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Full text of "Therapie der Herzkrankheiten"

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F  ROM-THE-FuND-BEQUEATHED-BK 

W 


THERAPIE 


DER 


HERZKRANKHEITEN 


Von 

DRLUDWIG  BRAUN 

PRIVATDOZENT  AN    DER   UNIVERSITÄT    IN   WIEN. 


URBAN    &   SCHWARZENBERG 

BERLIN  WIEN 

N.,   FRIEDRICHSTRASSE  105b  I.,  MAXIMILIANSTRASSE  4 

1903. 


7V74 


Alle    Rechte    vorbehalten. 


VORWORT. 


Das  vorliegende  Lehrbuch  stellt  den  wesentlichen  Inhalt 
meiner  Vorlesungen  über  die  Therapie  der  Herzkrankheiten 
dar.  Es  ist  also  in  erster  Linie  für  den  Studierenden  und 
den  praktischen  Arzt  berechnet  und  soll  ein  möglichst  ge- 
treues Bild  vom  heutigen  Stande  der  Herztherapie  entwerfen, 
welche  auf  die  Grundlagen  der  Physiologie  und  Pathologie 
des  Kreislaufs  sowie  der  modernen  pharmakodynamischen 
Erfahrungen  aufgebaut  ist.  Bei  der  Erörterung  dieser  Grund- 
lagen habe  ich  stellenweise  die  mustergültigen  Ausführungen 
von  Tigerstedt  (Physiologie  des  Kreislaufs),  Krehl  (Pathologi- 
sche Physiologie)  und  Gottlieb  (Referat  auf  dem  XIX.  Kon- 
gresse für  innere  Medizin)  benützt. 

Trotz  der  ausgezeichneten  Darstellungen ,  welche  das 
vorliegende  Thema  in  letzter  Zeit  von  verschiedenen  Auto- 
ren erfahren  hat,  hielt  ich  es  dennoch  für  zulässig,  das- 
selbe im  Rahmen  eines  kurzen  Lehrbuches  zu  behandeln, 
einerseits  von  der  rein  praktischen  Erwägung  ausgehend, 
daß  alle  jene  Ausführungen  in  größeren,  dem  Praktiker 
weniger  zugänglichen  Handbüchern  erschienen  sind,  anderer- 
seits bedenkend,  daß  mannigfache  für  das  Verständnis  der 
Herzpathologie    grundlegende   Erkenntnisse    bisher   nur    in 


IV  Vorwort. 

Einzeldarstellungen  vorliegen  und  in  Lehrbüchern  noch  keine 
entsprechende  Berücksichtigung  erfahren  haben.  Aus  diesen 
neueren  und  neuesten  Erkenntnissen  ging,  vielleicht  als 
wichtigste  Erkenntnis,  das  Ergebnis  hervor,  daß  befallen 
Störungen  der  Herzfunktion  der  Herzmuskel  in  den  Mittel- 
punkt der  Betrachtung  zu  verlegen  ist.  —  Die  Beeinflußbar- 
keit des  Herzmuskels  auf  therapeutischem  Wege  ist  die 
Richtschnur  meiner  Ausführungen  geworden. 

Die  Errungenschaften  auf  dem  Gebiete  der  physikali- 
schen Heilmethoden  und  die  experimentelle  Begründung 
dieser  Disziplinen  hat  dieselben  auch  für  die  Herztherapie 
nutzbar  gemacht.  Ich  konnte  diesem  Umstände  am  besten 
wohl  dadurch  Rechnung  tragen,  daß  ich  für  die  Bearbeitung 
der  beiden  namhaftesten  Teile  der  physikalischen  Therapie 
zwei  berufene  Vertreter,  Anton  Bum  und  Alois  Strasser, 
gewann. 

Wien,  im  Mai  1903. 


Inhalts  -Verzeichnis. 


faf  Seite 

Einleitung. 

I.  Physiologische  Vorbemerkungen 1 

II.  Das  Hera  unter  pathologischen  Verhältnissen 14 

III.  Die  Beurteilung  des  Grades  der  Herzinsuffizienz 26 

Allgemeine  Therapie 41 

Medikamentöse  Therapie 44 

Die  Herzmittel 44 

Digitalis 44 

1.  Die  physiologischen  Grundlagen  der  Digitalistherapie     .  44 

2.  Die  Indikationen  der  Digitalisdarreichung 51 

3.  Der  Zeitpunkt  der  Digitalisdarreichung 58 

4.  Die  pharmazeutischen  Kriterien  der  Digitalistherapie     .  60 

5.  Dosierung  und  Darreichungsform  der  Digitalisstoffe     .    .  61 

a)  Die  gebräuchlichsten  Digitalispräparate 61 

b)  Andere  Digitalispräparate 67 

Strophantus 69 

Die  übrigen  Herzmittel .  70 

Die  Koffein-  und  Theobrominsalze 72 

Kampher 73 

Jodsalze 75 

Alkohol 75 

Nitrite 77 

Die  Vermehrung  der  Diurese 77 

Diaphorese .- 83 

Hautpunktion 84 

Diätetische  Therapie 86 

Physikalische  Therapie      102 

Pneumotherapie 102 

Klimato-  und  Balneotherapie      105 

Das  kohlensäurehältige  Bad 109 

b 


VI  Inhalts -Verzeichnis. 

Seite 

Die    hydriatische    Behandlung    der   Herzkrankheiten   von   Dozent 

Dr.  Alois  Strasser  in  Wien 116 

Praxis  der  Hydrotherapie 140 

Die  mechanische  Behandlung  der  Herzkrankheiten  von  Dr.  Anton 

Bum  in  Wien       145 

Elektrotherapie     .    . 155 

Prophylaxe 159 

Spezielle  Therapie 167 

Endokarditis 167 

Myokarditis 172 

Perikarditis 174 

Perikardiotomie 176 

Punktion  des  Perikards 177 

Concretio  pericardii 178 

Die  akute  Herzinsuffizienz 179 

Prophylaxe  und  Therapie  der  chronischen  Insuffizienz  des  Herzens  181 
Ist  der  Herzkranke  über  seinen  Herzfehler  aufzuklären?     .  181 

Berufswahl 183 

Die  Ehe  Herzkranker 183 

Kleidung,  Abhärtung 185 

Bewegung,  Sport,  Ruhe,  Erholung,  Temperaturwechsel     .    .  186 
Rekonvaleszenz ,     allgemeine    Grundsätze    des    Heilplanes, 

Krankenpflege ' 190 

Die  Insuffizienz  der  Mitralklappen      199 

Die  Stenose  des  Mitralostiums 200 

Stenose  des  Aortenostiums 203 

Die  Insuffizienz  der  Aortenklappen 204 

Kombinierte  Klappenfehler 207 

Die  Herzbeschwerden  Fettleibiger 208 

Das  Herz  bei  Arteriosklerose 216 

Heilstätten  für  Herzkranke 222 

Die  Kreislaufstörungen  bei  akuten  Infektionskrankheiten  ....  223 

Das  Aortenaneurysma 227 

Die  „nervösen  Herzkrankheiten" 231 

Autoren-Verzeichnis 237 

Sach-Register 241 


Einleitung. 

I.  Physiologische  Vorbemerkungen. 

Das  Herz  ist  der  Motor  des  Kreislaufs;  es  hat  die 
physiologische  Aufgabe,  das  Blut  in  stetiger  Strömung  zu 
erhalten,  so  dass  die  Nahrungsstoffe  an  die  Gewebe  abgegeben, 
die  Produkte  der  Gewebstätigkeit  in  das  Blut  aufgenommen 
werden  und  an  geeigneter  Stelle  zur  Ausscheidung  gelangen 
können.  Dieser  Aufgabe  wird  das  Herz  durch  abwechselnde 
Kontraktion  (Systole)  und  Erschlaffung  (Diastole)   gerecht. 

Die  Strömung  des  Blutes  erhalten  und  regulieren 
bestimmte  Einrichtungen.  Es  sind:  Die  Herzklappen,  die 
Elastizität  der  Gefäßwände,  die  Venenklappen,  die  Atmung 
und  die  Bewegungen  der  Skelettmuskulatur.  Ein  Teil  dieser 
Einrichtungen  verhindert  das  Blut,  seine  Stromrichtung  zu 
ändern,  ein  anderer  wirkt  fördernd  auf  die  Strömung  ein. 

Wir  unterscheiden  die  venösen  und  die  arteriellen 
Herzklappen.  Ihre  Wirkung  ist  eine  ventilartige.  Die 
venösen  Klappen  sind  zwischen  Vorhöfen  und  Kammern,  die 
arteriellen  zwischen  den  Kammern  und  den  großen  Arterien 
angebracht. 

Die  venösen  Klappen  (links  Mitralis  —  rechts 
Tricuspidalis)  verhindern  das  Blut  daran,  während  der 
Kammersystole  in  die  Vorhöfe  zurückzufließen,  und  zwingen 
es,  in  die  Aorta,  beziehungsweise  Pulmonalarterie .  einzu- 
treten. Die  Segel  dieser  Klappen  legen  sich  während  der 
Systole  sehr  rasch  aneinander;  dies  wird  teils  dadurch 
ermöglicht,  daß  die  Klappensegel  auch  während  der  Diastole 
nicht  bis  an  die  Wände  der  Kammern  zurückweichen  können, 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten.  1 


2  Einleitung. 

weil  sie  durch  das  sich  hier  ansammelnde  Blut  daran  gehin- 
dert werden,  teils  dadurch,  daß  der  Druck  im  Vorhofe 
während  der  Kammersystole  im  Vergleiche  zum  Kammer- 
drucke verschwindend  niedrig  ist.  Regurgitation  von  Blut 
in  den  Vorhof  erscheint  somit  unter  normalen  Verhältnissen 
kaum  möglich.  Eine  regulär  rasche  Vorhofskontraktion 
bereitet  übrigens  den  Klappenschluß  vor,  da  nach  ihrem 
Ablaufe  der  Kammerdruck  bereits  höher  ist,  als  der  Vor- 
hofsdruck. Die  freien  Ränder  der  venösen  Klappen  können 
während  der  Systole  nicht  in  den  Vorhof  umschlagen;  die 
Klappensäume  werden  vielmehr  dadurch,  daß  die  Chordae 
tendineae  sich  nicht  am  freien  Rande  selbst  inserieren,  son- 
dern ein  Stück  weit  auf  die  Klappenfläche  hinaufgreifen,  in 
größerer  Ausdehnung,  gewissermaßen  zahnförmig,  an(in)ein- 
ander  gepreßt. 

Die  Kontraktion  der  Herzmuskulatur  bewirkt,  daß 
auch  die  Atrioventrikularöifnung  sich  verengt  und  so  von 
den  Klappen  sicher  bedeckt  werden  kann.  Bleibt  diese  Ver- 
engerung des  Ostium  aus,  dann  reicht  die  Klappenfläche  zu 
seiner  Bedeckung  nicht  hin. 

Mit  der  übrigen  Herzmuskulatur  kontrahieren  sich 
auch  die  Papillarmuskeln,  da  beide  ein  zusammenhängendes 
Ganze  bilden.  Die  sich  verkürzenden  Papillarmuskeln  ziehen 
die  Klappen  gegen  das  Septum  heran  und  tragen  dadurch 
zur  Straffheit  des  systolischen  Klappenschlusses  bei.  *) 
An  dem  systolischen  Verschlusse  des  venösen  Ostium 
nehmen  somit  drei  Faktoren  teil,  die  Integrität  der  Klappe, 
die  Verengerung  des  Ostium,  die  Wirkung  der  Papillar- 
muskeln. 

Die  arteriellen  oder  Semilunarklappen  bestehen 
aus  je  drei  taschenförmigen  Segeln,  deren  Konkavität  gefäß- 
wärts  gerichtet  ist.  Das  nach  Ablauf  der  Systole  zurück- 
stauende Blut  fängt  sich  in  den  Taschen,  drückt  die  Klappen 
herab    und   ihre   freien  Ränder  aneinander.    Die  Semilunar- 


*)  Die  Atrioventrikularklappen  sind,  wie  u.  a.  Reid  (cit.  nach  Albrecht 
„Der  Herzmuskel  etc.",  1903),  Kürschner  (cit.  nach  Tiger stedt)  und  Gussen- 
bauer  (Sitzber.  d.  kais.  Akad.  d.  Wiss.,  math.-nat.  Klasse,  1868)  nachwiesen,  mit 
Muskelfasern  versehen. 


Physiologische  Vorbemerkungen.  3 

klappen  ruhen  auf  Muskelwülsten  wie  auf  Polstern  auf 
(Krehl),  die  in  das  Ostium  hineinragen.  Das  aus  den  Kammern 
gepreßte  Blut  gelangt  daher  durch  einen  Muskelspalt  in 
den  weiteren  Raum  oberhalb  der  Klappen.  Hiedurch  ent- 
stehen Wirbelbewegungen  und  Kreisströme,  welche  die 
Klappensegel  einander  zu  nähern  streben  und  nur  deswegen 
nicht  nähern  können,  weil  das  unter  hohem  Drucke  stehende, 
durchfließende  Blut  sie  auseinander  drängt.  Hört  der  Blut- 
strom auf,  dann  müssen  die  Klappen,  wie  durch  Federkraft 
getrieben,  außerordentlich  schnell  und  ohne  Regurgitation 
sich  aneinander  legen.  Der  Verschluß  bleibt  dann  auch  nach 
der  Erschlaffung  der  Muskulatur  infolge  der  Differenz 
zwischen  Aorten  (resp.  Pulmonalis)  —  und  Kammerdruck 
bestehen  (Tigerstedt). 

Es  ist  klar,  daß  die  Raschheit  dieses  Verschlusses 
Schaden  leidet,  wenn  die  Muskelwülste ,  auf  welchen  die 
arteriellen  Klappen  ruhen,  degeneriert  und  minder  kon trak- 
tionsfähig sind  (Krehl).1)  Dann  ist  die  arterielle  Mündung 
wahrend  der  Systole  weiter  und  die  Differenz  zwischen 
ihrem  systolischen  Durchmesser  und  jenem  der  Arterien- 
anfänge geringer.  Die  „Wirbelbewegungen  und  Kreisströme" 
des  Blutes  werden  dadurch  schwächer  und  die  Klappen 
weniger  rasch  aneinander  gelegt.  So  kann  —  im  Anfange 
der  Diastole  —  Regurgitation,  eine  „muskuläre  In- 
suffizienz der  Aortenklappen"  zustande  kommen,  weil 
ihr  Verschluß  nicht  in  regulärer  Weise  durch  die  Muskulatur 
vorbereitet  wird.  — 

Über  jedem  Herzostium  hört  man  zwei  Töne;  an 
jedem  Ostium  entsteht  jedoch  nur  ein  Ton.  Die  ersten  Töne 
entstehen  in  den  Kammern,  die  zweiten  durch  die  plötzliche 
Spannung  der  arteriellen  Klappen  (und  der  Arterienwand); 
die  ersten  Töne  werden  nach  aufwärts  (zur  Herzbasis),  die 
zweiten  nach  abwärts  fortgeleitet.  Die  ersten  Töne  sind  teils 
Muskeltöne,  teils  Klappentöne;  der  normale,  sich  kontra- 
hierende Muskel  erzeugt  nämlich  einen  (bestimmten)   ,.Ton", 


*)  Krehl,    Beiträge    zur    Kenntnis    der   Füllung   und    Entleerung    des 
Herzens.  Abt.  d.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.,  XVII,  Nr.  5. 

1* 


4  Einleitung. 

ebenso  die  durch  ihren  raschen  Verschluß  in  Schwingung 
versetzte  Atrioventrikularklappe. 

Die  durch  Inspektion  und  Palpation  klinisch  erkenn- 
baren Bewegungen  (Erschütterungen,  Vor  Wölbungen ,  Ein- 
ziehungen) in  der  Herzgegend  sind  durch  die  Systole  des 
Herzens  bedingt.1)  Diese  ist  kurz  —  etwa  O'l  Sekunde  — 
und  ihre  Dauer  unterliegt  auch  bei  bedeutenden  Schwan- 
kungen der  Pulsfrequenz  nur  sehr  geringen  Veränderungen. 
Die  Länge  der  Diastole  kann  hingegen  erheblich  schwanken. 
Ihre  Dauer  beträgt  im  Mittel  ungefähr  0*4  Sekunden. 

Bei  seinem  Übergänge  in  die  Diastole  übt  das  Herz 
eine  Ansaugung  auf  das  Blut  aus ;  die  Saugwirkung  wächst 
bei  normaler  Elastizität  der  Herzwand  mit  der  Kraft  der 
Herzkontraktion;  sie  ist  nur  dann  kräftig,  wenn  ihr  eine 
vollständige ,  schnell  ablaufende  Systole  vorangegangen  ist 
(v.  Frey  u.  Krehl). 2) 

An  dem  Mechanismus  der  Herzaktion  ist  auch  der 
Herzbeutel  beteiligt.  Barnard  hat  nachgewiesen,  daß  nach 
Eröffnung  des  Herzbeutels  beim  Hunde  eine  relative  Tricu- 
spidalinsuffizienz  entstehen  kann.  Die  Stütze,  welche  der 
Herzbeutel  dem  Herzen  erteilt ;  sichert  wahrscheinlich  den 
Schluß  der  Tricuspidalklappe. 

Die  Menge  Blutes,  welche  das  Herz  mit  jeder  Systole 
in  das  Gefäßsystem  hin  austreibt,  heißt  das  Schlag  volumen, 
auch  Pulsvolumen  des  Herzens.  Es  dürfte  beim  Menschen 
zwischen  50  und  100  g  Blut  betragen. 

Die  Muskulatur  des  Herzens  besitzt  nach  Engel- 
mann 3)  vier  kardinale  Eigenschaften:  Reizbarkeit,  Reizleitung, 
Kontraktilität,  ferner  die  Fähigkeit,  sich  „von  selbst",  auto- 
matisch, zu  kontrahieren.  Sämtliche  Eigenschaften  sind  vom 
Nervensysteme  aus  in  positivem  und  in  negativem  Sinne 
beeinflußbar. 


*)  C.  Ludwig,  Zeitschr.  f.  rat.  Med.  7.  —  Marey,  Journ.  de  l'anat.  et  de 
physiol.  II,  u.  La  circulation  du  sang.  —  v.  Frey,  Die  Untersuchung  des  Pulses.  — 
Hürthle,  Pflügers  Arch.  Bd.  49  ff.  —  Edgren,  Skand.  Arch.  f.  Phys.  I.  —  Mar- 
tins, Zeitschr.  f.  klin.  Med.  13,  15  u.  19;  Volkm.  klin.  Beitr.  Nr.  7,  1894  u.  a. 
a.  0.  —  Landois,  Graph.  Unters,  über  den  Herzschlag.  —  Braun,  Herzbewe- 
gung und  Herzstoß.    Gustav  Fischer.  —  U.  v.  a.  m. 

2)  v.  Frey  u.  Krehl,  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.,  phys.  Abt.,  1890. 

3)  Engelmann,  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.,  1900  u.  a.  a.  0. 


Physiologische  Vorbemerkungen.  5 

Der  Herzmuskel  ist  während  seiner  Kontraktion  bis 
zum  Maximum  der  Verkürzung  für  die  gewohnten  Reize1) 
unempfänglich,  „refraktär"  (Marey)  und  erst  nach  erreichtem 
Kontraktionsmaximum  wieder  durch  dieselben  erregbar; 
eine  vor  Eintritt  der  regulären  Kontraktion  zugeführte 
(ungewohnte,  etwa  eine  pathologische)  Reizung  ruft  eine 
„Extrakontraktion"  hervor,  die  desto  größer,  desto  aus- 
giebiger ist,  je  später  während  der  Diastole  sie  stattfindet. 
Einer  Extrakontraktion  folgt  eine  längere  „kompensatorische" 
Pause,  denn  die  nächste  Systole  tritt  erst  zu  der  Zeit  ein, 
wo  sie  regulär  eingetreten  wäre.  Dieses  Verhalten  ent- 
spricht dem  „Gesetze  der  physiologischen  Reiz- 
periode" des  Herzens;  da  die  „Extrasystole"  vorzeitig 
eintritt ,  muß  die  Zeit  bis  zur  nächsten ,  regulären  Systole 
länger  sein. 

Die  Ernährung  des  Herzens  wird  durch  seine 
Arterien  —  die  Kranzarterien  —  vermittelt;  dieselben  sind 
Endarterien.  Durch  Verschluß  eines  Coronararterienastes 
wird  daher  der  entsprechende  Bezirk  der  Herzwand  der 
Blutzufuhr  beraubt  und  fällt  der  Nekrose  anheim.  Kleine, 
begrenzte  Anämien  ziehen  keine  schweren  Folgeerscheinungen 
nach  sich ;  wird  ein  größerer  Kranzarterienast  undurch- 
gängig, dann  muß  der  Herzmuskel  zugrunde  gehen. 

Die  Frequenz  des  Herzschlags  ist  bei  höherer 
Temperatur  größer  als  bei  niedrigerer;  sie  ist  ferner  von  der 
Körperlage 2)  und  von  Muskelarbeit 3)  in  hohem  Maße 
abhängig.  Mit  der  Abnahme  der  Frequenz  steigt  (bis  zu 
einer  gewissen  Grenze)  der  Umfang  der  Kontraktion.  Das 
Schlagvolumen  des  Herzens  wächst  (bis  zu  einem  gewissen 
Grade)  im  geraden  Verhältnisse  zur  Größe  des  venösen  Zu- 
flusses. 

Die  Herznerven  entstammen  dem  Vagus  und  dem 
Sympathicus.  Der  Vagus  hemmt  die  Herzbewegungen,  seine 


x)  Wir  müssen  uns  nämlich  vorstellen,  daß  dem  Herzmuskel  unter 
normalen  Verhältnissen  zugeführte,  periodisch  bis  zur  hinreichenden  Höhe 
anwachsende  Reize  den  Rhythmus  der  Herzaktion  bewirken,  indem  sie  periodisch 
Herzkontraktionen  auslösen. 

2)  Langowoy,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  68. 

8)  Staehelin,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  59  u.  v.  a. 


5  Einleitung. 

Durchschneidung  bewirkt  Zunahme  der  Pulsfrequenz ;  er 
beherrscht  auch  die  Stärke  der  Herzkontraktionen,  indem 
seine  Reizung  das  Kontraktionsvermögen  in  negativem  Sinne 
beeinflußt.  Nach  schwachen  Vagusreizungen  kann  die  Kraft 
der  Herzschläge  sinken ,  ohne  daß  ihre  Zahl  abnimmt 
(Muhm).  *)  Die  Diastole  des  Herzens  wird  durch  Vagus- 
reizung wahrscheinlich  vergrößert.  Es  ist  nicht  unwahr- 
scheinlich, daß  der  Vagus  das  Herz  auch  trophisch,  nutritiv, 
beeinflußt,  denn  es  wurden  degenerative  Veränderungen  am 
Herzen  nach  Vagusdurchschneidungen  mehrfach  beschrieben 
(Paivlow,  Fanüno,  Timofeew). 

Die  dem  Sympathicus  entstammenden  beschleunigenden 
Herzfasern  steigern  die  Frequenz  und  die  Kontraktions- 
größe des  Herzens. 

Vagus  und  Accelerans  sind  tonisch  erregt. 

Die  Tätigkeit  des  Herzens  wird  fortwährend  durch 
Impulse  beeinflußt,  die  dem  Herzen  von  den  nervösen  Zentral- 
organen zugeführt  werden.  Zentripetale,  vom  Herzen  aus- 
gehende Nerven  vermitteln  Reflexe  zum  Herzen  und  zu  den 
Gefäßen. 

Gegen  ein  übermäßiges  Ansteigen  des  Blutdrucks  wird 
das  Herz  unter  normalen  Verhältnissen  durch  depressorische 
Nervenfasern  geschützt,  deren  Wirkung  reflektorisch  aus- 
gelöst wird.  Ein  gleichzeitiger  Reflex  geht  auf  den  Vagus 
über,  das  Herz  fängt  an,  langsamer  zu  schlagen  und  kann 
sich  nach  der  überstandenen  Anstrengung  wieder  ausruhen. 
So  reguliert  und  überwacht  das  normale  Herz 
selbst  seine  Tätigkeit  und  die  Anforderungen  an 
dieselbe.  Sowohl  beschleunigende  als  auch  verlangsamende 
Einflüsse  können  von  den  verschiedensten  Teilen  des  Körpers 
aus  reflektorisch  zum  Herzen  übertragen  werden.  Daß  dies 
auch  von  der  Hirnrinde  aus  geschieht,  beweist  u.  a.  der 
Umstand,  daß  psychische  Alterationen  das  Herz  in  hohem 
Maße  beeinflussen  können.  —  Im  allgemeinen  bewirken 
Drucksteigerungen  ein  Sinken,  Drucksenkungen  ein  Steigen 
der  Pulsfrequenz. 


x)  Muhm,  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.,  1901. 


Physiologische  Vorbemerkungen.  7 

Durch  die  Kontraktionen  des  Herzens  wird  das  Blut 
rhythmisch  in  das  Gefäßsystem  entleert  und  dieses  durch 
den  Blutzuwachs  ausgedehnt.  Da  die  Arterienwand  elastisch 
ist,  zieht  sie  sich  während  der  Diastole  des  Herzens  wieder 
zusammen  und  treibt  dadurch  das  Blut  in  die  Kapillaren 
weiter.  Die  Elastizität  der  Gefäßwand  nimmt  daher  dem 
Herzen  einen  Teil  der  für  die  Erhaltung  des  Kreislaufs 
notwendigen  Arbeit  ab. 

Die  Arbeit  des  Herzens  wird  im  wesentlichen  durch 
den  Druck  im  arteriellen  Gefäßsystem  und  die  ausgetriebene 
Blutmenge  bestimmt.  Wenn  wir  den  Blutdruck  kennen, 
dann  besitzen  wir  somit  einen  gewissen  Einblick  in  die  vom 
Herzen  geleistete  Arbeit. 

Es  ist  daher  begreiflich,  daß  die  Kliniker  seit  langem  der  Blutdruck- 
messung ein  besonderes  Augenmerk  zugewandt  haben  und  die  Literatur  dieses 
Gegenstandes  bereits  zu  ansehnlicher  Größe  herangewachsen  ist.  Im  Vorder- 
grunde der  zahllosen  Diskussionen  über  das  Tema  „Blutdruck"  finden  wir  die 
Namen  v.  Basch,  Federn,  v.  Frey,  Gärtner,  Haivksley ,  Hensen,  Hürthle, 
Mosso,  v.  Recklinghausen,  Riva-Rocci  u.  a.  Das  Prinzip  aller  Blutdruck- 
Messungsmethoden  besteht  darin,  daß  man  den  Druck  mißt,  welcher  notwendig 
ist,  um  an  einer  bestimmten  Stelle  des  Gefäßsystems  —  Radialis,  Temporaiis, 
Digitalarterie  —  den  Puls  zu  unterdrücken,  die  Lichtung  der  Arterie  zu 
verschließen.  Daß  die  Blutdruckmessung  trotz  bewunderungswürdigen  Forscher- 
fleißes und  Scharfsinnes  eigentlich  noch  immer  nicht  eine  Methode  der  Praxis 
geworden  ist,  liegt  —  abgesehen  von  den  Fehlerquellen,  die  jeder  klinischen 
Methode  der  Blutdruckmessung  anhaften  und  welche  der  Messende  kennen  muß 
(s.  z.  B.  die  Diskussion  des  Sphygmomanometers  in  Tigerstedts  Lehrbuch  d.  Phys. 
des  Kreislaufs),  —  darin,  daß  die  Höhe  des  Blutdrucks  unaufhörlich  schwankt, 
daß  sie  von  der  Körperlage,  den  Bewegungen  des  Körpers,  der  Nahrungsaufnahme, 
von  psychischen  Einflüssen,  der  Menstruation  u.  v.  a.  m.  abhängig  ist;  sie  ist 
daher  nur  in  der  Hand  des  Geübten,  der  über  alle  diese  Erfahrungen  verfügt, 
von  fruchtbarer  Bedeutung.  Wir  sind  daher  auch  keineswegs  berechtigt,  die 
Blutdruckmessung  der  Temperaturmessung  geradewegs  an  die  Seite  zu  stellen, 
denn  die  absoluten  Werte,  welche  man  mit  einem  den  Blutdruck  messenden 
Apparate  erhält,  sind  ohne  Bedeutung.  Der  Praktiker  möge  aus  dem  Gesagten 
die  Lehre  ziehen,  daß  er  die  Messung  unter  möglichst  gleichen  Verhältnissen 
vorzunehmen  hat.  Daß  er  sich  bei  rationellem  Vorgehen  in  der  Blutdruck- 
bestimmung einen  wertvollen,  bald  unentbehrlichen  Berater  beschaffen  kann, 
lehrt  u.a.  die  Tatsache,  daß  konstante  Erhöhungen  des  Blutdrucks  die 
Arteriosklerose  (v.  Basch,  Die  Herzkrankheiten  bei  Arteriosklerose.  A.  Hirsch- 
wald KOI),  die  Nephritis,  Neigung  zu  Blutdrucksenkungen  nach  Muskel- 
arbeit die  Herzinsuffizienz  einleiten,   u.  zw.  zu  einer  Zeit,  in  der  ihn  vielleicht 


g  Einleitung. 

noch    keine    andere    klinische    Untersuchungsmethode    auf  den    schleichenden 
Beginn  dieser  Affektionen  aufmerksam  macht. 

Zur  vollkommenen  Beurteilung  des  Kreislaufs  würde 
auch  die  Bestimmung  der  Stromgeschwindigkeit  des  Blutes 
gehören;  diese  ist  jedoch  derzeit  klinisch  nicht  durchführbar. 

Der  Blutdruck  ist  von  der  Energie  des  Herzens,  dem 
Widerstände  in  den  Arterien  und  der  vorhandenen  Blut- 
menge abhängig.  Die  Energie  des  Herzens  ist  desto  größer, 
je  mehr  Blut  das  Herz  in  die  Arterien  treibt,  je  größer 
die  Kraft  und  die  Plötzlichkeit  ist,  mit  der  dies  geschieht. 

Der  Blutdruck  bewegt  sich  unter  normalen  Verhält- 
nissen infolge  der  vorhandenen  regulatorischen  Einflüsse  in 
ziemlich  engen  Grenzen.  Dazu  trägt  unter  normalen  Ver- 
hältnissen vor  allem  die  Regulation  bei,  welche  bei  geän- 
derten Blutmengen  die  Weite  der  Gefäßbahn  erfährt.  Wenn 
sich  die  Hautgefäße  kontrahieren,  erweitern  sich  die  Abdo- 
minalgefäße und  umgekehrt.  Dadurch  werden  auftretende 
Druckdifferenzen  sofort  wieder  ausgeglichen,  so  daß  der 
Blutdruck  wesentlich  unverändert  bleibt. 

Wird  eine  Blutentziehung  vorgenommen,  dann  ziehen 
sich  die  Gefäße  zusammen,  die  Drüsen  und  vor  allem  die 
Nieren  sezernieren  weniger  oder  gar  nicht  und  aus  den 
Gewebsstücken  tritt  Flüssigkeit  in  die  Gefäßbahn  ein.  Bei 
Transfusionen  findet  der  umgekehrte  Vorgang  statt. 

Die  Abgabe  von  Verbrennungsmaterial  und  Sauerstoff 
aus  dem  Blute  und  die  Aufnahme  der  Abfallstoife  aus  den 
Geweben  in  das  Blut  findet  in  den  Kapillaren  statt. 
Sinkt  der  Druck  in  der  Aorta  infolge  von  Abnahme  der 
Herzkraft,  dann  muß  schließlich  auch  die  Geschwindigkeit 
des  Blutstromes  abnehmen. 

Alle  Mechanismen,  welche  den  Blutdruck  regeln,  haben 
den  Endzweck,  die  Strömung  in  den  Kapillaren  unter  einem 
normalen  Druck  zu  erhalten.  Die  Blutmenge  des  Körpers 
reicht  nun  nicht  dazu  aus,  unter  normalen  Verhältnissen 
bei  gleicher  Füllung  aller  Kapillarsysteme  den  Aorten- 
druck auf  der  Höhe  zu  erhalten,  die  er  unter  normalen  Ver- 
hältnissen tatsächlich  besitzt.  Der  Blutgehalt  der  einzelnen 
Organe  schwankt  vielmehr  unaufhörlich,  u.  zw.  in  der  Weise, 


Physiologische  Vorbemerkungen.  9 

daß  ein  arbeitendes  Organ  blutreicher  ist  —  ein  relativ 
stärker  gefülltes  Kapillarsystem  hat  —  als  ein  ruhendes. 
Um  dies  zu  ermöglichen,  erweitern  sich  die  dem  betreffenden 
Organe  angehörenden  Arterien,  so  daß  das  Blut  reichlicher 
in  das  zugehörige  Kapillarsystem  einströmen  kann. 

Die  Reibung  des  Blutes  an  der  Gefäßwand  wirkt 
verzögernd  auf  die  Geschwindigkeit  seiner  Strömung  ein. 
Je  größer  die  Reibung,  desto  größer  der  Widerstand  für 
die  Blutströmung,  desto  größer  auch  die  Arbeit  des  Herzens. 

Die  Venen  leiten  das  Blut  zum  Herzen  zurück. 
Die  Kraft,  die  das  Blut  vorwärts  treibt,  ist  auch  hier  die 
Herzkraft.  Durch  die  starke  Reibung  in  den  kleinen  Arterien 
und  Kapillaren  wird  aber  der  größte  Teil  der  disponiblen 
Kraft  verbraucht  und  demzufolge  ist  die  totale  Energie, 
welche  das  Blut  nunmehr  besitzt,  nur  ein  kleiner  Bruchteil 
von  derjenigen,  die  es  beim  Herausströmen  aus  dem  Herzen 
besaß  (Tigerstedt).  Unter  normalen  Verhältnissen  muß  im 
allgemeinen  aus  den  Venen  so  viel  Blut  zum  Herzen  zurück- 
strömen, als  in  die  Arterien  getrieben  wird. 

Wir  besitzen  eine  Reihe  von  Mechanismen,  welche 
die  Blutströmung  in  den  Venen  erleichtern.  Hiezu 
gehören:  Die  Ansaugung  in  der  Brusthöhle,  zweitens 
die  Saugkraft  des  Herzens  und  drittens  die  Venen- 
klappen, welch'  letztere  das  Zurückfließen  des  Blutes 
verhindern ,  wenn  von  außen  her  ein  Druck  auf  die  Vene 
ausgeübt  wird.  Das  Blut  muß  daher  seinen  Lauf  zum 
Herzen  fortsetzen.  In  derselben  Weise  wirken  die  Pul- 
sationen der  Arterien  auf  deren  Satellitvenen  (Tigerstedt). 
Auch  Lageveränderungen  des  Körpers  sowie  Spannungs- 
änderungen der  Venen  sind  Mittel,  fördernd  auf  den  Blut- 
strom in  den  Venen  einzuwirken.  Wir  können  ansaugend 
auf  das  Venensystem  der  oberen  Extremitäten  einwirken, 
wenn  wir  mit  geballter  und  im  Handgelenke  gebeugter  Faust 
die  Arme  horizontal  ausstrecken  und  sie  in  dieser  Haltung 
in  einer  Drehungsebene  nach  hinten  bewegen;  wir  bemerken 
hingegen  eine  allgemeine  Erschlaffung,  wenn  wir  mit  ge- 
streckten Fingern  und  dorsalflektierter  Hand  die  im  Ell- 
bogengelenke gebeugten  Arme   an  den    Thorax   legen.     Die 


IQ  Einleitung. 

Venen  der  unteren  Extremitäten  werden  im  allgemeinen 
gespannt,  wenn  man  die  Oberschenkel  möglichst  weit  spreizt; 
Beugung,  Adduktion  und  Einwärtsrollung  des  Oberschenkels, 
Beugung  des  Knies  und  Dorsalflexion  des  Fußes  bewirken 
Erschlaffung  der  Hauptstämme.  Die  Stellung,  bei  welcher 
das  Venensystem  im  allgemeinen  möglichst  stark  gespannt 
wird ,  entspricht  der  Haltung ,  die  man  unwillkürlich  ein- 
nimmt, wenn  man  sich  nach  längerer  Arbeit  am  Schreib- 
tische aufrichtet  und  ausdehnt. 

Streckung  und  Dehnung  des  Rumpfes  wirkt  beschleuni- 
gend auf  die  durch  das  gebeugte  Sitzen  gestörte  Venen- 
zirkulation ein. 

