  anzuführen.  Gehirnkrank- 
heiten ,  Convulsionen  äussern  sich  durch  Schielen  und  Rol- 
len der  Augäpfel.  Im  chronischen  Wasserkopfe  sind  letztere 
häufig  nach  abwärts  gekehrt  und  zitternd.  Glotzaugen  kom- 
men im  Todeskampfe ,  in  apoplectischen  Anfällen ,  bei  nar- 
cotischer  Vergiftung  u.  s.  w.  vor. 

Die  Pupille  ist  im  gesunden  Zustande  bei  Kindern 

9  # 


132 

verhältnissmässig  grösser  als  bei  Erwachsenen.  Durch  Ge- 
hirnreizung wird  sie  verengt ,  durch  Druck  auf  das  Gehirn 
erweitert.  Ungleiche  Erweiterung  begleitet  organische  Zu- 
stände des  Nervencentrums ,  die  sich  auf  eine  Hemisphäre 
beschränken. 

Die  S  cleroti  ca  nimmt  an  den  meisten  Färbungen  der 
übrigen  Haut  Antheil,  sie  wird  z.  B.  gelb  im  Icterus,  schmu- 
tzig bei  vielen  Cachexien  und  mit  ecchymotischen  Flecken 
besetzt,  bei  Morb.  Werlhofii >  dem  Scorbute,  der  Cholera 
und  nach  Bi dl  oo  selbst  in  der  Pest. 

Die  Conjunctiva  gibt  häufig  über  den  Zustand  des 
Blutes  und  seine  Vertheilung  Aufschluss ,  wie  über  Conge- 
stion ,  wo  sie  geröthet  und  injicirt,  oder  über  Anämie ,  wo 
sie  nicht  selten ,  wenn  schon  die  übrigen  Theile  wieder  ihr 
normales  Colorit  erlangt  haben,  die  blasse  Farbe  noch  lange 
behält. 

Eingesunken  sind  die  Augen  in  allen  Schwächekrank- 
heiten. Nach  Säfteverlusten ,  in  vielen  Cachexien ,  bei  man- 
chen Geschlechtskrankheiten  sind  die  Augen  von  einem  blei- 
farbenen oder  bläulichen  Ringe  umschlossen. 

Die  Aug'enlider  sind  bei  vielen  Congestipns-  und  Ent- 
zündungskrankheiten ,  Exanthemen  u.  s.  w.  geröthet,  zu- 
weilen von  Thränen  benetzt,  geschwollen  oder  ödematös. 

Bei  Lichtscheue  wegen  Gehirnreizung  werden  die  Au- 
gen fest  geschlossen  gehalten.  Halboffenseyn  der  Augen- 
spalte begleitet  viele  Krankheiten,  besonders  die  mit  Schwäche 
verbunden  sind,  wenn  nicht  Gewohnheit  dessen  Ursache  ist. 

Der  Blick  ist  s  c  har  f,  treffend,  wenn  die  Sehach- 
sen dauernd  an  einem  bestimmten  Objecte  zusammentreffen, 
der  Bulbus  die  gehörige  Spannung  hat,  und  das  Auge  klar  ist 
und  glänzt. 

Den  matten  Blick  erkennen  wir  daran,  dass  dem 
Auge  Klarheit  und  Glanz  mangelt,  dass  es  nicht  gespannt 
ist,  das  Lid  leicht  darüber  herabsinkt,  wiewohl  jenes  auch 
dauernd  auf  ein  Object  gerichtet  ist. 


133 

Der  nicht  treffende  Blick  entsteht,  wenn  die 
Sehachsen  nicht  bestimmt  auf  einen  Gegenstand  gerichtet 
sind  und  die  Aufmerksamkeit  getheilt  ist. 

Der  stiere  und  staunende  Blick  richtet  die  Seh- 
achsen wohl  auf  einen  bestimmten  Gegenstand ,  allein  mehr 
parallel ,  so  dass  sie   in  dem  Objecte  sich  nicht   vereinigen. 

Der  gänzlich  aufgehobene  Blick  lässt  gar 
keine  Seelenthätigkeit  erkennen,  der  fixe  und  der  un- 
stäte  Blick  sind  durch  ihre  Benennung  hinlänglich  bezeich- 
net. Der  nur  aus  einem  Auge  erfolgende  Blick  beruht 
auf  Störung  des  Sehnerven  des  anderen  Auges.  Die  übrigen 
von  Baumgärtner  aufgeführten  Arten  des  Blickes,  als 
der  f  r  eude  s  t  r  ahle  n  d  e  ,  sanfte,  düstere,  wilde, 
angstvolle,  schmerzliche  u  s.w.  haben  den  Grund 
ihres  psychischen  Ausdruckes  in  den  begleitenden  Gesichts- 
zügen. Der  psychologischen  Seite  der  Physiognomik  und  ih- 
rer Verbindung  mit  Phrenologie  wird  übrigens  in  dem  der 
Untersuchung    des  Kopfes  gewidmeten  Abschnitte   gedacht. 

Der  Mund  zeigt  verschiedene  Charactere,  je  nach  dem 
verschiedenen  Leiden,  und  gibt  besonders  für  die  Kinderpra- 
xis werthvolle  Zeichen. 

Einziehen  der  Oberlippe  und  Vortreten  der  Unterlippe 
deutet  auf  vorübergehenden  Schmerz;  auf  dauernden  ein 
anhaltendes  Verziehen  der  Lippen,  wie  zum  Weinen.  Bei 
Hirnleiden  kauen  die  Kinder  zuweilen  an  den  einwärts  ge- 
zogenen Lippen ;  auswärts  gerollt  erscheint  die  Unterlippe 
bei  Abdominalkrankheiten.  Bei  Athmungsbeschwerden  öffnen 
sie  die  Nasenlöcher  weit  und  ziehen  die  Mundwinkel  nach 
aus-  und  abwärts.  Bei  Kolik  und  Vomituritionen  ist  die  Furche 
zwischen  dem  aufwärts  gezogenen  Kinne  und  der  Unterlippe 
stark  vertieft,  und  letztere  wird  halbmondförmig  gebogen. 
Heftiges  Zucken  mit  dem  Munde  und  Auffahren  im  Schlafe 
kündigen  zuweilen  Convulsionen  an.  —  Der  Mund  steht 
offen  bei  Verstopfung  der  Nase  und  Aphten.  Bei  Spasmus 


134 

glottidis  steht  er  weit  offen  und  ist  viereckig*  verzogen.  Ring- 
förmiger Mund  mit  strahlenartigen,  durch  Zusammenpressen 
des  Kreismuskels  erzeugten  Falten,  erschwertem  Schlingen, 
Livor  und  Convulsionen ,  deutet  auf  Trismus  neonatorum. 
Beim  Trismus  Erwachsener  wird  der  Mund  fest  geschlossen 
gehalten ,  die  Mundwinkel  sind  nach  abwärts  gezogen ,  so 
dass  das  Kinn  abgeplattet  erscheint.  Bei  Sclerose  steht  der 
unbewegliche  Mund  wie  ein  Karpfenmaul  offen.  Schiefstehen 
des  Mundes  deutet  entweder  auf  Paralyse  der  einen  oder  auf 
krampfhafte  Zusammenziehung  der  andern  Seite.  Dass  bei 
Convulsionen  der  Mund  oft  rüsselartig  verlängert  wird,  dass 
bei  schweren  Respirationsleiden  und  in  Delirien  oft  beide 
Wangen  aufgeblasen  werden  und  die  Luft  durch  den  Mund 
nach  Art  des  Tabakrauchens  hervorgestossen  wird ,  ist  be- 
kannt. Hier  müssen  wir  auch  noch  der  kauenden  und  schnal- 
zenden Bewegung  des  Mundes  und  des  Zähneknirschens  er- 
wähnen ,  welche  bei  Gehirnleiden ,  Helminthiasis  etc.  zu- 
weilen erscheinen. 

Ausser  den  angeführten,  mehr  vom  phrenologischen  und 
physiognomischen  Standpuncte  aus  betrachteten  Grössenver- 
hältnissen  des  Kopfes  und  seiner  Theile  sind  es  noch  haupt- 
sächlich folgende  Krankheitszustände  ,  welche  sich  zugleich 
durch  Formveränderung,  Consistenz  u.  s.  w.  auszeichnen, 
welche  hier  angeführt  werden  müssen 

Eine  Vertiefung  am  Kopfe  nach  traumatischer  Einwir- 
kung deutet  auf  Schädelbruch  oder  Eindruck ,  und  ist  mei- 
stens mit  Hirnzufällen  in  Verbindung. 

Geschwülste  am  Kopfe,  die  rund  oder  spitz,  genau 
umschrieben ,  resistent ,  nicht  verschiebbar  (meist  auch  em- 
pfindlich) sind,  bezeichnen  gewöhnlich  krankhafte  Metamor- 
phosen des  Knochens  oder  seiner  Beinhaut  und 
werden  durch  Verletzungen  oder  Dyscrasien ,  namentlich 
Syphilis  veranlasst.  (Im  letzteren  Falle  schmerzen  sie  zu- 
weilen des  Nachts.) 

Geschwülste,  welche  prall,  elastisch ,  umschrieben  und 


135 

nicht  wegdrückbar  sind ,  sprechen  für  Ansammlung  einer 
Flüssigkeit,  Serum,  Blut  oder  Eiter  unter  der  Ga- 
lea  aponeurotica  oder  der  Beinhaut ;  ist  die  Geschwulst 
aber  mehr  teigig,  erhaben,  undeutlich  begränzt,  seitlich 
wegdrückbar ,  meistens  mit  veränderter  Hautfärbung  verbun- 
den ,  so  ist  anzunehmen,  dass  sie  sich  unter  der  all- 
gemeinen Decke  befinde. 

Eine  elastische  ,  verschiebbare ,  entzündungslose  Ge- 
schwulst von  langsamer  Entwicklung,  die  über  dem  Knochen 
befindlich  ist  und  gleichzeitig  mit  dem  Herzschlage  pulsirt, 
bezeichnet  das  Aneurysma  der  äusseren  Kopfarterien.  Ist 
es  gross  genug,  so  kann  man  auch  durch  die  Auscultation 
ein  blasendes  Geräusch  daselbst  wahrnehmen. 

Zu  erwähnen  ist  hier  auch  die  rheumatische 
Schwiele,  eine  verwaschene,  zuweilen  teigige  oft  ziem- 
lich breite  Geschwulst  der  Kopfdecken. 

Der  Fungus  cranii  charakterisirt  sich  durch  eine 
abscessartige ,  scheinbar  fluctuirende ,  langsam  und  unter 
Erscheinungen  eines  Hirnleidens  sich  entwickelnde  Ge- 
schwulst, die  mit  den  unterliegenden  Knochen  fest  zusam- 
menhängt, und  wobei  die  Anwendung  äusseren  Druckes  leicht 
Hirnzufälle  hervorruft. 

Bildet  sich  bei  kleinen  Kindern  eine  fluctuirende ,  nicht 
pulsirende ,  durchscheinende,  sackartige  Geschwulst,  so 
wird  sie  als  Hy  drocephalus  ex  ternus  erkannt;  steht 
dieselbe  überdiess  mit  der  Schädelhöhle  in  Verbindung,  sitzt 
sie  am  Hinterhaupte,  oder  ragt  sie  durch  die  Nähte  und  Fon- 
tanellen hervor,  so  bezeichnet  sie  die  angeborne  Hirn- 
hautwassersucht. 

Bei  Neugebornen  zieht  die  Kopfblutge  seh  wulst, 
die  sich  durch  deutliche  Fluctuation  und  anscheinend  durch 
die  hart  anzufühlenden  Ränder  der  unterliegenden  Knochen 
zu  erkennen  gibt,  die  Aufmerksamkeit  des  Arztes  auf  sich, 
so  wie  der  Hirnbruch,  der  als  weiche ,  teigige ,  an  der 
Spitze  oft  scheinbar    schwappende,     isochronisch   mit   dem 


136 

Athmen  sich  hebende  und  senkende  Geschwulst  erkannt  wird, 
welche  durch  angebrachten  Druck,  unter  Hervorrufung  von 
Hirnzufällen,  wenigstens  zum  Theile  in  die  widernatürliche 
Öffnung  der  Schädelhöhle  znrückgebracht  werden  kann.  Der 
Sitz  desselben  ist  meist  an  den  Fontanellen.  Der  Fungus 
durae  matris  zeigt  dieselben  Erscheinungen,  si(zt  aber 
meistens  in  der  Mitte  der  Schädelknochen, 

Der  Zustand  der  F  o  n  t  a  n  e  11  e  n  ist  nie  zu  übersehen,  ob 
sie  geschlossen  sind,  oder  nicht,  gespannt  oder  schlaff  ge- 
fühlt werden  u.  s.  w.  Dauernd  gespannte  Fontanellen  deuten 
auf  Aufregung  des  Gefässsystemes  oder  auf  Kopfcongestion. 
Von  Geburt  aus  schwächliche  Kinder  und  solche ,  die  durch 
Säfteverlust  erschöpft  sind,  zeigen  eingefallene  Fontanellen. 
Sind  Convulsionen  vorhanden  und  die  Fontanellen  gespannt, 
so  kann  man  annehmen,  dass  jene  in  einer  Überfüllung  des 
Gehirnes  ihren  Grund  haben ;  sind  sie  zusammengefallen,  so 
muss  man  auf  andere  Ursache  denken. 

Untersuchung  durch  Auscultation. 

Fischer  #)  in  Boston  behauptete  zuerst,  durch  An- 
setzen des  Stethoscopes  auf  den  Kopf  von  Kindern,  bei  chro- 
nischen Affectionen  der  Meningen  und  des  Gehirnes  ,  ein  mit 
den  Arterienpulsationen  isochrones  ßlasegeräusch  gehört  zu 
haben ,  besonders  deutlich  aber  am  vordem  Ende  der  Pfeil- 
naht. Dieses  im  Normalzustande  nicht  vernehmbare  blasende 
Geräusch  wird  der  Überfüllung  und  Compression  der  an  der 
Basis  des  Gehirnes  befindlichen  Arterien  zugeschrieben,  und 
ist  von  Fischer  und  Khetney  ##)  in  Congestionsfällen, 
z.B.  gleich  nach  dem  Keuchhustenanfalle,  in  acuter  Hirnent- 
zündung mit  und  ohne  Exsudat,  im  chronischen  Hydrocephalus, 
bei  Compression  des  Gehirnes  durch   Geschwülste ,   Indura- 


*>  Gazette  medicale  Nr.  2.  Janvier  1834. 
**)  American  Journ.  of  medical  sciences.  Oct.  1834. 


137 

tion  oder  Schwanimgewäehsen  im  Cerebellum,  bei  Ossifica- 
(ion  der  Gehirnarterie,  Aneurysma  der  Arieria  basilaris y 
Anämie  und  einigen  Hydrocephalus  ähnlichen  Zuständen 
gehört  worden. 

Letzterer  führt  noch  ausser  den  eben  beschriebenen  en- 
cephalischen  Blasen  eine  Cerebral-Ägophonie  an  ,  die  der 
Veränderung  der  Stimme ,  welche  sie  bei  pleuritischen  Er- 
güssen erleidet,  ähnlich  sein  soll,  und  die  er  nur  beim 
Sprechen  Kranker,  die  an  einem  Exsudate  in  der  Höhle 
der  Arachnoidea  litten,  abgesehen  von  der  aus  dem  Mun- 
de dringenden  Stimme,  gehört  hat.  Nebstbei  ist  am  Kopfe 
das  Respirationsgeräusch  über  den  Nasenhöhlen  und  das  Ge- 
räusch der  Deglutition  (eine  Art  von  Gluckgluck)  zu  verneh- 
men, denen  man  aber  keine  besondere  semiotische  Bedeutung 
beilegen  kann. 

Andere  Beobachter  mit  Ausnahme  Ge  n  d  rins  ,  der  das 
Arteriengeräusch  vernahm,  konnten  die  fraglichen  beiden 
Schallmodificationen  nicht  finden,  und  ich  selbst  war  trotz 
der  gespanntesten  Aufmerksamkeit  nie  so  glücklich ,  diesel- 
ben zu  entdecken. 


Untersuchung    des    Auges« 

Allgemeine  Bemerkungen. 

1.  Inspection.  Die  Untersuchung  des  Auges  wird 
grösstentheils  mittelst  des  Gesichtssinnes  vorgenommen. 
Dazu  ist  vor  allen  eine  entsprechende  Beleuchtung* 
nothwendig.  In  den  meisten  Fällen  reicht  das  gewöhnli- 
che Tageslicht  im  Zimmer,  in  der  Nähe  eines  von  der 
Sonne  eben  nicht  beschienenen  Fensters  hin.  Wo  jedoch  das 
zu  untersuchende  Auge  lichtscheu  ist,  muss  die  Inspection 
nur  beim  gedämpften  Lichte  geschehen.  Diess  aus 
dem  doppelten  Grunde,  weil  die  verstärkte  Lichteinwirkung 
auf  das  empfindliche  Auge  demselben  sehr  nachtheilig  seyn 
kann ,  und  weil  die  Untersuchung,  wenn  man  sie  durch  Aus- 


138 

einanderziehen  der  Augenlider  auch  möglich  machen  will, 
dennoch  wegen  der  fortwährenden  krampfhaften  Zusammen- 
ziehung des  Schliessmuskels  nur  unvollkommen  ist,  oder  gänz- 
lich gehindert  wird.  In  einem  solchen  Falle  untersuche  man 
entweder  an  einem  vom  Fenster  mehr  entfernten,  minder  hel- 
len Orte,  oder  beschatte  das  Auge  von  der  Seite  mit  der  Hand, 
oder  lasse  den  Kranken  die  Seite  oder  den  Rücken  dem  Fen- 
ster zukehren.  Bei  Kindern  reicht  jedoch  auch  diess  nicht 
immer  hin.  Gewalt  schadet  da  nur  noch  mehr.  Man  muss  de- 
ren  Neugierde  durch  ein  vorgehaltenes  ,  ihnen  angenehmes 
Objekt,  ein  Spielzeug",  eine  Uhr  u.  dgl.  zu  erregen,  und 
dadurch  ein  freiwilliges  Öffnen  der  Augenlider  zu  bewirken 
suchen.  Hier  ist  allerdings  ein  schneller,  scharfer  und  geüb- 
ter Blick  nothwendig,  um  in  einem  Augenblicke  dieGesammt- 
theile  der  Erscheinungen  auffassen  zu  können.  In  manchen 
Fällen  ,  z.  B.  bei  vorhandenem  höheren  Grade  von  Empfin- 
dungslosigkeit, kann  die  Untersuchung  bei  stärkerer  Be- 
leuchtung vorgenommen  werden. 

Es  ist  ferner  bei  der  Inspection  nothwendig,  dass 
auch  der  Untersuchende  die  gehörige  Stellung  ein- 
nehme; denn  die  Betrachtung  von  vorn  allein  reicht 
nicht  immer  hin ,  und  würde  zu  manchen  Irrthümern  führen. 
Man  muss  das  Auge  auch  von  der  Seite  untersuchen; 
denn  nur  dadurch  wird  es  möglich,  zu  bestimmen ,  welche 
Lage  ein  bestimmtes  Objekt  am  oder  im  Auge  habe,  was  be- 
sonders wichtig  ist ,  bei  der  Untersuchung  der  Hornhaut  der 
vordem  Augenkammer,  der  Iris  und  der  hinter  derselben 
befindlichen  Gebilde.  Auch  ist  es  oft  nothwendig ,  das  Auge 
von  oben,  oder  von  unten  zu  betrachten.  Diese  Unter- 
suchungen in  verschiedenen  Stellungen  können  dadurch  er- 
leichtert werden,  dass  man  den  Kranken  das  Auge  nach  auf- 
oder  abwärts  oder  nach  der  Seite  wenden  lässt. 

Zuweilen  ist  es  zur  vollständigen  Erhebung  aller 
Umstände  erforderlich,  das  Auge  eigentümlich  vorzubereiten. 
Dieses  findet   vorzüglich   dann    Statt,  wenn  es   sich    darum 


139 

handelt j  genau  zu  bestimmen,  ob  ein  Gegenstand  innerhalb 
oder  hinter  der  Pupille  liege,  welcher  Veränderungen  derPu- 
pillarrand  der  Iris  fähig  sei,  in  welchem  Zustande  sich  die  tie- 
feren Augapfelgebilde  (Linse,  Glaskörper,  Retina,  Choroidea) 
sich  befinden.  Hierzu  dient  die  Ein  trau  flung  der  satu- 
rirten  Lösung  eines  narkotischen  Extractes  (Hyoscyamus, 
Belladonna ,  von  ersteren  1  Theil  auf  8 ,  von  letzterer  1 
Theil  auf  16  Theile  destillirten  Wassers).  Am  besten  ge- 
schieht dieses  auf  solche  Weise  ,  dass  dem  in  der  Rücken- 
lage befindlichen  Kranken  einige  Tropfen  dieser  Lösung  mit- 
telst eines  Tropfglases  ins  Auge  geträufelt  werden,  worauf  er 
zehn  Minuten  lang  in  dieser  Lage  bleiben  muss.  In  anderen 
Fällen  ist  eine  besondere  Lage- Änderung  der  Gebilde  zur 
Untersuchung'  erforderlich ,  z.  B.  um  die  innere  Fläche  der 
Augenlider  zu  sehen  ,  deren  Umstülpung.  Das  Nähere  dar- 
über im  speziellen  Theile. 

In  manchen  Fällen ,  wo  es  sich  um  sehr  kleine  Ob- 
jekte oder  sehr  feine  Unterschiede  in  der  Struktur  der  Au- 
gengebilde handelt,  muss  man  das  Sehvermögen  durch  An- 
wendung eines  Vergrösserungs  -  Glases  (convexe 
Linse)  unterstüzen.  Zu  diesem  Ende  reichen  4 — 6fach  ver- 
grössernde  Loupen  hin.  Man  untersuche  nicht  mit  schärferen 
Gläsern ,  und  auch  nicht  zu  lauge ,  weil  durch  Beides  die 
Augen  sehr  gereizt  werden  können. 

2.  Palpation.  Der  Tastsinn  wird  dann  bei  der  Unter- 
suchung von  Augenkrankheiten  in  Anwendung  gebracht,  wo 
die  Lage  krankhafter  Prodrukte  in  der  Umgebung  des  Aug- 
apfels, die  Beschaffenheit  der  Oberfläche  und  die  Con- 
sistenz  solcher  Produkte  oder  der  einzelnen  Augengebilde 
näher  bestimmt  werden  soll. 

Als  Unterstützungsmittel  des  Seh-  und  Tastsinnes 
dienen  dort,  wo  man  mit  diesen  allein  nicht  ausreicht,  man- 
cherlei mechanische  Werkzeuge  ,  als :  Borsten  ,  Darm- 
saiten ,  Sonden,  die  aus  Silber  (An  e  Ische ,  Mej  ansehe), 
aus  Stahl  oder  aus  Fischbein  gefertigt  sind. 


140 

3.  Das  Gehör  wird  nur  in  seltenen  Fällen  zur  physika- 
lischen Untersuchung  der  Augenkrankheiten  verwendet,  sol- 
che wären  z.  B.  aneurysmatische  Erweiterungen  der  Ge- 
fässe  in  der  Orbita. 

Das  von  Alb  er  s  entdeckte  knisternde,  von  der  Ähn- 
lichkeit mit  dem  einer  aufplatzenden  Schote ,  so  benannten 
Schotengeräusch,  entsteht  durch  zähen  Schleim,  der 
am  Augapfel  haftet,  und  hat  nach  Kyll  gar  keine  patholo- 
gische Bedeutung,  indem  bei  normaler  Beschaffenheit  des 
Auges  dasselbe  leicht  durch  Drücken  der  Augenlider,  Be- 
wegen einer  auf  derselben  gebildeten  Hautfalte ,  rasches 
Schliessen  u.  s.  w.  hervorgebracht  werden  kann.  Die  Feuch- 
tigkeiten, welche  zwischen  dem  Bulbus  und  der  innern  Fläche 
der  Augendeckel  sich  befinden,  bilden  mit  der  Luft  bei  ge- 
wissen Bewegungen  Bläschen ,  deren  Zerplatzen  mit  der 
den  Augenhöhlen  vielleicht  zukommenden  Resonanz  das  in  Rede 
stehende  Geräusch  ins  Dasein  ruft. 

Die  Untersuchung  der  zum  Sehorgan  gehörigen  Gebilde 
findet  am  besten  in  der  Ordnung  Statt ,  dass  man  zuerst  die 
den  Augapfel  umgebenden  Theile,  dann  aber  den 
Augapfel  selbst  in  Betrachtung  zieht. 

AJ    Untersuchung  der  den  Augapfel  umgeben- 
den Gebilde. 

Zu  diesen  werden  die  Augenbra  unen,  die  Augen- 
lider, die  Bindehaut,  die  Thr  äneno  rga  n  e  und  die 
Augenhöhle  gerechnet. 

1.  D  i  e  Augenbraun  e  n.  An  den  Augenbraunen  ist 
dielnspection  auf  die  Menge,  Dicke,  Länge  der  Haare, 
auf  die  Farbe  und  Oberfläche  der  unterliegenden  Haut 
und  auf  die  Beweglichkeit  derselben  zu  richten.  In 
manchen  Fällen  sind  die  Haare  sehr  sparsam  oder  ganz  feh- 
lend (besonders  bei  Individuen  mit  lichtem  Kopfhaar),  in  an- 
deren sehr  zahlreich  und  von  eigenthümlich  struppichtem 
Aussehen.  An  der  unterliegenden  Haut  bringen  verschiedene 


141 

Ausschläge  mannigfache  Farben  -  Veränderungen  hervor. 
Auch  finden  sich  Geschwüre ,  ja  sogar  Insecten  nicht 
selten  daselbst.  Hervorragungen,  die  sich  mittelst  der 
Palpation  häufig"  als  von  Periosteum  ausgehende,  mehr- 
weniger feste  Geschwülste  kundgeben,  so  wie  Narben  in  die- 
ser Gegend  sind  besonders  wichtig* ,  wenn  sie  in  der  Nähe 
des  Stirnnerven  vorkommen,  weil  der  durch  dieselben  auf 
den  letzteren  ausgeübte  Druck  einen  das  Sehvermögen  sehr 
störenden  Reflex  auf  den  Augapfel  selbst  bewirken  kann. 
Ausserdem  sind  sie,  besonders  die  ersteren,  oft  Merkmahle 
vorausgegangener  oder  noch  gegenwärtig  bestehender  allge- 
meiner Syphilis.  Unbeweglichkeit  der  Augenbraunen 
ist  mit  Paralyse  des  Stirnmuskels  oder  des  Augenschliessers 
combinirt,  und  deutet  auf  ein  Leiden  der  diese  Muskeln  ver- 
sehenden Nerven. 

2.  Die  Augenlider.  An  diesen  sind  die  Grösse, 
die  Oberfläche,  die  Farbe,  die  Auge  nlid  s  palte  , 
die  Stellung  und  deren  Function  zu  untersuchen. 
Die  Grösse  derselben  ist  vermehrt,  wo  das  Unterhautzellge- 
webe Sitz  krankhafter  Absonderungen  und  Producte  ist ;  ver- 
mindert ,  wenn  durch  Wunden,  Verschwärung  u.  s.  w.  Sub- 
stanzverlust gesetzt  wurde.  Die  Oberfläche  unterliegt  allen 
jenen  Veränderungen,  durch  Bläschen,  Schuppen  etc.  etc., 
deren  die  allgemeine  Decke  überhaupt  fähig*  ist.  Besonders 
wichtig  sind  die  hier  vorkommenden  Geschwülste,  an 
welchen  durch  Palpation  zu  untersuchen  ist,  ob  deren  Sitz 
in  oder  unter  der  allgemeinen  Decke  sei  (Letzteres  ist  der 
Fall,  wenn  dieselbe  sich  in  Falten  legen  lässt),  ob  sie  scharf 
begränzt  seien  oder  nicht,  welche  Consistenz  sie  haben ,  ob 
sich  ein  flüssiges  Contentum  durch  Fluctuation  kund  gibt. 
Der  Hautfurunkel  kommt  unter  dem  Namen  Hordeolum, 
Gerstenkorn,  mit  den  gewöhnlichen  Symptomen  nahe  am 
Augenlidrande  vor.  Eine  dieser  Gegend  eigenthümliche  Ge- 
schwulst ist  jedoch  das  Chalazion ,  Hagelkorn,  wel- 
ches als  ein  in  der  Entwicklung  gehemmter  Furunkel  ange- 


142 

sehen  wird,  und  eine  der  Haut  gleichgefärbte,  ovale,  harte 
Geschwulst  darstellt. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  die  Aug'enlidrän- 
der,  an  welchen  zuerst  die  vordere  dann  die  hintere 
Lefze  zu  betrachten  ist.  An  ersterer  ist  sehr  häufig  Röthe, 
Verdickung* ,  knotige  Beschaffenheit  (bei  Blepharoadenitis 
und  Tylosis  scrophulöser  Individuen)  wahrnehmbar;  auch 
sind  oft  Geschwüre  und  in  deren  Folge  Narben  daselbst  vor- 
handen ,  wo  die  Kante  wie  abgeschliffen  erscheint.  Die  C  i- 
lien  können  an  Zahl  vermindert  oder  ganz'fehlend 
sein  ,  in  Folge  der  angeführten  krankhaften  Beschaffenheit 
des  Augenlidrandes;  vermehrt  kommen  sie  vor,  wenn  aus 
einer  Zwiebel  mehrere  keimen ,  oder  mehrere  Cilien  vorhan- 
den sind.  Besonders  wichtig  ist  die  Richtung*  der  Cilien; 
dieselben  kehren  sich  nämlich  zuweilen  nach  einwärts  gegen 
den  Bulbus,  und  üben  dadurch  einen  höchst  nachtheiligen  Reiz 
auf  denselben  aus  QTrichiasis^) .  Man  entdeckt  diese  falsche 
Richtung  der  Cilien  durch  leichtes  Auseinanderziehen  der  Au- 
genlider mittelst  der  beiden  Daumen  und  genaue  Betrachtung' 
des  Augenlidrandes.  Hier  ist  vorzüglich  darauf  zu  sehen, 
welche  Ursache  dieser  falschen  Richtung'  sich  ermitteln  lasse, 
ob  sie  nicht  bloss  ein  Symptom  der  Einwärtskehrung  des 
ganzen  Augenlides  sei ,  oder  ob  die  narbige  oder  knotige 
Beschaffenheit  der  vordem  Lefze  des  Augenlidrandes  das 
Hervorkeimen  der  Cilien  an  der  normalen  Stelle  hindere,  und 
sie  nöthige ,  eine  falsche  Richtung'  gegen  den  Augapfel  zu 
nehmen,  oder  ob  Mehrzahl  derselben  in  Folge  von  wuchern- 
dem Wachsthume  Statt  finde ,  wo  die  überzähligen  Cilien 
gleichfalls  gegen  den  Augapfel  gerichtet  sind ,  während  die 
normalen  ihre  gehörige  Stellung  haben.  Dergleichen  norm- 
widrige Cilien  sind  oft  so  fein ,  kurz  und  meistens  zugleich 
von  so  lichter  Farbe ,  dass  sie  sehr  leicht  übersehen  werden. 
Hier  ist  folgender  Handgriff  zu  empfehlen:  Man  lege  die 
Daumenfläche  auf  das  Augenlid,  und  drücke  das  obere  etwas 
nach  abwärts ,  das  untere  nach  aufwärts ,  so  dass  der  Au- 


143 

genlidrand  auf  die  Mitte  der  Hornhaut  -  Oberfläche  kommt, 
an  welche  er  zugleich  leise  angedrückt  wird;  so  dient  die 
flache  Oberfläche  der  Cornea  gleichsam  als  Spiegel,  und 
auch  die  kleinsten  Cilien  treten  nun  deutlich  hervor,  so  dass 
sie  abgezählt  werden  können.  Diese  Untersuchungsweise  ist 
weit  leichter  und  sicherer,  als  selbst  die  mit  der  Loupe.  Da 
dergleichen  abnorme  Cilien  die  einzige  Ursache  vieler  chro- 
nischer Ophthalmien  sind ,  so  ist  eine  genaue  Untersuchung 
des  Augenlidrandes  bei  langwierigen  Augenentzündungen 
nie  zu  versäumen. 

Bezüglich  der  hinteren  Kante  des  Augenlidrandes 
ist  zu  achten ,  ob  sie  im  Normalzustande  sich  befinde ,  oder 
ob  sie  nicht  durch  Geschwüres-  und  Narbenbildung  zerstört 
sei,  in  welchem  Falle  abnormes  Thränenträuf  ein  in  Folge  der 
gehinderten  Thränenableitung  vorhanden  ist. —  An  der  Au- 
genlidspalte  ist  zu  berücksichtigen,  ob  sie  die  nor- 
male Weite  habe.  Sie  kann  krankhaft  vergrössert  sein 
durch  wunde  Trennungen  oder  Substanzverlust  an  den  Augen- 
winkeln, krampfhaft  verengert  (Blepharophymosis)  durch 
theilweise  Verwachsung  unter  einander,  besonders  am  äus- 
seren Augenwinkel,  meist  in  Folge  von  Anätzung  oder  Ge- 
schwürsbildung am  Letzteren.  Partielle  oder  totale  Ver- 
wachsung der  Augenlidränder  QAnchyloblepha- 
ron)  kann  übrigens  auch  angeboren,  und  entweder  eine  un- 
mittelbare ,  oder  durch  eine  zwischenliegende  Substanz  be- 
dingte sein.  —  Das  Augenlid  hat  nicht  selten  seine  Stel- 
lung so  geändert,  dass  es  entweder  nach  Aussen  (Ectro- 
pium} oder  nach  einwärts  (Entropium}  gekehrt  er- 
scheint, wobei  besonders  genau  untersucht  werden  muss , 
welches  die  Ursache  dieses  Übels  ist.  Mechanische  ,  durch 
die  Inspection  leicht  zu  erkennende  Ursachen  des  Ectro- 
piums  sind :  Verkürzung  der  äusseren  Haut ,  Trennung  der 
Augenlidcommissuren,  Vergrösserung  des  Knorpels  (am  un- 
tern Augenlide)  Anschwellung,  Wucherung  der  Conjunc- 
tiva  ,    Volumszunahme    des    Augapfels.     Beim   Entropium : 


144 

Verkürzung*  der  Conjunctiva,  Einwärtskrümmung'  des  Knor- 
pels, Verlängerung  der  äussern  Haut.  —  Störungen  in 
der  Bewegung*  der  Augenlider  werden  sich  immer  durch 
auffallende  Veränderungen  ihrer  mechanischen  Verhältnisse 
kundgeben.  Unaufhörliche  Bewegung  derselben  wird  als 
Blinzeln,  Nie  titatio,  bezeichnet  *  aufgehobene  Bewe- 
gung derselben  äussert  sich:  1)  durch  fortwährendes  Ge- 
schlossensein der  Augenlidspalte  QBlep har optosis  spa- 
stica  oder  p  ar  aliticay  je  nachdem  Krampf  des  Kreismus- 
kels, oder  Paralyse  des  Aufhebers  Ursache  davon  ist.  2)  durch 
fortwährendes  Offenbleiben  der  Augenlidspalte,  Lag  Oph- 
thal mus  spasticus  oder  par aliticus  ,  das  Hasen- 
auge, dessen  Ursachen  die  entgegengesetzten  der  Ptosis  sind. 
3.  Die  Bindehaut  QConjunctivaJ.  Hier  ist  vor  Al- 
lem die  Conjunctiva  der  Augenlider  in  Betracht  zu  ziehen. 
In  den  meisten  Fällen  reicht  die  Untersuchung  der  Bindehaut 
des  untern  Augenlides  hin ,  da  man  von  der  Beschaffenheit 
dessen  auf  eine  ähnliche  des  obern  Augenlides  schliessen 
kann.  Dazu  ist  es  nothwendig ,  dasselbe  mittelst  des  Dau- 
mens oder  Zeigefingers  durch  Abziehung  leicht  nach  abwärts 
zu  stülpen.  Die  Umstülpung  des  obern  Lides  wird  nur  dann 
vorgenommen ,  wenn  man  sich ,  bei  vorkommenden  Wuche- 
rungen an  der  Conjunctiva  des  untern  Lids  ,  von  der  Be- 
schaffenheit jener  des  oberen  genauer  überzeugen  will,  oder 
wenn  es  sich  darum  handelt,  einen  fremden  Körper,  der  ins 
Auge  gefallen  ist,  und  den  man  weder  an  der  Oberfläche  des 
Bulbus,  noch  an  der  Innenfläche  des  untern  Augenlides  fand, 
zu  entdecken.  Diese  Umstülpung  des  obern  Lides  wird  am 
besten  mit  Hilfe  eines  beinernen ,  runden  Stäbchens ,  des 
Augenstülpers,  in  Ermanglung  dessen  auch  mittelst  ei- 
nes Federkieles  oder  einer  klingenden  Münze  vorgenommen. 
Zu  diesem  Ende  muss  man  mit  Zeigefinger  und  Daumen  der 
einen  Hand  das  Augenlid  nahe  am  Rande  fassend ,  dasselbe 
vom  Bulbus  ab  und  nach  unten  ziehen ,  und  dann  während 
man  den   Kranken  nach  abwärts  sehen  heisst ,  den  mit  der 


145 

andern  Hand  gehaltenen  Stülper  an  die  äussere  Augenlid- 
fläche in  der  Gegend  des  obern  Randes  vom  Augenlidknorpel 
anlegen,  und  mit  demselben  letzteren  leicht  nach  abwärts 
drücken ,  gleichzeitig  aber  den  Augenlidrand  nach  vor-  und 
aufwärts  ziehen ,  worauf  die  Umstülpung  erfolgt.  —  An  der 
Bindehaut  sowol  der  Augenlider  als  des  Augapfels  hat 
man  zuerst  das  Volumen  derselben  zu  berücksichtigen,  wel- 
ches durch  entzündliche  Anschwellung,  Infiltration,  Wu- 
cherungen oft  bedeutend  vermehrt,  durch  Narben  und 
Atrophie  (Xerosis)  vermindert  sein  kann.  Die  glatte 
Oberfläche  der  Conjunct.  palp.  wird  durch  kleine  punctförmige 
Erhabenheiten  (bei  der  katarrhalischen  Entzündung)  zu  ei- 
ner sammetartigen ,  ja  durch  bis  zur  Hanfkorngrösse  zuneh- 
mende runde  Erhabenheiten  (beim  Trachome)  zu  einer  rau- 
hen ,  hügeligen.  Geschwüre  und  Narben  bilden  an  derselben 
entsprechende  Vertiefungen.  Bezüglich  der  krankhaften  Röthe 
der  Conjunctiva  ist  zu  unterscheiden,  ob  sie  gleichförmig* 
ausgebreitet  oder  nur  stellenweise  vorhanden,  welche  Inten- 
sität und  welche  Nuancirung"  (ins  bläuliche,  gelbe,  braune) 
sie  darbiete.  An  der  Conj.  bulbi  ist  noch  insbesondere  zu 
beachten,  ob  ihre  Röthe  nicht  eine  doppelte  Schich- 
tung wahrnehmen  lasse,  wo  dann  die  oberflächige  der  ei- 
gentlichen Conjunctiva  ,  die  tieferliegende  dem  sub-conjunc- 
tivalen  Zellengewebe  und  der  Sclerotica  zukömmt.  Die  ge- 
störte Function  der  Bindehaut  äussert  sich  durch  qualita- 
tive und  quantitative  Veränderungen  ihres  Secretes. 

Es  gibt  Fälle,  in  welchen  die  Bindehaut  der  Augenli- 
der mit  jener  des  Augapfels  in  abnorme  Verbindung  ge- 
treten ist  (Symblepharon^)  ,  und  zwar  kann  diess  an  einer 
oder  der  anderen  Stelle  Statt  finden.  Wird  diese  Verwach- 
sung durch  dichtes,  kurzes  Zellengewebe  bewirkt,  so  heisst 
man  sie  eine  unmittelbare,  gehen  aber  Fäden  oder  bal- 
kenartige Stränge  von  einer  Conjunctiva  zur  anderen,  so 
nennt  man  das  Symblepharon  ein  mit  t  elb  ares.  Im  ersten 
Gaal  Diagnostik.  \Q 


146 

Falle  ist  die  Beweglichkeit  der  Augenlider  aufgehoben ,  im 
zweiten  nur  erschwert. 

4.  Untersuchung  der  Thränenorgane.  Das 
Thränen  erzeugende  Organ,  die  Thränendrüse,  bietet 
eine  Volums  Vermehrung  dar,  wrenn  sie  entzündet, 
lymphatisch  infiltrirt,  medullarkrebsig  oder  scirrhös  entar- 
tet, oder  der  Sitz  der  Hydatiden  ist.  Man  findet  dann  eine 
an  der  äussern  oberen  Gegend  des  Orbitalrandes  hervortre- 
tende Geschwulst,  durch  die  der  Augapfel  nach  ein-  und  ab- 
wärts und  selbst  nach  vorn  gedrängt  wird.  Die  Oberfläche 
einer  solchen  Geschwulst  zeigt  sich  bei  der  Palpation  höcke- 
rig ,  wenn  Scirrhus  zu  Grunde  liegt ,  und  von  sehr  harter 
Consistenz.  Bei  entzündlicher  oder  lymphatischer  Anschwel- 
lung fühlt  sie  sich  wohl  auch  mehr  oder  weniger  hart  an , 
doch  von  glatter,  gleichförmiger  Oberfläche,  bei  medullarkreb- 
siger  Verbindung  theils  weich  ,  theils  härtlich  ;  bei  vor- 
handener Eiterung  oder  Hydatiden -Erzeugung  ist  Fluctua- 
tion ,  im  letzteren  Falle  an  einzelnen  umschriebenen  Stellen 
sich  äussernd,  wahrnehmbar.  Volumsabnahme  der  Thrä- 
nendrüse durch  Vereiterung  hat  Verminderung  der  Thiänen- 
secretion  zur  Folge,  welche  übrigens  auch  durch  alle  früher 
angeführten  pathologischen  Zustände  quantitative  und 
qualitative  Veränderungen  erleidet. 

Bei  den  Thränen  leitenden  Organen  (Augenlider, 
Thränensee,  Thränen  -  Carunkel)  ist  zu  beachten,  ob  der 
Thränenbach  durch  krankhafte  Beschaffenheit  der  hinteren 
Lefze  des  Augenlidrandes,  und  ob  der  Thränensee  durch 
abnorme  Vergrösserung  der  Carunkel  oder  Verwachsung 
der  naheliegenden  Augenlidränder  nicht  aufgehoben  sei. 

Besonders  wichtig  ist  die  Untersuchung  der  Thränen 
ableitenden  Organe  (Thränenröhrchen,  Thränensack, 
Thränennasengang).  Man  findet  zuweilen  die  Saugmündun- 
gen der  Thränenröhrchen ,  die  Thränenpuncte,  obliterirt  und 
dadurch  manches  anhaltende  Thränenträufeln  erklärt.  Die  Er- 
forschung der  Durchgängigkeit   der  Thränenröhrchen 


147 

wird  nothwendig,  wenn  bei  normal  bestehenden  Thränen- 
puncten  Zeichen  einer  gänzlich  gehinderten  Ableitung  der 
Thränen  in  die  Nasenhöhle  mit  bedeutender  Ansammlung  der- 
selben im  Thränensacke  (Thränensackwassersucht) 
vorhanden  sind.  In  solchen  Fällen  ist  immer  die  vorläufige 
Eröffnung  des  Thränensackes  erforderlich ,  worauf  man  die 
Wegsamkeit  der  Thränenröhrchen  mittelst  Einträuflung  einer 
gefärbten  Flüssigkeit  ins  Auge,  oder  wenn  diess  nicht  hin- 
reicht ,  mit  einer  feinen  Silbersonde  (Ane Tsche  Sonde)  er- 
forscht. Im  ersten  Falle  werden  bei  horizontaler  Rückenlage 
einige  Tropfen  von  einem  mit  SyrupusViolarum  oder  Cochcnill- 
Tinctur  gefärbten  Wasser  in  den  inneren  Augenwinkel  mit- 
telst eines  Tropfglases  geträufelt,  und  darauf  gesehen,  ob 
nach  einigen  Minuten  diese  Flüssigkeit  aus  der  Öffnung  des 
Thränensackes  zum  Vorscheine  kommt.  Bei  der  Untersu- 
chung mit  der  Sonde  ist  das  Augenlid  nach  aussen  anzu- 
spannen,  und  die  Sonde  sehr  behutsam,  unter  drehender  Be- 
wegung durch  den  Thränenpunct  in  das  betreffende  Thränen- 
röhrchen einzuführen.  Hierbei  ist  die  Richtung  jedes  Thrä- 
nenröhrchens  genau  zu  beobachten ,  und  dieser  entspre- 
chend beim  oberen  Thränenröhrchen  die  Sonde  zuerst  nach 
ein-  und  aufwärts,  dann  nach  ein-  und  abwärts,  beim  untern 
nach  ein- und  abwärts,  dann  nach  ein-  und  aufwärts  zu  füh- 
ren. Dringt  die  Sonde  nur  langsam  und  schwer  in  den  Thrä- 
nensack,  so  ist  das  Thränenröhrchen  verengert;  gelingt  diess 
bei  vorsichtig  wiederholten  Versuchen  gar  nicht ,  so  ist  es 
obliterirt. 

Volumszunahme  des  Thränensackes  findet 
Statt  bei  entzündlicher  Anschwellung  und  bei  Ausdehnung 
desselben  durch  angehäufte  Thränen.  Im  ersten  Falle  verläuft 
die  Geschwulst,  der  Lage  des  Thränensackes  entsprechend, 
schief  von  innen  und  oben  nach  aus-  und  abwärts,  hat  eine 
bohnenförmige  Gestalt,  ist  roth  (so  wie  die  umgebende  Haut) 
und  hart  anzufühlen.  Im  zweiten  Falle  kann  die  Geschwulst 
nur  gering ,  flach ,    nicht  umschrieben,    durch  angebrachten 

10  *< 


148 

Druck  nach  oben  durch  die  Thränenröhrchen ,  nach  unten  in 
die  Nasenhöhle  zu  entleeren  sein  (chronische  Blenorrhoe 
des  Thrän  e  n  s  ackes)  ,  oder  sie  ist  rund  ,  deutlich  her- 
vortretend, abgegränzt,  jedoch  noch  immer  nach  beiden  an- 
geführten Richtungen  zu  entleeren  (T  h  r  ä  n  e  n  s  a  c  k  b  r  u  c  h) , 
oder  endlich  ist  sie  zu  einem  noch  höheren  Volumen  gedie- 
hen ,  die  Haut  über  derselben  bläulich,  die  Geschwulst  kann 
aber  weder  nach  oben,  noch  nach  unten  durch  Druck  entleert 
werden  (Thränensackwassersucht).  Allein  diese  Um- 
stände beruhen  auf  erschwerter  oder  aufgehobener  Ableitung 
der  Thränen,  durch  deiiThränennasengang  in  die  Nasenhöhle 
wegen  Verengung  oder  Obliteration  desselben,  und  werden 
von  anhaltendem  Thränenträufeln  begleitet.  Dadurch  bedingte 
Geschwülste  des  Thränensackes  sind  genau  zu  unterschei- 
den von  in  dieser  Gegend  vorkommenden  B  a  1  g  g  e  s  c  h  w  ü  1- 
sten  und  varicösen  Ausdehnungen  derAngularvene.  Bei 
beiden  letzteren  fehlt  die  Störung  in  der  Ableitung  der  Thrä- 
nen; Varices  der  Vene  werden  noch  ausserdem  durch  ihre 
Zunahme  bei  gehindertem  Rückflusse  des  Blutes  erkenntlich. 
Nicht  selten  findet  man  in  der  den  Thränensack  bede- 
ckenden äussern  Haut  oder  deren  Umgebung  kleine  Öffnungen, 
die  in  den  Thränensack  führen,  und  aus  welchen  Thränenflüs- 
sigkeit,  zuweilen  mit  Eitern  gemischt  hervorkommt  (Thrä- 
nensacktistel).  Hier  muss  genau  die  Weite  und  Richtung 
dieses  Fistelganges  bestimmt,  und  dann  die  Beschaffenheit  der 
Schleimhaut  und  besonders  der  hintern  Wand  des  Thränensacks 
so  wie  jene  des  Thränennasenganges  untersucht  werden.  Diess 
geschieht  mittelst  einer  feinen  geknöpften  Fischbeinsonde,  oder 
wenn  diese  nicht  hinreicht,  mit  einer  silbernen  M  e  j  ansehen 
Sonde  ,  ist  der  Fistelgang  sehr  eng,  mit  einer  dünnen  Darm- 
saite ,  ja  selbst  mit  einer  Borste.  Im  letzteren  Falle  muss, 
damit  die  weitere  Erforschung  des  Thränensackes  undNasen- 
ganges  möglich  sei,  der  Fistelcanal  durch  mehrtägiges  Ein- 
legen eines  kleinen  Stückes  Darmsaite,  deren  umgebogenes 
Ende  an  die  äussere  Haut  durch  Klebpflaster  befestigt  wird, 


149 

erweitert  werden.  Die  Sonde  wird  horizontal  in  den  Thrä- 
nensack  bis  zur  hintern  Wand  desselben  eingeführt,  wo  man 
bei  vorhandener  cariöser  Zerstörung  des  Thräncn- 
knochens  eine  rauhe  Stelle  finden  wird. 

Hieraufist  die  Sonde  nach  unten  und  etwas  nach  innen 
zu  richten,  und  unter  Anwendung  leichten  Druckes  be 
gleichzeitiger  Drehung  in  den  Thränen  -  Nasengang  und 
durch  diesen  in  den  untern  Nasengang  zu  schieben.  Wird 
man  daran  durch  einen ,  auch  bei  behutsam  wiederholten 
Versuchen  nicht  zu  beseitigenden  Widerstand  gehindert,  so 
ist  der  Nasengang  unwegsam;  gelingt  es  nach  Überwindung 
des  Hindernisses ,  so  ist  er  bloss  verengt.  Die  Stelle ,  wo 
sich  die  Obliteration  oder  Verengung  des  Canals  befindet, 
wird  aus  der  Länge  des  bis  dahin  einzuführenden  Sonden- 
stückes bemessen. 

Die  eben  angeführte  Untersuchung  des  Thränensackes 
und  Nasenganges  wird  auf  gleiche  Weise  auch  in  jenen  Fäl- 
len vorgenommen,  wo  wegen  Hydrops  sacci  lacrymalis  die- 
ser geöffnet  wurde. 

Bei  allen  diesen  Explorationen  ist  eine  kleine,  aus  Glas, 
Messing  oder  Piatina  verfertigte  Spritze,  mit  dünnem,  krum- 
mem Ansatzrohr  (AneTsche  Spritze)  unentbehrlich.  Mit- 
telst dieser  ist  nämlich  in  den  Thränensack  vor  Beginn  der 
Untersuchung  laues  Wasser  einzuspritzen,  um  darin  ange- 
sammelte, consistentere,  zähere  Materien  aus  demselben  zu 
entfernen.  Dabei  wird  man  finden,  dass,  wenn  der  Thränen- 
Nasengang  vollkommen  durchgängig  ist ,  bei  vorwärts  ge- 
neigtem Kopfe  die  Flüssigkeit  im  Strome  aus  der  entspre- 
chenden Nasenöffnung  fliesst,  bei  verengertem  Lumen  des- 
selben aber  nur  einige  Tropfen ,  die  auf  eine  eigentümliche 
Weise  auch  dem  Gefühle  des  Kranken  bemerkbar  werden, 
zum  Vorschein  kommen,  bei  gänzlicher  Verschliessung  des 
Thränen-Nasenganges  aber  nichts  von  diesem  Statt  findet, 
und  dass  die  eingespritzte  Flüssigkeit  wieder  aus  der  Thrä- 
nensackwunde  zurückfliesst. 


150 

6.  Die  Augenhöhle.  Die  in  der  Tiefe  derselben 
verborgenen  Gebilde  sind  dem  Seh-  und  Tastsinne  unzugäng- 
lich. Krankhafte  Processe  daselbst  werden  nur  dann  auffal- 
lende Veränderungen  hervorrufen ,  wenn  in  deren  Folge  der 
Raum  der  Orbita  verengt  wird.  Dergleichen  sind :  Exostosen, 
Hyperostosen,  Geschwülste,  die  in  der  Augenhöhle  selbst 
erzeugt  sind,  oder  von  den  benachbarten  Cavitäten ,  Schä- 
del-, Stirn-  und  Hyghmorshöhle  dahin  sich  erstrecken.  Fin- 
det die  Verkleinerung  des  Raumes  allseitig  und  gerade  von 
hinten  Statt,  so  wird  der  Augapfel  gerade  nach  vorwärts 
getrieben;  geschieht  diess  jedoch  nur  von  einer  Seite,  so 
wird  derselbe  zugleich  nach  der  entgegengesetzten  Seite 
gedrängt.  Nur  wenn  diese  Geschwülste  bis  nahe  zum  Augen- 
höhlenrande sich  erstrecken,  und  daher  einigermassen  dem 
Tastsinne  näher  kommen ,  kann  deren  genauere  Beschaffen- 
heit, jedoch  auch  nicht  immer  mit  Sicherheit,  bestimmt  wer- 
den. In  den  meisten  Fällen  wird  man  von  dem  Vorhandensein 
derselben  durch  die  Vortreibung  des  Augapfels  ohne 
Volumszunahme  zwar  überzeugt  sein,  die  Natur  der- 
selben aber  nur  muthmasslich  und  unter  Zuhilfenahme  des 
ganzen  Symptomen  -  Apparates  bestimmen  können. 

2?}    Untersuchung   des   Augapfels    selbst. 

Bei  der  Untersuchung  des  Augapfels  hat  man  diesen 
zuerst  im  Ganzen,  dann  in  seinen  einzelnen  Thei- 
len  zu  betrachten. 

In  ersterer  Beziehung  ist  vor  Allem  die  Grösse  des- 
selben zu  berücksichtigen.  Hier  hat  man  sich  besonders  vor 
einer  Täuschung  zu  bewahren ,  vormöge  welcher  derselbe 
oft  an  Volumen  bedeutend  vergrössert  erscheint ,  während 
diess  bloss  durch  ein  stärkeres  Hervortreten  desselben  aus 
der  Augenhöhle  in  Folge  von  Verengung  des  Raumes  der 
Letzteren  bedingt  ist.  Man  muss  daher  immer  das  Volumen 
des  einen  Bulbus  mit  dem  des  andern  vergleichen.  Ver- 
mehrt ist  das  Volum  des  Augapfels  bei   allgemeiner  Ent- 


151 

zündung,  bei  medullar-sarcomatösen  Entartungen  desselben 
und  bei  Anhäufung  der  wässrigen  oder  Glasfeuchtigkeit. 
Vermindert  ist  es,  wenn  der  Bulbus  durch  Eiterung 
oder  Verschwärung  an  Substanz  verloren  (Atrophie},  und 
wenn  die  normalen  Augenfeuchtigkeiten  an  Quantität  bedeu- 
tend abgenommen  haben.  Seine  regelmässig  runde  Form 
erscheint  mannigfach  verändert  in  eine  mehr  conische,  abge- 
plattete durch  organische  Veränderungen  einzelner  und  zwar 
vorzüglich  der  vordem  Augapfelgebilde ,  wovon  später. 

Die  Consistenz  des  Bulbus  wird  vermehrt  durch 
übermässige  Quantität  des  Humor  vitreus ,  feste  Ablagerung 
an  und  in  dem  Gewebe  der  Chorioidea,  Glaucom ;  vermin- 
dert wird  sie  durch  Abnahme  der  Ernährung,  Verflüssigung 
und  verstärkte  Aufsaugung  des  Glaskörpers. 

Bei  der  Erforschung  der  Consistenz  des  Bulbus  hat 
man  die  beiden  Zeigefinger,  jeden  an  einen  Augapfel  zu  le- 
gen ,  um  durch  Vergleichung  beider  Augen  die  nähere  Be- 
stimmung sich  zu  erleichtern. 

Von  grosser  Wichtigkeit  ist  die  Beweglichkeit  des 
Augapfels.  Fortwährende  vermehrte  Bewegungen  des  Aug- 
apfels nach  einer  oder  der  andern  Richtung  deutet  auf  cloni- 
schen  Krampf  der  Augenmuskeln,  N y staxis.  Vermindert 
oder  aufgehoben  wird  die  Beweglichkeit  des  Bul- 
bus bei  vorhandenen  Entartungen  der  in  der  Tiefe  der  Augen- 
höhlen gelagerten  Theile  so  wie  bei  Lähmung  der  Augen- 
muskeln. Im  ersteren  Falle  wird  der  Augapfel,  wie  schon 
oben  angeführt  wurde,  zugleich  nach  vorne  und  in  die  entge- 
gengesetzte Richtung  gedrängt.  Eine  solche  fehlerhafte  Rich- 
tung allein  kann  jedoch  auch  Symptom  einer  blossen  Muskel- 
krankheit sein. 

Man  sieht  in  solchen  Fällen ,  dass  die  Achsen  beider 
Augen  sich  nicht  in  dem  betrachteten  Bilde  vereinigen.  Wel- 
ches das  von  der  Richtung  abweichende  Auge  sei,  wird 
leicht  dadurch  bestimmt,  dass  man  den  einen  Finger  in  mas- 
siger Entfernung  gerade  der  Nase  gegenüber  vorhält,  und 


m 

dann  diesen  langsam  nach  beiden  Seiten  in  horizontaler  Rich- 
tung* bewegt ,  wobei  man  dem  Kranken  aufträgt ,  denselben 
mit  dem  Blicke  zu  fixiren.  Da  wird  man  nun  finden ,  dass 
nur  das  eine,  das  gesunde  Auge  den  Gegenstand  verfolgt, 
während  die  von  dem  anderen  ausgehende  Achse  in  eine 
ganz  andere  Gegend  fällt.  Nur  dann ,  wenn  der  Gegenstand 
dem  normalen  Auge  so  weit  zur  Seite  gebracht  wird ,  dass 
es  von  demselben  wegen  der  vorstehenden  Nase  nicht  mehr 
gesehen  werden  kann ,  wird  das  sonst  abweichende  seine 
Achse  ihm  zuwenden.  In  manchen  Fällen  sieht  man  bei  die- 
sem Versuche,  dass  die  Augen  in  der  Fixirung  des  Objectes 
abwechseln,  und  daher  bald  das  Eine  bald  das  Andere  von 
der  Richtung  abweicht.  Wird  bei  derartig  fehlerhafter  Rich- 
tung des  einen  Auges  das  andere  normale ,  oder  gleichzei- 
tig ähnlich  afficirte,  geschlossen,  so  verlässt  das  Andere 
augenblicklich  seine  falsche  Stellung,  und  kann  durch  Wil- 
lenseinfluss  frei  nach  allen  Gegenden  bewegt  werden.  Diesen 
Zustand  heisst  man  das  Schielen  (Strabismus),  welcher 
sehr  genau  zu  unterscheiden  ist  von  dem  Schiefstehen 
des  Auges  (Luscitas),  wo  zwar  auch  fehlerhafte  Richtung  des 
Augapfels  vorhanden  ist,  diese  aber  unverändert  fortbesteht, 
und  der  Kranke  daher  das  Auge  durch  Willenseinfluss  in 
keine  andere  Stellung  bringen  kann. 

Die  Untersuchung  der  einzelnen  T  h  e  i  1  e  des  Aug- 
apfels wird  in  folgender  Ordnung  vorgenommen: 

1.  Die  Hornhaut.  An  dieser  hat  man  zu  berücksich- 
tigen : 

aj  Die  Grösse,  welche  vermehrt  oder  vermin- 
dert seyn  kann.  Ersteres  ist  bei  übermässiger  Anhäufung 
des  Humor  aqueus,  Hydrophthalmus  anterior,  bei  staphylo- 
matösen  Entartungen  derselben,  bei  scirhösen  Verbildun^en 
der  Iris  etc.  etc.  der  Fall.  Letzteres  findet  bei  einfacher  oder 
durch  Geschwüre  gesetzter  Atrophie  derselben  Statt. 

ft)  Die  Wölbung";  sie  soll  keine  grössere  seyn,  als 
erforderlich  ist,  damit  nur  die  Lichtstrahlen,  die  unter  einem 


153 

kleineren  Winkel  als  von  48°  auffallen ,  ins  Auge  dringen, 
die  andern  aber  reflectirt  werden.  Den  Grad  der  Wölbung 
bemisst  man  durch  die  Inspection  von  der  Seite.  Sie  ist  ver- 
mehrt, im  geringen  Grade  bei  Congestionszuständen  ,  bei 
Kurzsichtigkeit ,  im  höheren  Grade  bei  Hydrophthalrnus 
anterior,  Atonie  der  Cornea,  Staphylom ,  vermindert 
im  höheren  Alter,  in  Folge  der  Abnahme  des  Humor  aqueus, 
bei  atrophischen  Zuständen. 

c}  Die  Oberfläche  wird  ebenfalls  von  der  Seite  bei 
reflectirtem  Lichte  am  besten  untersucht.  Sie  hat  ihre  normale 
Glätte  verloren,  durch  Aufgelockert-  und  Verdicktseyn  ih- 
res Conjunctival- Überzuges  bei  Pannus  (zum  wesentli- 
chen Unterschiede  von  Keratitis,  wo  sie  glatt  bleibt); 
durch  einzelne  kleine  Rauhigkeiten  und  gespitzte  Erhöhun- 
gen— bei  Phlyctänen  und  Pustelbildung;  durch  runde,  bläu- 
lichte, vorragende  Knötchen  —  bei  Vorfällen  der  Iris;  durch 
vermehrte  Wölbung  an  einzelnen  nicht  umgeschriebenen 
Stellen  —  bei  Lymphinfiltration  ;  durch  scharf  umgränzte  Ver- 
tiefungen—  bei  Excoriationen,   Geschwüren  und  Narben. 

Alle  diese  angeführten  Zustände  sind  auch  an  der  in- 
nern  Fläche  der  Cornea  zu  entdecken. 

d)  Die  Durchsichtigkeit  der  Hornhaut  kann  auf 
verschiedene  Weise  getrübt  seyn.  Zuerst  ist  zu  bestimmen, 
ob  diess  nur  an  einzelnen,  mehr -weniger  ausgebreiteten 
Stellen,  oder  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  Statt  finde,  dann 
von  welcher  Farbe  die  Trübung  sei,  welche  Begränzung,  ob 
scharf  oder  verwaschen,  sie  habe,  und  in  welchem  Grade  sie 
das  Sehen  störe,  ob  sie  es  nämlich  nur  beschränke ,  durch- 
scheinend sei  ?  oder  aufhebe,  als  undurchsichtig  erkannt 
werde.  Bei  der  Erforschung  der  Ursachen  dieser  Trübungen 
ist  ausser  diesen  Puncten  immer  gleichzeitig  Rücksicht  auf 
die  Oberfläche  der  Hornhaut  an  den  getrübten  Stellen  zu 
nehmen.  Denn  ist  diese  dort,  wo  sie  getrübt  erscheint,  mehr 
gewölbt,  so  ist  diess  ein  Zeichen,  dass  die  Trübung  von 
Ablagerung    oder    Infiltration   irgend  einer   Materie 


154 

zwischen  den  Hornhaut-Lamellen  herrühre  (diess  kann  Lym- 
phe, Blut,  Eiter  seyn) ;  ist  sie  dagegen  bei  der  betreffenden 
Stelle  verdünnt  _,  ausgehöhlt,  so  muss  Substanzverlust 
eingetreten,  mithin  ein  recentes  oder  vernarbtes  Geschwür 
daselbst  vorhanden  seyn.  Beachtungswerth  bei  alten  Leu- 
ten in  Folge  der  abnehmenden  Ernährung  die  vom  Umfange  der 
Cornea  beginnende  kreisförmige  Trübung  derselben  —  der 
Gr  eis  e  nb  ogen. 

e)  Die  Verbindung.  Die  Hornhaut  geht  in  manchen 
Fällen  abnorme  Verbindungen  ein,  und  zwar  mit  der  Iris 
nach  stattgefundenenVorfällen  der  letzteren.  DieseVerbindung 
kann  p  a  r  t  i  e  1  oder  total  seyn  QSynechia  anterior  part.  vel 
totalis) y  in  welchemFalle  die  vordere  Augenkammer  bei  Inspec- 
tion  von  der  Seite  theilweise  oder  ganz  aufgehoben  erscheint. 
Manchmal  sind  die  normalen  Verbindungen  der  Cornea  mit 
der  Sclerotica  durch  Geschwüre ,  Verletzungen  aufgehoben. 

f)  Die  Gestalt  des  Randes  der  Hornhaut,  wel- 
cher der  kreisrunden  im  normalen  Zustande  sich  nähert,  bei 
artritischen  Verbildungen  (Glaucomen)  aber  ein  nach  beiden 
Augenwinkeln  verlängertes   Ovale   darstellt. 

2.  Die  vordere  Augenkammer.  Diese  erscheint 
vergrössert  in  Folge  von  Anhäufung  der  wässerigen 
Feuchtigkeit ,  Erschlaffung  der  Cornea,  Abplattung  der  Iris  ; 
verkleinert  in  Folge  von  geringer  Menge  des  Humor 
aqueus ,  starker  Wölbung  der  Iris  *,  ganz  aufgehoben 
bei  vorderer  Synechie  ,  Staphylom  ,  bedeutender  Vergrösse- 
rung  des  Glaskörpers. 

3.  Die  wässerige  Feuchtigkeit  ist  quantitativ 
vermehrt  bei  der  vorderen  Augenwassersucht,  und  be- 
dingt dadurch  eine  Vergrösserung  der  vorderen  Augenkam- 
mer; vermindert  bei  Verwachsung  der  Cornea  mit  der 
Iris ,  Atrophie  der  Vordergcbilde  des  Bulbus.  Sie  erscheint 
qualitativ  verändert  durch  Beimengung  von  Blut,  Eiter, 
Lymphe,  Entozöen. 


155 

4.  Die  Iris.  Die  Grösse  der  Regenbogenhaut  kann  in 
Folge  eines  angebornen  Bildungsfehlers  vermehrt  sein  ;  häu- 
figer findet  man  sie  v  er  min  dert,  z.  B.  bei  Atrophie  der 
vorderen  Partien  des  Augapfels;  die  Wölbung  dersel- 
ben scheint  vermehrt,  durch  Anschwellung,  Infiltration, 
bei  Entzündungen,  lympathischen  Verbildungen  derselben, — 
durch  Vergrösserung  der  Linse  bei  weichen  grossen  Cata- 
racten, durch  Anhäufung  des  Humor  vitreus ;  —  vermin- 
dert ist  sie  bei  grosser  Menge  des  Humor  aqueus ,  Atro- 
phie ,  hinterer  Synechie ,  Verlust  der  Linse ,  Verkleinerung 
des  Glaskörpers.  —  Deren  Oberfläche  zeigt  Vorragungen 
bei  Varices ,  Condylomen,  Exsudaten  in  und  an  derselben; 
Vertierungen  bei  Geschwürsbildung;  die  Farbe  der  Iris 
wird  verschieden  verändert:  bei  Entzündungen  wird  dieblaue 
Iris  grün,  diebraune  rothbraun;  auch  zeigt  sie  ein- 
zelne graugelbe  Flecke  von  lymphatischer  Infiltration  ihres 
Gewebes.  In  solchen  Fällen  ist  auch  deren  faserige 
Structur  nicht  mehr  sichtbar,  sondern  sie  hat  ein  soge- 
nanntes verwaschenes  Aussehen.  —  Sie  kann  auch  abnorme 
Verbindungen  mit  der  Cornea  oder  dem  Krystallkörper 
eingehen,  durch  feine  lymphatische  Exsudatfäden. — Die  Be- 
wegungen der  Iris  werden  dadurch  erforscht,  dass  man 
bei  geschlossenem  anderen  Auge ,  durch  abwechselnde  Be- 
schattung mittelst  der  flachen  Hand  verschiedene  Lichtgrade 
einwirken  lässt,  und  darnach  bemisst ,  ob  sich  die  Iris 
schnell,  hinreichend  und  gleichförmig  bewege. 

5.  An  der  Pupille  ist  folgendes  zu  berücksichtigen : 
«)  die  Grösse.  Sie  erscheint  krankhaft  vergrös- 
ser t  bei  paralytischen  Zuständen  ihrer  Nerven  so  wie 
der  Retina,  daher  auch  bei  torpider  Amaurose;  doch  kann 
auch  Krampf  der  Radialfasern  diess  bedingen,  wobei  dieselbe 
oft  auf  einen  schmalen  Saum  reducirt  erscheint.  Der  Druck 
der  entzündeten  Chorioidea  auf  die  Ciliarnerven  dürfte  die 
wahrscheinliche  Ursache  der  bei  Chorioideitis  gewöhnlich  wei- 
ten starren  Pupillen  sein.  Verkleinert  erscheint  letztere 


156 

bei  Entzündungen  der  Iris,  Lymphexsudation,  Krampf  der 
Kreisfasern. 

b)  die  Gestalt.  Die  kreisrunde  Form  derselben  er- 
scheint in  eine  ,  dem  senkrechten  oder  dem  Querdurchmesser 
nach ,  ovale  verändert  bei  arthritischen  Entzündungen  der 
innern  Augengebilde ,  bei  Glaucom;  sie  wird  winklicht, 
unregelmässig  bei  Anwachsung  des  Pupillarrandes  der  Iris 
an  die  Vorderkapsel  der  Linse  (hintere  Synechie)  ,  Lymph- 
exsudat in  der  hintern  Augenkammer,  theilweisem  Krämpfe 
oder  Lähmung  der  Irisfaser. 

c)  die  Farbe.  Die  rein  schwarze  Farbe  muss  verän- 
dert erscheinen  in  Folge  von  krankhaften  Zuständen  der 
wässrigen  Feuchtigkeit  in  der  hintern  Augenkammer ,  der 
Krystalllinse  und  ihrer  Capsel,  des  Glaskörpers  und  der  Glas- 
haut, der  Chorioidea  und  der  Retina.  Es  ist  daher  in  solchen 
Fällen,  wo  die  Farbe  der  Pupille  nicht  die  normale  ist,  vor 
allem  wichtig,  den  Sitz  dieser  Alienation  zu  erkennen.  Hier 
muss  nun  zuerst  bestimmt  werden ,  ob  die  Trübung  i  n  oder 
hinter  der  Pupille  sei.  In  der  Pupille  ist  sie,  wenn  kein  Zwi- 
schenraum zwischen  ihr  und  dem  Pupillarrande  bei  Betrachtung 
von  der  Seite  sichtbar  ist;  wenn  sie  eine  höckerige  ungleiche 
Oberfläche  hat ,  wenn  sie  durch  feine  Fäden  mit  dem  Pupil- 
larrande in  Verbindung  steht,  die  Pupille  winklich  ,  wenig 
oder  gar  nicht  beweglich  ist.  Derlei  Symptome  rühren  von 
einer  durch  Iritis  bedingten  Exsudatbildung  in  der  Pu- 
pille her.  Ist  die  Trübung  in  der  Vorderkapsel ,  so  ist  sie 
sehr  nahe  der  Pupille  gelegen,  besteht  aus  einzelnen, 
oft  pcrlmutterartigen  Streifen ,  Puncten  und  Flecken  ,  und 
lässt  keinen  Schlagschatten  des  Pupillarrandes  der  Iris  wahr- 
nehmen. Hat  die  Trübung  ihren  Sitz  in  der  Linse  selbst,  so 
ist  sie  von  der  Pupille  weiter  entfernt,  hat  eine  convexeForm, 
erscheint  ziemlich  gleichförmig ,  höchstens  einzelne  wolken- 
artige Stellen  darbietend,  und  zeigt  einen  deutlichen  Schlag- 
schatten des  Pupillarrandes  der  Iris.  Ist  Trübung  in  der  Hin- 
tercapsel ;    so  ist  sie   tiefer  im  Hintergrunde  gelegen ,  er- 


157 

scheint  concav ,  umschrieben ,  und  stellt  vom  Centrum  gegen 
die  Peripherie  verlaufende  Streifen  dar.  Durch  die  letztern 
zwei  Puncte  ist  diese  Trübung  objectiv  von  damit  leicht  zu 
verwechselnden  Trübungen  der  Glashaut,  so  wie  von  jener  zu 
unterscheiden  ,  die  auf  organischen  Veränderungen  der  Re- 
tina und  Chorioidea  beruhen  ,  und  zwar  auch  tiefliegend  und 
concav  erscheinen,  jedoch  nicht  begränzt  sind,  keine  Strei- 
fen darbieten ,  und  ausserdem  noch  mit  viel  grösseren  Stö- 
rungen des  Sehvermögens  combinirt  sind  ,  als  die  Trübung 
der  hintern  Capsel  allein.  Die  Unterscheidung,  ob  die  Trü- 
bung in  der  Glashaut ,  in  der  Retina  oder  der  Chorioidea  ih- 
ren Sitz  habe ,  ist  um  so  weniger  möglich,  als  dergleichen 
organische  Veränderungen  in  diesen  Gebilden  gewöhnlich 
gleichzeitig  vorhanden  sind.  Ein  treffliches  Hilfsmittel  bei 
der  Untersuchung  der  hinter  der  Pupille  liegenden  Theile  ist 
die  Erweiterung  derselben  durch  eine  saturirte  Lösung  nar- 
cotischen  Extractes.  Nicht  nur  wird  man  dadurch  von  dem 
Grade  der  Erweiterung,  den  die  Pupille  zulässt,  überzeugt, 
sondern  man  entdeckt  oft  verborgene  Adhäsionen  der  Iris  und 
der  Caspel,  und  übersieht  besser  die  Ausdehnung,  Lage 
und  Form  der  vorhandenen  Trübung.  Besonders  wichtig  ist 
diess  dort,  wo  die  Trübung  von  geringer  Intensität  ist,  weil 
da  eben  deren  nähere  Bestimmung  immer  schwerer  ist.  Hier 
wird  man  sich  oft  einer  Loupe  mit  vielem  Vortheile  bedienen, 
da  man  durch  sie  den  Sitz  der  Trübung,  so  wie  gewisse  Ein- 
zelnheiten in  dieser  leichter  bestimmen  und  unterscheiden  kann. 
Bleibt  man  dessenohngeachtet  noch  in  Ungewissheit,  wo  die 
Trübung  sich  befinde,  so  dient  der  S  onso  n  -Purki  nj  e'- 
sche  Versuch  zur  Entscheidung.  Dieser  beruht  darauf,  dass 
von  einer ,  vor  das  Auge  gehaltenen  Flamme  in  dem  Auge 
selbst  drei  Lichtbilder  erzeugt  werden,  und  von  Aussen 
wahrnehmbar  sind ,  nämlich  eines  von  der  Hornhaut ,  eines 
von  der  vordem  und  eines  von  der  hintern  Kapsel-,  die  ersten 
zwei  stehen  aufrecht ,  zwischen  ihnen  ist  das  umgekehrte 
von  der  hintern,  als  Concav-Spiegel  wirkenden  Kapsel  be- 


158 

findlich.  Dieser  Versuch  muss  im  Dunkeln  bei  künstlich  er- 
weiterter Pupille  vorgenommen  werden.  Ist  die  Trübung'  in 
der  Vorderkapsel,  so  wird  nur  das  von  der  Hornhaut  erzeugte 
Lichtbild  sichtbar  sein;  ist  sie  in  der  Linse  oder  der  Hinter- 
kapsel, so  fehlt  das  mittlere  umgekehrte  Bild,  hat  sie  dage- 
gen ihren  Sitz  in  der  Chorioidea,  der  Retina,  oder  dem 
Glaskörper,  so  erscheinen  die  drei  Lichtbilder  unversehrt. 
Derselbe  Versuch  dient  auch  dazu,  um  die  auf  einer  Affec- 
tion  der  Retina  beruhende  Schwachsichtigkeit  (Amaurose) 
von  der  Cataracta  nigra ,  wo  die  Linse  schwärzlich  gefärbt 
ist,  zu  unterscheiden,  da  bei  ersterer  alle  drei  Lichtbilder 
vorhanden  sind ,  die  bei  der  anderen  fehlen.  —  Nächst  dem 
Sitze,  der  Ausdehnung  und  Begränzung  der  Pu- 
pillentrübungen, ist  auch  die  Qualität  ihrer  Farbe  genauer 
zu  bestimmen.  Sie  ist  weisslich ,  bläulich  beim  weichen , 
grau  ins  gelbliche  spielend  beim  harten  Linsenstaare.  In 
seltenen  Fällen  zeigt  die  Linse  eine  röthliche,  bräunliche 
oder  schwärzliche  Farbe ,  in  welch  letzterem  Falle  die  Pu- 
pille grauschwarz,  wie  ein  mit  Tinte  bestrichenes  Papier  er- 
scheint. 

6.  Die  hintere  Augenkammer.  Die  Grösse 
der  hinteren  Augenkammer  wird  bestimmt  durch  das  Verhält- 
niss  des  Krystallkörpers  zur  Iris.  Sie  wird  daher  weiter, 
sobald  dieser  fehlt  (in  Folge  einer  Staaroperation)  oder  wenn 
derselbe  weg"en  Abnahme  des  Humor  vitreus  weiter  zurück- 
weicht. Ist  der  Krystallkörper  getrübt,  so  wird  die  Grösse 
der  hintern  Augenkammer  aus  dem  Vorhandensein  oder  Feh- 
len des  vom  Pupillarrande  der  Iris  auf  dieselbe  geworfenen 
Schlagschatten  beurtheilt.  Ist  nämlich  die  Trübung  bloss  auf 
die  Linse  beschränkt,  mithin  in  einiger  Entfernung  von  der 
Pupille,  so  tritt  der  Schlagschatten  deutlich  zum  Vorschein, 
z.  B.  bei  harter  Linsen- Cataracte;  —  dehnt  sich  die  Trü- 
bung jedoch  auf  die  Kapsel  aus,  und  ist  besonders  gleich- 
zeitig das  Volumen  der  ebenfalls  getrübten  Linse  vermehrt 
(wie  diess  bei  weichen  Cataracten  der  Fall  zu  sein  pflegt), 


159 

ist  mithin  diese  Trübung*  der  Pupille  sehr  nahe  gerückt ,  so 
kann  kein  Schlagschatten  entstehen.  Verringert  oder 
selbst  aufgehoben  erscheint  die  hintere  Augenkammer, 
in  Folge  von  Verwachsungen  der  Iris  mit  dem  Krystallkörper, 
oder  stattgefundenen  grösseren  Exsudaten  in  derselben. 

7.  Der  Krystallkürper  wird  nur  dann  sichtbar, 
wenn  er  seine  normale  Durchsichtigkeit  verloren  hat; 
man  schliesst  daher  auf  dessen  Beschaffenheit  aus  den  an  der 
Pupille  sichtbaren  Veränderungen  (Siehe  oben). 

8.  Der  Glaskörper  kann  an  Volumen  zunehmen 
QHydvophthalmus  posterior^  ,  wobei  der  ganze  Augapfel 
stärker  hervorragt  und  härter  sich  anfühlt.  Nimmt  dagegen 
die  Menge  des  Glaskörpers  ab ,  so  sinkt  der  Bulbus  in  die 
Orbita,  wird  kleiner  und  weicher.  Aufhebung  der  Durchsich- 
tigkeit desselben  und  besonders  der  Glashaut  lässt  sich  an 
der  weit  hinter  der  Pupille  liegenden,  matten,  concaven , 
ausgedehnten  Trübung  erkennen. 

9.  Die  Netzhaut.  Krankhafte  Zustände  der  Retina 
geben  sich  selten  durch  objective  Veränderungen  kund  ,  und 
finden  dergleichen  auch  Statt ,  so  ist  es  nicht  immer  mit  Si- 
cherheit zu  bestimmen,  ob  sie  die  Netzhaut  allein,  oder 
vielmehr  die  Chorioidea ,  oder  beide  gleichzeitig  betreffen. 
Eine  grauliche,  graulich-gelbe,  weit  von  der 
Pupille  entfernte,  concave  Trübung  lässt  auf 
organische  Veränderungen  im  Gewebe  der  Retina  schliessen, 
welche  durch  Congestion  und  Entzündung  und  damit  verbun- 
dene lymphatische  Infiltration  oder  durch  Exsudatbildung  hö- 
heren Grades  bedingt  sein  können.  Hat  diese  Trübung  ein 
eigenthümlich  glänzendes  Aussehen,  gleich  dem 
eines  polirten  Eisens,  kommen  darin  selbst  einzelne 
kleine  Gefässbündel  zum  Vorschein,  so  ist  die  Entwickelung 
des  Fungus  medullaris  zu  gewärtigen. 

10.  Die  Chorioidea  bietet  in  ihren  materiellen  Ver- 
änderungen denen  der  Retina  ähnliche  Erscheinungen  dar, 
und  man  ist  bei  deren  Vorhandensein  auf  ein  vorzügliches 


160 

Leiden  der  Gefässhaut  zu  schliessen  dann  berechtigt,  wenn 
letztere  durch  die  Sclerotica  bläulich  hindurchschimmert , 
wenn  zahlreiche  varicös  ausgedehnte  Gefässe  in  der  Conjunc- 
tiva  bulbi  und  Sclerotica  auftreten  ,  oder  an  einzelnen  Stel- 
len der  letztgenannten  Membrane  bläuliche  Knoten  zum  Vor- 
scheine kommen.  Diese  erhalten  zuweilen  eine  solche  Grösse, 
dass  die  Chorioidea  durch  die  allmälig  immer  dünner  wer- 
dende Sclerotica  selbst  in  Form  erbsengrosser,  runder  und 
schwarzblauer  Wülste  und  Erhabenheiten  hervortritt  (Va- 
rices  chorioideae }  Staphyloma  chorioideae) . 

11.  Die  S  clerotica  erfährt  eine  Volums  Vermeh- 
rung* in  Folge  der  übermässigen  Menge  der  Glasfeuchtig- 
keit  (Hydrophthalmus  anterior")  ,  wo  zugleich  der  ganze 
Augapfel  fester,  gespannter  sich  anfühlen  lässt,  ebenso 
beim  Hervorkeimen  bösartiger  Geschwülste,  des  Scirrhus  , 
des  Medullarsarcoms  und  der  Melanose.  Veränderungen 
ihrer  0  b er  flä  che  werden  vorzüglich  durch  die  eben  er- 
wähnten Ausdehnungen  der  Chorioidea ,  so  wie  auch  durch 
Excrescenzen  fungöser  Art  bewirkt. 

Ihre  Farbe  erscheint  blassrot  h,  ins  gelbliche  spie- 
lend, bei  vorhandener  Entzündung  derselben;  schmutzig- 
g*elb  bei  Störungen  der  Gallensecrelion,  Leberleiden,  ar- 
thritischen Affectionen ;  bläulich  bei  stattfindender  Ver- 
dünnung derselben,  Turgor  der  Chorioidea  und  ihrer  Gefässe. 

Untersuchung*  der  Nase. 

Abgesehen  von  dem  mehr  physiognomischen  Zeichen,  die 
an  diesem  Organe  für  Leiden  anderer  entfernterer  Theile 
sprechen,  sind  vorzüglich  jene,  welche  die  Krankheiten  der 
Nase  kund  geben,   Gegenstand  unserer  Untersuchung*. 

Durch  die  Besichtigung*  erkennen  wir  zuerst  im  Allge- 
meinen ,  ob  die  Nase  gross  oder  klein,  schmal  oder  breit  ist, 
ob  sie  schief  steht ,  wie  es  zuweilen  durch  traumatische 
Einwirkung,  oder  durch  Druck  einer  im  Innern  befindli- 
chen   Geschwulst     eines    Polypen    bewirkt    wird;     ob    sie 


161 

verbildet ,  oder  gar  gespalten  sich  darstellt ,  was  als  ange- 
borner  Bildungsfehler  mit  Gaumenspalte  in  selteneren  Fällen 
beobachtet  wird.  Zuweilen  finden  sich  die  Nasenbeine  ge- 
brochen ,  oder  aus  der  Verbindung  mit  den  benachbarten 
Knochen  getreten ,  was  durch  das  Gefühl  der  Verschiebung 
und  durch  die  Crepitation  erkannt  wird.  Anschwellung  der 
Nase  deutet  auf  Schnupfen,  scrophulöses,  syphilitisches  Lei- 
den ,  ist  zuweilen  Begleiter  acuter  Exantheme ,  wie  der 
Pocken,  oder  der  Gesichtsrose ;  eine  dauernd  rothe ,  glän- 
zende Nase  kommt  bei  Erfrierung  und  Kupferhandel  vor,  und 
ist  manches  Mal  mit  Knoten  verbunden,  z.  B.  bei  Lupus.  Ein- 
gesunken oder  durch  Verschwörung  zerstört  findet  man  die 
Nase  bei  scrophulösen  und  syphilitischen  Leiden.  Narben  deu- 
ten auf  vorausgegangene  Verwundung,  Vereiterung  oder 
künstliche  Nasenbildung. 

Die  Nasenlöcher  sind  oft  geröthet  (in  Schnupfen  ,  vor 
Nasenbluten ,  in  acuten  Exanthemen)  ,  bisweilen  findet  man 
sie  durch  häufiges  Bohren ,  wie  es  bei  Wurmkranken  der 
Fall  ist ,  oder  durch  Geschwülste ,  Polypen  etc.  erweitert , 
in  anderen  Fällen  jedoch   sind  die  Nasenflügel   eingesunken. 

Im  Nasenwinkel  entsteht  bei  Leiden  des  Thränensackes 
eine  erbsen-bis  bohnengrosse ,  pralle  Geschwulst,  deren 
Gränzen  scharf  umschrieben  sind ;  zuweilen  wird  diese  ela- 
stisch und  fluctuirend ,  wie  bei  der  Thränensack- Wasser- 
sucht; das  Genauere  hierüber  ward  schon  in  dem  der  Unter- 
suchung" des  Auges  gewidmeten  Abschnitte  angegeben. 

Die  Nasenmündung'  ist  in  seltenen  Fällen  v  e  r- 
wachsen.  Die  Verwachsung  kann  aber  eine  äussere  oder 
eine  innere  sein ,  eine  theilweise ,  häutige  oder  eine  Ver- 
schmelzung. Die  häutige ,  äussere  Verwachsung  wird  durch 
den  Gesichtssinn  erkannt,  und  stellt  sich  als  eine  elastische, 
etwas  fluetuirende  Haut  dar ,  welche  bei  Exspirations-Ver- 
suchen  ,  während  das  andere  Nasenloch  und  der  Mund  ge- 
schlossen gehalten  werden,  bauchig  vorgetrieben  wird ;  liegt 
die  Verwachsungsstelle  tiefer,  so  wird  sie  durch  die  Sonde, 
Gaal  Diagnostik.  11 


162 

oder  das  Nasenspeculura  erkannt,  dasselbe  gleicht  ganz  dem, 
das  man  zur  Untersuchung*  des  Gehörganges  braucht,  nur 
dass  es  etwas  grösser  ist,  und  durch  Druck  auf  die  Schenkel 
mehr  erweitert  werden  kann  ,  da  die  Nasenwände  leicht  eine 
grössere  Ausdehnung  zulassen,  als  der  knöcherne  Gehör- 
gang; dass  dabei  die  Nasenmündung*  durch  Zurückbiegen 
des  Kopfes  so  gestellt  werden  muss,  dass  hinreichend  Licht 
in  die  Öffnung  zu  dringen  vermag,  versteht  sich  von  selbst. 
Ist  das  Nasenloch  sehr  enge,  so  kann  man  kein  Speculum 
einbringen,  und  muss  sich  damit  begnügen,  den  äusseren 
Rand  des  Nasenloches  mit  dem  Finger  zu  fassen  und  nach 
Aussen  abzuziehen,  oder  Letzteres  durch  das  Öffnen  einer 
Pincette  zu  erweitern. 

Durch  tue  Besichtigung  erkennen  wir  ferner  im  Canale 
der  Nase  deren  Verstopfung  durch  fremde  Körper,  Anhäu- 
fung von  Schleim,  Blutpfröpfen,  Anwesenheit  eines  Polypen, 
Anschwellung  der  Schleimhaut,  Verbildung  der  Nasenscheide- 
wand u.  s.w.  Dass  die  aus  der  Nase  kommenden  Flüssigkeiten, 
als:  Speisen  und  Getränke,  Schleim,  Blut  oder  Eiter,  und 
ihre  mehr  milde  oder  ätzende  Beschaffenheit  gleichfalls  häu- 
fig Gegenstand  der  Untersuchung  werden ,  ist  bekannt;  zu- 
weilen hindert  aber  deren  Gegenwart  die  Ocularinspection , 
man  muss  sie  dann  durch  lauwarme  Einspritzungen  entfernen. 

Bei  Kindern  erweckt  das  beständige  Offenhalten  des 
Mundes  den  Verdacht  einer  Verstopfung  oder  Verschlies- 
sung  der  Nasengänge ,  und  dieser  Verdacht  wird  durch  den 
Umstand  fast  zur  Gewissheit,  wenn  die  Kleinen  in  Erstickungs- 
gefahr gerathen,  wenn  man  ihnen  den  Mund  verhält.  Weiss 
man  nicht,  ob  ein  vorhandenes  Rasselgeräusch  in  der  Nase 
oder  dem  Kehlkopfe  entstehe,  so  halte  man  dem  Kinde  erstere 
durch  einige  Augenblicke  zu,  wobei  das  Geräusch  fortdauern 
wird ,  wenn  es  aus  dem  Larynx  schallt. 

Unwegsamkeit  des  unteren  Nasenganges  wird  durch  Ein- 
bringung des  Ohrencatheters  oder  einer  ähnlich  gekrümmten 
Sonde  erkannt.  Über  die  Technik  dieser  Operation  enthält  der 


163 

Artikel  »Untersuchung  des  mittleren  Ohres  und  der  Eusta- 
chischen Röhre«  das  Nähere.  Sind  die  hinteren  Nasenöffnun- 
gen und  der  Weg  zu  denselben  frei,  so  wird  die  Feder  der 
B  e  llocq  u  i'schen  Röhre,  eine  Bougie  oder  das  Ende  eines 
dünnen,  im  warmen  Wasser  etwas  erweichten  Wachsstockes 
mit  Leichtigkeit  aus  denselben  hervordringen,  und  durch 
Einsicht  in  den  Rachen  daselbst  gefunden  werden.  Die  obe- 
ren Nasengänge  sind  der  Inspection  und  Palpation  nicht 
zugänglich. 

Polypen  können  in  jeder  Stelle  der  Nasenschleim- 
haut, der  Highmarshöhle,  Stirnbein- selbst  in  der  Schä- 
delhöhle wurzeln,  und  durchbohren  die  letztere  oder  drin- 
gen aus  deren  natürlichen  Fissuren  in  die  Nasengänge;  am 
häufigsten  aber  wuchern  sie  aus  der  Schleimhaut  eines  Na- 
senganges selbst.  Zuweilen  theilen  sie  sich  dergestalt,  dass 
der  eine  Theil  gegen  das  vordere  Nasenloch  zieht ,  während 
der  andere  bei  den  Choanen  hervorsteht-,  man  nennt  diess 
Nasenrachenpolypen.  Tritt  der  Polyp  nicht  aus  der  Nase 
heraus ,  so  ist  es  bisweilen  möglich ,  ihn  durch  Schnauben 
sichtbar  zu  machen.  Er  zeigt  sich  dann  als  blassröthliche 
oder  grauweisse,  selten  blaurothe  Geschwulst  von  meistens 
weicher  Structur.  Zuweilen  wuchert  der  Polyp  aus  dem  Antrum 
Wyhmori  in  die  Nase,  ist  aber  dann  schwierig  zu  erkennen. 

Die  Auscultation  vermag  für  die  Untersuchung  der 
Nase  sehr  wenig,  höchstens  kann  man  durch  das  über  dem 
Stirnbein  angesetzte  Shethoskop  das  Rasseln  von  flüssigem 
Schleime  daselbst  erkennen  ,  der  durch  den  Athem  in  Bewe- 
gung gesetzt  wird,  und  einen  pfeifenden  Ton  hören,  wenn 
die  Luft  durch  die  Nase  über  eine  durch  Anwulstung  der 
Schleimhaut  verengte  Stelle  gepresst  wird. 


(Tut  ersuch mi;;-  des  Gehörorganen. 

Nur  die  äusseren  Theile  dieses,    in   seinen  Functionen 
in  noch  so  räthselhaftes  Dunkel  gehüllten  Organes  sind  der 

11  # 


164 

Besichtigung*  zugänglich.  Diese  sind :  die  Aussenseite  des 
Zitzenfortsatzes  ,  das  äussere  Ohr,  der  äussere  Gehörgang' 
und  das  Trommelfell  mit  dem  Griffe  des  Hammers.  Das  mitt- 
lere Ohr  und  die  Tuba  Eustachii  gestatten  bloss  eine  un- 
vollkommene Untersuchung'  durch  die  Sonde,  den  Catheter, 
die  Luftpresse  und  die  Auscultation.  Auf  die  Beschaffenheit 
des  inneren  Ohres  sind  bloss  Schlüsse  möglich,  deren  Prä- 
missen in  dem  Complexe  aller  localen  und  gleichzeitigen  Er- 
scheinungen und  der  Anamnese  gegeben  sind. 

Untersuchung  der  Hörfähigkeit,   Gehörmesser. 

Die  Schwerhörigkeit,  die  auch  das  erste  vom  Kranken 
angegebene  lästige  Symptom  ist ,  verdient  vor  allen  patho- 
logischen Erscheinungen  unsere  Aufmerksamkeit.  Ihren  Grad 
müssen  wir  nothwendig  bestimmen,  und  mit  den  übrigen  wahr- 
nehmbaren ,  abnormen  Erscheinungen  in  Einklang  zu  brin- 
gen suchen  ,  wenn  wir  eine  nur  einigermassen  wahrschein- 
liche Diagnose  zu  stellen  hoffen  wollen.  Zu  dem  Ende  ist  es 
nöthig,  die  äusserste  Entfernung  zu  bemerken,  in  welcher 
Gesunde  das  Picken  einer  etwas  lauten  Taschenuhr  noch  wahr- 
zunehmen im  Stande  sind  ,  und  mit  der  Entfernung,  in  der 
dasselbe  der  zu  untersuchende  Gehörkranke  vernimmt,  wie- 
derholt zu  vergleichen  ,  indem  der  Grad  der  Gehörsschwäche 
an  verschiedenen  Tagen ,  ein  verschiedener  ist.  Diese  Ent- 
fernung wird  mittelst  eines  gewöhnlichen  Massstabes  be- 
stimmt und  bei  jeder  Untersuchung  zu  Papier  gebracht.  Zu 
bemerken  ist  übrigens,  dass  das  Instrument  nicht  unmittelbar 
mit  dem  Ohre  und  dem  schallenden  Körper  in  Berührung 
kommen  darf,  weil  jede  Schallleitung,  ausser  durch  die  Luft, 
so  wie  jede  dem  Gefühlssinne  wahrnehmbare  Erschütterung 
zu  vermeiden  ist,  wenn  anders  die  Resultate  der  Untersu- 
chung verlässlich  sein  sollen.  Zu  rathen  ist  sogar,  um  jede 
Schallleitung  durch  andere  Wege ,  als  die  Luft  zu  verhin- 
dern, den  zu  Untersuchenden  auf  einen  aus  wollenen  Kissen 
bereiteten  Isolirschemmel  zu  stellen. 


165 

Der  Gehörmesser  von  Itard^)  würde  seinem  Zwecke 
vollkommen  entsprechen,  wenn  er  leichter  transportabel 
wäre.  Er  besteht  aus  einem  kupfernen  Ringe ,  auf  den  der 
Knopf  eines  Pendels  fallen  gelassen  wird,  um  Töne  von  grad- 
weiser  Stärke  hervorzurufen.  Der  Pendel  ist  mit  einem  Zei- 
ger versehen  ,  welcher  auf  einem  Gradbogen  die  Entfernung* 
andeutet,  aus  welcher  jener  auf  den  Kupferring'  fällt. 


*)  Die  Krankheiten  des  Ohres  und  Gehöres.  §.  208. 


106 

Die  Grade  der  Hörfähigkeit  hat  Itard3»'*)  folgender- 
weise bestimmt : 

ö)  Das  Hören  der  Rede  und  ihrer  Modulationen ,  wenn 
langsam  und  deutlich  gesprochen  wird. 

b)  Das  Hören  der  Stimme.  Die  Selbstlaute  werden  zwar 
gut  vernommen,  die  Consonanten  aber  schlecht  unterschie- 
den ,  hauptsächlich  ob  sie  hart  oder  weich  sind. 

cj  Das  Hören  der  Töne.  Es  werden  wohl  Vocale  in  ein- 
zelnen Worten  vernommen  ,  allein  die  Articulation  derselben 
geht  schon  verloren.  Die  Kranken  selbst  besitzen  eine  rauhe 
und  ausdruckslose  Stimme ,  da  die  Ausbildung  derselben  mit 
der  des  Gehörs  im  gleichen  Verhältnisse  steht. 

<T)  Das  Hören  des  Lärmens.  Nur  starke  Geräusche, 
starkes  Pochen  an  der  Thüre ,  der  Knall ,  der  Donner  etc. 
werden  wahrgenommen. 

e)  Mangel  aller  Hörfähigkeit.  Wird  ja  ein  Geräusch 
empfunden,  so  geschieht  diess  durch  Schallleitung,  durch 
andere  Theile  als  das  Gehörorgan  ist ,  durch  den  Fussboden 
u.  dergl. 

Für  geringere  Grade  von  Schwerhörigkeit  hat  Pfing- 
sten ##)  drei  Stufen  bestimmt,  je  nachdem  alle  Laute  vom 
Kranken  gehört  und  nachgesprochen  werden  können  oder 
diess  von  den  Consonanten:  g,  j,  1,  m,  n,  w,  oder  nur  von 
den  Vocalen  gilt. 

Zu  entscheiden,  ob  ganz  kleine  Kinder  taub  sind,  oder 
nicht ,  unterliegt  vielen  Schwierigkeiten ;  meistens  zeigen 
Taube  bei  Erregung  von  Geräuschen  keine  Reaction.  Doch 
sei  auch  dann  der  Arzt  nicht  zu  voreilig  in  seiner  Meinung. 
Blöde  Kinder  haben  mit  Tauben  vieles  gemein ,  doch  unter- 
scheiden sie  sich  von  letzteren  durch  geistlosen  Blick  und 
Mangel  aller  Zeichen  von  Erinnerung.  Taubstumme  Kinder 


*)  1.  c  S.  464. 

**)  Gehörmesser  zur  Untersuchung  der  Gehörfähigkeit  galvani- 
sirter  Taubstummen  etc.  Kiel  1804.  §.  7. 


167 

hingegen  sind  lebhafter  ,  zeigen  bei  Wiederholung*  angeneh- 
mer Eindrücke  durch  ein  besonderes  Wohlgefallen,  dass 
ihnen  diese  nicht  mehr  fremd  sind,  und  lernen  sich  bald  mit 
ihren  Gespielen   durch  Zeichen  verständigen. 

Simulirte  Schwerhörigkeit.  Erwachsene  Taub- 
stumme suchen ,  besonders  wenn  sie  schon  früher  des 
Gehöres  theilhaftig  waren ,  den  Verlust  dieses  Sinnes 
zu  verheimlichen ,  eben  so  nimmt  simulirte  Taubheit  und 
Taubstummheit  oft  allen  Scharfsinn  des  untersuchenden 
Arztes  in  Anspruch.  Der  Gesichtsausdruck  des  zu  Unter- 
suchenden ist  dann  in  verschiedenen  unerwarteten  Situatio- 
nen genau  zu  beobachten.  —  Krügel  s  t  ein  #)  erkannte 
einmal  simulirte  Schwerhörigkeit,  indem  er  zu  dem  zu  Un- 
tersuchenden mit  starker  Stimme  zu  sprechen  begann,  letz- 
tere aber  immer  schwächer  werden  liess.  Der  vorgebliche 
Kranke  antwortete  aber  dann  immer  noch,  da  er  auf  die  Ver- 
minderung des  Schalles  nicht  achtete.  Die  Taubheit  simuli- 
renden  Individuen  behaupten  ihre  Gleichgültigkeit  auch  gegen 
Geräusche,  welche  schon  wegen  der  damit  verbundenen  Er- 
schütterung durch  das  Gefühl  wahrgenommen  weiden  müssen. 
Gibt  der  zu  Untersuchende  vor,  von  Geburt  an  taubstumm  zu 
sein ,  und  kann  er  schreiben ,  so  können  Fehler  gegen  die 
Orthographie,  z.  B.  Verwechslung  ähnlicher  Laute  und 
Buchstaben  ,  Fingerzeige  geben  ,  dass  hier  Betrug  walte. 

Untersuchung  des  äussern  Ohres. 

Zuerst  betrachtet  man  die  das  Ohr  umgebenden  Theile, 
die  Beschaffenheit  der  Haut  daselbst,  ob  keine  abnorme 
Röthe  oder  Geschwulst  bemerkbar  ist,  untersucht  etwa  vor- 
handene Abscesse  betreffs  ihrer  Consistenz,  Fluctuation,  und 
versäumt  ja  nicht,  wenn  sie  geöffnet,  deren  Grund  zu  son- 


*)  Erfahrungen     über   (die    Verstellungskunst.    Leipzig.     1888. 
pag.  63» 


168 

diren ;  dasselbe  gilt  von  den  Fistelgängen  an  der  äusseren 
Seite  des  Warzenfortsatzes,  wo  man  sich  über  die  Beschaf- 
fenheit des  Knochens  volle  Gewissheit  zu  verschaffen  suchen 
muss.  Der  Zustand  der  Ohrspeicheldrüse  ist  bei  der  Explo- 
ration ja  nicht  zu  vernachlässigen.  Nun  kommt  man  zur  Be- 
trachtung* des  äussern  Ohres  selbst.  Hier  ist  zuerst  die 
Frage,  ob  das  äussere  Ohr  wohl  vorhanden,  und  ob  es  voll- 
kommen entwickelt  ist  oder  nicht,  welchen  Theil  desselben 
der  Bildungsfehler  betrifft ,  ob  dessen  Zusammenhang  nir- 
gends unterbrochen,  und  in  diesem  Falle,  von  welcher  Art 
und  Tiefe  die  beigebrachte  Wunde  sei?  —  Hier  verdient  die 
Verletzung,  welche  das  Ohrläppchen  beim  Durchbohren, 
um  Ohrringe  zu  tragen,  erleidet,  alle  Aufmerksamkeit,  da 
selbst  g-efährliche  Entzündungsfälle  vorliegen.  —  Vorhan- 
dene Geschwülste ,  Verhärtungen ,  theilweise  oder  gänz- 
liche Hypertrophie,  Hautausschläge,  vor  allem  aber  ent- 
zündliche Leiden  erfordern  sorgfältige  Untersuchung  durch 
das  Gesicht ,  wenn  der  Arzt  sie  nicht  allein  gehörig  erken- 
nen ,  sondern  auch  über  ihren  Grad  ,  ihre  Verbreitung  und 
den  möglichen  Zusammenhang  mit  Leiden  anderer  Organe 
Kenntniss  haben  will. 

Nächstdem  kommt  die  Stellung  der  Ohrmuschel  in 
Betracht,  ob  sie  flach  an  der  Seite  des  Kopfes  anliegt,  oder 
von  derselben  absteht ,  welch'  letzterer  Fall  das  Hören  zu 
begünstigen  scheint. 

Was  den  Gehörgang  betrifft ,  so  muss  man  sich  durch 
die  Besichtigung  überzeugen ,  ob  er  vorhanden  oder  ver- 
schlossen ist,  ob  diese  Verschliessung  als  theilweise 
oder  als  gänzliche  sich  darstellt ,  und  ob  sie  nahe  am  Ein- 
g'ange  oder  in  der  Tiefe  Statt  findet.  Verstopfung  des 
Gehörganges  kommt  bei  Neugeborenen  durch  Anhäufung  von 
Schleim  oder  von  Vernix  caseosa  zu  Stande;  im  vorgerück- 
ten Alter  sind  es  Ansammlungen  von  Ohrenschmalz  ,  das  oft 
bedeutend  verhärten  kann,  und  fremde  Körper,  als:  Stein- 
chen, Kirschkerne,  kleine  Thiere  u.  s.  w. ,  zu  deren  Ent- 


169 

ferniing  ärztliche  Hilfe  häufig*  in  Anspruch  genommen  wird. 
Das  angehäufte  Ohrenschmalz  ist  meist  dunkler ,  gelb, 
bis  tiefbraun  gefärbt  (doch  habe  ich  auch  blasses ,  rahmarti- 
ges, ohne  das  es  frisch  war,  mit  Staub  und  Haaren  ver- 
mischt gesehen)  ,  gewöhnlich  von  vermehrter  Consistenz  , 
ja  nicht  selten  zu  Pfröpfchen  erstarrt ,  welche  den  ganzen 
Gehörgang  verschliessen ,  und  von  den  Wänden  ohne  deren 
Verwundung  nicht  losgetrennt  werden  können.  Häufig  findet 
man  nach  dessen  Beseitigung  darunter  die  ceruminösen 
Drüsen  in  einem  gereizten  Zustande  und  sehr  entwickelt.  — 
Erweiterung  des  dann  mehr  gestreckten  Meatus  audito- 
rius  ward  einige  Male  mit  besonderer  Trockenheit  desselben 
beobachtet.  —  Verengerung  des  Gehörganges  kommt 
durch  übermässige  Entwicklung  der  Haare  in  demselben, 
durch  Anwulstung  und  Lockerung  der  Schleimhaut  in  Folge 
von  Entzündung  durch  Exostosen,  Narben,  Ablagerung  von 
Kalksalzen  ,  wie  sie  in  seltenen  Fällen  beobachtet  wurde, 
durch  Excrescenzen  ,  Condylome  und  Polypen  zu  Stande, 
begleitet  aber  auch,  wenigstens  vorübergehend,  jede  entzünd- 
liche Affection  des  genannten  Organes.  Zuweilen  ist  aber 
der  Gehörgang  nicht  eigentlich  verengt ,  sondern  nur  zusam- 
mengedrückt, wie  es  in  Fällen  von  Luxation  des  Unterkie- 
fers vorkam. 

Im  Gehörgange  hat  man  ferner  zu  untersuchen,  welcher 
Art  vorhandene  Flüssigkeiten  da  sind ,  ob  Schleim ,  Eiter, 
Blut,  Theilchen  zerstörter  Knochen  oder  Ohrenschmalz,  und 
ob  man  ihre  Quelle  nicht  entdecken  kann ,  ob  sie  z.  B.  durch 
eine  Öffnung  des  Trommelfelles  aus  der  Paukenhöhle  dringen  ? 

Das  Trommelfell  selbst  kann  wieder  verschiedene 
Zustände  darbieten,  die  nur  dem  erfahrenen  und  geübten 
Blicke  sich  kund  geben.  Bei  Entzündung  verliert  es  seinen 
Glanz  ,  wird  gelblich ,  endlich  roth,  wie  ein  matt  geschliffe- 
nes,  rothes  Glas  und  vascularisirt ;  kommt  es  zur  Bildung 
von  plastischen  Exsudaten,  so  erscheint  das  Trommelfell 
weiss  und  undurchsichtig.  Geschwürchen  und  Narben  wer- 


170 

den  leicht  erkannt,  ebenso  kleine  Granulationen,  wenn  die 
Entzündung-  sich  zum  chronischen  Charakter  hinneigt.  Zu- 
weilen wird  die  äusserste  Lamelle  des  Paukenfelles  in  Form 
von  Schuppen  abgestossen.  Plastische  Exsudate  können  durch 
Aufnahme  von  Kalksalzen  die  Consistenz  von  Knochenblätt- 
chen  erhalten.  Verwandlung'  des  Entzündungsproductes  in 
Tuberkelmaferie  ist  wohl  kein  gar  so  seltener  Befund  ,  lässt 
sich  aber  am  Lebenden  nicht  erkennen.  Varicosität,  Er- 
schlaffung des  Trommelfelles,  so  dass  dieses  convex  und 
nach  aussen  gebaucht  erscheint  und  Durchbohrung  dessel- 
ben oder  dessen  gänzliche  Zerstörung,  wie  sie  durch  Ver- 
letzung, Operationen,  Zerreissung  in  Folge  eines  violenten 
Schalles  und  Eiterung  entsteht,  sind  durch  das  Gesicht 
ziemlich  leicht  erkennbare  Zustände.  Dass  übrigens  Polypen 
und  Excrescenzen  auch  auf  dem  Trommelfelle  wuchern  kön- 
nen ,  ist  hinlänglich  bekannt. 

Alle  Erhabenheiten  und  Geschwülste ,  welche  im  Ge- 
hörgange sowohl ,  als  auf  dem  Paukenfelle  vorkommen,  sind 
mittelst  einer  geknöpften  Fischbeinsonde  betreffs  ihrer  Em- 
pfindlichkeit ,  Resistenz  ,  ihres  Umfanges  und  der  Art  ihres 
Aufsitzens  genau  zu  prüfen. 

Methodik  bei  der  Besichtigung. 

Will  man  in  den  Gehörgang  sehen  ,  so  muss  der  zu 
Untersuchende  sich  an  ein  Fenster  setzen ,  durch  welches 
viel  Licht  fallt,  und  wo  möglich  die  Sonne  selbst  herein- 
scheint ,  und  das  betreffende  Ohr  demselben  zukehren.  Der 
hinter  ihm  stehende  Arzt  gibt  dem  Kopfe  durch  Neigung  auf 
die  entgegengesetzte  Seite  die  Stellung,  in  welcher  nicht 
allein  das  meiste  Licht  in  den  Gehörgang  fällt,  sondern  ihm 
auch  Einsicht  in  dasselbe  gestattet  ist ,  ohne  die  Beleuch- 
tung durch  seinen  Kopf  abzuhalten.  Der  Patient  hat  nun  den 
Mund  etwas  zu  öffnen ,  damit  der  Condylus  des  Unterkie- 
fers von  der  untern  Wand  des  Gehörgan^es  entfernt  werde, 
da  diese  bei  geschlossenem  Munde  durch  denselben  ein  we- 
nig nach  aufwärts  gedrückt  wird.  Hiedurcli  wird  der  Gehör- 


171 

gang*  ein  wenig*  erweitert ,  noch  mehr  aber  dadurch  ,  dass 
man  ,  wenn  das  rechte  Ohr  zu  untersuchen  ist ,  mit  der  lin- 
ken Hand  die  Muschel  etwas  nach  auf-  und  rückwärts  zieht, 
wodurch  zugleich  die  Krümmung*  des  C  an  als  um  ein  wenig* 
sich  vermindert.  Sollte  ein  stark  entwickelter  Tragus  dem 
Einfallen  der  Lichtstrahlen  in  den  Gehörgang*  hinderlich  sein, 
so  hat  man  ihn  durch  Aufsetzen  des  Daumens  der  freien  Hand 
nach  vorne  etwas  vom  Gehörgange  abzuziehen.  Um  das 
Sonnenlicht  zu  ersetzen  ,  haben  Kramerund  Buchanan 
Apparate  geliefert,  welche  aus  einem  blechernen,  innen  ge- 
schwärzten Kästchen  bestehen  ,  das  auf  einem  Schrauben- 
gestelle ruhet ,  um  es  höher  oder  tiefer  stellen  zu  können. 
Das  Kästchen  enthält  eine  argandische  Lampe,  hinter  der- 
selben an  der  einen  Wand  einen  wohl  polirten  Hohlspiegel, 
und  an  der  entgegengesetzten  Seite  ein  bewegliches,  schwar- 
zes, 14  Zolle  langes  Ansatzrohr,  an  dessen  beiden  Enden 
eine  2'/,  Zoll  im  Durchmesser  habende,  biconvexe  Glaslinse 
befestiget  ist.  Nach  oben  sind  Luftlöcher  befindlich.  Durch 
den  Hohlspiegel  und  die  beiden  Linsen  werden  die  Licht- 
strahlen in  einer  für  die  Ocularinspection  bequemen  Entfer- 
nung* vor  dem  Ansatzrohre  zu  einem  Flecke  von  der  Grösse 
eines  Zweigroschenstückes  und  intensiver  Stärke  gesammelt. 


172 

Die  vorhergehende  Abbildung-  stellt  einen  Durchschnitt 
eines  Inspector  auris  vor. 

a)  Viereckiges  Gehäuse; 

b)  seine  Thüre; 
cj  Lampe; 

d)  Reservoir  für  das  Öhl ; 

e)  Ansatzrohr; 

f)  Glaslinsen ; 

g)  Gestell. 

Reicht  man  mit  der  eben  beschriebenen  Untersuchung 
nicht  aus,  so  nimmt  man  seine  Zuflucht  zum  Ohren  Spie- 
gel. Der  bequemste  besteht  in  einem  1  Zoll,  5  Linien  lan- 
gen ,  metallenen ,  der  Länge  nach  gespaltenen  Trichter,  der 
sich  nach  vorne  in  ein  fast  7  Linien  im  Durchmesser  haben- 
des Cylinderchen  verlängert.  Die  vordere  Hälfte  des  Trich- 
ters soll  innen  schwarz  lackirt  sein.  Zur  Seite  gehen  zwei 
S  förmig  gebogene  Arme  herab,  die  durch  eine  Feder  zusammen- 
gehalten werden   und  dem  Instrumente   als  Handgriff  dienen. 


Will  man  den  Ohrspiegel  anwenden,  so  lagert  man  den 
Kranken ,    wie   oben  beschrieben  wurde ,  nimmt  das  Instru- 


173 

ment  in  die  rechte  Hand ,  und  schiebt  dessen  geschlossenen 
Trichter  in  den  Gehörgang  ,  doch  nicht  tiefer  als  einen  hal- 
ben Zoll ;  denn  man  darf  nicht  vergessen,  dass  nur  der  häu- 
tige und  knorpelige  Theil  dieses  Canales  eine  Erweiterung 
zulassen,  und  dass  jeder  Versuch,  dessen  knöchernen  Theil 
durch  Drücken  an  den  Armen  des  Instrumentes  auseinander 
zu  drängen,  vergeblich  ist,  und  dem  Kranken  grosse  Schmer- 
zen verursachet.  Auch  würde  dessen  Cylinder,  wenn  man 
ihn  bis  in  den  Gehörgang  einbringt ,  diesen  nur  verengen 
und  dem  Auge  ein  desto  kleineres  Gesichtsfeld  gestatten. 
Erweitert  man  den  häutigen  Gehörgang  durch  Druck  auf  die 
Arme  des  Instrumentes  ,  so  soll  diess  in  der  Richtung  nach 
oben  und  unten  geschehen  ,  weil  die  obere  und  untere  Wand 
des  Meatus  auditorius  leichter  eine  Dehnung  zulassen.  Wäh- 
rend der  Arzt  aber  in  den  Trichter  des  Speculum  blickt,  ver- 
meide er  durch  seinen  Kopf  das  Einfallen  der  Lichtstrahlen 
in  denselben  zu  verhindern. 

Auf  diese  Weise  ist  man  im  Stande,  alle  Veränderun- 
gen ,  die  sowohl  den  Gehörgang  als  das  Paukenfell  betref- 
fen ,  zu  überblicken  ,  oder  sich  von  ihrem  normalen  Verhal- 
ten zu  überzeugen.  Das  gesunde  Trommelfell  ist  eine 
dünne,  halbdurchsichtige,  glänzende  Membran  von  tro- 
ckenem Ansehen  und  ovaler,  oben  etwas  abgestumpfter  Form. 
Der  mit  derselben  verbundene  Stiel  des  Hammers  ist  mittelst 
des  Ohrspiegels  deutlich  zu  bemerken.  Er  erstreckt  sich  vom 
vordem  obern  Rande  des  Paukenfelles  nach  rück-  und  ab- 
wärts in  einer  geraden  Linie  bis  etwas  unter  die  Mitte  des- 
selben. Die  Lage  der  in  einem  knorpeligen  Ringe  eingerahm- 
ten Membrane  ist  eine  schräge  nach  vorne  und  abwärts  ge- 
richtete. Den  Stiel  des  Hammers  begleiten  zarte  Gefässchen, 
welche  schwach  röthlich  durchschimmern.  Etwas  nach  vorne 
und  unter  der  Mitte  des  Paukenfelles  findet  man  eine  schwache 
Vertiefung  in  demselben;  überhaupt  ist  dieses  gegen  den 
Gehörgang  zu  coneav. 

Von  der  Beschaffenheit  des  Trommelfelles  überzeugt  man 


174 

sich  ausser  der  Inspection  noch  durch  folgende  Ver- 
suche: Manlässt  den  Kranken  Mund  und  Nasenlöcher  schlies- 
sen  und  den  Athem  mit  einer  kleinen  Gewalt  in  die  Nase 
treiben ,  gleichsam  als  ob  er  sich  schnauben  wollte.  Ist  das 
Trommelfell  unverletzt,  so  fühlt  der  Untersuchte  den  Druck 
der  in  die  Paukenhöhle  getriebenen  Luft;  ist  dasselbe  aus 
was  immer  für  einer  Ursache  durchlöchert,  so  fehlt  dieses, 
—  vorausgesetzt,  dass  dabei  die  Ohrtrompeten  wegsam  sind. 
Zuweilen  entweicht  die  in  die  Paukenhöhle  gepresste  Luft 
durch  das  Trommelfell  in  den  Gehörgang  mit  einem  deut- 
lichen Zischen ,  und  vermag  selbst  eine  vor  das  Ohr  gehal- 
tene Kerzenflamme  oder  ein  Haar  zu  bewegen.  Während  die- 
ser Exspirationsversuche  sah  man  auch  Luftblasen  aus  dem 
Gehörgange  aufsteigen ,  wenn  der  Kranke  auf  die  andere 
Seite  des  Kopfes  sich  gelegt  und  Wasser  in  den  Gehörgang 
gegossen  hatte.  Ebenso  ward  beobachtet ,  dass  durch  die 
Öffnung  des  Trommelfelles  die  in  den  Gehörgang  einge- 
brachten Einspritzungen  durch  die  Ohrtrompete  abliefen  und 
umgekehrt.  Nicht  selten  ist  es,  dass  Leute,  deren  Trom- 
melfell durchlöchert  ist,  Tabakrauch  aus  dem  Ohre  treiben. 
Vorkommen  der  eben  aufgeführten  Erscheinungen  spricht 
für  Durchlöcherung  des  Trommelfelles  ;  ihr  Fehlen  aber  nicht 
absolut  gegen  dieselbe. 

Untersuchung  des  mittleren  Ohres. 

Hier  hat  die  Inspection  ihre  Gränzen,  denn  in  das  In- 
nere des  mit  knöchernen  Schranken  umgebenen  Gehörgan- 
ges einzudringen  ist  dem  Blicke  verwehrt,  und  es  sind  nur 
äusserst  unvollkommene  Behelfe  gegeben,  um  über  die  Be- 
schaffenheit der  Paukenhöhle  und  der  Eustachischen  Röhre 
einigen  Aufschluss  zu  erhalten. 

Die  Zustände ,  deren  Anwesenheit  durch  das  weiter 
unten  näher  zu  beschreibende  Verfahren  mit  einiger  Wahr- 
scheinlichkeit nachgewiesen  werden  kann,  sind:  Verwach- 
sung oder  Verstopfung*  der  Ohrtrompete  durch  Polypen,  Exo- 


175 

stosen ,  Hypertrophie  der  Tonsillen  so  hohen  Grades,  dass 
diese  den  Eingang  der  Eustachischen  Röhre  verschliessen, 
Verengerung*  dieses  Canales  durch  Anschwellung  der  Schleim- 
haut während  einer  Entzündung*  oder  in  Folge  dieser  durch 
Wucherungen  u.  s.  w.,  Zusammenfallen  desselben  bei  ange- 
borner  Gaumenspalte,  Catarrh  der  Paukenhöhle  und  Ansamm- 
lung von  schleimiger  Flüssigkeit  in  derselben. 

Untersuchung  der  Ohrtrompeten. 

Um  zu  untersuchen,  ob  die  Eustachischen  Tuben  weg- 
sam sind,  lässt  man  den  Kranken  bei  Verschliessung  der 
Nase  und  des  Mundes  forcirte  Exspirationsbewegungen  ma- 
chen. Hat  er  dabei  das  Gefühl  des  Luftdruckes  auf  dem  Trom- 
melfelle, so  sind  die  Ohrtrompeten  frei,  hat  er  dieses  nicht, 
so  müssen  sie  weiters  durch  den  Catheter  oder  die  Sonde 
untersucht  werden. 

Ein  Postmeister  von  Versailles  erfand  im  Jahre  1724 
einen  Catheter,  um  durch  den  Mund  in  die  Ohrtrompete  zu 
gelangen  ;  da  aber  dieser  Weg  als  unsicher  erkannt  wurde, 
so  gelang*  es  Cleland  im  J.  1731  einen  Catheter  zu  ersin- 
nen ,  welcher  durch  die  Nase  in  die  Tuba  Eustachis  einge- 
führt wurde.  —  Ist  man  nun  nicht  im  Stande  ,  auf  diesem 
Wege  eine  elastische  Sonde  oder  den  Catheter  einzubrin- 
gen,  so  gelangt  man  zur  Überzeugung,  dass  hier  ein  Hin- 
derniss  obwalte  ,  das  entweder  bleibend  oder  vorübergehend 
ist,  und  dessen  Art  zumTheil  aus  seiner  Dauer,  zumTheile 
aus  den  begleitenden  Erscheinungen  und  der  Anamnese  zu 
beurtheilen  ist 

Catheter  dringen  nicht  tief  in  die  Ohrtrompete  ein  ;  man 
sucht  daher,  sich  zu  überzeugen,  ob  letztere  an  ihrem  fer- 
neren Verlaufe  wegsam  ist,  indem  man  mittelst  des  Mundes 
oder  irgend  eines  Apparates  Luft  durch  dieselben  treibt.  Der 
Widerstand,  den  diese,  besonders  beim  Einblasen  mit  dem 
Munde  erfährt,  gibt  einen  Massstab  einer  bestehenden  Un- 
wegsamkeit. Eben   so  theilt  sich  bei  Verengerung  der  Ohr- 


176 

trompete  das  Gefühl  des  Widerstandes  der  Hand  mit,  welche 
die  Sonde  einführt,  und  wird  besonders  deutlich,  wenn  diese 
über  eine  verengte  Stelle  hinüberdrang"  und  wieder  zurück- 
gezogen wird.  Mittelst  der  Sonde  lässt  sich  auch  beiläufig* 
die  Entfernung  bestimmen ,  in  welcher  sie  auf  ein  Hinder- 
nis» stösst;  zu  dem  Ende  ist  es  gerathen,  sich  graduirter 
8onden  zu  bedienen. 

Die  Ohrencatheter  sind  entweder  elastische  oder 
von  Metall ,  am  besten  von  Silber.  Die  elastischen  Catheter 
haben  im  Innern  einen  Leitungsdraht,  dessen  Biegung  ihre 
Form  bestimmt.  Sie  gewähren  denVortheil,  dass  sie  tiefer 
in  die  Eustachische  Röhre  eingebracht  werden  können,  ohne 
diese  zu  beleidigen  ,  und  dass  man  ihnen  jeden  Augenblick 
den  für  den  gegenwärtigen  Fall  nöthigen  Grad  von  Krüm- 
mung geben  kann  —  allein  sie  trifft  im  Gegentheile  wieder 
der  Tadel,  dass  bei  Entfernung  des  Führungsdrahtes  aus 
demselben  ,  dieser  beim  Durchziehen  durch  die  Nase  gerne 
Reizung,  Niesen  u.  dgl.  hervorruft  und  selbst  das  Röhrchen 
leicht  aus  der  Ohrtrompete  wieder  herausgleitet. 


177 


Die  Catheter ,  seien  sie  nun  von  Feder- 
harz oder  von  Metall,  bestehen  aus  einer  Röhre, 
die  an  einem  Ende  in  den  unter  einem  Winkel 
von  130 — 140  Graden  gebogenen,  nicht  ganz 
Zoll  langen  Schnabel  übergeht,  deren  anderes 
Ende  mit  einem  trichterförmigen  Ansätze  ,  der 
von  '/a  bis  1  Zoll  in  der  Länge  und  3  Linien  in 
der  Weite  beträgt,  versehen  ist,  um  darin  das 
Rohr  der  Luftpresse  oder  einer  Spritze  aufzuneh- 
men. An  der  trichterförmigen  Erweiterung  ist 
ein  Ring  befestiget ,  nach  dessen  Stande  man 
die  Stellung  des  Instrumentes  beurtheilen  kann, 
wenn  dieses  eingeführt  ist.  Die  Länge  der  Oh- 
rencatheter  soll  für  Kinder  nicht  unter  vier ,  für 
Erwachsene  nicht  unter  fünf  Zoll  betragen, 
je  länger  übrigens  der  Schnabel  ist ,  eine  desto 
stärkere  Biegung  muss  er  haben.  Sehr  vorteil- 
haft ist  es ,  besonders  bei  öfterer  Wiederholung 
der  Untersuchung,  graduirter  Catheter  sich  zu 
bedienen;  sie  machen  Linkes  Palatome- 
t  e  r  fast  entbehrlich. 

Der  Gaumenmesser  besteht  aus  einem 
2 — 3  Linien  breiten ,  eine  Linie  dicken  ,  sechs 
Zoll  langen ,  in  Zolle  und  Linien  getheilten  , 
und  mit  einem  Griffe  versehenen  Stäbchen ,  auf 
welchem  ein  unter  einem  rechten  Winkel  auf- 
recht stehendes  Metallplättchen  hin  und  her  ver- 
schiebbar ist,  das  aber  durch  eine  Schraube  an 
einem  beliebigen  Orte  festgestellt  werden  kann. 
Diess  Instrument  dient  dazu,  die  Entfernung 
der  Nasenspitze  bis  zum  Zäpfchen  im  Rachen 
II  zu  bemessen,    aus  welcher  man  dann  auf  jene 

^df  der  Mündung  der  Eustachischen  Röhre  schliesst. 

^^  Als  mittleres  Verhältniss  der  Entfernung  der  vor- 

dem Nasenöffnung  von  letzterer  ergeben  sich  2'/7  bis  3  Zolle. 
Gaal  Diagnostik.  12 


6 


178 

Ein  anderes  Instrument,  welches  bei  der  Untersuchung- 
mittelst  des  Ohrcatheters  eine  Rolle  spielt,  ist  Itard's 
Stirnbinde.  Sie  dient  dazu,  den  Catheter,  den  die  ge- 
ringste Bewegung  des  Patienten  oder  selbst  ein  Zittern  der 
Hand  des  Operateurs  leicht  aus  der  Lage  bringt ,  die  letz- 
terer ihm  in  der  Ohrtrompete  gibt,  in  derselben  zu  erhalten. 
Die  Stirnbinde  besteht  aus  einem  Riemen  ,  der  am  Hinter- 
haupte beliebig  fest  geschnallt  werden  kann ,  aus  einer  mit 
Leder  überzogenen  und  an  der  mit  der  Stirne  in  Berührung 
kommenden  Seite  gepolsterten  Metallplatte  als  Mittelstück. 
Mit  diesem  ist  durch  ein  Nussgclenk  ein  Zängelchen  in  Ver- 
bindung, der  Art,  dass  letzteres  nach  allen  Seiten  bewegt, 
Und  in  jeder  beliebigen  Stellung  durch  eine  Schraube  erhal- 
ten werden  kann. 

Die  Pincette  selbst  lässt  sich  aber  durch  eine  Schraube 
schliessen  und  dient  dazu,  den  Ring  des  Catheters  zwischen 
ihre  Blätter  aufzunehmen  und  unverrückt  zu  erhalten. 


Anwendung  des  Catheters. 

Bevor  noch  zu  der  Operation  geschritten  wird,  ist 
Itard's  Binde  anzulegen,  und  das  von  der  Stirne  des  zu 
Untersuchenden  herabhängende  Zängelchen  auf  jene  Seite, 
an  welcher  die  Tube  erforscht  werden  soll,  zu  stellen,  um 
es  als  hindernd  aus  dem  Berührungskreise  des  Arztes  zu 
entfernen. 


179 

Der  zu  Untersuchende  setzt  sich  auf  einen  Stuhl.  Durch 
den  in  lauem  Wasser  erwärmten  und  am  Schnabel  mit  Gummi- 
lösung* bestrichenen  oder  beöhlten  Catheter  bläst  nun  der 
Operateur,  um  darin  haftende  Tropfen  Flüssigkeit  zu  ent- 
fernen ,  nimmt  dann  denselben  am  trichterförmigen  Ende 
zwischen  Daumen-,  Zeige-  und  Mittelfinger  der  rechten 
Hand  nach  Art  einer  Schreibfeder,  so  dass  dabei  die  Concavität 
des  Schnabels  und  der  Ring*  nach  abwärts  sehen.  Wer  geübt  ist, 
mit  der  linken  Hand  zu  operiren,  kann  diese  zur  Einführung  des 
Instrumentes  in  das  rechte  Nasenloch  benützen.  Nun  gibt  der 
Arzt  der  operirenden  Hand  an  der  betreffenden  Wange  durch 
Aufstellen  der  noch  freien  Finger  eine  Stütze,  und  führt  den 
Catheter  mit  nach  abwärts  sehendem  Ringe  und  etwas  ge- 
senktem Griffe  schnell  aber  behutsam  und  sanft  durch  das  be- 
treffende Nasenloch  und  den  untern  Nasengang,  ohne  aber 
diesen  oder  die  Nasenscheidewand  viel  zu  berühren,  ein.  Ver- 
weilt man  zu  lange  in  dem  vordem  Theile  der  Nase,  so  ent- 
steht Kitzel  und  Reiz  zum  Niessen,  stösst  man  aber  auf  ein 
Hinderniss  in  dem  Nasengange,  das  weder  durch  vorsich- 
tiges Ausweichen  des  Instrumentes,  noch  durch  Vertau- 
schung desselben  mit  einem  kleinern  überwunden  werden 
kann,  so  muss  man  von  der  Untersuchung,  wenigstens  durch 
dasselbe  Nasenloch,  abstehen.  Manche  solche  Hindernisse 
sind  nur  vorübergehend  ,  wie  z.  B.  entzündliche  Anschwel- 
lung der  Nasenschleimhaut ;  hat  man  daher  Grund  zu  ver- 
muthen ,  dass  der  WTeg  bald  wieder  frei  werden  wird  ,  so 
verschiebe  man  die  Untersuchung  bis  dahin.  Mit  der  andern 
freien  Hand  zieht  der  Arzt  die  Nasenspitze  des  Kranken,  der 
seinen  Kopf  ein  Geringes  zurückbeugen  muss ,  etwas  in  die 
Höhe. 

Dass  das  Instrument  hinreichend  tief  in  den  Nasengang 
eingedrungen  ist ,  erkennt  man  dadurch,  dass  es  an  die  hin- 
tere Rachenwand  stösst,  und  wird  zugleich  an  der  an  dem- 
selben befindlichen  Scala,  im  Vergleiche  zu  Messungen,  welche 
durch  früheres  Catheterisiren   oder   durch    den    Palatometer 

A  A       M 

±2  W 


180 

sich  ergaben ,  ersichtlich.  Nun  wird  das  Instrument  um  ein 
Geringes  zurückgezogen,  dann  der  Schnabel  von  unten  nach 
auf-  und  auswärts  gekehrt ,  indem  man  den  ,  als  Handhabe 
dienenden  Trichter  etwas  mehr  als  eine  Viertel-Achsendre- 
hung beschreiben  lässt,  und  wieder  vorgeschoben,  wobeiman 
unter  genauer  Beachtung  des  sich  den  Fingerspitzen  mitthei- 
lenden Gefühles  des  Widerstandes ,  mit  dem  Schnabel  des 
Catheters  über  die  hervorragende,  wulstige,  hintere  Lippe 
der  Ohrtrompete  zu  gleiten  trachtet.  Der  nach  auf-  und  aus- 
wärts gekehrte  Ring  des  Instrumentes ,  das  auch  in  der 
gegebenen  Lage  fest  stehen  bleibt,  und  das  eigenthümliche 
Gefühl,  das  eine  geübte  Hand  erfährt,  geben  dem  Arzte  zu 
erkennen  ,  dass  es  gut  eingeführt  ist.  Der  Kranke  hat  dabei 
kein  Unbehagen,  und  kann,  wenn  der  Catheter  durch  das 
Zängelchen  der  Stirnbinde  befestiget  ist,  den  Kopf  frei  be- 
wegen ,  ungehindert  sprechen  und  schlingen. 

Beigefügte  Abbildung  versinnlicht  die  Lage  des  Ca- 
theters  im  untern  Nasengange  und  stellt  im  Durchschnitte 
die  betreifenden  Theile  dar: 

a)  Untere  Siebbeinmuschel  t 

b)  mittlere  Siebbeinmuschel , 
c)   obere  Siebbeinmuschel , 

dd)  unterer  Nasengang, 
e)  mittlerer  Nasengang , 
/)   oberer  Nasengang ; 
gg)  Durchschnitt  des  harten  Gaumens; 
M)  Durchschnitt  des  weichen  Gaumens  und 
Zäpfchens ; 
ij  Rachenmündung  der  Ohrtrompete ,  in  welche 
der   Catheter   durch   den   unteren  Nasengang' 
eingeschoben  gesehen  wird ; 
kk)  wulstige  Ränder  der  Öffnung  der  Tuba  Eu- 
stachi}. 


18i 


Wolf  legt  eine  erwärmte  und  beöhlte  Leitungsröhre 
von  Kautschuk  in  der  Länge  von  3  Zollen ,  und  so  dick,  als 
sie  der  Nasengang  zu  fassen  vermag*,  in  denselben  ein,  be- 
vor er  den  Catheter  einbringt.  Diess  Verfahren  soll  den  Vor- 
theil  gewähren ,  dass  der  Reiz ,  der  sonst  mit  der  Operation 
verbunden  ist ,  vermieden  wird,  und  dass  etwaige  Hinder- 
nisse, welche  Missbildungen  des  untern  Nasenganges  der 
Untersuchung  entgegenstellen ,  leichter  überwunden  wer- 
den ,  indem  dadurch  dem  Catheter  ein  freier  Weg  gebahnt  ist. 

Ist  es  gänzlich  unmöglich ,  der  Ohrtrompete  durch  den 
Nasengang  beizukommen,  und  führte  selbst  Abwarten,  bis  ein 
etwaiger  entzündlicher  Process  verlaufen  und  die  Anschwel- 
lung geschwunden  ist ,  nicht  zu  dem  gewünschten  Ziele,  so 
versuche  man  durch  den  andern  Nasengang  in  dieselbe  Ohr- 
trompete zu  gelangen.  Hiezu  gehört  ein  grosser  und  unter 
einem  grossen  Winkel  und  etwas  nach  der  convexen  Seite 
des  Schnabels  zurückgebogener  Catheter;  doch  gelingt  die 


183 

Operation   nicht  immer,    da  mit   derselben  bedeutende  Rei- 
zung des  Pharynx  verbunden  ist. 

Untersuchung*  der  Paukenhöhle. 

Will  man  diese  vornehmen  ,  so  muss  früher  der  Cathe- 
ter  eingelegt  werden ,  aber  so  lose ,  dass  zwischen  seinem 
Schnabel  und  der  Wand  der  Ohrtrompete  noch  ein  Zwischen- 
raum bleibt,  durch  welchen  Flüssigkeiten  abfliessen,  oder 
der  Überschuss  der  eingeblasenen  Luft,  den  die  Paukenhöhle 
nicht  zufassen  im  Stande  ist,  entweichen  können.  Hierauf 
sucht  man  durch  den  Catheter  in  die  Paukenhöhle  Luft  ent- 
weder mit  dem  Munde  einzublasen,  oder  aus  Deleau's  Bla- 
sebalg, aus  einer  luftdicht  gearbeiteten  Spritze  oder  aus  Kra- 
m  e  r's  Luftpresse  zu  treiben.  Das  Gefühl  der  Resistenz  geht 
bei  allen  andern  Weisen ,  Luft  einzublasen ,  als  mit  dem 
Munde,  wie  natürlich  verloren. 

Die  Luft  presse  besteht  aus  einem  Recipienten,  wo- 
rin man  mittelst  Kolbenstössen  eine  gewisse  Quantität  Luft 
ansammelt  und  verdichtet,  welche  dann  durch  ein,  mit  einem 
Hahne  versehenes ,  elastisches  Rohr  in  den  Catheter  gelas- 
sen wird.  Die  in  die  Paukenhöhle  dringende  Luft,  werde  sie 
nun  auf  eine  oder  die  andere  Weise  hineingetrieben,  bringt  in 
derselben  und  in  den  Zellen  des  Zitzenfortsatzes  Geräusche 
hervor,  welche  eigenthümliche,  näher  zu  beschreibende 
Qualitäten  besitzen.  Der  Arzt  horcht  auf  dieselben  ,  entwe- 
der bloss  durch  Anlegung  seines  Ohres  an  das  des  Patienten 
oder  mittelst  des  Sthethoscopes. 

Nach  L  an  nee  und  Deleau  hört  man  während  der 
Luftinjectionen ,  wenn  die  Ohrtrompete  und  Paukenhöhle 
wegsam  und  frei  von  Flüssigkeiten  sind ,  ein  trockenes  Ge- 
räusch, das  mit  dem  des  Regens  oder  eines  Wasserfalles  ver- 
glichen wurde,  trockenes  oder  Regengeräusch  der 
Pauke  QBruit  de  la  pluie  ou  bruit  sec  de  la  caisse)-,  das- 
selbe hat  in  der  Paukenhöhle  ziemliche  Resonanz  und  lässt 
sich  bis  in  den  Zitzenfortsatz  verfolgen. 


183 

Sind  Flüssigkeiten  in  der  Paukenhöhle  angesammelt , 
seien  sie  Schleim  oder  Eiter,  so  erzeugt  der  dieselben  be- 
wegende Luftstrom  ein  ungleich  blasiges,  feuchtes  Ge- 
räusch,  Schleimrasseln  QBruit muqueux  de la  caissej. 

Durchlöcherung  des  Trommelfelles  gibt  sich  zuweilen 
durch  ein  Pfeifen  oder  Zischen  zu  erkennen,  indem 
die  eingebrachte  Luft  durch  die  enge  Spalte  desselben  in 
den  Gehörgang  entweicht. 

Ist  der  Catheter  zu  dünn  oder  nicht  gehörig  in  die  Ohr- 
trompete eingesenkt,  so  wird  durch  die  Luftdouche  die  Mün- 
dung der  Ohrtrompete  unter  Erzeugung  eines  flatternden  Ge- 
räusches in  Vibrationen  versetzt,  das  besonders  beim  offenen 
Munde  und  nahe  an  der  Nase  deutlich  vernommen  wird.  Ge- 
räusch der  Trompetenmündung  [Bruit  du  pavil- 
/<w).  Gelingt  es  später,  den  Catheter  passend  einzulegen, 
so  erscheint  gleich  das  normale  trockene  Paukengeräusch 
allein,  und  kommt  bisweilen,  mit  dem  letztgenannten  Geräusche 
in  Verbindung,  ein  wie  aus  der  Entfernung  zu  hörender 
trockener  Schleimton,  Schnurren  (nach  meiner 
Bezeichnung)  vor,  der  durch  die  rückgängige  Bewegung 
der  eingetriebenen  Luft  erzeugt  wird ,  wenn  diese  in  der 
Ohrtrompete  auf  eine  Verengerung  durch  Aufwulstung  der 
Schleimhaut  etc.  stösst. 


Von    der    I toter  guehung    der   Mund-  und    Ra- 
clienhöiile  und  der  Speiseröhre. 

Die  hier  in  Anwendung  kommenden  Untersuchungsme- 
thoden beschränken  sich  auflnspection  und  das  häufig  durch 
die  Sonde  unterstützte  Gefühl ;  der  Auscultation  ist  nur  ein 
kleines  Feld  angewiesen. 

Die  Krankheiten  ,  welche  die  Exploration  veranlassen , 
betreffen  entweder  die  Knochen  oder  die  Weichtheile.  Gehen 
wir  Letztere  in  anatomischer  Reihe  durch ,  so  treffen  wir 
zuerst  auf  den  Mund. 


184 

Der  Mund  wird  zuweilen  verschlossen  gefun- 
den ,  z.  B.  im  Trismus ;  allein  als  eigentümliche  Krank- 
heit des  Mundes  können  wir  nur  die  angeborenen  Ver- 
schliessungen  hier  berücksichtigen,  indem  wir  alle  andern 
mehr  symptomatischen  Erscheinungen  mit  Stillschweigen  über- 
gehen. Zuweilen  kann  eine  Verengerung  der  Mund- 
öffnung durch  Verwachsung  der  Lippen  zu  Stande  kom- 
men ,  wie  sie  in  Folge  von  Verwundung  oder  Geschwüren 
der  Mundwinkel  bisweilen  sich  einstellt.  Ähnliche  Verwach- 
sungen finden  sich  zwischen  dem  Zahnfleische  und  den 
Wangen  oder  den  Lippen.  Der  Varietäten  der  Bildungsfehler 
sind  sehr  viele.  Spaltung  der  Oberlippe  (Hasenscharte) 
steht  zuweilen  mit  Spaltung  der  Nase  oder  des  Gaumens  in 
Verbindung.  Sie  zeigt  sich  als  einfache  oder  doppelte  Spalte 
der  Oberlippe  ,  die  aber  durch  Überhäutung  von  Seite  des 
Mundes  ganz  das  Ansehen  der  Lippen  bekommt.  Ist  sie  dop- 
pelt ,  so  schliesst  sie  meistens  das  getrennt  gebliebene  Os 
maxillare  in  sich.  Oft  verbindet  sie  sich  mit  dem  Wolfsrachen. 
Abgesehen  von  dem  schon  im  allgemeinen  Theile  ange- 
führten mehr  sympathischen  und  physiognomischen  Zeichen  , 
welche  den  Mund  und  die  Lippen  betreffen,  sind  noch  fol- 
gende Symptome,  als  Localkrankheiten  bezeichnend,  hieher 
gehörig. 

Der  Mund  steht  offen,  bis  zu  2  Zoll,  und  kann  nicht 
geschlossen  werden,  nach  gewaltthätigen Einwirkungen  und 
starkem  Gähnen  bei  Verrenkung  des  Unterkiefers. 
Dabei  sieht  man  eine  Abflachung  des  Backen,  selbst  eine  Ver- 
tiefung in  der  Gegend  des  Kiefergelenkes ;  die  untere 
Wand  des  äusseren  Gehörganges  erscheint  nur  in  seltenen 
Fällen  aufwärts  gedrückt ,  da  die  Verrenkung  fast  nur  nach 
vorne  möglich  ist.  Die  Luxation  betrifft  entweder  beide  Ge- 
lenkfortsätze, oder  sie  ist  nur  einseitig;  die  Spitze  des  Proc. 
coronoideus  ist  hiebei  an  den  unteren  Rand  des  Proc.  %ygo- 
maticus,  und  der  Gelenkfortsatz  an  den  vordem  Rand  des 
Tuberculum  articulare  durch  den  Kaumuskel  gepresst.  Alle 


185 

Muskeln  erscheinen  gezerrt,  aus  dem  Munde  fliesst  Spei- 
chel, die  Lippenbuchstaben  können  nicht  ausgesprochen  wer- 
den ,  das  Kauen  ist  unmöglich.  In  der  Mundhöhle  fühlt  man 
einen  durch  das  Vortreten  des  Kronenfortsatzes  gebildeten 
Vorsprung',  die  Zähne  passen  nicht  mehr  auf  einander;  die 
Untern  Schneidezähne  liegen  nämlich  mehr  nach  vorne.  Ist 
die  Verrenkung  nur  einseitig,  so  stehen  Mundspalte,  Zähne 
und  Kinn  schief,  und  die  anderen  angeführten  Symptome  sind 
nur  an  der  betreffenden  Seite  vorzufinden. 

Der  Bruch  des  Oberkiefers  ist  leicht  zu  erken- 
nen an  dem  Eindrucke  und  der  Beweglichkeit  des  Knochens. 
Necrose  dieses  Knochens  erscheint  nicht  selten  bei  Leu- 
ten, die  in  Fabriken  chemischer  Zündhölzchen  arbeiten,  bei 
solchen  ist  daher,  wenn  irgend  ein  Leiden  des  Oberkiefers 
bemerkt  wird ,  die  Aufmerksamkeit  des  Arztes  darauf  zu 
richten ,    ob  nicht  jene  zu  Grunde  liegt. 

Der  Bruch  des  Unterkiefers.  Die  Diagnose  un^ 
terliegt  keiner  besonderen  Schwierigkeif,  indem  man  die  Cre^- 
pitation  leicht  fühlt,  und  die  Bruchenden  vorrücken  kann, 
Die  Richtung  des  Bruches  ist  meistens  vertical,  an  den  Ästen 
gewöhnlich  schief.  Zuweilen  ist  er  auch  mit  Luxation  com- 
plicirt. 

Ist  ein  Seitentheil  gebrochen ,  so  sind  Mund  und  Kinn 
schief  abwärts  gegen  die  gesunde  Seite,  das  hintere  Bruch- 
stück aber  nach  innen  und  aufwärts  gezogen.  Sind  beide 
Seitentheile  gebrochen ,  so  sieht  man  das  Kinn  herabgezo- 
gen ,  die  Wangen  abgeflacht;  der  Mund  ist  geöffnet,  und 
kann  nicht  ganz  geschlossen  werden  ;  der  untere  Rand  des 
Unterkiefers  und  der  obere  seiner  Zähne  sind  ungleich.  Mei- 
stens fliesst  auch  Speichel  aus  dem  Munde.  Beim  Bruche  des 
Astes  ist  seltener  Dislocation  voihanden  ;  stellt  sie  sich  aber 
ein,  so  ist  die  betreffende  Wange  auffallend  flach.  —  Ist 
der  Gelenkfortsatz  abgebrochen  ,  so  kann  man  bei  der  sehr 
erschwerten  Bewegung  des  Unterkiefers  Crepitation  fühlen , 
und  dieser  Fortsatz   bewegt  sich  nicht  mit. 


186 

Zur  Erkenntniss  der  Krankheiten  der  Mundhöhle  so 
wie  in  specie  jener  der  Zähne  trägt  wohl  die  Inspection  das 
Meiste  bei.  Um  selbe  vorzunehmen ,  muss  der  Mund  des 
Kranken  dem  Lichte  zugekehrt  sein.  Will  man  dem  Lichte 
und  dem  Auge  Zutritt  zu  den  hinteren  Parthien  des  Rachens 
gestatten ,  ist  die  Zunge  bei  zurückgebeugtem  Kopfe  des 
Kranken  mittelst  des  Spatels  nach  Bedarf  nieder  zu  drü- 
cken. Um  die  Hinterfläche  der  Zähne  besehen  zu  können , 
gibt  man  einen  Mund  sp  ie  gel  hinter  die  zu  untersuchende 
Zahnreihe.  Derselbe  muss  von  Silber  sein,  und  hat  die  Form 
eines  halben,  der  Länge  nach  getheilten  Ovales.  Gut  ist  es  , 
denselben  vor  seiner  Einbringung  massig  zu  erwärmen,  da- 
mit er  sich  nicht  von  dem  Hauche  mit  Feuchtigkeit  beschlägt. 

Über  die  Stellung  der  Zähne  erhält  man  die  bequemste 
Übersicht  durch  vorsichtiges  Abdrücken  jeder  Kieferreihe  in 
Wachs ,  das  man  früher  in  lauem  Wasser  erweicht  und  zwi- 
schen Servietten  geknetet  hat ,  und  Abgiessen  der  erhalte- 
nen Hohlform  in  Gyps. 

Die  Untersuchung  wird  durch  die  Palpation  wesentlich 
gefördert,  und  selbe  entweder  mit  einem  Finger  oder,  beson- 
ders bei  Exploration  der  Zähne,  mittels  der  Sonde  vorge- 
nommen, um  verborgene,  zwischen  zwei  nahe  an  einander 
gepressten  Zähnen  befindliche  Vertiefungen ,  Löcher,  Un- 
ebenheiten, vor  allen  aber  die  Empfindlichkeit  des  Patienten 
zu  prüfen.  Aus  letzterem  Grunde  werden  auch  Zähne  mit 
einem  Schlüssel  u.  dgl.  percutirt;  nicht  aber,  um  auf  ein 
dabei  erzeugtes  Geräusch  zu  hören.  Die  bequemste  Zahn- 
sonde ist  die  Riz  zische.  Selbe  ist  an  beiden  Enden 
gespitzt  und  halbkreisförmig  gebogen. 

Untersuchung  der  Zähne. 

Das  Kauorgan  ist  vielen  physiologischen  und  patholo- 
gischen Veränderungen  unterworfen,  wovon  erstere  an  ge- 
wisse Perioden  des  Lebensalters  gebunden  sind. 

Der  Durchbruch  der  Zähne  ist  i:nmer  mit  mehr  oder 


187 

weniger  lästigen,  selbst  gefährlichen  Symptomen  verbunden. 
Zu  den  örtlichen  Erscheinungen  gehören :  das  Anschwellen 
und  die  Härte  des  Zahnfleisches.  Dasselbe  und  die  ganze 
Mundhöhle  fühlt  dann  sich  heiss  an;  oft  bringt  das  Kind  auto- 
matisch die  Finger  an  das  Zahnfleisch  und  reibt  es  damit;  ge- 
wöhnlich fliesst  viel  Speichel  aus  dem  Munde. 

Das  erste  Zahnen  beginnt  ungefähr  mit  dem  5.  Monate, 
und  gewöhnlich  kommen  die  Zähne  des  Unterkiefers  etwas 
früher,  als  die  entsprechenden  am  Oberkiefer. 
Die  vier  mittleren  Schneidezähne  er- 
scheinen       vom       6 — 10  Monat 

Die  vier  seitlichen 9 — 16       » 

»       »     Eckzähne 14—23       » 

»        »     vorderen  Backenzähne    .     .     .     .     20-31        » 

»        »     hinteren 27 — 40       » 

Das  zweite  Zahnen  geschieht  um  das  7.  Jahr  durch 
theilweise  Aufsaugung  der  Wurzel  der  Milchzähne  und  Aus- 
fallen ihrer  Kronen.  Zuerst  zeigt  sich  der  erste  grosse  Mahl- 
zahn, dann  fallen  die  Milchzähne  beiläufig  in  der  Ordnung 
aus,  in  der  sie  gekommen  sind. 

Die  vier  ersten  Mahlzähne  und  die  zwei 
mittleren      unteren      Schneidezähne 

erscheinen vom       6—8  Jahre 

Die  beiden  mittleren  oberen  Schneidezähne  .       7—  9      » 
»     vier   seitlichen  Schneidezähne      .     .     .       8 — 10      » 

»     ersten  Backenzähne 9 — n      » 

»     Eckzähne 10 12      >, 

»     zweiten  Backenzähne 11 — 13      » 

»     zweiten  Mahlzähne 12 14      » 

Man  sieht  somit,  dass  die  Eckzähne  später  kommen , 
als  die  seitlichen  Schneidezähne  und  die  Backenzähne,  so 
dass  sie  sich  zwischen  diesen  gleichsam  durchdrängen ,  und 
ihren  Raum  erringen  müssen.  Ferner  ist  zu  bemerken ,  dass 
alle  Zähne  wechseln,  mit  Ausnahme  der  Mahlzähne,  welche 
erst  bei  der  zweiten  Dentition  erscheinen.  Hinter  den  Mahl- 


188 

zahnen  kommen  später  noch  zur  unbestimmten  Zeit,  meistens 
Zwischen  dem  23.  und  25.  Jahre,  die  sogenannten  Weisheits- 
zähne ,  welche  aber  meistens  ganz  verkümmert  sind,  und 
häufig  nicht  geboren  werden. 

Im  höheren  Alter  sind  die  Zähne  alle  ausgefallen ,  und 
der  Kiefer  resorbiret  sich  in  dem  Grade ,  dass  das  Gesicht 
nach  Hunt  er  um  l'/2  Zoll  verkürzt  wird.  Die  Rotations- 
Bewegungen  beim  Kauen  hören  dann  auf,  die  Mastication 
besteht  bloss  in  einem  Niederdrücken  und  Aufheben,  wie  bei 
Kindern,  die  noch  keine  Zähne  besitzen.  Durch  die  Resorp- 
tion der  Kiefer  und  des  Zahnfleisches  kommen  im  hohen  Alter 
zuweilen  diejn  der  Evolution  zurückgebliebenen  und  früher  un- 
ter den  letzteren  verborgen  gewesenen  Zähne  zum  Vorschein, 
und  geben  Anlass ,  an  das  Märchen  einer  dritten  Dentition 
zu  glauben. 

Die  Zahnbildung  ist  häufigen  Anomalien  unterworfen , 
die  entweder  die  Zahl  (überzählige,  ungeborene),  oder 
0ie  Gestalt  (Dutenzähne) ,  oder  den  Ort  des  Erscheinens 
(pberzähne) ,  oder  eine  regelwidrige  Stellung  betreffen ; 
und  zwar  ist  letzteres  entweder  mit  einer  ganzen  Kie- 
ferreihe der  Fall,  oder  nur  mtt  einzelnen  Zähnen  (schiefe 
JSähne). 

Vorragen  einzelner  Zähne  oder  Gewohnheit,  auf  einer 
Seite  zu  beissen ,  bewirken  die  Abnützung  derselben. 
Brüche  der  Zähne  werden  leicht  erkannt.  Atrophie  be- 
trifft meistens  nur  den  Schmelz  ,  und  zeigt  sich  als  milchige 
oder  gelbliche  Fleckchen,  oder  als  Porosität  der  Glasur  oder 
durch  gelbliche  eingedrückte  Querstreifen,  besonders  an  den 
Schneidezähnen.  Letztere  Form  ist  der  Rachitis  besonders 
eigen.  Dass  die  Zähne  aus  verschiedenen  Ursachen  häufig 
locker  werden,  hat  fast  jedermann  selbst  erfahren. 

C  a  r  i  e  s  der  Zähne,  welche  nur  auf  den  Kronen  vorkommt, 
zeigt  sich  unter  mancherlei  Form.  Die  Caries  calcaria  wird 
als  vertiefte  Stelle  meist  an  den  Seiten  der  Krone  gefunden , 
»reiche  rauh ,  zerreiblich  und  kalkartig  aissieht. 


189 

C.  excorticans  äussert  sich  als  gelbliche  Stelle 
ebenfalls  meistens  an  der  Seitenfläche  des  Zahnes ,  wo  sich 
das  zerreibliche  Email  losblättert. 

C-  per forans  erzeugt  sich  im  Innern  der  Kronen  als 
Erweichung*  und  gelbbraune  Färbung  der  Knochensubstanz , 
endlich  öffnet  sich  die  Aushöhlung  durch  ein  kleines  Loch 
oder  einen  Canal  nach  aussen.  Die  Knochenmasse  wird  durch 
diesen  Process  fast  gänzlich  zerstört ,  so  dass  nur  die  aus 
dem  Email  bestehende  Hülle  übrigbleibt,  die  endlich  auch 
zerbricht  und  zerbröckelt. 

C.  carbo  beginnt  mit  einem  schwarzen  Flecke,  der 
durch  den  Schmelz  bläulich  durchschimmert  und  leicht  zer- 
stört wird.  Dadurch  öffnet  sich  eine  Höhle ,  deren  schwarze 
Wände  trocken  und  zerreiblich  sind. 

C.  diruptiva  beginnt  mit  einem  gelben  Flecke  und 
Substanzverlust  nahe  am  Halse  des  Zahnes,  und  schreitet, 
eine  Furche  bildend,  der  Wurzel  zu,  so  dass  endlich  die  ge- 
sunde Krone  von  letzterer  abbricht. 

Necrose  des  Zahnes,  meist  in  Folge  eines  heftigen 
Druckes ,  Luxation  u.  s.  w. ,  äussert  sich  durch  .Schwarz- 
werden des  ganzen  Zahnes. 

Der  Zahnstein,  eine  schmutzig  weisse  bis  bläu- 
liche,  weiche  oder  auch  sehr  harte,  am  Halse  der  Zähne 
fest  anhängende  Substanz ,  drängt  das  Zahnfleisch  von  den- 
selben weg,  und  macht  dasselbe  schwammig  und  leicht 
blutend. 

Parulis ,  eine  in  Folge  von  reiner  Entzündung  des 
Zahnfleisches,  Rheuma  oder  Caries  sich  bildende  entzündliche, 
rundliche,  zuletzt  fluctuirende  Geschwulst  des  Zahnfleisches, 
so  wie 

Periodontitis,  Entzündung  des  den  Alveolus  aus- 
kleidenden Häutchens,  geht  zuweilen  in  Eiterung  über,  und 
gibt  zu  leicht  blutenden Fungositäten ,  Abscesen  und  Fi- 
steln Veranlassung,  welche  letztere  man  durch  Erschei- 
nen  eines  Eiterpunctes   an  der  callösen  Öffnung  bei  ange- 


190 

brachtem  Drucke  erkennt.  Eine  festaufsitzende,  nach  dem 
Wegschneiden  wieder  erscheinende  Geschwulst  von  fast 
schwammiger  Consistenz,  die  entweder  aus  dem  Zahnfleische 
oder  der  äussern  Zahnhaut,  dem  Alveolus  oder  selbst  der 
Pulpa  des  cariösen  Zahnes  entstehen  kann,  heisst  Epulis. 

Am  Gaumen  bemerken  wir  zuweilen  Trennungen  des 
Zusammenhanges,  Spalten  und  Öffnungen.  Die  Gaumen- 
spalten, als  Fehler  der  ersten  Bildung,  erstrecken  sich 
entweder  nur  auf  das  Zäpfchen,  den  weichen  Gaumen,  oder 
sie  durchdringen  das  Palatum  durum,  selbst  den  Processus  ah 
veolaris  und  die  Oberlippe.  Sie  sind  meist  einfach,  aber  auch 
doppelt.  In  diesem  Falle  schliessen  sie  das  Os  intermaxillare 
in  sich.  Die  mehr  oder  weniger  breite  angeborne  Spalte  betrifft 
immer  die  Mitte  des  Gaumens.  Öffnungen  des  Gaumens 
können  aber  an  jeder  andern  Stelle  desselben  vorkommen,  sie 
sind  meist  Folge  syphilitischer,  bisweilen  scrophulöser  Ge- 
schwüre, gewöhnlich  von  rundlicher  oder  ovaler  Gestalt,  und 
mit  einem  harten  Rande  umgeben.  Die  Folgen  beider  sind 
verschieden.  Die  Spalte,  als  Bildungsfehler,  macht  den  Kin- 
dern das  "Saugen  ,  wenigstens  in  horizontaler  Lage ,  gänz- 
lich unmöglich.  Bei  Erwachsenen  wird  die  Stimme  durch  die- 
selben oft  in  dem  Grade  verändert ,  dass  sie  in  ein  unver- 
ständliches verworrenes  Getön  verwandelt  wird.  Viele  Per- 
sonen suchen  den  Substanzverlust  durch  Tragen  eines  Ob- 
turators  zu  ersetzen. 

Speichel  fisteln  kommen  am  häufigsten  am  Spei- 
chelgange der  Parotis  vor ,  und  sind  innere  und  äussere,  an 
der  Seite  der  Wange  befindliche.  Sie  werden  zuweilen  durch 
das  Einführen  von  Sonden  oder  feinen  Darmsaiten,  jedesmal 
aber  durch  das  immerwährende  Aussickern  einer  grossen 
Menge  anfangs  sanguinolenter,  später  reiner  Speichelflüssig- 
keit erkannt,  die  besonders  beim  Kauen  und  Sprechen  ausge- 
presst  wird.  Die  äussere  Fistelöffnung  ist  häufig*  callös.  Nicht 
selten  ist  ein  Speichelstein  Ursache  der  Fistel.  Bei  letzte- 
rer kann  derselbe  durch  das  Gefühl  erkannt  werden,  so  wie  auch 


191 

dadurch,  dass  der  Ausführang-sg-ang"  der  Drüse  hinter  dem  Hin- 
dernisse eine  dem  Tastsinne  zugängliche  Ausdehnung  er- 
leidet. 

Entzündung  der  Weichtheile  des  Mundes  wird  Stoma- 
titis genannt.  Sie  kann  an  allen  Stellen  desselben  vorkom- 
men ,  und  characterisirt  sich  durch  Röthe,  Geschwulst  und 
Hitze  der  leidenden  Partie  ,  so  wie  durch  häufigen  Verlust 
des  Epitheliums  daselbst.  Bei  Kindern  ist  nicht  selten  ver- 
mehrte Speichelabsonderung*  damit  verbunden. 

Ulceröse  Stomatitis  ist  ein  Ausgang  der  rein  ent- 
zündlichen, oder  sie  hat  ihren  Grund  in  specifischen  Ursachen, 
als:  Mercurialkrankheit,  Syphilis.  Die  beiden  letztgenannten 
Geschwüre  sind  der  Form  nach  nicht  immer  zu  unterscheiden, 
doch  gilt  im  Allgemeinen,  dass  : 


S  y  phili  tische 
(welche  selten  primär  sind) 

1)  mehr  die  hintern  Partien  des  Ra- 
chens, Zäpfchen,  Mandeln  u.  s  w. 
ergreifen. 

2)  mehr  in    die   Tiefe  dringen,  und 

oft  mit  Durchbohrung  des  Gau- 
mens ,  Zäpfchens  u.  s.  w.  enden. 

3)  rund  sind,  zuweilen  mit  deutlieh 
erhobenen  Rändern. 

4)  an  ihrem  Orte  fest  sitzen ,  und 
von  da  aus  die  Zerstörung  vor- 
dringen lassen,  doch  kaum  mehr 
als  2—3  auf  einmal  vorkommen 

5)  im  Umfange  wenig  Reaction 
zeigen. 


Mercurielle 


mehr  an  den  vordem  Theilen  des 
Mundes  vorkommen,  am  Backen, 
Zahnfleisch  u.  s.  w. 

ziemlich  oberflächlich  und  flach 
sind,  und  mehr  in  die  Breite  als 
in  die  Tiefe  gehen. 

eine  unregelmässige,  längliche,  sich 
leicht  verändernde  Form  haben. 

ihren  Ort  beständig  wechseln,  und 
in  unbeschränkter  Zahl  vorkom- 
men. 


meistens  mit  heftigen  entzündlichen 
Erscheinungen  und  Geschwulst 
im  Umkreise,  so  wie  mit  Saliva- 
tion  verbunden  sind. 


Beide  Geschwürsgattungen  bilden  zuweilen ,  besonders 
wenn  sie  an  der  Zunge  vorkommen,  Rhagaden. 


192 

Aphtöse  Stomatitis.  Diese,  am  häufigsten  bei  kleinen 
Kindern  vorkommende  Krankheit,  erscheint  anfangs  als  eine 
nur  durch  das  Getaste  kennbare  Anschwellung-  eines  oder  meh- 
rerer Schleimfollikel ,  welche  endlich  als  kleines  weisses 
Bläschen  sich  sichtbar  darstellt.  Der  anfangs  gelatinöse  In- 
halt trübt  sich  dann  und  wird  entleert,  worauf  es  zur  Bil- 
dung eines  Geschwürchens  mit  weissem  Schorfe  kommt,  der 
sich  bald  abstösst. 

Der  Soor  (while  thruch,  Muguet)  kommt  bei  Säug- 
lingen vor ,  und  erscheint  als  weisses  Excret  der  Follikel  in 
Form  vieler  Puncte ,  die  durch  ihr  Zusammenfliessen  der 
Mundhöhle  das  Ansehen  verleihen,  als  sei  sie  mit  Rahm  über- 
schmiert. Dieses  von  vielen  Ärzten  als  Abart  der  Aphten  be- 
trachtete  Leiden  bildet  den  Übergang  zur 

Diphtheriti  s.  In  dieser  mehr  die  hinteren  Partien  des 
Rachens  und  Schlundes  zu  ihrem  Sitze  erwählenden  Krank- 
heit erscheint  auf  geröthetem  Grunde  eine  plastische  Exsu- 
dation in  Form  weisser  Lamellen.  Es  scheint,  dass  diess 
Leiden  bei  Neigung  zur  Grangrän  die  Angina  gangraenosa 
QCarotillO~)  darstelle;  wenigstens  sind  die  Bilder  der  genann- 
ten Krankheiten  ziemlich  übereinstimmend. 

Aus  allen  bis  jetzt  beschriebenen  Formen  der  Stomatitis 
ist  übrigens  die  Entwickelung  von  Sphacelus  möglich ;  übri- 
gens kann  sich  auch  Gangrän  #)  des  Mundes  ohne  voraus- 
gegangene bemerkbare  Entzündung,  ähnlich  der  Noma,  ent- 
wickeln. Es  erscheint  dabei  äusserlich  auf  der  Backe  eine 
ödematöse,  umschriebene  Geschwulst,  worüber  die  Haut  ein 
fettiges  Ansehen  bekommt.  In  der  Mitte  ist  ein  harter  Punct, 
über  welchem  innen  oder  aussen  ein  dunkelrother  Fleck  ent- 
steht. Dieser  bedeckt  sich  endlich  mit  Brandschorf,  die 
weichen  Theile  werden  oft  bis  auf  die  Knochen  zerstört,  und 
es  ergiesst  sich  mit  ihren  Resten  blutiger  Schleim  aus  dem 
Munde. 


*)Evanson  et  Mannseil  Handb.  d.  Kinderkrankheiten  übers. 
v.  Frank  el.  Berlin  1838.  p.  257. 


193 

Stomacace  und  Wasserkrebs  QNoma)  stimmen  in  ihrem 
Endproducte  mit  dem  Sphacelus  oris  überein,  sind  aber  so- 
wohl von  einander,  als  von  Letzterem  wesentlich  verschieden. 


Stomacace. 

Nach  Vorausgehen  von  Erschei- 
nungen allgemeinen  Ubelbefindens 
röthen  sich  gewöhnlich  Zahnfleisch 
und  Lippen  und  schwellen  an  ,  dass 
dadurch  Sprechen  und  Kauen  er- 
schwert wird.  Die  Röthe  ist  meist 
gefleckt,  dunkellivid. 


Nun  entstehen  schnell  auf  dein 
rothen  Grunde  viele  weisse  Puncte, 
oder  graulicht-weisse  Bläschen,  die 
rasch  in  Gescbwürchen  mit  weichen, 
blauröthlichen  Rändern  übergehen, 
durch  deren  Zusammenfliessen  die 
erkrankten  Stellen  wie  mit  einer 
grauweissen,  speckigen  oder  schwärz- 
lichen pseudomembranösen  Schwarte 
bedeckt  werden.  Das  Leiden  erscheint 
mehr  oberflächlich. 

Nun  schreitet  die  Krankheit  mas- 
sig schnell  zu  den  tiefer  in  der  Ra- 
chenhöhle gelegenen  Organen  vor, 
während,  häufige  Blutungen  aus  dem 
Zahnfleische  erscheinen,  und.  das  pe- 
netrant aashaft  riechende  Secret  nicht 
allein  die  Weichtheile  zerstört,  son- 
dern selbst  Garies  der  Knochen  be- 
wirkt. 


Der  ganze  Process  pflegt  durch 
um  sich  greifende  Verschwärung  zu 
geschehen. 


N  o  m  a. 

Entwickelt  sich  meist  ohne  Vor- 
läufer an  irgend  einer  Stelle  des 
Mundes,  selbst  aussen  an  der  Backe 
als  weissröthliches ,  oder  selbst  im 
Beginne  schwarzes  Bläschen,  in  des- 
sen Umkreise  die  Haut  sich  verhär- 
tet und  anschwillt,  ohne  Zeichen 
activer  Entzündung. 

Durch  Platzen  des  Bläschens 
wird  schwärtzliche  Jauche  entleert 
und  der  Mutterboden  darunter  stellt 
schon  eine  graue  oder  schwarze, 
beim  Offnen  des  Mundes  und  bei  je- 
der Berührung  leicht  zerreissende, 
fast  breiige  Masse  dar.  Das  Leiden 
scheint  in  der  Tiefe  verborgen  zu 
beginnen. 


Die  Zerstörung  verbreitet  sich 
schnell  und  excentrisch  nach  allen 
Seiten  und  der  Tiefe,  durchbohrt 
die  Wange  ;  die  ergriffenen  Knochen 
und  Zähne  fallen  ab.  Zur  Seite  fahren 
bisweilen  ähnlich  verlaufende  Bläs- 
chen auf  Das  ganze  Geschwür  wird 
von  einem  dunkel  glänzenden  Hofe 
umschlossen.  Beständig  fliesst  cada- 
verös  riechender  Speichel  aus. 