Der  Lungenkreislauf  unterliegt  den  gleichen  Ge- 
setzen wie  der  große  Kreislauf,  doch  verlangt  er  insofern 
eine  besondere  Beachtung,  als  er  durch  die  verschiedenen 
Phasen  der  Atmung  wesentlich  beeinflußt  wird.  Wenn  der 
Inhalt  der  Lungen,  wie  bei  der  natürlichen  Atmung,  durch 
Ansaugung  vergrößert  wird,  nimmt  auch  die  Weite  ihrer 
Gefäße  zu,  denn  die  Lungenkapillaren  werden  nach  allen 
Richtungen  ausgedehnt  und  der  vom  Innenraume  der  Lungen 
auf  sie  wirkende  Druck  wird  nicht  größer,  als  vor  der  Er- 
weiterung, sogar  etwas  kleiner,  weil  die  Lungen  schneller 
erweitert  werden,  als  die  Luft  durch  die  Stimmritze  hinein- 
kommen kann.  Die  Erweiterung  der  Lungengefäße  setzt 
wohl  den  Druck  in  der  Lungenarterie  herab,  dafür  ruft 
aber  die  Ansaugung  bei  der  Inspiration  einen  vermehrten  Blut- 
zufluß zum  Herzen  hervor,  die  rechte  Kammer  wird  besser 
gefüllt  und  kann  daher  auch  mehr  Blut  auswerfen.  Bei  der 
natürlichen  Exspiration  sind  die  Verhältnisse  umgekehrt; 
vor  allem  ist  die  Blutzufuhr  zum  rechten  Herzen  erschwert. 

Die  Arbeit,  die  der  linken  Kammer  obliegt,  scheint 
viel  mehr  variieren  zu  können  als  die  von  der  rechten 
Kammer  auszuführende;  infolgedessen  ermüdet  die  linke 
Kammer  zuweilen  mehr  oder  weniger,  während  die  rechte 
fortwährend  vollkommen  leistungsfähig  ist. 

Die  beiden  Kreisläufe  beeinflussen  einander  in 
mannigfacher  Weise.  Das  Resultat  sind  Variationen  des 
Blutdrucks,    die    mit    den  Atembewegungen    synchron  sind. 


Physiologische  Vorbemerkungen.  \\ 

Die  Inspiration  befördert  die  Ansaugung  des  Blutes 
zum  rechten  Herzen,  sie  erleichtert  die  Diastole,  indem  sie 
von  allen  Seiten  her  erweiternd  auf  den  Herzbeutel  ein- 
wirkt, sie  erleichtert  die  Strömung  in  den  Lungengefäßen 
durch  deren  Erweiterung;  gleichzeitig  nimmt  wegen  des 
Herabrückens  des  Zwerchfells  der  Druck  in  der  Bauch- 
höhle, zu  und  das  Blut  wird  daher  in  vermehrter  Menge 
zum  rechten  Herzen  getrieben.  Die  Inspiration  enthält  jedoch 
auch  Bedingungen ,  welche  den  Kreislauf  erschweren :  Die 
Ansaugung  des  Thorax  erschwert  naturgemäß  die  Systole  des 
Herzens  im  Beginn  der  Irispiration;  während  sich  die  Lungen- 
gefäße noch  erweitern ,  muß  ein  Teil  des  von  der  rechten 
Kammer  herausgetriebenen  Blutes  in  den  Lungengefäßen 
zurückbleiben;  dadurch  nimmt  die  zum  linken  Herzen  strö- 
mende Blutmenge  ab,  bis  sich  die  Lungengefäße  gefüllt  haben, 
wonach  die  Zufuhr  vermehrt  wird.  Bei  der  Exspiration 
wirken  alle  diese  Mechanismen  in  umgekehrter  Richtung. 
Das  Resultat  dieser  Wirkungen  ist  der  Mangel  jeglicher 
respiratorischen  Schwankung  des  Aortendrucks  bei  rascher 
und  oberflächlicher  Atmung.  Ist  die  Atmung  tiefer,  aber 
schnell,  dann  steigt  der  Druck  bei  der  Exspiration  und  sinkt 
bei  der  Inspiration,  weil  die  Lungengefäße  bei  der  Exspiration 
enger  werden  und  das  Blut  austreiben  müssen.  Das  linke 
Herz  wird  besser  gefüllt  und  kann  daher  auch  mehr  Blut 
austreiben.  Wenn  nun  die  Inspiration  einsetzt  und  die 
Lungengefäße  sich  erweitern,  dann  behalten  sie  das  von  der 
rechten  Kammer  herausgetriebene  Blut  zum  Teil  in  sich, 
das  linke  Herz  wird  weniger  gefüllt,  der  Blutdruck  sinkt. 
Bei  noch  langsamerer  Atmung  bestehen  zunächst  dieselben 
Verhältnisse.  Wenn  sich  die  Lungengefäße  aber  gefüllt 
haben,  so  lassen  sie,  da  sie  nun  weiter  sind,  mehr  Blut  zum 
linken  Herzen  strömen.  Jene  Momente,  welche  die  Bück- 
strömung zum  rechten  Herzen  begünstigen,  steigern  zugleich 
die  Blutzufuhr  zum  linken  Herzen.  Wir  erhalten  also  eine 
kurze  Druckabnahme  und  hierauf  eine  Steigerung  des  Aorta- 
drucks. Bei  der  nun  folgenden  Exspiration  steigt  dieser 
Druck  noch  einen  Augenblick  an,  da  die  sich  verkleinernde 
Lunge  ihr  Blut  in  das  linke  Herz  preßt.  Bald  folgt  jedoch 


12  Einleitung. 

die  Druckabnahme,  weil  die  Verengerung  der  Lungengefäße 
keine  so  große  Zufuhr  wie  vorher  gestattet  und  daher  auch 
die  Rückströmung  des  Blutes  zum  rechten  Herzen  behin- 
dert wird. 

DiePul  sfrequenz  nimmt  während  der  Exspiration 
ab ,  weil  der  Vagus  erregt  wird  —  dies  ist  ein  drucksenkendes 
Moment;  die  gleichzeitige  Reizung  der  Gefäßnerven  erhöht 
den  Gefäßtonus,  die  Gefäße  werden  dadurch  verengt  —  dies 
ist  ein  druckerhöhendes  Moment.  Diese  Momente  machen  sich 
jedoch  nur  bei  nicht  zu  raschem  Atemrhythmus  geltend. 

Die  Innervation  der  Gefäße  ist  eine  zweifache.  Wir 
unterscheiden  gefäßverengende  und  gefäßerweiternde 
Nerven.  Die  ersteren  verbreiten  sich  in  sympathischen 
Bahnen  durch  den  ganzen  Körper ;  sie  sind  tonisch ,  d.  h. 
kontinuierlich  erregt.  Wenn  man  z.  B.  den  Halssympathikus 
durchschneidet,  erweitern  sich  die  Gefäße  des  Ohres,  das 
Blut  in  ihnen  strömt  rascher  und  wird  weniger  venös. 
Reizung  der  gefäßerweiternden  Nervenfasern  hat  eine  Er- 
weiterung der  zugehörigen  Gefäßbahn  zur  Folge.  Gefäß- 
verengende und  gefäßerweiternde  Fasern  sind  aber  keine 
reinen  Antagonisten;  die  Gefäßerweiterung  tritt  als  Nach- 
wirkung bei  gleichzeitiger  Reizung  beider  Nervenarten  ein. 
Die  gefäßerweiternden  Nerven  verlaufen  in  den  verschie- 
densten Nervenbahnen,  auch  der  Vagus  soll  erweiternde 
Nerven  für  die  Koronargefäße  enthalten.  Die  meisten  er- 
weiternden Nerven  empfangen  die  Herzgefäße  wahrschein- 
lich in  sympathischen  Bahnen.  Die  Gefäßnerven  sind  auch 
reflektorisch  erregbar,  wodurch  sowohl  die  Blutzufuhr  zu 
den  verschiedenen  Organen,  als  auch  der  arterielle  Druck 
vielfach  beeinflußt  wird.  Gefäßreflexe  können  von  den  Ge- 
fäßen selbst  ausgelöst  werden.  Es  gibt  auch  lokale  Gefäß- 
reflexe. Kälte  Wirkung  auf  die  Haut  der  Hand  macht  z.  B 
den  Fingerpuls  verschwinden  (Kreidl1).  Im  allgemeinen 
aber  tritt  bei  den  lokalisierten  Reflexen  eine  Erweiterung 
ein.  Der  Reflex  kann  sich  auf  den  entsprechenden  Körper- 
teil  der    anderen    Seite    erstrecken.     Es    kommt    vor.    daß 


J)  Kreidl  A.,    Gesellsch.  f.  inn.  Med.  in  Wien,    1902,  24.  April.    Österr. 
Balneolog.-Kongreß  1902. 


Physiologische  Vorbemerkungen.  13 

vom  Verbreitungsgebiete  des  gereizten  (zentripetalen) 
Nerven  weit  entfernte  Gefäßbahnen  jene  (sensible)  Reizung 
mit  Erweiterung  oder  Verengerung  beantworten.  Das  große 
Splanchnikusgebiet ,  das  Gefäßgebiet  der  Baucheingeweide, 
das  einen  so  großen  Raum  umfaßt ,  daß  die  gesamte  Blut- 
masse des  Körpers  mehrfach  in  ihm  Platz  findet,  kann  von 
allen  Seiten  her  reflektorisch  verengt  und  erweitert  werden. 
Ebenso  sind  die  Gefäße  der  Skelettmuskulatur  reflektorisch 
erregbar ;  sie  erweitern  sich  auf  sensible  Reizung  hin.  Die 
Erweiterung  tritt  zunächst  in  den  Muskeln  auf,  welche  mit 
dem  gereizten  Nerven  in  einem  näheren  Zusammenhang 
stehen ,  doch  auch  nach  der  Reizung  entfernter  sensibler 
Nerven  können  Muskelgefäße  reflektorisch  erweitert  werden. 

Betreffen  diese  reflektorischen  Wirkungen  große  Gefäß- 
gebiete ,  z.  B.  das  Splanchnikusgebiet,  große  Massen  der 
Skelettmuskulatur  u.  s.  w.,  dann  machen  sie  sich  naturgemäß 
bei  den  Blutdruckmessungen  bemerkbar.  —  Biedl  und  Reiner1) 
gelangten  auf  experimentellem  Wege  zu  der  Erkenntnis,  daß 
auch  die  Hirngefäße  eine  eigene  vasomotorische  Innervation 
besitzen .  doch  sind  die  Bahnen  dieser  Innervation  noch 
unbekannt. 

Der  Gefäßtonus  ist  für  den  Kreislauf  von 
außerordentlicher  Bedeutung. 

Bei  Erschlaffung  aller  Gefäße  muß  sich  alles  Blut  all- 
mählich in  den  Venen  ansammeln.  Die  zum  Herzen  zurück- 
strömende Blutmenge  genügt  dann  nicht,  um  das  Herz  hinrei- 
chend zu  speisen,  das  Herz  arbeitet  immer  leerer,  der  Blutdruck 
sinkt  ab,  mit  anderen  Worten :  die  Blutmenge  des  Körpers  reicht 
nicht  hin,  bei  erschlafften  Gefäßen  die  Gefäßhöhle  in  genügen- 
dem Grade  zu  füllen.  —  Zur  Aufrechterhaltung  der  Zirku- 
lation ist  eine  gewisse  Blutdruckhöhe  durchaus  erforderlich. 

Die  Blutverteilung  im  Körper  ist  in  erster  Linie 
von  den  Gefäßnerven,  in  zweiter  von  mechanischen  Be- 
dingungen, der  Schwere,  abhängig.  Bei  aufrechter  Stellung 
werden  die  Venen  der  unteren  Extremitäten  wegen  des 
hydrostatischen     Druckes     der     Blutsäule    erweitert,    beim 


1)  Biedl  und  Keiner,  Pflügers  Archiv,  Bd.  79. 


14  Einleitung. 

Übergang  in  horizontale  Stellung  nimmt  ihre  Blutmenge  ab. 
Steigt  der  Druck  im  Thorax  —  bei  einer  heftigen  An- 
strengung —  dann  wird  der  Rückfluß  des  Blutes  behindert, 
zugleich  nimmt  der  Blutgehalt  der  Extremitäten  zu.  Kom- 
pression der  unteren  Extremitäten  erhöht  die  Blutzufuhr 
zu  den  oberen  Körperteilen  u.  s.  w.  Die  Wirkung  der 
Gefäßnerven  ist  wiederum  so  eingeteilt  (Tigerstedt) ,  daß 
jeder  Körperteil  unter  normalen  Verhältnissen  gerade  die 
Blutmenge  erhält,  die  er  braucht.  Ein  Organ  enthält 
demnach,  wenn  es  in  Tätigkeit  ist,  mehr  Blut  als  während 
der  Ruhe,  u.  zw.  desto  mehr,  je  kräftiger  es  arbeitet. 
Gleichzeitig  werden  —  wie  wir  schon  gehört  haben  — 
die  Blutgefäße  in  anderen  Körperteilen  verengt  und  so  ist 
eine  immerwährende  Wechselwirkung  zwischen  den  Gefäß- 
gebieten erhalten.  Bei  körperlicher  Ruhe  ist  mehr  als 
die  Hälfte  der  gesamten  Blutmenge  des  Körpers  in  den 
Organen  der  Brust-  und  Bauchhöhle  angesammelt  und  wird 
von  hier  aus  im  gegebenen  Falle  denjenigen  Organen  zur 
Verfügung  gestellt,  die  gerade  mehr  Blut  benötigen. 

Durch  seine  Akkommodationsfähigkeit  wird  das 
gesunde  Herz  all  den  geschilderten  schwankenden 
Anforderungen  gerecht;  es  paßt  sich  allen  Veränderungen 
zwischen  dem  individuellen  Minimum  und  Maximum  jederzeit 
vollkommen  an.  Das  Erfordernis  des  Augenblicks  ist  immer 
gewährleistet.  Erhöhung  der  Anforderung  und  Leistung 
fallen  stets  zusammen.  Diese  Anpassungsfähigkeit 
verdankt  das  Herz  der  wunderbaren  Leistungs- 
fähigkeit seiner  Muskulatur  (Krehl). 

II.  Das  Herz  unter  pathologischen  Verhältnissen. 

Die  Erkrankungen  des  Herzens  gehen  mit  Störungen 
des  Kreislaufs  einher,  die  für  die  Organe  unseres  Körpers 
von  maßgebender  Bedeutung  sind. 

Wir  haben  gehört,  daß  die  Herzarbeit  sich  im  wesent- 
lichen aus  der  geförderten  Blutmenge  und  aus  den  Wider- 
ständen zusammensetzt,  welche  der  Entleerung  des  Blutes 
entgegenstehen.  Zu-  oder  Abnahme  des  einen  oder  anderen 
dieser  Faktoren  kann  die  vom  Herzen   zu    leistende  Arbeit 


Das  Herz  unter  pathologischen  Verhältnissen.  15 

erhöhen  oder  vermindern ;  die  Regulier  ungsvorrich  tun  gen 
unseres  Körpers,  vor  allem  anderen  der  Wechsel  des  Gefäß- 
tonus (in  speziellen  Gefäßgebieten)  gleichen  die  Zu-  oder 
Abnahme  jener  Faktoren  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ohne 
einschneidende  Veränderung  in  der  Größe  der  Herzarbeit 
aus.  Hat  das  Herz  eine  diesen  Grad  übersteigende  Arbeit 
dauernd  zu  leisten ,  dann  muß  es  sich  diesem  Bedürfnisse 
unter  Erhöhung  der  Leistung  seiner  Muskulatur  anpassen 
(v.  Fret/1).  (Wie  die  letztere  zur  Mehrleistung  angeregt 
wird,  vermochten  wir  noch  nicht  zu  erkennen.)  Allmählich 
nimmt  —  unter  geeigneten  Verhältnissen  —  die  zu  dauernder 
Mehrleistung  angehaltene  Muskulatur  an  Masse  zu,  wie  jeder 
quergestreifte  Muskel,  der  dauernd  erhöhte  Arbeit  zu  leisten 
hat.  Die  Herzfasern  werden  dicker  und  vermehren  sich  an 
Zahl.  Damit  hat  das  Herz  einen  neuen  Gleichgewichtszustand 
erreicht ;  es  ist  dauernd  zu  höheren  Leistungen  befähigt 
worden,  „erstarkt",  um  die  Bezeichnung  Bauers2)  zu  ge- 
brauchen. Wir  sehen  diese  Erscheinung  bei  muskulösen  Leuten 
eintreten ,  welche  durch  schwere  körperliche  Arbeit  ihren 
Lebensunterhalt  erwerben  und  in  der  Lage  sind,  sich  reich- 
lich zu  ernähren ,  so  bei  Athleten ,  Ringern  u.  s.  w.  Bei 
diesen  Individuen  nimmt  die  Skelettmuskulatur  an  Masse 
zu  und  parallel  mit  ihr  das  Herz.  —  Die  Masse  des  Herz- 
muskels ist  der  Ausdruck  der  von  ihm  geleisteten  Arbeit 
—  sagt  Hirsch*)  in  seinen  bemerkenswerten  Ausführungen 
über  die  Beziehungen  zwischen  dem  Herzmuskel  und  der 
Körpermuskulatur ;  sie  entspricht ,  da  die  Herzarbeit  des 
Gesunden  von  der  Tätigkeit  der  Körpermuskulatur  abhängig 
ist,  der  Entwicklung  der  Körpermuskulatur. 

Bei  schwerer  körperlicher  Arbeit  hat  das  Herz  viel 
größere  Blutmassen  zu  bewältigen  (Zuntz)^)^  die  aus  den 
arbeitenden  und  allmählich  hypertrophierenden  Muskeln 
zum  rechten ,  aus  diesem  zum  linken  Ventrikel  gepreßt 
werden ;    zu    diesem  Zwecke    vermehrt   es    die   Zahl    seiner 


*)  v.  Frey,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  46. 

2)  Bauer  u.  Bollinger,  „Festschr.  f.  Max  v.  Pettenkofer" ,  München  1893. 

3)  Hirsch,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  64. 

4)  Zuntz,  Deutsche  med.  Wochenschr.,  1892. 


Iß  Einleitung. 

Zusammenziehungen  und  sein  Schlagvolum.  Da  durch  die 
Kapillaren  beider  Kreisläufe  die  gleiche  Blutmenge  strömen 
muß,  beeinflußt  die  körperliche  Arbeit  unter  normalen  und 
pathologischen  Verhältnissen  mehr  oder  weniger  beide  Kreis- 
läufe. An  der  Massenzunahme  sind  daher  auch  beide  Herz- 
halften  im  Verhältnisse  ihrer  ursprünglichen  Wandstärke 
gleichmäßig  beteiligt. 

Als  direkte  Ursache  der  „Erstarkung  des  Herzens"  ist 
die  arterielle  Drucksteigerung  anzusehen,  welche  die  Muskel- 
arbeit begleitet. J)  Die  Arbeit  des  Herzens  steigt  bei  Muskel- 
anstrengungen jedenfalls  (Stricker,  Krchl)2),  obwohl  die 
Tendenz  zu  einer  regulatorischen  Erweiterung  der  Gefäße 
besteht. 

Andere  Verhältnisse  finden  wir  z.  B.  bei  der  Massenzu- 
nahme der  Herzen  von  Individuen,  die  täglich  sehr  viel  Bier 
trinken  und  nicht  Gelegenheit  suchen,  ihre  Skelettmuskulatur 
ausgiebig  zu  üben.  Durch  die  immerwährende  Überfüllung 
des  Kreislaufs  wachsen  die  Füllungen  dieser  Herzen  und 
ihre  Leistungen,  damit  der  Blutdruck  nicht  sinke  (Tiger stedt). 3) 
Auch  diese  Herzen  nehmen  daher  an  Masse  zu,  doch  nicht 
im  geraden  Verhältnisse  zur  Skelettmuskulatur.  Sie  werden 
vielmehr  im  Vergleiche  zu  dieser  —  relativ  —  hypertrophisch. 
Darin  liegt  ein  Unterschied;  einen  weiteren  Unterschied 
bewirken  begleitende  Momente,  die  früher  oder  später  dege- 
nerative Veränderungen  an  der  hypertrophischen  Herzmus- 
kulatur herbeiführen. 

Das  (klappen-  und  struktur-)  kranke  Herz  ist  ein  un- 
unterbrochen mit  Arbeit  überladenes  Herz,  insoferne  es  in 
toto  oder  einzelne  seiner  Teile  mehr  leisten  muß ,  als  es 
seiner  Anlage  nach  in  jedem  Augenblicke  leisten  kann.  Es 
muß  daher  gleichfalls  an  Masse  zunehmen.  Die  Beziehungen 
zwischen  der  Masse  von  Herzmuskulatur  und  Skelettmusku- 


1)  Eine  genaue  Darlegung  der  Blutdruckschwankungen  während  und 
nach  Muskelarbeit  gehört  nicht  hieher.  In  der  letzteren  Zeit  sind  einige  be- 
merkenswerte Arbeiten  über  dieses  Thema  erschienen,  u.  a.  von  Maximoivitsch 
u.  Rieder,  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  46.  —  Zuntz  u.  Hagemann,  Pflü- 
gers  Archiv,  Bd.  72.  —   Grebner  u.  Grünbaum,  Wiener  med.  Presse,  1900. 

*)  Stricker,  „Vorl.  üb.  allg.  u.  exp.  Path.",  pag.  793.  —  Krehl,  Die  Er- 
krankungen des  Herzmuskels,  1901,  pag.  85. 

3)  Tiger  stedt,  Skand.  Arch.  f.  Phys.,  Bd.  4. 


Das  Herz  unter  pathologischen  Verhältnissen.  17 

latur  haben  jedoch  gänzlich  aufgehört;  die  Hypertrophie 
betrifft  fast  niemals  das  gesamte  Organ  gleichmäßig,  sondern 
bestimmte  Abschnitte  desselben  mehr  als  die  anderen  Teile, 
je  nachdem  sich  eben  Erhöhung  von  Anforderung  und 
Leistung  auf  das  Herz  verteilt  hat.  Auch  diese  Hypertrophie 
verbindet  sich,  ihrer  Entstehung  entsprechend,  rascher  oder 
langsamer  mit  degenerativen  Veränderungen. 

Man  könnte  also  in  einer  den  Zwecken  der  Klinik 
dienlichen  Weise  das  ..erstarkte"  oder  gesunde  hypertro- 
phische und  das  kranke  hypertrophische  Herz  unter- 
scheiden ,  insoferne  das  letztere  immer  mehr  oder  weniger 
den  Keim  zur  Degeneration  in  sich  trägt. 

Zur  Klarlegung  der  „krankhaften  Hypertrophie" 
wollen  wir  von  einem  konkreten  Falle,  etwa  einer  Aorten- 
klappen-Insuffizienz, ausgehen  und  die  Verhältnisse  in  mög- 
lichst vereinfachter  Form  betrachten : 

Von  der  Blutmenge,  welche  durch  die  Systole  der  linken 
Kammer  in  die  Aorta  geworfen  wurde ,  strömt  bei  mangel- 
haftem Verschlusse  des  Aortenostiums  ein  Teil  während  der 
Diastole  in  die  Kammer  zurück,  u.  zw.  umsomehr,  je  größer 
die  Lücke  zwischen  den  Klappen  ist.  Denken  wir  uns,  die 
Aorteninsuffizienz  wäre  (etwa  bei  Endomyokarditis)  eben  zu- 
stande gekommen.  Was  muß  nun  geschehen? 

Die  nächste  Folge  ist  eine  Vergrößerung  der  diastolischen 
Kammerfüllung  durch  das  unter  ungewohnt  hohem  Drucke 
zurückströmende  und  das  gleichzeitig  aus  dem  Vorhofe  nach- 
strömende Blut.  Vor  übermäßiger  Füllung  —  Dilatation  — 
kann  sich  das  Herz  durch  rechtzeitige  ,. Steifung"  schützen 
(Krehl)1),  umso  besser,  je  gesünder  seine  Muskulatur  ist, 
umso  weniger,  je  mehr  sich  dieselbe  an  dem  Entzündungs- 
(Degenerations-)  Prozesse  beteiligt.  Kornfeld2)  hat  in  einer 
überaus  bemerkenswerten  Publikation  aus  dem  Laboratorium 
v.  Basctis  auseinandergesetzt,  daß  der  Herzmuskel  aber 
die  Eigenschaft  besitzt,  eine  Vergrößerung  seines  Hohlraumes 
ohne     notwendig     damit     einhergehende     Vermehrung    der 


*)  L.  Krehl,  Path.  Physiol.,  Leipzig  189$  pag.  16. 
2)  Kornfeld,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.,  Bd.  29. 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten. 


\$  Einleitung. 

Wandspannung  erfahren  zu  können.1)  Er  nennt  diese  Eigen- 
schaft Dilatationsfähigkeit  (Ausweitungsfähigkeit).  Die- 
selbe erklärt  uns  unter  anderem  die  so  häufig  zu  beobachtende 
Tatsache,  daß  es  Fälle  von  Aorteninsuffizienz  ohne  Störung 
des  Lungenblutstromes  gibt.  (In  anderen  Fällen  machen  sich 
alsbald  solche  Störungen  geltend.)  —  Oftmals  pflegt  eine  ge- 
wisse Beschleunigung  des  Herzschlags  einzutreten,  die  günstig 
wirkt2),  weil  sie  die  Dauer  der  Diastolen  verkürzt  und  da- 
durch das  Maß  der  Regurgitation  verkleinert. — Hat  die  Aorten- 
insuffizienz  eine  Zeitlang  bestanden ,  dann  beobachten  wir 
fast  immer  eine  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  neben 
der  Dilatation  seiner  Höhle.  Eine  direkte  Veranlassung  zur 
Hypertrophie  ist  vielleicht  in  der  andauernd  vermehrten 
Kraft entfaltung  gelegen,  die  notwendig  ist,  um  das  unge- 
wohnte Plus  an  Blut  bei  jeder  Systole  in  die  Aorta  zu 
treiben.  Ferner  ist  die  gesamte  Innenoberfläche  der  Ventrikel- 
wandungen infolge  der  vermehrten  Kapazität  erheblich  ge- 
wachsen ;  auf  jede  Quadrateinheit  wird  dabei  während  der 
Systole  der  gleiche  Druck  ausgeübt,  darum  muß  auch  die 
von  der  Muskelwand  des  Herzens  aufgebrachte  Kraft  pro- 
portioneil gesteigert  sein. 3)  Diese  beiden  Ursachen  veran- 
lassen die  bei  Aorteninsuffizienzen  meist  in  so  erheblichem 
Maße  vorhandene  Hypertrophie  (Broadbent).*) 

Die  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  bedeutet  eine 
Anpassung  des  Herzens  an  die  neuen  Verhältnisse,  seine 
Befähigung  zu  der  andauernd  erforderlichen  Mehrleistung. 

Nun  fehlen  aber  in  unseren  klinischen  Fällen  von 
Aorteninsuffizienz   niemals  Läsionen  der  Muskulatur  (inter- 


*)  Klinische  Beobachtungen  scheinen  dafür  zu  sprechen,  daß  die  über- 
mäßige Füllung  der  linken  Kammer  während  der  Diastole  und  die  damit 
verbundene  Dilatation  rasch  einen  hohen  Grad  erreichen  kann ;  der  entzündete 
Muskel  kann  sich  wahrscheinlich  vor  Dehnungen  nicht  so  gut  durch  recht- 
zeitige Steifung  schützen  wie  der  gesunde ;  es  tritt  eine  primäre  Dila- 
tation der  Kammer  ein. 

2)  B.  Lewy,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.,  Bd.  31. 

3)  Daß  der  arterielle  Mitteldruck  bei  künstlichen  Aorteninsuffizienzen 
mäßigen  Grades  nicht  wesentlich  verändert  wird,  beweisen  unter  anderem 
Versuche  von  Rosenbach  (Arch.  f.  experim.  Path.  u.  Pharm.,  Nr.  9),  von 
De  Jager  (Pflügers  Arch.,  Bd.  31)  u.  a.  m. 

4)  Broadbent,  Herzkrankheiten.  Deutsch  von  F.  Kornfeld,  Würz- 
burg 1902. 


Das  Herz  unter  pathologischen  Verhältnissen.  19 

stitielle  Entzündungen,  degenerative  Myokardveränderungen). 
die  nicht  nur  „der  Ausdruck  einer  schweren  Schädigung  sind, 
sondern  auch  direkt  zu  lebhaften  Funktionsstörungen  führen" 
(Krehl) x),  da  sie  zwei  fundamentale  Eigenschaften  des  Herz- 
muskels und  wesentliche  Faktoren  seiner  Tätigkeit ,  die 
Kontraktilität  und  die  Elastizität,  schädigend  beeinflussen. 
Der  Ventrikel  ist  allmählich  nicht  mehr  imstande,  sich  seiner 
Füllung  entsprechend  zu  entleeren  —  Stauungs-  (sekundäre) 
Dilatation2)  —  oder  nach  Ablauf  der  Kontraktion  aus- 
reichend zu  entfalten  (Abnahme  der  diastolischen  Saug- 
wirkung) ,  die  nächste  Folge  ist  Stauung ,  Druckerhöhung 
im  linken  Vorhofe.  Der  muskelschwache  Vorhof  verfügt  je- 
doch nur  über  geringe  ausgleichende  Kräfte  ,  er  erweitert 
sich  (und  hypertrophiert)  unter  der  Last  der  ungewohnt 
großen  zu  bewältigenden  Blutmenge.  Doch  seine  Akkommo- 
dationsfähigkeit ist  nur  gering,  der  Wall  bald  durchbrochen 
und  nun  pflanzt  sich  die  Stauung  ungehemmt  in  die  Lungen- 
venen fort  —  das  Gefälle  des  Lungenblutstromes  zu  mindern 
suchend  —  durch  die  weiten  Lungen  kapillaren  in  die  Lungen- 
arterien ,  schließlich  bis  zum  rechten  Ventrikel.  Soll  das 
Gefälle  in  der  Lunge  unverändert  bleiben ,  dann  muß  sich 
nunmehr  auch  der  rechte  Ventrikel  den  erhöhten  Anforde- 
rungen akkommodieren.  Der  klinische  Ausdruck  der 
Mehrleistung  des  rechten  Ventrikels  und  der  durch  ihn 
aufgebrachten  Druckerhöhung  ist  zunächst  die  von  Skoda  3)  zu- 
erst beschriebene  Akzentuierung  des  zweiten  Pulmonaltones.  — 
Da  in  der  Lunge  keine  Vorrichtungen  vorhanden  sind, 
die ,  wie  jene  im  großen  Kreislaufe ,  durch  Änderungen 
der  Blutverteilung  (vasomotorische  Einflüsse)  die  Widerstände 
herabsetzen  könnten  *),  richtet  sich  der  weitere  Verlauf  dar- 
nach allein ,  wie  sich  die  rechte  Kammer  verhält ,  ob  sie 
ihrer  andauernden  Mehrleistung  proportional  hypertrophiert. 
Ist  dies  der  Fall,  dann  bleibt  das  Gefälle  —  die  Geschwin- 


x)  Krehl,  1.  c. 

-)  Auch  die  Elastizität  des  gesunden  Herzmuskels  nimmt  ab,  wenn  er 
kontrahiert  ist,  noch  vielmehr  jene  des  erkrankten  (Weber). 

3)  Skoda,  Abhandlung  über  Perkussion  und  Auskultation. 

4)  Knoll,    Sitzungsber.  d.  Akad.  d.  Wissensch.  in  Wien.    Math.-naturw. 
Kl.,  99,  III. 

2* 


20  Einleitung. 

digkeit  des  Blutstromes  in  der  Lunge  —  erhalten.  Doch  ist 
ein  labilerer  Gleichgewichtszustand  des  Herzens  vorhanden, 
denn  es  bedarf  oft  nur  eines  geringen  Anstoßes ,  um  das 
Heer  aller  Folgeerscheinungen  herbeizurufen ,  welche  die 
„Insuffizienz  des  Herzens"  zu  begleiten  pflegen.1) 

Nunmehr  hängt  alles  davon  ab,  ob  die  zugrunde 
liegenden  anatomischen  Veränderungen  einen  mehr  oder 
weniger  progredienten  Charakter  haben,  in  welchem  Maße 
speziell  die  Herzmuskulatur  durch  sie  beeinträch- 
tigt wird. 

Die  Druckerhöhung  in  den  Lungen gef äßen  schädigt  die 
Lunge  durch  Blutungen ,  interstitielle  Leukocytenansamm- 
lungen,  Vermehrung  ihres  Bindegewebes  (braune  Induration), 
sowie  durch  direkte  Abnahme  ihrer  Exkursionsfähigkeit 
[Lungenschwellung  und  Lungenstarre,  v. Basch2)]  und  dadurch 
wiederum  das  Herz,  denn  die  Förderung  der  Blutströmung 
durch  die  Atmung  wird  wie  der  Nutzeffekt  der  Atmung  3) 
überhaupt  geringer,  wenn  die  Lunge  minder  beweglich  ist. 
Damit  ist  eine  neuerliche ,  andauernde ,  zunehmende  Mehr- 
belastung des  Herzens  gegeben ,  welche  dasselbe  mit  einem 
neuerlichen  Mehraufwande  an  Kraft  und  Zunahme  der  Hyper- 
trophie beantworten  muß.  insoweit  seine  eigene  Ernährung 
die  Massenzunahme  seiner  Muskulatur  überhaupt  noch  ge- 
stattet. —  Die  abnormen  Füllungsunterschiede  der  Gefäße 
(Systole  und  Diastole)  nützen  vorzeitig  und  unaufhaltsam 
die  Elastizität  der  Gefäßwände  ab;  auch  hiemit  ist  ein 
weiterer,  beschwerender  Faktor  in  die  Arbeitsgleichung  des 
Herzens  eingetreten;  schwindet  doch  immer  mehr  das  unter- 
stützende Moment ,  das  die  Blutströmung  unter  normalen 
Verhältnissen  in   den    elastischen  Kräften    der  Gefäßwände 


1)  Die  Wirkung  der  von  Strubell  (20.  Kongreß  f.  innere  Med.)  ange- 
nommenen Pneumovasomotoren  dürfte  jedenfalls  so  gering  sein,  daß  sie  für  eine 
ausgiebige  Regulation  unter  pathologischen  Verhältnissen  kaum  hinreicht;  die 
Lungengefäße  werden  selbst  durch  so  starke  Gefäßverengerungsmittel  wie 
Suprarenin  nicht  zur  Kontraktion  gebracht  (D.  Gerhardt,  „Arch.  f.  exper. 
Path.  und  Pharm.",  Bd.  44). 

2)  v.  Basch,  „Physiologie  u.  Pathologie  des  Kreislaufs"  und  zahlreiche 
Arbeiten  seiner  Schule. 

3)  v.  Basch,  Wiener  med.  Presse,  1888,  Wiener  med.  Blätter,  1888, 
8.  Kongr.  f.  innere  Med.  etc.,  Esser,  Zentralbl.  f.  innere  Med.,  1901. 


Das  Herz  unter  pathologischen  Verhältnissen.  21 

findet.  —  Ein  Grund  für  die  Degeneration  des  kranken 
Herzens  liegt  darin ,  daß  die  Blutzufuhr  zum  Herzen  nur 
oder  vorwiegend  während  der  Diastole  erfolgt;  da  nun  die 
Zunahme  der  Pulszahl  hauptsächlich  auf  Kosten  der  Diastole 
geschieht,  so  steht  das  Herz  unter  ungünstigeren  Ernährungs- 
bedingungen. —  Die  Ernährung  des  Herzens  ist  zudem  un- 
mittelbar von  der  Herzarbeit  selbst  abhängig,  d.  h.  sinkt  der 
Aortendruck,  dann  strömt  auch  weniger  Blut  in  die  Coronar- 
gefäße ;  der  Herzmuskel  wird  also  schlechter  ernährt,  weil  er 
schlechter  arbeitet,  und  arbeitet  schlechter,  weil  er  schlechter 
ernährt  wird.  —  Das  mit  einem  Klappenfehler  behaftete 
Herz  erwärmt  sich  —  wie  Lewy  x)  hervorhebt  —  durch  seine 
Kontraktion  mehr  als  das  gesunde.  Es  ist  denkbar,  daß 
auch  dieser  Umstand  für  seine  Funktionierung  nicht  gleich- 
giltig  ist.  —  Schließlich  bewirkt  das  vergrößerte  Herz  schon 
durch  seine  Größenzunahme  allein  eine  mechanische  Behin- 
derung der  Atmung  (Krehl)2),  was  gleichfalls  schädigend 
auf  seine  Tätigkeit  zurückwirkt. 

Man  dürfte  also  eigentlich  nicht  mehr  von  einem  neuen 
..Gleichgewichtszustande''  des  Herzens  sprechen ;  denn  das 
Verhältnis  zwischen  Herzkraft  und  der  zu  leistenden  Arbeit 
hat  sich  nicht  nur  wesentlich,  u.  zw.  in  einem  für  das  Herz 
ungünstigen  Sinne  verschoben,  sondern  es  verschiebt  sich 
unaufhaltsam  immer  mehr. 

Es  ist  wohl  auch  von  wesentlicher  Bedeutung  für  das 
Herz,  daß  aus  den  beschriebenen  Veränderungen  eine  geän- 
derte Verteilung  der  Last  auf  das  Herz  resultiert. 
Unter  normalen  Verhältnissen  trägt  jeder  Herzteil  die 
seiner  Anlage  entsprechende  Menge  Arbeit.  Anders  unter 
pathologischen  Verhältnissen.  Unter  normalen  Verhältnissen 
ruht  die  größte  Last  auf  dem  linken  Ventrikel,  während 
unter  pathologischen  Verhältnissen  der  rechte  Ventrikel  bis- 
weilen stärker   belastet  sein  kann  als  der  linke.  — 

Wir  haben  das  an  Insuffizienz  der  Aortenklappen 
leidende  Herz  in  ein  Stadium  eintreten  sehen,  in  welchem 
zur  Unterstützung  der  ihrer  Arbeit  nicht  mehr  gewachsenen 


*)  Lewy,  1.  c. 
2)  Krehl,  1.  c. 


22  Einleitung. 

linken  die  rechte  Kammer  herangezogen  wurde.  Der  weitere 
Verlauf  kann  sich  nun  verschieden  gestalten.  Es  gibt  Fälle, 
die  in  diesem  Stadium  plötzlich  zum  Tode  führen ,  neben 
anderen,  in  welchen  der  Kranke,  durch  Schlaflosigkeit  und 
mangelhafte  Nahrungsaufnahme  erschöpft,  stirbt,  ohne  daß 
die  Veränderungen  der  Herztätigkeit  erkennbare  weitere 
Fortschritte  gemacht  hätten.  Wir  stehen  in  solchen  Fällen 
leider  nur  allzu  oft  an  der  Grenze  unseres  diagnostischen 
Könnens,  vor  einem  Rätsel,  unvermögend  zu  sagen,  warum 
gerade  jetzt  der  Herztod  eingetreten  sei;  wir  denken  an  eine 
Beteiligung  von  vasomotorischen  Faktoren,  besitzen  aber 
noch  keine  greifbaren  Stützen  für  diese  Anschauung. 

Eine  Reihe  anderer  Fälle  —  es  ist  die  Mehrzahl  — 
sieht  die  Störungen  des  Kreislaufes  viel  langsamer  dem 
unvermeidlichen  Ende  zustreben.  Das  Unvermögen  des  linken 
Ventrikels,  das  von  beiden  Seiten  einströmende  Blut  durch 
eine  energische  Kontraktion  in  die  Aorta  zu.  treiben,  tritt 
immer  deutlicher  zutage;  die  Schlaffheit  der  Kontraktion 
setzt  dem  dehnenden  Drucke  des  Blutes  keinen  genügenden 
Widerstand  entgegen,  der  Ventrikel  wird  immer  größer.  Da 
an  der  mangelhaften  Kontraktion  auch  die  das  Mitral-Ostium 
umrahmende  Muskulatur  teilnimmt,  wird  dasselbe  während 
der  Systole  ungenügend  verengt,  die  Zipfel  der  Mitralklappe 
vermögen  das  weite  Ostium  nicht  mehr  zu  bedecken,  zur 
Insuffizienz  der  Aortenklappen  hat  sich  eine  ,.muskuläre 
(relative)  Mitralinsuffizienz"  gesellt.  Es  ist  wahrscheinlich, 
daß  die  abnorme  Erweiterung  der  Kammerhöhle  eine  geän- 
derte Stellung  der  Papillarmuskeln  bedingt,  so  daß  dieselben 
den  Verschluß  der  Klappen  nicht  ausreichend  unterstützen 
können.  Dies  ist  ein  zweiter  Faktor  der  „muskulären  Mitral- 
insuffizienz". 

Nun  nehmen  die  Stauungserscheinungen  im  Lungen- 
kreislaufe rasch  zu,  ein  geringer  Grad  von  Cyanose  gesellt 
sich  zur  blassen  Färbung  der  Lippen1),  die  Dyspnoe  steigt 
rasch  zur  Orthopnoe  an.  Bald  ist  auch  der  rechte  Ventrikel 
den  zu  überwindenden  Widerständen  nicht  mehr  gewachsen, 

*)  Viele  dieser  Kranken  kennzeichnet  eine  auffallende  Röthe  der  Lippen 
und  Wangen  mit  einem  undeutlichen  Stich  ins  Bläuliche. 


Das  Herz  unter  pathologischen  Verhältnissen.  23 

die  Energie  seiner  Kontraktionen  nimmt  mehr  und  mehr 
ab,  die  unausbleibliche  Folge  ist  die  „muskuläre  Tricuspidal- 
insuffizienz",  in  der  wir  vielleicht  die  letzte  „kompensa- 
torische" Einrichtung  erkennen  dürfen,  die  dem  Organismus 
zur  Verfügung  steht  (Broadbent). x)  Wenn  nämlich  der  Druck 
(die  Überfüllung)  im  Lungenkreislaufe  so  hochgradig  ge- 
worden ist,  daß  der  rechte  Ventrikel  ihn  nicht  überwinden 
kann,  dann  wirkt  die  Tricuspidalinsuffizienz  wie  ein  Sicher- 
heitsventil, das  dem  Blute  das  große  Reservoir  des  Venen- 
systems eröffnet.  Das  auf  diese  Weise  notdürftig  entlastete 
Herz  vermag  nun  noch  so  lange  fortzuschlagen,  als  der 
Druck  in  der  Aorta  —  die  Speisung  des  linken  Ventrikels  - 
nicht  allzu  tief  abgesunken  ist.  Ein  weiteres  Absinken  des 
Blutdrucks  wäre  mit  der  Fortdauer  des  Lebens  nicht 
vereinbar. 

Während  so  das  Herz  dem  unausweichlichen  Ende  ent- 
gegenschlug, ist —  die  allmähliche  Zunahme  seiner  „Insuffi- 
zienz2) anzeigend  —  eine  Reihe  von  klinischen  Symptomen 
aufgetreten,  vor  allem  der  Hydrops.  Sein  Zustandekommen 
wird  durch  die  Verlangsamung  des  Lymphstromes  (Er- 
schwerung des  Lymphabflusses  aus  dem  Ductus  thoracicus 
in  die  Anonyma),  die  Erhöhung  des  Kapillardrucks,  durch 
Veränderungen  der  Gefäßwände  und  durch  lokale  venöse 
Stauung  bedingt.  Der  erhöhte  Kapillardruck  wird  nicht  nur 
von  den  Gefäßwänden,  sondern  auch  von  den  umgebenden 
Geweben  getragen  (Landerer). 3)  Diese  verlieren  aber  durch 
die  andauernde  Druckwirkung  an  Elastizität.  Sinkt  nun  die 
Gewebespannung,  dann  wächst  der  Druckunterschied  zwischen 
Kapillaren  und  Lymphgefäßen  und  die  Transsudation  der 
Lymphe  wird  begünstigt .  ihre  Fortbewegung  erschwert. 
Was  ihre  Strömung  begünstigt  hat,  die  Spannungsdifferenz 
zwischen  Lymphwurzeln  und  großen  Lymphgefäßen,  ist  eben 
geschwunden. 


1)  Broadbent,  1.  c. 

2)  Den  Ausdruck  ..Herzinsuffizienz"  hat  zuerst  Bamberger  in  seinem 
„Lehrbuch  der  Krankheiten  des  Herzens"  angewendet.  Er  nennt  so  die  „Unzu- 
länglichkeit des  erkrankten  Herzmuskels  gegenüber  den  bestehenden  Hinder- 
nissen". 

3)  Landerer,  Die  Gewebespannung,  Leipzig  1884. 


24  Einleitung. 

In  der  Verteilung  des  Blutes,  die  unter  normalen  Ver- 
hältnissen vorwiegend  vom  Herzen  abhängig  ist,  macht  sieh 
immer  mehr  der  Einfluß  der  Schwere  geltend;  der  Hydrops 
tritt  daher  zuerst  an  den  vom  Herzen  entferntesten  Körper- 
stellen auf. 

Die  einzelnen  lebenswichtigen  Organe  des  Körpers, 
die  Lunge,  Leber.  Niere  etc.,  beantworten  die  Veränderung 
der  Zirkulation  mit  den  ihnen  entsprechenden ,  speziellen 
klinischen  Symptomen. 

Erscheinungen  der  Herzinsuffizienz  wie  im  Verlaufe 
der  Aorteninsuffizienz  entwickeln  sich  -—  mutatis  mutandis  — 
auch  bei  den  anderen  Klappenfehlern  des  Herzens  und  bei 
den  Herzkrankheiten  überhaupt.  Es  gibt  viele  Abweichungen 
von  diesem  Bilde,  die  wir  an  geeigneter  Stelle  kurz  be- 
sprechen wollen;  die  Aorteninsuffizienz  wurde  als  Beispiel 
gewählt,  weil  sie  ceteris  paribus  den  längsten  Weg  darstellt, 
auf  dem  der  Reihe  nach  alle  dem  Herzen  verfügbaren 
..kompensatorischen"  Einrichtungen  in  Aktion  treten  können. 

Ob  nun  eine  einfache  oder  eine  kombinierte  Klappen- 
affektion vorliegt,  ob  die  Erkrankung  im  Herzmuskel  oder 
an  einer  Klappe  begann ,  ob  das  Herz  primär  erkrankt  ist 
oder  sekundär  nach  Arteriosklerose.  Nephritis,  Lungenem- 
physem, ob  die  Herzarbeit  leidet,  weil  die  Kontraktions- 
kraft der  Herzmuskulatur  primär  abnahm,  oder  weil  diese 
—  etwa  durch  ein  perikardiales  Exsudat  —  in  ihrer  Tätig- 
keit behindert  wird,  immer  ist  der  schließliche  Effekt  das 
Absinken  der  Leistung  des  einzelnen  Herzschlags ,  das  Un- 
vermögen des  Herzens ,  seine  Funktion  in  normaler  Weise 
aufrecht  zu  erhalten. 

Solange  die  Tätigkeit  der  Muskulatur  aus- 
reicht, bleibt  die  Funktion  stets  gewährleistet. 

Die  „kompensatorische"  Hypertrophie  der  Herzmusku- 
latur ist  zur  Erhaltung  der  Funktion  unter  den  erschwerten 
Verhältnissen  des  „Herzfehlers"'  notwendig.  Erst  wenn  die 
Herzmuskulatur  zu  versagen  beginnt,  dann  treten 
bei  jeder  Form  von  Herzfehler  (Klappenfehler 
oder  Strukturerkrankung)  Insuffizienz-Erscheinun- 
gen auf.    Herzinsuffizienz    und  Herzmuskelinsufnzienz  sind 


Das  Herz  unter  pathologischen  Verhältnissen.  25 

(nach  dem  gegenwärtigen  Stande  unserer  Kenntnisse)  iden- 
tisch. Wenn  man  sagt,  ein  Klappenfehler  ist  „kompensiert", 
dann  meint  man  damit,  daß  der  durch  den  Klappendefekt 
gesetzte  Schaden  durch  die  Mehrleistung  der  Muskulatur 
ausgeglichen  wird.  Ein  reparatorischer  Vorgang  ist  in  dieser 
Kompensation  keineswegs  zu  finden  (v.  Basch,  Krehl).  Die 
anderen  ..kompensatorischen"  Faktoren,  z.  B.  Steigerung  des 
Gefäßtonus  bei  Mitralstenose,  seine  Herabsetzung  bei  Aorten- 
insuffizienz, die  Dehnung  einer  Aortenklappe  behufs  Deckung 
einer  insuffizienten  Stelle,  die  Bradykardie  bei  Mitralstenose 
und  die  relativen  Tachykardien  bei  Aorten  afp ektionen  etc. 
haben  eine  verhältnismäßig  geringe  Bedeutung.  ,. Dekom- 
pensation" eines  Klappenfehlers  tritt  mit  dem  Augenblicke 
ein,  wo  die  Herzmuskulatur  in  unzureichender  Weise  zu 
funktionieren  beginnt.  Der  Grad  der  Insuffizienz  entspricht 
—  von  vasomotorischen  und  nervösen  Einflüssen  abgesehen, 
deren  Bestimmung  sich  unserem  Ermessen  vorläufig  ent- 
zieht —  dem  Grade  der  degenerativen  Veränderungen.  — 
Die  Art  und  Weise,  in  der  die  Herzmuskulatur  zu  ihrer 
Tätigkeit  angeregt  wird,  ändert  nichts  an  diesem  Einteilungs- 
prinzipe,  denn  immer  ist  es  schließlich  die  Muskulatur,  von 
welcher  die  Tätigkeit  des  Herzens  ausgeht. 

Wir  haben  daher  auch  Herzmuskelfunktion  und  Herz- 
funktion als  identisch  aufzufassen. 

Die  Muskulatur  des  rechten  Ventrikels  scheint  unter 
dem  Einflüsse  der  meisten  Schädigungen,  die  das  ganze 
Herz  betreffen,  Arteriosklerose,  Myokarditis  etc.,  ein  aus- 
dauernderes Funktionsvermögen  zu  besitzen ,  als  jene  des 
linken  Ventrikels.  Dies  hängt  vielleicht  nur  zum  Teile  davon 
ab,  daß  der  Grad  der  Schädigung  links  immer  mehr  aus- 
gesprochen ist  als  rechts. 

Der  erste,  welcher  der  Auffassung  von  der  Bedeutung  der 
funktionellen  Störung  bei  allen  Herzkrankheiten  allgemeine 
Geltung  zu  verschaffen  wußte,  ist  Rosenbach1)  gewesen.'2) 

*)  Rosenbach,  Die  Krankheiten  des  Herzens,  Wien  u.  Leipzig,  Urban  &: 
Schwarzenberg. 

*)  Doch  hatte  schon  der  große  Meister  Stokes  („Die  Krankheiten  des 
Herzens",  deutsch  von  Lindwurm,  1885),  in  der  Besserung  der  Herzmuskel- 
funktion  das  Wesen  der  Herztherapie  erkannt. 


26  Einleitung. 

Es  ist  also  die  genaue  Feststellung  der  Art 
und  der  Größe  der  Funktionsstörung  bei  jeglicher 
Form  von  Herzkrankheit  die  Grundlage  der  Herz- 
therapie. 

III.  Die  Beurteilung  des  Grades  der  Herzinsuffizienz. 

Wir  haben  gehört,  daß  die  Konsequenz  jeglichen  ,, Herz- 
fehlers" die  Insuffizienz  des  Herzmuskels  ist,  der  Wider- 
spruch zwischen  Leistungsfähigkeit  und  Erfordernis. 

Das  Bild  der  vorgeschrittenen  Herzinsuffizienz  ist 
klinisch  leicht  erkennbar.  Die  cyanotische  Färbung  der  Haut 
und  der  Schleimhäute  oder  das  fahle,  gelblichblasse  Kolorit, 
die  Venenschwellungen  am  Halse,  der  Stauungskatarrh  der 
Lungen,  die  Herzfehlerzellen  im  Sputum,  die  Dyspnoe,  der 
allgemeine  Hydrops,  die  Benommenheit  des  Sensoriums,  die 
Abnahme  der  Harnsekretion,  der  Eiweißgehalt  des  Harnes, 
das  Sinken  des  Blutdrucks  und  der  Körpertemperatur  spre- 
chen eine  deutliche,  nicht  mißzuverstehende  Sprache. 

Größer,  oft  unüberwindlich  sind  die  Schwierigkeiten, 
die  ersten  Anfänge  der  herabgesetzten  Leistungsfähigkeit 
zu  erkennen ,  und  ferner  zu  beurteilen ,  in  welchem  Grade 
die  Funktionstüchtigkeit  eines  Herzmuskels  geschädigt  ist. 
Denn  darauf  kommt  es  hauptsächlich  an;  dem  Grade  dieser 
Läsion  haben  wir  die  Art  unseres  Eingreifens  anzupassen. 
Es  ist  für  unser  therapeutisches  Handeln  zunächst  belanglos, 
welche  Form  von  Herzkrankheit  vorliegt,  ob  die  Mitral- 
klappe erkrankt  ist,  oder  ob  ein  perikarditisches  Exsudat  sich 
entwickelt  hat,  ob  wir  das  insuffiziente  Herz  eines  Kypho- 
skoliotischen  beeinflussen  wollen  oder  die  Herzschwäche  eines 
Arterioskl erotikers  zu  beseitigen  haben.  Wohl  hat  jede  ein- 
zelne Form  von  Herzkrankheit  ihre  spezielle  Indikation, 
die  wir  ausführlich  kennen  lernen  werden;  doch  allen  ge- 
meinsam ist  die  unzureichende  Leistungsfähigkeit  des  Herzens, 
welche  sich  aus  der  abnehmenden  Kontraktionsfähigkeit  und 
dem  ungenügenden  Ausdehnungsvermögen  der  Herzmuskulatur 
zusammensetzt. 

Von  den  ersten  Anfängen  der  Insuffizienz  bis  zu  ihren 
höchsten ,    dem    Tode    unmittelbar    vorangehenden    Graden 


Die  Beurteilung  des  Grades  der  Herzinsuffizienz.  ->"{ 

gibt  es  unzählige  Abstufungen.  Es  ist  den  Zwecken  der 
Therapie  dienlich,  wenn  wir,  dem  Vorschlage  Krehls1)  und 
den  Ausführungen  Lewys2)  folgend,  jene  Fälle,  in  denen 
der  Herzmuskel  schon  bei  völliger  Körperruhe  unzureichend 
arbeitet,  von  den  anderen  unterscheiden,  bei  welchen  erst 
nach  Körperbewegung  Insuffizienzerscheinungen  auftreten. 
Wir  können  diese  beiden  Kategorien  als  Insuffizienzen 
ersten  und  zweiten  Grades  bezeichnen,  wohlbewußt, 
daß  diese  Scheidung  eine  willkürliche,  wandelbare,  schwan- 
kende ist.  Wir  sprechen  also  von  einer  Insuffizienz  ersten 
Grades ,  wenn  ein  Kranker  bei  ruhiger  Rückenlage  ruhig 
atmet,  nicht  cyano tisch  ist,  seine  Ödeme  verliert,  normale 
Harnmengen,  von  gleichem  spezifischen  Gewichte  aufweist  etc., 
von  einer  Insuffizienz  zweiten  Grades,  wenn  die  Stauungs- 
erscheinungen auch  nach  längerer  Ruhe  des  Körpers  gar 
nicht  oder  nur  teilweise  rückbildungsfähig  sind. 

Daß  diese  Abgrenzung  oft  eine  künstliche,  gewaltsame 
ist,  lehrt  uns  die  tägliche  Erfahrung.  Denn  abgesehen  davon, 
daß  z.  B.  das  Auftreten  von  Stauungskatarrh  über  den 
Lungen,  von  Ödemen  etc.  bei  Mitralinsuffizienz  prognostisch 
wesentlich  verschieden  von  den  nämlichen  Erscheinungen 
bei  Aorteninsuffizienz  ist,  sind  wir  vor  Überraschungen 
und  Enttäuschungen  auf  keinem  Gebiete  der  Klinik  so 
wenig  bewahrt,  wie  bei  den  Herzkrankheiten.  Wir  sehen 
oftmals  „Insuffizienzen  zweiten  Grades"  schwinden  und 
eben  merkliche  „Insuffizienzen  des  ersten  Grades"  sich 
plötzlich  in  zweitgradige  umwandeln  oder  gar  —  aus  uns 
zunächst  nicht  ersichtlichen  Gründen  —  letal  endigen.  Es 
ist  auch  die  Insuffizienz  eines  im  Verlaufe  einer  akuten 
Endokarditis  insuffizient  gewordenen  Herzens  anders  zu  be- 
urteilen, als  der  gleiche  Grad  von  Insuffizienz  im  Verlaufe 
einer  allgemeinen  Arteriosklerose.  Im  ersten  Falle  kann 
Heilung  eintreten ,  im  zweiten  schreitet  die  Veränderung, 
welche  zur  Insuffizienz  geführt  hat,  weiter  fort. 

Um  nun  in  einer  unseren  therapeutischen  Zwecken  ent- 
sprechenden Weise  das  funktionelle  Leistungsvermögen  eines 

*)  Krehl,  1.  c. 
2)  B.  Leivy,  1.  c. 


2£  Einleitung. 

Herzens  zu  bestimmen,  dessen  Insuffizienz  dem  ersten  Grade 
anzugehören  scheint,  können  wir  uns  verschiedener  Methoden 
bedienen. 

Das  Wesen  einiger  unter  diesen  Methoden  besteht  darin, 
daß  wir  das  betreffende  Individuum  irgend  eine  Muskel- 
arbeit ausfuhren  lassen,  die  je  nach  der  Höhe  der  Insuffizienz 
verschieden  zu  bemessen  ist.  Der  Kranke  hebt,  nachdem 
wir  ihn  genau  untersucht  haben,  ein  Gewicht,  hat  langsamer 
oder  rascher  durchs  Zimmer  zu  gehen,  eine  tiefe  Kniebeuge 
auszuführen  u.  s.  w.  Spezielle  Vorschriften  lassen  sich  hierüber 
zunächst  nicht  geben,  denn  bei  einer  solchen  Untersuchung 
spielt  in  hohem  Grade  auch  die  Individualität  des  Kranken 
eine  Rolle. 

,.Die  Arbeitsfähigkeit  eines  jeden,  mit  irgend 
einem  Kreislaufhindernisse  behafteten  Menschen 
ist  gegen  das  Maß  des  Gesunden  herabgesetzt."1) 

Wir  finden  daher  in  der  Praxis  folgendes: 

DerPuls  verändert  sichnachKörperbewegungen 
und  Muskelarbeit  überhaupt  beim  Herzkranken  mehr  als  beim 
Gesunden,  und  zwar  desto  mehr,  je  schwerer  die  Herzaffektion 
ist.  Er  kann  wesentlich  rascher  werden  ,  doch  auch  —  in 
der  Regel  ein  malum  omen ,  bei  starker  Beteiligung  des 
Myokards,  —  langsamer  als  bei  Körperruhe.2)  Arhythmien, 
die  bei  ruhiger  Rückenlage  bestanden  haben,  werden  deut- 
licher oder  es  tritt  Arhythmie  an  die  Stelle  einer  vorher 
annähernd  regulären  Pulsfolge. 3) 

In  anregender  Weise  hat  es  Mendelsohn*)  versucht,  die 
Pulsschwankung  nach  Muskelarbeit  zur  Messung  der  Herz- 
kraft zu  verwenden.  Er  ging  von  der  Tatsache  aus.  daß 
jedes  suffiziente  Herz,  wenn  sein  Träger  aus  der  vertikalen 


*)  B.  Lewy ,  1.  c.  —  „Herzkranke  Individuen  sind  viel  schlechtere 
Arbeiter,  selbst  hochgradig  Anämischen  gegenüber/'  (F.  Kraus ,  „Die  Ermü- 
dung als  Maß  der  Konstitution.")  Dies  kommt  auch  in  der  ergographischen 
Muskelkurve  von  Herzkranken  zum  Ausdrucke. 

2)  Auffällige  Unterschiede  in  diesem  Verhalten  machen  eine  eingehende 
Untersuchung  nach  der  Richtung  eines  Aortenaneurysma  oder  Mediastinaltumors 
notwendig. 

a)  Eingehende  Untersuchungen  über  den  Einfluß  der  Körperlage  auf 
die  Frequenz  der  Herzkontraktionen  hat  Lanyoiroy  ausgeführt.  L.  c. 

4)  Verh.  d.  19.  Kongr.  f.  inn.  Med. 


Die  Beurteilung  des  Grades  der  Herzinsuffizienz.  29 

Haltung  in  die  horizontale  übergeht,  eine  ausgesprochene 
Verlangsamung  bis  zu  Differenzen  von  10 — 12  Schlägen  in 
der  Minute  aufweist.  Auch  das  pathologisch  veränderte 
Herz  zeigt,  so  lange  es  suffizient  bleibt,  diese  so  einfach 
konstatierbare  Erscheinung  deutlich,  wenn  auch  quantitativ 
weniger  ausgesprochen.  Droht  dagegen  Insuffizienz  oder  ist 
sie  bereits  mehr  oder  weniger  eingetreten,  dann  wird  die 
Pulsverlangsamung  beim  Liegen  eine  immer  geringere  und 
bei  ausgesprochener  Insuffizienz  ist  sie  überhaupt  nicht 
mehr  vorhanden,  ja  bei  starken  Kompensationsstörungen 
steigt  der  Puls  sogar  im  Liegen  noch  an.  Mendelsohn  geht 
nun  von  dieser  „Liegezahl"  des  Pulses  als  einer  innerhalb 
gewisser  Grenzen  konstanten  Größe  aus  und  folgert  weiter: 
Ein  Herz,  das  bei  Ausschaltung  aller  die  Herzaktion  be- 
schleunigenden äußeren  Einflüsse  sich  sofort  auf  diese 
Normalzahl  einstellt,  zeigt  damit,  daß  in  diesem  Augen- 
blicke sein  vorangegangener  Stoffverbrauch  wieder  gedeckt 
ist.  Je  größer  die  Zahl  von  Kilogrammetern  ist .  die  ein 
Herz  bewältigen  und  danach  sofort  auf  seine  Normalzahl 
zurückkehren  kann,  desto  größer  ist  die  Funktionstüchtigkeit, 
die  es  besitzt,  natürlich  ceteris  paribus  in  Relation  zur 
Körperkraft.  Körpergröße,  Gesamtkonstitution.  Man  kann 
somit  die  Erholung  als  Maß  der  Herzfunktion  be- 
zeichnen. Die  Prüfung  setzt  die  Verwendung  irgend  eines 
geeigneten  Dynamometers,  etwa  eines  Ergostaten,  voraus, 
um  das  Maß  der  geleisteten  Muskelarbeit  bestimmen  zu 
können.  —  Die  Schlüsse,  die  Mendelsohn  aus  den  so  gefundenen 
Pulszahlen  zieht,  erscheinen  nicht  vollauf  berechtigt.  Man 
muß  F.  Kraus 2)  beistimmen,  der  im  Anschlüsse  an  diese  Aus- 
führungen Mendelsohns  betont  hat,  daß  die  Wiederkehr 
der  normalen  Herzfunktion  nach  geleisteter  Arbeit  nicht 
von  der  geleisteten  Muskelarbeit  allein,  sondern  auch  von 
vasomotorischen  Einflüssen  und  dem  Temperamente  des  be- 
treffenden Individuums  abhängig  ist.  Und  gerade  diese  Ein- 
flüsse kommen  beim  kranken  Herzen  noch  viel  mehr  in  Be- 
tracht als  beim  gesunden.  —  Wir  verdanken  jedoch  Mendelsohn 


x)  F.  Kraus,  Verh.  d.  19.  Kongr.  f.  inn.  Med. 


;iO  Einleitung. 

immerhin  eine  Methode ,  die  in  der  Hand  des  erfahrenen 
Praktikers  wichtige  prognostische  und  therapeutische  Hin- 
weise zu  bieten  vermag. 

Zuverlässigere  Daten  als  die  Pulszählung  gibt  uns 
das  Verhalten  des  Blutdrucks  nach  Muskelarbeit  an 
die  Hand.  Der  glückliche  Gedanke  Mendelsohns ,  die  Er- 
holung als  Maß  der  Herzfunktion  zu  benutzen,  kann  viel- 
leicht auf  diesem  Wege  leichter  für  die  Praxis  verwertbar 
werden. 

Jede  Muskelarbeit  bedingt  Schwankungen  des 
arteriellen  Blutdrucks.  Während  diese  Blutdruck- 
schwankungen sich  aber  beim  Gesunden  fast  ausnahmslos 
über  der  Normalhöhe  des  Blutdruckes  bewegen  und  die 
Senkungen  geringfügig  sind  *) ,  ist  dieses  Verhältnis  beim 
Herzkranken  umgekehrt.  Hier  überwiegt  die  Tendenz  zum 
Absinken  des  Blutdrucks  und  kommen  Senkungen  vor  wie 
niemals  beim  Gesunden.  Es  scheint,  daß  zukünftige  Unter- 
suchungen über  die  Funktionsprüfung  des  Herzens  sich  vor- 
wiegend in  dieser  Richtung  zu  bewegen  haben  werden,  und 
daß  es  so  vielleicht  gelingen  wird,  zahlenmäßige  Aufstel- 
lungen zu  beschaffen ,  welche  uns  lehren ,  welchem  Grade 
von  Herzleistungsvermögen  eine  bestimmte  Blutdruckkurve 
entspricht.2)  Wir  besitzen  aber  schon  derzeit  kein 
besseres  Mittel,  die  Funktionstüchtigkeit  eines 
Herzens  objektiv  zu  beurteilen,  als  die  Blutdruck- 
messung. Je  weniger  deutlich  eine  Muskelarbeit  von  Blut- 
drucksteigerung gefolgt  ist,  je  tiefer  die  Remissionen  der 
Blutdruckkurve  nach  der  Muskelarbeit  ausfallen ,  je  ge- 
ringere Muskelarbeit  —  ceteris  paribus  —  erforderlich  ist, 
um  ein  bedeutendes  Abfallen  des  Blutdruckes  zu  bewirken, 
und  je  später  die  Blutdruckkurve  wieder  zur  Norm  zurück- 
kehrt, desto  geringer  ist  die  Funktionstüchtigkeit  des  be- 
treffenden Herzens. 


*)   Grebner  und   Grünbaum  1.  c. 

2)  Der  Anfang  ist  bereits  gemacht ;  die  Untersuchungen  von  Friedrich 
und  Tauszk  (Wiener  med.  Presse,  1891),  von  Staehelin  („Deutsches  Arch.  f. 
klin.  Med.",  Bd.  59  u.  67),  ferner  von  Buttermann  (ibidem,  Bd.  74,  H.  1  u.  2) 
aus  der  Klinik  Krehls  und  von  Masing  (ibidem,  Bd.  74,  H.  3  u.  4)  aus  der 
Klinik  Dehios  bewegen  sich  auf  diesem  Gebiete. 


Die  Beurteilung  des  Grades  der  Herzinsuffizienz.  ;;i 

Die  Herabsetzung  der  Funktionsfähigkeit  der  Herz- 
muskulatur bei  den  Erkrankungen  des  Herzens  wird  uns 
sodann  dadurch  erkennbar ,  daß  die  Herzwand  unter  der 
Last  des  Innendrucks  infolge  ihres  verminderten  Kontrak- 
tionsvermögens und  ihrer  größeren  Dehnbarkeit  nachgibt, 
die  Herzhöhlen  sich  erweitern.  Während  der  Gesunde  selbst 
erhebliche  Muskelarbeit  ohne  wesentliche  Änderung  seiner 
Herzdämpfung  leisten  kann,  tritt  beim  insuffizienten  Herzen, 
je  nach  dem  Grade  der  Funktionsstörung  in  verschiedenem 
Maße,  je  nach  der  speziellen  Art  derselben  in  verschie- 
dener Weise,  eine  Dehnung  der  Herzwände,  Dilatation 
des  Herzens  und  infolgedessen  Verbreiterung  der 
Herzdämpfung  nach  Muskelarbeit  ein.  Zur  richtigen 
Beurtheilung  einer  solchen  Verbreiterung  muß  man  sich 
daran  erinnern,  daß  auch  das  gesunde  Herz  Volumschwan- 
kungen aufweist  (Heitier1),  welche  jedoch  von  äußerer  Arbeit 
unabhängig  sind  und  Oszillationen  der  Herzdämpfungsgrenzen, 
Schwankungen  zwischen  einer  größeren  und  einer  kleineren 
Dämpfung,  darstellen ;  sie  sind,  wie  uns  experimentelle  Unter- 
suchungen lehren,  von  Tonusschwankungen  der  Herzmusku- 
latur abhängig.  Bei  normalem  Muskeltonus  ist  die  Tendenz 
zur  Erhaltung  der  kleineren  Dämpfung  vorwaltend.  Auch 
das  kranke  Herz  hat  ein  veränderliches  Volum,  aber  schon 
Heitier  hat  nachgewiesen,  daß  es  wegen  Abnahme  seines 
Muskeltonus  mehr  Tendenz  zur  größeren  als  zur  kleineren 
Dämpfung  hat.  ..Man  kann  daher  die  Dauer  der  größe- 
ren Dämpfung  als  einen  Maßstab  für  die  Resistenz- 
fähigkeit des  Herzens  bezeichnen."2)  —  Bei  hochgra- 
diger (Stauungs)-Dilatation  des  Ventrikels  tritt  „relative" 
Insuffizienz  der  venösen  Klappen  und  ein  systolisches  Ge- 
räusch  auf. 

Dem  soeben  dargelegten  Gedankengange  folgt  auch 
die  Funktionsprüfung  des  Herzens  durch  Beklopfung 

*)  Heitier,  Wiener  klin.  Wochenschr.,  1890  und  Zentralbl.  f.  d.  ges. 
Therapie,  1893. 

2)  Ich  will  es  an  dieser  Stelle  nicht  unterlassen,  auf  die  Vorteile  der 
von  Ebstein  vorgeschlagenen  „Tastperkussion"  hinzuweisen  und  zu  betonen, 
daß  uns  diese  Methode  eine  größere  Sicherheit  in  der  Beurteilung  der  Herz- 
dänipfungsfiguren  verleiht.  Ich  führe  dieselbe  mit  auf  den  Kopf  des  Perkussions- 
hammers  gelegtem  Zeigefinger  aus. 


32  Einleitung. 

der  Herzgegend.  Während  das  Herz  des  Gesunden  die 
Beklopfung  der  Herzgegend  mit  Erhöhung  seines  Muskel- 
tonus und  der  Tendenz  ,  sein  Volum  zu  verkleinern,  beant- 
wortet, tritt  beim  insuffizienten  Herzen  eine  Verkleinerung 
der  Dämpfung  umso  weniger  ein,  je  höher  der  Grad  der 
Insuffizienz  ist.  Bei  der  Insuffizienz  zweiten  Grades  fehlt  die 
Tendenz  zur  Volumsabnahme  in  der  Regel  vollständig.  Den 
Wert  dieser  Methode  beleuchtet  am  besten  die  durch  sie 
geübte  Kontrolle  der  Funktionsfähigkeit  eines  akut,  etwa  im 
Verlaufe  eines  Gelenkrheumatismus,  erkrankten  Herzens. 
Während  die  Entzündung  besteht,  wird  die  Dämpfungs- 
figur des  Herzens  durch  Beklopf ung  der  Herzgegend  fast 
gar  nicht  beeinflußt,  im  weiteren  Verlaufe  desto  mehr,  je 
mehr  die  Kontraktionsfähigkeit,  d.  h.  die  Reaktionsfähig- 
keit des  Herzens  auf  den  äußeren  Reiz,  wieder  zugenommen 
hat.  —  Ich  müßte  wohl  nicht  hinzufügen,  daß  eine  solche 
Untersuchung  bei  einem  akut  erkrankten  Herzen,  wie  jede 
Untersuchung  eines  solchen  Organes,  mit  großer  Vorsicht 
zu  geschehen  hat. 

Ein  weiterer  Behelf  zur  Beurteilung  des  Herzzustan- 
des ist  die  „Differenzbestimmung  nach  Oertel.1)  Diese 
Methode  besteht  darin,  daß  die  Differenz  Verhältnisse  zwi- 
schen Flüssigkeitsaufhahme  und  Harnausscheidung  berück- 
sichtigt werden.  Die  Beobachtung  erstreckt  sich  auf  min- 
destens vier  Tage.  In  den  ersten  Tagen  behält  der  Kranke 
seine  gewohnte  Nahrung  bei,  wird  aber  angewiesen,  in 
geeigneten  Gläsern  alles  abzumessen,  was  er  innerhalb 
24  Stunden  an  Flüssigkeit  aufnimmt ,  und  wieviel  Urin  er 
läßt.  An  den  beiden  folgenden  Tagen  wird  dann  die  Flüs- 
sigkeitsmenge gewöhnlich  beträchtlich  herabgesetzt;  die 
festen  Speisen  sollen,  um  die  in  denselben  enthaltenen 
Wassermengen  nicht  genauer  bestimmen  zu  müssen ,  so 
weit  als  möglich  gleich  beschaffen  sein ,  sehr  wasserreiche 
Speisen  an  diesen  Tagen  nicht  genossen  werden.  Unter  nor- 
malen Verhältnissen  wird  nun  um  ungefähr  18 — 32%  weniger 
Harn    ausgeschieden,    als  Flüssigkeit   aufgenommen   wurde. 