Der     Zerstörungsprocess     greift 
durch  necrotisches  Zex-fallen  um  sich. 


Von  jeher  hat    man  auf  die  Untersuchung*  der  Zunge 
grossen  Werth  gelegt,  und  aus  der  Beschaffenheit  derselben 
auf  die  des  Magens  und  Darmcanales  geschlossen.  Wir  müs- 
sen die  sympathischen  Zeichen  an  der  Zunge  leider  hier  über- 
Gaal  Diagnostik.  13 


194 

gehen ,  und  verweisen  betreffs  derselben  auf  die  meisten 
Werke  über  Semiotik,  in  deren  jedem  das  Wissenswerthe- 
ste  darüber  enthalten  ist.  Unsere  Aufmerksamkeit  fesseln 
hier  mehr  die  Krankheiten  der  Zunge  selbst,  besonders  in  so 
ferne  durch  selbe  die  physikalischen  Eigenschaften  dieser 
geändert  werden. 

Die  Zunge  findet  sich  öfters  mit  den  benachbarten  Thci- 
len  verwachsen,  am  häufigsten  jedoch  bei  Kindern  als 
angeborne  Verkürzung  des  Zungenbändchens, 
das  meist  bis  an  die  Zungenspitze  reicht,  und  das  Saugen 
und  Sprechen  verhindert.  Ganz  kleine  Kinder  zwingt  man 
behufs  der  Inspection  dadurch,  den  Mund  zu  öffnen,  dass 
man  ihnen  mit  den  Fingern  der  einen  Hand  die  Nase  zuhält, 
so  dass  sie  genöthigt  sind,  durch  den  Mund  zu  athmen.  Zur 
genauem  Untersuchung  hat  man  dann  mit  zwei  Fingern  die 
Zunge  in  die  Höhe  zu  heben  und  an  den  Rändern  zu  um- 
gehen. 

Die  Zunge  nimmt  übrigens  meistens  an  den  Leiden  der 
Mundhöhle  Antheil,  besonders  wenn  diese  entzündlichen  Ur- 
sprungs sind  (Stomatitis) ,  wird  aber  auch  oft  für  andere 
Ursachen,  Trauina,  Hydrargyrose,  Verschlucken  ätzender 
Substanzen  u.  s.  w.  büssen. 

Die  Zungenentzündung  (Glossitis)  ist  entweder 
bloss  oberflächlich  QG.  mueotaj  oder  parenchymatös,  total 
oder  partiel. 

Die  heisse ,  harte  und  steife  Zunge  nimmt  dabei  eine 
dunkle  Röthe  an ,  und  behält  die  Eindrücke  der  Zähne,  wo- 
durch nicht  selten  Excorirung  und  Ulceration  entsteht.  Sie 
schwillt  zuweilen  zu  so  bedeutenden  Umfange  an,  dass  äus- 
serste  Erstickungsgefahr  entsteht,  oder  sie  als  eine  grosse 
unförmliche  Fleischmasse  zwischen  den  Zahnreihen  einge- 
klemmt erscheint.  In  einzelnen  Fällen  blieb  Verhärtung  zu- 
rück, die  durch  den  Tastsinn  leicht  erkannt  wird. 

Der  Scirrhus  der  Zunge  zeigt  sich  als  knotige,  harte, 
braunröthliche  mit,  röthlichen  Gefässen    durchzogene    Ge- 


195 

schwulst,    die    in  weiterem  Verlaufe  sich  in  ein  Krebsge- 
schwür verwandelt. 

Condylome  kommen  nicht  selten  an  der  Zunge  und 
im  Rachen,  meist  an  den  Tonsillen  vor,  sind  aber  fast  im- 
mer breit  aufsitzend,  flach,  wenig  erhaben  und  weisslich 
gefärbt.  Die  Berücksichtigung  der  übrigen  Erscheinungen 
der  Syphilis  wird  die  Diagnose  erleichtern. 

Die  Fröschleingeschwulst  QRanula)  stellt  ge- 
wöhnlich einen  runden,  glatten,  beweglichen,  röthlich-weis- 
sen  ,  durchscheinenden  Tumor  des  Whartonianischen  Gang'es, 
der  aus  was  immer  für  Ursache  verstopft  ist,  neben  dem  Zun- 
genbändchen  dar,  wird  aber  in  manchen  Fällen  durch  eine 
eigene  Cyste  gebildet,  deren  Inhalt  eiweisshältig,  nicht  aber 
Speichel  ist.  Ein  unter  und  hinter  dem  Kinne  angebrachter 
Druck  erhebt  die  untere  Wand  der  Mundhöhle  und  mit  ihr 
die  Geschwulst;  drückt  man  im  Munde  die  Ranula,  so  zeigt 
sich  hinter  dem  Kinne  eine  Wölbung. 

Der  Zungenkrampf  kommt  selten  als  locales  und 
idiopathisches  Leiden  vor.  Sind  die  Musculi  styloglossi  Sitz 
des  Krampfes,  so  wird  die  Zunge  gewaltsam  nach  hinten  ge- 
zogen und  zusammengerollt.  Betrifft  die  Zusammenziehung 
die  M.  ginioglossi >  so  wird  die  Zunge  aus  dem  Munde  her- 
ausgestreckt. 

Im  Rachen  erweckt  ausser  den  schon  genannten  Co- 
häsionskrankheiten  des  weichen  Gaumens  (Perforation  u.  s.  w.) 
und   Zäpfchens  noch   die  Herabdrückung*    des   Ersten  durch 
Polypen,  und  die  entzündliche  und  die  ödematöse  Geschwulst 
des   Letzteren  unsere  Aufmerksamkeit.    Das  Zäpfchen  kann 
dabei  ungemein  vergrössert  werden,  und  hängt  zuweilen  tief 
gegen   den    Schlund    herab.     Öfter   ist    es    nöthig,    dassel- 
be   behufs   einer,  genauen   Inspection    der   hinter   demselben 
gelegenen  Theile  mit  einem  Pinselstiele  umzuschlagen,  oder 
mit  diesem  zu  versuchen,    ob  der  etwa  vorhandene  Schleim 
oder  Eiter  sich  wegwischen  lässt  oder  nicht.  Bei  Halsentzün- 
dungen findet  man  häufig  das  Zäpfchen  auf  eine  Seite  gezogen. 

13  # 


196 

Bei  Halsentzündung*  en  sind  der  Grad  der  Ge- 
schwulst, der  Umstand,  ob  Flüssiges  oder  auch  Compactes 
geschluckt  werden  kann  ,  und  ob  dieses  durch  die  Nase  re- 
gurgitirt  oder  nicht,  ein  immerwährender  Reiz  zum  Schlin- 
gen ,  der  durch  die  Anschwellung  hervorgebrachte  näselnde 
Ton  beim  Sprechen ,  die  Köthe ,  die  bei  acuten  Exanthemen 
(Scarlatina  etc.)  meistens  punctirt  erscheint,  der  Verlust  der 
Epithclialschichte,  die  sich  durch  stellenweise  Mattheit  der 
Röthe  und  Vertiefung  kund  gibt,  so  wie  Zeichen  von  etwa 
eintretender  Eiterung  Gegenstand  der  Untersuchung.  Piorry 
gibt  an,  dass  man  sich  bildende  Eiterherde  an  einer  elasti- 
schen Spannung  der  hintern  und  etwas  seitwärts  von  der  Backe 
gelegenen  Gegend  der  Mundhöhle  durch  den  Tastsinn  früher 
erkenne,  ehe  sich  der  Abscess  durch  die  Inspection  kund 
gibt. 

Die  Vergrosserung  der  Tonsillen  während  einer  Ent- 
zündung sowohl,  als  nach  derselben  kann  so  bedeutend  wer- 
den, dass  sie  halbkugelförmig  vorstehen,  und  den  Eingang  des 
Schlundes  gänzlich  verschliessen.  Durch  den  Gesichtssinn 
sieht  man  Eiterpuncte  auftreten  ,  und  die  mehr  höckerige, 
ausgefressene  Form  der  Mandeln ,  wenn  durch  häufige  Ab- 
scesse ,  syphilitische  Geschwüre  u.  dgl.  Substanzverlust  der- 
selben zustande  gekommen  ist.  Kann  man  den  Abscess  nicht 
durch  Zufühlen  erkennen,  so  deutet  nach  Schönlein  ein 
dickpelziger  grauer  Beleg  der  Zungenwurzel,  der  Seite  des 
Eiterherdes  entsprechend,  auf  dessen  Vorhandensein. 

Die  Speiseröhre  gibt  der  physicalischen  Untersu- 
chung nur  bei  einigen  wenigen  Krankheiten  Gelegenheit  zur 
Anwendung. 

Diese  sind  vornehmlich  folgende : 

Fremde  Körper  im  Ösophagus  werden  meistens 
daselbst  durch  ihr  grosses  Volum  oder  auch  durch  Schlund- 
krampf, seltener  durch  einen  paralytischen  Zustand  der  Mus- 
keln aufgehalten.  Stecken  sie  unmittelbar  hinter  dem  Kehl- 
kopfe; so  ist  die  Erstickungsgefahr  gross,  und  es  ist  biswei- 


197 

len  nicht  leicht  zu  erkennen ,  ob  sie  nicht  etwa  in  letzterem 
stecken.  Doch  sichert  die  Diagnose  theils  den  Umstand,  dass 
Körper,  die  über  10  Par.  Linien  im  Durchmesser  haben, 
nicht  leicht  in  die  Stimmritze  gelangen  können ,  theils  die 
Abwesenheit  des  röchelnden  Athems,  des  zischenden  Ge- 
räusches beim  Husten ,  die  Unmöglichkeit  Flüssiges  zu 
verschlucken ,  so  wie  die  Untersuchung*  mit  dem  Finger 
von  innen  und  aussen  an  der  linken  Seite  des  Kehlko- 
pfes ,  oder  wo  dieses  nicht  hinreicht ,  das  vorsichtige  Ein- 
bringen der  Schlundsonde.  Zu  diesem  Ende  sitzt  der  Patient 
vor  dem  Arzte  auf  einem  Stuhle,  und  wird  dessen  Kopf  von 
einem  Gehilfen  fixirt.  Der  Operateur  drückt  mit  dem  linken 
Zeigefinger  die  Zungenwurzel  nieder ,  und  führt  an  dessen 
Radialseite  die  mit  der  andern  Hand  nach  Art  einer  Schreib- 
feder erfasste  und  beöhlte  Sonde  etwas  nach  links  an  die  hin- 
tere Wand  des  Pharynx ,  wo  sie  sich  durch  sanften  Druck 
krümmet  und  in  die  Speiseröhre  gleitet,  bis  er  durch  ein  sich 
entgegenstellendes  Hinderniss  von  der  Anwesenheit  des  frem- 
den Körpers  belehrt  wird. 

Home  räth  die  Zunge  bei  der  Sondirung  aus  dem  Munde 
strecken  zu  lassen,  allein  ich  glaube,  dass,  weil  dadurch 
die  Epiglottis  in  die  Höhe  gehoben  wird,  man  auf  solche 
Weise  leicht  in  die  Luftröhre  gelangen  könnte,  was  bei  bloss 
niedergedrückter  Zunge  weniger  der  Fall  ist. 

Der  Schlundkrampf  äussert  sich  meistens  durch 
Gegenwart  krampfhafter  Erscheinungen  anderer  Organe,  und 
durch  anfallsweises  Auftreten  derselben.  Während  des 
Paroxysmus  wird  Genossenes,  sobald  es  zu  der  krampfhaften 
Verengung*  gelangt  ist,  mit  Vehemenz  wieder  zurückgestos- 
sen.  Die  Sonde  aber  entdeckt  nur  während  der  Anfälle  ein 
Hinderniss  an  der  betreffenden  Stelle. 

Bei  paralytischer  Dysphagie  gleiten  Speisen  und 

Getränke  wie  in  einem  todten  Schlauche  hinab,  werden  nicht 

ausgestossen,  und  die  Sonde  fühlt  kein  Hinderniss;  man  hört 

auch  zuweilen  ein  Geräusch,  wie  von  einem  saufenden  Pferde, 


198 

Stricturen  des  Ösophagus,  die  durch  Ge- 
schwülste leidender  Wirbel  u.  s.  w.  entstehen,  äussern  sich 
durch  keine  zeitweisen  Anfälle,  sondern  es  äussert  sich  die 
Beschwerde  bei  jedem  Versuche  zu  schlingen;  die  Schlund- 
sonde weist  das  mechanische  Hinderniss  nach ,  und  gelingt 
es ,  eine  im  warmen  Wasser  etwas  erweichte  Wachsbougie 
durch  die  verengte  Stelle  durchzudrängen ,  so  zeigt  diese 
bisweilen  den  Abdruck  derselben. 

Durch  die  Auscultation  hört  man  in  manchen  Fällen 
nächst  der  Wirbelsäule  ein  eigenthümlich  schnalzendes  Ge- 
räusch beim  Schlucken ,  das  stärker  ist ,  wenn  flüssige,  und 
schwächer,  wenn  feste  Körper  die  verengerte  Stelle  passiren. 

H  o  m  e  s  Ausspruch ,  dass  ,  wenn  man  von  den  Vorder- 
zähnen des  Oberkiefers  8"  tief  eingedrungen  sei ,  man  ge- 
wöhnlich mit  der  Sonde  die  Strictur  überschritten  habe,  fin- 
det schon  in  dem  Umstände  seine  Bestättigung,  dass  die  Stric- 
turen meist  im  obern  Dritttheile  des  Ösophagus  vorkommen. 

Untersuchung  der  Wirbelsäule. 

An  die  Untersuchung  des  Kopfes  reiht  sich  unmittelbar 
jene  der  Wirbelsäule.  Inspection ,  Mensuration  und  Palpa- 
tion haben  hier  ein  weites  Feld ,  die  Percussion  ist  von  un- 
tergeordnetem Nutzen ,  die  Auscultation  kommt  aber  dabei 
nur  in  so  ferne  in  Betracht,  als  durch  Verkrümmung  des 
Rückgrates  organische  Krankheiten  in  den  Athmungswcrk- 
zeugen  und  dem  Herzen  entstehen  ,  welche  durch  das  Sthe- 
thoscop  nachzuweisen  sind.  Der  Kranke ,  der  den  Rücken 
entblösst  hat ,  kann  im  Stehen  ,  Sitzen  oder  Liegen  unter- 
sucht werden.  Liegend  befinde  er  sich  auf  einer  wenig  nach- 
giebigen Unterlage,  z.  B.  einem  Tische,  mit  nach  oben  ge- 
kehrtem Rücken,  und  strecke  dabei  die  Hände  über  den  Kopf 
aus.  Bei  der  Untersuchung  im  Sitzen  und  Stehen  muss  man 
darauf  achten ,  dass  der  Patient  den  Kopf  gerade  halte,  und 
man  stelle  sich  der  Wirbelsäule  gegenüber,  um  die  allgemeine 
Richtung  derselben  wohl  beurtheilen  zu  können. 


199 

Ausser  der  Untersuchung  der  Wirbelsäule  selbst  und 
ihrer  einzelnen  Vorragungen  beachte  man  die  rinnen  förmigen 
Vertiefungen  neben  derselben  und  den  Vorsprung* ,  welchen 
die  Sacrolumbalmuskeln  auf  einer  oder  der  andern  Seite  ma- 
chen. Dadurch  erkennt  man  oft  nach  Guerin  die  Verdre- 
hung der  Wirbel  im  Beginne ,  ehe  sie  sich  noch  durch  an- 
dere Zeichen  kund  gibt. 

Ferner  soll  man  den  Kranken  sowohl  den  Kopf,  als  die 
Brust  und  das  Becken  bewegen  und  drehen  lassen,  und  selbst 
die  Beweglichkeit  der  obern  und  untern  Extremitäten  berück- 
sichtigen, und  überhaupt,  ob  derlei  Versuche  frei  und  ohne 
Schmerz  vollführt  werden  können. 

Vom  physikalischen  Standpuncte  aus  betrachtet,  ist  der 
Schmerz  ,  der  durch  Betastung  der  Wirbelsäule  und  andere 
Handgriffe  erregt  wird,  zwar  nicht  hieher  gehörig;  da  aber 
denselben  hervorzurufen  für  die  Diagnose  von  Rückenmark- 
krankheiten häufig*  unerlässlich  ist ,  und  da  ein  bestimmtes 
technisches  Verfahren  dabei  in  Anwendung  kommt ,  so  kann 
letzterer  hier  nicht  mit  Stillschweigen  übergangen  werden. 

Will  man  einen  Kranken  demnach  auf  Spinalirrita- 
tion untersuchen,  so  muss  sich  dieser  auf  den  Bauch  le- 
gen, oder  mit  der  Brust  an  eine  Wand  lehnen,  worauf  man 
mit  den  an  ihren  Spitzen  zusammengehaltenen  Daumen  beider 
Hände  auf  die  einzelnen  Dornfortsätze  der  Wirbel  und  un- 
ter dieselben  auf  die  Zwischenknorpel  drückt,  und  erstere 
selbst  dabei  hin  und  her  zu  bewegen  versucht.  Bei  solchem, 
der  Reihe  nach  vom  Halse  bis  zu  den  letzten  Lendenwir- 
beln auf  jeden  Dornfortsatze  ausgeübten  Drucke  empfinden  die 
Kranken  Schmerz  von  verschiedener  Heftigkeit  an  einer  oder 
der  andern  Stelle  ,  und  werden  selbst  zuweilen  krampfhafte 
Erscheinungen  hervorgerufen.  Oft  ist  es  selbst  schon  hin- 
reichend, ohne  dass  der  Kranke  die  bezeichnete  Lage  ein- 
genommen hat,  der  Reihe  nach  den  Hals,  die  Brust  und 
den  Unterleib  mit  der  aufgelegten  Linken  zu  fixiren,  während 
man  mit  dem  Daumen   der  rechten  Hand  die   Dornfortsätze 


900 

drückt.  Schmerz  in  den  Muskeln  gibt  sich  durch  Empfind- 
lichkeit der  seitlichen  Theile  des  Rückgrates  kund. 

Nach  Copland  erprobt  man  die  Empfindlichkeit  ein- 
zelner Wirbel  auch  durch  Überfahren  der  ganzen  Columna 
vertebralis  mit  einem  in  heisses  Wasser  getauchten  Schwämme, 
wobei  die  erkrankten  Wirbel  schmerzen.  Nach  S  t  i  e  b  e  1  er- 
reicht man  ein  Gleiches  durch  heisse  Potaschenbäder.  Diese 
Explorationsmethoden  trifft  aber  der  Vorwurf,  dass  sie  nicht 
allein  umständlicher  ,  sondern  auch  weniger  verlässlich  sind, 
als  jene  durch  den  Druck. 

Entzündung  derWirbelsäule  in  ihren  Gelenk- 
verbindungen QSpondylarthrocace^)  äussert  sich,  wenn  sie 
die  obern  Halswirbel  betrifft,  sichtbar  durch  Steifheit  des 
Halses  und  Neigung  des  Kopfes  nach  abwärts  und  nach  der 
gesunden  Seite  hin ,  so  dass  die  kranke  Seite  nach  aussen 
etwas  vortritt.  In  einem  weitern  Stadium  aber  wird  der  Kopf 
nach  rückwärts  und  einer  der  erst  beschriebenen  ganz  ent- 
gegengesetzten Stellung"  gedreht.  Hat  das  Übel  in  den  un- 
tern Hals-,  Rücken- oder  Lendenwirbeln  (Malum  Potii)  sei- 
nen Sitz,  so  bemerkt  man  nicht  selten  Hervortreten  eines 
oder  mehrerer  Dornfortsätze,  und  nach  und  nach  mehr  er- 
sichtliche Lähmung  der  untern  Extremität,  so  dass  der  Kranke 
gezwungen  ist,  eine  eigene  characteristische  Haltung  anzu- 
nehmen, nämlich  den  Theil  des  Halses  ,  der  zwischen  den 
Schultern  befindlich  ist ,  nach  rückwärts  zu  halten,  die  Arme 
etwas  gebogen  an  den  Leib  zu  legen ,  im  Stehen  sich  mit 
den  Händen  auf  die  Hüfte ,  und  im  Bücken  auf  die  Ober- 
schenkel zu  stützen.  Die  untern  Extremitäten  werden  ge- 
wöhnlich etwas  in  den  Knien  gebogen  gehalten.  Das  Um- 
wenden im  Liegen  geschieht  mit  äusserster  Mühe.  In  einem 
weitern  Stadium  des  Übels  bilden  sich  dann  Verkrümmun- 
gen der  Wirbelsäule  aus  ,  und  erscheinen  gerne  die  Conge- 
stionsabscesse. 

Sitzt  die  Entzündung  in  der  Knorpelverbindung  des  Hei- 
ligenbeines mit  dem  Darmbeine,  so  wird  anfangs   der  Gang 


201 

schwerfällig  und  hinkend,  besonders  früh  Morgens;  nach 
längerem  Gehen  verliert  sich  aber  die  Beschwerde ,  der 
Schenkel  der  leidenden  Seite  kann  nur  unvollkommen  geho- 
ben werden ;  wird  aber  bei  höherem  Grade  des  Übels  zum 
Unterleibe  heraufgezogen ;  das  Gehen  wird  unmöglich ,  die 
Regio  sacro-iliaca  schwillt  endlich  an,  es  zeigt  sich  selbst 
Fluctuation ,  und  wenn  der  Abscess  zum  Aufbruche  kommt, 
Caries  des  unterliegenden  Knochens. 

Die  Verkrümmung  der  Wirbelsäule  ist  ent- 
weder eine  primär  entstandene,  oder  folgt  secundär  auf  vor- 
ausgegangene Leiden  derselben  oder  anderer  Organe.  Z.  B, 
nach  der  Resorption  eines  pleuritischen  Exsudates.  Gewöhn- 
lich aber  entwickelt  sie  sich  langsam. 

Verkrümmung  nach  der  Seite  heisst  S  coli  ose,  nach 
vorne  L  o  r  d  o  s  e  ,  und  nach  rückwärts  Kyphose.  Die  bei- 
den letzteren  Arten  entstehen,  im  Allgemeinen  gesagt,  fast 
nur  aus  Entzündung;  die  erstere  seltener.  Treten  die  Wir- 
bel aber  nach  einem  nicht  entzündlichen  Leiden  in  eine  der 
beiden  letztgenannten  Richtungen  ,  so  ist  es  fast  immer  der 
Fall,  dass  nicht  bloss  einige,  wie  bei  der  Entzündung  ge- 
wöhnlich drei ,  sondern  viele  Wirbel  an  der  Verkrümmung 
Theil  nehmen ,  die  dann  auch  einen  Bogen ,  und  nicht  einen 
Winkel  beschreibt. 

Um  die  Art  und  den  Grad  einer  Rückgratsverkrümmung 
zu  bemessen ,  muss  man  die  normale  Stellung  der  Wirbel- 
säule wohl  vor  Augen  haben.  Dieselbe  hat  nämlich  vier  Krüm- 
mungen. Am  Halse  ist  ihre  Convexität  nach  vorne ,  am  Rü- 
cken nach  hinten,  an  den  Lenden  nach  vorne,  und  am  Kreuz- 
beine nach  rückwärts  gerichtet.  Übrigens  wird  man  bemer- 
ken ,  dass  bei  den  meisten  gesunden  Individuen ,  selbst 
wenn  sie  nicht  linkhändig  sind,  die  Wirbelsäule  im  mittleren 
Theile  des  Rückens  etwas  nach  der  linken  Seite  hin  gelagert 
ist ,  und  dass  selbst  im  Normalzustande  einige  Dornfortsätze 
zuweilen  mehr  vorstehen,  als  die  andern,  z.  B.  der  des  7ten 
Hals-  und  iten  Rückenwirbels, 


902 

Die  Abweichungen  der  Wirbelsäule  von  der  Längen- 
achse des  Körpers  wird  am  besten  während  dessen  aufrech- 
ter Stellung  mittelst  einer  Schnur,  an  deren  unterm  Ende 
eine  Bleikugel  befindlich  ist,  bemessen.  Da  nun  im  normalen 
Zustande  Schulterblätter  und  Becken  zu  der  Längenachse 
senkrecht  stehen,  so  wird  jede  Abweichung  von  der  normalen 
Stellung  letzterer,  wie  sie  bei  Rückgratsverkrümmungen  ge- 
wöhnlich vorkommen ,  dadurch  am  deutlichsten  erkannt,  dass 
man  sieht,  ob  Linien ,  welche  man  mittelst  des  Lineales  und 
der  Reiskohle  von  einem  Schulterblatte  zum  andern  und  von 
einem  Hüftkamme  zum  Entgegengesetzten  zieht ,  das  Senk- 
blei unter  rechten  Winkeln  schneiden  oder  nicht.  Um  aber 
die  Schlängelung  der  Wirbelsäule  sich  zu  versinnlichen , 
sucht  man  jeden  einzelnen  Dornfortsatz  durch  das  Gefühl  zu 
vermitteln,  und  bezeichnet  ihn  mit  Kohle,  oder  man  reibt, 
wenn  es  weniger  auf  Genauigkeit  ankömmt ,  über  denselben 
die  Haut  mit  den  Fingern  so  lange,  bis  letztere  daselbst  ge- 
röthet  und  die  Krümmung  der  Wirbelsäule  dadurch  ersicht- 
lich wird. 

Will  man  die  Fortschritte  des  Übels  erkennen ,  und  ob 
es  stationär  bleibt,  zu-  oder  abnimmt,  so  erreicht  man  sei- 
nen Zweck  am  besten ,  wenn  man  einen  Abdruck  vom  Rü- 
cken in  Gyps  formt,  und  ihn  später  demselben  aufzupassen 
versucht ,  wobei  etwa  Statt  gefundene  Veränderungen  er- 
sichtlich werden. 

Was  nun  die  Anwendung  des  Plessimeters  betrifft,  so 
wollen  wir  Piorry  gerne  zugeben,  dass  er  durch  Percu- 
tiren  auf  beiden  Seiten  der  schwarz  bezeichneten  Dornfort- 
sätze die  Gränzen  der  Wirbelsäule  bestimmte;  doch  dürften 
Gesicht  und  Gefühl  hinreichen ,  dasselbe  ,  wenn  nicht  mehr , 
zu  leisten.  Übrigens  kann  die  Percussion  das  Ihrige  dazu 
beitragen,  die  consecutiven  ,  sogenannten  Congestionsab- 
scesse  der  Wirbelsäule  und  Krankheiten  dor  Athmungs-  oder 
Kreislaufsorgane,  welche  mit  der  Rückgratsverkrümmung  im 
Zusammenhange  stehen,  zu  erkennen. 


«03 

a)  Scoliose  bewirkt  einen  ungleichen  Stand  der 
Schultern,  der  Körper  neigt  sich  nach  der  der  Ausweichung 
entgegengesetzten  Seite,  der  Rücken  ist  daselhst  voller, 
auf  der  andern  Seite  concav ,  und  zwischen  dem  Darmbeine 
und  den  letzten  falschen  Rippen  wird  eine  Falte  der  Weich- 
theile  bemerkbar.  Nimmt  die  Scoliose  zu ,  so  werden  auch 
die  Dornfortsätze  nach  der  Seite  der  Ausweichung  gedreht, 
der  Rumpf  nach  und  nach  gebogen ,  die  Rippen  stehen  an 
der  convexen  Seite  weiter  aus  einander,  als  an  der  concaven, 
und  sind  daselbst  auch  mehr  gewölbt.  Das  Brustbein  ist  nicht 
selten  schief  und  nach  der  concaven  Seite  hingezogen.  Dass 
derlei  Abnormitäten  im  Baue  des  Thorax  auf  die  in  selben 
enthaltenen  Eingeweide  zurückwirken,  und  deren  Verdrän- 
gung u.  s.  w.  bedingen  müssen,  ist  wohl  einleuchtend.  End- 
lich bilden  sich,  gleichsam  zur  Ausgleichung  und  um  den 
Schwerpunct  wieder  in  die  Längenachse  zu  bringen ,  Ver- 
krümmungen nach  entgegengesetzten  Richtungen.  In  hohem 
Grade  des  Übels  wird  auch  die  Stellung  des  Beckens  eine 
abnorme;  das  eine  Darmbein  steht  höher  als  das  andere,  und 
es  kann  selbst  das  Promontorium  nach  einer  oder  der  andern 
Seite  innen  im  Becken  vortreten.  Die  Scoliose  wird  meistens 
nach  rechts  beobachtet. 

b)  Kyphose  äussert  sich  durch  eine  Krümmung  der 
Wirbelsäule,  deren  Convexität  nach  innen  sieht.  Dieselbe 
ist  anfangs  nur  vorübergehend,  und  man  bemerkt  bloss,  dass 
die  Kranken  den  Kopf  stark  nach  vorne  gebeugt  halten.  Ist 
aber  die  Ausweichung*  schon  bleibend  geworden  ,  so  kann 
selbst  eine  einen  stumpfen  Winkel  bildende  Convexität  des 
Rückens  bemerkt  werden ,  die  mit  seitlicher  Zusammendrü- 
ckung  des  Thorax  Hand  in  Hand  geht. 

cj  Die  Lordose  ist  wohl  die  seltenste  und  fast  nur 
an  den  Lendenwirbeln  bemerkte  Form  aller  Rückgratsver- 
krümmungen ,  welche  kaum  zu  einem  hohen  Grade  sich  ent- 
wickelt ,  weil  bei  der  Krümmung  nach  vorne  die  in  der  Con- 
cavität  liegenden  Dornfortsätze  sich  einander  berühren,  und 


»04 

keine  weitere  Abweichung*  mehr  zulassen.    Sie  ist  eine  der 
Ursachen  des  Hängebauches. 

Verrenkung  der  Wirbelsäule.  Am  Genicke 
ist  sie  wohl  kaum  an  Erwachsenen  zu  beobachten. — 

Die  Verrenkung  an  den  fünf  letzten  Halswirbeln  äussert 
sich,  wenn  nicht  augenblicklicher  Tod  erfolgt,  durch  unbeweg- 
lich ,  und  nach  der  der  Verrenkung  entgegengesetzten  Seite 
hingerichtete  Stellung  des  Kopfes  ,  durch  Contraction  der 
Muskeln  an  letzterer  Seite  und  durch  eine  fühlbare  Erhaben- 
heit an  der  verrenkten  Stelle,  da  die  ober  dieser  befindlichen 
Dornfortsätze  nach  der  Seite  der  Verdrehung  ausweichen. — 
An  den  Rückenwirbeln  ist  wegen  ihrer  beschränkten  Beweg- 
lichkeit eine  vollkommene  Verrenkung  kaum  denkbar,  ohne 
sogleich  zu  tödten.  Unvollkommene  Verrückungen  kommen 
mit  Brüchen  der  Wirbelsäule  vor ,  und  sind  gleichfalls  fast 
immer  lethal.  —  An  den  Lendenwirbeln  ist  eine  Verrenkung 
leichter  möglich ,  als  am  Rücken ,  da  zwischen  ihnen  eine 
freiere  Bewegung  Statt  findet.  Es  wird  nicht  schwer  sein,  sie 
an  der  örtlichen  Deformität  zu  erkennen ,  welche  durch  die 
Abweichung"  der  schiefen  Fortsätze  entsteht. 

Bruch  der  Wirbelsäule.  Am  meisten 
sind  die  Dornfortsätze  dem  Bruche  ausgesetzt*.  Man  er- 
kennt ihn  an  der  veränderten  Richtung  derselben ,  an 
ihrer  Beweglichkeit  und  an  dem  Gefühle  der  Crepita- 
tion.  Die  Diagnose  von  Brüchen  der  Körper  der  Wirbel- 
beine bleibt  fast  immer  zweifelhaft ,  indem  die  begleitenden 
Erscheinungen  z.  B.  Lähmung  auch  in  anderen  durch  trau- 
matische Einwirkung*  hervorgebrachten  Zuständen  begründet 
sein  können ,  und  es  kaum  möglich  ist ,  eine  genaue  locale 
Untersuchung  vorzunehmen,  da  der  Körper  der  Wirbel  durch 
tiefe  Lage  sich  der  Palpation  grösstentheils  entzieht.  Die  an- 
gebornen  Spalten  des  Rückgrats  QSpina  bifida,  Hy- 
drorrhachisj  betrifft  entweder  nur  einen  Wirbel,  in  dem  ein 
Loch  sich  zeigt,  oder  sich  die  Bogenhälften  nicht  berühren ; 
öderes  besteht  derselbe  Fehler  in  mehreren  derselben,  so  dass 


205 

aus  der  dadurch  gebildeten  Öffnung*  eine  oder  mehrere  runde 
oder  längliche ,  breit  oder  gestielt  aufsitzende ,  beutei- 
förmige, zuweilen  in  zwei  Lappen  getheilte,  immer  deut- 
lich fluctuirende  Geschwülste  hervordringen,  die  durch  Druck 
sich  verkleinern  lassen,  wobei  aber  das  Kind  gewöhnlich  in 
Convulsionen  verfällt.  Die  äussere  Haut  ist  meistens  normal 
gefärbt,  aber  sehr  dünn,  und  nicht  selten  mit  den  Membranen 
des  Rückenmarkes  verw-achsen ;  in  weiterem  Verlaufe  ent- 
zündet sie  sich,  und  geht  in  Verschwärung  über.  Gewöhn- 
lich kommt  die  Spalte  des  Rückgrates  mit  ähnlichen  Bildungs- 
fehlern anderer  Theile,  besonders  des  Kopfes,  z.  B.  Schädel- 
spalte, vor. 

I  iitersuelmng  des  Halses« 

Am  Halse  sind  nur  wenige  Krankheiten  Öbject  der  phy- 
sicalischen  Exploration,  ausser  jenen,  die  den  Kehlkopf  be- 
treffen. In  dieser  Hinsicht  sollte  die  Untersuchung  desselben 
vielleicht  zugleich  mit  jener  der  Athmungswerkzeuge  abge- 
handelt werden  ;  da  wir  aber  überhaupt  die  anatomische  Ord- 
nung befolgen  ,  so  kommt  sie  hier  an  die  Reihe. 

Am  Halse  wird  ein  sehr  häufig  vorkommendes  Übel 
durch  das  Gesicht  so  wie  durch  die  zufühlende  Hand  leicht 
erkannt,  nämlich  die  Drüsengeschwülste.  Diese  be- 
treffen entweder  die  Parotis  und  ihre  einzelnen  Drüsenpa- 
quete  oder  die  Unterkiefer-  und  bisweilen  die  Unterzungen- 
drüse* Diese  Anschwellungen  sind  meist  rund  oder  oval,  be- 
weglich ,  von  gleicher  Farbe  und  Temperatur  mit  der  bede- 
ckenden Haut ,  ausser  sie  gehen  in  Eiterung  über,  wo  sie 
durch  die  gewöhnlichen  Symptome  der  Abscesse  sich  äussern. 

Die  brandige  Entzündung  des  äussern  Zel- 
lengewebes -»r)  äussert  sich  zuerst  als  harte,    ziemlich 


*)  Ludwig,  würtemb.  CJorrespondenzblatl.  Bd.  VI.  Nr.  4. 


206 

ausgebreitete,  schmerzlose  Geschwulst  des  Zellengewebes 
an  der  Seite  des  Halses ,  die  sich  immer  mehr  verbreitet,  so 
dass  endlich  die  Zunge  auf  einem  verhärteten  Boden  ruht, 
und  die  Bewegung  des  Kiefers,  Sprache  und  Schlingen  ge- 
stört werden.  Nach  4—6  Tagen  wird  die  Haut  über  der  Ver- 
härtung röthlich  blau,  es  beginnt  hie  und  da  sich  Fluctua- 
tion  zu  zeigen ,  bis  die  Geschwulst  in  der  Nähe  der  Zun- 
genwurzel aufbricht,  und  ihre  senkende  Jauche  ergiesst. 

Kr  o  p  f  (Struma)  ist  eine  langsam  wachsende,  selten 
mit  Beschwerden  verbundene  Geschwulst  der  Schilddrüse, 
meist  von  ungleicher  Oberfläche,  welche  mit  breiter  Basis 
aufsitzt,  dennoch  aber  sich  leicht  verschieben  lässt.  Diese 
Geschwulst  ergreift  oft  nur  einen  Theil  der  Drüse,  in  andern 
Fällen  aber  dieselbe  in  ihrer  Totalität,  und  erreicht  zuweilen 
eine  ungeheure  Grösse ,  wobei  Respiration  und  Circulation 
namhaft  beeinträchtigt  werden  können.  Zuweilen  trifft  man 
Kröpfe  von  ungleicher,  lappiger  oder  höckeriger  Oberfläche, 
die  bedeckende  Haut  livid  und  von  varicösen  Venen  vielfach 
durchzogen.  —  Die  Struma  vasculosa ,  welche  durch  Aus- 
dehnung der  arteriellen  Gefässe  entsteht,  ist  mehr  gespannt, 
aber  weich  und  warm,  und  lässt  die  Pulsation  der  Adern  durch 
die  Haut  fühlen.  So  mancherlei  Arten  von  Struma  es  gibt, 
so  wird  man  sie  doch  nicht  leicht  mit  Balggeschwülsten  oder 
M  a  u  n  o  i  r's  Hygroma  colli  verwechseln. 

Der  Schiefhals  QTorlicoUi$P  caput  obstipum)  äus- 
sert sich  durch  beständige  Neigung  des  Kopfes  auf  die  er- 
krankte Seite  und  hinten  ,  so  dass  das  Gesicht  schräge  nach 
dem  Himmel  gekehrt  erscheint.  Alle  Theile  desselben  sind 
auf  der  leidenden  Seite  mit  herabgezogen,  so  dass  der  Mund 
schief  steht.  Daselbst  findet  man  die  Halsmuskeln  verkürzt 
und  verstärkt ,  während  sie  auf  der  entgegengesetzten  Seite 
sehr  schwach  entwickelt  sind.  Die  Spannung  der  Muskel 
ist  aber  von  jener  der  Nackenmuskel  in  der  Arachnitis  spi- 
nalis  verschieden,  und  constant,  während   sie  bei  letzterer 


907 

vorübergehend  ist,  und  in  einer  sehr  acut  verlaufenden  Krank- 
heit vorkommt. 

Untersuchung*  des  Larynx. 

Durch  dielnspection  beurtheilt  man  äusserlich 
dessen  Grösse  und  Lage.  Bei  magern  Individuen  und  tuber- 
culösem  Habitus  ragt  der  Kehlkopf  mehr  hervor.  Um  von  in- 
nen durch  den  Rachen  den  Larynx  zu  besichtigen,  haben 
Colombat  und  S  e  1 1  i  g  u  e  s  Specula  angegeben,  deren  An- 
wendung aber  die  Reizbarkeit  der  Theile  im  Wege  steht.  Zu- 
weilen gelingt  es ,  den  Kehldeckel  auf  einen  Augenblick  zu 
Gesichte  zu  bekommen  ,  wenn  der  Kranke  den  Mund  wie 
zum  Gähnen  weit  öffnet  und  die  Zungenwurzel  mit  dem  Spa- 
tel niedergedrückt  wird.  Die  Sputa  haben  von  jeher  die  Auf- 
merksamkeit der  Praktiker  gefesselt,  und  sind,  wenn  sie  aus 
dem  Kehlkopfe  kommen ,  nicht  minder  Gegenstand  der  Un- 
tersuchung,  als  das  aus  demselben  ausgesonderte  Blut. 

Durch  die  Palpation  nimmt  man  zuweilen  von  aus- 
sen Anschwellungen,  Lageveränderungen  und  Geschwülste, 
so  wie  die  nicht  immer  für  krankhaft  zu  haltende  Crepitation 
der  Kehlkopfknorpel  wahr ,  die  sich  bei  deren  Bewegung 
darstellt ;  durch  schnelles  Einführen  des  wohl  beöhlten  Zeige- 
fingers über  dem  Zungengrunde  bis  zur  Glottis  haben  B  our- 
don  und  Thuillier  Resultate  über  deren  Gestalt,  An- 
schwellung u.  s.  w.  erhalten. 

Untersuchung    des  Kehlkopfes    durch  Auscul- 

tati  on. 

Durch  die  Auscultation  prüfen  wir  die  im  Kehlkopfe  ent- 
stehenden Athmungsgeräusche  und  die  S  timme,  und 
zwar  nicht  allein  durch  das  Stethoscop ,  sondern  zuweilen 
selbst  durch  das  freie  Ohr  aus  der  Entfernung. 

Im  Normalzustande  hört  man  in  beiden  Athmungsmo- 
menten  ein  scharfes,  blasendes  Geräusch,  das  durch  die 
Reibung  der  Luft  in  dem  von  festen  Wänden  gebildeten  Kehl- 


908 

köpfe  entsteht,  es  heisst  la  rynge  ale  s  Athnien,  und 
geht  im  weiteren  Verlaufe  der  Luftwege  in  die  bei  Gelegen- 
heit der  Beschreibung  der  Athmungsgeräusche  der  Brust  nä- 
her zu  erörternden  bronchialen  und  vesiculären  Athmungs- 
geräusche  stufenweise  über. 

Alle  Abnormitäten  dieses  Geräusches  haben  aber  in  Ver- 
engerung des  Luftweges  im  Larynx  durch  Anschwellung 
u.  dgl.  ihren  Grund,  und  die  Auscultation  ist  kaumim  Stande, 
mehr,  als  das  Bestehen  solcher  Zustände  im  Allgemeinen 
anzudeuten;  mehr  Aufschluss  über  die  Art  des  Hindernisses 
des  Athmens  gibt  in  den  meisten  Fällen  die  Untersuchung  der 
Lungen,  und  diesem  Umstände  ist  es  zuzuschreiben ,  dass 
die  meisten  Beobachter  sich  mit  dieser  begnügen  und  jene 
vernachlässigen. 

Zu  den  Abnormitäten  des  laryngealen  Athmens  werden 
folgende  gerechnet: 

Dasselbe  wird  bei  Anschwellung  und  Trockenheit  der 
Schleimhaut  rauh  selbst  ras  p  el  artig,  wie  in  der  La- 
ryngitis und  bei  Compression  des  Kehlkopfes  durch  eine  Ge- 
schwulst. 

Das  Pfeifen,  welches  meist  während  der  Inspiration 
vernommen  wird,  steht  seiner  Stärke  und  Höhe  nach  ge- 
wöhnlich in  geradem  Verhältnisse  zu  dem  Hindernisse,  wel- 
ches sich  dem  Durchgange  der  Luft  im  Kehlkopfe  entgegen- 
stellt. Häufig  entsteht  es  aber  in  den  Bronchiep  und  wird  nur 
durch  Schallleituug  in  den  Larynx  verpflanzt;  der  Ort  sei- 
ner grössten  Intensität  gilt  gewöhnlich  auch  für  die  Stelle, 
an  welcher  es  entsteht.  Vernommen  wird  das  Pfeifen  bei  La- 
ryngitis ,  Keuchhusten  ,  Croup  ,  Krampf  und  Ödem  der  Glot- 
tis ,  zuweilen  bei  Anwesenheit  von  fremden  Körpern,  wovon 
weiter  unten  die  Rede  sein  wird.  Barth  führt  auch  die 
Wahrnehmung  eines  s  o  n  oren  Schreies  an,  der  bei  der 
Inspiration  stärker  ist ,  und  Kehlkopfsgeschwüre  mit  gewul- 
steten  Rändern  characterisiren  soll ;  wir  erkennen  in  demsel- 
ben nichts  als  eine  Modification  des  Pfeifens. 


209 

Das  Schnurren  wie  eine  Basssaite  deutet  auf  ähn- 
liche Zustände,  und  geht  leicht  in  das  Pfeifen  über.  Stokes 
erwähnt  eines  Geräusches,  das  dem  Klappen  eines  Ven- 
tiles  ähnlich  und  am  stärksten  über  den  Hörnern  der  Carti- 
lago  thyreoidea  zu  vernehmen  ist,  und  das  ich  selbst  wäh- 
rend der  Inspiration  an  einem  Freunde  häufig  zu  hören 
Gelegenheit  habe ,  dessen  bestimmte  Deutung  zu  geben  ich 
aber  ausser  Stande  bin.  Mit  der  Exspiration  erscheint  dann 
ein  trockenes ,  absatzweises ,  krachendes  Geräusch  am  Sei- 
tentheile  des  linken  Thorax ,  das  seit  Jahren  besteht ,  und 
selbst  der  aufgelegten  Hand  fühlbar  wird.  Für  pleuritisches 
Reiben  dürfte  es  kaum  gelten ,  da  es  schon  seit  so  lange 
dauert;  vielleicht  liegt  demselben  eine  ähnliche  Verbildung 
und  Übereinanderschiebung  der  Knorpel  des  linken  Bronchial- 
stammes zu  Grunde ,  wie  sie  an  dem  Kehlkopfe  durch  den 
Tastsinn  nachzuweisen  ist.  Das  Schnurren  gibt  sich  zuwei- 
len äusserlich  dem  Tastsinne  als  fühlbares  Erzittern  kund, 
und  liess  Barth  und  Roger  im  Croup  die  Gegenwart  flot- 
tirender  Pseudomembranen  erkennen. 

Feuchte  Rasselgeräusche,  durch  flüssige 
Schleimmassen ,  Blut  u.  s.  w.  in  dem  Larynx  hervorge- 
bracht, sind  ein  häufiger  Befund,  und  werden  zuweilen 
selbst  schon  aus  der  Entfernung  gehört ,  wie  das  Röcheln 
der  Sterbenden  ,  während  eines  apoplectischen  Anfalles  etc. 
Zu  erkennen,  dass  ein  Rasselgeräusch  im  Kehlkopfe  ein  ca- 
v  e  r  nö  s  e  s  sei ,  halte  ich  nicht  für  möglich  ,  obschon  M  o- 
ser  #)  ein  solches  beschreibt. 

Bedeutende  Hindernisse  des  Luftein trittes  in  die  Lun- 
gen ,  wie  fremde  Körper  im  Kehlkopfe  u.  s.  w.  vermögen  das 
normale  Athmungsgeräusch  in  jener  zu  vermindern.  Der  Hu- 
sten, der  im  Kehlkopfe  entsteht,  unterscheidet  sich  dem 
Klange  nach  von  dem,  der  aus   der  Brust  erschallt.    Nach 


*)  Die   medic.   Diagnostik  und  Semioük.  Leipzig  1845,  p.  141. 
Gaal  Diagnostik.  14 


210 

Marshall-Hall  ist  übrigens  ersterer  meist  krampfhaft, 
gestattet  aber  des  Nachts  Ruhe ,  was  bei  letzterem  weniger 
der  Fall  sei ;  auch  ist  bei  dem  Laryngealhusten  der  Ton  hö- 
her, klingender,  schärfer,  besonders  bei  der  Exspiration, 
die  Inspiration  mehr  pfeifend.  In  Tussis  convulsiva  entsteht 
beim  Einziehen  der  Luft  ein  hoher,  dem  Eselsgeschrei  ähn- 
licher Ton  (Baum  g  är  tn  er). 

Die  Stimme  ist  nach  Geschlecht,    Alter  und  indivi- 
duellen Umständen  verschieden ;  ihre  Modifikationen  hängen 
sehr  häufig  von  Geschlechtsfunctionen,  Pubertät,  Ausschwei- 
fungen u.  s.  w.  ab. 

Sie  ist  stark  oder  schwach,  in  manchen  Krankheiten 
fast  fehlend,  wie  z.  ß.  in  der  Cholera;  dem  Klange  nach 
dauernd  oder  vorübergehend  rauh  und  heiser,  hoch, 
tief,  hohl,  zitternd,  näselnd,  überspringend 
u.  s.  w. 

In  der  häutigen  Bräune  ist  sie  s  ch  arf,  pfeifend  und 
krähend;  bei  Nasenleiden,  Schnupfen,  Polypen  u.  dgl. 
gedämpft,  hoch  und  näselnd,  hingegen  bei  ZerstÖ- 
rung  des  Gaumensegels  hell  und  näselnd,  mit  einem  ei- 
genen Accent,  als  ob  sie  in  der  hinteren  Nasenöffnung  ent- 
stünde. 

Zu  bemerken  ist  übrigens ,  dass  die  Stimme  über  dem 
Kehlkopfe  im  Normalzustände  hölzern  und  leer  durch  das 
Stethoskop  gehört  wird,  und  die  Völle  und  der  Klang  der- 
selben grösstentheils  von  der  Beschaffenheit  der  in  der  Ra^ 
chen-  und  Mundhöhle  gelegenen  Theile  abhängt. 

Bruch  des  Kehlkopfes  so  wie  des  Zungenbei- 
nes sind  selten  vorkommende  Krankheitsfälle.  Die  abnorme 
Nachgiebigkeit  und  Crepitation  dürften  die  Diagnose  leicht 
machen. 

Fremde  Körper  im  Kehlkopfe.  Wird  ein  gesun- 
des Kind,  während  es  isst  oder  mit  kleinen  Dingen,  z.  B. 
Knöpfchen  spielt,  plötzlich  von  krampfhaftem  Husten  oder  Er- 
stickungszufällen befallen ,  und  ist  der  Gegenstand,  mit  dem 


211 

es  sich  beschäftigt  hat ,  zugleich  verschwunden ,  so  kann 
man  vermuthen,  dass  derselbe  in  die  Luftröhre  gerathen  sei. 
Ist  der  Gegenstand  spitzig,  z.  B.  eine  Fischgräte,  so  dass 
er  sich  in  der  Trachea  feststellt,  so  zeigt  die  Auscultation 
nichts  Abnormes ,  höchstens  ein  leichtes  Schleimrasseln  we- 
gen der  in  Folge  der  Reizung  angehäuften  Flüssigkeit.  Ist 
der  Körper  grösser,  so  sperrt  er  zuweilen  den  Zutritt  der 
Luft  zur  Lunge  zeitweise  ab ,  und  man  vernimmt  dann  kein 
Athmungsgeräusch  an  der  Brustwand;  dieses  kehrt  aber 
gleich  wieder  zurück,  wenn  der  Körper  durch  heftiges  Hu- 
sten genöthigt  wurde ,  seine  Lage  zu  ändern,  oder  gänzlich 
entfernt  wurde.  Da  fremde  Körper  häufiger  in  den  rechten 
Bronchialstamm  dringen  als  in  den  linken ,  so  wird  auch  das 
Fehlen  des  Athmungsgeräusches  rechterseits  öfters  zu  be- 
merken sein  als  links.  Kleine  fremde  Körper ,  die  beweg- 
lich im  Kehlkopfe  liegen ,  haben  zuweilen  ihre  Bewegung 
durch  ein  Geräusch  verrathen ,  indem  sie  bei  der  Exspiration 
an  der  Stimmritze  anstreiften. 

Bei  Ödem  der  Glottis  gelang  es  Thuillier  auf 
die  schon  beschriebene  Weise  durch  den  weit  geöffneten 
Mund,  der  durch  Korkstöpsel  zwischen  den  Zähnen  aufge- 
sperrt erhalten  wurde,  mit  dem  beöhlten  Zeigefinger  der 
Hand  schnell ,  und  ohne  an  das  Zäpfchen  zu  streifen,  durch 
den  Rachen  einzugehen,  und  eine  wulstige ,  kreisrunde  Ge- 
schwulst zu  entdecken. 


Untersuehung  der  Brust. 

Die  Organe,  welche  in  der  Brusthöhle  eingeschlossen 
sind,  und  in  der  Erhaltung  des  Lebensprocesses  eine  so 
wichtige  Rolle  spielen ,  sind  die ,  durch  welche  das  Athmen 
zustande  kommt  und  jene,  wodurch  das  Blut,  der  flüssige 
Träger  der  Lebenskraft,  in  alle  Theile  des  Körpers  getrieben 
wird,  und  von  diesen  wieder  zurück  strömt. 

14  * 


312 

Der  Untersuchung  der  Athmungs Werkzeuge  und  der  Or- 
gane des  Kreislaufes  wird  daher  vorliegender  Abschnitt 
gänzlich  gewidmet;  zu  ihrer  Diagnose  werden  alle  Unter- 
suchungsmethoden in  Anspruch  genommen,  von  denen  aber 
keine  ein  so  glänzendes  Licht  über  die  krankhaften  Zustände 
jener  dem  Blicke  verborgenen  Organe  verbreitet,  keine  ihren 
Werth  in  dem  Grade  bethätiget,  und  in  der  Ausdehnung  An- 
wendung findet,  wie  die  Auscultation. 

Ehe  wir  aber  mit  jenen  Untersuchungsweisen  ausgerü- 
stet ins  Innere  der  Brust  dringen ,  um  ihre  geheimnissvol- 
len Organe  im  gesunden  und  krankhaften  Zustande  zu  stu- 
dieren ,  verweilen  wir  noch  einen  Augenblick  an  ihrer  Ober- 
fläche ,  nicht  so  sehr,  um  uns  mit  dem  Baue  des  Brustkorbes 
und  seiner  Bewegung  bekannt  zu  machen,  —  deren  Zeichen, 
da  sie  für  die  Diagnose  pathologischer  Zustände  der  Ath- 
mungsorgane  von  Wichtigkeit  sind,  ihres  Ortes  Erwähnung 
finden,  —  als  um  einige  Krankheiten  in  Kürze  zu  berühren,  die 
wenigstens  nicht  im  nahen  Verhältnisse  zu  den  tiefer  gele- 
genen Theilen  stehen,  als  die  der  weiblichen  Brüste  und  den 
Bruch  der  Rippen. 

Die  weiblichen  Brüste  unterliegen  vielen  jener  pa- 
thologischen Zustände,  welche  wir  in  dem  der  Untersuchung 
der  allgemeinen  Decke  und  der  zunächst  darunter  liegenden 
Theile  gewidmeten  Abschnitte  angeführt  haben,  und  es  dürfte 
nicht  schwer  sein,  das  Betreffende  hieher  zu  beziehen;  beson- 
ders werden  scrophulöse  Verhärtungen,  Balggeschwülste,  lym- 
phatische und  Blutgeschwülste,  Scirrhus  und  Krebs  und  derlei 
Degenerationen,  die  Milchknoten,  die  übermässige  Vergrüsse- 
rungund  Härte  der  Brüste,  ihre  Hypertrophie  sowohl,  als  ihr 
frühzeitiges  Verwelken  Gegenstände  unserer  Aufmerksam- 
keit sein.  Während  der  Schwangerschaft  sind  die  Volums- 
vermehrung und  Härte,  so  wie  die  Beschaffenheit  der  Areola, 
die  besonders  im  Beginne  der  Gravidität  häufig  braun  tingirt 
erscheint,  und  besonders  bei  Erstgebärenden  ein  werthvolles 
Zeichen  derselben  ist,  im  Wochenbette  die  Abnormitäten  der 


213 

Milchabsonderung  und  verschiedene  andere  Zustände,  als  das 
Frattsein  der  Brüste ,  die  Einstülpung  ihrer  Warzen  u.  s.  w. 
Momente ,  welche  eine  genaue  Untersuchung'  erfordern. 

Die  Milchknoten  fühlen  sich,  wie  ein  Convolut 
aufgetriebener  Gefässe,  ziemlich  ungleich  an,  sind  beweg- 
lich und  vergrössern  sich  nicht,  werden  im  Gegentheile  beim 
Eintreten  einer    neuen    Schwangerschaft    gewöhnlich    zer- 

theilt. 

Knochenbrüche    der  Rippen. 

Diese  sind  nicht  immer  leicht  zu  erkennen,  denn  das 
sicherste  Merkmal  der  Brüche  überhaupt,  die  Verrückung 
der  Knochenenden  an  der  Trennungsstelle  fehlt  sehr  oft,  oder 
kann  unter  dicken  Muskellagen  häufig  kaum  gefühlt  werden. 

Crepitation  ist  leichter  wahrzunehmen,  und  gibt  sich  nicht 
selten  bei  leichter  Betastung,  ja  selbst  schon  durch  die  Ath- 
mungsbewegungen  des  Kranken  der  flach  aufgelegten  Hand 
kund;  zuweilen  aber  bedarf  es  stärkeren  Druckes ,  sie  her- 
vorzurufen. Die  Diagnose  wird  durch  Berücksichtigung  an- 
derer Zufalle  als :  Emphysem,  Hämoptoe  und  dieKenntniss  der 
veranlassenden  Gewalt  wesentlich  gefördert,  doch  in  dunk- 
len Fällen  nur  durch  das  Stethoskop  zur  Evidenz  nach- 
gewiesen. Durch  dasselbe  wird  das  Reibungsgeräusch  der 
Bruchenden  mit  Leichtigkeit  auch  dann  erkannt,  wenn  es 
die  aufgelegte  Hand  zu  fühlen  nicht  im  Stande  ist.  Lis- 
franc  vergleicht  dasselbe  mit  dem  Krachen,  welches  durch 
das  Ein-  und  Auswärtsdrücken  eines  Hutdeckels  hervorge- 
bracht wird  ;  in  den  meisten  Fällen  aber  ist  es  nicht  so  stark. 

Lungenfisteln. 

Der  Wundarzt  darf  dieselben  nur  schliessen ,  wenn  er 
überzeugt  ist,  dass  zwischen  der  Lunge  und  der  Abscess- 
höhle  keine  Verbindung  mehr  besteht.  Mangelt  das  Ath- 
mungsgeräusch  im  Umkreise  der  Fistel,  so  kann  er  anneh- 
men, dass  die  innere  Öffnung  derselben  durch  plastisches 
Exsudat  und  pleuritische  Adhäsionen  geschlossen  sei. 


914 

Abscesse   zwischen    den    Rippen   und   der    Co- 

stalpleura. 

Diese  kommen  wohl  seltener  vor,  ihre  Diagnose  aber 
unterliegt  manchen  Schwierigkeiten.  Einen  Fingerzeig  ge- 
währt nach  Prof.  Schuh  das  äusserlich  auf  dem  Thorax  er- 
scheinende umschriebene  Ödem.  Ist  der  Abscess  von  grös- 
serer Ausdehnung,  so  kann  er  die  Rippen  vortreiben,  Ath- 
mungsbeschwerden  verursachen,  und  durch  den  matten  Per- 
cussionsschall,  das  mangelnde  Athmungsgeräusch,  kurz  alle 
Erscheinungen ,  welche  dem  abgesackten  pleuritischen  Ex- 
sudate zukommen ,  erkannt  werden. 

Untersuchung  der  Athmungswerltzeuge. 

Hier  finden  alle  Untersuchungsmethoden  volle  Anwen- 
dung*, doch  sind  es  Percussion  und  Auscultation  zunächst, 
welche  ihren  Werth  besonders  geltend  machen. 

Bevor  wir  aber  zur  Untersuchung  der  Brust  im  patholo- 
gischen Zustande  schreiten,  müssen  wir  deren  normales  Ver- 
halten wohl  kennen,  und  es  dürfte  nicht  überflüssig  sein,  da 
die  Symptome ,  die  sich  an  den  Athmungsorganen  ergeben, 
durch  den  Bau  und  die  Function  letzterer  mannigfach  modi- 
ficirt  werden,  Einiges  hieher  Bezügliche  über  die  Structur 
der  Athmungswerkzeuge  in  Kürze  zu  wiederholen ,  selbst 
auf  die  Gefahr,  mir  den  Vorwurf  der  Pedanterie  zuzuzie- 
hen. Ich  glaube  diess  um  so  mehr  wagen  zu  dürfen  ,  da 
ich  überzeugt  bin ,  dass  bei  dem  auch  noch  so  fleissigen 
Studium  der  allgemeinen  Anatomie  auf  manchen  Umstand 
weniger  Gewicht  gelegt  wird ,  der  uns  hier  nahe  angeht,  da 
man  dort  einen  andern  Zweck  vor  Augen  hat ,  als  der  un- 
sere ist. 
Anatomisches    über    die    Respirationsorgane. 

Der  Brustkorb  wird  bekanntermassen  von  12  Brust- 
wirbeln, 24  Rippen,  den  Schlüsselbeinen  und  dem  Brust- 
blatte gebildet. 


215 

Die  Rippen ,  welche  sich  beiderseits  ±2  von  der  Wir- 
belsäule nach  vor-  und  aufwärts  wölben,  verbinden  sich  zum 
Theile  mit  dem  Brustblatte  (7  wahre  Rippen),  zum  Theile 
endigen  sie  frei  mit  ihren  knorpeligen  Spitzen  (5  falsche 
Rippen)  ;  das  Brustblatt  selbst  besteht  aus  der  Handhabe, 
welche  zu  oberst  liegt,  und  mit  dem  Schlüsselbeine  und 
der  i.  und  2.  Rippe  im  Zusammenhange  steht,  dem  Körper, 
woran  sich  die  3.  bis  7.  Rippe  befestigen,  und  dem  schwert- 
förmigen Fortsatze ,   der  nach  unten  frei  endigt. 

Von  den  hieher  gehörigen  Muskeln  sind  der  Pecloralis 
major  und  minor,  Serratus  anticus  major }  Subclavius ,  die 
Intercostalmuskel ,  der  Latissimus  dorsi,  das  Diaphragma 
und  die~Bauchmuskeln  ,  die  Scaleni,  die  Aufheber  der  Rip- 
pen, die  Serrati  postici ,  der  Longissimus  dorsi ,  Lumbo- 
costalis ,  Quadratus  lumborum  und  der  Triangularis  sterni 
zu  nennen.  Von  diesen  Knochen ,  Knorpeln  und  Muskeln 
wird  der  Brustraum  gebildet,  der  die  Luftröhre,  die  Lungen, 
das  Herz  und  die  grossen  Gefässe  in  sich  schliesst. 

Pleura.  Die  innere  Auskleidung  des  Brustraumes  besorgt 
das  Rippenfell,  welches  aus  zwei  serösen  Blättern  besteht,  de- 
ren eines,  die  Pleura  costalis,  die  innere  Fläche  des  Brust- 
korbes überzieht,  das  andere,  die  Pleura  pulmonalis }  den 
Lungen  eine  Hülle  verleiht,  die  sich  selbst  in  alle  Spalten 
und  Vertiefungen  derselben  hinein  fortsetzt.  Die  einander 
zugekehrten  freien  Flächen  der  beiden  Pleurablätter  sind 
glatt,  und  werden  durch  einen  wässrigen  Dunst  immer  schlüpf- 
rig erhalten ,  so  dass  jede  Reibung  derselben  an  einander 
und  jede  Erzeugung  eines  Geräusches  dadurch  unmöglich 
gemacht  wird. 

Die  Luftröhre  ist  ein  von  dem  Kehlkopfe  sich  bis  in 
die  Lungen  erstreckender  Canal ,  der  aus  17 — 20  halbring- 
förmigen Knorpeln,  Bandfasern  und  Schleimhaut  besteht, 
nach  vorne  gewölbt,  nach  rückwärts  platt,  von  Knorpeln  frei 
und  mit  derart  angeordneten  Muskelfasern  versehen  ist,  dass 


216 

durch  ihre  Wirkung  die  Luftröhre  einerseits  verlängert ,  an- 
derseits  verkürzt  und  erweitert  werden  kann.    Die  Trachea 
spaltet  sich  in  der  Gegend  des  3.  Brustwirbels  in  zweiTheile, 
welche  Bronchialstämme  heissen.  Von  dieser  Stelle ,  wo  ein 
Knorpelring  die  Gestalt  eines    umgekehrten   lateinischen   V 
bildet,  schreiten  die  Bronchien  beiderseits  nach  ab-  und  aus- 
wärts zur  sogenannten  Lungenpforte.  Der  rechte  Bronchial- 
stamm ist  kürzer,  aber  weiter  als  der  linke.  An  der  Pforte 
der  Lunge  theilt  sich  der  rechte  Bronchus  in  3 ,  der  linke 
in  2  Äste,  die   eben   so  viele  Lungenlappen  versehen.  Die- 
selben  theilen   und  verjüngen  sich   nun  dendritisch  beinahe 
ins  Unendliche,  bis  sie  in  den  Lungenzellen  blind  endigen. 
Während   dieses  Verlaufes   der  Bronchien  werden   aber  die 
Knorpelringe  immer  kleiner  und  zarter,  und  durch  knorpelige 
Schuppen  ersetzt ,  die  nach  und  nach  ebenfalls  seltener   er~ 
scheinen,  und  endlich  gänzlich  verschwinden.  Auch  die  Mus- 
kelfasern verlieren  sich  in  den  feinsten  Enden  der  Bronchien, 
so  dass  nur  die  Zellhaut  zurückbleibt. 

L  u  n  g  e.  Die  Lungen  selbst  sind  gleichsam  ein  Aggregat 
der  letzten ,  bläschenartigen  Auftreibungen  der  Luftröhren- 
zweigchen  in  Verbindung  mit  dem  intermediären  Gefässnetze 
der  Lungengefässe.  Sie  bilden  zwei  schwammige,  kegelartige 
Körper,  welche  die  beiden  Brusthälften  derart  ausfüllen,  dass 
kein  leerer  Raum  übrig  bleibt ;  zwischen  sich  fassen  sie  das 
Herz ,  die  Luftröhre  und  die  grossen  Gefässstämme ,  die  sie 
in  der  Gegend  der  Lungenwurzel  (hilusj  zu  einem  Ganzen 
vereinigen.  Man  bezeichnet  an  jeder  Lunge  die  Spitze,  welche 
über  die  Schlüsselbeine  hinaufragt  und  daher  in  der  regio 
supraclavicularis  der  Untersuchung  zugänglich  ist ,  und  die 
Basis  derselben. 

Der  ausgehöhlte  Grund  der  Lungen  ruht  auf  der  ge- 
wölbten Fläche  des  Zwerchfelles,  und  geht  nach  rückwärts 
tiefer  hinab  als  nach  vorne.  Die  rechte  Lunge  ist  breiter  und 
kürzer  als  die  linke.  Die  vordem  scharfen  Ränder  der  Lun- 


217 

gen  berühren  sich  vorne ,  lassen  aber  in  der  Gegend  der  4. 
und  5.  Rippe  einen  rautenförmigen  Raum  von  beiläufig  zwei 
Quadratzollen  frei,  in  welchem  ein  Theil  des  Herzens  unbe- 
deckt an  die  ßrustwand  anliegt.  Durch  Einschnitte  wird  die 
rechte  Lunge  in  drei,  die  linke  in  zwei  Lappen  getheilt, 
von  denen  der  untere  immer  den  obern  an  Grösse  übertrifft. 

Function  der  Lungen. 

In  jedem  von  einem  intermediären  Gefässringe  umgebe- 
nen Lungenbläschen  tritt  der  Sauerstoff  der  eingeathmeten 
Luft  mit  dem  in  den  Gefässchen  kreisenden  venösen  Blute  in 
Verbindung,  wodurch  die  Verwandlung  desselben  in  arte- 
rielles ,  das  als  solches  zu  dem  Herzen  zurückgeführt  wird, 
zu  Stande  kommt.  Um  aber  die  äussere  Luft  in  sich  aufzu- 
nehmen ,  müssen  sich  die  Lungenzellen ,  so  wie  die  Luft- 
wege überhaupt  ausdehnen  und  wieder  zusammenfallen  kön- 
nen, welche  Fähigkeit  durch  ihre  Structur  bedingt  ist,  und 
von  der  wechselweisen  Vergrösserung  und  Verkleinerung 
des  Thoraxraumes  wesentlich  unterstützt  wird.  Der  Ath- 
mungsprocess  wird  dem  gemäss  in  zwei  Momenten  verübt. 
Während  der  länger  andauernden  Inspiration  vergrössern 
sich  alle  Durchmesser  (hauptsächlich  der  Längendurchmes- 
ser) der  Lungen  ,  durch  Sinken  des  Zwerchfelles  und  Er- 
weiterung des  Brustkorbes;  während  des  kürzeren,  mehr 
passiven  Momentes  des  Ausathmens  werden  die  vergrösser- 
ten  Organe  auf  ihren  früher  eingenommenen  Raum  zurück- 
geführt, sinken  die  Lungenbläschen  etwas  zusammen,  und 
wird  etwa  ein  Fünftel  der  enthaltenen  Luft  aus  demselben 
ausgetrieben  ,  bei  der  nächsten  Inspiration  aber  durch  frische 
Luft  ersetzt.  Nimmt  man  somit  den  Gesammtgehalt  normaler 
Lungen  erwachsener  Menschen  auf  15  Kubikzolle  an ,  so 
werden  mit  jedem  Athemzuge  beiläufig  3  Zolle  gewechselt. 
Eetrachten  wir  die  Kraft,  die  bei  den  Athmungsbewegungen 


918 

verwendet  wird,  so  ergibt  sich  das  Verhältniss  der  Inspira- 
tion zur  Exspiration,  so  wie  3:1,  nach  Fournet's  mano- 
metrischen Versuchen,  wie  5:  2.  Nach  jeder  Exspiration  folgt 
eine  kleine  Pause,  ein  Moment  der  Ruhe,  bis  zum  nächsten 
Athemzuge.  Während  des  Einathmens  erweitert  sich  die 
Stimmritze  und  die  Luftröre,  während  der  Exspiration  findet 
das  Gegentheil  Statt. 

Die  Zahl  der  Inspirationen  schwankt  bei  erwachsenen 
Gesunden  zwischen  18  —  22,  bei  Greisen  zwischen  18 — 16, 
und  bei  Kindern  von  1  bis  4  Jahren  zwischen  47 — 30  in 
der  Minute,  so  dass  auf  einen  Athemzug  beiläufig  vier  Puls- 
schläge kommen.  Weiber  athmen  etwas  schneller  als  Männer. 
Im  wachen  Zustande  und  in  aufrechter  Stellung  respirirt man 
rascher ,  als  im  Schlafe  und  im  Liegen. 

Inspection  und  Mensuration  der  Brust. 

Was  den  Bau  und  die  Form  des  Thorax  betrifft,  so  ist 
derselbe  entweder  lang  oder  kurz  ,  schmal  oder  breit ,  flach, 
gewölbt  oder  eingedrückt.  Die  Verhältnisse  des  normalen 
Thorax  sind  nach  Engel  *)  folgende:  Derselbe  ist  lang, 
breit  und  gewölbt;  oder  kurz,  schmal  und  flach;  lang,  breit 
und  flach ;  kurz,  breit  und  flach ;  oder  endlich  kurz,  breit  und  ge- 
wölbt,  wie  bei  dem  sogenannten  apoplectischen  Habitus. 

In  aufrechter  Haltung  und  im  gesunden  Zustande  ste- 
hen die  beiden  Schlüsselbeine  fast  horizontal ,  höchstens 
gegen  das  Brustbein  zu  etwas  geneigt ,  und  es  erhebt  sich 
die  vordere  Brustwand  nach  abwärts  zu,  bis  sie  in  eine  Ebene 
mit  der  Bauchwand  zu  liegen  kömmt;  stehen  aber  die  letzten 
Rippen  vor  dem  Unterleibe  vor,  so  deutet  diess  auf  Abma- 
gerung des  letzteren. 


*)  Entwurf  einer  patholog.  anatom.  Propädeutik.    Wien  1845, 
pag.  56, 


919 

Der  gesunde  Thorax  ist  etwas  unter  der  Mitte  am  brei- 
testen ,  unterhalb  und  oben  schmäler.  Bei  Kindern  und  in  der 
Jugend  findet  man  ihn  zuweilen  unterhalb  breiter  als  in  der 
Mitte. 

Die  abnormen  Thoraxformen  sind  beiläufig  folgende : 
Die  cylindrische ,  die  kegelförmige  mit  unten  breiter  Basis, 
die  fassförmig  gewölbte  (Soldatenbrusf) ,  die  in  der  Mitte 
rinnenartig  ausgehöhlte,  die  von  den  Seiten  zusammenge- 
drückte und  in  der  Mitte  keilartig  vorragende  (Hühnerbrust)  , 
die  mit  ungleicher  Wölbung  und  Vertiefung,  entweder  in  einer 
Brusthälfte  oder  an  einzelnen  Stellen. 

Ein  auffallend  langer  Thorax ,  dessen  Schlüsselbeine 
schief  nach  ab-  und  einwärts  ,  und  dessen  vordere  Rippen- 
ränder gegen  das  Becken  gesunken  sind  ,  wodurch  die  In- 
tercostalräume  verlängert  erscheinen,  stellt  den  paralyti- 
schen Thorax  dar,  eine  Form,  welche  bei  vielen  Brust- 
leiden vorkommt,  und  die  als  Grundlage  vieler  anderer  Tho- 
raxformen betrachtet  werden  kann. 

Der  pleuritische  Thorax  zeigt  sich  beim  Beste- 
hen eines  grösseren  Ergusses  auf  der  betreffenden  Seite  ver- 
grössert,  und  die  Zwischenrippenmuskeln  erscheinen  vorge- 
trieben und  unbeweglich  ,  besonders  nach  unten  zu.  Wenn 
der  flüssige  Erguss  auf  natürlichem  oder  künstlichem  Wege 
entleert  wurde,  die  Lungen  aber  durch  den  lange  dauern- 
den Druck  atrophirt  und  paralysirt  sind  ,  oder  durch  dichte, 
darüber  gespannte  Pseudomembranen  in  ihrer  Entfaltung  ge- 
hindert werden ,  so  würde  ein  leerer  Raum  zwischen  der 
Thoraxwand  und  der  Lunge  entstehen,  wenn  nicht  erstere 
dem  äusseren  Luftdrucke  nachgäbe ,  einsänke  und  sich  ab- 
flachte ,  dadurch  verkleinert  sich  der  Brustraum ,  schieben 
sich  die  Rippen  näher  an  und  selbst  übereinander,  und  die 
Wirbelsäule  weicht  nach  der  gesunden  Seite  aus. 

Der  emphysematische  Thorax  gibt  sich  durch 
Zunahme  aller  Durchmesser  und  eine  fassförmige  Wölbung 
3U  erkennen.  Das  Brustblatt  wird  vorgetrieben,  der  Schwert- 


220 

fortsafz  aufwärts  gebogen,  die  Intercostalräume  sind  er- 
weitert ,  ihre  Muskeln  aber  nicht  vorgetrieben  und  beweg- 
lich. Die  Halsmuskel  und  jene  der  Brust,  die  beim  Einath- 
men  besonders  thätig  sind ,  werden  bei  längerer  Dauer  des 
Übels  meist  hypertrophisch  gefunden. 

Bei  P  n  e  u  m  o  t  h  o  r  a  x  ist  die  leidende  Seite  mehr  con- 
vex  und  die  fast  gänzlich  erlahmten  Zwischenrippenmuskeln 
sind  vorgetrieben. 

Der  tuberculöse  Thorax  hat  eine  mehr  cylindri- 
sche  Form  mit  ausgebogenen  und  vorstehenden  Schlüssel- 
beinen ,  weiten  Zwischenrippenräumen ,  wenig  gekrümmten 
falschen  Rippen ,  die  gegen  das  Darmbein  herabgesunken 
sind.  Die  Vorderfläche  der  Brust  erscheint  abgeflacht  oder 
verschiedenartig  verbogen,  die  Schulterblätter  stehen  wie 
Flügel  von  dem  Rücken  ab.  Durch  die  Mensuration  erweist 
sich  eine  Abnahme  des  oberen  Umfanges  der  Brust  und  Zu- 
nahme des  unteren  Theiles  derselben. 

Durch  oberflächliche  Cavernen ,  pleuritische  Adhäsio- 
nen u.  s.  w.  werden  auch  stellenweise  Abflachungen  der 
Brust  gesetzt.  Aber  nicht  allein  der  Bau  der  Brust,  sondern  auch 
deren  Bewegung  ist  Gegenstand  der  Untersuchung;  man 
muss  nämlich  sehen,  ob  sie  geschieht  oder  nicht,  wie  letz- 
teres in  den  meisten  Fällen,  wo  die  Intercostalmuskel  erlah- 
men,  beobachtet  wird,  und  ob  die  Bewegung  frei  und  mit 
Leichtigkeit  oder  nur  absatzweise  zu  Stande  kommt,  wie  bei 
grossen  Schmerzen  (Pleuritis}. 

Mensuration  der  Brust. 

Ein  Instrument,  die  Bewegung  und  Ausdehnung  der 
Brust  zu  beurtheilen,  ist  Canstatt's  Athmungsmes- 
s  e  r  (Pnoiometer^)  ,  der  aus  einem  120  Centimetres  langen 
Pergamentstreifen  besteht,  an  dessen  vorderen  Ende  ein 
Schieber  und  ein  Schiebloch,  ähnlich  denen,  die  man  an 
Brieftaschen  hat,  sich  befinden.  Will  man  das  Instrument  an- 
wenden ,  so  legt  man  es  quer  um  den  Thorax  ,  führt  das  vor^- 


221 

dere  Ende  durch  den  Schieber,  zieht  es  so  fest  als  möglich 
an  und  lässt  den  Kranken  einige  Male  tief  einathmen  und 
zwar  so  oft ,  bis  sich  das  Mass  nicht  mehr  bewegt ,  wäh- 
rend man  mit  dem  durch  die  Hand  festgehaltenen  Ende  des- 
selben nachgibt.  Der  entfallende  Unterschied  der  vor  und  nach 
dem  Einathmen  gewonnenen  Masse  gibt  in  Centimetres  den 
Grad  der  Erweiterung  des  Thorax  an.  C  anstatt  erhielt 
durch  mehrere  Messungen  der  obern  und  untern  Circumfe- 
renz  des  Thorax  verschiedener  Individuen  eine  während  des 
Athmens  sich  ergebende  Mitteldifferenz  der  Brustausdehnung 
von  6,2  Centimetres. 

Die  Technik  der  Mensuration  ward  im  allgemeinen  Theile 
schon  besprochen j  zu  erinnern  ist  nur  noch,  dass  der  rechte 
Thorax  im  Normalzustande  den  linken  um  '/,  Zoll  im  Um- 
fange übertrifft,  der  somit  bei  vergleichenden  Messungen 
beider  Brusthälften  rechterseits  jedesmal  abgezogen  werden 
muss;  ein  Umstand,  auf  den  besonders  Co  rbin  undWoilly 
aufmerksam  machten. 

Palpation  der  Brust. 

Das  Auflegen  der  Hand  trägt  im  Bunde  mit  der  Inspec- 
tion  dazu  bei,  die  freie  Beweglichkeit  des  Thorax  zu  beur- 
theilen ,  ob  letzterer  sich  mehr  oder  weniger  hebt ,  und  ob 
diess  auf  beiden  Seiten  gleichmässig  geschehe  oder  nicht. 

Bei  pleuritischem  Exsudate,  Pneumonie  und  Pneumo- 
thorax wird  die  aufgelegte  Hand  auf  der  kranken  Seite  die 
Schwingungen  der  Stimme,  welche,  wenn  der  Patient 
spricht,  ausser  den  genannten  Zuständen  am  Thorax  allent- 
halben zu  fühlen  sind  ,  weniger  deutlich  oder  gar  nicht  em- 
pfinden ;  ein  sehr  werthvolles  Zeichen,  auf  das  uns  in  neue- 
ster Zeit  Reynaud  aufmerksam  gemacht. 

Die  Palpation  findet  beim  Pneumothorax  in  den  erwei- 
terten Zwischenrippenräumen  eine  vermehrte,  elastische  Span- 
nung der  Muskel ,  die  dem  Drucke  zwar  nachgeben ,  aber 


222 

sich  schnell  wieder  erheben   (Zehetmayer),  ein  fühlbares 
elastisches  Wogen  des  Zwischenrippenraumes  (Andral). 

Im  Hydropneumothorax  sollen  die  durch  das  Rütteln  des 
sitzenden  Kranken  erzeugten  Wellen  zuweilen  den  in  die 
Zwischenrippenräume  eingedrückten  Fingern  fühlbar  gewor- 
den sein. 

Tarrat  will  seine  peripherische  Fluctuation  auch  auf 
die  Diagnose  von  pleuritischen  Ergüssen  ausg'edehnt  wissen, 
ich  war  aber  nie  so  glücklich,  sie  in  derlei  Fällen  zu  finden. 

Im  Innern  erzeugte  Rasselgeräusche  können ,  wenn  sie 
stark  sind  und  nahe  genug  entstehen,  z.  B.  über  einer  ober- 
flächlich liegenden  Vomica,  sich  der  aufgelegten  Hand  durch 
ein  vibratorisches  Erzittern  fühlbar  machen  (Philipp). 

Ebenso  wird  die  Reibung  der  in  hohem  Grade  rauh  ge- 
wordenen ,  sich  zugekehrten  Pleuraflächen  nicht  selten 
durch  den  Tastsinn  äusserlich  wahrgenommen. 

Wichtig  ist  für  die  Erkennung  von  vielen  Brustkrank- 
heiten die  Bestimmung  der  Lage  des  Herzens,  wovon  später 
ausführlicher  die  Rede  sein  wird  5  doch  genügt ,  sich  über 
den  Ort,  wo  die  Herzspitze  an  die  Brustwand  schlägt,  zu 
vergewissern.  Diess  ist  bei  Krankheiten ,  welche  die  linke 
Brusthälfte  betreffen  ,  unerlässlich ;  so  wird  man  die  Herz- 
spitze beim  linken  pleuritischen  Exsudate  gegen  die  Mittel- 
linie unter  dem  Sternum ,  bei  Pneumothorax  selbst  in  der 
rechten  Brusthälfte  finden,  bei  derlei  Emphyseme  in  der  Mitte 
mehr  nach  abwärts  gegen  das  Scrobiculum  cordis  fühlen 
können. 

Percussion  der  Brust. 

Ergebnisse  derselben  an  der   gesunden  B r u s t* 

Vordere  Seite.  Der  Percussionsschall  ist  hell  und 
voll,  besonders  nach  oben  in  der  Gegend  der  Schlüsselbeine  ; 
um  die  Brüste  herum ,  vornehmlich  bei  Frauen ,  wird  er  et- 
was weniges  gedämpft.  Rechterseits  reicht  dieser  volle  und 


223 

helle  Percussionston  bis  zur  L  eb  ergeben  d ,  wo  er  leer  und 
dumpf  wird,  und  der  klopfende  Finger  auch  einen  kleinen  Wi- 
derstand erfährt,  da  die  unten  liegende  Leber  dicht  und  luft- 
leer ist.  Linkerseits  geht  der  Percussionsschall  an  der  sech- 
sten oder  siebenten  Rippe  in  den  tynipanitischen  Ton  des 
Magens  über.  Ist  letzterer  von  Gas  mehr  ausgedehnt,  so 
reicht  auch  sein  eigenthümlicher  Ton  höher  in  die  Brust  hin- 
auf. In  der  Mitte  der  linken  Vorderfläche  des  Thorax  wird 
der  helle  Percussionston  von  der  dritten ,  vierten  Rippe  nach 
abwärts  bis  zur  fünften  bis  siebenten,  und  vom  linken  Rande 
des  Brustbeines  bis  gegen  die  Brustwarze  hin,  dem  Umfange 
des  Herzens  entsprechend ,  nach  und  nach  gedämpft  und 
leer,  mit  fühlbarem  Widerstände.  Unter  der  Herzspitze  findet 
man  gleich  den  Magenton.  In  der  linken  Seitengegend ,  am 
unteren  Ende  des  Thorax  wird  der  volle  normale  Brustton  von 
dem  dumpfen  Schalle  der  Milz  begränzt. 

Am  Rücken.  Hier  ist  im  Allgemeinen  der  Percussions- 
schall weniger  hell  als  an  der  Vorderfläche  der  Brust ,  wird 
aber  nach  abwärts  zu  etwas  voller. 

Rechts  reicht  der  volle,  helle  Percussionston  nicht  so 
tief  herab,  als  linkerseits,  da  die  Leber  höher  liegt,  als 
die  Milz. 

Modificationen.  Geschlecht,  Alter  und  Constitu- 
tion üben  auf  die  Percussion  immer  einigen  Einfluss. 

Starke  Brüste,  z.  B.  bei  Weibern,  beeinträchtigen  die 
Untersuchung  und  müssen  beim  Percutiren  verschoben  und 
das  Plessimeter  tief  in  dieselben  eingedrückt  werden,  und 
selbst  dann  wird  der  hervorgerufene  Schall  durch  die  dickere 
Lage  der  Weichtheile  etwas  gedämpfter  erscheinen. 

Kinder  geben  wegen  grösserer  Elasticität  der  Rippen 
und  den  dünnen  Fleischlagen  immer  einen  helleren ,  volleren 
Percussionston ,  als  Erwachsene ;  linkerseits  reicht  oft  der 
Magenton  höher  hinauf,  und  bei  ganz  Kleinen  ist  der  ge- 
dämpfte Schall  des  Herzens  minder  umfänglich,  als  im  vorge- 
rückten Alter,  weil  das  Herz  mehr  von  der  Lunge  bedeckt  wird. 


224 

Auch  bei  mageren  Greisen  ist  der  Percussionsschall  hel- 
ler  und  voller  wegen  Rigidität  der  mageren  Thoraxwände 
undVergrösserung  der  Lungenzellen;  nur  wird  in  Folge  der 
häufig*  Statt  findenden  grauen  Verhärtung  des  Lungengewe- 
bes in  der  oberen  Schlüsselbeingegend  zuweilen  gedämpf- 
ter Schall  gefunden.  Die  atrophische  Lunge  der  Greise  be- 
deckt auch  weniger  das  Herz ,  daher  findet  das  Plessimeter 
auch  den  gedämpften  Schall  desselben  in  grösserem  Umfange, 
als  gewöhnlich. 

Bei  abgemagerten  Individuen  ist  natürlich  der  plessime- 
trische  Schall  heller,  deutlicher  als  bei  fetten,  deren  dickere 
Fleischlagen  den  Ton  etwas  dämpfen. 

Ergebnisse  der  Percussion  der  Brust  im  krank- 
haften Zustande. 

Die  durch  die  Percussion  gewonnenen  Schallverschie- 
denheiten gründen  sich  auf  das  Verhältniss  der  Luftmenge  in 
den  Lungen  zu  deren  festen  Theilen.  Es  lässt  sich  wohl  ein 
Schema  der  eigenthümlichen  Schallveränderungen  in  gewis- 
sen Krankheiten  geben ,  doch  gilt  diess  nur  im  Allgemeinen, 
und  die  jeden  einzelnen  Fall  betreffenden  Verschiedenheiten 
werden  in  der  speciellen  Diagnostik  der  Brustkrankheiten  nä- 
her gewürdigt  werden. 

Im  Allgemeinen  richtet  sich  der  Schall  nach  der  in  der 
Brust  enthaltenen  Luftmenge,  diese  aber  kann: 

1.  grösser  sein  ,   als  im  Normalzustande , 

2.  geringer,  »     »  »  oder 

3.  in  einem  sonst  lufthaltigen  Organe  gänzlich  fehlen. 
Zu  1.  Die  Luftmenge  in  der  Brust  ist  vermehrt: 
a)  bei  ausgebreitetem,  vesiculärem  Emphyseme •.  dabei 

ergibt  sich  ein  voller,  heller  Percussionsschall,  der  tiefet 
nach  abwärts  reicht,  als  im  Normal  zustande,  da  rechterseits 
die  Leber ,  linkerseits  das  Herz  verdrängt  werden ,  und  die 
ausgedehnten  Lungen  ihre  Stelle  einnehmen. 

b~)  Bei  Pneumothorax  und  Pyopneumothorax  reicht  der 


helle,  und   wenn   die  Wände   nicht   zu  sehr  gespannt  sind, 
tympanitische  Percussionsschall  gleichfalls  tief  nach  abwärts. 

cj  Leere ,  oberflächliche  Cavernen,  die  meistens  an  der 
vorderen  oberen  Brustgegend  befindlich  sind ,  geben  einen 
hellen  und  leeren  Schall  beim  Anklopfen  ,  zuweilen  metalli- 
sches Klingen  oder  das  Geräuscheines  gesprungenen  Topfes. 

b)  Theilweises  Emphysem ,  das  gerne  an  den  Rändern 
einer  comprimirten  oder  infiltrirten  Lungenpartie  sich  erzeugt, 
wird  nicht  selten  durch  den  hellen,  leeren,  manchmal  tympa- 
nitischen  Schall  erkannt. 

Zu  2.  Wenn  die  Luftmenge  in  der  Brust  abge- 
nommen hat: 

a)  Wird  in  der  Pneumonie,  sowohl  im  1.  Stadium,  als 
in  dem  der  Lösung,  der  Schall  um  so  dumpfer,  je  näher  der 
Entzündungsprocess  dem  Stadium  der  Hepatisation  sich 
befindet. 

bj  Verdickung  der  Pleura  und  pleuritische  Adhäsionen 
beider  Pleurablätter  dämpfen  den  Schall  etwas ,  ohne  ihm 
aber  viel  von  seiner  Völle  zu  benehmen. 

cj  Kleine  pleuritische  Exsudate  dämpfen  den  Percus- 
sionsschall ,  und  machen  ihn  zugleich  leerer. 

d)  Das  Oedema  pulmonum  bedingt  tympanitischen 
Schall. 

Zu  3.  Bei  gänzlicher  Luftleere  der  Lunge. 

a)  In  der  Pneumonie  im  Stadium  der  Hepatisation  ist 
der  Percussionsschall  über  der  erkrankten  Stelle  dumpf  und 
leer ,  im  nächsten  Umkreise  zuweilen  tympanitisch. 

6}  Ebenso  verhält  sich  Tuberkelinfiltrat  in  der  Lunge. 

c)  Hämoploischer  Infarctus  dämpft  zuweilen,  wenn  er 
umfänglich  und  an  der  Oberfläche  gelegen  ist,  den  Percus- 
sionsschall. 

d)  Ebenso  wird  durch  Ablagerung  von  Krebsmassen  in 
das  Lungengewebe  der  Schall  diesen  entsprechend  gedämpft. 

e)  Compression  durch  Volumszunahme  benachbarter 
Theile ,   Aneurysma  der  Aorta ,  Vergrösserung  des  Herzens 

Gaal  Diagnostik.  15 


226 

u.  s.  w.  vermag  den  Percussionsschall  zu  dämpfen ,  doch 
nicht  in  dem  hohen  Grade ,  wie 

f)  derselbe  hei  Compression  des  Lungengewebes  durch 
grosse  pleuritische  Exsudate  oder  Hydrothorax  sich  leer  und 
matt  darstellt. 

Der  Widerstand,  den  der  klopfende  Finger  erfährt, 
wächst  in  dem  Grade,  in  dem  die  oberflächlich  liegende  Lun- 
genpartie luftleer  wird.  Am  unangenehmsten  und  dadurch 
am  deutlichsten  ist  das  Gefühl  bei  pleuritischem  Ergüsse, 
weniger  ausgesprochen  in  der  Hepatisation  oder  im  tubercu- 
lösen  Infiltrate. 

Auscultation    der   Athmungswerk  zeuge. 

Die  Athmungswerkzeuge  dienen  sowohl  dazu ,  um  das 
in  den  Lungen  kreisende  Blut  mit  dem  Sauerstoffe  der  Luft 
in  Berührung  zu  bringen,  als  zur  Erzeugung  der  Stimme. 
Wenden  wir  nun  die  Auscultation  auf  diese  doppelte  Func- 
tion der  Lungen  an,  so  ergibt  sich  die  natürliche  Einthci- 
lung  derselben  in  die  des  Athmens  und  die  der  Stimme. 

Physiologische  Phänomene    des  Athmens. 

Das  Einströmen  von  Luft  in  die  Athmungswerkzeuge  ist 
mit  einem  Geräusche  verbunden,  zu  dessen  Bildung  die  Kraft 
der  Athmungsbewegungen,  die  Richtung  der  Luftwege  und 
die  Reibung  des  Luftstromes  an  den  unzähligen  Vorsprüngen 
und  Spaltungsstellen  im  Verlaufe  der  Luftröhrenäste  zu- 
sammen beizutragen  scheinen. 

In  den  oberen  Theilen  der  Luftwege ,  Larynx  und  Tra- 
chea, ist  diess  Geräusch  stärker  und  rauher  wahrzunehmen, 
als  in  den  Lungen,  da  ihr  Lumen  ein  grösseres,  die  Rei- 
bung an  den  knorpeligen  Wänden  eine  stärkere  ist,  und  da 
die  genannten,  dem  Stethoskope  fast  unmittelbar  zugängli- 
chen Organe  die  in  ihnen  entstandenen  Geräusche  mit  bei- 
nahe ungeschwächter  Stärke  dem  Auscultirenden  zuführen. 
In  den    von   der  Trachea  entfernteren  Theilen ,  wo  der  Luft- 


227 

ström  sich  unendlich  spaltet  und  auflöst,  wo  die  Kraft  des 
Stromes  sich  bricht ,  die  Wände,  zwischen  welchen  er  sich 
bewegt ,  von  zarten  und  weichen ,  bloss  häutigen  Gebilden 
dargestellt  werden ,  also  in  den  Lungen  selbst ,  ist  diess 
Geräusch  nur  schwach  und  sanft. 

Ersteres  ,  von  seinem  Entstehungsorte  laryngeales, 
tracheales  oder  bronchiales  Athmungsgeräusch  ge- 
nannt, ist  scharf  und  blasend,  und  dem  Geräusche  zu  ver- 
gleichen ,  das  man  hervorbringt ,  wenn  man  die  Buchstaben 
Ch  mit  Gewalt,  hauchend  ausspricht,  und  dabei  die  Spitze  der 
Zunge  an  den  harten  Gaumen  drückt,  oder  wenn  man  schnell 
und  scharf  durch  das  Stethoskop  ,  oder  die  zusammenge- 
rollte Hand  bläst. 

Es  ist  beim  Ein-  und  Ausathmen  gleich  deutlich  hörbar, 
indem  die  Reibung  der  Luft  an  den  starren  Wänden  der  ge- 
nannten Organe  eine  starke  ist,  und  beim  Exspiriren  die  sich 
verengernden  oberen  Canäle  dem  Ausströmen  der  Luft  ein 
Hinderniss  entgegen  setzen  ,  das  nicht  ohne  Erzeugung  von 
Geräusch  bewältiget  wird. 

Ausser  an  den  angeführten  Stellen  hört  man  im  Normal- 
zustande auch  noch  in  der  Achselhöhle  und  bei  mageren  Per- 
sonen am  Rücken,  in  der  Gegend  des  2.,  3.  Brustwirbels 
ein  schwaches  Bronchialathmen  ,  doch  nicht  immer;  zuwei- 
len wird  es  hier  selbst  von  dem  empfindlichsten  Ohre  nicht 
gefunden. 

Das  vesiculäre  Athmungsgeräusch  ist  sanft  sum- 
mend oder  murmelnd,  ähnlich  dem,  das  sich  durch  die  Aus- 
sprache des  Buchstaben  w  oder  h  mit  Einschlürfen  der  Luft 
durch  die  verengte  Mundspalte  darstellen  lässt.  Die  Exspi- 
ration ist  dabei  nur  wenig  oder  selbst  gar  nicht  hörbar,  in- 
dem die  aus  den  durch  das  Einathmen  erweiterten  Lungen- 
zellen zurückkehrende  Luft  beim  Austritte  aus  den  Zellchen 
einen  nur  sehr  geringen  Widerstand  zu  überwinden  hat,  so- 
mit auch  die  Reibung  eine  geringe  ist. 

Das  vesiculäre  Athmen  ist  am  stärksten  in  den  oberen 

15  # 


228 

Lappen  zu  hören,  wird  nach  abwärts  etwas  dumpfer  und 
reicht,  dem  Baue  der  Lungen  entsprechend,  rückwärts  tie- 
fer hinab ,  als  vorwärts,  wird  linkerseits  vorne  in  der  Gegend 
zwischen  der  4.  bis  7.  Rippe  von  den  Herztönen  übertäubt, 
ist  aber  daselbst  tiefer  hinab  zu  hören ,  als  an  der  rechten 
Thoraxhälfte.  Diess  Athmungsgeräusch  ist  der  Intensität  nach, 
auf  beiden  Seiten  gleich  ,  doch  findet  man  zuweilen  bei  ma- 
geren Individuen  in  der  Gegend  der  Lungenwurzel  und  an 
der  Lungenspitze  rechts  eine  leichte  Verstärkung  desselben, 
ein  Umstand,  dessen  Erklärung  Gerhard  in  Philadelphia, 
der  grösseren  Weite  des  rechten  Bronchus  zuschreibt.  In 
vielen  Fällen  dürfte  aber  diese  Erscheinung  als  nicht  ganz 
normale  betrachtet  werden. 

An  Kindern  ist  das  Vesiculärathmen  lauter  zu  hören , 
als  bei  Erwachsenen,  und  wird  mit  diesem  Intensitätsgrade 
pueriles  Athmen  genannt. 

Zu  seiner  Entstehung  dürften  die  Structur  der  Lungen , 
die  dünnen,  sich  leicht  bewegenden  Brustwände  und  das 
schnellere  und  freiere  Athmen  beitragen.  Bei  Erwachsenen 
wird  das  Vesicularmurmeln  schwächer  wahrgenommen. 

An  Greisen  ,  deren  Luftzellen  rareficirt  sind ,  hört  man 
zuweilen  ein    sehr  scharfes  ,    blasendes  Athmungsgeräusch. 

An  mageren  Personen  ist  das  Vesicularmurmeln  deutli- 
cher zu  hören,  als  es  aus  dicker,  enger  Brust  erschallt, 
oder  wenn  ihre  Wände  durch  starke  Muskelentwickelung, 
Fettablagerung  oder  Ödem  zugenommen  haben. 

Im  Stehen ,  im  wachen  Zustande  und  nach  Tische  ist 
das  Vesiculärathmen  lauter  zu  hören,  als  im  Liegen  oder 
Schlafen.  Nach  massiger  Bewegung  wird  es  ebenfalls  ver- 
stärkt wahrgenommen;  ist  die  Bewegung  aber  zu  heftig  ,  so 
hat  sie  die  entgegengesetzte  Wirkung,  denn  durch  die  Gewalt, 
welche  dabei  die  Lungen  erleiden,  und  durch  das  denselben 
mächtig  zuströmende  Blut  werden  diese  zu  ungleichmässi- 
gen  und  krampfhaften  Zusammenziehungen  erregt  (Wil- 
liams). 


229 

Bei  Frauen  ist  das  Vesiculärathmen  stärker,  und  nimmt 
besonders  durch  den  Missbrauch  von  Schnürbrüsten  in  den 
Lungenspitzen  bedeutend  zu ,  da  diesen  dann  obliegt ,  das 
durch  kräftigeres  Athmen  zu  ersetzen ,  um  was  durch  Been- 
gung der  unteren  Lungenpartien  die  Respiration  verkürzt 
wird. 

Wo  man  die  Ortsverhältnisse  beider  Respirationsgeräu- 
sche verändert  findet,  z.  B.  wenn  dort,  wo  gewöhnlich  ve- 
siculäres  Athmen  zu  hören  ist,  sich  bronchiales  zeigt,  oder 
das  vesiculäre  Athmen  eine  grössere  Ausdehnung  hat,  als 
dem  gewöhnlichen  Umfange  der  Lungen  zukommt ,  oder  das- 
selbe vermindert  ist ,  schliessen  wir  mit  Recht  auf  gestörte 
Function  der  untersuchten  Lungenpartie,  und  es  kann  der  Be- 
fund der  Auscultation,  mit  den  Ergebnissen  der  übrigen  Explo- 
rationsmethoden  sorgfältig  verglichen ,  in  den  meisten  Fällen 
eine  hinlänglich  genaue  Diagnose  geben. 

Pathologische  Erscheinungen  des  Athmen s. 

Diese  bieten  sehr  viele  Verschiedenheiten  dar ,  so  wie 
die  pathologischen  Processe,  die  denselben  zu  Grunde  lie- 
gen, sehr  verschiedener  Natur  sind. 

Zur  leichteren  Übersicht  sind  sie  in  folgende  Reihen 
gebracht : 

I    -\  »*•  >  *  i    ..(häufiges  Athmen 
\aj  Häufigkeit}  & 

(seltenes        » 
b}  Continuität :  stossweises  Athmen 
c)  Dauer:  verlängertes  Ausathmen 


1.  Nach  dem  Rhythmus 


Ia)  starkes     Athmen 
.     v  .  ,,bl  schwaches  » 

2.  Naoh  der  Intensität)  J 

\c)  mangelndes        » 

a)  rauhes  » 

bj  bronchiales     » 

3.  Nach  den  Charakteren  {   ^ 

cj  cavernoses      » 

ä)  amphorisches  » 


230 

ia)  Muskelrollen 
b)  Reibungsgeräusche 
^    „        i       .      v    (feuchte 
cj    Rasselgeräusche* 
(trockene. 

I.  Abnormitäten  des  Rhythmus. 

Diese  betreffen  entweder  die  Häufigkeit  der  Respirations- 
momente in  einer  gegebenen  Zeit  (einer  Minute)  ,  oder  die 
Continuität,   oder  aber  die  Andauer  der  Athmungsgeräusche. 

1.  Häufigkeit.  Die  normale  Frequenz  der  Respira- 
tionsbewegungen, die  aus  Vorhergehendem  schon  bekannt  ist, 
erscheint  zuweilen  gesteigert,  von  30 — 80;  ja  wurde  bei 
Kindern ,  die  von  beiderseitiger  Pneumonie  ergriffen  waren  , 
sogar  auch  auf  100  erhöht  in  der  Minute  gefunden. 

Die  Häufigkeit  der  Respirationsbewegungen  ist  ebenso- 
gut durch  das  Auge,  als  durch  das  Stethoskop  erkennbar, 
und  das  Athmungsgeräusch  bei  der  häufigen  Respiration  mei- 
stens zugleich  verstärkt. 

Zuweilen  sinkt  die  Frequenz  der  Inspirationen  zu  12 , 
selbst  zu  7  herab ,  was  bei  Cerebro-Spinalaffectionen  beob- 
achtet wurde. 

Die  Betrachtung  der  Häufigkeit  der  Respirations- 
acte  hat  für  die  Zeichenlehre  nur  untergeordneten  Werth ; 
grosse  Frequenz  zeigt  bloss  eine  schwere  Krankheit 
der  Brustorgane  im  Allgemeinen  an. 

2.  Fortdauer.  Im  krankhaften  Zustande  zeigt  sich 
die  Respiration  zuweilen  stossweise,  wie  abgebrochen ,  oder 
so ,  dass  jeder  Athemzug  gleichsam  in  zwei  oder  mehreren, 
in  kurzer  Frist  sich  folgenden  Abschnitten  vollzogen  wird. 
Ursache  sind  meistens  Schmerzen,  z.  B.  Pleuritis  und 
Pleurodynie,  welche  die  Erweiterung  des  Brustkorbes 
hindern,  und  selbe  nur  in  Absätzen  gestatten,  oder  par- 
tielle Adhäsionen  der  beiden  Pleurablätter  oder  begin- 
nende Lungentuberculose. 

Mit  dem  veränderten  Rhythmus  mindert  sich  meistens 


231 

auch  die  Intensität  des  vesiculären  Athmens,  und  derPercus- 
sionsschall  wird  gedämpft  #). 

3.  And  au  er.  Unter  allen  Veränderungen,  denen  die 
Dauer  der  einzelnen  Respirationsacte  unterliegt,  ist  das  ver- 
längerte Ausathmen  für  uns  die  wichtigste. 

Zuweilen  ist  die  Exspiration  verlängert,  nähert  sich  so- 
jnit  der  Inspiration  an  Andauer ,  und  übertrifft  endlich  selbst 
diese,  so  dass  die  Pause  verloren  geht,  und  der  Auscultirende 
den  Eindruck  eines  unterbrochenen  murmelnden  Athmens  er- 
hält, der  um  so  deutlicher  erscheint,  wenn  damit  die  Respi- 
ration in  den  gesunden  Abschnitten  der  Lunge  verglichen  wird. 

Häufig  wird  zugleich  die  Inspiration  auch  rauher.  Als 
Sitz  dieser  Erscheinung  ist  hauptsächlich  die  Lungenspitze 
zu  bezeichnen. 

Über  die  Ursache  dieses,  schon  von  Andral5«0"-) 
beobachteten  Symptomes,  spricht  der  Amerikaner  Jackson, 
der  ihm  besondere  Aufmerksamkeit  geschenkt  ###)  7  bei- 
läufig Folgendes: 

»Wenn  im  natürlichen  Zustande  das  Lungengewebe 
seine  normale  Geschmeidigkeit  und  Permeabilität  behält ,  so 
besteht  das  respiratorische  Gesäusch  zugleich  aus  dem  durch 
den  Lufteintritt  in  die  Bronchien  und  dem  durch  Eindringen 
in  die  Bläschen  hervorgebrachten  Geräusche ;  und  da  das 
letztere  prädominirt,  so  wird  es  allein  gehört.  Von  dem  Mo- 
mente an,  wo  die  Tuberkel-Infiltration  beginnt,  werden  die 
Bläschen  von  Tag  zu  Tag  weniger,  die  vesiculäre  Expan- 
sionnimmt ab,  und  indem  das  von  dem  Luftdurchgange  durch 
die  Bronchien  bedingte  Geräusch  unverändert  bleibt ,  so 
herrscht  es  täglich  mehr  vor,  und  wird  zuletzt  allein  gehört. 
Anderseits  begreift  man  in  Rücksicht  auf  die  Schwäche  des 


*)  Zehetmayer  Grundzüge.  p.  60. 
**)  Clinique  me'dic.  3me  idit.  T.  IV.  p.  69. 
***)  Mim.  de  la  soc.  mtd.  d'obs.  t.  I.  p, ,  XV. 


232 

Exspirationsgeräusches  im  normalen  Zustande  eben  so  leicht, 
dass  die  Bronchialexspiration  die  gleiche  Inspiration  über- 
trifft. Da  nun  die  verlängerte  Exspiration  der  erste  Effect 
der  Parenchyni-Induration  ist,  so  folgt ,  dass  man  von  jener 
auf  diese  schliessen  kann,  diess  ist  von  Anfang  an  möglich.« 

Diese  Erscheinung  kommt  bei  ausgebreitetem  vesiculä- 
rem  Lungenemphyseme  und  in  der  ersten  Periode  der  Tu- 
berculose  vor,  und  gewährt,  besonders  letztere  Krankheit 
betreffend,  ein  unschätzbares  Kennzeichen  in  einem  Stadium, 
wo  noch  alle  anderen  Symptome  mangeln. 

Fournet  sucht  die  Erklärung  dieser Thatsache  in  einer 
ungleichen  Elasticität  des  Lungengewebes.  Nach  Kürsch- 
ner bringt  der  Luftstrom  in  den  kleinen  Bronchien  kein  Ge- 
räusch hervor,  da  sie  von  dem  schlechtleitenden  Lungenge- 
webe umgeben  sind.  In  dem  Verhältnisse  aber,  als  die  Lun- 
genbläschen fester  werden ,  wird  auch  das  Geräusch  lauter 
und  bemerkbarer.  Vielleicht  verlangsamt  auch  die  geringere 
Elasticität  des  Lungengewebes ,  wenn  schon  Tuberkel  darin 
eingesäet  sind,  die  ohnedem  mehr  passive  und  durch  Collap- 
sus  zu  Stande  kommende  Exspiration. 

II.  Veränderungen,  die  Intensität  des  Athmens 

betreffend. 

Das  Athmen  erscheint  zuweilen  als  krankhaft  vermehrt, 
vermindert    oder  als  gänzlich  unhörbar. 

aj  Starkes,  pueriles,  suplementäres,   hyper- 
vesiculäres  Athmen. 
Dieses  Athmungsgeräusch  hat  in  beiden  Momenten  alle 
Charaktere   des  normalen  an  sich ,  nur  dass  dasselbe  lauter 
vernommen  wird  ,  auf  die  Art ,  wie  bei  Kindern  ,    daher  auch 
der  dafür  nur  uneiffentlich  passende  Name:  pueriles  Athmen. 
Meist  ist  es  ausgebreitet ,   oft  über  einer  ganzen  Brusthälfte 
zu  hören.   Da  es  unendlich  schwer  hält ,   die  Gränze  der  nor- 
malen und  abnormen  Stärke  des  Athmens ,    worauf  das  Alter 
und  viele  Nebenumstände  Einfluss  üben  können ,  zu  bestim- 


233 

men,  ist  eine  genaue  Vergleichung  beider  Thoraxhälften  un- 
erlässlich ,  wenn  man  sich  vor  groben  Irrthümern  sichern 
will.  Nur  so  wird  man  im  Stande  sein  ,  die  supplementäre 
Respiration  von  der  eigentlichen  puerilen ,  der  bronchialen 
und  cavernösen  zu  unterscheiden. 

Als  Ursache  dieser  pathologischen  Erscheinung  gelten 
alle  Zustände,  wodurch  ein  grösserer  Abschnitt  der  Lungen 
dem  Luftwechsel  entzogen  wird ;  es  müssen  daher ,  um  die- 
sen Übelstand  einigermassen  auszugleichen,  die  übrigen  Ab- 
theilungen der  Lunge  mithelfen,  und  durch  erhöhte  Thätig- 
keit  das  zu  ersetzen  suchen ,  um  was  die  Respiration  ver- 
kürzt ward. 

Wir  finden  das  supplementäre  Athmen  darnach  in  folgen- 
den Zuständen : 

1.  An  der  Spitze  der  Lunge,  wenn  ihr  unterer  Lappen 
der  Luft  unzugänglich  geworden,  sei  es  durch  Compression, 
durch  ein  flüssiges,  pleuritisches  Exsudat;  sei  es  durch  In- 
filtrat in  die  Lungenzellchen,  als  Pneumonie,  Hypostase, 
Lungenödem. 

2.  Nach  unten ,  wenn  Lungenentzündung  oder  Tuber- 
kelinfiltration   den   oberen  Lungenlappen  befallen  haben. 

3.  In  der  ganzen  freien  Brusthälfte,  wenn  einer  der  ge- 
nannten Zustände  eine  grössere  Provinz  der  anderen  Lunge 
dem  Athmungsprocesse  entzogen  hat. 

4.  Zuweilen  kann  das  supplementäre  Athmen  auch  cen- 
trale Lobularpneumonien  oder  Tuberkelinfiltrationen  begleiten, 

b)  Vermindertes  Athmen. 

Das  Athmen  kann  von  der  normalen  Stärke  in  endlosen 
Abstufungen  sich  dem  Schweigen  des  Respirationsgeräusches 
nähern  und  kommt  zu  Stande : 

1.  Durch  krankhafte  Zustände  des  Brustkorbes, 
z.  B.  Ödem  oder  Geschwülste  an  demselben  ,  wodurch  der 
Schall  undeutlicher  zu  dem  Ohre  des  Beobachters  geleitet 
wird;  Rheumatismus  der  Brustmuskeln,  der  ihre  Thätigkeit 


«34 

gleichsam  paralysirt,  womit  auch  Fournet's  manometrische 
Forschungen  im  Einklänge  stehen,  denn  nach  ihm  ist  die 
Stärke  des  Respirationsgeräusches  in  geradem  Verhältnisse 
mit  der  Kraft  der  Brustbewegungen. 

Unvollkommene  Compression  der  Lungen  durch  Ver- 
krümmungen der  Wirbelsäule  oder  bedeutenden  Ascites5«5) 
vermindern  gleichfalls  das  Athmungsgeräusch. 

2.  Krankheiten  des  Rippen  fe  lies,  Pleuritis  exsuda- 
tiva, Verdickungen  der  Pleura,  Pseudomembranen,  Pneu- 
mothorax. 

3.  Krankheitender  Luftwege  selbst,  Hindernisse 
des  Luftzutrittes  im  Kehlkopfe,  Verengerung  eines  Bronchus, 
Bronchialcatarrh ,  ausgebreitetes  vesiculäres  Emphysem , 
Pneumonie  in  der  Lösung,  Hyperämie  der  Lungen  und  tu- 
berculöses  Exsudat  des  Grades  ,  dass  die  Bronchialröhrchen 
der  letzten  Ordnung  nur  unvollkommen  comprimirt  werden , 
und  es  noch  nicht  zur  Bildung  des  ßronchialathmens  kom- 
men kann. 

In  beinahe  allen  diesen  genannten  Fällen,  mit  Ausnahme 
des  Emphysems ,  gibt  die  Percussion  gedämpften  Schall. 

c)  Mangelndes  Athmen. 
Das  Schweigen  der  Athmungsgeräusche  ist  fast  an  die- 
selben Bedingungen  gebunden ,  welche  dessen  Verminde- 
rung zu  Stande  bringen,  doch  haben  diese  dabei  im  ausge- 
zeichneten Grade  statt.  Wir  finden  dasselbe  somit  bei  gänz- 
licher Verstopfung  eines  Bronchus  in  der  von  demselben  ver- 
sorgten Lungenpartie,  und  bei  Compression  der  Lunge  durch 
einen  pleuritischen  Erguss,  der  sie  zugleich  von  der  Rippen- 
wand ziemlich  entfernt  hält,  ebenso  beim  Pneumothorax, 
äusserst  selten  beim  Emphyseme  ##). 


*)  Barth,  p.  46. 

**)  Barth  und  Roger  über  Auscultation,  übers,  v.  Puchelt, 
Stuttgart  1842.  p.  50. 


235 

III.  Abnormitäten   des  Charakters   der  Ath- 
mungsgeräusche. 

1.  Rauh  e  s    A  thmen. 

Dieses  verdankt  der  Anschwellung'  der  Schleimhaut 
der  Lungen  seine  Entstehung;  es  erleidet  nämlich  die 
eindringende  Luft,  wenn  sie  die  durch  die  angewul- 
stete  Schleimhaut  verengten  Stellen  passirt  ,  daselbst 
einen  hohen  Grad  von  Reibung*  _,  welche  dem  Athmungsge- 
rausche  einen  rauhen  Charakter  verleiht ,  der  in  gleichem 
Schritte  mit  der  Zunahme  der  Anschwellung  sich  steigert 
und  endlich  in  Schnurren  und  Pfeifen  übergeht. 

Die  rauhe  Respiration  betrifft  entweder  beide  Athmungs- 
momente  oder  eines  davon,  besonders  die  Exspiration  in  dem 
Falle ,  dass  diese  zugleich  krankhaft  verlängert  wäre.  Es 
gibt  kaum  ein  Leiden  der  Athmungswerkzeuge,  in  dessen 
einer  Periode  diese  Erscheinung  nicht  zu  hören  wäre ;  die 
leichteste  Veränderung  im  Innern  der  Lungen  ist  im  Stande, 
sie  zu  erwecken,  man  findet  sie  beim  Bronchialcatarrhe,  bei 
der  acuten  Bronchitis,  wenn  sie  noch  geringeren  Grades 
ist ;  besonders  bei  vesiculärem  Lungenemphyseme  (mit  ziem- 
lich normalem  Percussionsschalle)  ,  im  Beginne  einer  Tu- 
berkelinfiltration (mit  schwacher  Dämpfung  des  Percussions- 
(ones)  ,  wenn  noch  alle  andern  Zeichen  mangeln  ,  und  in 
der  Heilungsperiode  mancher  Pneumonien. 

2.  Bronchiales  Athmen  oder  Tuba r blasen. 
Die  Charaktere  dieses  Respirationsgeräusches  sind  aus  der 
vorhergehenden  Betrachtung  desselben  im  Normalzustande 
bekannt.  Abnorm  wird  es  durch  seinen  Sitz  ausser  den  oben 
bezeichneten  Orten,  es  ist  fortdauernd  ohne  Intermissionen  und 
wird  durch  die  in  den  meisten  Fällen  seines  Vorkommens  be- 
schleunigte Respiration  häufig  sehr  verstärkt  und  accelerirt 
wahrgenommen.  Es  stellt  sich  zuweilen  so  stark  dar,  als  ob 
aus  der  Brust  des  Kranken  unmittelbar  in  das  Ohr  des  Aus- 
eultirenden  geblasen  würde, 


236 

Die  Ausdehnung  und  der  Timbre  hängen  von  dem  Um- 
fange und  der  oberflächlichen  oder  tiefen  Lage  der  erkrank- 
ten Partien  ab;  so  nennt  Grisolle  in  seiner  ausgezeich- 
neten Abhandlung  über  Pneumonie  eine  Timbreverschieden- 
heit ,  die  dem  Ohre  den  Eindruck  gewährt ,  als  ob  ein  Stück 
Taflet  zerreissen  würde,  er  beobachtete  sie  bei  oberflächlich  ge- 
lagerten Pneumonien.  So  verschieden  auch  die  Grade  der  Bron- 
chialrespiration sind,  so  leicht  bleibt  dennoch  die  Unterschei- 
dung, ob  man  in  einem  vorliegenden  Falle  vesiculäres  (wenn 
gleich   oft  rauhes)  Athmen,    oder  bronchiales  vor  sich  habe. 

Die  Annahme  eines  unbestimmten  Athmens,  das 
sich  weder  als  bronchiales ,  noch  als  vesiculäres  erkennen 
lässt,  ist  daher  überflüssig  und  unstatthaft.  Wo  man  das  eine 
hört,  ist  das  andere  ausgeschlossen. 

Wenn  wir  nach  den  Ursachen  der  Erzeugung  des 
bronchialen  Athmens  forschen,  so  finden  wir  sein  Vorkommen 
an  jene  Fälle  gebunden,  wo  die  Luft  in  die  Lungenzellen 
nicht  eindringen  kann ,  da  diese  entweder  durch  eine  starre 
Masse  erfüllt  oder  durch  Zusammendrückung  ihres  Lumens 
und  der  Fähigkeit ,   sich  aufblähen   zu  lassen ,  beraubt  sind. 

Das  bronchiale  Athmen  wird  im  Normalzustande  über 
den  Orten  gehört,  an  welchen  die  Luftwege  von  starren 
Wänden  umgeben  sind  (am  Larynx  und  der  Trachea) ;  dort, 
wo  die  Luftcanälchen  weiche  und  nachgiebig*e  Wände  ha- 
ben (in  den  Lungenzellen),  ist  auch  kein  bronchiales  Ath- 
men zu  finden.  Demgemäss  müssen  die  Lungenwege  dort, 
wo  man  im  abnormen  Zustande  bronchiales  Athmen  hört, 
dem  Baue  der  Trachea  ähnlich,  d.  i.  mit  starren  Wänden 
versehen  sein.  Wir  finden  aber  auch,  dieser  Voraussetzung 
entsprechend ,  an  den  Stellen  ,  wo  das  abnorme  Bron- 
chialathmen  sich  zeigt,  diesen  Umstand  vorhanden.  Wird 
das  Lungengewebe  durch  Infiltration  oder  Druck  unwegsam, 
so  gehen  auch  die  feinsten  Verästlungen  der  Bronchien  in 
dem  pathologischen  Processe  unter,  und  bloss  die  Bronchial- 
röhrchen,  welche  mit  Knorpelblättchen  versehen  sind,  wi- 


237 

derstehen  dem  Drucke,  und  verlaufen  in  dem  starr  geworde- 
nem Parenchyme  ,  das  ihnen  desto  festere  Wände  verleiht. 
Es  stellen  sich  somit  mehrere  Canäle  mit  festen  Wandun- 
gen dar ,  deren  Luftgehalt  mit  dem  der  grossen  Bronchien 
comniunicirt,  und  der,  wenn  gleich  von  jenen  nicht  selbst- 
thätig  bewegt,  doch  an  den  Schwingungen  der  in  den  letz- 
teren befindlichen  Lutt  Antheil  nehmen  muss  ,  so  dass  den 
Gesetzen  der  Schallleitung  zu  Folge  dieselben  Geräusche  in 
den  kleineren  Ästen  vernommen  werden  und  mittönen  (jcon- 
soniren)  müssen,  welche  in  den  grösseren  Bronchien  ent- 
stehen. Übrigens  scheint  noch  Reflexion  des  Schalles  von 
den  starren  Wänden  denselben  zu  verstärken ,  so  wie  das 
fest  gewordene  Lungengewebe  als  guter  Schallleiter  ihn  nach 
aussen   dem  Ohre  des  auscultirenden  Arztes  zu  überliefern. 

Dieser  Erklärung  zu  Folge  ist  auch  begreiflich  ,  warum 
nicht  bloss  die  Inspiration ,  sondern  auch  das  beim  Ausath- 
men  erzeugte  Geräusch  hörbar  wird ,  und  zuweilen  noch 
stärker  als  jenes,  welches  die  Inspiration  begleitet. 

Von  der  Annahme  Lännec's,  dass  die  Luft,  wenn  sie 
in  eine  infiltrirte  Partie  eindringt ,  mit  grösserer  Kraft  ein- 
ströme ,  um  das  sich  ihr  entgegenstellende  Hinderniss  zu 
bewältigen,  und  von  dem  Versuche,  durch  jene  die  Entstehung 
des  bronchialen  Athmens  zu  erklären,  kann  kaum  mehr  die 
Rede  sein,  indem  die  in  infiltrirten  Partien  enthaltene  Luft 
stagnirt  und  wenig  wechselt,  und  die  Gewalt,  womit  sie 
aus  denselben  ausgetrieben  wird,  sehr  gross  sein  müsste, 
um  ein  so  starkes  Geräusch,  wie  das  Bronchialathmen  zu  er- 
zeugen, was  aber  nicht  der  Fall  ist,  indem  die  starr  gewordenen 
Wände  der  Bronchialästchen  sich  kaum  zusammenziehen. 

Der  Grund  des  Bronchialathmens  ist  somit  in  den  Mit- 
tönen des  in  der  Trachea  erzeugten  Geräusches  in  der  Luft- 
säule eines  in  starr  gewordenem  Parenchyme  verlaufenden 
Bronchus  zu  suchen.  Wird  die  Communication  des  letzteren 
mit  der  Trachea  oder  einem  Bronchialhauptstamme  unterbro- 
chen ,  so  verschwindet  das  blasende  Athmen ,  bis  jene  wie- 


238 

der  hergestellt  und  das  Hinderniss  durch  Räuspern  oder 
Husten  entfernt  ist. 

Wo  das  Bronchialathmen  gehört  wird,  schliesst  es  die 
vesiculäre  Respiration  aus ,  geht  aber  stufenweise  in  letztere 
über,  und  verbindet  sich  zuweilen  mit  Rasselgeräuschen, 
welche  dann  als  consonirende  erkannt  werden. 

Die  Krankheiten ,  in  welchen  das  Bronchialathmen  ge- 
hört wird,  sind  folgende: 

1.  Pleuritisches  Exsudat, 

2.  Hepatisation  der  Lungen  , 

3.  Hämorrhagischer  Infarctus  derselben  , 

4.  Tuberculöses  Infiltrat, 

5.  Krebsige  Ablagerungen, 

6.  Induration  der  Lungen , 

7.  Grosse ,  sackförmige  Bronchialerweiterungen. 

In  den  beiden  erstgenannten  Krankheiten  wird  das  Bron- 
chialathmen wohl  am  häufigsten  beobachtet,  und  zwar  um  so 
klarer,  je  näher  die  erkrankte  Stelle  der  Brustwand  sich 
befindet. 

Kleine,  umschriebene,  lobuläre  und  im  Innern  befind- 
liche Hepatisationen  und  isolirte  Tuberkeln  vermögen  nicht 
Bronchialathmen  hervorzubringen.  Wo  letzteres  zu  hören 
ist,  gibt  auch  die  Percussion  gedämpften  Schall. 

Beim  pleuritischen  Exsudate  lässt  sich  nicht  bestimmen, 
wie  viel  Flüssigkeit  vorhanden  sein  müsse,  um  das  Bron- 
chialathmen hervorzurufen;  ist  die  Quantität  aber  gross,  dass 
nebst  den  kleineren  Bronchen  auch  jene  höherer  Ordnung 
comprimirt  werden,  so  wird  das  blasende  Athmen  nicht  mehr 
gehört,  und  um  so  weniger,  je  mehr  Flüssigkeit  als  Me- 
dium von  heterogener  Beschaffenheit  die  Lungen  von  der 
Brustwand  trennt. 

Anfänger  müssen  sich  hüten,  die  Bronchialrespiration 
nicht  mit  dem  verstärkten  Athmen  zu  verwechseln;  der  Cha- 
rakter entscheidet  hier ,  nicht  die  Stärke  des  Respirations- 
geräusches. 


239 

3.  Cavernöses  Athmen. 

Dieses  ist  nur  eine  Modifikation  des  Tubarblasens  und 
kommt  auch  nur  unter  den  Bedingungen  der  Consonanz  zu 
Stande;  es  wird  nachgeahmt,  wenn  man  mit  weit  offenem 
Munde  stark  in  die  hohl  zusammengelegten  Hände  athmet. 
Gewöhnlich  entspricht  sein  Vorkommen  dem  der  Cavernen, 
nämlich  an  dem  vordem  obern  Theile  der  Brust.  Sein  eigen- 
artig hohler  Timbre  unterscheidet  es  von  dem  Bronchialath- 
men,  und  der  Umstand,  dass  es  bisweilen  von  dem  Geräu- 
sche des  gesprungenen  Topfes  bei  der  Percussion  begleitet 
gefunden  wird.  Das  Bronchialathmen  ist  gewöhnlich  auch 
etwas  schneller  als  die  Höhlenrespiration. 

Das  cavernöse  Athmen  kündigt  entweder  die  Existenz 
einer  oberflächlich  gelegenen  Caverne  oder  einer  grossen, 
sackförmigen  Bronchiectasie  an,  und  verbindet  sich  häufig 
mit  Rasselgeräuschen ,  da  selten  die  Höhlen  von  Flüssig- 
keit frei  sind,  welche  durch  das  Einströmen  der  Luft  be- 
wegt, dieselben  verursacht. 

(Hierher  sind  die:  »Respiration  soufflante«  und 
das  »Souffle  voile«  Lännec's  zu  beziehen.) 

4.  Amphorische    Respiration   und   metallisches 

Klingen. 

Werden  die  Schallwellen  in  einem  grossen ,  von  star- 
ren Wänden  gebildeten  Räume  derart  reflectirt,  dass  sie  sich 
durchkreuzen,  und  sich  ausser  dem  ursprünglichen  Schalle 
auch  noch  ein  undeutliches  Summen  darstellt ,  dem  ähnlich, 
das  eine  Fliege  in  einer  grossen  Flasche  hervorbringt ,  so 
haben  wir  den  amphorischen  Widerhall. 

Verbindet  sich  mit  demselben  ein  eigenthümlich  metal- 
lischer Klang ,  ähnlich  dem  Flageolette  einer  Darmsaite,  so 
entsteht  das  metallische  Klingen. 

Beide  Erscheinungen  kommen  nur  in  grossen,  regel- 
mässig gebildeten,  lufthaltigen  Räumen,  somit  in  grossen 
Cavernen  und  im  Pneumothorax  vor*,  ob  wir  nun  durch  eine 


240 

Consonanz  von  Aliquottheilen  der  Wellenlängen  des  ursprüng- 
lich hervorgerufenen  Schalles,  welche  bloss  die  tieferen  Töne 
verstärkt,  das  Flaschensausen — jener  aber,  welche  mit  den 
höheren  zusammenfällt,  das  metallische  Klingen  zu  erklären 
bemüht  sind;  ob  wir  letzteres  im  Pneumothorax,  wo  es  als 
Tropfenfallen  so  schön  sich  darstellt ,  in  der  beim  Aufsitzen 
des  Kranken  plötzlich  eintretenden  Ausdehnung  und  Weg- 
samkeit  eines  Bronchus ,  der  durch  Flüssigkeit  während  der 
Rückenlage  comprimirt  war,  zu  finden  wähnen,  so  ha- 
ben wir  dennoch  nichts  weiter  geleistet,  als  den  vielen 
Erklärungsversuchen  dieser  Erscheinung  neue  beigefügt,  die 
erst  an  dem  Probirsteine  der  Erfahrung  geprüft,  als  wirklich 
begründet  Gültigkeit  erlangen  können. 

Übrigens  kommt  das  metallische  Klingen  auch  in  kleinen 
Cavernen  als  Widerhall  von  Geräuschen  vor,  weichein  einem 
entfernten  ,  communicirenden  Luftröhrenaste  sich  erzeugen. 
Eben  so  auch  im  Pneumothorax,  denn  selten  dürfte  das  Ein- 
strömen der  Luft  aus  einer  so  engen  Öffnung,  wie  es  in  dem- 
selben meistens  der  Fall  ist ,  in  einem  grossen  Raum  das 
metallische  Klingen  veranlassen,  Succussion  des  Kranken 
soll  im  Hydropneumothorax  gleichfalls  ein  vom  Metallklange 
begleitetes  Geräusch  erzeugen.  Das  Klingen  wird  zuweilen 
noch  deutlicher  wahrgenommen ,  wenn  man  während  dem 
Auscultiren  zugleich  percutirt. 

Die  amphorische  Respiration  ist  oft  von  der  cavernösen 
schwer  zu  unterscheiden ,  doch  wird  letztere  kaum  mit  me- 
tallischem Klingen  beobachtet ,  während  dieses  sich  dem 
Flaschensausen  zuweilen  verbindet.  Bei  diesem  findet  sich 
auch  häufiger  das  Geräusch  des  gesprungenen  Topfes  beim 
Percutiren. 
IV.    Beimischung    fremdartiger  Geräusche. 

1.    Muskelrollen. 

Dieses  stellt  sich  wie  das  dunkle ,  ferne  Rollen  eines 
Wagens  dar,    und  wird  häufig  vernommen,    wenn  sich  der 


241 

Kranke  eben  aufsetzte,  um  am  Rücken  untersucht  zu  wer- 
den. Dass  es  von  der  Thätigkeit  der  Brustmuskeln  herrühre, 
aber  kaum  eine  pathologische  Bedeutung  habe,  darin  stimmen 
alle  Beobachter  überein;  es  möge  daher  nur  der  Vollständig- 
keit wegen  hier  erwähnt  werden. 

2.    Reibungsgeräusch    der  Pleura. 

So  lange  die  beiden  sich  zugekehrten  Blätter  der  Pleura 
normal  beschaffen  sind,  ist  ihre  Oberfläche  glatt,  und  durch 
die  dunstartige  Flüssigkeit,  welche  sie  aushauchen,  schlü- 
pfrig; eine  Reibung',  welche  ein  Geräusch  hervorbrächte,  ist 
somit  unmöglich.  Sobald  aber  diese  Glätte  verloren  geht,  ent- 
steht durch  die  Athembewegungen  ein  Geräusch ,  das  mit 
dem  Namen  pleuritisches  Reiben  (affrictus)  bezeichnet  wird. 
Je  nach  der  Art  der  Rauhigkeit  der  Pleurablätter  ist  es  ent- 
weder weich,  gleicht  einem  zarten  Anstreifen,  wie  wenn 
man  mit  einem  Finger  über  Seidenstoff  gleiten  würde  ,  oder 
es  ist  ein  hartes  Kratzen,  Krachen  oder  Schaben.  Man  re- 
producirt  sich  dieses  am  besten ,  wenn  man  eine  Hand  flach 
über  das  eigene  Ohr  legt ,  und  mit  dem  Zeigefinger  über  die 
Knöchel  derselben  streift,  wobei  man  alle  Varietäten  des 
fraglichen  Geräusches  täuschend  wiederzugeben  im  Stande 
ist.  Es  ist  zuweilen  verbreitet,  häufiger  aber  umschrieben, 
gewöhnlich  an  den  Seiten  und  der  mittleren  Rückenfläche 
des  Thorax  zu  finden ,  zuweilen  in  beiden  Respirationsmo- 
menten als  auf-  und  absteigendes  Reiben  hörbar,  meistens 
aber  nur  dem  Einathmen  angehörig  und  stellt  sich  immer  als 
oberflächliches  Geräusch  dar. 

Husten  und  Expectoration  haben  darauf  keinen  Einfluss. 

Wenn  es  rauh  und  stark  ist,  kann  es  nicht  allein  das 
Athmungsgeräusch  übertäuben,  sondern  selbst  durch  die  auf- 
gelegte Hand  äusserlich  am  Thorax  wahrgenommen  werden. 
In  mehreren  Fällen  ward  es  von  den  Kranken  selbst  gefühlt. 

Unterschiede.  Verwechslung  mit  Rasselgeräuschen 

und  mit  Reibungsgeräuschen  am  Pericardium  ist  leicht  mög- 
Gaal  Diagnostik.  Ig 


242 

lieh.  In  letzterem  Falle  hellt  sich  die  Diagnose  dadurch  auf, 
dass  man  dem  Kranken  einen  Augenblick  das  Athmen  unter- 
sagt, wodurch  das  pleuritische  Reiben  vorübergehend  unter- 
drückt wird  ,  während  das  am  Herzbeutel  fort  besteht.  Ras- 
selgeräusche können  zuweilen  selbst  geübte  Beobachter  in 
Verlegenheit  setzen,  doch  werden  sie  durch  Husten  und  Ex- 
pectoration  wesentlich  modificirt ,  welche  auf  das  Reibungs- 
geräusch keinen  Einfluss  haben. 

Die  Krankheiten ,  in  welchen  das  pleuritische  Reiben 
hörbar  ist,  sind  folgende  : 

1.  Plastisches  pleuritisches  Exsudat,  besonders  im 
Beginne  und  zu  Ende  der  Krankheit ,  wenn  die  serösen 
Theile  schon  resorbirt  sind ;  denn  so  lange  ein  flüssiger  Er- 
guss  in  der  Brusthöhle  besteht,  werden  die  beiden  Pleura- 
flächen  von  einander  entfernt  gehalten,  können  sich  somit 
nicht  reiben.  Das  Geräuch  besteht  dann  so  lange,  bis  durch 
den  Aflrictus  selbe  sich  abgeglättet  haben. 

2.  Bei  interlobulärem  Emphysem ,  wenn  Auftreibungen 
durch  Zerreissung  einzelner  Lungenbläschen  entstehen,  und 
endlich 

3.  Bei  Tuberkelablagerungen  auf  der  Pleura,  wenn  da- 
durch Vorsprünge  gebildet  werden. 

In  dem  Falle  von  Emphysem,  dem  Lännec  besonders 
Gewicht  beilegt,  haben  weder  Andry5»*)  noch  Barth  und 
Roger,  noch  ich  selbst ,  trotz  der  namhaften  Zahl  von  Fäl- 
len, in  welchen  ich  das  Reibungsgeräusch  zu  beobachten 
Gelegenheit  hatte,  dasselbe  vernommen,  dagegen  desto  öfter 
in  der  Pleuritis,  für  welche  ich  es  als  eines  der  pathognomo- 
nischen  Kennzeichen  angesehen  wissen  möchte.  Dass  es  bei 
Pleurapleumonie  ein  nicht  seltenes  Symptom  ist,  liegt  in  der 
Combination  der  Lungenentzündung  mit  Pleuritis. 

Hierher  glaube  ich  auch  Fournet's  Lungenkra- 
c  h  e  n  rechnen   zu   müssen ,   das  sich   bald   als  Neulederge- 


*)  Handbuch    der    Percussion    und    Auscultation ,    übersetzt  von 
Ehrenberg    Leipzig  1845.  p.  179. 


243 

rausch  ,  bald  als  klagender  Schrei  kund  gegeben  haben  soll. 
Barth  und  Roger  ziehen  zwar  die  Existenz  desselben  in 
Zweifel,  sprechen  aber  gleichfalls  von  einem  klagenden  Schrei, 
der  vielleicht  nur  eine  Varietät  des  sogenannten  Lungenkra- 
chens  darstellt.  Übrigens  weiss  ich  nicht,  wie  ein  und  das- 
selbe Geräusch  so  differente  Eindrücke  geben  kann ,  als  da- 
von beschrieben  werden. 

Fournet  hält  es  auch  für  ein  Zeichen  der  Miliarform 
roher  Tuberkel;  wenn  es  ja  ein  solches  wäre,  müssten  es 
die  Praktiker  mit  offenen  Armen  aufnehmen,  da  in  diesem 
Stadium  der  Tuberculose  der  verlässlichen  Symptome  kaum 
eines  ist. 

Wir  sind  geneigt ,  das  Lungenkrachen  eher  für  eine 
Modification  des  pleuritischen  Reibens  oder  anderer  Geräu- 
sche zu  halten ,  als  es  für  ein  selbstständiges  Geräusch  zu 
nehmen,  haben  es   aber  rein  und  deutlich  nie  gehört. 

3.     Die   Rasselgeräusche. 

Wenn  die  Luft  in  den  Athmungsorganen  entweder  auf 
eine  verengte  Stelle  oder  auf  Flüssigkeit ,  sei  sie  Schleim, 
Eiter  oder  Blut,  trifft ,  so  erzeugt  sie  Rasselgeräusche 
(ronchf). 

Je  nach  der  Ursache  der  Entstehung  sind  diese  sehr  ver- 
schieden, wie  auch  ihre  Stärke  wechselt,  die  zuweilen  selbst 
so  bedeutend  ist,  dass  man  sie  aus  der  Entfernung  hört. 

Der  leichteren  Übersicht  wegen ,  und  um  die  grosse 
Zahl  der  Rasselgeräusche  etwas  zu  vereinfachen,  theilen  wir 
dieselben  in  trockene  Qronchi  siccQ,  welche,  wenn  die 
Luft  durch  eine  verengte  Stelle  sich  Bahn  bricht,  entstehen, 
und  in  feuchte  Qronchi  humidi),  welche  durch  Bewegung 
von  Flüssigkeiten  von  Seite  des  Luftstromes  erzeugt  werden, 
und  glauben  durch  Vereinfachung  der  Eintheilung  dem  Stu- 
dium förderlicher  zu  sein,  als  wenn  wir,  wie  Fournet, 
27  Arten  von  Rasselgeräuschen  annehmen. 

16  # 


944 

a)    Die    trockenen  Rasselgeräusche. 

Deren  gibt  es  zwei  Varietäten,  das  pfeifende  fr.  $i- 
bilans)  und  das  schnurrende  oder  schnarchende  Ras- 
seln fr.  sonorus). 

Im  Allgemeinen  können  wir  sagen,  dass  je  dünner  der 
Bronchialast  ist,  in  welchem  das  Rasselgeräusch  entsteht, 
sich  dieses  desto  mehr  dem  Pfeifen  nähert,  dass  ein  grösse- 
res Lumen  desselben  aber  die  Entstehung  des  Schnurrens  be- 
günstige. Die  Ursachen  der  Verengerung  des  Bronchialastes 
sind:  Anschwellung  oder  Anwulstung  der  Schleimhaut,  wie 
sie  im  Bronchialcatarrhe  vorkommt,  oder  Compression  durch 
Lobular -Hepatisation,  geschwollene  Lymphdrüsen  u.  s.  w., 
welch  letzterer  Grund  aber  noch  nicht  erwiesen  ist. 

Die  trockenen  Rasselgeräusche  sind  bald  kurz,  bald  ge- 
dehnt, bald  schwach,  wie  aus  der  Ferne,  bald  oberflächlich 
und  so  stark,  dass  man  sie  durch  die  aufgelegte  Hand  füh- 
len kann ,  und  durch  sie  das  Athmungsgeräusch  vollkommen 
gedeckt,  und  andere  Schallmodificationen  gänzlich  maskirt 
werden  können.  Die  trockenen  Rasselgeräusche  fallen  mit 
beiden  Tempos  der  Respiration  zusammen,  oder  gehören  vor- 
zugsweise dem  Ausathmen  an,  und  werden  durch  tiefes 
Einathmen  und  Husten  verstärkt. 

Das  Pfeifen  oder  Zischen  ist  meist  Begleitej  verbrei- 
teter Catarrhe  ,  verschwindet  nicht  leicht  nach  geschehener 
Expectoration ,  verbindet  sich  mit  andern  Rasselgeräuschen, 
dem  Schnurren   oder   dem  feuchten  Rasseln. 

Das  Schnurren  gleicht  bald  dem  Schnarchen  eines 
Schlafenden,  bald  dem  Girren  einer  Turteltaube,  bald  dem 
Summen  einer  Basssaite.  Es  ist  meistens  verbreitet  zu  hören, 
und  so  stark,  dass  man  es  auch  äusserlich  fühlen  kann,  geht 
stufenweise  in  Schleimrasseln  und  in  vesiculäres  Athmen 
über,  und  verbindet  sich  mit  dem  Pfeifen ,  dem  amphorischen 
Wiederhalle  und  dem  Metallklingen. 

(Hierher  glauben  wir  auch  das  von  Andry#)  be- 
schriebene   trockene    Knattern    rechnen    zu  müssen, 

*)  1.  c  p.  152. 


245 

welches  dem  Ohre  den  Eindruck  von  mehreren  sich  schnell 
wiederholenden  kleinen  Rissen  gibt.  Es  soll  ausschliesslich 
der  Inspiration  angehören  und  dürfte,  wenn  es  einen  metalli- 
schen Timbre  hat,  dem  cavernulösen  Rasseln  von  Hirtz 
entsprechen.) 

Dass  die  trockenen  Rasselgeräusche  fern  von  ihrem  Ent- 
stehungsorte  in  ganzer  Stärke  gehört  werden  können  ,  thei- 
len  sie  mit  allen  übrigen  Geräuschen ,  unter  der  Vorausse- 
tzung, dass  die  bei  dem  Bronchialathmen  schon  besprochenen 
Bedingungen  zur  Consonanz  erfüllt  werden.  Es  ist  aber  nicht 
leicht  zu  bestimmen ,  ob  ein  vorhandenes  trockenes  Rasseln, 
ein  consonirendes  sei;  doch  muss  zu  seiner  Entstehung  un- 
wegsames Lungengewebe  vorhanden ,  dasselbe  somit  von 
gedämpftem  Percussionsschalle  begleitet  sein. 

Die  klinische  Bedeutung  des  trockenen  Rasseins  ist  im- 
mer Catarrh  der  Luftwege;  bestehet  nun  dieser  für  sich,  oder 
sei  er  Begleiter  anderer  Krankheitsprocesse,  als:  der  Pneu- 
monie, des  Typhus,  des  vesiculären  Lungenemphysems  u.  s.  w. 
Auch  im  nervösen  Asthma,  dessen  Exsistenz  ,  meiner  Mei- 
nung nach,  doch  zu  viel  angefochten  wird,  ist  das  trockene 
Rasseln  während  der  Anfälle  bemerkt,  und  einer  krampfhaften 
Zusammenziehung  der  Bronchien  zugeschrieben  worden. 
Wäre  es  nicht  möglich,  dass  in  diesem  Falle  durch  die  ge- 
störte Innervation  auch  die  Secretion  der  Schleimhaut  ver- 
mindert, und  dadurch  zur  Erzeugung  eines  trockenen  Rassel- 
geräusches Einiges  beigetragen  werde?  (Beau.) 

b)    Die    feuchten    Rasselgeräusche. 

Trifft  die  eingeathmete  Luft  bei  ihrem  Einströmen  in  den 
Brusträumen  Flüssigkeit ,  so  wird  letztere  in  Blasen  aufge- 
worfen ,  welche  mit  einem  eigenen  Geräusche  zerspringen, 
was  uns  das  feuchte  Rasseln  darstellt.  Diess  Geräusch  ist 
verschieden,  je  nach  der  Grösse  der  Blasen,  durch  welche  es 
veranlasst  wird;  diese  aber  sind  von  der  Weite  der  Räume,  in 
welchen  sie  entstehen ,  abhängig.  Sind  letztere  sehr  klein, 


246 

z.B.  einzelne  Lungenzellchen,  so  können  die  darin  erzeug- 
ten Bläschen  auch  nur  sehr  klein  sein ;  sind  die  Räume  be- 
trächtlicher ,  so  ist  für  grössere  Blasen  Platz ,  wie  in  den 
Bronchien  oder  in  Cavernen.  Die  Lungenzellchen  sind  alle 
gleich  gross  ;  die  nothwendige  Folge  davon  ist,  dass  auch  die 
in  denselben  entstehenden  Bläschen  gleichförmig  sein 
müssen,  nebstdem,  dass  sie  sehr  klein  sind.  In  den  Bron- 
chien und  in  Excavationen  aber  entstehen  grosse  Blasen, 
nebst  vielen  kleineren  neben  einander.  Das  grossblasige 
Rasselgeräusch  muss  sich  somit  als  ein  ungleichblasiges  dar- 
stellen. 

Diesem  Umstände  zu  Folge  ergibt  sich  die  natürliche 
Eintheilung  der  feuchten  Rasselgeräusche  in  das  feinbla- 
sige, gleichförmige,  oder  Knistern  Qronchus  cre- 
pitansy  r.  cum  bullulis  minimis  aequalibus  seu  crepita- 
tio  vesicularis~)  und  in  das  grossblasige,  ungleich- 
förmige oder  Schleim  rasseln  Bronchus  mucosus }  s.  r. 
cum  bullulis  inaequalibus  majoribusj. 

Das  Knistern  wird  dem  Geräusche  des  in  einem 
massig  heissen  Kessel  verpuffenden  Salzes ,  oder  dem ,  das 
durch  Drücken  einer  gesunden  Lunge  zwischen  den  Fingern 
hervorgebracht  wird,  oder  das  die  Ausdehnung  eines  nassen, 
zusammengedrückten  Schwammes ,  der  an  das  Ohr  gebracht 
wird,  erzeugt,  oder  endlich  dem  Geräusche  eines  am  Ohre 
geriebenen  Haarbüschels  nicht  unpassend  verglichen;  doch 
ist  es  nur  möglich  diese  Ähnlichkeiten  treffend  zu  finden, 
wenn  man  das  Knistern  schon  selbst  gehört  hat. 

Dasselbe  fällt  durch  die  grosse  Zahl  von  Bläschen  auf, 
die,  wie  mit  einem  Schlage,  mit  der  Inspiration  unter  dem  Ohre 
entstehen ,  und  in  demselben  den  Eindruck  ihrer  vollkomme- 
nen Gleichförmigkeit  hinterlassen.  Die  Form  der  Blasen,  ih- 
re Kleinheit  und  Gleichförmigkeit  gibt  unserem  Gehörorgane 
die  genaueste  Beschreibung  der  räumlichen  Verhältnisse  der 
Lungenzellen.   (Dance.) 

Das  Zeilknistern  wird  fast  nur  mit  dem  Einathmen  ge- 


247 

hört,  durch  tiefe  Inspirationen  verstärkt,  durch  Husten  nicht 
verändert,  ist  von  verschiedener  Ausdehnung  und  geht  stu- 
fenweise in  andere  Rasselgeräusche  über,  pflanzt  sich  weder 
in  die  Entfernung*  fort,  noch  wird  es  dureh  Consonanz  ver- 
stärkt. Es  kann  übrigens  an  allen  Stellen  der  Brust  vorkom- 
men ,  wird  aber  am  häufigsten  an  deren  Rückenfläche  nach 
abwärts  zu  wahrgenommen. 

Ein  vorübergehendes  Knistern,  das  häufig  an  Kranken 
gleich  bei  den  ersten  Athemzügen,  die  sie  im  Aufsitzen  ma- 
chen, gefunden  wird,  ist  dem  in  Rede  stehenden  vollkommen 
ähnlich,  doch  von  keiner  pathologischen  Bedeutung,  da  es 
nur  der  Entfaltung  von  Lungenzellen  ,  die  seit  längerer  Zeit 
und  in  der  früheren  Lage  mehr  unthätig  waren ,  zuzuschrei- 
ben ist. 

Das  Knistern  zeigt  an,  dass  die  Wege,  in  welchen  es 
entsteht,  zwar  Flüssigkeit  enthalten,  aber  der  Luft  dennoch 
zugänglich  sind.  Es  ist  im  Beginne  der  Pneumonie  ein  äus- 
serst werthvolles  Zeichen  und  jene  Fälle,  in  welchen  es 
nicht  gefunden  wird,  sind  entweder  schon  im  Stadium  der 
Hepatisation,  wenn  sie  vor  das  Ohr  des  Beobachters  kom- 
men, wie  es  in  Spitälern  meistens  der  Fall  ist,  oder  die 
Pneumonie  beginnt  in  einer  tiefern  ,  dem  Gehörssinne  weni- 
ger zugänglichen  Stelle  der  Lunge,  und  bietet  schnell,  wenn 
sie  der  Oberfläche  sich  nähert,  die  Zeichen  des  zweiten  Sta- 
diums dar ,  so  dass  die  Crepitation  bisweilen  im  Beginne  der 
Lungenentzündung  nicht  beobachtet  wird;  doch  erscheint  sie 
immer  im  Stadium  der  Lösung,  vermengt  sich  aber  dann 
häufig  mit  dem  in  den  Bronchien  erzeugten  Schleimrasseln, 
und  stellt  als  Rone  hu  s  r  edux  (Lännec)  kein  so  reines 
Bild  des  Zellenknisterns  dar,  als  es  im  ersten  Stadium  zu 
beobachten  ist. 

Eine  Abart  der  Crepitation  ist  das  Capillarknistern 
QCrepitatio  capillaris,  linearis),  das  in  der  Bronchitis  ca- 
pillaris  und  Congestionen  in  den  feinsten  Bronchialzweigen 
beobachtet  wird.  Es  ist  feiner,  als  das  gewöhnliche  Knistern 


248 

und  wie  es  scheint,  schon  von  Fournet  erkannt  worden. 
Ein  ausgezeichneter  Fall  davon  ward  auf  der  medicinischen 
Klinik  im  vorigen  Jahre  beobachtet.  Er  betraf  ein  robustes, 
vollblütiges  Mädchen,  an  welchem  das  Geräusch  durch  meh- 
rere Wochen  zu  hören  war,  und  nur  nach  Blutentleerungen 
auf  kurze  Zeit  verschwand. 

Die  Crepitatio  vesicularis  wird  ausser  der  Pneumonie 
noch  im  Lungenödeme  und  hämoptoischen  Infarctus  gefunden. 

(L an  nee  spricht  noch  von  einem  trockenen  Knister- 
rasseln oder  Knattern,  dem  zu  vergleichen ,  welches  durch 
Aufblasen  einer  trockenen  Schweinsblase  entsteht,  und  schreibt 
es  dem  interlobulären  Lungenemphyseme  zu;  doch  scheint  es 
kein  eigenthümliches  Rasselgeräusch  zu  sein,  sondern  durch 
gleichzeitiges  Auftreten  von  trockenem  und  von  Schleimras- 
seln zu  entstehen.) 

Das  Schleimrasseln  äussert  sich  durch  ein  bro- 
delndes Geräusch  ,  dem  ähnlich,  das  durch  Blasen  aus  einem 
Federkiele  in  einer  Flüssigkeit  erzeugt  wird.  Da  es  in  wei- 
teren Räumen  entsteht,  als  in  den  Lungenzellen,  so  sind 
die  Blasen  von  ungleicher  Grösse;  es  ist  zuweilen  sehr  stärk 
hörbar,  zuweilen  aber  sehr  schwach,  besonders  wenn  nur 
wenig  Flüssigkeit  vorhanden  ist ,  gehört  beiden  Athmungs- 
momenten  an,  kann  an  jeder  Stelle  der  Brust  gehört  werden 
und  verschwinden ,  wenn  die  in  den  Bronchien  angesam- 
melte Flüssigkeit  durch  Expectoration  entfernt  wird ,  auf  so 
lange,  bis  sich  solche  wieder  ansammelt. 

Das  Schleimrasseln  kann  sich  von  seinem  Entstehungs- 
orte ,  an  Stärke  abnehmend ,  weiter  verbreiten ,  und  selbst 
durch  Consonanz  über  luftleeren  Partien  gehört  werden,  und 
wird  in  diesem  Falle  durch  die  gleichzeitige  Dämpfung  des 
Percussionsschalles  als  consonirendes  Rasseln  mit  Sicher- 
heit erkannt. 

Andry  stellt  3  Varietäten  des  Schleimrasselns  auf, 
welche  sich  aber  lediglich  nur  auf  den  durch  die  Grösse  der 
Blasen  zu  bemessenden  Caliber  der  Bronchien  beziehen.  Für 


249 

die  Diagnose  dürfte  es  hinreichend  sein ,  das  Schleimras- 
seln als  solches  zu  erkennen ,  ohne  weiter  sich  auf  Abschä- 
tzung* derBlasengrössen  einzulassen  ,  die  ohnediess  nur  dann 
verlässlich  sein  kann ,  wenn  sie  auffallende  Merkmale  dar- 
bietet. 

So  kann  man  zuweilen  das  Schleimrasseln  alsGurgel- 
rasseln  erkennen,  wenn  nämlich  die  Blasen  besonders  gross 
sind.  Es  bedeutet  dann ,  besonders  wenn  es  an  der  Clavicu- 
largcgend  vorkommt,  Sinuositäten  und  Cavernen  in  der  Lunge. 
Zuweilen  verbindet  es  sich  mit  der  cavernösen  Respiration, 
und  erlangt  dann  einen  eigenthümlichen  Timbre  als  caver- 
nöses  Rasseln. 

(Hirtz's  cavernulöses  Rasseln  ist,  wie  der 
Name  anzeigt ,  ein  Diminutivum  des  vorigen ,  und  bezeich- 
net die  beginnende  Erweichung  von  Lungentuberkeln ;  ist 
es  zur  Bildung*  grösserer  Höhlen  gekommen  ,  so  gibt  sich 
diese  durch  cavernöses  Rasseln  kund.  Ich  erkenne  daher  in 
dem  cavernulösen  Rasseln  nichts  als  eine  Übergangsform 
des  Knisterns  in  das  Schleim-  und  Gurgelrasseln.) 

Anhang". 

Auscultation    des    Hustens. 

Der  Husten  gibt  sich  an  Gesunden  dem  angelegten  Ohre 
nur  als  dumpfes ,  undeutliches  Geräusch  zu  erkennen ,  das 
zwar  über  den  ganzen  Thorax  verbreitet  ist,  aber  in  dem 
Masse  stärker  gehört  wird  ,  je  näher  man  mit  dem  Ohre  dem 
Bronchial-Hauptstamme  rückt.  Dort  und  an  der  Trachea  wird 
dasselbe  gleichsam  von  dem  Stosse  der  bewegten  Luftsäule 
gehoben. 

Dass  der  Husten  unter  den  Bedingungen  zur  Conso- 
nanz  über  kleinen  Bronchialzweigen  so  stark  oder  noch 
kräftiger  gehört  werden  kann ,  als  über  der  Trachea ,  findet 
auf  gleiche  Weise  wie  das  Bronchialathmen  seine  Erklä- 
rung. Ebenso  erscheint   der  Husten  über  einer  grossen  Ca- 


250 

verne  eigenthürnlich  hohl,  und  kann  dem  aufgelegten  Ohre 
selbst  durch  ein  Andrängen  eine  Art  von  Choc  auffallen , 
dessen  Begränzung  den  Umfang  der  Caverne  bezeichnet. 
(Andry.)  Dass  der  Husten  sich  unter  diesen  Umständen 
mit  der  cavernösen  Respiration  verbinden  müsse,  ist  ein- 
leuchtend. 

Gleichfalls  können  der  amphorische  Widerhall  und  das 
metallische  Klingen  dem  Husten  eigenthümliche  Charaktere 
aufprägen. 

Doch  sind  die  meisten  Zeichen ,  welche  durch  die  Aus- 
cultation  des  Hustens  gewonnen  werden,  nicht  erheblich  und 
dieselbe  leistet  oft  nur  dann  eigentliche  Dienste,  wenn  der 
Husten  Geräusche  hervorruft  oder  verdeutlichet,  deren  phy- 
sicalische  Bedingungen  schon  vorhanden  waren ,  die  aber 
nicht  ausgesprochen  genug  erschienen. 

So  wird  das  Knisterrasseln  oft  durch  den  Husten  deut- 
licher, indem  die  dadurch  mit  grosser  Gewalt  in  die  Lun- 
genzellchen  getriebene  Luft  diese  ausdehnt,  selbst  an 
Stellen ,  an  welchen  sie  selbst  beim  tiefen  Einathmen  sich 
nicht  vollständig  entfaltet  hätten. 

Bronchiales  Athmen  und  manches  andere  abnorme  Phä- 
nomen wird  zuweilen  erst  dann  bemerkbar ,  wenn  Schleim- 
pfröpfe ,  welche  das  Eindringen  der  Luft  in  einem  be- 
stimmten Lungenabschnitt  hinderten ,  durch  Husten  entfernt 
wurden. 

Dasselbe  gilt  zuweilen  vom  verminderten  Athmen,  das, 
wenn  kein  anderes  materielles  Hinderniss  der  Respiration 
vorhanden  ist ,  nach  Entfernung  des  Auswurfstoffes  in  un- 
geschwächter Stärke  erscheint. 

Kleine  Kinder  sind  oft  nicht  zu  bewegen,    behufs  der 
Untersuchung    tiefer  einzuathmen.    In    diesem   Falle  kommt 
der  Husten  dem  Wunsche  des  Arztes  trefflich  zu  Statten. 
Auscultation  der  Stimme. 

Das  technische  Verfahren  bei  der  Auscultation  der  Stimme 
ist  nicht  anders,  als  bei  der  des  Athmens;  doch  ist  zu  be- 


251 

merken ,  dass  man  das  Ohr  weder  zu  fest  anlegen  darf,  weil 
sonst  die  Stimme  weniger  klar  gehört  wird,  noch  zu  leicht, 
indem  sonst  sich  die  Meckerstimme  erzeugen  kann.  Der 
Kranke  sitzt  meistens  bei  der  Untersuchung,  und  muss  ziem- 
lich laut  sprechen  oder  zählen. 

Wer  nicht  geübt  ist,  von  der  aus  dem  Munde  des  Kran- 
ken dringenden  Stimme  zu  abstrahiren ,  möge  sich  während 
der  Untersuchung  das  nicht  beschäftigte  Ohr  mit  einem  Fin- 
ger verstopfen. 

Physiologische  Erscheinungen  an  der  Stimme. 

Die  Stimme  bildet  sich  im  Larynx,  und  setzt  sich  von 
da  mit  abnehmender  Stärke  durch  den  ganzen  Respirations- 
apparat fort;  sie  ist  somit,  so  wie  wir  sie  am  Thorax  hören, 
nur  der  Widerhall  der  im  Kehlkopf  erzeugten  Töne. 

Auscultirt  man  über  dem  Larynx  und  dem  Anfange  der 
Trachea,  so  schlägt  die  Stimme  stark  und  kräftig  an  das 
Ohr,  wiewohl  hölzern  und  leer,  indem  sie  erst  aus  dem 
Munde  sonorer  dringt,  durch  dessen  Bau  und  den  der  Ra- 
chenhöhle modificirt.  Am  oberen  Theile  des  Thorax,  nach 
dem  Verlaufe  der  Luftröhre  und  deren  Äste  wird  sie  auch 
noch  so  stark  gehört,  doch  um  so  schwächer,  je  weiter  sich 
das  Ohr  vom  Kehlkopfe  entfernt ,  bis  sie  endlich  nur  als  un- 
deutliches Summen  oder  Murmeln  vernommen  werden  kann, 
das  an  beiden  Thoraxhälften  gleich  stark  ist ,  und  dessen 
Schallvibrationen  auch  die  aufgelegte  Hand  fühlt,  besonders 
wenn  die  Brustwandungen  elastisch  und  biegsam  sind. 

Fragt  man  nach  dem  Grunde  der  verschiedenen  Stärke  der 
Stimme  an  den  verschiedenen  Orten  der  Brust ,  so  erklärt 
sich  diese  Erscheinung  in  Folgendem : 

Die  Stimme ,  welche  über  dem  Larynx  und  der  Trachea 
gehört  wird,  dringt  fast  unmittelbar  vom  Orte  der  Entste- 
hung durch  das  Stethoscop,  und  wird  daselbst  durch  Reflexion 
der  Schallwellen  von  den  festen  Wandungen  wesentlich  ver- 
stärkt;  in  den  feinen  Bronchialästen  aber  und  den  Lungen- 


252 

zellen  sind  keine  knorpeligen  Wände  mehr  vorhanden,  durch 
welche  die  Stimme  zusammengehalten  und  reflectirt  würde; 
sie  wird  im  Gegentheile  durch  die  zahllose  Verästelung  der 
Bronchien  noch  mehr  gebrochen  und  geschwächt,  und  durch 
das  schwammige  Lungengewebe,  das  ein  schlechter  Schall- 
leiterist, nur  undeutlich  dem  Ohre  des  Beobachters  zugemittelt. 

Übrigens  ist  die  normale  Stimme  noch  zahlreicher  Mo- 
dificationen  fähig ;  sie  erscheint  am  Kinde  sehr  schwach  und  am 
Greise  selbst  etwas  meckernd  ,  am  Manne  stark  und  kräftig, 
hat  bei  den  Weibern  weniger  Widerhall  und  verliert  in  man- 
chen Zuständen,  z.  B.  bei  Heiserkeit,  vollends  ihr  Timbre. 
Am  rechten  untern  Schulterblattwinkel  ist  sie  nicht  selten 
stärker  ,  als  an  der  entsprechenden  Stelle  linkerseits,  wegen 
des  daselbst  befindlichen  weiteren  Bronchialastes.  Zugleich 
wird  man  finden,  dass  diebedeckenden  Weichtheile  der  Brust 
bei  stärkerer  Entwickelung  die  Stimme  um  kein  Geringes  zu 
dämpfen  vermögen. 

Die  normalen  Charaktere  der  Stimme  sollen  daher  mehr 
relativ  als  absolut  bestimmt,  und  immer  beide  Brusthälften 
vergleichungsweise  untersucht  werden ,  um  so  mehr ,  da  die 
durch  ihre  Betrachtnahme  gewonnenen  stethoscopischen  Zei- 
chen bei  weitem  nicht  die  Wichtigkeit  haben,  als  die  krank- 
haften Geräusche  des  Athmens,  und  nur  accessorische  Be- 
lehrungen ergeben. 

Pathologische  Erscheinungen  an  der  Stimme. 

Schon  eine  oberflächliche  Betrachtung  der  pathologi- 
schen Zustände ,  deren  wir  bei  Abhandlung  der  krankhaften 
Athmungsgeräusche  Erwähnung  gethan,  führt  zu  der  An- 
nahme, dass  dieselben  nothwendig  auch  die  Stimme  auf  ähn- 
liche Weise  verändern  müssen ,  wie  die  Respiration  —  einer 
Annahme,  welche  mit  der  Erfahrung  vollkommen  im  Ein- 
klänge steht. 

Wir  haben  folgende  Varietäten  der  krankhaften  Stimme 
zu  betrachten : 


253 

1.  Die  Broncbialstimme  oder  Bronchophonie ; 

2.  Die  meckernde  Stimme  oder  Ägophonie ; 

3.  Die  cavernöse  Stimme  oder  Peetoriloquie. 

1.  Die  Bronchophonie. 

Ein  stärkerer  Wiederhall  der  Stimme  an  Stellen  ,  wo  sie 
im  Normalzustande  sich  nur  als  Summen  kund  gibt,  wird 
Bronchophonie  genannt. 

Sie  ist  zuweilen  krankhaft  so  verstärkt ,  dass  sie  an 
Kraft  die  am  Larynx  auscultirte  noch  übertrifft. 

Der  physicalische  Grund  dieser  Erscheinung  liegt  darin, 
dass  die  Stimmschwingungen  aus  dem  Larynx  und  der  Tra- 
chea sich  der  Luftsäule  eines  im  starr  gewordenen  Lungen- 
gewebe verlaufenden  Bronchus  mittheilen,  hier  von  den  Wän- 
den refleetirt,  und  so  durch  Consonanz  verstärkt  werden,  wie 
wir  diess  vom  bronchialen  Athmungsgeräusche  angenommen 
haben. 

Dass  der  Anstoss  der  Stimme  auf  das  verdichtete  Lun- 
gengewebe Oscillationen  in  diesem  hervorrufe,  welche  zur 
Verstärkung  des  Schalles  beitragen ,  ist  nicht  wahrschein- 
lich ,  da  in  allen  Fällen  ,  in  welchen  Bronchophonie  zu  hören 
ist,  die  normalen  Stimmvibrationen  von  der  aufgelegten  Hand 
vermindert  gefunden  werden.  Dass  aber  die  Schallschwingun- 
gen von  dem  verdichteten  Lungengewebe  grösstentheils  auf- 
genommen ,  gleichsam  gebunden  und  an  ihrer  Zerstreuung 
gehindert  werden ,  dass  sie  dann  von  diesem  unmittelbar  in 
das  angelegte  Ohr  gelangen ,  wollen  wir  gerne  zugeben. 

Die  Eintheilung  der  Bronchophonie  in  eine  schwache 
und  starke  ist  willkürlich,  und  bei  einem  Phänomene  von 
so  accessorischer  Wichtigkeit ,  wie  die  Modifikationen  der 
Stimme  überhaupt ,  um  so  überflüssiger ,  da  es  keine  Lun- 
genkrankheit gibt,  in  welcher  wir  nicht  bald  die  starke,  bald 
schwache  Bronchialstimme  hören,  und  keine  von  Beiden  einen 
bestimmten  pathologischen  Zustand  bezeichnet,  der  sich  nicht 


254 

auch  durch  bronchiales  Athmen  und  gedämpften  Percussions- 
schall  zu  erkennen  gibt. 

Wir  hören  die  Bronchophonie  bald  so  stark,  dass  sie  das 
Ohr  erschüttert ,  bald  schwächer  in  folgenden  Zuständen  : 

1.  Bei  ausgebreiteter  Hepatisation.  Lobuläre  und  cen- 
trale Pneumonien  sind  von  keiner  hörbaren  Verstärkung  der 
Stimme  begleitet ,  da  das  umgebende ,  gesunde  Lungenge- 
webe die  vermittelnde  Schallleitung  verhindert. 

2.  Bei  pleuritischem  Exsudate.  Hier  wird  die 
Stärke  der  Stimme  häufig  durch  die  vorhandene  Flüssigkeit 
gebrochen  und  ist,  so  wie  der  Bronchialhauch,  nicht  immer 
aulfallend ;  doch  wird  sie  besonders  im  Niveau  der  Flüssig- 
keit oft  vermehrt  gefunden. 

3.  Bei  gleichzeitiger  Hep  atisation  und  Pleuritis. 

4.  Bei  Lungeninduration,  welche  nach  Pneu- 
monie zurückblieb. 

5.  Bei  hämorrhagischem  Infarctus,  wenn  er 
bedeutend  genug  und  oberflächlich  ist. 

6.  Bei  tuberculöser  Infiltration,  wenn  durch 
sie  ein  Abschnitt  der  Lungen  unwegsam  geworden  ist ,  in 
welchem  ein  Bronchus  mittleren  Calibers  verläuft;  isolirte 
Tuberkel,  wenn  auch  noch  in  so  grosser  Menge  in  das  Lun- 
gengewebe eingesäet ,  bewirken  keine  Bronchialstimme. 

7.  Dasselbe  gilt  von  Ablagerung  von  Aftermas- 
sen in's  Lungenparenchym. 

8.  Bei  sackförmiger  Erweiterung  der  Bron- 
chien kann  auch  Bronchophonie  vernommen  werden. 

2.  Die  Ägophonie. 

Dieselbe  ist  eine  Modification  der  Bronchophonie ,  in 
welcher  die  Stimme  einen  zitternden  Klang  hat ,  so  dass  sie 
dem  Meckern  einer  Ziege ,  dem  Tone  einer  Oboe  oder  je- 
nem, in  welchem  man  gewöhnlich  den  Polichinell  reden  lässt, 
oder  den  die  eigene  Stimme  annimmt;    wenn  man  mit  einer 


255 

beinernen  Spielmarke  zwischen  den  Zähnen  spricht ,  nicht 
unähnlich  erscheint. 

Die  Ägophonie  begleitet  zuweilen  ganze  Sätze ,  häufig' 
aber  nur  deren  Endigungen  oder  einzelne  Worte,  und  scheint 
oft  mehr  ein  aus  der  Ferne  tönendes  Echo  der  Stimme,  als 
diese  selbst  zu  sein.  Meistens  kommt  sie  am  Rücken ,  am 
unteren  Schulterblattwinkel  vor,  ist  selten  von  langer  Dauer, 
wechselt  oft  mit  reiner  Bronchophonie  oder  mit  verminder- 
tem Athem  ab,  und  wird  nicht  selten  vom  Reibungsgeräusche 
der  Pleura  begleitet. 

Lännec  sucht  die  physicalische  Ursache  dieser  Er- 
scheinung in  einer  halben  Compression  der  Bronchien  ,  wo- 
durch diese  flach  gedrückt,  wie  die  Mundstücke  der  Oboe 
oder  des  Fagottes  werden.  Ist  die  Compression  zu  stark, 
so  verschwindet  die  Ägophonie. 

Nebstdem  scheint  die  Gegenwart  von  Flüssigkeit  zu  ih- 
rer Erzeugung  wesentlich  beizutragen,  indem  Abflachung 
der  Bronchien  beobachtet  wurde,  ohne  Ägophonie  zu  er- 
zeugen. 

Sie  ist  im  Bunde  mit  den  übrigen  betreffenden  physica- 
lischen  Zeichen  ein  schätzbares,  aber  nicht  constantes  Symp- 
tom des  pleuritischen  Ergusses  •,  sie  erscheint  ferner,  nach 
den  Forschungen  des  hochverdienten  Prof.  Schuht)  bei 
Verdichtung  des  Gewebes  in  der  Pneumonie  und  tuberculöser 
Infiltration ,  wenn  der  vorliegende  Schleim  die  bessere  Zu- 
leitung des  Schalles  und  somit  die  Entwicklung  der  Bron- 
chophonie hindert.  Es  ist  nicht  gar  selten  in  diesen  Krank- 
heiten ,  dass  gewisse  Worte  und  Silben  bronchophonisch , 
andere  hingegen  ägophonisch  klingen.  Eben  so  bemerkt  man 
bisweilen  sehr  deutlich ,  wie  oft  plötzlich,  z.  B.  nach  einem 
Husten,  wodurch  sich  an  irgend  einer  Stelle  Schleim  löst, 
die  Ägophonie  in  Bronchophonie  übergeht.  Dieser  Wechsel 
tritt  während  des  Horchens  oft  einige  Male  ein. 


*)  Med.  Jahrb.  des  k.  k.  öst.  Staates  17.  Band  III,  Stk,  p.  383. 


266 

»Da  nach  dem  Gesagten  die  Ägophonie  sowohl  bei  Pneu- 
monien ,  als  beim  Exsudate  vorkommen  kann ,  so  braucht 
man  nur ,  um  die  Krankheit  zu  bestimmen ,  die  entgegenge- 
setzte Stelle  von  jener,  wo  sich  die  Ägophonie  hören  lässt, 
zu  untersuchen.  Zeigt  nämlich  Percussion  und  Auscultation 
an  der  vorderen  Brustgegend  nichts  Krankhaftes  in  der  Lunge, 
so  ist  das  ein  hinreichender  Beweis,  dass  dieser  Erscheinung 
Pneumonie,  und  nicht  ein  Exsudat  zu  Grunde  liegt,  weil 
beim  Exsudate  nur  dann  Ägophonie  auftritt,  wenn  die  Lunge 
von  mehreren  Seiten  comprimirt  wird.« 

3.  Die    cavernöse  Stimme. 

Ist  gleichfalls  eine  Modifikation  der  Bronchophonie ,  wo 
die  Stimme  in  dem  hohlen  Räume  so  concentrirt  bleibt,  dass 
sie  dem  Ohre  sich  gleichsam  derart  überliefert,  als  ob  sie  ge- 
rade unter  demselben  entstände,  und  zuweilen  mit  derselben 
Stärke ,  welche  die  Töne ,  die  am  Larynx  und  der  Trachea 
zu  hören  sind,  characterisirt. 

Die  so  bedeutende  Verstärkung  der  Stimme,  dass  es  den 
Anschein  hat,  als  ob  der  Kranke  unmittelbar  aus  der  Brust 
spräche ,  daher  sie  von  L  ä  n  n  e  c  Pectoriloquie  genannt 
wurde,  erkennt  in  der  regelmässigen  Gestalt  der  Caverne , 
ihren  starren  Wänden ,  der  nothwendigen  freien  Communi- 
cation  mit  einem  Bronchus  und  der  oberflächlichen  Lage  der- 
selben unter  dünnen  und  elastischen  Bedeckungen  die  Be- 
dingnisse ihrer  Entstehung,  denn  nur  unter  Erfüllung  dieser 
ist  Verstärkung  des  Schalles  durch  Reflexion  möglich. 

Entgegengesetzte  Umstände,  als:  unregelmässige,  si- 
nuöse  Form  der  Caverne ,  weiche  Wände  derselben ,  Ver- 
stopfung des  Bronchialastes  durch  Schleim  u.  s.  w. ,  An- 
wesenheit von  viel  Flüssigkeit  in  der  Höhle  hindern  die  Ent- 
stehung der  cavernösen  Stimme. 

Am  häufigsten  hören  wir  dieselbe  bei  tuberculösen 
Cavernen,    seltener   bei    Lungenabscessen     nach 


257 

Pneumonie  und  bei    sackförmiger  Bronchialerwei- 
terung. 

Übrigens  kann  die  Resonanz  der  Stimme  unter  den  schon 
angegebenen  Umständen  sich  mit  dem  amphorischen 
Wiederhalle  und  dem  metallischen  Klange  ver- 
binden. 

1  n  h  a  11  g« 

Autophonie. 

Seit  Bricheteau's  (1834)  und  Taupin's  Versuchen, 
womit  uns  Beau  und  Hourmann  bekannt  gemacht  haben, 
glaubte  man  in  dem  Wiederhalle  der  Stimme  des  Arztes  in 
der  Brust  des  Kranken ,  ein  Mittel  gefunden  zu  haben  ,  um 
in  Fällen,  in  welchen  der  Kranke  selbst  nicht  sprechen  konnte, 
z.  B.  Aphonie ,  Geistesstörungen ,  Erschöpfung  u.  s.  w. 
über  manche  pathologische  Zustände  Aufschluss  zu  erhalten. 

Wiewohl  ich  die  Überzeugung  hege ,  dass  derlei  Hin- 
dernisse umgehen  zu  können  ,  von  grosser  Wichtigkeit  ist , 
so  dürfte  die  Autophonie  kaum  den  Forderungen  entsprechen, 
welche  man  berechtigt  ist,  an  sie  zu  stellen.  Es  ist  mir 
zwar  zu  wiederholten  Malen  gelungen  ,  einen  Wiederhall 
meiner  Stimme  an  den  Kranken  zu  vernehmen,  doch  konnte 
ich  nie  eine ,  dem  pathologischen  Zustande,  oder  der  Stimme 
des  Patienten ,  welche  dem  gemäss  an  gewissen  Stellen  der 
Brust  eigene  Merkmale  darbot,  entsprechende  Resonanz  mei- 
ner Worte  finden. 


Gaal  Diagnostik.  \^ 


258 


Diagnostik 


der  wichtigsten  Krankheiten  der  Athmungsorgane. 


Pleuritis ,  Rippenfellentzündung. 

Die  Pleura  ist  unter  allen  serösen  Häuten  am  häufigsten 
Sitz  einer  Entzündung  und  am  geeignetsten  die  Metamor- 
phosen derExsudate  an  derselben  zu  studieren.  Die  hier  dar- 
gestellten Charaktere  stimmen  in  Vielem  mit  jenen  der  Ent- 
zündung des  Herzbeutels  überein ,  es  mögen  daher  die  Be- 
schreibungen beider  einander  wechselweise  ergänzen ,  und 
möge  das  an  einem  Orte  Platz  finden ,  dessen  Wiederholung 
am  andern,  der  Kürze  wegen ,  vermieden  ward. 

Eintheilung.  Die  Pleuritis  entsteht  primär,  in 
Folge  traumatischer  Einwirkung,  oder  des  Weiterschreitens 
des  entzündlichen  Processes  von  den  Lungen  auf  die  Pleura, 
oder  die  Berührung  mit  Eiter  oder  Jauche;  secundär  aber 
durch  Eiterresorption  in  Phlebitis  mit  gleichzeitiger  Pericar- 
ditis  oder  Peritonitis.  Sie  ist  bald  auf  beide  Pleuren  ver- 
breitet, bald  umschrieben,  bald  acut,  bald  chro- 
nisch. 

Anatomisch -pathologische   Charaktere. 

Jede  Entzündung  bedingt  Exsudatbildung.  In  der  Pleu- 
ritis wird  das  Entzündungsproduct  von  dem  Parietalblatte  in 
grösserer  Menge  abgesondert ,  als  von  der  Pulmonallamelle, 
und  es  erscheint  dieses  in  kurzer  Frist  auf  der  Membran , 
welche  im  gesunden  Zustande  keine  sichtbaren  Gefässe 
führt ,  entweder  in  ihrem  Gewebe  oder  nach  Abstossung  des 
Epitheliums  ausser  demselben ,  wobei  die  Pleura  von  Seite 
der  unterliegenden  Zellschicht  sich  von  Gefässchen  durchzo- 


259 

gen  zeigt,  welche  bald  sternförmig",  bald  dendritisch  vertheilt, 
bei  reichlicher  Entwickelung  derselben  das  Ansehen  eines 
matt  geschliffenen  rothen  Glases  verleihen. 

Das  abgesetzte  Exsudat  enthält  entweder  Stoffe,  welche 
im  Blute  schon  vorhanden  waren,  als  primäres  Exsu- 
dat (faserstoffiges,  albuminöses,  seröres,  primär- hämor- 
rhagisches), oder  solche,  welche  erst  durch  weitre  Umbil- 
dung der  Blutbestandtheile  auf  secundäre  Weise  sich  er- 
zeugten. (Eitriges,  jauchiges,  tubercuiöses,  krebsiges  und 
secundär-  hämorrhagisches  Exsudat.) 

A.    Primäre    Exsudate. 
1.    Das   faserstoffige  Exsudat. 

Die  ausgeschiedene  Fibrin  erscheint  auf  der  Pleura 
entweder  als  zartflockiger,  abstreifbarer  Beschlag,  oder  ist 
einer  grossem  Menge  Serum  beigemischt,  worin  sie  in  Form 
grösserer  Flocken  schwimmt  und  sich  bald  zu  Boden  setzt. 
Je  mehr  Serum  übrigens  zugleich  mit  abgeschieden  wurde  , 
desto  schwieriger  organisiren  sich  die  plastischen  Bestand- 
theile,  da  ihr  inniger  Contact  mit  dem  entzündeten  Mutter- 
boden dadurch  vermindert  wird-,  im  Gegentheile  aber  kann 
der  Faserstoff  ohne  von  Serum  massig  durchfeuchtet  zu  wer- 
den ,  weder  sich  resorbiren  noch  weiter  organisiren. 

Kommt  keine  Aufsaugung  zu  Stande,  so  kann  das  Ex-' 
sudat  sich,  unter  günstigen  Umständen,  organisiren. 
Es  entwickeln  sich  bei  diesem  Vorgange  microscopisch  nach- 
weisbare Zellenkerne  und  Zellen ,  welche  sich  endlich  zu 
Exsudatfasern  gestalten —  am  frühesten  aber  dort,  wo  der 
unmittelbare  Contact  mit  dem  des  Epithelialüberzuges  be- 
raubten, entzündeten  Mutterboden  Statt  findet;  an  andern 
Stellen  aber  nur  allmälig  oder  gar  nicht.  Durch  die  Ver- 
schmelzung der  Exsudatfasern  bilden  sich  nunEntzündungs- 
schwarten ,  Pseudomembranen ,  die  aus  mehreren  Schich- 
ten bestehen  ,  welche  die  verschiedenen  Entwickelungssta- 
dien  erkennen    lassen.    Ihre   dem  Mutterboden    zugekehrte 

17  # 


960 

Fläche  ist  rauh,  die  freie  glatt,  oder  mit  zarten  Flocken 
besetzt. 

Bilden  sich  in  denselben  Gefässchen,  so  entwickeln  sich 
diese  nie  weiter ,  als  zu  Capillargefässen ,  zerreissen  daher 
aucht  leicht  und  gestatten  dem  Blute  den  Austritt.  Ihre  Ver- 
bindung mit  den  Gefässen  der  Zellschicht  der  Pleura  lässt 
sich  aber  nicht  nachweisen.  Hat  sich  eine  Exsudatschwarte 
organisirt,  so  nimmt  sie  an  allen  krankhaften  Vorgängen  des 
Rippenfelles  selbst  leicht  Antheil. 

Werden  die  serösen  Bestandteile  des  Exsudates  resor- 
birt,  so  bilden  sich  leicht  zwischen  den  beiden  Pleurablättern, 
wo  ihre  Berührung  inniger  ist,  häutige,  wo  aber  grössere 
Beweglichkeit  Statt  findet,  (nach  unten)  zellfädige  Adhä- 
sionen und  Verwachsungen.  Ebenso  entstehen  zuweilen 
in  oder  auf  der  Pleura  die  aus  verfilzten  Fasern  bestehenden 
milchweissen  Sehnen  flecken. 

Ein  nicht  organisirtes  Faserstoffexsudat  kann  ferner 
verkreiden;  dabei  vertrocknet  es,  nimmt  an  Volumen  ab, 
und  wird  durch  Einlagerung  von  Kalksalzen  kreideweiss  ge- 
färbt. Dieser  Vorgang,  der  oft  sehr  ausgebreitet  ist,  so  dass 
man  selbst  grössere  kreidige  Platten  gefunden  hat ,  wird  be- 
sonders durch  die  Nachbarschaft  von  Knochen  begünstigt. 
Die  Benennung  Verknöcherung  ist  dafür  nicht  passend, 
da  in  dem  Exsudate  eigentliche  Knochenelemente  nicht  vor- 
kommen. 

Obsolesciren  wird  ein  Exsudat,  das  von  einem 
dichten  Callus  eingeschlossen,  jedem  Stoffwechsel  und  jeder 
weitern  Metamorphose  entzogen  ist. 

Von  der  Umwandlung  in  Eiter,  Jauche,  Tuberkel  u.  s.  w. 
werden  wir  später  handeln. 

Folgezustände.  Durch  die  Abstossung  des  Epithe- 
liums  werden  die  sich  zugekehrten ,  freien  Pleuraflächen 
rauh  und  reiben  sich  an  einander,  wenn  nicht  ein  gleichzeitiger 
seröser  Erguss  durch  seinen  Druck  die  Lunge  von  der  Brust- 
wand   entfernt.    Die  betreffenden  Intercostalmuskel  werden 


261 

durch  die  Entzündung  ihres  serösen  Überzuges  gelähmt  und 
vorgetrieben,  die  Respirationsbewegungen  der  leidenden 
Seite  vermindert.  Grosse  Faserstoffabscheidungen  sind  mit 
Aufzehrung  der  Blutmasse  und  in  Folge  deren  mit  wächser- 
ner und  subicterischer  Färbung  der  Kranken  in  Verbindung, 
wobei  aber  die  Leber  sich  fast  immer  normal  verhält.  Die 
Zwischen- Rippenmuskel  sowohl  als  die  Lungen -Substanz 
schrumpfen  ein,  und  atrophiren  unter  dem  Drucke  dichter  Ent- 
zündungsschwarten, der  Thorax  flacht  sich  ab,  sinkt  ein  und 
die  Intercos talräume  erscheinen  zuweilen  so  erweitert,  dass 
die  untersten  Rippen  dem  Kamme  des  Darmbeines  sich  nähern. 
Wird  das  Lungengewebe  durch  den  Druck  atrophisch , 
so  wird  der  betreffende  Theil  der  Circulation  entzogen  und  es 
entsteht  auf  eine  weiter  unten  zu  erörternde  Weise  Überful- 
lung  und  in  Folge  deren  Erweiterung ,  selbst  Hypertrophie 
des  rechten  Herzens. 

2.  Das    eiweisssto  ff  ige  Exsudat. 

Dasselbe  wird  nur  bei  albuminöser  Blutmischung ,  wie 
in  der  Kindheit ,  im  Greisenalter,  bei  exanthematischen  und 
typhösen  Processen ,  der  Brightischen  Krankheit  u.  s.  w. 
ausgeschieden,  enthält  nur  wenig  Faserstoff,  und  wird  an 
seiner  Viscidität,  öhlartigen  Dichte,  Färbung  und  seinem 
Fettglanze  leicht  erkannt. 

Es  kann  wohl  leicht  resorbirt  werden,  organisirt  aber 
schwer  und  nur  theilweise,  wird  gerne  in  Eiter  verwandelt 
und  unterliegt  zuweilen  der  Metamorphose  in  Krebsmasse. 

Wird  durch  albuminöse  Abscheidung  ein  grosser  Theil 
plastischer  Bestandtheile  dem  Blute  entzogen,  so  findet  das 
Zustandekommen  einer  hydropischen  oder  selbst  scorbuti- 
schen  Crasis  darin  seine  Erklärung.  Die  mechanischen  Wir- 
kungen sind  dieselben ,  wie  die  der  serösen  Exsudate. 

3.   Das   seröse   Exsudat. 
Besteht  dasselbe  gleich  aus  Serum,  so  ist  es  doch  nicht 
ohne  Beimischung  plastischer  Bestandtheile ,  welche  sich  in 


262 

ihm  zu  Boden  setzen  und  kaum  je  organisiren,  weil  nach 
erfolgter  Resorption  des  flüssigen  Theiles  die  Entzündung  im 
Mutterboden  langst  erloschen  ist.  Die  Quantität  der  serösen 
Flüssigkeit  beträgt  von  einigen  Unzen  bis  zu  12 — 15  Pfunden. 

Die  Resorption  erfolgt  leicht  und  oft  unerwartet  schnell, 
wird  aber  durch  die  Gegenwart  dichterEntzündungschwarten 
verhindert,  und  ist  meistens  von  leichten,  fieberhaften  Er- 
scheinungen begleitet.  Zu  schnelle  Resorption  bewirkt  oft 
durch  Überladung  des  Blutes  mit  heterogenen  Bestandtheilen 
und  heftigere  Fieberreaction ,  weitere  Entwickelung  in  den 
Lungen  vorhandener  Tuberkel;  tuberculöses  Exsudat  in  den 
Pseudomembranen  hingegen  hemmt  die  Resorption  des  flüssi- 
gen Theiles. 

Folgezustände.  Das  den  Gesetzen  der  Schwere 
gemäss  sich  in  dem  unteren  Theile  des  Thoraxraumes  sam- 
melnde flüssige  Exsudat  comprimirt  den  eingetauchten  Lun- 
gentheil  und  drückt  ihn  bei  steigender  Menge  nach  rück- 
und  aufwärts  gegen  die  Wirbelsäule.  So  wie  in  der  compri- 
mirten  Partie  der  Lungen  die  Luft  verdrängt  wird ,  entsteht 
an  den  Rändern  und  der  Spitze  derselben  emphysematöse 
Auftreibung.  Das  Diaphragma  weicht  der  auf  ihm  ruhenden 
Last  der  Flüssigkeit,  erlahmt  gleichsam  in  seiner  Thätigkeit 
und  sinkt  tiefer  herab.  Ist  das  Exsudat  im  rechten  Brustrau- 
me,  so  wird  der  entsprechende  Leberlappen  nach  abwärts 
gedrückt  und  der  linke  näher  gegen  die  Herzgrube  gedrängt; 
gibt  der  linke  Thorax  dem  Ergüsse  Raum,  so  findet  man  das 
Herz  gegen  das  Brustblatt  verrückt,  und  seine  Spitze  unter 
selbst  jenseits  desselben  pulsirend,  und  die  Milz  am  Hypo- 
chondrium  nicht  selten  stärker  vorragend.  Die  Intercostal- 
muskel  der  leidenden  Seite  werden  paralytisch ,  geben  dem 
Drucke  der  Flüssigkeit  nach,  erscheinen  vorgetrieben  und 
der  Thorax  daselbst  weiter  und  convexer,  als  an  der  entge- 
gengesetzten Seite,  wovon  man  sich  durch  den  Augenschein 
und  genaue  Messungen  überzeugen  kann.  Alle  Zustände, 
weiche  bei   erfolgender  Resorption  des  Exsudates  nach  und 


263 

nach  verschwinden  und  dem  normalen  Verhalten  der  Theile 
wieder  Raum  geben. 

Wird  aber  das  Exsudat  binnen  längerer  Zeit  (6  —  9 
Wochen)  nicht  durch  die  Natur  oder  Kunsthilfe  entfernt,  so 
ist  das  Lungengewebe  schon  seiner  Elasticität  verlustig, 
atrophisch  und  kann  sich  nicht  mehr  ausdehnen.  Dass  durch 
die  aufgehobene  Circulation  in  den  Capillargefässen  des  com- 
primirten  Lungenflügels,  der  Austreibung  des  Venenblutes 
aus  dem  rechten  Herzen  ein  Hinderniss  entgegengestellt  wird 
und  dadurch  passive  Dilatation  des  j  echten  Herzens  mit  oder 
ohne  Hypertrophie  zu  Stande  kommt,  ist  erklärlich.  Die 
gleichzeitig  noch  durch  die  verhinderte  Entkohlung  des 
Blutes  bewirkte  Venosität  desselben  bedingt  chronischen  Ca- 
tarrh  mit  Dyspnoe,  asthmatische  Anfälle,  wässrige  Ergüsse 
in  andere  Höhlen  oder  das  Zellgewebe  der  Haut,  Stasen  im 
Gehirne  u.  s.  w. 

Wird  ein  grösserer  seröser  Erguss  entfernt,  so  kann 
sich  die  paralysirte,  und  oft  mit  unnachgiebiger  Exsudat- 
schwarte überzogene  Lunge  nicht  mehr  ausdehnen,  der 
Thorax  weicht  dem  äussern  Luftdrucke,  sinkt  ein,  flacht  sich 
ab ,  und  nimmt  in  seinen  Durchmessern  ab.  Die  Rippen  rü- 
cken sich  gegenseitig  näher,  ja  schieben  sich  sogar  über 
einander,  Schulter  und  Clavicula  sinken  auf  der  kranken 
Seite  tiefer  herab,  die  Wirbelsäule  verkrümmt  sich  nach  der 
gesunden  Seite  und  weicht,  um  das  Gleichgewicht  herzustel- 
len, in  der  Lendengegend  entgegengesetzt  aus,  ja  selbst 
das  Becken  kann  schief  gestellt  werden. 

Übrigens  wird  die  weitere  Entwickelung  von  Afterge- 
bilden (Tuberkel ,  Krebs)  in  dem  der  Compression  preisge- 
gebenen Theile  der  Lunge  durch  diese  unmöglich  gemacht. 

4.    Das    hämorrhagische   Exsudat. 

Ein  durch  Beimischung  von  Blutfnrbestoff  tingirtes  flüs- 
siges Exsudat  heisst  ein  hämorrhagisches.  So  lange  es  frisch 
ist ,  ist  es  hellroth  und  wird   nach  und  nach  braun,  endlich 


«64 

schwarz,  und  unterliegt  kaum  andern  Metamorphosen,  als 
dass  es,  besonders  bei  grosser  Schwäche  des  Kranken,  bei 
Berührung'  mit  Luft ,  Eiter  oder  Jauche ,  selbst  in  Letztere 
verwandelt  wird. 

Als  Ursache  gelten  grosse  Schwäche,  Scorbut,  acute 
Blutzersetzung,  Typhus,  Exantheme  mit  septischem  Cha- 
rakter, Eitergährung  des  Blutes,  Puerperalprocess  u.  s.  w. 

B.  §ecuudäre  Exsudate. 

1.  Das    eitrige   Exsudat. 

Die  Eiterbildung  ist  der  erste  Schritt  zur  progressiven 
Metarmorphose  eines  faserstoffigen  oder  albuminösen  Exsu- 
dates, das  nun  als  graue  oder  gelbgrünliche,  dickliche  Flüs- 
sigkeit erscheint.  Dieser  Vorgang  kommt  am  frühesten  an 
jenen  Stellen  vor,  welche  mit  dem  entzündlichen  Mutterbo- 
den in  steter  Berührung  sind,  so  dass  wir  an  einem  und  dem- 
selben Exsudate  Eiterzellen  nebst  allen  andern  Bildungsstu- 
fen finden  können. 

Dass  durch  Resorption  der  Flüssigkeit  Eiter,  welcher 
im  dichten  Callus  eingeschlossen  ist,  verdickt  werden  und 
obsolesciren ,  dass  er  durch  Aufnahme  von  Kalksalzen  zur 
Verkreidung  und  zur  Verjauchung  kommen  könne,  sind  Eigen- 
schaften ,  welche  alle  Exsudate  mit  einander  gemein  haben. 

Der  Eiter  durchbohrt  gerne  die  Intercostalmuskel  und 
erscheint  aussen  als  Abscess,  durch  dessen  Öffnung,  wenn  die 
Lunge  nicht  mehr  Elasticität  genug  besitzt,  um  sich  auszu- 
dehnen und  den  leeren  Raum  zu  erfüllen,  Luft  eindringt, 
Verjauchung  des  Exsudates  und  einen  Pneumothorax  bewirkt. 
Dasselbe  geschieht,  wenn  sich  der  Eiter  durch  die  Lungen- 
substanz einen  Weg  zu  den  Bronchien  öffnet.  Dass  sich  der- 
selbe bis  in  die  Bauchhöhle,  an  den  Psoas  versenken  könne, 
ist  einleuchtend. 

2.    Das  jauchige  Exsudat. 
Erlischt  in  einem  Exsudate  die  Lebensfähigkeit  und  ver- 
fällt es   dem   Chemismus ,  so  verwandelt  es  sich  in  Jauche. 


265 

Diesen  Vorgang  begünstigen  Berührung  mit  einer  schon  vor- 
handenen jauchigen  Flüssigkeit,  mit  Wasser  oder  atmo- 
sphärischer Luft  und  Darniederliegen  der  Kräfte,  wie  im  Ty- 
phus ,  Scorbute ,  acuten  anomalen  Exanthemen ,  Eitergäh- 
rung  u.  s.  w.  Dabei  ist  an  keine  weitere  Metamorphose  mehr 
zu  denken,  das  ganze  Exsudat  zerfällt  in  eine  schwarzbraune 
stinkende  Masse ,  aus  der  sich  Gase  entwickeln, 

3.    Das  tuberculöse  Exudat 

Wird  ein  plastisches  Exsudat  nach  6  Wochen  nicht  or- 
ganisirt,  so  verwandelt  es  sich  fast  immer  in  Tuberkelmasse, 
und  zwar  selbst  ohne  Bestehen  einer  tuberculösen  Dyscrasie, 
wenn  es  zu  trocken  ist ,  um  sich  organisiren  zu  können  , 
wenn  z.  B.  eine  zu  schnelle  Entleerung  bei  der  Paracentese, 
oder  gleichzeitige  seröse  Ausscheidungen  in  andern  Organen 
QPericardium,  Bauchhöhle,  Oedema  pulmonum}  dem  pla- 
stischen Exsudate  den  nöthigen  Antheil  an  Serum  entziehen, 
Ebenso  geschieht  es ,  dass  durch  rasche  Organisirung  dich- 
ter Exsudatschwarten,  zunächst  des  Mutterbodens,  deren 
centralem  und  entfernterem  Theile  die  Flüssigkeit  entnom- 
men wird  und  sich  dadurch  selber  in  Case'in  verwandelt. 
Übrigens  kommen  auch  an  der  Oberfläche  der  Pseudomem- 
branen kleine ,  gelbliche  hanfkorngrosse  Tuberkelkörner  vor, 
welche  selten  verjauchen ,  sondern  meistens  obsolesciren 
oder  verkreiden.  Beimischung  von  Blutfarbestoff  bedingt  die 
verschiedene  Pigmentirung  tuberculöser  Exsudate. 

4.    Das    krebsige    Exsudat. 

Albuminöse  Exsudate  werden  fast  nur  unter  dem  Ein- 
flüsse der  Krebsdyscrasie ,  deren  Producte  sich  auch  in  an» 
dem  Organen  vorfinden,  in  Medullarkrebse  verwandelt.  Sie 
erscheinen  als  verschieden  pigmentirte  ,  flachrunde  Knoten, 
von  speckigem  Inhalte  und  verschiedener  Consistenz.  Wer- 
den sie  aufgeschnitten,  so  fliesst  häufig  eine  rahmartige  Flüs- 
sigkeit heraus  ;  der  zugleich  vorhandene  flüssige  Erguss  ist 


966 

entweder  milchig'  oder  durch    secundären    hämorrhagischen 
Erguss  roth  gefärbt. 

Zuweilen  findet  man  die  Jugulardrüsen  gleichfalls  kreb- 
sig* infiltrirt  und  schmerzlos  geschwollen. 

5.  Das  secundär-hämorrhagische    Exsudat. 

Dieses  entsteht  nur  aus  organisirten  Exsudaten ,  wenn 
die  in  derselben  gebildeten  Capillargefässe ,  welche  höch- 
stens zwei  bis  drei  Häute  besitzen ,  bei  Congestionen  zu 
denselben  zerreissen  und  die  Blutkugeln  selbst  in  das  Cavum 
pleurae  austreten.  Das  Blut  coagulirt  sehr  häufig,  wird  aber 
nie  resorbirt. 

Diagnose.  Die  Symptome  der  Pleuritis  ,  verlaufe  sie 
acut  oder  chronisch,  sind  dieselben;  nur  dass  sie  bei  letzte- 
rer weniger  deutlich  entwickelt  erscheinen. 

Allgemeine  Erscheinungen.  Diese  sind  äusserst 
unbeständig.  Das  Seitenstechen  wird  oft  kaum  bemerkt,  Hu- 
sten und  Auswurf  fehlen  sehr  häufig,  die  Lageist  auf  bei- 
den Seiten  möglich  und  Fieber  und  Athembeschwerden  schwin- 
den mit  der  Bildung  des  Exsudates  (oft  schon  den  2len  3ten 
Tag  ). 

Sichere  Anhaltspuncte  gewährt  die  physicalische  Un- 
tersuchnng. 

Inspection.  Ist  der  Schmerz  heftig,  so  kann  der 
Kranke  anfangs  nicht  tief  inspiriren ,  der  Athem  ist  schnell 
und  kurz,  Respiratio  diaphragmatica ,  wenn  die  obern ,  su- 
blimis  wenn  die  untern  Theile  der  Pleura  den  Sitz  der  Ent- 
zündung abgeben. 

Die  Zwischenrippenmuskel  erscheinen  dabei  gelähmt, 
unbeweglich  und  hervorgetrieben,  wenn  die  Flüssigkeit  sich 
unten  gesammelt  hat ;  die  leidende  Seite  sieht  man  zuweilen 
gewölbter  als  die  entgegengesetzte. 

Palpation.  Legt  man  die  Hände  auf  beide  Brusthälf- 
ten flach  auf,  so  wird  die  auf  der  kranken  Seite  befindliche 
Hand  sowohl  durch  die  Athembewegungen  weniger  gehoben 


267 

als  auch  durch  die  heim  Sprechen  im  Normalzustande  fühlba- 
ren Schallvibrationen  gar  nicht  afficirt  (Reynaud).  Exsu- 
dat im  linken  Thoraxraurae ,  welches  das  Herz  aus  seiner 
Lage  verdrängt,  lässt  dessen  Spitze  unter  demSternum  oder 
selbst  im  rechten  Brustraume  fühlbar  anschlagen.  Zuweilen 
wird  auch  die  Reibung  der  durch  plastisches  Exsudat  im 
hohen  Grade  rauh  gewordenen  freien  Pleuraflächen  durch  die 
aufgelegte  Hand  gefühlt. 

Mensuration.  Fast  beständig  wird  durch  die  Men- 
suration  eine  besonders  in  der  untern  Gegend  des  Thorax 
auffallende  Umfangsvergrösserung  der  leidenden  Seite  auf- 
gefunden. Da  aber  der  rechte  normale  Thorax  schon  um  ei- 
nen halben  Zoll  weiter  als  der  linke  ist ,  so  haben  Zeichen 
vermehrten  Umfanges  an  letzterem  grösseren  Werth  als  an 
ersterem. 

Percussion.  Lagen  von  plastischem  Exsudate, 
seihst  von  der  Dicke  einiger  Linien ,  dämpfen  kaum  den 
Schall,  ja  dieser  kann  selbst  tympanitisch  werden  ,  wenn  das 
darunter  befindliche  Lungenparenchym  lufthaltig  ist. 

Seröses  Exsudat  drängt  immer  die  Lungen  nach 
aufwärts,  indem  es  sich  hinten  und  unten  ansammelt  und 
von  da  steigt  die  Lunge ,  liegt  hiebei  fest  an  der  Brustwand 
an  und  nimmt  auch  bei  veränderter  Lage  des  Kranken  keine 
andere  Stellung  ein,  da  sie  fast  immer  durch  zellige  Adhä- 
sionen an  die  benachbarten  Wände  geklebt  ist,  und  da  die 
durch  längere  Zeit  comprimirte  Lunge  schon  in  dem  Grade 
ihrer  Elasticität  bar  ist,  dass  es  längere  Zeit  braucht,  bis 
ein  in  Flüssigkeit  eingetauchter  Lappen  sich  wieder  aus- 
dehnt, wenn  die  Flüssigkeit  durch  veränderte  Lage  sich  von 
ihm  entfernt  und  ein  anderer  nun  an  dessen  Stelle  von  der- 
selben comprimirt  wird.  Bei  veränderter  Lage  des  Kranken 
wird  man  daher  sehr  irren,  wenn  man  einen  veränderten  Per- 
cussionsschall  erwartet.  Sonst  ist  derselbe  dem  Stande  und 
dem  Anwachsen  der  Flüssigkeit  entsprechend  ,  dumpf  und 
leer  in  hohem  Grade ,    mit  bedeutender  Resistenz  ,  darüber 


*68 

findet  man  einen  sonoren  Lungenton ,   der  an  den  Rändern 
zuweilen  tympani  tisch  wird. 

Auscultation.  Beim  Beginne  einer  plastischen  Abla- 
gerung hört  man  einen  feinen  Affrictus ,  der  mit  der  Zu- 
nahme der  Rauhigkeit  der  Pleural!  äehen  sich  zu  solchem 
Grade  steigern  kann,  dass  er  selbst  durch  den  Tastsinn  wahr- 
genommen wird.  Derselbe  dauert  so  lange ,  bis  die  rauhen 
Flächen  sich  an  einander  glatt  gerieben  haben,  und  fehlt,  so 
lange  sie  durch  das  Zwischentreten  eines  serösen  Ergusses 
von  einander  entfernt  gehalten  werden;  nach  dessen  Resorp- 
tion erscheint  häufig  das  Reibungsgeräusch  wieder,  mit  dem 
die  Pleuritis  begonnen.  Wird  es  gehört,  so  schliessen  wir 
auf  Vorhandensein  plastischen  Exsudates ,  ohne  aber  bei 
Abw  esenheit  jenes  das  Restehen  dieses  mit  Bestimmtheit  laug- 
nen  zu  können. 

Bei  flü-ssigem  Ergüsse  finden  wir  an  jenen  Stel- 
len ,  an  welchen  der  matte  Percussionsschall  zu  hören  ist , 
vermindertes  vesiculäres  Athmen,  das  selbst,  besonders  hin- 
ten und  unten ,  gänzlich  schweigen  kann. 

Wird  dabei  eine  Partie  der  Lungen  comprimirt ,  und 
verläuft  darin  ein  Bronchialast,  welcher  dem  Drucke  wider- 
steht ,  so  hören  wir  zuweilen ,  besonders  häufig  unter  dem 
Schulterblattwinkel,  neben  der  Wirbelsäule  oder  in  der  Ach- 
selhöhle bronchiales  Athmen ,  wenn  nicht  so  viel  Flüssigkeit 
vorhanden  ist ,  dass  dadurch  der  comprimirte  Lungenlappen 
zu  weit  von  dem  Ohre  entfernt  gehalten  wird. 

Rasselgeräusche  sind  in  der  Pleuritis  seltener  als  in  der 
Pneumonie,  und  ihr  Vorhandensein  deutet  in  einem  zweifel- 
haften Falle  immer  auf  Letztere.  Unter  den  Bedingungen  zur 
Consonanz  können  auch  an  andern  Stellen  entstandene  Ron- 
chi  über  der  comprimirten  Lungenpartie  liell  und  kräftig  wie- 
derhallend gehört  werden. 

In  gleichem  Schritte  mit  der  Abnahme  des  Athmungs- 
geräusches  wird  auch  die  Stimme  vermindert  wahrgenommen ; 
an  jenen  Stellen  aber,  an   welchen  bronchiales  Athmen  er- 


»69 

scheint,  Bronchophonie  und  Ägophonie  gehört.  Letztere 
ist,  wie  schon  aus  früherem  bekannt,  ein  eigentümlich  zit- 
ternder ,  meckernder  Nachhall  der  Stimme ,  welcher  bald 
ganze  Sätze,  bald  nur  einzelne  Worte  oder  deren  Endsylben 
begleitet,  bald  verschwindet  und  bald  wieder  erscheint. 

Succussion  des  Kranken  könnte  nur  in  dem  Falle  von 
gleichzeitiger  Gasansammlung  im  Brustfellraume  ein  hörba- 
res Schwappen  der  Flüssigkeit  ergeben. 

Abgesackte  Exsudate  äussern  sich  durch  diesel- 
ben Zeichen,  welche  wir  oben  angeführt,  nur  dass  sie  auf 
jene  Stelle ,  an  welcher  sie  vorkommen,  beschränkt,  und  man- 
nigfach modificirt  erscheinen;  dass  durch  Adhäsionen  die 
Verdrängung  des  Herzens  und  anderer  Organe  zuweilen  un- 
möglich gemacht  wird  ,  bedarf  keiner  weiteren  Erörterung. 

Die  umschriebene  Pleuritis  erscheint  meistens 
an  der  Lungenpleura ,  wie  an  der  Lungenspitze  als  tuber- 
culöse  Pleuritis  und  als  Heilbestreben  der  Natur,  die  an  Stel- 
len ,  an  welchen  das  Rippenfell  durch  Abscesse,  durch  ver- 
jauchende Krebse  und  Tuberkel  u.  s.  w.  leicht  durchbohrt 
werden  könnte,  durch  dichte  Exsudatschwarten  der  Perfora- 
tion einen  Damm  entgegenstellt.  Die  physicalischen  Zeichen 
weichen  von  denen  der  Pleuritis  überhaupt  nicht  ab  und  sind 
nur  auf  einen  kleinen  Raum  beschränkt ,  über  welchem  nicht 
selten  auch  der  Thorax  eingesunken  erscheint. 

Eine  Abart  der  umschriebenen  Pleuritis  ist  die  Pleuri- 
tis diap  hr  agmat ica  ,  welche  die  Autoren  gewöhnlich 
als  Diaphragmitis  beschreiben,  wiewohl  kaum  je  die  Substanz 
des  Zwerchfelles  selbst,  sondern  fast  immer  nur  dessen  se- 
röser Überzug  von  der  Entzündung  ergriffen  wird.  Die  phy- 
sicalische  Untersuchung  ist  bei  ihrer  Diagnose  nur  von  unter- 
geordnetem Werihe. 

Die  physicalische  Untersuchung  vermag  somit  dem  An- 
geführten zu  Folge  die  Gegenwart  eines  flüssigen  oder  mehr 
stoffigen  Exsudates  nachzuweisen  und  seine  Grösse  und  Aus- 
dehnung  ziemlich   genau    zu  bestimmen;    welcher   Art 


«70 

aber  dasselbe  sei,  ob  faserstoffig ,  albuminös  ,  eitrig , 
hämorrhagisch  u.  s.  w.  zu  erkenneu,  liegt  ausser  ihren  Gren- 
zen ,  dazu  hilft  die  genaue  Erwägung  aller  übrigen  diagno- 
stischen Momente ,  als  des  Alters  und  der  Kräfte  des  Pa- 
tienten ,  der  Dauer  der  Krankheit,  der  Zu- und  Abnahme 
ihrer  Erscheinungen  ,  des  gleichzeitigen  Vorkommens  albu- 
minöser,  seröser,  tuberculöser  oder  krebsiger  Ausschei- 
dungen in  anderen  Organen ,  etwa  vorhandener  Schüttel- 
fröste u.  s.  w. 

Zeichen  der  Resorption. 

Mit  dem  allmäligen  Schwinden  des  Ergusses  kehrt  das 
Respirationsgeräusch  an  jene  Stellen  wieder  zurück,  an 
welchen  es  vermindert  wahrgenommen  wurde,  oder  gänzlich 
fehlte ,  und  erscheint  daselbst  anfangs  nur  als  schwaches 
Murmeln  ,  endlich  in  seiner  normalen  Stärke  und  wird  selbst 
dort  gehört,  wo  der  Percussionsschall  noch  längere  Zeit  ge- 
dämpft bleibt.  Ebenso  gewinnt  auch  die  Stimme  ihre  norma- 
len Charaktere  wieder.  Nicht  selten  treten  nach  Resorption 
der  Flüssigkeit  die  durch  stoffige  Ablagerung  rauh  geworde- 
nen Pleurablätter  mit  einander  in  Berührung  und  erzeugen 
durch  die  Athembewegungen  ein  so  lange  dauerndes  Rei- 
bungsgeräusch ,  bis  sie  glatt  sind.  Zugleich  mindern  sich 
der  Umfang  und  die  grössere  Convexität  der  leidenden  Brust- 
hälfte ,  hört  die  Vortreibung  der  Intercostalmuskel  auf  und 
treten  die  verdrängten  Organe  nach  und  nach  wieder  an  ihre 
gewohnte  Stelle  zurück. 

Kann  sich  aber  die  comprimirte  Lungenpartie  nicht 
schnell  genug  expandiren ,  oder  ist  ihr  diess  durch  zellige 
Adhäsionen  und  Pseudomembranen  oder  durch  Atrophie  und 
Paralyse  ,  in  Folge  des  lange  dauernden  Druckes  unmöglich 
gemacht ,  so  sinkt  der  Brustkorb  ein ,  plattet  sich  ab,  schie- 
ben sich  die  Rippen  übereinander,  verkrümmt  sich  die  Wir- 
belsäule auf  die  schon  beschriebene  Weise,  kehren  die  ver- 
drängten Eingeweide  nicht  mehr  auf  ihre  gewöhnliche  Stelle 
zurück ,  und  es  bleiben  Dämpfung  des  Percussionsschalles , 


*7i 

so  wie  bronchiales  Athmen  und  ßronchophonie  übrig,    wie- 
wohl das  Exsudat  nicht  mehr  vorhanden  ist. 

Zeichen  nach  der  Paracentese. 

Die  Paracentese  der  Brust  ist  bei  dringender  Ersti- 
ckungsgefahr und  so  grossen  Exsudaten ,  dass  an  die  Mög- 
lichkeit ihrer  Resorption  nicht  mehr  gedacht  werden  kann , 
eine  wohlthätige  Operation  ,  unter  allen  anderen  Umständen 
aber  zu  vermeiden. 

Die  Operation  wird  mittelst  des  von  Prof.  Schuh  an- 
gegebenen, äusserst  sinnreich  construirten  Trog-Troicart's  vor- 
genommen, aber  nur  dann,  wenn  deren  Nothwendigkeit  so- 
wohl, als  der  passendste  Ort  zum  Einstiche  durch  die  phy- 
sicalische  Untersuchung  bestimmt  sind.  Dem  so  sehr  zu  fürch- 
tenden Lufteintritte  in  den  Pleuraraum  ist  durch  obiges  In- 
strument hinlänglich  gesteuert  *,  findet  diess  aber  dennoch 
Statt  oder  entwickelt  sich  aus  der  in  der  Brusthöhle  befind- 
lichen Flüssigkeit  Gas,  so  wird  diess  durch  einen  nach  der 
Operation  erscheinenden  tympanitischen  Schall  in  der  oberen 
Brustgegend  erkannt.  Überhaupt  soll  die  Percussion  sich 
stets  von  dem  Stande  der  Flüssigkeit,  die  nie  auf  einmal  zu 
entleeren  ist ,  überzeugen,  so  wie  jeden  Schritt  der  Ope- 
ration controlliren.  Die  Auscultation  leistet  hierbei  weniger , 
weil  die  Lungen  gleich  nach  der  Entleerung  des  Fluidums 
sich  nicht  in  dem  Grade  ausdehnen,  dass  man  vesiculäres 
Athmen  hören  könnte. 

Einige  Tage  nach  der  Punction  wächst  oft  die  Flüssig- 
keit wieder,  um  dann  desto  schneller  zu  fallen.  Sollte  aber 
dennoch  eine  wiederholte  Operation  erforderlich  werden,  so 
verschiebe  man  sie  nicht  so  lange,  bis  die  comprimirte  Lun- 
genpartie atrophisch  geworden  ist.  Ein  nach  der  Entleerung 
zurückbleibender  dumpfer  Percussionsschall,  der  sich  oft 
wochenlang  nicht  verliert,  verdankt  oft  Pseudomembranen 
seine  Entstehung,  und  darf  nicht  zu  einem  neuen  Eingriffe 
verleiten,  da  auch  selbst  Reste  eines  flüssigen  Ergusses  der 
Resorption  längere  Zeit  widerstehen  können,  ohne  zu  schaden* 


»7* 


Unterschiede. 


Verwechslung*  des  pleuritischen  Exsudates  wäre  möglich 
mit  Myorheuma  der  Brust ,  mit  Pneumonie  im  Stadium  der 
Hepatisation  und  mit  Anschwellung  der  Leber.  Bei  Rheu- 
matismus der  Brustmuskel  fehlen  alle  angeführten 
physicalischen  Symptome;  bei  Pneumonie,  die  allein, 
ohne  mit  Pleuritis  complicirt  zu  sein  ,  verläuft , 

a)  ist  der  leidende  Thorax  nicht  vergrössert ; 

b)  bleiben  die  Intercostalmuskel  beweglich  und  werden 
nicht  vorgetrieben ; 

c)  werden  die  Nachbarorgane  nicht  aus  ihrer  Lage 
verdrängt ; 

d)  werden  die  Stimmvibrationen ,  wenn  gleich  schwä- 
cher, wahrgenommen; 

e)  wird  der  Percussionsschall  nie  in  dem  hohen  Grade 
matt  und  leer  und  der  fühlbare  Widerstand  nie  so  bedeutend, 
wie  in  der  Pleuritis. 

f)  Bronchiales  Athmen  und  Bronchophonie  sind    i  \  • 
Pleuritis  fast  nur  im  Niveau  der  Flüssigkeit  und  nie  so  deut- 
lich zu  hören,  wie  in  der  Hepatisation. 

Vergrösserung  der  Leber  nach  aufwärts 

a)  zeigt  keine  Unbeweglichkeit  und  Vortreibung'  der 
Intercostalmuskel ; 

bj  sind  die  falschen  Rippen  aufwärts  gebogen  ,  kann 
man  zwischen  sie  und  die  Leber  die  Hand  nicht  schieben 
und  ist  Letztere  resistenter; 

cj  wird  der  Percussionsschall  bei  tieferer  Inspiration 
sonorer ,  wenn  gleich  gedämpft ,  bei  der  Exspiration  aber 
matt  erscheinen  (Zehetmayer),  und 

d)  an  der  Rückseite  der  Brust  das  Respirationsgeräusch 
tiefer  nach  abwärts  reichen ,  als  es  die  Anwesenheit  eines 
Ergusses  gestatten  würde. 


273 


Hydrothorax ,  Brustwassei'giiclit. 


Ansammlung  von  wässriger  Flüssigkeit  im  Brustraume, 
ohne  vorangegangene  Entzündung,  stellt  den  Hydrothorax 
dar.  Nach  Anämie  und  Erschöpfung  der  Blutmasse  durch  über- 
mässige plastische  Ausscheidungen,  unter  dem  Einflüsse 
einer  hydropischen  Crasis ,  durch  Herzfehler  u.  s.  w.  wird 
in  den  Pleuraraum  eine  dünnflüssige,  blassgelbe,  klare,  an 
Faserstoff  arme  Flüssigkeit  ausgeschieden,  welche  nur  durch 
ihre  Menge  und  den  ausgeübten  Druck  auf  Lunge  und  Herz 
dem  Grganismus  schädlich  ist.  Im  Scorbute,  Typhus,  Mor- 
bus Brightü,  in  normalen  Exanthemen,  Tuberculose  und 
Krebsablagerungen  wird  die  Flüssigkeit  nicht  selten  blutig, 
bräunlich  und  stinkend  gefunden. 

Die  physicalischen  Erscheinungen  sind  dieselben ,  wie 
in  der  Pleuritis  ,  nur  dass  die  Unbeweglichkeit  und  Vortrei- 
bung der  Zwischenrippenmuskel  mangeln ,  da  deren  bedin- 
gendes Moment,  die  Entzündung,   nicht  voranging. 

PiieumotHorax. 

In  der  Brust  findet  sich  gasartige  Flüssigkeit ,  wenn 
sie  sich  daselbst  entweder  entwickelt  oder  durch  Durchboh- 
rung der  Pleura  von  aussen  dahin  gelangt.  Pneumothorax 
entsteht  somit  unter  folgenden  Umständen: 

a)  Bei  Durchbohrung  der  Pleura  durch  Tuberkeleiter 
aus  einer  Caverne,  oder  den  Eiter  aus  einem ,  in  Folge  von 
Pneumonie  entstandenen  Lungcnabscesse ,  wenn  nicht  durch 
die  hervorgerufene  Pleuritis  beide  Blätter  des  Rippenfelles 
früher  aneinander  gelöthet  werden  ; 

b~)  wenn  ein  Brandschorf  an  der  Lunge  auch  deren 
Pleuraüberzug  mit  zerstört; 

c)  wenn  bei  Lungenemphysem  mit    den  vergrösserten 
oberflächlichen  Lungenbläschen  auch  die  Pleura  berstet ; 
Gaal   Diagnostik.  18 


»74 

dj  bei  Durchbruch  des  Visceralblattes  der  Pleura,  wenn 
Metastasen  an  der  Oberfläche  der  Lunge  schneller  schmel- 
zen ,  als  in  deren  Umgebung  durch  Reaction  Hepatisation 
hervorgerufen  wird ; 

e~)  durch  Gasentwicklung  aus  degenerirtem ,  eitrigem 
oder  jauchigem  Exsudate;  dass  aber  diese  aus  der  entzün- 
deten Pleura  ,  ohne  gleichzeitig  vorhandene  Flüssigkeit  ent- 
stehen könne,  ist  nicht  wohl  zu  glauben  ; 

f)  durch  Perforation  der  Lungenpleura  von  Seite  eines 
solchen  Exsudates ; 

g)  bei  Durchlöcherung  des  Zwerchfelles  in  Folge  von 
Erweichung  des  Magens  oder  des  Ösophagus. 

Die  Stelle,,  an  welcher  die  Pleura  durchbohrt  ist,  wird 
gewöhnlich  bei  der  Section  nicht  leicht  gefunden ,  da  sie 
durch  Compression  des  Lungengewebes  und  Exsudatschich- 
ten ,  welche  in  Folge  eingeleiteter  reactiver  Pleuritis  in  de- 
ren Umfange  sich  befinden ,  verschlossen  ist. 

Dringt  Luft  in  den  Brustraum  ein ,  so  geschieht  diess 
bei  der  Inspiration  viel  leichter,  als  sie  bei  dem  Ausathmen 
durch  die  enge  Öffnung  wieder  hinausgetrieben  wird  ,  da- 
durch sammelt  sie  sich  immer  mehr  und  mehr  an ,  bis  die 
Öffnung  durch  Compression  des  Lungenparenchymes ,  Aus- 
wurfstoffe oder  plastisches,  pleuritisches  Exsudat  geschlos- 
sen ist  und  wird  zugleich  auch  beständig  verdichtet  Die 
Lunge  wird  dabei  wie  durch  flüssiges  Exsudat  an  die  Wir- 
belsäule gepresst,  der  Brustraum  fassförmig  erweitert  und 
in  allen  Durchmessern  vergrössert,  das  Zwerchfell  herabge- 
drückt und  die  benachbarten  Organe  weichen  aus  ihrer  nor- 
malen Lage. 

Gewöhnlich  facht  der  Reiz,  welchen  die  atmosphärische 
Luft  auf  die  Pleura  hervorbringt ,  deren  Entzündung  an  , 
welche  eben  durch  den  Contact  mit  der  Luft  nur  ein  degene- 
rirtes  Exsudat  liefert,  so  dass  fast  jeder  Pneumothorax  sich 
mit  einem  solchen  combinirt  und  als  Pneu mopyothorax 
erscheint. 


275 

Diagnose. 

Allgemeine  Symptome. 

Die  Erscheinungen  des  durch  Pleuraperforation  von  Seite 
einer  Vomica  entstehenden  Pneumothorax  sind  meistens  so 
ziemlich  die  einer  Pleuritis,  können  aber  auch  gänzlich  man- 
geln. Die  Dyspnoe  ist  ungeheuer,  der  Auswurf  schwindet, 
die  Lage  ist  nur  sitzend  oder  auf  der  gesunden  Seite  mög- 
lich, die  Stimme  wird  vermindert,  und  zuweilen  haben  die 
Kranken  nach  schnellem  Aufrichten  die  Empfindung  des  Tro- 
pfenfallens  im  Innern  und  sterben  durch  Erstickung.  In  sel- 
tenen Fällen  mindern  sich  diese  gefahrdrohenden  Erschei- 
nungen und  die  Kranken  leben  noch  Monate  lang  fort ,  wo- 
bei sie  zuweilen  die  Fluctuation  der  in  der  Brusthöhle  ent- 
haltenen Flüssigkeit  selbst  wahrnehmen. 

Inspection.  Der  Thorax  ist  mehr  convex  ,  fassför- 
mig  gewölbt,  die  Zwischenrippenmuskel  der  leidenden  Seite 
sind  paralysirt  und  vorgetrieben.  Die  entgegengesetzte  Seite 
zeigt  beschleunigtes,  heftiges  Athmen. 

Palpation.  Die  aufgelegte  Hand  vernimmt  an  der  er- 
krankten Seite  mangelnde  Athembewegungen  und  Stimm- 
vibrationen ,  und  die  in  die  Zwischenrippenräume  einge- 
drückten Finger  empfinden  eine  vermehrte  Elasticität  der 
Muskel,  die  dem  Drucke  nachgeben,  sich  aber  schnell  wieder 
erheben.  Pneumothorax  im  linken  Brustraume  bewirkt  Ver- 
drängung des  Herzens,  so  dass  dessen  Spitze  in  der  Herz- 
grube, ja  selbst  in  der  rechten  Brusthälfte  gefühlt  wird,  was 
beim  Emphyseme  nie  in  dem  Grade  bemerkt  wird. 

Mensuration.  Durch  die  Messung  wird  die  Um- 
fangsvermehrung  der  leidenden  Seite  nachgewiesen,  welche 
um  so  bedeutender  ist,  wenn  zugleich  flüssiger  Erguss 
besteht. 

Percussion.  Gas  in  der  Brusthöhle  gibt  sich  durch 
hellen,  tympanitischen  und  von  metallischem  Klange  begleite- 
ten Schall  beim  Anklopfen   zu  erkennen  ,  so  lange  noch  die 

18  * 


*7<5 

Spannung  der  Wände  keine  übermässige  ist.  Besonders  gut 
hört  man  das  Metallklingen,  wenn  man  während  des  Percuti- 
rens  zugleich  das  Ohr  an  die  Brustwand  legt. 

Gleichzeitig  vorhandener  flüssiger  Erguss  sammelt  sich 
den  Gesetzen  der  Schwere  zufolge  unten  im  Thorax  an,  und 
dämpft  daselbst  den  Percussionsschall,  jedoch  nur  bei  schwa- 
chem Anklopfen ,  denn  stärkere  Percussion  erweckt  zugleich 
den  tympanitischen  Schall  der  Luft,  der  sich  dann  unter  das 
Niveau  der  ergossenen  Flüssigkeit  erstreckt.  Lageverände- 
rung verändert  den  Stand  der  Flüssigkeit,  die  hier  frei  be- 
weglich ist,  und  demselben   gemäss  den  Percussionsschall. 

Auscultation.  Stimme,  Husten  und  Rasselgeräu- 
sche werden  von  dem  metallischen  Nachklange  begleitet, 
der  besonders  an  der  Vorderfläche  der  Brust  und  nach  früheren 
tiefen  Inspirationen  deutlicher  vernommen  wird.  Setzt  sich 
der  Kranke  auf,  so  hören  wir  zuweilen  das  schöne  Symp- 
tom des  Tropfe nfallens,  das  von  einem  Klange  begleitet  ist, 
wie  wenn  diese  in  ein  silbernes  Becken  träufelten.  Zu- 
weilen vernimmt  man  bei  Hydropneumothorax ,  wenn  man 
den  Kranken  rüttelt,   ein  Fluctuationsgeräusch. 

Alle  diese  sthethoscopischen  Zeichen  können  aber  fehlen 
und  doch  kann  der  Pneumothorax  vorhanden  sein. 

Dort  wo  die  Lunge  an  den  Rücken  angepresst  ist,  kön- 
nen wir  verschiedene  Athmungsgeräusche ,  trockenes  und 
feuchtes  Rasseln ,  und  der  Lage  des  Herzens  entsprechend, 
dessen  Töne  durch  die  Auscultation  vernehmen. 


Krankheiten  der  Lunge. 

Lungenemphysem. 

Wir  unterscheiden  zwei  Formen  des  Lungenemphyse- 
mes  ,  wovon  die  eine,  das  v  e  si  culäre  E.  in  einer  dauern- 
den Erweiterung  der  Lungenzellen  und  Überfüllung  dersel- 
ben mit  Luft  besteht,    die  zweite  aber  in  Zerreissung   der 


277 

Zellchen  und  Austritte  der  Luft  ins  interstitielle  Gewebe  be- 
gründet ist,  interlobuläres  Emphysem. 

1.    Vesiculäres   Emphysem. 

Diese  Krankheit  besteht  in  einer  sich  rasch  entwickeln- 
den Ausdehnung*  der  Lungenzellen  besonders  an  den  Rän- 
dern der  Lappen ,  wenn  diese  in  ihrem  Innern  durch  Hepati- 
sation oder  Tuberkelinfiltrat  unwegsam  geworden  sind,  oder 
nach  oben,  wenn  die  untern  Lappen  durch  Exsudat  plötzlich 
comprimirt  wurden;  oder  sie  entsteht  langsam  und  entwickelt 
sich  gleichförmig  in  einem,  selbst  in  beiden  Lungenflügeln. 

Anatom,    pathol.    Charaktere. 

aj  Bei  schneller  Entwickelung  und  mei- 
stens partiellem  Emphyseme.  Die  blutarme,  blass- 
rothe  Lunge  schwimmt  auf  dem  Wasser ,  knistert  beim  Fin- 
gerdrucke und  beim  Einschneiden  nur  wenig 9  sinkt  bei  letz- 
terem schnell  zusammen,  fühlt  sich  wie  ein  weiches  Fe- 
derkissen an,  zeigt  eine  ungleiche  Schnittfläche,  und  auf 
Kosten  der  Wandungen  vergrösserte  Zellen.  Zerreissen  eini- 
ge derselben,  so  kann  ein  interlobuläres  Emphysem  entstehn. 

b)  Bei  langsamer,  gleichförmiger  Entwi- 
ckejung und  meistens  verbreitetem  Emphy- 
seme. Die  Lungen  sind  derart  aufgedunsen,  dass  sie  bei 
Eröffnung  des  Thorax  sich  über  die  Rippen  vordrängen,  beide 
Lungen  an  ihren  vordem  Rändern  sich  berühren  und  das 
Herz ,  das  sonst  in  einem  rautenförmigen  Räume  frei  an  der 
Brustwand  liegt,  bedecken.  Sie  fallen  nicht  zusammen,  wenn 
man  sie  aus  der  Brusthöhle  nimmt  und  selbst  die  einzelnen 
Lappen  trennt,  fühlen  sich  wie  Luftkissen  an  ,  sind  trocken, 
blutarm  und  von  blassrother Farbe.  Die  Zellen  sind  von  Hanf- 
korn- bis  zu  Erbsengrösse  ungleich  ausgedehnt ,  und  zu- 
weilen mehrere  durch  Zerreissen  der  Zwischenwände  in  buch- 
tige Höhlen  zusammengeflossen. 


»78 

Die  Vergrösserung  der  Lungen  in  allen  Durchmessern 
bewirkt  Verdrängung  der  angränzenden  Eingeweide,  als  der 
Leber,  des  Zwerchfelles,  welche  nach  abwärts  verschoben 
werden  ,  und  des  Herzens ,  das  oft  von  dem  letztern  bis  in 
die  Gegend  der  9. — 10.  Rippe  herabgezogen  wird. 

Als  Ursache  des  Emphysemes  bezeichnen  wir  einen 
ein  glasartiges,  zähes  Secret  liefernden  Bronchialcatarrh,  der 
mit  Anschwellung  der  Schleimhaut  und  dadurch  bedingte 
Verengerung  des  Lumens  der  feinsten  Verzweigungen  der 
Bronchien  einhergeht.  Dringt  nun  gleich  während  der  mehr 
activen  Inspirationsbewegung  die  Luft  über  die  verengerte 
Stelle ,  so  kann  sie  während  des  passiven  Ausathmens  nicht 
hinlänglich  aus  dem  Lungenbläschen  ausgetrieben  werden 
und  sammelt  sich  daselbst  durch  erneuerte  Inspiration  ,  bei 
dem  Umstände,  dass  auch  im  Normalzustande  die  Luft  sich 
nicht  vollends  aus  den  Vesikeln  entleert,  in  denselben  immer 
mehr  an ,  wird  durch  die  Temperatur  des  Körpers  noch  mehr 
expandirt  und  drückt  auf  die  Wände  jedes  Bläschens ,  dass 
dieses  seine  Elasticität  gänzlich  einbüsst  und  auch  das  in 
denselben  kreisende  Blut  grösstentheils  verdrängt  wird.  Diese 
Entstehungsweise  des  Emphysems  ist  aber  nicht  die  einzige, 
auf  ähnliche  Weise  kommt  es  noch  durch  Druck  von  Seite 
vergrösserter  Bronchialdrüsen  ,  Aneurysmen  ,  Angina  mem- 
branacea ,  Herzfehler,  Keuchhusten,  übermässige  Anstren- 
gung der  Athmungs  -  Werkzeuge  krampfhaftes  Asthma 
u.  s.  w.  zu  Stande.  Man  hat  die  Existenz  des  letztern  gänz- 
lich leugnen  wollen,  allein  mit  Unrecht,  denn  oft  besteht  es 
ohne  alle  zu  Grunde  liegende  nachweisbare  organische  Ver- 
änderung, und  das  Emphysem  ist  eben  so  oft  Folge  asthma- 
tischer Anfälle,   als  es  solche  herbeiführt. 

Folgezustände.  Durch  die  Vergrösserung  der  Lun- 
ge wird  der  Thorax  in  allen  Durchmessern  erweitert,  vorne 
fassförmig  gewölbt,  und  es  müssen  alle  Nachbarorgane 
Leber,  Zwerchfell  und  das  auf  letzterem  ruhende  Herz  nach 


»79 

abwärts  ausweichen  ,  so  dass  letzteres  schräge  unter  den 
Schwertknorpel  zu  liegen  kommt.  Der  geringe  Luftwechsel 
bedingt  den  höchsten  Grad  von  Dyspnoe,  so  dass  die  etwas 
vorgebeugt  im  Bette  sitzenden  Kranken,  besonders  mit  Ein- 
brüche der  Nacht,  in  äussersterErstickungsnoth  aufspringen, 
um  die  Fenster  zu  öffnen.  Durch  die  heftigen,  beschleunig- 
ten Respirationsbewegungen  werden  die  Inspirationsmuskel 
mehr  entwickelt ,  hypertrophisch,  besonders  der  Kopfnicker 
und  die  Scaleni. 

Nebstdem  wird  theils  durch  die  geringe  Oxydation  des 
Blutes,  welche  bei  verminderter  Luftzufuhr  in  die  Lunge 
Statt  findet,  theils  durch  den  Umstand,  dass  die  comprimir- 
ten  Capillargefässe  der  letztern  nur  wenig  Blut  aufnehmen 
können  und  nach  und  nach  obliteriren ,  eine  venöse  Blutmi- 
schung und  Anhäufung  im  rechten  Herzen  und  allen  Venen- 
stämmen bedingt,  welche  dadurch  erweitert  werden,  und  als 
fernere  Folgen  passive  Hyperämie  der  Leber,  und  hydropi- 
sche  Erscheinungen  herbeiführen  können.  Der  venösen  Blut- 
mischung",  der  Erweiterung  des  rechten  Herzens  und  der  Atro- 
phie des  Lungengewebes  wird  die  Immunität  vor  Tuberculose 
zugeschrieben,  welche  an  jenen  sich  nachweisen  lässt,  die 
an  ausgebreitetem  Emphyseme  leiden  ,  und  derselben  Quelle 
verdanken  die  cyanotische  Färbung  und  die  subicterischen 
Erscheinungen ,  welche  im  Sommer  so  häufig  an  Emphyse- 
matösen  beobachtet  werden ,  ihren  Ursprung. 

Der  Tod  erfolgt  durch  Apoplexie ,  Lähmung  der  Lun- 
gen oder  des  Herzens,   oder  durch  Asphyxie. 

Diagnose.  Alle  von  den  Autoren  angeführten ,  sub- 
jeetiven  Symptome  des  Emphysemes  haben  keinen  diagnosti- 
schen Werth ,  und  nur  die  genaue  Untersuchung  vermag  in 
diesem  Falle  Aufschluss  zu  geben. 

inspection.  Der  Thorax  ist  fassförmig  aufgetrieben, 
nach  allen  Durchmessern  vergrössert,  am  Brustblatte  gewölb- 
ter; der  Schwertfortsatz  aufwärts  gebogen,  die  Wirbel- 
säule mehr  convex.  Die  Zwischenrippenräume  werden  erwei- 


260 

fert  gefunden,  ihre  Muskel  erscheinen  aber  weder  vorgetrie- 
ben, noch  haben  sie  ihre  Beweglichkeit  eingebüsst.  In  der 
Rückenlage  sieht  man,  dass  trotz  heftiger  Anstrengung  die 
Brust  sich  nur  wenig  bewegt,  die  hypertrophischen  Hais- 
und die  Muskel  der  mittleren  Bauchgegend  erscheinen  fast 
allein  mobil.  In  der  Herzgegend  fehlt  das  sichtbare  Anschla- 
gen der  Spitze  und  statt  dessen  sind  in  der  Herzgrube  Un- 
dulationen  zu  sehen.  Einseitige  Emphyseme  lassen  die  be- 
treffenden Erscheinungen  nur  an  einer  Brusthälfte  erkennen. 

P  a  1  p  a  t  i  o  n.  Stimmvibrationen  und  Schwingungen  star- 
ker Rasselgeräusche  werden  von  den  aufgelegten  Händen 
wohl  wahrgenommen ,  die  Athembewegungen  aber  erweisen 
sich  als  fast  unfühlbar.  Die  Herzspitze  wird  zuweilen  nach 
abwärts  gegen  die  Magengrube  gefühlt. 

Mensuration.  Durch  die  Messung  erkennen  wir  die 
entweder  ein-  oder  beiderseitige  Vergrösserung  aller  Durch- 
messer besonders  in  derRegio  mammaria  und  von  vorne  nach 
rückwärts. 

Percussion.  Umschriebenes  an  einer  verdichteten 
Partie  gelegenes  Lungenemphysem  gibt  hellen  tympaniti- 
sehen  Schall  beim  Anklopfen.  Verbreitetes  vesiculäres  Em- 
physem gibt  bei  hinreichender  Entwickelung  sehr  vollen  und 
hellen  Percussionston  ,  der  aber  nicht  tympanitisch ,  und  in 
weiterem  Umfange  als  der  normalen  Grösse  der  Lunge  zu- 
kommt, zu  hören  ist,  also  sowohl  in  der  Leber-  als  in  der 
Herzgegend  gefunden  wird ,  während  die  diesen  Organen 
entsprechende  Dämpfung  tiefer  nach  abwärts  gesucht  wer- 
den muss. 

Auscultation.  Wegen  des  fast  stets  zugleich  vor- 
handenen Bronchialcatarrhes  hört  man  alle  Arten  vonRassel- 
geräuschen,  besonders  die  trockenen  und  in  der  obern  Brust- 
gegend. Das  vesiculäre  Athmen  ist  zwar  vermindert,  zu- 
weilen rauh,  reicht  aber  tiefer  nach  abwärts,  als  im  Normal- 
zustande; zuweilen  findet  man  die  Exspiration  verlängert, 
was   iu   der  Stenose   der  Bronchialzweigchen  und  der  ver- 


«81 

minderten  Elasticität  des  Lungenparenchymes  seinen  Grund 
zu  haben  scheint. 

Haben  die  Lungen  ihre  Elasticität  verloren ,  so  ist  fast 
gar  keine  Respiration  mehr  zu  hören.  Sind  durch  Zusam- 
menfliessen  mehrerer  Lungenbläschen  bohnengrosse  Höhlen 
entstanden  ,  hört  man  ein  trockenes  ,  grossblasiges  ,  gleich- 
sam schmelzendes  Rasseln.   (Skoda.) 

Übrigens  können  auch  alle  angeführten  Geräusche  fehlen. 

Unterschiede.  Verwechslung  wäre  mit  Pneumo- 
thorax   und  pleuritischem  Exsudate  möglich. 


P  neumothorax 
aber 

a)  zeigt  schnelle  Vergrös- 
serung  des  Thorax,  nach 
allen  Durchmessern; 

b)  die  Intercostalmuskel 
unbeweglich ; 

cj  die  Brustwände  ela- 
stisch ; 

dj  tympanitischen  Per- 
cussionston  ; 

ej  metallisches  Klingen, 
das  alle  Geräusche  begleitet ; 

Jj  das  vesiculäre  Athmen 
fehlt  besonders  an  der  Vor- 
derfläche der  Brust,  da  die 
Lunge  verdrängt  ist; 


gj  das  Herz  kann  über 
die  Mittellinie  des  Körpers 
verschoben  werden; 

hj  Lage  meistens  aufrecht. 


Emphysem 

langsame,  nach 
allen  Durchmes- 
sern, vorzüglich 
aber  nach  oben  ; 
beweglich; 

massig  elastisch ; 

hellen  ,      vollen 
Schall ; 
nie ; 

wird  wahrge- 
nommen ,  insbe- 
sondere das  Aus- 
athmen  an  der 
vorderen  Brust- 
fläche; 

das  Herz  sinkt 
schräge  nach 
ab-  und  einwärts 
gegen  die  Ma- 
gengrube ; 
aufrecht  und 
vorgebeugt; 


P  1  e  uritis  ches 
Exsudat 

die  Vergrösserung  betrifft 
am  meisten  die  untern  Theile 
der  Brust; 

vorgetrieben  und  unbeweg- 
lich ; 

gering  elastisch,    sehr   resi- 
stent beim  Anklopfen; 
matten,  leeren  Schall; 

nie ; 

ist  vermindert,  selbst  feh- 
lend; im  Niveau  der  Flüs- 
sigkeit zuweilen  bronchiales 
Athmen,  Bronchophonie  und 
Aegophoräe,  besonders  rück- 
wärts und  an  der  Seite  ; 
das  Herz  kann  über  die  Mi'- 
telünie  verdrängt  werden  ; 


auf  der  kranken  Seite,  da 
sonst  die  gesunde  Lunge 
gedruckt  würde. 


282 


2.  Inte  r  lobuläres  Lungenemphysem. 

Häufiges  Ansichhalten  des  Athmens,  besonders  bei 
gleichzeitiger  heftiger  Muskelanstrengung  bewirkt  zuweilen 
ein  Bersten  mehrerer  Lungenzellen  ,  wrodurch  der  Luft  der 
Austritt  in  das  interstitielle  Zellgewebe  gestattet  wird  und 
daselbst  Blasen  von  verschiedener  Grösse  entstehen ,  welche 
bald  wie  Schaum  aussehen  ,  bald  aber  bedeutender  und  hin 
und  her  wegdrückbar  sind. 

Gefahr  wäre  nur  durch  gleichzeitiges  Bersten  der  Pleura 
und  Erzeugung  eines  Pneumothorax  oder  durch  Verbreitung 
des  Luftaustrittes  durch  das  Mittelfell  auf  den  Hals  und  da- 
durch entstehendes  allgemeines  Emphysem  vorhanden. 

Diagnose.  Dieselbe  ist  nicht  zu  machen,  da  uns  noch 
sichere  Kennzeichen  dieses  Zustandes  mangeln.  Lännec 
hält  hellen  Percussionsschall  und  ein  durch  Anstreifen  vorra- 
gender Luftblasen  erzeugtes  Reibungsgeräusch  an  der  Pleura 
für  wichtige  Merkmale. 

Die  Lungeiiblutiiiig. 

Blutungen  in  den  Lungen  entstehen  entweder  primär 
oder  secundär  als  Begleiter  anderer  krankhafter  Processe. 

Primäre  Lungenblutungen  sind  Folgen  des  Durch- 
schwitzens  von  Blut  in  die  Lungenbläschen  oder  in  Zerreis- 
sung  letzterer  begründet.  Sie  kommen  in  den  Blüthejahren 
und  bei  Männern  häufiger  vor,  als  bei  Frauen  und  werden 
durch  heftige  Bewegungen ,  traumatische  Einwirkungen , 
Einathmen  reizender  Dämpfe,  Schreien,  Husten  u.  s.  w. 
veranlasst. 

Secundäre  Lungenblutungen  sind  Folgen  von  Krank- 
heiten ,  welche  den  Kreislauf  auf  mechanische  Weise  hin- 
dern ,  oder  durch  veränderte  Mischung  des  Blutes 
dessen  Durchschwitzen  begünstigen,  wie  excentrische  Hy- 
pertrophie des  rechten  Herzens ,  Stenose  des  linken  Oslium 
venoßum;  Hyperämie  der  Lunge  und  Stasis,  kurz  bevor  es 
zur  Bildung  einer  Pneumonie  kommt,  so  wie  in  der  Tuber- 


283 

culose  ,  Arrosion  eines  Gefässes ,  Krankheiten ,  welche  eine 
grössere  Provinz  der  Lungen  der  Respiration  entziehen,  wie 
grosse  pleuritisehe  Ergüsse  ,  Pneumothorax  u  s.  w.  , 
Schwächezustände,  Typhus,   Scorbut. 

Anatom,  patholog.   Charaktere. 

Das  Blut  gerinnt  in  den  Lungen,  ausser  es  würde  gleich 
vollends  durch  Husten  ausgeworfen.  Kommt  es  zur  Coagu- 
lation ,  so  findet  man  einen  oder  mehrere  erbsen-  bis  4  Cu- 
bikzolle  grosse,  vom  gesunden  Parenchyme  abgegränzte, 
braun  oder  schwarzroth  gefärbte  Stellen  von  meistens  grob- 
körnigem Gefüge  und  Brüchigkeit,  die  im  Wasser  nicht 
schwimmen  und  an  der  Luft  sich  lebhafter  röthen.  Infarc- 
tus  ha  em  op  to'icus. 

Zerreisst  das  Lungenparenchym  ,  so  bildet  sich  ein  lo- 
ckeres, mürbes,  unregelmässiges,  nie  scharf  begränztes 
Coagulum.  Apoplexia  pulmonum. 

Dieser  Zustand  kommt  am  häufigsten  an  der  Lungen- 
wurzel vor,  und  es  geschieht  nicht  selten,  dass  bei  gleich- 
zeitiger Zerreissung  der  Pleura  auch  Blut  in  ihre  Höhle  sich 
ergiesst. 

Nach  und  nach  wird  ein  Theil  des  ausgetretenen  Blutes 
ausgehustet,  der  andere  resorbirt,  doch  bleiben  zuweilen 
faserstoffige  Gerinnungen  zurück ,  über  denen  das  Lungen- 
gewebe einschrumpft  und  narbig  eingezogen  wird.  Zuweilen 
"kommt  es  hier  eben  so  zur  Bildung  einer  Cyste ,  in  welcher 
das  ausgetretene  Blut  eingeschlossen  wird ,  wie  in  der  Apo- 
plexia cerebri. 

Diagnose.  Meistens  ist  mit  Lungenblutungen  eine 
fieberhafte  Erregung  im  Bunde.  Auch  sinken  die  Kräfte 
schnell,  besonders  bei  grossem  Verluste,  und  wenn  die 
Kranken  über  das  ausgehustete  Blut  sehr  erschrecken.  Übri- 
gens können  Lungenblutungen  bestehen ,  ohne  sich  durch 
Husten  oder  Sputa  kund  zu  geben.  Merkwürdig  ist  die  Ge- 
fahr der  Recidiven  und  eine  gewisse  Periodicität  einzelner 
Anfälle. 


284 

Die  physicalische  Untersuchung*  ermittelt  bei  geringen 
Blutungen  und  bei  solchen  ,  welche  in  der  Tiefe  Statt  finden, 
und  von  lufthaltigem  Gewebe  umgeben  sind,  oft  keine  andern 
Symptome,  als  jene  einer  vorhandenen  Tuberculose  oder 
eines  bestehenden  Herzfehlers,  welches  Ergebniss  dann  auf 
die  Therapie  wichtigen  Einfluss  ausübt .  daher  die  Explora- 
tion in  Rücksicht  der  Diagnose  genannter  Zustände  bei  Lun- 
genblutungen nie  zu  vernachlässigen  ist. 

Percussion.  Grössere  oberflächliche  Blutergüsse 
dämpfen  den  Percussionsschall  an  einer  umschriebenen 
Stelle ,  mit  fühlbarem  aber  schwachen  Widerstände  beim 
Anklopfen. 

Auscultation.  Flüssiges  Blut  wird  zuweilen  je 
nach  seiner  Gegenwart  in  grösseren  Bronchien  oder  in  den 
Lungenzellen  durch  grosses,  ungleichblasiges  Rasseln  oder 
durch  Knistern  erkannt. 

Oft  hört  man  an  umschriebenen  Stellen,  wenn  es  zum 
Infarctus  gekommen  ist,  nachLännec  vermindertes  Zell- 
athmen ,  und  in  deren  Umgebung  Knistern.  Bei  sehr  grosser 
Ausdehnung  eines  häm  ptoischen  Herdes  kann  bronchiales 
Athmen  und  Bronchophonie  entstehen.  Häufiger  als  die  Cre- 
pitation  erscheinen ,  wie  schon  erwähnt ,  alle  Arten  von 
feuchten  und  trockenen  Rasselgeräuschen. 

Mit  der  Resorption  des  Blutergusses  mindern  sich  alle 
physicalischen  Zeichen ,  doch  bleibt  noch  längere  Zeit  an 
der  betreffenden  Stelle  vermindertes  Vesicularathmen  zurück. 

Das  Lungenödem« 

Wenn  die  Lungenzellen  und  das  interstitielle  Ge  webe 
von  einer  serösen  Flüssigkeit  erfüllt  sind ,  so  nennen  wir 
diesen  Zustand  das  Lungenödem. 

Es   entsteht    primär    oder  secundär  durch   andere 
krankhafte   Processe  bedingt;   sehr   schnell   aber    innerhalb 
weniger  Stunden  tödtlich  verlaufend ,   Oedema  acutum. 


»85 

oder  dauert  durch  Monate,  0  e  d.  chronicum,  ausgebrei- 
tet oder  umschrieben. 

Anatom    patholog.   Charaktere. 

Acutes  Ödem.  Die  Lunge  ist  ausgedehnt,  ela- 
stisch, so  dass  der  Fingerdruck  nicht  bleibt,  und  Knistern 
dabei  vernommen  wird  ,  roth ,  blutreich  ,  leicht  zerreisslich, 
aus  der  Schnittfläche  fliesst  eineblassrothe,  schaumige  Flüs- 
sigkeit, in  dem  Lungengewebe  zeigt  sich  passive  Stase. 
Dasselbe  begleitet  gerne  Entzündungszustände  und  bedingt 
bei  Verbreitung  über  beide  Lungen  und  gleichzeitiger  Hy- 
perämie des  Gehirnes  jene  Todesart ,  die  unter  dem  Namen 
des  Stickflusses  bekannt  ist. 

Chronisches  Ödem.  Die  Lunge  verliert  allmälig 
ihre  Elasticität,  wird  zähe,  fast  luftleer,  behält  den  Finger- 
eindruck und  knistert  nicht  dabei ,  aus  der  Schnittfläche  er- 
giesst  sich  schmutzig  grünliche  Flüssigkeit  ohne  Luftblasen. 

Ursachen.  Das  verbreitete  acute  Ödem  be- 
gleitet acute  und  chronische  Bronchialcatarrhe.  Exanthema- 
tische  Processe  scheinen  bei  anomalem  Verlaufe  durch  Hy- 
perämie und  gleichzeitige  Blutentmischung  die  Entstehung 
desselben  besonders  zu  begünstigen*,  nicht  minder  alle  Krank- 
heiten, welche  auf  mechanische  Weise  den  Blutumlauf  in 
den  Lungen  hindern ,  wie  Vergrösserung  der  Bronchialdrü- 
sen ,  Aneurysmen ,  excentrische  Hypertrophie  des  rechten 
Herzens,  Insufficicnz  der  Bicuspidalklappen ,  Stenose  des 
linken  Ostium  venosum  u.  s.  w.  Oft  bedingen  auch  Paralyse 
des  Gehirnes,  Hypostase  in  den  unteren  Theilen  der  Lungen, 
nach  langer  Rückenlage  in  chronischen  Krankheiten  und  Anä- 
mie;   ein  sich  schnell  bildendes  acutes  Ödem  als  Schlusscene. 

Das  umschriebene  acute  Ödem  ist  Begleiter  der 
Pneumonie,  des  hüiuoptoischen  Infarctus,  der  Tuberculose, 
des  Croup  u.  s.  w. 

Das  chronische  Ödem  tritt  selten  als  für  sich  be- 
stehende Krankheit  auf,  und  verdankt  theils  denselben  Ur- 
sachen seine  Entstehung,  welche  wir  als  die  acute  Form  be- 


286 

treffend,  so  eben  entwickelten ,  nur  wirken  diese  dann  lang- 
sam; theils  aber  Gehirnleiden ,  Nierendegeneration,  Anä- 
mie u.  s.  w.  sein  Dasein.  Die  Flüssigkeit  sammelt  sich  den 
Gesetzen  der  Schwere  zu  Folge  in  den  untersten  Stellen  der 
Lungen ,  und  kommt  mit  serösen  Ergüssen  in  verschiedenen 
Höhlen  des  Körpers  gleichzeitig  vor. 

Diagnose.  Bei  acutem  verbreiteten  Ödeme 
besteht  verringerte  Bewegung  des  Thorax,  Respiratio  su- 
blimis ,  ungeheure  Dispnöe  und  krampfiger  Husten ,  durch 
welchen  schäumende  ungefärbte  oder  blassröthliche  Sputa 
entleert  werden. 

Percussion.  Normal,  bisweilen  heller  und  tympani- 
tisch;  bei  abnehmender  Kraft  der  Athembewegung  und  nahe 
dem  Tode  bleibt  der  Percussionsschall  vorne  und  oben  tym- 
panitisch  ;  wird  aber  hinten  und  unten  leer  und  dumpf. 

Auscultation.  Das  Athmungsgeräusch  ist  vermindert, 
und  nach  Skoda  höher  und  nähert  sich  dem  Zischen.  Meist 
nach  rückwärts  und  unten  an  der  betreffenden  Seite  hört  man 
Crepitation  ,  ist  aber  zugleich  Flüssigkeit  in  den  Bronchial- 
ästen ,  so  wird  diese  von  andern  Rasselgeräuschen  aller  Art 
(consonirende  ausgenommen)  übertäubt. 

Die  Symptome  des  umschriebenen  Ödemes  sind  die  des 
verbreiteten,  nur  auf  eine  kleinere  Stelle  beschränkt  und  we- 
niger deutlich  ausgesprochen. 

Kranke  ,  welche  an  chronischem  Lungenödeme  lei- 
den, sehen  cachectisch  und  livid  aus ,  die  Venosität  ist  über- 
all ausgeprägt,  die  Lippen  und  Nägel  sind  blau,  die  Extre- 
mitäten kalt.  Stete  Dyspnoe  in  jeder  Lage  des  Kranken, 
krampfhafter  Husten  ,  reichlicher  farbloser  Auswurf,  geringe 
Athembewegung  trotz  bedeutender  Anstrengung.  Die  Schwin- 
gungen im  Innern  enthaltener  Scbleimmassen  werden  den 
aufgelegten  Händen  zuweilen  fühlbar.  Die  physicalischen 
Symptome  sind  dieselben  wie  die  des  acuten  Ödems.  Um- 
schriebenes chronisches  Ödem  gibt  zuweilen  bei  schwachem 
Anschlage  einen  matten  Schall  und  Rasselgeräusche. 


287 

Der  Tod  erfolgt  durch  Gehirnlähmung*,  welche  entwe- 
der Folge  oder  Ursache  des  Stickflusses  wird. 

Der    Lungenbrand   QSphacelus  pulmonum). 

Einer  herrschenden  Meinung  zu  Folge  sollte  man  an- 
nehmen, dass  sich  derselbe  nur  aus  einer  sehr  heftigen  Pneu- 
monie und  in  ihrem  Höhestadium  bilden  könne.  Diess  ist 
wohl  möglich  5  doch  in  den  bei  weiten  häufigeren  Vorkomm- 
nissen dieser  Art  nicht  der  Fall.  Er  entwickelt  sich  unter 
dem  Einflüsse  aller  schwächenden  Potenzen ,  im  Typhus , 
bei  Lungenabscessen,  anomalen  Exanthemen,  Säuferdyscra- 
sie ,  Scorbut ,  Contact  mit  Brandjauche  u.  s.  w.  meistens  an 
der  rechten  Lunge  und  an  deren  Peripherie ,  und  ist  entwe- 
der diffus  oder  umschrieben. 

Anatomisch-pathologische  Charaktere. 

Der  umschriebene  Brand  zeigt  eine  Vorliebe  für 
den  untern  Lungenlappen  und  entsteht  als  unregelmässig  ge- 
formter ,  feuchter,  teigiger,  giünschwarzer  Brandschorf, 
der  an  dem  umgebenden  Gewebe  noch  etwas  anhängt,  und 
aus  welchem  sich  bei  angebrachtem  Drucke  eine  ähnlich  ge- 
färbte, grumöse,  äusserst  stinkende  Flüssigkeit  pressen  lässt. 
Bald  stösst  er  sich  ab  und  zerfliesst  zu  schmutzgrünem  stin- 
kenden Breie,  der  in  einer  Höhle  enthalten  ist,  in  welche 
die  angefressenen  umgebenden  Wandungen  als  Zoten  hinein 
ragen,  und  die  sich  durch  Zerstörung  desNachbarparenchy- 
mes  zusehends  vergrössert.  Häufig  geschieht  es ,  dass  die 
Brandjauche  die  Pleura  durchbohrt  und  zur  Entstehung  eines 
Pneumothorax  Anlass  gibt.    Oft  schreitet  aber  die  Zerstörung 

nach  innen  fort    und  bewirkt   durch    Arrosion  von   Gefässen 

m 

tödtliche  Blutungen   oder   eröffnet    sich    den   Weg  in   einen 
Bronchus ,   durch  welchen  sie  ihren  Inhalt  entleert. 

Die  nächste  Umgebung  eines  brandigen  Herdes  ist  er- 
weicht  und  von   schmutzig   tingirtem  Serum  erfüllt   (Xru- 


288 

veilhier's  brandiges  Ödem);  darum  entsteht  eine  reactive 
Entzündung,  die  bei  weiterer  Ausbreitung  das  Ende  des 
Kranken  noch  beschleunigt. 

Doch  sind  Fälle  von  Heilung  beobachtet  worden,  indem 
durch  interstitielle  Pneumonie  und  hiedurch  entstandene  Ei- 
terung das  Brandige  abgestossen  und  ausgehustet  wurde , 
worauf  sich  die  nun  entstandene  Eiterhöhle,  nach  Roki- 
tansky^ Zeugnisse,  mit  einer  feinen  Membran  auskleidete, 
die  nach  und  nach  fester  und  fibrös  ward,  und  die  Heilung  nach 
Art  der  später  zu  besprechenden  Lungenabscesse  und  tuber- 
culösen  Cavernen  durch  Einsinken  der  Lunge  und  des  Tho- 
rax, so  wie  durch  narbige  Einziehungen,   zu   Stande  kam. 

Der  diffuse  Lungenbrand  scheint  eine  Vorliebe 
für  den  obern  Lappen  zu  haben,  ergreift  einen  grösseren  Ab- 
schnitt davon  und  bildet  eine  grosse  unregelmässige  Caverne 
mit  weichen,  leicht  zerreiblichen ,  ausgefressenen,  zottigen 
Wandungen ,  deren  Umgebung  sich  vom  gesunden  Paren- 
chyme  nicht  abgränzt,  sondern  durch  alle  Stufen  eines  Öde- 
mes  in  selbe  übergeht.  Als  Ursachen  gelten  dieselben  ,  wel- 
che für  den  umschriebenen  Brand  angegeben  wurden;  doch 
kommen  hiezu  noch  brandige  Zerstörungen  der  Bronchial- 
schleimhaut, die  sich  in  deren  Verästlungen  weiter  verbrei- 
ten, typhöse  und  tuberculöse  Geschwüre  des  Kehlkopfes , 
Angina  membranacea,  abnorme  Exantheme  u.  s.  w. 

Diagnose.  Die  Erscheinungen,  welche  den  Lungen- 
brand anzeigen,  sind :  schnelles  Sinken  der  Kräfte ,  Verfallen 
des  lividen  Gesichtes,  grosse Athemnoth,  Husten,  grünliche 
oder  bräunliche,  äusserst  stinkende  Sputa,  nervöse  und  adyna- 
mische Erscheinungen,  beiArrosion  eines  Gefässes  Lungenblu- 
tungen. Die  physicalischen  Symptome  sind  die  der  Cavernen  im 
Lungengewebe  überhaupt ,  ohne  Rücksicht  ihrer  Ursache. 
Entsteht  dabei  Pneumothorax  ,  so  wird  er  durch  die  ihn 
characterisirenden  Erscheinungen  erkannt.  Bildet  sich  der 
Sphacelus  aus  vorausgegangener  Hypostase  oder  aus  Pneu- 
monie ,    so  werden  Anamnese  und  die  Würdigung  der  den 

- 


289 

genannten  Zuständen  entsprechenden   Erscheinungen   nicht 
wenig  zur  sichern  Stellung  der  Diagnose  beitragen. 

Hie   Lungenentz iin<luii&- ,    Pneumonie. 

Diese  in  der  Praxis  so  häufig  vorkommende  Krankheit 
entsteht  entweder  primär  durch  unmittelbare  Einwirkung 
schädlicher  Einflüsse  als:  mechanische  Verletzungen,  Ein- 
athmen  reizender  Dämpfe,  Temperaturwechsel,  übermässige 
Anstrengung  der  Athmungswerkzeuge  u.  s.w.  oder  secun- 
dar,  als  Folge  von  Krankheiten  anderer  Organe  (Eiterre- 
sorption etc.);  sie  ist  entweder  über  einen  ganzen  Lungen- 
lappen verbreitet  QPn.  lobaris)  ,  oder  ergreift  nur  kleinere 
Stellen  davon  £ Pn.  lobularisj ,  oder  sie  beschränkt  sich  nur 
auf  einzelne  Stellen  (Pn.  ve$icularis~) .  Oberflächlich  oder  in 
der  Tiefe  befindlich  verläuft  der  pneumonische  Process  ent- 
weder acut  oder  chronisch ,  meistens  in  Folge  activer  Lun- 
genhyperämie,  doch  kann  die  Entzündung  auch  als  Pn.  hy- 
postatica }  aus  passiver  Stase  entstehen,  welche  in  den  un- 
teren Lungenpartien  sich  oft  entwickelt. 

A.  Aeute  Pneumonie. 

i.  Die  primäre,   faserstoffige   Lungenentzün- 
dung. 

Unter  dieser  Krankheit  verstehen  wir  einen  mit  Faser- 
stoffexsudation verbundenen,  entzündlichen  Process  auf  der 
Schleimhaut  der  Lungenbläschen ,  der  drei  Stadien  durch- 
läuft. Nämlich  der  entzündlichen  Anschoppung,  der  Hepa- 
tisation und  der  eitrigen  Schmelzung. 

Anatomisch-pathologische  Charaktere. 

1.  Stadium  der  entzündlichen  Anschoppung. 
Eröffnet  man  die  Brusthöhle ,  so  sinkt  die  Lunge  nicht 
so  schnell  zusammen,  als  im  gesunden  Zustande,  ist  statt 
blassroth  oder  graulicht ,  gesättigt  roth  gefärbt ,  die  darüber 
liegende  Pulmonalpleura  matt  und  glanzlos.  Der  Fingerein- 
Gaal  Diagnostik.  (  {9 


290 

druck  wird  nur  langsam  ausgeglichen  und  dabei  wenig  Cre- 
pitation  wahrgenommen.  Das  Gewebe  ist  leicht  zerreisslich , 
doch  beim  Einschneiden  zähe,  dabei  fliesst  viel  seröser 
blutiger  faserstoffhältiger  Schaum  aus  und  kann  durch  Wa- 
schen aus  den  regelmässig  geformten  Bläschen  entfernt  wer- 
den. Das  Gewebe  ist  der  Luft  noch  zugänglich  und  schwimmt 
im  Wasser.  Gewöhnlich  geht  die  Pneumonie  binnen  3 — 7  Ta- 
gen in  das  Stadium  der  Hepatisation  über,  doch  ist  auch  Ge- 
nesung selbst  in  dem  ersten  Zeiträume  möglich. 
2.   Stadium    der  Hepatisation. 

Ist  die  Lunge  gleich  ausgedehnt,  so  findet  man  doch 
an  ihrer  Oberfläche  weder  die  Eindrücke  der  Rippen ,  noch 
sind  die  Nachbarorgane  aus  ihrer  normalen  Lage   verdrängt. 

Die  Pulmonalpleura  ist  meistens  undurchsichtig,  und 
die  Farbe  der  Lunge  scheint  braunroth  durch.  Ihr  Gewebe 
ist  zerreisslich  und  aus  der  dunkelrothen  von  weissen  Strei- 
fen des  interstitiellen  Gewebes  und  der  durchlaufenden  Ge- 
fässe  durchzogenen,  körnigen  Schnittfläche  fliesst  kein  Se- 
cret  mehr,  sondern  man  erhält  nur  beim  Darüberstreifen  mit 
dem  Messer  etwas  rothbrauner  .  grumöser  Flüssigkeit.  Die 
Lunge  ist  schon  viel  schwerer,  als  im  gesunden  Zustande, 
hält  keine  Luft  mehr ,  sinkt  daher  auch  im  Wasser  unter. 
So  roth  in  diesem  Stadium  die  Lunge  ist,  so  ist  sie  dennoch 
blutleer,  denn  die  rothe  Färbung  rührt  nur  von  dem  Blutfar- 
bestoffe her,  welcher  dem  in  die  Zellen  ausgeschiedenen  Fa- 
serstoffe beigemischt  ist,  und  in  deren  Capillargefässen , 
welche  durch  das  Exsudat  comprirairt  sind  ,  ist  kein  Kreisen 
des  Blutes  mehr  möglich. 

Wird  der  ausgeschwitzte  Färbestoff  resorbirt,  so  be- 
kommt die  zurückbleibende  Fibrin  nach  und  nach  eine  gelb- 
lichgraue Farbe  und  heisst  graue  Hepatisation  ,  welche  sich 
aber  von  der  vorigen  rothen,  nur  durch  die  Farbe  unterschei- 
det ,  daher  auch  mit  derselben  nur  ein  Stadium  der  Pneumo- 
nie darstellt»  Die  Dauer  desselben  ist  verschieden  ,  gewöhn- 
lich vom  5.  bis  12    Tage  der  Entzündung. 


m 

3.  Stadium.  Die  eitrige  Z  e  r  f  1  i  e  s  s  u  n  g. 

Das  Lungengewebe  färbt  sich  blassgelb ,  ist  weich  und 
sehr  leicht  zerreisslich,  so  dass  bei  geringem  Fingerein- 
drucke im  Herausnehmen  im  Innern  Höhlen  entstehen,  welche 
fürAbscesse  gehalten  werden  können.  Der  Fingerdruck  kehrt 
langsam  zurück  und  das  speeifische  Gewicht  ist  noch  immer 
grösser,  als  im  gesunden  Zustande.  Aus  der  Schnittfläche 
ergiesstsich  viel  eitrige  Flüssigkeit  mit  Luftblasen  gemischt; 
in  den  meisten  Theilen  ist  die  körnige  Structur  schon  ver- 
schwunden und  lässt  sich  der  Eiter  aus  den  Zellen  durch  Aus- 
waschen entfernen.  Die  eitrige  Schmelzung  kommt  durch 
eine  in  der  Peripherie  entstehende  neue  Congestion,  deren 
abgesetztes  Serum  den  Faserstoff  durchfeuchtet  und  dessen 
Verwandlung  in  Eiterzellen  einleitet ,  zu  Stande  und  ist  der 
nothwendige  Ausgang  jeder  Pneumonie. 

Auf  diese  Weise  wird  aller  in  den  einzelnen  Bläschen 
abgelagerte  Faserstoff  aus  denselben  entfernt;  ohne  sie  zu 
gefährden  und  meistens  unter  der  Form  der  Sputa  coeta  aus- 
geworfen ,  übrigens  aber  auch  auf  anderen  Wegen  abge- 
schieden. 

Bei  Verbreitung  der  Entzündung  über  einen  grösseren 
Kaum  findet  man  häufig  alle  drei  Stadien  neben  einander  beste- 
hen ,  und  kann  die  Fortschritte  des  Leidens  leicht  nach- 
weisen. 

Folgezustände.  Durch  die  innige  anatomische  Ver- 
bindung der  Bronchialschleimhaut  mit  jener  der  Lungenbläs- 
chen wird  die  fast  jedesmalige  Verbreitung  des  inflamma- 
torischen Processes  auf  jene  bedingt  und  es  entsteht  dadurch 
ein  entzündlicher  Bronchialcatarrh,  der  meistens  noch  länger 
dauert  als  die  Pneumonie  selbst. 

Häufig  erstreckt  sich  der  Inflaminationsprocess  bis  zur 
Pulmonalpleura  als  Pleuropneumonie,  doch  ist  das 
dadurch  gesetzte  Exsudat  nur  sparsam  und  erscheint  meist 
nur  als  Trübung  des  Rippenfelles  und  flockiger  Beschlag  an 
demselben. 

19  # 


392 

Im  Herzen  und  in  den  grossen  Gefässen  findet  man  häufig 
fibrinöse  Gerinnungen  ,  an  den  Meningen  zuweilen  Zeichen 
von  Entzündung,  wobei  die  Pneumonie  unter  nervösen  Er- 
scheinungen zu  verlaufen  pflegt ;  die  Leber  und  Milz  hyper- 
ämisch. 

Ursachen.  Männer,  vorzüglich  Individuen,  welche  durch 
heftige  Anstrengung  der  Arm-  und  Brustmuskel  häufigen 
Congestionen  zu  den  Lungen  unterworfen  sind,  wie  Schmiede, 
Schreiner ,  Schiffer  u.  s.  w.  sind  zur  Pneumonie  besonders 
disponirt.  Öfter  kommt  sie  rechterseits  und  an  den  unteren 
Lappen  vor,  als  links  und  an  den  oberen  Partien.  Doch  stehen 
meine  Erfahrungen  mit  jenen  von  Stokes  und  Grisolle 
in  vollkommenem  Einklänge,  dass  gewisse  epidemische  Ein- 
flüsse das  Vorkommen  der  Pneumonien  in  den  oberen  Lappen 
begünstigen.  Beiderseitige  Pneumonien  bestehen  selten,  und 
wenn  sie  vorkommen,  beginnt  die  Entzündung  in  einer  Brust- 
hälfte erst ,  nachdem  sie  in  der  andern  schon  mehr  vorge- 
schritten ist,  und  kommt  zuweilen  gekreuzt  vor,  z.  B.  rechts 
im  oberen  ,  links  im  unteren  Lappen. 

Ausgänge.  In  Genesung  in  jedem  Stadium,  in 
den  Tod  durch  Lungenödem,  Lungenlähmung,  Gehirndruck, 
übermässige  Ausscheidungen  von  Faserstoff,  acute  Magen- 
erweichung u.  s.  w.  in  andere  Krankheiton  als  Ab- 
scessbildung,  indurirte  Hepatisation,  Lungenbrand,  infil- 
trirte  Tuberculose  und  Krebs. 

1.  Abscessbildung  kommt  in  der  Lunge  selten 
vor.  Dazu  ist  es  nöthig,  dass  das  Entzündungsproduct  auch 
in  das  interstitielle  Gewebe  abgelagert  werde,  daselbst  eitrig 
schmelze ,  die  Wandungen  zerstöre  und  mehrere  Zellen  in 
einen  grösseren ,  rings  von  infiltrirtem  Gewebe  umgebenen , 
Abscessherd  vereinige.  Derlei  Eiterhöhlen  sind  unregelmäs- 
sig geformt,  mit  unebenen  zottigen  Wandungen  versehen, 
und  von  der  Grösse  einer  Bohne  bis  zu  der  einer  Faust.  Ist 
der  Abscess  noch  so  klein ,  dass  er  keinen  grösseren  Bron- 
chus erreicht,  so  wird  sein  Inhalt  nicht  entleert;    wird   aber 


293 

ein  Bronchus  eröffnet  und  der  Eiter  dadurch  ausgeworfen , 
so  entsteht  eine  sogenannte  Vomica  aperta.  Eiterresorption 
und  durch  selbe  eingeleitetes  Fieber  bedingen  die  Phthisis 
ulcerosa.  Durchbohrung  der  Rippenwand,  setzt  Pneumopyo- 
thorax,  wenn  nicht  das  plastische  Exsudat  einer  adhäsiven 
Pleuritis  der  Perforation  einen  Damm  setzt;  dass  dabei  selbst 
Durchbruch  der  Zwischenrippenmuskel  und  Bildung  von  Em- 
pyema  externum  entstehen  könne ,  hat  die  Erfahrung  dar- 
gethan. 

Kommt  es  in  seltenen  Fällen  zur  Heilung  eines  Lungen- 
abscesses,  so  finden  wir  das  umgebende  Gewebe  indurirt,  die 
betreffenden  Bronchialäste  obliterirt  und  an  ihrem  blinden 
Ende  sackförmig  aufgetrieben;  sinken  die  Wände  der  Höhle 
an  einander  und  verbinden  sich  durch  adhäsive  Entzündung, 
so  sieht  man ,  war  der  Abscess  gross  und  oberflächlich  , 
narbige  Vertiefung  und  Einziehung*  der  leidenden  Stelle. 

2.  Indurirte  Hepatisation  entsteht,  wenn  das 
plastische  Entzündungsproduct  nicht  eitrig  schmilzt  und  sich 
nicht  weiter  fort  bildet ,  d.  i.  obsolescirt. 

Das  Gewebe  ist  dann  braungrau ,  fest  und  callös ,  ent- 
weder in  der  ganzen  früher  hepatisirten  Partie  oder  nur  in 
deren  Umkreise,  während  die  mittleren  Theile  sich  in  Tuber- 
kel verwandeln  ,  deren  weitere  Entwicklung  dann  durch  das 
umgebende  callöse  Gewebe  häufig  beschränkt,  wenn  nicht 
vereitelt  wird. 

Durch  Druck  des  verhärteten  Gewebes  wird  die  unter- 
liegende lufthaltige  Partie  atrophisch ,  sinkt  die  Brustwand 
darüber  ein  ,  weicht  selbst  die  Richtung  der  Wirbelsäule  aus 
und  können  sich  durch  Beschränkung  des  Kreislaufes,  dem 
die  verödete  Stelle  entzogen  wird,  Venosität,  Dilatation  des 
rechten  Herzens  und  hydropische  Erscheinungen  entwickeln. 

3.  Verwandlung  in  Tuberkelstoff  entsteht  un- 
ter den  bei  Betrachtung  der  Tuberculose  näher  zu  erörtern- 
den Bedingungen.  Die  graue  Hepatisation  löst  sich  auch  in 
diesem  Falle  nicht,  wird  kreidig  gefärbt  und  bleibt  so  eine 


994 

Zeitlang  unverändert,  bis  sie  sich  zu  käsiger  schmieriger 
Tuberkelmasse  umstaltet,  was  entweder  mit  der  ganzen  He- 
patisationsmasse oder  nur  mit  deren  centralen  Theilen  ge- 
schieht, während  die  peripherischen  Stellen  sich  in  callöses 
indurirtes  Gewebe  verwandeln.  Weiteres  über  diesen  Process 
sowohl ,  als  über  die  Verwandlung  in  Krebsmasse  und  über 
Lungenbrand  ist  in  den  betreffenden  Abschnitten  nachzulesen, 

Diagnose. 
Allgemeine    Symptome. 

Der  Puls  steht  gewöhnlich  im  Verhältnisse  zur  Aus- 
dehnung des  entzündlichen  Processes,  der  Häufigkeit  der 
Respiration  und  der  Gefahr,  und  beträgt  auf  der  Höhe  der 
Krankheit  120 — 140  Schläge  in  der  Minute.  Derselbe  ist 
häufig  scheinbar  klein  und  unterdrückt;  erscheint  er  aber  bei 
sehr  schneller  Respiration  unverhältnissmässig  langsam,  so 
deutet  diess  auf  ungünstigen  Ausgang. 

Verstärkte  Herzaction,  deren  Stösse  besonders 
beim  Sitze  der  Hepatisation  an  der  Vorderfläche  der  linken 
Brust,  besonders  leicht  sich  auch  in  Distanz  fühlbar  machen, 
ist  kein  zu  seltenes  Symptom.  Das  aus  der  Ader  gelassene 
Blut  zeigt  gewöhnlich ,  so  lange  die  Hepatisation  dauert , 
eine  Crusta  phlogistica ,  welche  im  Stadium  der  eitrigen 
Schmelzung  nach  und  nach  wieder  verschwindet.  Das  ent- 
zündliche Fi  eb  er  beginnt  gewöhnlich  mit  einem  hefti- 
gen Schüttelfröste,  der  sich  nur  selten  wiederholt,  bei  Bil- 
dung eines  Lungenabscesses  und  Eiterresorption  aber ,  wie 
bei  einer  Intermittens ,  sich  zu  verhalten  scheint.  Bei  Ge- 
hirndruck, grosser  Ausbreitung  des  entzündlichen  Processes, 
Complication  mit  Endo-  und  Pericarditis ,  Erschöpfung  der 
Kräfte ,  übermässiger  ßlutentziehung  bekömmt  das  Fieber 
einen  adynamischen  Charakter.  Leichte  Hirn-  und  ga- 
strische Symptome  sind  gewöhnlich ,  besonders  letz- 
tere, sollen  daher  auch  nicht  zur  Annahme  einer  Pneumonia 
gaHrica,    die   nur  zufälliger   Complication  ihre  Entstehung 


295 

verdankt ,    verleiten ;    Neigung  zu  Diarrhöe    ist  keine  er- 
wünschte Erscheinung. 

Das  Gesicht  ist  voll  und  roth ,  bei  grösseren  Fort- 
schritten der  Hepatisation  aber  blasser,  oft  icterisch  gefärbt, 
und  die  Wangenröthe  nur  flüchtig  und  umschrieben ,  beson- 
ders bei  Abscessbildung  und  Tuberkelinfiltration.  Eine  um 
den  Mund  und  die  Nasenflügel  erscheinende  Hydroa  ist  ein 
günstiges  Zeichen.  Die  Zeichen  der  Haut  sind  die,  welche 
Entzündungsprocessen  gewöhnlich  zukommen.  Biliöse  Er- 
scheinungen sind ,  besonders  zur  Sommerszeit  und  da  die 
Leber,  welche  an  der  Erhaltung  der  Blutmischung  grossen 
Antheil  hat ,  während  der  behinderten  Respiration  mit  venö- 
sem Blute  überfüllt  wird ,  nicht  selten,  gestatten  aber  nicht 
eine  eigene  Species  der  Pneumonie:  die  Pn.  biliosa  aufzu- 
stellen. Der  Urin  ist  wie  in  Entzündungskrankheiten,  doch 
zeigt  die  Lungenentzündung  gerne  solemne  Harncrisen.  Die 
Betrachtung  der  Lage  kann  nur  bei  Complication  mit  Pleu- 
ritis eine  Bedeutung1  gewinnen  ,  ausser  derselben  ist  sie  ganz 
willkürlich.  Der  Schmerz  ist  keine  charakteristische  Er- 
scheinung, er  ist  meistens  drückend  und  oft  durch  die  Brust- 
warze der  leidenden  Seite  bis  zum  Rücken  stechend.  Der 
Husten  begleitet  gewöhnlich  die  Pneumonie  von  ihrem  Be- 
ginne bis  zum  Ende ,  doch  kann  er  auch  fehlen.  Der  Aus- 
wurf ist  anfangs  weiss  und  schaumig,  wird  immer  mehr 
zähe,  anhängend,  glasartig  und  durch  Blutfarbestoff  und 
Blutkugeln  roth  und  rostfarb  tingirt ,  stellt  aber  im  Stadium 
der  eitrigen  Zerfliessung  die  Sputa  purulenla ,  cocta  der 
Praktiker  dar.  Die  microscopische  Untersuchung  des  Aus- 
wurfes ist  aber  in  jedem  Stadium  und  bei  allen  möglichen 
Ausgängen  der  Pneumonie  von  hoher  Wichtigkeit ;  übrigens 
können  Lungenentzündungen  auch  ohne  allen  Auswurf  ver- 
laufen ,  zumal  bei  kleinen  Kindern. 

Physicalische  Symptome. 

Inspection.  Wir  sehen  eine  beschleunigte  mühsame 
Respiration,  wobei  sich  die  leidende  Seite  weniger  bewegt, 


396 

als  die  gesunde  (Respiratio  inaequalis ,  obliqua).  Sitzt  die 
Pneumonie  in  den  obern  Lappen,  so  ist  die  Respiration  mehr 
eine  abdominalis }  diaphraymatica }  sitzt  sie  in  den  unteren 
Partien ,  eine  sublimis.  Die  Zwischenrippenräume  sind  da- 
bei beweglich  und  nicht  vorgetrieben.  Über  grossen  Absces- 
sen  findet  man  den  Thorax  zuweilen  eingesunken. 

Mensuration  und  Palpation.  Durch  die  Messung 
wird  nichts  Abnormes  nachgewiesen.  Die  Palpation  findet  das 
Herz  an  seiner  gewöhnlichen  Stelle ,  aber  die  Vibrationen 
der  Stimme  über  der  hepatisirten  Stelle  etwas  vermindert. 

Percussion.  Ist  der  pneumonische  Process  an  der 
Oberfläche  der  Lunge  unter  einer  biegsamen  Brustwand ,  so 
findet  man  den  plessimetrischen  Schall  häufig  voll  und  tym- 
panitisch ,  so  lange  die  Lungenzellen  ausser  dem  flüssigen 
Faserstoffe  noch  Luft  enthalten.  Je  mehr  sich  aber  das  erste 
Stadium  der  Pneumonie  dem  der  Hepatisation  nähert,  um  so 
weniger  Luft  befindet  sich  mehr  in  den  Lungenzellen,  und 
um  so  mehr  wird  der  Percussionsschall  leer,  gedämpft  und 
steigert  sich  die  fühlbare  Resistenz  beim  Anklopfen.  Cen- 
trale Hepatisationen  werden  durch  das  Plessimeter  nicht  er- 
kannt. Im  Stadium  der  Lösung  ist  der  Percussionsschall  wie 
im  ersten  Stadium  oder  bleibt  noch  durch  längere  Zeit 
etwas  gedämpft.  Ödem  der  angränzenden  Stellen  und  Em- 
physem der  Ränder  geben  zuweilen  einen  tympanitischen 
Schall  über  denselben. 

Auf  den  Veränderungen  des  Percussionsschalles,  welche 
sich  bei  wiederholter  Untersuchung  ergeben ,  schliessen  wir 
auf  Zu-  oder  Abnahme  des  Leidens. 

Auscultation.  So  lange  noch  in  den  Lungenbläs- 
chen keine  Ausscheidung  zu  Stande  gekommen,  während 
die  Capillargefässe  doch  schon  von  Blute  strotzen ,  hört  man 
oft  wegen  der  dabei  Statt  findenden  Anschwellung  der  Bron- 
chialschleimhaut, verschärftes,  selbst  rauhes ,  vesiculäres 
Athmen.  Tritt  aber  in  die  Lungenbläschen  Flüssigkeit  aus, 
ohne  jedoch  den  Zutritt  der  Luft  gänzlich  abzuschliessen, 


297 

so  hören  wir  ein  feines,  gleichblasiges  Rasseln,  Crepita- 
tion,  das  sich  hei  weiteren  Fortschritten  der  Pneumonie 
weiter  mit  dem  Ohre  verfolgen  lässt ,  und  dem  wir  als  einem 
der  wichtigsten  Kennzeichen  des  Beginnes  dieser  Krankheit 
volle  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen  müssen.  Tritt  im 
1.  Stadium  Heilung  ein ,  so  kehrt  das  Knistern  wieder  in 
das  verstärkte  Athmen  zurück ;  schreitet  die  Entzündung 
aber  weiter  vor,  so  macht  sie  in  dem  Stadium  der  Hepati- 
sation dem  Bronchialathmen  Platz,  das  an  den  Stellen,  welche 
matten  Pcrcussionsschall  geben ,  im  Vereine  mit  Broncho- 
phonie  gehört  wird,  vorausgesetzt,  dass  darin  ein  Bron- 
chialast verläuft,  welcher  der  Compression  widersteht  und 
mit  einem  Hauptstamme  communicirt ;  wird  deren  Verbindung 
durch  Verstopfung  mit  Schleim  u.  s.  w.  aufgehoben,  so  fehlt 
das  bronchiale  Athmen  auf  so  lange ,  bis  die  Luft  wieder 
freien  Zutritt  bekömmt. 

Begleitende  Rasselgeräusche  entstehen  in  den  Bronchien 
und  sind  desto  grossblasiger,  je  weiteren  Raum  die  Bron- 
chien ihren  Blasen  gewahren.  Unter  Erfüllung  der  Bedingun- 
gen der  Consonanz  werden  auch  entfernte  Rasselgeräusche 
über  hepatisirten  Stellen  gehört. 

In  der  andern  relativ  gesunden  Lunge  wird  supplemen- 
täres Athmen  vernommen ,  da  sie  nun  auch  nach  Möglich- 
keit die  Function  der  erkrankten  Partie  übernehmen  und  voll- 
führen muss. 

Im  dritten  Stadium  wiederholen  sich  alle  angeführten 
physicalischen  Symptome  ,  aber  in  umgekehrter  Reihenfolge. 
Doch  ist  das  dabei  hörbare  Knistern  grossblasiger  und  mehr 
dem  Schleimrasseln  ähnlich. 

Indurirte  Hepatisation,  Tuberkel  und 
Krebsinfiltrat  geben  die  Zeichen  der  Hepatisation.  Ca- 
vernen  und  Lungenabscesse,  welche  durch  ihre  Com- 
niunicalion  mit  einem  Bronchus  sich  wenigstens  zum  Theile 
mit  Luft  füllen ,  geben  ziemlich  vollen  und  bei  oberflächli- 
cher Lage  sogar  tympanitischen  Schall,  zuweilen  das  Ge« 


298 

rausch  des  gesprungenen  Topfes,  welche  Töne  bei  sehr  gros- 
ser Ausdehnung  und  Regelmässigkeit  der  Höhle  vom  metal- 
lischen Klange  begleitet  sein  können.  Das  Stethoscop  weist 
darin  Athem  und  Stimme  mit  cavernösem  Charakter,  amphori- 
schen oder  metallischen  Klang  nach. 

Unterschiede.  Die  Hepatisation  kann  mit  Bron- 
chitis nicht  verwechselt  werden,  da  letztere  keine  physi- 
calischen  Symptome,  ausser  verschiedenen  nicht  consoniren- 
den  Rasselgeräuschen  darbietet. 

Apoplexia  pulmonum  wird  durch  das  plötzliche 
Auftreten,  das  Fehlen  des  Fiebers  im  Anfange ,  die  blutigen 
nicht  zähen  Sputa  charakterisirt  und  ergibt  nur  bei  hinläng- 
licher Grösse  und  oberflächlicher  Lage  des  Herdes,  Dämpfung 
des  Percussionsschalles  und  bronchiales  Athmen.  Doch  ent- 
wickelt sich  häufig  um  denselben  consecutive  Pneumonie  (den 
7.  —  9.  Tag)  ,  welche  durch  die  gewöhnlichen  Zeichen 
erkannt  wird. 

Lungenödem  zeigt  zwar  häufig  Knisterrasseln ,  nie 
aber  bronchiales  Athmen.  Der  Percussionsschall  ist  meistens 
sonorer,  selbst  tympanitisch,  die  Dyspnoe  heftig ,  die  Ent- 
stehung schnell  und  der  Auswurf  schaumig,  nicht  zähe, 
mehr  serös. 

Die  Unterschiede  der  Pneumonie  vom  pleuritischen 
Exsudate  sind  schon  entwickelt  worden. 

2,    Die    secundäre,    acute,    faserstoffige  Pneu- 
monie, 

Diese  Lungenentzündungen  sind  in  einem  voraus  ge- 
gangenen Leiden  eines  andern  Organes  begründet  und  er- 
scheinen meistens  nur  als  lobuläre  Pneumonien ,  sind  übri- 
gens aber  nach  Sitz  und  Ausdehnung  vei schieden. 

Ihre  anatomisch-pathologischen  Charaktere  und  ihr  Ver- 
lauf sind  dieselben,  welche  wir  an  primären  Pneumonien  beob- 
achten. Ein  häufiger  Entstehungsgrund  sind  wasserstoffige 
Entzündungen  anderer  Organe,  z.  B.  Angina  membranacea} 


999 

Bronchitis  calarrhosa,  Grippe  u.  s.  w. ;  abgelagerte  Tuber- 
kel, Variolen,  Masern,  Eitergährung  des  Blutes  und  der 
typhöse  Process  haben  nicht  selten  secundäre  Pneumonie  in 
ihrem  Gefolge.  Endlich  entstehen  letztere  aus  passiver  Stase, 
herbeigeführt  durch  lang  fortgesetzte  Lage  auf  dem  Rücken 
oder  einer  Seite  ,  als  sogenannte  bypostatische  Pn. 

Entwickelt  sich  der  entzündliche  Process  durch  Ver- 
breitung von  der  Bronchialschleimhaut  auf  die  Lungenbläs- 
chen, so  entsteht  die  sogenannte  catarrhalische  Pneu- 
monie, welche  immer  nur  lobulär  ist  und  zerstreute,  derbe 
Läppchen  zeigt,  welche  aus  impermeablen  Lungenzellen  be- 
stehen ,  in  welchen  der  exsudirte  Faserstoff  keine  granulirte 
Hepatisation,  sondern  nur  eine  zähe  Gerinnung  bildet,  wel- 
che sich  auch  in  die  mit  den  Bläschen  zusammenhängenden 
feinsten  Bronchialzweige  verbreitet ,  und  deren  Lumen  ver- 
stopft. (Pneumonia  capillaris,  mancher  Praktiker.)  Das  ge- 
sunde umgebende  Gewebe  ist  meistens  anämisch  und  emphy- 
sematös  aufgebläht. 

Die  durch  Aufnahme  von  Eiter  in  die  Blutmasse,  Zer- 
fallen derselben  und  Verwandlung  des  Faserstoffes  in  Eiter, 
der  dann  in  verschiedenen  Organen  sich  absetzt ,  zu  Stande 
kommende  metastatische  Lungenentzündung  wird  von  den 
Praktikern  schlechtweg  Lobular  -  Hepatisation  ge- 
nannt ,  wiewohl  es  dabei  zu  keiner  eigentlichen  Hepatisation 
kommt.  Veranlassung  sind  eiternde  Wunden,  Abscesse,  Phle- 
bitis ,  Variolen  im  Suppurationsstadium,  wenn  ihr  Inhalt  re- 
sorbirt  wird ,  Puerperalprocess  u.  s.  w.  Man  findet  dann 
schwarze  umschriebene  erbsen-  bis  nussgrosse  Stellen,  wel- 
che später  sich  graugelblich  färben  und  keine  Granulation, 
sondern  eitrige  Flüssigkeit  erkennen  lassen.  Im  Umkreise  ist 
das  Gewebe  etwas  entzündlich  infiltrirt  und  geht  dann  ins  ge- 
sunde Parenchym  über. 

Solche  Lobularabscesse  zerstören  die  angränzenden  Ge- 
bilde, und  die  eingeleitete  reactive  Entzündung  trägt  nur  zu 
weiterem  Umsichgreifen  des  Processes  bei.  Gelangen  solche 


300 

Eiterherde  an  die  Pleura,  so  wird  sie  durchbohrt  oder  bran- 
dig zerstört  und  der  Tod  erfolgt  durch  den  nun  entstehenden 
Pneumothorax,  wenn  die  schon  früher  bestandene ,  eitrige 
Blutvergiftung*  nicht  schon  dem  Leben  des  Kranken  ein  Ende 
gesetzt  hatte. 

Diagnose.  Die  Anamnese  leistet  hier  mehr  als  die 
sorgfältigste  Untersuchung.  Die  Percussion  ergibt ,  wegen 
des  zwischenliegenden  gesunden  Lungenparenchymes,  keine 
Dämpfung  des  Schalles;  durch  das  Stethoscop  werden  höch- 
stens die  Zeichen  des  begleitenden  Bronchialcatarrhes  wahr- 
genommen, welche  entweder  weiterverbreitet  oder  besonders 
bei  der  metastatischen  Pneumonie  auf  umschriebene  Stellen 
beschränkt  sind. 

Hypostatische  Pneumonien  entstehen  aus  pas- 
siver Stase,  welche  sich  in  den  untern  und  hinteren  Partien 
derselben  in  Folge  langer  Bücken  -  oder  Seitenlage ,  bei 
Schwächekrankheiten,  nach  Operationen,  in  Hirnleiden, 
Säuferwahnsinn,  Typhus,  Paralysen  u.  s.  w.  entwickelt, 
und  oft  in  beiden  Lungen,  häufiger  aber  in  der  rechten,  als 
in  der  linken  beobachtet  wird.  Im  Typhus  ist  die  Untersu- 
chung der  Brust  nie  zu  vernachlässigen. 

Anatomisch-patholog.  Charaktere.  Nach  hin- 
ten und  unten  zu  findet  man  oft  in  Form  umschriebener  Herde 
das  Lungengewebe  geschwellt,  mürber,  leicht  zerreisslich? 
dunkel ,  selbst  schwarzroth  gefärbt,  weniger  elastisch,  luft- 
leer und  aus  der  glatten  glänzenden  Schnittfläche ,  welche 
keine  körnige  Structur  darbietet ,  eine  häufig  albuminöse, 
mit  viel  Serum  und  Cruor  gemischte  Flüssigkeit  ergiessend. 
Die  Bronchien  sind  oft  mit  zähem,  braunem  Schleime  erfüllt. 
Tritt  nicht  durch  eitrige  Schmelzung  des  Entzündungspro- 
ductes  Genesung  ein ,  so  entsteht  Tuberculose  oder  Brand, 
und  in  dessen  Gefolge  durch  Zerstörung  der  Pleura  Pneu- 
mothorax. 

Diagnose.  Die  Krankheit  wird  nur  durch  die  physi- 
kalischen Zeichen  erkannt.  Anfangs,  so  lange  die  Lungen^ 


301 

Wäschen  noch  nicht  ganz  unwegsam  sind,  hören  wir  Schleim- 
rasseln ,  ist  aber  letzteres  schon  der  Fall,  so  finden  wir  die 
Zeichen  der  Hepatisation. 

Der  verschiedene  Zustand  des  Lungengewebes  in  ver- 
schiedenen Lebensperioden  bedingt  auch  Modificationen  des 
pneumonischen  Processes ,  welche  jenem  entsprechen.  Als 
solche  haben  wir  zu  betrachten :  a)  die  Pneumonie  der  Kin- 
der, und  b)  jene  der  Greise. 

a)  Pneumonie  der  Kinder.  In  derselben  ist,  der 
bei  Kindern  mehr  eiweisshältigen  Blutmischung  entspre- 
chend, auch  das  Entzündungsproduct  reicher  an  Albumen, 
als  an  Faserstoff.  Dasselbe  erscheint  unter  der  Form  von  zer- 
streuten Lobularinfiltrationen  ,  welche  oft  schon  von  aussen 
durch  ihren  Widerstand  beim  Anfühlen  zu  erkennen  sind, 
keine  körnige  Schnittfläche  haben ,  übrigens  aber  die  Cha- 
raktere der  Lobularpneumonien  und  ihrer  Stadien,  wie  sie 
eben  beschrieben  wurden  ,  an  sich  tragen ;  kommt  es  zu  lo- 
baren  Entzündungen,  so  sind  die  Hepatisationsstellen  immer  er- 
weicht (v.  Kiwi  seh)  und  gehen  selbst  in  Abscessbildung 
über.  Lobuläre  Pneumonien  sind  häufiger  auf  beide  Lungen, 
lobäre  nur  auf  eine  verbreitet. 

Diagnose.  Heftiges,  entzündliches  Fieber,  zuwei- 
len mit  Delirien  und  Sopor  verbunden,  trockene  Haut,  gelb- 
liche, oft  livide  Färbung  des  Gesichtes,  Offenstehen  der, 
bei  jedem  Athemzuge  bewegten  Nasenflügel ,  fast  unzählba- 
rer Puls  bei  70  —  80  Afhemzügen  in  der  Minute  ,  Husten  , 
ohne  Expectoration ,  sind  die  nicht  ungewöhnlichen  funefio- 
nellen  Zeichen  der  Pneumonie  an  Kindern. 

Percussion.  Nur  grössere,  lobäre  Hepatisafionen 
dämpfen  den  Schall ,  lobuläre  lassen  sich  nicht  erkennen. 

Auscultation.  Man  findet  dem  begleitenden  Catarrhe 
zu  Folge  meistens  starke  Rasselgeräusche,  welche  es  selten 
gestatten  Crepitation  wahrzunehmen.  Bei  lobären  Hepatisa- 
fionen hören  wir  zuweilen  Athem  und  Stimme  bronchial,  doch 
muss  man  sich  hüten,  bei  heftigem  entzündlichen  Fieber,  ein 


302 

etwa  vorkommendes  pueriles  Athmen  für  bronchiales  zu  hal- 
ten und  eine  Pneumonie  zu  vermuthen,  wo  ein  ganz  anderes 
Leiden  im  Hintergrunde  ist. 

bj  Pneumonie  der  Greise.  Anatomisch-pa- 
thologische Charaktere.  Die  Schleimhaut  der  Bron- 
chien zeigt  einen  alle  Stadien  begleitenden  catarrhalischen 
Zustand ,  ist  geröthet  und  von  zähem  Schleime  erfüllt.  Die 
Lungenzellen  sind  im  ersten  Stadium  stark  injicirt  und  gerö- 
thet, zähe  beim  Einschneiden  und  enthalten  eine  klebrige, 
gering  schäumende ,  röthlich  weisse  Flüssigkeit. 

Im  Stadium  der  Hepatisation  sind  die  Lungen  nie  beson- 
ders ausgedehnt ,  noch  ist  ihr  Gewicht  so  vermehrt,  dass  sie 
im  Wasser  untersinken.  Die  Schnittfläche  erscheint  wenig 
granulirt,  sondern  mehr  glatt  und  feucht,  und  ergiesst  beim 
Darüberstreifen  mit  dem  Messer  eine  gallertige ,  oft  cho- 
coladefärbige,  stark  eiweisshältige  Flüssigkeit  (da  auch  die 
Blutmischung  bei  Greisen  eine  vorwaltend  albuminöse  ist}. 

Im  dritten  Stadium  finden  wir  in  den  Zellen  und  den 
Bronchialzweigen  Eiter,  zu  welchem  das  Entzündungspro- 
duet  gerne  schnell  zerfliesst.  Zuweilen  lässt  sich  dieser 
(nach  Hourmann,  Hasse)  aus  dem  Gewebe,  in  das  er 
in  zerstreuten  ,  genau  umschriebenen  Flecken  von  1  —  2  Li- 
nien eingetragen  gefunden  wird,  mit  demMesser  herausheben. 

Diagnose.  Das  Fieber  zeigt  keinen  ausgesprochen  ent- 
zündlichen, häufig  selbst  einen  mehr  adynamischen  Charakter. 
Auch  das  aus  der  Ader  gelassene  Blut  gerinnt  nur  selten  zu  ei- 
ner mit  Speckhaut  versehenen  weichen  Placenta.  Der  Puls 
macht  85—90,  oft  bedeutend  weniger  Schläge ;  Ossifikatio- 
nen der  Radialarterie  können  ihn  leicht  scheinbar  als  »har- 
ten« fühlen  lassen ,  die  Gesichtsfarbe  ist  meistens  fahl, 
gelblich,  die  Haut  trocken  und  heiss.  Die  Zunge  rissig  und 
schwartig,  der  Schmerz  fehlt  meistens,  und  der  Auswurf 
ist  wie  von  veralteten  Lungenblennorrhöen  oder  klebrig 
und  chocoladefarben.  Bald  erscheinen  leichte  Delirien    und 


303 

soporöse  Symptome,  welche  immer  zunehmen,  bis  der  Kranke 
an  Gehirndruck  und  Erstickung  stirbt. 

Inspection.  Die  Besichtigung  lässt  kaum  eine  un- 
gleiche Ausdehnung  der  Brusthälften  erkennen. 

Percussion.  Das  normale  Parenchym  der  Lungen 
klingt  voller  und  heller  als  im  kräftigen  Lebensalter;  die  he- 
palisirten  Stellen  geben  gedämpften  und  leeren  Schall ,  mit 
vermehrtem  Widerstände  ;  doch  nie  in  jenem  Grade,  in  wel- 
chem diese  Symptome  bei  jungen  Kranken  gehört  werden. 

Au  scultation.  Die  ungleiche  Grösse  der  einzelnen 
Lungenbläschen  bewirkt,  dass  die  Crepitation  den  Charakter 
des  Schleimrasselns  erhält.  Kommt  es  zur  Hepatisation,  so 
hört  man  bronchiales  Athmen  und  consonirendes  Rasseln 
(doch  darf  man  das  zwischen  den  Schulterblättern  bei  ge- 
sunden Greisen  häufige  Bronchialathmen  nicht  für  abnorm 
halten);  die  Bronchialstimme  erscheint  gerne  als  Ägo- 
phonie. Zuweilen  stellt  sich  auch  pleuritisches  Reibungsge- 
räusch ein. 

Die  Lösung  der  Pneumonie  kommt  bei  alten  Individuen 
nur  sehr  langsam  zu  Stande,  und  über  den  erkrankten  Stel- 
len bleiben  gewöhnlich  noch  lange  Zeit  Rasselgeräusche  oder 
scharfes,  rauhes  Athmen  zurück. 

1H.  Chronische  Pneumonie« 

Die  gewöhnliche  Lungenentzündung  mit  Ablagerung1 
ihres  Productes  in  die  Zellen,  kann  unter  manchen  Umstän- 
den (z.  B.  bei  Greisen)  wohl  einen  chronischen  Verlauf 
nehmen,  doch  gilt  die  interstitielle  Pneumonie, 
wobei  besonders  die  Zellenwandungen  und  ihr  Zwischenge- 
webe das  Exsudat  aufnehmen,  als  eigentlich  chronische  Ent- 
zündungsform. Sie  ist  meistens  ein  consecutiver  Zustand  als 
Heilbestreben  der  Natur,  welche  dadurch  dem  Weiterschrei- 
ten von  Abscessen  ,  Vomicen  und  Brandstellen ,  leider  oft 
vergeblich ,  einen  Damm  entgegenzustellen  sich  bemüht. 


304 

Pathologisch  -  anatomische  Charaktere. 
Das  interstitielle  Gewebe,  meistens  der  obere  Lappen,  ist 
blassroth,  von  faserstoffigem  Exsudate  infiltrirt,  knorpelig  ver- 
dickt, bei  längerer  Dauer  des  Leidens  derb  und  beim  Ein- 
schneiden knirschend.  Die  Lungenzellen  sind  seltener  von 
geronnenem  Faserstoffe  erfüllt ,  als  atrophisch  und  compri- 
mirt.  Endlich  entstehen  durch  den  Schwund  der  Lungen- 
substanz narbige  Einziehungen  und  der  Thorax  sinkt  bei 
grösserer  Verbreitung  des  Processes  ein.  Nicht  selten  findet 
man  dabei  die  blinden  Enden  der  Bronchien  erweitert,  und 
Spuren  einer  gleichzeitigen  Pleuritis.  Abscessbildung  ist 
kein  so  ungewöhnlicher  Ausgang  der  interstitiellen  Pneu- 
monie. 

Diagnose.  Die  Erscheinungen  sind  nicht  bezeichnend 
genug,  um  diese  Krankheit  mit  Leichtigkeit  zu  erkennen.  Cya- 
notische  Färbung ,  starke  Dyspnoe  und  Husten  mit  wenigem, 
zähen,  gelbweissen  Auswurfe  können  auch  auf  andere  Respi- 
rationsleiden deuten.  DiePercussionist  normal.  Das  Athraungs- 
geräusch  ist  bei  langsamer,  schwacher  Respiration  vermin- 
dert oder  fehlend ,  bei  starker  Dyspnoe  zischend  oder  pfei- 
fend, zuweilen  und  nur  bei  gleichzeitiger  Ablagerung  des 
Entzündungsproductes  in  die  Lungenzellen  durch  Rassel- 
geräusche maskirt.  Die  Erscheinungen  von  Cavernen  sind 
bekannt. 

Die  Iiiingeiituberciilose. 

Pathologisch-anatomische  Charaktere. 
Unter  Tuberkeln  versteht  man  gewöhnlich  kleine  runde 
Knötchen,  als  Product  einer  eigenen  Dyscrasie,  die  mit  Aus- 
nahme des  Horngewebes,  in  allen  Organen  des  menschli- 
chen Körpers  vorkommen.  Sie  wachsen  in  einem  gewissen 
Stadio  durch  Juxtaposition  und  sind  durch  die  äussere  Form 
vom  Krebse  nicht  viel  verschieden.  Eben  so  nennt  man  auch 
Entzündungsproducte,    die  sich  in  eine  käsige  Masse  ver- 


305 

wandeln  und  verschiedenen  bestimmten  Veränderungen  unter- 
worfen sind. 

Anfangs  ,  gleich  nach  der  Ausscheidung  erscheint  in 
der  Nähe  eines  arteriellen  Gefässes  eine  formlose,  perlgraue, 
trübe ,  eiweissähnliche  Masse  als  das  Rudiment  des  künfti- 
gen Tuberkels,  bald  wird  diese  von  zarten  Gefässchen  durch- 
zogen ,  und  verdichtet  sich  zu  einem ,  aus  concentrischen 
Schichten  bestehenden  Korne.  So  erscheint  der  Tuberkel  als 
graue  Granulation  in  dem  interstitiellen  Zellgewebe  der 
Lungen,  at*opbirt  dasselbe  durch  Druck,  und  bedingt  so- 
wohl durch  seinen  Reiz  als  fremder  Körper ,  einen  Irrita- 
tionszustand ,  als  durch  sein  Verhältniss  zur  Blutmischung, 
neue  Ausscheidungen,  die  meist  um  den  alten  Kern  sich 
schalenartig  ablagern. 

Eine  eigenthümliche  Blutmischung  ist  nur  bei  rascher 
Ausscheidung   des  Tuberkels,    bei  der  sogenannten  acuten 
Miliartuberculose  auffallend ,    bei  der  chronischen  aber 
weniger. 
Die  sogenannte  acute  oder  Miliartuberculose. 

Diese  tritt  entweder  primär  auf  oder  secundär ,  jenach- 
dem  in  den  befallenen  Lungen  früher  keine  Tuberkel  oder 
aber  schon  solche  vorhanden  waren.  Doch  combinirt  sie  sich 
weder  mit  ausgebreiteter  Exsudattuberculose,  noch  führt 
sie  zur  Phthise.  Der  Miliartuberkel  wächst  durch  Juxtaposi- 
tion  bis  zur  Hanfkorngrösse  und  wird  zuweilen  gelblich  und 
undurchsichtig,  bis  er  verschrumpft,  wenn  es  so  weit  kommt. 
Das  Blut  ist  dabei  dem  Typhösen  analog,  auch  er  selbst 
scheint  aus  Eiweiss  zu  bestehen. 

Das  Auftreten  geschieht  auf  einmal,  oder  durch  mehrere 
gleichsam  Schlag  auf  Schlag  sich  folgende  Ablagerungen. 
Der  Tod  erfolgt  durch  Hyperämie ,  acutes  Ödem  oder  Pa- 
ralyse der  Lungen.  Die  Lungen  sind  dabei  meist  hyperämisch. 
Gleichzeitig  erscheinen  auf  fast  allen  serösen  Häuten  ähnli- 
che Niederschläge ,  und  seröse  Ergüsse,  die  meist  hämor- 
rhagisch und  eiterhaltig  sind. 
Gaal  Diagnostik.  20 


306 

Die  chronische  Lungentuberculose. 

Diese  im  Gegensatze  zur  früher  sogenannten  acuten , 
erscheint  unter  zweifacher  Form,  i)  als  tuberculöse  Infiltra- 
tion, 2)  als  interstitielle  Tuberculöse. 

A.  Die  infiltrirte  Tuberculöse.  Diese  tritt  als 
sehr  faserstoffreiches  Exsudat  auf,  z.B.  in  Pseudomembranen, 
die  sich  aus  Faserstoffgerinnungen  gebildet  haben ,  oder 
wenn  der  Faserstoff  einer  grauen  Hepatisation  durch  kein 
Organisationswasser,  als  Träger  der  Lebenskraft,  durch- 
feuchtet wird,  so  verwandelt  er  sich  in  körnige  Tuberkel- 
masse (Casein). 

Wenn  nämlich  rohe,  aus  dem  Kreislaufe  getretene 
Stoffe  sich  nicht  organisiren  können ,  so  verändert  sich  in 
ihnen  sowohl  der  Aggregationszustand ,  als  die  chemische 
Mischung.  Alles ,  was  hiemit  das  Zustandekommen  der  Or- 
ganisation hindert ,  begünstiget  die  Verwandlung  der  Fibrin 
in  Casein.  Übrigens  sind  Fälle  nachgewiesen,  dass  die  Tu- 
berculöse sich  auch  aus  einer  albuminösen  Blutmischung 
entwickelt  habe. 

Es  sei  mir  erlaubt,  die  Bedingungen  dieser  Metamor- 
phose nach  des  genialen  Engel  #)  Aufsatze  in  Kürze  hier 
anzuführen. 

Diese  sind  besonders :  Eine  zu  grosse  Menge  Faser- 
stoffes in  einem  kleinen  Räume,  so  dass  nicht  leicht  eine 
Durchfeuchtung  zu  Stande  kommen  kann ,  Mangel  an  Orga- 
nisationswasser, Beimengung  fremder  Körper,  z.  B.  von 
Blutkugeln  in  einem  hämorrhagischen  Exsudate,  besonders, 
wenn  dieses  primär  auftrat  und  sehr  copiös,  so  wie  reich 
an  Faserstoff  ist.  (Ein  hämorrhagisches  Exsudat ,  das  se- 
cundär,  oft  in  Folge  von  Tuberculöse  auftritt,  bei  einer  Mi- 
schung des  Blutes,  welche  dadurch  entsteht,  dass  dieses 
schon  arm  an  Fibrin  geworden  und  selbes  in  geringer  Menge 
vorhanden  ist,  wird  selten  tuberculös.) 


*)  Zeitschrift   der    k.  k.  Gesellschaft    der   Ärzte   zu   Wien.  1. 
Jahrg.  5.  Hft. 


307 

Besonders  günstig  ist  der  Ablagerung  der  Tuberkel  die 
Nachbarschaft  schon  vorhandener  Aftergebilde  derselben  Art. 

Die  Nähe  blutarmer  Organe  ,  wie  der  Knochen,  oder 
Blutarmuth  überhaupt ,  z.  B.  der  Lungen  ,  wenn  sie  durch 
Compression  blutleer  geworden  sind ,  gesunkene  Lebens- 
kräfte, wie  nach  dem  Typhus,  und  Druck,  da  er  die  Orga- 
nisation hindert,  gelten  als  die  Tuberkelbildung  besonders 
unterstützende  Potenzen. 

Ursachen.  Dass  die  Lungentuberculose  so  häufig 
vorkommt,  erhellt  aus  dem  Vorhergehenden  und  dein  Umstände, 
dass  in  keinem  Organe  so  ausgebreitete  Faserstoffablagerun- 
gen möglich  sind ,  als  in  der  Lunge ;  als  Beispiel  diene  die 
Hepatisation.  Warum  der  tuberculöse  Process  aber  eine 
Vorliebe  für  die  Lungenspitzen  an  den  Tag  legt  ?  Diess  ge- 
nügend zu  erklären ,  sind  wir  ausser  Stande. 

Kein  Alter  wird  von  dieser  Krankheit  geschont ,  die  be- 
sonders hier  in  Wien  eine  solche  Herrschaft  ausübt,  dass 
fast  kein  Cadaver  geöffnet  wird ,  in  dem  nicht  einige  Tuber- 
kel zu  finden  wären. 

Um  das  Auftreten  der  tuberculösen  Infiltration  zu  er- 
klären ,  bedarf  es  nicht  immer  der  Annahme  einer  tuberculö- 
sen Dyscrasie  ;  jedes  Exsudat ,  das  viel  Faserstoff  enthält, 
kann  unter  obgenannten  Bedingungen  zu  einem  tuberculösen 
werden ,  doch  trägt  eine  tuberculöse  Crasis  vorzüglich  dazu 
bei.  Die  Combination  des  Tuberkelinfiltrats  mit  Producten 
verschiedener  Blutmischungen  z.  B.  Typhus ,  Scorbut ,  fri- 
schem Krebse ,  ist  daher  sowohl  denkbar ,  als  in  der  Praxis 
erwiesen;  jedoch  können  die  Producte  der  Tuberculöse  und 
eines  der  genannten  Zustände  nicht  demselben  Zeit-Momente 
ihre  Entstehung  verdanken,  es  muss  somit  Eines  davon 
das  ältere  sein  Ist  die  Tuberkel-Infiltration  aber  beträcht- 
lich, so  ist  dann  keine  Combination  mit  Producten  anderer 
Crasen  mehr  denkbar;  im  Gegentheile  erscheinen  letztere 
sogar  ausgeschlossen ,  da  im  Blute  der  Faserstoff  überwie- 
gend vorkommt.  Die  Bemerkung,  dass  Kropf  und  Tuberculöse 

20  *< 


308 

sich  ausschliessen ,  ist  nicht  stichhältig* ,  und  kann  nur  so 
weit  zugegeben  werden  ,  dass  durch  Druck  auf  die  Luft- 
röhre Lungeneniphysem  entstehe,  welches  dem  tuberculö- 
sen  Processe  hinderlich  wird.  Hydropische  Mischung  des 
Blutes  wird  nur  als  Folge  beobachtet,  indem  durch  den  in 
Rede  stehenden  Process  das  Blut  fast  seines  ganzen  Faser- 
stoffes beraubt  wurde.  Sehr  häufig  gesellt  sich  das  tubercu- 
löse  Infiltrat  schon  längst  vorhandenen  interstitiellen  Tu- 
berkeln bei,  durch  deren  Verwandtschaft  die  Faserstoffab- 
lagerung aus  dem  Blute  sowohl ,  als  deren  Verwandlung  in 
Caseün  wesentlich  begünstigt  zu  werden  scheint. 

Man  hält  gewöhnlich  den  Habitus  phthisicus  für  Ursa- 
che der  sogenannten  tuberculösen  Dyscrasie ;  allein  mit  Un- 
recht ;  da  er  eher  Folge  des  Auftretens  der  Tuberkelsucht  ist, 
und  auch  Menschen  mit  einem  apoplectischen Körperbaue  der 
Tuberculose  erliegen. 

Folgezustände.  Das  rohe  Tuberkelexsudat  wächst 
nicht ,  sondern  schadet  nur  durch  Compression  d  es  Lungen- 
gewebes, indem  es  dasselbe  der  Luft  unzugänglich  macht, 
und  dessen  Atrophie,  um  sich  selbst  aber  einen  Reizzustand 
bewirkt,  der  zu  ununterbrochenem  Lungencatarrhe  führt,  ja 
zur  Entzündung  sich  steigern  kann. 

Da  aber  durch  die  Compression  eine  zum  Athmen  und 
zur  Circulation  nothwendige  Partie  der  Lungen  diesen  Func- 
tionen entzogen  wird,  muss  nothwendiger  Weise,  wiewohl 
Athmen  und  Kreislauf  beschleunigt  werden ,  die  Sanguifica- 
tion  eine  unvollkommene  bleiben.  Das  dadurch  mehr  venöse 
Blut  wirkt  auf  das  rechte  Herz  zurück,  und  bedingt  Um- 
fangsvergrösserung  desselben  und  der  Leber.  Durch  die 
Blutüberfüllung  werden  einerseits  die  Se-  und  Excretions- 
organe  zu  übermässigen  Ab-  und  Aussonderungen  erregt,  so 
wie  anderseits  durch  die  unvollkommene  Entkohlung  des  Blu- 
tes die  Ernährung  behindert  wird ,  so  dass  es  zu  einer  all- 
gemeinen Abmagerung  des  Körpers  nothwendig  kommen  muss. 


309 

Die  unzureichende  Blutbereitung'  zieht  endlich ,  als  weitere 
Folge,  Hydrops  nach  sich. 

Verlauf.  Der  tuberculöse  Process  durchläuft  2  Sta- 
dien. Das  der  Rohheit  und  das  der  Erweichung.  Die  Dauer 
des  Ersten  lässt  sich  nicht  bestimmen ,  wohl  aber  dürften  in 
den  häufigeren  Fällen  3  —  6  Monate  genügen ,  vorhandene 
Tuberkel  in  den  Zustand  der  Erweichung  zu  führen. 

Doch  vermag  die  Natur  bei  gutem  Kräftezustand  des 
Patienten,  Heilung  schon  im  Stadium  der  Rohheit 
einzuleiten,  und  wie  es  scheint  unter  folgenden  Bedingungen: 

1.  Ist  das  Exsudat  nicht  zu  gedrängt,  so  dass  es  durch- 
feuchtet werden  kann,  so  ist  Resorption  möglich. 

2.  Der  Tuberkel  kann  auch  einschrumpfen ,  wenn  es  an 
Durchfeuchtung  mangelt,  während  viel  Pigment  abgelagert 
wird ;  daher  die  blaugraue  Farbe  der  Tuberkel. 

3.  Schrumpft  der  Tuberkel ,  ohne  dass  Pigmentablage- 
rung dabei  Statt  findet,  so  bleibt  seine  Farbe  unverändert, 
und  er  obsolescirt.  Diess  geschieht  meistens  bei  kleinen 
Massen,  besonders  wenn  sie  von  dichtem  Gewebe,  z.  B.  €al- 
lus,  umgeben  sind ,  und  ist  ein  Heilbestreben  der  Natur ,  die 
dadurch  selbst  andringender,  geschwüriger  Zerstörung  einen 
Damm  entgegenstellt. 

4.  Er  kann  verschorfen  und  verfaulen.  Im  Stadium  der 
Erweichung  wird  der  Tuberkel  von  einer  sauer  reagiren- 
den  Flüssigkeit,  zuweilen  auch  durch  Ödem  in  der  Umge- 
bung durchfeuchtet,  und  in  eine  gelbe  undurchsichtige,  kä- 
sige, zerreibliche  Masse  verwandelt.  Jetzt  entsteht  durch 
die  scharfe  Eigenschaft  des  Infiltrats  in  der  Umgebung  ein 
Reizzustand ,  und  macht  sich  in  diesem  Stadium  der  verän- 
derte Chemismus  geltend,  während  im  ersten  mehr  die  me- 
chanische Wirkung  der  tuberculösen  Ablagerung  schädlich 
einwirkte,  und  vergrössern  sich  die  vorhandenen  Tuberkel 
durch  Juxtaposition ,  indem  rund  um  neue  Ablagerung  Statt 
findet.  Endlich  verliert  sich  die  sauere  Reaction  und  es  zeigt 
sich  ein  Organisationsbestreben  durch  Bildung  von  Eiterzel- 


310 

len,  besonders  von  den  Nachbartheilen  aus.  In  diesem  Schmcl- 
zungsprocesse  zerklüftet  das  infiltrirte  Lungenparenchym  und 
werden  Höhlen  (Cavernen)  gebildet.  Die  tuberculöse  Masse 
kommt  nun  zur  Verjauchung,  oder  geht  andere ,  weiter 
unten  zu  besprechende  Metamorphosen  ein.  Der  Tuberkel 
wird  dadurch  grünlich,  stinkend  und  enthält  unter  dem  Mi- 
croscopeFett  und  phosphorsaurc  Ammonium-Magnesia.  Die- 
ser Vorgang  scheint  besonders  durch  Zutritt  von  Oxygen 
gefördert  zu  werden ,  daher  Hirntuberkel  z.  B.  nicht  verjau- 
chen ,  wohl  aber  Lungenknoten.  Die  verfaulten  Tuberkeln 
sucht  dann  die  Natur  auszustossen. 

Geschieht  dieser  Process  langsam ,  so  sind  die  gebilde- 
ten Höhlen  ziemlich  regelmässig  und  sphärisch.  Da  die  Er- 
weichung und  Verjauchung  aber  immer  von  der  Mitte ,  und 
im  Infiltrattuberkel  von  mehreren  Mittelpuncten  zugleich  be- 
ginnt, so  bekommen  die  Höhlen  bald  eine  sinuöse  verzweigte 
Form,    mit    glatten,    indurirten    und    pigmentirten  Flächen. 
Die  ganze  erkrankte  Stelle   zeigt  gewöhnlich   alle   Stadien 
und  Ausgangsformen  der  Tuberculöse  gleichzeitig  nebenein- 
ander bestehend.    So  findet  man  häufig  blaugraue  härtliche 
Masse  mit  weicherer  gelber  und  weisser  gemischt ,  so  dass 
das  Ganze   ein  geflecktes  Ansehen   erhält.  Zuweilen  ziehen 
Stücke    gesunden    Lungenparenchymes    oder   durchlaufende 
grössere  Gefässe  ,  die  der  Compression,  im  Stadium  der  Roh- 
heit widerstanden,  mitten   durch  die  Cavernen,  oder  erstere 
reissen  an  einer  Seite  los  und  hängen  lappenartig  in  die  mit 
Eiter  gefüllte  Höhle,    oder  trennen    sich   gänzlich  ab,  um 
von   den  Kranken   ausgehustet   zu  werden.    Die  Wand  der 
Höhle  bekleidet  sich  meistens  mit  einer  zarten  Pseudomem- 
bran, alsErgebniss  der  eingeleiteten  Reaction,  die  mit  einem 
gleichmässig    dicken,    eitrigen   Beschläge    sich  überzieht; 
diese  Membran  wird    zwar  wieder  zerstört,  wenn  bei  wei- 
teren   Fortschritten    des     tuberculösen   Processes    sich    die 
Höhle  vergrössert,  aber  in  Folge  der  eingeleiteten  Reaction 
aufs  Neue  gebildet;  bis  dem  Umsichgreifen  desZerstörungs- 


311 

processes  endlich    durch  einen  günstigeren  oder  tödtlichen 
Aasgang  ein  Ende  gemacht  wird. 

Bei  schnellerem  Verlaufe,  wie  in  der  Phthisis  florida , 
sind  die  Cavernen  weniger  regelmässig,  mehr  zerklüftet,  und 
weil  der  Process  schneller  zerstört,  als  die  eingeleitete  Reac- 
tion  im  Stande  ist,  ein  umkleidendes  Häutchen  zu  bilden, 
die  Wände  bloss  von  einem  flockigen  leicht  abzuspülenden 
Eiter  beschlagen.  Kleinere  Bronchien  gehen  durch  die  Com- 
pression  des  Lungengewebes  unter,  grössere  aber  wider- 
stehen derselben.  Wird  nun  ein  solcher  Bronchialast  in  der 
Caverne  zerstört,  so  ragt  er  mit  offener,  an  dem  Rande  gewul- 
eteten  Mündung  in  dieselbe  und  gibt  dem  Eiter  freien  Weg  in 
die  Luftröhre,  so  dass  er  durch  Husten  ausgeworfen  werden 
kann.  Eben  so  werden  die  durch  die  infiltrirte  Partie  verlau- 
fenden Gefässe  obliterirt  und  erscheinen  als  dicke  Stränge: 
durch  die  abnehmende  Circulation  in  den  Zweigchen  der  Lun- 
genschlagader entwickelt  sich  derHauptstamm  derselben  selbst 
und  die  Zweige  der  Bronchial-  und  Intercostal-Arterien,  so 
^ass  man  nach  Zehetmayerw)  das  Lumen  der  Lungen- 
arterie grösser ,  als  das  der  Aorta  findet.  Wird  aber  ein 
Getäss  durch  den  Schmelzungsprocess  früher  arrodirt,  ehe  es 
verschrumpfte ,  so  entstehen  Lungenblutungen ,  die  häufig 
tödlich  werden. 

Nach  Carls  well  kommt  Hämoptoe  auch  noch  dadurch 
zu  Stande,  dass  die  durch  die  Tuberkelmasse  zusammenge- 
drückten Lungenvenen,  das  durch  die  Arterie  zugeführte  Blut 
aufzunehmen  ausser  Stande  sind. 

Gelaugt  der  Schmelzungsprocess  bis  nach  aussen  an  die 
Lungenpleura,  und  werden  demselben  nicht  dort  durch  eine 
hinreichende  adhäsive  Pleuritis  von  der  sorgsamen  Natur 
Schranken  gesetzt,  so  wird  das  Rippenfell,  meist  in  der 
Gegeud  der  3.  —  4.  Rippe  durchbrochen,  und  der  Eiter  und 
die  geathmete  Luft  haben  Eintritt  in  den  Pleuraraum  und  er- 


*}  Grundzüge.  p.  289.  (t.  Auflage.) 


312 

zeugen  einen  Pneumothorax.  Zuweilen  können  selbst  dichte, 
zellige  Adhäsionen  dem  Durchbruche  der  Pleura  nicht  weh- 
ren ,  es  kömmt  zwar  nicht  zur  Bildung  des  Pneumothorax , 
aber  die  mit  dem  Eiter  in  Berührung  tretenden  Knochen  des 
Brustkorbes  werden  cariös  und  es  entsteht  selbst  eine  Lun- 
genfistel. 

An  den  Rändern  tuberculöser  Lungenlappen  findet  man 
häufig  partielles  Emphysem ,  und  an  den  Lungenspitzen  ad- 
häsive Pleuritis.  Bei  längerer  Dauer  des  Leidens  erscheinen 
gewöhnlich  auch  Tuberkel  am  Kehlkopfe  QPhthisis  laryngea~) 
oder  in  den  Gedärmen  ,  wo  sie  colliquative  Diarrhöen  bewir- 
ken. Oft  findet  man  die  sogenannte  Muscatnussleber,  und 
besonders  bei  Kindern  tuberculöse  Infiltration  in  die  Drüsen, 
z.B.  in  den  Bronchial-  und  Gekrösdrüsen.  Ein  aphthöser  Pro- 
cess  des  Schlundes  bildet  zuweilen  die  Schlusscene  der 
Phthise. 

Der  Tod  erfolgt  gewöhnlich  durch  Aufreibung  der  Kräfte, 
den  stattfindenden  erschöpfenden  Ab  -  und  Ausscheidungen 
zufolge,  oder  durch  andere  Krankheiten,  als:  seeundäre, 
tuberculöse  Pneumonie,  acute  Tuberculöse,  Lungenödem, 
degenerirtes,  pleuritisches  Exsudat,  Hydrothorax  und  Hy- 
drops überhaupt,  der  durch  grossen  Verlust  des  Faserstoffes 
aus  dem  Blute  herbeigeführt  wird ,  Pneumothorax  ,  Lungen- 
blutungen ,  Entzündungen  seröser  Häute,  z.B.  Meningitis, 
Pericardilis ,  Peritonitis,  endlich  durch  Eiterresorption  und 
Metastasen. 

Aber  nicht  immer  erfolgt  der  Tod ,  in  seltenen  Fällen  ist 
auch  im  Stadium  der  Erweichung  bei  hinlänglichem  Kräfte- 
zustande  von  Seite  des  Patienten  noch  Heilung  möglich: 

1.  Kann  die  tuberculöse  Masse,  wenn  sie  nicht  zu  be- 
trächtlich ist,  auf  was  immer  für  einem  Wege  aus  dem  Or- 
ganismus entfernt  werden,  es  darf  aber  nichts  davon  in  der 
Caverne  zurückbleiben  und  um  dieselbe  keine  Induration, 
sondern  nur  gesundes  Gewebe  sich  befinden. 

2.  Die  tuberculöse  Masse  kann  unter  denselben  Bedin- 


313 

gongen,  besonders  wenn  in  ibrer  Umgebung  lebhafter  Stoff-!» 
Wechsel  Statt  findet,  resorbirt  werden. 

3.  Die  den  Tuberkel  umgebende  Reaction  setzte  ein 
Exsudat  (besonders  albuminöses),  das  denselben  durchdringt, 
zu  Eiter  organisirt,  durch  welchen  Vorgang  selbst  Narben- 
bildung zu  Stande  kommen  und  die  Caverne  sich  schliessen 
kann, 

4.  Der  Tuberkel  kann  atheromatös  werden  oder  er  kann 
verkreiden.  Wenn  er  nämlich  hinlänglich  klein  ist,  und  im 
indurirten  Gewebe  liegt,  so  schwindet  nach  und  nach  alles 
Organisirbare  und  es  bleiben  nur  Cholestearin,  Fett,  Pigment 
und  Granulationen  zurück,  er  schrumpft  dabei  auf  ein  kleines 
Volumen  zusammen  und  erhält  einen  Glimmerglanz.  Verkrei-- 
düng  aber  geschieht  durch  Einlagerung  von  Kalksalzen ,  ein 
Vorgang,  der  übrigens  schon  im  Stadio  der  Erweichung 
möglich  ist ,  und  der  besonders  durch  die  Nachbarschaft  von 
knöchernen  Theilen  begünstigt  zu  werden  scheint. 

Cavernen  werden  schwer  zur  Heilung  gebracht*,  doch 
geschieht  es ,  dass  durch  gallertige  Infiltration  das  umlie- 
gende Lungengewebe  verdickt,  zum  Schrumpfen  gebracht 
und  völlig  unfähig  wird,  neuen  tuberculösen  Ablagerungen 
Raum  zu  geben.  Die  Caverne  kleidet  sich  dann  mit  einer  der 
Schleimhaut  ähnlichen  und  mit  der  Membran  der  einmünden- 
den Bronchien  in  Verbindung  stehenden  Haut  aus,  oder  wird 
von  einem  serösen  Blättchen  überzogen ,  das  sich  aber  nicht 
in  die  Bronchialäste  fortsetzt.  Die  Ränder  der  Höhle  rücken 
nach  und  nach  einander  näher  und  verwachsen  endlich ,  ein 
Vorgang ,  der  durch  das  Einsinken  des  Thorax  über  grösse- 
ren Vomicen  begünstiget  wird.  Die  geschrumpfte  Lungen- 
partie mit  ihren  obliterirten  Bronchialästen  und  Gefässen  bil- 
det mit  dem  darüber  narbenartig  eingezogenen  Rippenfelle 
eine  callöse  Masse,  in  der  sich  selbst  Kalksalze  einlagern, 
und  die  mit  der  entsprechenden  Thoraxwand  verwächst. 

Der  Natur  gelingt  es  wohl  häufig,  die  fehlerhafte  Blut- 
mischung zu  heilen,  allein  sie  ist  nicht,  im  Stande  den  schäd- 


314 

liehen  Einfluss  des  Productes  derselben  zu  entnerven  und  ihre 
Heilbemühung  wird  vereitelt.  Wassersucht  und  Scorbut  las- 
sen neue  Bildung  von  Tuberkeln  wohl  nicht  zu ,  sind  aber 
nicht  im  Stande ,  schon  vorhandene  zu  heilen  ,  sondern  ver- 
wandeln im  Gegentbeil  das  tuberculöse  Geschwür  in  ein  ato- 
nisches. Organische  Herzfehler  hindern  wohl  durch  die  vor- 
waltende Vcnosität  des  Blutes  die  weitere  Ablagerung  von 
Tuberkeln ,  vermögen  aber  nicht,  wenn  solche  schon  bestan- 
den, sie  zur  Rückbildung  zu  bringen.  Schwangerschaft  thut 
meistens  nur  solange  den  Fortschritten  des  Übels  Einhalt, 
als  sie  besteht,  ist  sie  vorüber,  so  entwickelt  sich  Letzteres 
gewöhnlich  desto  rascher. 

II.  Die  interstitielle  Tuberculöse. 

Diese  unterscheidet  sich  von  der  vorigen  Form  nur  durch 
den  Sitz;  und  fast  Alles,  was  von  jener  gilt,  findet  auch 
auf  diese  Anwendung. 

Der  Tuberkel  erscheint  hier  ausser  dem  Räume  der  Lun- 
genzelle in  dem  interstitiellen  Gewebe  als  graue,  matt  durch- 
scheinende Granulation ,  von  der  Grösse  eines  Mohn-  oder 
Grieskornes,  deren  unbestimmt  endende  Auslaufer  häufig 
zwei  oder  mehrere  Zellchen  umschliessen.  Sie  sind  entwe- 
der zerstreut  und  vereinzelt  und  verengen  den  Raum  der 
Lungenzellchen  durch  die  Vorragungen  in  ihren  Wänden , 
oder  sie  bilden  grössere  Gruppen  und  beeinträchtigen  durch 
Druck  das  Lungengewebe  und  die  feinsten  Verästlungen  der 
Bronchien  ,  und  erscheinen  als  Knoten  mit  pigmenlirten  und 
an  Zellgewebe  oder  Blut  oder  anderen  Flüssigkeiten  reichen 
Zwischenräumen,  oder  endlich  sie  kommen  in  zusammenhän- 
genden grösseren  Lappen  vor.  (Conglomerirte  Tuberkel,  die 
aus  zusammengeflossenen  vielen  Knoten  bestehen.) 

Der  Verlauf  ist  ebenfalls  ein  schneller  (phlhisis  florida) 
oder  mehr  chronisch,  so  dass  der  interstitielle  Tuberkel  jahre- 
lang im  Organismus  schlummern  kann,  ohne  bemerkbare  Folgen 
zu  veranlassen. 


315 

Weitere  Folgen  der  Tuberculose  sind:  dass  die  Lungen- 
schleimhaut sich  immer  im  Zustande  der  catarrhösen  Reizung 
befindet,  daher  der  quälende  Husten,  mit  dem  oft  erstaunlich 
copiösen  Auswurfe,  welcher  der  Entleerung  der  Cavernen 
allein ,  ohne  vermehrte  Secretion  der  Mucosa  anzurechnen , 
nicht  zugeschrieben  werden  kann.  —  Das  bei  zunehmender 
Eiterung  erscheinende  hectische  Fieber,  zu  dessen  Erzeu- 
zung  leicht  Aufnahme  von  purulenter  Flüssigkeit  in  die  Blut- 
masse, das  Ihrige  beitragen  kann.  —  Vorwaltende  venöse 
Blutmischung,  da  ein  grösserer  Abschnitt  des  Lungengewe- 
bes dem  Kreislaufe  entzogen  wird,  und  in  Folge  derselben 
Erweiterung  des  ohnehin  schlaffen  rechten  Herzens.  Die 
Frage  aber,  wie  es  komme,  dass  die  durch  fortgeschrittene 
Lungentuberculose  eingeleitete  Venosität  und  Herzdilatation 
sich  nicht  der  weiteren  Entwicklung  jener  entgegensetze? 
glauben  wir  in  dem  Umstände  beantwortet  zu  haben,  dass  in 
dem  Masse,  in  welchem  sich  der  Raum  für  das  kreisende 
Blut  in  den  Lungen  mindert,  so  ziemlich  auch  letzteres  selbst 
in  seiner  Menge  verringert  wird,  da  es  dem  allgemeinen  Con- 
sumtionsprocesse  sich  nicht  entziehen  kann. 

Auch  die  Bronchialdrüsen  nehmen  an  der  tuberculösen 
Infiltration  Antheil,  und  werden  von  Casein  erfüllt-,  das  Fett 
des  ganzen  Körpers  schwindet,  die  Haare  fallen  aus,  die 
Nägel  krümmen  sich ,  die  Endglieder  der  Finger  erscheinen 
eigenartig  kolbig ,  aufgetrieben  und  an  den  Knöcheln  zeigt 
sich  nicht  selten  Ödem. 

Diagnose.  Nach  den  verschiedenen  physicalischen 
Erscheinungen  nehmen  wir  besonders  zwei  Stadien  der  Tu- 
berculose in  Betracht,  a)  das  der  rohen  Granulation,  und 
bj  das  der  tuberculösen  Phthisis. 

A.  Interstitielle,  rohe  Tuberkelgranulationen. 

Allgemeine  Symptome. 
Die  mehr  erethischen  Kranken  leiden  an  einem  des  Mor- 
gens, im    Frühjahre  und  Herbste,  so  wie  nach  jeder  gerin- 


gen  Verkühlung*  besonders  quälenden  Husten,  durch  welchen 
anfangs  Spula  entleert  werden,    welche  sich  in  Nichts  von 
jenen  der  gewöhnlichen  Bronchitis  unterscheiden.    Oft   er- 
scheinen Athembeschwerden,  welche  besonders  durch  Bewe- 
gung hervorgerufen  werden ,  beschleunigter  Puls,  nicht  sel- 
ten Herzklopfen  und  Brustschmerzen  ,  welche  entweder  als 
flüchtige   Stiche,    inneres   Brennen   und   Drücken  oder   als 
Rheumatismus  der  Brustmuskel  sich  äussern.  Manche  Kranke 
haben  leichte  Anfälle  von  Hämoptoe  und  die  meisten  magern 
trotz   reichlicher  Nahrung  und  guter  Verdauung  zusehends 
ab.    Die  genannten  Erscheinungen  steigern  sich  immer  mehr 
und  mehr ,  besonders  wenn  sich  denselben  Fieber  beigesellt. 
Locale  Symptome. 

Inspection.  Die  Besichtigung  lässt  uns  den  schon 
beschriebenen  cylindrischen ,  phthisischen  Thorax  erkennen, 
die  Muskel  erscheinen  abgemagert  am  Halse,  besonders  so, 
dass  ihre  Ränder  deutlich  sichtbar  werden ,  die  Zwischen- 
rippenräume erweitert ,  so  dass  man  die  Herzschläge  deut- 
licher bemerkt. 

Mensuration.  Dieselbe  erweist  eine  Abnahme  der 
oberen  Circumferenz  des  Thorax,  während  dessen  unterer 
Theil  etwas  erweitert  erscheint.  Nach  Scharlau  beträgt 
der  mittlere  normale  Umfang  der  Brust  im  Niveau  der  Achsel- 
gruben 29  Zolle  bei  Männern  und  23  Zolle  bei  Frauen; 
über  dem  Schwertknorpel  25  Zolle  bei  Männern,  i9  bei 
Frauen.  Bei  erwiesener  Tuberculose  ergab  sich  eine 
Mittelzahl  von  24  Zollen  im  oberen,  und  22  im  unteren  Um- 
fange der  Brust.  Die  Messungen  von  Hirtz  sind  damit  im 
Einklänge. 

Percussion.  Isolirte  Tuberkel  dämpfen  den  Percus- 
sionsschall  nicht,  doch  findet  diess  Statt,  wenn  sich  Conglo- 
merate  grösserer  Art  bilden ,  wodurch  das  Lungengewebe 
besonders  in  der  Schlüsselbeingegend  und  ober  der  Schulter- 
blattgräte weniger  lufthaltig  wird ;  der  Percussionsschall  er- 
scheint dann  gedämpft  und  in  den  unteren  Partien  voller  und 


317 

neben  dem  Sternum  selbst  etwas  tympanitisch ,  wenn  sich  an 
den  Rändern  der  Lunge  Emphysem  gebildet  hat. 

Auscultation.  Isolirte  Tuberkel  werden  durch  das 
Sthethoscop  nicht  erkannt,  und  meistens  sind  es  nur  die  Zei- 
chen des  begleitenden  Catarrhes,  welche  in  dieser  Periode 
des  Leidens,  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  ziehen,  besonders 
wenn  sie  sich  auf  die  oberen  Lungenlappen  beschränken. 
Hieher  gehören  die  scharfe ,  rauhe  Respiration ,  ein  oft  an 
einer  umschriebenen  Stelle  hörbares ,  vesiculäres  Knistern , 
Pfeifen ,  Schleimrasseln  oder  Schnurren. 

Besondere  Berücksichtigung  verdienen  die  verlängerte 
Respiration,  nach  Stokes  die  Abnahme  derselben  an  einer 
Stelle  im  Vergleiche  zur  entsprechenden  der  anderen  Seite  , 
und  ein  absatzweises  Athmen.  Die  verlängerte  Exspiration 
ist  meistens  scharf,  doch  auch  vermindert  und  kommt  zuwei- 
len so  gedehnt  vor,  dass  zwischen  ihr  und  dem  Einathmen 
kein  Moment  der  Ruhe  wahrgenommen  wird ,  und  beide  Re- 
spirationsbewegungen in  einander  überzugehen  scheinen.  — 
Von  nicht  minderem  Werthe  für  die  Diagnose  einer  in  ihrem 
Beginne  so  schwer  zu  erkennenden  Krankheit  ist  das  abge- 
brochene ,  absatzweise  Athmen ,  das  bei  übrigens  ruhiger 
Respiration  und  ohne  durch  pleuritischen  Schmerz  veranlasst 
zu  sein  in  mehreren  sich  schnell  folgenden  Abschnitten  voll- 
führt wird. 