*)  Handb.  d.  Ernährungsther.  v.  Leyden.  Bd.  II,  LT.,  pag.  60. 


Die  Beurteilung  des  Grades  der  Herzinsuffizienz.  33 

Oertel  unterscheidet  auf  Grundlage  dieser  Untersuchungs- 
methode folgende  drei  Gruppen  von  Herzkranken:  Fälle,  in 
denen  bei  Herabsetzung  der  Flüssigkeitsaufnahme  eine  er- 
hebliche Zunahme  der  Harnsekretion  eintritt,  Falle,  in  denen 
keine  solche  Zunahme,  und  drittens  Fälle,  in  denen  eine 
Abnahme  der  Harnsekretion  erfolgt.  Je  größer  der  Über- 
schuß (des  Ausgeschiedenen) ,  desto  besser  ist  die  Funktion 
des  betreffenden  Herzens.  Es  ist  wichtig,  zu  wissen,  daß  die 
Diurese  des  Nachts  aus  verschiedenen  Gründen  —  Ende  der 
Verdauung,  Bettruhe  —  höher  ist,  als  am  Tage,  was  für 
die  Berechnung  des  Gesamtquantums  wesentlich  in  Betracht 
kommt. 

Nach  Jürgenscn1)  kann  man  eine  noch  latente  Herz- 
insuffizienz oftmals  daran  erkennen,  daß  Menge  und  Be- 
schaffenheit der  Einzelentleerungen  des  Harns  im 
Laufe  des  Tages  starken  Wechsel  zeigen.  ,.Es  ist  insbe- 
sondere einem  auffälligen  Wechsel  des  spezifischen 
Gewichtes  eine  hohe  Bedeutung  beizumessen,  wenn  man 
die  Anfänge  der  Herzinsuffizienz  erkennen  will,  denn  Schwan- 
kungen des  spezifischen  Gewichtes  gehören  zu  den  allerersten 
Frühsymptomen  der  Herzinsuffizienz.*'  —  Neusser2)  hat  darauf 
hingewiesen,  daß  man  bei  solchen  latenten  Herzinsuffizienzen 
nach  forzierter  Muskelarbeit  bisweilen  Globulinurie  und 
Urobilinurie  finden  kann.  —  Höhere  Grade  von  Herzinsuffizienz 
gehen  bekanntlich  mit  einem  entsprechenden  Eiweiß  geh  alte 
des  Harnes  einher. 

Es  erschiene  mir  voreilig,  heute  schon  die  Form  einer 
gegebenen  Arhythmie  als  Richtschnur  zur  Beurtei- 
lung einer  Herzinsuffizienz  zu  verwenden.  Ich  würde 
dem  Praktiker  keinen  Dienst  erweisen,  wenn  ich  hier  die 
Frage  der  Entstehung  der  verschiedenen  Arhythmieformen, 
die  noch  zum  größten  Teile  kontrovers  ist,  und  zudem  die 
genaue  Kenntnis  der  einschlägigen  Literatur  voraussetzt, 
aufrollen  wollte.  Wir  können  Arhythmien  und  deren  Grade 
vorläufig    weder    in    diagnostischer,    noch  in    prognostischer 


x)  Jürgensen,  „Insuffizienz  (Schwäche)  des  Herzens".    Spez.  Path.  u. 
Therap.  von  Nothnagel,  1899. 
2)  Neusser,  „Wiener  kl 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten. 


34  Einleitung. 

Hinsicht  verwerten.  Einige  Beispiele  werden  dies  am  besten 
beleuchten:  Das  Herz  steht  unter  dem  kontinuierlichen  Ein- 
flüsse der  widerstreitenden  Vagus-  und  Aceleranseinflüsse, 
sein  individueller  Rhythmus  wird  durch  immerwährende,  von 
jenen  Nerven  ausgehende  Impulse  beeinflußt.  Erhöhte  An- 
spruchsfähigkeit jener  Nerven  muß  sich  daher  u.  a.  auch 
im  Rhythmus  der  Herztätigkeit  geltend  machen.  Nun  ist 
beim  Neurastheniker  z.  B.  das  gesamte  Nervensystem  und 
mit  diesem  das  Vaguszentrum  reizbarer,  leichter  erschöpf- 
bar, als  beim  normalen  Individuum.  Wir  finden,  daß  ein 
Neurastheniker  ganz  leichte  Körperbewegungen  mit  deutlichen 
Rhythmusschwankungen  des  Pulses  beantwortet.  Ähn- 
liche Pulserscheinungen  können  wir  aber  unter  den  gleichen 
Verhältnissen  auch  bei  schweren  Herzerkrankungen  beob- 
achten. —  Die  durch  ,. Extrasystolen"  (s.  pag.  5)  zustande 
kommende  Arhythmie,  Pulsus  intermittens  irregularis  ge- 
nannt1), kommt  beim  Neurastheniker  vor,  aber  auch  in 
prognostisch  ganz  ungünstigen  Fällen  von  Myodegeneration. — 
Der  durch  eine  Herabsetzung  des  Leitungsvermögens  der 
Herzmuskulatur  bedingte  „Pulsus  intermittens  regularis"  kann 
dem  Herztode  jahrelang  vorangehen.  —  Das  „Delirium  cordis" 
ist  einmal  die  Einleitung  des  terminalen  Stadiums,  ein  an- 
deresmal  eine  vorübergehende  Attaque.  Kurz,  wir  können 
aus  der  Form  einer  bestehenden  Arhythmie  keinen  Schluß 
auf  das  Leistungsvermögen  eines  Herzens  ziehen. 

Die  Anfänge  der  Herzinsuffizienz  ersten  Grades  werden 
uns  ferner  dadurch  kenntlich,  daß  die  Kranken  Neigung 
zu  Bronchialkatarrhen  (Mitralfehler)  aufweisen,  daß  sie 
leichter  körperlich  und  auch  geistig  ermüden.  Bisweilen 
(Aortenaffektionen)  leitet  eine  Störung  der  Verdauung  - 
Appetitlosigkeit,  Stuhlverstopfung — das  Krankheitsbild  ein. 
Neusser 2)  hat  erst  jüngst  auf  dieses  Verhalten  hingewiesen. 
Sorgfältige  Blutdruckmessungen  vor  und  nach  graduierter 
Muskelarbeit,  sowie  genaue  Harnuntersuchungen  können 
uns  in  solchen  Fällen  am  leichtesten  auf  die  richtige  Fährte 
leiten. 


*)   Wenckebach,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.,  Bd.  36  ff. 
2)  Neusser,  Wiener  klin.  Wochenschr.,  1902. 


Die  Beurteilung  des  Grades  der  Herzinsuffizienz.  35 

Von  Bedeutung  ist  sodann  auch  das  Verhalten  der  Herz- 
töne. So  ist  ein  wichtiges  Zeichen  für  beginnende  Schwäche 
des  Ventrikels  die  Verlängerung  der  Systole  und  da- 
durch des  Zeitraumes  zwischen  1.  und  2.  Ton  (die  Ab- 
kürzung der  systolischen  Pause  bedeutet  einen  hohen  Grad 
von  Schwäche  des  Ventrikels;  je  rascher  der  2.  Ton  dem 
1.  folgt,  desto  größer  ist  die  Gefahr).  —  Eine  der  weiteren 
Folgen  der  Herzinsuffizienz  ist  (z.  B.  bei  Myokarditis)  die 
Drucksteigerung  im  linken  Vorhofe  infolge  mangelhafter 
Entleerung  des  linken  Ventrikels  und  Behinderung  des 
Zuflusses  aus  dem  Vorhofe  in  den  Ventrikel.  Bei  der  Aus- 
kultation finden  wir  in  diesem  Stadium  „Galopprhythmus'' 
der  Herztöne.  Derselbe  kommt  zustande ,  weil  durch  die 
jedesmalige  stärkere  Anspannung  der  Wand  des  Vorhofes 
während  der  Vorhofsystole  ein  wahrnehmbarer  Ton  entsteht, 
der  vor  dem  systolischen  Ventrikeltone  erschallt,  also 
..präsystolisch"  ist.1)  Wir  hören  in  solchen  Fällen  über 
der  Herzspitze  und  dem  Ventrikel  (bis  hinauf  zur  Herz- 
basis) statt  zweier  Herztöne  deren  drei  und  können  diese 
Dreiteilung,  „den  Galopprhythmus",  als  charakteristisch  für 
die  Insuffizienz  des  Ventrikels  bezeichnen.  Die  Deutlichkeit 
des  Galopprhythmus  schwankt ;  bald  ist  die  Dreiteilung 
deutlich  --in  diesem  Falle  pflegt  der  zweite  Ton  lauter  als 
der  erste  zu  sein  — ,  bald  klingt  sie  bloß  wie  eine  undeut- 
liche Spaltung  des  ersten  Tones.  —  Die  absolute  Stärke 
der  Herztöne  kann  als  Maß  der  Herzfunktion  nicht  be- 
trachtet werden. 

Auch  die  Beschaffenheit  des  Herzstoßes  kann 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  als  Richtschnur  für  die  Kraft 
der  Herzkontraktionen  dienen;  sie  ist  aber  so  sehr  von 
speziellen  Verhältnissen  abhängig,  daß  sie  sich  nur  schwer 
als  Maß  von  allgemeinerer  Geltung  verwerten  läßt.  Bedeu- 
tungsvoll ist  jedoch  ohne  Frage  der  ..Gegensatz  zwischen 
Herzstoß  und  Puls*',    auf   den    der  auf  dem  Gebiete   der 


*)  Der  normale  Vorhofston  ist  entweder  so  leise  oder  so  nahe  beim 
Ventrikeltone ,  dass  unser  Ohr  nur  e  i  n  Schallphänomen  zu  unterscheiden 
vermag. 

3* 


36  Einleitung. 

Herzstoßlehre  so  verdienstvolle  Martins1)  hingewiesen  hat, 
als  Zeichen  aknter  Überdehnung  des  Herzmuskels,  akuter 
Herzinsuffizienz:  Einem  verbreiterten,  weithin  sichtbaren, 
stark  hebenden  Herzstoße  entspricht  ein  kleiner,  weicher,  oft 
kaum  fühlbarer  Radialpuls. 

Ein  wichtiger  Index  kann  uns  bisweilen  das  Verhalten 
der  Psyche  sein;  das  Auftreten  von  Psychosen  ist  zu- 
meist von  schlechter  Vorbedeutung. 

Die  weiteren  Hinweise  auf  die  Insuffizienz  des  Herzens 
und  deren  Fortschreiten  erhalten  wir  aus  der  Untersuchung 
der  Lungen ,  des  Bauchraumes ,  der  Hautdecke,  der  Gefäße, 
dem  Zustande  der  Verdauungswerkzeuge.  Die  Innigkeit  der 
Beziehungen  zwischen  Herz  und  Lunge  bewirkt,  daß  die 
wachsende  Zirkulationsstörung  auch  die  Atmung  immer  mehr 
beeinflußt.  Die  Form  dieser  Beeinflussung  hat  in  geistvoller 
und  nimmermüder  Weise  v.  Basch2)  geprüft.  Die  Stauungs- 
hyperämie der  Lunge  ist  der  Wertmesser  der  Kon- 
traktionsfähigkeit des  rechten  Ventrikels  und  daher 
ein  wichtiger  Indikator  für  den  Herzzustand  überhaupt. 

Um  diesen  und  die  übrigen  durch  die  Beurteilung 
des  Stauungsgrades  zu  gewinnenden  Wertmesser  der  Herz- 
insuffizienz in  der  ihnen  entsprechenden  Weise  beurteilen 
zu  können,  muß  Folgendes  festgehalten  werden:  Wir  können 
alle  sogenannten  Herzfehler  in  zwei  ungleich  grosse  Gruppen 
teilen.  Auf  der  einen  Seite  stehen  die  Aorteninsuffizienz  und 
die  Stenose  des  A orten ostiums,  auf  der  anderen  alle  anderen 
Klappenfehler,  die  strukturellen  und  die  sekundären  Erkran- 
kungen. Ein  Mitralfehler  oder  die  Degeneration  des  Myokards 
führen  in  einem  relativ  viel  früheren  Stadium  eine  Über- 
flutung der  Lunge,  Cyanose,  Stauungsleber,  Ödeme  herbei, 
als  etwa  die  Aorteninsuffizienz,  bei  der  diese  Erscheinungen 
daher  einen  höheren  Grad  von  Herzinsuffizienz,  meistens  eine 
Insuffizienz  zweiten  Grades,  bedeuten.  Kranke  mit  reinen 
Aorten-Insuffizienzen  oder  Stenosen  und  suffizientem  Herzen 


a)  Martins,  Naturforsckerversammlung  in  Heidelberg.  —  Volkmanns 
Samml.  klin.  Vortr.   N.  F.  1894  etc. 

2)  v.  Basch ,  „Wiener  med.  Presse",  1888  etc.  —  Kongr.  f.  innere 
Med.,   1889. 


Die  Beurteilung  des  Grades  der  Herzinsuffizienz.  ;\1 

zeigen  keine  Spur  von  Cyanose;  das  Auftreten  von  Cyanose 
ist  hier  ein  Zeichen  des  „Mitralisierens*',  der  beginnenden 
Insuffizienz  der  linken  Kammer.  Andererseits  sind  die  Kranken 
mit  ,.inkompensirten*'  Aortenfehlern  auffallend  blaß  und  in- 
folge ihrer  hochgradigen  Blässe  nur  wenig  cyanotisch.  Der 
augenblickliche  objektive  Befund  hat  also  einen  nur  be- 
dingten Wert  und  setzt  die  sorgfältige  Abwägung  aller 
konkurrierenden  Momente ,  der  speziellen  Form  des  Herz- 
fehlers, der  Ätiologie,  hereditärer  Verhältnisse,  des  Verlaufes, 
des  Alters1),   des  Ernährungszustandes  etc.    voraus. 

Hat  sich  also  die  Stauung  auf  die  Lungen  fortgepflanzt 
und  ist  nach  Überfüllung  des  kleinen  Kreislaufs  die 
Leistung  des  rechten  Ventrikels  angewachsen,  dann  werden 
die  Pulmonalklappen  unter  höherem  Drucke  geschlossen, 
es  kommt  Akzentuation  des  2.  Pulmonaltones  zustande. 
Der  Grad  dieser  Akzentuation  ist  ceteris  paribus  für  den 
Grad  der  Stauung  charakteristisch,  ihr  Schwinden,  bei  Zu- 
nahme der  übrigen  Insuffizienzerscheinungen ,  ein  Zeichen 
von  ominöser  Bedeutung;  dieses  Stadium  wird  oftmals  durch 
ein  charakteristisches  Intervall  eingeleitet,  währenddessen 
der  zweite  Pulmonalton  bald  stärker ,  bald  schwächer 
klingt,  je  nachdem  die  rechte  Kammer  durch  straffere 
oder  schlaffere  Kontraktion  einen  höheren  oder  niedrigeren 
Druck  im  Lungenkreislaufe  erzeugt. 

Ein  wichtiges  Kennzeichen  der  Herzinsuffizienz  ist  die 
Dyspnoe2),  d.h.  jeder  Kranke  mit  insuffizientem  Herzen 
hat  Atemnot,  die  oft  schon  in  der  Ruhe  besteht  und  durch 
leichte  Körperbewegungen,  durch  die  Nahrungsaufnahme, 
durch  andauerndes  Sprechen  etc.  wesentlich  deutlicher  wird. 
Patienten    mit  Mitralfehlern    und    analogen  Herzaffektionen 


1)  Dehio,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  62. 

2)  Dyspnoe  kann  durch  zentrale  Störung  (Herabsetzung  des  Gaswechsels 
im  zentralen  Nervensysteme)  und  durch  die  Abnahme  der  Geschwindigkeit 
des  Lungenblutstromes  zustande  kommen.  Die  Erhaltung  des  Stromgefälles  in 
der  Lunge  trotz  Erhöhung  der  Widerstände  ist  dadurch  möglich,  daß  infolge 
Mehrleistung  der  rechten  Kammer  im  Pulmonalkreislaufe  ein  absolut  höherer 
Druck  herrscht.  Für  solche  Fälle  haben  v.  Basch  und  Großmann  eine  An- 
schwellung der  Lunge  und  Herabsetzung  ihrer  Beweglichkeit  postuliert  und 
nachgewiesen  („Klin.  Zeit-  u.  Streitfragen",  1887;  „Wiener  med.  Presse '\ 
1888;  Kongr.  f.  innere  Med,  1889;  „Zeitschr.  f.klin.Med.",  Bd.  12,  16,  20  etc.). 


ßg  Einleitung. 

sind  auch  bei  bestehender  Herzsuffizienz  mehr  oder  weni- 
ger kurzathmig,  wahrend  ,. kompensierte"  Aorten affektionen 
(Insuffizienzen  und  Stenosen)  ohne  jegliche  Spur  von  Dyspnoe 
nicht  zu  den  Seltenheiten  gehören. 

Wie  sehr  wir  bei  der  Stellung  der  Funktionsdiagnose 
oftmals  im  Dunkeln  tappen,  lehrt  uns  u.  a.  der  Versuch, 
das  Asthma  cardiale  in  einem  konkreten  Falle  prognostisch 
zu  verwerten.  Es  gibt  Kranke,  die  von  hohen,  den  höchsten 
Graden  von  Herzasthma  monatelang,  jahrelang  gequält 
werden,  während  andere  im  ersten  derartigen  Dyspnoepar- 
oxysmus  zugrunde  gehen  —  und  der  anatomische  Herzbefund 
ist.  vom  Standpunkte  unseres  gegenwärtigen  Wissens  aus 
betrachtet,  in  beiden  Fällen  oft  nahezu  gleich.  Es  bleibt  zu- 
künftigen Zeiten  vorbehalten,  sichere  Wegweiser  auf  diesem 
uns  bisher  verschlossenen  Gebiete  aufzufinden. 

Während  der  einzelnen  Stadien  der  Herzinsuffizienz 
finden  wir  ein  graduell  verschiedenes  Verhalten  der  Hals- 
venen. Den  Graden  der  Insuffizienz  des  Herzens  entspricht 
in  der  Regel  in  aufsteigender  Reihenfolge:  Schwellung  der 
linksseitigen  Halsvenen  (Jugularis  externa),  Schwellung  der 
rechtsseitigen  Halsvenen  —  in  den  Anfangsstadien  bloß 
exspiratorisches  Anschwellen ,  inspiratorisches  Abschwellen, 
später  andauerndes  Sichtbarbleiben  der  Venen  —  Venen- 
undulation ,  präsystolische  Venenpulsation ,  präsystolisch- 
systolischer Venenpuls;  diesem  koordiniert  ist  der  Puls  in 
den  Lebervenen. 

Gleichwie  das  weite  Gefäßsystem  der  Lunge ,  große 
Blutmassen  in  sich  aufnehmend,  ein  die  linke  Herzhälfte 
entlastendes  Blutreservoir  bilden  kann,  dessen  Niveaustand 
uns  über  den  Grad  der  Insuffizienz  zu  orientieren  vermag. 
so  dient  das  Gefäßsystem  der  Leber  als  Reservoir  für  den 
rechten  Ventrikel.  Die  Füllung  und  die  Größe  der  Leber 
kann  uns  daher  gleichfalls  ein  Wertmesser  der  venösen 
Stauung  sein.  Schon  im  Anfange  der  Herzinsuffizienz 
schwillt  die  Leber  an  —  durch  Spannung  ihrer  Kapsel  ver- 
ursachte Schmerzen  sind  die  der  Leberschwellung  ent- 
sprechenden subjektiven  Symptome;  je  mehr  die  Stauung 
wächst,    desto    größer  und   plumprandiger   wird   die   Leber 


Die  Beurteilung  des  Grades  der  Herzinsuffizienz.  39 

und  bei  Insuffizienzen  zweiten  Grades  ist  der  systolische 
Leberpuls  das  Kennzeichen  der  durch  Stauungsdilatation 
des  rechten  Ventrikels  bedingten  Insuffizienz  der  Trikuspidal- 
klappen.  Da  es  auf  mechanischem  Wege,  durch  Lebermassage, 
gelingt,  die  Leber  zu  entleeren  und  das  in  ihr  angesammelte 
Blut  teilweise  wiederum  in  den  Kreislauf  zu  leiten,  könnte 
die  Reaktion  des  Herzens  auf  diese  vermehrte  Blut- 
zufuhr durch  Lebermassage  als  Maßstab  der  Re- 
aktionsfähigkeit, respektive  Leistungsfähigkeit  des 
Herzens  dienen.  Die  bisherigen  Untersuchungen  reichen  noch 
nicht  dazu  aus,  diesen  Gedanken  zur  Tat  werden  zu  lassen- 

Dem  Gesagten  entnehmen  wir,  daß  es  bei  sorgfältiger 
Abwägung  der  sich  uns  darbietenden  Symptome  einiger- 
maßen möglich  ist,  den  Grad  einer  bestehenden  Herzinsuffizienz 
abzuschätzen.  Es  ist  den  Zwecken  der  Therapie  dienlich,  In- 
suffizienzen ersten  und  zweiten  Grades  zu  unterschei- 
den. Dem  ersten  Grade  gehören  alle  Herzinsuffizienzen  an,  die 
durch  Körperruhe,  bezw.  auf  ein  Minimum  reduzierte  Muskel- 
arbeit, zu  beseitigen  sind.  Ein  solches  Herz  kann  das 
bei  völliger  Kör  per  ruhe  zur  Erhaltung  des  normalen 
Kreislaufes  notwendige  Maß  von  Arbeit  leisten. 
Bei  Herzinsuffizienzen  des  zweiten  Grades  ist  dies 
nicht  der  Fall  und  sind  auch  unter  solchen  Ver- 
hältnissen Stauungserscheinungen  nachweisbar. 

Die  wichtigsten  Zeichen  der  Herzinsuffizienz 
sind:  Das  abnorme  Verhalten  des  Pulses  und  des  Herzens, 
sowie  die  Tendenz  zur  Blutdrucksenkung  nach  Muskel- 
arbeit, das  geänderte  Resultat  der  „Differenzbestimmung" 
und  das  schwankende  spezifische  Gewicht  des  Harnes, 
die  Stauungserscheinungen  an  den  Gefäßen ,  den  Lungen, 
den  Verdauungswerkzeugen,  den  Nieren  und  an  der  Haut. 
Die  Herzinsuffizienz  ersten  Grades  beurteilen  wir  sodann 
u.  a.  je  nach  der  Reaktion  der  genannten  Organe  auf 
Muskelarbeit.  Je  geringere  Muskelarbeit  notwendig  ist, 
um  ein  gewisses  Maß  von  Blutdrucksenkung  oder  von 
Stauungserscheinungen  zu  bewirken,  desto  weiter  ist  bereits  die 
Insuffizienz  gediehen.  Wenn  wir  auch  keine  zahlenmäßigen 
Angaben  über  die  speziellen  Grade  einer  vorliegenden  Herz- 


40  Einleitung. 

Insuffizienz  besitzen  und  in  zuverlässiger  Weise  auch  niemals 
besitzen  werden,  weil  Individualität  (Konstitution)  und  Tem- 
perament, zwei  das  Herz  wesentlich  beeinflussende  Faktoren, 
sich  jeder  Berechnung  allzeit  entziehen  werden,  so  haben  wir 
doch  auch  heute  schon  Anhaltspunkte  genug,  einer  ziel- 
bewußten Therapie  der  Herzkrankheiten  die  Richtung  zu 
geben.  — 

Wir  werden  übrigens  hören,  daß  sich  uns  auch  ,.ex 
juvantibus"  oftmals  brauchbare  Kriterien  zur  Beurteilung 
des  Herzzustandes  ergeben  können.  —  Zur  Bestimmung  der 
verschiedenen  Grade  der  Herzinsuffizienz  bei  den  Herzklappen- 
fehlern des  Herzens  sind  in  den  speziellen  Abschnitten  einige 
Anhaltspunkte  erörtert  worden. 


Allgemeine  Therapie. 

Die  Therapie  der  Herzkrankheiten  hat  die  Aufgabe, 
die  Wirkung  von  Kreislaufshindernissen  aufzuheben,  deren 
Tendenz  die  Herabsetzung  des  normalen  Blutdrucks  und  der 
normalen  Strömungsgeschwindigkeit  des  Blutes  ist;  sie  kommt 
dieser  Aufgabe  nach,  indem  sie  sich  bestrebt,  entweder  die 
Leistungsfähigkeit  des  Herzens  zu  erhöhen  oder  das  Maß 
der  vom  Herzen  zu  leistenden  Arbeit  herabzusetzen.  Vielfach 
ist  sie  auch  in  der  Lage,  die  schädigenden  Faktoren  direkt 
zu  bekämpfen.  Daneben  erwächst  ihr  das  weite,  dankbare 
und  sich  immer  mehr   ausdehnende  Gebiet  der  Prophylaxe. 

Wir  haben  gehört,  daß  die  Herztätigkeit  von  der 
Leistungsfähigkeit  des  Herzmuskels  abhängig  ist,  und  daß 
es  uns  bei  der  Therapie  jeglicher  Herzkrankheit  in  erster 
Linie  darauf  ankommt,  den  Grad  der  Störung  der  Herzarbeit 
zu  bestimmen,  weil  wir  uns  zunächst  nach  dem  Maße  dieser 
Störung  allein  zu  richten  haben.  Dieser  Gedankengang  hat 
sich  in  der  Herztherapie  als  fruchtbar  erwiesen  und  Wun- 
derlich1), der  ihm  zuerst  Ausdruck  verlieh,  sowie  Stokes2), 
der  ihn  zuerst  anwandte,  haben  durch  ihn,  nach  Rombergs  3) 
schönem  Ausspruche,  die  Herzkranken  dem  Leben  wieder- 
gegeben. So  lange  man  nämlich  von  der  Herztherapie  nichts 
anderes  zu  fordern  wußte,  als  die  Heilung  des  anatomischen 
Schadens,  des  Klappendefektes,  der  Stenosierung  eines  Osti- 


*)   Wunderlich,  „Handb.  d.  Path.  u.  Ther.'\  2.  Aufl.,  1856. 

2)  Stokes,    Die    Krankheiten    des    Herzens.    Deutsch   von   Lindwurm. 
1885,  pag.  294  ff. 

3)  Romberg,  Krankheiten  der  Kreislaufsorgane,  in  Ebstein- Schwalbe, 
Handb.  d.  prakt.  Med. 


42  Allgemeine  Therapie. 

ums,  mußte  man  freilich  bald  gestehen,  Unmögliches  gewollt 
zu  haben,  machtlos  den  vorhandenen  Veränderungen  gegen- 
über zu  stehen.  Dem  Arzte  aber,  der  mit  richtigem  Blicke 
an  die  Wiederherstellung,  Besserung  oder  Erleich- 
terung der  gestörten  Funktion  des  Herzmuskels 
geht,  der  die  Mittel  kennt,  die  diesem  Zwecke  dienen  können, 
und  dieselben  zielbewußt  anzuwenden  weiß ,  bietet  sich  ein 
weites,  ergiebiges  und  dankbares  Feld,  aus  dessen  Saaten 
reiche  Garben  reifen. 

Wir  besitzen  mannigfache  Wege,  die  funktionellen  Ver- 
änderungen des  Herzens  zu  beeinflussen,  da  wir  imstande 
sind,  auf  die  Kraft  und  Frequenz  des  Herzschlages,  sowie 
auf  die  Füllung  der  Gefäße  in  verschiedenem  Maße  und 
in  verschiedener  Weise  einzuwirken. 

Die  Mittel,  über  welche  die  Therapie  der  Herzkrank- 
heiten verfügt,  enthalten  im  allgemeinen  zwei  prinzipielle 
Faktoren:  Das  Prinzip  der  Übung  und  das  Prinzip 
der  Schonung.1)  Wenn  ein  Herzkranker  zu  behandeln 
ist,  soll  unser  Heilplan  zuerst  nach  dem  Vorbilde  des  Mei- 
sters der  Therapie  F.  A.  Hoffmann  darüber  entscheiden,  ob 
wir  das  Herz  schonen,  beruhigen  müssen,  oder  ob  wir  das 
Herz  allmählich  an  eine  Mehrleistung  gewöhnen,  also  übend 
vorgehen  dürfen.2) 

Einige  Beispiele  werden  diesen  Standpunkt  am  besten 
beleuchten  können.  Während  des  Verlaufes  einer  frischen 
Endokarditis  ist  absolute  Schonung  geboten.  Da  wir  die 
therapeutische  Indikation  —  Ruhigstellung  des  entzündeten 
Organs  —  nicht  zu  erfüllen  vermögen,  werden  wir  dem 
Prinzipe  der  Schonung  dadurch  gerecht,  daß  wir  das  Maß 
der  vom  Herzen  zu  leistenden  Arbeit  auf  das  erreichbare 
Minimum  herabsetzen.  Unser  Heilschatz  verfügt  über  eine 
Reihe  von  Mitteln,  welche  dieses  Postulat  erfüllen  können. 
Die  Anfänge  der  Herzinsuffizienz  bei  einem  Fettleibigen 
erfordern  ein  anderes  Vorgehen:  Nachdem  wir  erkannt 
haben,  wie  dieser  Kranke  auf  ein  gewisses  Maß  von  körper- 


*)  F.  A.  Hoffmann,  Allg.  Therapie,  Leipzig  1895. 

'2)  Diese    Eintheilung   hat    auch    Gumprecht    im    „Lehrbuch    der   allg. 
Therapie  etc."  akzeptiert. 


Allgemeine  Therapie.  4;} 

licher  Arbeit  reagiert  und  daß  er  dieselbe  etwa  ohne  Stei- 
gerung der  Insuffizienzerscheinungen  zu  leisten  vermag, 
gehen  wir  daran ,  durch  vorsichtig  dosierte  und  allmählich 
gesteigerte  Übung  das  Leistungsvermögen  dieses  Herzens 
langsam  wieder  zu  erhöhen,  denn  wir  wissen,  daß  der 
Herzmuskel  durch  ein  zweckmässiges  Maß  von  gesteigerter 
Arbeitsleistung  mit  nachfolgender  Ruhepause  in  ähnlicher 
Weise  eine  Steigerung  seiner  Leistungsfähigkeit  erfährt, 
wie  der  Skelettmuskel  durch  vorteilhaft  geregelte  Arbeit 
und  Gymnastik.  Wir  werden  die  Mittel  der  Herztherapie 
kennen  lernen,  die  diesem  Zwecke  dienen  können.  Einen 
Rekonvaleszenten  nach  einer  abgelaufenen  Endokarditis 
werden  wir  aus  einer  schonenden  allmählich  zu  einer  üben- 
den Therapie  zu  leiten  haben.  Und  so  wird  jeder  einzelne 
Fall  ein  neuer  Prüfstein  unseres  Könnens,  denn  die  Herz- 
therapie kennt  kein  Schematisieren  und  jeder  Herzkranke 
hat  zudem  seine  ureigene  Individualität,  die  auf  äußere 
und  innere  Reize  in  ihrer  Weise  antwortet,  seinen  bestimmten 
Beruf  mit  den  speziellen  Ansprüchen  desselben  an  die  Herz- 
kraft. An  die  Behandlung  jedes  Falles  treten  wir  wie  an  ein 
physiologisches  Experiment  heran,  das  immer  nur  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  die  Gewähr  des  Gelingens  birgt.  Die 
Schwierigkeit  liegt  zum  Teile  auch  darin,  daß  mehrere 
Behelfe  unserer  therapeutischen  Technik  sich  nicht  streng 
nach  den  Prinzipien  der  Schonung  und  der  Übung  teilen 
lassen  und  daß  denselben  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
beide  Prinzipien,  das  schonende  und  das  übende,  innewohnen. 
Die  herztherapeutische  Praxis  umfaßt  Behelfe  aus  der 
Pharmakologie,  Diätetik,  aus  der  chirurgischen  und 
der  physikalischen  Therapie.  Um  dieselben  nach  den 
Grundprinzipien  der  Übung  und  der  Schonung  anwenden 
zu  können,  müssen  wir  ihre  Wirkungsweise  eingehend  kennen 
lernen. 


44  Allgemeine  Therapie. 

Medikamentöse  Therapie. 

Die  Herzmittel. 

Die  Herzmittel  zerfallen  in  direkte  und  indirekte 
Herzmittel. 

Direkte  Herzmittel  sind  Medikamente,  welche  die 
Fähigkeit  besitzen,  die  Herztätigkeit  zu  verstärken, 
zu  üben,  d.  h.  die  Leistung  des  einzelnen  Herzschlags  zu 
erhöhen.  Direkte  Herzmittel  sind  die  Digitalisstoffe, 
die  Strophantus-,  Spartium-,  Konvallaria-,  Adonis- 
und  Valeriana-Präpärate. 

Die  indirekten  Herzmittel  tragen  zur  Verbesserung 
der  Herztätigkeit  bei,  indem  sie  entweder  die  Korona  r- 
zirkulation,  die  Ernährung  des  Herzens,  befördern 
und  dadurch  das  Herz  zur  Mehrleistung  befähigen  —  die 
Koffein-  und  Theobrominpräparate  —  oder  indem  sie 
durch  Grefäßentspannung  die  Entleerung  des  Her- 
zens erleichtern  —  der  Kampher,  vielleicht  auch  die 
Jodsalze  (herzschonende  Medikamente).  Dazwischen  stehen 
schließlich  Medikamente,  welche  mit  einer  gefäßent- 
spannenden eine  erregende  Wirkung  vereinen  — 
die  Alkoholika  und  die  Nitrite. 

Die  Bedeutung  der  Vasomotorenmittel  wird  a.  a.  0. 
erörtert. 

Die  Diuretika  und  Diaphoretika  sind  herzschonende 
Medikamente,  weil  sie  den  auf  den  Gefäßen  lastenden  Druck 
beseitigen ;  sie  können  daher  gleichfalls  als  indirekte  Herz- 
mittel bezeichnet  werden,  umsomehr  als  manche  von  ihnen  — 
z.  B.  die  Koifeinsalze  —  noch  eine  zweite  Wirkung ,  eine 
..indirekte"   Herzwirkung,  besitzen. 

Digitalis. 

1.  Die  physiologischen  Grundlagen  der  Digitalistherapie. 

Das  vornehmste   und  wichtigste  unter  den  Herzmitteln 

ist  die  zum  erstenmale  im  Jahre  1785  von  dem  schottischen 

Arzte  William  Withering1)  gegen  die  Wassersucht  empfohlene 

*)  William  Withering,  „Account  of  the  foxglove",  1785.  Aus  dem 
Englischen  von  D.  Christian  Friedrich  Michaelis.  Leipzig  1786.  „Abhandlung 


Die  Herzmittel.  45 

und  in  ihrer  Wirkung  auf  die  Herztätigkeit  erkannte  Digi- 
talispflanze,  eine  Skrophularinee  ;  ihre  in  pharmakologischer 
Hinsicht  fast  ausschließlich  in  Betracht  kommende  Art,  die 
Digitalis  purpurea,  der  rote  Fingerhut,  wachst  in  bergigen 
Gegenden,  auf  Waldwiesen  und  blüht  im  Hochsommer.  Die 
wirksamen  Bestandteile  der  Digitalis  hat  zuerst  Schmiede- 
berg1) chemisch  dargestellt  und  Koppe2)  eingehend  auf  ihre 
pharmakologische  Wirkung  geprüft.  Es  sind:  Digitonin, 
Digitalin  und  Digital  ein,  sämtlich  Glykoside,  ferner  das 
sehr  giftige  Digitoxin,  nach  Kiliani3)  gleichfalls  ein  Gly- 
kosid. Die  in  den  Blättern  enthaltenen  Stoffe  sind  mit  den 
gleichnamigen  der  Samen  identisch ,  doch  sind  die  Blätter 
im  Verhältnisse  viel  reicher  an  dem  wirksamsten  Bestand- 
teile, dem  Digitoxin  (Cloetta). 4)  Für  die  Wirkung  der  Finger- 
hutblätter und  ihrer  offizineilen  Präparate  kommen  haupt- 
sächlich das  Digitalin  und  das  Digitoxin  in  Betracht, 

Ähnlich  wie  die  wirksamen  Stoffe  der  Digitalis  wirken 
auch  das  Strophantin,  Adonidin,  Konvall amarin,  Szillain, 
Spartein  etc. ;  alle  diese  Substanzen  sind  typische  Herzgifte, 
ihr  Angriffspunkt  ist  das  Herz,  ihrer  toxischen  Wirkung 
eigentümlich  der  Stillstand  des  Herzens  in  Kontraktions- 
stellung, der  systolische  Herzstillstand". 