Eine  Pleuritis  in  der  oberen  Lungengegend,  welche  sich 
durch  Aflfrictus  äussert,  erweckt  immer  den  Verdacht,  dass 
das  durch  selbe  gesetzte  Exsudat  ein  tuberculöses  sei. 

Grössere  Ausdehnung  von  Tuberkelconglomeraten  lassen 
die  Pulsationen  des  Herzens  und  unterliegender  grosser 
Gefässe  deutlicher  vernehmen ,  als  im  Normalzustande ,  da 
die  Lungen  nun  bessere  Schallleiter  geworden  sind.  Schlies- 
sen  derlei  Conglomerate ,  welche  das  Lungengewebe  com- 
primiren,  einen  grösseren  Bronchialast  in  sich,  der  dem  Drucke 
widersteht ,  so  finden  wir  bronchiales  Athmen  und  Broncho- 
phonie  an  der  bezeichneten  Stelle.  Verstopfung  des  Bronchial- 


318 

astes  unterbricht  die  Wahrnehmung  der  genannten  ausculta- 
torischen  Erscheinungen  auf  so  lange ,  bis  das  Hinderniss 
des  Lufteintrittes  durch  Expectoration  entfernt  ist.  Oft  er- 
scheinen Rasselgeräusche  in  dem  Theile  der  Lungen,  wel- 
cher durch  Tuberkelconglomerat  unwegsam  geworden,  ohne 
aber  daselbst  zu  entstehen ,  sondern  sie  werden  durch  Con- 
sonanz  dort  hörbar. 

Verwechslung  mit  Pneumonie,  ist  trotz  grosser  Über- 
einstimmung der  physicalischen  Zeichen  nicht  leicht  mög- 
lich, die  Diagnose  sicherte  der  schnelle  Verlauf  der  Letzte- 
ren ,  das  begleitende  entzündliche  Fieber,  die  verschiedenen 
Zeichen  je  nach  den  Stadien,  die  charakteristischen  Sputa 
und  der  gewöhnliche  Sitz  an  den  unteren  Lappen.  Pneumo- 
nie der  oberen  Lappen  lässt  aber  eine  Umwandlung  des  Ex- 
sudates in  Tuberkelmaterie  befürchten  ,  besonders ,  wenn 
die  Hepatisation  längere  Zeit  unverändert  bleibt. 

Mi.   Yhthi&is  tuberculosa» 

Allgemeine    Erscheinungen. 

Diese  sind  grossentheils  jene  des  vorigen  Stadiums  im 
stärkeren  Grade ,  besonders  nimmt  der  Bronchialcatarrh  zu 
und  wird  der  Husten  zur  Nachtszeit  lästig.  Die  Sputa  wer- 
den mehr  und  mehr  geformt  und  eitrig;  jene  kleinen  griesar- 
tigen  Körnchen  ,  welche  man  für  ausgehustete  Tuberkelgra- 
nula hält ,  sind  weiter  nichts  als  Speiseüberreste,  was  durch 
das  Microscop  nachgewiesen  werden  kann.  Die  Charaktere 
der  eitrigen  Sputa  zu  ermitteln  ist  Aufgabe  des  microscopisch- 
chemischen  Abschnittes  vorliegender  Blätter.  Die  Sputa,  die 
zuweilen  besonders  bei  plötzlicher  Entleerung  einer  grösse- 
ren Vomica  in  einen  Bronchus  so  copiös  sein  können,  dass 
Erstickungsgefahr  entsteht,  können  selbst  fehlen,  ohne  dass 
die  Kranken  von  der  Krankheit  befreit  werden ,  im  Gegen- 
theile  dadurch  die  Athembeschwerden  auf  das  Äusserste 
steigern. 

Nun  ergreift  den  Kranken  ein  Fieber,  das  sich  anfangs 


319 

bloss  durch  nachmittäglichen  Durst ,  brennende  Hitze  der 
Handteller  und  Fusssohlen  und  umschriebene  Röthe  der  Wan- 
gen äussert ,  Morgens  durch  Schlummer  und  klebrigen 
Schweiss,  besonders  auf  der  Brust ,  erleichtert  wird,  später 
aber  an  Intensität  zunimmt  und  durch  sich  entsprechende  Pa- 
roxysmen  den  Unerfahrenen  leicht  verführt ,  ein  Wechselfie- 
ber zu  vermuthen.  Zugleich  magert  der  Körper  zusehends 
ab ,  besonders  an  den  Extremitäten  und  Fingern ,  welche , 
wie  schon  erwähnt,  dadurch  kolbig  aufgetrieben  erscheinen, 
während  die  Knöchel  ödematös  angeschwollen  sind.  Der 
Athem  wird  kurz,  mühsam,  die  Respiration  oft  einseitig 
und  die  Stimme  hohl  und  heiser.  Diätfehler  setzen  Verschlim- 
merung. Endlich  erliegen  die  Kranken  dem  Leiden;  zuwei- 
len erscheinen  noch  in  den  letzten  Tagen  Aphthen,  Hydrops, 
Petechien;  Decubitus,  nervöser  Charakter  des  Fiebers ,  De- 
lirien und  Sopor.  Ist  der  Geist  Tuberculöser  durch  Jahre  be- 
sonders erweckt  und  thätig,  so  wird  ihre  Kraft  dennoch  in 
den  letzten  Tagen  gebrochen  und  nur  die  unerschütterliche 
Hoffnung ,  welche  Phthisiker  bis  zum  letzten  Athemzuge  be- 
gleitet, bleibt  denselben  als  Rest  früherer  geistiger  Kraft, 
bis  auch  diese  in  Apathie  und  Bewusstlosigkeit  erlischt. 

Die  Reihenfolge  der  genannten  functionellen  Symptome 
ist  nicht  immer  dieselbe ,    und  häufig  tritt   scheinbar   Besse- 
rung und  Stillstand  ein,  so  dass  die  Kranken  oft  durch  Jahre 
den  Zerstörungskeim  nicht  ahnen,  den  sie  in  sich  tragen. 
P  hy  si  c  alisch  e    Erscheinungen. 

Inspection.  Die  Brust  ist  flach  und  eingesunken, 
die  Schultern  hängen  vor  und  die  Schlüsselbeine  ragen  über 
den  um  dieselben  vertieften  Brustkorb  empor.  Die  Athembe- 
wegungen  geschehen  unvollkommen,  und  werden  mehr  durch 
Hilfe  der  Hals-  und  Bauchmuskel  vollbracht,  als  die  obere 
Gegend  des  Thorax  dabei  thätig  erscheint.  Tiefer  Athem 
wird  durch  gleichzeitiges  Zurückbeugen  des  Kopfes  leicht 
geschöpft,  wodurch  der  die  Bewegungen  nicht  genau  beob- 
achtende Arzt  leicht  getäuscht  werden  kann. 


3*0 

Palpation.  Der  obere  Thorax  bewegt  sich  weniger, 
als  dessen  unterer  Theil.  Ober  oberflächlichen,  grossen  luft- 
haltigen Cavernen  wird  nicht  allein  die  Stimmvibration  des 
Kranken ,  sondern  auch  der  Stoss  der  Luft  beim  Husten  ge- 
fühlt; letzterer  bisweilen  selbst  gesehen. 

Mensuration.  Durch  die  Messung  kann  eine  Zu- 
nahme des  jüngst  erwähnten  Missverhältnisses  des  oberen 
und  unteren  Thoraxumfanges  nachgewiesen  werden. 

Percussion.  Excavationen  in  gesundem  Lungenpa- 
renchyme  geben  sich  nicht  durch  veränderten  Percussions- 
schall  kund.  (In  seltenen  Fällen  findet  man  das  Geräusch  des 
gesprungenen  Topfes.)  Liegen  sie  aber  oberflächlich  und 
enthalten  sie  hinreichend  Luft,  so  ist  ihr  Schall  tympanitisch ; 
eben  so  ,  jedoch  in  geringerem  Grade,  wenn  sie  in  der  Tiefe 
im  verdichteten  Parenchyme  liegen,  selbst  aber  lufthaltig 
sind  (Zehetmay  er).  Unter  geeigneten  Umständen  entsteht 
auch  metallisches  Klingen. 

Auscultation.  Cavernen,  welche  von  lufthaltigem 
Parenchyme  umgeben  sind,  geben  keine  eigenthümlichen  Ge- 
räusche ,  bloss  der  begleitende  Catarrh  wird  durch  das  Ge- 
hör erkannt.  Kleine  und  von  weichen  Wänden  umgebene 
Cavernen  geben ,  wenn  sie  mit  einem  Bronchus  communici- 
ren,  Schleimrasseln ;  grosse  Cavernen,  Gurgelrasseln,  beson- 
ders bei  tieferer  Inspiration  und  stärkerem  Husten. 

Haben  die  Cavernen  starre  Wände,  so  ist  in  ihnen  zwar 
kein  Luftwechsel  möglich  ,  doch  wird  ober  denselben  ,  nach 
den  entwickelten  Verhältnissen ,  bronchiales  und  cavernöses 
Athmen  und  derlei  Stimme  vernommen.  Trockene  und  feuchte 
Rasselgeräusche  zeigen  sich  oft  durch  Consonanz  verstärkt 
ober  den  Cavernen  deutlicher,  als  ober  ihrem  Entstehungs- 
orte. Athmen,  Stimme,  Rasselgeräusche  und  selbst  die hie- 
her  fortgepflanzten  Herztöne,  werden  unter  passenden  Ver- 
hältnissen vom  metallischen  Klange  begleitet. 

Ein  durch  Perforation  der  Pleura  entstehender  Pneumo- 
thorax gibt  sich  durch  die  ihm  eigenen  Erscheinungen  kund. 


321 

Infiltrirte  Tuberkel  können  von  Hepatisation  nur 
durch  die  Dauer  der  Erscheinungen,  die  allgemeinen  Sym- 
ptome ,  wie  das  eigene  Fieber,  das  zuweilen  den  intermitti- 
renden  Typus  annimmt  und  durch  das  Microscop  unterschie- 
den werden.  Mit  der  eitrigen  Schmelzung  hört  man  Rassel- 
geräusche ;  mit  der  Cavernenbildung  die  diesen  entspre- 
chenden Symptome. 

Umschriebene  lobuläre  Hepatisation  wird  nach  ihrer  Um- 
wandlung in  Tuberkelstoff  erst  nach  weiterer  Zunahme  und 
Vergrösserung  des  infiltrirten  Herdes  erkannt. 

Erstarrt  ein  Theil  einer  hepatisirten  Partie  zu  einer  cal- 
lösen  Masse ,  welche  den  Fortschritten  eines  tuberculösen 
Herdes  sich  hemmend  entgegenstellt,  so  finden  wir  den  Tho- 
rax ober  der  betreffenden  Stelle  unbeweglich  und  eingesun- 
ken ,  den  plessimetrischen  Schall  dumpf  und  die  Erschei- 
nungen der  Caverne  auf  so  lange  stillstehend ,  bis  der  schü- 
tzende Damm  der  Zerstörung  nicht  mehr  Widerstand  zu 
leisten  vermag. 

Die  acute  Tuberculose. 

Dieselbe  verläuft  ganz  unter  den  Erscheinungen  eines 
typhösen  Fiebers ,  zuweilen  unter  denen  einer  Meningitis 
nach  W  all  a  unter  den  Symptomen  eines  acuten  Magenca- 
tarrhes.  Ergreift  das  Leiden  vorzugsweise  die  Lungen  ,  so 
finden  wir  zuweilen  einen  etwas  tympanitischen  Percussions- 
schall  und  verschiedene  Rasselgeräusche,  nie  aber  Zeichen 
von  Unwegsamkeit  des  Lungengewebes. 

Der  liiiiigeiikrelis. 

Anatomisch-pathologische  Charaktere. 

Der  Krebs  der  Lungen  erscheint  als  Product  einer  ei- 
genen Dyscrasie,  fast  nur  unter  der  Form  des  Medullar- 
krebses. 

Derselbe  wird  als  runde  Massen  erkannt,  welche  isolirt 
und  zerstreut  hie  und  da  im  Lungengewebe  sich  finden  und 
Gaal   Diagnostik.  21 


322 

von  der  Grösse  eines  Hanfkornes  bis  zu  der  einer  Faust 
wechseln.  Ihr  filziges ,  speckiges ,  dichtes  Gewebe  ist  ent- 
weder weissröthlich  oder  durch  beigemengtes  Pigment  rost- 
gelb ,  violett ,  schwarz  (Melanose)  gefärbt  oder  punctirt. 
Zuweilen  trifft  man  den  Krebs  weich,  dem  Hirnmarke  ähn- 
lich (Encephaloid)  und  quillt  aus  dessen  Schnittfläche  beim 
Darüberstreifen  mit  dem  Scalpellrückcn  eine  rahmartige  Flüs- 
sigkeit. 

Selten  erscheint  der  Lungenkrebs  primär,  sondern  ent- 
steht meistens  im  Gefolge  eines  gleichen  Leidens  anderer 
Organe,  z.  B.  der  Bronchialdrüsen,  der  Pleura ,  des  Me- 
diastinum, der  Leber,  der  Hoden,  des  Uterus  u.  s.  w.  Er  ist 
immer  Product  einer  eigenen  eiweisstoffigen  Blutmischung, 
und  schlicsst  somit  die  Tuberculose ,  welche  in  einer  faser- 
stoffigen Crase  begründet  ist ,  nothwendig*  aus.  Doch  kann 
man  Krebsablagerungen  und  Tuberkel  neben  einander  finden, 
wobei  aber  letztere  immer  Zeichen  eines  höheren  Alters  an 
sich  tragen,  indem  Krebsdyscrasie  auf  Tuberculose  folgen 
kann)  (aber  nicht  umgekehrt)  ,  wenn  das  Blut  sich  seines 
ganzen  Faserstoflgehaltes  fast  entladen  hat  und  nun  das  Al- 
bumin vorwaltet. 

Krebse  erweichen  von  der  Mitte  aus  und  verj  au- 
ch en  endlich,  wenn  die  Zerstörung  sich  bis  zu  einem 
Bronchus  Bahn  gebrochen  und  die  äussere  Luft  damit  in  Be- 
rührung gekommen ;  doch  werden  derlei  Metamorphosen  am 
Cadaver  selten  nachgewiesen,  da  die  Kranken  gewöhnlich 
früher  (an  Lungenödem,  Hydrolhorax,  Hydrops,  Entkräf- 
tung u.  s.  w.)  erliegen. 

Die  Vergrösserung  von  Krebsmassen  befolgt  keine  be- 
stimmbaren Gesetze,  doch  scheinen  Congestionen  zur  Brust, 
Ödem,  Blutergüsse  und  Exstirpation  von  Krebsgeschwülsten 
in  andern  Organen  hiezu  wichtige  Momente  zu  sein.  Hepati- 
sation verwandelt  sich  unter  dem  Einflüsse  der  albuminö- 
sen  Blutmischung  eben  so  leicht  in  Krebs,  als  wir  unter  den 


323 

entsprechenden  Umständen  die  Metamorphose  in  Tuberkel- 
stoff nachgewiesen  haben. 

Folgezustände.  Im  Lungengewebe  schadet  der 
Krebs  hauptsächlich  durch  Druck  und  atrophirt  dasselbe.  Zu 
bedeutende  Krebsablagerungen  entziehen  dem  Blute  viele 
plastische  Bestandteile,  so  dass  dieses  hydropisch  wird, 
durch  welchen  Vorgang  nicht  allein  die  Bildung  neuer  Krebse 
verhindert,  sondern  auch  die  fernere  Entwicklung  schon  vor- 
handener gehemmt  wird. 

Diagnose.  Die  in  Rede  stehende  Krankheit  wird  sehr 
schwer  erkannt;  cachectischer  Habitus,  mit  Gesichtszügen, 
welche  ein  tiefes  Leiden  beurkunden,  Dyspnoe,  Husten, 
stinkender  Athem  und  Auswurf,  Varicosität  der  Halsvenen 
und  Anschwellung  der  Drüsen  sind  Erscheinungen ,  welche 
sie  mit  vielen  andern  Krankheiten  gemein  hat.  Ebenso  ver- 
mag die  physicalische  Untersuchung  nur  bei  grösserer  Ent- 
Wickelung  der  Krebsmassen  eine  Unwegsamkeit  des  Lungen- 
gewebes nachzuweisen. 


31  # 


324 


Untersuchung 

der  Organe  des  Kreislaufes. 


Anatomische  Verhältnisse  des  Herzens  und  der 

grossen  Gelasse. 

Ohne  genaue  Anschauung  und  Kenntniss  des  Central- 
organes  des  Kreislaufes  im  gesunden  Zustande  sind  wir 
ausser  Fähigkeit,  uns  von  seinen  krankhaften  Verhältnissen 
einen  klaren  Begriff  zu  machen,  daher  versuche  ich  hier  Ei- 
niges ,  wiewohl  schon  grösstentheils  Bekanntes  und  beson- 
ders rücksichdich  der  physicalischen  Diagnose  Wichtiges  in 
dem  Gedächtnisse  der  Leser  wieder  aufzufrischen. 

Das     Herz. 

Dieses  ist  ein  hohler ,  kegelförmiger  Muskel ,  der  in 
seiner  Function  als  lebendiges,  doppeltes  Saug-  und  Druck- 
werk thätig  und  in  den  Herzbeutel  eingesenkt,  im  vordem 
Theile  der  linken  Brusthöhle  theils  schwebend  befestiget  ist, 
theils  auf  dem  Zwerchfelle  ruht.  Es  besteht  aus  zwei  Hälf- 
ten ,  deren  rechte  das  venöse  Blut  aus  dem  Körper  empfängt 
und  den  Lungen  überliefert,  deren  linke  hingegen,  das  aus 
den  Lungen  zurückkehrende  arterielle  Blut  aufnimmt  und  es 
durch  die  Aorta  in  den  Körper  treibt.  Jede  dieser  Hälften  ist 
durch  eine  Querwand  in  eine  Vorkammer  (Atrium)  und  eine 
Kammer  (Ventriculus)  geschieden ,  welche  aber  durch  das 
Ostium  venosum  mit  einander  communiciren. 

An  der  breiten ,  dicken ,  nach  rechts  und  oben  hinter 
dem  rechten  Rande  des  Brustblattes,  vom  Zwerchfelle  bis 
zum  4.  oderö.  Rippenknorpel,  vor  dem  6.  Brustwirbel  gele- 
genen Basis  des  Herzens  treten  die  Gefässe  aus  und  ein, 


325 

und  sind  mit  dieser  auf  solche  Art  verbunden  ,  dass  es  daran 
gleichsam  schwebend  erhalten  wird;  die  gegen  den  Zwi- 
schenraum der  6.  und  7.  Rippe  nach  links  und  abwärts  ge- 
richtete Spitze  liegt  auf  dem  Zwerchfelle.  Die  Achse  des 
Herzens  läuft  demnach  mit  einer  Linie  parallel,  welche  man 
vom  Körper  des  ersten  Brustwirbels  bis  zum  freien  Ende  der 
ersten  falschen  Rippe  gezogen  annimmt.  Die  vordere,  convexe 
Fläche  wird  an  den  Rändern  von  den  Lungen  bedeckt  und 
liegt  nur  in  einem  rautenförmigen  Räume  von  der  Grösse  l1/, 
bis  2  Quadratzolle  frei  an  der  Brustwand;  die  hintere 
Fläche  ist  mehr  platt,  die  Ränder  sind  abgestumpft.  Die 
rechte  Herzhälfte  liegt  mehr  nach  vorne ,  die  linke 
nach  rückwärts  zu.  Die  Längen-  und  Quer  furche  ge- 
ben äusserlich  die  Gränzen  der  einzelnen  Herzhöhlen  an, 
und  entsprechen  den  im  Innern  befindlichen  Scheidewänden 
derselben. 

Die  Vorhöfc  liegen  an  der  Basis  des  Herzens,  neh- 
men das  Blut  nur  aus  Venen  auf  und  überliefern  es  durch 
ihre  Ostia  venosa  dem  entsprechenden  Ventrikel.  Unter  ein- 
ander stehen  sie  in  keiner  Verbindung ,  ausser  im  fötalen 
Zustande,  wo  das  eirunde  Loch  besteht,  das  sich  später 
schliesst.  Beide  Atrien  sind  durch  sackförmige  Anhänge 
»Ohren«  in  ein  der  Blutmenge  entsprechendes  räumliches 
Verhältniss  gebracht. 

Der  rechte  Vorhof  oder  Hohlvenensack  empfängt 
venöses  Blut  aus  den  Hohlvenen ,  welche  mit  der  Eustachi- 
schen Klappe  versehen  sind.  Ferner  trifFt  man  daselbst  die 
Mündung  der  grossen  Kranzvene  mit  der  Thebesischen  Klappe 
und  eine  von  einem  fleischigen  Linibus  umgebene ,  dünnere 
Stelle,  wo  im  Fötalzustande  das  eirunde  Loch  befindlich  war. 

Im  linken  Vorhofe  findet  man  vier  Einmündungs- 
stellen  der  Lungenvenen  ,  welche  keine  Klappen  besitzen. 

Die  H  er  z  kämm  er  n  ,  welche  nach  abwärts  der  Atrien 
liegen  und  conische  Höhlen  darstellen ,  empfangen  aus  den- 


326 

selben  das  Blut  durch  das  Ostium  venosum  und  pressen  es 
durch  ihre  arteriöse  Mündung1. 

Die  rechte  Her  z kam mer  liegt  vorne  ,  reicht  nicht 
so  tief  herab  als  der  linke  und  ist  dünner  und  schlaffer  als 
diese.  An  ihrem  oberen  Theile  befinden  sich :  das  mit  einem 
fibrösen  Rande  umgebene  Ostium  venosum,  an  welchem  sich 
die  dreizipflige  Klappe  befestiget,  deren  grösster  Zipfel  nach 
vorne  liegt  —  und  die  Mündung  der  Lungenarterie ,  welche 
der  Mittellinie  des  Herzens  näher  steht  und  von  einem  ähn- 
lichen Ringe  umgeben  ist ,  und  von  drei  halbmondförmigen 
Klappen  abgeschlossen  wird. 

Die  linke  Heizkammer  liegt  hinter  der  vorigen, 
ist  mehr  oval ,  hat  viel  stärkere  Wände  als  der  rechte  Ven- 
trikel, und  reicht  tiefer  an  die  Spitze  des  Herzens  herab, 
als  dieser.  Seine  Achse  ist  zu  jener  der  rechten  Kammer 
so  gestellt,  dass  sie  von  derselben,  wenn  sie  verlängert  ge- 
dacht würde ,  unter  einem  spitzen  Winkel  geschnitten  wer- 
den müsste.  Am  obern  Theile  dieser  Herzkammer  befindet 
sich :  das  mit  einem  Limbus  und  den  zweispitzigen  Klappen 
versehene  Ostium  venosum,  deren  oberer  grösserer  Zipfel 
die  venöse  Mündung  von  der  arteriösen  trennt  —  und  die 
Aortamündung,  welche  mit  3  halbmondförmigen  Klappen  aus- 
gerüstet ist,  deren  jede  ein  Arantisches  Knötchen  besitzt. 

Die  vier  Mündungen  der  Herzkammern  liegen  so  ziem- 
lich in  einer  Linie  von  links  nach  rechts  an  einander  ge- 
reiht ,  so  dass  nach  aussen  und  links  das  Ostium  venosum 
sinistrum  mit  den  Mitralklappen  sich  befindet,  dann  die  Aor- 
tenmündung mit  ihrem  Klappenapparate  folgt ,  an  welche 
sich  die  Lungenarterienmündung  mit  ihren  Semilunarvalveln 
anschliesst ,  während  die  rechte  venöse  Mündung  mit  den 
dreispitzigen  Klappen  am  meisten  rechts  gefunden  wird. 

Im  Kindesalter  sind  beide  Herzhälften  gleich  geräumig, 
und  ist  die  Blutmischung  eine  mehr  venöse ,  in  späteren  Le- 
bensperioden erscheint  das  linke  arterielle  Herz  mehr  ent- 


327 

wickelt  als  das  rechte ,  venöse.    Nach  B  i  z  o  t's  Messungen 
beträgt  die  Dicke  der  Wandungen 

Im  rechten  Ventrikel:  Im  linken  : 

Pariser  Linien  Par.  Linien 

An  der  Basis     .         i3%6  47/46 

In  der  Mitte       .         7'7/a3  6'/, 

Nächst  der  Spitze      045/46  3l3/33 

Nach  Bouillaud  verhält  sich  der  linke  Ventrikel  zum 
rechten  wie  5:2  oder  selbst  wie  3:1. 

Nach  L  ä  n  n  e  c  gibt  die  Faust  eines  Individuums  ein  bei- 
läufiges Mass  der  Grösse  des  ganzen  Herzens.  Dasselbe 
gilt  vom  normal  beschaffenen  Deltamuskel  des  linken  Armes. 
Bei  sehr  grossen  magern  Personen  ist  das  Herz  gewöhnlich 
verhältnissmässig  kleiner  als  bei  solchen  von  gedrungenem 
Wüchse.  Das  Gewicht  beträgt  8 — 10  Unzen,  das  specifische 
Gewicht  1,43. 

Die  Muskel  des  Herzens  sind  stark  entwickelt,  ent- 
springen grösstentheils  an  den  fibrösen  Ringen  der  Öffnun- 
gen und  verlaufen  schräge  und  spiralförmig ,  und  zwar  de- 
sto schiefer,  je  mehr  nach  innen  zu  sie  gelagert  sind.  Über- 
haupt sind  die  Muskel  im  linken  Herzen  stärker  als  im  rech- 
ten,  doch  findet  man  in  diesem,  in  der  innersten  Lage,  die 
durch  Verfilzung  und  bogenförmige  Anheftung  der  Muskel- 
bündel entstehenden  grossmascbigen  Netze  mehr  entwickelt. 

Im  linken  Ventrikel  treten  an  der  hinteren  Wand  zwei 
Fleischbündel  als  Papillarmuskel  hervor,  welche  ungefähr  in 
der  Hälfte  der  Kammer  in  bogenförmige  Bündel  zerfallen  , 
deren  Sehnenfäden  in  divergirender  Richtung  zur  Bicuspi- 
dalklappe  verlaufen.  Im  rechten  Ventrikel  sind  mehrere,  aber 
schmächtigere  Warzenmuskel,  deren  drei,  ohne  erst  in  halb- 
kreisförmige Schenkelsich  zu  spalten,  Sehnenfäden  zur  Tri- 
cuspidalklappe  aussenden  ,  welche  übrigens  deren  auch  noch 
aus  sehr  kurzen  Muskeln  und  selbst  aus  der  Herzwand  em- 
pfängt. 


328 

Die  Sehnenfäden  entspringen  aus  den  Papillarmus- 
keln  nnd  ziehen  zur  Mitte  der  untern  Fläche  der  Klappe  oder 
zu  ihrer  Verbindungsstelle  mit  dem  Limbus.  Von  der  Mitte 
dieser  Fäden  entspringen  kleinere  und  von  diesen  ganz  kleine, 
die  sich  nahe  am  freien  Rande  der  Klappen  fächerartig  inse- 
riren  und  durch  ihr  bogenartiges  Zusammenstossen  Taschen 
bilden ,  welche  durch  einen  rückgängigen  Blutstrom  oder 
aufgegossenes  Wasser  sich  segelartig  aufblähen ,  wodurch 
die  Klappen  sich  aneinander  legen  und  schliessen. 

Das  Schliessen  der  Klappen  hängt  somit  vom  Vorhan- 
densein und  der  normalen  Beschaffenheit  der  Sehnenfäden 
und  ihrer  Taschen  ab.  Anspannen  der  Muskel  und  deren  Zu- 
sammenziehung bewirkt  nie  ein  Schliessen  der  Klappe,  hin- 
dert aber  deren  Hinaustreten  in  den  Vorhof. 

Das  Endocardium  oder  der  innere  Überzug  der  Herz- 
höhlen ist  eine  Fortsetzung  der  äusseren  Hülle  des  Herzens, 
welche  dieses  vom  Visceralblatte  des  Pericardiums  empfängt. 
Es  überzieht  alle  innern  Theile,  bildet  durch  Duplicaturen 
die  Klappen  und  pflanzt  sich  als  Membrana  glabra  der  älte- 
ren Autoren  bis  in  die  Gefässe  fort. 

Das  glatte ,  weisse  ,  aber  von  Imbibition  des  Blutfarbe- 
stoffes leicht  roth  gefärbte  Endocardium  ist  so  wie  die  Häute 
der  grösseren  Arterien  construirt.  Diese  bestehen 
aus  sechs  locker  auf  einander  gelagerten  Schichten  :  dem 
Pflasterepithelium ,  der  gefensterten  Haut ,  der  Längsfaser- 
membran  (diese  drei  entsprechen  der  Tunica  glabra),  der 
Ringfaserhaut  (^Tunica  muscularis  der  Alten),  die  aus  höchst 
elastischen  Spiralfasern  zusammengesetzt  wird,  welche  das 
Lumen  des  Rohres  erhalten  oder  verengen;  aus  der  elasti- 
schen Haut  und  der  Zeligewebsschichte.  (Beide  letztere  = 
der  Tunica  cellularis  älterer  Anatomen.)  Keine  dieser  Häute 
ausser  der  letzten  hat  Gefässe ;  die  Ernährung ,  so  wie 
manche  pathologische  Processe ,  z.  B.  Exsudatablagerung 
kommt  nur  durch  Tränkung  und  Durchschwitzung  des  Plasma 
von  aussen  nach  innen  zu  Stande, 


329 

Die  Häute  der  grösseren  Venen  sind  ebenso  gebaut,  nur 
zarter  als  jene  der  Arterien.  In  kleineren  Gefässen  werden 
die  Membranen  immer  weniger ,  so  dass  die  Capillargefässe 
nur  deren  drei  mehr  besitzen. 

Der  Stamm  der  Aorta  entspringt  im  linken  Ventrikel 
zwischen  dem  grössern  Zipfel  der  zweispitzigen  Klappe  und 
der  Scheidewand  des  Herzens,  steigt  3— 4  Zolle  innerhalb 
des  Herzbeutels  nach  rechts  und  aufwärts,  biegt  sich  dann 
in  der  Gegend  der  zweiten  Rippe  um  ,  wölbt  sich  nach  rück-* 
wärts  um  auf  der  Trachea  vor  ihrer  Spaltungsstelle,  dem  lin- 
ken Bronchus  und  dem  rechten  Aste  der  A.  pulmonales  auf- 
zuliegen und  geht  als  Aorta  descendens  an  der  linken  Seite 
der  Columna  vertebralis  herab. 

Die  Lungenschlagader,  welche  venöses  Blut  führt, 
entspringt  im  linken  Ventrikel,  biegt  sich,  vom  Pericardium 
überzogen  nach  links  und  rückwärts  über  die  Aorta ,  liegt 
auf  deren  Vorderfläche  auf,  und  spaltet  sich  nach  einem  Zuge 
von  ungefähr  2  Zollen  in  zwei  Zweige. 

Der  Her  z  beut  el  besteht  aus  zwei  Blättern,  deren 
inneres  das  Herz  überzieht,  welches  gleichsam  darein  so 
eingestülpt  ist,  wie  der  Kopf  in  einer  Zipfelmütze  —  deren 
äusseres  aber  an  die  Pleuren  und  das  Diaphragma  befestiget 
ist.  Dazwischen  befindet  sich  ein  freier  Raum.  An  den  gros- 
sen Gefässen  gehen  beide  Blätter  in  einander  über.  Das  über- 
kleidende Epithelium  und  ein  seröser  Dunst  erhält  die  sich 
zugekehrten  Flächen  beider  Blätter  stets  schlüpfrig  und  glatt, 
so  dass  trotz  ihrer  rastlosen  Reibung  an  einander  im  nor-» 
malen  Zustande  nie  ein  Geräusch  gehört  wird. 

Mechanismus  des  Kreislaufes. 

Das  Herz  wirkt  als  Druck-  und  Saugwrerk ,  als  erste- 
res  durch  die  Zusammenziehung  der  Muskel  (Systole),  als 
letzteres  durch  eine  selbstthätige  Erweiterung  der  Höhlen, 
die  nicht  bloss  als  Relaxation  der  früher  gespannten  Theile 
zu  betrachten  ist.  (Diastole.) 


330 

Der  Weg,  den  das  kreisende  Blut  beschreibt,  ist  fol- 
gender: Es  sammelt  sich  als  venöses  im  rechten  Atrium 
während  dessen  Diastole  (Systole  der  Kammer) ,  gelangt 
dann  während  der  Erweiterung  des  rechten  Ventrikels  in  die- 
sen, wird  durch  dessen  Zusammenziehung  in  die  Pulmonal- 
arterie  gepresst,  in  den  Lungen  in  arterielles  Blut  verwan- 
delt, von  den  Lungenvenen  gesammelt  und  dem  linken  Atrium, 
während  dessen  Diastole  (Systole  des  Ventrikels)  überliefert, 
gelangt  dann  in  die  linke  Herzkammer  und  wird  durch  deren 
Systole  in  die  Aorta  und  von  da  an  die  Peripherie  des  Kör- 
pers getrieben,  wo  es  durch  die  Capillargefässe  den  Venen 
überantwortet  wird  und  als  venöses  Blut  wieder  zum  rech- 
ten Vorhofe  zurückkehrt. 

Systole  und  Diastole  ist  in  beiden  Herzhälften  gleichzei- 
tig und  betrifft  beide  Atrien  oder  beide  Ventrikel.  Die  Vor- 
kammern und  die  Ventrikel  wechseln  immer  ab,  so  dass  es 
scheint,  als  ob  sich  die  Systole  von  den  Atrien  auf  die  Kam- 
mern verbreite,  während  jene  sich  nach  und  nach  wieder 
ausdehnen. 

Während  der  Systole  der  Kammern  vermindern  sich  alle  ihre 
Durchmesser,  rückt  die  Spitze  des  Herzens  nach  ab-  und 
vorwärts ,  biegt  sich  nach  vorne  um  und  schlägt  dabei  an  die 
Brustwand  an ,  zugleich  beschreibt  es  eine  kleine  Achsen- 
drehung von  rechts  nach  links;  während  der  Diastole  erwei- 
tern sich  die  Räume,  sinkt  das  Herz  gegen  die  Wirbelsäule 
zurück ,  und  dreht  sich  etwas  von  rechts  gegen  links.  Die 
Bewegung  des  Herzens  ist  somit  die  eines  Hebels  mit  Rota- 
tion verbunden. 

Während  der  Systole  der  Ventrikel  schliessen  sich  die 
Klappen  der  Ostia  venosa  und  stehen  die  halbmondförmigen 
offen ;  das  entgegengesetzte  Verhältniss  findet  bei  der  Dia- 
stole der  Kammern  Statt.  Da  sich  während  der  Systole  der 
Ventrikel  alle  Räume  verkleinern ,  das  Blut  aber  die  zwei- 
und  dreispitzigen  Klappen  gegen  die  Vorhöfe  treibt, 
so  würden  diese  in  letztere  hinaustreten,  statt  sich  an  ein- 


331 

ander  zu  legen,  verkürzten  sich  nicht  in  gleichem  Masse 
die  Papillarmuskel. 

Ist  die  Kammersystole  beendigt ,  das  Blut  in  die  Arte- 
rien getrieben,  so  macht  sich  auch  deren  Contractilität  geltend 
und  theils  durch  ihre  Zusammenziehung,  theils  durch  eigene 
Schwere  würde  das  Blut  wieder  in  die  Ventrikel  getrieben, 
wenn  nicht  die  halbmondförmigen  Klappen,  in  de- 
ren Taschen  es  sich  fängt  und  somit  diese  auftreibt,  ein  Hin- 
derniss  des  Rückflusses  abgäben.  Die  Diastole  der  grossen 
Gefässe  fällt  mit  der  Kammersystole  zusammen. 

Der  Herzmuskel  ist  nie  in  Ruhe  und  es  erscheint  ein 
steter  Wechsel  von  Ausdehnung  und  Zusammenziehung,  nur 
bei  sehr  langsamer  Herzbewegung  werden  zwischen  Systole 
und  Diastole  kleine  Ruhemomente  bemerklich.  Im  Tode  selbst 
behält  das  rechte  Atrium  noch  eine  Zeitlang  seine  Contrac- 
tionskraft.  Die  Frequenz  der  Herzschläge  beträgt  in  den  er- 
sten Lebensmonaten  120,  bis  zum  5.  Jahre  88,  zum  15. 
Jahre  78 ,  vom  25.  Jahre  angefangen  69 ,  und  nimmt  nach 
und  nach,  im  gleichen  Verhältnisse  mit  der  Häufigkeit  der 
Respirationsbewegungen  ab,  so  dass  auf  2  Athemzüge  7 
Herzschläge  kommen.  Frauen  haben  einen  um  10  bis  14 
Schläge  schnelleren  Puls  als  Männer;  häufiger  ist  derselbe 
auch  bei  Sanguinikern  und  nervösen  Individuen  mit  Neigung 
zur  Tuberculose  und  bei  Leuten  von  kleiner  Statur.  Bei  vol- 
lem Magen  und  in  aufrechter  Stellung  sollen  auch  die  Herz- 
impulse schneller  wahrgenommen  werden,  als  im  entgegen- 
gesetzten Falle. 


Unter sueliang  des  Herzens  und  der  grossen 

Arterien« 

Inspection.  Im  normalen  Zustande  sieht  man 
in  dem  Räume  zwischen  der  5.  und  6.  Rippe  mit  jedem  Herz- 
schlage ein  leichtes  Emporheben  der  Brustwand.  Kinder  und 
magere  Individuen  mit  weiten  Zwischenrippenräumen  zeigen 


333 


diese  Erscheinung  deutlicher  als  fette  Personen ;  nach  Reiz- 
mitteln wird  dieselbe  verstärkt  wahrgenommen.  Individuen 
mit  kurzem  Thorax  zeigen  häufig  in  der  Herzgrube  eine 
sichtbare  Fortpflanzung  des  Herzstosses. 

Im  krankhaften  Zustande.  Stärkere  Wölbung 
der  Präcordialgegend  ,  sichtbare  ,  verbreitete  Erschütterung 
der  Brustwand  sind  der  excentrischen  Hypertrophie  eigene 
Symptome.  Ist  der  Stoss  des  Herzens  so  stark,  dass  er  sich 
den  Bettdecken  und  Kleidern  mittheilt,  so  schliessen  wir  auf 
starke  Hypertrophie  beider  Ventrikel,  oder  auf  ein  gleiches 
Leiden  der  linken  Herzkammer  mit  Aortenklappeninsufficienz. 

Hervortreibung  der  Herzgegend  mit  Erweiterung  der  be- 
treffenden Intercostalräume  bezeichnet  ein  grosses  Exsudat 
im  Pericardium.  Undulirende  Bewegungen  daselbst,  durch 
den  Herzimpuls  hervorgebracht,  haben  keine  semiotische 
Bedeutung. 

Bei  horizontaler  Lage  des  Herzens  und  excentrischer 
Hypertrophie  beobachtet  man  zuweilen  eine  Einziehung  der 
Herzgrube,  worauf  deren  Vortreibung  folgt;  ein  Symptom, 
welches  man  früher  mit  Unrecht  als  die  Verwachsung  des 
Herzens  mit  dem  Pericardium  bezeichnend  betrachtet  hat. 

Ein  ähnlicher  scheinbarer  Rückstoss  zeigt  sich  zuwei- 
len an  Alten ,  mit  weiten  Intercostalräumen  und  fast  paraly- 
tischem Brustkorbe,  bei  excentrischer  Hypertrophie.  Es  wer- 
den dabei  die  Stellen ,  wo  die  Herzspitze  anschlägt,  und  der 
darüber  liegende  Intercostalraum  abwechselnd  vorgetrieben 
und  eingezogen. 

Die  Meinung,  dass  Hervortreibung  der  Rippen  gegen 
rechts  am  Brustbeine,  Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels, 
gegen  die  linke  Seitengegend  hin  aber,  Jone  der  linken  Herz- 
kammer bezeichne,  ist  irrig.  Lageveränderung  des  Herzens 
bedingt  einen  an  einer  aussergewöhnlichen  Stelle  sichtbaren 
Herzstoss ;  eben  so  zeigt  ein  Aneurysma  der  Aorta,  welches 
die  Brustwand  berührt,  nicht  allein  ein  deutliches  Anschla- 


333 

gen  daselbst,  sondern  auch  den  Impuls  der  Herzspitze  tiefer 
und  mehr  nach  links. 

Verdichtung*  des  Lungengewebes ,  z.  B.  Hepatisation 
oder  Tuberkelinfiltrat  verbreiten  den  Herzstoss  weiter.  Aus- 
gebreitetes vesiculäres  Lungenemphysem  macht  ihn  entwe- 
der in  der  Herzgrube  sichtbar  oder  hebt  ihn  ganz  auf. 

Palpation.  Durch  den  Tastsinn  erkennen  wir  den  Ort, 
wo  die  Herzspitze  anschlägt  und  schätzen  die  Kraft  des  Im- 
pulses ,  erforschen  den  Puls  der  Arterien  und  andere  beson- 
dere Symptome ,  wie  das  Katzenschwirren  u.  s.  w. 

Wo  in    Herzstosse, 

Der  Stoss  QChoc')  des  Herzens  scheint  das  Resultat 
mehrerer  zusammenwirkenden  Kräfte  zu  sein.  Nicht  ohne  Ein- 
fluss  sind  dabei  die  Streckung  der  Arterien  und  das  Herab- 
rücken des  Herzens  bei  der  Systole ,  die  schräge  und  Spi- 
rale Anordnung  seiner  Muskelfasern ,  der  fixe  Punct  für  ihre 
Zusammenziehung  an  deren  Ursprünge,  das  Aufliegen  auf 
der  Wirbelsäule ,  und  die  Veränderung  der  Form  des  ganzen 
Herzens,  welches  bei  der  Systole  sich  zurundet.  Gutbrod's 
Erklärung  des  Herzstosses  durch  Anwendung  des  physica- 
lischen  Gesetzes ,  nach  welchem  Schiessgewehre  zurück- 
stossen  und  das  Segner'sche  Rad  sich  bewegt,  welche 
Skoda  noch  vertheidigt,  ist  von  Kürschner,  Müller, 
Valentin  u.  a.  hinlänglich  widerlegt  worden.  Ausführli- 
ches hierüber  befindet  sich  in  meiner  Abhandlung  über  Au- 
scultation  und  Percussion5«*)  und  in  Zehetmayer's  Herz- 
krankheiten ##). 

Wir  berücksichtigen  am  Herzstosse  besonders  seinen 
Ort ,  seine  Stärke  und  seine  Verbreitung. 

a)    Ort    des    Herzstosses. 

Derselbe  gibt  einen  wichtigen  Anhaltspunct  für  die  Be- 
stimmung der  Lage  des  Herzens. 


*)  Wien  bei  Gerold.  18i2.  p.  54. 
**)  p.  30. 


m 

Im  normalen  Zustande  fühlt  man  die  Herzspitze 
im  fünften  Intercostalraume ;  über  demselben  liegt  der  linke 
Ventrikel ,  mehr  nach  oben  und  gegen  das  Brustbein  findet 
man  die  rechte  Kammer.  Eine  Linie,  welche  wir  uns  am  un- 
tern Rande  der  dritten  Rippe  horizontal  gezogen  denken,  ver- 
sinnlicht  die  Lage  der  Semilunarklappen.  In  dem  beschriebe- 
nen rautenförmigen  Räume  von  l'/a  bis  2  Zoll  Grösse  liegt 
das  Herz  frei  an  der  Brustwand  an,  im  zarten  Kindesalter 
ist  er  aber  kleiner,  da  die  Lungen  sich  mehr  über  das  Herz 
legen ,  im  hohen  Alter  grösser ,  da  die  Lungen  so  wie  alle 
Organe  schwinden  und  sich  zurückziehen. 

Bei  Frauen  schlägt  die  Herzspitze  etwas  höher  an , 
als  bei  Männern ,  besonders  zur  Zeit  der  Schwangerschaft, 
übrigens  findet  man  sie  in  horizontaler  Lage  auch  selten  hö- 
her,  als  in  aufrechter  Stellung.  Tiefer  schlägt  das  Herz 
an  bei  Kindern,  bei  Greisen  und  sehr  magerem,  langen  Brust- 
korbe. 

Im  krankhaften  Zustande.  Das  Herz  steigt  hö- 
her hinauf,  wenn  es  entweder  bei  plötzlicher  Anämie  dem 
Zuge  der  sich  schnell  zusammenziehenden  grossen  Gefässe 
folgt ,  oder  durch  das  Zwerchfell  aufwärts  gepresst  wird , 
wenn  dieses  Flüssigkeit,  Lebervergrösserung  oder  After- 
massen in  der  Bauchhöhle  verdrängen. 

Tiefer  sinkt  das  Herz  bei  Schwächekrankheiten,  Ty- 
phus, Scorbut,  Emphysem  der  linken  Lunge,  Aneurysma  der 
Aorta  adscendenSy  Verwachsung  des  Herzens  mit  dem  Peri- 
cardium ,  nach  schneller  Entleerung  von  Flüssigkeit  aus  der 
Bauchhöhle  und  zuweilen  bei  pericarditischem  Exsudate. 

Die  Achse  des  Herzens  steht  mehr  vertical  und  seine 
Spitze  gegen  das  Brustbein  gerichtet,  bei  Exsudaten  in  der 
linken  Brusthöhle,  Emphysem  und  Pneumothorax  derselben 
Seite.  Dieselbe  kann  mehr  horizontal  stehen  und  die 
Spitze  weiter  gegen  links  gerichtet  sein,  bei  grossem  Aneu- 
rysma des  aufsteigenden  Theiles  des  Aortabogens,  serö- 
sem Ergüsse  im  Pericardium,  grosser  excentrischer  Hyper- 


335 

trophie  und  den  Zuständen ,  welche  eine  höhere  Lage  des 
Herzens  bewirken.  Begreiflich  ist  es ,  dass  Verkrümmungen 
der  Wirbelsäule ,  Einsinken  des  linken  Thorax  nach  der  Re- 
sorption von  flüssigen  Ergüssen  und  Atrophie  der  linken 
Lunge,  Afterrnassen  u.  s.  w.  auf  die  Lage  des  Herzens  gros- 
sen Einfluss  ausüben. 

b)  Stärke  des  Herzstosses. 

Im  normalen  Zustande.  Der  Impuls  des  Herzens 
ist  kurz  und  ziemlich  kräftig  bei  Weibern  und  Kindern , 
magern  Personen  ,  während  der  Exspiration  und  in  vorwärts 
gebeugter  Haltung  des  Körpers.  Schwach  wird  er  durch 
dicke  Fleischlagen,  während  der  Ausdehnung  der  Lungen, 
in  der  Inspiration  und  in  der  Rückenlage  empfunden. 

Im  krankhaften  Zustande.  Affecte ,  Reizmittel, 
heftige  Muskelanstrengung  und  entzündliches  Fieber  bedin- 
gen einen  verstärkten  Herzschlag.  Übrigens  noch  folgende 
Krankheiten: 

1.  Excentrische  Hypertrophie  beider  Herzkammern,  oder 
des  linken  Ventrikels  mit  gleichzeitiger  Erkrankung  des 
Aortaklappenapparates.  Dabei  wird  die  aufgelegte  Hand  des 
Arztes ,  so  wie  dessen  Kopf  beim  Auscultiren  zugleich  mit 
der  Brustwand  durch  jeden  Choc  gehoben. 

2.  Hypertrophie  des  Herzens  überhaupt  bedingt 
eine  Verstärkung  des  Impulses. 

3.  Pericarditis ,  ehe  es  noch  zur  Exsudatbildung  ge- 
kommen. 

4.  Verdichtung  des  Gewebes  der  linken  Lunge  durch 
Hepatisalion  oder  Tuberkelinfiltrat. 

5.  Atrophie  des  Lungengewebes  bei  Verwachsung  beider 
Pleurablätter. 

6.  Einsinken  des  Thorax  über  einer,  nach  Resorption 
eines   pleuritischen  Exsudates  geschrumpften  Lunge. 

7.  Verwachsung  des  Herzens  mit  dem  Pericardium,  aus- 
ser es  wäre  das  Herzfleisch  durch  den  Druck  des  Exsudates 
schon  paralysirt. 


336 

8.  Halbseitige  excentrische  Hypertrophie  des  Herzens  be- 
dingt häufig  einen  nur  durch  einige  Momente  andauernden 
stärkeren  Herzstoss.  Äusserst  unstät  ist  nervöses  Herzklopfen, 
wovon  unten  in  einem  eigenen  Abschnitte  die  Rede  sein  wird. 

Vermindert  ist  der  Choc  des  Herzens  : 

1.  Bei  serösem  Exsudate  im  Pericardium ,  oft  auch  bei 
grosser  plastischer  Ausschwitzung ,  immer  aber  bei  jauchi- 
gem oder  eitrigem  Exsudate ,  sei  es  auch  in  sehr  geringer 
Menge  vorhanden. 

2.  Bei  Erweiterung  des  Herzens  mit  Verdünnung  der 
Wandungen. 

3.  Bei  linkem  Lungenemphyseme. 

4.  Bei  Verdickung  der  Brustwände  durch  Fett  oder 
seröse  Infiltration. 

5.  Bei  Schwächekrankheiten  ,  Anämie ,  Chlorose,  Cho- 
lera, Typhus  im  Stadium  des  Torpors  u.  s.  w. 

Einen  doppelten  Herzstoss,  Rückstoss  (bah- 
slrok  H»pes)  findet  man  zuweilen  bei  excentrischer  Hyper- 
trophie beider  Ventrikel ,  besonders  bei  gleichzeitiger  Ver- 
längerung der  Aorta  und  tieferem  Stande  des  Herzens  und 
nach  Zehetmayer  auch  bei  starker  Verdrängung  des  Her- 
zens nach  rechts ,  durch  pleuritische  Ergüsse.  Die  aufge- 
legte Hand  empfindet  dabei  während  der  Systole  einen  kräfti- 
gen erschütternden  Herzstoss  und  während  der  Diastole  wie- 
der einen  schwächeren,  der,  wie  es  scheint,  dem  Zurück- 
sinken des  Herzens  auf  die  Wirbelsäule  zuzuschreiben  ist. 

Umfang  des  Herzstosses. 

Im  normalen  Zustande  ist  derselbe  nur  in  einem 
Intercostalraume  fühlbar.  Bei  Kindern  und  Frauen  reicht  er 
nicht  selten  weiter. 

In  Krankheiten  ist  er  weiter  verbreitet: 
aj  Bei  einfacher  Hypertrophie ,  Dilatation  des   Herzens 
und  bei  beiden  Krankheiten  zugleich;   ist  letzterer  Zustand 
namhaft,   und   zugleich   ein   Fehler  an  den   Aortenklappen 


387 

vorhanden ,  so  fühlt  man  nicht  selten  den  Herzstoss  am  Rü- 
cken des  Kranken. 

b")  Bei  Exsudaten  im  Herzbeutel,  Aftermassen  an  dem- 
selben ,  Verwachsung  dieses  mit  dem  Herzen. 

e)  Bei  Verdichtung  des  angrenzenden  Lungengewebes 
durch  Infiltration  (Tuberkel,  Krebs,  Hepatisation)  oder  Druck 
(pleuritisches  Exsudat). 

d)  Bei  Vergrösscrung  der  Leber  mit  Aufwärtsrücken  de- 
ren linken  Lappens. 

e)  Aneurysma  der  Aorta  lässt  an  der  Stelle,  wo  es  die 
Brustwand  berührt  und  an  jener,  wo  die  Herzspitze  anschlägt, 
Pulsationen  wahrnehmen. 

Die  Voraussetzung ,  dass  man  den  Herzschlag  in  mehr 
horizontaler  oder  mehr  verticaler  Richtung  fühlen  müsse, 
je  nachdem  Hypertrophie  des  rechten  oder  des  linken  Ven- 
trikels vorhanden  ist,  bestätigt  sich  nicht  in  der  Erfahrung, 
denn  die  fühlbare  Ausdehnung  des  Chocs  nach  einer  oder  der 
anderen  Seite  ist  von  der  Lage  des  Herzens  abhängig. 

Das  Katzeiischwirren. 

Dieses  Symptom  gibt  sich  der  aufgelegten  Hand  als 
eigenthümliches  Erzittern,  gewöhnlich  während  der  Systole, 
kund ,  und  wird  dadurch  versinnlicht ,  wenn  man  mit  einer 
Bürste  über  die  mit  einem  Handschuhe  bekleidete  Hand  streift, 
oder  diese  auf  den  Rücken  einer  spinnenden  Katze  legt.  Es 
ist  kein  constantes  Symptom,  doch  aber  sehr  häufig  vorhan- 
den ,  wenn  der  Blutstrom  durch  eine  verengte  Stelle  sich 
drängt,  z.  B.  bei  Stenose  der  Ostien,  Rauhigkeiten  an  den- 
selben u.  s.  w.  Im  linken  Ventrikel  wird  es  häufiger  beobach- 
tet, als  im  rechten,  und  deutet  durch  die  Stelle,  an  welcher 
es  am  stärksten  gefühlt  wird,  zuweilen  die  erkrankte  Mün- 
dung an. 

Bestand  es  durch  längere  Zeit  und  vermindert  es  sich 
oder  hört  es  auf,  so  gilt  diess  als  Zeichen,    dass  die  Mün- 
dung nun  in  dem  Grade  verengt  oder  der  Blutstrom  nicht 
Gaal  Diagnostik.  %% 


338 

stark  genug*  ist,  um  das  schwirrende  Reiben  hervorzubringen, 
oder  dass  die  Herzthätigkeit  erlahmt. 

Ungeübte  können  diess  Symptom  mit  dem  zuweilen  fühl- 
baren pericarditischcn  Reiben  verwechseln;  das 
Stethoscop  hellt  dann  den  Irrthum  auf. 

Auch  an  grösseren  Arterien ,  z.  B.  den  Carotiden  wird 
das  stets  von  Geräuschen  begleitete  Katzenschnurren  nicht 
selten  gefühlt,  z.  B.  bei  Atheromen ,  Rauhigkeiten ,  Ossifi- 
kationen der  Schlagadern  ,  Insuffizienz  der  Aortenklappen  , 
Chlorosis ,  straffer  Spannung  der  Arterienhäute  u.  s.  w. 

Der  Puls  der  Arterien. 

Durch  die  Zusammenziehung  des  Herzens  werden  etwa 
2  Unzen  Blutes  in  die  Arterien  gepresst,  die  darin  enthal- 
tene Blutsäule  wird  fortgeschoben,  und  das  Gefässrohr  sowohl 
erweitert ,  als  auch  gleichzeitig  gestreckt.  Das  fühlbare  An- 
schlagen der  Blutwelle  und  die  Ausdehnung  der  Arterie  bil- 
det deren  Puls. 

Die  Stärke  und  Schnelligkeit  der  Herzaction  und  die 
Blutmenge  bestimmen  die  Qualitäten  des  Pulses. 

Da  die  Verschiebung  der  Blutmasse  nur  successiv  statt 
findet,  so  gelangt  auch  jede  neue  Blutwelle  nur  nach  und 
nach  an  die  Peripherie,  und  ist  der  Arterienpuls  fast  an  kei- 
ner Arterie  mit  der  Systole  des  Herzens  ganz  isochron  und 
zwar  am  wenigsten  an  den  entlegensten  Arterien.  Der  Ra- 
dialpuls ist  etwa  um  lo,  der  Puls  der  Arteria  subclavia 
um  8,  jener  der  A.  metatarsea  um  20  Terzen  später,  als  der 
des  Herzens.  An  der  Radial-,  Schläfen-  und  Cruralarterie 
(gleich  unter  dem  Po  up  art'schen  Bande)  ist  der  Puls  iso- 
chronisch ,  weiter  unten  später ,  an  der  grossen  Zehe  am 
spätesten ;  Aneurysmen  verspäten  nicht  allein  den  Puls  unter- 
halb ihrer  Stelle,  sondern  machen  ihn  gewöhnlich  auch 
schwächer  und  leichter  zu  unterdrücken j  z.  B.  Aneurysma 
der  Abdominalaorta  bewirkt,  dass  der  Puls  der  A.  cruralis 
später  erscheint,  als  jener  der  A.  temporalis  oder  radialis, 


339 

weil  sich  die  Blutwelle  im  aneurysmatischen  Sacke  verliert 
und  dadurch  später  ankommt.  Aneurysma  im  Kniebuge  be- 
wirkt aus  derselben  Ursache  Differenz  der  Pulse  an  der  A. 
melatarsea  beider  Extremitäten.   (Hamernj k.) 

Kräftiger  Herzschlag  und  voller,  harter  Puls  kommen 
der  Herzhypertrophie  zu.  Ist  die  Hypertrophie  aus  anderen 
Zeichen  ersichtlich ,  der  Radialpuls  aber  klein  und  schwach, 
so  spricht  diess  für  Insufficienz  der  zweispitzigen  Klappe , 
wobei  ein  Theil  des  Blutes  in  den  Vorhof  zurückgeworfen 
wird,  die  Arterien  somit  weniger  Blut  empfangen. 

Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  mit  Insufficienz  der 
Aortaklappen  zeigt  einen  schnellenden ,  rasch  aufgeblähten 
aber  gleich  wieder  zusammensinkenden  Puls ,  da  die  Arterie 
bei  der  Systole  nicht  allein  durch  die  Vorwärtsbewegung  des 
Blutes,  sondern  auch  durch  das  Zurückfliessen  eines  Thei- 
les  desselben  in  den  Ventrikel  vollständig  entleert  wird. 

Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  mit  Stenose  der  Aor- 
tenmündung wird  von  einem  kleinen,  harten,  Hypertrophie 
der  rechten  Herzkammer  mit  Stenose  des  linken  Ostium  ve- 
nosum  von  einem  leeren  weichen  Pulse  begleitet.  In  beiden 
Fällen  gelangt  nur  wenig  Blut  in  die  Arterien. 

Pericarditis  hat  im  Anfange  einen  grossen ,  aber  mehr 
verwischten  Puls  ;  wird  die  Gewalt  des  Herzstosses  durch 
den  Druck  eines  Exsudates  gebrochen ,  so  erscheint  ein 
schwacher,  weicher  Puls. 

Anämie  und  Blutzersetzung  bedingen  einen  leeren, 
schwachen,  zitternden  Puls.  Chlorose  und  M.  Werlhofii 
werden  von  kurzem  Pulse  begleitet,  im  ersten  Stadium  des 
Typhus  ist  derselbe  voll,  wellenförmig  und  gleichsam  dop- 
pelschlägig. 

Der  Puls  und  die  Schwellung  der  Venen. 

Eine  scheinbare  Pulsation  der  Drosseladern  zeigt  sich 
zuweilen  bei  grosser  Venosität  an  abgemagerten  Individuen, 
an  welchen  die  Blutadern  deutlicher  sichtbar  hervortreten, 

22  # 


340 

während  der  Exspiration  ,  da  durch  das  Zusammensinken  der 
Athmungsorgane  der  Blutinhalt  der  grossen  Venenstämme 
zurück  und  aufwärts  gepresst  wird.  Diese  Pulsation  ist  aber 
nur  von  den  Respirationsbewegungen  abhängig  und  mit  der 
Systole  des  Herzens  nicht  gleichzeitig. 

Bei  allen  Hindernissen  des  Kreislaufes ,  durch  deren 
Gegenwart  die  Entleerung  des  Venenblutes  in  den  rechten 
Vorhof  gehemmt  wird,  z.  B.  Hypertrophie  des  rechten  Ven- 
trikels ,  verbreitetem  Lungenemphysem  ,  chronischem  Bron- 
chialcafarrh.  Lungenödem,  Verödung  oder  Unwegsamkeit 
einer  grösseren  Partie  der  Lungen  u.  s.  w.  entsteht  eine 
Überfüllung  der  Venen ,  welche  besonders  an  den  Jugular- 
adern  deutlich  erscheint,  so  dass  diese  strotzend  und  vorge- 
trieben sich  darstellen.  Leicht  geschieht  es  nun,  dass  einer  so 
geschwellten  Vene  die  Pulsation  der  unterliegenden  Arterie 
sich  mittheilt,  doch  ist  dann  keine  eigentliche  Systole  und 
Diastole  zu  unterscheiden  und  es  dauert  die  scheinbare  Pul- 
sation auch  noch  an ,  wenn  man  die  Vene  am  Schlüsselbeine 
zusammendrückt. 

Der  eigentliche  Venenpuls  entsteht,  so  wie  jener  der 
Arterien ,  bloss  durch  die  Thätigkeit  des  Herzens ,  ist  mit 
demselben  isochron ,  zeigt  eine  wahre  Systole  und  Diastole, 
schreitet  wellenförmig  von  unten  nach  aufwärts  fort ,  und 
hört  auf,  wenn  man  die  Vene  comprimirt. 

Der  Venenpuls  wird  durch  Überfüllung  des  Vorhofes 
mit  Blut  bewirkt,  welches  entweder  durch  ein  übermässig 
erweitertes  Ostium  venosum,  oder  durch  die  insuflficienten 
Tricuspidalklappen  dahin  zurückgeworfen  wird;  der  Herz- 
stoss  pflanzt  sich  dann  auf  die  ganze  ununterbrochene  Blut- 
säule fort  und  wird  als  Puls  sichtbar  und  nicht  selten  selbst 
fühlbar.  Gewöhnlich  sind  dann  auch  die  Venenhäute  ver- 
dickt. Nach  Gen  drin  entsteht  auch  noch  ein  Venenpuls, 
wenn  die  verdünnten  und  übermässig  ausgedehnten  dreizipf- 
ligen Klappen  zwar  schliessen ,  aber  durch  den  Blutdruck 
während    der  Ventrikelsystole  gegen    die  Vorkammer  sich 


341 

wölben ,  und  dessen  Stoss  der  rückwärts  befindlichen  Blut- 
säule mittheilen. 

Percussion   des   Herzens. 

Im  gesunden  Zustande.  Wo  das  Herz  frei  die 
Brustwand  berührt ,  somit  bei  Erwachsenen  im  Räume  von 
i1/, — 2  Quadratzollen  (bei  Greisen  von  mehr,  bei  Kindern 
von  weniger)  erhält  man  einen  dumpfen,  leeren  Percussions- 
schall  mit  vermehrtem  Widerstände ,  der  rings  in  den  nor- 
malen Lungenton,  nach  unten  aber  in  den  Ton  des  Magens 
übergeht.  Durch  starken  Anschlag  lässt  sich  das  Herz  auch 
noch  dort  erkennen,  wo  die  bedeckenden  Lungen  schon  des- 
sen Schall  voller  und  heller  machen. 

In  Krankheiten.  Der  Percussionsschall  erscheint 
in  grösserer  Ausdehnung  gedämpft : 

1.  bei  einfacher  Herzhypertrophie; 

2.  bei  excentrischer  Herzhypertrophie ;  dabei  ist  auch 
der  Widerstand  bedeutender; 

3.  bei  einfacher  Dilatation ;  wobei  die  Resistenz  aber 
geringer  wahrgenommen  wird ; 

4.  bei  grossem  serösen  Exsudate  im  Herzbeutel;  mit 
besonders  vermehrtem  Widerstände ; 

5.  bei  Verwachsung  des  Pericardium  mit  dem  Herzen; 

6.  bei  grösseren  Krebsablagerungen  ins  Pericardium; 

7.  bei  Aneurysmen  der  autsteigenden  Aorta  oder  de- 
ren Bogens. 

8.  Endocarditis  setzt  erst  nach  längerem  Bestehen  und 
wenn  durch  entstandenen  Klappenfehler  Hypertrophie  einge- 
leitet wurde ,  eine  durch  das  Plessimeter  erkennbare  Ver- 
grösserung  des  Herzens. 

Concentrische  Hypertrophie ,  Myocarditis ,  beginnende 
Pericarditis  u.  s.  w.  verändern  den  Percussionsschall  nicht. 

Auf  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  schliesst  man, 
wenn  der  matte  Percussionston  nach  der  Länge  des  Her- 
zens eine  grössere  Ausdehnung  hat;  auf  Zunahme  der  rech- 


342 

ten  Kammer  hingegen ,  wenn  der  Schall  nach  der  Quere  des 
Herzens  in  grösserer  Verbreitung  gedämpft  ist ,  vorausge- 
setzt ,  dass  in  beiden  Fällen  auf  die  Lage  des  Herzens  und 
den  Stand  seiner  Achse  Rücksicht  genommen  werden  wird, 
da  z.  B.  ein  horizontal  gelagertes  Herz  immer  nach  der  Breite 
dumpfen  Schall  in  grösserer  Ausdehnung  gibt,  ob  nun  die- 
ser oder  jener  Ventrikel  erkrankt  ist. 

Vermindert  ist  der  Umfang,  in  welchem  der  matte  Per- 
cussionston  des  Herzens  gefunden  wird,  im  linkseitigen  Lun- 
genemphysem ,  und  es  hält  oft  schwer,  den  Umfang  des  Her- 
zens dann  durch  das  Plessimeter  zu  bestimmen.  Atrophie  des 
Herzens  und  allgemeine  Anämie  sollen  gleichfalls  von  einer 
räumlichen  Verminderung  des  matten  Percussionsschalles  in 
der  Herzgegend  begleitet  sein. 

Durch  Percussion  ,  im  Bunde  mit  der  Palpation  und  zum 
Theile  mit  der  Inspection  ,  sind  wir  hauptsächlich  imstande, 
die  Lage  und  den  Umfang  des  Herzens  möglichst  genau  zu 
bestimmen. 

Auscultation    des   Herzens. 

Bei  der  Untersuchung  des  Herzens  ist  das  Stethoscop 
dem  blossen  Ohre  vorzuziehen.  Der  Obturator  ist  ganz  über- 
flüssig. Die  Präcordialgegend  sei  dabei  nur  vom  Hemde  be- 
deckt, dessen  Falten  sorgfältig  auszugleichen  sind.  Die 
Lage  sei  im  Allgemeinen  eine  halb  aufgerichtete  auf  einer 
durch  die  Kopfkissen  construirten  geneigten  Ebene;  doch 
ist  es  gut ,  Kranke  sitzend  und  liegend  zu  auscultiren ,  da 
bisweilen  bei  veränderter  Stellung  sich  in  den  auscultato- 
rischen  Phänomenen  Abweichungen  ergeben.  Im  Allgemei- 
nen muss  der  Kranke  sich  in  einem  vollkommen  ruhigen  Zu- 
stande befinden ,  doch  ist  es  zuweilen  nöthig,  ihn  etwas  Be- 
wegung machen  zu  lassen,  damit  durch  diese  Erregung  ab- 
norme Geräusche  deutlicher  sich  entwickeln ,  welche  vorher 
nicht  wohl  zu  unterscheiden  waren. 

Das  Athmungsgeräusch  beirrt  jenen,  der  in  der  Unter- 


343 

suchung  geübt  ist ,  nicht ,  doch  kann  es  so  stark  oder  von 
fremdartigen  Geräuschen  begleitet  werden,  dass  man  den 
Kranken  momentan  den  Athem  an  sich  halten  lassen  muss. 

Will  man  die  Stärke  des  Herzstosses  bemessen,  so  lege 
man  das  Ohr  fest  auf  das  Stethoscop  ;  feinere  Nuancen  der 
Töne  werden  bei  leichtem  Aufsetzen  des  Instrumentes  besser 
erkannt. 

Im  normalen  Zustande  hört  man  in  der  Herzge- 
gend einen  Doppelschlag,  ähnlich  dem  Tic-tac  einer 
Uhr,  der  in  einem  bestimmten  Rhythmus  nach  einer  kleinen 
Pause  sich  stets  wiederholt.  Der  erste  Herzton  ist  jener, 
welcher  mit  dem  Herzstosse  zusammenfällt ,  länger  anhal- 
tend,  und  dumpfer  als  der  zweite,  der  fast  unmittelbar  auf 
diesen  folgt,  und  als  hell,  kurz  und  fast  klingend  erkannt 
wird.  Darauf  folgt  eine  Pause.  Der  erste  systolische  Ton  wird 
nach  links  und  aussen  an  der  Stelle ,  wo  die  Herzspitze  an 
die  Brustwand  schlägt,  am  deutlichsten  wahrgenommen  •,  der 
zweite,  diastolische  hingegen  ober  den  Semilunarklappen  im 
dritten  Intercostalraume  näher  gegen  das  Brustbein  hin. 

Je  weiter  wir  das  Ohr  von  der  Herzgegend  entfernen, 
desto  schwächer  werden  diese  Töne  vernommen,  doch  kön- 
nen sie  bei  magern  Personen  sehr  weit,  selbst  bis  in  die 
rechte  Brusthälfte  und  den  Rücken  verbreitet,  zu  hören  sein. 

So  wie  auf  die  Verbreitung  des  Herzstosses ,  hat  auf 
jene  der  Töne  der  Zustand  des  benachbarten  Lungengewe- 
bes, welcher  dessen  Schallleitungsfähigkeit  bedingt,  grossen 
Einfluss. 

Man  hört  über  beiden  Ventrikeln  die  Herztöne  dersel- 
ben gleichzeitig  und  es  ist  nur  möglich  im  krankhaften  Zu- 
stande die  Töne  der  rechten  Kammer  von  jenen  der  linken 
getrennt  wahrzunehmen. 

In  den  näheren  grösseren  Arterien  werden  gleichfalls 
zwei  Töne  unterschieden,  in  den  entfernteren  hört  man  bloss 
einen  Ton.  Die  Töne  der  Aorta  vernimmt  man  am  besten  an 
der  Insertion  der  2.—  3.  rechten  Rippe  in  der  Mitte  des  Brust- 


844 

beines,  jene  der  Lungenarterie  in  der  Mitte  des  zweiten 
linken  Zwischenrippenraumes ,  da  an  allen  andern  Stellen 
beide  Gefässe  einander  näher  liegen  und  ihre  Töne  nicht  ge- 
schieden wahrgenommen  werden  können. 

Werden  die  Töne  sowohl  über  dem  Herzen  als  den  gros- 
sen Gefässen  klar  und  rein  gehört,  so  sind  sowohl  die  Klap- 
pen als  die  Ostien  des  Herzens  gesund. 

Es  liegt  nicht  in  unserm  Plane ,  die  Ursachen  der 
Herztöne,  welche  aufzufinden,  die  grössten  Physiologen 
jeder  Zeit  beschäftigte ,  zu  suchen ,  doch  wollen  wir  die 
hauptsächlichsten  Theorien  ,  der  Vollständigkeit  und  des  hi- 
storischen Interesses  wegen ,  hier  in  Kürze  so  darlegen,  wie 
sie  Barth  und  Roger  zusammengestellt:  - 


345 


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347 

Die  Herztöne  scheinen  aus  mehreren  Elementen  zusam- 
mengesetzt zu  sein ,  und  unserer  Ansicht  nach  zur  Bildung 
des  ersten  Tones  die  Muskelcontraction  der  Kammern  und 
das  Anschlagen  der  Herzspitze  an  die  Brustwand  sowohl, 
als  das  Anströmen  des  Blutes  gegen  die  dadurch  aufgeblähten 
Auriculoventricularklappen  und  die  plötzliche  Anspannung 
ihrer  Sehnenfäden  zusammenzuwirken.  Letzteren  Umstand 
allein  aber  können  wir  unmöglich  als  Ursache  des  ersten 
Tones  gelten  lassen,  da  die  Klappe  sich  in  der  Blutmasse 
nur  vorschiebt ,  und  letztere  wohl  in  zwei  Theile  trennt,  vor 
sich  aber  immer  noch  Blut  hat ,  daher  auch  nicht  gegen  das 
Atrium  geworfen  werden  kann;  und  auch  das  Blut  in  den 
Ventrikeln  nie  so  gegen  die  Klappen  anschlägt,  dass  diese 
erdröhnen ;  hiezu  kommt  noch ,  dass  wie  die  British  Asso- 
ciation for  the  advancement  of  science  bewies  ,  selbst  bei 
gehinderter  Thätigkeit  der  venösen  Klappen  die  Töne  noch 
fortdauern*).  Für  die  Erzeugung  des  zweiten  Tones  scheint 
das  plötzliche  Schliessen  der  Semilunarklappen ,  hervorge- 
bracht durch  das  während  der  Diastole  zurückströmende 
Blut  ein  wichtiges  Moment  abzugeben. 

Sei  nun  die  Ursache  der  Herztöne  in  diesem  oder  jenem 
Umstände  zu  suchen,  mangelt  es  nicht  an  Gründen  diese 
oder  jene  Theorie  zu  bekräftigen  oder  zu  widerlegen,  so 
überlassen  wir  die  Schlichtung  des  Streites  dem  Forum  der 
Physiologie ,  und  bemerken  vom  pathologischen  Standpuncte 
aus  bloss ,  dass  das  Hören  reiner  Töne  an  die  normale  Be- 
schaffenheit der  Ostien  und  Klappen  gebunden  ist. 

Im  krankhaften  Zustande  hört  man  die  Herz- 
töne abnorm  nach  ihrem  Sitze,  ihrer  Ausdehnung,  ihrer 
Stärke ,  ihrem  Timbre  und  Charakter ,  ihrem  Rhythmus,  und 
von  fremdartigen  Geräuschen  begleitet  oder  gedeckt. 


*)  Siehe  meine  Auscultation  p.  58  und  Kürschners  Aufsatz  in 
Schmidt's  Encyclopädie. 


348 

I.  Was  den  Sitz  und  die  Ortsveränderung  der  Herz- 
töne betrifft ,  so  gilt  hier  Alles,  was  von  dem  Herzstosse  ge- 
sagt wurde  und  das  zu  wiederholen ,  der  beschränkte  Raum 
dieser  Blätter  nicht  erlaubt. 

H.  Betreffs  der  Ausdehnung  und  des  Umfanges  der 
Herztöne  findet  auch  das  hier  grösstentheils  seine  Geltung, 
was  seines  Ortes  vom  Umfange  desHerzstosses  gesagt  wurde. 

Der  Umfang  der  Herztöne  wird  übrigens  bei  concentri- 
scher  Hypertrophie  ,  Atrophie,  Erweichung  oder  einem  Lun- 
genemphyseme vermindert. 

III.  Die  Stärke  der  Herztöne  hängt  von  verschiede- 
nen Umständen  ab ,  ihre  Betrachtung  ist  aber  bei  weitem 
nicht  so  entscheidend ,  als  man  glauben  sollte.  Im  Allgemei- 
nen gehorcht  sie  denselben  Verhältnissen ,  welche  die  Kraft 
des  Herzstosses  bedingen.  In  seltenen  Fällen  werden  die 
Töne  so  verstärkt ,  dass  man  selbe ,  besonders  den  ersten 
Ton  ,  auch  aus  der  Entfernung  hört. 

IV.  Die  Veränderungen  des  Rhythmus  der  Herztöne 
betreffen  deren  Frequenz,  Aufeinanderfolge  und  Zahl  der 
Töne ,  haben  aber  gleichfalls  nur  einen  untergeordneten  se- 
miotischen  Werth. 

d)  Frequenz.  Diese  ist  von  allen  Umständen  ab- 
hängig ,  welche  den  Puls  beschleunigen.  Anämie  und  plötz- 
liche Bildung  von  Blutconcretionen  im  Herzen  haben  äus- 
serst schnelle  Herzschläge  zur  Begleitung ;  bei  Gehirn-  und 
Rückenmarksleiden  und  unter  dem  Gebrauche  von  Digitalis 
können  die  Herzschläge  auf  16  in  der  Minute  sinken. 
(A  n  d  r  a  1.) 

6}  Aufeinanderfolge.  Der  erste  Ton  kann  ver- 
längert sein ,  welche  Erscheinung  Barth  in  manchen  Fäl- 
len von  Hypertrophie  mit  Stenose  der  Arterienmündung  beob- 
achtete —  oder  die  Pause  erscheint  bei  langsamer  Circula- 
tion  gedehnter.  Oft  ist  eine  Reihe  von  raschen  Herzschlägen 
bemerkbar,  welcher  eine  von  langsamen  folgt;  oft  bleiben 
gewisse  Herzschläge  in  einer  Reihe  aus  (intermittiren),  und 


349 

zeigt  sich  in  all'  diesen  Unregelmässigkeiten  doch  ein«  ge- 
wisse Symmetrie.  Bouillaud  spricht  noch  von  einer  fal- 
schen Intermission  der  Herztöne ,  wobei  das  bei  Stenose  der 
venösen  Mündung  nicht  vollends  erfüllte  Herz  nur  auf  eine 
geringe  Blutmenge  und  sehr  schwach  wirkt ,  und  vergleicht 
sie  mit  einem  Fehltritte  des  Fusses. 

c)  Zahl  der  Töne.  Der  zweite  Ton  kann  so  schwach 
sein ,  dass  er  fast  unhörbar  wird ,  oder  durch  ein  Afterge- 
räusch verdeckt  erscheinen.  Bouillaud  fand  bei  Veren- 
gerung des  Ostium  venosum  drei  Herztöne  als  Tic-tac-tac, 
und  sucht  deren  Erklärung  in  dem  Umstände,  dass  ein  Ven- 
trikel ,  gewöhnlich  der  linke ,  sich  langsamer  als  der  andere 
entleert,  und  somit  der  Rückstoss  der  Blutsäule  auf  die  Aor- 
taklappe etwas  später  geschieht  als  jener  auf  die  Klappen 
der  Lungenarterie.  —  Übrigens  können  selbst  tumultuari- 
sche  und  in  ihrem  Rhythmus  gänzlich  unordentliche  Herzac- 
tionen  gehört  werden ,  ohne  dass  aber  ihre  Wahrnehmung 
für  die  Diagnose  entscheidenden  Werth  hätte. 

V.  Timbre-  und  Char  akt  er  vers  chiedenhei- 
ten  der  Herztöne.  Die  Herztöne  werden  dumpfer  ge- 
hört bei  Hypertrophie  der  Herzwandungen ,  heller  und  kür- 
zer bei  deren  Verdünnung  in  der  Dilatation.  —  Zuweilen 
vernimmt  man  den  ersten  Ton  fast  metallisch  klingend ,  wie 
wenn  man  die  Fläche  der  Hand  auf  das  Ohr  legte  und  auf 
ihren  Rücken  mit  dem  Finger  der  andern  Hand  kurz  und 
schnell  schlüge.  Hope  sucht  diess  Phänomen  durch  An- 
schlagen der  Herzspitze  an  einem  vorragenden  Rippenrand 
bei  sehr  magern  Individuen  zu  erklären.  Delaberge  und 
Piorry  leiten  es  von  dem  Mitklingen  des  von  Gas  aufge- 
blähten Magens  ab;  jedenfalls  ist  dahinter  nicht  so  viel  zu 
suchen ,  als  man  wohl  glauben  könnte. 

VI.  Beimischung  fremdartiger  Geräusche. 
1.  Das  Rotationsgeräusch.  Andry  beobachtete  in 
drei  Fällen  ein  so  starkes  Geräusch  der  Brustmuskel ,  dass 
die  Herztöne   dadurch    gänzlich   verschleiert  wurden ,    auf 


350 

ähnliche  Weise ,  wie  diess  zuweilen  mit  den  Respirations- 
geräuschen geschieht. 

2.  Fluctuationsgeräusch.  Iin  sehr  seltenen  Hy- 
dro-Pneumopericardium  soll  nach  Bricheteau  nicht  allein 
heller  Percussionston ,  sondern  auch  ein  deutliches  Fluctua- 
tionsgeräusch ,  wovon  übrigens  schon  Morgagni  spricht, 
zu  hören  sein.  Hieher  glaube  ich  auch  das  von  And  r  alan- 
gegebene Gurgelgeräusch  beziehen  zu  müssen. 

3.  Reibungsgeräusch  des  Herzbeutels.  Geht 
das  Epithelium  der  beiden  sich  zugekehrten  Flächen  der  Peri- 
cardialblätter  verloren  ,  so  wird  deren  sonst  glatte  Oberfläche 
rauh  ,  und  um  so  unebener,  je  mehr  plastisches  Exsudat  auf 
diese  abgelagert  ist. 

Ist  die  abgeschiedene  Masse  noch  weich  und  zartflockig, 
so  erhalten  wir  ein  sanftes  Geräusch ,  ähnlich  dem  Reiben 
einer  Banknote  zwischen  den  Fingern,  dem  Streifen  letzte- 
rer über  Atlas  (JBruit  de  frolemenQ.  Wird  das  gebildete  Ex- 
sudat rauher  und  fester  und  ist  nur  wenig  Flüssigkeit  vor- 
handen ,  so  hört  man  auch  ein  rauhes  Kratzen,  Schaben  oder 
Knarren,  wie  von  neuem  Leder  QBruit  de  raclemenQ. 

Es  ist  oft  verbreitet,  oft  nur  auf  eine  kleine  Stelle  be- 
schränkt, begleitet  nur  die  Systole,  oder  beide  Herztöne, 
gehorcht  nicht  immer  deren  Rhythmus  und  scheint  nicht  selten 
sich  denselben  gleichsam  nachzuschleppen,  durch  welchen  Um- 
stand man  es  von  Geräuschen ,  welche  im  Herzen  selbst  ent- 
stehen, unterscheidet. 

Es  ist  ein  sicheres  Zeichen  von  Pericarditis,  doch  kann 
es  in  dieser  auch  fehlen,  und  wird  gewöhnlich  in  deren  Be- 
ginne und  am  Schlüsse  nach  Resorption  des  flüssigen  Exsu- 
dates gehört,  welches  die  Berührung  und  Reibung  derPeri- 
cardialblätter  hinderte.  So  lange  seröser  Erguss  in  hinrei- 
chender Menge  vorhanden  ist ,  kann  kein  Reibungsgeräusch 
entstehen. 

4.  Aftergeräusche  im  Herzen  und  den  Ge- 
fässen.    Mit  diesem  Namen  bezeichnen   wir   Geräusche, 


351 

welche  von  verschiedenem  Charakter,  als  blasende,  sausende, 
schabende ,  feilende ,  schnurrende ,  singende  u.  s.  w.  die 
Herztöne  begleiten  oder  selbst  absorbiren. 

Die  Charakterverschiedenheiten  wechseln  sehr  häufig*  an 
demselben  Kranken,  auch  wird  ein  Geräusch,  das  ein  Arzt 
als  ein  blasendes  erkennt,  von  einem  andern  als  feilendes 
beschrieben  u.  s.  w.  Derlei  Bezeichnungen  ermangeln  aller 
diagnostischen  Wichtigkeit,  und  nur  annäherungsweise 
schliessen  wir  aus  der  Gegenwart  eines  blasenden,  weichen 
Geräusches  auf  ein  Circulationshinderniss  geringeren  Grades, 
aus  der  Gegenwart  rauher ,  raspelnder  Geräusche  auf  das 
Bestehen  einer  organischen  Veränderung  stärkerer  Art.  Das 
Aufhören  schon  bestandener  Geräusche  deutet  bei  organi- 
schen Klappenkrankheiten  nicht  auf  eine  Besserung  des  Zu- 
Standes,  sondern  auf  Erlahmung  der Herzthätigkeit  und  da- 
durch verringerte  Reibung  des  Blutstromes  an  dem  Klappen- 
apparate. 

Für  die  Diagnose  hat  nur  die  Bestimmung  eigentlichen 
Werth,  ob  ein  Aftergeräusch  vorhanden  sei  oder  nicht,  und 
ob  es  der  Systole  oder  der  Diastole  angehöre. 

A)     Im    Herzen. 
Linker  Ventrikel. 

Geräusch  statt  des  ersten  Tones,  am  stärksten  nach 
aussen  in  der  Gegend  der  Mitralklappe  hörbar,  bezeichnet 
zwei  Zustände ,  nämlich:  Insufficienz  der  Bicuspi- 
dalklappe  oder  Rauhigkeiten  an  der  Mündung 
der  Aorta.  Die  Unterscheidung  geschieht  dadurch,  dass 
man  bei  Ersterem  zugleich  häufig  den  zweiten  Ton  der  Lun- 
genschlagader abnorm  verstärkt,  und  im  zweiten  Falle  das 
Geräusch  weiter  in  die  Aorta  verbreitet  findet. 

Der  zweite  Ton  der  Lungenschlagader  erscheint  ver- 
stärkt ,  weil  der  linke  Vorhof  nicht  allein  durch  die  Lungen- 
venen Blut  erhält,  sondern  weil  in  denselben  auch  noch 
welches  durch  die  insufficiente  Klappe  regurgitirt.  Hiedurch 


962 

wird  dem  Einströmen  des  Blutes  aus  den  Lungenvenen  ein 
Hinderniss  gesetzt,  der  Lungenkreislauf  überfüllt,  das  rechte 
Herz  zu  übermässiger  Kraftanstrengung  angespornt  und  ver- 
grössert,  der  Druck  und  die  Contractionsthätigkeit  der  durch 
Blutüberfüllung*  gespannten  Lungenarterie  vermehrt  und  der 
Anstoss  der  Blutsäule  an  deren  halbmondförmigen  Klappen 
verstärkt,  wodurch  der  zweite  Ton  der  Pulmonalarterie  mehr 
accentuirt  erscheint. 

Übrigens  ist  oft  in  der  Pneumonie,  im  1.  Stadium  des 
Typhus,  bei  Chlorotischen,  zuweilen  bei  Schwangeren  (Ja- 
quemier)  nach  Hämorrhagien  der  erste  Herzton  von  einem 
blasenden  Geräusche  begleitet,  ohne  dass  eine  organische 
Veränderung  bestände.  Auch  kann  durch  Compression  der 
grösseren  Arterienstämme,  in  der  Strecke,  in  welcher  sie 
noch  vom Pericardium  begleitet  werden,  von  Seite  eines  gros- 
sen serösen  Exsudates  im  Herzbeutel  ein  blasendes  Geräusch 
entstehen,  ohne  dass  eine  Endo-Pericarditis  vorhanden  ist. 
Endocarditis  gibt  nur  durch  Anschwellung  der  Klappen  und 
Exsudativprocesse  auf  jenen  und  den  Ostien  Aftergeräusche, 
und  kann  nur  durch  die  Vergleichung  und  Abwägung  aller 
übrigen  Symptome  erkannt  werden. 

Geräusch  mit  dem  zweiten  Tone  bedeutet:  Ver- 
engerung des  Ostium  venosum,  Rauhigkeiten 
an  der  Bicusp  id  alklapp  e,  oder  Insufficienz 
der  Aortenklappe. 

Bei  Stenose  des  Ostium  venosum  ist  das  Geräusch  im 
ganzen  Ventrikel,  besonders  nach  aussen  zu  hören;  der 
rechte  Ventrikel  vergrössert ,  und  durch  Blutüberfüllung  des 
linken  Atrium  und  der  Capillarbahn  der  Lungen  der  zweite 
Ton  der  Pulmonalis  verstärkt.  Nicht  selten  findet  man  auch 
Katzenschwirren. 

Geräusch  ohne  Zunahme  des  rechten  Ventrikels  und 
ohne  Verstärkung  des  2.  Tones  der  Lungenschlagader  spricht 
für  Rauhigkeiten  an  der  Bicuspidalklappe. 

Bei  der  sehr  häufigen  Verbindung  der  Stenose  des  lin- 


353 

ken  Ostium  venosum  mit  Insufficienz  der  Bicuspidalklappe 
ist  das  erste  Geräusch  oft  kaum  wahrzunehmen,  das  zweite 
hingegen  scharf  und  gedehnt. 

Geräusch  mit  dem  zweiten  Tone,  welches  weniger  deut- 
lich an  der  Herzspitze  als  in  der  Gegend  der  Semilunar- 
klappen  gehört  wird  und  sich  selbst  in  die  Aorta  verbreitet, 
spricht  besonders  bei  gleichzeitiger  Vergrösserung  des  lin- 
ken Ventrikels  für  Insufficienz  der  Aortenklappen. 
Im  rechten  Ventrikel. 

Hier  kommen  Klappenfehler  und  Stenosen  selten  vor. 

Bei  Insufficienz  der  dreizipfligen  Klappe  hört  man  ein 
systolisches  Geräusch  und  sieht  die  Jugularvenen 
strotzend  und  pulsirend;  eine  Erscheinung,  deren  Erklä- 
rung schon  gegeben  wurde.  Fehlt  die  Pulsation  der  Jugu- 
larvenen, so  schliessen  wir  auf  Rauhigkeiten  am  freien  Rande 
der  dreizipfligen  Klappe. 

Insufficienz  der  Lungenarterienklappen  ward  bis  jetzt 
noch  nicht  beobachtet. 

B)    In    den   grossen    Arterien. 

Aorta.  Geräusch  statt  des  ersten  Tones  deutet 
auf  Rauhigkeiten  an  der  Gefässwand  oder  an  den  Klappen. 
In  letzterem  Falle  dehnt  sich  das  Rauschen  auch  auf  den  lin- 
ken Ventrikel  aus. 

Insufficienz  der  Aortenklappen  wird  durch  ein  in  den 
linken  Ventrikel  verbreitetes  diastolisches  Geräusch 
erkannt. 

Lungenschlagader.  In  Fällen  von  Auflockerung 
der  Gefässhaut  bei  gleichzeitiger  Insufficienz  der  Bicuspi- 
dalis  ,  so  wie  in  Fällen  von  Druck  auf  die  Arterie  durch  Tu- 
berkelinfiltrat hat  man  blasende  Geräusche  mit  dem  ersten 
Tone  gehört. 

Stärkere  Accentuirung  des    zweiten  Tones    deutet 
auf  excentrische  Hypertrophie    des   rechten  Ventrikels  und 
Überfüllung  der  Capillarbahn  der  Lungen  mit  Blut. 
Gaal  Diagnostik.  23 


954 

In  derCarotis  und  Subclavia  hören  wir  häufig  Ge- 
räusche, welche  im  Herzen  oder  der  Aorta  entstehen  und 
sich  dorthin  verpflanzen.  Auch  das  Katzenschnurren  wird  dort 
leicht  wahrgenommen. 

Blasende  Geräusche  kommen  durch  schiefes  Aufsetzen 
des  Stethoscopes ,  durch  Druck  auf  die  Arterie  von  Seite 
einer  grösseren  Geschwulst ,  Struma  u.  s.  w.  Rauhigkeiten, 
Aneurysmen  etc.  zu  Stande.  Ist  das  Geräusch  ein  fortge- 
pflanztes, so  lässt  es  sich  bis  zu  seiner  Entstehungstelle 
mit  dem  Stethoscope  verfolgen  und  wird  daselbst  am  stärk- 
sten gehört. 

Ein  eigenes  Phänomen  ist  das  Kreiselgeräusch 
(Bruit  de  diable ;  cantus  musicus) ,  welches  in  der  Chlo- 
rose und  Anämie  beobachtet  wird.  Es  ist  durch  längere  Zeit 
continuirlich  und  lässt  während  dieser  weder  Systole  noch 
Diastole  deutlich  unterscheiden ,  doch  ist  oft  die  Systole  als 
rhythmisch  wiederkehrende  Verstärkung  des  Geräusches  zu 
erkennen.  Es  hat  alle  möglichen  Nuancen  vom  Girren  einer 
Taube  angefangen ,  bis  zu  dem  Schnurren  eines  Kreisels, 
(Nonc ,  daher  auch  Nonengeräusch)  und  pflanzt  sich  selten 
auf  das  Herz  fort. 

Über  die  Ursache  dieser  Erscheinung  ist  man  noch  im 
Dunkeln.  Vernois  glaubt  sie  in  einer  Zurückziehung  der 
Gefässwandungen  in  sich  selbst  und  Bildung  von  Querfalten 
in  denselben,  an  welchen  sich  der  Blutstrom  reibt,  suchen 
zu  müssen.  Eine  solche  Einschrumpfung  der  Gefässwand 
könnte  vielleicht  entweder  einem  Accomodationsbestreben  der 
Gefässe  an  die  verringerte  Blutmasse  oder  einem  krampf- 
haften Zustande  zugeschrieben  werden. 


355 


"D  t  agnoi  e 

der  wichtigsten 

Krankheiten  der  Kreislaufsorgane. 

Pericarclitis.  Entzündung  des  Herzbeutels. 

Ein  theilung. 

JLfie  der  Pleuritis  nicht  unähnliche  Entzündung  des  Herz- 
beutels entsteht  entweder  primär,  veranlasst  durch  trau- 
matische Einwirkung',  Verbreitung*  entzündlicher  Processe 
auf  den  Herzbeutel  von  der  Pleura,  der  Lunge,  den  Gelen- 
ken; oder  sie  entsteht  seeundär  durch  Aufnahme  von 
Eiter  in  die  Blutmasse ,  wie  sie  bei  Phlebitis,  eitrigen  Exsu- 
daten in  verschiedenen  Höhlen ,  im  Suppurationsstadium  «1er 
Blattern  etc.  etc.  und  überhaupt  als  Metastase  verschiedener 
Processe  vorkommt. 

Sie  erscheint  entweder  verbreitet,  oder  auf  eine  kleine 
Stelle  umschrieben  ,  einfach  oder  complicirt,  acut  oder  chro- 
nisch verlaufend. 

Männliches  Geschlecht  und  blühendes  Alter  gelten  als 
disponirend;  besonders  steht  aber  acuter  Gelenksrheumatis— 
mus  mit  der  Pericarditis  in  ursächlichem  Verhältnisse ,  so 
dass  der  Arzt  nie  unterlassen  sollte ,  bei  an  acuter  Gelenks- 
gicht Leidenden  die  Herzgegend  zu  untersuchen,  um  gegen 
ein  beginnendes  Übel  gleich  ankämpfen  zu  können. 

Anatomisch-pathologische  Charaktere. 

Mit  dem  Beginne  der  Entzündung  treten  am  Herzbeu- 
tel rothe  Pünctchen,  feine  Gefässtreifen  und  Ramificationen 
auf;  ausgetretenes  Blut  bildet  hie  und  da  Ecchymosen  und 
das  Pericardium  wird  einem  matt  geschliffenen  rothen  Glase 
ähnlich,  da  es  durch  Abstossung  desEpitheliums  auch  Glanz 
und  Durchsichtigkeit  verliert.  Bald  bemerkt  man  einen  Anflug 
von   zarten  weissen  Exsudatflocken ,    die   durch  Resorption 

23  # 


356 

wieder  verschwinden  können,  wenn  der  entzündliche  Process 
mit  ihrer  Abscheidung  erloschen  ist. 

Ist  diess  aber  nicht  der  Fall,  so  macht  unter  allmäliger 
Abnahme  der  Entzündungsröthe  die  Absetzung*  von  Exsuda- 
ten rasche  Fortschritte.  Diese  bestehen  entweder  aus  ur- 
sprünglichen Bestandteilen  des  Blutes,  primäre  Exsu- 
date, oder  aus  solchen,  welche  erst  eine  Umwandlung  er- 
litten haben:  secundäre  Exsudate. 

I.    Primäre  Exsudate. 
Hieher  gehören  die  plastischen  Exsudate  (faserstoffiges 
und  albuminöses  E.),  das  seröse  und  dasprimär-hämorrhagi- 
sche  Exsudat. 

a)  Plastische  Exsudate. 

Der  Name  plastisch  ist  nur  uneigentlich,  indem  auch 
das  seröse  Exsudat  nicht  ohne  plastische  Bestandtheile  ist ; 
allein  da  die  in  Rede  stehenden  Ausscheidungen  doch  vor- 
zugsweise an  plastischen  Bestandtheilen ,  Faserstoff  oder 
Eiweiss  reich  sind,  halten  wir  die  Benennung  hinlänglich 
entschuldiget. 

1.  Das  faserstoffige  Exsudat. 

Derlei  Exsudate  werden  in  jungen,  kräftigen  Individuen 
ausgeschieden,  und  sind  Entladungen  der  faserstoffigen  Blut- 
mischung, begleiten  daher  auch  faserstoffige  Entzündungen 
anderer  Organe ,  Pneumonie,  Pleuritis,  Gelenksentzündung, 
Endocarditis  u.  s.  w. 

Im  Beginne  der  Exsudation,  und  wenn  diese  nicht  bedeu- 
tend ist,  bildet  sie  den  schon  beschriebenen,  leicht  abstreif- 
baren und  durch  Resorption  wieder  verschwindenden  Anflug, 
der  bei  Zunahme  des  Processes  auf  der  freien  Oberfläche  des 
Pericardium,  besonders  entwickelt  an  dem  das  Herz  selbst 
überkleidenden  Blatte  (cor  villosum  der  Alten)  als  gelbliches, 
gallertartiges  Coagulum ,  oder  als  unregelmässige  Stränge 
oder  Zoten  erscheint,  welche  von  einer  grösseren  oder  klei- 
neren Menge   Serum   durchfeuchtet  sind.    Das  Herzfleisch 


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selbst  findet  man  unter  dem  Exsudate  entfärbt,    gelockert, 
zerreisslich  und  seiner  Elasticität  beraubt. 

Wird  das  Exsudat  nicht  resorbirt ,  so  unterliegt  es  den 
weiteren  Metamorphosen  plastischer  Exsudate  überhaupt;  es 
kann:  1.  sich  organisiren ,  2.  obsolesciren ,  3.  verkalken, 
und  4.  sich  in  secundäre  Exsudatformen  verwandeln. 

Ad  1.  Organisirt  sich  das  Exsudat ,  so  bilden  sich  von 
dort,  wo  es  auf  dem  des  Epithelium  baren  Pericardium  auf- 
liegt ,  Granulationen ,  Zellen  und  endlich  Exsudatfasern,  die 
sich  zu  Pseudomembranen  verweben,  die  an  ihrer  freien 
Oberfläche  rauh,  zotig  und  gefurcht  erscheinen,  während 
ihre  untere  Fläche ,  die  sich  vom  Herzbeutel  leicht  abziehen 
lässt,  glatt  gefunden  wird.  Bald  erscheinen  in  der  Exsudat- 
schwarte hie  und  da  zerstreute  Blutzellen,  die  sich  ferner  zu 
äusserst  zarten,  leicht  zerreisslichen  Gefässchen  entwickeln, 
durch  welche  in  späteren  Perioden  Stoffwechsel  und  Aufsau- 
gung zu  Stande  kommt ,  so  dass  das  schon  organisirte  Ex- 
sudat endlich  mit  seinem  Mutterboden  verschmilzt,  und  so , 
wie  dieser  selbst,  den  Sitz  neuer  Entzündungen  abgeben  kann. 

Dort  wo  die  Bewegung  des  Herzens  eine  geringere  ist , 
also  an  der  Basis ,  wird  dieses  gerne  durch  plastisches  Ex- 
sudat an  das  Pericardium  gelöthet,  und  von  da  kann  es  selbst 
zur  gänzlichen  Verwachsung  beider  mit  einander  kom- 
men, so  dass  es  den  Anschein  hat,  als  hätte  das  Herz  nie 
ein  Pericardium  besessen.  Theilweise  Anlöthung  bedingt  an 
den  Stellen,  die  der  Bewegung  mehr  ausgesetzt  sind,  zel- 
lige Stränge  und  Fäden.  Wird  in  einem  umschriebenen 
plastischen  Exsudate  das  Flüssige  gänzlich  aufgesogen,  so 
kommt  es ,  so  wie  auf  der  Pleura,  zur  Bildung  der  weissen, 
glatten,  glänzenden,  aus  verworrenen  Fasern  zusammenge- 
setzten Sehnen  flecken,  die  häufig  am  rechten  Herzen 
gefunden  werden. 

Ad  2.  Wird  das  Exsudat  keiner  weiteren  Metamorphose 
mehr  fähig,  und  erlischt  darin  aller  Organisationstrieb ,  so 
sagt  man,  es  obsolescire.  Dazu  müssen  nothwendig  mehrfache 


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Schichten  der  Gerinnung  übereinander  liegen,  so  dass  deren 
centrale  Theile  dem  vitalen  Einflüsse  des  Mutterbodens  ent- 
zogen werden.  Diese  zerfallen  dann  gerne  in  eine  schmie- 
rige ,  käseartige  Masse. 

Ad  3.  Zuweilen  nimmt  das  faserstoffige  Exsudat  kohlen- 
saure und  phosphorsaure  Kalksalze  in  sich  auf,  was  beson- 
ders gerne  in  der  Querfurche  des  linken  Herzens  geschieht , 
und  mit  ähnlichen  Ablagerungen  am  Insertionsringe  der 
zweispitzigen  Klappen  gleichzeitig  vorkömmt;  es  scheint, 
dass  beide  als  Folge  einer  Endo-Pericarditis  auftreten.  Man 
nennt  diesen  Vorgang  Verkreidung  oder  Verknöche- 
rung des  Exsudates  5  letzteres  jedoch  mit  Unrecht,  da  der 
Ablagerung  alle  Elemente  des  Knochens  (Markröhren,  Kno- 
chenzellen) fehlen. 

Ad  4.  Von  den  secundären  Exsudaten  wird  weiter  un- 
ten gehandelt  werden. 

Folgezustände.  Die  Muskelfaser  des  Herzens  wird, 
wie  schon  erwähnt,  unter  dem  pericardialen  Exsudate  entfärbt, 
weniger  elastisch,  zerreisslich ,  zeitweilig  gelähmt,  daher 
seine    Thätigkeit  unregelmässig. 

Weitere  Forschungen  in  unserem  Gegenstande  werden 
darthun ,  wie  durch  diesen  Umstand  es  zu  passiver  Erweite- 
rung der  Kammern  kömmt;  wie  unter  dem  Drucke  dichter 
Exsudatschwarten  selbst  das  Muskelgewebe  des  Herzens 
atrophirt,  und  wie  Kalkauflagerungen  nicht  allein  dasselbe 
paralysiren ,  sondern  selbst  zum  Schwinden  bringen. 

2.    Das    albuminöse    Exsudat. 

Die  bis  jetzt  angeführten  pathologischen  Verhältnisse 
betrafen  das  faserstofßge  Exsudat ;  sie  finden  in  dem  eiweiss- 
hältigen  wenig  Wiederholung ,  da  in  demselben  nur  gerin- 
ger Organisationstrieb  rege  ist.  Dasselbe  wird  leicht  resor- 
birt,  oder  es  verwandelt  sich   gerne  in  Eiter,  Jauche  oder 


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Krebsmassen.  Es  charakterisirt  sich  durch  stärkeren  Glanz, 
öhlartige  Consistenz ,  und  das  chemische  Verhalten  hei 
derReaction  auf  Albumen  ;  es  ist  der  Ausdruck  einer  Eiweiss- 
dyscrasie  des  Blutes.  Wir  finden  daher  albuminöse  Exsudate 
bei  kleinen  Kindern,  acuten  Exanthemen,  Typhus,  M. 
Brightii,  Fallsucht,  Säuferdyscrasie  u.  s.  w. 

b)   Das  seröse   Exsudat. 

Auch  diesem  Exsudate  ist  die  Plasticität  nicht  abzu- 
sprechen, auch  kommt  es  häufig'  mit  dem  rein  faserstoffigen 
vor.  Es  ist  auch  nur  dann  Folge  von  Entzündung ,  wenn  es 
Faserstoff  enthält,  der  in  Gestalt  von  Flocken  darin  herum- 
schwimmt, die  sich  in  der  Ruhe  zu  Boden  setzen.  Dasselbe 
ist  eine  durchsichtige,  gelb  -  grünliche,  nicht  klebrige  Flüs- 
sigkeit, deren  Quantität  von  der  kleinsten,  bis  zu  der  von 
sieben  Pfunden  steigen  kann.  Es  wird  leicht  resorbirt,  wenn 
nicht  Entzündungsschwarten  der  Aufsaugung  hemmend  im 
Wege  stehn. 

Folgezustände.  Das  seröse  Exsudat  hindert  durch 
sein  Dazwischentreten  die  Reibung  beider  durch  plastische 
Ablagerungen  rauh  gewordenen,  sich  entgegensehenden  Flä- 
chen der  zwei  Blätter  des  Pericardium.  Ist  es  in  grosser 
Menge  angesammelt ,  so  wird  das  Pericardium  ausgedehnt, 
und  das  Herz  sinkt,  wenn  es  nicht  Verwachsungen  an  seiner 
Basis ,  oder  an  der  Aorta  und  Lungenschlagader  daran  hin- 
dern, als  schwererer  Körper  in  der  Flüssigkeit  unter,  so  dass 
diese  sich  ober  demselben  ansammelnd,  bis  zur  dritten  linken 
Rippe  reichen  kann.  Durch  den  Druck  des  Exsudates  er- 
lahmt die  Thätigkeit  des  Herzens,  und  sein  geschwächter  Im- 
puls wird  auch  noch  durch  das  Dazwischentreten  der  Flüs- 
sigkeit gebrochen,  an  der  Brustwand  vermindert  wahrge- 
nommen. Die  Herzgegend  erscheint  gewölbt,  diebetreffen- 
den Intercostalmuskeln  erlahmen ,  die  linke  Lunge  und  die 
grossen  Arterienstämme  werden  comprimirt ,  so  dass  daraus 
das  schnelle  Zustandekommen  einer   Cachexie    nothwendig 


360 

folgen  imiss ,  die  sich  durch  Ödem  der  Fasse ,  der  Lungen 
und  wässrige  Ergüsse  in  verschiedene  Höhlen  äussert,  aber 
auch  zuweilen  mit  Hyperämie  der  Leber  und  des  Gehirnes 
im  Vereine  vorkommt. 

e)    Das    primäre   hämorrhagische    Exsudat. 

Ist  einem  plastisch -serösen  Ergüsse  Blutfarbestoff  bei- 
gemischt ,  so  erscheint  die  genannte  Form.  Es  ist  immer 
flüssig,  ohne  Coagulum ,  enthält  nur  Pigment,  aber  keine 
Blutkugeln ,  ist  hellroth  und  wird  durch  längeres  Bestehen 
dunkler ,  selbst  schwarzroth  gefärbt.  Es  unterliegt  nicht 
leicht  andern  Veränderungen ,  und  begleitet  Zersetzungs- 
krankheiten :  M.  hämorrhagicus ,  Scorbut,  Säuferdyscrasie, 
Petechialtyphus,  Eitergährung  des  Blutes.  Gewöhnlich  fin- 
den sich  zugleich  auch  Exsudate  in  andern  Höhlen  des  Kör- 
pers. 

II.    Secundäre    Exsudate. 

Diese  sind:  das  eitrige,  das  jauchige ,  das  secundär- 
hämorrhagische ,  das  tuberculöse,  das  krebsige  und  das  me- 
tastatische Exsudat. 

a)  Das    eitrige    Exsudat. 

Eiterbildung  ist  als  der  erste  Grad  von  Organisation 
eines  Exsudates  zu  betrachten,  sei  dieses  nun  ein  faserstof- 
figes oder  ein  albuminöses;  verhindern  widrige  vitale  und 
chemische  Verhältnisse  die  weitere  Entwicklung  desselben , 
so  bleibt  es  auf  der  Stufe  der  Eiterbildung  stehen.  Die  Farbe 
des  eitrigen  Exsudates  ist  gelbgrün ,  wenn  nicht  durch  bei- 
gemengten Blutfarbestoff  verändert;  die  Consistenz  entwe- 
der dünnflüssig  oder  rahmartig,  in  der  Ruhe  setzt  es  einen 
leicht  beweglichen  Bodensatz  ab. 

Häufig  findet  man  alle  Organisationsstufen  der  Exsudate 
neben  einander  vorkommend ,  denn  nur  selten  bleiben  diese, 
besonders  bei  ausgebreitetem  Umfange,  auf  der  Stufe  der 
Eiterbildung*  stehen. 


861 

Eiter  findet  sich  auch  zuweilen  in  Folge  von  Eitergäh- 
rung  des  Blutes ,  im  Verlaufe  von  Phlebitis ,  Puerperal- 
process,  anomalem  Typhus,  Variolen  u.  s.  w.  als  metastati- 
sche Abscheidung  auf  dem  Pericardium. 

Das  eitrige  Exsudat  wird  nur  unter  günstigen  Umstän- 
den zum  Theile  resorbirt,  zum  Theile  durch  Aufnahme  von 
Kalksalzen  unschädlich  gemacht;  meistens  geht  es  in  Ver- 
jauchung über. 

b)    Das  jauchige    Exsudat. 

Tritt  bei  grossem  Sinken  der  Lebenskräfte  (anomalem  Ty- 
phus, Scorbut,  Säuferdyscrasie,  Eitergährung  etc.)  einmal 
Verjauchung  in  einem  Exsudate  ein,  so  ist  dessen  ganze 
Masse  demResolutionsprocesse  verfallen;  es  entwickeln  sich 
dann  aus  der  grünlich-braunen,  stinkenden  Flüssigkeit  Gase, 
und  das  Pericardium  würde  von  derselben  arrodirt  werden, 
wenn  nicht  früher  der  Tod  einträte. 

e)    Das  secundär-hämorrhagische    Exsudat. 

Solches  entsteht  nur  aus  schon  organisirten  Entzün- 
dungsschwarten, wenn  die  darin  sich  entwickelnden  zarten 
Gefässe  dem  Blutdrucke ,  der  entweder  durch  Congestion, 
oder  durch  recidivirende  Entzündung  herbeigeführt  wird, 
nicht  zu  widerstehen  vermögen,  so  dass  sie  bersten,  und 
ihren  Inhalt  in  das  Cavum  pericardii  ergiessen.  Die  rothe 
Flüssigkeit  enthält  dann  Blutkugeln  und  wird  nicht  resorbirt, 
um  so  weniger,  da  der  Process  meist  unter  der  ungünstigen 
Herrschaft  einer  tuberculösen  Blutmischung  steht. 

dj    Das  tuberculöse  Exsudat. 

Unter  dem  Einflüsse  der  Tuberculöse  werden  plastische 
Exsudate  im  Pericadium  gerne  zum  Theile  in  hirsekorngrosse 
Tuberkel  verwandelt ,  deren  weitere  Metamorphosen  daselbst 
wohl  kaum  beobachtet  werden.  Gerne  ist  zugleich  ein  bedeu- 
tender seröser  Erguss  zugegen,  der  oft  durch  secundär  -  hä- 
morrhagisches Exsudat  dunkelroth  gefärbt  erscheint. 


389 

e)    Das    krebsige    Exsudat. 

Unter  der  Herrschaft  derKrebsdyscrasie  verwandelt  sich 
albuminöses  Exsudat  zuweilen  in  Medullarkrebs,  der  in  Form 
glatter,  runder  Knoten  am  Pericardium  beobachtet  wurde. 
Begleitende  seröse  Ergüsse  sind  meist  von  secundären  Blu- 
tungen tief  roth  gefärbt. 

Diagnose 
Allgemeine    Erscheinungen. 

Die  Krankheit  beginnt  mit  heftigem  Fieberfroste,  wobei 
der  anfangs  schnelle ,  kleine,  härtliche  Puls  zu  den  heftigen 
Herzschlägen  in  keinem  Verhältnisse  steht ;  hat  sich  aber 
einmal  Exsudat  gebildet,  so  wird  er  leicht  zu  unterdrücken, 
weich ,  zitternd  und  unregelmässig ,  wiewohl  nicht  lang- 
samer. 

Nicht  immer  klagen  die  Kranken  über  einen  ,  dem  pleu- 
ritischen ähnlichen  Schmerz  in  der  Herzgegend ,  der  sich 
zuweilen  auch  weiter  über  die  linke  Brusthälfte  verbreitet, 
und  durch  Druck  auf  der  Herzgrube,  besonders  wenn  die- 
ser unter  das  Sternum  und  die  benachbarten  linken  Rippen 
nach  aufwärts  gerichtet  ist,  bedeutend  vermehrt  werden  kann. 
Zuweilen ,  vornehmlich  nach  geschehener  Exsudatbildung, 
ist  es  bloss  das  Gefühl  der  Beklemmung,  welches  den  Kran- 
ken ängstiget.  Gewöhnlich  wird  die  Respiration  erschwert, 
sehr  kurz  und  schnell ,  zuweilen  durch  Seufzer  unterbro- 
chen. Das  Gesicht  verfällt  bald ,  so  dass  es  verlängert  er- 
scheint, ist  oft  schmutzig  gelblich  gefärbt  (Facies  cardiaca 
Einiger^  und  meistens  heiss ,  während  die  Extremitäten  kalt 
gefunden  werden.  Ungleiche  klebrige  Schweisse,  besonders 
im  Gesichte  und  an  der  Brust,  Livor,  Heiserkeit,  leichte 
Delirien,  Sopor ,  Erbrechen  und  Schluchzen  gelten  im  wei- 
tern Verlaufe  als  ominöse  Erscheinungen. 

Aber  alle  angeführten  Symptome  können  sowohl  andern 
Krankheiten  zukommen,  als  in  der  Pericarditis  fehlen ;  eine 


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richtige  Diagnose  ist  daher  nur  durch  die  physicalische  Un- 
tersuchung* möglich. 

Inspection.  Anfangs  zeigt  sich  ein  heftiger  und  über 
die  ganze  Herzgegend  verbreiteter  Impuls,  der  aber  später 
gänzlich  verschwindet.  Kommt  es  zur  Exsudatbildung,  so  kann 
durch  diese  die  Regio  praecordialis  gewölbt  erscheinen } 
besonders  wenn  die  Intercostalmuskel  durch  Verbreitung  der 
Entzündung  auf  ihre  serösen  Scheiden  erlahmen ,  und  wenn 
die  Biegsamkeit  der  Brustwand  diess  zulässt,  wie  es  bei  ju- 
gendlichen Individuen  der  Fall  ist.  In  seltenen  Fällen  bringt 
der  Herzschlag  in  der  Flüssigkeit,  eine  äusserlich  sichtbare 
undulatorische  Bewegung  hervor. 

Sanders  glaubt  für  Verwachsung  des  Peri- 
cardiums  mit  dem  Herzen  in  Folge  von  Ent- 
zündung ein  Einziehen  der  unteren  Rippengegend  mit  der 
Systole  und  eine  Erhebung  dieser  Stelle  mit  der  Diastole 
als  characterisirend  annehmen  zu  können  ,  darauf  gestützt, 
dass  die  an  das  Herz  abnorm  gehefteten  Theile  alle  Bewe- 
gungen desselben  nothwendig  mitmachen  müssen.  Hope 
schliesst  auf  Verwachsung  nach  Pericarditis,  wenn  das  Herz, 
ungeachtet  seiner  Vergrösserung,  eben  so  hoch  anschlägt, 
wie  im  Normalzustande ;  allein  dieses  Symptom ,  so  werth- 
voll  es  auch  sei,  verliert  seine  bezeichnende  Kraft,  da  es 
bei  jeder  Hypertrophie  und  Dilatation  des  Herzens  ohne 
gleichzeitige  Verwachsung  sich  findet.   (Z  e  h  e  t  m  a  y  e r.) 

Palpation.  Anfangs  findet  man  schnelleren  und  hefti- 
geren Herzirapuls.  Mit  dem  Auftreten  eines  Ergusses,  beson- 
ders wenn  dieser  decomponirt  ist,  wird  der  Herzschlag  unre- 
gelmässig, zitternd,  schwach,  auch  unfühlbar,  oder  gleichsam, 
als  ob  die  Herzspitze  an  mehreren  Puncten  an  die  Brustwand 
schlüge.  Bei  zersetzten  und  hämorrhagischen  Exsudaten 
fand  Zehetmayer  #J  auch  einen  tieferen  Standpunct  und 


*)  Herzkrankheiten,  pag.  118. 


364 

eine  Lageveränderung  der  Herzachse ,  so  dass  diese  mehr 
horizontal  von  rechts  nach  links  ging,  und  die  Herzspitze 
mehr  nach  links  und  aussen  getroffen  ward ,  und  erklärt 
diese  Erscheinung  aus  der  verminderten  Elasticität  derArte- 
rienhäutc ,  an  denen  das  Herz  schwebend  befestigt  ist ,  und 
aus  der  theilweisen  Lähmung  des  tiefer  herabsteigenden  Dia- 
phragma. 

Wenn  durch  plastisches  Exsudat  die  beiden  Blätter  des 
Herzbeutels  an  ihrer  freien,  einander  zugekehrten  Seite 
rauh  geworden  sind ,  so  bringt  die  Bewegung  des  Herzens 
eine  Reibung  hervor,  die  nicht  allein  gehört,  sondern 
häufig  auch  gefühlt,  ja  von  dem  Kranken  selbst  wahrgenom- 
men wird.  An  der  Basis  des  Herzens  ist  diese  Erscheinung 
gewöhnlich  deutlicher  ausgeprägt  zu  bemerken,  als  in  der 
Gegend  der  Spitze.  Da  nach  Resorption  eines  flüssigen  Er- 
gusses das  Pericardium  durch  plastische  Niederschläge  und 
Exsudatschwarten  gleichfalls  uneben  gefunden  wird ,  ist  nicht 
zu  wundern ,  dass  der  Affrictus  auch  diesen  Vorgang  zu 
begleiten  pflegt. 

Percussion.  So  lange  noch  kein  grösseres  flüssiges  Ex- 
sudat vorhanden  ist,  zeigt  das  Plessimeter  in  der  Regel  nichts 
Abnormes ,  deutet  aber  in  einem  der  Menge  der  Flüssigkeit 
ziemlich  entsprechenden  Umfange  deren  Gegenwart  durch 
dumpfen  Schall  an,  sobald  es  zu  einem  bedeutenden  Ergüsse 
gekommen  ist.  So  kann  der  gedämpfte  Percussionsschall  selbst 
bis  zur  zweiten  Rippe  reichen  ,  wrird  aber  in  jedem  Falle  dem 
Längendurchmesser  des  Herzens  nach  vorwaltend  sein.  Die 
Menge  der  Flüssigkeit  lässt  sich  durch  das  Plessimeter  nicht 
wohl  bestimmen ,  denn  kleine  Quantitäten  bringen  zuweilen 
ausgebreitete  Dämpfung  hervor  und  umgekehrt.  Nicht  zu 
übersehen  ist  übrigens  der  Zustand  der  Nachbartheile ;  Em- 
physem der  angränzenden  Lungenpartie ,  z.  B.  würde  die 
Dämpfung  des  Percussionsschalles  auf  einen  kleineren  Raum 
beschränken. 


365 

Auscultation.  Im  Beginn  der  Pericarditis  wird  der  Kopf 
des  Auscultirenden  durch  den  Herzschlag  kräftig  erschüttert  5 
durch  einen  flüssigen  Erguss  aber  wird  die  Kraft  des  Herzstos- 
ses  nicht  allein  gelbrochen ,  sondern  derselbe  auch  wirklich 
schwächer,  da  die  oberflächlichen  Muskelfasern  durch  die  Trän- 
kung und  den  Druck  ohnediess  paralysirt  werden.  Besteht 
somit  ein  seröses  Exsudat  im  Herzbeutel,  so  verschwin- 
det häufig  der  Herzstoss.  Bildet  sich  ein  plastisches 
Exsudat,  oder  ist  ein  flüssiger  Erguss  durch  Resorption 
entfernt,  haben  sich  die  plastischen  Theile  niedergeschla- 
gen und  sind  die  beiden  Pericardialblätter  rauh  geworden,  so 
hört  man  einReibungsgeräusch  in  allen  seinen  Nuan- 
cen, vom  feinen,  weichen  Streifen  bis  zum  Schaben  und  Kra- 
tzen. Dieses  Geräusch  dauert  mehr  oder  weniger  constant, 
so  lange ,  bis  ein  grösserer  seröser  Erguss  durch  sein  Da- 
zwischentreten die  Reibung  beider  Lamellen  verhindert,  oder 
nach  dessen  Resorption ,  bis  die  rauh  gewordenen  Pericar- 
dialblätter sich  aneinander  glatt  gerieben  haben. 

Das  pericardiale  Reibungsgeräusch  kann  mit  dem  pleu- 
ritischen verwechselt  werden;  dass  es  sich  aber  um  kein 
solches  handle ,  beweiset  das  Verschwinden  des  Letzteren, 
wenn  der  Kranke  einige  Augenblicke  den  Athem  an  sich 
hält.  Das  Reibungsgeräusch  im  Pericardium  könnten  Un- 
geübte auch  für  ein  im  Herzen  selbst  erzeugtes  Rauschen 
halten ,  es  wird  aber  von  Letzterem  dadurch  unterschieden, 
dass  es  oberflächlicher  ist  (was  sich  übrigens  nicht  immer 
erkennen  lässt,  da  starke  Geräusche  gewöhnlich  für  ganz 
nahe,  unter  dem  Ohre  entstehende  gehalten  werden)  ;  ferner 
dadurch;  dass  es  weder  der  Systole  noch  der  Diastole  des 
Herzens  eigentlich  angehört,  sondern  unabhängig  von  den 
Herztönen  sich  diesen  nachschleppt. 

Blasende  Herzgeräusche  können  übrigens  auch  bei 
serösem  Ergüsse  im  Herzbeutel  wahrgenommen  werden,  und 
kommen ,  wie  es  scheint ,  durch  Compression  des  Anfangs- 


360 

Stückes  der  Aorta,  dessen  Gewebe  auch  durch  Tränkung 
seine  Elasticität  verliert,  zu  Stande. 

So  wie  der  Herzstoss  verschwinden  auch  die  H  e  r  z- 
töne,  so  lange  ein  grösserer  seröser  Erguss  im  Pericar- 
dium  sich  befindet. 

Durch  die  physicalische  Untersuchung  ist  es  somit  mög- 
lich, Exsudate  im  Herzbeutel  zu  erkennen  und  selbst  zu 
bestimmen,  ob  diese  plastischer  oder  vorwaltend  flüssiger  Na- 
tur seien.  Ob  aber  die  ergossene  Flüssigkeit  mehr  aus  Se- 
rum besteht,  oder  ein  eitriges  oder  ein  hämorrhagisches  Ex- 
sudat sei,  ob  Tuberculose  oder  krebsige  Ablagerungen  auf 
dem  Herzbeutel  Statt  gefunden  haben  oder  nicht,  vermag 
jene  nicht  zu  entscheiden,  und  nur  die  genaue  Würdigung 
aller  begleitenden  Symptome,  z.  B.  des  Kräftezustandes,  der 
Fieberanfälle  ,  tuberculöser  Ablagerungen  in  der  Lunge  etc. 
kann  zu  einem  Wahrscheinlichkeitsschlusse  führen.  Jauchige 
Exsudate  geben  übrigens  zuweilen  einen  tympanitischen  Per- 
cussionsschall  am  Grunde  des  Herzens ,  wegen  der  gleich- 
zeitigen Gasentwicklung. 

Herzbeutel  Wassersucht. 

Seröse  Mischung  des  Blutes  bei  scrophulösen  _,  chloro- 
tischen  oder  tuberculösen  Individuen ,  nach  Schwächungs- 
krankheiten ,  grossen  Faserstoffabscheidungen  etc.  hat  zu- 
weilen wässrigen  Erguss  in  den  Herzbeutel  zur  Folge,  ohne 
der  Vermittlung  eines  entzündlichen  Processes  hiezu  zu  be- 
dürfen. Das  Pericardium  ist  dabei  getrübt  und  verdickt ,  die 
Herzsubstanz  Mass  und  mürbe,  und  es  bestehen  zugleich 
hydropische  Erscheinungen  in  andern  Theilen  des  Körpers. 
Das  Pericardium  enthält  dabei  eine  grössere  oder  kleinere 
Quantität  durchsichtigen  ,  klaren  Serums ,  ohne  beigemisch- 
ten Faserstoff;  riur  dann  wird  dasselbe  braunroth  und  stin- 
kend erscheinen ,  mit  den  Zeichen  der  Resolution  am  gan- 
zen Körper,  die  den  Kranken  auch  bald  zu  Grabe  bringt, 
wenn  derselbe  durch  bedeutende  albuminöse  Abscheidungen 


erschöpft  ist,  wie  es  z.  B.  nach  Typhus,  im  M.  Brightii, 
im  Desquamationsstadium  acuter  Ausschläge  geschieht. 

Die  physicalischen  Zeichen  stimmen  mit  denen  des  peri- 
cardischen  Exsudates  überein.  Nur  die  Auftreibnng  der  Prä- 
cordialgegend  und  Unbeweglichkeit  der  Zwischenrippenmus- 
kel daselbst  mangelt ,  da  das  diese  Organe  lähmende  Mo- 
ment, die  Entzündung,  nicht  vorausging. 

Gas  ansammlung  im  Pericardium. 

Diese  kann  entweder  in  Folge  traumatischer  Einwir- 
kung oder  durch  Decomposition  eines  flüssigen  Exsudates 
im  Herzbeutel  zu  Stande  kommen ,  gehört  aber  jedenfalls 
zu  den  Seltenheiten. 

Nach  dem  bereits  Abgehandelten  dürfte  es  nicht  schwie- 
rig sein ,  die  Diagnose  zu  stellen. 


Endocarditis.   Entzündung?    der    inneren    Haut 

des  Herzens* 

Sitz.  Da  das  Endocardium  in  seinem  ganzen  Zuge 
durch  die  Herzhöhlen ,  als  Bekleidung  der  Papillarmuskel 
und  Sehnen  und  selbst  im  Klappenapparate  nirgends  blutfüh- 
rende Gefässe  besitzt;  da  ferner  seine  Ernährung  nur  durch 
flüssiges  Plasma,  das  aus  der  unterliegenden  Zellgewebs- 
schichte  abgesondert  wird,  zu  Stande  kommt;  so  können 
wir  nur  diese  letztere  als  eigentlichen  Sitz  der  Endocarditis 
betrachten.  Das  Exsudat  wird  von  derselben  geliefert ,  und 
durchdringt  entweder  alle  überliegenden  Schichten  des  En- 
docardium, oder  stüsst  selbe  ab,  oder  letztere  gehen  durch 
eitrige  Schmelzung  zu  Grunde;  der  in  Rede  stehende  Pro- 
cess  mag  nun  eine  kleine ,  umschriebene  Stelle  des  Endo- 
cardiums,  oder  der  Herzklappen  oder  einen  grössern  Ab- 
schnitt dieser  Haut  befallen  haben.  Eine  besondere  Vorliebe 
hat  die  Endocarditis  für  das  linke  Herz?   daher  auch  ihre 


368 

Folgezustände  in  diesem  Abschnitte  desselben  häufiger  ge- 
troffen werden ;  von  den  Klappenapparaten  befällt  die  Ent- 
zündung am  häufigsten  die  Bicuspidalis  und  das  linke  Ostium 
venosum,  minder  oft  die  Aortenklappen,  selten  die  dreizipf- 
lige Klappe  und  kaum  je  die  der  Lungenarterie. 

Anatomische  Charaktere.  Nur  in  seltenen  Fäl- 
len geschieht  es ,  dass  eine  Endocarditis  im  ersten  Keime 
der  anatomischen  Beobachtung  sich  darbietet ;  meistens  wird 
sie  erst  in  einem  spätem  Stadium  Vorwurf  des  Secirtisches, 
und  auch  dann  kann  es  geschehen ,  dass  eine  vorausgegan- 
gene Entzündung  sich  entweder  gar  nicht  oder  nur  höchst 
unvollkommen  nachweisen  lässt. 

Im  Beginne  der  Krankheit  dürfte  die  punctirte  oder  zweig- 
artig verlaufende  II  ü  the  sich  bei  hinreichender  Beleuchtung 
und  Aufmerksamkeit  von  der  wolkigen  Imbibitionsfärbung , 
wie  sie  z.  B.  bei  Blutzersetzungskrankheiten  vorkommt,  un- 
terscheiden lassen.  Durch  das  schon  im  Verlaufe  weniger 
Stunden  gebildete  Exsudat  verliert  sich  die  Röthe ,  wird  das 
Endocardium  ge  trüb  t,  matt,  mürbe  und  gewulstet, 
und  erhält  eine  weiss  gelbliche  Färbung,  die  im  Umkreise 
verwaschen  endet.  Der  abgeschiedene  Faserstoff  bleibt 
entweder  zwischen  den  Schichten  des  Endocardium  einge- 
schlossen oder  erscheint  nach  Abstossung  des  Epithelium 
auf  der  rauhen  und  matten  Oberfläche  als  flockiger  Beschlag, 
der  zum  Theile  vom  Blutstrome  fortgerissen  und  aufgelöst 
wieder  in  den  Kreislauf  aufgenommen  wird,  zum  Theile  aber, 
und  besonders  an  Orten,  auf  welche  der  Blutstrom  minder 
kräftig  einwirkt,  zu  unförmlichen,  rohen  Massen  ge- 
rinnt, und  den  Veränderungen  unterliegt,  welche  der 
Faserstoff  immer  eingeht,  wenn  er  auf  entzündlichem  Bo- 
den sitzt. 

Solche  Gerinnungen  bilden  an  den  Klappen  (meistens 
den  Bicuspidal-  und  Aortenklappen)  ,  an  deren  freiem  Rande 
sie  häufig  aufzusitzen  pflegen,  Excrescenzen  und  V  e  g  e- 


369 

t  a  t  i  o  n  c  n,  die  man  ehedem  fälschlich  für  Condylome  hielt, 
und  sich  vergebens  bemühte ,  ihre  Entstehung  mit  einer  oft 
nur  imaginären  Syphilis  in  Zusammenhang  zu  bringen.  Das 
unterliegende  Endocardium  findet  man  des  Epitheliums  be- 
raubt ,  rauh  und  wulstig.  Die  Form  der  Wucherungen  ist 
verschieden,  zottenförmig,  gestielt  oder  maulbeerartig  u.  s.w. 
Ihre  Consistenz  nimmt  mit  der  Dauer  ihres  Bestehens  zu, 
zugleich  schrumpfen  sie  ein  ,  und  werden  sowohl  dadurch, 
als  durch  immerwährende  Reibung  an  dem  Blutstrome  nach 
und  nach  kleiner ,  ja  können  selbst  gänzlich  verschwinden. 
Ihre  röthliche  Farbe  verblasst  endlich  auch  bis  zu  der  des 
ausgewaschenen  Faserstoffes. 

Wir  können  nicht  umhin ,  bei  dieser  Gelegenheit  zu  be- 
merken ,  dass  nicht  alle  Wucherungen ,  oft  nur  ein  kleiner 
Theil  derselben  ihren  Entstehungsgrund  in  der  Entzündung 
haben  und  als  Exsudat  auftreten ,  während  eine  grössere 
Menge  als  Auflagerung  erscheint  und  im  entfernteren 
Zusammenhange  mit  der  Endocarditis  steht. 

Zehetmayer  hat  diesem  Umstände  volle  Aufmerk- 
samkeit geschenkt ,  wir  glauben  daher  im  Interesse  unserer 
Leser  zu  verfahren ,  wenn  wir  in  Folgendem  das  Wichtigste 
seiner  Abhandlung  #)  entlehnen. 

Eine  veränderte  Blutmischung,  wozu  das  Wegschwem- 
men und  die  Subaction  bereits  exsudirten  Faserstoffes  ge- 
wiss auch  das  Ihrige  beitragen,  besonders  durch  das  me- 
chanische Moment  begünstigt ,  dass  der  Blutstrom  an  den 
durch  Exsudation  zottig  gewordenen  Rändern  der  Klappen 
und  den  Papillarsehnen  gebrochen,  ja  gleichsam  gepeitscht 
wird ,  macht  die  unmittelbare  Abscheidung  des  Faserstoffes 
aus  dem  Blute  und  die  Auflagerung  desselben  auf  schon  be- 
stehende Exsudatmassen  möglich,  die  dadurch  dann  an  Um- 
fang gewinnen.  Diese  lockern  Auflagerungen  können  die  Ver- 


*)  Pag.  241. 
Gaal  Diagnostik.  g£ 


370 

flüssigung  und  Resorption  unterliegender  Exsudationen  be- 
günstigen ,  ja  sie  selbst  können  wieder  in  den  Blutstrom 
fortgerissen  und  darin  aufgelöst  werden ,  bleiben  aber  immer 
auf  der  Stufe  roher  Granulationen  stehen,  ohne,  wie  die  un- 
terliegenden exsudirten  Vegetationen,  höhere  Entwicklungs- 
stufen erreichen  zu  können.  Findet  man  daher  weiter  orga- 
nisirte  Faserstoffpartien,  so  ist  immer  Grund  vorhanden,  eine 
vorausgegangene  Endocarditis  zu  verniuthen.  Sitzen  Faser- 
stoffablagerungen nicht  auf  Entzündungsproducten  auf,  so 
findet  man  darunter  das  normale  mit  seinem  Epithelium  be- 
kleidete Endocardium ,  von  dem  sie  leicht  abgezogen  wer- 
den können,  sie  sind  dann  auch  roh  und  zeigen  kein  Be- 
streben zur  Organisation. 

Weitere  Veränderungen ,  denen  die  Excrescenzen  an 
den  Klappen  ,  so  wie  überhaupt  das  faserstoffige  Exsudat  an 
jeder  Stelle  des  Endocardium  unterliegen,  sind:  1.  Orga- 
nisation; 2.  Obsolescenz  und  Atherombildung;  3. 
Verkalkung,   endlich  4.   eitrige  Zer  flies  s  ung. 

Zu  i.  Jedes  faserstoffige  Exsudat  trägt  den  Keim  der 
Organisation  in  sich  ,  diese  kann  aber  nur  durch  die  Berüh- 
rung mit  entzündlich  gestimmten  Nachbartheilen  erregt  und 
genährt  werden  ,  es  ist  daher  die  Organisation  nur  an  jenen 
Stellen  möglich  ,  wo  das  Exsudat  unmittelbar  auf  dem  ent- 
zündeten ,  vascularisirten  Mutterboden  aufsitzt,  und  nimmt 
mit  der  Entfernung  von  diesem  Orte  in  dem  Grade  ab  ?  dass 
man  oft  daselbst  schon  faseriges  Gewebe  findet,  während  in 
den  entfernteren  Schichten  noch  Zellenbildung  vor  sich  geht, 
oder  gar  erst  blosse  Granulationen  bemerkbar  sind.  In  der 
höchsten  Stufe  der  Organisation  erlangen  die  Wucherungen 
eine  entfernte  Ähnlichkeit  mit  den  Knorpeln ,  daher  sie  auch 
unter  dem  Namen  knorpelige  Wucherungen  vorkommen. 
Durch  gleichzeitige  Resorption  der  flüssigen  Theile  wird 
dann  ihr  Umfang  verkleinert.  Wird  das  Exsudat  am  Endo- 
cardium nicht  in  Form  von    Vegetationen  abgeschieden  und 


371 

organisirt  sich  dasselbe;  so  stellt  es  sich  zuweilen  als  blau- 
weisser,  glänzender,  leicht  abziehbarer  Sehnenfleck  dar. 
Dass  durch  die  löthende  Eigenschaft  des  Faserstoffes  Klap- 
penzipfel unter  sich,  oder  mit  der  Haut  des  Herzens  oder 
des  umgebenden  Gefässes  verwachsen  können,  leuchtet 
von  selbst  ein,  besonders  wenn  man  bedenkt,  dass  die  be- 
treffenden Stellen  durch  die  Entzündung  meist  ihr  Epithe- 
lium  eingebüsst  haben. 

Z  u  2.  Kommt  keine  Organisation  zu  Stande,  so  ob  so- 
lescirt  der  Faserstoff,  d.  h.  er  schrumpft  ein ,  und  es  er- 
lischt in  ihm  alle  Neigung  zu  fernerer  progressiver  Meta- 
morphose. 

Verwandelt  er  sich  in  eine  Masse,  die  aus  Granulatio- 
nen ,  Fett  und  den  glimmerartig  glänzenden  Cholestearin- 
krystallen  besteht,  so  stellt  diese  das  Atherom  dar.  Diese 
Verbildung  beginnt  von  aussen  nach  innen,  und  ist  weder 
ein  Geschwür,  noch  ein  Krebs  des  Herzens  gegen  die  Mei- 
nung einiger  älteren  Pathologen,  schützt  auch  nicht  im  min- 
desten vor  Lungentuberculose,  wie  man  ehedem  fälschlich 
glaubte. 

Das  Atherom  kann  sich  in  eine  käsige,  schmierige,  ei- 
terartige Masse  umstalten ,  die  aber  kein  Eiter  ist ,  da  es 
zwar  neben  Eiter  bestehen  ,  nie  aber  in  solchen  verwandelt 
werden  kann.  Die  einzige  Metamorphose,  die  dasselbe  ein- 
geht, ist  die  Verkalkung,  eine  Umbildung,  deren  jedes  ob- 
solete Exsudat  fähig  ist. 

Z  u  3.  Durch  Aufnahme  von  kohlensauren  und  phos- 
phorsauren Kalksalzen  kommt  die  sogenannte  Verkrei- 
dung  oder  Verknöcherung  der  faserstoffigen  Exsudate 
zu  Stande.  Selbe  befällt  meistens  die  Klappen  und  den  Ring, 
der  diese  umschliesst  und  gibt  so  zu  mancherlei  Störungen 
Anlass.  Nicht  selten  wird  dieser  Vorgang  am  Insertionsringe 
der  zweispitzigen  Klappen  zugleich  mit  derartigen  Massen 

24  # 


372 

in  der  Querfurche  des  linken  Herzens  beobachtet  und  scheint 
Folge  einer  Endo-Pericarditis  zu  sein.  Dass  die  Benennung 
Verknöcherung*  eine  uneigentliche  ist ,  erhellt  wohl  daraus, 
dass  dem  verkreideten  Exsudate  die  eigentlichen  Elemente 
des  Knochens,  z.  B.  Markröhren  mangeln. 

Zu  4.  Die  eitrige  Schmelzung  entsteht  durch  weitere 
Entwicklung  des  Faserstoffes  zu  Eiterzellen ,  ist  somit  als 
secundäres  Exsudat  zu  betrachten,  welches  daher  nicht  an 
der  freien  Fläche  des  Endocardiums  als  Eiterablagerung  auf- 
tritt ,  sondern  sich  erst  innerhalb  der  einzelnen  Gewebs- 
schichten  aus  den  Granulationen  bildet,  in  welche  das  Fi- 
brin zerfiel.  Es  ist  hiebei  nicht  nothwendig ,  dass  aller  ab- 
geschiedener plastischer  Stoff  zu  Eiter  werde^  sondern  es 
kann  ein  Theil  desselben  sich  zu  Fasern  entwickeln ,  sich  in 
Atherome  verwandeln  oder  verkreiden,  es  können  somit  alle 
eben  angeführten  Fälle  zugleich  bestehen.  Die  Berührung 
der  umgebenden  Gewebe  mit  Eiter  macht  dieselben  mürber, 
lockerer,  und  gestattet  letzterem  leicht  den  Durchbruch. 
Durch  eitrige  Schmelzung  in  dem  Klappenapparate  entstehen 
Abscesse  in  demselben.  Dass  das  eitrige  Exsudat  sich  or- 
ganisiren  ,  dass  sich  aus  demselben  Fasern  entwickeln  kön- 
nen, versteht  sich  von  selbst.  Kann  der  Eiter,  von  callösen 
Massen  eingeschlossen ,  selbe  nicht  durchbrechen ,  so  kann 
er  verkreiden ,  sich  in  Atherome  oder  selbst  in  Tuberkel 
umwandeln.  Eben  so  ist  die  Metamorphose  in  K  r  eb  smass  e 
nicht  zu  bestreiten. 

Auf  gleiche  Weise  wie  faserstoffige  können  auch  albu- 
minöse  Exsudate  bei  einer  Endocarditis  abgelagert 
werden  ■  allein  ihr  geringeres  Haften  an  dem  Mutterboden, 
so  dass  sie  von  dem  Blutstrome  bald  fortgerissen  werden,  so 
wie  die  Neigung ,  schnell  in  Eiter  zu  zerfallen ,  machen  es 
unmöglich,  solche  noch  im  primitiven  Zustande  mit  dem 
anatomischen  Messer  nachzuweisen.  Die  Zeichen  albuminö- 
ser   Blutmischung  ?    schneller  Eiterbildung  und  daraus  ent- 


373 

springender  Blutvergiftung   erlauben  das  Vorausgehen  einer 
Endoearditis  mit  albuminösera  Exsudate  zu  vermuthen. 
Folgen  der  Endoearditis. 

Unter  den  Folgen  der  Endoearditis  sind  wohl  die  häu- 
figsten die  Klappenkrankheiten  wie  die  Verengerung  des 
Lumens  der  Ostien ,  Klappeninsufficienz  ,  weniger  oft  wer- 
den Aneurysmen  und  die  Bildung  von  Abscessen  beobachtet; 
glücklicher  Weise  kommt  es  am  seltensten  zur  Aufnahme  von 
Eiter  in  den  Kreislauf. 

1,     Stenose. 

Wenn  das  Entzündungsproduct  sich  die  Klappen  zum 
Sitze  erwählte  und  starr  geworden ,  so  geht  dadurch  die 
Elasticität  und  Beweglichkeit  derselben  verloren  ,  sie  blei- 
ben gegen  die  Lichtung  des  betreffenden  Ostium  hingeneigt, 
verengen  dieselbe  und  um  so  mehr,  wenn  noch  auf  ihrer 
freien  Fläche  Wucherungen  aufsitzen.  Derselbe  krankhafte 
Zustand  wird  eingeleitet,  wenn  zwei  Klappenzipfel  durch 
Faserstoff  aneinander  gelöthet  werden  ,  oder  wenn  kalkartige 
Ablagerungen  den  Insertionsring  der  Klappen  betreffen.  Ver- 
dickung und  Verkürzung  der  Papillarsehnen  können  bewir- 
ken ,  dass  die  zwei-  und  dreizipfligen  Klappen  trichterartig 
in  die  Herzkammer  hineinragen,  wodurch  ebenfalls  die  Blut- 
bahn beengt  wird. 

2.  Insufficienz  der  Klappen. 

Der  Druck  des  callösen ,  plastischen  Exsudates  macht 
die  unterliegende  Klappe  in  ihrem  Durchmesser  schwinden, 
atrophirt  dieselbe  ,  so  dass  sie  nicht  mehr  schliesst.  Der- 
selbe  Zustand  wird  noch  durch  Verwachsung  der  Papillar- 
sehnen mit  der  untern  Klappenfläche  und  durch  viele  andere 
am  geeigneten  Orte  weitläufiger  zu  erörternde  Vorgänge  her- 
beigeführt, die  aber  sämmtlich  Folgen  von  Endoearditis  sind. 

3.  Aneurysmenbildung. 
Die  Lockerung  des  entzündeten  Endocardiums  und  die 
dadurch    leichtere  Zerreissbarkeit  desselben  begünstigt  die 


374 

Bildung  von  Herzaneurysmen ,  wovon  später  noch  die  Rede 
sein  soll.  Aber  auch  in  den  Klappen  kommen  Aneurysmen  zu 
Stande  ,  wenn  nach  Zerstörung'  der  oberflächlichen  Schichten 
die  unterliegenden  dem  Andränge  des  Blutes  nicht  widerste- 
hen können ,  und  von  demselben  seiner  Richtung*  entspre- 
chend (somit  an  den  venösen  Klappen  gegen  das  Atrium,  an 
den  Aortenklappen  gegen  den  Ventrikel  hin)  halbkugelför- 
mig ausgebuchtet  werden.  Berstet  endlich  auch  diese  Vor- 
treibung, so  ist  die  Klappe  durchlöchert  und  somit  ineufficient, 

4.  Abscessbildung. 

Erwähnt  wurde  schon  die  durch  eitrige  Schmelzung 
herbeigeführte  Abscessbildung,  die  in  manchen  Fällen  be- 
trächtlich sein  kann ,  und  in  der  Herzmuskelsubstanz  sich 
verbreiten ,  ja  letztere  selbst  durchbohren  kann. 

5.  Eiterdyscrasie. 

Wird  der  gebildete  Eiter  in  den  Kreislauf  aufgenommen, 
so  entsteht  die  unter  dem  Namen  Eiterdyscrasie  bekannte  Ent- 
mischung des  Blutes  ,  mit  Neigung  desselben  einen  Theil 
seiner  plastischen  Bestandtheile  in  Eiter  zu  verwandeln 
(Eitergährung)  und,  wenn  nicht  gleich  der  Tod  erfolgt,  diesen 
in  verschiedene  Organe,  z.  B.  Nieren,  Milz,  die  Gelenke  ab- 
zuscheiden. Hieher  scheint  auch ,  nach  Engels  Beobach- 
tungen, ein  schnell  tödtendes  Erysipelas  maliynum,  und 
das  Auftreten  von  Pusteln  unter  typhösen  Erscheinungen  zu 
beziehen  zu  sein. 

Verhältniss  zu  anderen  Krankheiten.  Eine 
der  häufigsten  Verbindungen  der  Endocarditis  ist  die 
mit  gleichzeitiger  Entzündung  des  Herzbeutels 
als  sogenannte  Endo-Pericarditis.  Nicht  minder  kommt 
es  bisweilen  zu  einer  weiteren  Verbreitung  der  Endocarditis 
auf  die  eigentlichen  Herzmuskel  QCardilisJ  und  in  Folge 
deren  zur  Bildung  eines  Herzaneurysmas. 

Ferner  wird  die  Endocarditis  im  Vereine  mit  Pleuri- 


375 

tis  und  Pneumonitis  der  linken  Seite  mit  ausge- 
breiteter Peritonitis,  mit  dem  Puerperalprocesse, 
mit  acutenExanthemen  und  mit  Morbus  Brightiis 
beobachtet. 

Der  acute  Gelenksrheumatismus  (die  acute 
Gelenksgicht)  hat  aber  eine  grössere  Verwandtschaft  zurEn- 
docarditis ,  als  alle  eben  angeführten  Krankheitsprocesse. 
Diess  Verhältniss  verleitete  Bouillaud  zu  dem  allerdings 
etwas  verwegenen  Ausspruche  ,  dass  die  Hälfte  an  Gelenks- 
rheuma Erkrankter  zugleich  eine  Endo-  oder  Pericarditis  zu 
bestehen  habe.  Doch  treten  letztere  sehr  häufig,  meistens 
im  Verlaufe  eines  acuten  Gelenksrheuma  auf,  und  kaum  dürf- 
ten zahlreiche  Fälle  vorkommen,  in  denen  das  umgekehrte 
Verhältniss  Statt  gefunden  hätte.  Die  Entstehung  der  Hcrz- 
affection  scheint  dabei  durch  Verbreitung  der  rheumatischen 
Affection  von  den  Gelenken  auf  das  Endocardium  zu  Stande 
zu  kommen  und  wir  glauben  dieser  Ansicht  um  so  mehr  hul- 
digen zu  können,  da  sich  das  Fortschreiten  der  Krankheiten 
in  verwandten  Geweben  eher  begreifen  lässt,  als  die  etwas 
willkürliche  Annahme  von  Gichtmetastasen,  womit  Ärzte  der 
früheren  Zeit,  das  plötzliche  und  unerwartete  Auftreten  von 
tödtlichen  Herz-  und  Brustzufällen,  hinlänglich  entschuldigt 
zu  haben  glaubten. 

Der  Verlauf  der  Endocarditis  ist  acut  oder  chronisch, 
wiewohl  die  in  Rede  stehende  Krankheit  eine  und  dieselbe 
Stelle  des  Herzens  in  schnell  einander  folgenden  Nachschü- 
ben befallen  kann. 

Ihre  Ausgänge  sind  entweder  in  Lösung*  und  voll- 
kommene Gesundheit,  oder  diese  wird  durch  einige  der  oben 
beschriebenen  Folgezustände ,  wiewohl  unvollkommen,  her- 
beigeführt, oder  in  den  Tod,  durch  acutes  Lungenödem, 
Herzlähmung  oder  andere  entferntere  pathologische  Vorgänge, 
die  ihrerseits  wieder  in  den  genannten  nächsten  Folgen  der 
Endocarditis  ihren  Entstehungsgrund  erkennen. 


376 


Erscheinungen  der  En  d  o  carditis. 
A.   Locale    Symptome. 

Inspection.  Einige  Autoren  führen  unter  den  Zei- 
chen der  Endocarditis  grössere  Wölbung'  und  Vortreiben  der 
Herzgegend  an  ,  was  nur  für  die  zwei  Fälle  volle  Geltung 
hat,  dass  zugleich  entweder  ein  bedeutender  Erguss  den 
Herzbeutel  erfüllt,  also  bisweilen  in  der  Endo-Pericarditis, 
oder  dass  die  Endocarditis  ein  schon  von  früher  her  sehr 
hypertrophisches  Herz  befällt. 

Wir  sehen  also  bloss  einen  vermehrten  Anschlag 
des  Herzens  an  die  Brustwand. 

Palpation.  Auch  die  aufgelegte  Hand  fühlt  einen 
stärkeren  Herzschlag.  Gleichzeitig  wahrnehmbares  Schwir- 
ren kommt  nicht  der  Endocarditis,  sondern  der  Complication 
mit  anderen  Zuständen ,  z.  B.  Verengerung  der  Herzmün- 
dungen zu. 

Percussion.  Durch  dieselbe  ist  es  allerdings  mög- 
lich ,  eine  massige  Vergrösserung  des  Herzens  nachzuwei- 
sen ,  die  aber  nur  in  dem  Falle ,  dann  aber  besonders  leicht 
und  überraschend  schnell  auftritt,  wenn  der  entzündliche 
Process  den  Klappenapparat  befallen,  dessen  Function  ge- 
stört und  der  Blutbahn  ein  mechanisches  Hinderniss  entge- 
gengestellt hat.  Hiedurch  werden  einerseits  die  Höhlen  des 
Herzens  ziemlich  schnell  ausgedehnt ,  anderseits  die  Mus- 
kelsubstanz desselben  zu  erhöhter  Thätigkeit  angespornt. 

Auscultation.  Diese  leistet  hier  mehr,  als  die  an- 
deren localen  Untersuchungsmittel.  Man  hört  in  den  meisten 
Fällen  blasende  Geräusche  von  verschiedener  Intensität ,  die 
an  den  Stellen  am  deutlichsten  wahrgenommen  werden,  unter 
welchen  der  entzündliche  Process  zu  ihrer  Entstehung  Anlass 


377 

gibt.  Sie  werden  dadurch  hervorgerufen,  dass  der  Blutstrom  an 
einer  angeschwollenen,  von  Vegetationen  besetzten  Klappe  sich 
reibt,  durch  eine  verengerte  Mündung  sich  drängt  oder  durch 
schliessungsunfähige  Klappen  zum  Theile  wieder  gegen  die 
Richtung  der  Bahn  zurückgeworfen  wird.  Geräusche  ent- 
stehen somit  nur  durch  die  Klappenfehler,  welche  durch  die 
Entzündung  entweder  vorübergehend  oder  bleibend  gesetzt 
werden,  und  sind  demnach  auch  nur  für  einige  Zeit  zu  hö- 
ren oder  werden  constant.  Wir  vernehmen  demnach  ein  bla- 
sendes Geräusch  im  linken  Ventrikel: 

mit  dem  ersten  Tone,  wenn  die  Bicuspidalklappe 
leidet , 

mit  dem  zweiten  Tone,  wenn  das  Ostium  venosum 
verengt  ist ,  in  der  Gegend  der  Aortenklappen. 

Über  der  Aorta.  Mit  dem  ersten  Tone  bei  Ver- 
engerung der  Mündung  oder  wenn  der  Blutstrom  über  daselbst 
befindliche  Rauhigkeiten  geht. 

Mit  dem  zweiten  Tone,  wenn  die  Aortenklappen 
nicht  schliessen  und  das  Blut  regurgitirt. 

Im  rechten  Ventrikel,  der  wohl  seltener  den  Sitz 
der  Entzündung  abgibt : 

Mit  dem  ersten  Tone,  wenn  die  Tricuspidalklappe 
durch  die  Entzündung  insufficient  geworden  ist. 

Geräusch  mit  dem  zweiten  Tone  ist  bisher  kaum 
beobachtet  worden. 

Ein  doppeltes  Blasegeräusch  spricht  für  das  gleichzei- 
tige Bestehen  der  durch  jedes  einzelne  characterisirten  Zu- 
stände, z.  B.  InsufFicienz  der  zweizipfligen  Klappe  mit  Ver- 
engerung der  betreffenden  venösen  Mündung  etc. 

Gibt  sich  eine  gleichzeitig  verlaufende  Pericarditis  durch 
ein  starkes  Reibungsgeräusch  kund  ,  so  wird  dadurch  das 
blasende  Geräusch  der  Endocarditis  gedeckt  und  es  ist  un- 
möglich, letztere  zu  erkennen. 

Unterscheidung.  Mit  dem  Reibungsgeräusche   der 


378 

Pericarditis  ist  bei  einiger  Aufmerksamkeit,  Verwechslung 
nicht  so  leicht  möglich.  Dasselbe  ist  mehr  oberflächlich  und 
nicht  von  der  Systole  und  Diastole  abhängig,  sondern  schleppt 
sich  den  Herztönen  nach. 

Besteht  ein  grösseres  Exsudat  im  Herzbeutel,  so  findet 
man  die  Regio  praecordialis  hervorgetrieben ,  den  Herzschlag 
vermindert ,  und  den  Percussionsschall  in  grösserem  Um- 
fange gedämpft,  was  Alles  von  der  Endocarditis  nicht  gilt, 
welche  auch  nur  dann  durch  matten  Percussionston  in  wei- 
terer Verbreitung  sich  verräth ,  wenn  das  Herz  schon  erwei- 
tert und  hypertrophirt  worden  ist. 

Aber  es  gibt  noch  andere  Krankheitszustände,  in  denen 
Blasegeräusche  vorkommen ,  welche  lür  Zeichen  einer  En- 
docarditis gehalten  werden  könnten.  Besondere  Aufmerksam- 
keit verdient  in  dieser  Hinsicht  ihr  Erscheinen  in  manchen 
Fällen  von  Pneumonie  besonders  aber  von  Arthro- 
rheuma,  wo  nur  die  genaueste  Würdigung  aller  begleiten- 
den Symptome  einiges  Licht  geben  dürfte.  Leichter  ist  die 
Diagnose  in  der  Anämie  nach  Blutverlusten  und  bei  bleich- 
süchtigen Mädchen,  wo  die  Geräusche  mehr  continuir- 
lich  ,  als  der  Systole  und  Diastole  entsprechend  und  deutli- 
cher in  den  grossen  Gefässen,  z.  B.  der  Carotis  ,  als  im  Her- 
zen selbst  zu  hören  sind. 

Im  ersten  Stadio  des  Typhus  sowohl,  als  während 
des  Ausbruches  acuter  Exantheme  hört  man  zuweilen 
den  ersten  Ton  des  Herzens  wie  verwischt ,  oder  von  einem 
schwachen  Geräusche  begleitet.  Übrigens  ist  der  seltene  Fall 
gedenkbar,  dass  durch  Eiteraufnahme  in  die  Blutmasse 
im  Verlaufe  einer  Endocarditis  typhöse  Erscheinungen  ent- 
stehen ,  und  vielleicht  vorhandene  Blasegeräusche  auf  das 
Grundleiden  hindeuten. 

Die  Verengerungen  der  Mündungen  und 
Klappenfehler  stimmen  gänzlich  mit  den  physicalischen 
Zeichen  der  Endocarditis  überein;  da  jene  durch  letztere, 
wenn  auch  in  den  meisten  Fällen,  nur  transitorisch  herbei- 


079 

geführt  werden.  Genaue  Abwägung*  aller  Krankheitserschei- 
nungen und  besondere  Rücksicht  auf  die  Dauer  derselben 
sichern  in  beiden  Fällen  die  Diagnose,  letztere  wird  aber 
fast  über  jeden  Zweifel  erhaben  ,  wenn  zugleich  Zeichen 
der  gewöhnlichen  Folgen  organischer  Herzleiden  auftreten  , 
wie  z.  B.  Verstärkung  des  zweiten  Tones  der  Lungenschlag- 
ader, consecutive  Hypertrophie  und  Dilatation  eines  oder  des 
andern  Ventrikels  u.  s.  w.,  Zustände,  welchen  wir  bei  Ab- 
handlung der  organischen  Herzfehler  besondere  Rücksicht 
widmen  wollen.  Gesellt  sich  aber  zu  einem  seit  längerer  Zeit 
bestehenden  organischen  Herzleiden  ein  heftiges  entzündli- 
ches Fieber  mit  starkem  Herzschlage ,  so  ist  es  schwierig 
zu  erkennen ,  ob  es  sich  zugleich  um  eine  Endocarditis 
handle ;  oder  um  die  Entzündung  eines  anderen  Organes  , 
so  lange  nämlich  letztere  sich  noch  nicht  deutlich  kund 
gegeben. 

IT)  Allgemeine  Symptome. 

Diese  sind  die,  heftiger  entzündlicher  Fieber  im  Allge- 
meinen. Die  Krankheit  beginnt  mit  starkem  Froste,  der 
sich  nur  bei  Eiteraufnahme  in  den  Kreislauf  wiederholt  und 
mit  schnellem  kleinen  Pulse  an  den  Arterien  (120 — 140)  im 
Widerspruche  mit  dem  starken  Herzschlage.  Bei  Compli- 
cation  mit  Pericarditis  oderEitergährung  des  Blutes  wird  der 
Puls  unregelmässig  und  aussetzend.  Das  entzündliche  Fieber 
nimmt  einen  adynamischen  Charakter  an  bei  Lähmung  der 
Herzaction  durch  Druck ,  herbeigeführt  durch  einen  bedeu- 
tenden serösen  Erguss  ins  Pericardium ,  bei  Eiteraufnahme 
ins  Blut,  bei  Hindernissen  des  Kreislaufes  durch  Complica- 
tion  mit  Pneumonie,  acutem  Lungenödem,  bei  Gehirndruck 
und  allgemeiner  Schwäche.  Die  Haut  ist  trocken,  heiss 
und  besonders  bei  längerer  Dauer  des  Leidens  gelblich  ge- 
färbt, diess  besonders  auffallend  bei  Eiterresorption.  Das  Ge- 
sicht, das  anfangs  roth  und  voll  ist,  verfällt  nach  und  nach. 
Schmerz  wird  nicht  beobachtet,  ausser  im  Complications- 


380 

falle  mit  Pleuritis  oder  Pericarditis.  Die  Respiration  ist 
frei ,  ausser  es  wären  schon  Störungen  im  kleinen  Kreis- 
laufe,  z.  B.  durch  acutes  Lungenödem  eingetreten;  diess 
gilt  besonders  von  gleichzeitiger  Pericarditis.  Die  Ver- 
dauungssymptome sind  für  die  in  Rede  stehende  Krank- 
heit nicht  charakteristisch. 


Die  Ilerzfleisclteiilzüiitliiiig ,    Carditis. 

Sitz.  Diese  seltene ,  meist  mit  Endo-  oder  mit  Pericar- 
ditis verbundene  Krankheit  befällt  gewöhnlich  den  linken 
Ventrikel  und  häufig  dessen  Spitze  und  äussere  Wand  — 
kann  aber  an  jeder  Stelle  des  Herzens  und  in  grösserer  oder 
kleinerer  Ausbreitung  vorkommen. 

Anatom,  patholog.  Ch  arakt  er.  Die  Entzündung 
des  Herzfleisches  durchläuft  dieselben  Stadien  und  ihr  Ex- 
sudat gehorcht  denselben  Gesetzen,  welche  bei  der  Entzün- 
dung überhaupt  Geltung  haben. 

Im  Stadium  der  Hyperämie  und  der  Stase  sind  die  Wände 
des  Herzens  fester  und  durch  die  Injection  der  Capillarge- 
fässe  dunkelroth  gefärbt.  Tritt  einmal  Exsudatbildung  ein, 
so  wird  das  Zellgewebe  von  Faserstoff  infiltrirt ,  die  rothe 
Farbe  weicht  der  blassen ,  die  Muskelfasern  verlieren  ihre 
Elasticität  und  erscheinen  gleichsam  macerirt.  Das  Exsudat 
kann  nun  resorbirt  werden ,  oder  sich  weiter  fortbilden ,  und 
selbst  in  eine  schwielige  Masse  verwandeln ,  durch  deren 
Druck  die  normale  Muskelfaser  atrophirt  wird.  Dass  unter 
den  bekannten  Umständen  auch  Verkreidung ,  ja  selbst  Ab- 
lagerung einzelner  Exsudattuberkel  zustande  kommen  kann, 
wird  Niemanden  befremden,  dem  die  Metamorphosen  der  Ex- 
sudate überhaupt  nicht  fremd  sind. 

Ist  mit  dem  Faserstoff  viel  Serum  abgeschieden  wor- 
den, so  wird  dieses  leicht  aufgesogen,  und  die  zurückge- 


381 

bliebene  Fibrin  bildet  endlich  streifige  Fasern  ,  die  zuweilen 
verkreiden. 

Entwickelt  sich  das  eitrige  Exsudat  nicht  weiter  zur 
Faser,  so  macerirt  es  das  Muskelfleisch,  so  dass  der  ge- 
ringste Druck  hinreicht ,  es  in  eine  breiige  Masse  zu  ver- 
wandeln ,  oder  es  bildet  sich  in  der  Herzwand  ein  Abscess 
von  der  Grösse  einer  Erbse  bis  zu  der  einer  Haselnuss.  Ber- 
stet nun  ein  solcher ,  was  nicht  selten  geschieht ,  so  dringt 
das  Blut  mit  grosser  Gewalt  in  selben  ein  und  zerreisst  die 
benachbarten  noch  normalen  Schichten. 

Albuminöses  Exsudat  hat  man  im  Herzmuskel  bis  jetzt 
noch  nicht  nachgewiesen,  doch  gestattet  die  Analogie  an- 
zunehmen, dass  eine  Carditis,  die  während  einer  albuminö- 
sen  Blutmischung  entsteht,  ein  eiweisstoffiges  Exsudat  lie- 
fern müsse. 

Der  Tod  kann  durch  Lähmung  des  Herzens ,  durch 
Zerreissung  desselben  oder  durch  Eiteraufnahme  in  den 
Kreislauf  vermittelt  werden. 

Diagnose.  Diese  ist  nach  dem  jetzigen  Stande  der  Wis- 
senschaft noch  unmöglich.  Doch  könnte  die  durch  Entzündung 
gesetzte  geringere  Contractionskraf  t  der  Wandungen  und  de- 
ren Nachgiebigkeit  den  Umfang  der  Herzhöhlen  vergrössern, 
es  wäre  somit  denkbar,  dass  dieser  Grössenzunabme  ent- 
sprechend, der  Percussionsschall  gedämpft  erscheint;  fer- 
ner dürfte  der  Herzimpuls  schwächer  gefühlt  werden ,  so- 
bald durch  Ablagerung  des  Entzündungsproductes  die  Con- 
tractionsfähigkeit  der  Muskeln  gebrochen  ist.  In  dem  ver- 
minderten Einflüsse  der  Herzcontractionen  auf  die  enthal- 
tene Blutmasse  ist  auch  die  Erklärung  des  von  Hamer- 
njk#)  beobachteten  kleinen,    leicht   unterdrückbaren,    in 


*)  Med.  Jahrbücher   des   österreichische!    Kaiserstaates.    1843, 
7.  Heft. 


382 

keinem  Verhältnisse  zur  Herzsubstanz  stehenden  Arterien- 
pulses zu  finden. 


Das  Herzaneurysma. 

Begriff.  Nach  Rokitansky  ist  unter  Herzaneu- 
rysma eine  umschriebene,  in  einer  Texturkrankheit  des  En- 
docardium  und  der  Herzmuskel  begründete  Erweiterung  einer 
Herzhöhle.  Die  Ähnlichkeit  mit  dem  Aneurysma  der  Arte- 
rien besteht  also  höchstens  darin,  dass  beiden  eine  Textur- 
krankheit zu  Grunde  liegt. 

Pathol.  Anatom.  So  vielerlei  Arten  von  Herzaneu- 
rysma beschrieben  wurden,  so  lassen  sie  sich  doch  auf  zwei 
zurückführen,  deren  eine  acut,  die  andere  chronisch  zu 
Stande  kommt,  und  welche  beide  ursprünglich  in  einer  Myo- 
carditis  ihren  Entstehungsgrund  erkennen. 

Das  acute  Aneurysma  entsteht  dadurch,  dass  ent- 
zündlich gelockertes  Muskelgewebe  an  einer  Stelle  einreisst, 
und  durch  die  Gewalt  des  eindringenden  Blutes  nach  allen 
Richtungen  selbst  bis  in  die  gesunden  Fleischpartien  zer- 
stört wird.  Dadurch  entsteht  nun  eine  Höhle ,  welche  mit 
Fibrincoagulum  sich  ausfüllt,  das  sich  aber  nicht  weiter  or- 
ganisirr. 

Ungleich  öfter  findet  sich  das  chronische  Aneu- 
rysma, welches  dadurch  zu  Stande  kömmt,  dass  das, 
durch  eine  Endo-  und  Pericarditis  gesetzte  Faserstoffexsu- 
dat in  ein  dichtes,  callöses  Gewebe  verwandelt  wird,  unter 
welchem  die  Herzmuskel  atrophisch  werden.  Das  Exsudat- 
gewebe kann  aber  von  dem  Blutdrucke  in  einer  Richtung 
ausgedehnt ,  sich  nicht  wieder  zusammenziehen,  da  ihm  der 
nöthige  Elasticitätsgrad  mangelt-,  hiedurch  wird  nun  eine 
Erweiterung"  gesetzt ,  deren  Gränzen  bis  an  das  gesunde 
Herzfleisch  reichen. 

Diese  Art  von  Aneurysmen  findet  sich  meistens  am  lin- 
ken Herzen  und  an  dessen  Spitze ,  sie  stehen  einzeln  oder 


383 

mehrere  nahe  aneinander;  sind  von  der  Grösse  einer  Erbse 
bis  zu  der  eines  Hühnereies ,  und  stellen  bald  eine  sackför- 
mige Ausbuchtung*  dar  ,  bald  eine  Höhle  ,  die  durch  einen 
engen  Hals  mit  dem  Herzen  zusammenhängt.  Die  Wand  bil- 
det bloss  callöses  Gewebe ,  das  dem  Grade  der  Ausdehnung 
entsprechend  verdünnt  is( ;  die  Höhle  des  aneurysmatischen 
Sackes  wird  von  geronnenem  Faserstoffe  ausgefüllt,  unter 
welchem  man  das  Endocardium  verdickt  findet.  Sollten  sich 
aus  der  daselbst  abgelagerten  Fibrine  Atherome  gebildet  ha- 
ben ,  so  stehen  diese  in  keinem  ursächlichen  Zusammenhange 
mit  dem  Herzaneurysma. 

Gewöhnlich  ist  der  betreffende  Ventrikel  dilatirt  und  hy- 
pertrophisch ;  zuweilen  begleiten  das  Aneurysma  auch  Klap- 
penfehler. Dass  durch  übermässige  Dehnung  des  Aneurysma, 
wie  es  in  seltenen  Fällen  geschieht,  dasselbe  bersten  kann, 
versteht  sich  von  selbst. 

Diagnose.  Nur  die  begleitende  excentrische  Hyper- 
trophie oder  ein  Klappenfehler  vermögen  erkannt  zu  werden, 
nie  aber  das  Herzaneurysma.  Gendrin's  Behauptung',  dass 
man  dabei  mit  beiden  Herztönen  trockene ,  abgebrochene, 
blasende ,  selbst  pfeifende  Geräusche  höre ,  deren  erstes 
durch  Reibung  des  in  den  aneurysmatischen  Sack  dringen- 
den Blutstromes  entstehe ,  deren  2.  aber  durch  Zusammen- 
ziehung der  Höhle  und  dadurch  bewirkte  Entleerung  dersel- 
ben bedingt  sei,  —  widerspricht  der  Umstand,  dass  indem, 
vom  Coagulum  erfüllten  Sacke  gewöhnlich  kein  Raum  für 
neues  Blut  vorhanden  ist,  noch  mehr  aber,  dass  das  einmal 
ausgedehnte  callöse  Gewebe  des  Aneurysma  sich  nicht  mehr 
zusammenzuziehen  vermag. 


Die  Hypertrophie  des  Herzens« 

Unter  allen  Muskeln    des  menschlichen  Körpers  wird 
wohl   keiner  häufiger   von  Hypertrophie   befallen,    als    das 


Herz. 


384 


Begriff  der  Herzhypertrophie. 