Die  gesamte ,  durch  die  Digitalissubstanzen  bewirkte 
Kreislaufsveränderung  kann  in  zwei  Stadien  eingeteilt  werden, 
u.  zw.  in  das  Stadium  der  vermehrten  Herzleistung,  das  thera- 
peutische Stadium,  und  dasjenige  der  verminderten  Herz- 
leistung, das  toxische  Stadium. 

Während  der  Puls  im  ersten  Stadium  in  der  Regel 
nur  wenig  verlangsamt  ist,  wird  er  im  zweiten,  dem  toxi- 
schen Stadium,  gewöhnlich  exzessiv  verlangsamt  oder  gar 
arhythmisch.  Dazwischen  schiebt  sich  ein  Stadium  von 
Pulsverlangsamung,  ein  Übergangsstadium,  in  dem  das  Herz 


vom  roten  Fingerhut  und  dessen  Anwendung  in    der    praktischen  Heilkunde, 
vorzüglich  hei  der  Wassersucht  und  einigen  anderen   Krankheiten." 
*)  Schmiedeberg,  Arch.  f.  experim.  Path.  u.  Pharm.,  Bd.  3. 

2)  Koppe,  Ibidem. 

3)  Kiliani,    Zitiert   nach    A.v.  Vogl,    „Arzneimittellehre",    III.  Aufl., 
pag.  838. 

4)  Cloetta,  Arch.  f.  experim.  Path.  u.  Pharm.,    Bd.  45. 


46  Allgemeine  Therapie. 

gleichfalls  pro  Minute  weniger  Blut  befördert  als  vorher. 
Eine  bedeutende  Bradykardie  ist  daher  das  erste  Signal  der 
toxischen    Digitaliswirkung. 

Im  therapeutischen  Stadium  sehen  wir  Blutdruckstei- 
gerung und  Pulsverlangsamung  koinzidieren.  Schon  Traube1) 
hat  es  erkannt  und  Ackermann2)  bestätigt,  daß  hier  zwei 
von  einander  unabhängige  Wirkungen  des  Giftes  nebenein- 
ander einhergehen,  die  Wirkung  auf  den  Vagus  und  jene 
auf  das  Herz.  Die  Pulsverlangsamung  ist  einerseits  Folge 
der  Reizung  des  Vaguszentrums  durch  den  erhöhten  Blut- 
druck, also  Hemmungswirkung,  andererseits  durch  Muskel- 
wirkung bedingt  (Braun  und  Mager). 3) 

Wie  kommt  die  Blutdrucksteigerung  zustande  ?  Durch 
vermehrte  Herzarbeit  und  durch  Steigerung  des  Gefäßtonus 
(Gottlieb). 4) 

Die  Steigerung  der  Herzarbeit  durch  Digitaliswirkung 
haben  zahlreiche  Untersuchungen  von  Boehm5),  Williams111), 
Dreser1),  Durdufi8),  WgbauerQ),  Francois  Franck'10),  Bock11), 
Hedbom12),  Cushng13),  Braun  und  Mager 14)  einwandfrei  nachge- 
wiesen ;  diese  Steigerung  beträgt  nach  Gottlieb  und  Magnus15) 
das  Drei-  bis  Vierfache,  nach  Heinz 16)  etwa  250  Prozent  des 
Ausgangswertes  der  Herzarbeit.  Das  rechte  und  das  linke 
Herz  werden  durch  das  Mittel  im  allgemeinen  in  gleicher 
Weise  beeinflußt,  doch  lehren  die  von  Braun  und  Mager  aus- 


*)  Traube,  Gesammelte  Beiträge  zur  Path.  und  Phys.,  Bd.  I,  pag.  190 
und  252. 

2)  Ackermann,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  11. 

3)  Braun    und    Mager,  Sitzungsber.  d.  kaiserl.   Akad.   d.  Wissensch. 
in  Wien,  1899,   Bd.  108. 

4)  Gottlieb,  Verhandl.  d.  XIX.  Kongresses  f.  innere  Med. 
6)  Boehm,  Pflügers  Arch.,  Bd.  5. 

6)  Williams,  Arch.  f.  experim.  Path.  u.  Pharm.,  Bd.  13. 

7)  Dreser,  ibidem,  Bd.  24. 

8)  Durdufi,  ibidem.,  Bd.  25. 

9)  Wybauer,  ibidem.,  Bd.  44. 
10)  Zitiert  nach  Gottlieb,  1.  c. 

n)  Bock,  Arch.  f.  experim.  Path.  u.  Pharm.,  Bd.  41. 

12)  Hedbom,  Skand.  Arch.  f.  Phys.,   Bd.  8. 

13)  Cushny,  „Journ.  of  experim.  medic",  Bd.  II  und  „Journ.  of  physiol.", 
Bd.  V. 

14)  Braun  und  Mager,  1.  c. 

15)  Gottlieb  und  Magnus,  Verhandl.  d.  XIX.  Kongr.  f.  innere  Med. 

16)  Heinz,  ibidem. 


Die  Herzmittel.  47 

geführten  Versuche  am  „überlebenden  Säugetierherzen",  daß 
der  Kontraktionsgrad  des  rechten  Ventrikels  nach 
Digitaliszufuhr  in  höherem  Maße  zunehmen  kann 
als  jener  des  linken.  Dies  ist  —  wie  wir  sehen  werden  — 
für  die  klinische  Wirkungsweise  der  Digitalis  von  Bedeutung. 
Das  Wesentliche  der  Digitaliswirkung  liegt 
also  in  der  Vergrößerung  des  Schlagvolums  des 
Herzens  --  gleichen  Widerständen  gegenüber  —  und  in 
der  Vermehrung  der  Herzarbeit  (Gottlieb).1)  Das  Herz 
vermag  dabei  maximale  Widerstände  nicht  besser  zu  über- 
winden,  es  nützt  seine  Kraft  durch  die  stärkere  Ver- 
kürzung in  Systole  nur  besser  aus.  Neben  der  systolischen 
ist  —  durch  die  gleichzeitige  Vagusreizung  —  auch  eine 
diastolische  Wirkung  vorhanden.  Eine  Vertiefung  der  Dia- 
stole ohne  gleichzeitige  Pulsverlangsamung  kommt  nicht  Vor- 
untersuchungen von  Johansson  und  Tiyerstedt 2)  haben 
gelehrt,  daß  sich  das  normale  Herz  während  der  Systole 
nicht  vollkommen  entleert:  das  Schlagvolum  wechselt  viel- 
mehr mit  den  wechselnden  Bedingungen  des  Kreislaufs.  Das 
pathologisch  geschwächte  Herz  behält  am  Schlüsse  der 
Systole  ein  zu  großes  Quantum  von  Residualblut,  es  wird 
insuffizient.  Unter  der  Wirkung  der  Digitalis  kontrahiert 
sich  ein  solches  Herz  nun  vollständiger ,  es  entleert  sich 
besser.  Das  Herz,  das  sich  besser  entleert,  schöpft 
aber  auch  besser,  denn  hatte  die  linke  Kammer  nur  2/3 
ihres  Inhaltes  entleert,  so  vermochte  sie  eben  auch  nur  2/3 
aas  dem  Vorhofe  aufzunehmen.  Für  die  vermehrte  Schöpf- 
kraft kommt  zudem  die  Verlangsamung  des  Herzschlags  in 
hohem  Maße  in  Betracht,  da  sie  hauptsächlich  zugunsten 
der  Diastolen  geschieht  und  somit  die  Füllungszeit  der 
Kammern  verlängert.  Es  kann  daher  auch  die  Füllung  des 
Herzens,  u.  zw.  so  erheblich,  vergrößert  werden,  daß  eine 
mäßige  Verringerung  der  Pulszahl  überkompensiert  wird 
und    das  Herz   in    der  Zeiteinheit   tatsächlich   mehr  Arbeit 


l)  Unsere  Darstellung  der  physiologischen  Digitaliswirkung  folgt  zum 
größten  Teile  dem  trefflichen  Referate  Gottliebs  auf  dem  XIX.  Kongreß  f. 
innere  Med. 

■)  Johansson  und  Tigerstedt,  Skand.  Arch.  f.  Phys.,  Bd.  2. 


48  Allgemeine  Therapie. 

leistet.  Aber  das  Herz  leistet  seine  Arbeit  auch 
ökonomischer,  sagt  Gottlieb,  weil  kein  Kontraktionsreiz 
mehr  zurückbleibt ,  wenn  die  nächste  Systole  einsetzt ;  es 
nützt  jetzt  seine  Kontraktionsenergie  vollständig  aus ,  es 
gewinnt  durch  den  besseren  Krafthaushalt  wieder,  was 
zum  Teile  bereits  verloren  gegangen  war,  seine  Ruhepausen. 
Die  längere  Dauer  jeder  Diastole  muß  in  den  meisten  Fällen 
von  Stauung  günstig  wirken  :  das  in  den  Vorhöfen  gestaute 
Blut  hat  nämlich  mehr  Zeit,  in  die  Kammern  zu  strömen 
und  gleichzeitig  kann  auch  das  Blut  aus  der  Aorta  besser 
in  die  Arterien  abfließen.  Die  Digitalis  wirkt  daher  bei 
Stauungserscheinungen  dort  am  erfolgreichsten,  wo  sie  den 
Puls  mäßig  verlangsamt. 

Während  der  längeren  Diastole  hat  das  Blut 
mehr  Zeit,  in  die  Koronargefäße  einzufließen,  wozu 
die  Erhöhung  des  Blutdrucks  auch  ihrerseits  beiträgt.  Der 
Herzmuskel  gelangt  dadurch  in  bessere  Ernährungsver- 
hältnisse. 

Vollkommene  Diastole  bei  mäßiger  Pulsver- 
langsamung  und  vollständige  Systole  ergeben  das 
Optimum  der  Herzleistung,  die  somit  in  geeigneten 
Fällen  durch  Digitaliswirkung  zustande  kommen 
kann. 

Eine  weitere  primäre  und  günstige  Wirkung  ist  der 
Digitalis  eigentümlich.  Es  ist  die  Pulsregulierung. 
O.Frank1)  konnte  zeigen,  daß  durch  Abgleichung  zweier 
inäquater  Herzpulse  zu  zwei  gleichmäßigen  Schlägen  die 
in  der  Zeiteinheit  ausgetriebene  Blutmenge  wächst.  Schon 
dies  allein  beweist  eine  Verbesserung  der  Herzarbeit, 
die  klinisch  umsomehr  in  Betracht  kommt,  als  die  Digitalis 
imstande  ist,  unter  Umständen  selbst  die  hochgradigsten 
Arhythmien  zum  Schwinden  zu  bringen.2). 

Die  Digitalisstoffe  wirken  gefäßveren- 
gernd3),   und   diese    den    Blutdruck    steigernde   Wirkung 

*)   0.  Frank,  Zeitschr.  f.  Biologie,  Bd.  23. 

2)  Gottlieb  und  Magnus  1.  c.    Braun  und  Mager  1.  c. 

3)  Ibidem.  Ferner  Lander  Brunton,  „On  Digitalis".  —  Magnus  im 
naturw.-med.  Verein  zu  Heidelberg.  Gottlieb  und  Magnus,  Arch.  f.  experim. 
Path  ,  Bd.  47. 


Die  Herzmittel.  49 

tritt  zu  der  gleichsinnigen  des  Herzens  hinzu.  Digitalin, 
Strophantin  etc.  verengern  die  Splanchnikusgefäße  allein, 
während  das  Digitoxin  sämtliche  Gefäßgebiete  zur  Verenge- 
rung bringt.  Im  ersteren  Falle  weicht  das  Blut  nach  der 
Körperperipherie  aus  und  auf  die  peripheren  Gefäße  wirken 
drei  Einflüsse  ein :  Die  direkt  kontrahierende  Wirkung  des 
betreifenden  Digitaliskörpers,  die  passive  Dehnung  durch 
das  aus  den  Eingeweiden  verdrängte  Blut  und  eine  aktive 
reflektorische,  durch  die  Verengerung  der  Bauchgefäße  aus- 
gelöste Erweiterung.  Der  erste  dieser  Einflüsse  wird  durch 
die  beiden  anderen  überkompensiert.  —  Bei  Digitoxin  wird 
also  durch  die  allgemeine  Gefäß  Verengerung  das  Blut  von 
der  venösen  auf  die  arterielle  Seite  des  Kreislaufs  umge- 
lagert. Auch  bei  Strophantin,  Digitalin  u.  s.  w.  kontrahiert 
sich  das  Hauptreservoir  des  Körpers,  das  Splanchnikusgebiet ; 
gleichzeitig  tritt  aber  der  geschilderte  Regulationsmecha- 
nismus in  der  Peripherie  in  Kraft,  dem  für  die  Herztätig- 
keit eine  große  Bedeutung  zukommt.  Die  allgemeine 
Gefäßverengerung  bei  Digitoxin  setzt  dem  Herzen  einen 
hohen  Widerstand  entgegen ;  bei  Digitalin ,  Strophantin 
u.  s.  w.  öffnen  sich  hingegen  die  Gefäße  in  der  Peripherie, 
um  einen  Teil  der  aus  den  Bauchorganen  verdrängten  Blut- 
menge aufzunehmen,  und  damit  tritt  eine  teilweise  Ent- 
lastung des  Herzens  gegenüber  den  gesteigerten  Ansprü- 
chen ein. 

Die  gefäß  verenger  nde  Wirkung  spielt 
ohne  Zweifel  auch  schon  bei  den  therapeutischen 
Digitalisgaben  eine  Rolle.  Es  ist  begreiflich,  daß  hierin 
unter  Umständen  eine  günstige,  in  einem  anderen  Falle  eine 
ungünstige  Nebenwirkung  zu  finden  ist.  Nehmen  wir  den 
Fall ,  durch  bessere  Herzarbeit  werde  so  viel  Blut  aus  den 
überfüllten  Venensj^stemen  in  die  Arteriensysteme  hinüber- 
geleitet, daß  die  Blutverteilung  sich  immer  mehr  der  Norm 
nähert.  Eine  gleichzeitige  Verengerung  der  Gefäße  kann 
nun  in  einem  solchen  Falle  von  günstigem  Einflüsse  sein, 
wenn  sie  sich  vorwiegend  etwa  auf  die  Gefäße  des  Bauch- 
raumes beschränkt  und  Haut  sowie  Gehirn  viel  Blut  erhalten. 
(Dies    ist   nun  in    der  Tat   bei  Digitalinwirkung   der  Fall.) 

Braun,   Therapie  der  Herzkrankheiten.  4 


50  Allgemeine  Therapie. 

Das  aus  dem  Pfortaderkreislaufe  und  den  Venen  verdrängte 
Blut  kommt  den  Kapillargebieten  des  großen  Kreislaufes 
und  den  Lungen  zugute,  das  Stromgefälle  wächst,  die  Ge- 
schwindigkeit des  Blutstromes  nimmt  zu.  Aber  diese 
Komponente  der  Digitaliswirkung  vermehrt  dafür  auch  die 
Arbeit  für  das  Herz,  die  Widerstände,  gegen  welche  das  Herz 
sich  zu  entleeren  hat.  Haben  diese  Widerstände  eine  be- 
stimmte Höhe  erreicht,  dann  kann  die  günstige  Digitalis- 
wirkung durch  die  zweite  ungünstige  Wirkung  aufgehoben 
werden,  denn  allzu  hohen  Widerständen  gegenüber  kann 
sich  das  Herz  nicht  mehr  vollständig  entleeren  ,  das  Puls- 
volum sinkt,  die  Heilwirkung  der  Digitalis  ist  vermindert.  — 

Eine  günstige  Gesamtwirkung  wird  sich  durch  geeig- 
nete Dosierung  erreichen  lassen.  — 

Die  gef|iߥerCT|^£nde  Wirkung  erstreckt  sich  auch  auf 
die  Kororfa^kraße ;  aaatf^sK  leidet  die  Ernährung  des  Her- 
zens u*MJD?s  ^wrr^Taher  ai£>h\  immer  darauf  ankommen  ,  ob 
die  HfeMna^d^iggr^gOBung  purch  Verlängerung  der  Dia- 
stolenWer  die  Schädigung  dei/Ernährung  durch  Verengerung 
der  Koronargefäße die(^erjmnd  gewinnt.  —  Die  vasoconstrik- 
torische  W^^^^^JÖr-jedenfalls,  daß  die  Digitalis  in  erster 
Linie  ein  Reizmittel  des  Herzens  ist  und  durch  Reizung 
dessen  Arbeitsleistung  vergrößert.  — 

Die  Gefäßwirkung  hat  nach  Friedet  Pick A)  vielleicht 
auch  insoferne  eine  günstige  Bedeutung,  als  die  Steige- 
rung des  Gefäßtonus  ein  weiteres  Zustandekommen  von  Ödem 
verhindern  und  den  Abfluß  der  bestehenden  durch  Steigerung 
der  Herzkraft  eventuell  beschleunigen  kann. 

Fassen  wir  die  physiologischen  Wirkungen 
der  Digitalisstoffe  nunmehr  zusammen,  so  finden  wir, 
daß  dieselben  die  Leistung  des  einzelnen  Herzschlags  erhöhen 
(die  Erhöhung  der  Leistung  kann  rechts  beträchtlicher  sein 
als  links),  die  Entleerung  der  Kammern  befördern  und  ihre 
Füllung  begünstigen,  durch  Regelung  des  Rhythmus  und 
der  Frequenz  wohltätig  den  Mechanismus  des  Herzens  beein- 
flussen, daß  sie  die  Ernährung  des  Herzens  begünstigen  und 


a)  F.  Pick,  Verhandl.  d.  XIX.  Kongr.  f.  innere  Med. 


Die  Herzmittel.  51 

schließlich  durch  Hebung  des  Gefäßtonus  unter  Umständen 
regulierend  auf  die  Blutverteilung  einwirken  können,  wofern 
in  einem  solchen  Falle  die  Herzkraft  ausreicht,  unter  den 
Verhältnissen  des  gehobenen  Blutdrucks  die  Zirkulation 
aufrecht  zu  erhalten.  Die  bessere  Füllung  des  Hirnkreis- 
laufes unter  Digitaliswirkung  kann  auf  nervösem  Wege  die 
Herztätigkeit  günstig  beeinflussen. 

2.  Die  Indikationen  der  Digitalisdarreichung. 

Die  Kenntnis  der  physiologischen  Wirkung  der  Digi- 
talis gestattet  uns  nunmehr,  ihre  klinischen  Indikationen 
festzustellen  und  auch  ihre  Kontraindikationen  zu  präzisieren. 
—  Auf  keinem  Gebiete  der  Herztherapie  zeigt  sich  so  sehr  wie 
im  Bereiche  der  Anwendbarkeit  der  Digitalis  der  Fortschritt 
zwischen  einst  und  jetzt,  der  Gegensatz  zwischen  der  nihi- 
listischen Anschauung  der  „anatomischen  Richtung''  unter 
den  Klinikern  und  dem  berechtigten  Optimismus  (Jer  5-PQysi°" 
logischen  Schule*'.  Wenn  man  keine  andere  Indikation  für 
die  Digitalisanwendung  zu  stellen  vermag,  als  das  Hörbar- 
werden irgend  eines  Geräusches  in  der  Herzgegend,  dann 
ist  es  natürlich,  daß  sich  viele  Mißerfolge  einstellen,  ja  daß 
dieselben  an  Zahl  die  Erfolge  übertreffen  können;  solange  man 
von  der  Digitalis  eine  Heilung  des  „Herzfehlers"'  erwartete; 
mußte  man  sie  freilich  alsbald  wieder  zur  Seite  schieben. 
Als  man  sich  aber  vom  Unmöglichen  abgewandt  und  dem 
Erreichbaren,  der  Beeinflussung  der  Funktion  des 
Herzmuskels,  zugewandt  hatte,  nachdem  man  die  Indi- 
kationen der  Digitalisdarreichung  präzisieren  gelernt,  wurde 
auch  die  Digitalis,  unser  mächtiger  Helfer,  in  die  ihr  ge- 
bührenden Rechte  eingesetzt. 

Die  Handhabung  der  Digitalistherapie  ist,  zumal  in 
den  letzten  Jahren  ,  durch  vielfache  Übereinstimmung  von 
Versuchsresultaten  und  Krankenbeobachtungen  sicherer  und 
zielbewußter  geworden. 

Wenn  wir  z.  B.  die  Verhältnisse  bei  einem  mittleren 
Grade  von  Mitralinsuffizienz  oder  einer  analogen  Herzkrank- 
heit (Myokarditis,    Kombination    von    Mitralinsuffizienz  mit 


52  Allgemeine  Therapie. 

geringgradiger  Stenose,  Myodegeneration  etc.)  analysieren, 
dann  finden  wir  Bedingungen,  welche  die  Digitaliswirkung 
vorzüglich  zu  erfüllen  vermag.  Bei  diesen  Herzfehlern 
kommen  frühzeitig  Dilatation  (und  je  nach  der  Beschaffen- 
heit der  Koronarzirkulation  in  verschiedenem  Grade  auch 
Hypertrophie)  des  linken  Ventrikels,  des  linken  Vorhofes, 
Lungenhyperämie ,  Drucksteigerung  im  Lungenkreislaufe, 
stärkere  Belastung  des  rechten  Ventrikels ,  Arhythmie  zu- 
stande. 

Die  Digitalis  bewirkt  Zunahme  der  Herzarbeit. 
Regularisation  und  Verlangsamung  der  Herzaktion. 
Das  stärker  arbeitende  Herz  entleert  sich  besser  und  schöpft 
stärker,  d.  h.  die  linke  Kammer  zieht  sich  über  ihrem  Inhalte 
besser  zusammen  und  wirft  eine  größere  Menge  desselben  in 
die  Aorta,  sie  entfaltet  sich  nach  Ablauf  der  Kontraktion 
energischer  und  entlastet  durch  kräftigere  Saugung  den 
linken  Vorhof. 

Nimmt  das  Maß  der  systolischen  Kontraktion  zu,  dann 
wird  auch  der  venöse  Ostiumring  während  der  Systole  enger 
und  die  Möglichkeit  der  Regurgitation  von  Blut  in  den 
Vorhof  jedenfalls  eingeschränkt. 

Die  Entlastung  des  linken  Vorhofes  macht  sich  als- 
bald im  Lungenkreislaufe  geltend,  und  da  auch  die  Leistung 
des  rechten  Ventrikels  zunimmt,  sinkt  der  Druck  im 
Venensysteme  ab,  steigt  der  arterielle  Blutdruck  an. 

Nach  der  Berechnung  von  Lewy *)  setzt  Verminderung 
der  Pulsfrequenz  allein  bei  Mitralinsuffizienz  die  zur  Erhal- 
tung des  normalen  Kreislaufes  notwendige  Arbeit  über- 
haupt herab. 

Die  Verlangsamung  des  Herzschlages  geschieht  vor- 
wiegend auf  Kosten  der  Diastole  und  begünstigt  daher 
erstens  die  Erholung  des  Herzens  —  durch  Gewährung 
von  Ruhepausen  —  und  zweitens  die  Ernährung  der 
Herzwand  selbst  —  durch  Verlängerung  des  Zeitraumes, 
während  dessen  die  Koronararterien  mit  Blut  gefüllt  werden. 
Die    Erhöhung   des   Aortendrucks    —    durch    die    Digitalis- 


l)  Lewy,  1.  c. 


Die  Herzmittel.  53 

wirkung  —  begünstigt  die  Füllung  der  Koronararterien 
gleichfalls.  (Die  unvergleichlich  bessere  Wirkung  kleiner 
Digitalisgaben  kann  zum  Teile  auf  die  Steigerung  der 
Arbeitsleistung,  zum  Teile  wohl  auch  auf  die  bessere  Durch- 
blutung des  Herzmuskels  bezogen  werden.) 

Die  Verlangsamung  des  Herzschlags  durch  Digitalis 
ist  die  weitere  Ausgestaltung  eines  kompensatorischen  Vor- 
ganges, den  der  Herzmechanismus  unter  günstigen  Ernäh- 
rungsverhältnissen des  Herzens  bei  Mitralaffektionen  an- 
scheinend selbsttätig  zu  erreichen  sucht. 

Da  der  linke  Ventrikel,  z.  B.  bei  Mitralaffektionen, 
oft  keine  primäre,  bei  leichtergradigen  Strukturerkrankungen 
keine  wesentliche  Schädigung  seines  Leistungsvermögens 
erfuhr,  kann  er  die  Blutdrucksteigerung,  welche  im  Gefolge 
der  Digitaliswirkung  eventuell  durch  Hebung  des  Gefäßtonus 
zustande  kommt,  leicht  überwinden,  Ja,  man  hat  gerade  in 
diesen  Fällen  den  Eindruck ,  als  würde  die  Erhöhung  der 
Widerstände  für  den  (nicht  zu  sehr  geschädigten)  linken 
Ventrikel  ein  Anstoß  zur  Mehrleistung  sein  —  denn  das  Herz 
arbeitet  bis  zu  einem  gewissen  Grade  desto  besser,  je  größere 
Widerstände  es  überwinden  muß  —  und  damit  die  rück- 
läufige Korrektur  der  Kreislaufsstörungen  beginnen,  welche 
der  betreffende   ..Herzfehler*'  bewirkt  hat. 

Auch  die  Regularisation  der  arhythmischen  Herztätig- 
keit ist  für  sich  allein  eine  Verbesserung  der  Herzarbeit 
{Naunyn,  0.  Frank,  pag.  48). 

Schließlich  sei  noch  daran  erinnert,  daß  die  Kontrak- 
tionsenergie des  rechten  Ventrikels  durch  Digitaliswirkung 
einen  stärkeren  Antrieb  erfährt,  als  jene  des  linken,  was  den 
Bedingungen  und  Verschiebungen  bei  den  Mitralfehlern  und 
den  analogen  Herzaffektionen  vorzüglich  entsprechen  kann. 
Dies  hat  auch  I).  Gerhardt1)  kürzlich  betont. 

Bei  allen  Herzaffektionen  ist  die  Beschaffenheit 
des  Herzmuskels  der  Hauptfaktor  der  Digitalis- 
wirkung, denn  der  Herzmuskel  ist  der  hauptsäch- 
lichste Angriffspunkt  der  Digitaliswirkung.    Daher 


l)  D.  Gerhardt,  20.  Kongreß  f.  innere  Med. 


54  Allgemeine  Therapie. 

geht  das  Wirkungsvermögen  der  Digitalis  immer  in  letzter 
Linie  der  Beschaffenheit  (dem  Grade  der  Erkrankung)  des 
Herzmuskels  parallel;  die  Reaktion  des  Herzens  auf  Digi- 
talis ist  desto  besser,  je  weniger  die  Herzmuskulatur,  speziell 
jene  der  linken  Kammer,  geschädigt  ist. 

Ganz  andere  Bedingungen,  als  wir  eben  sahen,  finden 
wir  bei  der  Aorteninsuffizienz,  bei  der  Stenose  des  Aorten- 
ostiums,  ferner  bei  der  arteriosklerotischen  und  der  nephri- 
tischen Herzhypertrophie  (resp.  Degeneration).  Bei  diesen 
Affektionen  ist  der  linke  Ventrikel  primär  geschädigt,  vom 
Anfange  an  und  vorwiegend  zunächst  allein,  gezwungen,  die 
Mehrleistung  zu  übernehmen.  Hier  lehrt  uns  die  Lungen- 
hyperämie, daß  der  linke  Ventrikel  bereits  insuffizient 
wurde .  die  Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels ,  z.  B.  bei 
den  Aortenklappen affektionen,  daß  ein  ,,mitr  avisierter  Aorten- 
fehler" (Huchard)1)  vorliegt,  oder  mit  anderen  Worten ,  daß 
der  rechte  Ventrikel  zur  Hilfe  eilen  mußte,  weil  der  linke 
versagte.  Eine  relative  Pulsvermehrung  ist  in  einem  solchen 
Falle  vorwiegend  von  günstiger  Wirkung  und  Bedeutung : 
die  Digitalis  aber  wirkt  diesem  Vorgange  entgegen,  denn 
ihre  Wirkung  ist  eine  verlangsamende. 2)  Die  Digitalis  sucht 
wohl  die  Arbeitsleistung  der  linken  Kammer  zu  vermehren, 
es  sind  aber  entweder  Bedingungen  vorhanden,  welche  eine 
eventuelle  weitere  Erhöhung  des  Blutdrucks  nicht  als 
wünschenswert  erscheinen  lassen  —  Arteriosklerose,  Nephritis, 
granulierte  Niere  etc.  — .  oder  andere,  die  durch  eine  Ver- 
längerung der  Diastolen  eine  Vergrößerung  des  Defektes 
erfahren  müßten  —  Aorteninsuffizienz  (je  länger  die  Diastole 
ist,  desto  mehr  Blut  könnte  in  den  Ventrikel  regurgitieren) : 
die  Aorteninsuffizienz  erfordert  umso  weniger  Arbeit,  je 
kürzere  Zeit  die  Diastole  in  Anspruch  nimmt.  —  Zudem 
sind  in  Fällen  von  Aorteninsuffizienz,  Schrumpfniere,  Ar- 
teriosklerose, chronischer  Nephritis  etc.  zur  Zeit,  wo  Herz- 
insuffizienz-Erscheinungen auftreten,  zumeist  bereits  so  hoch- 
gradige   Ernährungsstörungen     der     Herzmuskulatur     vor- 


*)  Huchard,  Quand  et  comment  doit-on  prescrire  la  digitale,  Paris  1888- 
2)  Die  Pulsverlangsamung  ist  besonders  ungünstig,  wenn  nicht  gleich- 
zeitig die  Dauer  der  Kammersystole  hinreichend  wächst. 


Die  Herzmittel.  55 

handen,  daß  die  Digitalis  den  Boden  nicht  mehr  findet,  auf 
dem  ihre  Wirkung  sich  entfalten  könnte. 

Auch  durch  Regularisation  des  Herzschlags  kann  die 
Digitalis  bei  Aortenfehlern  zur  Verbesserung  der  Herzarbeit 
nichts  beitragen ,  weil  der  Herzschlag ,  z.  B.  bei  reiner 
Aorteninsuffizienz ,  durchaus  regelmäßig  ist  und  das  Auf- 
treten von  Arhythmien  (frustranen  Kontraktionen ,  Extra- 
systolen etc.)  eine  hochgradige  Myokardläsion  bedeutet,  welche 
eine  Digitaliswirkung  vereitelt. 

Trotzdem  wird  in  solchen  Fällen  bisweilen  ein  Versuch 
mit  kleinen,  vorsichtig  tastenden  Digitalisgaben  zu 
machen  sein.  Eine  Wirkung  derselben  ist  also  möglich,  wenn 
die  Strukturveränderungen  der  Herzmuskulatur  nicht  allzu 
weit  gediehen  sind.  Bei  Arteriosklerose  und  interstitieller 
Nephritis  sollen  Digitalisgaben  jedenfalls  erst  gereicht  wer- 
den, wenn  der  Blutdruck  zu  sinken  beginnt  (Traube)  *),  resp. 
Herzinsuffizienz-Erscheinungen  auftreten.  Dann  kann  man 
allerdings  unter  Digitaliswirkung  noch  prächtige  Erfolge  und 
Funktionserholungen  der  Herzmuskulatur  eintreten  sehen, 
besonders  wenn  man  vorher  und  gleichzeitig  durch  geeignete 
Abführmittel  die  Gefäße  entlastet  und  behufs  besserer  Durch- 
strömung der  Herzwand  mit  Blut,  sowie  zur  Beseitigung 
der  vasokonstriktorischen  Digitaliskomponente  überhaupt 
Digitalis  mit  einem  Theobrominpräparate  (Diuretin)  oder 
mit  Kampher,  auch  mit  Alkoholdarreichung,  verbindet. 

Aus  dem  Gesagten  erklärt  sich  auch,  warum  Digitalis 
bei  den  Aorteninsuffizienzen  jugendlicher  Individuen  mit 
guter  Herzmuskulatur  häufiger  indiziert  und  besser  wirksam 
ist ,  als  bei  Aorteninsuffizienzen  älterer  Leute ,  die  auf 
arteriosklerotischer  Basis  zustande  gekommen  sind  und  mit 
Ernährungsstörungen  der  Herzwand  einhergehen.  Bei  Aorten- 
insuffizienzen jugendlicher  Individuen  kann  die  durch  Digitalis 
bewirkte  Systolen  Verlängerung  (Dreser,  Braun  und  Mager) 
zudem  das  Maß  der  Regurgitation  verkleinern,  also 
günstiger  wirken,  indem  sie  die  Entleerung  der  Aorta 
(peripherwärts)  fördert;  in  solchen  Fällen  hat  auch  die 
Pulsverlangsanlung  keine  so  schlechte  Bedeutung. 

*)   Traube,  Ges.  Beiträge,  Bd.  III. 


56  Allgemeine  Therapie. 

Aus  dem  Umstände ,  daß  den  Digitalisstoffen  ein  das 
Herz  übendes  Prinzip  innewohnt,  daß  sie  Repräsentanten 
der  den  Herzschlag  verstärkenden  Mittel  sind,  läßt  sich 
nun  auch  eine  zuverlässige  Grenze  ihrer  Kontraindi- 
kationen ableiten. 

Wir  werden  von  der  Digitalis  nur  Gebrauch 
machen  dürfen,  wenn  der  Verstärkung  der  Herz- 
tätigkeit keine  Indikation  entgegensteht. 

Bei  akuten  Endomyokarditiden  mit  Herzinsuffizienz- 
Erscheinungen  sind  wir  oft  vor  die  Frage  gestellt,  ob  es 
zweckmäßiger  wäre,  den  entzündeten ,  kranken  Herzmuskel 
behufs  Beseitigung  der  Insuffizienzerscheinungen  zu  ver- 
stärkter Leistung  anzuregen,  oder  ob  wir  nicht  besser  täten, 
schonend  vorzugehen ,  da  etwaige  Insuffizienzerscheinungen 
eventuell  auch  spontan  zurückgehen  können.  In  einer  Anzahl 
von  Fällen  dürfen  wir  uns  wohl  —  wie  wir  noch  hören 
werden  -  -  für  Digitalis  entscheiden ;  Schädigungen  werden 
durch  vorsichtige  Dosierung  zu  vermeiden  sein. 

Bei  erhöhter  Körpertemperatur  kommt  die  Digi- 
taliswirkung übrigens  schwerer  zustande  ;  sie  wird  in  solchen 
Fällen  bisweilen  durch  Kombination  von  Digitalis  mit 
Chinin1)  gefördert;  auch  gleichzeitige  Alkoholdarreichung 
kann  zur  Entfaltung  der  Digitaliswirkung  in  fieberhaften 
Zuständen  beitragen. 

Lassen  Embolien  (der  Niere,  Lunge  etc.)  das  Bestehen 
zahlreicher  Klappenexkreszenzen  vermuten,  bestehen  (bei 
frischen  Endokarditiden)  die  Erscheinungen  von  Insuffizienz 
und  Stenosierung  am  Aortenostium  oder  von  rasch  zunehmen- 
der Stenosierung  des  Mitralostiums,  dann  sind  Maßnahmen, 
welche  die  Herzaktion  verstärken  (Digitalisdarreichung), 
kontraindiciert. 

Hochgradige  Mitralstenosen  sind  Kontraindi- 
kationen der  Digitalistherapie,  teils  wegen  der  Bradykardie, 


*)  Die  Digitalis-Chinin-Kombination  hat  kein  Geringerer  als  Skoda  zum 
erstenmale  empfohlen.  —  Binz,  Therapie  der  Gegenwart,  1902,  widerrät  hohe 
Chiningaben;  man  gebe  z.  B.  Pulv.  fol.  digit.,  Chinin,  bisulf.  aa.  01- 


Die  Herzmittel.  57 

teils  wegen  der  Emboliegefahr ,  mit  der  sie  einhergehen ; 
auch  bei  leichteren  Mitralstenosen  kann  die  vaso- 
konstriktorische  Digitalis -Komponente  ungünstig  wirken, 
indem  sie  den  schon  gesteigerten  Gefäßtonus  noch  weiter 
erhöht. 