Um  zu  wissen,  welches  Herz  hypertrophisch  zu  nennen 
sei,  ist  es  nöthig,  die  Verhältnisse  des  gesunden  Herzens 
zu  kennen ,  welche  wir  schon  besprochen  haben ;  werden 
diese  nun  überschritten,  so  handelt  es  sich  um  Hypertrophie 
desselben.  Es  ist  somit  ein  linker  Ventrikel  von  6  Pariser 
Linien  bis  2  Zoll  Dicke  und  darüber ,  und  ein  rechter  von 
3  bis  9  Linien  mit  Recht  hypertrophisch  zu  nennen.  Mit  der 
Dicke  der  Wandungen  nimmt  das   Gewicht  des  Herzens  zu. 

Sitz  der  Krankheit. 

Die  Hypertrophie  betrifft  selten  die  Muscularsubstanz 
des  ganzen  Herzens  (totale  Hypertrophie)  und  kommt 
kaum  anders  zu  Stande ,  als  dass  der  krankhafte  Process 
sich  von  einem  Theile  (partielle  Hypertrophie),  den 
er  früher  befallen ,  weiter  auf  das  Herz  verbreitet.  —  Im 
linken  Ventrikel  erreicht  die  Hypertrophie  gewöhnlich  den 
höchsten  Grad ,  tritt  in  demselben  dort  am  deutlichsten  aus- 
geprägt hervor ,  wo  die  Balkennetze  am  dichtesten  sind  und 
die  Dicke  der  Wände  am  meisten  vorwiegt.  Zuweilen  ge- 
schieht es ,  dass  die  Fleischbündel  und  Papillarmuskeln  ge- 
ringeren Antheil  an  der  Vergrösserung  nehmen  ,  hauptsäch- 
lich dann,  wenn  die  Hypertrophie  sich  mit  Erweiterung  der 
Kammer  verbindet.  Von  den  Vorkammern  ist  es  die  rechte, 
wo  die  Volumsvermehrung  sich  deutlicher  ausspricht ,  als  in 
der  linken ,  da  die  Kammuskeln  hier  stark  entwickelt  sind. 

Beim  Weibe  erreicht  die  Hypertrophie  nie  den  Grad  der 
Entwickelung  als  beim  Manne. 

Anatomische  Charaktere. 

Mehr  als  die  Dicke  der  Wandungen,  welche  man   erst 
abschätzen  kann,  wenn  man  das  Herz  schon  aus  dem  Brust- 
körbe genommen  und  seine  Höhlen  geöffnet ,  fällt  beim  er- 
sten Anblicke  die  Form  desselben  in  die  Augen.  Bei  Hy- 
pertrophie des  linken  Ventrikels  nähert  sich  die  Gestalt   des 


385 

Herzens  der  eines  Cylinders ,  ausser  in  dem  Falle  ,  dass 
bloss  dessen  Basis  erkrankt  wäre,  wodurch  es  die  Form  eines 
Keiles  annimmt.  Hypertrophie  der  rechten  Kammer  des  Her- 
zens macht  dieses  breiter,  fast  scheibenförmig  aussehend.  Hy- 
pertrophie beider  Ventrikel  bedingt  eine  fast  dreieckige  Ge- 
stalt desselben.  Mit  der  Zunahme  der  Hypertrophie  wird  auch 
die  Lage  des  Herzens  geändert,  seine  Achse  nimmt  eine 
mehr  quere  Richtung  an  ,  die  Spitze  sinkt  tiefer  nach  links 
und  der  Grund  desselben  unter  das  ßrustblatt.  Die  Farbe 
des  Muskelfleisches  ist  roth  ,  dessen  Faser  derb,  nicht  leicht 
von  den  unterliegenden  Schichten  zu  trennen  und  zuweilen 
selbst  von  lederartiger  Dichte.  Nur  in  dem  Falle  eines  serö- 
sen Ergusses  im  Herzbeutel  findet  man  das  Muskelfleisch 
blass  und  mürbe.  Rokitansky  sah  dieses  mehr  bräunlich 
gefärbt  und  brüchig ,  wenn  sich  Fettkugeln  in  dasselbe  ge- 
lagert hatten-,  dass  dadurch  Erweiterung  des  Herzens,  ja 
selbst  dessen  Ruptur  eingeleitet  werden  könne ,  entbehrt 
nicht  aller  Wahrscheinlichkeit. 

Eintheilung. 

Am  einfachsten  wird  die  Hypertrophie  betrachtet ; 

a)  als  einfache  Hypertrophie, 

b)  als  excentrische ,  und  endlich 

c)  als  concentrische. 

Bei  all'  diesen  drei  Arten  der  Hypertrophie  wird  das 
Volumen  des  Herzens  vergrössert,  das  Unterscheidende  liegt 
aber  in  dem  Rauminhalte  der  Herzhöhlen.  Bei  der  excentri- 
schen  Hypertrophie  nimmt  dieser  zu  ,  bei  der  concentrischen 
wird  er  durch  die  Verdickung  der  Wände  verkleinert.  Die 
einfache  Hypertrophie  wird  nicht  häufig  beobachtet,  es  scheint, 
dass  sie  bald  in  die  excentrische  übergehe ,  welche  unter 
den  drei  Formen  am  öftesten  gefunden  wird,  und  eine  be- 
sondere Vorliebe  für  den  linken  Ventrikel  darlegt.  Das  Vor- 
kommen der  concentrischen  Hypertrophie  wurde  durch  Ro- 
kitansky und  Hasse  über  jeden  Zweifel  gestellt,  galt 
Gaal  Diangostik.  35 


386 

aber  früher  schon  als  wahrscheinliche  Folge  von  Anämie, 
wenn  sich  das  Herz  der  verringerten  Blutmasse  anpasst  und 
durch  lebhaftere  Action  hypertrophirt. 

Ursachen  der  Herzhypertrophie. 

Die  nächste  Ursache  ist  in  einer  erhöhten  Thätigkeit 
der  Muskelsubstanz  zu  suchen ,  welche  im  Herzen  nicht 
minder ,  als  in  andern  Organen ,  z.  B.  den  Extremitäten, 
vermehrten  Säftezufluss  und  dadurch  Zunahme  der  Ernäh- 
rung bewirkt.  Alle  Einflüsse  daher ,  welche  die  Thätigkeit 
des  Herzens  erhöhen  ,  sind  hierher  zu  beziehen  ,  als  :  z.  B. 
Plethora ,  Spirituosa,  geschlechtliche  Ausschweifungen, 
Beschäftigungen ,  welche  durch  Muskelanstrengung  heftige 
Herzbewegungen  hervorrufen.  Als  die  fruchtbarste  Quelle 
der  Herzhypertrophien  sind  aber  mechanische  Hindernisse 
der  Circulation  zu  bezeichnen,  welche  theils  im  Pericar- 
dium,  theils  im  Herzen  selbst,  theils  in  der  Aorta, 
theils  im  Capillarsysteme  der  Lungen  bestehen. 

a)  Zuweilen  ist  P ericarditis  als  Ursache  der  Herz- 
hypertrophie anzuklagen,  wenn  eine  theilweise  Verwachsung 
des  Pericardium  mit  dem  Herzen  die  Bewegungen  des  letz- 
tern hemmt ,  so  dass  dasselbe  zu  erhöhter  Thätigkeit  ange- 
spornt, der  gewöhnlichen  Folge  übermässiger  Muskelanstren- 
gung verfällt,  nämlich  hypertrophisch  wird. 

#)  Die  das  Herz  selbst  betreffenden  mechanischen  Hin- 
dernisse der  Circulation  bestehen  in  Insuffizienz  und  Steno- 
sirung  der  Klappenapparate,  deren  schädliche  Einwirkung 
auf  das  Herz  erst  nach  dem  Studium  des  den  Klappenkrank- 
heiten gewidmeten  Abschnittes  gehörig  gewürdigt  werden 
dürfte.  Aus  demselben  wird  hinreichend  erhellen,  dass,  was 
die  Hindernisse  im  Herzen  selbst  betrifft,  Insu  ff  ici  enz 
der  Bicu  spidalklappe  oder  Stenose  des  linken 
O stium  v enosum  excentrische  Hypertrophie 
des  rechten  Ventrikels  bedingen,  und  dessen  Höhle 
dabei   auch  vorzüglich  erweitern.    Denn  wird  während  der 


387 

Systole  im  ersten  Falle  ein  Theil  des  im  Ventrikel  enthalte- 
nen Blutes  durch  die  offen  stehenden  Klappen  in  den  Vorhof 
geworfen,  oder  entleert  sich  dieser  im  zweiten  Falle  nicht  hin- 
länglich seines  Inhaltes ,  da  die  Mündung"  in  die  linke  Herz- 
kammer zu  enge  ist,  so  ist  die  Folge  in  beiden  Zuständen 
Blutanhäufung  im  linken  Vorhofe  ,  und  wie  ein  Bach,  dessen 
Abfluss  durch  Schleussen  verhindert  wird,  schwillt,  so  nimmt 
auch  die  Menge  des  Blutes  in  dessen  ganzer  Bahn  vom  Vor- 
hofe zurück  zu ,  es  entsteht  Hyperämie  in  den  Lungenvenen 
und  den  Capillargefässen  der  Lungen ,  ja ,  wenn  wir  die 
Blutbahn  noch  weiter  verfolgen  in  der  Lungenarterie  und  dem 
rechten  Ventrikel ,  dessen  energische  Anstrengungen ,  um 
das  sich  immer  vergrössernde  Hinderniss  hinwegzuräumen, 
nicht,  ohne  Zunahme  der  Muskelsubstanz  im  Gefolge  zu  ha- 
ben ,  denkbar  sind  ,  während  die  Erweiterung  besonders  da- 
durch zu  Stande  kommt,  dass  seine  dünnen  Wände  dem 
Drucke  des  Blutes  nachgeben  und  sich  der  Quantität  dessel- 
ben anschmiegen. 

Insufficienz  der  Aortenklappen,  Stenose 
der  Aortenmündung  oder  beide  Zustände  zu- 
gleich haben  fast  jedesmal  excentrische  Hy- 
pertrophie des  linken  Ventrikels  zur  Folge,  indem  dabei 
letzterer  mit  Blute  überfüllt ,  nur  mit  der  grössten  Anstren- 
gung sich  des  ihm  im  Übermasse  aufgebürdeten  Inhaltes  zu 
entleeren  vermag,  der  ihm  bei  Insufficienz  durch  Re- 
gurgitation eines  Theiles  des  durch  die  Systole  der  Aorta 
fortzubewegenden  Blutes,  bei  Stenose  durch  Verhaltung 
desselben ,  da  es  während  der  Kammersystole  durch  die  ver- 
engte Mündung  nicht  vollständig  entleert  werden  kann,  zu- 
kommt. 

Insufficienz  der  dreizipfligen  Klappe  hat 
wohl  Erweiterung  des  rechten  Vorhofes  im  Gefolge,  die  Zu- 
nahme der  Muscularsubstanz  spielt  aber  hierbei  eine  mehr 
untergeordnete  Holle,  als  man  bei  oberflächlicher  Betrachtung 
glauben  sollte. 

26* 


388 

Es  erhellt  aus  vorhergehendem ,  dass  Endocarditis, 
mittelst  der  durch  dieselbe  gesetzten  Klappenkrankheiten  Hy- 
pertrophien herbeiführt,  und  ist  somit  nicht  unwahrscheinlich 
dass  letzterer  Zustand  bei  Neugebornen  in  einer  fötalen 
Endocarditis  begründet  sei. 

Aber  nicht  allein  im  Herzen  stellen  sich  der  Blutströ- 
mung mächtige  Hindernisse  entgegen,  sondern  auch  in  den 
zunächst  gelegenen  Gefässen  kommen  solche  vor,  besonders 

c)  in  der  Aorta.  Ihre  Verengerung'  bewirktauf 
ähnliche  Weise  ,  wie  die  Stenose  der  Aortenmündung*  ex- 
centrische  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  ,  die  bald  das 
ganze  Herz  in  den  Kreis  der  Entartung*  zieht. 

Aneurysmatische  Erweiterung*  des  Aortarohres  hat 
dieselbe  Krankheit  zur  Folgte,  weil  dabei  die  verminderte  Ela- 
sticität  der  Arterienhäute  deren  Thätigkeit  lähmt,  so  dass  sie 
nicht  im  Stande  sind,  durch  hinlänglich  kräftige  Zusammen- 
ziehungen ihren  Blutinhalt  gehörig*  weiter  zu  befördern.  Letz- 
terer aber  hindert  die  Entleerung*  des  linken  Ventrikels,  und 
bedingt  dadurch  dessen  Überfüllung'  und  excentrische  Hyper- 
trophie. 

d)  Im  Capillargefässysteme  der  Lungen. 
Alle  Krankheits  -  Processe,  welche  Unwegsamkeit  eines 
grössern  Abschnittes  der  Lungen  und  somit  ihrer  Capillar- 
gefässe  bewirken ,  bedingen  hiedurch  excentrische  Hyper- 
trophie des  rechten  Herzens,  als  nothwendige  Folge,  indem 
das  venöse  Herz  durch  gesteigerte  Thätigkeit  das  Hinder- 
niss  der  Circulation  zu  beseitigen  strebt,  zugleich  aber  die 
Zunahme  seines  Inhaltes  auf  die  nachgiebigen  Wandungen 
zurückwirkt.  Von  Lungenkrankheiten  ,  die  auf  das  rechte 
Herz  den  genannten  nachtheiligen  Einfluss  ausüben,  sind 
vornehmlich  nachstehende  hier  aufzuführen. 

Alle  jene  Zustände ,  durch  welche  das  Lung'engewebe 
comprimirt  wird  und  einschrumpft,  als  bedeutendere 
pleuritische  Ergüsse ,  oder  nach  deren  Entfernung  plastische 
Exsudate ,  welche  einen  Theil  der  Lungen  überziehen  und 


389 

in  ihrer  Entfaltung  hindern ,  Verwachsung  der  beiden  Pleu- 
raflächen,  Einsinken  des  Thoraxraumes  nach  Resorption  eines 
grössern  pleuritischen  Ergusses  ,  Verkrümmung  der  Wirbel- 
säule ,  des  Brustblattes  aus  derselben  oder  einer  andern  Ur- 
sache und  dadurch  veranlasste  Compression  der  Lungen,  in- 
durirte  Hepatisation  ,  ausgebreitetes  vesiculäres  Emphysem 
der  Lungen,  wobei  die  Capillargefässe  durch  den  Druck  der 
vergrösserten  Bläschen  verengt  und  blutarm  gemacht  werden, 
bedeutende  Bronchialerweiterung  mit  Erlahmung  des  Roh- 
res, welches  durch  seinen  Druck  das  umgebende  Lungen- 
parenchym atrophisch  macht. 

Tuberculöse  Infiltration  hat  nicht  denselben  Einfluss  auf 
das  rechte  Herz,  den  wir  der  indurirten  Hepatisation  zu- 
schreiben müssen  und  der  zu  erwarten  wäre,  wenn  nicht  mit 
der  Consumtion  aller  Gewebe,  welche  die  Phthisis  begleitet, 
die  Verminderung  der  ßlutmasse  gleichen  Schritt  hielte,  so 
dass  beiPhthisikern  das  Herz  häufiger  atrophisch  wird,  als  in 
seiner  Masse  zunimmt. 

Besteht  aber  zugleich  mit  der  Tuberculöse  eine  bedeutende 
Verkrümmung  der  Wirbelsäule,  so  kann  durch  die  dadurch 
herbeigeführte  Compression  des  Lungengewebes  rechtseitige 
Hypertrophie  des  Herzens  zu  Stande  kommen  ,  und  nur  die 
dabei  auftretende  venöse  Blutmischung  vermag  den  Fort- 
schritten der  Tuberculöse  Einhalt  zu  thun. 

Die  Frage ,  woher  es  kommt,  dass  der  linke  Ventrikel 
häufiger  hypertrophisch  wird,  als  der  rechte?  glauben  wir 
in  Folgendem  beantworten  zu  können.  Wenn  Bertins  An- 
sicht, dass  das  arterielle  Blut  auf  den  linken  Ventrikel  einen 
grössern  Reiz  ausübt,  als  das  venöse  auf  den  rechten,  eine 
unbedingt  richtige  wäre;  so  müssten  wir  sehen,  dass  der 
linke  Vorhof  häufiger  von  Hypertrophie  befallen  werde,  als 
der  rechte,  während  wir  uns  vom  Gegentheile  überzeugen  — 
der  Reiz  des  arteriellen  Blutes  auf  das  linke  Herz  ist  auch 
nicht  so  hoch  anzuschlagen  ,  da  er  für  dasselbe  immer  nur 
der  normale  ist ;  der  Grund  liegt  vielleicht  in  dem  häufigeren 


890 

Vorkommen  derEndocarditis  mit  ihren  Folgen  im  linken  Ven- 
trikel als  im  rechten,  und  in  dem  Umstände,  dass  im  Allge- 
meinen stärkere  Muskel  mehr  der  Hypertrophie  ausgesetzt 
sind ,  als  schwächere.  Die  linke  Kammer  ist  nun  rast  um  das 
Dreifache  stärker,  als  die  rechte,  und  in  dem  Sinne  mag*  das 
darin  bewegte  Blut  (ohne  Rücksicht  auf  dessen  arterielle 
oder  venöse  Beschaffenheit)  der  stärkeren  Musculatur  als 
Reiz  gelten,  sich  kräftig  zusammenzuziehen,  während  es  den 
schwächern  Hohlmuskel  nur  erweitert ,  der  nicht  hinreichend 
seinem  Inhalte  zu  widerstehen  vermag. 

Verlauf  und    Ausgänge. 

Die  Herzhypertrophie  zeigt  sich  immer  als  chroni- 
sche Krankheit,  besonders  langsam  verläuft  die  einfache; 
sie  ist  es  aber  auch ,  welche  den  Kranken ,  ohne  sich 
ihm  früher  durch  Vorboten  kund  zu  geben ,  plötzlich  hin- 
wegrafft. Noch  schneller  aber  führt  die  excentrische  Hyper- 
trophie denselben  seinem  Ende  entgegen ,  als  die  letztge- 
nannte und  selbst  trotz  der  regelmässigsten  Diät.  Die  Aus- 
gänge der  Herzhypertrophie  sind:  Heilung,  andere 
Krankheiten  und  der  Tod. 

a)  Heilung  ist  kaum  denkbar,  den  einzigen  Fall 
ausgenommen ,  dass  zuweilen  im  Kindesalter  entstandene 
Hypertrophien  von  den  Pubertätsjahren  an  sich  nicht  mehr 
weiter  entwickeln,  so  dass  dann  zwischen  der  Entwickelung 
des  Körpers  und  der  des  Herzens  das  normale  Verhältniss 
eintritt. 

ft)  Unter  den  krankhaften  Zuständen,  welche  durch  die 
Herzhypertrophie  eingeleitet  werden ,  fallen  zunächst  fol- 
gende auf:  eine  gewaltsame  Herzaction ,  Herzklopfen ,  be- 
schleunigte Circulation,  inflammatorische  Blutmischung,  Nei- 
gung zur  Entzündung  edler  Organe,  oder  wenigstens  Hy- 
perämie derselben,  namentlich  des  Gehirnes,  Apoplexie; 
letztere  wird  besonders  durch  Hypertrophie  des  linken  Ven- 
trikels herbeigeführt.  —  Ist  aber  einmal  Überfüllung  des  Ca- 


391 

pillargefässystemes  der  Lungen  vorhanden ,  so  sind  die  Fol- 
gekrankheiten der  Herzhypertrophie  von  den  genannten  gänz- 
lich verschieden ;  dann  entstehen  asthmatische  Anfälle,  Lun- 
genblennorrhöen  und  Blutungen  ,  eine  vorwaltende  venöse 
ßlutmischung  und  hydropische  Abscheidungen  ,  die  aber  bei 
Erkrankung  des  linken  Herzens  anfangs  nur  vorübergehend 
sind ,  und  nie  den  hohen  Grad  erreichen ,  auf  den  sie  die 
Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels  gewöhnlich  bringt. 

c)  Dass  der  Tod  durch  Ödem  der  Lungen,  sich  hinzu- 
gesellende Pneumonie,  durch  Apoplexie  des  Gehirnes  und 
zuweilen  durch  Erlahmung  der  Herzthätigkeit  eingeleitet 
werden  kann ,  bedarf  nach  dem  Vorhergehenden  kaum  mehr 
einer  weitläufigen  Erörterung. 

Diagnose. 

Von  den  subjectiven  Erscheinungen  ist  es  zu- 
erst das  Herzklopfen,  das  den  Kranken  an  das  Vorhan- 
densein eines  Leidens  mahnt,  und  besonders  nach  körperli- 
cher und  psychischer  Aufregung,  bei  Ersteigung  von  Trep- 
pen, beim  Gehen  gegen  den  Wind,  durch  Aromatica,  Spiri- 
tuosa,  Flatulenz  und  Lage  auf  der  linken  Seite  verstärkt  wird. 

Wohl  kann  diess  Symptom  auch  fehlen ,  und  dennoch 
Hypertrophie  des  Herzens  vorhanden  sein,  so  wie  anderseits 
dasselbe  in  nervösen  Subjecten  mit  tuberculöser  Anlage  zu- 
weilen erscheint,  ohne  in  einer  organischen  Herzkrankheit  be- 
gründet zu  sein.  Die  Dyspnoe  ängstigt  den  Kranken  erst, 
wenn  schon  ein  bedeutendes  Missverhältniss  zwischen  den 
Functionen  beider  Ventrikel  eingetreten  ,  und  steigert  sich  , 
wenn  es  schon  zu  Stasis  in  den  Lungen  gekommen  ist,  zu 
schrecklicher  Höhe.  Die  Anfälle  werden  besonders  zur  Nacht- 
zeit sehr  heftig  und  nicht  selten  nur  durch  Aushusten  blutge- 
färbter Sputa  gelindert;  sie  scheinen  in  der  Zeit  ihrer  Wie- 
derkehr zuweilen  eine  gewisse  Regelmässigkeit  zu  beobach- 
ten ,  besonders  sind  es  die  Äquinoctien ,  wodurch  sie  öfter 
bedeutend  gesteigert  werden.  Der  Husten  und  der  Puls 


39» 

gewähren  keine  constanten  Erscheinungen,  letzterer  ist  im 
Allgemeinen  wohl  voll  und  kräftig'  und  zwar  desto  mehr ,  je 
näher  die  untersuchte  Arterie  dem  Herzen  liegt,  wird  aber 
durch  die  meist  zugleich  bestehenden  Klappenfehler  bedeu- 
tend verändert.  Anfangs  und  vornehmlich  bei  Hypertrophie 
des  linken  Herzens  zeigen  sich  oft  Kopfschmerz,  Ohrensau- 
sen ,  Röthe  des  Gesichtes  ,  Nasenbluten ,  kurz  alle  Zeichen 
von  Congestionen  zum  Gehirne.  Bei  länger  dauernder  Hyper- 
trophie ,  besonders  wenn  schon  Stasis  in  den  Lungen  eintrat, 
wird  das  Gesicht  livid ,  die  Lippen ,  besonders  die  untern , 
erscheinen  verdickt,  und  die  Venen  an  der  ganzen  Körper- 
oberfläche voll  und  aufgetrieben. 

Physicalische   Symptome. 

Inspection.  Bei  jugendlichen  Individuen  mit  biegsa- 
men Rippen  zeigt  sich  eine  grössere  Wölbung  der  Prä- 
cordialgegend.  Irrig  ist  die  Meinung  Piorry's,  dass  bei 
Hypertrophie  des  Herzens  die  Wölbung  mehr  links ,  bei  se- 
rösem Ergüsse  im  Herzbeutel  mehr  gegen  das  Sternum  ge- 
funden werde;  nicht  minder,  dass  man  daraus,  ob  die  Vor- 
treibung der  Präcprdialgegend  mehr  links  oder  mehr  rechts 
auftritt,  auf  eine  Hypertrophie  des  linken  oder  eine  des  rech- 
ten Ventrikels  schliessen  könne,  denn  der  Ort  der  stärkeren 
Wölbung  hängt  oft  nur  von  der,  aus  was  immer  für  Ursachen 
herbeigeführten ,  mehr  verticalen  oder  mehr  horizontalen  La- 
ge des  Herzens  ab. 

Ferner  findet  man  bei  Herzhypertrophie  eine  sicht- 
bare Verstärkung  des  Herzschlages,  der  sich 
bei  höherem  Grade  des  Übels,  bei  excentrischer Hypertrophie, 
auf  mehrere  Zwischenrippenräume  verbreitet.  Betrifft  letztere 
das  ganze  Herz,  oder  den  linken  Ventrikel  mit  Aortenklap- 
peninsufficienz ,  so  erscheint  der  Herzschlag  so  heftig,  dass 
er  sich  den  Kleidern  und  Bettdecken  des  Kranken  mittheilt. 

Während  der  Systole  erscheint  zuweilen  in  horizontaler 


398 

Lage  über  hypertrophischen  Herzen  eine  Einziehung  der 
Herzgrube  und  des  obern  Theiles  der  geraden  Bauch- 
muskel ,  welche  während  der  Diastole  wieder  verschwindet, 
die  aber  zu  dem  irrigen  Glauben  Anlass  gegeben ,  dass  es 
sich  in  diesem  Falle  um  Verwachsung  des  Pericardium  mit 
dem  Herzen  handle.  Eine  ähnliche  Erscheinung  beobachtet 
man  bei  excentrischer  Hypertrophie  bejahrter  Kranken  mit 
herabgesunkenem  Thorax  und  weiten  Zwischenrippenräumen, 
nämlich  ein  Einsinken  des  Intercostalraumes  über  dem  Orte, 
der  durch  den  Impuls  der  Herzspitze  während  der  Systole 
vorgetrieben  wird,  worauf  ein  Vortreiben  derselben  Stelle 
während  der  Diastole  erfolgt. 

Übrigens  kann  sowohl  die  Vortreibung  der  Präcordialge- 
gend,  als  auch  die  sichtbare  Verstärkung  des  Herzstosses 
bei  bedeutenden  Hypertrophien  mangeln ,  z.  B.  bei  zugleich 
bestehendem  Lungenemphysem  der  linken  Seite,  während  an- 
derseits dieselben  Symptome  für  sich  allein  vorkommend  kei- 
nen diagnostischen  Werth  haben  und  verschiedenen  Zustän- 
den zukommen  können. 

Palpation.  Im  Allgemeinen  gilt  der  Satz  :  Je  beträcht- 
licher der  Umfang  des  Herzens  ist,  in  desto  grösserem  Räu- 
me werden  die  kräftigen  Herzschläge  von  der  aufgelegten 
Hand  wahrgenommen.  Doch  gibt  es  manche  Ausnahmen. 

Excentrische  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  mit  In- 
suffizienz der  Aortenklappen  gibt  einen  heftigen  Herzstoss, 
da  dabei  der  Inhalt  desselben  vermehrt  wird;  ist  aber  die 
Aortenmündung  in  dem  hypertrophischen  Herzen  verengt,  so 
ist  der  Herzschlag  nicht  immer  verstärkt,  da  dieMuskelcon- 
traction  des  Ventrikels  so  wie  die  Entleerung  der  Kammer 
unvollständig  geschieht  (Z  eh  et  may  er).  Liefert  ein  nor- 
mal beschaffener  rechter  Ventrikel  dem  hypertrophischen  lin- 
ken nicht  so  viel  Blut,  als  dieser  erheischt,  so  kommt  es 
nur  zu  zeitweiliger  Verstärkung  des  Herzstosses. —  Excen- 
trische Hypertrophie  beider  Hälften  des  Herzens  gibt  sich , 


394 

besonders  bei  tieferm  Stande  dieses  durch  einen  doppelten 
Choc  zu  erkennen,  der  die  Systole  und  Diastole  begleitet. 
Appliciren  wir  das  Stethoscop ,  um  die  Stärke  des  Herz- 
stosses  zu  bemessen,  so  wird  der  Kopf  von  letzterem  zuwei- 
len erschüttert;  totale  excentrische  Hypertrophie,  oder  der- 
selbe Zustand  auf  die  linke  Kammer  beschränkt,  aber  mitAor- 
tenklappeninsufficienz  verbunden,  geben  sich  durch  einen 
Herzimpuls  zu  erkennen ,  welcher  den  Kopf  des  Untersu- 
chenden hebt. 

Die  Richtung,  in  der  sich  die  Verstärkung  des  Herz- 
schlages äussert,  berechtigt  nicht  anzunehmen,  dass  dieser 
oder  jener  Ventrikel  erkrankt  sei ,  denn  auch  auf  diese  wie 
auf  den  Ort  der  grössten  Vortreibung  der  Präcordialgegend 
übt  veränderte  Stellung  der  Achse  des  Herzens  häufig  nicht 
unbedeutenden  Einfluss  aus. 

Dass  auch  verstärkter  Herzstoss  bei  Hypertrophien  feh- 
len könne,  und  für  sich  allein  noch  zu  keinem  diagnostischen 
Schlüsse  berechtige ,  bedarf  kaum  einer  Erwähnung. 

Percussion.  Erst  mit  zunehmender  Vergrösserung 
bemerkt  man  einen  matten  Percussionsschall  in  ausgebreite- 
terem  Umfange,  als  dem  normalen  Herzen  zukommt,  und 
zwar  in  geradem  Verhältnisse  zu  der  Volumsvermehrung  des 
Letztern ;  es  leuchtet  demnach  von  selbst  ein ,  dass ,  wenn 
mit  der  Herzhypertrophie  sich  Erweiterung  verbindet,  der 
Umfang  des  dumpfen  Schalles  ein  grösserer  sein  müsse,  als 
wenn  jene  allein  vorkommt. 

Mit  der  Verbreitung  der  Mattheit  des  Percussionsschal- 
les  fühlt  der  Finger  einen  vermehrten  Widerstand ,  nie  aber 
in  dem  Grade ,  wie  bei  serösem  Ergüsse  ins  Pericardium. 

Um  zu  bestimmen ,  ob  der  linke  oder  der  rechte  Ventri- 
kel erkrankt  ist ,  hält  man  sich  an  Folgendes.  Hypertrophie 
des  linken  Herzens  gibt  die  Zeichen  der  Percussion  in 
grösserer  Dimension  der  Achse  des  Herzens  nach.  Ist  der 
rechte  Ventrikel  der  leidende,  so  reicht  der  matte  Per- 
cussionsschall mehr  quer  gegen  und  selbst  über  das  Sternum. 


395 

Dass  Krankheiten  der  Nachbartheile,  Lungenemphy- 
sem, Pneumonie,  pleuritisches  Exsudat  der  linken  Seite 
den  Percussionston  sehr  verändern,  ja  es  bisweilen  unmöglich 
machen ,  die  Gränzen  des  Herzens  und  somit  seiner  Ver- 
grösserung  zu  bestimmen ,  ist  unsern  Lesern  hinlänglich 
bekannt. 

Auscultation.  Das  angelegte  Ohr  hört  die  Herztöne 
rein,  nie  von  einem  Geräusche  begleitet,  ausser  es  wäre 
ein  Klappenfehler  zugleich  vorhanden.  Wohl  vernimmt  man 
in  Folge  des  Druckes ,  den  die  hypertrophischen  Herzwände 
auf  das  zwischen  denselben  enthaltene  Blut  ausüben,  häufig 
den  ersten  Ton  gedämpfter  und  gedehnter,  so  dass  die  kleine 
Pause  darnach  beinahe  verschwindet,  dann  folgt  schnell 
der  kurze,  klanglose  zweite  Ton.  Bei  bedeutenden  Hyper- 
throphien  werden  beide  Töne  nicht  allein  an  der  ganzen  Vor- 
derfläche der  Brust,  sondern  selbst  am  Rücken  wahrgenommen. 

Synopsis   der   physicalischen  Symptome    der 
Herzhypertrophie. 

Einfache  Hypertrophie  gibt  sich  durch  folgende 
Erscheinungen  zu  erkennen:  Wölbung  derPräcordialgegend, 
sichtbare  Verbreitung  des  Herzschlages  in  grösserem  Umfange, 
stärkerer  Choc  desselben  ,  selbst  mit  Emporheben  der  Brust- 
wand, wo  die  Herzspitze  anschlägt,  Dämpfung  des  Percus- 
sionsschalles  in  grösserem  Umfange  entweder  nach  dem  Län- 
ge -  oder  nach  dem  Breitedurchmesser  des  Herzens ,  etwas 
vermehrter  Widerstand  beimPercutiren,  Dämpfung  der  Herz- 
töne ,  wovon  der  erste  gedehnt  zu  hören  ist. 

Excentrische  Hypertrophie  lässt  sich  aus  den- 
selben Erscheinungen  höhern  Grades  und  in  vergrössertem 
Räume  erkennen ,  dazu  kommen  noch  folgende :  der  Herz- 
schlag wird  in  mehreren  Intercostalräumen  sichtbar,  von  de- 
nen der  ober  der  Herzspitze  zunächst  gelegene  häufig  wäh- 
rend der  Systole  einsinkt  und  während  der  Diastole  wieder 
sich  ausfüllt,  starke  Erschütterung  der  aufgelegten  Hand  und 


396 

des  Kopfes  des  Auscultirenden ,  der  mit  der  Brustwand  ge- 
hoben wird  und  sinkt. 

Concentrische  Hypertrophie  ist  am  Leben, 
den  noch  nicht  erkannt  worden.  Matter  und  umschriebener 
Herzstoss,  kleiner  Puls,  schwache  Herztöne  dürften  nebst 
den  schnell  eintretenden  gewöhnlichen  Folgen  der  Herzhy- 
pertrophie als  Fingerzeige  dienen. 

Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  gibt 
sich  zu  erkennen  dadurch: 

1.  Dass  die  Wölbung"  der  Präcordialgegend  nach  aussen 
am  stärksten  hervortritt  (vorausgesetzt ,  dass  dabei  keine 
Abweichung  der  Herzachse  statt  findet). 

2.  Dass  an  demselben  Orte  der  Herzschlag  in  mehreren 
Zwischenrippenräumen  sichtbar  und  verstärkt  zu  fühlen  ist. 

3.  Dass  der  Percussionsschall  in  vermehrtem  Umfange , 
doch  aber  mehr  der  Längenachse  des  Herzens  nach ,  ge- 
dämpft erscheint ,  mit  etwas  vermehrtem  Widerstände  beim 
Anschlage. 

4.  Dass  im  linken  Ventrikel  des  erste  Ton  gedämpft 
und  gedehnt  gehört  wird. 

Nächst  dem  harten ,  vollen  Arterienpulse  sind  hier  alle 
die  schon  angeführten  mehr  eine  active.  Form  anzeigenden 
Folgezustände  zu  rechnen. 

Die  Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels 
wird  erkannt ,  wenn  die  Lage  des  Herzens  nicht  abnorm  ist, 
dadurch ,   dass 

1.  die  Wölbung  und  die  sichtbaren  und  fühlbaren  Herz- 
schläge mehr  gegen  das  Sternum  und  die  Herzgrube  zu  be- 
merkbar sind ,  als  gegen  links.  Letztere  sind  daselbst  bis- 
weilen stärker  zu  fühlen,  als  an  dem  Orte,  an  dem  die  Herz- 
spitze anschlägt. 

2.  Dass  die  Dämpfung  des  Percussionstones  in  grösse- 
rer Ausdehnung  nach  der  Quere  gehört  wird. 

3.  Dass  die  Herztöne  aus  dem  rechten  Herzen  oft  stär- 
ker vernommen  werden,  als  aus  dem  linken,  und  dass  der 


397 

zweite  Ton  der  Lungenschlagader  auffallend  verstärkt  zu  hö- 
ren ist.  Die  hieher  bezüglichen  consecutiven  Erscheinungen 
sind  mehr  passiver  Form ;  Venosität ,  asthmatische  Anfälle 
und  endlich  hydropische  Aussehwitzungen  gehören  dieser 
Krankheit  an.  Die  häufig  zu  beobachtende  Schwellung  der 
Drosseladern  ist  nicht  mit  deren  Pulsation  zu  verwechseln, 
welche  Insufficienz  der  dreispitzigen  Klappe  anzeigen  würde. 
Hypertrophie  der  Vorhöfe  als  solche  allein 
lässt  sich  nicht  erkennen. 

Unterscheidende  Diagnose. 

1.  Hypertrophie  könnte  mit  einem  serösen  Er- 
güsse im  Pericardium  verwechselt  werden,  allein 
bei  letzterem 

a)  Ist  die  Wölbung  nach  ohen  an  der  Basis  des  Her- 
zens am  stärksten. 

bj  Sind  die  Pulsationen  schon  schwächer,  selbst  un- 
deutlich }  wenn  die  Anwesenheit  des  Exsudates  durch  den 
Percussionsschall  erkennbar  wird. 

cj  Die  Mattheit  des  letzteren  ist  stärker ,  der  Schall 
mehr  leer,   die  Resistenz  grösser. 

d)  Die  Herztöne  sind  häufig  schwächer,  gleichsam 
wie  aus  der  Entfernung  vernehmbar. 

e)  Der  Kranke  verfällt  sichtlich ,  und  hydropische  Er- 
scheinungen kommen  auffallend  schnell  zur  Entwickelung. 

2.  Erweiterung  des  Herzens  hat  mit  der  Hyper- 
trophie die  verstärkten  Herzimpulse  und  die  Dämpfung  des 
Percussionsschalles  in  grösserem  Umfange  gemein  ,   allein 

aj  Der  Herzschlag  ist  unregelmässig ,  nur  zuweilen 
gewaltsam ,  und  wird  im  Gegentheile  oft  kaum  fühlbar. 

b)  Die  Herztöne  sind  heller  und  klarer  zu  hören  als  im 
Normalzustande. 

c)  Die  Entwickelung  der  hydropischen  Erscheinungen 
geht  schneller  vor  sich ,  als  bei  Hypertrophie. 

3.  Aneurysma  der  Aorta,  wenn  es  noch  nicht  zu 
consecutiver  Herzhypertrophie  gekommen  ist,  lässt  sich  von 


398 

letzterer  dadurch  unterscheiden  ,  dass  bei  Aneurysmen  zwei 
Pulsationen  wahrgenommen  werden,  eine  dort,  wo  die  Herz- 
spitze anschlägt ,  die  andere  ober  dieser  Stelle  nach  rechts  , 
wo  die  aneurysmatische  Geschwulst  an  die  Brustwand  an- 
liegt. Dort  ist  auch  zuweilen  gedämpfter  Percussionsschall 
zu  finden.  In  dem  Räume  zwischen  den  bezeichneten  Orten 
ist  keine  Pulsation  zu  bemerken.  Über  dem  aneurysmatischen 
Sacke  wird  zuweilen  ein  blasendes  Geräusch  gehört,  das 
aber  auch  fehlen  kann. 

4.  Nervöses  Herzklopfen  kann  leicht  den  Ver- 
dacht von  Hypertrophie  erwecken.  Doch  fehlen  ausser  dem 
unsteten  Herzimpulse,  der  durch  Aufregungen  leicht  hervor- 
gerufen wird  ,  alle  physicalischen  Symptome. 

Von   der  Atrophie   des  Herzens. 

Begriff.  Die  Atrophie  des  Herzens  besteht  in  Vermin- 
derung der  Muskelsubstanz  desselben.  Um  diese  Krankheit 
richtig  zu  erkennen ,  ist  es  nöthig ,  das  Volumen  und  Ge- 
wicht des  zu  untersuchenden  Herzens  mit  dem  eines  gesun- 
den zu  vergleichen ,  indem  oft  nach  Blutverlusten  das  Herz 
sich  ausserordentlich  zusammenzieht,  in  welchem  Falle  dann 
das  Gewicht  zu  Rathe  gezogen  werden  muss,  um  eine  irrige 
Diagnose  zu  vermeiden. 

£  in  th eilung.  Wir  unterscheiden  : 

1.  Die  einfache  Atrophie,  als  Verminderung  der 
Muskelsubstanz  und  des  Gewichtes  mit  normaler  Weite  der 
Herzhöhlen. 

2.  Die  excentrische  Atrophie,  welche  in  Ab- 
nahme der  Muskelsubstanz  und  des  Gewichtes  mit  erweiter- 
ten Herzhöhlen  besteht ,  und  nicht  mit  Herzerweiterung  ver- 
wechselt werden  darf,  wobei  die  gesunde  Muskelsubstanz 
sich  nur  auf  einen  grösseren  Raum  ausdehnt,  das  Gewicht 
aber  dasselbe  bleibt,  und  endlich 

3.  die  concentrische  Atrophie,  welche  am  öf- 
testen beobachtet  wird,  mit  verkleinerten  Herzhöhlen  ,  wobei 


399 

aber  die  Dicke  der  Herzwände  normal  beschaffen  oder  selbst 
vermehrt  sein  kann ,  weil  die  Muskelsubstanz  gleichsam  sich 
in  sich  selbst  zusammengezogen  hat,  so  dass  sie  um  das 
dicker  wird,  was  sie  an  Länge  einbüsst.  Das  verminderte  Ge- 
wicht löst  auch  in  diesem  Falle  jeden  Zweifel. 

Sitz.  Sie  befällt  entweder  das  ganze  Herz  oder  nur 
einen  Abschnitt  desselben. 

Anatomische  Charaktere. 

Ausser  den  schon  angeführten,  das  Volumen  und  Ge- 
wicht betreffenden ,  fallen  folgende  Erscheinungen  in  die 
Augen  :  Häufige  Verdickung  und  Schrumpfung  des  Herzbeu- 
tels ,  Schwinden  des  Herzfettes ,  stärkere  Schlängelung  der 
Kranzgefässe,  blasse,  gelbliche  Färbung  der  leicht  zerreiss- 
lichen  Herzsubstanz.  (Letztere  erscheint  dagegen  zuweilen 
derb ,  zähe  und  rothbraun  gefärbt.) 

Ursachen.  Als  solche  werden  alle  Blutkrankheiten 
angesehen,  welche  mit  Abnahme  der  Ernährung  einhergehen, 
Schwächekrankheiten  in  Folge  von  tuberculöser  oder  krebsi- 
ger Schmelzung,  Reconvalescenz  von  Typhus,  Anämie  durch 
ungenügende  Nahrung  oder  Blutverluste  herbeigeführt.  Doch 
hat  nicht  jede  Verminderung  der  allgemeinen  Ernährung 
Atrophie  des  Herzens  zum  Begleiter,  im  Gegentheile  findet 
man  zuweilen  in  gänzlich  herabgekommenen  Individuen  ein 
hypertrophisches  Herz.  Viele  Ursachen  der  in  Rede  stehen- 
den Krankheit  sind  im  Herzen  selbst  gegeben ,  so  vermag 
Druck  auf  dessen  Muskelsubstanz  durch  pericarditisches  Ex- 
sudat, Entzündungsschwarten  etc.  Obliteration  seiner  er- 
nährenden Gefässe,  Fettsucht  des  Herzens  das  Muskelge- 
webe desselben  zu  atrophiren. 

Verlauf.  Derselbe  kann  kaum  anders,  als  chronisch 
sein.  Die  Würdigung  der  erst  angeführten  Ursachen  der  Herz- 
atrophie mag  den  Übeln  Ausgang  derselben,  der  gewöhnlich 
beobachtet  wird,  erklären. 

Diagnose.  Von  den  allgemeinen  Symptomen, 


400 

welche  diese  Krankheit  begleite» ,  sind  vorzüglich  folgende 
zu  nennen :  Schwäche  des  Pulses ,  die  sich  durch  Trägheit 
und  Kleinheit  desselben  kund  gibt ,  während  er  nach  gerin- 
gen Reizen  zitternd  und  schnell  wird,  Herzklopfen,  Neigung 
zu  Ohnmächten ,  immerwährendes  Gefühl  von  Kälte,  Darnie- 
derliegen aller  von  der  Circulation  abhängigen  Functionen , 
allgemeine  Blässe  und  Abmagerung. 

Inspection.  Trotz  der  meist  mit  der  Herzatrophie 
verbundenen  Abmagerung,  trotz  der  erweiterten  Intercostal- 
räume  ist  fast  nur  nach  Einwirkung  heftiger  Reize  ein  An- 
schlagen der  Herzspitze  an  die  Brustwand  ersichtlich. 

Palpation.  Der  Herzschlag  wird  schwach  und  auf 
einen  kleinen  Raum  beschränkt  gefühlt ;  doch  können  einzelne 
tumultuarische  Impulse  dazwischen  gefühlt  werden,  welche 
entweder  aus  gestörter  Innervation  entspringen  oder  in  der 
Combination  der  Atrophie  einer  Herzkammer  mit  Hypertrophie 
und  Klappenfehlern  der  anderen  begründet  sind. 

Percussion.  Der  gedämpfte  Percussionsschall  er- 
scheint in  kleinerem  Räume,  als  dem  Umfange  des  Herzens  zu- 
kommt; in  gleichem  Maasse  nimmt  auch  der  Widerstand,  den 
der  anklopfende  Finger  erfährt,  ab.  Piorry  räth  mit  stei- 
gender Kraft  zu  percutiren,  um  auch  dort  noch  aus  der  Däm- 
pfung des  Schalles  das  Herz  zu  erkennen,  das  von  den  sich 
darüber  legenden  Rändern  der  Lungen  (z.B.  bei  Emphyseme) 
versteckt  wird. 

Auscultation.  Bis  jetzt  gibt  es  noch  keine  bestimm- 
ten Merkmale,  welche  die  Herzatrophie  durch  das  Stetho- 
scop  erkennen  Hessen. 

Die  Erweiterung   des  Herzens« 

Begriff.  Das  Essentielle  dieser  Krankheit  besteht  in 
räumlicher  Vergrösserung  der  Herzhöhlen  mit  Verdünnung 
der  Wände.  Dass  man ,  wie  es  früher  geschah ,  die  excen- 
trische  Hypertrophie  des  Herzens  mit  Unrecht  hieher  rech- 
nete, erhellt  aus  der  Begriffsbestimmung  beider  Krankheiten. 


401 

Sitz.  Sie]  befällt  entweder  das  ganze  Herz  (als  totale 
Dilatation)  oder  einen  oder  den  anderen  Abschnitt  des- 
selben (partielle  Dilatation)  und  vermag*  sich  mit  allen 
Volumsveränderungen  verschiedener  Theile  des  Herzens  zu 
combiniren.  Häufiger  wird  sie  in  dessen  rechter  Hälfte,  be- 
sonders im  Hohlvenensacke  beobachtet,  als  in  dem  linken 
Herzabschnitte. 

Anatomische    Charaktere. 

Vor  Allem  fällt  die  äussere  Form  des  Herzens  in  die 
Augen.  Dasselbe  wird  sehr  breit  und  dessen  Spitze  stumpfer. 
Der  rechte  Ventrikel  reicht  so  tief  zur  Herzspitze  hinab,  als 
der  linke.  Schneidet  man  die  Höhlen  auf,  so  fallen  sie  zu- 
sammen, was  sonst  wenigstens  vom  linken  Ventrikel  nicht 
beobachtet  wird.  (Wären  die  Vorhöfe  bloss  durch  angehäuf- 
tes Blut  ausgedehnt,  wie  diess  nach  langer  Agonie  häufig 
der  Fall  ist,  so  ziehen  sie  sich  nach  der  Entleerung  dessel- 
ben wieder  auf  ihr  normales  Volumen  zusammen,  dieser  Um- 
stand und  die  Berücksichtigung  der  übrigen  anatomischen 
Charaktere  sichert  dann  davor,  beide  Fälle  zu  verwechseln.) 
Die  Höhlen  selbst  sind  erweitert,  das  Endocardium  der  Vor- 
höfe ist  meist  verdickt,  die  Muskelbündel,  besonders  an  den 
äusseren  Herzwänden,  sieht  man  blass,  auseinander  gedehnt, 
zuweilen  selbst  zerrissen.  Oft  ist  das  schlaffe,  mürbe,  leicht 
zerreissliche Muskelfleisch  so  sehr  verdünnt;  ja  beinahe  ge- 
schwunden, dass  besonders  an  der  Herzspitze  Endo-  und 
Pericardium  nur  durch  eine  schmächtige  Lage  Zellgewebes 
von  einander  getrennt  gehalten  werden.  Die  Farbe  der  Mus- 
kelfaser ist  verschieden,  meist  durch  Tränkung  mit  Blutfarbe- 
stoff dunkelroth  ,  seltener  blass,  fetthaltig;  war  Pericar- 
ditis  vorangegangen  ,  so  sieht  das  Fleisch  wie  ausgekocht 
oder  schmutzig  gelbbraun  aus. 

Mit  den  Herzhöhlen  erweitern  sich  auch  die  Mündungen 
derselben ,  besonders   das  linke  Ostium  venosum.    Dass  die 
Natur  durch  Vergrösserung  und   Ausdehnung    der  Klappen 
Gaal.  Diagnostik.  26 


402 

ihrer  Schliessungsunfähigkeit  zuweilen  vorbeugt,  wurde  sei- 
nes Ortes  schon  dargelhan. 

Ursachen    der    Herzerweiterung. 

Als  nächste  Ursache  erkennen  wir  ein  Missverhältniss 
zwischen  der  Elasticität  und  Propulsivkraft   der  Wandungen 
der  Herzhöhlen  und  ihrem  Inhalte.    Ist  ein  solches  vorhan- 
den (wie  es  zuweilen  beim  weiblichen  Geschlechte  angebo- 
ren vorkommt)  oder  tritt  es  ein,  so  kommt  die  Entleerung  des 
Herzens  nur  unvollkommen  zu  Stande,   die  Wände  vermögen 
dem  Drucke  ihres  Inhaltes  nicht  zu  widerstehen,  und  werden 
zu  Gunsten  der  Herzhöhle  ausgedehnt,   die  selbst  das  Dop- 
pelte, ja  Dreifache  ihres  normalen  Umfanges  erreichen  kann. 
Alle  schwächenden  Potenzen,  lange  bestehende  nie- 
derdruckende Gemüthsaffecte,  Ausschweifungen,  Missbrauch 
von  schwächenden  Arzneien,  Jod-  und  Mercurialcuren,  Ent- 
kräftung nach  Typhus,    Bleichsucht,    Herzkrämpfe   und  oft 
wiederkehrendes  nervöses  Herzklopfen,  so  wieAnhäufung 
des  Blutes  im  Herzen  und  den  grossen  Gewissen y  wie 
sie  durch   heftige   convulsivische  Krankheiten  bewirkt  wird, 
können  hieher  bezogen  werden.  Einen  gewichtigen  Einfluss 
üben  ferner  alle  mechanischen  Hindernisse  der  Circula- 
tion,  welche  auch  als  Ursachen  der  Herzhypertrophie  ange- 
geben wurden,  und  nach  uns  noch  unbekannten  Gesetzen, 
bald  die  eine,  bald  die  andere  dieser  Krankheiten  ins  Dasein 
rufen ,  bald  wieder   zur  Verbindung   beider  Anlass   geben. 
Nach  Allem  scheint  es,  dass  plötzlich  einwirkende  mechanische 
Ursachen  der  Erzeugung  einer  Dilatation  günstiger  sind,  als 
der  Hypertrophie  ,   die  zu  ihrer  Heranbildung  ohnediess  län- 
gere Zeit  erheischt.  Erweiterung  der  Vorhöfe  verdankt  ge- 
wöhnlich einer  Blutanhäufung  in  denselben  in  Folge  von  Feh- 
lern der  Klappen  oder  der  Ostien  ihre  Entstehung. 

Pericarditisches  Exsudat  erlahmt  immer,  be- 
sonders aber,  wenn  seine  Bestandtheile  sich  in  Eiter  oder 
in  Jauche  verändert  haben,  die  oberflächlichen  Muskelschich- 
ten des  Herzens  ?    so  dass    diese   dem  Blutdrucke  in  ihren 


403 

Bohlen  nur  geringen  Widerstand  entgegenzusetzen  vermö- 
gen. Dieselbe  Wirkung  haben  dichte  Exsudatschwarten  auf 
die  Oberfläche  des  Herzens  und  Verwachsung  des  letztern 
mit  dem  Pericardium. 

Dass  Endocarditis  und  Entzündung  des 
Herz  fle  isch  e  s  auf  letzteres  erlahmend  einwirken,  ist 
aus  den  diesen  Krankheiten  gewidmeten  Abschnitten  hin- 
länglich bekannt.  Einlagerung  von  Fett  in  die  Herzmuskel 
bringt  diese  ebenfalls  zum  Schwinden. 

Dass  das  rechte  Herz  häufiger  der  Dilatation  unterliegt, 
als  das  linke,  liegt  darin,  dass  jenes  schon  im  Normalzu- 
stände dünnere,  weniger  resistirende  Wandungen  besitzt, 
und  dass  die  meisten  Herz-  und  Lungenkrankheiten  Stasis 
in  dem  kleinen  Kreislaufe  herbeiführen ,  an  deren  Bestehen 
Blutanhäufung  im  rechten  Herzen  und  Erweiterung  dessel- 
ben sich  nothwendig  ketten. 

Wirkungen   und  Folgezustände    der  Herz- 

dil  ata  tion. 

Durch  die  Verdünnung  des  Muskelfleisches  des  Her- 
zens wird  auch  seine  Contractionsfähigkeit  vermindert ,  das 
Resultat  davon  ist  ein  schwächerer  Herz- und  Puls- 
schlag. Dass  mit  der  Abnahme  der  Energie  des  Kreislau- 
fes auch  die  Wärmeentwicklung  nur  eine  verringerte  sein 
könne,  ist  einleuchtend. 

Das  venöse  Blut  wird  aus  dem  ausgedehnten  rechten 
Herzen  mit  verminderter  Kraft  durch  die  Lungenarterien  dem 
Lungenkreislaufe  zugeführt ,  und  bewegt  sich  daselbst  zö- 
gernd ;  passive  Lungenhyperämie,  chronische  Blen- 
norrhoe ,  asthmatische  Anfälle ,  passive  Blutungen,  Lun- 
genödem ,  unvollkommene  Oxydation  des  Blutes ,  das  da- 
durch eine  mehr  venöse  Mischung  erhält ,  sind  nothwendige 
Folgen  der  aufgeführten  pathologischen  Verhältnisse.  Die 
Erweiterung  des  venösen  Herzens,  das  bei  seiner  Überfül- 
lung  das  zurückkehrende  Venenblut  nur  unvollkommen  auf- 

26  # 


40* 

nehmen  kann ,  theilt  sich  den  von  Blut  strotzenden  Venen- 
stämmen und  ihren  Zweigen  im  ganzen  Körper  mit,  so  dass 
nicht  allein  die  grossem  und  oberflächlichen  derselben  (Ju- 
gularvenen,  Varices  der  Füsse)  geschwellt  erscheinen,  son- 
dern eine  durch  dieEntwickelung  der  Blutadern  in  allen  Pro- 
vinzen des  Körpers  sichtbare  Venosität  und  zeitweilige 
oder  dauernde  Cyanose  herbeigeführt  wird. 

Dass  die  Überfüllung  der  Blutleiter  des  Gehirnes  auf 
dasselbe  nur  schädlich  einwirken  und  zu  mancherlei  Kopf- 
krankheiten als  Apoplexie ,  Durchfeuchtung  etc.  Anlass  ge- 
ben könne,  bedarf  wohl  keines  Beweises.  Manche  Störun- 
gen der  Circulation  im  Pfortadersystem  und  den  Unterleibs- 
eingeweiden und  daraus  entspringende  Leberleiden ,  Hämor- 
rhoidalaffectionen  und  Verdauungsstörungen  etc.  finden  in 
der  durch  die  Herzerweiterung  gesetzten  Venosität  ihre  Er- 
klärung. Durch  die  Überfüllung  des  Capillarsystemes  und  die 
träge  Blutbewegung  werden  seröse  Exhalationen  und  h  y- 
dropische  Anschwellungen  begünstigt. 

Der  Tod  kommt  durch  Herzlähmung,  acutes  Lungen- 
ödem, Hirnapoplexie,  seltener  durch  passive  Lungenblu- 
tung zu  Stande. 

Diagnose.  Da  die  meisten  Erscheinungen,  womit  die 
in  Rede  stehende  Krankheit  verlauft,  auch  der  Hypertrophie 
des  Herzens  zukommen ,  so  wollen  wir  sie  hier  nicht  wie- 
derholen. Dass  der  Puls  schwach  und  gleichsam  unterdrückt 
zu  fühlen  ist,  wurde  schon  dargethan  ;  gleichzeitig  beste- 
hende Klappenfehler  können  aber  seine  Qualität  verändern. 

Inspection.  Die  Jugularvenen  sind  häufig  geschwellt, 
besonders  bei  Dilatation  des  rechten  Ventrikels  und  können 
selbst  pulsiren,  wenn  das  Ostium  venosum,  bei  der  Aus- 
dehnung des  rechten  Herzens  durch  die  Klappen,  nicht  mehr 
geschlossen  werden  kann ,  oder  diese  so  verdünnt  und  ge- 
dehnt sind,  dass  sie  bei  der  Zusammenziehung  des  Herzens 
sich  wölben  und  gegen  den  rechten  Vorhof  hin  aufgedrängt 


405 

werden,  so  dass  in  beiden  Fällen  die  Herzsystole  auf  das  in  das 
Atrium  einströmende  Blut  eine  rückgängige  Bewegung  ausübt. 

Der  Anschlag  der  Herzspitze  ist  kaum  sichtbar  und  er- 
scheint bei  aufrechter  Stellung  des  Kranken  selbst  tiefer  ge- 
gen die  Herzgrube  zu  wahrzunehmen. 

Palpation.  Ist  der  Herzschlag  zu  fühlen,  so  ist  er 
jedenfalls  schwach  aber  ziemlich  verbreitet.  Zuweilen  wird 
derselbe  fast  zitternd  oder  selbst,  besonders  nach  vorüber- 
gehender Aufregung,   zeitweilig  unfühlbar. 

Percussion.  Das  Plessimeter  gibt  in  einem  gewöhn- 
lich grossen  Umfange  gedämpften  Schall  beim  Anklopfen  mit 
etwas  Resistenz.  Besteht  zugleich  Lungenemphysem  der  vor- 
dem linken  Seite ,  so  gehen  die  Marken  der  Dämpfung  des 
Schalles  verloren. 

Auscultation.  Man  hört,  wenn  die  Krankheit  nicht 
mit  Klappenfehlern  complicirt  ist,  nie  ein  Geräusch ,  sondern 
beide  Töne  gleich  kurz  und  klarer  als  im  Normalzustande, 
was  besonders  vom  ersten  Tone  gilt,  der  im  Normalzustande 
dumpfer  und  länger  gehört  wird,  als  der  zweite.  Weitere 
Verbreitung  der  Herztöne,  welche  Ho pe  als  bezeichnend 
anführt,  können  wir  nur  als  ein  zufälliges,  von  Nebenum- 
ständen abhängiges ,  keineswegs  aber  der  Herzdilatation  ei- 
genthümliches  Symptom  gelten  lassen. 

Differenzen.  1.  Hypertrophie  des  Herzens,  die  üb- 
rigens häufig  mit  Dilatation  vereint  vorkommt ,  charakteri- 
sirt  sich  durch  den  sichtbaren  und  fühlbaren  Herzimpuls,  der 
die  Brustwand  und  die  aufgelegte  Hand  hebt,  und  den  im 
grösseren  Umfange  gedämpften  Percussionsschall ;  durch 
das  Stethoscop  vernehmen  wir  von  den  beiden  Herztönen 
den  ersten  dumpf  und  gedehnt,  während  er  bei  der  Dilatation 
kurz  und  hell  ist.  Hydropische  Erscheinungen  entwickeln 
sich  erst  spät  bei  Hypertrophie,  der  Puls  ist  kräftig,  und 
die  Jugularvenen  verhalten  sich  normal. 

2.  Lungenemphysem  der  linken  Seite  wird  wohl 
auch  von  Fehlen  des  Herzimpulses  oder  von  dessen  Gegen- 


406 

wart  in  der  Herzgrube,  Erscheinungen  der  Venosität  und 
zuweilen  von  Schwellung  der  Drosselvenen  begleitet,  allein 
das  Herz  ist  aus  seiner  Lage  verdrängt ,  der  Percussions- 
schall  in  der  Regio  praecordialis  hell  und  klar  und  selbst  im 
nicht  seltenen  Complicationsfalle  mit  excentrischer  Hyper- 
trophie des  rechten  Herzens  in  geringerem  Umfange  ge- 
dämpft. 

Für  die  Erweiterung  der  Vorhöfe  haben  wir 
noch  keine  physicalischen  Kennzeichen. 

Hie  organischen  Klappeiikraiikheiten. 

Unter  denselben  sind  die  meisten  als  Folgen  einer  En- 
docarditis  zu  bezeichnen  und  kommen  so  wie  diese  am  häu- 
figsten im  linken  Herzabschnitte  vor. 

Hypertrophie  und  Verdickung  einer  oder  der 
andern  Klappe  entstehen  zuweilen  aus  Reichthum  an  plasti- 
scher Materie  und  lebendigerem  Bildungstriebe  oder  sie  sind 
Folgen  der  Endocarditis ,  wenn  nach  deren  Verlaufe  das  fa- 
serstoffige  Exsudat  sich  bis  zu  physiologischem  Fasergewebe 
organisirt.  Gewöhnlich  wirkt  eine  derartige  Krankheit  nicht 
besonders  schädlich  auf  das  freie  Spiel  der  Klappen  ein. 

Vergrösserung  und  Verdünnung  der  Klappen 
scheint  in  Fällen  von  Erweiterung  des  betreffenden  Ostium 
das  Heilbestreben  der  Natur  zu  bezeichnen,  welche  dadurch 
einer  Insufficienz  der  Klappen  vorbeugt. 

Von  den  Vegetation  en  ward  schon  in  dem  der  En- 
docarditis gewidmeten  Abschnitte  gehandelt. 

Verwachsung  der  Klappenzipfel  unter  sich  oder  mit  der 
Herzwand,  oder  den  Sehnenfäden ,  so  dass  die  Täschchen 
an  ihrer  Insertion  verschwinden  ,  kommt  bei  der  grossen  Lö- 
thungsfähigkeit  des  Faserstoffes  um  so  leichter  zu  Stande, 
da  die  genannten  Gebilde  durch  den  entzündlichen  Process 
ihres  Epithelium  beraubt  sind. 

Dass  die  knorpelartige  Verdickung  hauptsäch- 
lich den  Insertionsring  ?der  Klappen  betrifft ,  aber  auch  letz- 


407 

tere  allein  oder  zugleich  ihre  Papillarsehnen  ergreifen  kann, 
ist  ebenfalls  bekannt. 

So  wie  die  knorpelartige  Verbildung,  eben  so  betrifft  die 
sogenannte  Verknöcherung'  oder  Verkalkung'  sehr 
häufig*  den  Insertionsring'  der  Klappen  und  setzt  sich ,  wie 
schon  erwähnt  wurde ,  selbst  nach  aussen  ans  Pericardium 
fort.  Hiedurch  wird  die  Klappe  zu  ihrer  Function  untaug- 
lich und  steht  starr  gegen  das  betreffende  Ostiura  gerichtet. 
An  den  Klappen  der  Aorta  greift  der  Verknöcherungspro- 
cess ,  der  hier  besonders  gedeiht,  nicht  selten  in  letztere 
über,  ein  Umstand,  der  an  dieser  Stelle  mehreren  Krank- 
heiten zukommt. 

Dass  Atherome  an  den  Klappen  vorkommen,  ist  schon 
erwähnt  worden.  Es  versteht  sich  übrigens  von  selbst,  dass 
ein  faserstoffiges  Exsudat  an  einer  und  derselben  Klappe  alle 
angeführten  Entwickelungsstufen  darbieten  kann. 

Die  Bildung*  von  Abscessen,  Geschwüren  in  den 
Klappen  ,  welche  selbst  letztere  durchbohren  können ,  und 
die  Entstehung  von  Klappenaneurysmen  braucht  hier 
nicht  wiederholt  zu  werden ,  ich  verweise  desshalb  auf  den 
Artikel  Endocarditis. 

Durch  den  Druck,  den  callös  gewordene 'Exsudate,  Ver- 
meidung derselben  oder  Atherombildung  auf  eine  Klappe  aus- 
üben ,  erfolgt  Schwund  ihres  Gewebes  in  allen  Durch- 
messern und  zuweilen  in  dem  Grade ,  dass  nur  noch  am  In- 
sertionsringe  Spuren  derselben  bemerkt  werden. 

Eine  andere  Art  von  Atrophie  der  Klappen  ist  aber  der 
Involutionsperiode  eigen  und  zeigt  sich  in  Verdünnung,  ja 
selbst  Durchlöcherung  der  Valveln.  Zu  bemerken  ist,  dass 
dieser  Zustand  häufig  an  den  Aortenklappen  vorkommt  und 
dann  oft  mit  Erweiterung  des  linken  Ventrikels  und  der  Aor- 
tenmündung  einhergeht. 

Eintheilung.  Der  Einfluss ,  den  die  Klappenfehler 
zunächst  auf  die  Circulation  ausüben ,  ist  zweifach ,  dem 
zufolge  werden  sie  auch  in  zwei  Klassen  eingetheilt:  1.  Ia 


408 

die  der  Insufficienz  oder  regurgitircnden Klappenkrank- 
heiten (Williams);  2.  die  der  Verengerung  oder  Ste- 
nose der  Herzmündung. 

Sitz  der  Klappen  kr  ankheite  n. 

Nach  der  Häufigkeit  ihres  Vorkommens  können  sie  in 
folgende  Reihe  gebracht  werden:  Krankheiten  der  Bicuspi- 
dalklappe  des  linken  Ostiurn  venosum ,  der  Aorten-  und  end- 
lich der  dreizipflijren  Klappe. 

1.    Insufficienz    der   Klappen. 

Begriff.  Darunter  wird  ein  Zustand  verstanden,  wo 
das  nicht  Schliessen  der  Klappen  dem  Blute  den  Rückfluss 
in  den  Ventrikel  gestattet,  der  doch  im  Normalzustande  ge- 
hindert ist. 

Aus  Vorhergehendem  erhellt,  dass  die  Krankheitszu- 
stände ,  welche  eine  Klappe  schliessungsunfähig  machen, 
diese  entweder  selbst  betreffen ,  oder  in  einer  krankhaften 
Veränderung  der  Papillarsehnen,  Warzenmuskeln,  der  Herz- 
wände oder  mehrerer  zugleich  begründet  sind  ,  nämlich : 

«)    In  den  Klappen. 

Schwund  derselben  durch  Druck,  Geschwürsbildung  und 
dadurch  oder  durch  Atrophie  bedingte  Durchlöcherung,  Zer- 
reissung  durch  entzündliche  Auflockerung  und  endlich  Athe- 
rombildung. 

b)  In  den  Papillarsehnen. 

Verdickung  und  Verkürzung  derselben  durch  Faserstoff- 
exsudat, strangartige  Verwachsung  einiger  Sehnenfäden, 
Anlöthung  derselben  an  die  untere  Fläche  der  Klappe ,  wo- 
durch diese  in  ihrem  Spiele  gehindert  wird ,  Zerreissung 
der  Sehnen. 

c")  In  den  Papillarmuskeln. 

Verminderte  Elasticität  durch  entzündliche  Lockerung, 
Verkürzung,  Atrophie  durch  Druck,  eitrige  Zerfliessung 
des  abgelagerten  Exsudates,  fettige  Entartung  des  Muskel- 


409 

fleisches ,  endlich  Zerreissung  desselben  aus  was  immer  für 
Ursachen. 

d)  In  den  Herzwandungen. 

Herzaneurysma ,  so  wie  Dilatation  der  Kammern ,  wenn 
sie  so  beträchtlich  ist,  dass  auch  die  Herzmündungen  erwei- 
tert und  von  den  Klappen  nicht  mehr  hinlänglich  geschlossen 
gehalten  werden. 

2.  Die  Stenose  der  Herzmündungen. 

Begriffsbestimmung.  Unter  diesem  Zustande  ver- 
steht man  organische  Krankheiten,  welche  die  Herzmündun- 
gen in  dem  Grade  verengen ,  dass  dadurch  der  Blutströ- 
mung Hindernisse  gesetzt  werden  (nach  Williams  obstru- 
ctive Krankheiten) ;  diese  sind : 

d)  Verengung  des  Insertionsring'es  der 
Klappen  durch  Excrescenzen ,  Callositäten ,  Kalkconcre- 
mente. 

b)  Rigidität  der  Klappenzipfel,  so  dass  diese 
von  dem  Blutstrome  unbewegt,  starr  gegen  die  Herzmündung 
geneigt  bleiben. 

c)  Verwachsung  der  Klappenzipfel  unter  sich  oder 
mit  der  Herz-  oder  Gefässwand,  im  ersten  Falle  entsteht  eine 
trichterförmige  Verengerung. 

Verhältniss  der  Stenose  zur  Insufficienz. 
Länger  andauernde  Stenosen  haben  häufig  Klappenin- 
sufficienzen  in  ihrem  Gefolge,  aber  nicht  umgekehrt ,  da  die 
krankhaften  Processe,    wodurch  jene  bedingt  sind,  endlich 
Schwund  der  Klappen  herbeiführen. 

Von  den  einzelnen  KlapnenkrankheHen    ins* 

besondere. 

Schliesst  die  zweispitzige  Klappe  nicht 
hinlänglich ,  so  strömt  ein  Theil  des  im  linken  Ventrikel  be- 
findlichen Blutes ,  während  dessen  Systole ,  in  den  linken 
Vorhof  zurück.  Dieser  aber  ist  ohne  diesen  Zuschuss,  schon 
von  dem  durch  die  Lungenvenen  einströmenden  arteriellen 


410 

Blute  erfüllt,  und  wird,  nicht  mehr  im  Stande  der  unverhält- 
nissmässigen  Blutmenge  zu  widerstehen ,  von  derselben 
ausgedehnt ;  im  Bestreben  aber  sie  durch  vermehrte  Muskel- 
contraction  zu  überwinden,  hypertrophisch.  Da  aber  das  aus 
dem  Ventrikel  zurückgeworfene  Blut  mit  einer  grösseren  Kraft 
dem  Strome  aus  den  Lungenschlagadern  begegnet ,  als  die- 
ser zu  bewältigen  vermag,  so  wird  derselbe  nicht  vollstän- 
dig entleert  und  es  entsteht  Blutüberfüllung  in  den  Capillar- 
gefässen  der  Lunge.  Diese  wirkt  aber  ferner  auf  das  in  der 
Lungenarterie  enthaltene  venöse  Blut  zurück ,  so  dass  Er- 
weiterung letzterer  entsteht,  welche  wieder  Dilatation 
und  Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels  in 
ihrem  Gefolge  hat ,  indem  sich  dieser  nicht  seines  Inhaltes 
gehörig  entleeren  kann,  ja  noch  mehr  !  selbst  der  rechte  Vor- 
hof und  die  in  denselben  mündenden  Venenstämme  entgehen  der 
Blutüberfüllung  nicht. 

Die  durch  diess  mechanische  Hinderniss  der  Blutbahn 
bewirkte  Hyperämie  der  Lungen  erzeugt  wieder  mannigfache 
Leiden  derselben,  als:  Häufige  Dyspnoe,  asthmatische  An- 
fälle, Catarrhe,  Blennorrhöen,  Bluthusten,  Bronchialerweite- 
rung einerseits,  anderseits  hingegen  Verdickung  der  Schleim- 
haut und  dadurch  bedingte  Verengerung  eines  Bronchial- 
astes mit  consecutivem  Lungenemphyseme  und  Ödem  der 
Lungen. 

Die  unvollkommene  Aufnahme  des  ins  rechte  Herz  strö- 
menden venösen  Blutes  bedingt  vorwaltende  Venosität  des 
ganzen  Körpers  und  dadurch  Congestionen  zum  Gehirne,  An- 
schwellungen der  Leber,  der  Milz  ,  Goldaderbeschwerden, 
varicöse  Geschwüre ,  Ödem  an  den  Füssen,  alle  Formen  von 
Hydrops,  Bright's  Nierengranulation  und  selbst  in  seltenen 
Fällen  eine  Entmischung  des  Blutes,  die  sich  der  scorbuti- 
sehen  nähert. 

Man   hat  aber  auch  nicht  selten  Fälle  beobachtet,    in 
denen  die  venöse  Blutcrasis  den  Kranken  zum  Heile  diente, 
denn  sie  ist  es ,  welche  viele  Leiden ,  die  in  einer  arteriel- 


411 

len  Blutmischung  wurzeln  ,  aufhebt  und  ausschliesst,  z.  B. 
die  Tuberculose  der  Lungen,  indem  sie  dafür  eine  andere 
Krankheit  setzt,  der  ihre  Opfer  nicht  unbedingt  oder  wenig- 
stens langsamer  unterliegen. 

Diagnose.  Nur  durch  die  physicalische  Untersuchung 
ist  man  im  Stande ,  auf  diese  Klappenkrankheit,  so  wie  auf 
alle  andern  ,  einen  sichern  Schluss  zu  fällen. 

Die  consecutive  Hypertrophie  und  Erweiterung  des  rech- 
ten Herzens  gibt  sich  durch  verstärkten  Herzstoss 
und  den  eine  grössere  Ausdehnung  nach  der  Breite  des 
Herzens  einnehmenden  P  ercuss  i  o  n  s  s  ch  all  zu  erken- 
nen. Durch  die  Ausculfation  hören  wir  mit  der  Systole 
ein  blasendes  Geräusch,  dessen  grösste  Intensität 
der  Gegend  der  Bicuspidalklappe  zukommt ,  der  zweite  Ton 
des  Herzens  kann  vernehmbar  oder  undeutlich  erscheinen. 
Der  zweite  Ton  der  Lungenschlagader  ist  fast 
immer  verstärkt.  Zugleich  erscheint  weicher,  zusammen- 
drückbarer Art  eri  e  npuls  ,  da  wegen  des  Regurgitirens 
des  Blutes  in  dem  linken  Vorhof  eine  geringere  Menge  des- 
selben in  die  Aorta  getrieben  wird. 

Stenose  des  linken  0 siium  veno s  um. 

In  diesem  Falle  ergiesst  sich  das  Blut  aus  dem  Vorhofe 
unvollkommen  in  die  Kammer,  reibt  sich  an  der  verengten 
und  meistens  auch  rauhen  Eingangsstelle  und  hat  den  Ven- 
trikel noch  nicht  erfüllt,  wenn  schon  dessen  Systole  beginnt. 

Das  im  Vorhofe  zurückbleibende  Blut  verhält  sich  zu  dem 
neu  einströmenden,  so  wie  das  bei  der  Insufficienz  der  zwei- 
spitzigen Klappen  in  den  Vorhof  zurückgeworfene.  Das  me- 
chanische Hinderniss  ist  in  beiden  Fällen  dasselbe,  Blut- 
überfüllung im  Vorhofe  hier  und  dort,  es  ist  daher  einleuch- 
tend, dass  die  weiteren  Folgen  der  Stenose  mit  denen  der 
genannten  Insufficienz  übereinstimmen ,  nur  treten  sie  bei 
Verengerung  schneller  auf,   und  erreichen  einen  hohen  Grad, 


41» 

wenn  beide  Zustände  sich  miteinander  combiniren ,  was  sehr 
häufig'  geschieht. 

Hier  sind  wieder  die  Erscheinungen  der  consecutiven 
Hypertrophie  (mit  und  ohne  Dilatation)  des  rechten  Herzens 
auffallend,  nämlich  verstärkter  Herzimpuls,  matter 
Percussionsschall  der  Breite  des  Herzens  nach,  wie 
bei  der  Insufficienz  der  Bicuspidalklappe,  nur  die  Ausculta- 
tion  zeigt  statt  des  zweiten  Tones  im  linken  Ven- 
trikel ein  gedehntes  Rauschen;  der  zweite  Ton 
der  Lungenschlagader  ist  häufig  verstärkt.  Die  aufgelegte 
Hand  fühlt  ein  Schwirren,  das  nach  längerer  Dauer  des 
Leidens,  wenn  die  Kraft  des  Herzens  endlich  erlahmt,  ver- 
schwindet. Der  Puls  der  Arterien  ist  wie  bei  der  Insufficienz 
der  Mitralklappen. 

Häufig  ist  diese  Krankheit  mit  letzterer  complicirt ,  in 
diesem  Falle  hört  man  während  der  Systole  und  Diastole 
Geräusche. 

Insufficienz  der  Aortenklappen. 

Schliessen  die  halbmondförmigen  Klappen  nicht,  so  stürzt 
bei  jeder  Erweiterung  des  linken  Ventrikels  ein  Theil  des  durch 
dessen  Zusammenziehung  der  Aorta  überantworteten  Blutes 
wieder  in  denselben  zurück.  Hiedurch  entsteht  Blutanhäu- 
fung in  der  Herzkammer ,  die  sich  endlich  erweitern  muss, 
durch  verstärkte  Muskelkraft  sich  des  ihr  aufgebürdeten 
Inhaltes  zu  entleeren  strebt,  und  dadurch  dem  Gesetze  ver- 
fällt ,  nach  welchem  jeder  übermässig  angestrengte  Muskel 
hypertrophisch  wird. 

Die  Aorta  entleert  sich  bei  jeder  Systole  nach  zwei  Sei- 
ten, nach  der  Blutbahn  nämlich  und  nach  der  entgegenge- 
setzten durch  ihren  insufficienten  Klappenapparat,  hiedurch 
geschieht  es ,  dass  sie  plötzlich  zusammenfällt ,  um  dann 
schnell  von  der  neu  eindringenden  Blutwelle  wieder  ausge- 
dehnt zu  werden.  Hierauf  beruht  der  diesem  Klappenfehler 
eigenthümliche  Puls,  von  dem  weiter  unten  die  Rede  sein 
wird.   Die  Arterien  der  oberen  Hälfte  des  Körpers  werden 


413 

nach  und  nach  verdickt  und  verlängert ,  so  dass  sie  in  mehr 
Krümmungen  verlaufen. 

Die  Blutmischung  ist  bei  diesem  Klappenfehler  eine  ar- 
terielle und  führt  alle  dieser  entsprechenden  Krankheiten  in 
ihrem  Gefolge ,  als :  Neigung  zur  Cerebralapoplexie ,  zu 
Entzündungen  etc.  Erst  wenn  die  consecutive  Hypertrophie 
des  linken  Ventrikels  auch  den  rechten  in  die  Sphäre  der 
Erkrankung*  gezogen,  was  meistens  sehr  spät  geschieht, 
oder  im  Complicationsfalle  mit  einer  organischen  Krankheit 
des  linken  Ostium  venosum  zeigen  sich  Blutüberfüllung  der 
Lungen,  Ödem  derselben  oder  hydropische  Erscheinungen. 
Der  Tod  erfolgt  meistens  durch  acutes  Lungenödem,  Ge- 
hirnapoplexie oder  durch  Herzlähmung. 

Diagnose.  Aus  den  vorhergehenden,  pathologisch-ana- 
tomischen Angaben  erhellt,  dass  es  derphysicalischen  Untersu- 
chung hier  besonders  obliegt ,  die  Zeichen  der  consecutiven 
Hypertrophie  des  linken  Herzens  (mit  oder  ohne  dessen  Erwei- 
terung) und  die  dem  Übel  selbst  eigenthümlichen  Geräusche 
aufzufinden.  Es  erscheint  somit  ein  kräftigerHerzimpuls, 
der  die  Brustwand  erschüttert,  der  P  er  cus  sionss  ch  all 
nach  dem  L  ängendurc  hm  e  sser  des  Herzens  in  grös- 
serer Ausdehnung  gedämpft ;  im  linken  Ventrikel  hört  man 
gleich  nach  der  Systole  und  mit  dem  zweiten  Tone  ein 
Geräusch,  dessen  grösste  Stärke  in  der  Gegend  der  Aorten- 
klappen ist ,  und  das  gegen  die  Herzspitze  zu  abnimmt,  sich 
aber  durch  die  Aorta  hin  selbst  bis  in  die  Carotiden  fort- 
pflanzt. Der  erste  Ton  der  Aorta  ist  meistens  auch  unrein, 
da  sich  gewöhnlich  zugleich  Rauhigkeiten  in  derselben  vor- 
finden. Der  Puls  der  kleinen  Arterien  wird  kurz ,  schnellend 
und  gleich  wieder  zusammensinkend  gefühlt. 

Stenose  der  Aortenmündung. 

Diese  bewirkt  in  Hinsicht  auf  den  linken  Ventrikel  das- 
selbe ,  was  wir  der  Aortenklappeninsufficienz  zur  Last  ge- 
legt haben ,  nämlich  BlutüberlüUung  und  consecutive  Hyper- 


414 

trophie  mit  Dilatation  desselben,  die  bald  beträchtlich  zu- 
nimmt und  sich  endlich  über  das  ganze  Herz  erstreckt ;  nur 
ist  hier  die  verengerte  Aortenmündung  das  Hinderniss,  wel- 
ches den  Austritt  des  Blutes  aus  der  Herzkammer  hemmt, 
indem  derselben  neues  Blut  zugeführt  wird ,  während  dort 
dieses  aus  der  nicht  vollkommen  abgeschlossenen  Aorta  re- 
gurgitirt.  Die  Stenose  erreicht  an  der  Aortenmündung  oft 
einen  sehr  hohen  Grad,  um  so  mehr,  wenn  auch  noch  Kx- 
crescenzen  zur  Verkleinerung  des  Canales  ,  den  der  Blut- 
strom passiren  soll,  das  Ihrige  beitragen.  Zuweilen  combi- 
nirt  sich  dieser  Zustand  mit  consecutiver  Insufficienz  der  Se- 
milunarklappen.  Dass  durch  diese  Stenose  Blutarmuthin  den 
Arterien,  Anämie  des  Gehirns  etc.  und  ein  kleiner  Puls  ent- 
stehen, erhellt  aus  den  angeführten  pathologischen  Ver- 
hältnissen. 

Diagnose.  Da  diese  Krankheit  in  den  nächsten  Wir- 
kungen mit  denen  der  Bicuspidalinsufficienz  übereinstimmt, 
so  zeigt  sich  auch  in  den  physicalischen  Zeichen  beider  ein 
Einklang.  Doch  ist  der  Herzstoss  hier  nicht  so  bedeu- 
tend (ausser  es  bestände  zugleich  Insufficienz  der  Semilu- 
narklappen)  ;  häufig  tritt  fühlbares  Schwirren  hinzu  und 
man  hört  im  linken  Ventrikel  ein  Geräusch  mit  dem 
ersten  Tone,  das  sich  in  die  Aorta  verbreitet.  Ist  die 
Stenose  beträchtlich,  so  wird  das  Geräusch  scharf,  fast 
pfeifend  j  im  höchsten  Grade  aber  derselben  oder  bei  Erlah- 
mung der  Herzthätigkeit  verschwindet  es,  da  im  ersteren 
Falle  der  Blutstrom  ein  zu  kleiner ,  somit  auch  seine  Rei- 
bung eine  zu  geringe  ist,  um  ein  auffallendes  Geräusch  zu 
bewirken.  Der  zweite  Ton  erscheint  so  lange  rein,  als  die 
Klappen  nicht  schliessungsunfähig  geworden  sind. 

Insufficienz   der    drei  zipflige n   Klappe. 

Diese  kommt  im  Allgemeinen  ziemlich  selten  vor,  da 
der  endocarditische  Process  fast  nur  den  linken  Ventrikel 
befällt ,    und  wird  bisweilen  in  Verbindung  mit  Bicuspidal- 


415 

klappenin sufficienz  beobachtet.  Durch  das  Offenstehen  des 
rechten  Ostium  venosum  gelangt  während  der  Systole  der 
Kammer  ein  Theil  des  Blutes  in  den  rechten  Vorhof,  erwei- 
tert und  hypertrophirt  denselben  nach  den  bekannten  Gese- 
tzen, so  wie  es  die  Stämme  des  ganzen  Venensystems  aus- 
dehnt, die  ihrer  Structur  nach  demselben  nur  einen  geringe- 
ren Widerstand  zu  leisten  im  Stande  sind;  dadurch  sehen 
wir  die  Drosseladern  geschwollen  und  wie  sich  derStossder 
zurückgeworfenen  Blutwelle  selbst  in  diese  fortpflanzt,  wo 
er  als  Venenpuls  erscheint.  Hiedurch  entstehen  vorwaltende 
Venosität ,  passive  Lungencongestionen ,  Cyanose  und  hy- 
dropische  Blutmischung. 

Combination  mit  Stenose  des  linken  Ostium  venosum 
schwächt  die  schädliche  Einwirkung  des  eben  abgehandelten 
Klappenfehlers  auf  die  Lungen. 

Die  Zunahme  des  rechten  Vorhofes  bewirkt  einen  nach 
der  Breite  des  Herzens  bis  über  den  rechten  Rand  des  Brust- 
beines reichenden ,  matten  Perc  us  sio  n  sto  n.  Der  erste 
Ton  ist  im  rechten  Ventrikel  durch  ein  Geräusch  ersetzt,  der 
zweite  meistens  undeutlich.  Ein  charakteristisches  Kenn- 
zeichen gibt  für  diesen  Herzfehler  die  Schwellung  und  Pul- 
sati on  derJugularvenen  ab,  welches  mit  der  auffal- 
lenden Entwickelung  des  Venensystems  gleichen  Schritt  hält. 

Stenose  des  rechten  Ostium  venosum  ward 
einmal  im  Vereine  mit  Insufficienz  und  Stenose  der  Bicuspi- 
dalklappe  von  Zehetmayer  beobachtet. 

Die  Klappen  der  P  ulm  onalar  ter  ie  erkranken  äus- 
serst selten,  und  haben  Dilatation  und  Hypertrophie  des  rech- 
ten Ventrikels  in  ihrem  Gefolge.  Ihre  physicalischen  Sym- 
ptome wurden  noch  nicht  mit  hinreichender  Bestimmtheit 
erkannt. 

Rauhigkeiten  am  Endocardium  bewirken  auch  Ge- 
räusche; sind  dabei  die  Klappen  normal  beschaffen,  so  hört 
man  am  Ende  derselben  die  Herztöne  deutlich.  Nach  Ha- 
mernjk  bewirkt  anch   der  anomale   Verlauf  schwin- 


416 

gungsfähiger  Sehnenfäden  während  der  Systole  Geräusche  , 
da  die  Blutströmung  während  der  Diastole  nicht  hinreichend 
kräftig*  ist,  solche  hervorzurufen.  Welcher  von  beiden  Zu- 
ständen aber  Statt  finde,  zu  entscheiden,  ist  erst  der  Zukunft 
vorbehalten. 

Durch  die  physicalische  Untersuchung  werden  wir  somit 
von  dem  Vorhandensein  einer  Insufficienz  oder  einer  Stenose 
mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  in  Kenntniss  gesetzt  ;  wel- 
cher Art  aber  die  zu  Grunde  liegenden  Krankheitsprocesse 
seien,  ob  das  Entzündungsproduct  als  callöse  Masse,  als 
kalkartige  Ablagerung  oder  als  Atherom  etc.  störend  ein- 
wirke, zu  erkennen,  liegt  ausser  dem  Bereiche  der  Au- 
scultation. 

Die  Cyanose. 

Begriff.  Diese  Krankheit,  welche  so  wenig  als  selbst- 
ständiges Leiden  zu  betrachten  ist,  als  z.  B.  Icterus,  son- 
dern nur  als  ein  Symptom  verschiedener  Circulationskrank- 
heiten  angesehen  werden  soll,  äussert  sich  durch  blaue  Fär- 
bung der   Haut ,    besonders  an  ihren  sonst  rötheren  Theilen. 

Ursachen.  Alle  Krankheiten,  welche  eine  venöse  Cra- 
sis  und  capilläre  Blutüberfüllung  in  ihrem  Gefolge  haben, 
sind  als  Ursachen  der  Cyanose  zu  bezeichnen;  und  so  wie 
diese  entweder  permanent  oder  vorübergehend  einwirken,  er- 
scheint auch  die  Blausucht  bleibend  oder  wandelbar.  Zuwei- 
len tritt  die  Krankheit  erst  spät  nach  der  Geburt  auf,  vielleicht 
erst  dann,  wenn  das  Missverhältniss  eines  Gefässtammes 
zu  dem  Herzen  oder  zur  ganzen  Blutmasse  sich  hinreichend 
entwickelt  hat. 

Man  ist  gewohnt ,  das  Offenbleiben  des  Foramen  ovale 
oder  des  Ductus  Botalli  (die  sich  gewöhnlich  bis  zur  dritten 
Woche  nach  der  Geburt  schon  geschlossen  haben) ,  so  wie 
das  Fehlen  der  Vorhofsscheidewand  und  die  dadurch  veran- 
lasste Beimischung  von  venösem  Blute  unter  das  arterielle , 
als  Ursache  der  Cyanose  zu  betrachten ,  allein  mit  Unrecht ; 
denn  so  lange  die  grossen  Gefässe  und  die  Herzmündungen 


417 

im  normalen,  räumlichen  Verhältnisse  stehen,  kommt  die  ge- 
nannte Blutmischung*  gar  nicht  zustande  und  es  liegen  häu- 
fige Beispiele  obiger  Bildungsfehler  vor,  ohne  dass  im  Leben 
irgend  ein  krankhaftes  Symptom  auf  das  Bestehen  eines  der- 
selben hingewiesen  hatte. 

Fin  Anderes  ist  es ,  wenn  bei  offenem  ovalen  Loche  das 
Verhältniss  der  Gefässstämme  zum  Herzen  oder  zur  Blutbahn 
ein  abnormes  ist,  z.  B.  in  den  Fällen,  in  welchen  zugleich 
entweder  die  Aorta  oder  die  Lungenarterie  verengt  ist.  In 
jedem  dieser  beiden  Fälle  kann  sich  der  Ventrikel  nicht  seines 
Inhaltes  vollkommen  entleeren  und  hemmt  dadurch  auch  den 
Übertritt  des  Blutinhaltes  des  Atrium  in  die  Kammer.  Auf  diese 
Weise  wird  dann  derÜberschuss  des  Blutes  durch  das  offene 
eirunde  Loch  aus  einem  Vorhofe  in  den  andern  getrieben  und 
eine  Vermischung  beider  Blutströme  herbeigeführt.  — - 
Dasselbe  geschieht  auch,  wenn  eine  angeborne  Stenose  des 
Ostium  venosum  oder  seiner  Klappen  Blutanhäufung*  im  Vor- 
hofe bewirkt. 

Strömt  durch  den  offenen  Ductus  Botalli ,  der  die  Ar~ 
teria  pulmonalis  mit  der  Aorta  verbindet ,  venöses  Blut  aus 
der  Lungenarterie  in  die  Aorta,  so  empfängt  der  rechte  Vor- 
hof aus  den  Hohlvenen  eine  grössere  Blutmenge ,  als  dem 
linken  Atrium  zuströmt  und  übergibt  dem  letzteren  seinen 
Überschuss  durch  das  offene  eirunde  Loch.  —  Findet  der  ent- 
gegengesetzte Fall  Statt,  nämlich  dass  die  Lungenarterie 
durch  den  erweiterten  Botallischen  Gang  arterielles  Blut 
aus  der  Aorta  empfängt ,  so  wirkt  die  Blutüberfüllung  der 
Lungenarterie  auf  das  rechte  Herz  zurück,  und  bedingt 
gleichfalls  das  Überströmen  des  Blutes  aus  dem  strotzenden 
rechten  Vorhofe  in  den  linken,  und  somit  Cyanose. 

Mangel  der  Scheidewand  der  Vorhöfe  bewirkt  an  und 
für  sich  noch  keine  Blausucht ,  wohl  aber  bei  bedeutender 
Verengerung*  oder  Verschliessung  der  Lungenarterien,  so 
dass  die  Aorta  zugleich  aus  beiden  Ventrikeln  entspringt, 
und  sowohl  die  grosse  als  kleine  Blutbahn  versehen  muss; 
Gaal  Diagnostik.  27 


418 

untüchtig*  zur  Erfüllung-  dieser  doppelten  Function ,  hindert 
sie  das  Einmünden  des  aus  der  Peripherie  des  Körpers  zu- 
rückkehrenden Blutes  in  das  rechte  Herz,  bewirkt  auf  diese 
Weise  Überfüllung  des  ganzen  capillaren  Systemes,  und 
hiedurch  Cyanose« 

Wichtig  ist  es,  dass  nach  Breschet's  Beobachtung 
die  Arieria  subclavia  der  linken  Seite  aus  der  Arteria  pul- 
monaüs  entspringen ,  mithin  offenbar  venöses  Blut  führen 
kann,  ohne  dass  die  entsprechende  Extremität  eine  veränderte 
Färbung  gezeigt,  die  nur  dann  entsteht,  wenn  bei  einem 
Aneurysma  caricnsum  durch  das  Einströmen  des  arteriösen 
Blutes  in  eine  Vene,  die  Rückkehr  des  venösen  Blutes  ver- 
zögert wird;  eine  Erscheinung,  die  man  an  jeder  Extremi- 
tät nach  Belieben  nachahmen  kann,  wenn  man  durch  Ligatur 
und  Compression  derselben  die  Entleerung  des  Venenblutes 
verhindert  {jL  e  he  tm  ay  er  #). 

Zur  Entstehung  der  cyanotischen  Färbung  tragen  übri* 
gens  alle  organischen  Herzkrankheiten  bei,  welche  die  Lun- 
gencapillarbahn  überfüllen  und  excentrische  Hypertrophie  des 
rechten  Herzens  und  dadurch  Blutanhäufung  in  dem  Venen- 
system bedingen.  Denselben  causalen  Einfluss  üben  auch 
viele  entweder  selbstständige  oder  durch  Herzfehler  ins  Da- 
sein gerufene  Lungenkrankheiten  aus,  als:  Chronischer 
Bronchialcatarrh  und  Bronchiectasie,  Stasis,  Ödem  und  ve- 
siculäres  Emphysem  der  Lungen,  umfängliche  Unwegsamkeit 
derselben  durch  Hepatisation,  tuberculöse  Infiltration  oder 
Compression  von  Seite  eines  pleuritischen  Ergusses  etc. 

Die  venöse  Blutmischung  gewährt  wohl  Sicherheit  vof 
Tuberculöse  oder  wenigstens  vor  ihrer  weiteren  Entwicke- 
lung  und  grossen  Faserstoffexsudationen  ?  nicht  aber  vor 
Entzündungen  mit  albuminösen  Exsudaten  und  geht  gerne 
in  die  hydropische,  bisweilen  scorbutische  Crasis  über. 


*)  1.  c.  p*  340. 


419 

Diagnose.  Die  subjectiven  Erscheinungen,  als  Asth- 
ma, Herzklopfen  etc.  sind  je  nach  den  zu  Grunde  liegen- 
den pathologischen  Verhältnissen  verschieden.  Unter  den  ob- 
jectiven  Symptomen  ist  es  die  livide  Färbung  der  Haut, 
welche  unsere  Aufmerksamkeit  erregt  und  welche  besonders 
dort,  wo  sie  sonst  durch  Capillarnetze  röther  gefärbt  ist,  am 
deutlichsten  ausgeprägt  erscheint,  als  an  den  Wangen, 
Lippen,  Nägeln.  Zugleich  ist  die  thierische  Wärme  bedeu- 
dend  gesunken ,  besonders  an  den  Extremitäten. 

Physicalische  Diagnose.  Dieselbe  hat  die  Auf- 
gabe, die  zu  Grunde  liegende  organische  Herzkrankheit^ 
Verengerung  der  Mündungen,  Klappenfehler  u.  s.  w.  oder 
das  mit  der  Cyanose  verbundene  Lungenleiden  zu  enträtfch- 
sein.  Verengerungen  der  Lungenarterie  oder  der  Aorta, 
Offenbleiben  des  ovalen  Loches  oder  des  Botallischen  Gan- 
ges an  und  für  sich ,  dürften  der  physicalischen  Diagnose 
sich  wohl  entziehen. 

Das  nervöse  Herzklopfen. 

Excessive  Herzthätigkeit  äussert  sich  durch  vermehrten 
Impuls,  wie  er  bei  fast  allen  organischen  Herzkrankheiten 
und  jenen,  welche  die  Circulation  in  der  Lungencapillarbahn 
hindern,  als  Pneumonie,  pleuritischem  Exsudate,  Tuberculose 
beobachtet  wird.  Auch  Erethismus  und  Schwäche  ,  seien  sie 
durch  Blutverluste ,  erschöpfende  Krankheiten  oder  durch 
Ausschweifungen  bedingt ,  vermögen  den  Cardiopalmus  her- 
vorzurufen. 

Es  ist  aber  nicht  selten  der  Fall,    dass   diess  lästige 
Symptom ,  ohne  irgend  eine  nachweisbare  materielle  Verän^ 
derung  im  Herzen,  und  ohne  mit  einem  der  genannten  Zu- 
stände in  nahem  Zusammenhange  zu  stehen,  erscheint,  und 
zwar  wie  es  bei  jungen,  reizbaren  Individuen,    im  Wurm^ 
leiden,  bei  Hysterischen  und  Hypochondristen  anzunehmen 
ist ,    aus  antagonistischer  oder   sympathischer  Reizung  der 
Herznerven  zu  Stande  kommt.  Dass  durch  die  oft  gewaltsam 

27  # 


420 

men  Athmungsbcschwerden  ,  die  das  nervöse  Herzklopfen 
begleiten,  endlich  selbst  excentrische  Herzhypertrophie  her- 
beigeführt werden  könne,  ist  erwiesen. 

Diagnose.  Das  Herzklopfen  erscheint  nach  Interval- 
len von  unbestimmter  Dauer,  anfallsweise  und  ist  kurz, 
schnell,  zuweilen  so  heftig,  dass  es  von  aussen  durch  die  Klei- 
der gesehen  werden  kann,  und  sich  dem  Gefühle  der  Kran- 
ken nach  in  die  Carotiden  verbreitet.  Es  wird  durch  Liegen 
auf  der  linken  Seite  und  durch  alle  Reize  vorübergehend 
vermehrt,  ist  meist  mit  Dispnöe  und  Neigung  zur  Ohnmacht 
verbunden,  und  lässt  nach  dem  Anfalle  das  Gefühl  von  Ab- 
gespanntsein zurück.  Der  Urin  ist  meistens,  der  bisweilen 
scheinbar  auttretenden  Fieberbewegungen  ungeachtet,  blass 
und  spastisch.  Massige  Bewegung  kürzt  nicht  selten  den 
Anfall  ab.  Nicht  zu  übersehen  ist  hierbei  das  Vorhandensein 
von  nervösen  Erscheinungen  in  andern  Organen. 

Physicalische  Symptome.  Nur  durch  diese  ist 
man  im  Stande  zu  unterscheiden ,  ob  dem  Herzklopfen  ein 
organisches  Leiden  zu  Grunde  liegt  oder  nicht.  Die  Per- 
cussion  vermag  da  bessern  Aufschluss  zu  geben,  als  In- 
spection  und  Palpation,  wenn  nicht  der  Fall  von  Com- 
plication  mit  Lungenemphysem  eintritt,  wobei  die  linke  auf- 
getriebene Lunge  dieGränze  des  Herzens  verbirgt,  oder  ein 
pleuritischer  Erguss  vorhanden  ist,  welcher  das  Herzaus 
seinem  gewöhnlichen  Orte  verdrängt.  Oftmalige  Untersuchung 
und  genaue  Würdigung  aller  begleitenden  Umstände  geben 
in  solchen  Fällen  der  Diagnose  eine  festere  Begründung. 

Die  Auscultation  vernimmt  über  dem  Herzen 
schwach  blasende  Geräusche  ,  die  aber  nach  Beendigung  des 
Anfalles  den  reinen  Herztönen  Platz  machen.  Das  Wech- 
seln dieser  Aftergeräusche ,  die  häufige  Verbreitung  dersel- 
ben in  grössere  Arterienstämme ,  wo  sie  sich  bisweilen  zum 
Kreiselgeräusche  gestalten  und  mit  Schwirren  verbinden, 
sind  Umstände,  deren  sorgsame  Beachtung  selbst  in  compli- 
cirteren  Fällen  jeden  Zweifel  zu  lösen  vermag. 


4Äi 

Die   Zerreissung    des   Herzens. 

In  Folge  äusserer  Gewalt  oder  spontan,  ohne  dieselbe 
kann  die  Muskelsubstanz  desHersens  zerreissen.  Diese  Tren- 
nung des  Zusammenhanges  durchdringt  entweder  die  ganze 
Muskelsubstanz  bis  in  den  Ventrikel,  oder  sie  stellt  sich  nur 
als  oberflächlicher  Spalt  dar ,  oder  betrifft  ein  Muskelbündel, 
eine  Sehne  oder  eine  Klappe.  Am  häufigsten  ist  der  linke 
Ventrikel,  und  zwar  dessen  vordere  Seite,  Sitz  der  Ruptur, 
die  meist  nur  an  einer  Stelle  vorkommt ,  doch  können  auch 
mehrere  Risse  neben  einander  bestehen. 

Ursachen.  Als  disponirend  wird  hohes  Alter  angese- 
hen, Hypertrophie  des  Herzens,  besonders  jene  Art  dersel- 
ben ,  wo  die  Muskel  durch  eingelagertes  Fett  ihrer  Elasti- 
cität  beraubt  sind;  Lockerung  und  leichtere  Zerreissbarkeit 
des  Fleisches  durch  vorausgegangene  Endocarditis ,  Ge- 
schwüre und  Abscesse  sind  besonders  die  krankhaften  Vor- 
gänge, welche  die  Ruptur  des  Herzens  herbeiführen,  und 
weil  diese  häufiger  am  linken  Herzen  vorkommen,  ist  es  auch 
erklärlich ,  dass  das  rechte  Herz  seltener  Sitz  des  Leidens 
wird.  Verdünnung  und  Erweiterung  geben  weniger  zur  Rup- 
tur Veranlassung,  als  man  glauben  sollte. 

Anatom,    patholog.    Charaktere. 

Der  Riss  ist  entweder  ein  Spalt  von  verschiedener  Län- 
ge, durchdringend  oder  nicht,  oder  ein  einfacher  Gang,  oder 
stellt  eine  unregelraässige  Zerklüftung  des  Gewebes  dar, 
besonders  wenn  die  Ruptur  die  innere  Schichte  betrifft.  In 
den  Zwischenräumen  findet  man  häufig  geronnenes  Blut  als 
Zeichen  von  sogenannter  Herzapoplexie. 

Ausgänge.  Nur  durchdringenden  Rissen  folgt  unaus- 
bleiblich der  Tod ;  doch  kann  dieser  einige  Tage  verzögert 
werden,  wie  es  seltene  Fälle  darthun,  in  welchen  Fa- 
serstoffgerinsel den  Canal  eines  schief  verlaufenden  Risses 
verstopften ,  oder  das  verletzende  Werkzeug  in  der  Wunde 
stecken  blieb.    Der  Tod  erfolgt  nicht  durch  Verblutung,  son- 


423 

dem  durch  Anämie  des  Gehirnes ,  da  aus  dem  linken  Ven- 
trikel die  Blutzufuhr  zu  jenem  unterbrochen  wird. 

Diagnose.  Die  Erscheinungen  sind  sehr  verschieden, 
nach  der  Art  der  veranlassenden  Ursache  und  des  Auftretens 
der  Ruptur. 

Durchdringender  Berstung  soll  in  einigen  Fällen  heftig 
reissender  Schmerz  in  beiden  Schultern  vorangegangen  sein; 
der  Moment  der  Ruptur  selbst  ist  aber  von  einem  heftigen 
Wehe  in  der  Herzgegend  bezeichnet,  worauf  der  Kranke 
ohnmächtig  zusammen  stürzt  und  in  kurzer  Frist  stirbt. 

Dass  dabei  der  Puls  klein  und  die  Extremitäten  kalt 
sind,  versteht  sich  wohl  von  selbst;  ferneren  physicalischen 
Symptomen  aber  nachzuforschen ,  so  folgerecht  man  diesel- 
ben a  priori  annehmen  kann ,  dürfte  wohl  kaum  Zeit  übrig 
bleiben.  Vielleicht  dass  mit  Schwinden  des  Herzschlages  und 
der  Töne,  so  dass  sich  diese  der  aufgelegten  Hand  und  dem 
lauschenden  Ohre  entziehen,  gedämpfter  Percussionsschall 
in  ausgebreiteterem  Umfange  wahrzunehmen  wäre,  wenn  die 
Schnelligkeit  des  Verlaufes  eine  Untersuchung  erlaubte. 

Ist  der  Riss  klein ,  und  betrifft  er  zum  Klappenapparate 
gehörige  Theile,  so  entstehen  meist  Klappenkrankheiten, 
deren  Diagnose  in  diesen  Blättern  ein  eigener  Abschnitt  ge- 
widmet ist. 

Die   Fettsucht    des    Herzens. 

Von  dieser  Krankheit  sind  bis  jetzt  drei  Formen  beob- 
achtet worden ,  jederzeit  war  es  aber  das  höhere  Alter  und 
das  weibliche  Geschlecht,  bei  welchem  dieselbe  häufiger  vor- 
kam. Die  beiden  ersteren  Formen  betreffen  meistens  den 
rechten  Ventrikel  und  ziehen  erst  später  den  linken  in  den 
Kreis  der  Erkrankung. 

Gewöhnlich  ist  die  Fettsucht  des  Herzens  mit  der  allge- 
meinen in  Verbindung ,  zuweilen  combinirt  sie  sich  mit  dem 
Atheromprocesse  an  der  Aorta  und  mit  Verknöcherung  der 
Kranzarterien,  oder  mit  der  fettigen  Entartung  der  Leber. 


423 

Anatom.  Charaktere.  In  der  ersten  Form  bemerkt 
man  starke,  lappige  Fettablagerungen  über  dem  Herzen,  be- 
sonders über  dessen  venösem  Abschnitte;  das  Muskelfleisch 
darunter  ist  welk,  blass  und  dünn,  und  die  Wände  erschei- 
nen schlaff. 

In  einer  andern  Form  bemerkt  man,  dass  die  Fettkugeln 
zwischen  die  Muskelsubstanz  des  Herzens  selbst  sich  einla- 
gern, welche  dadurch  atrophisch  wird  und  bedeutend  schwin- 
det. Man  findet  sie  mürbe,  schlaff  und  blass,  und  das  ent- 
haltene Fett  lässt  sich  zwischen  Papier  ausdrücken.  Diese 
Fetteinlagerung  beginnt  von  der  Herzspitze  und  schreitet  ge- 
wöhnlich über  den  rechten  Ventrikel  fort,  den  sie  durch 
Druck  atrophirt  und  sehr  verdünnt ,  so  dass  dadurch  ein  ge- 
ringerer Grad  von  Erweiterung  mit  Leichtigkeit  entsteht.  Zu- 
weilen combinirt  sie  sich  mit  dem  Atheromprocesse  in  den 
Arterien. 

Eine  dritte,  erst  von  Rokitansky  entdeckte  Form 
der  Fettdegeneration  des  Herzens  wird  an  demselben  bei  ex- 
centrischer  Hypertrophie  beobachtet,  meistens  in  Folge  vor- 
ausgegangener Entzündung.  Gewöhnlich  ist  diese  Entartung 
nur  bei  einzelnen  Stellen  von  geringerer  Ausdehnung  be- 
schränkt und  durchdringt  auch  nicht  die  ganze  Muskelwand; 
nur  selten  fand  man  die  ganze  innere  Muskellage  erkrankt. 

Das  Herzfleisch  ist  dabei  stellenweise  fahl,  gelb,  oder 
gelbbraun  gefärbt  und  so  mürbe ,  dass  es  leicht  durch  den 
Finger  zerdrückt  werden  kann  Betrifft  die  in  Rede  stehende 
Entartung  die  Papillarmuskel ,  so  geht  ihre  Spannung  ver- 
loren und  es  entsteht  Klappeninsufficienz  mit  ihren  weiteren 
Folgen.  Die  eben  beschriebene  Art  der  Fettsucht  des  Herzens 
kommt  meistens  am  linken  Ventrikel  vor. 

Diagnose.  Die  Fettsucht  des  Herzens  lässt  sich  in 
physicalischer  Hinsicht  von  der  einfachen  Erweiterung  nicht 
unterscheiden.  Wir  können  sie  wohl  vermuthen,  wenn  die 
Zeichen  der  letztern  in  einem,  an  allgemeiner  Fettsucht  lei- 
denden, alten  Individuum  vorkommen.  Sollte  sich  Klappenin- 


424 

sufficienz  bilden ,  so  wird  diese  durch  keine  andern  Sympto- 
me erkannt,  als  jede  auf  anderem  Wege  zu  Stande  ge- 
kommene. 

Aortitis» 

Nur  in  seltenen  Fällen  finden  wir  die  Aorta  als  Sitz  eines 
entzündlichen  Leidens,  und  auch  dann  ist  es  nicht  immer 
möglich,  die  Erscheinungen  der  Entzündung  und  aller  Ver- 
änderungen ,  denen  das  durch  dieselbe  abgesetzte  Exsudat 
unterliegt,  am  Secirtische  nachzuweisen;  das  Vorkommen 
der  Aortitis  wird  daher  noch  von  Manchen  geläugnct;  man 
braucht  aber  nur  die  analoge  Structur  des  Endocardiums  und 
der  Aorta  zu  betrachten ,  um  nicht  allein  über  das  Vorkom- 
men der  in  Rede  stehenden  Krankheit  ausser  Zweifel  zu  sein, 
sondern  selbst  auf  die  Art  und  Wesenheit  der  entzündlichen 
Vorgänge  in  beiden  Organen  zu  schliessen. 

Als  Sitz  der  Entzündung  müssen  wir  die  Zellschichte 
der  Aorta  bezeichnen  ;  das  von  ihr  gelieferte  Product  ist  aber 
im  Stande  alle  sechs  Häute  der  Schlagader  zu  durchdringen 
und  selbst  auf  der  innern  freien  Wand  zu  erscheinen.  Dass 
der  eben  ausgesprochene  Satz  nicht  das  Ergebniss  einer 
willkührlich  angenommenen  Hypothese ,  sondern  durch  die 
Structur  der  Aorta  selbst  bedingt  ist,  wird  wohl  jedem,  der 
mit  dem  Baue  und  den  physiologischen  Functionen  letzterer 
vertraut  ist,  einleuchten.  So  wie  die  Ernährung  des  Endo- 
cardiums durch  die  der  Zellschicht  desselben  innewohnenden 
Gefässe  und  das  von  denselben  gelieferte  Plasma  zu  Stande 
kommt,  und  bei  deren  Erkrankung  verhindert  wird,  trotz  dem 
immerwährenden  Contacte  mit  dem  in  den  Kammern  enthal- 
tenen Blute,  so  gilt  derselbe  Vorgang  von  der  Aorta,  die 
schon  durch  einen  analogen  Bau  mit  dem  Endocardium  zu 
denselben  krankhaften  Processen ,  denen  dieses  unterworfen 
ist,  disponirt  erscheint.  Mehr  noch  als  im  Endocardium 
scheint  aber  der  Durchgang  sowohl  der  Ernährungsflüssig- 
keit,   als  im  Erkrankungsfalle   des  Entzündungsproductes , 


425 

durch  den  lockern  Zusammenhang  der  einzelnen  Gefäss- 
schichten  der  Aorta  begünstigt  zu  werden.  Dem  Zweifel, 
den  vielleicht  noch  Einige  an  dem  Bestehen  einer  Aortitis  he- 
gen, begegnen  wir  durch  die  positive  Nachweisung  desEnt- 
zündungsproductes  und  seiner  Entwickelungsstufen  in  den 
verschiedenen  Stratis  der  Häute,  wie  sie  das  Microscop  dar- 
thut ,  und  durch  die  Analogie;  denn  wenn  die  Aorta  auch 
um  einige  Schichten  mehr  zählt,  als  die  kleineren  Arterien, 
so  hört  sie  nicht  auf,  mit  denselben  gleiche  Structur  und 
gleiche  physiologische  Verhältnisse  zu  theilen ,  und  es  wäre 
kaum  denkbar,  dass  sie  von  den  Krankheiten,  die  an  Arte- 
rien im  Allgemeinen  vorkommen,  frei  sei. 

Man  hat  angenommen,  dass  die  Entzündungsproducte, 
die  man  bisher  auf  der  innern  Gefässwand  gefunden , 
aus  dem  Blutstrome  abgelagerter  Faserstoff  seien,  der  erst 
durch  sein  Aufliegen  auf  derselben  eine  entzündliche  Reac- 
tion  in  der  Zellschicht  hervorrufe.  Allein  würde  man  diese 
Annahme  gelten  lassen ,  wie  wäre  eine  Organisation  der  ab- 
gelagerten Fasermasse  denkbar,  ohne  Verlust  des  Epithelium 
der  Membrana  inlima ,  und  ohne  dass  die  nächste  Schicht 
sich  vascularisirt  hätte?  Kaum  würde  auch  die  Macht  des 
Blutstromes  in  der  Aorta  ein  abgelagertes  Product  auf  der 
innern  glatten  Gefässhaut  haften  lassen,  noch  ist  es  denkbar, 
dass  dasselbe  von  dem  Blutstrome  genährt  werde,  um  so 
weniger,  weil  die  Nutrition  an  keinem  Orte  des  Organismus 
auf  diese  Weise  geschieht.  Wir  müssen  also  zu  der  Meinung 
uns  hinneigen,  dass  wie  die  Ernährung  der  Gefässhäute 
durch  Tränkung  derselben  mittelst  des  von  der  Zellhaut  ge- 
lieferten Plasmas  zu  Stande  kommt ,  auch  die  von  dieser  ab- 
gesetzten Entzündungsproducte  denselben  Weg  nehmen  ,  da 
auch  im  ganzen  Organismus  kein  dieser  Ansicht  widerstre- 
bender Vorgang  zu  treffen  ist.  Als  Sitz  der  Aortitis  ist  somit 
die  Zellschicht  nachgewiesen.  Häufiger  befällt  übrigens  diese 
Krankheit  die  aufsteigende  Aorta  als  die  descendem  oder  die 
abdominalis. 


426 

Anatomis  ch  -  p  athologische  Charaktere. 
Der  entzündliche  Process  kommt  bei  seinem  Auftreten 
kaum  vor  die  Augen  des  Beobachters,  es  ist  daher  auch  sel- 
ten eine  wirkliche,  durch  ästige  Streifung*  charakterisirte 
Entzündungsröthe  wahrzunehmen,  ausser  man  würde  fälsch- 
lich die  Imbibitionsfärbung  dafür  halten.  Hat  sich  das  Exsudat 
gebildet,  so  tritt  eine  gelbliche  Tingirung  auf,  die  Häute  wer- 
den von  einer  serös-faserstoffigen  Flüssigkeit  durchdrungen, 
g*elockert,  brüchig,  gewulstet  und  von  einandertrennbar.  Die 
innere  Membran  wird  getrübt,  matt  und  ihres  Epitheliums  ledig, 
oft  noch  mit  zarten  leichten  Flocken  Exsudates  bedeckt.  Dass 
das  durch  Aortitis  gelieferte  Exsudat  denselben  Bildungsgese- 
tzen unterliegt,  die  demselben  an  andern  Organen  zukommen, 
ist  nicht  befremdend,  und  wir  finden  demnach,  dass  dasselbe 
sich  durch  Serum  lösen  und  zertheilen ,  so  wie  weiter  zu 
Eiterzellen,  selbst  zur  Faser  entwickeln  könne,  wodurch 
Hypertrophie  des  nächsten  Gewebes  bedingt  wird.  Verknor- 
pelung  ,  Atherome  und  Bildung  von  Sehnenflecken  wurden 
auch  als  Folgen  der  Aortitis  beobachtet. 

Eben  so  finden  sich  Abscesse  und  Geschwüre ,  welche 
die  Arterie  durchbohren  und  zu  Blutungen  Anlass  geben. 
Kurz  alle  schon  in  dem  der  Endocarditis  gewidmeten  Abschnitte 
hinlänglich  gewürdigten  Metamorphosen  des  faserstoffigen 
Exsudates,  sind  hierher  zu  beziehen  und  wurden,  um  Wie- 
derholung zu  vermeiden,  nur  namentlich  aufgeführt.  Aus 
dieser  Betrachtung  erhellt,  dass  die  meisten  organischen 
Krankheiten  des  Gefässrohres ,  die  man  bisher  als  Hete- 
rotrophien  betrachtete ,  eigentlich  nur  Folgezustände  der 
Entzündung  sind.  Einige  derselben  sind  aber  durch  die  be- 
sondere Structur  der  Aorta  von  besonderer  Beziehung  zu 
deren  Function ,  und  verdienen  daher  näher  besprochen  zu 
werden. 

Durch  die  Lockerung  der  Gefässhäute  und  deren  grös- 
sere Brüchigkeit,  durch  Atherombildung  und  Verkalkung 
und  dadurch  bewirkte  Atrophie  derselben  geschieht  es  leicht, 


427 

dass  bei  gewaltsamer  Herzthätigkeit  eine  oder  die  andere  der 
Schichten  zerreisst,  und  es  zur  Bildung  eines  Aneurysma 
kommt;  zuweilen  betrifft  aber  der  Riss  sämmtliche  Häute, 
besonders  bei  Complication  mit  Endo-Pericarditis.  Meistens 
geschieht  diess  an  der  vorderen  Wand  der  aufsteigenden 
Aorta  und  bedingt  fast  augenblicklichen  Tod. 

Wird  durch  den  entzündlichen  Process  die  Zellhaut  ge- 
lähmt, so  geht  die  Elasticität  des  ganzen  Gefässrohres  an 
der  betreifenden  Stelle  verloren ,  und  dieses  wird  durch  die 
andringenden  Blutwellen  mit  Leichtigkeit  ausgedehnt.  Die 
Erweiterung  der  Aorta  aber,  die  entweder  als  gleich- 
förmige, diffuse  oder  als  umschriebene  locale  erscheint,  ver- 
mindert auch  die  Contractions-  und  Propulsivkraft  derselben, 
dadurch  häuft  sich  das  Blut  und  wirkt  auf  das  neu  einströ- 
mende zurück,  so  dass  es  hiedurch  zur  Dilatation  des  linken 
Ventrikels  kommen  kann.  Der  Verlauf  der  in  Rede  stehenden 
Krankheit  ist  acut  oder  chronisch. 

Diagnose.  Dieselbe  ist  sehr  schwierig,  denn  das  be- 
gleitende entzündliche  Fieber,  die  Oppression  unter  dem 
Brustblatte  und  das  Klopfen  der  Aorta  können  eben  so  auf 
Endocarditis  bezogen  werden  als  auf  Aortitis,  und  selbst  nur 
auf  erstere,  wenn  beide  Krankheiten  vereint  auftreten,  was 
wohl  am  häufigsten  geschieht.  Erst  wenn  es  schon  zur  Er- 
weiterung des  Gefässrohres  oder  zur  Bildung  von  Concre- 
menten  auf  der  innern  Membran  gekommen  ist,  gewährt  die 
physicalische  Untersuchung  einige  Anhaltspuncte  für  die 
Diagnose. 

Percussion.  Berührt  nämlich  das  erweiterte  Gefäss- 
rohr  die  Brustwand ,  so  fühlt  man  dort  vermehrte  Pulsation, 
und  findet  den  Percussionsschall  gedämpft,  mit  vermehrtem 
Widerstände  gegen  den  percutirenden  Finger. 

Auscultation.  Durch  dieselbe  vernehmen  wir  an  der 
Stelle  der  beträchtlichsten  Rauhigkeiten  ein  den  ersten  Ton 
begleitendes  Geräusch,  der  zweite  ist  schwach,  dadieCon- 
tractionskraft  der  Aorta  vermindert  ist,  im  linken  Ventrikel 


428 

sind  aber  beide  Töne  rein  und  deutlich.  Besteht  zugleich 
Klapp eninsufficienz  in  der  Aorta,  so  hört  man  über  derselben 
ein  rauhes  Geräusch ,  das  beide  Töne  verschlingt. 

Obliteration  der  Aorta. 

Diese  sehr  selten  vorkommende  Krankheit  ist  Folge  ei- 
nes Bildungsfehlers  und  im  Leben  nicht  zu  erkennen. 

Erweiterung  der  Aorta. 

Diese  betrifft,  wie  schon  erwähnt,  das  Gefässrohr  ent- 
weder als  gleichförmige  die  Cylindergestalt  desselben 
nicht  verändernde  Vergrösserung  seiner  Durchmesser,  oder 
als  locale,  um  s  chrie  be  n  e  Erweiterung,  welche  taschen- 
artige Ausbuchtungen  darstellt.  Die  Arterienhäute  sind  dabei 
entweder  gänzlich  unversehrt,  oder  im  Zustande  chronischer 
Entzündung ,  deren  Folgen  selbst  zur  Bildung  eines  Aneu- 
rysma führen  könnten ,  wie  diess  so  oft  an  dem  vom  Peri- 
cardialblatte  überkleideten  Theile  der  Aorta  wahrgenommen 
wird,  indem  die  nicht  seltene  Pericarditis  sich  gerne  auch 
auf  diese  Arterie  fortpflanzt. 

Dass  die  Erweiterung  dort ,  wo  die  Ader  dem  stärksten 
Blutstrome  ausgesetzt  ist,  am  häufigsten  vorkommt,  ist  wohl 
einleuchtend;  wir  finden  sie  daher  öfter  am  aufsteigenden 
Theile  und  Bogen,  als  am  absteigenden  oder  am  Bauchstücke 
der  Aorta. 

Diagnose.  Die  Erkennung  ist  sehr  schwierig ,  wenn 
die  Gefässhäute  nicht  erkrankt  sind ,  unmöglich ,  und  man 
wird  selbst  in  dem  Falle,  dass  die  Erweiterung  so  gross  ist, 
dass  die  Aorta  unmittelbar  an  der  Brustwand  anliegt,  nur  durch 
genaue  Erwägung  aller  Nebenumstände  vielleicht  im  {Stande 
sein,  diese  Krankheit  von  dem  weiter  zu  beschreibenden 
Aneurysma  der  Aorta  zu  unterscheiden.  Die  physicalischen 
Zeichen  sind  für  beide  Krankheiten  dieselben,  und  sollen  im 
nächsten  Abschnitte  näher  gewürdiget  werden. 


429 

Das  Aneurysma  der  Aorta. 

Dieses  sind  wir  geneigt  kaum  anders,  denn  als  Folge 
einer  durch  vorausgegangene  Aortitis  eingeleiteten  Erkran- 
kung der  Gefässhäute  anzusehen  ,  indem  alle  andern  Ursa- 
chen, die  von  den  Autoren  angeführt  werden,  kaum  oder 
höchst  selten  nachgewiesen  werden  können ,  als  Bersten  ei- 
ner Gefässhaut  und  Ausdehnung  der  übrigen  Schichten  an 
derselben  Stelle ,  veranlasst  durch  heftiges  Schreien,  Heben 
schwerer  Lasten  etc. ,  Bestehen  einer  eigenen  aneurysmati- 
schen  Dyscrasie  oder  einer  krebsigen  oder  syphilitischen  Ent- 
artung der  Arterien  u.  s.  w. 

Eintheilung.  Nach  seiner  Verbreitung  auf  einen 
grössern  oder  kleinern  Raum  ist  das  Aneurysma  ein  diffu- 
sum und  ein  circumscriptum. 

Ersteres  hat  wieder  entweder  eine  gleichförmige  cylin- 
drische  Form  (Aneurysma  cylindricuni) ,  oder  es  stellt  das 
spindelartige  Aneurysma  (fusiforme)  dar,  wenn  dasselbe  an 
beiden  Enden  gleichsam  wie  verwaschen  in  das  gesunde  Ge- 
fässrohr  übergeht. 

Das  umschriebene  Aneurysma  ist  meist  halbkugel- 
oder  sackförmig.  Bisweilen  findet  man  auf  diesen  oft  nicht 
unbeträchtlichen  Vortreibungen  wieder  mehrere  kleinere  Aus- 
buchtungen aufsitzend.  Nicht  selten  entspricht  bei  genauer 
Begränzung  der  Erkrankung  der  leidenden  Stelle  im  gesun- 
den Gefässrohre  ein  Loch,  wodurch  das  oft  sehr  ausgedehnte 
Aneurysma  aus  der  Aorta  seinen  Inhalt  empfängt.  In  diesem 
Falle  haben  wir  ein  mit  einem  Halse  aufsitzendes 
Aneurysma  vor  uns.  Alle  übrigen  Eintheilungen  der  Au- 
toren sind  theils  überflüssig ,  theils  gehören  sie  nicht  hieher. 

Anatomiseh-puthologische  Charaktere. 

In  der  Höhle  des  Aneurysmas  finden  wir  Blut-  und  Fa- 

serstoftgerinnungen ,    die,    besonders  gegen  die  Wände  zu, 

an  Dichte  zunehmen   und  dort  gleichsam  ein  weisses ,  ver- 

filztes  Gewebe  darstellen.   Die  Häute  selbst  finden  wir  vom 


430 

Exsudate  infiltrirt ,  der  Elasticität  beraubt,  hie  und  da  zer- 
rissen, wenn  derProcess  noch  neu  ist;  die  innern  Schichten 
trübe  und  geschwellt ,  die  Zellhaut  gewulstet ;  besteht  er 
aber  schon  lange  genug*,  so  sind  die  innern  Strata  weiss,  mit 
Atheromen  und  Kalkablagerungen  versehen ,  die  Ringfaser- 
haut rissig,  die  übrigen  Membranen  verdichtet  und  callös. 
Hat  besonders  das  Aneurysma  schon  einen  grössern  Umfang 
erreicht ,  so  werden  die  sämmtlichen  Gewebsschichten  ver- 
dünnt und  gezerrt,  sie  zerreissen,  da  sie  ihre  Elasticität  ver- 
loren haben ,  und  es  bleibt  von  denselben  oft  kaum  mehr  zur 
Erhaltung  des  Sackes  übrig,  als  die  Zellhaut  und  ergossene 
Faserstoffmassen. 

Zu  bemerken  ist  übrigens,  dass  die  Gefässäste,  welche 
die  aneurysmatische  Aorta  abgibt,  gewöhnlich  verengt  ge- 
funden werden. 

Sitz  und  Vorkommen. 

Das  Aneurysma  wird  beim  männlichen  Geschlechte  häu- 
figer als  beim  weiblichen  beobachtet  und  meistens  nur  in  In- 
dividuen zwischen  30 — 60  Jahren  gefunden.  Das  Aneurysma 
kann  an  allen  Stellen  der  Aorta  vorkommen,  gedeiht  aber  be- 
sonders an  der  convexen  und  Vorderseite  des  aufsteigenden 
Theiles  und  des  Bogens  derselben  zu  beträchtlicher  Grösse; 
daselbst  kann  es  nach  vorne  an  der  rechten  Seite  des  Brust- 
beines von  der  ersten  bis  zur  sechsten  Rippe  sich  erstrecken. 
Entsteht  es  dort  an  der  concaven  Seite  der  Pars  adscendens, 
so  erstreckt  es  sich  von  dem  Stamm  der  Lungenarterie  selbst 
bis  zum  linken  Atrium.  Entwickelt  es  sich  von  der  Hinter- 
seite des  Aortabogens ,  so  legt  es  sich  meistens  an  die  Tra- 
chea und  die  Bronchialstämme  an. 

Verlauf  und  Ausgang. 

Die  Aneurysmen  pflegen  durch  den  Druck,  den  sie  aush- 
üben und  der  bei  ihrer  Vergrösserung  immer  bedeutender 
wird,  die  angränzenden Theile  nicht  allein  zu  verengen,  zu 


431 

verdrängen ,  sondern  selbst ,  wenn  diese  nicht  nachgiebig 
sind ,  wie  die  Knochen ,  durch  Detritus  zu  zerstören.  Mit 
dem  Verluste  der  Knochen  schwindet  aber  zuweilen  die  die- 
selben berührende  Wand  des  Aneurysma  und  geht  durch  De- 
tritus zu  Grunde,  so  dass  die  Endtheile  der  abgeriebenen 
Knochen  frei  in  den  aneurysmatischen  Sack  hineinragen.  Es 
ist  so  möglich,  dass  das  Aneurysma  nach  Zerstörung  der 
Rippen  und  des  Sternums  an  der  Vorderfläche  der  Brust  zum 
Vorscheine  kommt ,  dass  es  den  Ösophagus ,  die  Trachea, 
die  Bronchien  bis  zur  Erstickungsgefahr  comprimirt ,  durch 
die  immerwährende  Pulsation  vernichtet  und  seinen  Inhalt  in 
dieselben  ergiesst,  oder  dass  derselbe  Vorgang  die  Lungen- 
arterie, den  linken  Vorhof  oder  den  Herzbeutel  betrifft.  Das 
Aneurysma  der  absteigenden  Aorta  zerstört  gerne  die  Kör- 
per der  Wirbelsäule  durch  Detritus,  so  dass  diese  seine  hin- 
tere Wand  bilden  und  frei  in  seine  Höhle  hineinragen,  oder 
dieses  eröffnet  sich  selbst  den  Canal  der  Wirbelsäule  und 
ergiesst  sich  in  diesen.  Nicht  immer  aber  kommen  Aneurys- 
men durch  das  Abreiben  zum  Bersten,  sondern  diess  ge- 
schieht besonders  bei  grossen ,  auch  durch  blosse  Verdün- 
nung der  ihrer  Elasticität  beraubten  Wände.  Dass  ein  sol- 
cher Ausgang  nur  tödtlich  sein  kann ,  bedarf  keiner  Erwäh- 
nung, doch  braucht  es  oft  sehr  lange  und  eine  Entwicklung 
zu  bedeutender  Grösse ,  bis  ein  solcher  herbeigeführt  wird  *, 
anderseits  tödten  oft  sehr  kleine  Aneurysmen  und  bestehen 
grosse  jahrelang ,  ohne  zu  bersten  —  es  gibt  hierüber  keine 
bestimmte  Regel.  Übrigens  gibt  es  einige  wenige  Beispiele 
von  Naturheilung  der  mit  einem  engen  Halse  aufsitzenden 
Aneurysmen.  Sie  schien  dadurch  zu  Stande  zukommen,  dass 
der  Sack  sich  gänzlich  mit  Faserstoffcoagulum  erfüllte  und 
endlich  zusammenschrumpfte. 

Folgezustände.  Einer  der  constantesten  Folgezu-* 
stände  der  Aorta-Aneurysmen  ist  excentrische  Vergrösserung 
des  Herzens ,  namentlich  des  linken  Ventrikels ;  da  nämlich 
an  der  aneurysmatischen  Stelle   das  Arterienrohr  nicht  die 


43* 

Kraft  besitzt,  durch  seine  Zusammenziehung  die  in  dasselbe 
getriebene  Blutmasse  weiter  zu  befördern,  entsteht  daselbst 
Blutanhäufung'  und  wirkt  das  dem  Blutstrome  entgegenge- 
stellte Hinderniss  auf  das  Herz  zurück,  das  es  durch  ange- 
strengtere Muskelwirkung  zu  überwinden  strebt  und  dadurch 
hypertrophirt.  Ist  das  Aneurysma  am  Bogen  der  Aorta,  so 
erlahmt  derselbe,  und  das  daran  befindliche  Herz  nimmt  einen 
tieferen  Stand  ein.  Durch  den  Herzfehler  sowohl  als  durch 
den  oft  nicht  unbedeutenden  Verlust  des  Blutes  an  Faserstoff, 
da  der  aneurysmatische  Sack  mit  Fibringerinsel  gefüllt  ist, 
wird  eine  venöse,  ja  zuweilen  eine  hydropische  Crasis  her- 
beigeführt, und  nur  in  der  von  dem  begleitenden  Herzfehler 
abhängigen  Venosität  des  Blutes  glaube  ich  eine  genügende 
Erklärung  des  gegenseitigen  Ausschliessens  des  Aneurysma 
und  der  Tuberculose  zu  finden. 

Diagnose.  Sowohl  die  subjectiven  als  die  objectiven 
Erscheinungen  sind  nach  dem  Sitze  des  Leidens  verschie- 
den,  geben  sich  aber  nur,  wenn  das  Übel  schon  einen  ziem- 
lichen Entwickelungsgrad  erreicht ,  kund. 

1.  Bei  Aneurysma  der  Pars  adscendens  und  des 
Bogens  der  Aorta. 

Die  Kranken  leiden  an  schwerem  Athem ,  der  sich  nach 
heftigen  Bewegungen  und  des  Nachts  selbst  zu  asthmatischen 
Anfällen  steigert,  verbunden  mit  einem  schweren  Husten, 
der  des  Morgens  durch  Erscheinen  einer  zähen,  zuweilen 
etwas  blutigen  Expectoration  etwas  gemindert  wird.  Aufrechte 
und  vorgebeugte  Stellung  bekömmt  den  Leidenden  am  be- 
sten ,  weil  sie  den  Druck  des  Aneurysma  auf  die  Nachbar- 
theile  möglichst  verringert.  Herzklopfen,  Venosität,  Ödem 
der  Füsse  hängen  von  dem  begleitenden  Herzfehler  ab.  Zu- 
weilen klagen  die  Kranken  über  Taubheit  in  einem  Arme  und 
über  Schmerz  in  dem  Brustkorbe,  wenn  durch  Anliegen  der 
Geschwulst  die  Knochen  ergriffen  werden. 


483 


Physicalische  Erscheinungen. 

Nur  durch  diese  ist  eine  bestimmte  Erkenntniss  möglich, 
aber  auch  nur  erst  dann,  wenn  das  Aneurysma  an  der  Brust- 
wand anliegt. 

Inspection.  Sowohl  dort,  wo  das  Aneurysma  die  vor- 
dere Brustwand  berührt ,  als  auch  mehr  nach  abwärts  und 
links  von  dem  Orte,  wo  die  Herzspitze  gewöhnlich  anschlägt, 
sieht  man  deutliche  Pulsation.  (Dass  das  Herz  gewöhnlich 
etwas  tiefersteht,  woraus  sich  letztere  Erscheinung  erklärt, 
wurde  schon  angegeben.) 

Palpation.  An  den  beiden  genannten  Orten  fühlt  man 
durch  die  aufgelegte  Hand  die  Pulsation,  undwenn  das  Aneu- 
rysma die  Brustwand  zu  einer  Wölbung  vorgetrieben ,  zu- 
weilen selbst  eine  Art  Rückstoss.  Steht  das  Aneurysma  hoch 
an  der  Convexität  des  Aortabogens,  so  wird  die  Pulsation 
auch  dem  hinter  der  Handhabe  des  Brustblattes  in  das  am 
Halse  befindliche  Grübchen  eingedrückten  Finger  bemerkbar. 
Über  der  Geschwulst  fühlt  man  fast  immer  ein  Schwirren,  das 
sich  bis  in  die  Carotiden  verbreitet ,  aber  für  das  Bestehen 
eines  Aneurysma  nicht  charakteristisch  ist ,  indem  es  auch 
durch  Rauhigkeiten  im  Aortarohre  hervorgebracht  wird. 

Percussion.  Der  Umfang  der  Geschwulst  lässt  sich, 
wenn  sie  an  die  Brust  anliegt ,  ziemlich  genau  durch  das 
Plessimeter  bestimmen ;  das  Gefühl  des  vermehrten  Wider- 
standes fehlt  dabei  gleichfalls  nicht.  Die  meistens  damit  ver- 
bundene, consecutive ,  excentrische  Herzhypertrophie  wird 
ebenfalls  leicht  nachgewiesen. 

Auscultation.  Durch  das  Stethoscop  empfängt  das 
Ohr  ausser  dem  heftigen  Impulse  noch  den  Eindruck  eines 
doppelten  rauhen  Geräusches,  das  gegen  das  Herz 
hin  verschwindet,  wo  die  reinen  Klappentöne  wahrgenommen 
werden ,  so  lange  die  Semilunarklappen  nicht  insuflficient 
sind.  (Wäre  letzteres  der  Fall,  so  Hesse  es  sich  aus  dem 
diastolischen  Geräusche  im  linken  Ventrikel  erkennen. — Be- 
Gaal  Diagnostik.  28 


434 

stände  zugleich  Stenose  der  Aortamündung ,  so  würde  das 
erste  Geräusch  in  der  Aorta,  wegen  des  geringen  Blutstro- 
mes geschwächt  oder  undeutlich  wahrgenommen.)  In  der 
Subclavia  und  der  Carotis  hört  man  dieselben  Geräusche,  die 
sich  dahin  aus  der  Aorta  fortpflanzen. 

Differenzen.  Ein  Aneurysma  der  Subclavia  lässt  sich 
von  dem  in  Rede  stehenden  durch  den  Ort  des  Vorkommens 
der  physicalischen  Erscheinungen ,  durch  das  nur  einseitige 
Schwirren  und  die  Verschiedenheit  des  Radialpulses  an  bei- 
den Armen  unterscheiden. 

Von  Herzvergrösserung  und  Erweiterung  ist  der  Unter- 
schied  darin  gegeben ,   dass  die  Erscheinungen  beim  Aneu- 
rysma auf  zwei  Puncte  sich  concentriren  ,   davon  einer  dem 
Orte  entspricht,  wo  das  Aneurysma  die  Brustwand  berührt; 
deren  anderer  der  Lage  des  Herzens  zukommt,  in  der  Strecke 
zwischen  beiden  mangeln  alle  Zeichen,  welche  zur  Annahme 
einer  Abnormität   in  den  Kreislaufsorganen  berechtigen.  Im 
Herzen  sind  bei  einfacher  concentrischer  Hypertrophie  keine 
Geräusche  zu  hören ,  nur  wenn  zugleich  Klappenfehler  vor- 
handen wären  ,   erscheinen  solche.  Dass  sie  aber  im  Herzen 
entstehen    und   nicht   einem  Aneurysma  zuzuschreiben  sind, 
erkennt  man  dadurch ,   dass  sie  in  gleichem  Verhältnisse,  als 
man  das   Ohr    von   ihrem  Entstehungsorte  entfernt,    immer 
schwächer  vernommen  werden,  und  endlich  ganz  verschwinden. 

2.  Das    Aneurysma    der   absteigenden   Aorta. 

Diess  ist  sehr  schwer  zu  erkennen.  Die  subjectiven 
Erscheinungen  kommen  mit  denen  der  vorigen  Species  im 
Allgemeinen  überein  ,  betreffen  aber  hier  mehr  den  Rücken 
und  die  Wirbelsäule,  die  dem  beständigen  Drucke  nach  einer 
Seite  ausweicht,  der  aber  so  sehr  überhand  nehmen  kann, 
dass  es  ausser  den  vorübergehenden  Erscheinungen  des  Rü- 
ckenmarksdruckes,  als  Dysphagie,  Erbrechen,  Convulsio- 
nen  etc.  zu  bleibenden  Lähmungen  der  Schliessmuskel  ver- 
schiedener Eingeweide,    der  Muskel  der  Extremitäten  und 


435 

zur  Entzündung*  der  dura  meninx  des  Rückenmarkes  kom- 
men kann.  Inspection,  Palpation  und  Percussion 
vermögen  nur  dann  das  bestehende  Leiden  zu  verrathen,  wenn 
die  Ausbuchtung  des  aneurysmatischen  Sackes  mehr  seitlich 
von  der  Wirbelsäule  gegen  die  Rippenwand  zu  gerich- 
tet ist. 

Auscult  ation.  In  manchen  Fällen  wird  es  möglich 
sein  ,  zugleich  mit  der  Systole  des  Herzens  ein  Geräusch 
zu  hören ,  das  sich  von  der  leidenden  Stelle  mehr  nach  ab- 
wärts als  nach  aufwärts  verfolgen  lässt,  das  aber  für  die 
Diagnose  nicht  entscheidend  ist,  da  es  auch  in  Rauhigkeiten 
in  dem  Aortarohre  seinen  Entstehungsgrund  erkennt  und 
anderseit  fehlen  kann,  wiewohl  ein  Aneurysma  besteht. 

3.  Aneurysma  der  Bauchaorta. 

Die  subjectiven  Erscheinungen  ,  welche  diese  Krank- 
heit begleiten,  entspringen  aus  der  beeinträchtigten  Function 
mehrerer  Unterleibsorgane,  können  aber  allein  für  Ver- 
dauungs- ,  Blähungs- ,  Nieren-  oder  Goldaderbeschwerden 
gehalten  werden;  oft  erscheinen  Leberleiden,  Polycholie, 
Coliken  ,  Erbrechen  ,  Kreuzschmerzen  u.  s.  w.  Ist  aber  De- 
tritus der  Wirbelsäule  entstanden,  dann  weicht  die  Achse 
dieser  krankhaft  aus ,  und  es  kommt  zuweilen  zu  Convulsio- 
nen  ,  Paraplegie  ,  Lähmungen  etc. 

Inspection.  Wir  sehen  in  den  meisten  Fällen,  be- 
sonders bei  magern  Individuen ,  und  wenn  man  die  Bauch- 
decken über  dem  Aneurysma  spannt,  dessen  Pulsation  deutlich. 

Palp ation.  Durch  die  relaxirten  Bauchdecken  greift 
man  eine  umschriebene ,  nicht  verschiebbare  pulsirende  Ge- 
schwulst an  dem  Verlaufe  der  Aorta ,  während  die  tastenden 
Finger  zugleich  die  Erscheinung  des  Schwirrens  wahr- 
nehmen. 

Percussion.  Die  Gränzen  der  aneurysmatischen  Ge- 
schwulst lassen  sich  auch  durch  die  Percussion  nachweisen 
besonders ,    wenn  man  dabei  das  Plessimeter  tief  eindrückt. 

88  # 


436 

Entwickelt  sich  consecutiv  excentrische  Hypertrophie  der 
linken  Herzkammer ,  so  ist  auch  diese  durch  das  Plessimeter 
zu  erforschen. 

Auscultation.  Gleichzeitig  mit  dem  Herzschlage  und 
besonders  bei  erschlafften  Bauchdecken  und  angezogenen 
Schenkeln  hört  man  ein  scharfes  Geräusch  ,  das  nach  dem 
Verlaufe  der  Aorta  sich  ziemlich  gut  nach  aufwärts  mit  dem 
Stethoscope  verfolgen  lässt.  In  einigen  selteneren  Fällen 
hörte  ich  es  auch  am  Rücken  der  Kranken. 

Differenzen.  1.  Geschwülste,  welche  auf  der 
Aorta  aufliegen,  können  die  Pulsation  fortpflanzen  und  aussen 
auf  den  Bauchdecken  sichtbar  und  fühlbar  machen  und  geben 
auch  bei  der  Percussion  einen  gedämpften  Schall  —  allein 
sie  sind  meistens  verschiebbar,  bärtlich,  uneben  und  es  las- 
sen sich  zugleich  an  andern  Stellen  der  Bauchhöhle  ähnliche 
Afterproducte  auffinden.  Ferner  haben  sie  keine  excentrische 
Herzhypertrophie  zur  Folge,  und  wäre  es  zur  Entwickelung 
von  Hydrops  gekommen  ,  so  würde  er  als  Ascites  begonnen 
haben  (indem  Hydropsien,  welche  von  Herzfehlern  bedingt 
werden ,  gerne  mit  Ödem  der  Füsse  beginnen  und  dann  auf- 
wärts schreiten).  Sollten  harte  Fäcalmassen  hei  oberflächli- 
cher Untersuchung  einige  Erscheinungen  des  Aneurysma 
hervorrufen ,  so  werden  diese  nach  Hebung*  der  Stuhlver- 
stopfung verschwinden. 

2.  Nervöses  Pulsiren.  Zuweilen  werden  hy- 
pochondrische oder  hysterische  Individuen  von  heftiger 
Pulsation  der  Bauchaorta  geplagt  •  dieselbe  ist  aber  be- 
sonders kurz ,  schnellend  und  nicht  constant,  sondern  er- 
scheint nach  unbestimmten  Zeitabschnitten  ,  gleichsam 
in  Paroxysmen  und  in  Gesellschaft  anderer  Symptome, 
welche  auf  gestörte  Innervation  deuten ,  wieder.  Weder 
Palpation  noch  Percussion  vermögen  etwas  Abnormes  zu 
ermitteln ,  und  das  unbeständige  Geräusch ,  das  man  durch 
das    Stethoscop    wahrnimmt ,    ist   schwach ,   blasend,  nichts 


437 

weniger  als  scharf,  und  meistens  zugleich  in  andern  grossen 
Gefässen  zu  hören. 

Krankheiten    der    Lungen  Schlagader. 

Hierüber  ist  noch  sehr  wenig  bekannt.  Dass  Entzün- 
dung an  derselben  vorkommt,  ist  erwiesen,  nicht  minder 
ist  es  einleuchtend ,  dass  ihre  Producte  denselben  Metamor- 
phosen unterliegen  müssen,  die  sie  an  der  Aorta  ein- 
gehen. 

Die    gleichförmige    Erweiterung    der   Arteria 

p  ulmonalis. 

Es  wird  noch  erinnerlich  sein ,  dass  alle  Krankheiten , 
welche  das  Austreiben  des  venösen  Blutes  aus  dem  rechten 
Herzen  behindern,  Hyperämie  der  Lungencapillargefässe  und 
Blutanhäufung  in  derPulmonalarterie  zur  Folge  haben,  welch 
letztere,  so  wie  das  rechte  Herz  durch  dieselbe  ausgedehnt 
wird;  nicht  minder  wird  es  noch  in  frischem  Angedenken  un- 
serer Leser  sein,  dass  eine  diesen  Zustand  begleitende  stär- 
kere Markirung  des  zweiten  Tones  auf  die  Erkenntniss  der 
Bicuspidalklappeninsulficienz  und  der  Stenose  des  linken 
Oslium  vertosum  nicht  ohne  Einfluss  ist.  Ist  die  Erweiterung 
beträchtlich^  so  können  bei  jungen  mageren  Individuen  die 
starken  Pulsationen  der  Lungenschlagader  vorne  in  der  Ge- 
gend zwischen  der  zweiten  und  dritten  Rippe  deutlich  sicht- 
bar werden ,  nie  aber  wird  die  Erweiterung  den  Grad  errei- 
chen ,   dass  sie  den  Percussionsschall  verändert. 

Aneurysma    der  Lungenschlagader. 

Diese  hat  hypertrophische  Erweiterung  des  rechten  Ven- 
trikels und  Verengerung  aller  ober  demselben  entspringenden 
Äste  im  Gefolge ,  und  combinirt  sich  zuweilen  mit  einem 
Aneurysma  der  Aorta. 

Dass  die   Ausbuchtungen    der   Lungenarterie,    welche 


438 

sich  in  tuberculösen  Cavernen  vorfinden,  und  nur  durch  Aus- 
dehnung der  von  der  Jauche  gelockerten  Häute  entstehen , 
die  um  so  leichter  zu  Stande  kommen ,  weil  die  Arterie  ihre 
Stütze  verloren  hat ,  keine  Aneurysmen  sind  ,  bedarf  keines 
weiteren  Beweises.  Das  Bersten  derselben  verursacht  die  den 
Phthisikern  tödtlichen  Lungenblutungen. 

Die  wenigen  Fälle ,  welche  über  Aneurysma  der  Lun- 
genarterie vorliegen ,  gestatten  noch  keine  dasselbe  bezeich- 
nenden Symptome  aufzustellen. 


439 


Untersuchung 

des  Bauches  und  Unterleibes. 

Wir  haben  nun  die  Untersuchung*  des  Kopfes  und  der 
Brust  in  möglichster  Vollständigkeit  abgehandelt  und  beson- 
ders Letzterer  so  weitläufig  gedacht,  als  es  die  beschränkten 
Gränzen  dieser  Schrift  gestatten.  Wenden  wir  nun  unsere 
Aufmerksamkeit  auf  die  nach  anatomischer  Ordnung  folgende 
Provinz  des  menschlichen  Körpers,  so  werden  der  Bauch  und 
Unterleib,  die  Verdauungsorgane  mit  ihren  Anhängen,  sodann 
die  Geschlechts-  und  Harnwerkzeuge  den  Vorwurf  dieses 
Abschnittes  ausmachen. 

Bauclideckcn  und  Peritoiiaeum. 

Inspection.  Durch  das  Auge  werden  vorzüglich  Form- 
veränderungen des  Bauches  und  seiner  Decken,  so  wie  seine 
Vergrösserung ,  Anschwellung  und  Verkleinerung  erkannt. 

Die  Vergrösserung  ist  entweder  allgemein ,  oder  betrifft 
nur  einen  Abschnitt  des  Bauches,  so  dass  dieser  selbst  spitzig 
oder  abgeplattet  erscheint.  Diese  Formverschiedenheiten  wer- 
den durch  Fettablagerung,  Exsudat  in  der  Bauchhöhle  und 
Krankheiten  der  unterliegenden  Organe  bedingt.  Bei  den  ver- 
schiedenen Bauchwassersüchten  ist  die  Form  des  Bauches  häu- 
fig eine  verschiedene.  So  wird  durch  beträchtlichen  Erguss 
in  die  Bauchhöhle  die  Bauchwand  sehr  gewölbt ,  und  der 
Nabel  vorgetrieben.  Bei  geringerer  Menge  von  Flüssigkeit 
erscheint  der  Unterleib  flach,  werden  die  Weichen  nach  aus- 
sen getrieben  oder  gespannt,  und  nach  den  Eingeweiden  ge- 
staltet; besonders  bei  abgesackter  Bauchwassersucht  kann 
die  Form  des  Bauches  eine  unsymmetrische  werden.  Bei  Kin- 
dern ist  Auftreibung  des  Bauches  ein  häufiges  Zeichen  von 
Überfütterung  und  Scropheln ,  bei  reifen  Mädchen  von  Arne- 


440 

norrhoea  per  retentionem.  Eine  strangartige  Anschwellung, 
die  von  den  Schambeinen  zum  Nabel  zieht,  deutet  auf  Entzün- 
dung der  Nabelarterie.  Zuweilen  ändert  die  Anschwellung 
des  Bauches  ihren  Ort  bei  veränderter  Lage  des  Kranken , 
wenn  nämlich  nur  so  viel  Flüssigkeit  angesammelt  ist,  dass 
sie  frei  beweglich  bleibt. 

Einsinken  der  Bauchdecken  begleitet  viele  Zehrungs- 
krankheiten  ,  Krampfzufälle ,  Colica  saturnina  u.  s.  w.,  nach 
Piorry  ist  bei  acuter  Peritonitis ,  ehe  es  noch  zur  Exsu- 
datbildung kommt,  der  Bauch  eingezogen,  und  sind  die 
Muskel  so  contrahirt,  dass  die  Heyiones  iliacae ,  die  keine 
so  starken  Muskel  besitzen ,  als  die  andern  Gegenden  des 
Unterleibes,  vor  diesen  zuweilen  vorstehen. 

Palpation.  Durch  den  Tastsinn  erkennen  wir  wie  ge- 
wöhnlich die  Resistenz  der  Bauchwände  und  nehmen  unter 
Einem  zugleich  deren  Temperatur  in  Betracht. 

Man  untersucht  den  Kranken  am  besten  in  der  schon 
angegebenen  Rückenlage  mit  angezogenen  Schenkeln ,  ver- 
meidet ,  wenn  die  Theile  schmerzhaft  sind ,  starken  Druck , 
ausser  es  wäre  dringende  Nothwendigkeit  vorhanden,  die 
Theile  trotz  ihrer  Empfindlichkeit  gleich  vollends  durch  die 
Palpation  zu  erforschen. 

Sonst  kann  man  immer  kräftig  drücken.  Unterliegende 
Geschwülste  u.  dgl.  werden  durch  den  Tastsinn  oft  dadurch 
deutlicher  erkannt,  dass  man  beide  übereinander  gelegte 
Hände  in  die  Bauchwand  eindrückt,  die  obere  zur  Fixirung 
an  der  zu  untersuchenden  Stelle  festhält,  und  mit  der  andern 
Hand  darunter  drückend  streift.  So  unternimmt  man  vom  Na- 
bel ausgehend  nach  allen  Richtungen  des  Bauches  die  Inda- 
gation,  und  prüft  alle  durch  Abnormität  auffallenden  Stellen 
betreffs  der  Form ,  Resistenz ,  Oberfläche  und  (was  zwar 
strenge  genommen  nicht  hiehergehört)  ihrer  Empfindlichkeit. 
Ein  Gefühl  von  Widerstand  und  Elasticität  bei  grösserer  Aus- 
dehnung des  Bauches  deutet  auf  Gasansammlung  in  diesem ; 


441 

fehlt  die  Elasticität  und  fühlt  sich  der  Leib  weich  an ,  so  ist 
Flüssigkeit  in  diesem  enthalten. 

Die  Art  Fluctuation  hervorzurufen ,  wurde  schon  be- 
sprochen. 

Mensuration.  Das  hieher  Bezügliche  ist  gleichfalls 
schon  im  allgemeinen  Theilc  enthalten. 

Percussion.  Wenn  in  Folge  von  Peritonitis  ein  Ex- 
sudat abgesetzt  wurde,  ist  in  der  Rückenlage  des  Kranken 
der  Percussionsschall  in  der  Mitte  des  Bauches  heller ,  hö- 
her und  metallisch  klingend ,  weil  die  gashaltigen  Darm- 
schlingen in  der  Flüssigkeit  schwimmen ,  und  sich  in  der 
Nabelgegend  zusammendrängen.  An  den  Seitengegenden  und 
den  tiefen  Partien  findet  sich  der  Flüssigkeit  entsprechend 
dumpfer  Schall,  mit  bedeutendem  Widerstände  beim  An- 
klopfen. Diese  Schallverschiedenheit  lässt  sich  bei  Lagever- 
änderung des  Kranken  immer  nach  dem  Stande  der  Flüssigkeit , 
die  sich  nach  unten  sammelt,  und  dem  der  lufthaltigen  Därme, 
die  oben  auf  schwimmen^  verfolgen,  so  dass  bei  der  Knieell- 
bogenlage die  Nabelgegend  die  meiste  Dämpfung  des  Schal- 
les ergeben  muss  (Schön  lein). 

Ist  die  Exsudatmasse  aber  sehr  gross ,  dass  kein  luft- 
haltiger Darm  an  der  Bauchwand  anliegt,  so  ergibt  sich 
allenthalben  dumpfer  Schall ,  mit  Ausnahme  der  Magenge- 
gend, der  aber  durch  tiefes  Eindrücken  des  Plessimeters, 
wenn  dadurch  ilie  Därme  doch  zum  Tönen  gebracht  werden, 
etwas  tympanitisch  erscheinen  kann. 

Abgesackte  Bauchwassersucht  dämpft  ihrem  Umfange 
entsprechend  den  Percussionsschall.  Abscesse  des  Perito- 
näums  werden  durch  den  matten  Ton  leicht  erkannt.  Medul- 
larkrebs  und  Tuberculose  des  Bauchfelles  erreichen  selten  die 
Grösse ,  dass  sie  eine  merkliche  Schallverschiedenheit  beim 
Anklopfen  bewirken.  Afterproducte  des  Netzes  hingegen  wer- 
den leicht  durch  das  Plessimeter  erkannt. 

Gasförmige  Flüssigkeit  entwickelt  sich  im  Bauchraume 
entweder  aus  jauchigem  Exsudate  oder  tritt   aus  den    Ge- 


Hl 

därmen  bei  deren  Durchbohrung*.  Dabei  ist  der  Percussions- 
ton  voll,  aber  weniger  tympanitisch  als  im  Normalzustande, 
und  der  Bauch  sehr  aufgetrieben. 

Auscultation.  Die  Bewegung,  welche  die  Gedärme; 
das  Herabsteigen  des  Zwerchfelles  und  dieZusamrnenziehung 
der  Bauchmuskel  machen ,  bewirkt  im  Normalzustande  nie 
ein  hörbares  Anstreifen  der  beiden  Peritonäalblätter ,  da  sie 
immer  glatt  und  schlüpfrig  sind.  Wird  ihre  Oberfläche  aber 
durch  plastisches  Exsudat  rauh,  so  vernimmt  man  ein  schwa- 
ches Reibungsgeräusch,  das  so  wie  das  pleuritische  mit  Zu- 
nahme des  flüssigen  Exsudates  verschwindet,  nach  dessen 
Resorption  aber  so  lange  gehört  wird,  bis  die  beiden  serösen 
Blätter  sich  an  einander  glatt  gerieben  haben.  Tuberculöse 
Peritonitis  dürfte  die  Entstehung  des  Reibungsgeräusches 
besonders  begünstigen.  Das  Fehlen  desselben  spricht  aber 
nicht  gegen  das  Bestehen  von  Peritonitis.  Nach  Despres 
ist  die  Wahrnehmung  des  Peritonäalreibens  nicht  ohne  Be- 
lang bei  der  Diagnose  nicht  reponirbaier  Brüche ,  indem  die 
Symptome  der  scheinbaren  Einklemmung  oft  in  der  gleichzei- 
tig* sich  entwickelnden  Bauchfellentzündung  ihren  Entste- 
hungsgrund erkennen.  Nach  Moser  zeigt  das  locale  Rei- 
ben die  Stelle  an ,  an  welcher  es  gelang ,  behufs  der  Eröff- 
nung von  Leberabscessen  oder  Hydatiden  adhäsive  Entzün- 
dung hervorzurufen,  und  sein  Verschwinden,  dass  die  An- 
löthung  vollendet  ist.  Ebenso  wird  das  Vorhandensein  des 
Geräusches  abhalten ,  an  derselben  Stelle  zu  operiren ,  um 
nicht  in  Gefahr  zu  gerathen,  einen  an  die  Bauchwand  gekleb- 
ten Darm  zu  eröffnen. 

Untersuchung*    des  Magens  und  Pancreas. 

Inspection.  Im  Normalzustande  und  in  der  Rücken- 
lage des  Kranken  findet  man  bei  leerem  Magen  unter  dem 
schwertförmigen  Fortsatze  und  dem  unteren  Rande  des  Brust- 
korbes einen  Eindruck,  der  aber  bei  vollem  Magen  und  in 
manchen  krankhaften  Verhältnissen  sogar  gewölbt  erscheint, 


443 

und  dann  durch  den  ersten  sehnigen  Einschnitt  des  geraden 
Bauchmuskel  begränzt  wird.  Nach  Piorry  sieht  man  in  ge- 
wissen Zuständen  und  bei  hinlänglicher  Ausdehnung  des 
Magens  dessen  Bewegungen,  z.  B.  vor  dem  Erbrechen,  docfc 
nur  wenn  zugleich   die  Bauchmuskeln  mitwirken. 

Palpation.  Durch  den  Tastsinn  prüfen  wir  die  Resi- 
stenz, Elasticität,  Oberfläche  und  Temperatur  der  Magen- 
gegend. Dabei  muss  man  sich  hüten,  die  zusammengezoge- 
nen Bauchmuskel  für  Geschwülste  zu  halten,  und  durch 
den  Tastsinn  sowohl  als  durch  die  Percussion  die  Gränzcn 
der  Magengegend  genau  ermitteln. 

Nach  Abercrombie  wird  Verhärtung  des  Pylorus 
durch  geringen  Druck  leicht  erkannt  (auch  ist  dabei  grosse 
Empfindlichkeit  bemerkbar)  und  die  Bauchdecken  erscheinen 
hart  und  gespannt ;  Verhärtung  des  Pancreas  hingegen  gibt 
sich  durch  eine  nur  dem  tiefern  Drucke  zugängliche,  quer 
unter  dem  Magen  gelegene  (weniger  empfindliche)  Geschwulst 
zu  erkennen,  besonders  wenn  man  den  Kranken  in  der  Knie- 
ellbogenlage untersucht ;  die  Bauchdecken  sind  dabei  weich 
und  aufgetrieben. 

Ist  der  Magen  nicht  ganz  von  Flüssigkeit  erfüllt,  so  ist 
es  möglich ,  auf  die  gewöhnliche  Weise  fühlbare  Fluctuation 
hervorzurufen.  (Moser.)  Das  Sondiren  des  Magens  liefert 
keine  befriedigenden  Aufschlüsse ,  und  ist  eine  schwierig 
auszuführende  Operation. 

Percussion.  Selbst  ungeübte  Ohren  sindjm  Stande 
die  Gränzen  des  Magens  durch  das  Plessimeter  zu  bestim- 
men. Nach  links  berührt  er  die  Milz,  nach  oben  wird  er  vom 
Herzen  und  der  Lunge  begränzt;  rechts  lagert  sich  der  linke 
Leberlappen  über  denselben  und  dämpft  seinen  Schall.  Die 
Cardia  befindet  sich  in  der  Herzgrube  hinter  dem  Proc.  xy- 
phoideus  und  der  Spitze  des  kleinen  Leberlappens,  der  Grund 
reicht  zuweilen  bis  in  die  Nabelgegend  hinab.  Der  massig 
erfüllte  Magen  klingt  hell,  voll  und  etwas  tympanitisch,  ohne 
fühlbaren  Widerstand ;  übrigens  dürfte  unter  gewissen  Um- 


444 

ständen  links  der  Magenton  sich  etwas  weiter  hinauf  in  die 
Brusthöhle  verbreiten,  als  nach  dem  Umfange  dieses  Orga- 
nes  eigentlich  sein  sollte.  Die  Quantität  des  Mageninhaltes 
ist  übrigens  nicht  ohneEinfluss  auf  die  Resultate  seiner  Per- 
cussion.  Dass  bei  kleinen  Kindern  der  Magen  umfänglicher 
und  sein  Percussionston  weiter  verbreitet  ist ,  ist  schon  er- 
wähnt worden.  Kann  man  den  Magen  nicht  von  den  benach- 
barten Gedärmen  unterscheiden ,  so  lasse  man  den  Kranken 
schnell  ein  Paar  Gläser  Wasser  trinken ,  worauf  es  keinen 
Schwierigkeiten  unterliegen  wird,  die  Anwesenheit  der  Flüs- 
sigkeit im  Magen  durch  das  Plessimeter  zu  bestimmen. 

Durch  die  Percussion  kann  die  Gegenwart  anderer  Ge- 
schwülste, als  der  Medullarsarcome  im  Magen  nicht  nach- 
gewiesen werden ,  da  sie  alle  nicht  die  gehörige  Grösse  er- 
reichen ,  auch  hat  die  Verdickung*  der  Häute  auf  den  durch 
Klopfen  hervorgebrachten  Schall  keinen  Einfluss;  liegen  Ge- 
schwülste oberflächlich,  so  wird  ihr  Schall  nur  bei  schwa- 
chem Percutiren  gedämpft  tönen  ,  liegen  sie  in  der  Tiefe,  so 
wird  diess  nur  der  Fall  sein  ,  wenn  man  das  Plessimeter 
mehr  eindrückt  und  stark  klopft ,  sonst  wird  man  immer  den 
hellen  Magenton  vernehmen. 

Gasansammlung  und  Flüssigkeit  im  Magen  werden  beson- 
ders bei  aufrechter  Stellung  des  Kranken ,  durch  den  hellen 
Percussionsschall  im  obern ,  und  den  matten  Ton  im  untern 
Theile  der  Magengegend  erkannt.  Mit  Veränderung  der  Lage 
werden  auch  die  plessimetrischen  Schallverschiedenheiten 
andere.  Will  man  die  Menge  der  im  Magen  befindlichen  Flüs- 
sigkeit schätzen ,  so  lasse  man  den  Kranken  auf  die  rechte 
Seite  legen ,  da  die  Flüssigkeit  wegen  engerer  Beschaffen- 
heit des  rechten  Magenendes  hier  höher  steigt  (Moser). 
Nach  Maillot  erkennt  man  die  Anwesenheit  von  Flüssig- 
keit auch  an  dem  Gefühle  von  Fluctuation,  die  durch  star- 
ken plötzlichen  Anschlag  an  das  Plessimeter  erregt  wird. 

Auscultation.  Die  Auscultation  hat  hier  wenig  Nu- 
tzen, denn  ausser  einem  schon  oft  in  der  Entfernung  hörba- 


445 

reu  Glucken  und  Gurgeln,  ausser  dem  hörbaren  Geräusche 
der  Ructus  und  der  Fluctuation ,  die  zuweilen  durch  Rütteln 
des  Kranken  hervorgerufen  wird ,  ist  hier  kein  Zeichen  von 
besonderer  Bedeutung*.  Zugleich  hört  man  oft  ein  metalli- 
sches Klingen ,  wenn  Flüssigkeit  und  Gas  zugleich  vorhan- 
den sind.  Nur  die  Häufigkeit  oder  die  beständige  Gegenwart 
der  genannten  Geräusche  deutet  auf  allgemeine  oder  örtli- 
che Schwäche  des  Magens ,  Erweiterung'  desselben,  Hyste- 
rie u.  s.  w. 

Untersuchung'  der  Gedärme  und  des  Gekröses. 

Inspection.  Die  Besichtigung  vermag  nur  eine  Um- 
fangs  -  Zunahme  des  Bauches  (wie  bei  Tympanites,  Meteo- 
rismusj  und  ein  Einsinken  desselben  nachzuweisen.  Mehr 
Aufschluss  geben   die  andern  diagnostischen  Behelfe. 

Palpation.  Hier  erwirbt  sich  derWerth  der  genauen 
Kenntniss  der  einzelnen  Gegenden  des  Unterleibes ,  wie  sie 
in  der  Einleitung*  dargestellt  wurden,  volle  Geltung.  Bei  der 
Untersuchung ,  die  in  der  Rückenlage  vorgenommen  wird , 
sucht  manjsich  zuerst  die  Gränzen  des  Magens,  der  Leber, 
der  Milz  und  der  Harnblase  zu  bestimmen,  und  befühlt  dann 
mit  wechselndem  Drucke  die  von  den  genannten  Organen  ein- 
geschlossenen Därme.  Das  unter  der  Leber  gelegene  Duode- 
num ist  der  Indagaüon  nicht  zugänglich.  Das  Colon  umgibt 
die  übrigen  Därme  kreisförmig,  besonders  wichtig  ist  die 
Gegend  des  Blinddarmes  für  die  Diagnose  vieler  Krankheiten. 

Im  Normalzustande  greift  sich  der  Bauch  massig  elastisch 
und  weich  an,  und  nur  krankhafte  Zustände  vermögendem 
Finger  einzelne  Windungen  der  Gedärme  fühlbar  zu  machen. 
So  findet  man  z.  B.  bei  Ausdehnung  des  Colons  durch  Gas 
an  diesem  runde ,  kropfige  Vortreibungen ,  häufig  ist  aber 
der  Bauch  bei  Tympaniles  intestinalis  gleichförmig*  gespannt 
und  aufgetrieben.  Die  Anschwellung  zeigt  in  diesem  Falle 
keine  Fluctuation  und  wird  bei  dem  Versuche  sie  von  der 
Seite  mit  den  Händen  gleichsam  aufzuheben  leichter  gefun- 


446 

den  als  bei  Ascites.  Krampfhafte  Zusammenziehung*  des  Darm- 
canals  ist  meistens  mit  dem  gleichen  Zustande  der  Bauch- 
decken vergesellschaftet,  und  lässt  sich  nicht  selten  durch 
den  Tastsinn  erkennen.  Im  Blinddarme  und  am  untern  Theile 
des  Dickdarmes  werden  verhärtete  Fäcalmassen ,  die  oft  wie 
Knöpfe  eines  Rosenkranzes  an  einander  gereiht  sind , 
durch  die  Indagation  mit  Leichtigkeit  bemerkt,  und  es  lassen 
sich  deren  Veränderungen,  Vorwärtsschreiten,  Verschwinden 
u.  s.  w.  nach  Gebraucli  von  Laxanzen ,  durch  Palpation,  so 
v/ie  zuweilen  selbst  durch  Percussion  genau  verfolgen. 

Durch  das  Gefühl  wird  häufig  in  den  Weichen  Crepita- 
tion  wahrgenommen,  ein  Symptom,  dem  man  zu  grossen  Werth 
beigelegt  hat,  namentlich  für  die  Diagnose  des  Typhus,  es 
bedeutet  weiter  nichts  als  Anwesenheit  von  Luft  und  von 
Flüssigkeit,  und  kann  in  allen  mit  Diarrhöe  verbundenen  Zu- 
ständen gefunden  werden. 

Percussion.  Die  dünnen  Därme  geben  bei  massiger 
Erfüllung*  von  Luft  einen  hellen,  leeren,  tympanitischen  Per- 
cussionsschall  9  mit  ziemlicher  Elasticität  beim  Anschlage. 
Der  Dickdarm  tönt  voller  als  das  Ileum ;  dieses  und  das 
Jejunum  tönen  einige  Zeit  nach  der  Verdauung*  dumpfer, 
als  der  Dickdarm;  je  mehr  Gas  in  den  Gedärmen  enthalten 
ist,  desto  sonorerklingen  sie,  ausser  es  würden  dabei  die 
Bauchdecken  sehr  gespannt ,  wobei  der  tympanitische  Per- 
cussionsschall  sich  verliert. 

Fäcalmassen  dämpfen  den  Percussionston ,  und  geben 
sich  zugleich  durch  vermehrten  Widerstand  kund,  eben  so 
die  bei  Kindern  häufig  vorkommenden  Geschwülste  der  Ge- 
krösdrüsen.  Ob  aber  derlei  Afterproducte  in  dem  Gekröse 
oder  im  Netze  ihren  Sitz  haben,  lässt  sich  nicht  unter- 
scheiden. 