Eine  Kontraindikation  ist  ferner  hoher  Blut- 
druck (Arteriosklerose),  doch  hat  Sahli1)  nachweisen  können, 
daß  die  Digitalis  bei  „Hochdruckstauungen-'  —  so  nennt  er 
Stauungszustände  mit  Erhöhung  der  peripheren  Wider- 
stände —  die  Stauung  beseitigen  und  in  scheinbar  paradoxer 
Weise  den  erhöhten  Blutdruck  herabsetzen  kann.  Dabei 
spielt  dann  wohl  die  zentrale  Verminderung  des  Gefäßtonus 
durch  Entlastung  der  Lungen  und  Milderung  der  Dyspnoe 
eine  Rolle,  vielleicht  auch  die  bessere  Füllung  der  Hirn- 
gefäße (Gottlieb  und  Magnus). 2)  Jedenfalls  werden  in  der- 
artigen Fällen  kleine,  tastende  Digitalisdosen  in  Verbindung 
mit  einem  Theobrominpräparate ,  mit  Alkohol  (Eichhorst) 
oder  Kamp  her  (Edlefsen)  zu  versuchen  sein. 

Eine  allgemeinere  Digitaliskontraindikation  hat  K.  F. 
Wcnckcbach*)  aus  der  Genese  einer  Arhythmieform,  des  Pulsus 
intermittens  regularis,  abzuleiten  vermocht.  Er  wies  nach, 
daß  dieser  Arhythmie  eine  Verminderung  des  Leitungsver-' 
mögens  der  Herzmuskulatur  zugrunde  liege.  Da  auch 
Digitalis  das  Leitungs vermögen  angreift  und  damit  die 
Herztätigkeit  noch  mehr  schädigen  würde,  ist  das  Auf- 
treten eines  regelmäßig  intermittierenden  Pulses 
(bei  dem  jeder  2.  oder  jeder  3.,  4.,  5.,  nte  Puls-  und  Herz- 
schlag ausfällt)  nach  Wenchebach  eine  Kontraindika- 
tion der  Digitalisanwendung. 

Bei  (fibrinösen  und  sero -fibrinösen)  Perikarditiden 
wird  die  Digitalis  unter  Umständen  durch  Hervorrufen 
energischerer  Herzkontraktionen  die  Entwicklung  von 
Adhäsionen  verhüten  können. 


*)  Sahli,  Verhandl.  d.  XIX.  Kongr.  f.  innere  Med. 

2)  Gottlieb  und  Magnus,  Arch.  f.  experim.  Path.  u.  Pharm.,  Bd.  48. 

3)  K.  F.  Wenchebach,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.,  Bd.  37. 


rapie. 

Bei  komplizierten  Herzfehlern  (Klappenfeh- 
lern; ist  eine  Digitaliswirkung  desto  eher  zu  erwarten,  je 
mehr  das  Bild  eines  Mitralfehlers  hervorzutreten  seheint. 

i  nervösen  B  .  u  n  g  e  n  kann  die  Digitalis 

alstonisieren  *el  bisweilen  indiziert  und  wirksam 

// 

Die  Digitalisdarreichung  bei   Herzii.  lenzen 

zw  lea  rir-htf-t  sich  zum  größten  Teile  nach  den 

Indikationen,  die  wir  soeben  kennen  lernten :  in  vielen  Fällen 
wird  es  wohl  immer  wieder  zuerst  auf  den  Versuch  an- 
kommen. Jedenfalls  wird  man  in  solchen  Fällen  womöglich 

her  wirkende  Präparate  und  größere  D<> 
verabreichen  —  zur  Vermeidung  unerwünschter  Blutdruck- 
d  in  geeigneter  Verbindung  mit  einem  Koffein- 
ibrominprä parate  mit  Kampher  oder  mit  Kalomel.  Machen 
sich  Anzeichen  dafür  geltend .  daß  noch  eine  Digitalis- 
wirkung zu  erhoffen  ist .  dann  setze  man  die  Darreichung 
unter  sorgfältiger  Pulskontrolle  -  meidung  von  bedeu- 

tender Pulsverlancrsamung  —  fort.  Bisweilen  kann  die  An- 
ordnung von  Morphium    den  für  fine  darauffolgende 

Dachen. 

3.  Der  Zeitpunkt  der  Digitalisdarreichung. 

auftreten    deutlicher    Stauur.  _ 
abzuwarten,    oder    i  -hon  die  gering 

ren  von  Herzinsuffizienz  durch  Digitalisdarreichung  zu 
bekämpf 

K  int   wohl  zweckmäßig,  au  eh   sr-hon   die 

niedrig  der  Herzinsuffizienz   mit    Digi- 

talis zu  behandeln.   D  zweifellos  richtige  Standpunkt 

wird    in    nachdrücklicher    Weise    von    /  n.2j 

Wiewohl  solche  Veränderungen  bei  ausschließlicher  Scho- 
nungsthi  truhe,  lei  b,  Laxantien)  vollkommen 

hwinden  können,  ie  Indikationen  der  Digi- 


Ho'hhaus,  Deutsche  med.  Einhorn,    Samml. 

klin.  Vortr.  v.  Volkmann,  Ni  312. 
2)  Einhorn,  1.  c. 


Die  Herzmittel.  ;,<) 

talisanwendung,  denn  es  ist  nicht  bedeutungslos,  wie  lange 
die  Stauungserscheinungen  bestehen.  Unter  richtiger  Digi- 
talistherapie, welche  die  Herzarbeit  steigert,  -das  Herz 
selbst  in  bessere  Ernährungsverhältnisse  bringt,  die  Ruhe- 
pausen des  Herzens  verlängert,  den  Rhythmus  regelt,  die 
Frequenz  des  Herzschlags  herabsetzt,  verschwinden  die 
Kreislaufstörungen  jedenfalls  rascher,  zumal  wenn  man 
gleichzeitig  durch  Bettruhe,  leichte  Diät  und  Laxantien  die 
Anforderungen  an  das  Herz  vermindert.  Es  ist  sicherlich 
nicht  gleichgültig ,  ob  die  Stauung  in  der  Leber ,  in  den 
Nieren,  der  Lunge  durch  kürzere  oder  durch  längere  Zeit 
bestehen  blieb  (Einhorn).  Leidet  doch  die  Elastizität  der 
Lunge,  das  Parenchym  der  drüsigen  Organe  durch  eine 
Blutüberfüllnng  von  wochenlanger  Dauer  mehr,  als  wenn 
dieselbe  nur  durch  Tage  anhielt!  Der  Lehrsatz,  daß  wir 
Digitalis  nicht  brauchen,  solange  ein  hinreichender  Kreis- 
lauf besteht,  keine  Ödeme  vorhanden  sind,  der  mit  dem 
..Herzfehler"  Behaftete  sich  relativ  wohl  befindet,  ist  in 
dieser  allgemeinen  Form  sicherlich  unbegründet.  Zudem  wäre 
fehlerhaft,  ein  übungsfähiges  Herz  durch  ausschließliche 
Sdionungsmaßregeln  einer  zweckdienlichen  ..Übung1'  durch 
Digitalis  zu  entziehen  oder  die  notwendige  ..Übung"  in  un- 
nötiger Weise  aufzuschieben.  Man  vergesse  niemals  daran, 
daß  die  DigitalisstofFe  die  wertvolle  Eigenschaft  besitzen, 
die  Herzleistung  tatsächlich  zu  erhöhen,  und  daß  es  für  ein 
nur  wenig  geschädigtes  Herz  oftmals  bloß  eines  vorüber- 
gehenden Anstoßes  bedarf,  um  den  Kreislauf  wieder  ins 
Gleichgewicht  zu  bringen ,  die  Störung  für  lange  Zeit  zu 
beseitigen.  Ein  Nachteil  kann  durch  Digitalisdarreichung 
keinesfalls  zustande  kommen.  Die  Ansicht,  daß  ein  Herz, 
welches  sich  einmal  unter  Digitalisgebrauch  wieder  erholt 
hat,  unter  schlechteren  Lebensbedingungen  stehe,  als  ein 
anderes,  bei  welchem  Stauungserscheinungen  ohne  Digitalis 
zurückgegangen  sind,  muß  erst  bewiesen  werden  (Einhorn). 
Wir  dürfen  also  die  Forderung  aufstellen  .  daß  jede 
beginnende  Herzinsuffizienz,  sofern  sich  bei  ihr  keine  speziellen 
Kontraindikationen  ergeben,  mit  Digitalis  bis  zum  Kennt- 
lichwerden der  Wirkung  behandelt  werde. 


60  Allgemeine  Therapie. 

4.  Die  pharmazeutischen  Kriterien  der  Digitalistherapie. 

Der  Erfolg  der  Digitalisbehandlung  hängt  in  hohem 
Maße  von  dem  (xlykosidgehalte  und  der  Zubereitung  des 
Präparates  ab.  Auch  die  wirksamsten  Blätter  verlieren  durch 
längeres  Liegen  an  Wirksamkeit,  d.  h.  die  Stärke  der 
Wirkung  richtet  sich  nach  der  Jahreszeit. 

Die  Untersuchungen  von  Focke1)  lehren  uns,  daß  die 
neuen ,  im  Sommer  gesammelten  Blätter  von  ihrer  mitge- 
brachten Kraft  bis  zum  Oktober  etwa  die  Hälfte ,  bis  zum 
Januar  mindestens  zwei  Drittel  und  bis  zum  Sommer  ungefähr 
drei  Viertel  einbüßen.  Auffallend  schwache  Wirkungen  sind 
zu  jeder  Jahreszeit  beobachtet  worden,  weitaus  am  häufigsten 
aber  im  Frühjahre  bis  in  den  Juli  hinein.  Außergewöhnlich 
starke  Wirkungen ,  z.  B.  ernste  Vergiftungen  nach  wenig 
über  1  g  im  Infus,  sind  allein  im  Spätsommer  vorgekommen, 
d.h.  bald  nach  dem  gewöhnlichen  Termine  für  die  Erneuerung 
der  Blätter.  Die  alten  Blätter  im  Anfange  August  dürften 
von  den  um  diese  Zeit  gesammelten  neuen  Blättern  um  etwa 
das  Vierfache  an  Kraft  übertroifen  werden.  —  Man  soll 
daher  im  Herbste  die  kleinsten  Digitalisdosen  verschreiben, 
im  Winter  und  Frühjahre  größere,  im  Anfange  des  Sommers 
die  größten. 

Die  Wirksamkeit  der  Digitalisstoffe  ist  vom 
Standorte  der  Mutterpflanze  abhängig;  Bührer  konnte 
unter  Leitung  Jaquefs  zeigen,  daß  man  bei  aus  verschiedenen 
Droguen  in  gleicher  Weise  hergestellten  Fluid-Extrakten 
von  dem  einen  bis  zu  viermal  stärkere  Wirkungen  sehen 
kann,  als  von  dem  anderen.  Gottlieb  hält  es  daher  für  ein 
Postulat  rationeller  Arzneiverordnung ,  daß  der  Arzt  nicht 
bloß  wisse ,  wieviel  von  der  wirksamen  Drogue  er  vor- 
schreibt, sondern  daß  er  auch  die  Wirksamkeit  kenne,  welche 
diese  betreffende  Menge  entfalten  kann.  Da  hier  —  wie  beim 
Heilserum  —  nur  eine  physiologische  Prüfung  der 
Wirksamkeit  möglich  ist,  sollte  diese  auch  immer  in  Be- 
tracht kommen. 


l)  Focke,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.,  Bd.  46,  H.  4  u.  5. 


Die  Herzmittel.  (51 

Diesem  Gedankengange  haben  Albert  Fraenkel1),  Ziegen- 
bein 2)  und  Golaz  (s.  später)  bereits  Rechnung  getragen.  Ziegen- 
bein nimmt  z.  B.  die  physiologische  Prüfung  am  Herzen  des 
auf  Digitalis  besonders  reagierenden  Landfrosches,  Rana 
temporaria,  vor.  Er  und  Siebert  bringen  nunmehr  Fol.  digital, 
conc.  et  pulver.  ,.S.  u.  Z."  mit  einem  stets  gleichen  Wirkungs- 
wert von  0*04  g  Drogue  auf  100  g  Froschgewicht ,  Tinct. 
digitalis  „S.  u.  Z."  mit  einem  Giftwerte  von  0*4  g  Tinktur 
auf  100  g  Froschgewicht  in  den  Handel. 

Die  wirksamsten  Digitalisblätter  stammen  aus  hügeligen 
Gegenden ;  ihre  Einsammlung  hat  im  Hochsommer  zu  ge- 
schehen ;  trockene  Hitze  erhöht,  längere  Regenperioden  ver- 
mindern den  Digitalisgehalt  der  Blätter.  Sie  sind  sorgfältig 
zu  trocknen  und  in  Blechkästen   aufzubewahren. 

Die  grob  zerkleinerten  Blätter  sollen  erst  unmittelbar 
vor  ihrer  Verarbeitung  zu  der  vorgeschriebenen  Arzneiform 
pulverisiert  werden.  Dies  gilt  nicht  nur  für  die  Pulver-  und 
Pillenform ,  sondern  auch  für  die  Aufgüsse  (Heinz). 3)  Das 
Vorrätighalten  konzentrierter  Infuse  und  deren  Verdün- 
nung für  die  eventuelle  Verschreibung  ist  nicht  angezeigt, 
da  konzentrierte  Infuse  durch  Saprophyten Wucherung  leicht 
an  Wirksamkeit  verlieren. 


5.  Dosierung  und  Darreichungsform  der  Digitalisstoffe. 

a)  Die  gebräuchlichsten  Digitalispräparate. 

Der  wichtigste  Grundsatz  der  Digitalis-Dosierung  lautet: 
Die  kleinste,  wirksame  Dosis  wirkt  am  besten  oder 
die  besten  Wirkungen  werden  mit  kleinen  Digitalisgaben 
erreicht. 

Die  häufigste  Darreichungsform  der  Digitalis  ist  das 
Infus;  in  dasselbe  gehen  alle  ihre  wirksamen  Stoffe  über. 
Die  schlechtere  Wirkung,  welche  das  Infus  bisweilen  gegen- 
über anderen  Formen  der  Digitalisdarreichung  aufweist, 
rührt   in    der  Mehrzahl    der  Fälle  wahrscheinlich    nur   von 


*)  Albert  Fraenkel,  Die  Therapie  der  Gegenwart,  1902,  Nr.  3. 

2)  Ziegenbein,  Arch.  d.  Pharmacie,  1902,  Bd.  240. 

3)  Heinz,  XVIII.  Kongreß  f.  iünere  Med. 


('}'2  Allgemeine  Therapie. 

der  Beschaffenheit  der  Blätter  und  der  Art  ihrer  Verar- 
beitung her. 

Die  Infusform  verwendet  u.  a.  Naunyn  x),  u.  zw.  0*5  bis 
0"8 :  180,0,  in  zweimal  24  Stunden  eßlöfMweise  zu  ver- 
brauchen, drei  bis  vier  Flaschen,  dann  drei  bis  vier  Tage 
Pause,  hierauf  wiederum  ein  bis  zwei  Flaschen,  eine  aber- 
malige Pause  von  drei  bis  vier  Tagen  und  nochmals  ein 
bis  zwei  Flaschen.  Dann  pflegt  die  erreichbare  günstige 
Wirkung  erzielt  zu  sein  und  nun  genügt  es,  diese  fortgesetzt 
zu  erhalten,  indem  man  alle  fünf  bis  sieben  Tage  einmal  im 
Verlaufe  von  24  Stunden  eine  Flasche  nehmen  läßt. 

Meist  kann  man  mit  der  Dosis  noch  mehr  herunter- 
gehen, so  daß  die  Kranken  schließlich  nur  einige  Tage  in 
der  Woche  und  täglich  nicht  mehr  als  0*1  bis  O'lb  g  Digi- 
talis nehmen.  Die  unangenehme  Magenwirkung  läßt  sich 
manchesmal  durch  stärkere  Kühlung  der  Medizin  abschwächen 
oder  beseitigen  (Fräntzel 2),   Ortner). 3) 

Neusser  empfiehlt  als  besonders  wirksam  das  kalte 
Macerat:  Rp.  Fol  digit.  0*6  bis  1*0  macera  frigide  per  horas 
24  ad  colat.  180'0,  adde  Syrup.  Rub.  Idaei  20'0.4) 

Der  Darreichung  in  Infusform  ziehen  Bomberg 5)  und 
Einhorn6)  die  Verschreibung  der  Blätter  in  Substanz 
vor.  Die  Voraussetzung,  daß  die  Blätter  in  Substanz  wirk- 
samer seien,  weil  sie  Digitoxin  enthielten,  das  in  das  Infus 
nicht  übergehe,  ist  mit  den  Befunden  Cloettas7)  im  Wider- 
spruche ,  der  nachwies ,  daß  Digitoxin  in  Gegenwart  von 
Digitonin  wasserlöslich  sei. 

Jedenfalls  lehrt  uns  die  Klinik  in  Übereinstimmung 
mit  den  Angaben  Bombergs,  daß  wirksame  Mengen  des 
Pulvers  ohne  Magen-  und  Darmbeschwerden  von 
einer   bei    weitem    größeren    Anzahl    von    Menschen 


*)  Naunyn,  Therapie  der  Gegenwart,  1899. 

2)  Fräntzel,  Vorlesungen  über  die  Krankheiten  des  Herzens. 

3)  Ortner,  Vorl.  üb.  spez.  Ther.  inn.  Krankh. 

4)  Die  bessere  Wirkung  desselben  ist  wahrscheinlich  auf  seinen  geringeren 
Digitoxingehalt  zurückzuführen . 

5)  Bomber y,  1.  c. 

6)  Einhorn,  1.  c. 

7)  Cloetta,  Arch.  f.  experim.  Path.  u.  Pharm.,  Nr.  41. 


Die  Herzmittel.  ßß 

vertragen  werden,  als  die  entsprechenden  Quantitäten  des 
Aufgusses;  der  oft  ekelerregende  Geschmack  des  Infuses 
entfällt  und  man  kann  das  Pulver  —  zumal  in  kleinen 
Dosen  —  auch  in  Oblaten  oder  in  Pillen  reichen.  So  gibt 
Romberg  die  Folia  digitalis  in  Pillen,  u.  zw.  je  0*05  des 
Pulvers;  er  läßt  dreimal  täglich  nach  dem  Essen  zwei 
Pillen  nehmen,  bis  30  bis  40  Pillen,  d.  i.  1*5  bis  2*0  g  Folia 
digitalis  verbraucht  sind.  Selten  kann  man  schon  nach  Ver- 
brauch von  1  g  aufhören.  Meist  ist  mehrtägiger  Gebrauch 
nötig.  Kranken,  welche  Pillen  nicht  schlucken  können,  gibt 
Bomberg  dreimal  täglich  ein  Pulver  zu  0*1.  Das  Schlucken 
von  Pillen  kann  dadurch  erleichtert  werden  ,  daß  man  die- 
selben in  eine  Semmel-  oder  Brotkrume  steckt.  Kindern 
unter  zehn  Jahren  gibt  man  Pillen  zu  0025  g  oder  die 
entsprechende  Pulvermenge  mit  Sacch.  lact.  oder  Pulv.  Cacao 
saccharat.,  als  Gesamtmenge  vom  10.  bis  zum  15.  Lebens- 
jahre etwa  1  g.  vom  7.  bis  zum  10.  Lebensjahre  0'75  g,  noch 
jüngeren  Kindern  0'5  g.  Ist  diese  Menge  verbraucht,  dann 
lasse  man  eine  Pause  von  einer  bis  zu  mehreren  Wochen 
eintreten,  um  hierauf  mit  der  Darreichung  neuerdings  zu 
beginnen.  In  dieser  Weise  kann  man  im  Bedarfsfalle  durch 
lange  Zeit  Digitalis  geben  und  Kranke,  wenn  es  nötig  ist, 
unter  einer  nahezu  permanenten  Digitaliswirkung  erhalten. 
Diese  Form  der  Digitalistherapie  wird  als  „chronische 
Digitalis th er apie*'  bezeichnet.  Unter  ihren  Lobrednern 
finden  wir  Namen  wie  Fraentzel,  G oldscheider \  Xaunyn  und 
Kussmaul. 

Albert  Fraenhel1)  hat  mit  Digitalinum  verum  und  Strophantin  Tier- 
versuche ausgeführt  und  gefunden,  daß  täglich  sich  wiederholende  kleine  Dosen 
Verstärkung  und  Verlangsamung  des  Herzschlags  herbeiführen,  ohne  daß  die 
Tiere  krank  aussehen.  Er  sieht  hierin  die  experimentelle  Grundlage  der  An- 
wendung kleinster  Dosen  am  Menschen  durch  längere  Zeit,  denn  nimmt  man 
größere  Dosen,  dann  tritt  leicht  Arhythmie,  Salivation  und  Erbrechen  ein. 

Die  „chronische  Digitalistherapie''  leistet  uns  in  vielen 
Fällen  vorzügliche  Dienste.  So  erscheint  es  bisweilen  zweck- 
mäßig, nach  2 — 3maliger  Darreichung  größerer  Dosen,  wenn 
eine  deutliche  Wirkung  eingetreten  ist,  mit  den  kleinen  und 


*)  A.  Fraenhel,  1.  c. 


64  Allgemeine  Therapie. 

ganz  kleinen  fortzufahren  ;  es  gelingt  dadurch,  die  Wirkung 
auf  die  Herzkraft  zu  steigern,  ohne  daß  dabei  die  Pulsver- 
langsamung  zunähme,  der  Gefäßtonus  höher  würde, 
schlimme  Folgen  für  die  Verdauung  einträten. x)  Viele  Fälle 
von  chronischer  Myokarditis.  Myodegeneratio  cordis  und  Fett- 
herz kann  man  auf  diese  Weise  jahrelang  über  Wasser  halten. 
Kussmaul2)  beschreibt  einen  Fall  von  jahrelang  fortgesetztem 
Gebrauche  der  Digitalis  bei  einem  Kranken  mit  mäßiger 
Aortenstenose  und  Arteriosklerose.  Der  Kranke  hat  in  acht 
Jahren  über  ;>00<7  Digitalispulver,  dazu  auch  reichlich 
Tinctura  digitalis  genommen.  Über  einen  ähnlichen  Fall 
hat  in  jüngster  Zeit  Schubert'6)  berichtet.  Man  sieht  in  solchen 
Fällen  bisweilen  eine  Art  von  „Ge  wöhnung"  an  das  Mittel 
eintreten,  die  manche  Autoren  als  „Digitalismus"  bezeichnet 
haben.  Von  Gewöhnung  kann  aber  im  Sinne  von  Bäte4), 
Schubert5),  v.  Boeck6),  Kussmaul7)  nur  gesprochen  werden, 
wenn  Kranke  durch  viele  Jahre,  mit  Pausen  von  wenigen 
Tagen,  Digitalis  nehmen  und  in  digitalisfreien  Zeiten 
Abstinenzerscheinungen  aufweisen.  Boeck  meint  daher,  die 
Digitalis  sei  für  manchen  Herzkranken  ein  Genußmittel. 
Groedel8)  bestreitet  den  „Digitalismus",  da  man  bei  der 
„chronischen  Digitalistherapie"  1 — 2  Jahre  lang  kleine  Dosen 
geben  und  nachher  ohneweiters  aussetzen  kann ;  Gewöhnung 
trete  höchstens  insoferne  ein ,  als  man  im  Verlaufe  vieler 
Monate  mit  der  Dosierung  ein  wenig  steigen  müsse.  Solche 
Erscheinungen  beschreibt  nun  u.  a.  tatsächlich  van  der  Heide. 9) 
In  derartigen  Fällen  muß  man  schließlich,  um  die  Digitalis- 
anwendung sistieren  zu  können,  dies  ganz  allmählich  tun, 
„ausschleichen"   (Goldscheider). ,0) 


*)  Siehe  „Indikationen  der  Digitalisdarreichung". 

2)  Kußmaul,  Therap.  d.  Gegen w.,  1900. 

3)  Schubert,  Münchener  med.  Wochenschr ,  1902. 

4)  Balz,  Arch.  f.  Heilk.,  1876.  Eine  Frau,  die  im  Verlaufe  von  sechs 
Jahren  über  800  g  Digitalis  verbraucht  hatte,  war  unfähig  zu  arbeiten,  wenn 
sie  es  einmal  unterließ,  Digitalis  einzunehmen. 

5)  Schubert,  Münchener  med.  Wochenschr.,  1902. 

6)  v.  Boeck,  Handb.  v.  Ziemssen,  Bd.  15,  2.  Aufl. 

7)  Kussmaul,  1.  c. 

8)  Groedel,  XIX.  Kongreß  f.  innere  Med. 

9)  Van  der  Heide,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  58. 
10)  Goldscheider,  XIX.  Kongreß  f.  innere  Med. 


Die  Herzmittel.  (35 

Wir  haben  nunmehr  noch  einer  Digitaliswirkung  zu 
gedenken,  die  in  der  Literatur  als  ..kumulative  Wir- 
kung'' bekannt  ist,  ohne  daß  jedoch  einwandfrei  feststünde, 
was  wir  unter  diesem  Titel   eigentlich  zu  verstehen  haben. 

Wir  können  mit  Kussmaul1)  als  „kumulative  Digitalis- 
wirkung*'  eine  unerwartete  Digitalisvergiftung  bezeichnen, 
die  durch  ihren  plötzlichen  Eintritt  und  ihre  Heftigkeit  zur 
Größe  der  letzten  Einzelgabe  außer  Verhältniß  zu  stehen 
scheint.  Doch  schon  Kussmaul  hält  es  für  fraglich,  ob  wir 
berechtigt  sind,  eine  „kumulative  Digitaliswirkung''  anzu- 
nehmen. „Ich  erinnere  mich  nicht"  —  sagt  er  —  „eines 
irgend  bedenklichen  Vorkommnisses    dieser  Art  aus  meiner 

langen    klinischen  Tätigkeit Zwar   hat  Schmiedeberg 

den  Verdacht  ausgesprochen,  die  Fälle  seien  gewiß  sehr 
zahlreich,  in  denen  ein  unerwarteter  plötzlicher  Tod  bei 
einem  mit  Digitalis  behandelten  Herzkranken  nicht  auf 
Rechnung  einer  zu  starken  Digitaliswirkung  gebracht,  sondern 
dem  Leiden  zugeschrieben  werde.  Ich  kann  hiezu  die  Be- 
merkung nicht  zurückhalten,  daß  die  allermeisten  Fälle 
plötzlichen  Todes  Herzkranker,  die  zu  meiner  Kenntnis 
kamen,  Personen  betreffen,  die  nie  in  ihrem  Leben  Digitalis 
eingenommen  hatten/'  In  ähnlichem  Sinne  hat  sich  schon 
lange  vorher  Pereira2)  geäußert  und  die  Furcht  vor  kumu- 
tativen  Digitaliswirkungen  für  unnötig  gehalten.  Tatsächlich 
liegt  in  der  Literatur  kein  Beweis  dafür  vor,  daß  sich  die 
Digitaliswirkung  auf  das  Herz  kumulativ  steigert  (Gottliebj. 
Die  Zufälle,  die  man  auf  eine  solche  Wirkung  zurückführt, 
sind,  wenn  man  nicht  übergroße  Dosen  verwendet  und  ganz 
unvorsichtig  vorgeht,  überaus  selten.  Sie  beschränken  sich 
in  der  Regel  auf  Appetitlosigkeit,  Übelkeit  und  Erbrechen. 
Dauern  solche  Zustände  an,  dann  tritt  naturgemäß  infolge 
mangelnder  Nahrungszufuhr  Abmagerung  ein ;  auch  geht 
die  Puls  verlangsamung  imter  das  erwartete  Maß  herab,  ohne 
daß  jedoch  die  Herzkraft  sänke.  Solche  Beobachtungen  be- 
schrieb Koehorn*)  bei  Rekruten,  die  sich  durch  Erzeugung 


x)  Kussmaul,  1.  c. 

2)  Pereira,  Handb.  d.  Heilmittellelire,  1848. 

3)  Koehorn,  Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Med.,  1876. 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten. 


66  Allgemeine  Therapie. 

einer  künstlichen  Krankheit  militärfrei  machen  wollten  und 
zu  diesem  Zwecke  mehrere  Tage  lang  große  Digitalismengen 
einnahmen. 

Dennoch  sind  derartige  Zufälle  unliebsam,  weil  sie 
manchesmal,  auch  wenn  das  Mittel  sofort  ausgesetzt  wird, 
nicht  sogleich  verschwinden,  sondern  einige  Zeit  lang,  selbst 
mehrere  Tage,  fortdauern  können.  „Auch  ist  es  immer  etwas 
beängstigend,  wenn  die  Pulsfrequenz  durch  Digitalis  bis  auf 
50  und  40  Schläge  herabgeht,  obwohl  man  die  gleiche  Er- 
scheinung bei  der  Krise  Pneumonischer  freudig  begrüßt" 
(Kussmaul).  Id.  unseren  Fallen  ist  eine  solche  Pulsverlangsamung 
von  besonderer  Bedeutung,  weil  es  ja  Herzkranke  sind,  mit 
denen  wir's  zu  tun  haben,  und  es  sich  niemals  von  vornherein 
sicher  bemessen  läßt,  über  welches  Maß  von  Kraft  das  Herz 
noch  verfügt. 

Es  dürfte  übrigens  nicht  zweckmäßig  sein,  die  Möglich- 
keit einer  „kumulativen  Wirkung"  absolut  zu  leugnen,  sonst 
würde  sie  nicht  von  einer  so  großen  Reihe  erfahrener  Arzte 
immer  und  immer  wieder  hervorgehoben  werden.  Schmiede- 
berg schreibt  dieselbe  der  Schwerlöslichkeit,  der  schwierigen 
Resorbierbarkeit  und  den  besonderen  Ausscheidungsverhält- 
nissen der  Digitalisstoffe  zu.1)  Man  soll  daher  auch,  dem 
Rate  Kussmauls  folgend,  bei  den  alten  bewährten  Ordination  s- 
weisen  bleiben,  weil  die  Anwendung  der  „rein"  dargestellten 
Digitalisbestandteile  noch  wenig  zuverlässig  ist. 

Die  Vergiftungserscheinungen  bestehen  in  Appe- 
titabnahme, Brechreiz,  seltener  Durchfall,  Schwindel,  Kopf- 
schmerz, Augenflimmern,  Schwächezuständen:  hiezu  gesellt 
sich  eine  exzessive  Bradykardie,  die  plötzlich  in  Arhythmie 
und  Pulsschwäche  —  Absinken  des  Blutdrucks  —  übergehen 
kann.  Das  Sensorium  ist  dabei  intakt. 

Man  kann  die  Digitalis  schließlich  auch  als  Klysma 
in  Infusform  geben,  etwa  nach  der  Rombergschen  Formel: 
2  :  150'0  mit  50  #  Mixtur,  gummös,  für  3 — 4  Klystiere,    die 

x)  Van  der  Heide  hat  (Deutsches  Areh.  f.  klin.  Med.,  Bd.  58)  die 
,,kumulative  "Wirkung"  anscheinend  bewiesen  1.  durch  den  ^letalen  Effekt 
sehr  kleiner,  gleichbleibender  Dosen,  einigemale  hintereinander  angewendet, 
2.  durch  den  letalen  Effekt  einer  sonst  nicht  tötlichen  Dosis,  wenn  vorher 
durch  längere  Zeit  kleine  Dosen  angewendet  worden  waren. 


Die  Herzmittel.  ß7 

im  Laufe  von  IV2  Tagen  zu  verbrauchen  sind,  oder  lg  auf 
60*0  Wasser.  Dies  dürfte  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  zur 
Erzielung  der  Wirkung  ausreichend  sein.  —  Auch  in  Suppo- 
sitorien  ist  Digitalis  anwendbar;  die  Magenbeschwerden 
treten  aber  auch  nach  dieser  Anwendungsweise  auf,  da  es 
sich  um  Wirkungen  von  Seiten  des  zentralen  Nervensystems 
handelt,  die  den  Magen  beeinflussen. 

Eine  Vorschrift  für  Suppositorien  lautet  z.B.: 
Pulv.  fol.  digital.  2 — 3  #,  Butyr.  Cacao  qu.  s.  f.  leg.  art.  suppos. 
Nr.  X.  S.  2 — 3  Stuhlzäpfchen  täglich. 

b)  Andere  Digitalispräparate. 

Die  Unentbehrlichkeit  der  Digitalisstoffe  und  die  Unverläßlich- 
keit  ihrer  Wirkung,  insoferne  man  nicht  über  ihre  pharmakologischen 
Qualitäten  ausreichend  Bescheid  weiß ,  haben  schon  frühzeitig  eine 
Reihe  von  pharmazeutischen  Digitalispräparaten  erstehen  lassen. 
Über  die  älteren  derselben,  das  Digitalisextrakt  und  das  Digi- 
tal isaze  tat,  lauten  die  Angaben  der  Autoren  ungünstig.  Die  Digi- 
tatistinktur  hat  einen  sehr  inkonstanten  Glykosidgehalt,  ist  daher 
unzuverlässig  in  der  Wirkung  und  nur  in  den  allerkleinsten  Dosen 
anwendbar,  weil  sonst  Vergiftungserscheinungen  auftreten  können. 
Von  ausschlaggebender  Bedeutung  ist  der  Gehalt  an  Digitoxin, 
einem  so  starken  Gifte,  daß  in  einem  Selbstversuche  Koppes  *)  nach 
dem  Einnehmen  von  0*002  Digitoxin  überaus  schwere  Vergiftungs- 
erscheinungen auftraten.  Da  kleine  Dosen  der  Tinktur  fast  unwirksam 
sind  und  man  sich  zu  größeren  nur  ungern  entschließen  wird,  dürfte 
es  somit  am  zweckmäßigsten  sein,  die  Tinktur  überhaupt  nicht  zu 
verwenden. 

Über  das  Digita liiium  verum  Kiliaili  (Böhringer  &  Söhne) 
sind  die  Angaben  widersprechend.  Sehr  gute  Erfolge  mit  demselben 
veröffentlichte  aus  der  Klinik  Eichhorsts  Zengger. 2)  Da  die  Magen- 
verdauung seine  Wirkung  zerstört  (Beucher)  3),  gibt  man  es  am  zweck- 
mäßigsten subkutan,   etwa  nach  der  Vorschrift  von  Bomberg: 

Kp.   Digitalin.  ver.  (Böhringer) 0'03 

Alkohol,  absol 1*0 

Aq.  dest 9'0 

MDS.  Mehrmals  täglich  03— 1  cc.  zu   injicieren. 


*)  Koppe,  1.  c. 

2)  Zengger,  Korresp.-Bl.  f.  Schweizer  Ärzte,  1895. 

3)  Deucher,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  57. 


6$  Allgemeine  Therapie. 

Die  Injektion  soll  intramuskulär  in  die  Glutäen  erfolgen,  da 
bei  subkutaner  Applikation  heftige  Schmerzen  und  Entzündungser- 
scheinungen auftreten  können.  Die  Wirkung  ist  nicht  so  anhaltend, 
wie  nach  der  Darreichung  in  Infus  oder  Pulverform,  doch  rasch 
eintretend  und  daher  nur  für  dringende  Fälle  aufzusparen,  in 
denen  man  die  langsamer  eintretende  Wirkung  nicht  abwarten  kann. 

Die  französischen  Digitalispräparate  Digitalines  amorphes 
Homolle  und  Quevenne  werden  bei  uns  nicht  verwendet;  die 
Verordnung  der  Nativelleschen.  und  Blanquartschen  Digitaline  ist 
kontraindiziert,  da  dieselben  unreine  Präparate  und  daher  von  un- 
berechenbarer Wirkung  sind. 

Das  Extractum  digitalis  liquidum  lobt  Denzel.1) 

Neuerdings  stellt  Golaz  in  Saxon  les  bains  Dialysate  VOll 
Digitalisblättern  her,  welche  der  Beachtung  überaus  wert  sind. 
Golaz  nimmt  ganz  frische  Pflanzen  und  unterwirft  dieselben  sofort 
der  Dialyse.  Die  so  gewonnenen  Präparate  werden  durch  Jaquet 
pharmazeutisch  geprüft,  worauf  sodann  die  Konzentration  so  ver- 
ändert wird,  daß  die  Dialysate  aus  den  verschiedensten  Jahrgängen 
immer  den  gleichen  Glykosidgehalt  haben  und  somit  außerordentlich 
konstante  Präparate  geschaffen  werden.  Das  an  Digitoxin  reichste 
Dialysat  ist  jenes  der  Digitalis  grandiflora.2)  Es  ist  auch  das 
zuverlässigste  Dialysat.  Man  gibt  es  in  steigender  Dosis  von  3mal 
täglich  10  bis  zu  3mal  täglich  20  Tropfen  und  geht  wieder  herab. 
Die  Wirkung  des  zumal  von  Unverricht 3)  gelobten  Präparates  ist  eine 
ausgezeichnete.  In  einem  Falle  von  „Degeneratio  myocardii"  habe 
ich  nach  zehntägiger  Anwendung  des  Dialysates  einen  rauschartigen 
Verwirrungszustand  eintreten  sehen,  der  nach  dem  Aussetzen  des 
Mittels  bald  wieder  verschwunden  ist.  Er  ging  mit  periodisch  auf- 
tretenden auffälligen  Arhythmien  einher. 