Piorry  empfiehlt  zur  genauen  Lagebestimmung  ein- 
zelner Theile  der  Gedärme  Clystiere  zu  geben  ,  und  dann 
wieder  zu  percutiren ,  wobei  der  Dickdarm  sich  durch  mat- 
ten Ton  zu  erkennen  geben  wird.    Alles  andere  hell  klin- 


447 

gende  ist  Dünndarm  und  Magen.  Letzterer  wird  aber,  wie 
schon  erwähnt  wurde  ,  durch  eine  nach  Zusichnahme  von 
Getränken  bemerkbare  Leerheit  des  plessimetrischen  Schal- 
les von  den  Gedärmen  unterschieden.  Voller  Ton  über  dem 
Dickdarme  und  Mattheit  über  dem  Dünndarme  deutet  auf  Gas- 
ansammlung' im  ersteren  und  Kothanhäufung;  oder  Verenge- 
rung" im  letzteren.  Kothanhäufung  bewirkt  zugleich,  dass 
das  Jejunum  einen  grösseren  Raum  einnimmt.  —  Voller  Ton 
über  dem  Dünndarme  und  matter  Percussionsschall  über  dem 
Colon  deutet  auf  Verstopfung  des  letzteren,  wodurch  das  in 
jenem  angesammelte  Gas  sich  nicht  entleeren  kann  (Mos  er). 
Auscultation.  Durch  dieselbe  hören  wir  nur  die 
mannigfachen  Tonverschiedenheiten  von  Borborygmen  bei 
Diarrhöe,  Flatulenz,  Hysterie,  Missbrauch  von  Schnür- 
miedern u.  s.  f. 

Untersuchung  des  Mastdarmes. 

Inspection.  Die  Besichtigung  betrifft  entweder  den 
After  und  seine  Umgebung,  oder  sucht  in  den  Canal  des 
Mastdarmes  einzudringen.  Dazu  gebe  man  dem  Kranken  eine 
Seitenlage  mit  ausgestrecktem  Fusse  der  Seite,  worauf  er 
liegt  und  mit  gebogenem  Knie  des  andern  Fusses,  entferne 
die  Nates  von  einander,  und  suche  sich  durch  massiges  Aus- 
einanderziehen der  Aftermündung,  während  der  Kranke  wie 
zum  Stuhlgange  drängt,  Einsicht  zu  verschaffen.  Ist  diese 
nicht  hinreichend,  so  bringe  man  das  hier  abgebildete  Af- 
terspeculum  ein,  welches  auch  zur  Untersuchung  der 
Scheide  passend  verwendet  wird,  aus  3  Blättern  besteht  und 
durch  eine  im  Griffe  befindliche  Schraube  erweitert  und  ge- 
schlossen werden  kann.  In  denselben  steckt  ein  hölzerner 
Zapfen  zum  Schutze  der  Theile  vor  (während  des  Einfah- 
rens leicht  möglicher)  Verletzung.  Ist  das  erwähnte  und 
beöhlte  Instrument  eingebracht  und  ein  wenig  geöffnet,  so 
kann  man  den  nun  locker  gewordenen  Zapfen  leicht  entfer- 
nen. Die  Führung  des  Speculums  geschieht  zuerst  mit  der 


448 

Achse  des  Körpers  parallel,  dann  nach  der  Krümmung*,  wel- 
che die  vordere  Fläche  des  Steiss-  und  Heiligenbeines  bil- 
det. Bei  künstlicher  Beleuchtung  und  unter  langsamer  Ent- 
fernung des  Instrumentes  kann  man  dann  die  an  seinem  Ende 
sichtbare  Schleimhaut  untersuchen. 


Durch  den  Gesichtssinn  erkennt  man  in  der  Umgegend 
des  Afters  oder  an  diesem  selbst  haftende  Wucherungen,  Con- 
dylome, Polypen,  Geschwüre,  Blennorrhoe,  Goldaderknoten, 
Vorfall  der  Mastdarmschleimhaut,  Fissuren  in  den  Falten  der 
Aftermündung*  oder  höher  oben  in  der  Gegend  des  Schliess- 
muskels,  skirrhöse  Geschwülste  ,  Fisteln,  Stricturenu.  s.  w. 
Geschwülste  jeder  Art .  Reclination  der  Gebärmutter ,  De- 
generationen der  Nachbarorgane ,  wie  der  Ovarien  können 
den  Mastdarm  bedeutend  verengen.  Bei  Kindern  kann  selbst 
eine  angeborne  Verschliessung*  vorkommen,  die  sich 
als  eine  beim  Schreien  vortretende,  gewölbte  Haut  kund  gibt, 
durch  welche  das  Meconium  durchscheint ;  abnorme  Af- 
termündungen und  Kothlisteln  kommen  häufig  in  der  Va- 
gina vor,    können  aber  selbst  an  jeder  Stelle  der  vorderen 


449 

Bauchwand  sieb  finden ,  wobei  die  Haut  rund  um  eingezo- 
gen ,  strahlig  gerunzelt  und  mit  den  Muskeln  fest  verwach- 
sen erscheint.  Gewöhnlich  ist  nur  ein  Fistelgang  vorhanden, 
oft  aber  münden  deren  mehrere  in  einen  Canal.  Da  diese  Af- 
ter keine  Schliessmuskel  haben ,  fliesst  beständig  der  Darm- 
inhalt aus  ,  und  aus  dem  Mastdarme  kommt  nur  das  Secret 
des  Dickdarmes ,  als  schleimige ,  weissliche  Flüssigkeit  von 
verschiedener  Consistenz. 

Palpation.  Die  vorsichtige  Einführung  des  beöhlten 
Fingers  in  den  After  gibt  über  viele  organische  Krankheiten 
des  Mastdarmes  Aufschluss.  Besonders  wichtig  ist  in  dieser 
Hinsicht  die  Gegend  des  Schliessmuskels.  Durch  den  Tast- 
sinn ermitteln  wir  den  Sitz  von  Structuren,  die  so  hoch  ge- 
legen sind ,  dass  sie  dem  Gesichtssinne  nicht  leicht  zugäng- 
lich werden ,  und  beurtheilen  die  Beschaffenheit  der  unter- 
suchten Tlieile ,  ob  sie  weich  oder  hart,  selbst  callös,  feucht 
oder  trocken ,  glatt  oder  mit  höckeriger  oder  schwammiger 
Oberfläche  versehen  sind  ;  durch  den  Finger  oder  eine  ela- 
stische, dickere  Sonde  erkennen  wir  häutige  Verwachsungen 
als  fluetuirende  Stellen ,  und  die  Diagnose  wird  noch  durch 
die  Beobachtung  gesichert ,  dass  kein  Koth  abgesetzt  wird, 
und  ein  eingebrachtes  Clysticr  nicht  weiter  eindringt  und 
schnell  zurückfliesst. 

Percussion.  Das  Plessimeter  vermag  nur  in  dem  Falle 
von  Kothanhäufung  im  Rectum  und  S  romanum  diese  zu 
erkennen  zu  geben,  und  könnte  bei  so  hoch  gelegener  Ver- 
engerung oder  Verschliessung  des  Dickdarmes,  dass  sie  mit 
dem  Finger  oder  der  Sonde  nicht  erreicht  wird ,  ihren  Sitz 
mittelst  reichlicher  Clystiere  kund  geben ,  welche  bis  zur 
erkrankten  Stelle  dringen,  ohne  sie  zu  überschreiten,  un- 
terhalb hörte  man  den  matten  Ton  der  eingespritzten  Flüssig- 
keit,  oberhalb  den  normalen  Darmton. 

Untersuchung  der  lieber. 

Inspection.  Für  die  Untersuchung  der  Leber  gibt  die 
Besichtigung  nur  unsichere  Resultate.  Die  Lage  des  Kran- 
Gaal.  Diagnostik.  29 


450 

ken  ist  häufig'  zu  berücksichtigen  ;  bei  schmerzhaften  Leber- 
leiden ist  die  aufrechte ,  sitzende  Lage  oft  peinlich,  und  die 
Kranken  liegen  gerne  auf  der  empfindlichen  Seite.  Die  An- 
schwellung der  Leber  müsste  schon  bedeutend  sein ,  wenn 
sie  sich  äusserlich  sichtbar  macht,  und  auch  dann  erhebt 
sich  die  Leber  meistens  mehr  in  den  Thorax  als  zur  Seite. 
Zu  dem  darf  man  nicht  übersehen  ,  dass  Auftreibungen  der 
Hypochondrien  auch  ohne  Leberkrankheiten  vorkommen  kön- 
nen. Die  Gallenblase  dürfte  kaum  so  vergrössert  werden, 
dass  ihre  Vortreibung  äusserlich  zu  sehen  wäre;  dennoch 
beschreibt  P  etit  dieGallengeschwülste  als  umschrie- 
bene ,  scharf  begränzte ,  nicht  mit  der  Haut  verschmolzene 
Vortreibungen  ,  die  von  keinem  Ödeme  begleitet  sind  ,  und 
unter  den  falschen  rechten  Rippen  und  dem  geraden  Bauch- 
muskel liegen ,  und  unterscheidet  sie  von  Leberabsces- 
s  e  n  ,  die  weniger  umschriebene,  scheinbar  in  die  Haut  über- 
gehende und  an  verschiedenen  Stellen  vorkommende  Ge- 
schwülste darstellen. 

Mensuration.  Misst  man  von  der  weissen  Bauch- 
linie bis  zu  dem  Dornforlsatze  der  Wirbel  beiderseits,  so  er- 
hält man  dieMaasse  beider  Hypochondrien,  welche  man  ver- 
gleichen kann. 

Palpation.  Man  untersucht  die  Lebergegend  in  der 
Lage ,  welche  für  die  Untersuchung  des  Bauches  überhaupt 
angegeben  wurde ,  durch  Druck ,  den  man  von  den  falschen 
Rippen  ausgehend  auf  die  Lebergegend  nach  verschiedenen 
Richtungen  ausübt.  Zugleich  versucht  man,  ob  man  ober  der 
Leber  unter  den  Rippen  einige  Finger  einschieben  könne  oder 
nicht ,  letzteres  ist  bei  Auftreibung  dieses  Eingeweides  häufig 
der  Fall.  Hat  man  den  unteren  Leberrand  durch  Palpation 
ermittelt,  trachtet  man  ihn  weiter  zu  verfolgen,  und  berück- 
sichtiget dabei  besonders  den  linken  und  den  Spigelischen 
Leberlappen  und  die  Gallenblase.  Andral  empfiehlt  zur  Un- 
tersuchung der  Leber  die  Hand  auf  folgende  Weise  zu  ge- 
brauchen: Man  soll  die  mit  Ausnahme  des  Daumens  ausge- 


451 

streckten  und  zusammengelegten  Finger  auf  die  rechte  Rip- 
penreihe derart  bringen,  dass  der  äussere  R?»nd  des  Zeige- 
fingers ,  seiner  ganzen  Länge  nach  ,  die  Bauchwand  be- 
rührt ;  in  dieser  Richtung*  drücke  man  nun  die  Hand  von  vorne 
nach  rückwärts  ein,  und  gehe  schnell  von  unten  nach  oben,  in- 
dem man  den  Cubitalrand  der  Hand  der  Bauchwand  nähert  und 
sie  in  dieser  neuen  Richtung  mit  dem  Radialrande  eindrückt. 

Die  Palpation  leistet  weniger  für  die  Bestimmung  der 
Grösse  der  Leber,  als  für  die  Ermittelung  der  Beschaffen- 
heit deren  Oberfläche. 

Pet  it  unterscheidet  Le  ber  ab  s  ces  se  von  der  Er- 
weiterung der  Gallenblase  durch  das  Gefühl  der 
Fluctuation.  Bei  ersteren  nämlich  ist  die  Umgegend  immer 
etwas  geschwollen  und  die  Fluctuation  wird  erst  spät  fühl- 
bar; bei  Ausdehnung  der  Gallenblase  ist  keine  Härte  im 
Umkreise  wahrzunehmen,  und  die  Fluctuation  ist  gleich  an- 
fangs bemerkbar  und  in  der  ganzen  Geschwulst  zu  fühlen. 

Percussion.  Die  Leber  liegt  unter  der  rechten  etwas 
kürzeren  Lunge  im  rechten  Hypochondrium  in  der  Höhlung, 
welche  die  untere  Hälfte  des  Zwerchfelles  zu  ihrer  Auf- 
nahme bildet.  Eine  Linie,  welche  wir  uns  vom  Ende  des 
schwertförmigen  Knorpels  nach  rechts  senkrecht  auf  die  Wir- 
belsäule gezogen  denken ,  entspricht  so  ziemlich  der  oberen 
Fläche  der  Leber.  Der  linke  Lappen  derselben  erstreckt  sich 
bis  in  die  Herzgrube ,  wo  er  sich  über  den  Magen  lagert. 

Zur  Bestimmung  der  Ausdehnung  der  Leber  muss  man 
von  der  Brustwarze  und  unter  der  Achselhöhle  so  weit  nach 
abwärts  percutiren ,  bis  der  matte  Leber-  in  den  Darmton 
übergeht,  und  dann  unter  den  Rippen  von  rechts  nach  links 
untersuchen ,  um  die  Breite  dieses  Organes  zu  erforschen. 

Bei  der  Percussion  ergibt  sich  matter,  dumpfer  Schall 
mit  ziemlichem  Widerstände,  da  das  untersuchte  Organ  dicht 
und  vollkommen  luftleer  ist.  Dieser  Percussionsschall  ist  im 
Normalzustande  in  der  Breite  von  vier  Zollen  unter  der  Ach- 
selhöhle in  der  bezeichneten  Gegend  zu  hören ,  beträgt  un- 

29  # 


452 

ter  der  Brustwarze  bei  drei  Zolle,  2'/2  Zoll  rechts  vomPro- 
cessus  ensiformis  }  und  noch  zwei  Zolle  auf  dessen  linker 
Seite,   dem  linken  Leberlappen  entsprechend. 

Durch  die  Percussion  können  somit  die  Gränz'en  der  Le- 
ber aut  das  Genaueste  dargethan  werden ;  nach  oben  wird 
sie  vom  sonoren  und  hellen  Lungentonc  berührt ,  nach  unten 
vom  Darmtone ,  und  links  scheidet  sich  ihr  Percussionston 
von  dem  des  tympanitisch  klingenden  Magens.  Am  Rücken 
wird  der  obtuse  Schall  der  Leber  bei  leisem  Anschlage  nicht 
deutlich  wahrgenommen ,  da  sich  der  untere  Lungenlappen 
daselbst  tiefer  herab  senkt  und  jene  bedeckt ;  klopft  man  aber 
stärker,  so  muss  der  matte  Ton  der  Leber  den  hellen 
Schall  des  darüber  gelagerten  Lungengewebes  durchdringen 
und  selben  dämpfen.  An  der  Vordcrflächc  des  Bauches  finden 
wir  hingegen  bei  schwachem  Anschlage  den  matten  Ton  der 
Leber,  die  sich  mit  ihrem  vordem,  scharfen  Rande  über  die 
Gedärme  lagert ;  bei  starker  Percussion  klingen  letztere  durch 
die  Leber  durch. 

Grösscnveränderungen  der  Leber  werden  mit  Leichtig- 
keit durch  das  Plessimeter  nachgewiessn  ,  seien  sie  nun  Hy- 
pertrophie ,  Atrophie ,  Abscessc  ,  Hydatiden  oder  Krebsge- 
schwülste. Oft  betrifft  die  Volums-Zu-  oder  Abnahme  die 
ganze  Leber,  oft  nur  einen  einzelnen  Theil,  die  Breite  oder 
die  Höhe  derselben.  Welcher  Art  aber  die  Krankheiten  der 
Leber  seien  ,  vermag  das  Plessimeter  nicht  zu  bestimmen, 
eben  so  wenig,  als  es  für  die  Erforschung  von  Krankheiten 
der  Gallenblase  etwas  zu  leisten  vermag.  Moser  #)  ver- 
sichert zwar  beim  Anklopfen  an  die  erfüllte  Gallenblase  ei- 
nen in  deren  Mitte  besonders  matten  Ton  erhalten  zu  haben, 
der  zuweilen  von  leisem  Metallklirren  und  hydropneumati- 
schem  Geräusche  begleitet  war;  meines  Dafürhaltens  aber 
dürfte   diese  Wahrnehmung  nur  den  seltensten  Fällen   ange - 


*)  1.  c.  p.  261. 


453 

hören  und  möchte  den  benachbarten  Gedärmen  und  dem  Ma- 
gen ihr  Antheil  an  der  Erzeugung*  des  metallischen  Geräu- 
sches nicht  ganz  abzusprechen  sein. 

Die  Durchmesser  der  Leber  werden  ausser  den  ange- 
führten Krankheiten  noch  in  Hepatitis ,  Herzleiden ,  zuwei- 
len auch  in  Pneumonie,  Bronchitis  und  Arthrorheuma  ver- 
grössert  gefunden.  Wechselfieber  geht  mehr  mit  Volumszu- 
nahme der  Milz  einher,  als  es  auf  die  Leber  influirt. 

Nicht  zu  vergessen  ist ,  dass  Krankheiten  der  Brust- 
organe den  Stand  der  Leber  ändern  (z.  B.  Emphysem,  Pneu- 
mothorax) und  dass  es  oft  unmöglich  wird,  zu  bestimmen, 
wo  ein  rechtseiliger  pleuritischer  Erguss  aufhört  und  die 
Leber  beginnt. 

Auscul  f  atio  n.  Durch  das  Stethoscop  hören  wir  das 
Athmungsgeräusch  am  Thorax  ,  so  weit  herab,  als  die  Lunge 
reicht,  sein  Schweigen  wird  uns  somit  im  Bunde  mit  der 
Percussion  die  obere  Gränze  der  Leber  angeben,  wobei  aber 
nicht  zu  vergessen  ist ,  dass  die  obere  gewölbte  Fläche  die- 
ses Organes  etwas  weiter  unter  die  Lungen  hinaufreicht,  als 
es  deren  Admvungsgeräusch  immer  anzeigt.  Mangelt  das 
Athmungsgeräusch  höher  hinauf,  als  es  dem  normalen  Stande 
der  Leber  zukommt ,  und  ist  kein  pleuritisches  Exsudat  als 
Ursache  zu  erkennen,  so  ist  die  Leber  vergrößert,  oder  hat 
wenigstens  einen  höheren  Stand. 

Lännec,  P  i  o  r  r  y  und  Roger  haben  ein  eigenthüm- 
liches  Schwirren  oder  Erzittern  vernommen,  wenn  einge- 
schlossene Acephalocysten  bewegt  wurden ,  eben  so  haben 
Lisfranc  und  Piorry  die  Crepitation  von  Gallensteinen 
gehört,  welche  bei  der  Section  sieh  wirklich  vorfanden. 

Lännec  gibt  ferner  an,  dass  Leberabscesse  und  Cy- 
sten durch  das  Stethoscop  erkannt  werden  können,  wenn  sie 
sich  in  die  Lungen  oder  in  den  Danncanal  öffnen-,  denn  im 
ersteren  Falle  können  cavernöser  Husten ,  cavernöse  Respi- 
ration und  Stimme ,  ja  selbst  Metallklingen  über  der  Höhle 
gehört  werden-,  im  letzteren  müsse  bei  angebrachtem  Drucke 


454 

auf  den  Bauch ,  die  in  den  Gedärmen  oder  dem  Magen  ent- 
haltene Luft  mit  einem  gurgelnden  Geräusche  in  die  Caverne 
eindringen. 

Unterguehung  der  Milz. 

Die  Inspection  kann  nur  eine  sehr  bedeutende  An- 
schwellung des  linken  Hypochondriums  erkennen. 

Mensuration.  Die  Mensuration  wird  auf  gleiche  Weise 
vorgenommen  ,  wie  diess  für  die  Leber  angegeben  wurde. 

Palpation.  Die  Milz  ist  dem  Tastsinn  nur  wenig  zu- 
gänglich, da  sie  unter  den  linken  Rippen  verborgen  ist,  und 
derselbe  kann  daher  über  Volumsveränderungen  dieses  Or- 
ganes  nur  geringen  Aufschluss  geben;  die  Bestimmung  der 
Lage  der  Consistenz  und  der  Beschaffenheit  der  Oberfläche 
sind  die  einzigen  Puncte,  über  welche  man  durch  den  Tast- 
sinn belehrt  wird.  Man  drückt  zu  dem  Ende  die  Hand  lin- 
kerseits unter  die  letzten  falschen  Rippen  ein  ,  um  den  vor- 
dem Milzrand  zu  finden ,  lasse  sich  aber  nicht  durch  Ein- 
kerbungen der  BauchmuskeJ  täuschen. 

Percussion.  Dem  Stande  der  Milz  entsprechend, 
finden  wir  bei  zweckmässiger  Lage  des  Kranken  auf  der  rech- 
ten Seite ,  und  indem  er  den  linken  Arm  vom  Stamme  ent- 
fernt ,  im  linken  Hypochondrium  in  der  Seiten-  und  Rücken- 
gegend von  der  4.  Rippe  angefangen  über  den  letzten  fal- 
schen Rippen  einen  matten  und  leeren  Percussionsschall  von 
etwa  drei  Quadratzollen  im  Umfange  begränzt  vom  Lungen- 
tone nach  oben,  nach  vorne  und  rechts  vom  Magentone,  nach 
abwärts  von  dem  der  Gedärme. 

Vergrösserung  der  Milz  gibt  entsprechende  Zunahme 
des  matten  Percussionstones.  Ich  habe  Fälle  beobachtet,  wo 
der  Milzton  bis  nahe  an  die  Bauchlinie  reichte;  auffallend 
aber  ist  die  bedeutende  Vergrösserung  des  in  Rede  stehen- 
den Organes  bei  Wechselfiebern ,  und  wird  besonders  im 
Kältestadium  leicht  nachgewiesen,  während  sie  in  der  Pe- 
riode der  Hitze  und  des  Schweisses  ziemlich  abnimmt. 


» 

Eine  für  den  Practiker  besonders  wichtige  Erscheinung 
ist  die  Zunahme  der  Milz  im  Typhus,  die  zuweilen  so  bedeu- 
tend ist,  dass  der  matte  Percussionston  bis  zur  6.  Rippe 
aufwärts  reicht. 

Exsudat  in  der  Bauchhöhle  und  Vergrösserung  des  Her- 
zens können  zuweilen  über  den  Umfang  der  Milz  täuschen. 
In  letzterem  Falle  weiset  das  Stethoscop  die  Herztöne  an 
der  entsprechenden  Stelle  nach;  Exsudate  in  der  Bauchhöhle 
werden,  wenn  sie  flüssig  sind,  bei  Lageveränderung  des  Kran- 
ken den  Gesetzen  der  Schwere  zu  Folge,  sich  an  den  tie- 
fest gelegenen  Stellen  sammeln,  und  daselbst  den  Percus- 
sionston dämpfen. 

Die  Auscultation  findet  hier  keine  Anwendung. 

Uli t ei'&ir cliu itg  der  Nieren« 

Inspection.  Die  Besichtigung  gibt  nur  schr  unsichere 
Resultate;  und  eine  Vergrösserung  der  Nieren  muss  schon 
bedeutend  sein,  wenn  sie  die  bedeckenden  Theile  in  dem 
Grade  hebt,  dass  sich  äusserlich  eine  Auftreibung  bemerken 
lässt.  Bei  der  Besichtigung  werde  die  Richtung  der  Wirbel- 
säule wohl  berücksichtiget,  und  muss  der  Kranke  gerade 
stehen,  da  sonst  durch  das  Vortreten  einer  oder  der  andern 
Weiche  Täuschung  verursacht  werden  könnte. 

Mensuration.  NachPiorry  kann  man  die  Dicke  der 
Nieren  annäherungsweise  bestimmen  ,  wenn  ihr  Sitz  schon 
durch  Percussion  ermittelt  ist.  Man  setzt  dann  einen  Knopf 
des  Tasterzirkels  auf  das  Plessimeter,  den  anderen  rückwärts 
auf  die  entsprechende  Lendenfläche,  und  zieht  von  dem  Er- 
gebnisse die  wahrscheinliche  Dicke  der  Bauchwandungen  ab. 

Palpation.  Die  Nieren  liegen  an  der  Seite  des  1.  und 
3.  Lendenwirbels  in  der  Regio  lumbalis,  vor  den  zwei  letz- 
ten falschen  Rippen ;  die  rechte  Niere  steht  etwas  tiefer  als 
die  linke ,  hinter  dem  rechten  Leberlappen ,  dem  Duodenum 
und  Colon  adscendens ,  die  linke  Niere  wird  von  dem  unteren 


456 

Ende  der  Milz ,  dem  Schwänze  der  Bauchspeicheldrüse  und 
dem  absteigenden  Grimmdarme  bedeckt. 

Man  kann  die  Nieren  von  rückwärts ,  von  der  Seite  und 
von  vorne  untersuchen  ,  diesen  verschiedenen  Explorations- 
weisen  muss  auch  die  Lage  des  Kranken  entsprechen. 

Indem  man  nun  mit  wechselndem  Drucke  die  Gränzen 
der  Nieren  und  ihrer  Nachbarorgane  bestimmt,  erhält  man  Auf- 
schluss  über  die  Form  der  ersteren,  ihren  Umfang,  ihre  Con- 
sistenz  und  die  Beschaffenheit  ihrer  Oberfläche. 

Percussion.  Diese  Organe  sind  dem  Plessimeter 
äusserst  schwer  zugänglich.  Doch  findet  man  in  der  Lenden- 
gegend beiderseits  einen  gedämpften  Schall  im  Umfange  von 
l'/2  —  3  Zollen.  Die  Untersuchung  soll  nur  bei  Kranken  ge- 
macht werden,  die  längere  Zeit  gefastet  haben. 

Die  Percussion  von  vorne  und  von  der  Seite  dürfte  nur 
bei  sehr  umfänglicher  Vergrösserung  der  Nieren  einige  dia- 
gnostische Sicherheit  gewähren.  Piorry  räth  bei  der  Unter- 
suchung in  der  Bückenlage  die  beweglichen  Baucheingeweide 
durch  einen  Gehülfen  nach  aufwärts  verschieben  zu  lassen , 
wobei  die  fest  in  ihrer  Lage  beharrenden  Nieren  dem  tief  ein- 
gedrückten Plessimeter  zugänglicher  werden. 

Dass  man  Harnstein  ,  Abscesse,  Tuberkel  u.  s.  w.  durch 
die  Percussion  ermitteln  könne,  ist  eben  so  unwahrscheinlich, 
als  dass  Beibung  von  Nierensteinen ,  bei  äusserlich  an- 
gebrachtem Drucke ,  durch  die  Ausculfation  zu  verneh- 
men sei. 

Die  Uretheren  können  nur  durch  den  Tastsinn  unter- 
sucht werden.  Man  fühlt  zu  dem  Ende  in  einer  von  der  Niere 
zur  Blase  vorlaufenden  Linie  sowohl  an  der  vordem  als  an 
der  hintern  Bauchwand,  ob  man  etwas  Abnormes  bemerke. 
Aber  nur  bei  sehr  starker  Ausdehnung  der  Harnleiter  und  an 
sehr  mageren  Personen  dürfte  die  Palpation  befriedigende 
Aufschlüsse  geben,  in  allen  anderen  Fällen  ist  die  Untersu- 
chung vergeblich. 


457 

Untersuchung  der  Harnblase, 

I  nspection.  Die  Besichtigung*  ist  für  die  Diagnose 
von  geringem  Werthe,  da  nur  sehr  bedeutende  Ausdehnung 
der  Blase  äusserlich  eine  Wölbung  bemerken  lässt. 

Palpation.  Die  Blase  ist  dem  Tastsinne  durch  die 
Bauchdecken  zugänglich ,  und  greift  sich  daselbst  im  Zu- 
stande der  Erfüllung  als  elastische,  ziemlich  resistente,  zu- 
weilen grosse  Kugel  über  den  Schambeinen  an,  ich  fand  sie 
sogar  bis  über  den  Nabel  reichend,  deren  Glänzen  sich  mit 
den  Fingern  genau  umschreiben  lassen.  Im  leeren  Zustande 
zieht  sie  sich  ins  Becken  zurück ;  und  wird  dem  Tastsinne 
weniger  zugänglich. 

Ferner  untersucht  man  die  Blase  vom  Mastdarme  aus  mit 
einem  Finger,  der  über  die  Prostata  vorzudringen  sucht, 
und  in  manchen  Fällen  durch  die  Scheide. 

Von  der  Untersuchung  mittelst  Sonden  wird  bei  Gele- 
genheit der  Exploration  der  männlichen  Geschlechttthcile  die 
Rede  sein. 

Das  Zufühlen  hat  hauptsächlich  den  Zweck  die  Gegen- 
wart von  Harnsteinen  zu  ermitteln. 

Percussion.  Das  Plessimeter  vermag  nicht  die  leere 
Harnblase  kund  zu  geben ,  allein  wenn  sie  von  Urin  erfüllt 
ist,  ergibt  sich  lange  bevor  die  Palpation  imstande  ist,  sie 
aufzufinden,  dort  wo  sie  an  die  Bauchwand  anliegt,  ober 
den  Schambeinen  ein  dumpfer,  leerer  Schall.  Der  Kranke 
muss  dabei  vollkommen  horizontal  liegen,  damit  die  Darm- 
schlingen ,  welche  etwa  die  Harnblase  bedecken,  von  dersel- 
ben weggleiten. 

Da  die  Harnblase  kugelförmig  gewölbt  ist ,  kann  ihr 
Grund  nicht  die  Bauchdecken  berühren,  und  wird  durch  Darm- 
schlingen von  letzteren  fern  gehalten.  Bei  der  Percussion 
der  Harnblase  ist  es  daher  nöthig,  das  Plessimeter  langsam 
tief  in  ihrer  Gegend  einzudrücken  um  die  etwa  Yorgedräng- 


m 

ten  Gedärme ,  welche  den  Schall  modificiren  würden ,  weg- 
zuschieben. 

Räthlich  ist  es  auch  von  oben  längs  der  weissen  Bauch- 
linie herab  percutirend  den  Schambeinen  sich  zu  nähern,  um 
mit  Gewissheit  den  Körper  der  Blase  zu  treffen.  Hat  man 
sich  tiberzeugt,  dass  man  denselben  unter  dem  Plessimeter 
habe ,  so  rückt  man  mit  letzterem  auch  nach  beiden  Seiten, 
um  die  Gränzen  der  Blase  mit  möglichster  Genauigkeit  zu 
bestimmen. 

Wird  der  Urin  von  selbst  oder  durch  den  Catheter  ent- 
leert ,  so  schmilzt  der  matte  Percussionston  immer  mehr  auf 
einen  beschränkteren  Raum  zusammen ,  bis  er  endlich  dem 
vollen  und  hellen  Darmtone  gänzlich  weicht. 

Von  Hydrops  ovarii  saccatus  wird  die  volle  Harnblase 
leicht  unterschieden,  da  jener  ein  Zustand  von  längerer  Dauer 
ist ,  und  die  Entleerung  der  Blase  jeden  Zweifel  hebt.  Asci- 
tes kann  eben  so  wenig  mit  der  Ausdehnung  der  Harnblase 
verwechselt  werden ,  da  der  matte  Percussionsschall  bei 
Lageveränderungen  des  Kranken,  dem  Stande  der  Flüssig- 
keit folgt. 

Hypertrophie  der  Blasen  wände  mit  Umfangs- 
vergrösserung  dieses  Organes  gibt  permanenten  dumpfen  Per- 
cussionsschall mit  bedeutenderer  Resistenz,  als  die  von  Urin 
ausgedehnte  Blase.  Schrumpfen  der  Blase  ist  durch  das  Ples- 
simeter nicht  nachzuweisen.  (Zehetmayer.)  Blasensteine 
können  durch  die  Percussion  nicht  aufgefunden  werden. 

Nicht  ohne  Belang  ist  die  plessimetrische  Untersuchung 
der  Blase  vor  der  Operation  des  hohen  Blasenschnittes,  in- 
dem durch  sie  die  Stelle  angezeigt  wird,  an  welcher  die 
Blase  die  vordere  Bauchwand  berührt,  und  vorgelagerte 
Darmschlingen  vermieden  werden  können. 

Auscultation.  Wendet  man  die  Untersuchung  mit- 
telst der  Sonde ,  welche  in  die  Blase  eingeführt  ist  und  des 
Stethoscopes,  das  äusserlich  angewendet  wird,  zugleich 
an ,  so  hört  man  im  Falle  der  Gegenwart  von  Harnsteinen 


459 

deren  eigenes  metallisch  klirrendes  Geräusch  bei  Berührung 
mit  dem  metallenen  Catheter.  Die  Auscultation  ist  somit  im 
Stande ,  die  Gegenwart  von  Harnsteinen  mit  Sicherheit  nach- 
zuweisen. Noch  deutlicher  vernimmt  man  das  angeführte  Ge- 
räusch, wenn  man  mit  dem  Catheter  die  elfenbeinerne  Ohr- 
platte des  Stethoscopes  durch  ein  zwischengelegtes  Stück 
Kork  verbindet  und  an  der  Sonde  selbst  auscultirt. 

Unterleibsbrüche  (HerniaeJ. 

Tritt  ein  Organ  aus  der  UnterleibshüMe  hervor ,  wobei 
es  aber  immer  noch  vom  Bauchfelle,  der  äusseren  Haut, 
oder  doch  wenigstens  von  Schleimhaut  bedeckt  erscheint,  so 
heisst  diess  eine  Vorlagerung  oder  Bruch.  Nur  am  Unterleibe 
kommen  eigentliche  Hernien  vor;  am  Kopfe  und  der  Brust 
sind  sie  Fehler  der  ersten  Bildung  oder  zufälliger  Ver- 
wundung. 

Nach  dem  Inhalte  der  Brüche  sind  sie  Darm-  oder  Netz- 
brüche, häufig  beides  zugleich.  Übrigens  gibt  es  seltene  Fälle 
von  Hernien,  welche  die  Harnblase,  ein  Ovarium  enthal- 
ten u.  s.  w. 

Nach  dem  Orte  des  Erscheinens  theilt  man  sie  in  Lei- 
sten-,  Schenkel-,  Nabel  -  Bauchbrüche,  und  in  solche, 
welche  am  eiförmigen  Loche  ,  dem  Sitzbeinausschnitte,  dem 
Mittelfleische ,  der  Scheide  und  dem  Mastdarme  erscheinen. 
(T  ex  t  o  r.)  Die  Brüche  sind  beweglich  oder  nicht;  in 
letzterem  Falle  entweder  eingeklemmt  oder  ver- 
wachsen. 

Inspection.  Jeder  Bruch  erscheint  als  von  der  Haut 
(oder  Schleimhaut)  bedeckte  Geschwulst  von  verschiedenem, 
selbst  enormen  Umfange.  Aufrechte  Stellung,  Niesen,  Drän- 
gen ,  Blasen  in  die  gefalteten  Hände  vergrössern  zuweilen 
die  Anschwellung  und  bringen  in  ihr  ein  eigenthümliches 
Geräusch  hervor. 

Freie  oder  bewegliche  Hernien  gehen  in  horizontaler 
Lage    des   Kranken  oder  durch   zweckmässig  angebrachten 


4«0 

Druck  zurück,  die  nicht  beweglichen  können  nicht  repo- 
uirt  werden. 

Palnation.  Nefzbrüche  fühlen  sich  knotig'  und  un- 
gleich an,  sind  durch  Druck  nur  allmälig  zurückbringbar, 
was  ohne  Erzeugung  eines  Geräusches  geschieht,  und  kön- 
nen bei  Männern  leicht  mit  Varicosität  des  Samenstranges 
verwechselt  werden.  Darmbrüche  fühlen  sich  blasig  oder  tei- 
gig an  und  gehen  beim  Drucke  plötzlich  und  mit  Kollern  zu- 
rück. Drängen  und  Niesen  treibt  die  Gedärme  fühlbar  gegen 
den  angelegten  Finger  an. 

Percussion.  Wenn  das  Plessimeter  über  einer  Vor- 
lagerung einen  hellen  Schall  gibt,  so  ist  dieselbe  lufthaltig, 
ist  der  Schall  dumpf,  so  enthält  sie  Fäcalmassen.  Nach 
Piorry  kann  bei  Vorlagerung  eines  Dickdarmes,  wenn  nicht 
Einklemmung  besteht,  der  früher  helle  Percussionston  nach 
Application  eines  Clystieres  in  den  dumpfen  verwandelt  wer- 
den. Wechselt  der  Percussionston  über  Probasen  zu  ver- 
schiedener Zeit,  so  dient  diess  zum  Beweise,  dass  im  Bru- 
che die  freie  Communication  nicht  unterbrochen  ist. 

Auscultation.  Das  Stethoscop  leistet  hier  Nichts; 
ausser  man  wollte  das  Kollern  behorchen,  womit  freie  Brüche 
oft  zurückweichen. 

Untersuchung  der  männlichen  Harnröhre  und 
Geschlechtstheile. 

A.  Die  Harnröhre. 
Inspection.  Ausser  den  angebornen  Bildungsfehlern, 
als  häutiger  Verschliessung  der  Harnröhrenmündung,  Hypo- 
spadie  u.  s.  w.  ist  noch  die  Richtung  des  männlichen  Glie- 
des (beiOnanisten  häufig  nach  rechts,  da  sie  die  rechte  Hand 
zu  Masturbation  gebrauchen)  ,  so  wie  seine  normale  Grösse, 
sein  Einschrumpfen  zur  Zeit  des  Erlöschens  derGeschlechts- 
funetion  u.  s.  w.  wohl  zu  beachten.  Der  Zustand  der  Vor- 
haut, ob  sie  über  die  Eichel  zurückziehbar  ist  oder  nicht 
(Phimosis} ,  ihre  Geschwulst ;    so  dass   sie  das  Glied  ein^ 


461 

schnürt  und  nicht  in  die  normale  Lage  reponirt  werden  kann 
(Paraphimosis)  ,  darf  wie  billig  bei  der  Untersuchung*  nicht 
unberücksichtigt  bleiben.  Nicht  zu  übersehen  sind  ferner 
Ausflüsse  aus  der  Harnröhre,  und  die  durch  selbe  bedingte 
Färbung  der  Wäsche  (gelb  Tripperschieini,  stärkwasserähn- 
lich  prostatischer  Saft),  so  wie  der  Strahl  des  Urines,  ob  er 
vollkommen,  unterbrochen,  dünn,  spiralförmig,  oder  tropfen- 
weise abgeht  u.  s.  w\ 

Erwecken  schon  die  genannten  krankhaften  Verhältnisse 
und  der  Umstand  ,  ob  und  wie  Erectionen  statt  finden  ,  un- 
sere Aufmerksamkeit ,  so  sind  syphilitische  Affectionen,  Ge- 
schwüre,  Condylome  u.  dgl.  zu  wichtig,  um  von  uns  über- 
gangen zu  werden. 

Die  primär-syphilitischen  Geschwüre  wurden 
schon  zugleich  mit  Herpes  praeputii,  die  secundären  mit  den 
Mercuriellen  beschrieben ,  ebenso  geschah  der  Condylome 
und  Exantheme  Erwähnung.  Zu  bemerken  ist,  dass  syphili- 
tische Geschwüre  von  anderen  sich  der  äusseren  Form  nach 
häufig  nicht  unterscheiden ,  und  dass  die  Form  selbst  nach 
dem  Verlaufe  eine  sehr  verschiedene  sein  kann.  Daher  die 
vielerlei  Eintheilungen  der  Schanker.  Zu  beobachten  sind 
immer  an  den  syphilitischen  Geschwüren  die  Ränder,  ob 
selbe  schlaff  oder  callös  sind  (Hunterischer  Schanker),  das 
Umsichgreifen  derselben  (serpiginöser,  phagadänischer,  per- 
forirender  Schanker)  und  die  Beschaffenheit  des  Grundes,  ob 
dieser  sich  schon  gereinigt  hat ,  oder  noch  von  einem  spe- 
ckigen ,  gelblichen ,  festanhängenden  Schleime  bedeckt  ist, 
oder  mit  einer  pelzigen  Haut  überzogen  erscheint  (diphthc- 
ritischer  Schanker)  ,  oder  als  ungleich,  lax,  missfärbig,  sa- 
niösen  Eiter  absondernd  erkannt  wird.  Gewöhnlich  sitzen 
primär-syphilitische  Geschwüre  an  der  Aussenseite  des  Glie- 
des der  Vorhaut,  häufig  am  Frenulum  ;  zuweilen  sind  sie  aber 
auch  in  der  Harnröhre  versteckt ,  und  werden  hinter  der 
Maske  eines  gewöhnlichen  Trippers  gar  nicht  vermuthet.  Die 
Inoculation  des  Secretes  würde  in  einem  zweifelhaften  Falle 


462 

Aufschluss  geben,  um  was  es  sich  handelt,  indem  nur  der 
Schankereiter  wieder  einen  Schanker  zu  erzeugen  vermag. 
Übrigens  könnte  der  Umstand,  dass  nach  Eisenmoor  Trip- 
perschleim alcalisch ,  Schankereiter  hingegen  sauer  reagirt, 
zur  Sicherheit  der  Diagnose  etwas  beitragen. 

Häufig  wird  die  Untersuchung  der  Harnröhre  selbst  als 
nöthig  erkannt ,  um  über  daselbst  bestehende  Verengerun- 
gen, Geschwülste  der  Prostata,  Beschaffenheit  der  Blase, 
Vorhandensein  eines  Harnsteines  u.  s.  w.  einigen  Aufschluss 
zu  erlangen. 

Mehr  als  geschichtliche  Notiz ,  als  von  der  p  ctischen 
Anwendbarkeit  überzeugt ,  erwähne  ich  hier  der  von  B  o  m- 
botziniund  Segalas  erfundenen  Specula  und  Beleuch- 
tungsapparate, womit  man  ausser  den  Magenwänden  und 
denen  des  Dickdarmes  auch  jene  der  Harnröhre  und  der  Blase 
genau  zu  besichtigen  im  Stande  sein  soll  —  gleichwohl  ist 
über  die  erfolgreiche  Anwendung  dieser  sehr  complicirten  In- 
strumente nichts  bekannt. 

B  o  m  b  o  t  z  i  n  i's  Instrument  besteht  (nach  Murat)  aus 
zwei  neben  einander  liegenden  Röhren,  an  deren  einem  Ende 
zwei  Spiegel  angebracht  sind,  welche  das  Bild  der  Höhle 
zurückwerfen  j  durch  die  eine  Röhre  tritt  das  Licht  in  die 
Tiefe  ein ,  durch  die  andere  wird  das  Bild  auf  einen  aussen 
befindlichen  weissen  Körper  reflectirf.  Unbegreiflich  erscheint 
es ,  wie  man  mit  diesem  Instrumente  in  die  Blase  gelangt. 
Die  Beleuchtung  geschieht  mit  einer  Reflexionslampe  oder 
einem  von  Segalas  angegebenen  Apparate,  der  aus  zwei 
Kerzen ,  zwei  Spiegeln  und  cylindrischen  Röhren  besteht, 
und  von  dem  Erfinder  Speculum  urethro-cysticum  genannt 
ward. 

P  a  1  p  a  t  i  o  n.  Durch  die  Betastuug  des  Gliedes  von  aus*- 
sen  erhalten  wir  wenig  erhebliche  Resultate.  Callositäten, 
Narben  ,  eingeklemmte  Steine  u.  dgl.  können  wohl  durch  das 
Zufühlen  erkannt  werden  ;  mehr  Aufschluss  gibt  die  Sondi- 
rung ,  welche  im  Falle  von  Fisteln  durch  gewöhnliche  Son<- 


463 

den,  wo  es  sich  aber  um  um  die  Erkenntniss  von  organischen 
Krankheiten  der  Harnwege ,  von  der  Eichelmündung*  bis  zur 
Blase  handelt,  durch  eigene  Steinsonden  oder  Cathetcr aus- 
geführt wird. 

Die  Cathetersind  entweder  fest ,  biegsam  oder  ela- 
stisch. Man  soll  sie  von  verschiedenem  Caliber  vorräthig  ha- 
ben (für  Erwachsene  beträgt  die  gewöhnliche  Dicke  2'/3  Li- 
nien). Ihre  Länge  beträgt  10 — 11  Zolle,  an  dem  vorderen 
Drittheile  sind  sie  in  dem  Segmente  eines  Kreises  gebogen, 
der  einen  Durchmesser  von  6  Zollen  hat  (Desault);  das 
vordere  oder  Blasenende  ist  gehörig  abgerundet  und  mit 
zwei  seitlichen  Fenstern,  der  etwas  erweiterte  Handgriff,  Pa- 
villon, mit  zwei  seitwärts  befindlichen  Ringen  versehen.  In 
der  Röhre  des  Catheters  ist  ein  Stilet  (Dogge)  aus  Draht  be- 
findlich ,  das  bei  elastischen  Instrumenten  deren  Form  be- 
stimmt. Zur  Exploration  müssen  die  Instrumente  immer  gra- 
duirt  sein. 

Die  Einführung  des  Catheters  ist  eine  der  schwierigsten 
Operationen,  welche  genaue  anatomische  Kenntnisse  und  ma- 
nuelle Fertigkeit  voraussetzt.  Sie  wird  nach  Entleerung  des 
Mastdarmes  meistens  in  horizontaler  Lage  am  linken  Bett- 
rande mit  gebogenen  und  obducirten  Schenkeln  vorgenom- 
men ,  doch  auch  im  Stehen  ,  wiewohl  in  seltenen  Fällen  aus- 
geführt. Der  Arzt  steht  zur  linken  Seite  des  Kranken ,  und 
hält  die  erwärmte ,  beöhlte  Sonde  zwischen  ihrem  mittleren 
und  unteren  Drittheile  nach  Art  einer  Schreibfeder,  in  der 
rechten  Hand  vollkommen  horizontal ,  mit  nach  abwärts  se- 
hender Concavität ,  und  mit  dem  Griffe  etwas  gegen  die  linke 
Schulter  des  Kranken  geneigt,  erhebt  mit  der  Linken  den 
Penis,  so  dass  er  zum  Körper  einen  Winkel  von  45°  bildet,  um 
die  3  Krümmungen  der  Harnröhre  in  zwei  zu  verwandeln, 
und  führt  das  Instrument  in  denselben  ein.  Im  ersten  Zeit- 
räume gelangt  der  Catheter  bis  unter  die  Symphyse ,  dabei 
muss  man  das  Instrument  weniger  vorschieben ,  als  den  Pe- 
nis durch  Dehnen  über  dasselbe  ziehen.  Ist  man  hier  ange- 


M4 

langt ,  so  wird  der  Pavillon  langsam  erhoben ,  und  in  eine 
senkrechte  Richtung  gebracht ,  wobei  man  das  Instrument 
etwas  verschiebt,  aber  immer  an  der  obern  Harnröhrenwand 
und  der  Symphyse  zu  bleiben  sucht  (2.  Moment).  Nun  dringt 
man  unter  dem  Gefühle  der  Überwindung*  eines  Hindernisses 
in  die  Blase,  indem  man  die  Sonde  nach  und  nach  senkt. 
(3  Moment.)  Man  hat  noch  andere  Weisen ,  den  Catheter 
einzuführen,  z.  B.  die  Meistertour,  welche  aber  für  den 
Zweck  der  Untersuchung  weniger  passen  ,  als  die  gewöhn- 
liche eben  angegebene. 

Dass  man  in  die  Blase  gelangt  sei,  erkennt  man  an  dem 
eigenen  Gefühle  des  überwundenen  Widerstandes,  der  freien 
Beweglichkeit  des  Instrumentes,  und  dem  gewöhnlich  erfol- 
genden Abfliessen  des  Urines. 

Elastische  Catheter  werden  auf  dieselbe  Weise  einge- 
führt ,  und  gewähren  noch  den  Vortheil,  dass  man  durch  den 
Mastdarm  ihre  Krümmung  verändern  kann. 

Die  Stärke  der  Bougies  sowohl  als  der  Catheter  wird 
nach  der  Dicke  des  Urinstrahles  bemessen. 

Kann  man  der  Bougie  keine  entsprechende  Krümmung 
geben,  so  muss  man,  sobald  sie  an  den  Schoossbogen  ge- 
langt ist,  den  Penis  senken,  um  die  Krümmung  des  Canales 
zu  mildern ,  die  Bougie  beim  Fortschieben  sanft  drehen,  und 
durch  Anlegen  der  Finger  am  Damme  noch  helfen. 

Sehr  zweckmässig  sind  die  mit  Modellirwachs  versehe- 
nen Ducampschen  Bougien,  um  sich  den  Abdruck  einer 
verengerten  Stelle,  eines  falschen  Weges  u.  s.  w.  zu  ver- 
schaffen. 

Hindernisse  erfährt  das  Instrument  am  Vordringen  durch 
Krampf  und  durch  eine  normale  Verengerung  der  Harnröhre 
am  Übergange  der  Pars  bullosa  in  den  häutigen  Theil  der- 
selben; durch  eine  Vertiefung,  die  zuweilen  hinter  dem  vor- 
springenden Veru  montanum  sich  befindet ,  und  in  welcher 
so  wie  in  den  übermässig  erweiterten  Ausführungsgängen 
den  Samenbläschen   und  Prostata  der  Schnabel  des  Instru- 


465 

mcntcs  sich  fängt ;  durch  Anschwellung*  der  Vorsteherdrüse, 
wobei  man  aber  durch  Nachhilfe  von  Seite  des  Mastdarmes 
die  Operation  nur  noch  mehr  erschwert,  wiewohl  man  dazu 
gewöhnlich  seine  Zuflucht  nimmt;  durch  eine  hinter  dem 
Blasenhalse  gelegene  Geschwulst,  Lieutaud's  Blasen- 
zäpfchen, in  deren  Nachbarschaft  man,  besonders  bei  alten 
Leuten,  häufig  in  einen  blinden  Sack  eindringt.  Hat  man  sich 
falsche  Wege  gebildet,  so  erkennt  man  dieses  an  einer  Mo- 
dellirbougie ,  die  dann  2  Coni  zeigt.  Wird  die  Sonde  an  ir- 
gend einem  der  genannten  Orte  oder  an  einem  andern  ange- 
halten, so  sucht  man  weniger  durch  Gewalt,  als  durch  ge- 
lindes Balanciren  sie  weiter  zu  bringen,  und  bemerkt  sich, 
gelingt  diess  nicht,  am  Instrumente  hart  ober  der  Mündung 
des  Penis  die  Stelle ,  bis  wie  weit  dasselbe  eingedrun- 
gen ist. 

Die  Länge  der  Harnröhre  ergibt  sich,  wenn  man 
den  Catheter  während  des  Ausströmens  des  Urins  langsam 
zurückzieht,  bis  er  an  die  BlasenöfiTnung*  gelangt  ist,  wo 
der  Ausfluss  dann  stockt,  und  dann  erst  wieder  erscheint,  wenn 
man  den  Catheter  zurückschiebt.  Bezeichnet  man  sich  diese 
Stelle  hart  ober  dem  Penis  ,  so  ergibt  sich  von  da  bis  zum 
Fenster  des  Catheters  die  Länge  der  Urethra. 

Zur  Exploration  der  ganzen  Blase  empfiehlt  sich  der 
Catheter  von  L  ero  y  d'Etiolles,  der  eine  nur  17 — 18  Li- 
nien lange  kleine  Krümmung  (von  etwa  45°)  besitzt ,  die 
Mercier  noch  verringerte. 

Ist  nicht  genug  Harn  in  der  Blase  ,  so  mache  man  eine 
Injection  von  einigen  Unzen  lauen  Wassers  in  dieselbe.  Hier- 
auf bringe  man  den  Catheter  in  der  Rückenlage  des  Kranken 
ein,  zuerst  in  einer  mit  dieser  parallelen  Richtung,  ziehe 
dann  denselben  in  der  nämlichen  Stellung  bis  zum  Scham- 
beine und  von  da  zum  Kreuzbeine,  um  das  beiläufige  Lumen 
der  Blase  zu  messen.  Zugleich  berücksichtige  man  die  Menge 
der  injicirten  Flüssigkeit  und  nach  der  Art  ihres  Ablaufens 
die  Contractilität  der  Blase. 

Gaal  Diagnostik.  3q 


466 

Hierauf  senke  man  das  äussere  Ende  der  Sonde,  be- 
streiche damit  die  vordere  und  obere  Wand  der  Blase,  mache 
eine  halbe  Achsendrehung'  und  untersuche  die  vordere  Wand 
derselben,  indem  man  immer  von  vorne  nach  hinten  geht. 
Darnach  erforsche  man  noch  die  Blase  im  schiefen  Durch- 
messer dadurch ,  dass  man  den  Catheter  in  eine  Querlage 
bringt. 

Stösst  man  dabei  auf  einen  Stein ,  so  kann  man  dessen 
Grösse  dadurch  schätzen,  dass  man  den  Weg*,  den  der  Pa- 
villon beschreibt,  während  die  Spitze  des  Instrumentes  von 
einem  Ende  des  Steines  zum  andern  gelangt,  durch  2  theilt ; 
z.  B.  beträgt  die  Bewegung  des  Pavillons  einen  Zoll,  so 
kann  man  die  Breite  des  Steines  auf '/,  Zoll  schätzen.  Durch 
die  derartige  Untersuchung  erkennt  man  die  Beschaffenheit 
der  inneren  Blasenwände  ziemlich  genau ,  und  entdeckt  et- 
waige Muskelhypertrophie ,  Aussackungen ,  stärkere  Ent- 
wicklung des  Corpus  trigonum  u.  s.  w. 

M  e  r  c  i  e  r  erkennt  durch  sein  eigenes  Instrument :  a)  Ge- 
schwülste der  Prostata,  welche  in  die  Blase  ragen,  dadurch, 
dass  er  den  Catheter  gegen  den  vorderen  Rand  des  Blasen- 
halses in  eine  mit  der  Achse  des  Körpers  parallele  Stellung 
zieht ,  und  ihn ,  indem  er  ihn  bald  rechts  ,  bald  links  dreht, 
um  die  ganze  Circumferenz  dieser  Mündung  herum  laufen 
lässt,  dabei  aber  immer  den  Griff  gelinde  anzieht.  Ist  die 
Prostata  normal,  so  stosst  das  Instrument  bei  Durchlaufung 
des  Kreises  auf  kein  Hinderniss ;  ist  aber  eine  Vorragung 
vorhanden  ,  so  muss  man  es  erheben ,  um  diese  zu  über- 
schreiten. Der  Griff  der  Sonde  zeigt  die  Seite  des  Hinder- 
nisses an,  der  Kreisbogen,  den  sie  durchläuft,  von  dem  Orte 
angefangen ,  wo  sie  wieder  ihre  frühere  Stellung  einnehmen 
konnte,  gibt  die  Breite  der  Geschwust  an 5  die  Höhe  der 
letztern  wird  erkannt,  wenn  man  ober  der  Eichel,  nachsieht, 
um  wie  viel  Linien  die  Sonde  gehoben  werden  musste.  Na- 
türlich ist  eine  Untersuchung  nicht  hinreichend,  und  müssen 
solche  wiederholt  werden,  b)  Hypertrophien  im  Blasenhalse, 


467 

welche  meistens  klappiger  Art  sind,  werden  an  Mercier's 
Instrumente  leicht  durch  das  eigentümliche  Gefühl  beim  Ein- 
führen und  Wenden  erkannt;  eben  so  e)  Hypertrophien, 
welche  in  den  prostatischen  Theil  der  Harnröhre  ragen ,  in- 
dem ,  wenn  er  den  Catheter  von  hinten  nach  vorne  auf  die 
untere  Harnröhrenwand  drückend  herausführt,  sich  der  Schna- 
bel nach  der  der  Vorragung  entgegengesetzten  Seite  neigt, 
wenn  dieselbe  bloss  auf  einer  Seite  besteht.  Vergrösserung 
der  Blase  von  vorne  nach  hinten  wird  dadurch  erkannt,  dass 
das  Instrument  leicht  durchgeht,  während  demnach  die  Un- 
tersuchung durch  den  Mastdarm  eine  Anschwellung  nach- 
weist. 

B)  Die  Prostata. 

Die  Anschwellung  der  Prostata  wird  durch  Befühlen 
von  aussen  und  durch  den  Mastdarm  erkannt ,  erreicht  aber 
selten  eine  solche  Grösse,  dass  sie  sichtbar  würde,  oder 
durch  das  Plessimeter  zu  entdecken  wäre.  Die  Untersuchung 
durch  die  Harnsonde  leistet  hier  viel  mehr,  und  aus  Vorher- 
gehendem dürfte  es  nicht  schwer  sein ,  das  Leiden  zu  er- 
kennen. Hat  man  übrigens  den  Catheter  bis  zur  hypertrophi- 
schen Drüse  geführt,  und  lässt  man  den  Pavillon  einen  Augen- 
blick aus  der  Hand ,  so  wird  das  ganze  Instrument  gewis- 
sermassen  in  die  Höhe  geschnellt. 

C)  Hoden  und  Hodensack. 

Die  Orchitis  bietet  die  gewöhnlichen  Zeichen  der 
Entzündung  dar.  Das  Exsudat  ist  entweder  ein  mehr  flüs- 
siges oder  ein  plastisches;  hämorrhagisches  wird  nur  durch 
Zerreissung  der  Gefässe  bedingt  beobachtet. 

Bei  Sarcom  fühlt  sich  der  massig  vergrösserte  Ho- 
den gleichmässig  resistent  an  mit  ebener  Oberfläche.  Der 
Nebenhoden  ist  meist  mit  verwachsen,  bildet  aber  zuweilen 
einen  verhärteten  Anhang.  Bei  längerer  Dauer  der  Krank- 
heit wird  wohl  auch  der  Samenstrang  mit  in  den  Krankheits- 
process  verflochten,  nie  aber  knotig  und  hart. 

30  # 


468 

Verdickung*  der  Albuginea  wachst  sehr  lang- 
sam, und  ist  meist  mit  wässrigem  Exsudate  in  der  Scheiden- 
haut verbunden. 

Krebs  des  Hodens  charakterisirt  sich  durch  die 
knotige  Härte ,  welche  sich  bald  auf  den  Samenstrang  ver- 
breitet ,  und  mit  sympathischer  Anschwellung  der  Nachbar- 
drüsen vergesellschaftet.  Vom  Schornsteinfegerkrebse  ward 
schon  gesprochen. 

Markschwamm  wächst  schnell,  und  wird  als  eine 
weiche ,  zuweilen  scheinbar  fluctuirende  Geschwulst  er- 
kannt. 

Hydrocele  tunicae  vag  inalis  lestis  wird  an 
der  Durchsichtigkeit  beim  Gegenhalten  eines  Lichtes  an  ei- 
nem dunklen  Orte  erkannt,  und  stellt  eine  anfangs  ovale,  bei 
Zunahme  der  Flüssigkeit  aber  birnförmige,  gespannte,  glatte 
Geschwulst  des  Hodensackes  dar,  an  dem  die  Runzeln  sich 
verlieren  und  die  Raphe  zur  Seite  verschiebt,  und  welche 
zuweilen  eine  solche  Grösse  erreicht,  dass  der  Penis  ganz 
zurückgezogen  erscheint.  Fluctuation  ist  meistens  zugegen. 

Die  Hydrocele  funiculi  spermatici  zeigtdie- 
selben  Eigenschaften,  nur  ist  hier  die  Geschwulst  länglich 
nach  dem  Bauchringe  hin  sich  ziehend  ,  und  wenn  der  Schei- 
dencanal  nach  oben  offen  wäre  (H.  adnatri),  in  horizontaler 
Lage  des  Kranken  durch  Druck  in  den  Bauch  zu  entleeren. 
Der  Hode  ist  frei,  und  an  der  Basis  der  Geschwulst  deutlich 
zu  fühlen. 

0  edema  s  cro  ti  ist  eine  Wasseransammlung  im  Zell- 
gewebe des  Hodensackes,  und  unterscheidet  sich  in  nichts 
von  ödematösen  Geschwülsten  anderer  Organe. 

Hämatocele  äussert  sich  durch  ähnliche  Symptome 
wie  die  Hydrocele  ;  die  dabei  enthaltene  Flüssigkeit  ist  Blut, 
das  durch  Verletzung  aus  den  Gefässen  austritt. 

Varic  oc  el  e  stellt  sich  als  ein  Paquet  weicher,  kno- 
tiger, wellenförmiger  Stränge  längs  des  b'uniculus  sperma- 
ticus  dar ,  die  durch  Fingerdruck  auf  einen  Augenblick  ver- 


469 

schwinden ,  und  zuweilen  Morgens  im  Bette  klein  sind.  Das 
Scrotum  ist  auf  der  betreffenden  Seite  schlaffer  und  schwitzt 
mehr  als  auf  der  andern. 

DJ  Die  umgebenden  T heile. 

B  ubon  e  n  nennt  man  harte,  unebene,  etwas  verschieb- 
bare Geschwülste  der  Leistengegend,  die  durch  aufrechte 
Lage  ,  Husten  und  Drängen  nicht  vergrössert  werden,  und 
mit  den  nahen  Lymphgefässen  in  fühlbarer  Verbindung  stehen. 
Meistens  ist  Syphilis  als  Ursache  nachweisbar.  Häufig  geht 
die  Leistenbeule  in  Abscessbildung  über  unter  den  gewöhn- 
lichen bekannten  Erscheinungen. 

Verwechslung  mit  einer  Hernie  ist  kaum  denkbar.    Mit 
Zurückbleiben  eines  Hodens   im  Leistencanale   und  Entzün- 
dung desselben  durch  Einklemmung  oder  Quetschung  stim- 
men  die  Erscheinungen  wohl   ziemlich  überein ,   doch  hellt 
die  Abwesenheit  des  Hodens  im  Scrotum  den  Irrthum  auf. 

Untersuchung    der    weiblichen    Geschlecht  s- 

theile. 

Die  Untersuchung  derselben  erfordert  grosse  Übung  des 
Tast-  und  Gesichtssinnes  ,  um  so  mehr ,  da  die  Exploration 
des  Uterus  durch  dessen  verborgene  Lag*e  und  durch  die 
vielen  Veränderungen,  die  er  in  den  Geschlechtsphasen  des 
Weibes  erfährt,  die  aber  oft  individuelle  Verschiedenheiten 
darbieten,  mit  manchen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  hat. 
Percussion  und  Auscultation  geben  besonders  für  die  Er- 
kenntniss  der  Schwangerschaft  werthvolle  Zeichen. 

Die  Untersuchung  zerfällt  in  eine  äussere  und  eine 
innere. 

A.   Äussere    Untersuchung. 

Inspection.  Die  Untersuchung  durch  den  Gesichts- 
sinn verletzt  zwar  den  Anstand  mehr,  als  jene  durch  Palpa- 
tion ,  ist  aber  in  vielen  Fällen  unerlässlich. 


470 

Behufs  derselben  muss  die  zu  untersuchende  Frau  auf 
den  Rand  eines  dem  Tages-  oder  Kerzenlichte  zugekehrten 
Tisches  oder  Bettes  mit  dem  Steisse  sitzen,    den  Oberleib 
stark  zurückbiegen,  und  die  Füsse  mit  weit  von  einander  ent- 
fernten Knien  auf  zwei  Stühle  stellen.    Nun  betrachtet  man 
die  Form  und   Grösse  des  Unterleibes ,    die  Einbiegung  am 
Kreuzbeine,    berücksichtigt   das  Verhalten  des  Nabels  und 
der  Bauchdecken,  ob  diese  faltig,  schlaff,  mit  narbenartigen 
Streifen  besetzt    (bei  solchen,    die    schon  geboren  haben) 
oder  gespannt  sind.  Unter  einem  nehme  man  nicht  allein  auf 
die  Grösse  der  Brüste  und  die  Färbung  des  Hofes  ihrer  War- 
zen Rücksicht    (in  der  Schwangerschaft,    besonders  in  der 
ersten  Hälfte  wird  diese  braun),  sondern  betrachte  auch  die 
weisse  Bauchlinie,  welche  meistens  bei  Brünetten  zur  Zeit 
der  Gravidität  braun  tingirt  erscheint. 

Zur  Besichtigung  des  Scheideneinganges  entferne  man 
die  grossen  und  kleinen  Schamlippen  von  einander,  und  be- 
trachte besonders  die  innere  Fläche  der  Letzteren.  Hier  hat 
man  zu  beachten ,  ob  der  Scheideneingang'  weder  zu  weit 
vorne,  noch  zu  weit  hinten  liegt,  und  werden  zuweilen  die 
Clitoris  Betreffs  ihrer  Grösse ,  die  kahnförmige  Grube ,  die 
Harnröhrenmündung ,  das  Hymen  und  die  Carunculae  myr- 
tiformes ,  welche  man  nicht  mit  gespitzten  Condylomen  ver- 
wechsle ,   Objecte  der  Untersuchung. 

Aus  den  Ausführungsgängen  der  Bartholinischen  Drü- 
sen kommen  zuweilen,  bei  Abscess  derselben,  durch  ange- 
brachten Druck   Eitertropfen  zum  Vorscheine. 

Der  Damm  wird,  um  einen  vorhandenen  Einriss,  Gan- 
grän u.  s.  w.  zu  erkennen,  am  passendsten  in  der  Seitenlage 
besichtiget,  wobei  man  dieNates  etwas  von  einander  entfernt. 

Mensuration.  Bei  Schwangern  ist  es  wichtig ,  sich 
über  die  räumlichen  Verhältnisse  des  Beckens  Aufschluss 
zu  verschaffen.  Man  kann  im  Allgemeinen  annehmen,  dass 
wenn  regelmässiger  Körperbau  ,  guter  Gang  auf  nicht  ver- 
krümmten Beinen  und  gehörige  Haltung  des  Rumpfes  gefun- 


471 

den  werden ,    auch  das   Becken    wenig*  Abnormitäten  dar- 
bieten wird. 

Um  den  Abstand  der  Hüftbeine  von  einander ,  der  im 
Normalzustande  bei  ausgebildeten  Frauen  9—10  Zolle  be- 
trägt, zu  bemessen,  legt  man  an  jeden  Hüftbeinkamm  eine 
Hand  ,  und  schätzt  ihre  gegenseitige  Entfernung  obenhin  ab, 
oder  bedient  sich  des  graduirten  Bandes.  Ebenso  beurtheilt 
man  den  Abstand  beider  Trochanteren  (der  12  —  13  Zolle  be- 
trägt) und  die  Entfernung  der  Schambeinvereinigung*  von 
dem  oberen  Theile  des  Kreuzbeines.   (Normal:  7  Zolle.) 

Dass  solche  Messungen,  selbst  bei  grosser  Übung,  nur 
ungefähre  Bestimmungen  ergeben,  ist  wohl  einleuchtend;  doch 
möchten  sie  für  practische  Zwecke  gewöhnlich  hinreichen. 
Handelt  es  sich  um  grössere  Genauigkeit,  so  nimmt  man  den 
Tasterzirkel  zu  Hilfe. 

Den  Abstand  der  Tubera  Ischii  erhält  man  nach 
Siebold,  wenn  die  auf  dem  Rücken  liegende  Frau  die 
stark  ausgespreizten  Beine  gegen  den  Bauch  richtet ,  durch 
Messen  mit  dem  Tasterzirkel. 

Palpation.  Der  Tastsinn  sucht  sich  nicht  allein  über 
die  Beschaffenheit  der  äusseren  Theile  des  Unterleibes ,  des- 
sen Form,  Glätfe,  vorhandenen  Narben  u.  s.  w.  in  den  Bauch- 
wandungen ,  die  Stärke  der  Muskeln  und  der  Fettablagerung 
Aufschluss  zu  verschaffen,  sondern  prüft  besonders  die  tiefer 
gelegenen  Organe  auf  Form  ,  Umfang ,  Resistenz  und  Be- 
weglichkeit. 

Die  Untersuchung  wird  in  verschiedenen  Lagen  vorge- 
nommen, doch  ist  meistens  die  Rückenlage  mit  sehr  angezo- 
genen Füssen  für  die  Untersuchung  der  in  der  Bauchhöhle 
gelegenen  Organe  die  passendste,  da  bei  Erschlaffung  der 
Bauchdecken  diese  dem  Tastsinne  mehr  zugänglich  werden. 

Die  Untersuchung  im  Stehen  wird  vorgezogen,  wenn 
man  die  anomale  Vorwärtsneigung*  des  ausgedehnten  oder 
schwangeren  Uterus  schätzen  will,  oder  Hernien  oder  andere 
Geschwülste  im  Stehen  mehr  vortreten.    Die  untersuchende 


472 

Hand  sei  massig1  erwärmt,  und  ihr  Druck  werde  auf  den  nack- 
ten Unterleib  nur  mit  steigender  Stärke,  nie  plötzlich  aus- 
geübt. 

Der  Arzt  stehe  bei  der  Untersuchung*  im  Liegen  zur 
rechten  Seite  der  Kranken,  da  auch  seine  rechte  Hand  vor- 
zugsweise in  Anspruch  genommen  wird.  Bei  der  Exploration 
im  Stehen  knie  der  Arzt  vor  der  mit  dem  Rücken  an  die 
Wand  gelehnten  Kranken  mit  dem  Knie  derjenigen  Seite 
nieder,  welcher  die  untersuchende  Hand  angehört.  Einige 
hingegen  wollen  ,  dass  man,  wenn  man  mit  der  rechten  Hand 
untersucht,  aufs  linke  Knie  sich  niederlasse,  den  Ellenbo- 
gen aber  auf  das  rechte  Knie  stütze,  um  der  Hand  dadurch 
mehr  Kraft  und  Ausdauer  zu  geben,  an  welcher  es,  wenig- 
st ens  für  die  äussere  Untersuchung,  kaum  Jemand  fehlen  dürfte. 

Die  Untersuchung  selbst  beginnt  damit,  dass  die  rechte 
Hand  des  Arztes  vom  linken  Fussgelenke  der  zu  Untersu- 
chenden über  den  Schenkel  derselben  zum  Trochanter  streift, 
und  sich  auf  diesem  Wege  über  die  Beschaffenheit  der  H-aut, 
der  Musculatur,  die  Stellung  desFusses,  vorhandene  Vari- 
cositäten  u.  s.  w.  zu  belehren  sucht.  Nun  wendet  sich  die 
Hand  zur  Kreuzgegend,  untersucht  deren  Einbiegung  und 
die  Breite  und  Vorragung  des  Os  sacrum.  Dann  schreite  man 
über  den  linken  Hüflbeinkamm,  dessen  Neigung  berücksich- 
tigend ,  zum  Unterleibe  der  Frau,  und  prüft  diesen  auf  alle 
palpablen  Eigenschaften.  Geht  man  dann  zu  den  Weichen 
herab,  so  ist  zu  beachten,  ob  sich  nicht  Bubonen,  Hernien 
u.  s.  w.  daselbst  vorfinden,  und  die  Breite,  Wölbung  und  Be- 
haarung der  Schamgegend  zu  schätzen.  An  den  Schamlip- 
pen fühlt  man  deren  Grösse,  Form,  Vorragung  der  Nymphen, 
Abstehen  von  einander,  ödematöse  öder  varicöse  Beschaffen- 
heit u.  s.  w.,  untersucht  die  Scheidenklappe  und  den  Damm 
auf  vorhandene  Cohäsionsfehler,  Excrescenzen  u.  dgl.  End- 
lich streift  man  mit  der  Hand  über  den  rechten  Schenkel  von 
dessen  Hüftbeinkamme  herab  und  beachtet  dasselbe ,  was  am 
linken  Fusse  die  Aufmerksamkeit  erweckte. 


473 

Zur  Untersuchung'  der  Gebärmutter  setzt  man  eine  Hand 
quer  auf  den  Unterleib  dort  auf,  wo  man  den  Fundus  uteri 
vermuthet ,  und  drückt  während  des  Ausathmens  der  Frau 
den  Ulnarrand  der  Hand  über  denselben  möglichst  tief  ein, 
und  sucht  dann  den  runden  härtlichen  Körper  zu  umschreiben. 
Doch  ist  es  in  vielen  Fällen  kaum  möglich ,  den  Uterus  an 
seiner  Resistenz  zu  erkennen  ,  besonders  in  den  ersten  Mo- 
naten der  Schwangerschaft;  oft  schmilzt  auch  seine  Form 
mit  angränzenden  Geschwülsten  zusammen,  so  dass  sie  sich 
nicht  immer  umschreiben  lässt.  Zu  bemerken  ist  übrigens , 
dass  die  Gebärmutter  nicht  selten  ausser  der  Mittellinie  des 
Körpers  zu  liegen  kommt,  und  es  ist  oft  im  Puerperalzu- 
stande  der  Fall,  dass  sie  sich  in  der  rechten  Weiche  befin- 
det, wo  man  sich  hüten  muss,  sie  mit  dem  Eierstocke  zu 
verwechseln. 

Will  man  die  Grösse  des  Uterus  annäherungsweise  durch 
die  Palpation  erkennen,  so  drückt  man,  besonders  in  auf- 
rechter Stellung  des  Weibes,  mit  dem  in  die  Scheide  ge- 
brachten beölten  Zeigefinger  einer  Hand  die  Gebärmutter 
gegen  die  andere,  aussen  am  Bauche  angelegte  in  die  Höhe. 

Die  Bewegung  der  Kindestheile  verräth  sich  der  aufge- 
legten Hand  bei  hinreichender  Erschlaffung  der  Bauchdecken 
durch  das  Gefühl  kleiner,  harter,  unter  den  Händen  hinrut- 
schender Theile.  Diese  Bewegungen  sind  des  Morgens,  und 
wenn  die  Hände  kalt  sind,  besonders  deutlich,  doch  entste- 
hen durch  die  Kälte  nicht  selten  convulsivische  Bewegungen 
einzelner  Theile  der  Bauchmuskeln,  womit  man  das  Anstrei- 
fen der  Kindestheile  nicht  verwechseln  soll.  Bisweilen  kann 
man  dieFluctuation  des  Fruchtwassers  äusserlich  wahrnehmen. 
Da  alle  Geschwülste  der  Tuben  ,  der  Eierstöcke  u.  s.  w.  dem 
Tastsinne  ziemlich  zugänglich  sind,  so  ist  bei  deren  Gegen- 
wart die  manuelle  Untersuchung  mit  möglichster  Genauigkeit 
vorzunehmen,  und  deren  Form,  Beweglichkeit,  glatte  oder 
höckerige  Oberfläche  und  Resistenz   sorgfältig'  zu  prüfen. 

Percussion.   Der  normale,  nicht  schwangere  Uterus 


474 

ist  im  kleinen  Becken  begraben,  und  erst  am  Ende  des  dritten 
Schwangerschaftmonates  steigt  dessen  Grund  so  weit  über 
den  Beckeneingang,  dass  er  derPercussion  zugänglich  wird. 

Hat  man  die  schwangere  Gebärmutter  in  dieser  oder 
einer  späteren  Zeitperiode  durch  die  Percussion  zu  untersu- 
chen, so  muss,  nach  vorläufiger  Entleerung  der  Urinblase 
und  des  Mastdarmes,  das  Plessimeter  gehörig  tief  in  die 
Bauchdecken  eingedrückt  werden,  um  der  Gebärmutter  mög- 
lichst nahe  zu  kommen,  und  um  etwa  vorgelagerte  Darm- 
schlingen zu  entfernen. 

Die  Percussion  gibt  dann  leeren,  dumpfen  Schall,  der 
im  Umkreise  in  denDaimton  übergeht,  mit  nicht  unbedeuten- 
dem Widerstände. 

Mit  der  Zunahme  der  Schwangerschaft  steigt  dieser 
Percussionsschall  nach  aufwärts ,  selbst  bis  über  den  Nabel 
und  gränzt  dort  an  den  Magenton.  Es  lässt  sich  dann  durch 
die  ganze  Dauer  der  Schwangerschaft  der  Umfang  des  Ute- 
rus ziemlich  genau  angeben.  Allein  selbst  nach  der  Entbin- 
dung und  nach  Wegnahme  des  Mutterkuchens  wird  durch 
die  Percussion  die  Gebärmutter  in  Gestalt  einer  faustgrossen, 
resistenten  Kugel  über  den  Schambeinen  nachgewiesen. 

Bei  erschlafften  Bauchdecken  und  mageren  Individuen 
ist  es  möglich,  durch  den  Widerstand  bei  der  Percussion  den 
unter  dem  Plessimeter  gelegenen  Kopf  des  Kindes  zu  er- 
kennen. 

Was  die  Percussion  für  die  Diagnose  der  Hypertrophie 
des  Uterus,  dieFibroide  u.  s.  w.  zu  leisten  im  Stande  ist, 
ist  einleuchtend.  Innere  Blutung  nach  der  Entbindung  gibt 
sich  durch  matten  Percussionsschall  in  grösserer  Ausdehnung, 
ohne  bedeutenden  Widerstand  zu  erkennen.  Die  Zeichen  der 
Hydrometra  dürften  dieselben  sein. 

Tympanitis  uterinalis  Hesse  sich,  ausser  der  fühlbaren 
Vergrösserung  und  Zunahme  der  Elasticität ,  durch  einen 
tympanitischen  Percussionschali  erkennen. 

An  den  Muttertrompeten  könnten  der  seltene Hy- 


%75 

drops  und  die  Tubenschwangerschaft  durch  dieplessimetrische 
Untersuchung  nachzuweisen  sein. 

Die  Eierstöcke  werden  nur  im  krankhaften  Zustande 
Objecte  der  Untersuchung  durch  Percussion.  So  lange  das 
Volumen  derselben  nicht  besonders  vergrössert  wiid,  so 
bleiben  sie  zwischen  Uterus  und  seinen  seitlichen  Anhängen 
im  Becken  gleichsam  eingekeilt.  Bei  ihrer  Vergrösserung 
aber  durch  Entzündung,  Abscess,  Hypertrophie,  Cystenbil- 
dung,  Krebs  u.  s.  w.  wächst  ihr  Umfang,  im  Falle  sie  durch 
pseudomembranöse  Adhäsionen  fixirt  sind ,  nach  aufwärts ; 
ist  letzteres  aber  nicht  der  Fall,  so  steigen  sie  in  den  Bauch- 
raum herauf  und  stellen  dort  verschiebbare  Geschwülste  dar, 
die  nur  durch  Anlöthungen  an  Nachbargebilde ,  oder  durch 
übergrosse  Ausdehnung  unbewegbar  werden ,  sich  aber  im- 
mer durch  den  matten  Percussionsschall  und  vermehrten  Wi- 
derstand zu  erkennen  geben.  In  den  Ovarien  eingeschlossene 
Flüssigkeit  kann  unter  günstigen  Umständen  durch  den  schon 
beschriebenen  vibrirenden  Hydatidenton  beim  Anklopfen  sich 
äussern. 

In  der  Regel  erkrankt  nur  ein  Eierstock,  demgemäss 
werden  die  plessimetrischen  Zeichen  nur  auf  einer  Seite  ge- 
funden. Darmschlingen  über  dem  erkrankten  Ovarium  geben 
sich  durch  hellen  ,  leeren ,  tympanitischen  Schall  zu  erken- 
nen. Verwechslung  mit  Ascites  ist  nicht  wohl  möglich,  in- 
dem die  Flüssigkeit,  mithin  auch  der  matte  Percussionsschall, 
bei  geänderter  Lage  des  Kranken  ihren  Platz  wechselt,  bei 
Hydrops  Ovarii  aber  diess  nicht  Statt  findet. 

Auscultation.  Die  Anlegung  des  blossen  Ohres  an 
den  Uterus  ist  Anstandshalber  nicht  zulässig.  Die  von  N  au- 
ch e  und  Anderen  empfohlenen  Metroscope,  welche  man 
durch  die  Vagina  an  den  Uterus  applicirt,  haben  keine  Auf- 
nahme gefunden;  die  Auscultation  mittelst  des  an  die  vordere 
Bauchwand  gesetzten  Stethoscopes  ist  auch  in  allen  Fällen 
vorzuziehen. 

Die  Lage  des  zu  untersuchenden  Weibes  kann  verschje-* 


476 

den  sein ,  doch  habe  ich  fast  immer  die  Indagation  in  der 
Rückenlage  vorgenommen.  Die  Ordnung,  welche  dabei  beob- 
achtet wird,  ist,  dass  wir  mit  demStethoscope  an  der  Linea 
alba  von  oben  nach  abwärts  rücken,  und  dann  die  Seiten- 
teile mit  einander  vergleichen. 

Lejumeau  de  Kergeradec  war  der  erste,  der 
seine  Zeitgenossen  darauf  aufmerksam  machte,  dass  die 
Schwangerschaft  auch  durch  gewisse  auscultatorische  Er- 
scheinungen erkannt  werde. 

Die  Bewegung  der  Frucht  gibt  sich,  wiewohl  erst 
in  der  zweiten  Hälfte  der  Schwangerschaft,  doch  nach  Nae- 
gele  schon  einige  Wochen  früher  dem  Ohre  zu  erkennen, 
als  der  aufgelegten  Hand.  Es  ist  eine  Art  von  Reibungsge- 
räusch ,  das  mit  dem  Alter  des  Fötus  an  Stärke  zunimmt, 
und  solange  es  besteht,  als  untrügliches  Zeichen  des  Le- 
bens desselben  gelten  kann. 

Muskelcontractionen  der  Gebärmutter  während  intensi- 
ver Wehen  ,  nach  dem  Sprunge  der  Blase  stellen  das  soge- 
nannte Wehenknarren  dar. 

Nach  Adelmann's  Beobachtung  sollen  jene  Frauen, 
bei  denen  es  stark  entwickelt  zu  hören  war,  später  in  Peri- 
tonitis verfallen  sein;  vielleicht  trägt  schon  ein  subinflamma- 
torischer Zustand  der  beiden  Peritonäalblätter  das  S  einige 
zur  Erzeugung  desselben  bei;  —  jedenfalls  ist  dessen  Vor- 
handensein nicht  ohne  Bedeutung  für  die  Prognose  des  Puer- 
perium. 

Durch  die  Auscultation  hört  man  zuweilen  ein  Fluc- 
tuationsgeräusch  des  Fruchtwassers,  ohne  dass  man 
aber  daraus  besonderen  Nutzen  für  die  Diagnose  ziehen 
könnte. 

Das  Uteri  nalge  rausch  ist  ein,  selten  vor  Ende 
des  4.  Schwangerschaftsmonates  zu  vernehmendes  ,  eigen- 
tümlich blasendes,  bald  dröhnendes,  bald  metallisch  klin- 
gendes Geräusch,  von  wechselnder  Siirke,  das  an  einer 
Stelle  des  Uterus  ,  meist  an  dem  Grunde  desselben  ,    aufge- 


477 

fanden  wird  ,  häufig'  aber  seinen  Ort  verändert.  Es  entsteht 
nach  Dubois  in  den  Gefässen  der  Gebärmutter,  und  nicht, 
wie  Kergeradec  glaubt,  in  der  Placenta,  da  es  sonst 
seinen  Sitz  nicht  so  oft  wechseln  und  selbst  nach  Austrei- 
bung derselben  noch  fortbestehen  könnte,  ja  zuweilen  selbst 
im  nicht  schwangeren  Uterus  gehört  würde ,  z.  B.  wenn  Ge- 
schwülste in  ihm  wachsen.  Da  die  Gefässe  der  Gebärmutter 
in  der  Nähe  der  Placenta  am  stärksten  entwickelt  sind,  so 
ist  es  auch  häufig  daselbst  stärker  zu  hören  ,  ohne  aber  den 
Sitz  des  Mutterkuchens  mit  Bestimmtheit  dadurch  anzuzeigen. 

Ungleich  wichtiger,  als  alle  eben  angeführten  Geräusche 
ist  für  den  Arzt  der  Fötalpuls,  ein  demTik-tak  einer 
Taschenuhr  nicht  unähnlicher,  wie  aus  der  Entfernung  zu 
vernehmender  Doppelschlag. 

Derselbe  ist  von  den  Pulsschlägen  der  Mutter  ganz  un- 
abhängig ,  wird  mit  der  Entwicklung  des  Fötus  stärker, 
aber  langsamer,  so  dass  er  von  150  auf  130  Schläge  in  der 
Minute  sinkt,  ist  meistens  an  der  der  Insertion  der  Placenta 
entgegengesetzten  Stelle  deutlicher  hörbar,  wechselt  aber 
häufig  seinen  Ort ,  besonders,  wenn  der  Fötus  sich  bewegt, 
und  verschwindet  oft  für  einige  Stunden  gänzlich. 

Morgens  ist  der  Doppelschlag  gewöhnlich  schneller  als 
Abends ,  und  wird  durch  eine,  für  die  Schallleitung  günstige 
Lage  des  Kindes,  wenn  z.  ß.  durch  dessen  Rücken  die  vor- 
dere Uterinalwand  an  die  Bauchdecken  angepresst  ist,  be- 
sonders stark  dem  Beobachter  zugemittelt.  Ist  aber  die  Lage 
ungünstig  für  die  Schallleitung,  oder  ist  viel  Fruchtwasser 
vorhanden  ,  so  kann  man  den  Herzschlag  des  Fötus  nicht 
hören.  Derselbe  rückt  mit  der  Frucht  während  der  Geburt 
tiefer  ins  Becken  herab,  und  verschwindet  nach  deren  Vollen- 
dung, wenn  nur  ein  Kind  in  der  Gebärmutter  eingeschlos- 
sen war. 

Der  Doppelschlag  ist  dem  zu  Folge  ein  untrügliches 
Zeichen  der  Schwangerschaft ,  selbst  wenn  andere  Symp- 
tome derselben  fehlen  sollten;  sein  Dasein  gibt  über  dasLe- 


478 

ben  des  Kindes  Gevvissheit ,  wenn  auch  dessen  Bewegung 
nicht  gefühlt  werden  könnte.  Sollte  er  aber  durch  einige 
Tage  nicht  mehr  zu  finden  sein ,  so  dürfte  die  Leibesfrucht 
kaum  mehr  am  Leben  sein. 

Der  Fötalpuls  ist  es,  welcher  gewisse  operative  Ein- 
griffe dem  Geburtshelfer  unerlässlich  gebietet ,  viele  modifl- 
cirt,  andere  als  überflüssig  oder  selbst  schädlich  erkennen 
lässt.  So  wird  bei  Wehenschwäche ,  wenn  der  Doppelschlag 
matt  j  oder  gar  aussetzend  vernommen  wird  ,  nur  schleunige 
Anwendung  der  Zange  das  Kind  lebend  ans  Licht  fördern ; 
wird  man,  wenn  dieses  scheintodt  geboren  wurde,  Belebungs- 
versuche beharrlich  anwenden ,  wenn  man  kürzlich  erst  die 
Pulsation  gehört  hat;  so  wird  das  Fehlen  des  Doppelschlages 
den  Kaiserschnitt  verbieten,  und  die  Zerstückelung  als  nöthig 
erkennen  lassen ,  um  das  Leben  der  Mutter  nach  Möglich- 
keit zu  schonen;  er  wird  im  Gegentheile  von  letzterer  Ope- 
ration abhalten,  so  lange  der  Tod  der  Leibesfrucht  noch  nicht 
mit  Gewissheit  nachgewiesen  ist.  Selbst  für  die  Diagnose  von 
Zwillingsschwangerschaften  ist  die  Beachtung  dieses  Zei- 
chens vom  Belange,  wenn  nämlich  an  beiden  Seiten  des  Ute- 
rus Doppelschläge  gehört  werden,  welche  in  Zahl  und  Rhyth- 
mus mit  einander  nicht  übereinstimmen ,  oder  wenn  ein  sol- 
cher nach  Austreibung  einer  Frucht  noch  zu  vernehmen   ist. 

Nach  Stolz,  Nägele  und  Depaul  dient  die  Aus- 
cultation  des  fötalen  Herzschlages  selbst  zur  Bestimmung 
der  Kindeslage,  und  ich  verweise  auf  deren  Werke,  worin 
die  geburtshilfliche  Auscultation  vollkommen  dargestellt  sich 
findet. 

Die  Pulsation  der  Nabelschnurarterien  soll 
nach  Adelmann  und  Nägele  mit  dem  ersten  Tone  des 
Doppelschlages  isochron,  als  ein  dem  Nonnengeräusche 
Chlorotischer  zu  vergleichender  Schall  zu  hören  sein. 

Ohne  nun  die  Richtigkeit  dieser  Beobachtung  in  Zweifel 
zu  ziehen,  glaube  ich  nur,  dass  sie  sich  sehr  schwierig  ma- 
chen lasse ,  und  dass  diess  Geräusch  vielleicht  nur  in  dem 


479 

Falle  von  vielfacher  Windung*  der  Nabelschnur  und  Com- 
pression  derselben  zwischen  dem  Kindskopfe  und  der  vor- 
dem Uterinalwand  zu  hören  sein  dürfte.  Nägele  hörte  es 
bei  Umschlingung  der  Nabelschnur  um  den  Hals  der  Frucht, 
und  schloss  auf  Kopflage ,  wenn  er  es  tief  im  Becken ,  auf 
Steisslage  derselben,  wenn  er  es  hoch  oben  am  Fundus 
uteri  vernahm. 

Dass  die  Diagnose  von  Ex  trau  t  erinsc  hwang'er- 
schaft  durch  die  Auscultation  wesentlich  gefördert  werde, 
ist  aus  Obigem  zur  Genüge  ersichtlich. 

B)  Innere   Untersuchung. 

Inspection.  Die  Besichtigung  der  Scheide  und  des 
unteren  Abschnittes  des  Uterus  wird  mittelst  der  Schei- 
denspiegel vollführt. 

Dieselben  sind  entweder  aus  einem  röhrenförmig'en  Stücke 
bestehend,  oder  aus  mehreren  Blättern  zusammengesetzt. 
Erstere  ,  die  man  wenigstens  von  dreierlei  Länge  und  Cali- 
ber  vorräthig  haben  muss ,  gewähren  den  Vortheil ,  dass 
man  bei  nur  einigermassen  weiter  Vagina  deren  Wände  se- 
hen und  deren  Faltung  folgen,  somit  auch  genauer  in  der 
Führungslinie  derselben  vordringen  kann ,  während  die  ge- 
seilten Specula  leichter  selbst  in  enge  Scheidencanäle  ein- 
zubringen sind,  und  besonders,  wenn  sie  an  ihrem  vordem 
Ende  mehr  erweitert  werden  können ,  einen  grösseren  Theil 
der  Vaginalportion  sichtbar  machen.  Die  zweiblättrigen  Spe- 
cula sind  nur  bei  straffer  Scheidenwand  anwendbar,  indem 
sich  gerne  Schleimhautfalten  zwischen  die  aus  einander  tre- 
tenden Blätter  senken;  besser  begegnen  diesem  Übelstande 
die  vierblättrigen  Mutterspiegel. 


480 


Beigefügte  Abbildung'  versinntlicht  die 
ganzen  Specula;  sie  sind  von  Zinn  oder  Glas, 
letztere  jedoch  weniger  für  die  Exploration 
tauglich  ,  als  zur  Injection  caustischer  Flüs- 
sigkeiten. 

Ricord's  Speculum  besteht  aus  zwei 
rinnenförmigen  conischen  Blättern,  deren  un- 
teres Drittheil  etwas  nach  aussen  umgebogen 
ist.  Hier  ist  der  untere  Rand  der  Blätter  durch 

ein  Gelenk  beweglich  verbunden,  damit  nicht  der  empfind- 
liche Scheidenring*  durch  dieses  gezerrt  werde.  AriTäusseren 
Ende  kann  das  Instrument  hebelartig  durch  Handhaben  ge- 
schlossen und  geöffnet  werden.  Letztere  sind  noch  durch 
einen  grnduirten  Kreisbogen  verbunden  ,  und  können  durch 
eine   daran  angebrachte  Schraube  festgestellt  werden. 

Das  Weisse'sche  Speculum  hat  drei  Arme,  wie 
das  zur  Untersuchung  des  Afters  bereits  angegebene.  Char- 
riere  hat  Rico  r  d's  Instrument  noch  mit  zwei  Blättern  ver- 
sehen, welche  eine  etwas  abgeplattete,  am  unteren  Ende 
sich  trichterartig  erweiternde  Röhre  darstellen.  Um  die  Ein- 
führung zu  erleichtern ;  ist  es  mit  einem  an  einem  Ende 
stampf  kegelförmig  zugespitzten  Leitungsknopfe  versehen. 


Segalas  empfiehlt  noch  ein  Speculum,    das  erweitert 
eine   vollständige  Röhre    darstellt,    und  aus  drei  rinnenarti- 


4SI 

gen,  geraden  Blättern  besteht,  deren  eines  mit  den  beiden 
übrigen  nach  der  ganzen  Länge  seiner  Ränder  durch  ein 
Charnirgelenk  verbunden  ist.  Eines  dieser  zwei  Blätter  wird 
von  dem  andern  dachziegelförmig  bedeckt ,  so  dass  das  In- 
strument im  geschlossenen  Zustande  als  stark  abgeplattete, 
beim  Öffneu  aber  als  runde  Röhre  erscheint ,  deren  Wände 
von  den  drei  Blättern  gebildet  werden.  An  den  äussern  En- 
den der  zwei  untern  Blätter  sind  zwei  hebelarüg  wirkende 
Handhaben  befestiget,  bei  deren  Zusammendrücken  die  Blät- 
ter sich  von  einander  entfernen.  An  dem  Speculum  sind  fer- 
ner der  Leitungsknopf  und  die  Stellschraube  nicht  vergessen. 

Einführung  des  Mutter  spie  g  eis. 

Ehe  man  zur  Untersuchung  schreitet ,  lasse  man  Blase 
und  Mastdarm  entleeren,  und  sorge  für  zweckmässige  Lage- 
rung der  Kranken  auf  dem  Sp  ec  ulirb  e  t  te  ,  welches  aus 
Kissen  derart  aufgerichtet  wird ,  dass  der  Steiss  am  höch- 
sten liegt ,  und  der  zurückgebeugte  Oberleib  nur  eine  nie- 
dere Unterlage  bekömmt,  die  Füsse  stark  angezogen,  die 
Knie  von  einander  entfernt  sind ,  und  dem  durch  ein  Fenster 
einfallenden  Lichte  der  Zugang  zu  den  Geschlechtstheilen 
gestattet  ist.  In  der  Privatpraxis  ist  Querlage  auf  dem  ähn- 
lich zugerichteten  Bette  und  Aufstellen  der  Füsse  auf  zwei 
Stühle  hinreichend.  Selten  bedarf  man  der  Knieellbogenlage 
zur  Exploration.  Kiwisch  von  Rot  t  er  au  empfiehlt  zur 
Schonung  des  Schamgefühles  das  Speculum  von  einem  wohl- 
eingeübten Weibe  einführen  ,  und  alle  Theile  herum  bede- 
cken zu  lassen ,  so  dass  die  zu  Untersuchende  vor  den  Au- 
gen des  Arztes  äusserlich  gar  nicht  entblösst  erscheint. 

Gut  ist  es ,  vor  der  Einführung  des  Instrumentes  die 
Scheide  mit  einem  Finger  zu  untersuchen,  um  über  die  Wahl 
der  Instrumente,  die  Lage  und  Richtung  des  Uterus  und  den 
Zustand  der  Vagina  vorläufig  das  Nöthige  zu  erfahren. 

Mit  dem  Zeige-  und  Mittelfinger  der  linken  Hand  ent- 
Gaal   Diagnostik.  31 


482 

fernt  man  nun  die  grossen  und  kleinen  Schamlippen  und  macht 
den  Vaginalmund  zugängig. 

Nun  führt  man  das  massig  erwärmte  und  aussen beöhlte, 
geschlossene  Speculum  in  gleicher  Richtung  mit  der  Achse 
des  Scheideneinganges  in  denselben ,  indem  man  es  an  die 
hintere  Commissur,  oder  wo  das  Hymen  noch  vorhanden  ist, 
an  letzteres  etwas  andrückt.  Nun  bewegt  man  das  Instrument 
in  gelinde  drehender  Bewegung  gegen  die  Kreuzbeinaus- 
höhlung, lässt  nun  die  Schamlippen  aus  der  linken  Hand, 
da  sonst  schmerzhafte  Spannung  entstände,  vermeide  dabei 
Haare  einzuklemmen,  und  wende  nie  gegen  etwaige  Hinder- 
nisse Gewalt  an. 

Ist  der  Scheidenspiegel  fast  zur  Hälfte  eingedrungen, 
so  muss  man  sein  vorderes  Ende  noch  mehr  gegen  die  Kreuz- 
beinaushöhlung senken,  um  den  Mutterhals  in  das  Gesichts- 
feld zu  bringen. 

Ganze  Specula  werden  leicht  in  der  Richtung  einge- 
bracht ,  in  der  die  quere  Spalte ,  welche  durch  Aneinander- 
liegen  der  obern  und  untern  Vaginalwände  entsteht,  zu  fin- 
den ist,  und  in  die  Mitte  der  Lichtung  gebracht  werden  kann; 
auf  diese  Weise  und  indem  man  dieser  Querfalte  folgt ,  ist 
es  selten  schwierig,  den  Muttermund  zu  tretfen ,  natürlich 
muss  man  dabei  immer  in  das  Instrument  blicken. 

Ist  das  Instrument  wohl  eingebracht ,  so  geschieht  es 
dennoch ,  dass  sein  Lumen  nur  von  der  Scheidenhaut  erfüllt 
wird ,  dass  man  nur  einen  blinden  Sack  des  Scheidengewöl- 
bes zu  Gesichte  bekömmt,  oder  dass  die  Vaginalportion  der 
Gebärmutter  sich  an  einen  oder  den  andern  Rand  des  Spe- 
culums  legt.  In  diesen  Fällen  ziehe  man  letzteres  ein  wenig 
zurück,  um  es  neuerdings  vorzuschieben.  Würde  man  aber 
die  Stellung  des  Instrumentes  ändern ,  um  den  Muttermund 
zu  fassen,  ohne  es  wieder  zurückzuziehen,  so  würde  man 
ihn  sicher  nicht  ins  Gesichtsfeld  bekommen. 

Zuweilen  sucht  man  den  Muttermund  durch  Einführen 
eines  mit  einem  weichen  Knopfe  versehenen  Stäbchens  in  die 


483 

Öffnung'  des  Instrumentes  zu  bringen  ,  was  in  allen  Fällen 
möglich  ist,  in  welchen  die  Dislocation  keine  unveränder- 
liche ist. 

Madame  Boivin  hat  zu  diesem  Zwecke,  besonders, 
wenn  der  Mutterhals  stark  nach  vorn  gerichtet  ist,  ein  S-för- 
miges ,  vorne  mit  einem  Ringe  versehenes  Stäbchen  em- 
pfohlen. 

Die  sich  öffnenden  Mutterspiegel  werden  auf  gleiche 
Weise  wie  die  geschlossenen  eingeführt ,  und  dann  allge- 
mach geöffnet,  wobei  die  Schenkel  durch  die  Stellschraube 
fixirt  werden,  und  man  den  locker  gewordenen  Leitungs- 
knopf zurückzieht. 

Das  Herausnehmen  der  Specula  geschehe  vorsichtig, 
langsam  und  ebenfalls  nach  der  Führungslinie;  hat  man  ein 
mehrblättriges  Instrument  zu  entfernen ,  so  schliesse  man 
die  Blätter  der  Schraube  durch  langsames  Zurückdrehen  der- 
selben, um  Zerrung  und  Einklemmung  der  Scheidenschleim- 
haut zu  vermeiden. 

Zuweilen  ist  es  nöthig ,  statt  des  Tageslichtes  künst- 
liche Beleuchtung  zu  Hilfe  zu  nehmen,  so  wie  angesam- 
melte Secrete  durch  Wegwischen  mit  Charpiepinseln  oder 
Injectionen  zu  entfernen. 

Manche  schmerzhafte  und  entzündliche  Zustände  der 
Vagina  verbieten  die  Untersuchung  durch  den  Scheidenspie- 
gel. Bei  enger  Scheide  hat  man  gerathen ,  diese  durch  vor- 
läufiges Einlegen  von  Pressschwamm  oder  nach  Fenner 
durch  ein  kleines  vor  dem  Speculum  befestigtes  Luftkissen 
zu  erweitern. 

Die  Ergebnisse  der  lnspection  sind  sehr  verschieden. 
Die  Vagina  hat  verschiedene  Farben,  vom  schmutzigen  Weiss 
bis  zum  violetten  Blau.  Letzteres  rührt  von  grösserem  Blut- 
gehalte der  Scheide  her ,  und  ist  bei  der  Menstruation  und 
in  den  letzten  Schwangerschaftsmonaten  kein  seltener  Be- 
fund. Zuweilen  findet  man  dann  auch  die  Schleimdrüsen  sehr 
vergrössert  und  ein  rahmartiges  Secret  absondernd. 

31  * 


484 

Ferner  betrachtet  man  am  Uterus  sowohl,  als  an  der  Va- 
gina Continuitätsstörungen ,  Excoriationen  und  Geschwüre  , 
Excrescenzen  fungöser  und  condylomatöser  Art,  Polypen 
u.  s.  w.  In  der  Scheide  habe  ich  fast  nur  gespitzte  Condy- 
lomen gefunden ,  am  Uterus  hingegen  häufig  breite ,  die  nur 
als  wenig  erhabene,  weissliche,  rundliche,  nicht  wegwisch- 
bare Körper  zu  erkennen  waren.  Das  aus  dem  Uterus  quel- 
lende Secret  ist  mit  einem  Pinsel  aufzufangen  und  genau, 
selbst  microscopisch  zu  untersuchen.  Zäher,  glasartiger  oder 
trüber  Schleim  hängt  oft  am  Orificium  uteri ,  nach  Art  eines 
Wasserfalles  ,  als  bandförmiger  Streif  herab. 

Nothwendig  ist  es,  die  Beschaffenheit  der  sichtbaren 
Vaginalportion  des  Uterus  im  physiologischen  Zustande  zu 
kennen,  um  dessen  krankhaftes  Verhalten  mit  Sicherheit  beur- 
theilen  zu  können. 

Die  Vaginalportion  ist  in  der  Regel  an  der  hinteren 
Fläche  um  etwas  länger,  als  an  der  vordem,  und  scheinbar 
im  Ganzen  um  so  viel  mehr,  als  der  Uterus  tiefer  steht,  die 
Cervicalportion  schlanker  und  der  Scheidengrund  schlaffer 
ist.  (Kiwis  eh.)  —  Wird  aber  der  Uterus  in  die  Höhe  ge- 
hoben ,  oder  der  Cervicaltheil  so  sehr  vergrössert ,  dass  er 
den  Scheidentheil  nicht  einstülpen  kann,  so  verschwindet 
diese  scheinbare  Länge  der  Vaginalportion. 

Bei  der  Jungfrau  ragt  die  vordere  Muttermundlippe  über 
die  hintere  vor*,  zwischen  beiden  zeigt  sich  das  Orificium  als 
quere  Spalte ,  das  Gefüge  als  derb ,  elastisch  und  die  Farbe 
als  rosenrothe.  Doch  kommen  selbst  im  Normalzustande,  z.  B. 
während  der  Menstruation,  häufig  Abweichungen  von  diesen 
Verhältnissen  vor. 

Während  der  Schwangerschaft  erweicht  sich  der  ganze 
Vaginaltheil  und  verklebt  (besonders  bei  Erstgebärenden) 
der  Muttermund ,  so  dass  er  selten  offen  gefunden  wird.  Im 
Anfange  der  Schwangerschaft  erscheint  der  Vaginaltheil  ver- 
längert und  rückt  tiefer  herab ;  im  späteren  Verlaufe  derscl- 


485 

ben  wird  er  kürzer,  die  Scheide  verlängert  und  der  Mutter- 
mund schräg*  nach  rückwärts  gerichtet. 

Bei  Personen;  die  schon  geboren  haben,  ist  der  Mutter- 
mund häufig  narbig  eingezogen  und  zerklüftet,  die  Gestalt 
der  Lippen  mannigfach  verändert. 

In  der  Periode  der  Involution  sieht  man  den  Canal  des 
Mutterhofes  verengt,  und  kann  durch  gleichzeitiges  Zufüh- 
len den  Vaginaltheil  schlaff,  lederartig  und  selbst  von  knor- 
peliger Härte  finden. 

Palpation.  Diese  Untersuchungsweise,  welche  für 
den  Geburtshelfer  die  nützlichste  ist,  die  aber  grosse  Übung 
erfordert,  geschieht  entweder  durch  die  Scheide  oder  durch 
den  Mastdarm. 

Untersuchung  durch  die  Scheide, 

Man  erfährt  hiedurch  zuerst  den  Zustand  der  äussern 
Geburtstheile ,  da  man  nur  über  diese  zu  den  innern  Par- 
tien gelangen  kann.  Ist  man  in  die  Scheide  gelangt,  so  achte 
man  auf  die  Form  des  Einganges,  die  Länge  und  Weite  der 
Vagina,  ihre  Verbindung  mit  dem  Uterus,  Verschliessung, 
Endigung  in  einem  blinden  Sack,  Duplicität,  Geschwülste, 
den  Zustand  der  Schleimhaut,  ob  sie  straff,  rigide,  oder 
schlaff,  vorgefallen,  feucht  oder  trocken  sei,  welcher  Art 
das  Secret  sich  erkennen  lasse,  ob  ihre  Temperatur  normal 
oder  erhöht  gefühlt  werde  u.  s.  w.  Dann  suche  man  sich  über 
die  Grössenverhältnisse  und  Resistenz  des  Mutterhalses,  so 
wie  seine  Oberfläche  Aufschluss  zu  verschaffen. 

An  dem  Muttermunde  ist  zu  berücksichtigen  :  die  Grösse 
und  Stellung  seiner  Lippen,  seine  Form ,  glatte  oder  narbige, 
eingerissene  Beschaffenheit ,  ob  derselbe  offen  stehe  oder 
nicht,  und  wie  tief  die  Fingerspitze  in  denselben  eingebracht 
werden  kann;  durch  Drängen  des  Scheidengewölbes  nach 
oben  sucht  man  dem  Gebärmutterkörper  seitlich  beizukom- 
men, und  dessen  Form  und  Lageverhältnisse,  Resistenz, 
Schwere  und  Beweglichkeit  zu   erforschen.  Zuweilen  kann 


486 

man  auch  zugleich  die  erkrankten  Eierstöcke  mit  dem  Finger 
erreichen  und  durch  das  Gefühl  prüfen. 

Sehr  wichtig*  aber  ist  die  Untersuchung  des  Beckens 
durch  die  Palpation  ,  welche  sich  hier  mit  der  Mensuration 
verbindet. 

Die  Untersuchung  im  Stehen  ist  gewöhnlich  die  zweck- 
mässigste ,  doch  wird  dieselbe  auch  im  Liegen  vorgenom- 
men ,  besonders  bei  stark  beleibten  Personen,  bei  welchen 
das  Gewicht  der  Unterleibsorgane  die  tiefer  gelegenen  Theile 
im  Stehen  zu  sehr  herabdrückt  (Lisfranc),  oder  wenn 
Lageveränderungen  erforscht  werden  sollen,  die  nur  im  Lie- 
gen hervorgebracht  werden.  In  der  Rückenlage  muss  der 
Steiss  durch  untergeschobene  Kissen  stark  erhöht  werden. 
Zuweilen  wird  die  Indagation  auch  in  der  Seitenlage  vorge- 
nommen, besonders  wenn  man  dieselbe  durch  die  Scheide 
und  den  Mastdarm  machen,  oder  über  seitliche  Abwei- 
chungen des  Uterus,  gewisse  Kindcslagen  u.  s.  w.  Aufschluss 
erhalten  will.  Zwischen  die  Knie  ist  dabei  ein  Kissen  zu  ge- 
ben, und  die  Oberschenkel  müssen  stark  angezogen  werden. 
Die  Knieellbogenlage  ( d  la  vache)  ist  fast  ausser  Gebrauch, 
und  dürfte  höchstens  bei  Rückwärtsbeugung  des  Uterus,  wenn 
man  den  nach  vorne  gelagerten  Muttermund  in  keiner  andern 
Stellung  erreichen  kann,   zu  empfehlen  sein. 

Die  Untersuchung  im  Sitzen  auf  dem  Bett-  oder  Stuhl- 
rande findet  bei  Kreissenden  zuweilen  Anwendung. 

Die  Indagation  geschieht  entweder  mit  dem  Zeigefinger 
oder  mit  2  Fingern ,  wobei  man  um  '/,  Zoll  höher  gelangt, 
der  halben  und  selbst  der  ganzen  Hand.  Der  Arzt  muss  beide 
Hände  gleich  geübt  haben,  die  Nägel  der  Finger  sollen  wohl 
abgeschnitten  sein  ,  und  jene  selbst  nur  erwärmt  und  beöhlt 
eingebracht  werden.  Untersucht  man  mit  zwei  oder  mehreren 
Fingern,  so  suche  man  damit  die  fühlbaren  Gegenstände  zu 
umgehen,  und  aus  dem  Abstände  der  an  gewisse  Puncte  auf- 
gestellten und  ausgespreizten  Finger  von  einander  die  Ent- 
fernung jener  zu  schätzen. 


487 

Bei  der  Untersuchung  mit  einem  Finger ,  welche  die 
häufigste  ist ,  führe  man  diesen  vom  Perinäum  mit  der  Rü- 
cken fläche  gegen  die  hintere  Commissur  der  Schamspalte,  und 
dringe  mit  möglichster  Schonung,  und  indem  man  die  übri- 
gen Finger  an  das  Mittelfleisch  andrückt,  in  die  Scheide 
ein  (der  Daumen  kann  an  den  Schambogen  gelegt  werden ; 
die  übrigen  Finger  einzuschlagen  ,  wie  es  in  vielen  Hand- 
büchern angegeben  wird,  ist  unzweckmässig),  und  sucht  den 
Muttermund  zu  erreichen.  Während  der  Menstruation  nimmt 
man  keine  Untersuchung  vor ,  doch  kann  es  als  passend  er- 
kannt werden,  eben  während  derselben  zu  touchiren.  Ist  der 
Muttermund  offen ,  so  sucht  man  schonend  so  tief  als  mög- 
lich einzudringen ,  und  sich  von  der  Beschaffenheit  des  Cer- 
vicaleanales  zu  überzeugen. 

Drückt  man  den  Muttergrund  durch  die  aussen  ange- 
legte Hand  gegen  die  in  der  Scheide  untersuchenden  Finger, 
so  erhalten  diese  eine  deutlichere  Wahrnehmung*;  eben  so 
kann  man  durch  leichtes  Anstossen  mit  letzteren  auf  den 
Mutterhals  den  Uterus  emporheben  und  wieder  zurücksinken 
lassen ,  und  erkennt  daraus  seine  Beweglichkeit ,  sein  Ge- 
wicht und  zuweilen  selbst  in  ihm  enthaltene  Flüssigkeit  durch 
Fluctuation. 

Ki  w  i  s  ch  #)  macht  darauf  aufmerksam,  dass  man  ohne 
gleichzeitige  Anlegung  der  Hand  von  aussen  ,  bei  Prüfung 
des  Uterus  auf  Beweglichkeit  zuweilen  getäuscht  werden 
kann,  indem  bei  gewissen  Zuständen,  z.  B.  Erweichung 
und  Vergrösserung  der  Gebärmutter,  ihr  Cervicaltheil  wohl 
bewegt  wird,  ihr  Körper  aber  an  der  Locomotion  keinen  An- 
theil  nimmt. 

Hat  man  die  ganze  Hand  einzuführen ,  so  lege  man  die 
Finger  conisch  zusammen,  und  führe  sie  mit  ihrem  Querdurch- 


*)  Clinische  Vorträge  über  specielle  Pathologie   und  Therapie 
der  Krankheiten  des  weiblichen  Geschlechtes.  Prag  1845. 


488 

messer  durch  den  geraden  Durchmesser  des  Beckeneingan- 
ges ,  gehe  dann  sanft  drehend  an  der  hintern  Wand  der 
Scheide  zum  Muttermunde,  indem  man  die  Rückenfläche  der 
Hand  dem  Kreuzbeine  zuwendet.  Ist  man  mit  den  Mittelhand- 
gelenken eingedrungen ,  so  muss  man  ein  wenig  inne  hal- 
ten ,  und  geht  erst  weiter,  wenn  der  erste  Seh  merz  ein  druck 
vorüber  ist. 

Durch  Einbringung  der  Gebärmuttersonden  er- 
halten wir  über  die  Durchgängigkeit  des  Cervicalcanales 
Aufschluss ,  was  für  die  Diagnose  von  Schwangerschaft  in 
den  ersten  Monaten  besonders  wichtig  ist,  da  während  der- 
selben jener  meistens  verklebt  gefunden  wird. 

Ferner  lässt  sich  die  Länge  der  Gebärmutterhöhle  ge- 
nau bestimmen  ,  wenn  man  den  Zeigefinger  der  rechten  Hand, 
an  dessen  Hohlhandseite  die  mit  der  linken  Hand  gefasste 
Sonde  eingeführt  wurde,  am  Instrumente  fixirt,  wenn  es 
nicht  mehr  weiter  dringt  und  beide  gleichzeitig  hervorzieht. 
Der  Längendurchmesser  beträgt  im  Normalzustande  2  Zoll, 
4 — 5  Linien. 

Durch  die  Sonde  erfahren  wir  ferner  die  Stellung  und 
Einfachheit  oder  Duplicität  der  Gebärmutter.  Durch  die  Deut- 
lichkeit, mit  der  wir  den  Sondenknopf  an  der  Bauchwand 
oder  durch  den  Mastdarm  zu  fühlen  im  Stande  sind ,  ver- 
mögen wir  die  Dicke  und  Resistenz  des  Uterus  zu  schätzen, 
und  können  aus  der  Leichtigkeit,  mit  welcher  der  Gebär- 
mutterkörper durch  die  Sonde  hin  und  her  bewegt  und  ge- 
hoben werden  kann ,  auf  dessen  normale  oder  abnorme  Ver- 
bindungen ,  Geschwülste  und  Krankheiten  der  Nachbaror- 
gane schliessen.  Wird  die  Sonde  entfernt,  so  kann  man  aus 
der ,  an  derselben  haftenden  Flüssigkeit  auf  den  Inhalt  der 
Gebärmutterhöhle  schliessen. 

Übrigens  kann  die  Sonde  auch  noch  dazu  dienen ,  den 
Muttermund  mit  Sicherheit  in  das  Lumen  eines  gewöhnlichen 
Speoulums  zu  stellen ,  das  man  über  den  Stab  des  einge- 
führten Instrumentes  gleiten  lässt. 


489 

Erweichung' ,  acute  Entzündung,  Neigung  zur  Blutung 
und  häufig  Gravidität  sind  Gegenanzeigen  der  Untersuchung 
mittelst  der  Sonde. 

Der  in  Rede  stehenden  Instrumente  muss  man  mehrere 
von  verschiedener  Dicke  haben.  Sie  sind  von  biegsamen  Sil- 
ber oder  Pakfong  verfertigt ,  von  der  Länge  einer  Stein- 
sonde,  mit  einer  Handhabe  versehen  und  beiläufig  2  Zolle 
vom  obern,  in  einen  gut  polirten  Knopf  ausgehenden  Ende, 
der  Beckenachse  entsprechend  gekrümmt.  2  Zolle  4  Linien 
unterhalb  des  Knopfes  befindet  sich  eine  kleine  Erhabenheit, 
welche  die  Stelle  anzeigt,  bis  zu  welcher  das  Instrument 
bei  normaler  Länge  der  Gebärmutter  eindringt.  Am  leichte- 
sten gelingt  es,  im  Stehen  die  Sonden  einzubringen,  doch 
ist  die  Untersuchung  im  Liegen  zuweilen  nicht  bloss  leich- 
ter,  sondern  selbst  nöthig. 

Untersuchung   durch   den  Mastdarm. 

Es  gibt  Fälle ,  wo  man  durch  die  Scheide  nicht  unter- 
suchen kann,  und  bloss  auf  die  in  Rede  stehende  Indaga- 
tion  angewiesen  ist.  Doch  sollen,  wenn  es  möglich  ist,  im- 
mer beide  Untersuchungsarten  vereint  angewendet  werden, 
indem  eine  die  andere  vervollständigt. 

Man  gelangt  durch  den  After  ungefähr  bis  zur  Hälfte 
des  Uteruskörpers,  und  lasse  behufs  der  Untersuchung  den 
Darm  früher  durch  ein  Clystier  entleeren ,  und  der  Kranken 
eine  Seitenlage  geben,  wobei  der  nach  oben  liegende  Schen- 
kel etwas  mehr  gebeugt  sein  soll ,  als  der  unter  demselben 
sich  befindende. 

Nun  bringe  man  den  beöblten  Zeigefinger  sehr  vorsich- 
tig ein ,  und  dringe ,  indem  man  von  links  nach  rechts  und 
umgekehrt  horizontal  streift,  so  weit  nach  aufwärts,  als  es 
geht.  Man  findet  dabei  die  hintere  Uteruswand  gewöhnlich 
grösser,  als  sie  wirklich  ist,  da  sie  mehrere  Häute  bedecken. 
Der  Mastdarm  wird  aber  durch  Vergrösserung  der  Gebär- 
mutter ,  durch  ihre  Rückwärtsbeugung ,  Fremdbildungen  im 


490 

Dou  glas'schen  Räume,  Extrauterinschwangerschaft ,  Ge- 
schwülste der  Eierstöcke  u.  s.  w.  bedeutend  verengt. 

Mensuration.  Die  Mensuration  hätte  der  in  diesen 
Blättern  gewohnten  Ordnung*  zu  Folge  vor  der  Palpation 
abgehandelt  werden  sollen,  wird  aber  am  passendsten  durch 
Einbringung*  der  Finger  vollführt,  kann  daher  auch  nur  der 
Untersuchung  durch  den  Tastsinn  angereiht  werden.  Man 
hat  auch  mehrere  Instrumente  ersonnen  ,  um  grössere  Ge- 
nauigkeit der  Messungen  des  weiblichen  Beckens  zu  be- 
wirken ,  doch  stehen  sie  fast  alle  in  Hinsicht  der  leichten 
Anwendbarkeit  der  Mensuration  mittelst  der  Finger  nach.  Es 
trifft  sie  erstens  der  Vorwurf,  dass  zu  ihrer  Einführung  den- 
noch die  Hand  eingebracht  werden  muss ,  ein  Vorwurf  von 
Belang  ,  da  die  weiblichen  Geschlechtstheile  selten  hinläng- 
lichen Raum  dazu  darbieten  ,  und  zweitens ,  dass  der  tiefe 
Stand  des  Uterus  und  der  Kindstheile  oft  ihre  Anwendung- 
vereitelt. 

Will  der  Geburtshelfer  nur  einige  Wahrscheinlichkeit 
von  den  Resultaten  seiner  Messungen  erwarten,  so  muss  er 
mit  den  Massen  seiner  Hand  ,  des  Zeigefingers  und  Mittel- 
handknochens desselben,  bei  im  rechten  Winkel  abducirten 
Daumen  sich  vorläufig*  vertraut  machen. 

Um  die  Conjugata  des  kleinen  Beckens  zumessen, 
stützt  man  nach  Grenser  #)  die  Spitze  des  Zeigefingers 
an  den  Vorberg',  drückt  dann  das  andere  Ende  desselben  ge- 
gen den  Scheitel  des  Schoossbogens,  und  bezeichnet  mit  dem 
Fingernagel  der  freien  Hand  die  Stelle,  wo  die  Schambeins- 
vereinigung auf  dem  untersuchenden  Finger  aufliegt.  Erreicht 
man  aber  den  Vorberg  mittelst  des  Zeigefingers  nicht,  so 
zeigt  diess  schon  an,  dass  die  Conjugata  über  3  Zolle  be- 
trägt, und  man  kann  ihre  Grösse  äusserlich  mittelst  des  Taster- 
zirkels ,    oder  innerlich  mittelst  eines  gmduirten  weiblichen 


*)  Schmidts  Encyklopädie. 


491 

Catheters  oder  Stein's  Beckenmesser  erforschen;  oder 
man  bringt ,  was  nur  bei  Gebärenden  nach  hinlänglicher  Er- 
weiterung derWeichtheile  möglich  ist,  die  halbe  oder  ganze 
conisch  zusammengelegte,  beöhlte  Hand  ein,  stellt  dann  den 
kleinen  Finger  an  den  Vorberg,  den  Zeigefinger  aber,  oder 
wenn  es  nöthig  ist ,  den  Daumen  an  die  hintere  Wand  der 
Schambeinsvereinigung;  aus  der  dazu  nöthigen  Entfernung 
der  Finger  von  einander  schliesst  man  auf  dasMaassderCon- 
jugata.  Barovero  will  noch,  grösserer  Genauigkeit  wegen, 
zwischen  die  ausgespreizten  Finger  hölzerne  Keile  gelegt 
wissen.  Im  Normalzustande  beträgt  am  trockenen  Becken  die 
Conjugata  4  Pariser  Zolle. 

Der  Querdurchmesser  des  Beckeneingan- 
ges (normal  5  Par.  Zolle)  wird  durch  Einbringung  von  4 
neben  einander  gelegten  Fingern ,  deren  Rückenfläche  dem 
Kreuzbeine  zugekehrt  ist,  so  dass  die  Breite  der  Hand  in 
jenem  zu  stehen  kommt,  gemessen.  Ist  aber  der  Querdurch- 
messcr  grösser,  so  kann  man  nach  Hohl  Zeige-  und  Mit- 
telfinger so  wie  Ring-  und  kleinen  Finger  an  einander  le- 
gen, dann  Ring-  und  Mittelfinger  von  einander  so  weit  ent- 
fernen ,  bis  die  Radialfläche  des  Zeigefingers  und  die  Ul- 
narfläche  des  kleinen  Fingers  seitlich  die  ungenannte  Linie 
berühren  ,  und  dann  die  Daumenspitze  in  den  Raum  an  der 
Wurzel  des  ausgespreizten  Mittel-  und  Ringfingers  zwän- 
gen ,   wodurch  man  das  unveränderte  Maass  erhält. 

Den  grossen  oder  geradenDurchmesser  der 
Becken  höhle  erhält  man  ,  wenn  man  den  Zeigefinger  an 
die  Mitte  des  Kreuzbeines  setzt ,  nun  den  aussen  befindli- 
chen Daumen  erhebt,  den  Mittelhandknochen  gegen  den  un- 
tern Rand  der  Symphisis  ossium  pubis  drückt,  und  sich  die- 
sen Ort  markirt.  Diess  geht  aber  nur  bei  Beckenverengerung, 
oder  wenn  ein  Dammriss  dem  Zeigefinger  gestattet,  so  tief  ein- 
zugehen, sonst  muss  man  4  Finger  einbringen,  und  die  Spitze 
des  Zeigefingers   an  die   Schambeinfuge  zu   legen   suchen. 


4<>2 


(Im  Normalzustände  befragt  dieser  Durchmesser  am  trocke- 
nen Becken  4'/,  Par.  Zoll.) 

Der  quere  Durchmesser  der  Beckenhöhle 
(=  4  Zolle)  wird  eben  so  gemessen ,  wie  der  quere  Durch- 
messer des  Einganges. 

Der  gerade  Durchmesser  d e<#  Ausganges 
ergibt  sich  durch  Ansetzen  der  Spitze  des  Zeigefingers  an 
die  Spitze  des  Steissbeines  (auf  dessen  Beweglichkeit  man 
zugleich  achtet)  und  Andrücken  seiner  Wurzel  an  den  Schei- 
tel des  Schoossbogens.  (=  3'/2 — 4'/4  Zoll  beiläufig.) 

Das  Maass  des  queren  Durchmessers  des 
Ausganges  wird  beiläufig  erhalten ,  wenn  man  einen  ein- 
gebrachten Finger  von  einem  Sitzhöcker  zum  andern  be- 
wegt ,  oder  wenn  grössere  Genauigkeit  gewünscht  wird, 
durch  Ansetzen  des  Tasterzirkels  an  die  genannten  Puncte. 
(=  4  Zoll.) 

Beigefügte  Abbildung  #)  versinnlicht  die  horizontalen 
Durchschnitte  des  weiblichen  Beckens, 


I. 


II. 


III. 


I.  Zeigt  die  obere  Öffnung  des  kleinen  Beckens ;  sie 
bildet  einen  Kreis ,  von  dem  das  Einspringen  des  Vorberges 
(a)  einen  halbmondförmigen  Theil  wegnimmt,  a  b  Conju- 
gata;  c  d  Querdurchmesser;  e  fy  g  h  schräge  Durch- 
messer. 

II.  Die  mittlere  Öffnung  des  kleinen  Beckens  bildet  einen 


*)  Aus    Carus    Lehrbuche   der   Gynäk.  logie.     Leipzig     1838, 
3.  Auflage,  1.  Theil. 


493 

Kreis,  dem  durch  die  Einbiegung'  des  Kreuzbeines  ein  halb- 
mondförmiges Stück  zugegeben  wird,  a  b  gerader;  c  d 
Querdurchmesser. 

III.  Der  Ausgang  des  kleinen  Beckens  ist  ein  Kreis, 
von  dem  durch  die  Einbiegung  des  Steissbeines ,  welche 
ausser  der  Geburtsperiode  Statt  findet,  ein  Stück  wegge- 
nommen wird;  a  b  gerader,   c  d  Querdurchmesser. 

Unter  den  Beckenmessern,  deren  es  eine  grosse 
Anzahl  gibt,  ist  der  älteste,  von  Stein  (1772)  erfundene, 
der  brauchbarste ;  derselbe  besteht  aus  einem  8  Zolle  lan- 
gen, runden  Holzstäbchen,  das  in  ganze  und  Viertelzolle 
eingetheilt  ist ,  und  an  welchem  ein  messingener  Index  sich 
hin  und  her  schieben ,  und  durch  eine  Schraube  auf  einem 
beliebigen  Puncte  feststellen  lässt.  Er  wird  wohl  beöhlt  , 
möglichst  tief  gegen  den  Vorberg  eingebracht,  und  der  Zei- 
ger an  der  innern  Schamfugenfläche  fixirt ,  wobei  sich  die 
Diagonalconjugata  der  Beckenhöhle  ergibt ,  wovon  man,  um 
die  eigentliche  Conjugata  des  Einganges  zu  finden ,  noch 
'/a  Zoll  abziehen  muss. 

Noch  einfacher  und  jeden  Augenblick  zu  verfertigen 
ist  Stark's  Beckenmesser,  welcher  aus  einem  Faden  be- 
steht, den  man  um  den  Zeigefinger  schlingt,  und  der  durch 
ein  Korkscheibchen  geht.  Um  ihn  anzuwenden ,  legt  man 
Zeigefinger  und  Daumen  an  einander,  stellt  die  Korkscheibe 
auf  den  Daumennagel ,  geht  in  die  Vagina  ein  ,  entfernt  nun 
beide  Finger  möglichst  weit ,  und  misst  dann  die  Entfernung 
des  Scheibchens  von  der  Zeigefingerspitze. 

Der  Tasterzirkel  von  Baudelocque  (Compas 
d'epaisseur)  ist  ein  sehr  brauchbares  Instrument,  sowohl 
um  niedere  Grade  von  Beckenverengerung  und  das  gleich- 
massig  verengte  Becken ,  als  den  Absland  der  Hüftbeine, 
Trochantcren  u.  s.  w.  zu  erkennen.  Will  man  die  Conjugata 
des  Eiuganges  damit  messen,  so  kniet  man  vor  der  stehen- 
den Frau  zur  Rechten  nieder,  und  stellt  eine  Spitze  des  In- 


494 

strunientes   an    das  obere   Ende  der   Schambeinvereinigung, 
das  andere  etwas  unter  dem  Stachelfortsatz  des  letzten  Len- 
denwirbels,  zieht  aber  dann  von  dem  sich  ergebenden  Maasse 
(7  Zoll)   3  Zoll  (2/2   für  die   Dicke   des    Kreuzbeines    und 
'/,  Zoll  für  die  der  Schambeinvereinigung)  ab. 

Misst  man  die  Querdurchmesser  des  Beckeneinganges 
durch  Aufsetzen  des  Instrumentes  an  die  Trochanteren 
(12  Zoll)  ,  so  hat  man  7  Zolle  für  die  Seitenwände  und 
den  Schenkelhals  abzuziehen. 

Die  Neigungsmesser  (Cliseometer)  des  Beckens 
sind  theils  unanwendbar,  theils  in  der  Praxis  überflüssig.  Es 
genügt  dafür,  zu  erkennen,  ob  ein  Becken  regelmässig,  oder 
zu  viel,  oder  zu  wenig  geneigt  sei,  was  durch  Berücksich- 
tigung der  Stellung  des  Scheideneinganges  und  des  Grades 
der  Einbiegung  in  der  Gegend  des  Kreuzbeines  sich  leicht 
ergibt. 

Nach  der  nun  angegebenen  Skizze  wird  jeder  Arzt  im 
Stande  sein ,  nicht  allein  vorhandene  Schwangerschaft  mit 
möglichster  Sicherheit  zu  diagnosticiren  ,  sondern  auch  alle 
sich  durch  physicalische  Symptome  äussernden  Krankheiten 
der  weiblichen  Geschlechtstheile  zu  erkennen;  die  specielle 
Diagnostik  der  Letzteren  hier  zu  geben ,  verbietet  der  mir 
vorgeschriebene  Raum  dieser  Blätter. 

Untersuchung  der  weiblichen  Urethra. 

Inspection.  Mit  der  Exploration  der  äussern  Ge- 
schlechtstheile des  Weibes  wird  die  der  Urethra  gewöhnlich 
verbunden.  Man  betrachtet  die  Mündung  der  Harnröhre  in 
Hinsicht  ihres  Vorhandenseins,  ihrer  Weite,  Färbung,  mehr 
oder  weniger  wulstigen  Beschaffenheit,  Continuität;  sieht, 
ob  aus  derselben  nicht  Wucherungen  vorragen,  die  Schleim- 
haut vorgefallen  ist,  oder  ob  bei  angebrachtem  Drucke  durch 
den  vor  der  Scheide  aufwärts  pressenden  Zeigefinger  sich 
nicht  ein  eiterartiges  oder  schleimiges  Secret  zeige,  wie  bei 


495 

der  mit  Scheidenfluss  häufig'  verbundenen  Blenorrhoe  der 
Urethra  u.  s.  w.  Zu  bemerken  ist  übrigens,  dass  die  unter  der 
Clitoris  an  der  obern  Wand  der  Scheide  als  kleine  Vorra- 
gung sichtbare  Harnrohrenmündung  sich  bei  altern  Indi- 
viduen gänzlich  zurückzieht ,  so  dass  sie  vom  Scheidenein- 
gange nicht  mehr  geschieden  ist. 

Die  Untersuchung  durch  P  alp  ati  o  n  geschieht  durch 
Zufühlen  mit  dem  Zeigefinger  an  der  obern  Wand  der  Scheide, 
und  durch  Sondirung  der  Harnröhre  mittelst  einer  geeigneten 
dicken  Sonde,  oder  mittelst  des  gewöhnlichen  fast  ganz  ge- 
raden weiblichen  Catheters  ,  von  6  Zoll  Länge  ,  2  Linien 
Dicke  für  Weiber ;  4 — 5  Zoll  Länge  und  1'/.,  Linien  Dicke  für 
Mädchen. 

Derselbe  wird  entweder  in  der  Rücken-  oder  in  der  Sei- 
tenlage auf  folgende  Weise  eingebracht :  Der  Arzt  stehe  zur 
Rechten  der  Kranken,  und  ziehe  mit  Daumen  und  Zeigefinger 
der  linken  Hand  die  kleinen  Schamlefzen  von  einander.  Der 
Daumen ,  Zeige-  und  Mittelfinger  der  rechten  Hand  hält 
den  Catheter  derart,  dass  derselbe  der  Länge  nach  auf  die 
Volarfläche  des  Zeigefingers  zu  liegen  kommt ,  und  die  Con- 
cavität  der  kleinen  Biegung  nach  aufwärts  gegen  die  Scham- 
beine gerichtet  ist.  Nun  bezeichnet  man  sich  mit  dem  linken 
Zeigefinger  die  Harnröhrenöffnung ,  und  schiebt  an  dessen 
Nagel  das  Instruinen  i  langsam  nach  der  Mündung  des  Scham- 
bogens  in  die  Urethra,  senkt  dann  dasselbe  ein  wenig,  um 
so  in  die  Blase  zu  gelangen.  Während  der  ganzen  Operation 
ist  aber  Entblössung  der  Geschlechtsteile  so  viel  als  mög- 
lich zu  vermeiden.  Maunsell  empfiehlt  den  Catheter  in 
der  Seitenlage  einzuführen ,  wobei  die  Clitoris  nicht  be- 
rührt wird. 

Larcher  führt  in  der  Rückenlage  der  Kranken  den 
Zeigefinger  der  linken  Hand  von  der  hintern  Commissur  an 
die  vordere  Scheidewand ,  in  einer  Richtung  von  vorne  nach 
hinten  und  unten  nach  oben,  und  sucht  durch  einen  in  dieser  Di- 
rection  ausgeübten,  gelinden,  ziehenden   Druck  die  untere 


496 

Harnröhrenwand  etwas  nach  rückwärts  zu  drängen,  und  der 
Mündung  eine  grössere  Ausdehnung  in  die  Quere  zu  verlei- 
hen. Nun  wird  auch  der  Catheter  in  der  angegebenen  Rich- 
tung leicht  eindringen.  Der  Finger  bleibt  während  der  Ope- 
ration liegen,  um  jedes  Hinderniss  derselben  durch  Ge- 
schwulst u.  s.  w.  zu  controlliren ;  die  vorragende  Handhabe 
des  Instrumentes  zeigt  die  normale  oder  krankhafte  Richtung 
der  Urethra  an. 


497 


Untersuchung 

der  Extremitäten. 

Dieser  Abschnitt  ist  fast  nur  chirurgischen  Krankheitert 
gewidmet,  und  enthält  auch  nur  in  gedrängter  Kürze  das 
Wichtigste  derselben,  in  so  ferne  sie  durch  physicalische  Un- 
tersuchung ermittelt  werden. 

Unter  allen  Explorationsmethoden  spielen  wohl  Inspec- 
tion,  Palpation  und  Mensuration  hier  diegrösste  Rolle.  Sehr 
selten  finden  Auscultation  und  noch  viel  seltener  Percussion 
ihre  Anwendung. 

Erstere  nur  bei  Fracturen  tief  gelegener  Knochen,  denn 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  wird  die  Crepitation  besser  gefühlt 
als  gehört ,  und  das  Stethoskop  hat  nur  an  solchen  Stellen 
eines  Knochens,  wo  keine  oder  nur  eine  höchst  unbedeu- 
tende Form-  und  Richtungsveränderung  möglich  ist,  z.  B* 
beim  Rruche  des  Schenkelhalses  innerhalb  des  Kapselban- 
des, beim  Bruche  des  Oberarmes  am  anatomischen  Halse 
u.  s.  w.  einen  unbedingten  Werth ;  ferner  wird  noch  die  Aus- 
cultation bei  Untersuchung  von  Aneurysmen  angewendet. 
Die  physicalischen  Erscheinungen,  welche  hier  unser  beson- 
deres Augenmerk  verdienen ,  sind  hauptsächlich  die  Form , 
Stellung,  Grösse  (zu  welcher  sowohl  abnormer  Umfang,  als 
auch  Länge  und  Kürze  zu  rechnen  sind) ,  und  die  Be- 
weglichkeit der  Extremitäten  und  ihrer  einzelnen  Theile. 

Ohne  erst  in  weitschweifige  allgemeine  Erörterungen 
dieser  Puncte  einzugehen,  wollen  wir  gleich  in  anatomischer 
Ordnung  die  krankhaften  physicalischen  Erscheinungen  an  den 
Extremitäten  durchgehen. 

Was  die  Lage  der  kranken  Extremitäten  während  der 
Untersuchung  betrifft,  so  müssen  diese  im  Allgemeinen  ganz 
Gaal  Diagnostik.  32 


498 

oder  grösstentheils  entblösst  und  so  gelagert  sein,  dass  die 
leidende  Stelle  von  allen  Seiten  zugänglich  ist;  oft  aber  ist 
es  nöthig ,  auch  die  entsprechende  Extremität  der  gesunden 
Seite  zu  entblösscn,  um  Vergleiche  anstellen  zu  können. 
Am  besten  ist  es  bei  Krankheiten,  die  vorzüglich  durch  ver- 
änderte Form  und  Richtung  sich  kund  geben ,  den  Kranken, 
wo  es  nur  immer  möglich  ist ,  in  der  aufrechten  Stellung 
zu  untersuchen. 

Untersuchung  der  Schulter. 

Bei  der  Untersuchung  der  Schulter  ist  es  nöthig,  dass 
der  Hals  und  die  obere  Extremität  wenigstens  bis  über  das 
Ellbogengelenk  entblösst  seien,  besser  aber  ganz.  Für  den 
Ungeübteren  ist  es  immer  nothwendig,  auch  die  nackte  gesunde 
Seite  mit  zu  vergleichen. 

14  iioelienli  Hielte». 

1.  Das  Schi üs selb  ein  bricht  grösstenlheils  ausser- 
halb seiner  Wölbung. 

Ph  ysicali  sehe  Zeichen. 

Inspection.  Die  Schulter  ist  abwärts  und  vorwärts 
gesunken.  Der  Kranke  neigt  den  Kopf  gegen  die  kranke 
Seite,  unterstützt  wohl  gar  den  Ellenbogen  der  leidenden 
Seite  mit  der  Hand  der  gesunden. 

Mensur ation.  Der  Abstand  der  Sterno-Clavicular- 
Articulation  von  der  Claviculo-Acromial-Articulation  ist  klei- 
ner, als  an  der  normalen  Seite. 

Palp  ation.  Legt  man  die  in  eine  Ebene  gebrachten 
Fingerspitzen  einer  Hand  an  das  Sternalende  des  Schlüssel- 
beins, und  führt  dieselben  gegen  das  Acromial-Ende  hin ,  so 
wird  man  die  Hervorragung  des  Schlüsselbeines  scharf  be- 
gränzt  finden  (Ende  des  innen  Bruchstückes);  gerade  nach 
rückwärts  von  dieser  Stelle  fühlt  man  das  innere  Ende  des 
äussern  Bruchstückes.  Crepitation  ist  hier  schwer  zu  fühlen, 


499 

da  die  Bruchstücke  bei  Fractura  transversa,  welche  die  ge- 
wöhnlichste ist,  ganz  ausser  aller  Berührung  sind.  Man  muss 
sich  wohl  hüten  ,  das  Knistern  von  Blutextravasat  oder  zu- 
weilen entstehendem  Emphyseme  für  die  Reibung  der  Kno- 
chenflächen zu  halten. 

Die  Schulter  ist  leicht  beweglich  ,  die  Vereinigung  der 
Bruchflächen  aber  sehr  schwer, 

2.  Bruch  des  Acromialfortsatz  es  des  Schulter- 

bl  attes. 

Dabei  ist  fast  nichts  zu  sehen.  Die  Palpation  leistet  hier 
fast  Alles.  Führt  man  die  (wie  früher  angegeben)  aneinander 
gereihten  Fingerspitzen  längst  der  Spina  scapulae  vom  inne- 
ren Rande  gegen  das  Acromion  hin ,  so  findet  man  gewöhn- 
lich eine  kleine  Abstufung  und  normwidrige  Beweglichkeit. 
Legt  man  die  eine  Hohlhand  an  die  Spina,  und  bewegt  mit 
der  andern  den  Oberarm  der  leidenden  Seite,  so  fühlt  man  Cre- 
pitation.  Ist  jedoch  die  Geschwulst  sehr  gross,  so  muss  die 
Diagnose  verschoben  werden,  da  man  nicht  deutlich  fühlt, 
bis  das  Abfallen  jener  die  Palpation  wieder  gestattet. 

Bruch  des  Halses  am  Schulterblatte. 

Das  Acromion  ragt  vor.  Der  Arm  ist  herabgesunken. 
Im  Schultergelenke  normwidrige  leichte  Beweglichkeit  und 
Crepitation,  die  jedoch  kein  charakteristisches  Merkmal  ist. 

3.  Bruch    des   Oberarmbeines. 

1.  Am  Halse,  d.i.  entweder  nahe  an,  oder  gerade 
an  den  Höckern ,  oder  am  eigentlichen  Colum  anatomicum. 

Diese  Diagnose  ist  oft  sehr  schwierig;  manchmal  ganz 
unmöglich.  Die  Verschiebung  ist  selten  bedeutend,  es  sind 
daher  die  objeetiven  Erscheinungen  beinahe  nur  auf  Crepita- 
tion beschränkt,  und  zuweilen  ist  es  dem  Tastsinne  gestat- 
tet, ein  Bruchstück  in  der  Achsel  zu  fühlen. 

2.  Am  Körper  kommt  es  auf  die  Bruchstelle  an: 

a.  Oberhalb  der  Insertion  des  Musculus  deltoideus  ist  die 

32  # 


500 

Stelle  des  Armes,  wo  der  Knochen  gebrochen,  unförm- 
lich breiter,  manchmal  zugleich  die  Axe  des  Oberarmes 
verkürzt. 

Das  Maass  wird  vom  Acromion  bis  zum  Condylus  ex- 
ternus  oder  bis  zum  Olecranon  genommen. 

Beim  Versuche,  passive  Bewegungen  zumachen,  ent- 
deckt man  normwidrige  Beweglichkeit  an  der  Bruchstelle  und 
Crepitation.  Um  letztere  zu  ermitteln,  fixirt  man  das  obere 
Bruchstück  mit  einer  Hand,  und  bewegt  mit  der  anderen  das 
untere  der  Art,  dass  sich  die  Flächen  reiben  müssen. 

ß.  Unterhalb  der  Insertion  des  Deltamuskels  genügt 
die  leichte  Beweglichkeit  und  Crepitation  zur  Diagnose,  denn 
die  Verschiebung  ist  sehr  geringe. 

y.  Am  unteren  Drittheile. 

Der  untere  Theil  des  Armes  erscheint  unförmlich  dicker, 
der  Vorderarm  massig  gebeugt  und  verkürzt ,  was  ebenso 
wie  bei  a  ermittelt  wird. 

Betastet  man  die  dickere  Stelle,  so  entdeckt  man  die 
Vorragungen  der  Bruchstücke :  das  obere  vorne ,  das  untere 
hinten.  —  Crepitation  nimmt  man  wahr,  wenn  man  früher 
etwas  extendiren  lässt,  damit  die  Bruchflächen  mit  einander 
in  Berührung  kommen. 

Wenn  die  Condylen  allein  abbrechen ,  so  ist  nebst  der 
Beweglichkeit  und  Crepitation : 

a.  beim  Bruche  des  äusseren  Condylus  der  Vorderarm 
supinirt , 

ß.  beim  inneren  pronirt. 

4.  Bruch   am  Vorderarme. 

a.  Olecranon.  Der  Arm  ist  gebeugt,  die  normale  Vor- 
ragung des  Olecranons  fehlt,  der  Ellbogen  erscheint  nach 
hinten  abgerundet.  Befühlt  man  die  hintere  Stelle  des  Ell- 
bogens ,  so  fühlt  man  die  Fossa  inteveondyloidea  posterior 
und  die  Trochlea-Streckung  ist  unmöglich. 

ß.  Beide  Vorderarmknochen  brechen  meistens  in  der 
Mitte. 


501 

Der  Vorderarm  ist  an  der  Bruchstelle  viel  schmäler,  da- 
selbst entdeckt  man  leicht  regelwidrige  Beweglichkeit  und 
Crepitation  beim  Versuche  des  Arztes  zu  proniren  und  zu 
supiniren,  was  der  Kranke  selbst  nicht  kann,  wobei  man 
auch  leicht  erkennt,  dass  die  oberen  Bruchstücke  diese  Be- 
wegungen nicht  mitmachen. 

y.  Bruch  des  Radius  allein.  Der  Vorderarm  ist  an  der 
Bruchstelle  schmäler,  die  Hand  in  voller  Pronation,  als  wäre 
sie  nach  dem  Handrücken  verrenkt. 

Führt  man  die  zusammengelegten  Fingerspitzen  am  Ra- 
dialrande des  Vorderarmes  nach  aufwärts,  so  entdeckt  man 
die  Bruchstelle  an  der  Einbiegung*,  wo  man  auch  beim  Ver- 
suche von  Pro-  undSupination  Crepitation  fühlt.  Beim  Bruche 
des  unteren  Endes  des  Radius  findet  man  alle  diese  Symp- 
tome weiter  unten.  Dieser  Bruch  ist  leicht  mit  einer  Luxation 
der  Hand  zu  verwechseln ,  worauf  wir  bei  der  Luxation  zu- 
rückkommen werden. 

d.  Der  Bruch  der  Ulna  ist  seltener  als  die  früher  genann- 
ten, und  äussert  sich  beinahe  durch  dieselben  Symptome, 
welche  im  vorigen  Falle  an  der  Radialseite  beobachtet  wur- 
den ,  nur  dass  sie  an  der  Ulnarseite  vorkommen. 

5.  Bruch   der  Knochen   der  Hand. 
Diese  sind  meistens  Zermalmungen  und  von  so  zufälliger 
Form,  dass  jeder  Bruch  besonders  untersucht  werden  muss. 

Brüche  an  den  unteren  Extremitäten* 

1.    Des   Schenkelhalses. 

Dieser  bricht  entweder  innerhalb  des  Kapselbandes  oder 

ausserhalb  desselben.  Die  Unterschiede  in  der  Diagnose  sind 

meist  nur  gradativ,  so  dass  sie  immer  auffallender  werden, 

je  näher  der   Bruch  dem  grossen  Rollhügel  kommt.  —  Die 

physicalischen  Erscheinungen  sind : 

Inspection.  Verkürzung  der  kranken  Extremität ; 
die  Zehen  sind  nach  aussen  gekehrt  und  die  Hervorragungen 
des  Trochanler  major  mehr  oder  weniger  undeutlich. 


602 

Mcnsurat  on.  Um  die  Verkürzung  zu  ermittel  n,muss 
man  zuerst  auf  völlig  horizontale  Lage  des  Rückens  sehen , 
so  dass  eine  zwischen  beiden  Spinis  Hei  antcrioribus  supe- 
rioribus  gezogene  Linie  mit  der  Längenachse  des  Körpers 
einen  vollkommenen  rechten  Winkel  bildet.  Dann  misst  man 
mit  einem  Faden  von  der  Spina  ilei  ant.  sup.  bis  zum  inne- 
ren Knöchel  oder  bis  zur  Spitze  der  Patella  auf  beiden  Sei- 
ten, und  ermittelt  so  die  Differenz;  diese  beträgt  beim  Bruche 
innerhalb  des  Kapselbandes  '/4 — '/a  ja  i  Zoll  (Earle 
Smith),  ausserhalb  des  Kapselbandes  1  '/2  —  2!/2  Zoll. 

Zu  empfehlen  ist  aber  immer,  zugleich  auch  die  Höhe 
der  Fusswurzel  zu  messen,  weil  es  oft  geschieht,  dass  an- 
geborene einseitige  Verkleinerung  des  ganzen  Fusses  eine 
Verkürzung  bewirkt ,  die  leicht  täuschen  könnte. 

Ein  leichter  Zug  am  Fusse  oder  Knie  stellt  die  normale 
Länge  der  Extremität  wieder  her. 

P  a  1  p  a  t  i  o  n.  Untersucht  man  die  Gegend  des  Trochan- 
(er  major,  so  findet  man  diesen  emporgezogen  und  nach  hin- 
ten gerollt  (aber  nur  bei  mageren  Personen).  Legt  man  die 
eine  Hand  an  diese  Gegend,  und  rotirt  mit  der  andern  den 
beim  Knie  erfassten  Oberschenkel,  oder  lässt  diess  bei  ge- 
streckter Extremität  von  einem  Gehilfen  am  Fusse  thun ,  so 
bemerkt  man,  dass  der  Trochanter  major  einen  desto  kleineren 
Bogen  beschreibt,  je  weiter  vom  Kopfe  der  Bruch  ist,  so 
dass  er  manchmal  sich  bloss  um  seine  Achse  dreht.  Bei  die- 
ser Gelegenheit  fühlt  man  meist  Crepitation.  Bei  dicken  In- 
dividuen und  beim  Bruche  innerhalb  des  Kapselbandes  ist  diese 
undeutlich,  und  hier  kann  man  sich  des  Stethoscopes  bedie- 
nen, von  dem  Lisfranc  versichert,  dass  es  immer  die 
Crepitation  erkennen  lässt.  Um  die  Crepitation  zu  entdecken, 
ist  es  immer  nöthig,  den  Schenkel  so  zu  extendiren,  dass 
sich  die  Bruchflächen  berühren.  Verwechselt  werden  kann 
übrigens  dieser  Bruch  mit  einer  Luxation  nach  vorne  und 
oben ,   was  bei  den  Verrenkungen  abgehandelt  wird. 


503 
2.  Bruch  in  der  Diaphyse. 

Im  oberen,  mittleren  und  unteren  Drittheile. 

Alle  diese  Arten  lassen  sich  aus  der  Verunstaltung 
des  Schenkels  in  einer  dieser  3  Gegenden,  aus  der  nicht  im- 
mer bedeutenden  Verkürzung  (wo  aber  das  Maass  vom 
Trochanter  genommen  werden  kann)  ,  der  abnormen  Beweg- 
lichkeit und  der  Crepitation  erkennen. 

3.  Bruch   der  Patella. 

Meistens  beobachtet  man  Querbruch  ,  seltener  Längen- 
bruch ,  manchmal  schiefen  oder  Splitterbruch. 

I  n  s  p  e  c  t  i  o  n.  Die  Extremität  ist  im  Knie  gebeugt,  und 
wenn  nicht  entzündliche  Geschwulet  es  hindert,  oder  der 
Kranke  sehr  fett  ist,  so  kann  man  schon  an  der  Vorderseite 
des  Knies  die  der  Bruchstelle  entsprechende  Furche  sehen. 
Der  Arzt  kann  die  Extremität  leicht  strecken ,  der  Kranke 
gar  nicht. 

Palp  ati  on.  Legt  man  die  Fingerspitzen  an  die  Vor- 
derseite des  Knies,  so  fühlt  man  dort,  wo  sonst  die  Patella 
vorragt ,  eine  tiefe  Furche  und  in  deren  Grunde  die  rollen- 
artige Aushöhlung  zwischen  den  beiden  Knorren.  Unter- 
halb dieser  Furche  fühlt  man  das  untere  Bruchstück ,  das 
obere  ist  an  einer  härtlichen  Stelle  unter  der  Sehne  desEx- 
lensor  quadrieeps  ervris  zu  finden.  Crepitation  ist  regender 
zu  grossen  Entfernung  der  Bruchstücke  nicht  zu  fühlen. 

Den  Verticalbruch  erkennt  man  an  der  abnormen  Be- 
weglichkeit und  Crepitation,  wenn  man  abwechselnd  mit  dem 
Finger  die  Ränder  der  Patella  niederdrückt.  Auf  dieselbe 
Weise  entdeckt  man  Splitterbrüche. 

4.    Bruch    der   Unterseite ukelknoohen. 

Tibia  allein.  Diese  bricht  häufig,  und  dann  ist  meist 

der  Bruch  ein  querer.   Die  Fragmente  verschieben  sich  wenig 

oder  gar   nicht ,  daher  die  physicalischen  Kennzeichen  nur 

auf  Crepitation  und  abnorme  Beweglichkeit  beschränkt  sind, 


504 

welche  beide  aber  oft  nicht  leicht  ermittelt  werden  können. 
Man  pflegt  in  diesem  Falle  den  Kranken  den  Unterschenkel 
aufheben  zu  lassen,  wo  zuweilen  eine  leichte  Biegung  der 
Achse  desselben  wahrgenommen  wird. 

Bruch  der  Fibula  allein. 

Inspection.  Kaum  merkliche  Einbiegung  an  der 
Bruchstelle.  Weder  Verkürzung  noch  Verlängerung. 

P  a  1  p  a  t  i  o  n.  Beim  Hinübergleiten  der  an  einander  ge- 
legten Fingerspitzen  über  die  Gegend  der  Fibula  fühlt  man 
h  äufig  die  abnorme  Beweglichkeit  und  Crepitation. 

Dieser  Bruch  ist  übrigens  häufig  mit  Luxation  des  Astra- 
galus  combinirt. 

Beide  Unterschenkelknochen  können  an  verschiedenen 
Orten  und  in  sehr  verschiedenen  Richtungen  brechen;  daher 
lässt  sich  darüber  nichts  Bestimmtes  sagen.  Doch  ist  im  All' 
gemeinen  die  Formveränderung  des  Unterschenkels  meistens 
sehr  gering,  und  selbst  beim  Vergleiche  mit  der  andern  Ex- 
tremität nicht  immer  leicht  zu  erkennen. 

Verkürzung  kommt  nur  bei  Schiefbrüchen  vor.  Erscheint 
eine  solche,  so  wird  das  Maass  von  der  Patella  bis  zum  in- 
nern  Knöchel  genommen.  Crepitation  zeigt  sich  gewöhnlich 
mehr  oder  weniger  deutlich;  nicht  selten  werden  auch  Wun- 
den der  Weichtheile  mit  beobachtet. 

Brüche  am  Fusse. 

Ausser  dem  hintern  Fortsatze  vom  Fersenbeine  bricht 
kein  Knochen  allein,  und  die  Fracturen  sind  fast  immer  mit 
Zerquetschung  und  Verwundung  der  Weichtheile  verbunden. 

Bruch  des  Fersenbeines. 

Inspection.  Der  Fuss  ist  mehr  oder  weniger  gebeugt, 
die  Vorragung  der  Ferse  verschieden,  oft  undeutlich. 

Palpation.  Erfasst  man  den  Fersenhöcker  und  be- 
wegt ihn  nach  der  Seite  hin ,  so  entdeckt  man  abnorme  Be- 
weglichkeit, und  wenn  diess  Bruchstück  nicht  sehr  emporge- 
zogen wird ,  selbst  Crepitation. 


505 

P  s  eudarthrosen. 

Diese  Krankheilen  geben  sich  durch  wenige ,  aber  so 
auffallende  physicalische  Zeichen  kund ,  dass  es  kaum  mög- 
lich ist  ,  sie  zu  verkennen.  Sie  erscheinen  zwar  an  allen 
Röhrenknochen ,  finden  sich  aber  doch  am  häufigsten  am 
Oberarme  und  Oberschenkel.  Ihre  Charaktere  sind  folgende : 

Inspection.  Eine  auffallende  Missstaltung  des  Glie- 
des, welches  bald  dicker  ist,  bald  winklig  erscheint,  fallt 
in  die  Augen,  und  tritt  vorzüglich  beim  Gehen  hervor,  wel- 
ches manchmal  ganz  unmöglich  ist.  Hiebei  wird  das  Glied 
nach  den  verschiedensten  Richtungen  gebogen. 

Mensuration.  Bei  manchen  Pseudarthrosen  mit  schie- 
fen Flächen  erscheint  bedeutende  Verkürzung  (am  häufig« 
sten  am  Oberschenkel) ,  welche  auf  die  schon  benannte  Art 
bemessen  wird. 

Palpation.  Fixirt  man  in  einem  solchen  Falle  das 
obere  Stück,  und  zieht  an  dem  untern  an7  so  kann  man  die 
natürliche  Länge  des  Gliedes  leicht  herstellen ,  wobei  ge- 
wöhnlich ein  eigenthümliches  Knacken  zu  vernehmen  ist- 

Gelenksmäuschen. 

Diese  fremden ,  in  den  Gelenkshöhlen  gelegenen  Kör- 
per geben  sich  hauptsächlich  durch  Störungen  der  Bewegung 
kund ,  und  zeigen  überhaupt  mehr  subjective  als  objective 
Kennzeichen.  —  Die  Inspection  lässt  nur  die  Schwie- 
rigkeiten der  Bewegung  wahrnehmen.  Findet  man,  dass  die 
Bewegung  nur  nach  einer  Richtung  hin  behindert  ist,  sq 
kann  man  annehmen ,  dass  der  Körper  angeheftet  ist.  Varii-r 
ren  diese  Störungen ,  so  kann  man  schliessen ,  dass  das  Ge^ 
lenksmäuschen  frei  ist. 

Die  Empfindung  des  Kranken  ist  jedoch  ein  viel  zuver-t 
lässigeres  Moment. 

Die  Störungen  der  Bewegung  bestehen  darin,  dass  der 
Kranke  das  betheiligte  Glied  entweder  constant  nicht  voll- 
kommen strecken  oder  beugen  kann  (bei  festem  Sitze  des 


606 

sogenannten  Mäuschens  je  nach  der  Lage  an  der  Streck- 
oder Beugseite  des  Gelenkes),  oder  abwechselnd  (bei  freien 
Mäuschen)  diese  und  jene  Bewegung'  nicht  vollkommen  aus- 
führen kann  (je  nach  der  Lageveränderung  des  fremden 
Körpers). 

Palpation.  Manchmal  kann  man  sogar  die  Mäuschen 
fühlen ,  wie  z.  B.  zu  beiden  Seiten  des  Olecranon  und  der 
Patella. 

Auscultation.  Die  Gelenksmäuschen  bewirken  zu- 
weilen ,  so  wie  gichtische  Ablagerungen,  bei  Be- 
wegungs-Versuchen rauhe ,  knackende  Geräusche. 

Luxationen. 

Die  physicalischen  Zeichen  der  Luxationen  im  Allge- 
meinen sind: 

1.  Veränderte  Gestalt  des  kranken  Gelenkes, 

2.  abnorme  Stellung  und  Richtung  der  Achse  des  lu- 
xirten  Knochens  und  derlei  Haltung  des  ganzen  Körpers ; 

3.  Verlängerung  und  Verkürzung; 

4.  Abnorme  Erhabenheiten  und  Vertiefungen  am  kranken 
Gelenke ; 

5.  Beschränkung  der  Bewegungen. 

Luxationen  des  Schlüsselbeines. 

0)  Das  Sternalende  kann  nach  vor- ,  nach  auf-  und 
nach  rückwärts  luxiren. 

Bei  diesen  Luxationen  ist  immer  der  Kopf  nach  der  kran- 
ken Seite  hingeneigt ,  uud  jede  Bewegung  des  Halses  und 
Armes  erschwert. 


507 


Luxationen  nach 
vorwärts. 

Die  häufigste  ;  am 
vordem  obern  Theile 
des  Brustbeines  ist  eine 
Vorraguug,  welche  bei 
den  Bewegungen  des 
Armes  auf-  und  ab- 
steigt. 


Inspection, 

Luxationen  nach 
aufwärts. 

Seltener.  Ganz  oben 
am  Ausschnitte  des  Ma- 
nu brium  sterni  eine 
Hervorraguug,  welche 
bei  starkem  Rückwärts- 
ziehen und  Aufheben 
der  Schultern  ver- 
schwindet. 


Luxationen  nach 
rückwärts. 

An  der  Seite  des 
Manubrium  sterni  eine 
Vertiefung,  welche  dem 
Blustschlüsselbeine  ent- 
spricht und  schwer 
zum  Verschwinden  ge- 
bracht werden  kann. 


Mensur  ation. 


Der  Abstand  vom 
Brustschlüsselbein-Ge- 
lenke bis  zum  Acro- 
mion  sehr  wenig  oder 
gar  nicht  verkürzt. 


Die  eben  bespro- 
chene Hervorragung  ist 
deutlich  fühlbar  nach 
innen  scharf  abge- 
gränzt. 


Dieser  Abstand  ist 
verkürzt. 


Palpation. 

Dasselbe  ist  hier 
am  obern  Rande  des 
Manubrium  sterni  zu 
fühlen. 


Ebenfalls  wenig  oder 
gar  keine  Verkürzun- 
gen. 


Hier  ist  die  Vertie- 
fung nach  innen  scharf 
begränzt  durch  den 
Rand  der  Gelenkhöhle 
des  Manubrium  sterni. 


Luxation  des  Acromialgelenkes. 

Dieses  kann  nur  nach  aufwärts  luxiren. 
Symptome. 

Tiefer  Stand  der  Schulter,  ein  deutlicher  Zwischenraum 
zwischen  dem  Acromion  und  dem  Acromialende  des  Schlüs- 
selbeines und  ein  Vorstehen  des  letzteren  nach  oben. 

Der  Abstand  der  Schulter  vom  Sternum  ist  geringer. 

Die  Vorragung*  des  Acromialendes  der  Clavicula  ist 
deutlich  zu  fühlen ,  leicht  in  die  normale  Stellung  herabzu- 
drücken ,  steigt  aber  bald  wieder  auf.  —  Ungewöhnliche 
Beweglichkeit  des  Claviculo-Acromial-Gelenkes.  Erschwerte 
Bewegung  des  Armes. 

Diese  Luxation  ist  leicht  mit  einem  Bruche  des  Acro- 
mialendes nahe  am  Gelenke  zu  verwechseln,  und  in  der  That 
oft  dem  Geübtesten  schwer  erkennbar. 


508 


Nur  das  zackige  Ende  des  emporgehobenen  Knochens 
kann  die  Diagnose  sicherstellen,  jedoch  ist  dieses  oft  sehr 
schwer  zu  ermitteln.  Übrigens  trägt  noch  die  genaue  Men- 
suration  beider  Schlüsselbeine  das  Ihrige  zur  Erleichterung 
der  Diagnose  bei. 

Luxation  des  Oberarmes. 

Wir  wollen  diese  Luxationen  nach  den  physicalischen 
Erscheinungen  bloss  in  dreierlei  Hauptarten  betrachten;  die 
Abtheilung  in  4  Formen  ist  zur  Darstellung  physicalischer 
Symptome  überflüssig. 

1.   Luxationen  nach  abwärts,   die  häufigsten ; 

9.  Luxationen  nach  vorwärts  oder  innen ,  seltener  vor- 
kommend ; 

8.  Luxationen  nach  rückwärts  oder  aussen ,  am  sel- 
tensten, 

Die  Genauigkeit  und  Schwierigkeit  der  Untersuchung 
einer  derartigen  Beschädigung  erfordert ,  dass  beide  Arme 
und  die  Brust  entblösst  werden. 

Inspeetion. 

Luxationen  nach 
unten. 


Luxationen  nach 
vorne. 

Die  Gegend  des  Del- 
ta-Muskels ist  nach  hin- 
ten zu  abgeflacht,  dage- 
gen erscheint  nach  vor- 
ne unter  dem  Schlüssel- 
beine eine  ungewöhn- 
liche Wölbung.  Das 
Acromion  ragt  mehr 
hervor,  als  im  Normal- 
zustände, und  zwar  star- 
ker nach  hinten. 

Der  Oberarm 
steht  vom  Brustkorb  ab, 
und  zugleich  ist  der 
Ellbogen  nach  rück- 
wärts gestellt,  der  Vor- 
derarm etwas  gebeugt. 
Der  Kranke  neigt  sich 
ganz  nach  der  beschä- 
digten Seite. 


Die  Gegend  des 
Delta  -  Muskels  ist  an 
der  Aussenseite  am  mei- 
sten abgeflacht.  Das 
Acromion  regt  am  mei- 
sten vor  unter  allen 
Luxationen.  Die  Ach- 
selfallen sind  ausgegli- 
chen. 

Der  Oberarm  steht 
vom  Rumple  am  mei- 
sten ab,  der  Ellbogen 
ist  weder  vor-  noch 
rückwärts  gestellt.  Der 
Vorderarm  ebenfalls  ge- 
beugt und  der  Kranke 
unterstützt  gewöhnlich 
den   Ellbogen  mit    de, 


Hand     des 
Armes. 


resunden 


Luxationen  nach 
hinten. 

Die  Gegend  des 
Delta-Muskels  ist  vorne 
abgeflacht  ,  während 
sich  noch  hinten  in  der 
Gegend  der  Fossa  in- 
fraspinala  eine  unge- 
wöhnliche Wölbung 
zeigt.  Das  Acromion 
ragt  nicht  so  stark  her- 
vor, als  bei  den  beiden 
andern  Arten. 

Der  Oberarm  steht 
wenig  ab,  der  Ellbogen 
ist  dem  Rumpfe  am 
nächsten  unter  allen 
Luxationen. 


609 


Mensur  ation. 

Das  Mass  wird  wie  gewöhnlich  mittelst  einer  Schnur  oder 
dem  Saume  eines  hinlänglich  langen  Tuches  genommen,  in- 
dem man  damit  vom  Acromion  bis  zum  äussern  Knorren  des 
Oberarmes  geht. 


Der  Aim   ist  etwas 
verlängert. 


Am  meisten  verlän- 


gert. 


Am  wenigsten. 


Palpation, 

Unter  dem  Acro- 
mion fühlt  man  die  Ge- 
lenkshöhle am  deut- 
lichsten. Der  Processus 
coracoideus  ist  hier  zu 
fühlen.  In  der  Achsel- 
höhle fühlt  man  den 
Kopf. 


Die  Gelenkshöhle 
ist  vorne  am  deutlich- 
sten zu  fühlen;  der 
Processus  coracoideus 
steht  am  meisten  vor. 
Den  Gelenkkopf  ent- 
deckt man  als  kugel- 
förmige Erhabenheit 
unter  der  Gräte  des 
Schulterblattes. 


Unter  dem  Acro- 
mion y  vorzüglich  nach 
hinten,  findet  man  eine 
tiefe  Grube  und  fühlt 
in  deren  Grunde  deut- 
lich die  Pfanne.  Vorne 
greift  man  den  Gelenks- 
kopfmehr oderweniger 
deutlich,  je  nachdem 
der  Ropf  unter  dem 
M.  subscapularis  oder 
an  dessen  Vorderseite 
ist. 

Die  Luxation  nach  unten  hat  einige  Ähnlichkeit  mit  dem 
Bruche  des  Halses  vom  Schulterblatte ,  unterscheidet  sich 
jedoch  durch  die  leichte  Beweglichkeit ,  leichte  Reductibi- 
lität  und  das  Wiederherabsinken,  wenn  man  den  Arm  aus- 
lässt ,  nachdem  man  ihn  früher  gehoben  ,  und  endlich  durch 
die  Crepitation,  welche  Erscheinungen  dem  Bruche  wohl 
zukommen  ,   der  Luxation  aber  fehlen. 

Die  Subluxalio  Cooperi  unterscheidet  sich  von  der  Lw- 
xatio  subscapularis  (nach  vorne)  in  ihren  physicalischen 
Kennzeichen  nur  dem  Grade  nach. 

Luxationen  im  Ellbogen» 
Diese  sind  im  Allgemeinen  selten  ,  doch  ist  unter  ihnen 
die  Luxation  beider  Knochen  nach  hinten  die  häufigste. 

Luxation  nach  hinten. 
Inspection.    Der  Ellbogen  ist  viel  spitziger,   als  im 
normalen  Zustande ;    über   dem  Olecranon   sieht  man  einen 


510 

harten  Strang  (durch  die  gespannte  Sehne  des  Triceps  her- 
vorgebracht) ,  zu  dessen  Seiten  bald  tiefere  ,  bald  seichtere 
Furchen  erscheinen.  Der  Vorderarm  wird  massig  gebeugt 
gehalten. 

Mensuration.  Misst  man  vom  äusseren  oder  inneren 
Knorren  bis  zum  untern  Ende  des  Vorderarmes,  so  ist  der 
Abstand  an  der  kranken  Seite  geringer,  als  an  der  gesunden. 

Palpation.  An  der  Rückseite  fühlt  man  das  Olecra- 
non  vorragen ,  zu  beiden  Seiten  desselben  tiefe  Furchen  und 
über  ihm  die  gespannte  Sehne  des  Musculus  triceps. 

Die  Verrenkung  nach  vorne  ist  ohne  gleichzeitigen 
Bruch  des  Olecranons  unmöglich. 

Luxationen  nach  den  Seiten. 

Diese  kommen  selten  vor,  und  sind  auch,  wenn  nicht 
alle  Muskeln  und  die  Haut  mit  zerrissen  sind,  immer  incom- 
plet.  —  Die  Erkenntniss  wird  die  auffallende  Missstaltung 
des  Gelenkes  erleichtern ,  indem  die  Vorragungen  und  Ver- 
tiefungen, die  am  normalen  Ellbogen  vorkommen,  nach 
aussen  oder  innen  verrückt  erscheinen. 

Wird  die  Ulna  allein  verrenkt,  ohne  dass  zugleich  der 
Radius  nach  rückwärts  auf  den  Humerus  tritt,  so  ist  die 
Missstaltung  des  Armes  bedeutend,  und  der  Vorderarm  und 
die  Hand  nach  einwärts  verdreht.  Das  Olecranon  ragt  her- 
vor, aber  wenn  man  das  Ellbogengelenk  genau  befühlt,  so 
findet  man  den  Radius  an  seinem  Orte. 