Das  Digitoxin  (Merck),  welches  u.  a.  Zeltner 4)  in  vielen 
Fällen  angewendet  hat,  gibt  man  in  Dosen  von  1/2 — 1 — 2  Milli- 
gramm, u.  zw.  1 — 2  mal  täglich,  in  alkoholischer  Lösung  oder  in 
Pillen.  Da  es  unter  Umständen  überraschend  plötzlich  wirken  und 
hochgradige  Bradykardien  herbeiführen  kann,  gebe  man  es  nie  länger 
als  höchstens  2  Tage  nacheinander  und  setze  es  dann  für  mehrere 
Tage  aus.  Ich  glaube,  daß  wir,  solange  kein  absolut  zuverlässiges 
Präparat  vorliegt,  auf  die  „chronische  Anwendung"  des  Digitoxin 
überhaupt  verzichten  und  dasselbe  nur  anwenden  sollen,  wo  wegen 
bedrohlicher  Herzschwäche  eine  rasche  Digitaliswirkung  wünschens- 
wert erscheint. 


a)  Denzel,  Tlierap.  Monatshefte,  1896. 

2)  Botanisch  gleichnamig  mit  der  Dig.  ambigua. 

3)  Unverricht,Y  erhsmdl  d.XIX  Kongresses  f.  innere  Med.  —  Schwarzen- 
beck,  Zentralbl.  f.  innere  Med.,  1901,  Nr.  17. 

4)  Zeltner,  Münchener  med.  "Wochenschr.  1900. 


Die  Herzmittel.  69 

Zur  subkutanen  Injektion  eignet  sich  folgende  Digitoxinlösung: 

Rp.  Digitoxin  krystallisat O01 

Alkohol,  absolut 5*0 

Aq.  dest 150 

DS.   Ya — 1  Spritze  voll.  (Die  Injektion  ist  schmerzhaft.) 

Die  Merckschen  Digitoxin-Pastill  en  enthalten  0*00025 
wirksamer  Substanz.  Bosse1)  gibt  3  Pastillen  täglich  nach  dem 
Essen. 

Strophantus. 

Der  Digitalis  zunächst  steht  unter  den  Herzmitteln 
die  von  Fräser 2)  und  Dräsche 3)  in  den  Arzneischatz  einge- 
führte, von  den  Semina  strophanti,  einer  im  tropischen  Afrika 
und  Asien  einheimischen,  strauchartigen  Apocynee.  stammende 
Tinctura  strophanti,  als  deren  Lobredner  insbesondere 
Rosenstein 4)  zu  nennen  ist. 

Die  Wirkung  der  Strophantustinktur  tritt  oft  schon 
am  ersten  Tage  des  Gebrauches  zutage,  doch  ist  sie  keines- 
wegs so  zuverlässig  und  vor  allem  nicht  so  nachhaltig  wie 
die  Digitaliswirkung.  Bei  Kindern  unter  fünf  Jahren  soll 
man  wegen  der  durch  die  Raschheit  der  Wirkung  möglicher- 
weise eintretenden  Herzlähmung  Strophantus  überhaupt 
nicht  anwenden  (Demme).»)  In  Fällen,  wo  Digitalis  versagt, 
bleibt  zumeist  auch  Strophantus  ohne  Wirkung ,  wohl  aber 
eignet  sich  die  Strophantustinktur  für  die  Behandlung 
der  chronischen  Herzinsuffizienz  als  interimistische  Ver- 
treterin der  Digitalis  während  einer  chronischen  Digi- 
tal]'stherapie.6)  Auch  in  den  Anfangsstadien  der  Herzinsuffi- 
zienz, sodann  behufs  rascherer  Erzielung  der  Wirkung, 
schließlich  zur  Ergänzung  einer  Digitaliskur  kann  man 
Strophantustinktur  einige  Tage  lang  verabreichen.  Die  Be- 
hauptung mancher  Autoren,  daß  die  Anorexie  nach  Strophan- 


*)  Bosse,  St.  Petersb.  med.  Wochenschr.,  1901. 

2)  Fräser,  Brit.  med.  Journ.,  1878. 

3)  Dräsche,  Wiener  med.  Blätter,  1878. 

4)  Rosenstein,  Verhandl.  d.  XIX.  Congr.  f.  innere  Med. 

5)  Bemme,  Ber.  d.  Jennerschen  Kinderspitales  in  Bern. 

6)  Die  Ursache  der  guten  Strophantuswirkung  in  solchen  Fällen  ist 
nach  den  (pag.  49)  dargelegten  Gründen  wohl  in  dem  Fehlen  des  Digitoxin- 
gehaltes  zu  erkennen. 


70  Allgemeine  Therapie. 

tusmedikationen  weniger  zu  furchten  sei,  als  bei  Digitalis- 
verordnungen, trifft  nicht  zu.  Auch  Romberg1)  hebt  hervor, 
daß  die  Strophantustinktur  bei  recht  vielen  Menschen  Magen- 
störungen und  Durchfälle  hervorrufen  kann.  In  solchen 
Fallen  ist  sie  sofort  auszusetzen. 

Man  gibt  von  der  Tinctura  Strophanti  innerlich  Erwachsenen 
dreimal  täglich  5 — 15  Tropfen  pro  dosi.  Mehr  als  50  Tropfen  im 
Tage  sollen  niemals  verabreicht  werden.  Kindern  zwischen  dem 
fünften  und  zehnten  Lebensjahre  reicht  man  anfangs  dreimal  täg- 
lich 1  Tropfen,  älteren  Kindern  viermal  täglich  1  Tropfen  und 
steigt  allmählich  bis  zu  viermal  täglich  3  Tropfen.  Will  man  bei 
Erwachsenen  eine  chronische  Strophantustherapie  durchführen,  dann 
beginne  man  mit  dreimal  täglich  5  Tropfen  nach  den  Mahlzeiten 
und  steige  nach  je  einem  oder  zwei  Tagen  um  je  1  Tropfen  bis 
zu  dreimal  täglich  10 — 15  Tropfen,  um  wieder  allmählich  auf 
dreimal  täglich  5  Tropfen  herabzugehen.  Je  nach  Maßgabe  der 
Wirkung  kann  man  die  beschriebene  Darreichungsmethode  wieder- 
holen oder  schließlich  durch  längere  Zeit  dreimal  täglich  5  Tropfen 
geben.  In  zweckmäßiger  Weise  schaltet  man  eine  solche  „chronische 
Strophantustherapie"  in  eine  chronische  Digitalistherapie,  z.  B.  bei 
chronischen  Herzinsuffizienzen,  ein. 

Das  wirksame  Glykosid  der  Strophantussamen ,  das  Strophantin, 
wird  derzeit  am  reinsten  von  Merck  dargestellt;  man  gibt  dasselbe  in 
Kapseln  oder  in  wässeriger  Lösung,  u.  zw.  z.  B.  5-  bis  lOmal  täglich  eine  Kapsel 
von  s/10  mg. 

Ein  neues  (französisches)  Strophantuspräparat,  die  „Granules  de 
Catillon"  ä  1  mg  titrirten  Extraktes  von  Strophantus,  scheint  gleichfalls 
von  zuverlässiger  Wirkung  zu  sein.  Erwachsene  nehmen  anfangs  eine  Pastille 
und  steigen  unter  vorsichtiger  Herzkontrole  bis  auf  drei  oder  vier  Pastillen 
an,  um  langsam  wieder  auf  eine  Pastille  herabzugehen.  —  Für  Kinder  (von 
5 — 15  Jahren)  ist  jedes  andere  Strophantuspräparat  als  die  Tinktur  ungeeignet. 


Die  übrigen  Herzmittel. 

Von  unverläßlicherer  Wirkung  als  Digitalis  und  Strophantus 
sind  die  nachfolgenden  Herzmittel ,  das  Spartei'n  ,  die  Convallaria-, 
Adonis-,  Helleborus-  und  Valeriana-Präparate. 

Das  Spartei'n,  von  Spartium  scoparium ,  wird  zumeist  als 
Spartium    sulfuricum    angewendet;    es  ist  von   G.  See2)  in  die 


')  Romberg,  1.  c. 

2)   G.  See,  Compt.  rend.,  Bd.  101. 


Die  übrigen  Herzmittel.  1\ 

Therapie  eingeführt  worden,  doch  hat  es  sich  bisher  wegen  der 
damit  erhaltenen,  einander  widersprechenden  Resultate  keine  Aner- 
kennung zu  schaffen  vermocht.  Man  verordnet  es  in  täglichen 
Gaben  von  0*1 — 0*3  in  Lösung,    Pulvern    oder   Pillenform,    z.B.: 

Rp.  Spartein  sulfur.  0*4,  Syr.  cort.  aurant.  300*0  MDS.  Täg- 
lich 3—4  Eßlöffel;  oder 

Rp.  Spartein  sulfur.  0'4,  Pulv.  et  extr.  rad.  liquir.  qu.  s.  ut  f. 
pil.  Nr.  XX.  DS.  Täglich  2—4  Pillen. 

Über  das  von  Hürthle *)  experimentell  untersuchte  Oxy  spart  ein 
liegen   noch  keine   therapeutischen,  zuverlässigen  Erfahrungen  vor. 


Herba  Convallariae  majalis  und  ihre  Glykoside  (Con- 
vallarin  und  Convallamarin)  sind  in  ihrer  Wirkung  ganz  unzuver- 
lässig. Botkin  2),  der  sie  zuerst  empfahl,  verschrieb  das  Maiglöckchen- 
kraut als  Infus  (10  :  200'0,  zweistündlich   1  Eßlöffel). 

Ortner  zieht  dem  Infuse  die  Tinktur  und  das  wässerige  Ex- 
trakt vor.  Er  verschreibt:  Rp.  Tinct.  convallar.  majal.  15*0.  DS. 
dreimal  täglich  20  Tropfen,  oder  Rp.  Extr.  aquos.  convallar.  majal. 
6*0,  Syr.  cort.  aurant.,  Oxvmel.  Scillae  aa.  75*0  MDS.  Täglich  3  Eß- 
löffel. 


Die  Herba  Adonidis  vernalis  wird  als  Infus  verschrieben, 
4 — 8:180*0,  davon  zweistündlich  1  Eßlöffel,  oder  in  Tinkturform, 
dreimal  täglich   15  —  20  Tropfen. 


Das  Hellebore  in  von  Helleborus  niger,  der  Nießwurz,  em- 
pfiehlt Romberg  in  Pillenform,  u.  zw.  zu  0*01,  1 — 4  Pillen,  später 
fünfmal  täglich   2  Pillen. 


Auch  die  Radix  Valerianae  ist  früher  in  der  Herztherapie 
vielfach  verwendet  worden.  Das  in  ihr  enthaltene  Borneol  wirkt 
kampherähnlich.  Man  verschreibt  zumeist  die  Tinct.  Valerian. 
aether,  z.  B.  in  gleichen  Teilen  mit  Spirit.  aether.  oder  Liquor, 
ammonii  anisat.,  davon  mehrmals  täglich  20 — 30  Tropfen,  seltener 
die  übelschmeckende  Baldriantinktur  allein ;  auch  das  Infus,  rad. 
Valerian.  (e  10:180*0  mit  einem  Geschmackscorrigens)  wird  wohl 
nur  selten  angewandt. 


a)  Hürthle,  Arch.  f.  experim.  Path.,  Bd.  30. 
2)  Botkin,  cit.  nach  Bomberg. 


72  Allgemeine  Therapie. 

Die  Koffein-  und  Theobrominsalze. 

Die  Koffein-  und  Theobrominsalze  bewirken  eine  Ver- 
mehrung der  Koronarzirkulation.1)  Die  bessere  Durch- 
blutung der  Koronargefäße  beeinflußt  die  Ernährung  des 
Herzmuskels  und  dadurch  wahrscheinlich  sekundär  die 
Leistung  des  Herzens  in  günstigem  Sinne.  Im  Versuche 
am  isolierten  Säugetierherzen *)  erweist  sich  das  Koffein 
denn  auch  tatsächlich  als  ein  kräftiges  Stimulans  der  Herz- 
tätigkeit; es  ruft  eine  auffallende  Steigerung  der  Pulsfre- 
quenz hervor.  Auch  Santesson 2)  fand ,  daß  das  Koffein  die 
Pulsfrequenz  steigere  und  die  Kontraktionsenergie  des 
Herzens  vermehre ;  er  nennt  es  daher  ein  Cardiotonicum. 
Jedenfalls  machen  es  diese  Eigenschaften  uns  verständlich, 
daß  die  Koffein-  und  Theobrominsalze  mit  Digitalispräparaten 
kombinirt  so  vorzüglich  zu  wirken  vermögen,  denn  sie  heben 
in  geeigneten  Dosen  die  ungünstigen  Nebenwirkungen  der 
Digitalisstoffe  (Verengerung  der  Gefäße,  Verlangsamung  der 
Herzaktion)  auf  und  unterstützen  wahrscheinlich  deren  günstige 
Wirkungen.  Die  bessere  Durchblutung  der  Koronargefäße 
nach  Koffein-  oder  Theobromin  -  Darreichung  erklärt  viel- 
leicht auch  die  günstigen  Erfolge  nach  Anwendung  dieser 
Salze  bei  Angina  pectoris  (Koronarsklerose) 3)  und  allge- 
meiner Arteriosklerose. 

In  größeren  Dosen  verabreicht,  erzeugen  die  Koffein- 
und  Theobrominpräparate  unangenehme  Nebenwirkungen, 
u.  zw. :  Schwindel,  Üblichkeit,  Erbrechen,  rauschartige  Auf- 
regungszustände  etc.  Die  Koffeinsalze  sind  auch  als  Vaso- 
motorenmittel zu  bezeichnen4)  (Gottlieb,  Bock,  Santesson) ;  die 
durch  sie  bedingte  Blutdrucksteigerung  beruht  auf  Erregung 
des  vasomotorischen  Centrums. 

Man  gibt  das  Koffein  als  C.  natr.-benzoicum,  C.  natr.- 
salicylicum  oder  C.  citricum  per  os  oder  subcutan   in  Dosen 


*)  Hedbom,  Skand.  Arch.  f.  Physiol.,  Bd.  8.  —  Bock,  Arch.  f.  experim. 
Path.  u.  Pharm.,  Bd.  43.  —  Braun  u.  Mager,  Sitzungsber.  d.  kaiserl.  Akad.  d. 
Wissensch.  in  Wien,  Bd.  108,  Abth.  III.,  1899. 

2)  Santesson,  Skand.  Arch.  f.  Physiol.,  Bd.  12.  S.  auch  Aubert  u.  Dehn, 
Pflüger's  Arch.,  Bd.  9. 

3)  Siehe  auch  pag.  55,  57  u.  58. 

*)  Gottlieb,  Verhandl.  d.  XIX.  Congr.  f.  innere  Med. 


Die  übrigen  Herzmittel.  73 

von  0*2  g  zwei-  bis  dreimal  täglich.  Die  Theobrominsalze  und 
ihre  Dosierung :  Siehe  bei  Diuretica. 

Von  ähnlicher,  doch  entsprechend  ihrem  geringen  Koffeingehalte 
schwächerer  Wirkung  auf  das  Herz,  als  die  reinen  Koffein-  und  Theobromin- 
salze sind  die  Kolanuß,  Semen  colae,  und  ihre  Präparate.  Die  Kolanuß  ist 
ein  Genußmittel  der  Sudanesen  wie  bei  uns  Kaffee  und  Tee,  wie  bei  den 
Peruanern  die  Kokablätter  und  Betel  bei  den  Malaj^en  und  Hindus.  Man  ver- 
schreibt sie  in  Pillenform,  als  alkoholischen  Extrakt  oder  als  Tinktur,  z.  B. : 
ftp.  Semin.  col.  pulv.  lOO'O,  Alcohol.  60°/0  5000,  Macera  per  horas  quindecim. 
DS.  Täglich  2—3  Kaffeelöffel  in  Wein;  oder  Rp.  Vini  colae.  500-0.  DS.  zwei- 
mal täglich  ein  Weinglas,  das  französische  Präparat  Cola  granulee  Astier 
oder  den  Syrup.  colae  composit.  Hell,  die  Stollschon  Kolapräparate  etc. 

Kampher. 

Die  Kliniker  sehen  in  dem  Kampher  ein  energisches 
Stimulans  für  das  Herz  (Pel  u.  a.) l).  Nach  Robert 2)  und  Alber- 
toni3) macht  sich  unter  seiner  Einwirkung  eine  Blutdruck- 
steigerung bemerkbar.  Im  Gegensätze  zu  den  meisten  Angaben 
der  Literatur  lehren  uns  Untersuchungen  von  Mercandino  4). 
daß  der  Kampher  bei  akuten  Infektionskrankheiten  in  manchen 
Fällen  wohl  eine  leichte  Herabsetzung  der  Pulszahl  und 
eine  mäßige  Verminderung  des  Blutdrucks  herbeiführe ;  ge- 
rade bei  den  schwersten  Formen  aber  ohne  jede  Wirkung 
bleibe.  Eine  gewisse  eintretende  günstige  Wirkung  bestehe 
in  Milderung  der  Dyspnoe  und  einer  Erholung  bei  Kräfte- 
verfall ,  aber  dieser  günstige  Einfluss  sei  eher  von  der 
Wirkung  auf  das  Nervensystem,  sowie  auf  das  Atem- 
zentrum abhängig,  während  die  Beeinflussung  der  Herz- 
aktion im  allgemeinen  eine  äußerst  geringe  sei. 

Die  letzten  und  —  wie  es  scheint  —  auch  die  eingehendsten 
Untersuchungen  über  die  Wirkung  des  Kamphers  auf  das 
Herz  und  den  Kreislauf  hat  H.  Winterberg6)  ausgeführt,  in 
dessen    diesbezüglicher   Publikation    die    gesamte    Literatur 


x)  Pel,  XIX.  Congr.  f.  innere  Med. 

2)  Robert,  Lehrbuch  der  Pharmakotherapie. 

3)  Albertoni,   „Commentario  alla  Farmakop.  italian.  d.  Guareschi" . 

4)  Mercandino,  Blätter  f.  klin.  Hydrother.,  1900,  Nr.  10  u.  11  (übersetzt 
von  Strasser  u.  Kraus). 

5)  H.  Winterberg,   Pflüger's  Archiv,   Bd.  94,  1903.    (Exp.    Untersuch, 
über  d.  Wirk.  d.  Kamph.  auf.  d.  Herz  u.  d.  Gefäße  von  Säugethieren.) 


74  Allgemeine  Therapie. 

dieses  Gegenstandes  enthalten  und  kritisch  erörtert  ist.  Den 
Versuchsresultaten  Winterbergs  ist  zu  entnehmen,  daß  die 
Hauptwirkung  des  Kamphers  in  einer  Gefäßerweiterung 
besteht,  deren  Angriffspunkt  in  der  Peripherie  zu  suchen 
ist.  Für  die  Annahme  einer  direkten  Begünstigung 
der  Herzarbeit  unter  der  Einwirkung  des  Kamphers 
fehlt  jeder  Anhaltspunkt;  hingegen  kommt  unter  seinem 
Einflüsse  eine  Erregung  des  Großhirns,  des  Atem- 
zentrums und  bei  direkter  Einbringung  in  die  Blutbahn 
auch  eine  geringe  und  flüchtige  Reizwirkung  auf  das 
Vasomotorenzentrum  zustande.  Die  Erregung  des  Atem- 
zentrums äußert  sich  in  Beschleunigung  und  Vertiefung  der 
einzelnen  Atemzüge.  Die  als  Hauptwirkung  erkannte  Gefäß- 
dilatation betrifft  nicht  alle  Gefäßterritorien  gleichmäßig; 
es  ist  von  Wichtigkeit,  daß  eine  Erweiterung  der 
Splanchnicusgefäße  nicht  eintritt,  wohl  aber  eine 
solche  der  Hirn-  und  Hautgefäße. 

Aus  dem  letzteren  Befände  erklärt  sich  die  Wirkung 
des  Kamphers  auf  das  Großhirn  und  die  Hirnzentren,  ferner 
die  schon  von  PurkiJtje J)  registrierte  Tatsache,  daß  der  Kampher 
in  kleinen  Dosen  ein  Gefühl  angenehmer  Wärme  über  den 
ganzen  Körper  hervorruft.  Die  Herzwirkung  ist  somit 
als  eine  sekundäre  (Erleichterung  der  Entleerung  des 
Herzens,  Wirkung  auf  die  Atmung,  auf  das  Großhirn)  zu 
bezeichnen. 

Es  besteht  also  eine  weitgehende  Analogie  in  der 
Wirkung  medizinaler  Gaben  von  Kampher,  Koffein  und  Al- 
kohol. Der  Kampher  scheint  zwischen  jenen  beiden  zu  stehen. 
Die  Indikationen  seiner  Darreichung  decken  sich  zum  Teile 
mit  denen  der  Koffeinsalze  und  des  Alkohols. 

Der  Kampher  kann  demnach  als  Mittel  gegen  die 
Blutdrucksteigerungen  der  Arteriosklerotiker,  bei 
Angina  pectoris,  bei  den  peripheren  Gefäßkrämpfen 
(Schüttelfrösten)  im  Verlaufe  septischer  Infektionen, 
ferner  zur  Aufhebung  der  vasokonstriktorischen  Di- 
gitaliskomponente verwendet  werden,  in  welch  letzterem 


*)  Purkinje  eit.  nach    Winterberg. 


Die  übrigen  Herzmittel.  75 

Sinne  ihn  bereits  Edlefsen  empfohlen  hat.  Auch  die  In- 
dikationen des  Kamphers  als  Excitans  ergeben  sich  aus 
seinen  physiologischen  Wirkungen;  er  kann  in  der  Herz- 
therapie keinesfalls  als  Excitans  eine  solche  Rolle  spielen 
wie  z.  ß.  bei  Lungenaffektionen  etc. 

Man  gibt  den  Kampher  in  Pulverform,  z.  B. :  Rp.  Acid.  benz.  0*3, 
Camph.  trit.  0*1,  Sacch.  0*4,  S.  zweistündlich  ein  solches  Pulver ;  oder  Rp. 
Pulv.  fol.  digital.  Camphor.  ras.  aa  0'5.  Elaeosarcehari  Menth.  5"0, 
divide  in  dos.  X.  S.  Täglich  2 — 3  Pulver;  in  Mixturen:  Rp.  Camphor. 
ras.  0*2 — 0*5,  Spir.  vin.  qu.  s.  ad  solut.  Mixtur,  gummös.  70*0,  Syr. 
simpl.  10'0.  S.  zwei  bis  dreistündlich  1  Kaffeelöffel;  schließlich  auch 
die  Solutio  Oxycampher  (50°/0)  10'0,  Spirit.  vin.  20*0,  Succ.  liquirit. 
10-0,  Aq.  destill,  ad  150'0;  DS.  dreimal  täglich   1  Eßlöffel. 

Jodsalze. 

Die  Annahme ,  daß  die  Jodsalze  durch  Gefaßentspan- 
nung  blutdruckherabsetzend  wirken  können,  ist  von  fran- 
zösischen Autoren  (Huchard) *)  ausgegangen ,  während  z.  B. 
Boehm 2)  trotz  Darreichung  großer  Dosen  keinerlei  Einfluß 
auf  den  arteriellen  Blutdruck  nachweisen  konnte.  Damit 
decken  sich  auch  die  klinischen  Erfahrungen  v.  Schrötters 3). 

Die  gebräuchlichsten  Jodpräparate  und  ihre  Dosierung 
sind  im  Abschnitte  „Das  Herz  bei  Arteriosklerose"   erörtert. 

Alkohol. 

Der  Alkohol  wirkt  in  kleinen  Graben  entspannend 
auf  die  Hautmuskelgefäße  ein  ;  er  wird  daher  in  richtiger 
Dosierung  Blutdrucksteigerungen  durch  Erhöhungen  des 
Geiäßtonus  beseitigen  und  die  Herzarbeit  (Entleerung 
des  Herzens)  erleichtern  können.  Tigerstedt*)  hat  den 
Nachweis  erbracht,  daß  der  linke  Ventrikel  sich  besser  ent- 
leert und  besser  schöpft,  wenn  die  Gefäßspannung  absinkt. 
Diese  Wirkung  kann  unter  pathologischen  Verhältnissen 
zweifellos  besser  hervortreten  als  in  der  Norm,  und  es  wird 


')  Huchard,  Maladies  du  coeur,  Paris  1889. 

2)  Boehm  und  Berg,  Arch.  f.  experim.  Path.  u.  Pharm.,  Bd.  5. 

3)  v.  Schrötter,  Erkrankungen  der  Gefäße,  in  Nothnagels  Spec.  Path. 
u.  Ther. 

4)  Tigerstedt,  1.  c. 


76  Allgemeine  Therapie. 

sich  daher  unter  Umständen  die  momentane  Gefahr  einer 
Herzinsuffizienz  durch  Alkoholdarreichung  überwinden  lassen 
(Gottlieb)  !).  Eine  indirekte  Beeinflussung  des  Herzens  durch 
Alkohol  hat  Gutnikow2)  experimentell  nachgewiesen. 

Ebenso  ist  die  gefäßentspannende  Wirkung  der  Alko- 
holika dazu  verwendbar,  um  in  Fällen,  wo  Digitalis  wegen 
Gefahr  des  Absinkens  der  Herzkraft  indiziert  wäre,  doch 
wegen  seiner  väsokonstriktorischen  (blutdrucksteigernden) 
Wirkung  allein  nicht  gegeben  werden  kann,  diese  schädi- 
gende Komponente  auszuschalten. 3)  Ferner  kann  der  Alkohol 
zur  Beförderung  der  in  fieberhaften  Fällen  bisweilen  ver- 
sagenden Digitaliswirkung  und  zur  Bekämpfung  der  angio- 
spastischen  Erscheinungen  bei  septischen  Fiebern  (Schüttel- 
frösten) oftmals  in  wirksamer  Weise  herangezogen  werden. 

Der  Parallelismus  zwischen  Haut-  und  Hirnzirkulation 
(Gottlieb  und  Magnus)4)  berechtigt  uns  zur  Annahme,  daß 
schließlich  auch  anämische  Hirnzustände  durch  kleine  Alko- 
holdosen beseitigt  werden  können,  so  daß  sich  damit  wieder 
eine  bessere  Ernährung  lebenswichtiger  Centren  an- 
bahnen läßt. 

Aus  zahlreichen  von  Binz 5)  gesammelten  Literatur- 
angaben (die  diesbezüglichen  Publikationen  der  letzten  fünf 
Jahre)  geht  hervor,  daß  mäßige  Gaben  Weingeist  erregend 
wirken. 

Alle  diese  Befunde  erklären  die  unleugbare  Tatsache, 
daß  der  Alkohol  bei  der  Behandlung  älterer  Leute 
fast  unentbehrlich  ist.  —  Er  wird,  da  er  pulsbeschleuni- 
gend wirkt,  bei  Aortenklappenaffektionen  indiciert,  bei 
Mitralaffektionen  kontraindi eiert  sein. 

Große  Alkoholdosen  bringen  das  gesamte  Gefäßsystem 
zur  Erschlaffung  und  vermindern  die  Stärke  der  Herz- 
kontraktionen ;  am  spätesten  wird  bei  letalen  Dosen  das 
Respirationscentrum  außer  Tätigkeit  gesetzt. 


1)  Gottlieb,  1.  c. 

2)  Gutnikow ,  Klin.  u.  experim.  Studien  a.  d.  Laborat.  v.  Baschs ,  1900. 

3)  Vide  pag.  55,  56  u.  57. 

4)  Gottlieb  und  Magnus,  1.  c. 

5)  Binz,  Berl.  klin.  Wochenschr.,  1903,  Nr.  4. 


Die  Vermehrung  der  Diurese.  77 

Man  gibt  den  Alkohol  zumeist  in  Form  eines  guten  Tisch- 
weines1). Auch  kleine  Kognakdosen  sind  verwendbar,  z.  B.  die  be- 
kannte Stokes'sche  Mixtur:  Rp.  Spirit.  vin.  Cognac.  50*0  Vitell.  ovi 
unius,  Syr.  cinnamom.  aa.  20*0,  Aq.  fönt,  ad  1500  MDS.  5 — 10 
Eßlöffel  täglich;  ferner  der  Aether,  z.  B.  Aether.  sulf.  gtts.  15, 
Mixt,  gummös.  70*0,  Syr.  simpl.  10*0.  MDS.  lsttindlich  1  Kaffee- 
löffel oder  subcutan  z.  B.  Camphor.  trit.  I/O,  Aether.  sulf.,  Ol.  olivar. 
aa.  5'0.  MDS.   1/2 — 1   Spritze  voll  zu  injiciren. 

Die  Nitrite. 2) 

Hieher  gehören  Amylnitrit,  Nitroglyzerin,  Na- 
triumnitrit und  Erythroltetranitrat. 

Alle  diese  Verbindungen  der  salpetrigen  Säure  erzeugen 
in  geeigneter  Dosierung  Rötung  der  Haut,  Hitzegefühl, 
stärkeres  Klopfen  der  tastbaren  Gefäße.  Romberg  3)  bezieht 
den  etwaigen  Nutzen  dieser  Mittel  nicht  auf  ihre  vasodilata- 
torische  Wirkung,  sondern  auf  die  Hebung  des  Blutdrucks, 
auf  die  Verstärkung  der  Herzarbeit4). 

Man  gibt  Amylnitrit  tropfenweise  zum  Inhalieren,  z.  B.  in  den 
Solger&chen  Lymphröhrchen,  in  denen  4 — 5  Tropfen  des  Mittels  ent- 
halten sind,  die  man  auf  ein  Taschentuch  oder  Löschpapier  tropft. 

Nitroglyzerin  verschreibt  Nothnagel  in  Pillen  zu  0*01  oder 
in  Original-Tabletten  zu  0'0005.  Eine  Pille  (oder  Tablette) ,  dann 
nach  je  einer  Woche  zu  steigen  bis  auf  3 — 5  Pillen  und  ebenso 
langsam  abnehmen. 

Natrium  nitrosum  wird  am  besten  in  Lösung  gegeben 
(2 — 4%ige  Lösung  davon  mehrere  Eßlöffel  täglich). 

Das  von  v.  Schrötter6)  empfohlene  Erythroltetranitrat  gibt 
man  in  Pillen  zu  0*02,  eventuell  steigend  wie  Nitroglyzerin. 

Die  Vermehrung  der  Diurese. 

Wenn  es  uns  gelingt,  vorhandene  Ödeme  zu  beseitigen 
und  einen  Gleichgewichtszustand  zwischen  Wasseraufnahme 


*)  Näheres  darüber  vide  „Diätetische  Therapie". 

2)  Boehm,  Arch.  f.  experim.  Path.  u.  Pharm.,  Bd.  8.  —  Buchheim,  ibidem 
Bd.  3.  —  Traube,  Ges.  Beiträge,  I.  pag.  383.  —  Köhler,  Centralbl.  f.  d.  med. 
Wissensch.,  1877,  Nr.  38.  —  Aubert  und  Dehn.  Pflüger's  Archiv,  Bd.  9. 

3)  Romberg,  1.  c. 

4)  v.  Schrötter,  1.  c. 

h)  Ich  bin  gerade  jetzt  mit  experimentellen  Untersuchungen  über  die 
Wirkung  der  Nitrite  auf  Herz  und  Kreislauf  beschäftigt  aber  noch  nicht  in 
der  Lage,  die  Ergebnisse  dieser  Untersuchungen  zusammenzufassen. 


78  Allgemeine  Therapie. 

und  -Abgabe,  also  eine  geregelte  Wasserbilanz,  herzustellen, 
dann  schaffen  wir  dadurch  Bedingungen,  unter  welchen  die 
Arbeit  des  Herzens  leichter  vonstatten  geht,  denn  die  Ver- 
mehrung des  Wasserreichtums  des  Körpers  und  die  Ver- 
mehrung der  Blutmasse  laden  dem  Herzen  unbedingt  eine 
größere  Arbeitsleistung  auf. 

Die  Maßnahmen,  welche  der  Hebung  der  Diurese 
dienen,  sind  daher  der  herzschonenden  Therapie  zuzu- 
rechnen1). 

Es  ist  eine  wichtige  Erfahrungstatsache,  daß 
die  Wirkung  der  Herzmittel  besser  zur  Geltung 
kommt,  wenn  man  vor  ihrer  Darreichung  Diuretica 
mit  Erfolg  angewendet  hat. 

Vermehrung  der  Harnabsonderung  kann  auf 
verschiedenem  Wege  hervorgerufen  werden.  Zunächst  durch 
Steigerung  der  Wasseraufnahme.  Dies  kommt  jedoch 
bei  Herzkrankheiten  in  der  Regel  nicht  in  Betracht;  zu- 
weilen gelingt  es,  in  Fällen  wo  die  Diurese  nach  Anwendung- 
anderer  Mittel  bereits  wieder  gehoben  wurde,  diese  Steige- 
rung durch  Zufuhr  warmer  Getränke,  Tee,  Limonade,  Milch; 
zu  erhalten ;  doch  darf  man  nicht  daran  vergessen ,  daß  in 
den  genannten  Flüssigkeiten  auch  diuretisch  wirkende  Sub- 
stanzen enthalten  sind. 

Auch  die  Bettruhe  vereinigt  mit  anderen  vorteil- 
haften Wirkungen  auf  den  Organismus  des  Herzkranken  eine 
Steigerung  der  Diurese,  wahrscheinlich  weil  der  unter 
günstigeren  Verhältnissen  arbeitende  Herzmuskel  den  Kreis- 
lauf wieder  besser  im  Gange  erhält. 

Die  eigentlichen  Diuretika  bewirken  Vermehrung 
der  Harnabsonderung  durch  Vermehrung  der  Blutmenge, 
die  durch  die  Niere  fließt,  durch  direkte  Beeinflussung  der 
Nierenzellen 2),  oder  indem  sie ,  die  Niere  passierend ,  als 
„harnfähige  Stoffe"  Wasser  mitnehmen.  [Wir  werden  hören, 
daß  die  Wirkung  der  ,, harnfähigen  Salze"  uns  im  Lichte 
der  Erklärung  der  physikalischen  Chemie  besser   verständ- 


*)  Ausgenommen  sind  die  Mittel,   welche  die  Diurese  durch  Erhöhung 
der  Herzleistung  steigern. 

2)  v.  Sobieranski,  Arch.  f.  experim.  Path.,  Bd.  35. 


Die  Vermehrung  der  Diurese.  79 

lieh  wird  (pag.  91). *)]  Daß  alle  Medikamente,  die  das  Herz 
zu  kräftigerem  Schlagen  anzuregen  vermögen  und  die 
Strömungsgeschwindigkeit  des  Blutes  erhöhen,  Digitalis. 
Strophantus  etc.,  damit  auch  diuretisch  wirksam  sein  können, 
liegt  auf  der  Hand.  Es  zeigen  daher  unter  sonst  gleichen 
Verhältnissen  jene  Diuretika  die  deutlichste  Wirkung, 
welche  mit  der  Fähigkeit,  die  Nierenzellen  selbst  zu  be- 
einflussen und  die  Durchblutung  der  Niere  zu  steigern, 
auch  eine  auf  das  Herz  wirkende  Komponente  vereinen. 

Diese  Eigenschaft  besitzen  im  ausgesprochensten  Maße 
die  Koffeine  und  Theobromine,  z.  B.  das  Diuretin2)  (Theo- 
brominum  natriosalicylicum).  Dasselbe  wirkt  direkt  auf  die 
Zellen  der  Niere  und  auf  ihre  Gefäße,  indirekt  —  wie  wir 
bereits  hörten  —  auf  die  Herzarbeit  ein. 3) 

Man  reicht  Diuretin  in  täglichen  Dosen  von  4 — 5#,  am 
besten  in  wässeriger  Lösung,  eventuell  mit  Syrupus  citri,  zwei- 
stündlich 1  g,  durch  fünf  Tage,  setzt  zwei  bis  drei  Tage  aus  und 
läßt  es  dann  nochmals  fünf  Tage  lang  nehmen.  Die  diuretische 
Wirkung  des  Diuretin  ist  unverkennbar,  daneben  in  geeigneten 
Fällen  —  auf  arteriosklerotischer  Grundlage  entstandenen  Herz- 
insuffizienzen —  die  günstige  Beeinflussung  des  Herzens.  Schäd- 
liche Nebenwirkungen  sind  nicht  zu  fürchten,  wenn  man  die  Tages- 
dosis von  5  g  nicht  überschreitet. 