Auch  der  Radius  kann  allein  luxiren,  und  dann  meistens 
nach  vorne.  Die  Hand  ist  dann  pronirt,  deren  Bewegungen 
erschwert,  und  wenn  man  das  Ellbogengelenk  betastet,  so 
findet  man  das  Capitulum  radii  vorstehend. 

Verrenkungen  im  Handgelenke. 

Am  Handgelenke  nimmt  man  dreierlei  Verrenkungen  an  : 
a)  Die  Verrenkung  beider  Knochen  des  Vorderarmes. 
b}  Verrenkung  des  Radius. 


511 

c)  Verrenkung*  der  Ulna. 

a)  der  Carpus  kann,  wie  man  annimmt,  nach  4  Rieh- 
tungen luxiren ,  und  zwar: 

a.  nach  der  Volarseite  des  Vorderarmes.  Dabei  ist 
die  Hand  stark  nach  der  Dorsalseite  hin  flectirt,  und  die  Fin- 
ger sowohl  als  der  Vorderarm  erscheinen  gebogen. 

Auf  der  Volarseite  des  Carpus  ist  ein  Vorsprung*  zu  füh- 
len, welcher  der  ersten  Reihe  der  luxirten  Knochen  entspricht. 

ß.  Ganz  die  entgegengesetzten  Erscheinungen  sind  bei 
der  Luxation  auf  der  Dorsal  fläche. 

y.  u.  <\  Die  Luxationen  nach  dem  Radial-  undUlnar- 
Ende  hin  sind  meistens  unvollständig,  und  geben  sich  durch 
die  Verdrehung  der  Hand  ,  und  zwar  im  ersten  Falle  ge- 
gen den  Ulnar- ,  im  zweiten  gegen  den  Radialrand  und  die 
entsprechenden  Vorsprünge  zu  erkennen. 

b)  Alleinige  Luxation  des  Radius.  —  Die  äussere  Seite 
der  Hand  ist  rückwärts  gedreht  und  die  innere  vorwärts. 
Der  Processus  slyloideus  entspricht  nicht  mehr  dem  grossen, 
vielwinkeligen  Beine. 

e)  Wenn  die  Ulna  mit  ihrem  untern  Ende  vom  Os  tvi- 
quetrum  weg  luxirt  (was  sehr  selten  geschieht),  so  ist  nach 
rückwärts  in  der  Gegend  der  Handwurzel  eine  Erhabenheit 
zu  sehen,  welche  durch  Druck  auf  dieselbe  leicht  zum  Ver- 
schwinden gebracht  werden  kann,  aber  eben  so  schnell  wie- 
der erscheint ,  sobald  man  mit  dem  Drucke  nachlässt. 

Verrenkung  der  einzelnen  Knochen  der  Hand. 

Unter  den  Handwurzelknochen  ist  das  einzige  Os  capi- 
tatum,  welches  luxiren  kann,  und  zwar  nur  auf  den  Rücken 
der  Hand.  Man  sieht  dann  auf  demselben  in  der  Richtung 
des  Mittelfingers  in  der  Gegend  des  Os  capitalum  eine  Erha- 
benheit, die  sich  leicht  einwärts  drücken  lässt ,  aber  auch 
gleich  erscheint ,  wenn  der  Druck  nachlässt. 

Der  Mittelhandknochen  des  Daumens  ist  allein  einer 
Verrenkung  fähig,   aus  seiner  Verbindung  mit  dem  Os  muH- 


M2 

angulum  majus.  Der  Vorsprung*  ,  den  das  luxirte  Knochen- 
ende blidet,  ist  sehr  gering,  der  Daumen  steht  dann  gegen 
die  Palmarfläche  gebeugt,  und  kann  nicht  ausgestreckt  werden. 
Die  Phalangen  können  nach  der  Volar-  und  Dorsalseite 
luxiren  (was  aber  selten  geschieht),  wobei  man  das  luxirte 
Gelenkende  an  dieser  oder  jener  Seite  der  Finger  fühlt.  Zu- 
gleich sieht  man  die  Phalangen  entweder  gegen  die  Volar-  oder 
Dorsalseite  flectirt. 

Luxationen  der  untern  Extremität. 

I.  Im  Hüftgelenke.  Im  Hüftgelenke  kommen  4  Ar- 
ten der  Luxationen  vor,  2  nach  einwärts  von  der  Pfanne  und 
2  nach  auswärts  von  derselben. 

a)  Luxation  nach  innen  und  oben  oder  vorn  und  oben, 
auf  den  horizontalen  Schambeinast. 

ft)  Luxation  nach  innen  und  unten  oder  vorne  und  un- 
ten ,  ins  Foramen  ovale. 

c)  Hinten  und  oben  oder  aussen  und  oben,  auf  die  hintere 
äussere  Fläche  des  Darmbeines. 

d)  Hinten  und  unten  oder  aussen  und  unten,  in  die 
Incisura  ischiatica. 

Ehe  ich  zur  speciellen  Betrachtung  dieser  Luxationen  über- 
gehe, muss  ich  über  die  Art  der  Untersuchung  etwas  sprechen. 
Es  ist  bei  der  Untersuchung  nöthig,  dass  beide  Extremitäten 
nach  unten  entblösst  seien,  und  dass  das  Becken  vollkommen 
horizontal  stehe  (d.  i.  dass  eine ,  zwischen  beiden  Spinis  ilei 
ant.  super,  gezogene  Linie  sich  mit  der  Längenachse  des 
Körpers  rechtwinklig  kreuze,  was  durch  horizontale  Rücken- 
lage auf  einer  festen,  wenig  oder  gar  nicht  nachgiebigen 
Unterlage  begünstiget  wird).  Kinder  kann  man  von  einem  ge- 
nug starken  Individuum  aufrecht  halten  lassen.  Das  Maass 
Wird  immer  von  der  Spina  ilei  ant.  sup.  bis  zur  Spitze  der 
Kniescheibe  genommen.  Das  Vorragen  des  Trochanter  major 
Wird  dadurch  bemessen,  dass  man  beide  Hände  auf  beide 
Trochanteren  legt. 


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514 

Bei  allen  Luxationen  ist  die  Bewegung  des  Oberschen- 
kels nur  dem  Arzte,  und  zwar  oft  nur  mit  grosser  Anstren- 
gung möglich,  so  ist  auch  die  Verlängerung  (welche  nur 
bei  der  Luxation  nach  innen  und  unten  vorkömmt)  nur  durch 
die  Extension  von  starken  Gehilfen  möglich.  Diese  Umstände 
gelten  als  wichtige  unterscheidende  Merkmale  der  Verren- 
kungen von  Brüchen. 

Die  Luxation  nach  vorne  und  oben  hat  auf  den  ersten  Blick 
Ähnlichkeit  mit  dem  Schenkelhalsbruche,  wie  er  gewöhnlich 
vorkömmt  (d.  i.  mit  Auswärtsrollung),  aber  die  Unbeweg- 
lichkeit,  die  Geschwulst  unter  dem  Poupartschen  Bande  bei 
der  Luxation  und  die  leichte  Beweglichkeit  und  Ausdehnbarkeit 
beim  Bruche,  unterscheiden  diese  beiden  Krankheiten  sattsam. 

Nur  in  dem  äusserst  seltenen  Falle,  wo  beim  Schenkel- 
halsbruch Einwärtsrollung  vorkömmt,  könnte  eine  Verwechs- 
lung mit  einer  der  beiden  Arten  von  Luxation  nach  rückwärts 
stattfinden ,  wo  aber  wieder  die  Beweglichkeit  und  Crepita- 
tion  beim  Bruche  zur  Unbeweglichkeit  bei  der  Luxation  im 
Gegensatze  stehen. 

Die  huxatio  femoris  congenita  ist  immer  nach  hinten 
Und  oben ,  und  unterscheidet  sich  von  andern  Luxationen , 
besonders  aber  von  der  huxatio  spontanea  dadurch,  dass  sie : 

1.  in  der  Regel  an  beiden  Extremitäten  vorkömmt,  wie- 
wohl nicht  immer ; 

2.  dass  keine  Symptome  von  Coxalgie  vorangingen ; 

3.  dass  sie  gewöhnlich  zuerst  bei  den  ersten  Versuchen 
eines  Kindes  zu  gehen ,  wahrgenommen  wird. 

Im  übrigen  bietet  sie  die  Symptome  der  Luxation  nach 
hinten  und  oben  dar. 

Luxation  der  Patella. 

Diese  Verrenkung  ist  eine  ziemlich  seltene  Erscheinung, 
doch  kann  sie  nach  aussen  oder  nach  innen  erfolgen. 

Die  erste  Art  ist  noch  bei  weitem  häufiger,  als  die 
zweite.  Die  Erscheinungen  sind  : 


515 

Inspection.  Das  Glied  ist  ausgestreckt  und  schwer 
zu  beugen.  Das  Knie  hat  seine  normale  Gestalt  verloren,  die 
Kniescheibe  liegt  schief  und  unbeweglich  auf  dem  Condylus 
externut. 

Palpation.  Bei  der  Luxation  nach  aussen  fühlt  man 
durch  die  Haut  die  Erhabenheit  des  innern  Condylus  und 
eine  Abflachung  an  der  innern  Seite  der  Kniescheibe ,  und 
wenn  die  Luxation  vollständig  ist,  auf  der  äusseren  Seite 
eine  durch  die  Patella  bewirkte  Hervorragung.  Umgekehrt 
ist  diess  bei  der  Luxation  nach  innen ,  welche  übrigens  fast 
immer  incomplet  ist. 

Luxationen  des  Kniegelenkes. 

Diese  Luxationen  gehören  wohl  unter  die  seltensten  Er- 
scheinungen in  der  chirurgischen  Praxis,  und  wenn  sie  vor- 
kommen ,  so  haben  sie  so  auffallende  Erscheinungen,  dass  übri- 
gens sie  unmöglich  verkannt  werden  könnten.  Sie  sind  fast  immer 
incomplet,  denn  eine  vollkommene  Luxation  ist  wojil  ohne 
Zerreissung  der  Gefiässe ,  Nerven ,  Muskeln  und  selbst  der 
Haut  nicht  denkbar. 

Verrenkung  der  Fibula. 

Diese  kann  aus  ihrer  obern  und  untern  Gelenkverbin- 
dung mit  der  Tibia  gebracht  werden  ,  was  aber  leieht  zu  er- 
kennen ist,  indem  man  das  Köpfchen  an  der  Stelle  fühlt, 
wohin  es  ausgewichen  ist. 


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617 


Die  Verrenkungen  der  einzelnen  Fusswurzel — ,  Mittel- 
fussknochen  und  Phalangen  kommen  selten  vor,  und  sind 
dann  leicht  an  den  Vorragungen  zu  erkennen ,  die  sie  am 
Fussrücken  oder  an  einer  oder  der  andern  Seite  der  Ze- 
hen bilden. 

Über  veralteten  Luxationen  oder  nach  Einrichtung  einer 
Verrenkung  hört  man  zuweilen,  wenn  die  traumatische  Ent- 
zündung noch  nicht  ganz  gehoben  ist,  oder  wenn  der  nicht 
in  die  natürliche  Gelenkgrube  reponirte  Gelenkkopf  sich  durch 
einen  plastischen  Process  eine  neue  Höhle  bildet,  durch  das 
Stethoskop ,  während  versuchter  Bewegung  ein  Reibungs- 
geräusch. 

Entzündungen  der  Gelenke. 

Die  pbysicalischen  Erscheinungen  entzündeter  Gelenke 
beziehen  sich  hauptsächlich  auf  die  veränderte  Stellung  des 
Gliedes  und  den  Gang  des  Kranken.  Die  den  Gelenksentzün- 
dungen zukommenden  Erscheinungen  der  übrigen  Entzündun- 
gen werden  nicht  besonders  erwähnt;  zuweilen  vernimmt 
man  durch  die  Auscultation  bei  Bewegung  krachende  Geräu- 
sche ,  welche  auch  vom  Arzte  und  Kranken  selbst  gefühlt 
werden  können. 


Entzündung  im  Hüftgelenke. 


a)  Stadium 

prodromo- 

rum. 

Ausser    einem 
schleppenden 
Gange  kein  ob- 
jeetives      Kenn- 
zeichen. 


6)    Stadium    sublu- 
xationis. 


Die  kranke  Extremität 
ist  verlängert,  der  Schenkel 
im  Knie  gebogen,  der  grosse 
Trochanter  mehr  nach 
aussen  und  abwärts,  der 
Fuss  nach  aufwärts  gekehrt, 
die  Hinterbacke  flacher  als 
gewöhnlich.  Druck  auf  den 
Trochanter  major  vermehrt 
bedeutend  den  Schmerz. 


c)    Stadium   luxa- 
tionis. 


Die  kranke  Extremität 
verkürzt  und  der  Schenkel 
nach  oben  verrenkt  (selten 
nach  vorn),  Hüft-  und  Knie- 
gelenk halb  gebogen.  Zehen 
nach  innen  gekehrt,  so  das* 
der  Kranke  beim  Auftreten 
nur  mit  der  grossen  Zehe 
denFussboden  berührt.  Die 
Hinterbacke  härter,  später 
verräth  eine  grosse  fluetui- 
rende  Geschwulst  einen  Ab* 
scess  und  verborgene  Carie«. 


518 


Unterschiede  des  freiwilligen  Hinkens  vom 

angeborenen. 


Angeborenes    Hinken. 

Der  Schenkel  ist  von  jeher  ver- 
kürzt und  nie  so  bedeutend,  als  bei 
Cojcarthrocace  (im  3.  Stadium). 


Lässt   sich   bei    wagrechter  Steh 
»  verlangen 
zu  schmerzen. 


lung  verlängern  oder  verkürzen,  ohne 


Freiwilliges  Hinken. 

Der  Schenkel  wird  erst  im  drit- 
ten Stadium  der  Krankheit,  und  zwar 
oft  um  2 — 4  Zolle  verkürzt. 

Streckung  des  Schenkels  ist  gar 
nicht  möglich  und  Verkürzung 
höchst  schmerzhaft. 

Die  Hinterbacke  zeigt  sich  dicker 
und  härter  als  gewöhnlich. 


Jede  Bewegung  schmerzhaft. 


Nur  die  Zehen  treten  auf. 


Die  Hinterbacke  erscheint,  trotz 
der  Verkürzung,  normal  oder  fla- 
cher. 

Die  Biegung  des  Schenkels  ist 
schmerzlos. 

Beim  Stehen  und  Gehen  wird 
die  ganze  Fusssohle  auf  den  Boden 
aufgesetzt. 


Entzündung*  des  Kniegelenkes. 

Dieses  Leiden  erscheint  entweder  in  den  Gelenkbändern 
(Tumor  albus)  oder  in  den  Knochen  selbst  QGonarthrocace). 

Letztere  hat  ebenfalls  3  Stadien,  wie  die  Co xarthrocace, 
mit  folgenden  Erscheinungen : 

Stad.  I.  Der  Kranke  setzt  das  Knie  leicht  gebogeu  nach 
aussen ,  und  tritt  nur  ängstlich  mit  den  Zehen  oder  der 
Ferse  auf. 

Stad.  II.  Das  kranke  Knie  ist  leicht  gebogen ,  so  dass 
die  Zehen  den  Boden  berühren  ,  bisweilen  aber  ist  es  recht- 
ja  spitzwinkelig  gebogen,  angeschwollen,  1 — 2  Zolle,  selbst 
wohl  6  Zolle  dicker  als  das  gesunde. 

Stad.  III.  der  Caries.  Luxation  ist  hier  nicht  leicht  mög- 
lich. Bei  carioser  Zerstörung  hört  man  nach  Lisfranc  ein 
eigenes  Reibungsgeräusch,  ähnlich  dem,  das  die  Bruchflächen 
eines  Porzellantellers  verursachen. 


519 


Pbyei  c  aliöche  Unterschiede  zwischen  Gonar- 
throcace  und  Tumor  albus. 


Gonarlhrocace. 

Die  Veränderung  der  äusseren 
Form  des  Gelenkes  ist  in  der  ersten 
Periode  nicht  siebtbar. 

Die  Geschwulst  ist  nicht  gleich- 
förmig, sondern  den  Knochen  gemäss 
höckerig,  hart,  nur  heim  Eintritt* 
von  Garies  deutlich  fluetuirend. 


Tumor    albus. 

Die  Veränderung  der  äusseren 
Form  des  Knies  tritt  schon  anfangs 
zugleich  mit  dem  Schmerzgefühle  ein. 

Die  Geschwulst  ist  mehr  gleich- 
förmig ,  weich  ,  elastisch  und  teigig 
oder  schwammig  anzufühlen ,  nicht 
ganz  deutlich  fluetuirend. 


Die  übrigen  Gelenke  zeigen  keine  besonderen  physika- 
lischen Erscheinungen. 

Im  Allgemeinen  sind  entzündete  Gelenke  immer  in  einer 
solchen  Stellung,  dass  die  schmerzhaften  Theile  so  wenig 
als  möglich  gedrückt  werden;  bei  freien  Gelenken  ist  diese 
Lage  verschieden,  bei  Winkelgelenken   ist  es  die  Beugung. 

Bei  Entzündung  im  Sprunggelenke  ist  der  Fuss  immer 
gestreckt  (ein  Spitzfuss) ,  die  Ferse  steht  höher,  und  der 
Kranke  tritt  nur  auf  die  Zehen  auf.  Dieser  Umstand  ist  von 
dem  Chirurgen  besonders  genau  zu  erheben ,  damit  er  in 
einem  solchen  Falle  nicht  voreilig  zu  einer  Operation  schreite. 
—  Anhaltspuncte  geben  hier  die  Art  und  Zeit  der  Entste- 
hung und   die   Empfindung  des  Kranken. 


Entzündung  der  Sehnenscheiden. 

Hier  hört  man  während  der  Bewegung  des  leidenden 
Theiles  ein  Reibungsgeräusch  ,  das  sich  eine  Strecke  weit 
verfolgen  lässt.  Bei  Entzündung  der  Beuger  der  Hand  ist  es 
an  ihrer  Beugeseite  zu  auscultiren,  und  oft  mit  der  fühlbaren 
Empfindung  verbunden,  als  ob  die  Muskeln  durch  leinen 
Sand  gezogen  würden.  Crepitation  kommt  beim  Knochen- 
bruche dieser  Stelle  deutlicher  an  der  Streckseite  der  Mus- 
keln vor. 


520 

Chronischer  Rheumatismus    der   Sehnenschei- 
den wird  durch  dieselben  pbysicalischen  Symptome  erkannt. 

Gelenkswassersucht,  Hydrops  ar ticulorum, 

Hydrarthrus. 

Vermehrte  Ansammlung  von  Synovia  in  den  Gelenkhöh- 
len. Häufig  mit  geringen  Entzündungserscheinungen  auf- 
tretend. 

Inspection.  Das  Gelenk  verändert  seine  Form,  der 
Umfang  ist  vermehrt.  Die  Geschwulst  ist  nicht  gleichförmig, 
und  über  den  ganzen  Umfang  des  Gelenkes  verbreitet  (Unter- 
schied vom  Ödem),  sondern  da  am  stärksten,  wo  das  Kap- 
selband nachgiebiger  und  weniger  bedeckt  ist.  So  z.B.  zeigt 
sich  die  Geschwulst  am  Handgelenke  vorzüglich  auf  der 
Dorsal-  und  Volarseite,  während  sie  auf  den  Seiten  kaum 
bemerkbar  ist. 

Im  Fussgelenke  ist  sie  auf  der  Vorderseite  der  Ge- 
lenke am  auffallendsten. 

Am  Schulter  gelenke  beschränkt  sie  sich  auf  den 
vorderen  Theil  desselben,  und  tritt  am  deutlichsten  zwischen 
dem  Delta-  und  dem  grossen  Brustmuskel  hervor. 

An  dem  Kniegelenke,  wo  das  Übel  am  häufigsten 
vorkommt,  zeigt  sie  sich  vorne  und  auf  den  Seiten,  wo 
sie,  wenn  sie  sehr  zunimmt,  auf  der  inneren  Seite  am  bedeu- 
tendsten ist,  durch  die  Kniescheibe  und  die  daran  befestigte 
Sehne  und  das  Band  gleichsam  in  2  Hälften  getheilt  wird, 
und  sich  nach  oben  unter  die  Muskeln  ausdehnen  kann. 

P  a  1  p  a  t  i  o  n.  Die  Geschwulst  ist  weich,  gibt  dem  Drucke 
des  Fingers  nach,  behält  aber  den  Eindruck  nicht  und  fluetuirt 
deutlich. 

Beim  Kniegelenke  wird  bei  höherem  Grade  des  Übels 
die  Patella  emporgehoben,  und  ist  sehr  beweglich  ;  drückt  man 
die  Kniescheibe  gegen  das  Gelenk  zu  einwärts ,  so  vermehrt 
man  die  Geschwulst  an  ihren  Seitentheilen ,  lässt  man  dann 
mit  dem  Drucke  nach  ,  so  steigt  die  Patella  wieder  empor. 


621 

Bei  der  Beugung  des  Unterschenkels  wird  die  Geschwulst 
an  den  Seiten  grösser  und  gespannter,  und  weniger  deutlich 
fluctuirend.  Bei  der  Streckung  geschieht  das  Gegentheil. 

Die  Bewegungen  werden  beim  Hydrarthrus  wenig  be- 
schränkt. 

Gelenksteifigkeit,  Anchylosis. 

Man  theilt  die  Anchylosen  in  wahre  und  falsche  oder 
unvollkommene.  Unter  den  ersteren  versteht  man  wirkliche 
Verwachsung  der  Knochenenden,  unter  den  letztern  begreift 
man  die  Gelenksteifigkeiten,  welche  aus  Verdickung  der  Bän- 
der ,  Verkürzung  der  Sehnen ,  Narben  etc.  entstehen. 

Die  pbysicalischen  Erscheinungen  sind  sehr  deutlich , 
werden  aber  an  freien  Gelenken  seltener  beobachtet,  da  diese 
nicht  sehr  häufig  dem  Übel  unterliegen. 

Inspection.  Man  sieht  das  Gelenk  immer  in  einer  be- 
stimmten Stellung ,  welche  von  der  Lage  des  Gliedes  wäh- 
rend der  die  Anchylose  bedingenden  Krankheit  abhängt.  Vor- 
herrschend ist  besonders  bei  den  sogenannten  falschen  An- 
cbylosen die  Beugung. 

Das  Gelenk  hat  seine  normale  Form  verloren,  vornehm- 
lich bei  den  wahren  Anchylosen.  Alle  normalen  Erhabenhei- 
ten und  Vertiefungen  sind  ausgeglichen. 

Palpation.  Betastet  man  das  Gelenk,  so  findet  man 
bei  falschen  Anchylosen  hie  und  da  längliche  Erhabenheiten 
von  gespannten  Sehnen  und  verdickten  Bändern,  bei  wahren 
unregelmässige  Höcker  von  neuer  oder  hypertrophirter  Kno- 
chensubstanz. 

Verkrümmungen  der  Extremitäten. 

Diese  sind  an  der  oberen  Extremität  viel  seltener,  als 
an  der  untern  und  auch  bei  weitem  nicht  so  entstellend,  we- 
nigstens leichter  zu  verbergen.  Die  erkrankten  Extremitäten 
werden  zugleich  auch  gewöhnlich  atrophisch  gefunden. 
I.  An  der  oberen  Extremität. 

Im  Ellbogen.  Der  Vorderarm  ist  an  den  Oberarm  der- 
gestalt angezogen,    dass  beide  zusammen  einen   stumpfen, 


522 

rechten,  oder  sogar  spitzen  Winkel  bilden.  Die  Sehnen  er- 
scheinen an  der  Beugeseite  gespannt. 

Permanente  Beugung  der  Hand,  Talipomanus, 

Klumph  and. 

Die  Hohlhand  ist  gegen  die  Volarseite  des  Vorderarmes 
gerichtet,  und  kann  nicht  gestreckt  werden.  Das  Gegentheil 
davon  heisst  permanente  Streckung  der  Hand. 

Verkrümmung  oder  permanente  Beugung  der 
Finger;  Dac  lylog  r  yposis. 

Die  Finger  sind  gebeugt,  und  können  weder  activ  noch 
passiv  gestreckt  werden, 

Alle  diese  jetzt  angeführten  Verkiümmungen,  wie  auch 
die  des  Kniegelenks,  sind  sehr  selten  angeboren,  sondern 
meistens  in  späterer  Zeit  acquirirt. 

II.  Verkrümmungen  an  der  untern  Extremität. 
a)  Am  Knie.  Die  auffallendsten  und  häufigsten  Ver- 
krümmungen sind  die  nach  einwärts  Qgenu  valgum)  und  nach 
auswärts  (genu  varumj ;  seltener  sind  die  nach  vor-  und 
rückwärts ,  welche  letztere  so  wenige  und  so  auffallende 
Erscheinungen  haben ,  dass  es  überflüssig  wäre ,  sie  hier 
anzuführen. 

Einwärts  kehrung  (Genu  valgum),  Ziegel-  oder 

Schemmelbein. 

An  einer  Extremität.        An  be  idenExtremitäten 

Das  kranke  Knie  ist  dem  Beide  Knie  sind  einwärts 

gesunden  näher,  berührt  das     gekehrt,  und  stehen  bei  hö- 

letztere.  heren  Graden  bei   aufrechter 

Stellung  des  Kranken  oft  hin- 
ter einander.  Gewöhnlich  ist 
dann  e  i  n  Knie  stärker  ver- 
krümmt als  das  andere. 

Der  Gang  ist  hin  und  her- 
schwankend, sehr  unsicher. 


523 

Der  Kranke  tritt  mehr  mit  dem  inneren ,  meist  callösen 
Fussrande ,  als  mit  der  Fusssohle  auf. 

Der  Kranke  steht  mit  dem  Becken  der  betheiligten  Seite 
schief,  und  sinkt  beim  Gehen  auf  die  kranke  Seite. 

Der  Unterschenkel  divergirt  nach  unten  zu  immer  mehr, 
sodass  die  Fasse  am  meisten  abstehen.  Der  äussere  Condyl 
ist  nicht  zu  fühlen.  Der  innere  steht  vor. 

Die  Patella  ist  etwas  nach  auswärts  gestellt. 

Das  Entgegengesetzte  findet  bei  der  Auswärtsbeugung, 
dem  Genu  varum,  dem  Sichel-  oder  Säbelbeine  statt ,  wel- 
ches häufiger  bei  Männern  als  bei  Weibern  vorkömmt. 

Verkrümmung  der  Füsse. 
Die  angeborenen  sind  am  häufigsten. 

I.  Klumpfuss,  Talipes  varus. 

Der  Fuss  ist  um  seine  Achse*  mehr  oder  weniger  ge- 
dreht, so  dass  dabei  der  äussere  Fussrand  tiefer,  der  innere 
höher  zu  stehen  kommt. 

Man  unterscheidet  gewöhnlich  6  Grade. 

i.  Grad.  Der  äussere  Fussrand  berührt  nur  mit  demun- 
teren (Sohlentheile)  den  Boden. 

2.  Grad.  Der  äussere  Fussrand  ist  entschieden  der  Erde 
zugekehrt,  und  der  Fuss  steht  nach  innen.  Die  Ferse  er- 
scheint erhoben,  die  Sohle  hohl,  so  dass  sie  den  Boden  nicht 
mehr  berühren  kann.  Die  Achillessehne  findet  man  gespannt, 
und  die  Wade  dünn. 

3.  Grad.  Der  Fuss  ist  noch  mehr  nach  innen  umgekehrt. 
Der  äussere  Theil  des  äusseren  Fussrandes  bildet  die  Sohle 
und  zeigt  dicke  Schwielen.  Die  Sohle  selbst  ist  gefurcht, 
ausgeschweift. 

4.  Grad.  Alle  Symptome  verstärkt ,  und  der  Kranke  geht 
vollkommen  auf  dem  Fussrücken. 

5.  Grad,  Der  halbkuglige  Fussrücken  bildet  eine  schwie- 


694 

lige  Sohle  ,  die  eigentliche  Sohle  aber  ist  nach  oben  gekehrt 
und  hat  eine  feine,  reizbare  Haut. 

II.  Pferde-  oder  Spitzfuss,  Pes  equinus. 

Die  Ferse  ist  erhoben,  die  Achse  des  Fusses  kommt  mehr 
oder  weniger  in  die  Richtung  der  Achse  des  Unterschenkels. 
Man  unterscheidet  gleichfalls  ö  Grade : 

1.  Grad.  Die  Ferse  ist  nur  massig  in  die  Höhe  gezogen. 
Der  Kranke  geht  besonders  auf  dem  Köpfchen  der  grossen 
und  zweiten  Zehe. 

2.  Grad.  Die  Ferse  ist  (bei  Erwachsenen)  1 — 2  Zoll 
vom  Boden  entfernt ,  der  Fuss  tritt  in  der  Gegend  der  letzten 
und  vorletzten  Zehe  auf. 

3.  Grad.  Die  Ferse  ist  2—8  Zoll  vom  Boden  entfernt, 
der  Fuss  bildet  einen  stumpfen  Winkel  oder  gar  eine  gerade 
Linie  mit  der  Tibia. 

4.  Grad.  Die  Ferse  zeigt  sich  ausserordentlich  hoch  nach 
hinten  in  die  Höhe  gezogen,  die  Fusssohle  ausgehöhlt,  der 
Fussrücken  gewölbt,  bucklig,  und  die  Zehen  sind  stark  ge- 
gen den  Fussrücken  gebogen. 

5.  Grad.  Der  Fuss  ist  nach  hinten  umgeschlagen ,  so 
dass  der  Kranke  auf  dem  Fussrücken  geht. 

III.  Plattfuss,   T alipes  valgus. 

Die  Sohle  ist  nach  aussen  gekehrt,  so  dass  der  Kranke 
auf  dem  innern  Fussrande  gehen  muss,  der  den  Boden  mehr 
als  der  äussere  berührt.  Die  natürliche  Wölbung  des  Fuss- 
rückens  und  die  Concavität  der  Sohle  gehen  verloren.  Fuss 
und  Zehen  erscheinen  sehr  lang ,  oben  und  unten  platt. 

Beim  Gehen  ist  das  Knie  nach  innen,  die  FussspiUe 
nach  aussen  gerichtet.   Der  innere  Knöchel  ragt  stark  hervor. 

Meistens  zeigt  der  Plattfuss  eine  blaurothe  Färbung 
und  eine  eigenthümliche  Kälte. 

Der  Gang  des  Kranken  ist  im  Ganzen  steif  und  stel- 
xen  artig. 


525 


IV.  Fersen-  oder  Hacken fuss. 


Der  Fuss  ist  nach  vorn  im  spitzen  Winkel  zum  Unter- 
schenkel hinaufgezogen ,  so  dass  nur  die  Ferse  den  Bo- 
den berührt. 

Die  Zehen  stehen  aufwärts. 

Die  Fusssohle  ist  nach  vorne  gerichtet. 

Varices;  Blutaderknoten. 

Diese  kommen  am  häufigsten  an  den  unteren  Extremitä- 
ten, und  hier  besonders  am  Unterschenkel  vor. 

Sie  characterisiren  sich  durch  ungleiche ,  umgrenzte, 
bläuliche  oder  schwärzliche  Erhabenheiten,  welche  bei  einem 
auf  sie  angebrachten  Drucke  verschwinden,  sich  aber  schnell 
wieder  einstellen,  wenn  dieser  nachlässt. 

Oft  bilden  sich  durch  Übereinanderlegen  varicöser  Venen 
grössere  Geschwülste,  es  entstehen  ödematöse  Anschwel- 
lungen des  ganzen  Gliedes,  die  Häute  der  Blutadern 
verdicken  sich ,  und  letztere  fühlen  sich  härtlich  an ;  häufig 
sind  mehrere  Stellen  einer  so  erkrankten  Extremität  geröthet, 
hart,  und  hie  und  da  findet  man  Geschwüre  in  der  Haut  und 
dem  subcutanen  Zellgewebe. 

Wassersucht  der  Schleimbeutel  und  serö- 
sen Sehnenscheiden  (Überbeine,  Oanglia)  kommen 
häufig  an  den  Extremitäten  vor. 

Dem  Wesen  und  den  allgemeinen  physicalischen  Erschei- 
nungen nach  sind  diese  beiden  Zustände  ganz  gleich  ,  un- 
terscheiden sich  nur  durch  den  Sitz. 

Die  denselben  zukommenden  Erscheinungen  sind : 

Runde  oder  längliche  Geschwülste,  manchmal  etwas  ge- 
röthet, über  denen  die  Haut  normal  ist,  sich  in  Falten  heben 
lässt;  sie  sind  genau  begränzt ,  deutlich  fluetuirend,  eigen- 
tümlich elastisch. 

War  die  Entzündung ,  welche  die  Serumanhäufung  be- 
dingt hat,  heftig,  so  bemerkt  man  nach  Entleerung  derFlüs- 


526 

sigkeit  (so  wie  bei  Entzündungen  der  Sehnenscheiden  über- 
haupt) ein  eigentümliches  Reibungsgeräusch ,  welches  im- 
mer besser  gefühlt  als  gehört  wird.  Um  dieses  zu  fühlen , 
hält  man  entweder  die  Hand  oder  die  Fingerspitzen  auf  die 
Gegend  des  Ganglion,  und  lässt  den  Kranken  solche  Bewe- 
gungen machen ,  wobei  die  betheiligte  Sehne  in  Anspruch 
genommen  wird,  oder  man  bewegt  die  Haut  und  die  eine 
Wand  der  Sehnenscheide  über  der  Sehne  selbst. 
Diese  Krankheiten  kommen  am  häufigsten  vor: 

a)  Am  Schleimbeutel  unter  der  Haut,  welche  unmittel- 
bar das  Olecranon  bedeckt. 

b)  Über  der  Patella ,  wo  diese  Krankheit  früher  Knie- 
scbwamm  oder  Wasserbalggeschwulst  der  Kniescheibe  ( f/y- 
groma  cysticum  patellaej  genannt  wurde. 

e)  Über  denjenigen  Sehnen ,  die  über  Knochen  ziehen 
oder  in  Rinnen  von  Knochen  gehen,  z.  B.  Abductor  lonyus  et 
extensor  brevis  pollicis  (am  Radialrande  des  Vorderarmes). 
Über  der  Sehne  eines  oder  der  beiden  Radialis  externus , 
Ulnaris  externus  (am  Rücken  der  Handwurzel).  An  der  in- 
neren Seite  der  Kniekehle ,  hinter  den  Knöcheln,  selbst  an 
der  Volarseite  der  Finger. 

Die  physicalischen  Erscheinungen  der  Caries  und  Ne- 
crose  werden  hier  angeführt,  weil  diese  Krankheiten  haupt- 
sächlich an  den  Extremitäten  vorkommen ,  wiewohl  sie  auch 
an  andern  Knochen  entstehen. 

Bei  der  Exploration  nimmt  der  Kranke  eine  verschiedene 
Lage  an,  je  nach  dem  Orte,  an  welchem  die  Krankheit  erscheint, 
dann  besieht  man  sich  die  Form,  den  Umfang  des  leidenden 
Theiles  und  die  Beschaffenheit  des  Secrets ,  und  schreitet 
dann  erst  zur  Untersuchung  mit  der  Sonde ,  welche  in  die- 
sem Falle  eine  metallene  sein  muss,  und  zwar  am  besten  von 
Silber,  weil  sich  diese  leicht  biegen  lässt.  Manchmal  findet 
man  den  nekrotischen  Knochen  leicht ,  manchmal  aber  ist 
dies  schwer. 


ÖS7 


Wir  wollen  nun  die  objectiven  Symptome   der  Necrosis 
und  Caries  vergleichend  darstellen. 


Necrosis. 

Kommt  fast  nur  in  der 
dichten  Knochensubstanz,  al- 
so an  dem  Schafte  der  Röh- 
renknochen ,  den  Glastafeln 
breiter  Beine  vor. 

Die  Geschw  ulst  des  Glie- 
des ist  gleich  anfangs  grösser. 
Die  Öffnungen  in  der  Haut 
und  den  Weichtheilen  (Cloa- 
ken)  sind  von  einem  lebhaft 
rothen  Fleischwalle  umgeben. 


Das  Secret  bei  der  Ne- 
crose  ist  reiner  Eiter. 

Wenn  man  mit  der  Sonde 
untersucht,  so  findet  man  das 
necrotische  Knochenstück  un  - 
eben  ,  hart ,  wenn  auch  rauh, 
doch  nie  weich  und  nachgie- 
big. 

Die  Knochensplitter,  wel- 
che sich  abstossen,  sind  bei 
der  Necrose  lamellös ,  hart , 
fest  zusammenhängend. 


Caries. 

Kommt  nur  in  schwammi- 
gen Knochen  vor,  also  an  den 
vielwinkligen  Knochen,  Fuss-, 
Handwurzel,  Wirbelknochen 
und  an  den  Epiphysen  der 
Röhrenknochen. 

Die  Geschwulst  ist  an- 
fangs kleiner. 

Die  fistulösen  Gänge  sind 
entweder  ohne  allen  Fleisch- 
wall in  der  Haut  geöffnet,  oder 
dieser  ist  bald  schlaff,  einge- 
sunken, bald  callös,  immer 
aber  schmutzig  roth. 

Bei  der  Caries  dünnflüs- 
sige, stinkende  Jauche. 

Bei  der  Caries  findet  man 
den  Knochen  rauh ,  uneben , 
weich,  aufgelockert,  fungös, 
Die  Sonde  kann  ihn  leicht 
durchdringen. 

Bei  der  Caries  klein,  pul- 
verig zerreibbar. 


Aneurysmen  an  den  Extremitäten. 

Die  Pulsadergeschwülste  äussern  sich  an  den  Extremi- 
täten im  Ganzen  durch  Erscheinungen  ,  welche  von  jenen, 
die  wir  für  Aneurysmen  überhaupt  angegeben  haben ,  nicht 
viel  verschieden  sind;  doch  liegt  es  im  örtlichen  Verhältnisse 


528 

und  in  dem  Umstände  der  abnormen  Verbindung  mit  einer 
Vene,  welche  hier  nicht  selten  Statt  findet,  dass  die  Sym- 
ptome modificirt  und  von  neuen  begleitet  erscheinen. 

Inspection.  Eine  runde  oder  längliche  Geschwulst 
nach  dem  Verlaufe  einer  Arterie,  die  man  oft  von  weitem 
pulsiren  sieht,  ist  häufig  sichtbar,  jedoch  nicht  immer. 

Die  Haut  über  der  Geschwulst  wird  in  der  Regel  nor- 
mal gefunden,  manchmal  aber,  wie  beim  Aneurysma  vari- 
cosum nach  gleichzeitiger  Verletzung  einer  Vene  und  Arte- 
rie, ist  eine  kleine  runde  Stelle  oder  eine  Narbe  zu  sehen ; 
bei  dieser  letztern  Art  von  Aneurysma  sieht  man  auch  immer 
die  umliegenden  Venen  varicös. 

Palpation.  Legt  man  die  Fingerspitzen  auf  die  Ge- 
schwulst, und  drückt  dabei  etwas  gegen  die  Tiefe ,  so  fühlt 
man  die  Pulsation  sehr  deutlich,  es  wird  die  Hand  mehr  we- 
niger stark  gehoben.  Zugleich  bemerkt  man,  besonders  aber 
beim  Aneurysma  varicosum  und  spurium,  ein  Schwirren  vom 
Eintreten  des  Blutes  in  den  aneurysmatischen  Sack. 

Beim  wahren  Aneurysma  wird  die  Pulsation  mehr  gleich- 
massig  gefühlt.  Comprimirt  man  die  entsprechende  Arterie 
zwischen  der  Geschwulst  und  dem  Herzen,  so  hört  der  Im- 
puls auf. 

Das  wahre  Aneurysma  verschwindet  durch  Compression 
gleich ,  das  spurium  nach  und  nach ,  das  varicosum  wird 
nur  etwas  kleiner. 

Die  Pulsationen  sind  beim  wahren  Aneurysma  stärker, 
als  beim  falschen  und  beim  varicösen,  bei  letzteren  zwischen 
Geschwulst  und  Peripherie  geringer,  als  ober  derselben. 

Alle  diese  Geschwülste  kann  man  durch  einen  concen- 
trischen  Druck  zum  Verschwinden  bringen. 

Bestehen  Aneurysmen  schon  lange,  so  ist  das  Glied  ab- 
gemagert oder  ödematös  angeschwollen. 

Droht  ein  Aneurysma  zu  bersten,  so  findet  man  die 
Haut  darüber  geröthet  und  entzündet. 


5*9 

A  u  s  c  u  1 t  a  t  i  o  n.  Durch  das  Sthcthoskop  hören  wir  ein 
ununterbrochenes,  nur  mit  den  Pulsschlägen  verstärktes  Rau- 
schen, und  zwar  um  so  stärker,  je  näher  das  Aneurysma 
dem  Herzen  ist,  und  je  rauher  seine  Wände  sind.  Ist  aber 
viel  Blutgerinnsel  vorhanden,  oder  das  Aneurysma  sehr  gross, 
so  hört  man  auch  das  Geräusch  vermindert,  indem  die  darin 
enthaltene  Flüssigkeitsmenge  zu  gross  ist,  um  in  allen  Thei- 
len  durch  den  ßlutstrahl  in  gleichmässige  Schwingungen 
versetzt  zu  werden ,  und  viel  Coagulum  die  Bewegung  des 
Blutes  und  sein  Einströmen  verhindert. 

Beim  Varix  aneurysmaticus  hört  man  nach  Schottin 
und  Schuh  oft  ein  eigenthümlich  zischendes  Gebrause,  das 
durch  Einströmen  des  Blutes  aus  der  Arterie  in  die  Vene  ent- 
steht ,  und  oft  schon  durch  das  Stethoskop  wahrgenommen 
wird,  wenn  noch  gar  keine  Geschwulst  sichtbar  ist.  Dieses 
Geräusch  wird  bei  Entfernung  des  Ohres  von  der  leidenden 
Stelle  immer  schwächer  vernommen,  und  geht  in  ein  nur  bei 
der  Diastole  der  Arterie  hörbares  Blasengeräusch  über. 

Bei  Aneurysma  der  Knochenarterien  soll  man  noch  aus- 
ser den  gewöhnlichen  Erscheinungen  der  Aneurysmen  auch 
bei  angebrachtem  Drucke  ein  eigenthümlich  knisterndes  Ge- 
räusch vernehmen,  dem  ähnlich,  welches  das  Zerbrechen 
von  Eierschalen  bewirkt. 

Bei  Verbrennungen  derExtremitäten  entwi- 
ckelt sich  zuweilen  Herzentzündung,  und  mit  Gang raena 
senilis  sind  häufig  organische  Herzleiden  im  ursächlichen 
Zusammenhange.  Der  Werth  derphysicalischen  Untersuchung 
in  beiden  Fällen  ist  somit  einleuchtend. 

Zur  Bestimmung  der  An  zeige  zu  Amputationen 
muss  die  Brust  des  Kranken  genau  untersucht  werden,  um 
etwa  vorhandene  Tuberculose  oder  andere  Brustkrankheiten 
zu  ermitteln,  deren  Gegenwart  die  Operation  verbietet.  Auch 
die  Leber  ist  besonders  bei  scrophulösem  Habitus  und  Caries 
an  den  Gliedmassen  genau  zu  exploriren  ,  da  fettige  Entar- 
Gaal   Diagnostik.  3^ 


530 

tung  derselben  und  ähnliche  Zustände  nur  einen  sehr  ungün- 
stigen Erfolg*  der  Operation  hoffen  lassen. 

Ist  an  der  Gliedmasse  ein  Schwammgewächs  vorhanden, 
und  sollte  amputirt  werden,  so  ist  die  Operation  zwecklos, 
wenn  fühlbare  Unebenheiten  an  der  in  ihrer  Grösse  verän- 
derten Leber  auf  krebsige  Entartung  derselben  schliessen 
lassen,  oder  wenn  ein  ähnlicher  Process  in  der  Brusthöhle 
nachzuweisen  wäre. 


D  i  e 

pathologisch-chemische 

und 

mikroskopische  Untersuchung 

zur  medicinischen  Diagnose. 


Von 

Dr.  Joli.  Flor.  Heller. 


34* 


Das  Mikroskop 

und 

dessen  Gebrauch, 


Das  Mikroskop  ist  für  den  praktischen  Arzt  bereits  un- 
entbehrlich geworden.  Die  mikroskopische  Untersuchung*  ist 
in  vielen  Fällen ,  so  wie  in  anderen  Fällen  die  chemische 
entweder  als  das  einzige  Mittel,  oder  mit  einer  anderweitigen 
Untersuchung  vereint  als  ein  weiterer  Beleg  «u  betrachten, 
um  zu  einer  sicheren  Diagnose  zu  gelangen.  Es  versteht 
sich  von  selbst ,  dass,  so  wie  keinem  Instrumente,  welches 
in  der  Medicin  Anwendung  findet,  auch  dem  Mikroskope  und 
dem  chemischen  Apparate  nicht  ein  Alleinwerth  zugeschrie- 
ben werden  darf,  wenn  es  auch  für  einzelne  Fälle  der  Fall 
ist.  Alle  Instrumente  richtig  und  zur  gehörigen  Zeit  ange- 
wendet, haben,  einzelne  nur  mehr  oder  weniger,  ihren  Werth 
für  die  Diagnostik. 

Das  Mikroskop  dient  hauptsächlich  dazu,  Gegenstände, 
welche  für  das  blosse  Auge  oder  bei  Anwendung  von  Lou- 
pen ,  entweder  unsichtbar  oder  undeutlich  erscheinen ,  bei 
einer  stärkeren  Vergrösserung  zu  beobachten. 


534 

Bevor  wir  zum  Gebrauche  des  Mikroskopes  und  der  Cau- 
telen,  w  eiche  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  zu  beob- 
achten sind  ,  schreiten,  wollen  wir  das  Mikroskop  selbst  nach 
seinen  wesentlichsten  Theilen  beschreiben,  so  wie  diejenigen 
Mikroskope  angeben,  welche  am  meisten  in  Gebrauch  kom- 
men, jetzt  auch  am  meisten  unter  dem  medicinischen  Publi- 
cum Verbreitung  gefunden  haben. 

Die  Mikroskope  von  Plössl  in  Wien  verdienen  jeden- 
falls vor  allen  den  Vorzug ,  ihnen  zunächst  stehen  die  von 
Oberhauser  in  Paris  ,  dann  Schie  k  in  Berlin  *). 

Von  einer  genauen  Detaillirung  aller  Arten  von  Mikro- 
skopen, so  wie  einer  Vergleichung  der  Mikroskope  von  ver- 
schiedeneu Meistern  kann  hier  eben  so  wenig  die  Rede  sein, 
wie  von  der  physicalischen  Theorie  des  Mikroskopes ;  tür  die- 
jenigen, welche  sich  hievon  näher  unterrichten  wollen,  möge 
die  Angabe  des  besten  Werkes  genügen,  wrelches  wrir  in  die- 
ser Beziehung  besitzen,  es  ist:  Jul.  VogeTs  Anleitung 
zum  Gebrauch  des  Mikroskopes;  Leipzig  1841  bei  Leopold 
Voss. 

In  den  wesentlichen  Theilen  stimmen  alle  Mikroskope 
mit  einander  überein,  wir  wollen  daher  bei  der  Angabe  der 
drei  Mikroskope  von  Plössl,  welche  verschiedene  Grössen 
haben  ,  und  am  gewöhnlichsten  in  Gebrauch  sind,  verbleiben. 


*)  Adressen.    Simon  Plössl,    Optiker   und    Mechaniker    in 
Wien,  alte  Wieden  ,  Feldgasse  Nr.  815; 

J.  W.  Schiek  in  Berlin,  Dorotheenstrasse,  Nr.  31; 

Georges    Oberhäuser,  Opticien,    Place  Dauphine, 
Nr.  19  ä  Paris. 


I.   Das  grosse  zusammengesetzte  Mikroskop. 


535 


536 

Dieses  bat  6 — 7  achromatische  aplanatische  Linsen  und 
3  Oculare;  dessen  Vergrösserungen  gehen  beiläufig  von  18 
Mal  bis  zu  500  Mal  linear,  oder  324  Mal  bis  250,000  Mal 
der  Fläche  mit  vollständiger  Klarheit  und  Schärfe.  Die  ver- 
schiedenen Beigaben  und  das  Zugehör  des  Mikroskopes  findet 
man  in  PI  ö  s  s  l's  Cataloge.  £s  kostet  185  fi.  C.  M.  Die  Bei- 
gaben betreffend  soll  Folgendes  bemerkt  werden: 

1.  Ein  4.  oder  gar  ein  5.  Ocular,  um  damit  die  Ver- 
grösserungen zu  steigern  ,  sind  unnöthig ,  da  bei  ihrer  An- 
wendung die  Lichtstärke  zu  sehr  abnimmt,  der  Gegenstand 
daher,  wenn  gleich  grösser,  doch  um  so  mehr  undeutlich 
wird. 

2.  Die  Vorrichtung  am  Objecttiscbe  dieses  Mikroskopes 
mit  Mikrometerschraube  zur  höchst  feinen  Einstellung  des 
Gegenstandes  bei  starken  Vergrösserungen  ist  unentbehr- 
lich (kostet  separat  12  fl.) ,  und  sollte  wohl  an  keinem  Mi- 
kroskope fehlen. 

3.  Der  Apparat  zum  Messen  der  Objecte  mit  Mikrometer- 
schraube ist  meist  leicht  entbehrlich,  besonders  für  Ärzte, 
welche  sich  nicht  ausschliesslich  mit  Mikroskopie  beschäfti- 
gen ;  er  kostet  viel  (90  fl.) ,  vergrössert  den  Kasten ,  und 
hat  den  Fehler,  bald  ungenau  zu  werden,  und  zwar  weit 
früher,  ehe  man  es  bemerkt,  da  die  Schrauben  durch  den 
Gebrauch  bald  locker  werden ,  wo  dann  die  Gradlinien  nicht 
mehr  richtig  anzeigen.  Die  zwei  Glasmikrometer  (ä  3—4  fl.) 
sind  hinreichend  zu  den  meisten  Messungen,  die  man  vor- 
zunehmen pflegt. 

4.  Der  Glastisch ,  welcher  als  Deckung  über  den  Mes- 
singtisch geschoben  wird  ,  ist  besonders  jetzt,  wo  mehr  mit 
chemischen  Reagentien  unter  dem  Mikroskop  gearbeitet  wird, 
sehr  zu  empfehlen,  und  mir  wenigstens  wahrlich  unentbehr- 
lich geworden.  Fig.  B. 


537 

Fig.  B. 


II.  Das  mittlere  Mikroskop. 

Es  hat  dieselbe  wesentliche  Einrichtung*,  wie  das  grosse, 
hat  6  Linsen  und  3  Oculare  und  leistet  Vergrößerungen  von 
18  bis  250  Mal  linear  oder  324  bis  62,500  Mal  der  Fläche, 
es  kostet  90  fl. 

Dieses  Mikroskop  ist  dasjenige ,  welches  von  Ärzten 
am  meisten  gebraucht  wird ;  es  ist  denjenigen ,  welchen  das 
grosse  zu  kostspielig  ist,  auch  am  meisten  zu  empfehlen, 
indem  es  für  die  allermeisten  Fälle  ausreicht ,  und  hat  auch 
den  Vortheil,  dass  es  sehr  compendiös  ist. 

III.  Neues  kleines  Mikroskop,  vonPlössl  zuerst  con- 
struirt  und  »Arbeitsmikroskop«  genannt.  Es  steht  auf  run- 
dem ,  messingenem  Fusse.  Der  Objectlisch  ist  mit  offener 
Federklammer  versehen  ,  und  ist  durch  ein  Triebrad  beweg- 
lich. Es  ist  nach  Art  der  Fernröhre  zum  Auseinanderziehen. 
Am  Auszug  (Ocularrohr)  sind  die  Vergrösserungen  ange- 
zeichnet. 

Dieses  Mikroskop  zeigt  die  Objecte  nicht  verkehrt ,  wie 
die  übrigen ,  hat  eine  sehr  grosse  Focaldistanz ,  und  dient 
daher  ganz  vorzüglich  dazu ,  um  darunter  Objecte  zu  prä- 
pariren,  was  für  anatomisch-mikroskopische  Untersuchungen 
von  grösserem  Vortheil  ist,  wo  man  auch  seltener  so  grosse 
Vergrösserungen  nüthig  hat. 

Die  Vergrösserungen  gehen  von  15  bis  150  Mal  linear, 
oder  225  bis  22500  Mal  der  Fläche,  welche  durch  Verlän- 
gerung des  Rohres  (Ausziehen)  bis  zu  den  angezeichneten 
Vergrösserungsstrichen  hervorgebracht  werden  können.  Die- 


538 

ses  Mikroskop  ist  zuerst  von  Plössl  construirt  worden,  ist 
sehr  bequem  und  compendiös.  Es  passen  auch  die  Linsen 
von  den  früher  angegebenen  Mikroskopen  daran  ,  so  dass 
man  durch  Anwendung  dieser  auch  noch  grössere  Vergrös- 
serungen  hervorbringen  kann.  Es  ist  daher  auch  jenen  zu 
empfehlen ,  die  schon  ein  grösseres  besitzen  ,  um  dieses  zu 
schonen,  und  in  sehr  vielen  Fällen  bequemer  arbeiten  zu 
können.  Es  kostet  sammt  Etuis  48  fl.  Mit  der  Einrichtung 
den  Körper  mittelst  Triebrad  auch  horizontal  zu  bewegen, 
50  fl.   C.  M. 

Die  Mikroskope  von  Oberhäuser,  Schieku.A.  ent- 
sprechen in  der  wesentlichen  Einrichtung  denen  von  PI  ö  s  s  1 , 
wir  können  daher  im  folgenden  Capitel  die  Theile  des  Mi~ 
kroskopes  im  Allgemeinen  beschreiben. 

Theile    des  Mikroskope  s. 
Man  unterscheidet  im  Allgemeinen  das  Mikroskop  selbst  von 
den  hiezu  notwendigen  Apparaten,  dem  Zugehör  desMikro- 
skopes,  welches  sich  in  dem  Kasten  des  Mikroskopes  befindet. 

Die  Haupttheile  des  Mikroskops  sind:  I.  das  Gerüste; 
II.   der  optische  Theil. 

Theile  des   Gerüstes. 

1.  Der  Fuss  (Fig.  A  a).  Er  besteht  aus  3  Stäben, 
welche  sich  zusammenlegen  lassen ;  bei  manchen  Mikrosko- 
pen (von  Oberhäuser,  Brunner  etc.)  ist  er  ein  mit  dem 
übrigen  Gerüste  zusammenhängender,  hohler  an  der  einen 
Seite  offener  Cylinder ,   worin  sich  der  Spiegel  befindet. 

Der  Stock  (b  0).  Derselbe  ist  mit  dem  Fusse  unter 
einem  rechten  Winkel  in  Verbindung,  an  ihm  ist  das  Rohr 
c),  der  Tisch  mit  beweglicher  Einrichtung  d),  dann  die  Trieb- 
räder ef),   oder  die  Stellschrauben  in  Verbindung. 

3.  Der  0  bj  e  et  tisch  (Tisch)  et);  er  ist  mit  dem  Stock 
entweder  in  beweglicher  oder  unbeweglicher  Verbindung.  Die 
Beweglichkeit  des  Tisches  ist  entweder  allein  da,  und  das 
Rohr  steht  fest ,  oder  es  wird  das  Rohr  bewegt  und  der  Tisch 
steht  fest.  Ich  habe  aber  bereits  obenerwähnt,  dass  Plössl 


539 

jetzt,  jedoch  nur  auf  ausdrückliches  Verlangen  die  beweg- 
liche Einrichtung  am  Tische,  ausserdem,  dass  das  Rohr  be- 
weglich ist,  anbringt,  welche  Bewegung  nur  zur  feineren 
Einstellung  dient,  nachdem  durch  die  gröbere  Stellschraube 
der  Gegenstand  bereits  in  den  Focus  gebracht  wurde. 

Der  Objecttisch  ist  entweder  einfach  und  bloss  mit  der 
Federklammer  versehen ,  oder  bei  grösseren  Mikroskopen 
doppelt,  besteht  aus  2  übereinander  liegenden  Platten,  von 
denen  die  obere  durch  2  Schrauben  nach  verschiedenen  Rich- 
tungen verschiebbar  ist,  um  dadurch  die  Objecte  in  das  Seh- 
feld zu  bringen.  Der  Objecttisch  ist  durchbohrt,  damit  das 
durch  den  Spiegel  reflectirte  Licht  hindurch  gelangen  kann. 
Um  das  Licht  schwächen  zu  können,  ist  an  der  unteren  Seite 
des  Tisches  eine  verschiebbare  Blendscheibe  angebracht, 
in  welcher  3  Öffnungen  von  verschiedener  Grösse  sind.  Aus- 
serdem kann  man  sich  noch  einiger  Diaphragmen  bedie- 
nen, runde  Platten  mit  verschieden  grossen  Öffnungen;  die 
Platten  passen  gerade  in  das  Loch  des  Tisches. 

Ein  Theil  des  Objecttisches  ist  auch  die  Federklam- 
mer, welche  ober  jenem  ruht;  sie  ist  mit  einer  unter  dem 
Tische  sich  befindlichen  Druckfeder  in  Verbindung ,  durch 
welche  sie  gehoben  und  niedergelassen  werden  kann,  um 
die  Deckgläser  auf  das  Object  niederzudrücken,  so  festzu- 
halten ,  und  das  Object  zu  quetschen.  Unter  sie  wird  auch 
der  Glastisch  Fig.  B)  geschoben. 

Der  Spiegel  y).  Derselbe  befindet  sich  in  einer  gewis- 
sen Entfernung  unter  dem  Tisch,  er  ist  am  Stocke  befestigt, 
und  ist  nach  allen  Richtungen  beweglich.  Auf  der  entgegen- 
gesetzten Seiteist  eine  schwarze  Rückwand,  welche  bei  ße-> 
sichtigung  opaker  Gegenstände  dem  Tische  zugewendet  wird. 
II.  Optischer  Theil. 

Die  Linsen.  Die  Linsen ,  welche  am  unteren  Theile 
des  Rohres  angeschraubt  werden ,  daher  unmittelbar  ober 
dem  Objecte  sich  befinden,  werden  Objectiv linsen  ge- 
nannt. Jede    Linse   selbst  befindet   sich  in   einer  aussen  und 


540 

innen  mit  Schraubenwindungen  versehenen  Messingfassung, 
so  dass  eine  an  die  andere  angeschraubt  werden  kann ,  um 
die  verschiedenen  Vergrösserungen  hervorzubringen. 

Die  Linsen  sind  achromatisch.  Sie  sind  an  ihrer  Fassung 
mit  Nummern  bezeichnet.  Die  verschiedenen  Combinationen 
zeigen  verschiedene  Vergrösserungen  an.  Jede  Linsencom- 
bination  heisst  ein  Linsensystem.  Die  optischen  Gesetze, 
welche  dem  zusammengesetzten  Mikroskope  zu  Grunde  lie- 
gen ,  können,  wie  bereits  erwähnt,  hier  keinen  Platz  finden, 
und  verweise  daher  auf  Vogel's  Werk. 

Die  Oculare.  Ocularlinsen.  Jedes  Ocular  besteht  aus 
zwei  Linsen ,  welche  in  einer  gewissen  Entfernung  in  eine 
Messingröhre  gefasst  sind,  welche  Röhre  in  dem  oberen  Theil 
des  Rohres  des  Mikroskops  eingeschoben  wird.  Die  2  Gläser 
heissen :  C  o  1 1  e  c  t  i  v  glas,  das  untere  und  das  obere  dem  beob- 
achtenden Auge  zunächstliegende:  Objectiv  linse.  Man 
hat  gewöhnlich  2  —  3  Oculare,  mehrere  sind  unnöthig.  Jedes 
Ocularrohr  ist  mit  seiner  Nummer  bezeichnet.  Durch  Wech- 
seln des  Oculars  kann  man  mit  Beibehaltung  des  einmal  an- 
geschrobenen  Linsensystems  ,  die  Vergrösserungen  nach  Be- 
lieben verstärken,  jedoch  findet  immer  mit  der  Steigerung  der 
Nummer  des  Oculars  ,  also  mit  der  Zunahme  der  Vergrösse- 
rung  eine  Abnahme  der  Lichtstärke  statt,  somit  das  Bild  im- 
mer weniger  scharf  und  undeutlicher  erscheint. 

Jedem  Mikroskop  wird  von  Seite  des  Optikers  ein  Ver- 
zeichniss  beigegeben,  welches  die  verschiedenen  Vergrösse- 
rungen angibt ,  die  man  bei  Anwendung  verschiedener  Lin- 
sensysteme zugleich  mit  den  verschiedenen  Ocularen  erhält. 
Es  ist  keineswegs  gleichgültig,  welche  Linsen  man  zusam- 
menschraubt, man  hat  sich  daher  nach  der  Vorschrift  des 
Optikers  zuhalten,  obwohl  man  durch  Versuche  selbst  auch 
noch  andere  Combinationen  auffinden  kann, 

Meinem  grossen  Mikroskop  von  Plössl  liegt  z.B.  fol- 
gendes Verzeichniss  von  Vergrösserungen  bei: 


541 


Obj  ective 

Ocular 

I. 

11. 

III. 

N.  1 

30 

48 

1  +2 

60 

96 

1  +  3  +  4 

116 

188 

3  +  4+5 

132 

210 

5  +  6  +  7 

220 

510 

880 

Mal  im  Durchmesser 

Apparate  oder  Zugehör  des  Mikroskopes. 

1.  Objectgläser.  Als  solche  dienen  am  besten  Glas- 
platten von  feinem  geschliffenen  dünnen  Glase  von  2  bis 
81/,  Zoll  Länge  mit  1  bis  l'/2  Zoll  Breite.  Je  weniger  grün- 
lich oder  bläulich  das  Glas  ist,  desto  besser.  Man  kann  sich 
einen  grösseren  Vorrath  solcher  Glasplättchen  bei  jedem  Gla- 
ser aus  Abfällen  schneiden  lassen,  wo  man  am  billigsten  dazu 
kömmt.  In  dem  Kasten  des  Mikroskops  ist  indess  von  jedem 
Optiker  ein  kleiner  Vorrath  davon  beigegeben.  Ich  empfehle 
bei  Untersuchung  von  Flüssigkeiten  jedenfalls  grössere  Plat- 
ten zu  gebrauchen ,  da  der  Objecttisch  dadurch  reiner  erhal- 
ten Wird.  Zur  Untersuchung  von  Flüssigkeiten  ist  jedoch  bei 
Plössl's  Mikroskopen  ein  planconcaves  Glas  beigegeben. 

2.  Deckgläser.  Um  das  Bewegen  der  Flüssigkeit,  in 
welcher  die  zu  beobachtenden  Theilchen  während  der  Besich- 
tigung dem  Strome  der  Flüssigkeit  folgen,  zu  verhindern, 
ferner  um  Gegenstände  mehr  in  eine  Ebene ;  in  gleiche  Fo- 
caldistanz  zu  bringen ,  endlich  um  dem  Eintauchen  der  Lin- 
sen vorzubeugen ,  dienen  kleine  Gläschen  von  sehr  dünnem 
geschliffenem  Glase. 


542 

Das  Glas  muss,  so  wie  das  der  Objectgläser  möglichst 
farblos ,  ferner  frei  von  Flecken,  Blasen  und  Rissen  sein. 
Glimmerplättchen,  die  früher  im  Gebrauche  waren,  sind  nicht 
zu  empfehlen,  sie  haben  immer  Risse  und  Spalten,  und  sind 
zu  dünn  ,  adhäriren  zu  stark  und  sind  daher  sehr  unbequem 
handzuhaben. 

3.  Ouetschap  parat.  Manchmal  ist  es  erforderlich, 
den  Gegenstand  ,  wenn  er  zu  dick  ist ,  durch  Druck  auszu- 
breiten. Um  dieses  zu  bewerkstelligen ,  kann  man  in  vielen 
Fällen  die  Deckgläschen  gebrauchen  ,  sie  müssen  dann  so 
gross  sein  ,  dass  sie  gut  über  das  Loch  des  Objecttisches 
beiderseits  hinausreichen,  um  so  von  der  Klammer  amObject- 
tische  gefangen  und  niedergedrückt  werden  zu  können,  nach- 
dem sie  gehoben  und  wieder  herabgelassen  wird.  Man  drückt 
zuerst  das  Deckglas  mit  den  Fingern  auf  und  bringt  es  dann 
so  vereint  mit  dem  Objectglase  zwischen  die  Klammer.  Man 
hat  jedoch  auch  eigene  Compressionsapparate  (P  u  rky  nj  e's 
Quetscher)  ,  welche  jedoch  seltener  gebraucht  werden. 

4.  Ein  3kantiges  Prisma.  Dieses  befindet  sich 
beweglich  angebracht  an  einem  Stabe,  welcher  mit  mehreren 
Knien  versehen  ist,  um  das  Prisma  nach  jeder  Richtung  ein- 
stellen zu  können.  Der  Stab  des  Prismas  wird  in  dem  einen 
Stab  des  Fusses  eingesteckt,  wenn  man  von  dem  Prisma 
Gebrauch  machen  will. 

Das  Prisma  wird  gebraucht  bei  Besichtigung  opaker  Ge- 
genstände, um  sie  von  oben  zu  beleuchten,  welches  gewöhn- 
lich am  besten  mit  dem  Lampenlicht  geschieht,  in  welchem 
Falle  also  dieses  Prisma  die  meiste  Anwendung  findet. 

5.  Eine  bewegliche  biconvexe  Linse.  Diese 
befindet  sich  bei  jedem  grösseren  Mikroskope.  Sie  ist  auf  einem 
Stative,  auf  dem  sie  auf  und  nieder  geschoben  werden  kann. 

Sie  dient  ebenfalls  zur  Beleuchtung  opaker  Gegenstände 
von  oben  ,  und  zwar  entweder  allein  oder  zugleich  mit  dem 
Prisma. 


543 

6.  Mikrometer.  Man  hat  entweder  Glasmikrometer 
oder  einen  der  Schraubenmikrometer. 

a)  Glasmikrometer;  eine  runde  Glasscheibe,  auf 
welcher  die  Theilungsstriche  sehr  fein  eingeritzt  sind. 

Plössl  gibt  2  solche   Glasmikrometer    seinen  Mikro 
skopen  bei. 

Der  eine  enthält  eine  Wiener  Linie  als  Quadrat  in  30 
Theile,  der  andere  eine  Wiener  Linie  als  Leiter  in  60Theile 
getheilt. 

Der  Gegenstand,  der  gemessen  werden  soll,  wird  auf 
dieser  Mikrometertafcl  unter  dem  Mikroskop  beobachtet.  Füllt 
nun  der  Durchmesser  des  Gegenstandes  z.B.  gerade  die  Ent- 
fernung von  einer  Linie  zur  anderen  am  30theiligen  M.,  so 
misst  er  '/3o  einer  Wiener  Linie. 

b)  Der  doppelte  Glasmikrometer  dient  haupt- 
sächlich zur  Messung  ganz  kleiner  Gegenstände.  Der  er- 
sterc  Mikrometer  wird  als  Objectgias  gebraucht*,  ein  zweiter 
aus  einer  runden  Glasplatte  bestehend,  ist  so  gross,  dass  er  in 
die  Blendung  im  Oculare  passt.  Dieser  Mikrometer  kann  eine 
beliebige  Theilung  haben. 

Der  Raum  zwischen  je  zwei  Theilstrichen  des  auf  der 
Blendung  liegenden  Mikrometers  erscheint  kleiner  als  der  am 
Mikrometer  als  Objectgias,  weil  die  Theilung  auf  diesem  be- 
deutend stärker  ver^rössert  wird  ,  daher  werden  in  den  Zwi- 
schenraum zwischen  zwei  Theilstrichen  des  unteren  Mikro- 
meters eine  gewisse  Zahl  des  oberen  fallen  und  es  kann  somit 
eine  genauere  Messung  vorgenommen  werden. 

c~)  Der  Seh  rauben  mikro  niete  r.  Wie  schon  ge- 
sagt, so  kann  dieser  theuere  Apparat  zu  den  genauesten  Mes- 
sungen selbst  der  Kleinsten  Gegenstände  gebraucht  werden. 
Er  wird  an  den  Tisch  des  Mikroskopes  befestigt.  Das  Nähere 
hierüber  inj.  V  o  g  e  Ts  Werk. 

7.  Eine  Loupe.  Manche  Gegenstände  sind  so  gross, 
dass  ein  blosses  Beobachten  mit  der  Loupe  schon  hinreicht, 
sie  zu  erkennen;  in  vielen  Fällen  dient  aber  die  Loupe  dazu 


544 

besonders  bei  anatomischen  Gegenständen  ,  um  dieselben  zur 
weiteren  Beobachtung*  unter  dem  Mikroskop  zu  präpariren. 

Über  das  Präpariren  und  die  verschiedenen  Cautelen  , 
welche  mau  in  Beziehung  der  Zergliederung  anatomischer 
Gegenstände  nothwendig  hat,  ist  Prof.  J.  Engel's  »Ent- 
wurf einer  pathologisch  -  anatomischen  Propedeutik«  sehr  zu 
empfehlen,  daher  wir  in  dieser  Beziehung  schon  des  gerin- 
gen Raumes  wegen,  der  uns  gegönnt  ist,  auf  diesen  Gegen- 
stand nicht  weiter  eingehen  können. 

8.  Der  Glas  tisch,  welcher  über  den  Objecttisch  ge- 
schoben wird,  er  ist  bereits  oben  erwähnt  und  abgebildet.  Fig.  B. 

Güte  des  Mikroskope  s. 

Ein  gutes  Mikroskop  muss  folgende  wesentliche  Bedin- 
gungen erfüllen. 

1.  Es  muss  mit  Klarheit  und  Schärfe  das  Bild 
zeigen ,  dieses  ist  wesentlicher  als  besonders  starke  Ver- 
grösserung.  Zur  Prüfung  dieser  Eigenschaft  bediene  ich  mich 
gewöhnlich  des  Pflasterepitheliums  vom  Zungenbelege ,  oder 
dass  man  bei  350maliger  Diaraetralvergrösserung  die  Quer- 
streifen zwischen  den  Längenstreifen  am  Schmetterliu  >s- 
flügelstaube  (besonders  vom  blauen  Ulixes)  noch  wahrnimmt. 

2.  Es  muss  achromatisch  sein,  d.  h.  es  darf  weder 
das  Sehfeld  noch  die  Gegenstände  blaue  oder  violette  Far- 
benringe zeigen.  Milch  und  Fettkügelchen  müssen  ohne  Far- 
benring und  ohne  zwei  oder  mehrfacher  Contour  erscheinen. 

3.  Die  Vergrösseruug.  Diese  kann  von  30  Mal  bis 
600  Mal  diametral  gehen ;  bis  400  muss  sie  gehen,  seltener 
benöthigt  man  die  öOOmalige  ,  eine  noch  grössere  ist  meist 
überflüssig,  wenn  das  Mikroskop  völlig  scharf  und  achro- 
matisch ist. 

4.  Die  Grösse  des  Gesichtsfeldes,  je  bedeu- 
tender diese,  desto  besser,  doch  ist  es  ein Haupterforderniss 
eines  guten  Mikroskopes ,  dass  die  Gegenstände  am  Rande 
des  Gesichtsfeldes  eben  so  scharf  wie  in  der  Mitte  desselbeu 


545 

erscheinen  (ein  besonderer  Vorzug  Plö  ssTs) ,   sonst  nützt 
auch  ein  grosses  Gesichtsfeld  nichts. 

5.  Lichtstärke.  Diese  muss  auch  bei  grossen  Ver- 
grösserungen  noch  stark  genug  sein  ,  um  den  Gegenstand 
scharf  zu  sehen,  sie  muss  bei  400maliger  Vergrösserung  noch 
völlig  hell,  auch  bei  Anwendung  des  2.  Oculars  muss  sie 
stets  genügend  sein. 

6.  Die  Focaldistanz  muss  möglichst  gross  sein, 
d.  h.  die  letzte  Objectlinse  muss  von  deraObjecte  so  weit  ent- 
fernt sein,  dass  man  noch  bequem  ein  nicht  zu  dünnes  Deck- 
glas auf  das  Object  bringen  kann.  Es  darf  dann  bei  der  Ein- 
stellung des  Mikroskopes  bei  der  grössten  Vergrösserung  die 
Linse  das  Deckglas  noch  nicht  im  Geringsten  berühren. 

7.  Festigkeit  des  Fusses ,  Compendiösität  des  Mikro- 
skopes und  Reinheit  der  Schraubengewinde  sind  stets  grosse 
Vortheile  für  die  Bequemlichkeit  und  Genauigkeit  des  Ar- 
beiters. 

Zeichnen   mikroskopischer    Object e. 

Die  beste  Methode,  mikroskopische  Objecte  zu  zeich- 
nen ,  bleibt  immer  die  nach  der  unmittelbaren  Beobachtung 
des  Gegenstandes.  Der  Gegenstand  wird  genau  und  anhal- 
tend beobachtet ,  dann  wendet  man  das  Gesicht  dem  Papiere 
zu  und  zeichnet  den  Gegenstand,  so  wie  man  ihn  gesehen  hat, 
während  man  stets  abwechselnd  wieder  ins  Mikroskop  sieht, 
und  so  die  Zeichnung  corrigirt. 

Alle  anderen  Methoden  sowohl  durch  Apparate  als  durch 
das  Blicken  mit  einem  Auge  aufs  Papier ,  mit  dem  anderen 
ins  Mikroskop  sind  ersterer  nachzusetzen.  Der  Sömme- 
ringsche  Spiegel,  dannPlössl's  Prisma  zum  Zeichnen 
sind  jedoch  für  viele  Fälle  brauchbare  Instrumente. 

Aufbewahren  mikroskopischer  Objecte. 

Für  kürzere  Zeit  können  manche  mikroskopische  Objecte 
besonders  anatomische  unter  distillirtem  Wasser  aufbewahrt 
Gaal  Diagnostik.  35 


&46 

werden.  Die  Gefässe  müssen  aber  stets  möglichst  hoch  und 
schmal  sein,  um  nur  eine  kleine  Oberfläche  der  Luft  zu  bieten. 

Für  Harnsedimente  empfehle  ich  besonders  Schwefel- 
äther oder  absoluten  Alcohol.  Das  Sediment  wird  möglichst 
frei  von  Harn  am  besten  in  ein  enges  Probierglas  gebracht, 
Äther  darauf  gegeben  und  das  möglichst  volle  Gefäss  wird 
zugestöpselt. 

Um  die  aufbewahrten  Gegenstände  gleich  unter  das  Mi- 
kroskop bringen  zu  können,  dienen  am  besten  zwei  anein- 
anderliegende planconcave  runde  Gläschen,  wie  sie  Plössl 
verfertiget ,  welche ,  nachdem  der  Gegenstand  dazwischen 
gebracht  wurde ,  entweder  an  den  Rändern  mit  Wachs  oder 
Kitt  verschlossen  werden  oder  nur  offen  bleiben ;  ersteres  ge- 
schieht besonders ,  wenn  man  eine  Flüssigkeit  dazwischen 
bringt.  So  werden  auch  Gegenstände  in  Alcohol,  Äther,  Bal- 
samum  Copaivae ,  Kreosot  etc.  aufbewahrt.  Manche  Gegen- 
stände werden  auch  bloss  auf  eine  Glasplatte  geklebt,  oft 
auch  mit  einer  zweiten  bedeckt  und  die  Ränder  mit  Gold- 
schlägerhäutchen  (besser  als  Papier)  verklebt. 

Hand  h  abung  und    Massregeln    b  eim  G  ebrau  che 

des  Mikroskop  s. 

Wenn  das  Mikroskop  nicht  gerade  benützt  werden  muss, 
Und  wenn  man  es  nicht  zu  lange  unbenutzt  lassen  will,  so 
ist  es  am  besten ,  dasselbe  ausser  dem  Kasten  am  Tische 
unter  einer  unten  gut  abgeschliffenen,  oben  mit  einem  Knopf 
(Handhabe)  versehenen  Glasglocke  aufgestellt  stehen  zulas- 
sen. Das  zu  oftmalige  Zusammenlegen  und  Hineinlegen  in 
den  Kasten  ist  nicht  sehr  zu  empfehlen.  Eine  solche  Glocke 
auf  das  grosse  PlÖssTsche  Mikroskop,  welches  von  ihr 
völlig  gedeckt  wird ,  kostet  nur  etwas  über  2  fl. 

Wird  das  Mikroskop  gebraucht,  so  schraubt  man  zuerst 
die  Linsen  an,  und  stellt  die  gehörige  Beleuchtung  des  Seh- 
feldes ,  während  man  in  das  Mikroskop  sieht ,  durch  Bewe- 
gung des  Spiegels  her.    Directes  Sonnenlicht  ist  immer  zu 


W7 

meiden  ;  ein  klarer  Mauer  Himmel  ist  schlecht,  am  besten  die 
weissen  hell  beleuchteten  Wolken ,  oder  eine  lichte  Wand 
eines  gegenüber  liegenden  von  der  Sonne  beschienenen  Hauses. 

Man  bringt  dann  das  Object  auf  ein  Objectglas ,  deckt 
es  mit  einem  Deckglas  oder  lässt  es  unbedeckt ,  und  stellt 
dann  das  Mikroskop  ein,  d.  h.  man  bringt  das  Object  in  den 
Focus.  Diess  geschieht  immer  so,J  dass  man ,  ehe  man  ins 
Mikroskop  sieht,  das  Rohr  niederschraubt  nach  dem  Augen- 
maase  für  die  jeweilige  Focaldistanz ,  erst  dann  sieht  man 
ins  Mikroskop  und  stellt  genauer  ein  •,  würde  man  sogleich 
hineinsehen  und  niederschrauben,  so  kann  man  den  wahren 
Moment ,  d.  h.  das  Erscheinen  des  Bildes  im  Focus  leicht 
übersehen  und  zu  tief  schrauben,  so  dass  entweder  die  Lin- 
sen das  Object,  wenn  es  unzugedeckt  ist,  berühren,  oder 
dass  sogar  das  Objectglas  zersprengt  wird ,  wo  nicht  selten 
die  letzte  Linse  zugleich  berstet  (etwas  was  gewiss  jedem 
Anfänger,  der  jene  Regel  nicht  beobachtet,  geschieht). 
Müssen  die  Linsen  zu  oft  gereiniget  werden,  so  werden 
sie  blind. 

Das  Reinigen  der  Linsen,  besonders  wenn  sie 
eingetaucht  worden  sind,  muss  immer  mit  einer  reinen 
Leinwand  geschehen ,  weder  Baumwolle  noch  Seide  taugen 
hiezu,  auch  Rehleder  nicht,  weil  es  stets  fett  ist,  ausser 
wenn  es  gut  in  Schwefeläther  ausgewaschen  worden  ist. 

Das  feinere  Einstellen  mit  der  feinen  P  1  ö  s  s  l'schen 
Stellschraube,  durch  die  der  Objectdsch  bewegt  wird,  ist  dann 
immer  zu  empfehlen ,  wenn  der  Gegenstand  sich  bereits  im 
Focus  befindet ,  besonders  diess  bei  grösseren  Vergrösse- 
rungen. 

Bei  dem  Einstellen  nehme  man  die  grosse  Stellschraube 
lieber  in  die  volle  Hand,  man  wird  so  gewiss  kleinere  Bewe- 
gungen mit  mehr  Sicherheit  machen  ;  als  wenn  man  sie  bloss 
zwischen  die  Fingerspitzen  nimmt.  —  Hat  man  den  Gegen- 
stand mit  einem  gewissen  Linsensystem  beobachtet,  so  wen- 
det man  dann  erst  ein  zweites  Ocular  an,  um  die  Vergrösse- 

36  # 


548 

rung  zu  steigern,  sonst  fängt  man  immer  mit  dem  ersten  0 cil- 
iar an ;  aber  es  ist  besonders  Anfängern  sehr  zu  empfehlen , 
eher  einen  Gegenstand  mit  einer  kleineren  Vergrösserungzu 
beobachten  ,  bevor  er  eine  grössere  anwendet,  man  kann  also 
mit  kleineren  Vergrösserungen  anfangen ,  dann  diese  durch 
Wechseln  der  Linsen  und  Oculare  steigern.  Das  Einstellen 
des  Objectglases  mit  dem  Objecte  in  das  Sehfeld  geschieht 
am  besten  durch  festes  Auflegen  des  Daumens  und  Zeigefin- 
gers auf  den  Objecttisch  ,  während  man  mit  den  Spitzen  die- 
ser Finger  die  Glasplatte  gegen  den  Tisch  etwas  aufdrückend 
bewegt ,  während  mit  der  anderen  Hand  die  Stellschraube 
bewegt  wird,  um  den  Focus  zu  reguliren. 

Anatomische  Präparate  auf  dem  Objectglase  macht  man 
entweder  mit  zwei  Nadeln  (sehr  gut  sind  dazu  Staarnadeln) 
bei  Beobachtung  mit  dem  blossen  Auge  odermit  der  Loupe  oder 
bei  einer  sehr  geringen  Vergrösserung  unter  dem  Mikroskop  •, 
sehr  geeignet  hiezu  sind  die  Arbeitsmikroskope  von  Plössl, 
welche  den  Gegenstand  nicht  verkehrt  zeigen. 

Bei  Anwendung  von  Reagentien  thut  man  gut,  neben 
das  Deckglas ,  welches  immer  kleiner  ist  als  das  Objectglas 
selbst,  einen  Tropfen  mittelst  eines  dünnen  Glasstabes  zu  ge- 
ben, der  Tropfen  zieht  sich  dann  von  selbst  durch  die  Ca- 
pillarität  zwischen  beide  Glasplatten.  Wendet  man  ein  flüchti- 
ges Reagens,  z.  B.  Salzsäure  oder  Ammoniak,  Äther,  Alco- 
hol  an ,  so  entferne  man  das  Deckglas  früher ,  berühre  mit 
dem  damit  befeuchteten  Glasstab  das  Object  und  decke  dann 
somit  dem  Deckglase  ,  dass  das  Reagens  in  der  Mitte  bleibe, 
und  ganz  gedeckt  werde  ;  diess  ist  sehr  zu  empfehlen ,  weil 
sonst  die  Linsen  anlaufen,  trübe  werden  und  der  Gegenstand 
entweder  gar  nicht  oder  nur  sehr  undeutlich  gesehen  werden 
kann.  Man  beobachte  den  Gegenstand  stets  so  schnell  als 
möglich ,  nachdem  das  Reagens  hinzugekommen ,  um  die 
erste  Einwirkung  zu  sehen  und  die  weitere  gut  verfolgen 
zu  können. 

Opake  Gegenstände  beobachtet  man  immer  ambe-* 


549 

sten  bei  künstlicher  Beleuchtung,  gute  hellleuchtende  argan- 
tische  Öllampen  mit  einem  guten  Schirm  an  der  Rückseite 
sind  hiezu  zu  verwenden*,  der  Docht  muss  zum  auf- und  nie- 
derschrauben sein,  um  nach  Bedürfniss  das  Licht  reguliren 
zu  können;  in  vielen  Fällen  ist  es  auch  gut,  wenn  die  Lampe 
mit  einem  mattgeschliffenen  Glassturz  versehen  ist. 

Von  Reagentien,  die  stets  bei  dem  Mikroskope  zunächst 
nothwendig  sind  ,  braucht  man  nicht  viele ,  die  notwendig- 
sten sind:  destillirtes  Wasser,  Essigsäure,  Salpetersäure, 
Schwefelsäure,  Salzsäure,  Kali,  Ammoniak,  Äther,  Alko- 
hol, salpetersaures  Silber,  Jodtinctur  u.  a.,  von  denen  später 
die  Rede  sein  wird. 

Täuschungen,    vor  denen  man  sich  bei  der  mi- 
kroskopischen Untersuchung  zu  hüthenhat. 

Die  Täuschungen,  welche  manchmal  zu  Irrthümern  Ver- 
anlassung geben  können,  sind  zweierlei,  entweder  sub- 
jective  oder  objective;  entweder  treffen  sie  den  Beob- 
achter und  das  Instrument  oder  besondere  Gegenstände,  welche 
zu  Verwechselungen  Veranlassung  geben. 

Durch  das  Instrument  können  Täuschungen  vorkom- 
men, wenn  die  Gläser  nicht  achromatisch  sind ,  wie  schon 
erwähnt,  entstehen  verschiedene  Färbungen  der  Gegenstände 
oder  um  dieselbe  Farbenringe  auch  innerhalb  einer  Kugelge- 
stalt deutlich  erscheinende  falsche  Contouren  (Ringe),  z.  B. 
bei  Fettkugeln.  Staub ,  Flecken  oder  Ritze  auf  den  Gläsern , 
diese  sind  leicht  zu  entdecken  ,  ob  sie  auf  den  Linsen  (durch 
Wechseln  derselben)  oder  auf  dem  Oculare  (durch  Drehen 
desselben)  sind.  Durch  nicht  gut  achromatische  Linsen  ent- 
stehen entweder  Färbungen  der  Gegenstände,  oder  es 
erscheinen  gewisse  Gegenstände  auch  doppelt  gerandet, 
(z.B.  Fettkügelchen),  was  oft  zu  Irrthümern  Veranlassung  gibt. 
Objective  Täuschungen  finden  auch  statt,  wenn  Gegenstände, 
die  dem  Object-  oder  Deckglase  angehören  (Risse,  Blasen  etc.), 
für  den   zu  beobachtenden  Gegenstand  gehalten  werden.  Um 


550 

diesem  auszuweichen,  muss  man  den  Focus  fleissig  durch 
Auf-  und  Niederschrauben  verändern.  Verschiedene  Gegen- 
stände haben  ein  verschiedenes  specifisches  Gewicht,  daher 
schwimmen  z.  B.  Fetlkugeln  stets  auf  der  Oberfläche-,  es 
könnte  sich  leicht  der  Anfänger  begnügen,  wenn  er  nur  diese 
sieht,  verkürzt  er  aber  die  Focaldistanz  (durch  Niederschrau- 
ben), so  sieht  er  erst  noch  andere  Gegenstände,  welche  tie- 
fer gelegen  sind. 

Staub- und  Zeug fä den  geben  nicht  selten  zu  Ir- 
rungen Veranlassung,  sie  sind  ungeformte,  oft  mit  hakigen 
Ausläufern  versehene  oft  zellige  Zasern,  manchmal  grün,  blau, 
auch  roth ,    von  Staubfäden  ,    welche  von  Kleidern  kommen. 

Luftblasen.  Diese  erscheinen  von  sehr  verschiedener 
Grösse ,  im  Innersten  einen  grossen  hellen  Fleck  zeigend , 
dann  kömmt  ein  schwarzer  oder  brauner  Reif ,  dann  ein  sehr 
feiner  weisser,  und  an  der  äussersten  Fläche  ein  schwarzer 
Reif.  Die  Luftblasen  sind  meistens  rund.  Fetttröpfchen 
kommen  fast  überall  vor,  sie  unterscheiden  sich  von  den 
Luftblasen  dadurch ,  dass  sie  eine  wahre  Kugelschattirung 
zeigen ,  nicht  aus  mehreren  Ringen  bestehen ,  und  an  der 
Seite  des  Lichts  bläulich  oder  gelblich  opalisiren ,  je  kleiner 
sie  sind,  desto  deutlicher  die  Contour,  desto  leichter  eine 
Verwechslung  möglich. 

Infusorien  geben  zu  Irrschlüssen  Veranlassung.  Sie 
kommen  in  jeder  thierischen  Flüssigkeit  vor,  welche  eine  Zeit 
der  Luft  ausgesetzt  ist,  und  entstehen  um  so  schneller,  je 
wärmer  es  ist,  im|Sommer  schon  in  ein  paar  Stunden.  Man  muss 
eben  desshalb  zum  Befeuchten  der  Objecte  stets  destillirtes 
Wasser  nehmen,  und  dieses  muss  früher  für  sich  geprüft 
werden.  Jedes  Wasser ,  wenn  es  länger  steht,  enthält  In- 
fusorien y  und  so  geschieht  es ,  dass  die  so  zu  dem  Objecte 
mit  einem  Wassertropfen  gebrachten  Infusorien  als  dem  Ob- 
jecte angehörig  nicht  selten  gehalten  werden. 

Thränen  im  Auge  und  auch  auf  das  Ocular  durch  Be- 


551 

rührung  gebracht ,  können  Täuschungen  veranlassen ;  man 
muss  das  Auge  stets  trocken  erhalten. 

Die  Mouches  volantes  erscheinen  den  meisten  Beob- 
achtern. Man  erkennt  sie  leicht  durch  das  Bewegen  des  Auges, 
wo  sie  ihre  Stelle  stets  verändern. 

Lange  Augenwimpern,  wenn  man  mit  deren  Spi- 
tzen das  Ocular  berührt^  werden  im  Objecte  scheinbar  ge- 
sehen, es  ist  daher  bei  dem  Neigen  des  Auges  darauf  Rück- 
sicht zu  nehmen. 

Das  Eintrocknen  der  befeuchteten,  oder  ursprüng- 
lich flüssig  auf  das  Objectglas  gebrachten  Gegenstände,  gibt 
Anfängern  besonders  häufig  zu  Irrschlüssen  Veranlassung. 
Gegenstände,  welche  erst  dann  gesehen  werden,  wenn  das 
Fluidum  auf  dem  Objectglase  eintrocknet ,  sind  nicht  zu  be- 
rücksichtigen ,  es  entstehen  am  häufigsten  Krystalle ,  und 
Körner  von  verschiedenen  Formen,  auch  dentritische  For- 
men von  eingetrockneter  organischer  Substanz,  wo  man  dann 
gar  nicht  bestimmen  kann ,  womit  man  es  zu  thun  hat ;  es 
ist  also  eine  Hauptregel,  die  zu  beobachten  ist,  dass  man 
die  Gegenstände  während  des  Beobachtens  nicht  eintrocknen 
lasse ;  selbst  ein  Wiederbefeuchten  ist  schon  nicht  mehr 
räthlich,  man  nehme  lieber  eine  neue  Portion  zur  Beobachtung, 

Formen  und  Färbung  der  Objecte. 

Der  Raum  der  mir  gegönnten  Blätter  gestattet  mir  nicht, 
mich  in  ein  Detail  der  verschiedenen  Formen  der  Gegen- 
stände ,  wie  es  einer  Histologie  zukommt,  hier  einzulassen, 
ich  werde  später  so  viel  als  möglich  das  Nöthige  erwähnen, 
hier  soll  nur  das  Allgemeine  angegeben  werden. 

Kugeln  unterscheidet  man  von  Platten  dadurch,  dass 
man  das  Fluidum  am  Glase  fliessen  lässt  (durch  Neigen  des 
Mikroskopes).  Kugeln  zeigen  auch  beim  Rollen  die  runde 
Gestalt,  während  runde  Platten  (z.B.  Blutkörperchen)  beim 
Rollen  eine  bald  elliptische ,  bald  verschieden  geformte  Pro- 
jection  abwechselnd  mit  der  runden  Form  zeigen.  —   Ist  ein 


5Ä2 

Körper ,  der  Kugelgestalt  zeigt,  flüssig  (Öhltröpfchen) ,  so 
nehmen  die  Kugeln  beim  Fliessen  oder  beim  Aufdrücken  des 
Deckglases  bald  eine  birnförmige ,  bald  eine  andere  Gestalt 
mit  Ausbuchtungen  an. 

Starre   oder  festweiche  Kugeln  bekommen  meist  Risse 
oder  eckige  Unformen,    auch  erscheinen  sie  gestreift   oder 
strahlig.  Je  dicker  ein  linsen-  oder  ein   eiförmiger  Körper 
erscheint,  desto  schwerer  ist  der  Kern,  wenn  er  einen  oder 
mehrere  enthält,  zu  sehen,  es  muss  stets  der  Focus  mit  der 
feinen  Stellschraube  verändert  werden.  Krystalle  sind  immer 
der  Form  nach  schwer  zu  bestimmen ,  wenn  sie  ganz  durch- 
sichtig sind ,  man  muss  da  Blendung  anbringen  und  den  Fo- 
cus stets  wechseln ,  denn  dabei  werden  immer  neue  Kanten 
zum  Vorschein  kommen  auf  einer  früher  ganz  glatt  erschie- 
nenen Fläche.  Man  muss  sich  hüten,  aus  einer  blossen  Pro- 
jection,    die  ein  Krystall  bietet,    schon  die  Form   oder  das 
Krystallsystem  genau  bestimmen  zu  wollen.  Man  betrachte 
stets  mehrere  Krystalle ,  um  zu  einem  Resultate  zu  kommen. 
Bei  Krystallformbestimmung  wende  man  so  viel  als  nur  mög- 
lich kleine  Vergrösserungen  an-,  eben  so  müssen  bei  Bestim- 
mung der  Farbe  eines  Gegenstandes  kleine  Vergrösserun- 
gen angewendet  werden;  denn  je  stärker  die  Vergrösserung, 
desto  undeutlicher  die  Farbe ,  so  erscheinen  oft  roth,  grün 
oder  gelb    gefärbte   Gegenstände  bei  starker  Vergrösserung 
farblos. 

Ich  werde  im  praktischen  Abschnitte  stets  die  Mikrosko- 
pie mit  dem  chemischen  Theile  verbinden,  und  die  Formen 
der  Krystalle  und  anderen  Gegenstände,  insoweit  sie  bei  Un- 
tersuchungen behufs  der  Diagnose  öfter  vorzukommen  pfle- 
gen, beschreiben. 

Ich  will  nun  nur  das  allerwich tigste  vom  chemischen 
Apparate  angeben,  inwieweit  der  Praktiker  damit  ausreichen 
kann,  und  man  wird  sehen,  dass  man  mit  sehr  Wenigem  viel 
leisten  kann ,    wenn  man  die  Sache  nur  ernstlich  betreibt. 


563 


Chemische  Apparate 

und  Reagentien, 

welche  zu   diagnostischen  l  Fntersuchungen 

hinreichen* 

Ich  bin  fest  überzeugt,  dass,  je  mehr  wir  den  chemischen 
Apparat,  je  mehr  wir  die  Untersuchungsmethoden  vereinfachen, 
desto  grösser  die  Verbreitung,  desto  rascher  der  Fortschritt 
unserer  Wissenschaft  sein  wird  ,  desto  mehr  praktische  An- 
wendung findet  sie  bei  dem  ärztlichen  Publicum,  und  ist  die- 
ses der  Fall,  so  werden  wir  um  so  schneller  mit  Thatsachen 
bereichert,  abgesehen  von  dem  grossen  Nutzen,  den  schon 
die  chemische  und  mikroskopische  Untersuchung  selbst  am 
Krankenbette  gewährt.  Der  Apparat,  den  ich  zusammen-^ 
stelle,  reicht  für  das  Nothwendigste  aus,  er  erfordert  we-> 
der  Raum  noch  viel  Geld ;  ein  Tisch  in  einer  Fensterniesche 
reicht  hin  ,  um  als  Laboratorium  zu  dienen ;  30  fl.  C.  M.  rei-* 
chen  hin ,  um  sich  das  Nothwendigste  ausser  einer  empfinde 
liehen  (hydrostatischen)  Wage  anzuschaffen.  Die  Ärzte  sind 
der  Meinung,  dass  ein  ganzes  Laboratorium  nöthig  ist,  und 
das  schreckt  die  meisten  ab,  die  Chemie  in  der  Praxis  zu 
benützen,  wenn  sie  gleich  bereits  einsehen,  dass  sie  unent- 
behrlich ist,  ja  zu  gewissen  Diagnosen  sogar  das  einzige 
Mittel  bietet. 

Mein  eifrigstes  Streben  geht  daher  immer  dahin,  die 
Chemie  und  Mikroskopie  so  viel  als  möglich  für  den  prakti- 
schen Arzt  zugänglich  zu  machen ,  und  ihm  durch  einfache 


554 

Apparate  und   einfachen  Untersuchungsmethoden  so  schnell 
als  möglich  zu  Hülfe  zu  kommen. 

Apparate. 

1.  Probirgläser;  6 — 8"  lange  ,  4 — 6"  weite  unten 
zugeschmolzene  Glascylinder  aus  gut  gekühltem  Glase.  Man 
braucht  12< — 20  Stück.  Um  sie  aufzustellen ,  dient  ein  höl- 
zernes Staliv  aus  Holz  mit  zwei  Reihen  Löchern.  Man  braucht 
sie  um  Reactionen  anzustellen ,  oder  um  über  der  Spiritus- 
lampe zu  kochen. 

Einige  Probirgläser  hat  man  mit  Graduirung,  von  0,5 
bis  10  Gram.,  um  annähernde  quantitative  Bestimmungen  zu 
machen,  auch  kann  man  dünnere  nach  Granen  gelheilt  haben. 

2.  Beohergläser,  welche  ebenfalls  als  Reagens- 
gläser dienen;  sie  sind  weit  bequemer  als  erstere,  wenn  man 
die  Reactionen  anstellt,  ohne  zu  kochen.  Man  braucht  8 — 12. 
Es  sind  die  gewöhnlichen  Liqueurstampergläser,  oben  1 — 2'/2" 
weit;  sie  müssen  aus  dünnem,  besonders  in  der  Spitze  rei- 
nem Glase  sein ;  sie  lassen  sich  sehr  schnell  reinigen ,  sind 
daher  in  den  meisten  Fällen  bequemer  als  erstere. 

3.  Glasstäbe  braucht  man  mehrere  von  verschiedener 
Länge  und  Dicke;  sie  müssen  an  den  Enden  glatt  geschmol- 
zen sein,  und  dürfen  in  der  Mitte  kein  Röhrchen  haben,  son- 
dern müssen  ganz  massiv  sein. 

4.  Verschiedene  Cylindergläser;  vorzüglich  von 
3  Grössen:  von  i'  Weite  und  3 — 4"  Höhe,  dann  von  l'/4" 
Weite  und  5"  Höhe,  und  von  2—3'  Weite  und  6— 8" Höhe. 
Diese  sind  unentbehrlich,  besonders  um  Sedimente  aus  einer 
Flüssigkeit  (Harn)  absetzen  zu  lassen,  und  sie  zu  sammeln. 

Von  jedem  dieser  hat  man  einen  oder  mehrere  mit  Thei- 
lungen  nach  25  bis  200  Grammen,  welche  an  der  Wand  ein- 
geschliffen sind ;  man  braucht  sie  bei  der  annähernden  quan- 
titativen Analyse,  um  Wägungen  zu  er^aren  oder  jene  doch 
dem  Wesentlichsten  nach  anstellen  zu  können ,  wenn  man 
keine  Wage  hat. 


655 

6.  Glaskolben  zum  Erhitzen  grösserer  Mengen  einer 
Flüssigkeit,  besonders  um  Harn  von  Albumin  zu  befreien, 
um  ihn  dann  weiter  untersuchen  zu  können.  Die  besten  sind 
die ,  welche  einen  platten  Boden  und  an  der  Mündung  einen 
Ring*  haben;  je  dünner  der  Boden,  desto  weniger  leicht  springt 
er  beim  Erhitzen.  (Retorten  werden  sehr  seltengebraucht.} 

6.  Ammoniakapparat  (nach  meiner  Angabe).  Ein 
Kolben  mit  einem  Stöpsel ,  durch  den  ein  Glasrohr  geht ,  in 
welchem  nasses,  rothes  Lakmuspapier  steckt;  wird  die  Flüs- 
sigkeit im  Kolben  erhitzt ,  so  geht  das  Ammoniak  oder  koh- 
lensaure Ammoniak  mit  den  Dämpfen  fort  und  färbt  das  Lak- 
muspapier  blau. 

7.  Filtrirtri  chter  hat  man  mehrere  von  verschiede- 
ner Grösse,  die  Röhre  des  Trichters  sei  sehr  kurz  und  schief 
abgeschnitten. 

8.  Filtrirtassen  oder  Platten  von  verschiede- 
ner Grösse  mit  Löchern  von  72"  bis  3'"  Durchmesser.  Man 
lässt  vom  Glasschleifer  in  Uhrgläser  oder  längliche  Glas- 
platten die  Löcher  einschleifen.  Die  gewöhnlichen  Lichter- 
tassen können ,  wenn  sie  glatt  sind,  g*ut  gebraucht  werden. 

9.  Filtra.  a)  Offenes  Filtrum,  die  Spitze  bildet 
einen  rechten  Winkel,  also  '/j  des  Kreises,  den  man  aus  dem 
Papier  geschnitten;  zu  diesem  dienen  die  Trichter,  b)  Ge- 
schlossenes Filtrum,  wenn  noch  ein  Mal  überlegt 
wird,  der  Winkel  hat  45°.  Dazu  dienen  die  Filtrirtassen  oder 
Tafeln. 

10.  Leinwandlappen  von  zweierlei  Leinwand,  et- 
was feinere  zur  Collatur ,  besonders  um  eine  Flüssigkeit  von 
Albumin  zu  befreien,  dann  von  etwas  stärkerer  gröberer  Lein- 
wand zur  Bestimmung  des  Fibrins. 

11.  Die  Spritzflasche.  Eine  Flasche  oder  auch  Kol- 
ben mit  flachem  Boden  wird  mit  einem  Kork  versehen,  durch 
den  2  Röhren  gehen ,  eine  gebogene ,  welche  in  eine  feine 
Spitze  gezogen,  und  das  weite  Ende  taucht  in  das  Wasser 
in  der  Flasche,  eine  2.  Röhre  taucht  nicht  ins  Wasser ,   bläst 


556 

man ,  so  spritzt  bei  der  feinen  Öffnung  der  feinen  Röhre  das 
Wasser  in  einen  feinen  Strahl,  und  dient  so  sehr  gut,  um 
Sedimente  am  Filtrum  zu  sammeln ,  und  sie  zu  waschen. 

12.  Spirituslampe  aus  Glas,  man  kann  sich  selbst 
ex  tempore  eine  oder  mehrere  machen,  in  eine  Flasche  kömmt 
ein  Kork,  durch  den  ein  Blechröhrchen  geht,  wo  man  den 
Docht  durchzieht. 

13.  Spirituslampe  mit  doppeltem  Luftzug 
aus  Messing ,  deren  Docht  zum  Höher-  und  Niederschrau- 
ben  ist ,  um  die  Flamme  zu  reguliren ;  dient  um  stärkere 
Hitzegrade  anzuwenden. 

14.  Stativ  aus  Messing.  Man  kann  es  sehr  einfach 
haben.  Ein  Stab  auf  einem  Kreuzfuss.  Auf  dem  Stabe  sind 
mehrere  Ringe  (Halter)  angebracht,  das  Ganze  zum  Zerle- 
gen. Als  sehr  zweckmässig  ist  so  ein  Träger,  wo  auch  am 
Stabe  die  Spirituslampe  sich  befindet,  wie  man  solche  Appa- 
rate jetzt  überall  bekommen  kann. 

15.  Wasserbad.  Man  braucht  wenigstens  2  Wasser- 
bäder ,  wenn  man  nicht  mit  Zeitverlust  arbeiten  will.  Eine 
Schale  aus  Messing,  wo  oben  3  Platten  mit  verschieden 
grossen  Öffnungen  gelegt  werden  können.  An  der  Seite  ist 
ein  Abflussrohr  für  die  Dämpfe.  Die  Löcher  sind  nach  der 
Grösse  der  Porzellanschalen  eingerichtet.  Man  kann  das 
Wasserbad  auch  als  Öhl-  oder  Kochsalzbad,  auch  als 
S  a  n  d  b  a  d  gebrauchen. 

16.  Ab  damp  f  schale  n  aus  Porzellan.  Man  braucht 
verschiedene  Grössen,  von  jeder  doch  wenigstens  3  Stücke. 
3  Grössen  sind  unentbehrlich  von  1  Zoll  Durchmesser,  dann 
von  2'/2  Zoll  bis  3"  und  von  4—5  Zoll.  Die  besten  in  Form, 
Gestalt  und  Stoff  sind  die  Schlaggenwalder  und  Berliner. 

17.  Eine  Reibschale  oder  Mörser  aus  Porzellan 
von  einigen  Zollen  Durchmesser,  ist  zum  Pulverisiren,  Men- 
gen etc.  nöthig. 

18.  Eine  Glasglocke  mit  Un  (  er  s  atz  zum  Trock- 
nen neben  Schwefelsäure.  Eine  Glocke,  welche  unten  gut 


537 

eben  abgeschliffen  ist,  steht  auf  einer  sehr  eben  matt  ge- 
schliffenen Glasplatte. 

19.  Eine  Platinschale.  Eine  Platinschale,  welche 
auch  mehr  die  Tiegelform  haben  kann ,  von  '/,"  Durchmesser 
und  sehr  dünn,  dann  mit  einem  Deckel,  ist  zur  Bestimmung 
der  feuerfesten  Salze  nöthig,  auch  ein  Porzellantiegel,  wenn 
er  dünn  ist ,  ersetzt  sie  in  vieler ,  besonders  letzterer  Be- 
ziehung. 

20  und  21.  Zwei  Platinlöffel  von  der  hier  aufge- 
zeichneten Form,  besonders  der  grössere  ist  zur  Prüfung  von 
Sedimenten,  dann  zum  Aufsammeln  verschiedener  Stoffe  (Ei- 
ter, Lymphe  etc.)  ein  ganz  unentbehrliches  Instrument,  der 
kleinere  dient  zu  Löthrohrproben  (bei  Prüfung  von  Concre- 
tionen  etc.).  Die  Löffel  werden  in  Kork  gesteckt,  um  sie  zu 
halten,  wenn  sie  heiss  werden. 


22.  Ein  L  ö  t  h  r  o  h  r  ist  besonders  zur  Prüfung  ge- 
wisser Harnsedimente  und  Concretionen  unentbehrlich.  (Das 
Weitere  in  Berzelius's  Lehrbuch,  oder  dessen  »Anwen- 
dung des  Löthrohres.«) 


558 


23.  Das  Urometer.  Dieses  ist  ein 
kleines  Aräometermit  B  e  a  u  m  e'schen  Gra- 
den von  0°  (=  Wasser)  bis  8°  oder  vom 
spec.  Gewichte  1000—1058.  Sind  Bean- 
m  e'sche  Grade  aufgezeichnet,  so  niulti- 
plicire  man  dieses  mit  7  und  erfährt  so  bei- 
läufig' wenigstens  in  den  niedrigeren  Gra- 
den ,  wie  viel  das  spec.  Gewicht  über  das 
des  Wassers  (=  1000)  beträgt.  Es  ist  in 
einem  Etuis,  und  ist  zu  den  meisten  Be- 
stimmungen hinreichend ,  ohne  dass  man 
zur  Wage  Zuflucht  nehmen  muss.  Es  ko- 
stet 2  fl. ,  und  ist  im  hiesigen  Laborato- 
rium stets  zu  bekommen.  Das  Christi- 
son'sche  mit  den  Glaskügelcben  ist  gut 
aber  unbequemer  und  viel  kostspieliger. 

24.  Thermometer.  Ambesten  ganz 
aus  Glas ,  wo  auf  der  Glasröhre  die  100- 

theilige  Scala  aufgeschliffen  ist.    Das  Quecksilberbehältniss 
sei  länglich,  um  es  bequem  überall  anbringen  zu  können. 

25.  Wage  und  Gewichte.  Eine  Wage,  welche  bei 
einer  Belastung  von  einigen  Grammen,  1  Milligramm  aus- 
schlägt ,  ist  zu  quantitativen  Analysen  hinreichend.  Die  Ge- 
wichtseinsätze von  50  Gr.  bis  ein  Milligr.  sind  hinreichend. 
(1  Gr.  =  13,7  Grane.)  Eine  Wage  von  Kraft  in  Wien  ko- 
stet 25  fl.  C.  M.  Die  Gewichte  15  fl. ;  sie  sind  sehr  empfeh- 
lenswerth.  Beim  Wägen  bedient  man  sich  als  Tara,  am  be- 
sten der  Bleischrote  mit  Glasperlen  (Schmelz).  In  das  nä- 
here Detail  kann  hier  nicht  eingegangen  werden. 

Reagentien. 

1.  Ätzkali  in  concentrirter  Lösung  dient  haupt- 
sächlich zur  Heller'schen  Zuckerprobe  zur  Entdeckung  des 
Ammoniaks  und  als  Lösungsmittel. 

2.  Ammoniak.  Zur  Fällung  der  Erdphosphate,  zum 


559 

Neutralisiren  ,  Entdeckung-  der  Salzsäure,    Essigsäure  und 
Harnsäure. 

3.  Kalkwasser,  zur  Entdeckung  der  Kohlensäure, 
Oxalsäure ,   Phosphorsäure. 

4.  Concentr.  Salp  eter  säure.  Diese muss  chemisch 
rein  sein,  muss  völlig  durch  Silber  von  Salzsäure  frei  ge- 
macht sein ,  und  darf  auch  kein  Silbersalz  enthalten.  Dient 
zur  Erkennung  von  Harnsäure,  Zucker;  Biliphäin  ,  Uroxan- 
thin,  Albumin,  Chondrin,  ferner  als  Lösungsmittel. 

ö.  Concentr.  S  a  lz  säur  e  (nicht  so  sehr  concentrirt, 
dass  sie  zu  sark  raucht;  von  1,12).  Zur  Ausscheidung  der 
Harnsäure,  zur  Erkennung  von  Ammoniak,  auch  Uroxan- 
thin  etc. 

6.  Schwefelsäure.  Sie  wird  seltener  gebraucht; 
die  verdünnte  hat  auf  1  S.  5  Wasser. 

7.  Essigsäure  concentrirte.  Beim  Mikroskop  unent- 
behrlich zur  Entdeckung  von  Zellenkernen  etc. ;  ferner  dient 
sie  zur  Erkennung  von  Case'in ,  Chondrin ,  Schleim.  Als 
Lösungsmittel. 

8.  Oxalsäure  auf  Kalk,  Casein  ,  Chondrin.  (Auch 
oxalsaures  Ammoniak  besonders  auf  Kalk.) 

9.  Salpetersaures  Silberoxyd  zur  Entdeckung 
von  Salzsäure  und  Chlorverbindungen,  aus  der  angesäuer- 
ten Flüssigkeit,  dann  der  Phosphorsäure  etc. 

Dieses  Reagens  muss  in  einer  Flasche  aus  schwarzem 
Glase  (Hyalith)  aufbewahrt  werden. 

10.  Chlor baryum  (salzsaurer  Baryt),  zur  Entde- 
ckung der  Schwefelsäure  und  Sulfate,  Phosphorsäure. 

11.  Kaliumcisencyanür  (blausaures  Eisenkali) 
unentbehrlich  zur  Entdeckung  einer  Proteinverbindung ,  aus 
deren  essigsaurer  oder  salzsaurer  Lösung  (die  Reaction 
entsteht  nur  in  der  saure  n  Flüssigkeit),  dann  des  Eisens  etc. 

12.  H  y  dr  o  thions  aures  Ammoniak,  um  Eisen, 
Kupfer  und  andere  Metalle  zu  entdecken. 

13.  Alaun,  Reagens  auf  Chondrin,  besonders  um  es 


560 

von  Glutin  zu  unterscheiden  ,  ersteres  wird  stark  gefällt,  im 
Überschusse  des  Reagens  ist  der  N.  löslich;  auch  auf  Pyin, 
Mucin  (Schleimstoff). 

14.  Gallustinctur  oder  Gerbsäurelösung, 
Reagens  auf  Chondrin,  Glutin,  Schleim  (nicht  Speicbelstoff) 
es  gibt  oft  zu  Täuschungen  Veranlassung. 

15.  Phosphorsaures  Natron;  auf  Magnesia  be- 
sonders. 

16.  Platinchlorid  auf  Kali,  Proteinverbindungen, 
Leim ;  es  ist  Vorsicht  wegen  häufigen  Verwechslungen  nöthig. 

17.  Eisenchlorid  (salzsaures  Eisenoxyd)  auf  Hy- 
drothionsäure  ,  auf  Schwefelcyanwasserstoffsäure  (im  Spei- 
chel). 

18.  Xyloidin,  es  wird  ex  tempore  gemacht,  indem 
Stärke  mit  Wasser  angemacht,  dann  mit  conc.  Salpetersäure 
versetzt  wird_,  bis  eine  Gummischleim  ähnliche  Masse  ent- 
steht, es  ist  das  höchst  empfindlichste  Reagens  auf  Jod. 

19.  Schwefeläther,  er  muss  möglichst  frei  von 
Wasser  und  Alcohol  sein.  Ausziehmittel  für  Fett ;  fällt  ge- 
wisse Proteinverbindungen  (wovon  ein  Andermal). 

20.  Absoluter  Alcohol.  Jedoch  reicht  einer  der  nicht 
schwerer  ist  als  0,800,  für  die  meisten  Fälle  aus.  Trennungs- 
mittelfür Harnstoff,  Fett,  Alcoholextract,  Fällungsmittel  für 
Albumin  u.  a.  Proteinverbindungen,  Leim,  Zucker  etc. 

21.  Alcohol  von  0,830;  als  Lösungsmittel  für  sehr 
verschiedene  Stoffe. 

22.  Alcohol  von  0,930;  wird  erhalten  durch  Mischen 
des  vorigen  mit  gleichen  Theilen  destillirten  Wassers  Beson- 
deres Lösungsmittel  für  Blutkörperchen  und  Zucker  etc. 

23.  Jodtinctur,  besonders  zu  mikroskopischen  Un- 
tersuchungen ,  ebenso 

24.  Kochsalzlösung;  diese  muss  bereitet  werden > 
indem  man  heisse  höchst  concentrirte  Kochsalzlösung  filtrirt, 
dann  einen  Theil  Kochsalz  heraus  krystalli&iren  lässt ,  und 
diese  Krystalle  erst  auflöst. 


561 

25.  Blaues  Lackmuspapier;  bei  der  Bereitung" 
desselben  ist  eine  wichtige  Regel  zu  beobachten.  Ist  der  Lack- 
mus in  heissem  Wasser  gelöst ,  so  muss  mit  Schwefelsäure 
das  kohlensaure  Alkali,  welches  der  Lackmus  stets 
enthält ,  neutralisirt  werden ,  es  muss  mit  einem  Glasstab  so 
lange  Schwefelsäure  zugesetzt  werden,  bis  ein  Stich  ins 
Violette  eintritt,  dann  färbt  man  erst  das  Papier,  welches 
ein  möglichst  feines  jedoch  nicht  zu  dünnes  Druckpapier  sei. 

26.  Rothes  Lackmuspapier.  Man  färbt  die  blaue 
Tinctur  mittelst  Schwefelsäure  durch  sehr  vorsichtigen  Zu- 
satz roth ,  es  darf  nicht  mehr  Säure  zugesetzt  werden ,  als 
zum  roth  oder  eigentlich  mehr  violett  roth   färben  nöthig  ist. 

Was  die  Concentration  der  Reagentien  betrifft,  so  ist 
es  stets  am  besten,  so  viel  von  dem  Reagens  zu  lösen,  dass 
eine  höchst  concentrirte  Lösung  entsteht,  ohne  dass  jedoch 
beim  ruhigen  Stehen  immer  ein  Bodensatz  durch  Herauskry- 
stallisiren  des  Reagens  entsteht. 


GaaT  Diagnostik.  36 


568 


Grundlehren 

der 

pathologisch -chemischen  und  mikroskopischen  Unter- 
suchung. 

Wir  kommen  nun  zu  der  chemischen  und  mikroskopischen 
Untersuchung*  der  physiologischen  und  pathologischen  Pro- 
duete.  Der  kleine  Raum,  der  mir  hier  gegönnt  ist,  gestatte 
mir  nur  das  Wesentlichste  und  zwar  insofern  es  Gegen- 
stand einer  Beobachtung  am  Krankenbette  sein  ,  und  zur 
Diagnose  wichtig  werden  kann,  zusammenzustellen.  Ich 
kann  mich  weder  in  analytischei  noch  in  pathologischer  Be- 
ziehung in  ein  den  Gegenstand  Umfassendes  auslassen , 
ich  kann  in  diesen  wenigen  Blättern  nur  Skizzen 
für  clinische,  pathologisch  -  chemische  und  mikroskopi- 
sche Beobachtungen  liefern ;  will  jedoch  bei  jedem  Ca- 
pitel  eine  möglichst  kurze  analytische  Methode  an- 
geben ,  nur  so  weit  sie  für  den  praktischen  Arzt  ausführbar 
oder  zur  Erreichung  des  Zweckes  nothwendig  erscheint. 

Harn. 

Zuerst  werde  ich  den  Harn  nach  seinen  normalen 
Eigenschaften  und  Bestandtheilen ,  dann  nach  den  abnor- 
men Bestandtheilen  und  Verschiedenheiten  abhandeln,  nach- 
dem diess  geschehen,  werde  ich  die  analytische  Me- 
thode angeben,  wie  man  qualitativ  und  annähernd  quanti- 
tativ, wie  es  für  den  ärztlichen  Zweck  entstprechend  ist,  den 


563 

Harn  möglichst  schnell  untersuchen  kann.  Es  wäre  unmöglich 
bei  dem  beschränkten  Räume  neben  einer  solchen  Durchfüh- 
rung eine  ausführlichere  Semiotik  zu  geben,  ich  werde  daher 
das  Wesentlichste  in  Beziehung  auf  die  Krankheitserschei- 
nungen bei  den  einzelnen  Bestandteilen  angeben. 

Der  Harn   nach   seinen  normalen  Bestand- 
theilen. 

Der  Harn  ist  allerdings  eine  sehr  zusammengesetzte 
Flüssigkeit,  es  gibt  der  Bestandtheile  sehr  viele,  welche 
auch  schon  im  normalen  Harn  vorkommen,  doch  wenige  der- 
selben sind  von  besonderem  oder  wesentlichem  Belange  auf 
seine  Eigenschaften ,  nur  wenige  derselben  erleiden  durch 
pathologische  Zustände  wesentliche  Veränderungen  in  qua- 
litativer und  quantitativer  Beziehung,  welcher  Umstand  das 
pathologisch-chemische  Studium  des  Harns  ,  besonders  auch 
in  diagnostischer  Beziehung  sehr  erleichtert. 

Eigenschaften  des  normalen  Harns. 

Der  normale  Harn  ist  eine  bernstein  -  oder  weingelbe 
klare  Flüssigkeit.  Nach  kurzem  ruhigen  Stehen  setzt  sich 
eine  sehr  kleine  sehr  lockere  Wolke  ,  Schleim  ab  ,  welcher 
der  normalen  Secretion  der  Blasenschleimhaut  angehört.  Frisch 
gelassen  hat  der  Harn  einen  eigenthümlichen  nicht  unange- 
nehmen Geruch,  der  später  schwächer  und  mehr  urinös  wird. 
Der  Harn  ist  um  so  verdünnter,  je  mehr  Getränk  genossen 
wurde  Qurina  potus)  ,  und  um  so  dichter  je  mehr  diess  un- 
terlassen wurde,  und  auch  je  mehr  die  Haut  Feuchtigkeit 
aussondert.  Es  ist  daher  sein  specifisches  Gewicht  nie  con- 
stant.  Es  wird  daher  am  besten  der  Morgenharn  zur  Beobach- 
tung und  Untersuchung  genommen.  Das  specifische  Gewicht 
des  normalen  Morgenharns  geht  von  1015  bis  1025,  manchmal 
auch  darüber.  Die  Ileaction  des  Harns  ist  mässio-  sauer,  er 
röthet  blaues  Lackmuspapier  nicht  hochroth  ,   sondern  violet- 

36  # 


564 

roth.  Beim  Stehen  durch  mehrere  Stunden,  auch  länger  ^ 
darf  der  Harn  noch  nicht  alkalisch  werden,  und  darf  kein 
Sediment  machen ,  durch  Erhitzen  und  durch  Zusatz  von  Sal- 
petersäure darf  er  sich  nicht  trüben,  und  muss  durch  letztere 
seine  Farbe  etwas  ins  Röthlich«  verändern.  Noch  nicht  bis  zur 
Honigconsistenz  abgedampft  und  abgekühlt,  muss  er  beim 
Übergiessert  mit  concentrirter  Salpetersäure  ganz  fest  werden, 
welches  Krystallmagma  (salpetersaurer  Harnstoff)  beiläufig 
%  vom  Volum  des  ursprünglich  hiezu  verwendeten  Harns  be- 
trägt. In  einem  Cylinderglas  mit  etwas  Salzsäure  versetzt 
muss  sich  schon  nach  einigen  Stunden  Harnsäure  auf  der 
Oberfläche  der  Flüssigkeit,  an  den  Wänden  und  dem  Boden 
des  Gcfässes  in  dunkel  röthlich  gelben  Kryställchen  absetzen. 

Im  mit  Salpetersäure  angesäuerten  Harn  muss  1.  salpe- 
tersaures Silber  einen  starken  in  käsigen  Klumpen  fallenden 
Niederschlag  (Chlorsilber)  geben ;  wird  dieses  abfiltrirt,  das 
Filtrat  mit  Ammoniak  neutralisirt,  so  muss  durch  nochmaligen 
Zusatz  #)  von  salpetersaurem  Silber  ein  starker  strohgelber 
feiner  Niederschlag  entstehen  (phosphorsaures  Silber) ,  wel- 
cher so  wie  das  Fluidum  bald  braungrau  wird)  durch  Uroxan- 
thin);  2.  sal/.saurer  Baryt  gibt  bloss  eine  starke  Trübung,  erst 
später  einen  schwachen,  pulvrigen,  weissen  Niederschlag  (von 
schwefelsaurem  Baryt) ;  3.  der  native  Harn  mit  Ammoniak 
versetzt,  muss  sich  trüben,  und  erst  nach  einer  Weile  einen 
feinflockigen  Niederschlag  absetzen   (Erdphosphate). 

Die  Menge ,  in  welcher  der  Harn  binnen  24  Stunden 
entleert  wird ,  ist  verschieden ,  ich  glaube  48  Unzen  für  24 
Stunden,  also  2  Unzen  auf  die  Stunde,  bei  Erwachsenen  sich 
wohlnährenden,   als  das  Mittel  annehmen  zu  können. 


*)  Da  man  immer  früher  schon  Silbersalz  im  Überschüsse  zu- 
setzt, so  fällt  der  Niederschlag  auch  gleich  beim  Neutralisi- 
ren,  man  muss  dann  noch  mehr  Silbersalz  zusetzen,  um  die 
vollständige  Fällung  zu  bewirken. 


565 

Wir  wollen  nun  den  Harn  zuerst  nach  seinen  normalen 
Bestandtheilen  abhandeln ,  aber  auch  hier  zugleich  immei 
das  Pathologische  bei  jedem  Stoffe  mit  anführen. 

Alle  normalen  Stoffe  des  Harns  können  wir  in  zwei  Haupt- 
g'ruppen  bringen: 

I.  Die    wesentlichen  Normalb  es  t  andtheile    de» 

Harns. 

Diese  sind  solche,  welche  theils  in  grösserer  Menge  im 
Harn  vorkommen,  besonders  aber  in  pathologischer  Bezie- 
hung berücksichtiget  werden  müssen ,  sie  sind  ausser  dem 
Wasser : 

1.  Harnstoff,  2.  Harnsäure,  3.  Schleim,  4. 
Harnbraun  (brauner  Harnfarbestoff)  ,  5.  Uroxanthin, 
6.  das  Alcoholextract,  7.  Fett,  8.  Kochsalz, 
9.  Erdphosphate,    10.    phosphorsaures    Natron, 

II.  schwefelsaures  Kali. 

II.  Die  nicht  wesentliche nNormalbestandtheile 

des  Harns. 

Diese  sind  solche,  welche  meist  in  sehr  geringer  Menge 
im  Harn  vorkommen ,  und  welche  in  pathologischen  Zustän- 
den keinen  wesentlichen  speciellen  Veränderungen  unterlie- 
gen ,  oder  von  denen  wenigstens  bis  jetzt  keine  solchen  nä- 
her gekannt  sind,  solche  Stoffe  sind:  Das  Wassere  x- 
tract,  das  Spiritusextract,  die  Hippursäure, 
Kieselsäure,  Fluorwasserstoffsäure,  Eisen- 
oxyd u.  a.  weniger  bestimmte. 

1.      Das     Wasser. 

Die  Stärke  des  Wassergehalts  eines  Harns  sieht  man 
beiläufig  durch  Prüfung  des  Harns  auf  das  specifische  Ge- 
wicht mit  dem  Urometer;  man  bringt  das  Resultat  in  Ver- 
gleich mit  der  Stärke  der  Harnaussonderung  in  24  Stunden; 
vorausgesetzt,  dass  man  nicht  urina  potus  zur  Untersuchung- 
genommen hat;  je  mehr  Wasser,  desto  ärmer  der  Harn  an 
festen  Bestandtheilen. 


566 

Becquerel  hat  eine  Tabelle  entworfen,  aus  welcher 
hervorgeht,  dass  für  jeden  Grad  Zunahme  an  spec.  Gewicht 
der  Gehalt  an  festen  Bestandtheilen  um  1,65  steigt.  (Si- 
m  on's  Handbuch  II.  p.  341.)  Die  festen  Bestandteile  im  nor- 
malen Harn  betragen  für  1000  Theile  Harn  zwischen  25  bis  41. 
Besonders  dünner,  also  an  festen  Stoffen  armer,  Harn  kömmt 
vor  bei  Hydrurie  (Diabetes  insipidits)  ;  im  spastischen  Harn, 
bei  Hysterie,  manchmal  bei  Morbus  BriyhUi ,  bei  Uro- 
lithiasis  u.  a. 

2.  Der  Harnstoff. 
Erkennung*.  Der  Harnstoff  wird  erkannt,  wenn  er  in 
nicht  zu  geringer  Menge  vorhanden  ist ,  indem  der  Harn  bis 
auf  einen  kleinen  Rückstand,  der  aber  noch  flüssig*  ist,  ab- 
gedampft wird,  setzt  man  dann  nach  dem  Erkalten  concen- 
trirte  Salpetersäure  zu  ,  so  entstehen  sogleich  perlmutter- 
glänzende  Kryställchen  von  salpetersaurem  Harnstoff;  diese 
zwischen  Filtrirpapier  gepresst ,  erscheinen  fettig*  anzufüh- 
len und  glänzen  wie  Perlmutter,  mehr  oder  weniger.  Bei 
sehr  geringen  Mengen  muss  man  ,  wenn  so  keine  Ausschei- 
dung* erfolgt ,  den  Harnstoff  mit  absolutem  Alcohol  aus  dem 
syrupdicken  Rückstand  ausziehen,  dann  abdampfen  und  in 
wenig*  Wasser  lösen,  und  dann  concentrirte  Salpetersäure 
zusetzen. 

Mikroskopisch  wird  der  Harnstoff  immer  als  salpeter- 
saurer Harnstoff  diagnosticirt ,  und  erscheint  bald  in  rhom- 
bischen Tafeln,  bald  in  aus  kleinen  solchen  zusammengesetz- 
ten dendritischen  Formen.  Taf.  I.  Fig*.  1. 

Annähernd  quantitativ.  Man  nehme  immer  ein 
und  dasselbe  Porzellanschälchen  (von  höchstens  1  Loth), 
fülle  es  mit  dem  Harn  fast  voll,  und  dampfe  zuerst  im  Sand- 
bade,  dann  im  Wasserbade  ab,  bis  auf  einen  kleinen  Rück- 
stand,  lasse  das  Schälchen  am  kalten  Wasser  schwimmen, 
giesse  dann  concentrirte  Salpetersäure  zu ,  nach  dem  Volu- 
men des  salpetersauren  Harnstoffes  schliesst  man  auf  die 
Ab-  oder  Zunahme  ;  man  muss  sich  das  Normale  einstudirt 


567 

haben.  Für  den  Arzt  genügt  immer  die  Bestimmung'  auf  eine 
Ab-  und  Zunahme  des  Harnstoffes,  denn  beim  Normalharn 
variirt  die  Menge  von  10  bis  über  20  auf  1000  Harn.  In  den 
meisten  Fällen  ,  wo  kein  abnormer  Bestandtheil  im  Harn  ist, 
zeigt  eine  Zu-  oder  Abnahme  des  speciflschen  Gewichtes, 
auch  die  des  Harnstoffes  an ,  denn  dieser  beträgt  fast  die 
Hälfte  der  festen  Stoffe  im  Harn. 

Pathologisches  Vorkommen.  Vermehrung  des 
Harnstoffes  kömmt  immer  in  Entzündungen  vor,  Verminderung 
immer  in  solchen  Fällen  ,  wo  absolut  das  Wasser  vermehrt 
erscheint;  absolut  und  relativ  ist  er  immer  bei  Nierenkrank- 
heiten vermindert;  ferner  dann,  wenn  auf  seine  Kosten  koh- 
lensaures Ammoniak  entsteht.  Im  Typhus  ist  der  Harnstoff 
immer  etwas ,  oft  sehr  stark  vermindert. 

3.   Harnsäure. 

Vorkommen.  Die  Harnsäure  kömmt  im  Harn  als  solche 
vom  3  basisch-phosphorsauren  Natron  gelöst  vor,  sie  kommt 
auch  als  in  Sedimenten  immer  krystallisirt  vor,  in  den 
meisten  Fällen  mit  mehr  oder  weniger  Farbstoffen  ver- 
bunden. 

Ausscheidung.  Die  Harnsäure  wird  aus  dem  Harn 
am  besten  durch  Salzsäure  ausgeschieden ,  wo  sie  in  Kry- 
ställchen  an  den  Wänden  und  den  Boden  des  Gefässes  auch 
auf  den  Flüssigkeitsspiegel  sich  absetzt.  Zur  völligen  Aus- 
scheidung sind  wenigstens  12  Stunden  nothwendig. 

Man  macht  den  Versuch  immer  gleich  annähernd  qu  an- 
titati  v  auf  die  Ab-  oder  Zunahme.  Man  nehme  immer  ein 
und  dasselbe  Cylinderglas  (von  3  Unzen  wenigstens) ,  fülle 
es  bis  zu  einem  Theilstriche,  der  eine  bestimmte  Gewichts- 
menge anzeigen  kann,  mit  dem  Harn ,  und  setze  Salzsäure 
(auf  eine  Unze  etwa  10  Tropfen)  zu ,  schüttle  gut  durch, 
und  lasse  es  stehen.  Hat  man  sich  die  Ausscheidung  der  Harn- 
säure beim  Normalharn  einstudirt,  so  sieht  man  leicht  aus 
der  Dichtigkeit  der  ausgeschiedenen  Kryställchen  die  Ab- 
oder  Zunahme.  Hat  man  ein  graduirtes  Geföss  gehabt,  so 


568 

kann  man  die  Krystalle  sammeln,  wägen  und  auf  1000  Harn 
berechnen;   das  Normale  beträgt  0,5 — 0,8. 

Diagnose.  Die  Harnsäure  wird  erkannt : 

1.  An  den  verschiedenen  Krystallformen  unter  dem  Mi- 
kroskop ;  Taf.  I. ,  Fig.  2—8 ; 

2.  an  der  Unlöslichkeit  in  verd.  Säuren,  Wasser,  Alco- 
hol  und  Äther; 

3.  an  der  Löslichkeit  inÄt/Aali,  und  daraus  ist  sie  durch 
Salzsäure  fällbar; 

4.  durch  die  Probe  auf  Murexid;  es  wird  in  massig  con- 
centrirter  Salpetersäure  die  Harnsäure  unter  Erwärmen  ge- 
löst, wobei  sich  salpetrige  Säure  entwickelt;  nahe  bis  zur 
Trockene  abgedampft  und  (noch  heiss)  Ammoniak  zugege- 
ben, entsteht  eine  schön  karminrothe  Farbe  (Murexid);  man 
kann  so  die  kleinsten  Mengen  entdecken. 

Pathologisches  Vorkommen.  Vermehr  t  kömmt 
die  Harnsäure  vor  bei  Entzündungen  immer,  während  heftigen 
Schmerzen;  im  Rheumatismus  und  Gicht;  im  Typhus ,  be- 
sonders anfangs,  und  in  der  Krisis.  Vermindert  in  allen 
chronischen  Nierenkrankheiten,  Morb.  Briyhtii ,  besonders 
im  2.  Stadium,  verschwindet  oft  ganz;  ferner  in  der  Hydru- 
rie  und  bei  dissoiuter  Blutcrasis  u.  a. ,  endlich  im  klaren 
Harn  oft  fast  ganz  ,  oder  ganz  verschwindend ,  wenn  sie  im 
Sediment  als  ein  Salz  vorkömmt. 

Die  harnsauren  Sedimente  entstehen,  wenn  die 
Menge  des  3bas.  phosphors.  Natrons  im  Harn  nicht  hinreicht, 
die  Harnsäure  gelöst  zu  erhalten ;  es  entstehen  demnach 
Sedimente  von  freier  Harnsäure: 

1.  Bei  absoluter  Zunahme  der  Harnsäure  und  normaler 
Menge  phosphors.  Natrons  (diess  ist  seltener  der  Fall,  da  die 
normale  Menge  phosphorsauren  Natron  sehr  viel  Harnsäure 
lösen  kann). 

2.  Bei  Zunahme  der  Harnsäure  oder  Abnahme  des  phosphors. 
Natrons  (z.  B.  es  müssen  in  einem  solchen  Falle  die  grössten  Se- 
dimente entstehen,  welches  wir  auch  in  Entzündungen  sehen). 


569 

3.  Bei  normaler  oder  auch  selbst  stark  verminderter  Harn- 
säuremenge, aber  auch  sehr  verminderter  Menge  des  phosphor- 
sauren  Natrons  sehen  wir  Harnsäure  im  Sediment  (Morbus 
BriyhtiQ. 

Ich  kann  daher  hei  Krankheiten,  wo  harnsaure  Sedi- 
mente entstehen  (Entzündungen) ,  besonders  bei  länger  an- 
haltender harnsaurer  Diathese  (Gicht,  Rheumatismus)  das 
phosphors.  Natron  als  Heilmittel  nicht  genug  empfehlen  ;  man 
wird  nach  dessen  Gebrauch  sogleich  das  Sediment  ausbleiben 
sehen ,  was  schon  zur  Verhinderung  von  Harnconcretionen 
von  grosser  Wichtigkeit  erscheint. 

4.  Hip  purs  äure. 

Sie  ist  immer  in  höchst  geringer  Menge  im  normalen 
Harn;  sie  lässt  sich  durch  Äther  aus  dem  Harnrückstand  aus- 
ziehen. Sie  unterscheidet  sich  durch  ihre  Löslichkeit,  sowie 
durch  die  im  Alcohol,  hauptsächlich  von  der  Harnsäure ;  in 
pathologischer  Beziehung  ist  noch  nichts  Wesentliches  über 
ihre  Vermehrung  bekannt. 

5.  Schleim. 

Der  Schleim  macht  beim  kurzen  Stehen  im  normalen  Harn 
eine  sehr  lockere  kleine  Wolke;  man  erkennt  mikroskopisch 
Schleimkugeln  und  Pflasterepitheliurn  darin ;  ausserdem  dia- 
gnosticirt  sich  der  Schleim  dadurch,  dass  er  als  eine  zähe, 
zusammenhängende,  fadenziehende  Masse  am  Filtrum  bleibt, 
und  im  Wasser  unlöslich  ist. 

Vermehrung  des  Schleimes  findet  immer  bei  Blasenleiden 
Statt ,  sei  das  Leiden  von  der  Blase  selbst  oder  durch  me- 
chanischen Reiz  der  Wände  (bei  Lithiasis)  hervorgebracht. 
(Von  dem  eitrigen  Schleim  das  Weitere  beim  Eiter ;  von  der 
Wirkung  des  Schleimes  auf  den  Harn  beim  kohlensauren 
Ammoniak.) 

6.  Fett. 

Das  Fett  des  Harns ,  wenn  es  in  normaler  Menge 
da  ist,  gibt  sich  stets  zu  erkennen,  wenn  der  Harn  (etwa 
1  Unze)  im  Wasserbade  abgedampft ,  und  der  Rückstand  mit 


670 

kaltem  Äther  gut  ausgezogen  wird  ,    beim  Verdampfen   des 
Äthers  bleibt  das  Fett  zurück. 

Das  Fett  erscheint  im  Harn  oft  stark  vermehrt,  so  be- 
sonders im  vorgerückten  Verlauf  der  Tuberculose  ,  auch  in 
Puerperalkrankheiten  u.  a. 

I     Bämaphaein. 

Dieses  ist  der  braune  Farbstoff  des  Harns,    e  ier 

braune  Blutfarbestoff,  welcher  mit  dem  Harn  als  zur  weiteren 
Ernährung  des  Organismus  unbrauchbar  ausgeschieden  wird. 
Dieser  Stoff  beiludet  sich  immer  beim  Alcoholextract ,  wenn 
es  analytisch  ausgeschieden  wird,  von  welchem  er  nicht  völlig 
befreit  werden  kann.  Das  Hämaphaein  ist  in  um  so  grösserer 
Menge  vorhanden ,  je  dunkler  der  Harn  (wenn  die  Färbung 
nicht  von  einem  abnormen  Bestandtheile  herrührt):  je  reicher 
das  Blut  an  Hämaphaein,   desto  dunkler  davon  der  Harn. 

So  sehen  wir  es  vorzüglich  vermehrt  im  Typhus  und  al- 
len Krankheiten .  welche  ähnliche  Blutform  zeigen  ,  vermin- 
dert in  jedem  sogenannten  anämischen  Harn. 
8.  Uroxanthin  *). 

Ich  habe  es  in  geringer  Menge  im  normalen  Harn  ent- 
deckt, wird  der  Harn  mit  einer  Säure  ("Salpeter-,  Salz-  oder 
S  hwefelsäure)  versetzt,  so  färbt  er  sich  röthlich  oder  später 
violettroth.  Es  scheidet  sich  nach  2'i  Stunden  die  Harnsäure 
braunroth  ab.  zieht  man  sie  mit  kaltem  Alcohol  aus,  so  färbt 
sich  dieser  roth  (Urrhodin)  ,  die  Lösung  wird  beim  Stehen 
violett  ffroglaucin  ). 

Das  Uroxanthin  ist  ein  gelber,  saurer  Farbstoff,  und 
«eheint  hauptsächlich  die  saure  Reaction  des  Harns  zu  ver- 
ursachen .  je  mehr  es  zugegen ,  desto  mehr  gelb  färbt  es 
den  Harn. 

Es  wird  durch  Oxydation  in  einen  schön  blauen  Farb- 
stoff, Uroflaocin,  und  einen  schön  carminrothen,  L*  r  r  h  o- 


*0  Heller,    aber  neue  Farbstoffe    im    Hirn    etc.,    Archiv    för 
phyaiol.  nnl  pathol.  Chemie  and  Mikroskopie    1915.   Hft.  3.) 


571 


d  i  n.  verwandelt.   Dieses  ist  im  kalten,  jenes  nur  im 
dem  Alcohol  löslieb,   woraus  es  inkornblumenblätterähnliehen 
fauch  rein  prismatis  chön  blauen  Krystallgruppen  ans- 

•hieden  wird. 

d  die  Harnsäure   aus  einem  Harn ,    der  fiel  Uro- 
xanthin  enthält,   durch  eine  Säure  ausgeschieden,  so  erseheint 
ultramarinblau  mit  kopferrothem  Metallglanz,  oder  ame- 
thist  färben. 

Der  Harn ,  welcher  viel  L'roxanthin  enthält ,  wird  durch 
Salpetersäure  violett  oder  auch  rosa,  je  nachdem  meh: 
weniger  des  rofhen  oder  blauen  Farbstoffes   entsteht,    auch 

hiebt  diess  schon  an  der  Luft. 

Beim  Stehen  setzen  sieh  Uro  glaucinkiyst  alle  in  spi 
förmigen  Gruppen ,  besonders  an  der  Oberfläche  ab,  die 
auch  in  den  Harnsedimenten  findet.  Taf.  I.  Fig.  9.  10. 

Vermehrt  erseheint  ^lauein.  oder  manchmal 

sen  Producte  Urrhodin  und  froglaacin.  in  solchen  Krank- 
heiten .  wo  viel  Harnstoff  im  Blut  find  wo  Harnverhal- 
tung oder  Verminderung  der  Harnseeretion  statt  findet,  also 
im  Morb.  Erightti .  Cholera,  Isehnrien  ithiasis  .  Er- 
schütterung des  Rückenmarkes  n.  a. 

Es  erscheinen  dann  oft  blaue  Sedimente  im  Harn  f  Brae- 
connots  Cyanurin)  und  es  erscheint  der  Harn  dadurch  (durch 
B  .-pension  derselben)  Hau  oder  grün.  An»  den  Sedimenten 
lässt  sich  l'roglauein  und  Urrhodin  ausziehen.  Ist  ein  Harn 
albuminüs .  so  fallt  das  Albumin  durch  Salpetersäure  violett, 
oder  wird  es  beim  kurzen  Stehen  schon. 

9.  Die  feuerbeständigen  ('mineralischen)  Salze. 

Von  diesen  sind  einige  in  grösserer  Menge  im  Harn . 
und  erscheinen  in  ph;  -  bischer  nnd  pathologischer  Bezie- 
hung von  der  grössten  Wichtigkeit.  Die  gesamtste  Menge 
der  feuerfesten  Salze  erhält  man,  wenn  man  eine  Portion 
Harn  verdampft ,  den  Rückstand  in  einer  Schale  ans  Platin 
oder  Porzellan  ganz  verbrennt,  bis  keine  Kohle  da  ist. 


57* 

dem  eine  weisse  Salzinasse  zurückbleibt,  welches  durch  Bei- 
hilfe einiger  Tropfen  Salpetersäure  erzielt  wird. 

Folgende  4  Salze  sind  in  pathologischer  Beziehung 
sehr  wichtig : 

1.  Die  Erdphosphate  (phosphorsaurer  Kalk  und  Mag- 
nesia). 

2.  Die  Chloride  (meist  Kochsalz). 

3.  Das  basisch  phosphorsaure  Natron ,  und 

4.  Die  Sulfate  (meist  schwefelsaures  Kali). 

Die  Bestimmung*  geschieht  gleich  annähernd  quantitativ 
am  besten  mit  dem  nativen  Harn. 

Man  benützt  hiezu  4  gleich  grosse  Gläschen,  welche 
eine  beliebige  Graduirung  oder  paar  Theilstriche  haben.  In 
diesen  studiert  man  sich  die  Reactionen  mit  dem  normalen 
Harn  ein.  Man  muss  immer  in  jedes  eine  gleiche  Menge 
Harn  giessen. 

1.  Die  Erdphosphate  werden  erkannt  durch  einige 
Tropfen  Ammoniak.  Es  entsteht  sogleich  eine  Trübung,  dann 
ein  geringer  Niederschlag  im  normalen  Harn  ;  unter  dem  Mi- 
kroskop erscheint  der  Niederschlag  als  Sternchen. 

2.  Die  Sulfate.  Der  Harn  mit  Salpetersäure  ange- 
säuert ;  wird  mit  salzsaurem  Baryt  versetzt ,  es  entsteht  im 
normalen  Harn  eine  weisse  Trübung ,  später  ein  geringer 
weisser  Niederschlag. 

3.  Die  Chloride  (Kochsalz).  Wieder  angesäuerter 
Harn,  aus  dem  die  Erdphosphate  durch  Ammoniak  bereits  ent- 
fernt wurden,  wird  mit  salpetersaurem  Silber  imÜberschusse 
versetzt ,   es  fällt  Chlorsilber  in  starken  käsigen  Brocken. 

4.  Phosphorsaures  Natron.  Derselbe  Harn,  aus 
welchem  das  Chlor  bereits  gefällt  wurde,  wird  filtrirt ,  wo 
das  Chlorsilberam  Filtrum  bleibt,  dieses  wird  mit  ein  paar  Tro- 
pfen destillirten  Wasser  gewaschen;  das  Filtrat  wird  mit  Am- 
moniak neutralisirt,  es  fällt  gleich  beim  Neutralisiren  schon 
phosphorsaures  Silber;  welche  Phosphorsäure  dem  3basisch 
phosphorsauren   Natron   entspricht.   Man  muss  durch  einen 


573 

neuen  Zusatz  von  Silbersalz  sehen,  ob  kein  Niederschlag*  mehr 
entsteht.  Er  ist  im  normalen  Harn  häufig*,  pulvrig*,  strohgelb, 
wird  aber  sehr  schnell  grau  (Reaction  des  Uroxanthins)  ;  wird 
die  Reaction  mit  der  Lösung  der  Salze,  die  durch  Verbren- 
nen des  Harnrückstandes  erhalten  wurden ,  angestellt,  so  ist 
das  phosphorsaure  Silber  immer  bleibend  lichtgelb  und  nicht 
so  schnell  grau  werdend. 

Meistens  stehen  die  Erdphosphate  im  Gegensatz  zum 
phosphorsauren  Natron.  Erstere  sind  im  klaren  Harn,  der  al- 
kalisch ist,  immer  vermindert  oder  auch  verschwunden, 
weil  sie  im  Sedimente  ausgeschieden  sind. 

Die  Menge  der  feuerfesten  Salze  im  normalen  Harn  ist 
für  1000  Theile  10—15,  gewöhnlich  11  oder  12. 

Verminderung  der  feuerfesten  Salze  findet  bei  jeder  Nie- 
renkrankheit statt,  oft  bis  auf  höchst  geringe  Mengen  jener, 
Verschwinden  einzelner  bis  auf  geringe  Spuren.  Ferner  in 
Entzündungen  ,  wo  (loch  die  Sulphate  vermehrt  sind.  Im 
Typhus  sind  die  Salze  sehr  verringert,  besonders  sehr  stark 
das  Kochsalz  und  auch  die  Sulphate ,  welches  besonders  im 
Vergleiche  mit  entzündlichem  Harn  wichtig  ist.  Bei  Morb. 
Brightii  vermindern  sich  die  Salze  mit  dem  Vorschreiten  der 
Krankheit,  besonders  das  Kochsalz.  In  derHydrurie  ist  stets 
das  Kochsalz  sehr  vermehrt,  so  auch  bei  Ascites  und  Ana- 
sarca ,  wenn  kein  Nierenleiden  zu  Grunde  liegt.  Die  Salze 
sind  vermehrt.  Bei  Knochenkrankheiten ,  bei  Caries  ,  Syphi- 
lis ,  vorzüglich  die  Erdphosphate  etc. 

10.  Die  extractiven  Materien. 

Von  diesen  werden  bisher  noch  keine  besonderenVerschie- 
denheiten  in  besonderen  Krankheiten  gekannt.  Wenigstens 
im  Einzelnen  nicht,  mit  Ausnahme  des  Alcoholextracts,  wel- 
ches bei  Entzündungen  vermehrt  erscheint.  In  der  Jodcur 
ist  der  Harn  immer  reich  daran ,  überhaupt,  wenn  mit  dem 
Harn  die  Haloidsalze  der  Alkalien  reichlich  abgeschieden 
werden ;  so  auch  immer  in  Hydropsien,  wo  das  Kochsalz  reich- 


674 

lieh  ist.  Jene  scheinen  als  Lösungsmittel  der  stickstoffhalti- 
gen Substanzen  aufzutreten.  Die  extractiven  Materien  kön- 
nen bei  einer  annähernden  Analyse  nicht  genau  bestimmt 
werden,  sondern  bei  der  genauem  quantitativen  Analyse.  Man 
kann  jedoch  schliessen  ,  dass  ein  Harn,  der  keinen  abnor- 
men Bestandteil,  dann  wenig  Harnstoff  enthält  und  dennoch 
ein  hohes  speeifisches  Gewicht  zeigt,  die  extractiven  Mate- 
rien vermehrt  enthält  (Hydrops). 

Von  den  nicht  wesentlichen  Bestandteilen  kann  hier 
keine  weitere  Auseinandersetzung  folgen,  da  es  nur  der  Zweck 
dieser  Bogen  ist,  für  den  Arzt  das  Wesentlichste  der  patho- 
logisch chemischen  Untersuchung  herauszuheben  ,  und  dem 
Anfänger  einen  Leitfaden  zu  geben,  den  er  dann  leichter 
weiter  zu  verfolgen  im  Stande  ist;  wir  kommen  daher  zur 
Betrachtung  des  Harns  nach  seinen  abnormen  Bestandtheilen. 

Der  Harn  nach  seinen  abnormen  Bestand- 

tlteilen. 

Es  gibt  der  abnormen  Bestandtheile  des  Harns  ziemlich 
viele  ,  alle  sind  für  die  Diagnose  von  Wichtigkeit.  Einige 
derselben  kommen  nur  als  Sediment,  andere  theils  gelöst, 
theils  im  Sediment,  noch  andere  immer  nur  gelöst  im  Harn 
vor.  Ich  hoffe  durch  diese  Darstellung,  die  ich  über  die  Un- 
tersuchungen und  Ausmittlungen  geben  werde,  es  jedem  auch 
weniger  Geübten  leicht  fasslich  und  somit  leicht  möglich  zu 
machen,  sich  die  chemische  Pathologie  des  Harns  so  eigen 
machen  zu  können ,  um  in  der  ärztlichen  Praxis  hievon  einen 
Nutzen  ziehen  zu  können. 

I.    Albumin. 

Das  Albumin  ertheilt  dem  Harn  kaum  besondere  äussere 
Eigenschaften ,  aus  denen  man  auf  dessen  Gegenwart  schon 
im  Voraus  schliessen  könnte,  ausser  wenn  der  Harn  von  Hu- 
matin oder  wirklichem  Blut  roth  gefärbt  erscheint. 

Im  Sediment  findet  man  jedoch  stets  auch  bei  sehr  klei- 


575 

nen  Mengen  Albumin  die  Albuminpilze  als  grössere 
Flocken ,  sie  sind  in  Fig.  11  abgebildet. 

Auf  das  specifische  Gewicht  des  Harns  hat  das  Albumin 
oft  einen  sehr  grossen  Einfluss,  manmuss  daher  immer,  wenn 
mehr  Albumin  im  Harn  ist ,  sowohl  das  specifische  Gewicht 
des  nativen  Harns ,  dann  das  specifische  Gewicht  des  Harns, 
nachdem  das  Albumin  aus  demselben  entfernt  wurde  (siehe 
unten),  prüfen. 

Die  Gegenwart  des  Albumins  wird  erkannt: 

1.  Durch  Zusatz  einer  nicht  zu  geringen  Menge  reiner 
concentrirter  Salpetersäure;  es  entsteht  bei  höchst 
geringen  Mengen  nur  eine  sehr  schwache  Trübung,  bei  grösse- 
ren Mengen  ein  flockiger  Niederschlag,  bei  grossen  Mengen 
oft   eine  so  starke  Fällung ,   dass  ein  völliger  Brei  entsteht. 

2.  Durch  Kochen.  Das  Albumin  coagulirt  vor  der 
Kochhitze  (bei  75°  C)  und  fällt  in  Flocken,  bei  höchst  ge- 
ringen Mengen  entsteht  nur  Trübung,  bei  sehr  grossen  Men- 
gen ein  weisser  Brei.  Man  hat  jedoch  wohl  zu  bemerken , 
ob  der  Harn  nicht  alkalisch  reagirt,  ist  diess  der 
Fall,  so  muss  er  mit  einigen  Tropfen  einer  Säure  (Essigsäure) 
vor  dem  Kochen  sauer  gemacht  werden,  sonst  bleibt  bei  ge- 
ringen Mengen  Albumin,  dieses  durch  das  Alkali  gelöst. 

Es  kann  bemerkt  werden,  dass  bei  sehr  geringen  Men- 
gen das  Erhitzen ,  bei  sehr  alkalischem  Harn  aber  immer  die 
Salpetersäure  den  Vorzug  hat. 

Soll  der  albuminöse  Harn  weiter  untersucht  werden  ,  so 
muss  das  Albumin  aus  einer  grösseren  Menge  Harn'  entfernt 
werden. 

Die  Entfernung  des  Albumins  aus  demHarn 
geschieht  dadurch,  dass  man  mehrere  Unzen  Harn,  oder  nach 
Bedarf,  oder  wenn  viel  Albumin  da  ist,  auch  mehr ,  bis  zum 
Kochen  erhitzt-,  dann  collirt  man  durch  eine  feine  Leinwand, 
wo  das  Albumin  zurückbleibt,  und  ein  hinlänglich  grosses 
Quantum  klarer  Harn  durch  die  Leinwand  geht ,  welches 
dann  weiter  so  untersucht  wird,  wie  jeder  albuminfreie  Harn. 


676 

Meine  weitere  Methode  der  quantitativen  Bestimmung,  siehe 
mein  Archiv  1845  i.  2.  sie  beruht  auf  der  Differenz  zwischen 
der  Menge  der  festen  Stoffe  im  nativen  Harn  und  im  albumin- 

reien  Harn ,  beide  für  1000  Theile  berechnet ,  die  Differenz 

ist  die  Albuminmenge 

Vorkommen.   Das  Albumin  kömmt  im  Harn  vor : 

1.  Wenn  derselbe  Blut  enthält,  und  zwar  entweder  wirk- 
lich geflossenes  Blut  oder  bloss  exosmotisches. 

2.  Bei  Albuminurie;  bei  Morb.  Brightit  immer,  bei 
anderen  Hydropsien  nur  manchmal ;  auch  während  ein  Exsu- 
dat resorbirt  wird.  Ferner  im  entzündlichen  Harn  manchmal 
aber  stets  in  geringer  Menge;  bei  Wöchnerinnen  und  in 
Puerperalkrankheiten ;  endlich  was  sehr  zu  berücksichtigen 
ist,  immer  in  sehr  geringer  Menge  bei  Gegenwart 
von  Eiter  im  Harn;  ist  hier  zugleich  viel  Albumin,  so  ist 
neben  der  Eiterausscheidung  auch  Albuminurie,  in  jenem 
Falle  ist  das  Albumin  nur  als  dem  Eiterfluidum  angehörig  zu 
betrachten. 

2.  Eine  neue  Proteinverbindung. 

Eine  solche  habe  ich  erst  vor  Kurzem  in  einigen  Fällen, 
deren  Diagnose  nicht  sicher  gestellt  ist  (mit  Catalepsie;  dann 
Gicht  bei  einem  syphilitischen  Individuum),  aufgefunden. 

Erkennung,  a)  Sie  vermehrt  das  speeifische  Gewicht 
des  Harns  bedeutend  und  wird  bei  massigem  Erhitzen  schon 
bis  etwas  über  50°  C.  völlig  coagulirt. 

6)  Durch  Salpetersäure  nicht  coagulirbar. 

cj  Eine  ganz  kleine  Menge  zugesetzter  Salpetersäure, 
verhindert  gänzlich  die    Gerinnbarkeit  beim  Erhitzen. 

d)  Nur  bei  grösserer  Menge  durch  concentrirte  .Essig- 
säure fällbar. 

e)  Beim  Abdampfen  des  Harns  bildet  sie  nie  eine  Haut. 

f)  Der  Harn  riecht  nach  Käse. 

Alle   diese  Eigenschaften  unterscheiden   sie  hinlänglich 
vom  Albumin  und  Casein.  Manchmal  erscheint  viel  Fett  zu- 


577 

gleich  im  Harn,  der  Harn  erscheint  milchig,  und  zeigt 
die  Emulsionskugeln  unter  dem  Mikroskop  (siehe  unten), 
dann  ist  er  immer  durch  Essigsäure  auch  fällbar. 

Ich  habe  diesen  Gegenstand  noch  nicht  veröffentlicht, 
und  werde  später  darauf  a.  e.  a.  0.  zurückkommen. 

3.  Emulsion. 

Darunter  verstehe  ich  Kügelchen,  welche  in  verschiede- 
ner Grösse  in  ringförmiger  Form  unter  dem  Mikroskope  sicht- 
bar sind.  Fig.  12. 

Sie  entstehen,  wenn  neben  dem  Erscheinen  einer  grös- 
seren Menge  Albumin  oder  der  neuen  Proteinverbindung  auch 
viel  Fett  im  Harn  erscheint,  wo  sich  eine  förmliche  Emulsion 
bildet,  welche  den  Harn  milchicht  färbt;  es  ist  also  diese  Er- 
scheinung keiner  Milchmetastase  zuzuschreiben,  denn  es 
kömmt  nie  zugleich  Zucker  im  Harn  vor,  während  diess  bei 
Krankheiten  der  Brustdrüsen  stillender  Mütter  der  Fall  ist. 

4.    Blut. 

Wir  müssen  zwei  Formen  unterscheiden ,  in  welchen  die 
Blutbestandtheile  im  Harn  erscheinen. 

oj  Geflossenes  Blut  mit  allen  seinen  Hauptbe- 
standteilen oder  auch  nur  Blutkörperchen  ohne  Fibrin ;  wir 
finden  dann  den  Harn  roth ,  auch  Blutcoagula  oder  Blutkör- 
perchen und  grosse  Zasern  oder  Flocken ,  auch  grössere 
ausgewaschene  Coagula  von  Fibrin  im  Sediment.  Nach  dem 
Absetzen  ist  der  Harn  meistens  kaum  röthlich  gefärbt,  er 
zeigt  fast  dieFarbe  des  Harns,  während  die  Blutkörperchen,  die 
man  unter  dem  Mikroskop  immer  deutlich  sieht,  sich  absetzen. 

Diese  Form  kömmt  vor  bei  der  eigentlichen  Hämatu- 
rie ,  entweder  bei  Hämorrhoiden  oder  bei  Berslung  kleiner 
Gefässe,  oder  Zerreissung  durch  mechanische  Einflüsse,  Con- 
cretionen  in  den  Nieren  etc. 

Manchmal  ist  die  Menge  der  Blutkörperchen  sehr  ge- 
ring, so  dass  man  erst  unter  dem  Mikroskop  die  Gegenwart 
des  Blutes  bemerkt.  Bei  Lithiasis,  Morb.  Briyhlii>  Abscessen 
in  den  Nieren  _,  Krebs  in  der  Blase. 

Gaal  Diagnostik.  37 


678 

ppT  Geht  eine  Zeit  bloss  fibrinfreies  Blut  ab ,  so  ist  häufig* 
Fibrinansammlung'  in  den  Harnleitern,  und  es  geht  dann  in 
Pfropfen  periodisch  ab,  nachdem  es  gefährliche  Symptome 
verursachte,  und  gibt  auch  zu  Concretionen  oft  Veranlassung. 

bj  Exosmotisches  Blut.  Es  kommt  oft  ein  hell 
blutrother  Harn  vor,  ohne  dass  man  im  Sedimente  im  Ge- 
ringsten Blutkörperchen  findet,  so  z.  B.  im  ersten  Sta- 
dium (Congestionsstadium)  bei  Morbus  Brightü;  oft  ist 
exosmotisches  Blut  im  Harn  in  geringerer  Menge ,  so  dass 
es  auf  die  Farbe  keinen  Einfluss  hat;  man  entdeckt  Albu- 
min im  Harn,  übersieht  aber  das  Hämatin  oft  ganz;  so 
kömmt  meistens  während  der  ganzen  Dauer  des  Morbus 
Brightü  im  Harn  Hämatin  vor. 

Man  erkennt,  ob  Hämatin  im  Harn  ist,  wenn  durch 
Erhitzen  das  Albumin  coagulirt ,  und  auf  der  Leinwand  wie 
oben  angegeben  gesammelt  wird,  es  erscheint  oft  mit  einem  Stich 
ins  Rosenrothe,  oder  bei  wenig  Hämatin  ist  es  selbst  weiss, 
beim  Eintrocknen  wird  es  aber  immer  braun  oder  rothbraun, 
wenn  Hämatin  zugegen  ist ,  im  Gegentheil  schmutzig  gelb. 

Bei  der  Hämaturie  ist  es  sehr  wichtig,  den  Harn  weiter 
zu  untersuchen,  umzusehen,  ob  die  Nieren  oder  nur 
die  Blase  dabei  betheiligt.  Man  entfernt  aus  einem 
Harnquantum  das  Blut  wie  das  Albumin  (siehe  oben). 

Sind  die  Nieren  leidend,  ist  ihre  Function  gestört,  so 
erscheinen  die  Salze ,  besonders  das  Kochsalz  vermindert, 
und  stets  der  Harnstoff  sehr  vermindert,  oft  auch  die  Harn- 
säure, bei  blossen  Blasenhämaturien  ist  der  Harn  minus  Blut 
normal  oder  etwas  von  entzündlichem  Charakter. 

Prüft  man  das  speciflsche  Gewicht  des  Harns ,  so  muss 
dieses  stets  auch  nach  der  Entfernung  des  Blutes  berücksich- 
tigt werden,  es  wird  dann  bei  blosser  Blasenhämaturie  nicht 
unter  das  Normale  sinken ,  bei  Nierenleiden  aber  unter  das 
Normale. 


679 

5.  Biliphäin,  und  6.  gallensaures  Natron. 

Das  Biliphäin  kömmt  entweder  für  sich  im  Harn  vor, 
oder  zugleich  mit  dem  gallensauren  Natron  (Gallensubstanz)  ; 
nicht  immer  wo  Biliphäin  im  Harn  ist,  ist  auch  gallensaures 
Natron ,  aber  umgekehrt  ist  es  der  Fall. 

Beide  Bestandtheile  zusammen  kommen  nur  höchst  sel- 
ten im  Harn  bei  Icterus  vor.  Das  Biliphäin  erscheint  stets  in 
sehr  grosser  Menge  im  Harn  bei  Icterus,  ferner  bei  Hepati- 
tis und  bei  jeder  gestörten  Leberfunction ,  stets  wenn  es 
im  Blute  zu  finden  ist,  Pneumonia  biliosa ,   Ecclampsie  etc. 

Das  Biliphäin  färbt  den  Harn  sehr  lebhaft  orange,  gelb- 
braun bis  dunkelbraun  auch  braungrün ,  in  dünnen  Schich- 
ten beim  Bewegen  des  Gefässes  erscheint  derHarn  stets  hell- 
gelb. Ist  Blut  zugleich  zugegen  (was  höchst  selten  ist)  ,  so 
ist  der  Harn  fast  tintenschwarz  oder  stets  sehr  dunkel. 

Man  entdeckt  das  Biliphäin,  indem  man  auf  einmal  ziem- 
lich viel  Salpetersäure  in  den  Harn  giesst  und  unvollständig 
damit  mischt;  es  entsteht  eine  bouteillengrüne  Färbung, 
welche  eine  merkwürdige  Farbenveränderung  zeigt,  wenn 
sehr  viel  Biliphäin  da  ist,  nämlich  in  Blau,  Violett,  Roth 
und  endlich  bleibend  Gelb;  bei  weniger  Biliphäin  sieht  man 
entweder  nur  die  grüne  Färbung ,  oder  nur  undeutlich  jene 
Farbenüancen  durchgehen. 

Ist  der  Harn  albuminös,  so  entsteht  durch  Salpetersäure- 
zusatz Albumincoagulation,  und  das  Albumin  wird  schnell 
grünblau.  Man  kann  die  geringsten  Mengen  Biliphäin  auf 
diese  Weise  entdecken  ,  dass  man  eine  albuminöse  Flüssig- 
keit (Serum  oder  Eieralbumin)  vor  dem  Salpetersäurezusatz 
in  den  Harn  gibt. 

Das  Biliphäin  färbt  die  Sedimente ,  die  oft  sehr  stark 
orange  oder  goldgelb  sind  ,  manchmal  grünlich. 

Das  gallensaure  Natron  entdeckt  man,  wenn  man 
den  Harn  abdampft,  den  Rückstand  mit  Alcohol  auszieht,  ab- 
giesst  und  den  Alcohol  wieder  verdampft,  der  Rückstand 
schmeckt  dann  deutlich  und  anhaltend  bitter. 

37  # 


580 


7.     Zucker. 


Der  Harnzucker,  identisch  mit  Traubenzucker,  ist  bisher 
nur  in  der  Honigharnruhr  gefunden  worden,  ich  habe  ihn 
aber  auch  im  Harn  bei  Abscessen  der  Brustdrüse,  während  des 
Ausbleibens  der  Milch  in  den  Brüsten  im  Harn  (ohne  zugleich 
Casein)  gefunden  ,  es  schien  hier  der  Milchzucker  völlig  die 
Modifikation  in  Harnzucker  angenommen  zu  haben. 

Der  Zucker  wird  nach  meiner  Methode  gleich  im  Harn 
unmittelbar  sehr  leicht  entdeckt ,  wenn  man  den  Harn  mit 
ziemlich  viel  Ätzkalilösung  in  einem  Probirgläschen  eine  Weile 
kocht,  wobei  eine  sehr  tief  orangebraune,  intensive  Farbe  bei 
Gegenwart  des  Zuckers  entsteht;  bei  sehr  viel  Zucker  ist 
die  Farbe  äusserst  dunkel  rothbraun  ,  in  dünnen  Schichten 
tief  orange.  Giesst  man  etwas  Salpetersäure  dann  zu,  bis 
ein  schwaches  Blasserwerden  eintritt,  und  erwärmt  noch  et- 
was, so  entwickelt  sich  ein  sehr  starker,  angenehmer  Geruch 
nach  Zuckersyrup  oder  gebranntem  Zucker. 

Auf  die  Menge  des  Zuckers  kann  man  nach  dem  speci- 
fischen  Gewicht  schliessen ,  es  wächst  und  fällt  mit  der 
Zuckermenge;  denn  die  andern  Harnbestandtheile  zeigen  nie 
wesentliche  Abweichungen. 

Das  specifischc  Gewicht  des  Harns  bei  Melliturie  variirt 
vom  Normale  bis  1058.  (Am  Urometer  8°.) 

H  enry  hat  eine  Tabelle  zur  Ermittlung  der  festen  Be- 
standteile im  Harn  nach  dem  specifischen  Gewicht  entwor- 
fen.  (Simon's  Handbuch.  II.  p.  451.) 

Beim  Stehen  in  der  Wärme  trübt  sich  der  Harn  immer 
mehr  und  mehr,  und  es  entsteht  ein  Sediment  aus  Ferment- 
kugeln, durch  längeres  Stehen  geräth  er  so  in  Gährung,  dass 
er  wie  Bierhefe,  später  nach  Essigsäure  riecht. 

Zu  dem  Versuch  auf  Zucker  wird  man  besonders  ver- 
anlasst, wenn  der  Harn  trotz  seiner  blassen,  oft  kaum  merk-  ' 
liehen  Farbe  ein  sehr  hohes  speeifisches  Gewicht  zeigt,  und 
trotz  dem  kein  Albumin  gefunden  wurde,  und  alle  anderen 


581 

Harnbestandtheile  nur  in  geringer  Menge  zugegen  waren; 
ferner  durch  den  süssen  Geschmack,  den  oft  schon  der  na- 
tive  Harn  besitzt ;  endlich  durch  die  Trübung  und  Entstehen 
von  Fermentkugeln  im  Sedimente. 

Manchmal  ist  die  Harnsecretion  bei  dieser  Krankheit 
vermindert,  und  man  vermuthet  Besserung,  besonders  im 
Anfange  der  Krankheit,  oft  auch  noch  später ,  doch  dann  ist 
der  Harn  dafür  um  so  schwerer  und  reicher  an  Zucker. 

8.  Schwefelwasserstoff. 

Ich  habe  den  Schwefelwasserstoff  einige  Male  im  Harn 
gefunden,  und  zwar,  wenn  kleine  Mengen  Albumin  im  Harn 
zugegen  waren  ,  und  der  Harn  zugleich  schnell  in  Fäulniss 
gerieth.  Er  ist  Product  des  Schwefels  im  Albumin;  einige- 
male  habe  ich  ihn  auch  im  Harn ,  welcher  viel  Eiter  enthielt, 
gefunden. 

Man  entdeckt  den  Schwefelwasserstoff  durch  den  Geruch 
nach  faulen  Eiern,  ferner  durch  Erhitzen  des  Harns  im  Am- 
moniakapparat (siehe  Apparate) ,  wo  man  in  die  Röhre  ein 
mit  Bleizucker  getränktes  Papier  gibt,  welches  während  des 
Erhitzens  des  Harns  braun  wird,  wenn  Hydrothionsäure zu- 
gegen war.  Der  Harn  gibt  auch  eine  starke  braune  Fällung 
durch  Eisenchlorid  (Bleizucker  ist  hier  untauglich).  Es  ent- 
steht höchst  wahrscheinlich  auch  Ph  os  p  hör  was  sers  toff 
und  zwar  aus  dem  Phosphor  des  Albumins,  ich  habe  ihu 
deutlich  gerochen,  doch  bisher  nicht  genau  genug  constatirt. 

10.  Uroglaucin  und  11.  Urrhodin. 

Sie  kommen  nur  im  Sediment  vor,  und  zwar  als  Gemenge, 
indem  sie  die  anderen  Stoffe  in  den  Sedimenten  entweder 
schönblau,  violett  oder  graublau  färben,  das  Uroglaucin 
kömmt  auch  in  der  spinnenförmigen  und  kornblumenblätterähn- 
üchen  Form,  wie  oben  angegeben,  schön  blau  vor.  Fig.  9  u.  10. 
Beide  sind  Producte  des  auch  im  Normalharn  in  geringerer 
Menge  vorkommenden  Uroxanthins. 


682 

Man  erkennt  und  trennt  beide  aus  den  Sedimenten ,  in- 
dem man  das  Sediment  sammelt,  zuerst  mit  Wasser  abspült, 
und  dann  das  Urrhodin  mit  kaltem  Alcohol  auszieht,  der 
dadurch  schön  carmoisinroth  gefärbt  wird,  dann  zieht  man  das 
Uroglaucin  durch  anhaltendes  Kochen  mit  Alcohol  aus ,  es 
wird  beim  Verdampfen  desselben  als  schöne,  blaue  unter  dem 
Mikroskop  in  kornblumenblättchenähnlichen  Krystallgruppen 
erhalten  (auch  in  prismatischen  Gruppen),  aber  stets  schön 
ultramarinblau. 

(Das  Gemenge  beider  Farbstoffe  wurde  früher  für 
Cyanurin  gehalten.) 

Diese  Sedimente  kommen  periodisch  vor  bei  Harnverhal- 
tungen ,  bei  Rückenmarkserschütterungen ,  Blasencatarrhen, 
Morb.  Briyhtü  (seltener)  u.  a. 

11.   Urogry  thrin. 

Es  ist  ein  eigenthümlicher  rother  Farbstoff,  welcher  be- 
sonders im  entzündlichen  Harn  bei  intermittirenden  Fiebern 
und  Rheumatismus  vorkommt;  er  färbt  den  Harn  lebhaft,  und 
je  mehr  zugegen  ,  desto  röther,  mehr  rothgelb  erscheint  der 
Harn.  Häufig*  entstehen  harnsaure  Sedimente,  besonders  harn- 
saures Ammoniak  (mit  etwas  feuerfesten  Salzen)  ,  das  soge- 
nannte Sedimentum  latericium,  welches  manchmal  schön  ro- 
senroth  oder  karminroth  gefärbt  ist,  und  sich  ziemlich  fest 
an  das  Glas  ansetzt.  Der  rothe  Farbstoff  lässt  sich  durch  Al- 
cohol nicht  ausziehen  ,  und  unterscheidet  sich  so  vom  Urrho- 
din. Es  ist  mir  noch  nicht  gelungen ,  ihn  von  den  harnsau- 
ren Verbindungen  zu  isoliren.  Wasser,  verdünnte  Säuren 
und  andere  Lösungsmittel  isoliren  ihn  nicht  ganz.  Es  ist 
dieser  Farbstoff  auch  für  das  vermeintliche  Acid.  rosacique 
gehalten  worden. 

12.  Kohlensaures  Ammoniak. 

Dieses  wird  entweder  als  solches  durch  die  Nieren  aus 
dem  Blute  ausgeschieden,'  oder  es  entsteht  erst  in  dem  be- 


583 

reits  abgesonderten  Harn  auf  Kosten  des  Harnstoffes  ,  indem 
nämlich  1  Atom  Harnstoff  und  2  Atom  Wasser  2  Atome  koh- 
lensaures Ammoniak  erzeugen ;  denn  : 

1  Atom  Harnstoff  ==  H8  N4  Ca  Oa 

2  Atom  Wasser     =  H4  02 


=  2  At.  kohlens.  Ammoniak         HI9  N,,   C,   0« 

Die  Entstehung*  des  kohlensauren  Ammoniaks  aus  Harn- 
stoff wird  oft  sehr  schnell  eingeleitet  durch  eine  stärkere  Se- 
cretion  von  Blasenschleim,  je  mehr  also  Blasenschleim  bei 
einer  Krankheit  abgesondert  wird,  desto  schneller  geht  die 
Umwandlung  vor  sich  ,  und  je  länger  der  Blasenschleim  mit 
dem  Harn  in  Berührung  bleibt,  desto  mehr  wird  Harnstoff  zur 
Bildung  von  kohlensaurem  Ammoniak  consumirt;  je  mehr  nun 
dieses  erzeugt  wird,  desto  stärker  ist  der  Gestank  des  Harns, 
der  urinös  ammoniakalische  Geruch  desselben,  desto  weni- 
ger wird  man  Harnstoff  im  Harn  finden.  Es  versteht  sichT 
dass  die  Reaction  dann  immer  alkalisch  ist ,  und  um  so  stär- 
ker, je  mehr  kohlensaures  Ammoniak  vorhanden  ist.  Ist  nun 
aber  der  Harn  durch  dieses  Salz  alkalisch  geworden,  somuss 
immer  ein  mehr  oder  weniger  starkes  Sediment  aus  phosphor- 
saurer Ammoniakmagnesia  in  deutlichen  Krystallen  entste- 
hen, auf  welche  Erscheinung  also  bei  einem  alkalischen 
Harn  kein  bedeutendes  Gewicht  zu  legen  ist. 
Das  kohlensaure  Ammoniak  wird  erkannt : 

1.  Durch  den  Geruch. 

2.  Durch  die  alkalische  Reaction,  und  auch  der  Dämpfe 
beim  Erhitzen  des  Harns  im  Ammoniakapparat  (siehe  oben 
Apparate).  Durch  diesen  Versuch  unterscheidet  man  den  durch 
kohlens.  Ammoniak  alkalischen  Harn  von  einem,  der  durch 
den  Genuss  von  Pflanzensäuren  alkalisch  geworden. 

3.  Durch  das  Aufbrausen  nach  Zusatz  einer  Säure. 
Der  ammoniakalische  Harn  kömmt  in  sehr  vielen  Fällen 

vor,  vorzüglich  beim  Typhus;  so  lange  beim  Typhus  der 
Harn  alkalisch  ist,  so  ist  es  ein  Zeichen,  dass  der  krank- 
hafte Zustand  des  Blutes  noch  nicht  gehoben  ist;  ein  solcher 


584 

Harn  dauert  oft  bei  scheinbar  günstiger  Reconvalescenz  län- 
ger fort,  so  lange  diess  der  Fall  ist ,  so  ist  noch  grosse  Vor- 
sicht nothwendig,  erst  wenn  der  Harn  sauer  wird,  ist  es  als 
ein  günstiges  Zeichen  zu  betrachten.  Ferner  erscheint  es 
nach  Entzündungen,  besonders  bei  Pneumonien,  nach  Fie- 
berparoxysmen  u.  a.  In  der  Blase  entsteht  es  immer  bei  sol- 
chen Krankheiten,  wo  entweder  Harnverhaltung,  Ischurie 
zugegen,  der  Harn  also  lange  mit  Blasenschleim  in  Be- 
rührung steht  ,  oder  wenn  viel  Blasenschleim  zugleich  ab- 
gesondert wird  bei  Blasencatarrhen,  Lithiasis  etc.  In  solchen 
Fällen  empfehle  ich  sehr,  stets  für  häufigere  Harnaussonde- 
rung zu  sorgen ,  denn  bleibt  der  ammoniakalische  Harn  län- 
ger mit  der  Blase  in  Berührung ,  so  wirkt  das  einmal  ent- 
standene kohlensaure  Ammoniak  wieder  reizend  auf  die  Bla- 
senschleimhaut, und  es  wird  um  so  mehr  Blasenschleim 
abgesondert,  eine  neue  Bedingung  zur  weiteren  Bildung  von 
kohlensaurem  Ammoniak,  und  so  kann  keine  baldige  Heilung 
erzielt  werden.  Erfahrungen  im  hiesigen  Krankenhaus  haben 
diess  wiederholt  bestätiget. 

13.  Phosphorsaure  Ammonia  k-M  a  g  n  e  s  i  a. 

Dieses  Salz  findet  sich  immer  dann  als  Sediment  im 
Harn ,  wenn  derselbe  durch  kohlensaures  Ammoniak  alka- 
lisch geworden  ist;  denn  entsteht  Ammoniak  im  Harn,  so 
geht  es  mit  der  phosphorsauren  Magnesia  jene  Doppelver- 
bindung ein,  und  es  wird  das  Salz  in  schönen,  farblosen 
Krystallen  im  Sediment  erscheinen  (Fig.  13) ;  zugleich  fällt 
auch  basisches  Kalkphosphat.  Diese  Sedimente  kommen  also 
immer  im  alkalischen  Typhusharn  und  in  jedem  anderen  Se- 
dimente, welches  suh  in  einem  alkalischen  Harn  befindet, 
beigemengt  vor. 

14.  Harnsaures  Ammoniak. 

Der  Harn,  welcher  dieses  enthält,  ist  entweder  sauer 
reagirend ,  oder,  was  meistens  der  Fall  ist,  alkalisch  durch 


585 

kohlensaures  Ammoniak.  Es  findet  sich  das  harnsaure  Am- 
moniak daher  meistens  im  Sedimente  solcher  Harne,  wie  sie 
oben  beschrieben  worden  sind,  besonders  wenn  zugleich  die 
Harnsäure  vermehrt  ist;  denn  tritt  Ammoniakbildung  ein,  so 
entsteht  harnsaures  Ammoniak ,  und  dieses  fällt  entweder 
ganz  oder  nur  zum  Theil.  Die  Sedimente  aus  harnsaurem 
Ammoniak  haben  verschiedene  Farben  und  Formen ,  sie  sind 
bald  fein,  bald  grobflockig,  bald  körniger,  bald  weiss  gelb- 
lich ,  braun,  röthlich  oder  karminroth,  violett  oder  blau,  und 
müssen  näher  untersucht  werden,  denn  sie  sind  oft  von  Eiter 
durch's  blosse  Ansehen  nicht  zu  unterscheiden. 
Man  erkennt  das  harnsaure  Ammoniak: 

1.  Im  Sedimente  an  den  Formen  unter  dem  Mikroskop; 
Fig.  14,  a — c. 

2.  Wenn  das  Sediment  beim  allmäligen  Erhitzen  des 
Harns  sich  in  diesem  löst ;  beim  Erkalten  fällt  es  wieder. 

3.  Durch  die  Probe  aufMurexyd; 

4.  Durch  die  Probe  mit  Ätzkali  auf  Ammoniak,  wo  es 
dadurch  ausgetrieben  wird. 

Das  harnsaure  Ammoniak  macht  manchmal  einen  sehr 

trübenThonwasser  ähnlichen  Harn,  wenn  es  sehr  fein  vertheilt, 

und  der  Harn  specifisch  schwer  ist,  wo  es  sich  nicht  setzen 

kann ;  auch  der  Eiter  thut  diess  manchmal ,  da  ist  die  Probe 

durch's  Erhitzen  sehr  wichtig. 

Sedimente  aus  harnsaurem  Ammoniak  kommen  besonders 
vor  beim  Typhus ,  in  Krisen ,  bei  gastrischen  und  anderen 
Fiebern  und  nach  Entzündungen ,  auch  bei  Rheumatismen 
und  chronischer  harnsaurer  Diathese  periodisch  u.  a.  m. 

15.  Harnsaures  Natron. 

Das  harnsaure  Natron  kommt  nur  selten  in  grösserer 
Menge  als  Sediment  vor ,  und  zwar  dann ,  wenn  die  Harn- 
säure im  Harn  vermehrt  ist;  im  Kinderharn  habe  ich  es  öfter 
gefunden  als  bei  Erwachsenen;  es  kömmt  auch  als  geringe 
Beimengung   anderer  harnsaurer  Sedimente,  besonders  des 


586 

harnsanren  Ammoniaks  vor;  es  erscheint  immer  deutlich  in 
den  Formen ,  wie  es  Fig.  15  abgebildet  ist.  Eine  besondere 
Krankheitsform  begleitet  es  nie. 

16.  Kleesaurer  (oxalsaurer)  Kalk. 

Dieser  kömmt  entweder  allein  oder  auch  mit  anderen 
Stoffen  gemischt,  auch  mit  Harnsäurekrystallen  im  Sedimente 
vor ;  die  Sedimente  sind  weiss  oder  wenig  gefärbt ,  körnig. 
Bei  Rachitis  oder  bei  Kindern,  welche  zu  dieser  geneigt 
sind,  ist  er  zu  finden;  besonders,  wenn  schon  Oxalsäure 
Steinbildung  Statt  findet,  findet  man  den  Oxalsäuren  Kalk  im  Se- 
diment. Die  Bildung*  der  Oxalsäure  ist  ein  Product  der  Harn- 
säure (siehe  unten),  später  tritt  bei  solchen  Individuen,  welche 
als  Kinder  an  der  Oxalsäuren  Diathese  gelitten ,  die  harn- 
saure auf,  eine  Erfahrungssache  ,  dass  nach  Rachitis  häufig 
bei  solchen  Individuen  Gicht  eintritt. 

Der  Oxalsäure  Kalk  wird  erkannt : 

1.  An  der  eigentümlichen  Form,  als  Octaeder  stets  sehr 
deutlich  unter  dem  Mikroskop  sichtbar.  Fig.  16. 

2.  Das  Sediment  braust  nicht  mit  Säuren ;  wird  es  m  ä  s- 
sig  geglüht,  so  verglimmt  es,  und  nachher  mit  einer  Säure 
Übergossen  braust  es  (es  entstand  beim  massigen  Glühen  aus 
dem  Oxalsäuren,  kohlensaurer  Kalk). 

3.  Heftig  geglüht  (z.  B.  vor  dem  Löthrohr)  leuchtet  der 
Oxalsäure  Kalk  stark,  mit  Wasser  Übergossen  reagirt  dann 
dieses  stark  alkalisch. 

17.  Kohlensaurer  Kalk. 

Dieser  kömmt  manchmal  im  Sedimente  entweder  allein 
oder  mit  anderen  Stoffen  gemengt  vor;  ich  kann  keine  Krank- 
heiten bezeichnen,  welchen  er  allein  zukäme,  besonders  aber 
bei  Caries  und  anderen  Knochenkrankheiten ,  syphilitischer 
Auflockerung  etc. 

Der  kohlensaure  Kalk  bildet  manchmal  Steine ,  und  fin- 
det sich  dann  auch  im  Sedimente. 


687 

Erkennung :  1.  Unter  dem  Mikroskop  erscheint  er  amorph- 
oderkrystallinisch  in  den  abgebildeten  Formen.  Fig.  17. 

2.  Das  Sediment  löst  sich  in  verdünnten  Säuren  unter 
Aufbrausen. 

3.  Geglüht  gibt  er  Ätzkalk ,  der  mit  Wasser  befeuchtet 
alkalisch  reagirt. 

18.  Thonerde. 

Diese  habe  ich  bisher  ein  Mal  im  Sedimente  gefunden 
bei  einem  Mädchen,  welches  an  einem  Steine  litt,  der 
kohlensauren  Kalk  und  etwas  Thonerde  enthielt;  das  Sedi- 
ment, welches  täglich  längere  Zeit  im  Harne  war,  bestand 
der  Hauptmasse  nach  aus  kohlensaurem  Kalk  und  Erdphos- 
phaten und  enthielt  ganz  kleine  Mengen  Thonerde. 

Erkennung.  Das  Sediment  verhielt  sich  beim  Erhitzen 
ganz  eigenthümlich ,  es  ward  lichtblau,  indem  Ultramarin 
entstand  (durch  Mitwirkung  des  Schwefels  des  Blasen- 
schleims). (Siehe  Harnconcretionen  nach  Dr.  Heller's  Vor- 
lesungen, herausgegeben  von  Dr.  Zeissl,  Wien  1845.) 

19.   Cystin. 

Das  Cystin  kömmt  theils  im  Harn  gelöst  (oder  vielleicht 
nur  höchst  fein  suspendirt)  ,  theils  als  geringes  feines  Sedi- 
ment vor.  Es  wird  im  Harn  gefunden,  wenn  ein  Cystinstein 
in   der  Blase  zugegen  ist. 

Man  erkennt  das  Cystin: 

1.  An  der  ihm  eigenthümlichen  Form,  in  6seitigen  sehr 
feinen  Tafeln ,  unter  dem  Mikroskop  sichtbar.  Fig.  18. 

2.  Beim  Verbrennen  verbreitet  es  einen  ganz  eigenthüm- 
lichen sich  stark  verbreitenden  Geruch  und  brennt  mit  einem 
bläulichen  Flämmchen. 

3.  Im  Harn  oder  auch  für  sich  wird  es  erkannt,  wenn 
der  Harn  mit  Ätzkali  gekocht  wird,  es  entsteht  Schwefelka- 
lium  (denn  das  Cystin  enthält  SO  p.  c.  Schwefel);  gibt  man 


«88 

dann  essigsaures  Blei  besser  Eisenchlorid  hinzu,  so  entsteht 
eine  dunkle  Fällung  (Schwefelmetall). 

20.     Eiter. 

Der  Eiter  kömrat  im  Harn  immer  als  deutliche  Zelle  vor, 
schon  vor  der  Behandlung-  mit  Essigsäure  sieht  man  unter 
dem  Mikroskop  die  Kerne  meistens  an  einzelnen  Zellen, 
dann  aber  stets  deutlich. 

1.  Kömmt  der  Eiter  für  sich  allein  im  Harn  vor. 

2.  Gemischt  mit  mehr  oder  weniger  Schleim. 

3.  Gemischt  mit  Blutkörperchen. 

4.  Mit  anderen  sehr  verschiedenen  Sedimenten ,  beson- 
ders Erdphosphaten  und  harnsaurem  Ammoniak. 

Der  Eiter  bildet  entweder  ein  Sediment  (meistens),  oder 
er  erzeugt  eine  sehr  starke  Trübung  des  Harns,  wie  das  Was- 
ser aus  einer  Thonlacke ;  er  bleibt  suspendirt  und  der  Harn 
klärt  sich  oft  nach  Tage  langem  Stehen  nicht.  Diess  ist  der 
Fall ,  wenn  sich  das  speeifische  Gewicht  des  Harns  mit  dem 
des  Eiters  ausglicht,  also  der  Harn  ein  hohes  speeifisches 
Gewicht  hat,  dann  kann  der  Eiter  nicht  fallen,  bleibt  suspen- 
dirt, und  so  kann  oft  sehr  viel  Eiter  im  Harn  sein,  ohne 
dass  er  sich  als  geschiedenes  Sediment  vom  Harn  trennt. 
Eine  solche  Trübung  im  schweren  Harn  macht  auch  das  harn- 
saure Ammoniak  (siehe  oben);  ist  die  Trübung  von  Eiter, 
so  verschwindet  sie  beim  Erwärmen  des  Harns  nicht ,  wel- 
ches immer  geschieht ,  wenn  die  Trübung  vom  harnsauren 
Ammoniak  kömmt. 

Eine  fernere  Eigenschaft  des  eiterhältigen  Harns  ist, 
dass  er  immer  Albumin  enthält,  welches  der  die  Eiter- 
zelle führenden  Flüssigkeit  zukömmt ;  je  mehr  Eiter  im  Harn 
ist,  desto  mehr  enthält  er  Albumin. 

Der  eitrige  Harn  enthält  oft  ziemlich  viel  Uroxanthin,  es 
wird  daher  der  Harn  durch  Salpetersäure  oft  schön  violett  oder 
pflrsichblühroth ,  je  mehr  Eiter  da,  desto  mehr  diese  Färbung. 

Nie  ist  auf  sonstige   äussere  Eigenschaften  des  Harns 


689 

oder  eines  Sediments  zu  gehen ,  denn  der  eiterhältige  Harn 
und  die  Eitersedimente  zeigen  oft  sehr  verschiedene,  oft  mit 
anderen  ähnliche  äussere  Eigenschaften. 

Erkennung    und    Trennung    des  Eiters   vom 

Schleim. 

1.  Der  Eiter  wird  immer  unter  dem  Mikroskop  erkannt, 
er  stellt  theils  runde,  theils  etwas  ungeformte  oft  gezackte, 
oft  mit  mehr  glatter  Peripherie  versehene  farblose  oder  gelb- 
lich erscheinende  Kugeln  mit  einer  feinen,  dunkeln ,  hie  und 
da  feinkörnigen  Granulation  ;  in  manchen  Kugeln ,  manchmal 
in  vielen  sieht  man  schon  vor  der  Behandlung  mit  Essigsäure 
grosse  Kerne.  Nach  Essigsäurezusatz  verschwindet  mehr 
oder  weniger  die  Granulation,  die  ganze  Zelle  wird,  je  län- 
ger die  Essigsäure  einwirkt,  undeutlicher,  und  es  treten  die 
sehr  scharf  begränztcn  Kerne  meist  mit  gelber  Farbe  hervor; 
es  sind  deren  in  jeder  Zelle  1  —  4,  seltener  5,  meistens 
1 — 3,  ihre  Form  ist  sehr  verschieden.  Fig.  19  zeigt  den  Eiter, 
Fig.  00  denselben  nach  Behandlung  mit  Essigsäure.  Die 
Schleimkugeln  erscheinen  ähnlich  dem  nativen  Eiter,  sie  sind 
schiefergrau  meist  kleiner,  mehr  scharf  begränzt,  zeigen  nie 
Kerne;  nach  der  Behandlung  mit  Essigsäure  bleiben  nur  sehr 
kleine  farblose  Kernchen  zurück,  die  nie  gelb  sind. 

2.  Wird  etwas  von  dem  Eitersediment  nach  Abgiessen 
des  Harns  genommen  und  mit  Salpetersäure  versetzt,  so  ent- 
steht eine  milchweisse  Coagulation  (Albumin). 

3.  Der  Harn,  der  Eiter  enthalten  soll,  muss  immer  Al- 
bumin mehr  oder  weniger  enthalten.  Bei  sehr  wenig  Eiter 
muss  der  Harn  durch  Kochen  concentrirt  werden,  dann  sieht 
man  Albuminflocken  sich  abscheiden. 

Trennung  des  Eiters  von  Schleim. 

Es  kommen  oft  sehr  starke  Sedimente  von  Schleim  vor, 
die  nur  wenig  Eiter  enthalten;  bevor  man  den  Eiter  sehen 
will,  muss  man  ihn  erst  trennen,  nie  das  schleimige  Sedi- 


590 

ment  für  sich  ansehen.  Man  lässt  den  Harn  absetzen ,  giesst 
ihn  vom  Sediment  ab,  bis  auf  ein  kleines  Quantum  Harn,  mit 
dem  dann  das  Sediment  gut  geschüttelt  wird;  es  wird  sich 
die  Eiterzelle  suspendiren,  dann  giesst  man  schnell  ab,  und 
läset  es  absetzen  ,  in  diesem  Satz  suche  man  nur  den  Eiter, 
der  Waschharn  muss  nun  deutlich  auch  Albumin  zeigen. 

Trennung   des    Eiters    von  Blutkü gelchen. 

Ein  solches  Sediment  wird  gesammelt,  dann  mit  so  viel 
Wasser  angerührt,  bis  die  Blutkügelchen  verschwinden,  dann 
giesse  man  alles  in  ein  sehr  enges  hohes  Gefäss  (Probirglas) 
und  lasse  absetzen;  das  nun  entstehende  Sediment  enthält 
die  Eiterzellen ,  während  die  Blutkügelchen  mit  dem  Wasser 
als  geborsten  oder  aufgequollen  weggegossen  werden. 

Trennung  von  anderen  Sedimenten. 

Erdphosphate  sind  es  meistens,  welche  oft  der  Er- 
kennung des  Eiters  im  Wege  stehen,  sie  werden  durch  Schüt- 
teln des  Sedimentes  mit  verdünnten  Säuren,  am  besten 
Salz- oder  Schwefelsäure  entfernt,  dann  lässt  man,  so  wie 
oben  gezeigt ,  den  Eiter  absetzen. 

Harnsaures  Ammoniak  trennt  man  durch  massi- 
ges Erwärmen,  es  löst  sich,  den  Eiter  lasse  man  absetzen; 
diese  Beimengung  kömmt  oft  vor,  und  behindert  oft  stark  die 
Eitererkennung.  Freie  Harnsäure  lässt  sich  leicht  durch 
blosses  Schlemmen  trennen ,  schüttelt  man  das  Sediment  mit 
wenig  Harn,  so  bleibt  bei  kurzer  Ruhe  die  Eiterzelle  viel 
länger  suspendirt,  während  die  Krystalle  von  Harnsäure  fal- 
len ,  giesse  ab  und  lasse  nun  den  Eiter  absetzen. 

Auch  bei  anderen  körnigen  Sedimenten  ist  das  Schlem- 
men anzuwenden. 

Es  ist  also  sehr  wichtig,  zuerst  den  Eiter  rich- 
tig zu  trennen  und  zu  sammeln,  bevor,  man  ihn 
diagnosticiren  will. 


691 


B  e  Stimmung'  des  Eiterursprungs. 

1.  Kömmt  der  Eiter  aus  den  Nieren  selbst 
oder  allein  durch  einen  Abscess  etc.,  so  ist  der  Eiter  als  rei- 
ner Eiter  im  Harn,  periodisch  sehr  viel,  oft  wieder  sehr  we- 
nig*, das  Sediment  fein  und  ganz  suspendirbar.  Der  Harn  zeigt 
immer  ein  leichtes  specifisches  Gewicht,  enthält  meistens 
sehr  wenig  Harnsäure ,  besonders  wenn  die  Krankheit  schon 
länger  dauert,  auch  oft  keine  Spur  davon.  Der  Harnstoff  ist 
i  mmer  verringert ,  und  ganz  besonders  auch  die  Salze.  Der 
Harn  enthält  oft  grössere  Mengen  Albumin,  als  der  Menge 
des  erschienenen  Eiters  entspräche.  Der  Harn  ist  sauer  oder 
schwach  alkalisch,  nie  so  sehr  stark  ammoniakalisch. 

2.  Kömmt  der  Eiter  aus  der  Blase,  so  ist  im- 
mer Schleim  in  grösseren  oder  kleineren  Klumpen  dem  Sedi- 
mente beigemischt;  der  Harn  ist  alkalisch  oft  sehr  stark, 
und  reich  an  kohlensaurem  Ammoniak ,  der  Harnstoff  ist  nur 
desshalb  und  dann  verringert ,  wenn  viel  kohlensaures  Am- 
moniak entstanden  ist.  Die  Harnsäure  zeigt  nichts  besonders 
Auffallendes;  ganz  besonders  aber  sind  es  die  Salze,  welche 
in  normaler  Menge  im  Harn  enthalten  sind. 

3.  And  erwei  ( iger  Ursprung.  Aus  dem  Blute 
ausgeschieden  wird  der  Eiter  in  sehr  vielen  Fällen  ;  es 
sprechen  schon  andere  Symptome  dafür,  welche  dem  Eiter, 
wenn  er  sich  im  Blute  befindet,  zukommen;  ist  wo  immer  eine 
Eiteransammlung,  ein  Eiterherd,  eine  starke  Eiterung,  selbst 
an  äusseren  Stellen  des  Körpers,  so  erscheint  im  Harn  Eiter. 
Der  Harn  zeigt  dann ,  wenn  gleich  oft  verschiedene  Eigen- 
schaften ,  doch  im  Schleimklumpen ,  wenn  die  Blase  gesund, 
nie  die  starke  Verringerung  aller  der  obengenannten  wesent- 
lichen Harnbestandtheile,  besonders  aller  Salze  zugleich, 
wenn  die  Nierenfunction  nicht  gestört  ist. 

Aus  dem  oben  Gesagten  geht  schon  hervor ,  in  welchen 
Fällen  Eiter  im  Harn  erscheint ,  es  ist  daher  unnöthig ,  ein- 
zelne Krankheiten  hier  anzuführen. 


592 

2.  Epithelium  der  Bellinischen  Röhrchen,  Bel- 
linisches  Epithelium. 

Das  Bellini'sche  Epithelium  erscheint  im  Harn  als 
Sediment,  welches  schmutzig  weiss  oder  thongelb  ist,  wenn 
es  nicht  durch  Blutkörperchen  rothgefärbt  ist.  Unter  dem 
Mikroskop  erscheint  es  in  längeren  oder  kürzeren  farblosen 
Canälchen  ,  welche  mit  sehr  verschieden  g'rossen  gelben  oder 
gelbbraunen  Kernen  versehen  sind;  je  mehr  deren  hier  sind, 
desto  brauner  erscheint  es.  Es  erscheint  bei  einer  400  bis 
500maligen  Vergrösserung  wie  in  Fig.  21. 

Dieses  Epithelium  ist  immer  als  Sediment  im  Harn  bei 
Morb.Brightii  zugegen,  und  bildet  oft  ein  sehr  starkes  Sedi- 
ment, oft  sieht  man  nur  unter  dem  Mikroskop  sehr  wenige 
solche  Canälchen.  Im  Anfange  bei  Morb.  Brightii  erscheint 
mehr  Pflasterepithelium,  erst  später  nimmt  die  Menge  des  er- 
steren  zu.  Auch  bei  metastatischen  Nierenleiden ,  wo  später 
jene  Krankheit  sich  erst  deutlich  entwickelt,  erscheint  es 
im  Sediment*,  so  auch  bei  Scarlatina. 

2.    Spermatozoon. 

Diese  finden  sich  im  Harn  entweder  bei  Spermatorrhoe 
oder  sind  auch  manchmal  zufällig  in  einem  Morgen- 
harn zu  finden,  wenn  das  Sediment  eines  solchen  Harns  mi- 
kroskopisch untersucht  wird,  daher  hierauf  diessfalls  kein 
Gewicht  zu  legen  ist. 

Bemerkenswerth  ist,  dass  oft  bei  geringeren  Graden  von 
Spermatorrhoe  mit  den  letzten  Tropfen  nach  dem  Harnen 
Sperma  entleert  wird,  wo  man  stets  Spermatozoon  darin  oder 
im  Sediment  findet. 

Die  Spermatozoon  erscheinen  bei  einer  400  —  SOOmali- 
gen  Vergrösserung  wie  Fig.  22  a.  b.  Sind  sie  todt,  so  erschei- 
nen sie  abgesehen  von  der  mangelnden  selbstständigen  Be- 
wegung, mit  gestreckten  Schwänzen  (b);  sind  sie  lebend, 
so  zeigen  sie  die  selbstständige  Bewegung  und  erscheinen 
mit  gekrümmten  Schwänzen  a~). 


693 

Krebszellen. 

Ich  habe  nun  bereits  mit  Gewissheit  nachgewiesen,  dass 
Krebszellen  im  Sediment  vorkommen,  wenn  in  der  Blase  eine 
Krebsconcretion  vorhanden,  sie  war  in  den  beobachteten 
Fällen  sehr  locker,  es  lösten  sich  oft  fast  Haselnuss  grosse 
Stücke  ab  und  erschienen  im  Harnsediment,  welches  sonst 
ziemlich  gross  war,  flockig*  erschien  und  aus  lauter  Krebs- 
zellen bestand.  Fig\  20  zeigt  ein  solches  Sediment.  Zu  be- 
merken ist,  dass  immer  einzelne  Blutkügelchen  beigemischt 
waren.  Es  ist  dicss  für  die  sonst  oft  schwierige  Diagnose  von 
grosser  Wichtigkeit. 

Indem  ich  nun  hier  die  verschiedenen  pathologischen 
Bestandteile  des  Harns  ,  deren  mehrere  ich  hier  zuerst  be- 
kannt mache,  kurz  anführte,  will  ich  nur  noch  kurz  den 
Gang  der  Untersuchung  des  Harns  mit  annähernd  quantitati- 
ver Berücksichtigung,  wie  jene  für  den  Arzt  leicht  ausführ- 
bar ist,  um  schnell  zu  einem  brauchbaren  Resultate  zu  kom- 
men, am  Schlüsse  dieses  Capitels  anführen. 

Kurze    Methode    der     qualitativen    und    annä- 
hernd quantitativen  Harnanalyse  für  den  Arzt. 

Der  Arzt  so  wie  der  Chemiker  ,  welcher  viele  Harne 
zu  untersuchen  hat ,  und  wo  es  sich  Behufs  einer  Diagnose 
nur  um  die  wesentlichsten  Bestandtheile  und  um  ein  Plus  und 
Minus  eines  Harnbestandtheils  überhaupt  handelt,  kann  schon 
der  Zeit  wegen  nicht  immer  eine  genaue  quantitative  Ana- 
lyse vornehmen;  es  ist  daher  wichtig  sich  eine  solche  abge- 
kürzte Methode  einzuüben,  durch  welche  man  sich  zuerst 
den  normalen  Harn  gut  einstudiert,  wo  man  dann  jede  Abwei- 
chung vom  Normale,  als  für  die  Diagnose  hinreichend,  wird 
bestimmen  können.  Ich  will  daher  den  Gang  der  Untersuchung 
kurz  anführen. 

1.  Zuerst  muss  man  berücksichtigen,  ob  der  Harn 
Morgenharn  ist,  ob  man  es  nicht  mit  urina  polus  zu 
thun  hat. 

Gaal.  Diagnostik.  38 


594 

2.  Muss  berücksichtigt  werden ,  wie  lange  der  Harn 
bereits ,  nachdem  er  gelassen  ,   gestanden. 

3.  Ob  der  ganze  Harn  sammt  einem  etwaigen  Sediment 
auch  richtig,  so  wie  er  gelassen  wurde,  zur  Untersuchung 
gekommen. 

4.  Berücksichtigt  man  die  eingenommenen  Arzneimittel 
und  die  Nahrung. 

5.  Beachtet  man  die  Menge  der  Harnsecretion  für  24 
Stunden. 

6.  Berücksichtige  man  die  Dauer  der  Krankheit  über- 
haupt, das  Stadium  und  sonstige  individuelle  Besonderheiten 
des  Kranken. 

Dann  schreitet  man  zur  Untersuchung. 

1.  Man  giesse  den  Harn  vorsichtig  vom  Sedimente  ab  , 
wenn  sich  eines  gebildet,  oder  lasse  ihn  in  einem  hohen 
schmalen  Cylinderglase  absetzen  und  untersuche  das  Sedi- 
ment unter  dem  Mikroskop. 

2.  Untersuche  man  die  Reaction  des  Harns  mit  den  Lak- 
muspapieren. Aus  beiden  diesen  Proben  lassen  sich  oft  schon 
sehr  wichtige  Folgerungen  machen. 

3.  Bestimme  man  das  specifische  Gewicht  mittelst  des 
Urometers. 

4.  Man  fülle  eine  kleine  Porcellanschale,  immer  ein  und 
dieselbe,  mit  dem  Harn,  und  dampfe  denselben  zuerst  im 
Sandbade,  dann  im  Wasserbade  ab  bis  auf  einen  kleinen  Rück- 
stand, lasse  das  Schälchen  am  kalten  Wasser  schwimmen 
oder  stelle  es  im  Winter  auf  Schnee,  giesse  dann  concen- 
trirte  Salpetersäure  zu  ,  bis  alles  völlig  erstarrt  oder  Salpe- 
tersäure bereits  im  Überschusse  zugegen  ist;  man  sieht  hier 
den  salpetersauren  Harnstoff  als  starre  Masse.  Während 
des  Abdampfens  kann  man  indessen  zu  den  folgenden  Puncten 
schreiten. 

6.  Fülle  ein  Cylinderglas ,  etwa  von  1  Zoll  Durchmes- 
ser und  4 — 5  Zoll  Höhe,  wieder  ein  und  dasselbe  für 
immer  dazu  bestimmt ,  bis  zu  einer  gewissen  Entfernung  vom 


595 

Rande  mit  dem  Harn,  und  setze  massig  concentrirte  Salzsäure, 
für  obiges  Glas  etwa  1  Drachme  zu,  lasse  es  12 — 24  Stunden 
stehen,  und  schliesst  dann  aus  der  ausgeschiedenen  Harn- 
säure auf  die  Menge,  im  Vergleiche  mit  dem  Normalharn. 
Man  beachte  auch  die  Farbe  der  Krystalle. 

6.  Man  vertheile  nun  in  4  Bechergläser,  die  einen  Theil- 
strich  haben  können,  bis  zu  welchem  man  sie  immer  mit  dem 
Harn  füllt,  etwa  in  jedes  6  Drachmen  bis  1  Loth  vom  Harn 
und  mache  folgende  Reactionen. 

a)  Mit    con  centrirter    Salpetersäure,   diese 

nie  in  geringer  Menge  angewendet;    durch   diese   entdeckt 

man  : 

a.  Alb  u  m  i  n,  wenn  ein  weisser  Niederschlag  oder  eine 

Trübung  entsteht. 

ß.   Biliphä'in,   wenn    der  Harn   bouteillengrün  wird, 
oder  sogar  die  bereits  erwähnten  Falbenveränderungen  zeigt. 

y.  Uroxanthin,  wenn  der  Harn  violett  ( von  mehr  Uro- 
glaucin)  oder  pfirsichblühroth  oder  gar  karminroth  (von 
mehr  U  r  r  h  o  d  i  n)  wird.  Ist  er  albuminös,  so  nimmt  das  gefällte 
Albumin  diese  Farben  an. 

ö.  Harnsäure  oder  saures  harnsaures  Ammo- 
niak erzeugt  manchmal  Trübung,  ist  daher  nicht  mit  Albu- 
min zu  verwechseln,  wesshalb  immer  auf  dieses  die  Gegen- 
probe durch  Erhitzen  des  Harns  gemacht  werden  muss. 

b)  Mit  Ammoniak  wurden  in  dem  zweiten  Gläschen 
die  Erdphospliate  gefällt,   auch  zeigt  es  viel  Uroxanthin  an. 

c)  In  dem  dritten  Gläschen  wird  der  Harn,  nachdem 
er  mit  etwas  Salpetersäure  angesäuert  wurde,  mit  salz- 
saurem Baryt  gefällt,   zur  Bestimmung  der  Sulphate. 

d)  Ebenfalls  angesäuerter  Harn  wird  mit  einer  über- 
schüssigen Menge  salpetersauren  Silber  ver- 
setzt, es  fällt  Chlorsilber,  welches  der  Menge  der  Chloride 
(Kochsalz)  und  Harn  entspricht. 

e)  Dieses  wird  abfiltrirt,  das  Filtrat  wird  mit  Ammoniak 
neutralisirt ,  es  fällt    phosphorsaures  Silber  als  an- 

38  # 


696 

fangs  strohgelber  Niederschlag,  es  wird  um  so  schneller 
grau  und  braun,  je  mehr  Uroxanthin  im  Harn  war,  ist 
viel  da,  so  wird  die  Probe  sogleich  intensiv  schwarzbraun. 
Nun  setze  man  noch  Silbersalz  zu  ,  um  zu  sehen  ,  ob  alle 
Phosphorsäure  gefällt  wurde. 

Genauer  kann  man  verfahren,  wenn  man  zuerst  dieErdphos- 
phate  aus  dem  Harn  fällt,  dannfiltrirt,  ansäuert  und  dannncutra- 
lisirt,  und  die  Phosphorsäure  neuerdings  fällt ;  diese 
entspricht  dann  dem  phosphorsauren  Natron  des  Harns. 

In  einem  Probiergläsuhen  erhitzt  man  den  Harn  allmä- 
lig  bis  zum  Kochen  (er  muss  sauer  sein  ,  ist  er  es  nicht , 
so  setze  man  einige  Tropfen  Essigsäure  zu)  *,  erfolgt  schon 
bei  massiger  Wärme  (55°  C.)  eine  Trübung*,  so  ist  die  neue 
Protein  Verbindung  da,  dann  hat  die  Salpetersäure 
keinen  Niederschlag"  gegeben. 

Erfolgt  kurz  vor  dem  Kochen  eine  Trübung,  und  hat  auch 
die  Salpetersäure  eine  solche  gegeben,  so  ist  Albumin  da. 

8.  Vermuthetman  Zucker  im  Harn  (wegen  seines  schwe- 
ren specifischen  Gewichts  und  doch  lichten  Farbe  etc.   stehe 
oben),   so  mache  man  in  einem  Probiergläschen  die  Zucker- 
probe (durch  Kochen  mit  Ätzkalilauge  ,    dann  Versetzen  mit 
Salpetersäure). 

Kennt  man  nun  das  Verhalten  des  normalen  Harns,  wel- 
ches man  sich  einstudiert,  kennt  man  das  Verhalten  des  Harns 
in  verschiedenen  Krankheiten,  so  kann  man  durch  Exclusio- 
nen  bei  dem  einen  und  anderen  Versuche,  so  wie  durch  ir- 
gend eine  besondere  Reaction ,  welche  einen  abnormen  Kör- 
per zeigt ,  nach  und  nach  in  sehr  vielen  Fällen  zur  Dia- 
gnose derKrankheit  selbst  kommen,  ohne  den  Kranken  gese- 
hen zu  haben.  Eine  Semiotik  hier  mitzutheilen ,  ist  mir 
für  diessmal  unmöglich,  da  mir  nicht  Raum  genug  ge- 
gönnt ist. 


697 


Slanicoiieretioneii. 


Allgemeines. 


Ich  werde  in  diesen!  Capitel  nur  kurz  Einiges  über  die 
Entstehung'  der  Harnsteine  im  Allgemeinen  vorausschicken, 
dann  die  uns  bereits  bekannten  Harnsteine  und  ihre  Diagnose 
anführen,  so  wie  endlich  kurz  den  Harn  beschreiben,  welcher 
in  den  verschiedenen  Fällen  charakteristisch  erscheint.  Ein 
Weiteres  ist  in  einer  eigenen  Broschüre  als  ein  Compendium 
meiner  Vorlesungen  über  Harnconcretionen  erst  vor  Kurzem 
erschienen.  »Harnconcretionen,  nach  Dr.  Heller's  Vorle- 
sungen.« Handschriftlich  mitgetheilt  dem  Herausgeber  Dr.  Hr. 
Zeissl.  Mit  einer  lithographirten  Tafel.  Wien,  1846  bei 
Morsch n er  &  Bianch  i. 

Es  ist  mehr  die  chemische  Beschaffenheit  oder  irgendein 
pathologischer  Zustand  des  Harns ,  selbst  bei  verschiedenen 
Krankheiten,  Ursache  der  Entstehung  verschiedener  Harncon- 
cretionen, als  die  bisher  angenommenen  und  vielbesprochenen 
S  t ei  n  -Diathesen  ,    so   dass   durch  unbestimmte  Zufälle  in 
verschiedenen  Fällen,  bei  übrigens  gleichen  Krankheitsformen 
und  auch  bei  gleicher  chemischer  Zusammensetzung  des  Harns, 
in  dem  einen  Falle  wohl  in  einem  zweiten  keine  Steinbildung 
Statt  findet.  Es  ist  demnach  unrichtig,  für  die  gewöhnlichst 
vorkommenden    Steinformen    eigenthümliche    Steinbildungs- 
Diathesen  anzunehmen.  So  können  z.  B.  harnsaure  Steine  in 
ganz   verschiedenen   Fällen   entstehen,  wenn  überhaupt  die 
Harnsäure  im  Harn  vermehrt  erscheint,  was  in  sehr  verschie- 
denen Krankheiten  der  Fall  ist,    welche  also   die  Veranlas- 
sung werden  können ,  dass  sich  ein  harnsaurer  Stein  gebil- 
det, der  beim  Verschwinden  der  Krankheit  zurückbleibt,  ohne 
dass  man  somit  einen  Grund  hätte,  eine  harnsaure  Stein- 
Diathese    als   eigenthümliche   Krankheitsform  annehmen    zu 
müssen  ,     wenn  man  gleich  von   einer  harnsauren  Diathese 
sprechen  könnte.  Dasselbe  gilt  auch  von  den  übrigen  soge- 
nannten Stein-Diathesen. 


598 

In  Beziehung  auf  den  Ort,  wo  die  Steine  entstehen, 
sind  es  vorzüglich  die  Nieren ,  in  welchen  sie  zuerst  entste- 
hen, oder  auch  in  den  Harnleitern,  am  seltensten  wohl  in 
der  Blase  selbst,  in  welcher  aber  solche  Steine,  die  in 
dieselbe  aus  den  Nieren  oder  den  Harnleitern  gelangen  ,  und 
schon  zu  gross  sind,  um  mit  dem  Harn  abgehen  zu  können, 
wachsen,  und  dann  oft  eine  besondere  Grösse  erreichen;  ob- 
wohl auch  in  den  Nieren  zurückbleibende  Steine  stark  wach- 
sen können. 

Was  die  erste  Entstehung  die  Kernbildung  einer  Harn- 
concretion  betrifft,  so  sind  es  vorzüglich  solche  Substanzen, 
welche  in  Harnsedimenten  im  krystallisirtcn  Zustande  vor- 
kommen. Die  Kanten,  scharfen  Spitzen  oder  Ecken  derKry- 
stalle  können  stecken  bleiben,  können  sich  um  so  früher  an 
den  Wänden  der  Organe,  der  Schleimhaut  einspiessen,  und 
so  bildet  es  schon  einen  festen  Anhalfspunct  für  ein  zweites 
und  drittes  ,  ja  es  bedingt  sogar  die  weitere  Ausscheidung 
einer  gelösten  Substanz,  im  starren  Zustande,  welche  noch 
länger  aufgelöst  geblieben  wäre,  wenn  sie  nicht  bereits  einen 
festen  Körper  gefunden  hätte,  an  welchen  sie  sich  anlegen 
konnte.  So  sehen  wir  auch  oft  durch  Zufall  in  den  Organis- 
mus gelangte  fremde  feste  Körper  als  Veranlassung  zur  Bil- 
dung einer  Concretion. 

Schichtenbildung.  Gemischte  Steine,  geschich- 
tete Steine  sind  solche,  welche  aus  keiner  homogenen  Masse, 
sondern  vom  Kerne  aus  gegen  die  Peripherie  aus  zwei  oder 
mehreren  Lagen  bestehen ,  welche  in  ihrer  chemischen  Zu- 
sammensetzung verschieden  sind. 

Die  Entstehung  solcher  Steine  ist  keinem  Wechsel  der 
Diathese  zuzuschreiben ,  wie  man  bisher  anzunehmen  ge- 
wohnt war.  Ist  nun  ein  Stein  (oder  mehrere)  aus  was  im- 
mer für  einem  Stoffe  entstanden  ,  so  wird  seine  Zunahme  an 
Masse,  d.  h.  aus  dem  Stoffe,  der  ihn  ursprünglich  ge- 
bildet, aufhören,  sobald  derjenige  Zustand  gehoben  oder 
verschwunden  ist,    der  z.  B.  von  der  Uarnsäurevermehrung 


599 

begleitet  war.  Ist  nun  ein  Stein  aus  Harnsäure  auf  diese  Weise 
zurückgeblieben ,  so  wird  derselbe  einen  mechanischen  Reiz 
auf  die  Blase  ausüben ,  zufolge  welchem  immer  eine  ver- 
mehrte Absonderung  des  ßlasenschleims  Statt  findet. 

Der  Blasenschleiru  macht,  dass  der  Harn,  wenn  gleich 
sauerund  normal,  aus  den  Nieren  in  die  Blase  kommend,  in 
dieser  alkalisch  wird ,  indem  der  Harnstoff  in  kohlensaures 
Ammoniak  umgewandelt  wird,  und  ist  dieses  entstanden,  so 
ist  die  nothwendige  Folge  davon  ,  dass  phosphorsaure  Am- 
moniakmagnesia und  basisch  phosphorsaurer  Kalk  in  Kry- 
stallen  fallen,  die  sich  auf  den  bereits  vorhandenen  Stein,  in 
unserem  Beispiel  auf  den  harnsauren,  ablagerte,  und  so  ent- 
steht um  den  harnsauren  Stein  eine  Rinde  von  einem  phos- 
phatischen Stein.  Daher  ist  es  auch  erklärlich ,  dass  nur  die 
harnsauren  und  anderen  Steine,  und  zwar  je  grösser  sie  sind, 
da  diese  die  Blase  um  so  mehr  reizen,  meistens  eine  Rinde 
aus  den  Phosphaten  gebildet  ist,  ferner,  dass  auch  die  phos- 
phatischen Steine  die  grössten  sind.  Es  kann  aber  auch  ein 
Stillstand  jenes  Blasenleidens  eintreten  ;  erscheint  dann  wie- 
der ein  krankhafter  Zustand  des  Körpers,  in  welchem  Ver- 
mehrung von  Harnsäure  oder  eines  anderen  Stoffes  Statt  fin- 
det, so  entsteht  wieder  um  die  phosphatische  Rinde  eine 
neue  harnsaure  etc. 

Die  Harnconcretionen  insbesondere. 

Eintheilung.  Alle  Harnconcretionen,  gleichviel,  wo- 
her sie  kommen ,  können  in  folgende  Eintheilung  gebracht 
werden: 

I.  Verbrennliche  Steine; 

II.  Nicht  verbrennliche  (oder  nur  durch  Beimengung  der 
ersteren  theilweise  verbrennliche)  Steine. 

Die  verbrennlichen  sind: 

1.  Steine  aus  Harnsäure; 

S.       »'    -  »     harnsaurem  Ammoniak; 

3.       *       »     harniger  Säure  (Xnnthoxyd); 


600 

4.  Steine  aus  Cystin ; 

5.  »        »     Urostealith ; 

6.  »       »     Proteinverbindungen. 
Die  nicht  verbrennlichen  sind: 

aj  schmelzbare ; 
b)  nicht  schmelzbare. 
Erstere  sind : 

i.  Steine  aus  phosphorsaurem  Ammoniak,  Magnesia  und 
basisch  phosphorsaurem  Kalk  zugleich; 

2.  Steine  aus  neutralem  phosphorsauren  Kalk. 
Die  nicht  schmelzbaren  sind  : 

1.  Steine  aus  oxalsaurem  Kalk ; 

2.  »       »     kohlensaurem  Kalk; 

3.  »       »  »  und  Thonerde. 

Diagnose.  In  Beziehung  auf  das  Vorkommen,  den 
Ort  der  Entstehung*  und  die  äusseren  Eigenschaften  der  ein- 
zelnen Steine  muss  ich  mich  auf  meine  oben  cifirten  Vorle- 
sungen beziehen. 

Ich  bemerke  hier  auch,  dass  sich  diese  chemische  Un- 
tersuchung* auch  auf  die  Harnsedimente  bezieht, 
welche  nach  der  mikroskopischen  Besichtigung*  gesammelt, 
und  so  wie  ein  Stein  geprüft  werden. 

I.  Verfu'eiiiiliche  Steine. 

1.     Steine    aus    Harnsäure. 

i.  Die  Probe  verbrennlich  auf  dem  Platinlöffel  und  vor 
dem  Löthrobre.  Dabei  einen  fein  stechenden  ,  hintennach  ei- 
nen der  Blausäure  ähnlichen  Geruch  gebend. 

2.  In  massig  concentrirter  Salpetersäure  beim  Erwär- 
men unter  Aufbrausen  und  Entwickelung*  von  salpetriger 
Säure  unter  braungelben  Dämpfen  zu  einer  lichfgelben  Flüs- 
sigkeit löslich.  Diese  fast  bis  zur  Trockene  oder  nur  bis  zu 
einem  sehr  kleinen  Rückstand  abgedampft  und  noch  heiss, 
dann  mit  einigen  Tropfen  Ammoniak  versetzt,  gibt  eine  schön 


601 

karminrothc  oder  purpurrothe  Farbe  (Murexid).  Am  schön- 
sten wird  die  Farbe  dieses  Rückstandes,  wenn  das  Ammo- 
niak zugesetzt  wird ,  während  der  concentrirte  Rückstand 
noch  kocht.  Würde  man  bis  zur  Trockene  abdampfen  und  er- 
wärmen ,  ohne  Ammoniak  zuzusetzen,  so  entsteht  eine  gelb- 
rothe  Färbung"  des  Rückstandes. 

3.  In  Kalilauge  löslich ,  daraus  durch  Salzsäure  weiss 
fällbar  (Harnsäure).  Beim  Lösen  in  der  Kalilauge  entwickelt 
sich  kein  Ammoniak  (Unterschied  von  den  Steinen  oder  Se- 
dimenten aus  harnsaurem  Ammoniak). 

Der     Harn. 

Der  diese  Steinbildung*  veranlassende  Harn  ist  entweder 
jeder  entzündliche  Harn  oder  jeder,  in  welchem  die  Harn- 
säure vermehrt  erscheint.  (Gicht ,  Rheumatismus  ,  Phlogo- 
sen  etc.)  Die  Formen  der  Harnsäure  sind  auf  der  Tafel  I., 
Fig.  2—8  abgebildet. 

2.  Steine    aus   h  ar  n  s  aur  em  Ammo  niak. 

Die  Erkennung  so  wie  bei  den  harnsauren ;  sie  unter- 
scheiden sich  jedoch  von  den  harnsauren  dadurch: 

1.  Dass  sie  beim  Erhitzen  immer  einen  kleinen  Rück- 
stand von  phosphorsaurer  Ammoniakmagnesia  hinterlassen; 

2.  dass  sie  sich  in  Kalilösung  unter  Entwicklung  von 
Ammoniak  lösen.  Hält  man  ein  nasses,  rothes  Lakmuspapier 
über  das  kleine  Schälchen ,  worin  sich  die  Probe  befindet,  so 
färbt  sich  jenes  blau ;  ferner  wird  ein  Glasstab  mit  Salzsäure 
befeuchtet  darüber  gehalten,  so  entstehen  milchweisse  Nebel 
(aus  Salmiak) ; 

3.  die  Steine  lösen  sich  in  kochend  heissem  Wasser. 

Der     Harn. 

Dieser  hat  mehr  oder   weniger  die   Eigenschaften  des 

entzündlichen  Harns,    manchmal  auch   des  typhösen,  er  ist 

entweder  alkalisch  oder  sauer.  Die  Sedimente  sind  oft  schön 

rosenroth  gefärbt  (durch  Uroerythrin  •,  sedimeniumlatericium}. 


602 


3.  Steine  aus  harnig' er  Säure  (Xanthoxyd), 

1.  Ohne  Rückstand  verbrennlich ; 

2.  In  Salpetersäure  ohne  Gasentwicklung*  löslich;  der 
Rückstand  durch's  Abdampfen  ist  gelb,  gibt  mit  Ammoniak 
kein  Murexyd  (Unterschied  von  den  harnsauren  Steinen),  son- 
dern einen  rothgelben  Körper ;  so  auch  mit  Kalilauge. 

3.  Im  kohlensauren  Kali  unlöslich  (Unterschied  von  den 
harnsauren  Steinen).  Dieses  kann  daher  als  Trennungsmittel 
dienen. 

4.  Steine  aus  Urostealith. 

Die  Steine  sind  frisch  weich ,  getrocknet  hart ,  spröde, 
gelb,  gelbgrün,  durchscheinend,  unter  dem  Mikroskop  durch- 
sichtig,  amorph,   wachsglänzend. 

1.  Beim  Erhitzen  blähen  sie  sich  stark  auf,  rauchen  und 
verbreiten  noch  vor  dem  Verbrennen  einen  sehr  starken  Wohl- 
geruch ,  ähnlich  dem  von  Benzoe  und  Schellak.  Angezündet 
brennen  sie  dann  mit  einer  starken,  gelben,  hellleuchtenden 
Flamme  ,   und  hinterlassen  eine  lockere ,  voluminöse  Kohle. 

2.  In  heissem  Wasser  werden  sie  weich. 

3.  In  Alcohol  schwer,  in  Äther  leichter  löslich. 

4.  Mit  Ätzkali  völlig  verseifbar  und  darin  löslich  unter 
schwacher  Gasentwicklung*. 

Der     Harn. 

Derselbe  blass ,  etwas  trübe  ,  neutral ,  enthält  viel  Fett, 
keine  Spur  Harnsäure  während  des  innerlichen  Gebrauches 
von  kohlensaurem  Natron,  welches  den  Stein  theils  löste, 
theils  auflockerte ,  wo  er  dann  gänzlich  mit  dem  Harn  ent- 
fernt wurde,  enthält  Urostealith  gelöst. 

5.  Steine  aus  Cystin. 

1.  Vollkommen  verbrennlich,  nicht  schmelzbar;  bren- 
nen mit  einem  bläulichen,    matten  Flämmchen,  dabei  einen 


603 

sehr  starken  ,  etwas  reizenden  ,  ganz  eigentümlichen  Ge- 
ruch verbreitend. 

2.  Salpetersäure  löst  das  Cystin ;  beim  Verdampfen  bleibt 
ein  dunkelbrauner,  später  schwarz  werdender  Rückstand. 

9.  In  verdünnter  Salzsäure  löslich  (Unterschied  von  Harn- 
säure und  Xanthoxyd). 

4.  In  Ätzkali  und  kohlensaurem  Kali  löslich,  die  Lösung* 
krystallisirt  in  körnigen  Krystallen. 

5.  In  Ammoniak  löslich;  beim  freiwilligen  oder  beim 
Verdampfen  bei  massiger  Wärme  krystallisirt  das  Cystin  in 
6sei(igen  Tafeln  heraus,  wie  es  auf  der  Tafel  Fig.  18  abge- 
bildet ist. 

Der     Harn. 

Dieser  ist  lichtgelb,  zeigt  keine  besonderen  äusseren 
Eigenschaften.  Er  enthält  Cystin  in  Krystallen  im  Sediment, 
auch  etwas  gelöst  (siehe  Harn). 

6.  Steine  aus  Proteinverbindungen. 

1.  Verbrennlich ,  dabei  nach  gebranntem  Hörn  riechend, 
eine  voluminöse  Kohle  hinterlassend. 

2.  In  Wasser,  Äther  und  Alcohol  unlöslich;  löslich  in 
Kali,  daraus  durch  Salzsäure  fällbar. 

3.  In  Essigsäure  aufquellend ,  daraus  durch  blausaures 
Eisenkali  fällbar. 

4.  In  Salpetersäure  löslich. 

II.  Nicht  oder  tlieilweise  verbremiliclie  Steine. 

a)  Nicht  schmelzbare. 
1.  Steine  aus  oxalsaurem  Kalk. 

1.  Vor  dem  Löthrohre  erhitzt ,  verbrennt  zuerst  die  or- 
ganische Bindesubstanz,  woran  die  Oxalsäuren  Steine  immer 
sehr  reich  sind;  der  Stein  brennt  sich  immer  sehr  leicht  weiss, 
und  gibt  ein  sehr  hell  leuchtendes  Korn,  ohne  zu  schmelzen  $ 


604 

der  Rückstand  gibt,  wenn  stark  geglüht  wurde,  Ätzkalk, 
welcher  mit  Wasser  befeuchtet,  stark  alkalisch  reagirt.  Wurde 
nur  massig  geglüht ,  so  entsteht  unter  Verglimmen  kohlen- 
saurer Kalk,  wo  dann  beim  Übergiessen  mit  Salzsäure  ein 
Aufbrausen  von  entweichender  Kohlensäure  entsteht. 

2.  Die  salzsaure  Lösung  des  geglühten  Steines  gibt 
durch  Ammoniak  keinen  Niederschlag,  aber  durch  oxalsaures 

Ammoniak  einen  starken  Niederschlag.   (Unterschied  von  den 
Steinen  aus  Erdphosphaten.) 

3.  Der  ungeglühte  Stein  löst  sich  in  Salzsäure  ohne 
Brausen ,    und  wird  durch  Ammoniak  gefällt.  (Unterschied 

von  kohlensaurem  Kalk.) 

4.  Der  Stein  löst  sich  nicht  in  kochendem  Wasser  (Un- 
terschied von  harnsaurem  Kalk,  Magnesia  und  Alkali),  gibt 
auch  mit  Salpetersäure,  dann  Ammoniak  keinMurexyd  (siehe 
oben  harnsaure  Steine). 

Der     Harn. 

Der  Harn ,  in  welchem  oxalsaurer  Kalk  im  Sediment  er- 
scheint ,  hat  oft  verschiedene  Eigenschaften  ,  selbst  bei  Ra- 
chitis ,  wo  die  Oxalsäuren  Sedimente  am  häufigsten  vorkom- 
men. Der  Harn  enthält  oft  Harnsäure  und  wenig  Oxalsäuren 
Kalk  beisammen  im  Sediment ,  je  mehr  aber  letzterer  er- 
scheint, desto  mehr  nimmt  die  Harnsäure  ab,  und  verschwin- 
det oft  ganz.  Hat  die  Bildung  von  Oxalsäure  aufgehört ,  so 
hat  dann  der  Harn  den  Charakter  des  beiLithiasis  überhaupt, 
periodisch  mehr  oder  weniger.  Das  Sediment  aus  oxalsaurem 
Kalk  ist  Fig.  16. 

2.   Steine  aus  kohlensaurem   Kalk    (Kreidensteine). 

i.  Durch  Erhitzen  vor  dem  Löthrohr  riechen  sie  stark 
wie  gebrannte  Knochen,  weil  sie  viel  organische  Substanz 
enthalten,  brennen  sich  stark  weiss,  leuchten  dann  stark, 
und  sind  unschmelzbar. 


605 

2.  Der  stark  geglühte  Rückstand  (Ätzkalk)  löst  sich  in 
Wasser,  welches  dann  alkalisch  reagirt. 

3.  Das  native  Steinpulver  löst  sich  unter  starkem  Auf- 
brausen in  Salzsäure  (Unterschied  von  Oxalsäuren  Steinen). 

Der     Harn. 

Dieser  ist  beim  Erscheinen  der  Sedimente  aus  kohlen- 
saurem Kalk  alkalisch ,  die  Erdphosphate  fehlen  grössten- 
theils.  Sonst  ist  nichts  Besonderes  bemerkenswerth. 

3.  Steine  aus  kohlensaurem  Kalk  und  Thonerde. 

1.  Ein  Stück  des  Steines  vor  dem  Löthrohre  allmälig 
vei stärkt  geglüht,  wird  beim  Erkalten  schön  ultrama- 
rinblau, es  entsteht  wirklich  Ultramarin  aus  dem  Schwe- 
fel der  Bindesubstanz  und  der  Thonerde. 

2.  Wird  das  Steinpulver  stark  geglüht,  der  Ätzkalk 
durch  Wasser  entfernt,  so  bleibt  die  Thonerde  zurück,  welche 
in  Ätzkali  löslich  ist,  und  aus  dieser  Lösung  durch  Salmiak 
weiss  gefällt  wird. 

3.  Die  wie  bei  2.  geschiedene  Thonerde  auf  Kohle  mit 
Kobaltsolution  befeuchtet  und  stark  vor  dem  Löthrohre  ge- 
glüht ,  wird  blau. 

Der     Harn. 
Dieser   enthält  fortwährend  ein   Sediment ,  gemengt  aus 
Erdphosphaten,  kohlensaurem  Kalk  und  Thonerde,   welches 
Sediment  ebenfalls  nach  dem  Glühen  lichtblau  wurde. 

6)  Schmelzbare  Steine. 

1.    Steine    aus   phosphorsaurer   Ammoniakmag- 
nesia und  basisch  phosphors.  Kalk. 

1.  Beim  Erhitzen  vor  dem  Löthrohr  schmilzt  die  Probe 
zu  einer  emailähnlichen  Masse,  und  zwar  schmilzt  sie  um  so 
leichter,  je  mehr  die  phosphorsaure  Ammoniakmagnesia  vor- 
waltet. 


606 

2.  Das  Steinpulver  auf  dem  Platinlöffel  oder  in  einer 
Glasröhre  erhitzt,  entwickelt  Ammoniak,  welches  wie  be- 
kannt, durch  nasses  ,  rothes  Lakmuspapier  und  durch  Salz- 
säure erkannt  wird. 

3.  Der  gut  ausgeglühte  Stein  mit  Wasser  befeuchtet 
reagirt  nicht  alkalisch  (Unterschied  von  den  Steinen  aus  koh- 
lensaurem und  oxalsauremKalk). 

4.  Das  Steinpulver  mit  kalter  Ätzkalilösung  digerirt  ent- 
wickelt viel  Ammoniak. 

5.  In  Salzsäure  löst  sich  das  Steinpulver  ohne  Brausen 
(Unterschied  von  kohlensaurem  Kalk). 

6.  Die  salzsaure  Lösung  des  geglühten  Steinpulvers  gibt 
durch  Ammoniak  auch  einen  Niederschlag  (Unterschied  von 
oxalsaurem  Kalk). 

Beimengungen  finden  sich  häufig  bei  diesen  Steinen  und 
zwar: 

d)  Harnsaures  Ammoniak; 

b)  harnsaure  Alkalien  und  Erden ; 

c)  kohlensaurer  Kalk; 

d)  oxalsaurer  Kalk  ,   selten. 

Der  Harn. 
Der  Harn  ist  immer  alkalisch,  blassgelb,  zeigt  viel  koh- 
lensaures Ammoniak  und  Uroxanthin  durch  Salpetersäure.  Ist 
auch  ein  anderer  Stein  vorhanden,  und  es  zeigt  sich  ein  sol- 
cher Harn  mit  dem  Sediment  aus  den  Erdphosphaten  und  viel 
Schleim  ,  und  dauert  diess  länger  schon  .  so  kann  man  stets 
schliessen ,  dass  der  Stein  eine  Rinde  aus  den  Erdphospha- 
ten besitzt. 

3.  Steine  aus  neutralem  phosphorsauren  Kalk. 

1.  Beim  Erhitzen  verkohlen  sie  leicht  wegen  viel  bei- 
gemengter organischer  Substanz  und  riechen  nach  gebrann- 
tem Hörn. 

2.  Das  Probestück  brennt  sich  weiss,  und  schmilzt  zu 
einem  weissen  Email. 


607 

3.  Entwickeln  durch  Ätzkali  kein  Ammoniak  (Unter- 
schied vor  den  ersteren). 

Anmerkung*.  Alle  diese  Eigenschaften,  besonders  2. 
unterscheiden  die  Probe  von  Knochensubstanz,  welche 
basisch  phosphorsaurer  Kalk  ist;  zeigt  ein  feiner  Abschnitt 
unter  dem  Mikroskop  zellige  Structur,  so  ist  die  Concretion 
Knochen;  ist  das  Gefüge  amorphisch,  so  ist  es  eine  Con- 
cretion, welche  entstanden  ist  durch  Ablagerung*  von  Kno- 
chenerde. 

Anhang. 

Präputial  -   und    Eichel  steine,    dann    Vaginal  - 

steine. 

Sie  bestehen  grösstentheils  aus  Harnsäure  mit  Erdphos- 
phaten ;  die  Ausmittelung*  wie  oben. 

Blut. 

In  diesem  Capitel  werde  ich  angeben  ,  worauf  es  bei  der 
Berücksichtigung  und  Untersuchung  des  Blutes  behufs  einer 
Diagnose  vorzüglich  ankömmt ;  ich  werde  zuerst  das  Blut 
nach  seinen  äusseren  Eigenschaften  in  Beziehung  auf  die 
verschiedenen  Abweichungen  vom  Normale  ,  so  wie  die  ein- 
fachere, dann  die  weiter  ausgedehnte  Untersuchung  auf  die 
Normalhauptbestandtheile ,  so  wie  die  Ausmittelung  der  ab- 
normen Stoffe,  wie  sie  für  die  Diagnose  wichtig  erscheint, 
abhandeln. 

Es  ist  noch  nicht  an  der  Zeit,  eine  genauere  Semiotik  des 
Blutes  zu  veröffentlichen,  wenigstens  ich  wage  es  nicht,  da 
ich  gerade  mit  einer  grösseren  Arbeit  hierüber  beschäftiget 
bin,  und  sehe  wohl  ein,  je  mehr  mein  Materiale  heranwächst, 
wie  viel  noch  zu  leisten  nothwendig,  bevor  man  eine  Semio- 
tik schreibt ;  ich  werde  jedoch  auf  das  Wichtigste  aufmerk- 
sam machen  ,  obwohl  ich  manches  Interessante  zurückhalten 
muss  ,  wozu  mir  der  Raum  nicht  gestattet  ist. 


608 

I.  Das  Blut  nach  seinen  Normalbes  t  an  d  theilen. 

Wir  müssen  hier  wieder  wie  beim  Harn ,  die  wesent- 
lichen Bestandteile  von  den  minder  wesentlichen 
unterscheiden. 

Die  wesentlichen  Bestand  theile  sind  nicht 
viele  ,  und  es  ist  ,  sowohl  dem  Arzte  als  auch  dem  Chemi- 
kerjvom  Fache  nicht  genug  zu  empfehlen,  zuerst  die  Patholo- 
gie des  Blutes  nach  den  wesentlichen  Bestandtheilen  zu  stu- 
dieren,  bevor  man  sich  in  Kleinlichkeiten  in  Details  einlässt, 
bevor  man  von  der  Hauptsache  noch  zu  wenig  weiss;  sind 
wir  einmal  mit  dieser  im  Reinen,  so  gehen  wir  weiter ,  hal- 
ten wir  uns  also  an  das  Einfachere,  ehe  wir  zu  dem  Zusam- 
mengesetzteren schreiten ,  wir  werden  gewiss  schneller  zum 
Ziele  gelangen. 

Die  wesentlichen  Bestandtheile  des  Blutes,  welche  vor- 
züglich berücksichtigt  werden  müssen ,   sind  : 

1.  Das  Wasser; 

2.  das  Fibrin; 

3.  die  Blutkörperchen  (Hämatoglobulin)  ; 

4.  das  Albumin  ; 

6.   die  Salze  des  Serums  ; 

6.  das  Fett  insgesammt ; 

7.  die  extractiven  Materien. 

Die  wesentlichen  der  Salze  sind  wieder : 

a)  Das  Kochsalz  (Chloride)  ; 

6)   das  3basisch  phosphorsaure  Natron  ; 

cj  das  schwefelsaure  Kali  (Sulphate)  ; 

dj  die  Erdphosphate. 

Oder  in  noch  compendiösererForm  : 

!  Blutkörperchen ; 
Fibrin. 

Albumin , 
Das    Serum  {  Salze, 

Extractivstoffe. 


609 

Bei  der  Analyse  berücksichtigt  man : 

1.  Die  Wassermenge  und  die  der  festen  Stoffe  insge- 
sammt ; 

2.  das  Fibrin ; 

3.  die  Blutkörperchen*, 

4.  den  Serumrückstand *, 

5.  die  Salze  des  Serums. 

Die    minder    wesentlichen     Best  andt  heile; 
solche  von  denen  wir  noch  weniger  in  pathologischer  Bezie- 
hung wissen ,  welche   daher   bei   Diagnosen   bisher  weniger 
berücksichtigt  wurden,  wrelche  auch  meist  in  geringerer  Menge 
vorhanden  ,   sind  folgende: 

1.  Die  Bestandtheile  der  Blutkörperchen. 

a)  Globulin ; 

b)  Humatin  (der  rothe  Farbstoff)  ; 

c)  Hämaphäin  (der  braune  Farbstoff) ; 

d)  das  Eisenoxyd  (als  Bestandteil  des  Hämatins). 

2.  Die  extractiven  Materien. 

a)  Wasserextract; 

b)  Spiritusextract ; 

c)  Alcoholextract. 

3.  Die  einzelnen  Fettstoffe. 

a)  Cholesterin  (nicht  verseifbar); 

b)  Serolin*,  ) 

VP  PK  P 1  f  I)  M  TP 

cj  phosphorhaltigesFettj) 

rf)  verseiftes  Fett  (Natronseife). 

4.  Noch   einige    mineralische    Stoffe,    kohlensaurer  Kalk 
mit  Magnesia,  Kieselerde  etc. 

5.  Die    Gase  des  Blutes    (Sauerstoff,  Stickstoff  und  Koh- 
lensäure). 

Die  abnormen  Stoffe ,  welche  bisher  im  Blute  nachge- 
wiesen ,  sind : 

1.  Biliphäin; 

2.  gallensaures  Natron  (indirect)  ; 

3.  Harnstoff; 

Gaal  Diagnostik.  39 


610 

4.  Zucker; 

5.  kohlensaures  Ammoniak; 

6.  harnsaures  Natron; 

7.  Eiter; 

8.  Emulsionskugeln; 

9.  Uroxanthin; 

10.  noch  unbestimmte  Stoffe. 

Wir  werden  hier  nur  vom  Blute  nach  seinen  wesentli- 
chen Bestandtheilen  sprechen ,  ihre  Ausmittelung  anführen , 
so  wie  das  wesentlichste,  in  Beziehung  auf  die  Vermehrung 
und  Verminderung  der  Stoffe,  worauf  wir  dann  zu  den  ab- 
normen Bestandtheilen  des  Blutes  schreiten  werden. 

Untersuchung   des  Blutes  nach  den  Normal- 
b  estandtheilen. 

Die  Untersuchung  kann  in  verschiedenen  Graden  der 
Vollständigkeit  je  nach  Bedarf  angestellt  werden;  sie  ist: 

1.  die  mikroskopische  Untersuchung , 

2.  Berücksichtigung  der  äusseren  Eigenschaften  des 
Blutes , 

3.  die  qualitative  und  annähernd,  dann  theilweise  quan- 
titative chemische  Untersuchung , 

4.  die  quantitative  Analyse  des  Blutes  nach  den  Haupt- 
bestandteilen. 

Es  ist  jeder  dieser  Grade  der  Untersuchung  für  den  Arzt 
ausführbar,  selbst  die  quantitative  Analyse  des  Blutes  nach 
meiner  Methode ,  daher  ich  auch  diese  hier  kurz  anführen 
werde. 

1.  Mikroskopische  Untersuchung. 

Man  betrachtet  ein  kleines  Tröpfchen  des  frisch  gelas- 
senen (noch  nicht  geronnenen)  Blutes,  wenn  man  die  Gelegen- 
heit hiezu  hat,  unter  dem  Mikroskop  um  zu  sehen,  wie  sich 
die  Blutkörperchen  während  des  Gerinnens ,  das  auf  der  Ob- 
iecttafel  geschieht,  gruppiren. 


611 

In  den  meisten  Fällen  untersucht  man  aber  das  geron- 
nene Blut;  man  benetzt  einen  Glasstab  durch  Hineinstecken 
in  den  Kuchen  ,  bringt  ein  kleines  Tröpfchen  so  auf  das 
Objectglas,  und  verdünnt  das  Blut  dann  mit  dem  Serum  des- 
selben Blutes,  um  eine  möglichst  dünne  Schichte  und  die 
Blutkörperchen  mehr  vertheilt  zu  bekommen ;  eine  zweite 
Probe  kann  man  aus  derMitte,  eine  3.  von  der  unteren  Fläche 
des  Kuchens  nehmen.  Bei  der  Betrachtung  des  normalen  Blu- 
tes unter  dem  Mikroskop  sieht  man : 

1.  Blutkügelchen ; 

2.  Chyluskügelchen  und  Lymphkügelchen ; 

3.  Epithelialtheilchen; 

4.  Fettkügelchen  (nur  selten). 

1.  Die  Blutkügelchen.  Die  Blutkörperchen  zeigen 
entweder  die  normalen  Formen  oder  abnorme  Formen. 

Normale  Blutkörperchen  erscheinen  als  gelbe 
oder  rothgelbe  runde  Scheiben,  welche  eine  glatte  Periphe- 
rie haben ,  sie  zeigen  innerhalb  der  Peripherie  eine  Eindrü- 
ckung, welche  an  der  Seite  des  Lichts  einen  Schatten  macht, 
und  so  ist  ein  Halbkreis  sichtbar,  welcher  beim  Rollen  der 
Blutscheiben  die  Stelle  wechselt  QumboJ.  Die  Blutkörperchen 
sind  nicht  granulirt. 

Beim  Rollen  zeigen  sie  veränderte  Formen  (im  Profil  be~ 
trachtet).  Sind  die  Scheiben  biconvex,  so  erscheinen  die 
Blutkörperchen  elliptisch ,  sind  sie  coneav-convex,  so 
erscheinen  sie  wie  Hörnchen,  sind  sie  biconcav,  so  er- 
scheinen sie  in  Geigen-  oder  Bisquitform. 

Die  normale  Grösse  variirt  von  0,00036  bis  0,00023  P.  Z. 

Abnorme  Blutkörperchen.  Sie  erscheinen  ent- 
weder nach  der  Form  oder  nach  der  Grösse  verändert. 
Die  Grösse  betreifend,  sind  sie  entweder  alle  gleich  ver- 
ändert oder  ungleich  gross;  so  habe  ich  die  Beobachtung  ge- 
macht ,  dass  bei  Cancer  uteri  die  Blutkörperchen  sowohl  im 
Metrorrhagischen  als  im  Blute  durch  Venäsection  sehr  un- 

39  ^ 


612 

gleiche  Grössen  haben,  manche  sind  dreimal  (auch  darüber) 
so  gross  ,  als  die  normalen. 

Die  Form  betreffend,  so  sieht  man  die  maulbeerähn- 
lichen geperlten  Blutkörperchen  am  gewöhnlichsten.  Sie  kom- 
men bei  sehr  verschiedenen  Fällen  vor,  besonders  wenn  Gal- 
lenfarbstoff im  Blute  ist*,  sie  entstehen  auch  im  normalen 
Blute,  welches  man  unter  das  Mikroskop  bringt,  wenn  ihm 
etwas  Schweiss  beigemischt  ist. 

Die  Blutkörperchen  sind  Bläschen  mit  einem  flüssigen 
Inhalt,  es  findet  demnach  Ex-  und  Endosmose  bei  ihnen  statt, 
je  verdünnter  das  Serum,  desto  gefüllter,  aufgequollener  er- 
scheinen sie  unter  dem  Mikroskop  (mehr  biconvex  ,  mehr  der 
runden  Gestalt  näher) ,  je  dicker  das  Serum,  desto  mehr  fal- 
len sie  zusammen,  desto  eher  entstehen  die  gezackten, 
die  geperlten  oder  maulbeerähnlichen  Blutkörperchen ;  desto 
eher  reihen  sich  die  Blutkörperchen,  wenn  sie  eingefallen 
doch  glatt  sind,  in  die  Geldrollen  ähnlichen  Reihen,  zwischen 
diesen  sind  dann: 

2.  Die  Chyluskörperchen  unl  Lymphküg*  ei- 
chen sichtbarer;  diese  sind  farblos,  mit  etwas  rauher  Pe- 
ripherie, sind  granulirt,  grau  punctirt ,  und  theils  grösser, 
theils  gleich  gross  mit  den  Blutkörperchen,  sie  erscheinen 
beim  Rollen  immer  rund.  Die  Lympbkügelchen  sind  von  Chy- 
luskügelchen  nicht  zu  unterscheiden.  Werden  die  Blutkör- 
perchen durch  Wasserzusatz  verschwinden  gemacht,  wo  sie 
theils  bersten ,  theils  so  stark  aufquellen  ,  dass  sie  unsicht- 
bar werden,  so  bleiben  jene  zurück  (vergleiche  Eiter 
unten). 

3.  Die  Fettkügelchen  unterscheiden  sich  von  je- 
nen, dass  sie  verschieden  gross  sind  und  nicht  granulirt  und 
mit  stets  scharfer  Contour  erscheinen. 

4.  Die  Epithelial theilchen  erscheinen  als  farb- 
lose ungeformte  membranöse  Fetzen,  wahrscheinlich  von  den 
Wänden  der  Gefässe  herrührend» 


613 


2.    Das    Blut    nach    seinen    äusseren    Eigen- 
schaften. 

Das  Blut;  welches  zur  Untersuchung'  dient,  kann  ent- 
weder durch  einen  Aderlass  oder  durch  Schröpfen  gewonnen 
worden  sein. 

Eigenschaften  des  venösen  und    des  arteriel- 
len Blutes. 

Das  arterielle  Blut  ist  hellroth  (pathologisches  selten 
dunkel),  es  ist  um  1,6°  wärmer,  als  venöses  (die  Tempera- 
tur des  Blutes  ist  durchschnittlich  39°  C.) ,  das  specifische 
Gewicht  des  arteriellen  um  0,02  leichter,  hat  daher  weniger 
feste  Stoffe.  Das  arterielle  ist  nach  Lecanu  positiv ,  das  ve- 
nöse negativ  eiectrisch.  Die  Gerinnung  des  Arterienblutes 
geschieht  rascher  und  vollständiger,    der  Kuchen  ist  fester. 

Ausser  den  Erscheinungen  beim  Aucrlass,  betrachtet 
man  das  frischgelassene  Blut  nach  seiner  Farbe,  nach  seiner 
grösseren  oder  geringeren  Flüssigkeit. 

Das  specifische  Gewicht  des  frischen  Blutes  ist  bei  15°  R. 
1052 — 1057.  Dann  betrachtet  man  die  Gerinnbarkeit  des  Blu- 
tes und  die  Eigenschaften  des  geronnenen  Blutes  ,  und  wie- 
der separirt  die  des  Kuchens  und  die  des  Serums. 

Die  Gerinnung  des  Blutes  geschieht  um  so  schneller, 
je  schneller  das  Blut  auskühlt,  daher  bei  niedriger  Tempe- 
ratur der  Luft  immer  schneller  als  in  der  Wärme  sie  ge- 
schieht ,  daher  auch  schneller  in  Gefässen ,  welche  aus  gu- 
ten Wärmeleitern  (Metall)  sind ,  als  in  denen  aus  schlech- 
teren (Glas).  Die  Gerinnung  hängt  ferner  von  der  stärkeren 
Dichtigkeit  des  Blutes  her,  ferner  von  der  Menge  des  Fi- 
brins. Je  reicher  das  Blut  an  Salzen,  desto  schwerer  gerinnt 
es  *,  daher  verhindern  Salzbeimengungen  die  Gerinnung*. 

Die  Ursache  des  Gerinnens  sind:  Der  Faserstoff,  aber 
auch  die  Blutkörperchen  zugleich;  der  Faserstoff  erstarrt, 
coagulirt  beim  Auskühlen  des  Blutes,  und  bildet  eine  gallert- 
artige Masse ,  welche   die   Blutkörperchen  einschliesst;    die 


614 

Blutkörperchen  sinken  nach  und  nach ,  sie  kommen  dadurch 
einander  näher,  zufolge  der  Attraction  reiht  sich  eines  an 
das  andere  (es  entstehen  immer  mehr  und  mehr  die  Geldrollen 
ähnlichen  Anreihungen) ,  dadurch  weicht  das  Serum  und 
trennt  sich,  während  auch  das  Faserstoffgelee  zusammensinkt, 
und  sich  mehr  nach  oben  lagert ,  inmassen  die  aneinander- 
gereihten Blutkörperchen  sinken,  so  is«t  der  Kuchen  immer 
nach  oben  reicher  an  Fibrin,  und  um  so  zäher,  bei  viel  Fibrin 
entsteht  dann  die  F  i  b  r  1  n  h  a  u  t  (crusta  inflammatoriaj. 

Demnach  sind  die  wesentlichsten  Bedingun- 
gen zur  Bildung  der  Fibrinhaut: 

1.  Langsames  Gerinnen  des  Blutes. 

2.  Absolute  Vermehrung  des  Fibrins. 

3.  Verminderung  der  Blutkörperchen  gegen  eine  normale 
Menge  des  Fibrins,  es  ist  also  die  Benennung  Entzündungs- 
haut crusla  phlogislica  ganz  falsch. 

Da  bei  wiederholten  Aderlässen  sich  die  Blutkörperchen 
vermindern,  so  entsteht  bei  den  späteren  um  so  eher  eine 
Cruste,  ja  es  entsteht  bei  den  späteren  Aderlässen  eine  Crusta, 
während  früher  keine  entstanden,  es  wird  also  auch  mit  je- 
dem Aderlasse  die  Crusta  stärker  werden,  weil  das  Überwie- 
gen des  Fibrins  gegen  die  Blutkörperchenmenge  immer  stär- 
ker wird.  Es  ist  daher  vollkommen  falsch,  wenn  man  sich 
durch  das  Erscheinen  einer  Crusta  überhaupt  zur  Wiederho- 
lung von  Aderlässen  berechtigt  glaubt.  Ich  sah  oft  genug 
die  Crusta  so  gut  wie  bei  Entzündungen  auch  bei  Anämien . 
bei  Schwangeren  u.  a.  entstehen. 

Je  mehr  das  Fibrin  gegen  die  Blutkörperchenmenge  zu- 
nimmt, desto  fester,  desto  kleiner  wird  der  Kuchen,  und  er 
wird  in  viel  Serum  schwimmen;  je  mehr  Blutkörperchen, 
desto  grösser  der  Kuchen ,  desto  weniger  fest  und  zähe  ist 
er  (Typhus)  ,  desto  weniger  Serum  trennt  sich. 
Eigenschaften  der  Fibrinhaut. 

Färb  e,  diese  ist: 

1.  Weisslich  gelb   bei  gewöhnlichem  Erscheinen, 


615 

entweder  bei  absoluter  oder  relativer  Vermehrung*  des  Fa- 
serstoffes.   Dann   ist   die    Crusta    auch   gleichförmig,    nicht 
höckrig,  glatt  und  matt,  nicht  glänzend. 

2.  Goldgelb,  mehr  oder  weniger,  diess  kömmt  von 
Fett;  wenn  dieses  stark  vermehrt  ist,  so  scheidet  es  sich 
zugleich  mit  dem  Fibrin  ab,  oft  in  ganzen  Klumpen.  Die 
Crusta  ist  dann  uneben,  höckerig,  ganz  undurchsichtig, 
glänzend  ,  es  lässt  sich  nach  Einschnitten  oft  Fett  ausdrü- 
cken (Entzündungen,  besonders  Peritonitis). 

3.  Grünlich  oder  gr  ünl  ichge  lb  ist  oft  dieCrusta 
bei  Gegenwart  von  Gallenfarbstoff  im  Blute. 

4.  Roth  oder  röthlich  ist  die  Crusta,  wenn  viel 
Hämatin  im  Serum  gelöst  ist,  sie  wird  häufig  übersehen, 
weil  sie  die  Farbe  des  Kuchens  hat.  Um  sie  zu  erkennen, 
legt  man  den  Kuchen  umgekehrt  heraus ,  so  dass  die  Crusta 
unten  liegt ,  und  schabt  mit  einem  Messer  so  lange  vom  Ku- 
chen ab,  bis  man  auf  die  Crusta  kommt,  welche  dem  Schaben 
des  Messers  widersteht ,  und  lederartig  zähe  zurückbleibt. 
Ein  solcher  Kuchen  widersteht  auch ,  wenn  man  ihn  mit  dem 
Finger  durchstechen  will. 

Die  Oberfläche  des  Kuchens  ist  oft  concav ,  die  Crusta 
an  den  Rändern  aufgestülpt,  deren  obere  Durchmesser  ver- 
ringert, je  mehr  das  Fibrin  die  Blutkörperchen  überwiegt, 
und  die  Contraction  rasch  geschieht. 

Das  Serum  ist  im  normalen  Blute  matt  gelblich,  oft 
etwas  grünlichgelb,  von  fadem ,  salzigen  Geschmack ,  je  fe- 
ster der  Kuchen  wird ,  desto  klarer  ist  es ,  hat  ein  specifi- 
sches  Gewicht  1027—1028  ,  auch  manchmal  etwas  darüber, 
reagirt  immer  alkalisch  (vom  3basisch  phosphors.  Natron). 
Goldgelb  oder  grünlich  erscheint  das  Serum,  wenn  es  Bili- 
phäin  enthält. 

Citrongelb  von  Uroxanthin  (erst  einmal  von  mir  beob- 
achtet) ,  roth,  wenn  es  Hämatin  gelöst  enthält,  braun, 
wenn  es  Hämatin  und  Biliphäin  zugleich  enthält. 


616 

Milchig  trübe,  wenn  es  Fett,  milchweis s/  wenn 
es  Emulsionskugeln  enthält. 

Je  länger  das  coagulirte  Blut  steht,  desto  mehr  zieht 
sich  der  Kuchen  zusammen,  desto  grösser  wird  die  Serum- 
menge, genaue  Bestimmungen  nach  Gewichtszahlen  zwischen 
Cruor  und  Serum  taugen  daher  nichts. 

3.  Qualitative  und  annähernd,  dann  theilweise 
quantitative  chemische  Untersuchung. 

In  einer  solchen  Beziehung  werden  nur  die  wesentlich- 
sten Bestandtheile  des  Blutes  berücksichtiget.  (Von  den  ab- 
normen Stoffen  wird,  wie  schon  oben  bemerkt,  später  die 
Sprache  sein.)  Fibrin  und  Blutkörperchen,  Albu- 
min und  die  Salze  sind  die  wesentlichsten  Stoffe,  die  man 
bei  obgenannter  Untersuchung  berücksichtiget,  mit  Anschluss 
der  Prüfungen  auf  irgend  einem  abnormen  Bestandteil,  den 
man  in  einem  gewissen  Blute  vermuthet. 

i.     Fibrin. 

Lässt  man  das  Blut  gerinnen,  so  befindet  sich  das  Fi- 
brin nur  im  Kuchen;  wäscht  man  den  Kuchen  in  einem  Lein- 
wandlappen aus,  so  bleibt  das  Fibrin  als  eine  maltweisse, 
fasrige ,   zähe  Masse  zurück. 

Wird  frisch  gelassenes  Blut  mit  einer  Ruthe  geschla- 
gen,  bis  es  auskühlt,  so  hängt  sich  das  Fibrin  an  die  Ruthe 
an ,  und  kann  dann  weiter  ausgewaschen  werden. 

Lässt  man  das  frische  Blut  gefrieren,  so  bleibt  es  so 
lange  unverändert,  nachdem  Auft hauen  lässt  sich  aber  das 
Fibrin  wie  früher  gewinnen. 

Die  quantitative  Bestimmung  des  Fibrins  ist  für  den 
Arzt  von  der  grössten  Wichtigkeit.  Ich  werde  hier  eine  Me- 
thode angeben ,  welche  von  Jedem  leicht  ausgeführt  werden 
kann  ,  ich  habe  dieselbe  bereits  vor  4  Jahren  ,  ehe  noch  ir- 
gend eine  Erwähnung  davon  geschah,  meinen  Zuhörern  be- 
kannt gemacht. 


617 

Will  man  also  in  einem  Blute  nur  die  Fibrinmenge  wis- 
sen ,  so  nimmt  man  die  ganze  Blutmenge ,  die  sich  in  einer 
Schale  befindet,  am  besten  2  Unzen;  man  kann  aber  auch 
mit  '/,  Unze  die  Bestimmung  recht  gut  machen ,  und  daher 
kann  eine  kleine  Menge  Blutes,  welche  durch  Schröpfen  ge- 
wonnen wurde,  wenn  sie  zu  einer  weiteren  Untersuchung  zu 
wenig  ist,   wenigstens  zur  Fibrinbestimmung  benützt  werden. 

Das  Blut  wird,  wie  es  ist,  mit  dem  Cruor  und  Serum 
in  einem  zuvor  tarirten  Gefässe  gewogen ;  ist  die  Blutmenge 
zu  gross  ,  so  kann  man  zuerst  das  Serum  und  dann  den  Cruor 
wiegen  ,  oder  auch  noch  diese  abtheilen ,  dann  wird  die 
ganze  Blutmenge  auf  einen  Leinwandlappen  von  nicht  zu 
feiner  Leinwand  gebracht,  darein  eingeschlagen  und  einge- 
dreht oder  mit  einem  Bindfaden  eingebunden ,  dann  wird  der 
Kuchen  in  Wasser  so  lange  ausgeknetet  (ohne,  besonders 
anfangs,  zu  viel  Kraft  anzuwenden),  bis  sich  eine  frische 
Portion  Wasser  nicht  mehr  färbt*,  man  drückt  das  Wasser 
gut  aus,  dann  erst  macht  man  die  Leinwand  auf,  sammelt 
das  Fibrin  mit  der  Pincette ,  und  die  kleinsten  Theilchen 
durch  ein  drehendes  Streichen  mit  dem  Finger  auf  der  Lein- 
wand ;  nun  bringt  man  das  Fibrin  auf  ein  kleines  Schälchen, 
entfernt  das  Fett  durch  Äther  daraus,  trocknet  es  gut  im  ko- 
chenden Wasserbade,  wiegt  es,  und  berechnet  auf  1000 
Theile  Blut.  Ist  das  Fibrin  doch  um  etwas  mehr  vermehrt, 
so  kann  man  schon  schliessen  ,  dass  die  Blutkörperchen  ver- 
mindert sind,  und  umgekehrt,  denn  beide  stehen  in  Wech- 
selwirkung. 

Das     Wasser. 

Man  kann  aber  dasselbe  Blut  sowohl  zur  Fibrinbestimmung 
und  zur  Wasseibestimmung  brauchen,  um  auch  die  relative 
Menge  des  Fibrins  zu  bestimmen.  Dann  muss  dasFibrinmit  dem 
durchgelaufenen  Blute  nicht  im  Wasser  ausgewaschen,  son- 
dern so  lange  geknetet  werden,  bis  kein  Cruormehrin  der  Lein- 
wand ist,   dann  wascht  man  das  Fibrin  weiter  im  Wasser  aus. 


618 

Von  demfibrinfreien,  gut  durchgerührten  Blute  dampft  man  eine 
gewogene  kleine  Menge,  etwa  ö  Grammen  oder  bei2 Drach- 
men ab ,  und  wiegt  den  Rückstand,  berechnet  auf  1000,  und 
addirt  das  Fibrin  dazu ,  um  die  gesammten  festen  Stoffe  und 
den  Massengehalt  des  Blutes  zu  erfahren;  auf  diese  Weise 
wird  man  auf  die  relative  Vermehrung  oder  Verminderung"  des 
Fibrins  und  wenigstens  die  annähernde  der  Blutkörperchen, 
da  diese  im  Gegensatze  zum  Fibrin  stehen,  erfahren  können. 

Man  kann  auch  eine  Portion  dieses  vom  Fibrin  befreiten 
Blutes  zur  Bestimmung  der  feuerfesten  Salze  nehmen  (siehe 
unten). 

3.     Albumin. 

Das  Albumin  wird  durch  Versetzen  des  Blutserums  mit 
Salpetersäure  erkannt ,  wo  es  im  normalen  Blute  als  starkes, 
weisses  Coagulum  fällt,  oder  durch  Erhitzen,  wo  das  Serum 
ganz  erstarrt.  Die  Gerinnung*  erfolgt  bei  75°  C. ,  je  mehr 
Salze  in  einem  Blute,  desto  unvollständiger,  schwieriger  ge- 
rinnt es. 

Prüft  man  das  Blutserum  mit  dem  Urometer  auf  sein 
specifisches  Gewicht,  so  kann  man  schon  auf  die  Albumin - 
menge  schliessen ,  wenn  eine  bedeutendere  Verringerung 
desselben  Statt  findet ;  das  normale  spec.  Gewicht  des  Blut- 
serums ist  1027 — 1028,  es  steigt  im  abnormen  Serum  bis 
über  1030  ,  und  fällt  bis  selbst  unter  1020. 

Aus  dem  Serum  kann  man  es  quantitativ  bestimmen,  wenn 
eine  gewogene  Menge  davon  coagulirt  wird  ,  dann  wird  das 
Coagulum  zerstiert,  zuerst  mit  Wasser,  dann  mit  Alcohol, 
Spiritus  und  zuletzt  mit  Äther  wiederholt  kurz  ausgekocht,  ge- 
trocknet, gewogen  und  weiter  berechnet  (siehe  quantitative 
Analyse).  Die  normale  Menge  im  Blute  beträgt  bei  Män- 
nern 68 ,  bei  Weibern  69. 

4.  Blutkörperchen. 

Eine  annähernde  Bestimmung  der  Blutkörperchen  ergibt 
sich  schon  aus  einer  Verminderung  und  Vermehrung  des  Fi- 


619 

brins ,  jedoch  können  auch  bei  normaler  Menge  des  Fibrins 
die  Blutkörperchen  vermehrt  oder  vermindert  sein.  Eine  genaue 
Bestimmung  liefert  nur  die  quantitative  Analyse  des  Blutes, 
eine  annähernde  kann  man  jedoch  auch  durch  vorsichtiges 
Pressen  des  mit  Papier  abgetrockneten  Cruors,  dessen  Menge 
bestimmt  ist ,  erhalten,  wenn  man  vom  getrockneten  Rück- 
stand, das  in  einem  anderen  Versuche  gefundene  Fibrin  da- 
von abzieht. 

Die  Menge  der  Blutkörperchen  beim  Weibe  ist  127,  et- 
was mehr  bei  Männern,  wo  ich  jedoch  die  Zahl  für  diessmal 
nicht  genau  feststellen  will. 

5.  Die  feuerfesten  Salze. 

Diese  erhält  man  aus  dem  Blutserum,  indem  eine  ge- 
wisse Menge  desselben  abgedampft,  und  der  Rückstand  ver- 
brannt wird;  der  Rückstand  wird  sammt  der  Schale  austarirt, 
die  Salze  werden  dann  mit  durch  Salpetersäure  angesäuer- 
tem Wasser  aufgelöst,  die  Schale  wird  wieder  auf  die  Wage 
gebracht,  und  durch  Gewichte  ins  Gleichgewicht  mit  der  Tara 
gebracht.  Durch  Berechnung  erfährt  man  den  ganzen  Salz- 
gehalt. Mit  der  wie  oben  angegebenen  Lösung  kann  man  die- 
selben Reactionen  machen ,  wie  beim  Harn  angegeben  ist,  es 
sind  wieder  die  vier:  3basisch  phosphorsaures  Natron,  Koch- 
salz, die  Erdphosphate  und  das  schwefelsaure  Kali  die  we- 
sentlichsten. 

Will  man  das  Eisen  der  Blutkörperchen  mit  bestimmen, 
so  nehme  man  das  vom  Fibrin  durch  Auswaschen  befreite  Blut, 
dampfe  einen  Theil  ab ,  und  verbrenne.  (Siehe  oben.) 

Die  Menge  der  Serumsalzeistim  normalen  Blute  bei  6,5, 
die  des  Eisenoxydes  im  Blute  0,6 — 0,7. 

4.    Quantitative  Analyse    des  Blutes,  nach  den 
Hauptbestandtheilen. 

In  den  meisten  Fällen  beabsichtigt  man  entweder  die  Un- 
tersuchung  des  Blutes,    nachdem    es  bereits  im   gerönne- 


620 

nen  Zustande  beobachtet  wurde,  oder  man  hat,  und  zwar 
in  den  meisten  Fällen  keine  Gelegenheit  das  Blut  anders  als 
im  geronnenen  Zustande  zur  Untersuchung*  zu  erhalten. 

Diese  Umstände,  so  wie  der,  dass  man  bei  der  anzu- 
gebenden Methode  auch  behufs  der  Diagnose  Versuehsvenä- 
sectionen  anstellen  kann,  da  man  mit  l'/2 — 2  Unzen  Blut 
schon  ausreichen  kann,  machen  die  Analyse  des  Blutes  für 
die  Praxis  brauchbarer,  um  so  mehr,  da  die  Methode  ein- 
fach ist,  und  nur  sehr  wenig  Zeit  in  Anspruch  nimmt. 

Ich  kann  mich  hier  auf  die  näheren  Details   nicht  ein- 
lassen ,   da  es  der  Raum  nicht  zulä'sst. 

Man  lässt  in  einer  Schale  2  Unzen  Blut  völlig  gerinnen, 
und  sich  Cruor  und  Serum  scheiden. 

Nun  berücksichtigt  man  die  äusseren  Eigenschaften  des 
Serums  und  Kuchens,  so  wie  die  mikroskopische  Untersuchung'. 

I.  Man  bestimmt  die  gesammte  Blutmenge. 
Diess  geschieht  in  Abtheilungen,  indem  man  zuerst  das  ganz 
klare  Serum  abgiesst  und  wiegt,  und  es  auf  die  Seite  stellt, 
dann  giesst  man  das  wreniger  klare  Serum  ab,  und  wiegt  es, 
endlich  trocknet  man  den  Kuchen  an  der  Oberfläche  mit  Fliess- 
papier ab ,  und  wiegt  diesen.  Die  Summe  der  3  Wägungen 
gibt  die  Blut  menge.  Wir  wollen  ein  Beispiel  nehmen  (ein 
Blut  von  Morb.  Brighlii). 

Die  Blutmenge  ist  59,0  Grammes. 

II.  In  dieser  wog  der  Cruor  28,44,  daher  in 
1000  Theilen  Blut : 

Cruor 482,0 

Serum  518,0 


denn  59:28,44  =  1000:  x  =  482,0. 

Ilf.  Von  dem  Cruor  nimmt  man  sogleich  zur  Wasser- 
bestimmung desselben  ein  Stück,  welches  man  durch 
einen  senkrechten  Schnitt  gewinnt,  e(\va  8  Grammes;  wir 
nahmen  in  unserem  Beispiele  5,72  Gr.,  und  trocknen  ihn  im 
Wasserbade-,  ist  er  schon  ziemlich  fest ,  so  zerbröckelt  oder 
zerstiert  man  ihn,  und  trocknet  zuletzt  im  Kochsalzbade  oder 


621 

auch  unter  der  Glocke  mit  Schwefelsäure.   Dieser  gab  Rück- 
stand 1,83,  den  man  nun  auf  die  Menge  des   Cruors ,  die  in 
1000  Blut  enthalten  ist,  berechnet  also: 
5,72:1,83  =  482,0  :x  =  154,2; 
daher  sind  in  482,0  Cruor : 

Wasser ,     .     .     .     327,8 

Feste  Stoffe        154,2 


IV.  Der  ganze  Rest  des  Kuchens  wird  auf  die  Leinwand 
gebracht,  und  das  Fibrin  durch  Auswaschen  gewonnen  (wie 
bereits  angegeben  wurde)  ;  auch  kann  man  nur  ein  Stück  ab- 
schneiden ,  man  muss  doch  20 — 25  Gr.  nehmen;  in  unserem 
Beispiele  wurden  20  Gr.  genommen,  diese  gaben  Fibrin  0,46, 
diese  auf  482,0  Cruor  (Menge  in  1000  Blut)  berechnet  geben: 

Fibrin  =  3,52;  denn 
20:0,146  =  482,0  :x  —  3,52. 

V.  Nun  schreitet  man  zum  Serum.  Die  oben  erhaltene 
klare  Portion  wird  genommen;  man  bestimmt  dessen  specifi- 
sches  Gewicht;  hier  .-=  1022. 

Eine  kleine  Portion  giesst  man  in  ein  Becherglas,  und 
setzt  concentrirte  Salpetersäure  zu ,  um  zu  sehen ,  ob  Gal- 
lenfarbstoff zugegen  ist  oder  nicht;  hier  war  keiner  zugegen. 
Eine  Portion  wiegt  man  ab  ,  wenigstens  doch  15  Grammen, 
wie  wir  es  hier  auch  nahmen,  und  dampft  im  Wasserbade  ab, 
und  trocknet  es  im  Kochsalzbade  oder  wie  den  Kuchen  (siehe 
oben)  und  wiegt  den  Rückstand;  hier  wog  er  1,17;  man 
bringt  ihn  in  Rechnung  mit  der  Serummenge  in  1000  Blut 
hier  =  518,0,  also: 
15:1,17   =    518,0  :x  =   40,41; 

daher  sind  in  5!8,0  Serum: 

Wasser 477,59 

Feste  Stoffe        40,41 


VII.  Nun  ergibt  sich  der  Wassergehalt  und  die  festen 
Stoffe  des  Blutes  in  1000,  wenn  man  die  Wassermenge  und 
die  der  festen  Stoffe  des  Cruors  und  Serums  addirt. 


622 


154,2  +  40,41  =  194,81; 
daher  sind  in  1000  Theilen  Blut: 

Wasser 805,39 

Feste  Stoffe 194,61 


VII.  Nun  folgt  die  Bestimmung  der  ganzen  Serum- 
stoffe für  1000  Theile  Blut. 

Es  müssen  nun  zu  den  festen  Stoffen  des  Serums,  die 
wir  in  dem  (abgiessbaren)  Serum  des  Blutes  fanden,  40,41 
(siehe  V)  die  Serumstoffe  des  Cruorrückstandes  addirt  wer- 
den, denn  die  194,61  (VI)  festen  Stoffe  des  Cruors  enthal- 
ten auch  Serumstoffe ,  weil  der  Kuchen  durch  eben  solches 
Serum  erweicht  davon  durchdrungen  ist,  wie  das  ist,  wel- 
ches abgegossen  wurde ;  die  Serumstoffe  des  Cruorrückstan- 
des findet  man ,  wenn  man  das  Wasser  des  Cruors  (in  III 
327,8)  als  Serum  berechnet ,  also  : 

477,59:40,41  =  327,8  :x  =  27,736  =  Serumstoffe  im 
Cruorrückstand ,  addirt  man  diese  zu  den  früher  gefundenen 
Serumstoffen  (40,41),  so  erhält  man  die  Menge  Serum- 
stoffe für  1000  Theile  Blut  =  68,15. 

VIII.  Die  Menge  der  Blutkörperchen  findet  man  nun, 
wenn  man  von  dem  ganzen  Cruorrückstand  (in  III  154,2)  die 
darin  gefundenen  Serumstoffe  (27,736)  und  auch  die  in  IV 
gefundene  Fibrinmenge  (3,52)  abzieht,  also  154,2  —  27,736 
=  126,464  —  3,52  =  122,94  Blutkörperchen. 

IX.  Will  man  nun  die  feuerfesten  Salze  des  Se- 
rums bestimmen ,  so  kann  man  den  Rückstand  von  dem  Se- 
rum hiezu  benützen,  welchen  man  bei  der  Bestimmung  des 
Wassergehaltes  des  Serums  erhalten  hat  (in  V  1,17).  Die- 
ser wird  durch  Betropfen  und  Erwärmen  mit  verdünnter  Sal- 
petersäure vorsichtig  aus  der  Schale  in  eine  Platinschale  ge- 
bracht und  verbrannt ,  die  Salze  werden  gewogen  und  für 
die  Serumstoffe  von  1000  Theilen  Blut  berechnet.  In  unserem 
Beispiele  erhielten  wir:  0,115  feuerfeste  Salze  aus  den  1,17 
Grammen  Serumrückstand,  daher: 


623 

1,17:0,115  =  68,15  :x  =  6,7,  also  sind  in  1000  Theilen 
Blut  feuerfeste  Salze  des  Serums  =  6,7. 

X.  Zieht  man  die  Salze  von  dem  Serumrückstand  ab,  so 
erhält  man  als  Rest  Albumin  und  die  unbedeutende  Menge 
extractive  Materien  beisammen,  also  61,45. 

Es  ist  meist  unnöthig,  das  Albumin  isolirt  zu  bestimmen, 
da  clie  extraetiven  Materien  nur  eine  sehr  geringe  Menge  be- 
tragen ,  und  im  pathologischen  Zustande  keine  wesentlichen 
Schwankungen  in  der  Menge  zeigen. 

Würde  man  jedoch  das  Albumin  (nach  der  bereits  früher 
angegebenen  Methode)  bestimmen  wollen ,  so  müsste  man 
eine  eigene  Menge  Serum  hiezu  verwenden.  Es  würden  sich 
dann  die  extraetiven  Materien  als  Rest  ergeben. 

Es  ist  somit  die  Zusammensetzung  des  Blutes  in  unse- 
rem Beispiele  von  Morb.  Brightü  in  1000  Theilen : 

Cruor 482,0 

Serum 518,0 

(speeifisches  Gewicht  des  Serums  1022.  Enthält  keinen  Gal- 
lenfarbstoff, enthält  viel  Harnstoff.) 

Normale : 

Wasser 805,39         790 

Feste  Stoffe         194,61  210 

Fibrin         3,52  3 

Blutkörperchen         122,94  127 

Serumstoffe         68,15  80 

Diese  bestehen  aus : 
Albumin  und  Extractivstoffen  (auch 

Harnstoff) 61,45  73,5 

mineralischen  Salzen         6,70  6,5 

XI.  Ist  nun  die  Dichtigkeit  des  Blutes ,  also  der  festen 
Stoffe  bedeutend  vom  Normale  abweichend,  so  muss  auch  die 
relativeMenge  der  einzelnen  Blutbestandttheile  beachtet 
werden ;  indem  man  jeden  einzelnen  auf  100  Theile  des  fe- 


624 

sten  Blutrückstandes  berechnet,   100  Theile  feste  Stoffe  ge- 
ben als  Normale  der  3  Hauptbestandteile : 

Fibrin 1,43 

Blutkörperchen           ....         60 
Serumstoffe 38 

Abnorme  Bestandteile  des  Blutes. 

1.  Biliphäin   (Gallenfarbstoff). 

Das  Biliphäin  kömmt  oft  im  Blute  vor,  in  grösster  Menge 
bei  Icterus,  bei  Leberleiden  oder  überhaupt  gestörter  Le- 
berfunction ,  so  bei  der  biliösen  Pneumonie ;  bei  Eclamp- 
sien  ist  oft  eine  ziemlich  grosse  oft  aurfallende  Menge  Bili- 
phäin im  Blute. 

Das  biliphäinhältige  Blut  ist  immer,  je  mehr  es  jenes 
enthält,  desto  dunkler,  es  scheint  der  Farbstoff  des  Blutes 
eine  theilweiseeigenthümliche  Veränderung  zu  erleiden,  wel- 
ches Pigment  auch  zur  Hautfärbuug  beizutragen  scheint, 
unter  dem  Mikroskop  zeigt  das  biliphäinhältige  Blut  meist  ge- 
perlte oder  an  der  Peripherie  gezackte  Blutkörperchen.  Das 
Blutserum  ist  goldgelb  oder  stark  braungelb,  oft  braun,  wenn 
zugleich  Hämatin  gelöst  ist,  welches  durchs  Biliphäin,  wie 
oben  erwähnt ,  verändert  wird. 

Man  entdeckt  das  Bili  p  häin  sehr  leicht ,  auch 
die  geringsten  Mengen  ,  wenn  man  plötzlich  das  ganze  Al- 
bumin aus  einer  Probe  des  Blutserums  fällt;  die  Albumin- 
klumpen erscheinen  in  einigen  Augenblicken  blau  oder  blau- 
grün,  und  um  so  stärker,  je  mehr  Biliphäin  zugegen.  Nur 
bei  sehr  grossen  Mengen  Biliphäin  (Icterus)  kann  man  auch 
die  anderen  Farbenveränderungen  in  Dunkelblau,  Violett  und 
Roth  mehr  oder  weniger  wahrnehmen. 

2.  Galle  ( gallensaures  Natron). 

Ich  habe  bereits  in  meinem  Archiv  bei  der  Untersuchung 
der  Hydrocele-Flüssigkeit  darauf  hingewiesen,  dass  diese  so 
wie  andere   exsudative  seröse  Flüssigkeiten  manchmal  gal- 


625 

lensaures  Natron  neben  Biliphäin  enthalten,  es  rauss  dieses 
also  durchs  Blut  gegangen  sein. 

Direct  habe  ich ,  obwohl  mit  Wahrscheinlichkeit,  aber 
doch  noch  nicht  voller  Gewissheit,  bei  Icterus  das  gallensaure 
Natron  im  Blute  gefunden.  Die  Probe  nach  Pettenkofer 
hat  nie  etwas  angezeigt,  aber  selbst  bei  absichtlicher  gerin- 
ger Beimischung  gab  sie  eiu  zweifelhaftes  oder  auch  gar 
kein  Resultat.  Der  Flüssigkeit  wird  etwas  Schwefelsäure  zu- 
gesetzt und  hierauf  eine  kleine  Menge  Zucker,  worauf  eine 
violette  Färbung  entstehen  soll.  Manchmal  sah  ich  die  Probe 
genügend,  aber  immer  ist  es  am  besten,  durch  Alkohol  erst 
das  gallensaure  Natron  auszuziehen. 

3.     Zucker. 

Den  Zucker  fand  man  bisher  nur  im  Blute  bei  Mellitu- 
ria  (diabetes  mellitus).  Simon  hat  ihn  auch  im  Kalbsblute 
gefunden;  auch  nach  Fütterung  mit  Zucker  wurde  er  im 
Blute  gefunden.  Ich  habe  durch  Versuche  gefunden,  dass  bei 
noch  säugenden  jungen  Thieren  der  Zucker  im  Blute  enthal- 
ten ist,  welcher  sich  wie  Harnzucker  verhielt,  aber  vom  Zu- 
ckergehalt der  Milch  offenbar  herrührt.  Mit  Blut  von  säugen- 
den Kindern  konnte  ich  noch  keine  Versuche  anstellen. 

Durch  meine  Zuckerprobe  kann  man  die 
geringsten  Mengen  Zucker  im  Blute  entde- 
cken, und  zwar  entweder  schon  unmittelbar  durch  Kochen 
des  Serums  mit  Ätzkali,  wobei  eine  dunklere  lebhafte  Färbung, 
dann  Versetzen  mit  Salpetersäure,  wo  man  den  Syrupgeruch 
wahrnimmt ;  oder  indem  das  Serum  durch  Erwärmen  coagu- 
lirf,  dann  mit  nicht  zu  starkem  Alcohol  (0,830)  in  der  Wärme 
ausgezogen  wird ,  nach  dem  Verdampfen  des  Alcohols  bis 
auf  einen  kleinen  Rückstand  wird  dieser  der  Zuckerprobe 
unterworfen;  dann  bekömmt  man  immer  ein  entscheiden- 
des Resultat. 

4.    Harnstoff. 

Der  Harnstoff  findet  sich  immer  im  Blute ,    wenn  eine 
Unterdrückung  der  Harnsecretion  oder  starke  Harnverhaltung 
Gaal  Diagnostik.  40 


0*6 

eintritt  ;  so  habe  ich  ihn  in  grösster  Menge  im  Cholerablute 
gefunden,  dann  bei  Morbus  Brightii,  auch  bei  Ischurien. 
Der  Harnstoff  wird  entdeckt,  indem  man  ihn  aus  dem  durch 
Hitze  coagulirten  Serum  mittelst  kochenden  absoluten  AIco- 
hol  auszieht,  den  Alcohol  verdampft,  den  Rückstand  in  einem 
Tropfen  Wasser  löst ,  etwas  Lösung  dann  auf  ein  Ob- 
jectglas  bringt,  und  hier  mit  concentrirter  Salpetersäure  ver- 
setzt; es  entstehen  Krystalle  von  salpetersaurem  HarnstofF, 
den  man  unter  dem  Mikroskop  erkennt. 

Bei  mehr  HarnstofF  kann  man  gleich  im  Schälchen  con- 
centrirte  Salpetersäure  zusetzen,  wo  der  salpetersaure  Harn 
oft  sogleich  eine  erstarrte,  perlmutterglänzende  Masse  oder 
Krystallschuppen  gibt ,  deren  Glanz  man  am  besten  sieht , 
wenn  man  die  Masse  zwischen  Filterpapier  quetscht. 

5.     Eiter. 

Der  Eiter  kömmt  im  Blute  verschiedener  Fälle  vor,  wenn 
er  resorbirt  wird,  bei  Gegenwart  irgend  einer  örtlichen  Eite- 
rung ;  ob  er  im  Blute  selbst  entstehen  kann ,  wollen  wir  hier 
nicht  besprechen. 

Ich  habe  vor  Kurzem  mit  Sicherheit  nachgewiesen,  dass 
die  Eiterzelle  als  solche  im  Blute  circulire.  Eiter  ist  daher 
immer  mit  voller  Gewissheit  durch  das  Mikroskop  zu  erken- 
nen; es  kömmt  jedoch  hier  nur  darauf  an,  den  Eiter  oder 
eigentlich  die  Eiterzellen  aus  einer  gewissen  grösseren  Menge 
Blutes  zu  sammeln.  Diess  geschieht ,  indem  man  das  Blut , 
besonders  die  oberen  Schichten  des  Kuchens,  in  so  viel 
Wasser  nach  und  nach  löst ,  bis  kaum  mehr  Blutkörperchen 
sich  absetzen,  lässt  es  in  einem  hohen  engen  Cylinderglase  ste- 
hen und  gut  absetzen,  dann  giesst  man  das  Klare  ab,  nimmt 
das  Sediment,  und  mischt  es  in  ein  dünnes  Probirgläschen  mit 
destillirtem  Wasser,  lässt  wieder  absetzen,  und  giesst  das 
Wasser  ab ;  in  diesem  feinen  Sedimente  muss  der  Eiter  unter 
dem  Mikroskop  mit  deutlichen  Kernen,  besonders  nach  Be- 
handlung mit  Essigsäure,    zu   sehen  sein.   Man  kann  auf 


627 

diese  Weise  aus  einem  ganzen  Kuchen  von  ein  paar  Unzen  Blut 
die  Eiterzellen  nach  und  nach  sammeln. 

Das  eiterhältige  Blut ,  welches  man  durch  Venäsection 
erhält ,  hat  entweder  wenig*  oder  auch  gar  kein  Fibrin ,  es 
findet  diessfalls  die  Fibrinausscheidung  im  Körper  schon  statt. 
Dann  schwimmt  der  Eiter  auf  dem  Blutkörperchensedimente 
als  weisse  Schichte.   (Mein  Archiv  1846  Heft  3.) 

6.  Emulsionskugeln. 

Das  Blut  bei  Entzündungen ,  besonders  bei  Peritonitis, 
hat  manchmal  ungeheuer  grosse  Mengen  von  Fett ,  und  er- 
scheint dann  milchig  oder  milchweiss.  Unter  dem  Mikroskop 
sieht  man  lauter  verschieden  grosse  Kügelchen ,  wie  in 
der  Milch;  prüft  man  sie  unter  dem  Mikroskop  auf  Fett,  so 
wird  man  diesem  nicht  ganz  entsprechende  Resultate  finden. 
Ich  halte  diese  Kügelchen  für  Fettkügelchen,  welche  mit 
einer  Hülle  von  Albumin  umgeben  sind ;  daher  sind  die  Rea- 
gentien  ohne  Einwirkung  auf  das  Fett,  daher  vereinigen  sich 
die  Fetttröpfchen  nicht  zu  grösseren.  Ich  bin  der  Meinung, 
dass  durch  Fettsäuregehalt  der  Kügelchen  eine  kleine  Hülle 
Albumin  auf  die  Peripherie  gefällt  wird,  und  dass  diess  ebenso 
bei  der  Milch  geschieht,  oder  es  können  schon  die  Fetttröpf- 
chen an  der  Oberfläche  zuerst  sauer  werden,  und  so  die  Al- 
buminpräcipitation  (Hüllenbildung)  veranlassen. 

7.  Kohlensaures   Ammoniak. 

Dieses  kömmt  vor  im  Blute  beim  Typhus,  je  mehr  dieser 
putrid  geworden ,  auch  bei  Scorbut  und  in  verschiedenem 
hämorrhagischem  Blute.  Es  ist  stets  Product  der  Fäulniss  leb- 
los gewordener  organischer  Theile. 

Das  Blut  hat  immer  eine  dunkle  etwas  ins  Violette  ge- 
hende Farbe ;  ist  stark  dissolut  und  zeigt  sehr  schwache  Ge- 
rinnbarkeit. 

Das  kohlensaure  Ammoniak  wird  erkannt,  wenn  das 
Blut  im  Ammoniakapparate  (siehe  Apparate   und  Harn)  er- 

40  # 


628 

hitzt  wird,  es  muss  jedoch  möglichst  frisch  genommen  wer- 
den, sonst  könnte  sich  das  Ammoniak  während  des  Stehens 
gebildet  haben. 

Die  Stoffe,  die  ich  hier  noch  anführe,  sind  noch  nicht 
mit  voller  Evidenz  nachgewiesen  oder  genauer  bestimmt: 

8.  Das  Uroxanthin;  ich  habe  im  Blute  bei  Cholera 
dessen  deutliche  Eigenschaften  gesehen  und  glaube,  dass  es 
dieser  Stoff  war. 

9.  Das  harnsaure  Natron.  Die  Nodi  und  Tophi 
bei  Gichtkranken  enthalten  harnsaures  Natron  •  dieser  Um- 
stand, so  wie  dass  ich  auch  im  Schweisse  Gichtkranker  Harn- 
säure gefunden,  ferner  die  Versuche  Ure's  (mein  Archiv 
1845  1  und  2  p.  118)  machen  es  wahrscheinlich  ,  dass  die- 
ses im  Blute  vorkomme. 

10.  Wären  noch  einige  abnorme  Körper  zu  erwähnen. 
a)  Im  Blute  bei  Cancer  uteri,    sowohl  in   dem  durch 

Venäsection  gelassenen  als  dem  Metrorrhagischen  finde  ich 
stets  einen  krystallinischcn  goldglänzenden  Körper,  wel- 
cher den  Kuchen  wie  ein  schön  glänzender  Goldstaub  be- 
deckt. 

6)  Im  Blute  mancher  Puerperalkranken  bildet  sich  eine 
feine  abziehbare  Membran  auf  der  Faserstoffhaut. 

c)  Ebenfalls  im  Puerperalblute,  entzündlichem  Blute 
fand  ich  einmal  in  sehr  geringer  Menge  einen  ganz  eigen- 
thümlichen  rosenrothen  Farbstoff,  der  sich  ähnlich  dem  Uro- 
erythrin  verhielt. 

Es  war  anfangs  meine  Absicht,  hier  noch  einige  patho- 
logische Zustände  des  Blutes  anzuführen ,  es  gestattet  es 
jedoch  der  Raum  nicht  mehr;  ich  glaube  indess  auf  das  We- 
sentlichste ,  worauf  man  bei  der  Untersuchung*  des  Blutes 
zu  achten  hat ,  aufmerksam  gemacht  zu  haben. 

Hydropisciie  icncl  ses*©se  FAiiss*gIie£ieii. 

Ich  werde  in  diesen ,  so  wie  in  den  folgenden  Capiteln 
nur  auf  das  Wesentlichste ,  inwiefern  bei  der  Untersuchung 
darauf  Rücksicht  genommen  werden  muss,  mich  beschränken. 


629 

Die  hydropischen  Flüssigkeiten  haben  alle  miteinander 
eine  grosse  Ähnlichkeit  und  haben  gewisse  Bestandteile 
miteinander  gemein.  Für  manche  Fälle  haben  wir  bereits  Be- 
sonderes aufgefunden.  Sie  sind  entweder  bluthältig  (hämor- 
ihagische)  oder  nicht  (serös)  ,  in  letzterem  Falle  ist  ihre 
Farbe  gewöhnlich  mehr  oder  weniger  gelblich,  oder  stark- 
gelb (von  Biliphäin),  auch  wässrigfrübe ,  milchig  (Morbus 
BrighliQ  von  Natronseife ;  ferner  bei  einem  Blutgehalte  hell- 
roth  (durch  exosmotisches  Blut)  oder  Blutkörperchen  sedi- 
mentirend  (von  ausgeflossenem  Blute). 

Sedimente  findet  man  manchmal,  aus  Elementarkör- 
perchen,  Epithelien,  Erdphosphaten,  Körnchcnzellen  (Ent- 
zündungskugeln), Eiter,  Cholesterin,  Fibrinflocken  und 
Blutkörperchen;  die  Reaction  ist  immer  alkalisch;  das 
speci fische  Gewicht  ist  schwankend  und  hängt  mei- 
stens von  der  Albuminmenge  oder  vom  beigemischten  Blute  ab. 

Die  Bestandtheile  können  wir  in  zwei  Hauptabtheilungen 
bringen : 

1.  Solche,  welche  immer  vorhanden  sind,  also  con- 
stante  Bestandtheile; 

2.  nicht  constante,  welche  nur  in  gewissen  Fällen 
vorkommen. 

Die  constanten  Bestandtheile  sind  : 

1.  Albumin.  Dieses  ist  immer  vorhanden,  die  Menge 
sehr  verschieden ;  bei  Morbus  Brightii ,  wo  es  immer  durch 
den  Harn  ausgeschieden  wird,  immer  sehr  gering.  —  In  an- 
deren Hydropsien  ,  in  grösserer  oft  sehr  grosser  Menge,  be- 
sonders bei  Ascites;  in  der  Hydroceleflüssigkeit;  in  pleuriti- 
schen und  anderen  Exsudaten. 

2.  Fett.  Dieses  ist  oft  in  sehr  grosser  Menge  vornan*- 
den ,  z.  B.  bei  Ascites ,  dann  erzeugt  es  Emulsionskugeln , 
wenn  zugleich  viel  Albumin  vorhanden  ist. 

3.  Verseiftes   Fett    (Natronseife)   ist   ebenfalls  oft 


630 

in  grosser  Menge  zugegen,  es  ist  dann  Ursache  des  milchi- 
gen Aussehens  der  Flüssigkeit,  wenn  man  keine  Emulsions- 
kügelchen  unter  dem  Mikroskope  entdeokt  hat.  Die  Seife  lässt 
sich  durch  Alcohol  aus  dem  Rückstand  ausziehen,  man  sieht 
in  dem  Rückstand  der  alcoholischen  Lösung  keine  Fettkü- 
gelchen,  gibt  man  aber  Salpetersäure  zu,  so  entstehen  sehr 
viele  grosse  flüssige  Fetttropfen  und  Krystalle  aus  salpeter- 
saurem Natron. 

4.  Die  mineralischen  Salze  des  Blutes,  Kochsalz,  3bas. 
phosphorsaures  Natron,  schwefelsaures  Kali  und  die  Erd- 
phosphate. Besonders  bemerkenswerth  ist ,  wie  ich  nachge- 
wiesen (mein  Archiv  1845  H.  1  und  2)  ,  dass  besonders  bei 
Morb.  Brightii  in  der  hydropischen  Flüssigkeit  die  Menge 
dieser  Salze  ausserordentlich  gross  ist ,  sie  steht  im  Gegen- 
satze zu  der  im  Harn,  wo  stets  so  geringe  Mengen  gefunden 
werden.  Stets  ist  das  Kochsalz  besonders  vorherrschend,  bei 
Ascites  oft  in  enorm  grosser  Menge. 

5.  Die  extractiven  Materien  betragen  eine  geringe  Menge. 
Die  nicht  constanten  Stoffe  sind: 

1.  Fibrin,  ohne  dass  Blut  zugegen  ist;  es  erscheint 
entweder  bloss  in  geringer  Menge ,  bildet  weisse  Flocken 
und  Faden  im  Sedimente ,  oder  es  bildet  ein  grosses  Coagu- 
lum  oder  auch  mehrere  Klumpen  in  einem  Gefässe ,  in  wel- 
chem die  Flüssigkeit  aufgefangen  wurde.  Manchmal  sieht 
man  die  Flüssigkeit  ganz  gestehen  ,  gelatiniren,  so  dass  sie 
aufhört  liquid  zu  sein;  auch  hier  ist  ein  grosser  Fibringehalt 
die  Ursache  ;  und  es  ist  eine  solche  Flüssigkeit  als  ein  wahrer 
liquor  sanguinis  zu  betrachten.  Die  Trennung  des  Fibrins 
geschieht  ebenso  wie  beim  Blute  durch  die  Leinwand. 

2.  Blut  und  zwar  entweder  bloss  exosmotisches  d.  i. 
durch  Hämatin  rothgefärbter  liquor  sanguinis ,  oder  wirklich 
geflossenes  Blut  (hämorrhagische  Exsudate). 

3.  Harnstoff.  Dieser  findet  sich  bei  Morbus  Brighlii, 
sowie  im  Blute,  und  wird  ebenso  bestimmt. 


631 

4.  Cholesterin.  Man  findet  oft  grosse  Mengen  davon, 
besonders  in  der  Hydroceleflüssigkeit ,  wo  man  es  schon  mit 
dem  freien  Auge  sieht ,  als  schimmernde  Blättchen  schwim- 
men und  entweder  ein  Sediment  bilden  oder  schwimmend  auf 
der  Flüssigkeit,  wenn  viel  Albumin  zugegen.  Es  erscheint 
unter  dem  Mikroskop  wie  Fig.  23. 

5.  Biliphäin  findet  sich  oft  in  grosser  Menge  und 
zwar  besonders  in  der  Ascitesflüssigkeit,  Hydrocele,  u.  a.  Ist 
Biliphäin  und  Blut  zugleich  hier ,  so  entsteht  oft  eine  sehr 
dunkelbraune  Farbe  der  Flüssigkeit  (bei  hämorrhagischen  Ex- 
sudaten der  Brusthöhle,  Hydrocele  seltener  u.  a.).  DieAus- 
mittlung  geschieht  durch  Salpetersäure  wie  im  Blutserum , 
wo  das  Albumincoagulum  blau  und  blaugrün  wird. 

6.  Gallensaures  Natron;  Galle,  habe  ich  in  der 
Hydroceleflüssigkeit  und  in  hämorrhagischen  Exsudaten  ge- 
funden ;  es  wird  wie  aus  dem  Blute  ausgeschieden  (siehe  dort). 

7.  Eiter.  Dieser  findet  sich  immer  als  Sediment,  wenn 
er  zugegen  ist ,  welches  man  unter  dem  Mikroskop  besich- 
tiget. 

Ist  Eiter  zugleich  mit  Blutkörperchen  im  Sediment,  so 
schütte  man  die  Flüssigkeit  vom  Sedimente  ab,  löse  die  Blut- 
körperchen in  Wasser  und  lasse  in  einem  schmalen  hohen 
Cylinderglase  wieder  absetzen  ,  giesse  ab  und  untersuche 
dieses  Sediment  nun  auf  Eiter  unter  dem  Mikroskop. 

8.  S  ch  wefelwasserstoff  und  Phosphorwas- 
serstoff, welche  Producte  der  Zersetzung  des  Albumins 
(welches  Schwefel  und  Phosphor  enthält)  sind ,  sie  verbrei- 
ten einen  fauligen  Geruch,  und  entstehen  um  so  früher,  je 
verdünnter  die  Albuminlösung  ist ,  also  je  weniger  Albumin 
in  einer  solchen  Flüssigkeit  ist,  daher  bei  Morb.  Brightii 
die  hydropische  Flüssigkeit  meistens  stinkt,  auch  der  Schweiss 
des  Kranken. 

Man  erkennt  diese  Gase ,  wenn  die  Flüssigkeit  im  Am- 
moniakapparat erhitzt  wird,  man  bringt  aber  in  die  Röhre 
mit  essigsaurem  Blei  getränktes  Papier,  welches  bei  Gegen- 


632 

wart  von  Hydrothionsäure  braun  wird,  und  ist  diese  da,  so 
ist  auch  das  andere  Gas  vorhanden. 

Im  Übrigen  untersucht  man  alle  diese  Flüssigkeiten , 
wenn  sie  beim  Erhitzen  nicht  ganz  coagulircn ,  wie  den  al- 
buminösenHarn,  ist  aber  letzteres  der  Fall,  also  so  wie  Blut- 
serum (siehe  oben). 

Schweifs. 

Um  den  Schweiss  zu  untersuchen ,  sammelt  man  ihn 
entweder  unmittelbar  durch  den  unter  den  Apparaten  ange- 
gebenen grösseren  Platinlöffel ,  indem  man  so  die  Tropfen 
auffängt  und  in  einem  Gefässe  sammelt;  so  kann  man  im 
Dampfbade  viel  Schweiss ,  wenn  gleich  durch  Wasser  ver- 
dünnt sammeln. 

In  den  meisten  Fällen  verfährt  man  aber  anders ,  man 
bedient  sich  eines  reinen  Leinwandlappens  oder  des  weissen 
Filtrirpapiers,  womit  man  durch  Abwischen  des  Körpers  den 
Schweiss  sammelt,  entweder  kann  man  so  viel  bekommen, 
dass  man  die  Leinwand  und  das  Papier  ausdrücken  kann,  oder 
man  wäscht  mit  destillirtem  Wasser  den  Schweiss  aus  dem 
Papier  oder  der  Leinwand  aus ,  um  ihn  qualitativ  zu  unter- 
suchen. Manchmal  handelt  es  sich  nur  um  gewisse  Stoffe, 
von  deren  Gegenwart  man  sich  gerne  überzeugen  möchte, 
der  Patient  schwitzt  aber  sehr  wenig,  so  dass  man  geradezu 
keinen  Schweiss  sammeln  kann,  dann  wende  man  nasse 
Leinwand  an  ,  mit  der  man  die  Haut  abwäscht,  denn  die  fe- 
sten Stoffe  des  Schweisses  bleiben  auf  der  Haut  zurück.  So 
habe  ich  bei  der  Melliturie  im  Schweisse  den  Zucker  nach- 
gewiesen. 

Bei  der  Untersuchung'  des  Schweisses  handelt  es  sich 
hauptsächlich  darum ,  gewisse  abnorme  Stoffe  aufzufinden. 

Der  normale  S  ch  weis  s  hat  folgende  Charaktere: 

Reaction  sauer ,  wird  schnell  alkalisch ,  das  specifische 
Gewicht  ist  1004 — 1006. 


633 

Im  Sediment  findet  man :  Epidermisschuppen  und  Erd- 
phosphate. 

Die  wesentlichen  Bestandteile  des  Schweisses  sind: 

Die  extractiven  Materien;  Fett,  von  einem  eigenthüm- 
lichen  Gerüche,  Buttersäure  enthaltend.  Freie  Essigsäure 
und  essigsaures  Ammoniak  und  fixes  Alkali.  Freie  Milch- 
säure (?)  Simon.  Salzsaures  Ammoniak ,  Kochsalz,  Erd- 
phosphate und  sehr  wenig  schwefelsaures  Kali. 

Die  Gase  der  Hautausdünstung,  vorzüglich  Kohlensäure 
und  Spuren  von  Schwefelwasserstoff. 

Im  krankhaften  Schweisse  findet  man  : 

1.  Den  Geruch  verschieden. 

2.  Einzelne  Normalstoffe  vermehrt ,  so  die  freie  Säure 
vermehrt,    bei  Gicht ,  Rheumatismus,  bei  Scrophulosis  etc. 

3.  Fett ,  besonders  bei  Tuberculose  und  Zehrfieber. 

4.  Die  Ammoniaksalze  bei  Typhus ,  purpura  haemor- 
rhagica,  Scorbut. 

5.  Die  Salze  vermehrt,  besonders  das  Kochsalz,  wel- 
ches man  oft  in  so  grosser  Menge  findet,  dass  es  beim  Trock- 
nen des  Schweisses  auf  der  Haut  eine  schimmernde  Crusta 
zurücklässt,  die  man  abschaben  kann  (ich  fand  es  so  in 
Hydropsien). 

Abnorme  Stoffe  findet  man  : 

1.  Albumin,  bei  hectischen ,  fauligen  Fiebern,  bei 
Gliederrheumatismus,  im  Schweisse  bei  Agone,  bei  Hydrops. 

2.  Harnsäure.  Diese  habe  ich  bei  Gicht  gefunden; 
der  Schweissrückstand  gab  die  Murexidprobe  deutlich. 

3.  Biliphäin,  bei  Icterus  oft  in  grosser  Menge  (die 
Haut  wird  durch  Salpetersäure  grün). 

4.  Die  Producte  des  Uroxan  t  hin  s  ,  IJrrhodinund 
U  r  o  g  1  a  u  c  i  n  (blauer  Schweiss).  Diese  habe  ich  im  Schweisse 
bei  einem  Unterleibsleiden  und  Hypochondrie  nachgewiesen. 

5.  Kohlensaures  Ammoniak  bei  Typhus ,  Scor- 
but, auf  dieses  hat  man  besonders  beim  Typhus  Rücksicht  zu 
nehmen ,    denn  je  mehr  dieses  im  Schweisse  ist  (so  wie  im 


634 

Harn) ,  desto  mehr  verräth  diess  ein  Vorgeschrittensein  des 
typhösen  Processes ;  in  der  Reconvalescenz  hört  der  ammo- 
niakalische  Schweiss  auf,  so  wie  im  Harn  auch  die  alkalische 
Reaction  verschwindet. 

6.  Zucker  habe  ich  im  Schweisse,  besonders  von  den 
Füssen  deutlich  nachgewiesen  bei  der Melliturie.  Der  Schweiss 
wurde  durch  einen  feuchten  Leinwandlappen  gesammelt,  die- 
ser wurde  mit  destillirtem  Wasser  ausgewaschen ,  und  das 
Fluidum  eingedampft ,  dann  meine  Zuckerprobe  gemacht. 

Dass  Blut  im  Seh  weiss  e  bei  Typhus  vorkomme,  be- 
zweifle ich ,  da  es  bei  einer  so  grossen  Menge  von  Fällen 
hier  noch  nicht  beobachtet  wurde ;  wohl  habe  ich  manchmal 
röthlichen  Schweiss  gesehen ,  dessen  Farbstoff  ich  damals 
nicht  genau  bestimmen  konnte ,  es  war  wahrscheinlich  Ur- 
rhodin ,  denn  er  war  im  kalten  Alkohol  löslich. 

Nach  dem  Genüsse  oder  arzneilichen  Gebrauche  gewis- 
ser Stoffe  kommen  diese  im  Schweisse  vor. 

So  habe  ich  das  Jod  oft  in  sehr  grosser  Menge  gefun- 
den; man  macht  sich  Xyloidin ,  streicht  es  auf  einen  Lein- 
wandlappen, und  legt  diesen  nur  auf  einige  Augenblicke  auf 
die  Haut,  wo  die  violette  Reaction  sehr  schnell  eintritt. 

Bei  dem  Gebrauche  von  essigsauren  Salzen  fand  ich  die 
Essigsäure  im  Schweisse  stark  vermehrt.  Schwefel  er- 
scheint als  Schwefelwasserstoff  im  Schweisse;  auch  das 
Quecksilber  soll  im  Schweisse  erscheinen,  ich  konnte  es 
noch  nicht  nachweisen.  Auch  gewisse  organische  Stoffe, 
Chinin,  Rheum  etc.  und  Farbstoffe  (Indigo)  sollen  in  den 
Schweiss  übergehen. 

Spei*  in  a. 

Ich  habe  einige  Abnormitäten  beim  Sperma  entdeckt,  auf 
welche  ich  aufmerksam  machen  will. 

Das  normale  Sperma  ist  eine  mehr  oder  weniger 
milchig  erscheinende  Flüssigkeit ,  welche  ganz  frisch  fast 
keinen  Geruch  hat,  wie  ich  stets  beobachtet,  sondern  es  nimmt 


«35 

einen  eigentümlichen  Geruch  erst  an ,  wenn  es  mit  der  Luft 
in  Berührung  kommt,  und  zwar  je  länger  diess  ist,  desto 
stärker  der  Geruch  ;  dieser  kömmt  nicht  der  eigenthümlichen 
spermatischen  Substanz  zu,  sondern  einem  eigenthümlichen 
Fett.  Das  speciflsche  Gewicht  und  daher  die  Menge  der  fe- 
sten Stoffe  hängt  von  der  Länge  der  Zeit  ab,  die  das  Sperma 
zurückgehalten  wurde. 

Unter  dem  Mikroskop  sieht  man  im  frischen  Sperma  die 
Spermatozoon  lebend ,  sich  schnell  bewegen ;  sind  sie  todt, 
so  zeigen  sie  die  Schwänze  gerade  gestreckt.  Fig.  22.  Fer- 
ner sieht  man  Epithelium  und  Schleimkugeln ,  welche  sehr 
gross  sind  ,  auch  Fettkügelchen. 

Das  Sperma  enthält : 

1.  Fibrin,  welches  die  gelatinöse  Coagulation  des 
Spermas  veranlasst,  es  gab  sich  mir  als  solches  stets  zu 
erkennen. 

2.  Ein  eigenthümliches  Fett 

3.  Das  S  perm  a  tin  ,  die  spermatische  Substanz,  wel- 
che durch  Kochen  mit  Salzsäure  bräunlichroth ,  mit  kalter 
Salpetersäure  schnell  gelb  wird. 

4.  Die  4  wesentlichsten  Salze  des  Blutes. 
Die  Abnormitäten ,  die  ich  aufgefunden  ,  sind : 

1.  Bedeutende  Verdünnung  undMan  gel  der 
Gerinnbarkeit  beim  Tripper. 

2.  Albumin  und  verändertes  Humatin  ent- 
haltend ,  ebenfalls  bei  Trippern  und  Orchitis. 

3.  Der  Mangel  des  Fetts  und  völliger  Mangel  des  Ge- 
ruches während  Orchitis;  erst  wenn  die  Resorption  völlig  vor 
sich  gegangen  ist ,  erscheint  der  Geruch  wieder. 

4.  Todte  Spermatozoon  und  gänzliche  Ab- 
wesenheit derselben.  Diess  habe  ich  genau  beobachtet  bei 
einigen  Individuen ,  wo  ich  vor  dem  Erkranken  die  Sperma- 
tozoon in  ihrem  Sperma  gesehen ,  und  zwar  fand  ich  diess 
während  des  Trippers  im  Entzündungsstadium ,  während  mit 
der  Heilung  die  Spermatozoon  wieder  erschienen. 


636 

Bei  Orchitis,  auch  nur  des  einen  Hodens,  verschwinden 
sie,  erscheinen  aber  wieder;  zweimal  hatte  ich  aber  Gele- 
genheit zu  beobachten ,  dass  sie  gar  nicht  mehr  erscheinen, 
wenn  beide  Hoden  von  Orchitis  befallen  waren  ,  wenigstens 
war  diess  bisher ,  wo  über  ein  Jahr  verflossen  ,  der  Fall. 

milch. 

1.  Die   Milch    vor   der  Geburt. 

Die  Unterschiede  dieser  sind  von  der  normalen  Milch 
ziemlich  bedeutend,  je  mehr  sich  die  Zeit  der  Geburt  nähert, 
desto  mehr  treten  jene  zurück. 

Sie  enthält  viel  Albumin  und  keinen  Zucker ,  nach  und 
nach  verschwindet  das  Albumin ,  und  es  erscheint  Casein, 
Fett  und  Zucker. 

2.  Die  Milch  unmittelbar  nach  der  Geburt, 

Colostrum. 

Das  Colostrum  ist  viel  dicker  als  Milch ,  schmutzig- 
gelblich ,  von  süssem  Geschmack.  Es  setzt  freies  Fett  ab ; 
unter  dem  Mikroskop  sieht  man  runde,  granulirte  Körperchen 
(Colostrumkörperchen)  ;  sie  kommen  vom  8.  bis  zum  20.  Tag 
in  der  Milch  der  Wöchnerinnen  vor.  Das  Colostrum  enthält 
fast  die  doppelte  Menge  Fett  als  die  Milch  und  bedeutend 
mehr  Milchzucker ,  sonst  eine  relativ  gleiche  Menge  Casein 
und  Salze,  die  Gesammtmenge  der  festen  Stoffe  ist  bedeu- 
tend grösser. 

3.  Die  eigentliche  Milch. 
I.  Die  normale  Milch. 

Sie  ist  weiss  oder  bläulieh  weiss ,  süsser  als  Kuhmilch, 
Reaction  alkalisch  ,  spec.  Gewicht  1030 — 1034.  Unter  dem 
Mikroskop  sieht  man  die  Emulsionskü  gelchen  (But- 
terkügelchen) ,  von  denen  ich  schon  beim  Blute  gesprochen; 
ßie  sind  hier  die  von  einer  dünnen  Hülle  der  Proteinverbin- 


637 

düng  eingeschlossene  Butter  (oder  Fett).  Bei  der  Gewinnung 
der  Butter  (beim  Buttern)  bersten  die  Hüllen ,  und  es  verei- 
nigt sich  das  freie  Fett  (Butter),  während  die  Hüllen 
in  der  Milch  dann  als  weisse  Flocken,  welche  oft  grössere 
Coagula  bilden  ,   sich  absetzen. 

Die  Normalstoffe  der  Milch  sind: 

1.  B  u  1 1  e  r  (Fett).  Die  Menge  schwankt  zwischen  20 — 50, 
in  Abnormitäten  sinkt  sie  oft  noch  tief  unter  10  für  1000. 

2.  Casein.  Dieses  beträgt  bei  35  für  1000.  Es  wird 
durch  Essigsäure  gefällt. 

3.  Milchzucker.  Dieser  sckwankt  oft  sehr  in  der 
Menge  zwischen  40  und  65,  in  kranker  Milch  oft  auf  sehr 
geringe  Mengen.  Zur  Erkennung  des  Zuckergehalts  kann 
man  meine  Zuckerprobe  anwenden.  Wird  die  native  Milch 
mit  Ätzkali  gekocht,  so  entsteht  eine  tief  orange,  rothbraunc 
Färbung  der  Milch ,  wird  dann  Salpetersäure  zugesetzt ,  so 
entwickelt  sich  ein  starker  Geruch  nach  Zuckersyrup.  Je  we- 
niger Zucker  in  der  Milch ,  desto  lichter  orange  ist  die  Reac- 
tion,  je  mehr  desto  (iefer  rothbraun  ist  dieselbe. 

Die  Veränderungen  der  Milch,  welche  der 
Dauer  des  Säugens  entsprechen,  sind  in  Beziehung 
auf  die  Hauptbestandteile  folgende: 

1.  Das  Casein  steigt  immer  mehr,  und  erhält  sich 
endlich  länger  gleich. 

2.  Der  Zucker  verhält  sich  entgegengesetzt  dem  Ca- 
sein ,  er  beträgt  im  Anfange  am  meisten  und  verringert  sich 
immer  mehr. 

3.  Die  Butter  ist  ganz  ungleich  veränderlich  in  ihrer 
Menge. 

4.  Die  feuerfesten  Salze.  Die  Gesammtzahl  be- 
trägt wohl  nicht  viel  2,5  ,  steigt  selten  über  3 ;  aber  sie  sind 
meist  Phosphate;  es  scheint  die  Natur  hier  dieselben  für  die 
Bildung  der  Knochen  des  Kindes ,  dessen  erste  und  einzige 
Nahrung  die  Milch  ist ;  vorbereitet  zu  haben. 


638 


II.  Abnorme  Milch. 


Die  Abnormitäten  betreffen  vorzüglich :  Die  Ab-  oder 
Zunahme  der  Dichtigkeit,  Ab-  oder  Zunahme  eines  der  Haupt- 
bestandteile. Man  wende  daher  das  Urometer  an ,  dann  die 
Zuckerprobe,  und  Essigsäure  zur  Coagulation  des  Caseins. 

Gegenwart   abnormer   Stoffe. 

1.  Milchsäure.  Die  Milch  reagirt  sauer  und  es  erfolgt 
schon  eine  theilweise  Coagulation  im  Körper;  es  treten  dann 
durch  Verstopfen  mit  Caseinklümpchen  oft  Brustbeschwerden 
ein.  Diess  kömmt  bei  syphilitischen  Frauen  vor. 

2.  Albumin,  entweder  allein  oder  mit 

3.  Humatin.  Die  Milch  gerinnt  beim  Kochen,  wenn 
Albumin  zugegen ,  oder  man  lasse  die  Milch  gerinnen ,  ent- 
ferne das  Case'in ,  und  suche  in  der  klaren  Molke  Albumin, 
durch  Kochen  und  durch  Salpetersäure.  Ist  Hämatin  da ,  so 
hat  die  Milch  einen  blass  rosenrothen  Farbenton,  auch  ist  sie 
manchmal  stärker  röthlich ;  das  Hämatin  wird  erkannt,  wenn 
das  ausgeschiedene  Albumin  beim  Eintrocknen  rothbraun  wird. 

4-  Blutkörperchen  enthält  die  Milch  manchmal  hei 
Wunden  oder  nach  Innen  sich  öffnenden  Abscessen.  Man  lasse 
gut  den  Rahm  absetzen  ,  und  suche  im  Boden  die  Blutkör- 
perchen; dann  ist  aber  auch 

5.  Eiter  in  den  meisten  Fällen  zugegen;  den  Eiter 
findet  man  oft  in  der  Milch,  ehe  man  noch  Eiterung  vermu- 
thet.  Man  besehe  nicht  die  Milch,  wie  sie  ist,  sondern  lasse 
den  Rahm,  die  Butterkügelchen  oben  absetzen ,  und  im  Bo- 
densatz der  Molke  suche  man  den  Eiter,  dann  sind  auch  stets 
Weine  Mengen  Albumin  zugegen. 

6.  Biliphäin.  Dieses  färbt  die  Milch  gelb,  zeisig- 
gelb oder  grünlich,  auch  bläulich;  es  wird  durch  Salpeter- 
säure erkannt. 

Diess  sind  die  chemischen  Veränderungen ,  auf  welche 
man  vorzüglich  zu  achten  hat. 


639 

Bekanntlich  können  Gemüthsaffectionen  der  Mutter,  ver- 
schiedene genossene  Nahrungsmittel  auf  den  Säugling  sehr 
nachtheilig,  ja  tödtlich  einwirken;  es  müssen  also  in  der 
Milch  besondere  Veränderungen  vor  sich  gehen ;  hierüber 
gibt  die  Chemie  noch  keinen  Aufschluss. 

Speichel. 

Der  Speichel  wird  mit  viel  Schleim  gemischt  im  Munde, 
besonders  unter  der  Zunge  ausgesondert,  besonders  quillt  er 
unter  der  Zunge  aus  zwei  Ausführungsgängen ,  welche  zu 
beiden  Seiten  des  Znngenbändchens  liegen,  hervor,  manch- 
mal spritzt  er  zufällig  bei  einer  gewissen  Bewegung  der 
Zunge  und  Offenhalten  des  Mundes  hervor.  Ich  habe  es  durch 
Übung  dahingebracht,  den  Speichel  aus  diesen  Ausführungs- 
gängen willkürlich  fortwährend  so  ausspritzen  zu  können, 
dass  ich  ihn  in  ein  ziemlich  weit  vor  den  Mund  gehaltenes 
Gefäss  spritzen,  und  so  mehr  von  dem  reinen  Speichel  sam- 
meln kann. 

Nur  so  erhaltener  Speichel  ist  als  reiner  Speichel 
zu  betrachten,  das  was  man  ausspuckt,  ist  ein  Gemenge  von 
Speichel  mit  sehr  viel  Schleim.  Da  ich  mit  einer  weitläufigen 
Arbeit  über  den  so  erhaltenen  reinen  Speichel  beschäftiget 
bin;  und  da  ich  bisher  schon  Manches  fand,  welches  mit  den 
bisherigen  Angaben  über  den  Speichel  nicht  übereinstimmt, 
so  kann  ich  hier  dieses  Capitel  nicht  erledigen  ,  und  will  nur 
anführen ,  dass  der  reine  Speichel  eine  wasserhelle ,  klare 
Flüssigkeit  ist,  welche  nur  etwas  Weniges  sich  zieht,  un- 
ter dem  Mikroskop  sieht  man  wenige  Schleimkugeln,  hie  und 
da  Fettkügelchen  und  selten  Epithelium.  Die  Reaction  ist  im 
normalen  Zustande  schwach  alkalisch.  Eisenchlorid  gibt  deut- 
liche und  starke  Reaction  auf  Schwefelcyan ,  welche  Reac- 
tion dem  Mundschleim  gänzlich  fehlt. 

Da  ich  nun  in  dieser  Flüssigkeit,  welche  ich  als  reinen 
Speichel  bezeichne ,  manche  Abnormitäten  ,  die  dem  Mund- 
schleim angehören ,    so  auch  manche  andere  Eigenschaften, 


640 

die  dieser  jenem  auch  im  normalen  Zustande  mittheilt,  beob- 
achtet habe,  so  kann  ich  alles  dieses  noch  nicht  gehörig  son- 
dern, und  es  müssen  in  der  Folge  genauere  Angaben  vorliegen, 
bevor  wir  feststellen ,  was  als  Normale  oder  als  Abnormität 
dem  einen  oder  dem  anderen  jener  Körper  angehört. 

(Zum  Nachschlagen  empfehle  ich  die  ausgezeichnet  fleis- 
sige  Arbeit  von  Samuel  Wright  über  den  Speichel  in  phy- 
siologischer, diagnostischer  und  therapeutischer  Beziehung 
in  der  Handbibliothek  des  Auslandes ,  herausgegeben  von  Dr. 
S.  Eckstein.  Wien  bei  K  a  u  1  f  u  s  s.) 

Sputa. 

Die  Sputa  zeigen  in  Beziehung  auf  abnorme  Stoffe  keine 
besonderen  Verschiedenheiten.  Bei  der  Untersuchung  hat  man 
vorzüglich  auf  Folgendes  zu  achten  : 

1.  Blut  a)  exosmotisches.  Die  Sputa  erscheinen 
diessfalls  mehr  oder  weniger  rosa,  röthlich  aber  gleich- 
förmig gefärbt,  zeigen  keine  dunklen  Streifen  und  keine  Blut- 
körperchen unter  dem  Mikroskop  j  sie  zeigen  mit  Salpeter- 
säure Albumin. 

b)  Geflossenes  Blut,  die  Sputa  sind  stark  ge- 
streift oder  intensiv  blutroth  gefärbt ,  untermischt  mit  Blut- 
coagulis,  zeigen  unter  dem  Mikroskop  Blutkörperchen. 

2.  Eiter.  Die  Sputa  erscheinen  gelb  oder  grünlich  ge- 
färbt, aber  auch  nicht  eiterhältige  erscheinen  so.  Man  muss 
den  Eiter  zuerst  gehörig  trennen ;  die  Sputa  werden  mit  we- 
nig destillirtem  Wasser  geschüttelt,  die  Eiterzellen  suspen- 
diren  sich  im  Wasser,  welches  man  abgiesst  und  separirt 
absetzen  lässt,  in  diesem  Sediment  suche  man  nun  unter  dem 
Mikroskop  den  Eiter.  Die  Sputa  sind  immer  albuminös. 

3.  Albumin.  Oft  erscheinen  grosse  Mengen  Albumin, 
besonders  bei  sich  lösenden  Pneumonien  ;  bei  Resorption  eines 
Exsudates ;  man  findet  in  der  Höhe  der  Entzündung  nur  höchst 
wenig  Albumin,  mit  der  Besserung'  erscheint  immer  mehr  oft 


641 

eine  so  grosse  Menge,  dass   die  Sputa  durch  Erhitzen  oder 
durch  Salpetersäure  fast  wie  Eiteralbumin  so  fest  erstarren. 

4.  Tuberkelsubstanz,  besonders  theilweise  ver- 
kalkte Stückchen  sind  oft  beigemischt,  diese  zeigen  eine 
amorphe  Granulation  und  einen  starken  Rückstand  beim  Ver- 
brennen am  Platinlöffel. 

5.  Lungenstückchen.  Diese  zeigen  grosszellige 
Structur  und  feine  Gefässe  unter  dem  Mikroskop. 

6.  Bei  Croup  wird  eine  eigenthümliche  weisse  Sub- 
stanz ,  in  Fäden  mit  verschiedenen  Verästelungen  oft  in 
grösseren  Partien  ausgehustet;  sie  zeigt  unter  dem  Mikro- 
skop Primitivfasern  und  Kerne. 

7.  Zucker  fand  ich  bei  der  Melliturie ,  nicht  allein  im 
Speichel,  sondern  auch  in  den  tuberculösen  Sputis ;  es  zei- 
gen wohl  die  Sputa  für  sich  durch  die  Zuckerprobe  den  Zu- 
cker, doch  ist  es  besser,  ihn  aus  dem  abgedampften  Rück- 
stand mit  Alcohol  auszuziehen. 

Darmexci'ete.  F$ce$. 

DieFäces  enthalten  sowohl  das,  was  von  den  Nahrungs- 
mitteln unverdaut  fortgeht ,  als  auch  Stoffe,  welche  als  Se- 
crete  des  Darmcanals  zu  betrachten  sind.  Sie  enthalten  ve- 
getabilischen Faserstoff,  Muskelfaser  aller  Thiere ,  Sehnen, 
Bänder,  ganze  Stücke  unverdauter  Vegetabilien  etc.  Ferner 
veränderte  Galle,  Biliphäin  und  Cholesterin,  Darmschleim 
und  viel  Salze ,  besonders  Erdphosphate ,  auch  viel  Fett, 
welches  bei  der  Destillation  derFäces  ein  sehr  stinkendes  Öhl 
liefert ,  ferner  etwas  weniges  Albumin  und  einen  eigenthüm- 
lichen  Extractivstoff.  Die  Fäces  enthalten  auch  Gase  absor- 
birt  (Schwefelwasserstoff,  Phosphorwasserstoff,  Kohlenwas- 
serstoff etc.) ,  welche  viel  zu  dem  Gestank  beitragen.  Die 
Fäces  der  Säuglinge  enthalten  besonders  viel  Biliphäin ,  die 
des  Fötus  (Meconium)  besonders  viel  Galle  und  Cholesterin, 
Schleim  und  Albumin. 

Gaal  Diagnostik.  41 


64» 

Abnorm  e  Fäces. 

Bei  den  Fäces  in  Krankheiten  hat  man  vorzüglich  zu 
beachten: 

1.  Die  Menge  der  Entleerung  jm  Vergleich  mit  den 
genossenen  Nahrungsmitteln  in  einer  gewissen  Zeit. 

2.  Die  Consistenz.  Entweder  findet  sich  der  Was- 
sergehalt stark  vermehrt  oder  vermindert. 

3.  Findet  eine  starke,  dünne ,  breiige  Entleerung  von 
Darmschleim  mit  nur  sehr  wenig  beigemischter  Fäcalmasse, 
oder  auch  ohne  alle  Beimischung  derselben  Statt. 

4.  Hat  man  zu  beachten ,  ob  ein  abnormer  Stoff  den  Fä- 
ces beigemischt  ist. 

Von  den  normalen  Stoffen  ist  es  besonders  die  Galle  und 
der  Gallenfarbstoff,  welche  bald  stark  vermehrt,  bald  ver- 
mindeit  erscheinen,  in  letzterem  Falle  sieht  man  die  Fäces 
oft  sehr  blass,  fahl ,  erdfarben  oder  fast  weiss.  Eine  Ver- 
mehrung der  Gallensubstanzen  gibt  sich  durch  eine  sehr  in- 
tensive Färbung  zu  erkennen ,  und  wenn  mit  Salpetersäure 
die  bekannten  Farbenveränderungen  eintreten.  Bei  Icterus 
fehlen  die  Gallenbestandtheile  gewöhnlich,  die  Fäces  sind 
grauweiss  und  meistens  fest. 

Abnorme  S  toffe. 

1.  Blut.  Das  Blut  findet  sich  sowohl  in  festen  als  dün- 
nen Stuhlentleerungen,  es  ist  nicht  selten  der  Hauptbestand- 
teil oder  auch  der  alleinige  Bestandtheil  einer  Entleerung. 

Die  festen  Fäces  ,  welche  Blut  enthalten ,  erscheinen 
schwarz  oder  schwarzbraun.  Auch  das  Fett  erscheint  manch- 
mal stark  vermehrt;  es  lässt  sich  durch  schwefelsauren  Al- 
cohol  Blutfarbestoff  ausziehen. 

In  Diarrhöen  ist  oft  bloss  exosmotisches  Blut,  man  fin- 
det viel  Albumin  ,  welches  beim  Eintrocknen  rothbraun  wird, 
aber  keine  Blutkörperchen  in  den  Fäces.  Manchmal  erschei- 
nen auch  dünne  ,  bluthältige  Fäces  sehr  dunkelbraun  oder 
schwarz  gefärbt ,  so  sieht  man  solche  stets  bei  Meläna. 


643 

2.  Albumin.  Bei  Diarrhöen  hat  man  auf  das  Albumin 
Rücksicht  zu  nehmen,  ob  es  in  grosser  Menge  vorhanden  ist. 
Es  kömmt  besonders  im  Typhus  und  Dysenterien  vor,  ohne 
dass  zugleich  Blut  beigemischt  ist. 

In  allen  dünnen,  albuminösen  Stühlen  kommen  die  Al- 
buminpilze, nur  mehr  oder  weniger,  vor,  deren  ich  beim 
Harn  schon  erwähnte,  sie  sind  also  nicht  bloss  den  Typhus- 
stühlen eigen. 

3.  Kohlensaures  Ammoniak.  Diess  ist  ein  sehr 
wichtiger  Bestandttheil,  auf  den  man  bei  allen  wässrigen 
oder  diarrhoischen  Entleerungen  stets  Rücksicht  nehmen  soll. 
Je  mehr  die  Fäces  beim  Typhus  kohlensaures  Ammoniak  ent- 
halten ,  desto  mehr  stinken  sie,  ein  desto  schlechteres  Zei- 
chen ist  diess.  Bei  anderen  Diarrhöen  ist  auf  das  Erscheinen 
des  kohlensauren  Ammoniaks  in  den  Fäces  im  Verlaufe  der 
Krankheit  stets  Rücksicht  zu  nehmen ,  denn  diess  ist  stets 
ein  übles  Zeichen, 

Immer  findet  man  in  den  diarrhoischen  Entleerungen 
unter  dem  Mikroskop  Krystalle  von  Magnesiaammoniakphos- 
phat, wenn  die  Fäces  Ammoniak  enthalten. 

Das  kohlensaure  Ammoniak  erkennt  man  durch  die  starke 
alkalische  Reaction  der  Fäces,  ferner  durch  Erhitzen  im 
Ammoniakapparat. 

4.  Eiter.  Der  Eiter  kömmt  bei  verschiedenen  Fällen  in 
den  Fäces  vor,  wie  es  sich  schon  von  selbst  versteht,  be- 
sonders ist  aber  auf  dessen  Gegenwart  bei  Diarrhöen ,  bei 
Puerperalkrankheiten  Rücksicht  zu  nehmen.  —  Beim  Abdo- 
minaltyphus findet  man  stets  Eiter  in  den  Fäces,  werden  aber 
diese  stark  faulig,  so  verändert  sich  die  Eiterzelle,  und  man 
sieht  dann  die  Kerne  undeutlich  5  das  Ansehen  des  Eiters 
gleicht  dann  mehr  dem  Schleim;  man  muss  daher  immer  reine 
Eiterzellen  mit  ihren  Kernen  gesehen  haben. 

Hier  kommt  es  wieder  hauptsächlich  darauf  an,  den  Ei- 
ter zu  sammeln  ,  ehe  man  ihn  in  den  Fäces  sucht;  «Hess  ge- 
schieht wieder  durch'«  Schlemmen  mit  Wasser  etc. 

41  # 


644 

5.  Ein  eigenthümlicherFarbstoff,  diesen  habe 
ich  so  wie  auch  J.  Vogel  in  den  Cholerastühlengesehen, 
aber  auch  in  anderen  Diarrhöen  kömmt  er  vor ,  selbst  wenn 
sie  sehr  blass  sind.  Er  gibt  mit  Salpetersäure  eine  schön 
rothe  Färbung,  wie  das  Urrhodin  ist,  ich  kann  es  noch  nicht 
sagen  ,  ob  der  ursprüngliche  Farbstoff  das  Uroxanthin  ist. 

6.  Concretionen,  welche  mit  den  Fäces  entleert 
werden. 

In  den  Fäces  findet  man  manchmal  feste  Körper  ,  deren 
Ursprung  für  den  Arzt  von  Wichtigkeit  ist;  sie  sind  ent- 
weder: 

1.  Gallensteine,  oder  Gallensteinsand. 

2.  Darmconcretionen  ,  oder  endlich 

3.  verschluckte  Knochen  (oderandere  Gegenstände). 

I.  Gallensteine. 

Die  kommen  entweder  als  einzelne  grössere  Steine  in 
den  Fäces  vor  oder  als  Sand  in  unzähligen  kleinen  Körnchen, 
welche  durch  Auswaschen  mit  Wasser  von  der  Fäcalmaterie 
getrennt  werden ;  der  GalJensand  schwimmt  jedoch  meistens 
auf  dem  Wasser,  wenn  er  viel  Cholesterin  enthält,  weil  die- 
ses leichter  als  Wasser  ist.  Es  ist  eine  sehr  schnelle  Probe, 
die  man  anstellen  kann,  wenn  man  Steine  in  den  Fäces  fin- 
det; die  Darmsteine  des  Menschen  sinken  im  Wasser  unter, 
während  die  allermeisten  Gallensteine  schwimmen. 

Die  Gallensteine  sind  entweder : 

1.  Cholesteringallensteine , 

2.  Biliphäingallensteine, 

3.  Gemenge  von  beiden  (die  gewöhnlichsten), 
^.  eingedickte  Galle , 

,6.  kohlenhältige  Steine. 
Die  schnelle  Diagnose  kann  man  folgendermassen  an- 
stellen : 

1.    Cholesterinsteine,  a)  Die  Probe    schmilzt   am 
Platinlöffel  schnell,  fängt  Flamme  und  brennt  mit  einer  hell- 


S45 

leuchtenden  gelben  sprühenden  Flamme,  einen  starken  His- 
senden Rauch  verbreitend;  dann  ausgeblasen,  verbreitet  sich 
ein  angenehmer  Geruch,  b)  Der  Stein  zerbröckelt  (was 
leicht  geschieht) ,  ist  in  kochendem  Alkohol  löslich,  beim 
Erkalten  fällt  das  Cholesterin  in  glänzenden  Schuppen  heraus. 

2.  Biliphäinsteine,  sie  sind  braun,  enthalten  oft 
nur  Spuren  von  Cholesterin ,  geben  daher  jene  Proben  nur 
in  geringem  Grade. 

In  wenig- Ätzkali  sind  sie  schon  leicht  löslich  mit  inten- 
siver, braungelber  in  dünnen  Schichten  schön  gelber  Farbe , 
die  Lösung-  etwas  verdünnt,  gibt  mit  concentrirter  Salpeter- 
säure stark  die  Farbenveränderungen  aus  Grün  in  Blau,  Roth, 
endlich  Gelb. 

3.  Die  Cholesterinbiliphäinsteine  schwimmen 
am  Wasser ,  geben  an  Alkohol  viel  Cholesterin  ab ,  und  der 
Rückstand  löst  sich  wie  ein  Biliphäinstein  in  Ätzkali  etc. 

4.  Die  Gall  ensubstan  z  concr  eti  onen    sind  un- 
eben, höckerig,  maulbeerähnlich,  schwarz  und  g'rünschwarz ; 
lösen  sich  zum  Theil  in  kochenden  Wasser  und  Alkohol,  die 
Rückstände  schmecken  bitter,  geben   die  Reaction  auf  Galle 
nach  Pettenkofer. 

5.  Die  kohlenhältigen  Steine  sind  hart,  schwarz 
g-eschichtet,  bresslicht,  lassen  nach  der  Behandlung*  mit 
Wasser,  Alkohol,  Ätzkali  und  Säuren  Kohle  zurück,  die 
am  Platinlöffel  verglimmt. 

II.  Darmconcretionen. 

Diese  sind  meistens  hart,  sinken  im  Wasser  unter. 

1.  Am  Platinlöffel  erhitzt,  verkohlen  sie  nur  theilweise, 
es  bleibt  eine  grosse  Masse  feuerfeste  Salze  zurück,  welche 
zu  einer  emailähnlichen  Perle  vor  dem  Löthrohr  schmelzbar  ist. 

2.  Sie  entwickeln  mit  Ätzkali  viel  Ammoniak ,  denn  sie 
enthalten  phosphorsaure  Ammoniakmagnesia. 

3.  Sie  enthalten  meistens  etwas  harnsaures  Ammoniak; 
das  durch  kochendes  Wasser  aus  dem  Pulver  ausziehbar  ist, 


640 

der   Rückstand    der  wässerigen  Lösung*  gibt  die  Murexid- 
probe. 

4.  Sie  unterscheiden  sich  von  den  Harnsteinen,  dasssie 
stets  geringe  Mengen  Biliphäin ,  Cholesterin  und  viel  Fett 
enthalten. 

III.  Verschluckte  Knochen. 

Diese  sind  feuerbeständig ,  unschmelzbar ,  zeigen  kein 
Ammoniak  mit  Ätzkali  behandelt,  und  ein  kleiner  dünner  Ab- 
schnitt zeigt  unter  dem  Mikroskop  die  Structur  der  Knochen. 


Erklärung  der  Kupfertafeln. 

Fig.     1.  Krystalle  des   salpetersauren   Harnstoffes  aus 

dem  Harne. 
Fig.     2 — 8.  Die  verschiedenen  Krystallformen  der  Harnsäure. 
Fig.     9.  10.  U  r  o  g  1  a  u  c  i  n  krystalle. 
Fig.  11.  AI  b  um  in  pilze. 
Fig.  12.  Emu  lsion  s  kügelchen. 

Fig.  13.  Krystalle  von  phosphorsaurer  Ammoniakmagnesia. 
Fig.  14.  a  —  e.  Formen  des  harnsauren  Ammoniaks. 
Fig.  15.  Form  des  harnsauren  Natrons. 
Fig.  16.  Krystalle  von  oxalsaurem  Kalke  im  Harne. 
Fig.  17,  Krystallformen  des  kohlensauren  Kalkes. 
Fig.  18.  Krystalle  von  Cystin 
Fig.  19.  Eiterkügelchen 

Fig.  20.  Eiterkügelchen  nach  Behandlung  mit  Essigsäure. 
Fig.  21.  Bellinische  Röhrchen. 
Fig.  22,  Spermatozoon. 
Fig.  23.  Cholesterinkrystalle. 
Fig.  24.  Krebszellen. 


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Physikalische  Diagnostik  und  de1849 

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