Will  man  ein  Diuretikum  mit  einem  Kardiotonikum  vereinen 
—  etwa  bei  darniederliegender  Diurese  eines  Kranken  mit  Mitral- 
insuffizienz — ,  dann  verbindet  man  mit  Vorteil  Diuretin  mit  Digi- 
talis, z.B.  Pulv.  folior.  Digital.  Ol,  Diuretin  1/0.  S.  Täglich  3— 5  Pul- 
ver, fünf  Tage   lang  zu  gebrauchen. 

Neben  dem  Diuretin  verdienen  auch  das  Theobrominum- 
Natr.  benzoieum,  das  Uropherin  (Theobrominum-Lithio-sali- 
cylicum) ,  das  Agurin  (Theobrominum-Natr.  aceticum)  und  das 
reine  Theobromin  Erwähnung.4) 

Theobrominum  purum  gibt  man  in  Tagesdosen  von  2' 5  bis 
3  g,  vom  Agurin  3 — 4  g. 

Minder  günstig  als  das  Diuretin  wirken  erfahrungsgemäß  das 
Koffein  und  dessen  Salze  auf  die  Diurese  ein.6) 

*)  Dreser,  Arch.  f.  experim.  Path.,  Bd.  29. 

2)  v.  Schröder,  Ibidem,  Bd.  22  u.  24. 

8)  Äskanazy,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  56.  —  Bob.  Breuer, 
Müncliener  med.  Wochenschr.,  1902.  —  Pawinski .  Zeitschr.  f.  klin.  Med.,  Bd. 
24.  —  Vide  auch  pag.  72. 

4)  Alle  Theobrominpräparate  sind  sehr  theuer. 

5)  Gottlieb,  XIX.  Congr.  f.  innere  Med. 


80  Allgemeine  Therapie. 

Da  der  diuretischen  Wirkung  auf  die  Niere  die  gefäßver- 
engernde (durch  Reizung  des  vasomotorischen  Zentrums)  entgegen- 
steht, hat  bereits  v.  Schröder  das  Alkaloid  mit  Paraldehyd  kombinirt. 

Von  Koffein  muß  man  relativ  große  Dosen  geben,  z.  B. 
Coffein,  natr.  benzoic.  oder  Coffein,  natr.  salicyl.  drei-  bis  viermal 
täglich  0*4  g,  auch  subkutan  z.  B.  Coffein,  natr.  benzoic,  Aq.  dest., 
Glycerin.  aa.  5  g.  S.  Täglich  ein  bis  zwei  Pravazspritzen  voll ;  die 
gefäßverengernde  Wirkung  kann  auch  durch  gleichzeitige  Alkohol- 
darreichung eingeschränkt  werden. 

Ein  neues  von  Dreser  *)  und  Minkowski 2)  empfohlenes  Prä- 
parat, das  Theo  ein  (ein  synthetisch  dargestelltes  Theophyllin8), 
scheint  ein  mächtig  wirkendes  Diuretikum  zu  sein.  Es  wird,  in  Pulver- 
form oder  in  warmem  Tee  gelöst,  in  Dosen  von  0*3  bis  0*5  g  oder 
in  dreimaligen  täglichen  Gaben  von  0*2  g  gegeben.  Das  Theocin 
besitzt  in  den  erforderlichen  Dosen  keine  Nebenwirkung  auf  Herz, 
Gefäße  und  Nieren;  in  einigen  Fällen  machte  sich  eine  Wirkung 
auf  den  Magen  und  eine  erregende  Wirkung  auf  das  Nervensystem 
störend  bemerkbar. 

In  vielen  Fällen  von  Anurie  und  Oligurie  ist  das 
Kalomel  ein  Diuretikum  ohnegleichen.  Es  war  als  solches 
bereits  dem  großen  Herztherapeuten  StoJces  bekannt ,  doch  — 
wieder  vergessen  —  musste  es  durch  Jendrassik  unserem  Heil- 
schatze von  Neuem  einverleibt  werden ;  seither  ist  es  viel- 
fach erprobt  und  anerkannt  worden.4)  —  Die  Kalomeldiurese, 
oftmals  eine  wahrhaft  erlösende  Harnflut,  kommt  durch 
Reizung  des  Nierenepithels  zustande.  Kalomelwirkung 
und  -Darreichung  setzen  daher  Intaktheit  der  Nieren- 
epithelien,  gesunde  Nieren,  voraus,  wovon  man  sich 
durch  vorherige  Harnuntersuchung  zu  überzeugen  hat. 
Kalomel  ist  oft  wirksam,  wenn  sich  die  anderen,  allerdings 
auch  minder  eingreifenden  Diuretika  als  wirkungslos  er- 
wiesen haben ;  seine  Wirkung  erscheint  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  unabhängig  von  der  Herzkraft  und  überdauert 
gewöhnlich  die  Darreichung  selbst.  Man  sieht  Fälle,  in 
denen  nach  der  Kalomeltherapie  der  Hydrops  für  längere  Zeit 


*)  Dreser,  Naturforscherversamml.  1902.   „Über  physiol.  Albuminurie." 

2)  Minkowski,  Therapie  d.  Gegenwart,  Nov.  1902. 

3)  Das  Theobromin,  das  Paraxanthin  und  das  Theophyllin  sind  isomere 
Dimethylxanthine.  Koffein  ist  Trimethylxanthin. 

4)  Jendrassik,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med. ,  Bd.  38.  —  Rosenheim, 
Deutsche  med.  Wochenschr.  1897.  —  Fleiner,  Berliner  klin.  Wochenschr.,  1890. 
—  Stinzing,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  43. 


Die  Vermehrung  der  Diurese.  $\ 

schwindet  und  relatives  Wohlbefinden  eintritt,  neben  an- 
deren, in  denen  Digitalis  unwirksam  blieb,  um  in  prächtiger 
Weise  wirksam  zu  werden,  nachdem  unter  Kalomelgebrauch 
die  Ödeme  mehr  oder  weniger  zum  Schwinden  gebracht 
worden  sind. 

Man  gibt  vom  Kalomel  dreimal  täglich  0*2  g,  eventuell, 
wenn  der  purgirende  Effekt  zu  stark  ist,  nach  der  Vorschrift 
Jendrassiks  mit  je  O'Ol  g  Opium  purum,  um  die  auftretenden  Diar- 
rhoen zu  mildern  oder  zu  vermindern ,  und  setzt  die  Darreichung 
durch  drei  Tage  fort.  Treten  sehr  profuse  Diarrhoen  auf,  dann 
höre  man  mit  dem  Mittel  auf;  in  günstigen  Fällen  kann  man  es 
jedoch  fünf,  sechs,  ja  selbst  zehn  Tage  lang  nehmen  lassen.  Die 
Wirkung  auf  die  Diurese  macht  sich  selten  schon  am  ersten  Tage, 
in  der  Regel  erst  vom  dritten  Tage  an,  geltend.  Ist  sie  am  vierten 
Tage  noch  nicht  da,  dann  wird  man  meistens  gut  tun,  das  Kalomel 
auszusetzen,  um  der  Intoxikationsgefahr  (Enteritis)  aus  dem  Wege 
zu  gehen.  Hat  sich  das  Kalomel  hingegen  als  wirksam  erwiesen, 
dann  kann  man  diese  Therapie  wiederholen ;  es  pflegt  dann  auch 
ein   zweites-  und  drittesmal  wirksam  zu  sein. J) 

Kalomelkuren  dürfen  nur  unter  genauester  ärztlicher  Kontrolle 
und  peinlichster  Vorsicht  vorgenommen  werden ;  in  Fällen  von 
Kachexie  sind  sie  zu  vermeiden.  Sorgfältige  Pflege  des  Mundes, 
wie  bei  Quecksilber  Schmierkuren,  kann  die  Stomatitis  zumeist  ver- 
hüten. Der  Mund  wird  mit  Kali  chloricum-Lösung  (20 — 30:  1000*0) 
oft  gespült,  die  Zähne  werden  dreimal  täglich  mit  Beiersdorfßcher  Kali 
chloricum-Zahnpasta  und  Zahnbürste  gereinigt,  das  Zahnfleisch  ist 
früh  und  abends  mit  Tr.  Ratanhiae  und  Tr.  Gallarum  aa.  zu  pinseln. 

Die  übrigen  Diuretika  sind  von  minder  sicherer  Wirkung. 

Vom  Kalium  aceticum  muß  man  größere  Dosen  gebrauchen  ; 
in  der  Regel  wird  die  Lösung  dieses  Salzes  verwendet,  der  Liquor 
Kalii  acetici,  zu  2*0 — 10*0  pro  dosi,  mehrmals  täglich  1 — 2 
Teelöffel,  bis  30  g  pro  die.  —  Es  kann  monatelang  ohne  Nachteil 
für  den  Kranken  gereicht  werden. 

Das  Strontium  lacticum  wird  in  Lösungen  von  25*0: 150*0, 
drei  bis  viermal  täglich  ein  Eßlöffel,  gegeben. 

Auch  derCremor  tartari,  2 — 3  g  pro  dosi,  mehrmals  täglich  in 
Wasser,  gilt  —  wie  es  scheint,  mit  Recht  —  als  diuretisches  Mittel. 

Eine  ausgesprochen  diuretische  Wirkung  zeigt  bisweilen  der 
Wacholderbeertee,  Fructus  Juniperi,  im  Aufgusse ,  ein  Eßlöffel 
der  zerstoßenen  Beeren  auf  eine  Tasse  Wasser. 


a)  Es  gibt  leider  Fälle,  die  schon  die  ersten  Kalomelgaben  mit  Sali- 
vation  beantworten,  wo  diese  Medikation  demnach  sofort  auszusetzen  wäre. 
Manche  Autoren  haben  auch  in  solchen  Fällen  die  Kalomeld arreichung  mit 
Erfolg  forciert. 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten.  6 


82  Allgemeine  Therapie. 

Lange  bekannt,  und  zumal  von  Kussmaul  und  Storch  em- 
pfohlen, ist  die  Verwendung  der  Semina  Colchici  bei  herab- 
gesetzter Diurese;  man  gibt  sie  am  besten  in  Infnsform  (1*0: 200*0), 
mehrmals  täglich  einen  Eßlöffel ;  wegen  der  Möglichkeit  des  Ein- 
tretens einer  kumulativen  Wirkung  ist  Vorsicht  geboten. 

Eines  gewissen  Ansehens  erfreut  sich  auch  der  Bulbus 
Scillae,  im  Inf us  1*0 — 1*5 ;  200*0.  Scilla  und  ihre  Präparate  wer- 
den meist  nur  als  Zusätze  zu  anderen  Diureticis  gebraucht,  deren 
besten  eines  der  sogenannte  Trousseausche  Wein  ist.  (Rp.  Vini 
alb.  1500*0,  Fruct.  Juniper.  100*0,  Bulbi  Scillae  12*0,  Fol.  digi- 
talis  22*0,  Macera  per  dies  4,  filtra,  adde  Kai.  acet.  30*0.  DS. 
Eßlöffelweise.) 

Auch  die  Radix  ononidis,  ein  Bestandteil  der  Species 
diureticae  (Rad.  ononid.,  Herb.  Spartii  scop.,  Fruct.  Juniperi,  Rad. 
Petroselini)  steht  im  Rufe  eines  wirksamen  Diuretikums  (sie  wird 
im  Dekokt  aus  30*0 — 60*0 :  500*0  gegeben),  ebenso  das  von  Winter- 
?iitz  empfohlene  Infus  der  Birkenblätter,  Folia  Betulae  30:200*0, 
zwei-  bis  dreimal  täglich. 

Der  Harnstoff  ist  nach  Romberg  als  Diuretikum  bei  Herz- 
affektionen wirkungslos,  der  Gebrauch  des  Natrium  salicylicum 
zu  widerraten ,  weil  die  großen  Dosen ,  welche  erforderlich  wären, 
die  ohnehin  darniederliegende  Verdauung  noch  weiter  beeinträchtigen 
würden  und  ihre  blutdrucksenkende  Wirkung  bei  den  herabgekom- 
menen Kranken  leicht  Kollapszustände  herbeiführen  könnte. 

Die  Milchkur  ist  gleichwie  für  manche  Erkrankungen  der 
Leber  und  der  Niere  auch  für  Herzkranke,  zumal  von  F.  A.  Hof- 
mann *)  empfohlen  worden.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  der 
Enthusiasmus,  mit  dem  manche  Aerzte  noch  heute  von  einer  abso- 
luten Milchkur  sprechen,  teilweise  berechtigt  ist,  denn  man  sieht 
dieselbe  bisweilen  in  ganz  verzweifelt  scheinenden  Fällen  von 
Erfolg  begleitet;  sie  verbindet  dann  oftmals  einen  hinreichenden 
Grad  von  Ernährung  mit  Flüssigkeitsentziehung  und  diuretischer  Salz- 
wirkung. Jedenfalls  aber  stellt  eine  solche  Kur  die  Ausdauer  des 
Kranken  hart  auf  die  Probe.  —  G.  See2)  hat  auf  die  diuretische 
Wirkung  des  Milchzuckers  aufmerksam  gemacht.  Er  gab  100  # 
pro  Tag  in  Wasser;  hoher  Albumingehalt  des  Harnes  stellt  eine 
Kontraindikation  dieser  Therapie  dar. 

Bei  der  Karelischen  Milchkur3)  trinkt  der  Kranke  in  kleinen  Quan- 
titäten mit  immer  kürzeren  Pausen  abgekochte,  kalte  Milch,  etwa  in  folgender 
Weise :  Zunächst  drei-  oder  viermal  am  Tage  in  bestimmten  Zwischenräumen 
60 — 200  cm3  abgerahmte  Milch,  Temperatur  nach    Geschmack   des   Kranken. 


*)  A.  F.  Hoffmann,  I.  c,  auch  „Diät.  Therapie". 

2)  G.  See,  Bull,  de  l'Acad.  de  med.,  1889. 

3)  Karell,  St.  Petersburger  med.  Zeitschr.,  Bd.  38.  —  Archives  generales, 
1866.  —  A.  F.  Hoffmann,  Handb.  d.  Ernährungstherapie,  Bd.  1,  pag.  582. 


Diaphorese.  $}\ 

Der  Kranke  darf  nur  in  kleinen  Schlucken  trinken  ,  damit  der  Speichel  sich 
genügend  mit  der  Milch  mischen  kann.  Bleibt  der  Stuhl  regelmäßig  und  fest, 
dann  steigt  man  in  der  zweiten  Woche  bis  auf  1500  cw8;  daneben  sind  von 
vornherein  andere  Speisen  nicht  gestattet.  Eintretender  Durchfall  wird  durch 
Einschieben  von  Schleimsuppen  bekämpft.  Die  strenge  Durchführung  ist  meist 
nur  durch  wenige  Wochen  nötig,  dann  setzt  man  wieder  leichte  Mahlzeiten 
an  Stelle  von  zuerst  einer,  dann  zwei  der  Milchdarreichungen;  am  längsten 
hält  man  den  Gebrauch  für  den  Mittag  und  Abend  bei.  —  In  dieser  strengen 
Form  dürfte  die  „Milchkur"  bei  Herzkranken  wohl  niemals  zur  Anwendung 
kommen. 

Diaphorese. 

Die  Vermehrung  der  Diaphorese  dient,  wie  die  Ver- 
mehrung der  Diurese,  der  Herzschonung. 

Die  Schwitzkuren  werden  entweder  auf  physikalische 
oder  auf  medikamentöse  Weise  durchgeführt.  Sie  erreichen 
die  angestrebte  Herzschonung  auf  einem  Umwege,  der  für 
das  Herz  mit  Gefahr  und  Anstrengung  verbunden  zu  sein 
pflegt,  d.  h.  jede  Diaphorese  erhöht  zunächst  das  Maß  der 
Herzarbeit.  Die  Einleitung  einer  Schwitzkur  setzt  daher 
eine  sorgfältige  vorherige  Untersuchung  und  die  genaue 
Überwachung  des  Kranken  während  der  Schwitzprozedur 
voraus,  denn  üble  Zufälle  gehören,  wenn  man  nicht  sehr  vor- 
sichtig ist,  hiebei  nicht  zu  den  Seltenheiten. 

Als  medikamentöse  Diaphoretica  gelten  in  erster 
Linie  die  Folia  Jaborandi  und  das  aus  denselben  dargestellte 
Pilokarpin,  dessen  salzsaures  Salz  offizinell  ist.  Die  Jaborandi- 
blätter  und  das  in  ihnen  enthaltene  Alkaloid  bewirken  Vermehrung 
der  Speichel-  und  Schleimsekretion ,  vor  allem  aber  gesteigerte 
Schweißsekretion.  In  manchen  Fällen  gut  vertragen,  führt  das  Pilo- 
karpin  ein  anderesmal ,  immer  in  vorher  unberechenbarer  Weise, 
bedrohliche  Kollapszustände  herbei,  die  von  Erscheinungen  des 
Lungenödems  begleitet  sind.  Diese  Wirkung  kommt  durch  Herab- 
setzung des  Blutdruckes  zustande. *)  Folia  Jaborandi  und  Pilokarpin 
sind  daher  bei  herabgesetztem  Blutdruck  nicht  angezeigt,  und  da 
dies  in  unseren  Fällen  wohl  mehr  oder  weniger  der  Fall  ist,  am 
besten  aus  dem  Heilschatze  der  Herztherapie  zu  streichen. 

Man  gibt  Folia  Jaborandi  im  Infus,  20—50  :  150-0— 2000,  das  Pilo- 
karpin subkutan  zu  O'Ol— 002  pro  dosi. 

Die  Technik  der  physikalischen  Diaphorese  vide  „Hydrotherapie". 

*)  Kahler  und  Soi/ka,  Arch.  f.  exp.  Path.  u.  Pharm.,  Bd.  7. 

6* 


84  Allgemeine  Therapie. 

Hautpunktion. 

Das  wirksamste  Mittel  zur  Entleerung  der  Ödeme  ist 
ein  mechanisches,  die  von  Curschmann1)  eingeführte  Haut- 
punktion. Unter  aseptischen  Kautelen  vollzogen,  kann 
sie  selbst  in  verzweifelten  Fällen  bisweilen  eine  günstige 
Wendung  des  Krankheitsverlaufes  herbeiführen.  Ihre  gute 
Wirkung  verdankt  sie  dem  Umstände  allein ,  daß  sie  die 
einzige  Methode  der  Ödementleerung  ist .  welche  vom  An- 
fange an  als  eine  schonende,  das  Maß  der  Herzarbeit  er- 
leichternde betrachtet  werden  kann ;  sie  erreicht  ihr  Ziel, 
den  Kreislauf  zu  entlasten,  direkt,  ohne  den  bisweilen  ver- 
hängnisvollen Umweg  der  medikamentösen  Ödementleerung, 
der  vermehrten  Inanspruchnahme  der  Kraft  des  insuffizienten 
Herzens. 

Zur  Hautpimktion  kann  man  die  Curschmann&chen  Haut- 
troikarts,  die  Soutlieyschen  Nadeln  und  die  Methoden  von  Dehio, 
Fürbringer,  Citron  und  Krönig  benützen. 

Die  durch  Auskochen  sterilisierten  Curschmannschen  Troikarts  (einer 
oder  zwei)  werden  nach  sorgfältiger  Hautdesinfektion,  die  Spitze  nach  auf- 
wärts, an  der  Außenseite  jedes  Oberschenkels  schräg  eingestochen,  bis  die 
Spitze  im  subkutanen  Gewebe  frei  beweglich  ist;  die  Mündung  soll  etwa 
1  Cm.  weit  aus  der  Haut  hervorragen.  Nun  wird  der  Stachel  hervorgezogen 
und  über  die  Kanülenmündung  ein  mit  steriler,  physiologischer  Kochsalz- 
lösung gefüllter,  vorher  ausgekochter  Gummischlauch  gebunden,  der  in  ein 
neben  dem  Bette  stehendes,  teilweise  mit  Kochsalzlösung  gefülltes  Gefäß 
hinabreicht.  Dadurch  wird  ein  saugend  wirkendes  Hebersystem  gebildet.  Der 
Schlauch  soll  lang  genug  sein ,  um  dem  Kranken  einen  gewissen  Grad  von 
Bewegungsfreiheit  zu  gewähren.  Die  Enden  der  Fäden,  welche  den  Schlauch 
über  der  Kanüle  festhalten,  werden  mit  Heftpflasterstreifen  in  der  Einstichs- 
richtung fixiert,  um  das  Herausgleiten  der  Kanüle  zu  verhindern.  Die  Ein- 
stichsstelle  selbst  wird  durch  ein  Heftpflasterkreuz  gedeckt,  das,  wenn  unter 
ihm  Ödemflüssigkeit  hervorsickert,  durch  Brunssche  Watta  zu  unterpolstern 
ist.  Die  Anlegung  der  Hautwunden  und  jeder  Verbandswechsel  erheischen 
die  strengste  Asepsis.  —  Schon  nach  dem  Herausziehen  des  Stachels  beginnt  in 
der  Regel  Ödemflüssigkeit  abzurinnen.  Man  kann  auf  diese  Weise  in  günstigen 
Fällen  ganz  unglaubliche  Flüssigkeitsmengen  abfließen  sehen.  Das  Ödem  der 
Beine  schwindet,  ebenso  die  Anschwellung  des  Skrotum  und  der  Bauchhaut, 
auch  die  Ergüsse  in  den  serösen  Höhlen  nehmen  ab.  In  ganz  besonders 
günstigen,    seltenen  Fällen  bessern    sich  Herzkraft  und  Zirkulation  nach  der 


l)  Curschmann,  Therap.  Monatshefte,  1894. 


Hautpunktion.  (Sf) 

Entleerung  der  Ödeme  so  sehr,  daß  man  langsam  wieder  zu  einer  übenden 
Therapie  übergehen  kann. 

Leider  verstopfen  sich  die  Lumina  der  Troikarts  leicht  durch  Koagula ; 
ist  24  Stunden  lang  nichts  abgeflossen,  dann  ist  es  zwecklos,  die  Kanülen 
liegen  zu  lassen.  Ein  „Dunstumschlag*  kann  unter  Umständen  die  Entleerung 
der  Flüssigkeit  begünstigen.  Nach  Entfernung  der  Troikarts  sind  die  Punktions- 
stellen aseptisch  zu  verbinden. 

Die  Southc yschen  Nadeln  zur  Hautpunktion  sind  schwerer  sterilisierbar 
als  die  Curschmannschen  Troikarts  und  verstopfen  sich  auch  leichter.  —  Um 
dem  Übelstande  abzuhelfen ,  der  durch  Verstopfung  der  Kanülen  die  Haut- 
punktion erschwert,  hat  Curschmann  Gefäße  mit  abnehmbarem  Deckel, 
„Drainage  kapseln",  konstruiert,  die  zuerst  ohne  Deckel  durch  Heftpflaster 
auf  die  Haut  fixiert  werden.  Dann  macht  man  innerhalb  der  von  der  Kapsel 
umschlossenen  Hautarea  Inzisionen,  setzt  den  Deckel  auf  und  führt  durch 
eine  Öffnung  desselben  zur  Vermeidung  der  Durchnässung  des  Bettes  einen 
Schlauch  in  ein  Gefäß  mit  Kochsalzlösung.  Die  Einhaltung  aseptischer  Kautelen 
wird  durch  die  Curschmannschen  „Drainagekapseln"  nur  wenig  gewährleistet. 
Ein  wenig  besser  geschieht  dies  durch  eine  von  Dehio  angegebene  Vorrichtung 
(St.  Petersb.  med.  Wochenschr.  1900).  Dehio  hat  auf  der  Mitte  einer  langen 
zweiköpfigen  Gummibinde,  ., Trichterbinde",  eine  kleine  Halbkugel  von  Gummi 
anlöten  lassen,  die  einen  abführenden  Gummischlauch  trägt.  Man  bezeichnet 
sich  die  zu  skarifizierende  Stelle,  deren  Größe  sich  nach  dem  Kapseldurch- 
messer zu  richten  hat,  und  legt  die  gut  desinfizierte  Kapsel,  sowie  die  zwei- 
köpfige Binde  so  fest  an,  daß  dieselbe  vollständig  wasserdicht  anliegen.  Die 
Ableitung  der  Ödemflüssigkeit  geschieht  in  der  gleichen  Weise  wie  bei  den 
„Drainagekapseln"  und  den  Troikarts.  Wenn  das  Ödem  und  damit  der  Umfang 
des  Beines  abnimmt,  muß  die  schlotternd  gewordene  Binde  fester  angezogen 
werden.  —  Die  Bedingungen  der  Asepsis  kann  daher  auch  der  Dehiosche 
Apparat  nicht  vollkommen  erfüllen.  —  Unter  dem  gleichen  Mangel  leiden  die 
handlichen  Punktionsapparate  von  Fürhringer  („Deutsche  med.  Wochenschr." 
1899)  und  Citron  (Ibidem  1902).  Einen  neuen  Punktionsapparat  hat  erst  vor 
wenigen  Wochen  Krönig   angegeben  (Verein  f.  inn.  Med.  i.  Berlin,  1903,  Febr.). 

Am  einfachsten  und  zuverlässigsten  ist  ohne  Zweifel  die  Ödementleerung 
durch  Skarifikationen :  In  der  Haut  des  Fußrückens  z.  B.  wird  ein  2—3  Cm. 
langer  Hautschnitt  appliziert,  die  Wunde  mit  einer  in  eine  antiseptische  Flüssig- 
keit getauchten  Kompresse  verbunden  und  der  Fuß  in  eine  herabhängende 
Stellung  gebracht.  Die  absickernde  Flüssigkeit  kann  in  einem  untergestellten 
Gefäße  aufgefangen,  das  Kältegefühl  durch  eine  nahe  aufgestellte  Wärme- 
flasche bekämpft  werden.  Man  kann  Skarifikationen  überall  anwenden,  selbst 
am  Penis  und  Skrotum  {Litten,  Verein  f.  inn.  Med.  i.  Berlin,   1903,  März). 

Die  Indicatio  vitalis  macht  in  seltenen  Fällen  eine  Pleura-  oder 
Peritonealhöhlen-Punktion  erforderlich.  Die  Entfernung  der  den 
Kreislauf  in  mechanischer  Weise  beschwerenden  Flüssigkeitsmengen 
beseitigt  oft  nicht  nur  die  augenblickliche  Lebensgefahr,  sondern  kann 
unter    Umständen    auch    von    anhaltendem    Erfolge    begleitet    sein. 


$6  Allgemeine  Therapie. 

Man  sollte  daher  eine  notwendig  scheinende  Punktion  nicht  allzu- 
sehr hinausschieben.  Eine  Punktion  des  Abdomens  wird  der  Sach- 
lage entsprechend  wohl  nur  äußerst  selten  vorgenommen  werden. 
Bei  Thoraxpunktionen  wird  vorher  zu  erwägen  sein,  wie  viel  von 
der  Dyspnoe  im  gegebenen  Falle  auf  Wirkung  des  Hydrothorax,  wie 
viel  auf  Rechnung  etwa  vorhandener  Lungeninfarkte  oder  Lobulär- 
pneumonien zu  setzen  ist.  Kann  man  letztere  nachweisen  oder  lassen 
sich  dieselben  vermuten  (Sputum) ,  dann  wird  die  Punktion  wohl 
nur  in  den  allerdringendsten  Fällen  gewagt  werden  dürfen.  Bei 
einseitigem  Pleuraergüsse  dürfte  sich  die  Notwendigkeit  einer 
Punktion  ergeben,  wenn  das  Flüssigkeitsniveau  bei  Aufrechthaltung 
des  Kranken  bis  zur  3.  Rippe  reicht,  bei  beiderseitigem  Ergüsse, 
wenn  dasselbe  unter  den  genannten  Verhältnissen  auf  der  einen 
Seite  bis  zur  4.  Rippe  reicht.  Es  ist  selbstverständlich,  daß  in 
Fällen,  wo  der  Hydrothorax  sich  wegen  Verwachsung  der  Pleura- 
blätter nur  einseitig  entwickeln  kann,  oder  wo  komplizierende 
Affektionen  wie  Pleuritis  (im  Anschlüsse  an  Lungeninfarkt),  Leber- 
zirrhose etc.  vorhanden  sind ,  auch  schon  geringere  Flüssigkeits- 
.•insainmlungen  die  Vornahme  der  Punktion  empfehlen  können. 


Diätetische  Therapie. 

Wie  bei  jeder  chronischen  Krankheit,  so  spielt  auch 
bei  den  Herzkrankheiten ,  deren  überwiegende  Mehrzahl 
dauernde  Veränderungen  zur  Folge  hat1)  und  ein  andauerndes 
Mißverhältnis  zwischen  Herzkraft  und  Belastung  des  Herzens 
schafft,  eine  rationelle  Diät  einen  wichtigen  Bestandteil 
der  Therapie. 

Mit  einer  rationellen  Diät  bezwecken  wir  eine  Scho- 
nung des  Herzens,  eine  Verminderung  der  Herzarbeit. 
Das  Herz  leistet  einen  erheblichen  Teil  der  vom  Körper 
überhaupt  geleisteten  Arbeit.  Die  Arbeit  des  Herzens  steht 
in  einer  gewissen ,  durch  seine  Innervation  geregelten  Be- 
ziehung zur  Größe  des  Sauerstoffverbrauches,  denn  das  Herz 


*)  Die  Diätetik  der  akuten  Herzkrankheiten  ist  in  den  speziellen  Kapiteln 
erörtert  worden. 


Diätetische  Therapie.  g7 

muß  umso  mehr  Blut  umtreiben,  je  mehr  Sauerstoff  die 
Organe  brauchen  (N.  Zuntz).1) 

Wir  können  daher,  indem  wir  dem  Körper  Ver- 
dauungsarbeit ersparen,  auch  eine  Schonung  des 
Herzens  bewerkstelligen. 

Eine  rationelle  Diätvorschrift  für  einen  Herzkranken 
hat  daher  folgende  Gesichtspunkte  zu  umfassen: 

1.  Sie  muß  der  Ernährung  unter  den  geänderten 
Verhältnissen  des  Herzfehlers  Rechnung  tragen, 
indem  sie  dem  Kräftezustande  des  Kranken  sorgfältige  Auf- 
merksamkeit zuwendet,  dabei  das  durch  die  Kreislaufsstörung 
geänderte  Resorptionsvermögen  des  Darmes  berücksichtigt 
und  auch  die  individuellen  Verhältnisse  des  konkreten 
Krankheitsfalles  (Beruf,  soziale  Verhältnisse)  nicht  vernach- 
lässigt. 

2.  Sie  kann  die  spezielle  Herzkrankheit  selbst 
therapeutisch  beeinflussen. 

Ein  solcher  Fall  liegt  uns  z.  B.  vor,  wenn  wir  an  die 
Behandlung  eines  Fettleibigen  herantreten ,  dessen  Herz- 
insuffizienz-Erscheinungen aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auf 
die  Fettleibigkeit  allein  zurückzuführen  sind.  Hier  ist  die 
Diätetik  ein  wesentlicher  therapeutischer  Faktor ,  der  die 
Krankheit  selbst  direkt  beeinflußt.  Nehmen  wir  ferner  den 
Fall  einer  Aorteninsuffizienz,  dann  finden  wir,  daß  durch 
reichliche  Flüssigkeitszufuhr,  „Plethora",  die  Herzarbeit  er- 
leichtert wird  (B.  Lewy2).  Das  Gegenteil  liegt  etwa  bei  einer 
Mitralstenose  vor;  je  geringere  Flüssigkeitsmengen  das  Herz 
zu  bewältigen  hat,  desto  leichter  vermag  es  sich  den  durch 
die  Mitralstenose  bedingten  Veränderungen  anzupassen. 

3.  Eine  rationelle  Diätetik  kann  schließlich  durch 
quantitative  und  qualitative  Indikationsstellung  prophy- 
laktische   Maßnahmen    der    Herzschonung     in    Betracht 


*)  „Eine  strenge  Proportionalität  zwischen  Größe  des  Sauerstoffver- 
brauches im  gesamten  Organismus  und  Arbeitsleistung  des  Herzens  dürfen 
wir  freilich  deshalb  nicht  erwarten,  weil  bei  der  normalen  Zirkulation  der 
Sauerstoffgehalt  des  Arterienblutes  nicht  aufgebraucht  wird"  (X.  Zuntz,  Deutsche 
med.  Wochenschr.,   1892,  Nr.  6). 

2)  B.  Lewy,  1.  c. 


$#  Allgemeine  Therapie. 

ziehen.  Oft  sind  es  recht  gleichgültig  scheinende  Mittel, 
durch  welche  sie  diese  Wirkungen  erzielt. 

Die  Mehrzahl  der  Menschen  ist  gewohnt,  die  Bedürf- 
nisse des  Körperhaushaltes  zu  überdecken  ,  d.  h.  mehr  als 
notwendig  ist,  zu  essen.  Schränkt  man  ihre  Diät  ein,  dann 
ist  damit  schon  eine  namhafte  Herzschonung  gegeben.  Mehr 
noch  als  durch  unnötig  große  Zufuhr  von  festen  Speisen, 
pflegen  viele  Menschen  durch  übermäßige  Flüssigkeitsauf- 
nahme ihren  Kreislauf  zu  belasten.  Oertel1)  hat  darauf  hin- 
gewiesen ,  daß  die  mit  dem  Trinken  verbundene  Genuß- 
empfindung allein  ausschlaggebend  ist  für  die  Größe  der 
Flüssigkeitsaufnahme  und  das  Durstgefühl  häufig  nur  durch 
die  Gewohnheit  angeregt  und  unterhalten  wird.  Die  Reduktion 
der  Flüssigkeitsaufnahme  auf  das  Maß  des  Notwendigen  kann 
die  Arbeit  für  das  Herz  jedenfalls  vermindern. 2)  —  Vielen 
Menschen,  namentlich  Bewohnern  der  Großstadt,  läßt  der 
Beruf  buchstäblich  nicht  die  Zeit  zum  Essen  übrig.  Solche 
Individuen  nehmen  nur  wenige  Mahlzeiten,  und  diese  hastig, 
jedesmal,  dem  großen  Hungergefühle  entsprechend,  in  großen 
Quantitäten,  ein.  Wenn  sie  dann,  unter  dem  unabweisbaren 
Zwange  einer  etwa  beginnenden  Herzinsuffizienz,  ihre  Mahl- 
zeiten richtig  einteilen ,  sich  die  unumgänglich  notwendige 
Zeit  zum  Essen  lassen,  d.  h.  die  Speisen  hinreichend  kauen 
und  damit  die  vom  Magen-Darmtrakte  aufzubringende  Arbeit 
besser  einleiten ,  dann  trägt  auch  diese  scheinbar  gering- 
fügige Änderung  schon  zur  Erleichterung  der  Herztätigkeit 
bei.  Dazu  kommt,  daß  eine  geregelte,  korrekte  Nahrungs- 
zufuhr die  Verdauung  regelt  und  damit  die  Stuhlentleerung 
befördert,  was  gerade  bei  Herzkranken  —  wie  wir  noch 
hören  werden  — -  eine  große  Bedeutung  hat. 

Der  nämliche  Gesichtspunkt  betrifft  die  Zusammen- 
setzung der  Nahrung,  ihre  Qualität.  Die  zur  Erhaltung 
des  Stoffwechselgleichgewichtes  notwendigen  Nahrungsmittel, 
Eiweiß,  Fett,  Kohlehydrat,  können  einander  bis  zu  einem 
gewissen  Grade,  aber  nicht  durchaus,  vertreten.  Eine  gewisse 


*)  L.  c. 

2)  Man  darf   sich  aber  nicht  vorstellen,    daß  die  aufgenommene  Flüs- 
sigkeit ohne  weiteres  die  Blutmenge  vermehre  (Hoffmann). 


Diätetische  Therapie.  89 

Menge  von  Fett,  von  Eiweiß,  von  Kohlehydrat  ist  für  eine 
rationelle  Ernährung  unbedingt  notwendig.  Wollte  man 
z.  B.  einen  Teil  des  leicht  verbrennbaren  Kohlehydrats  durch 
vermehrte  Eiweißzufuhr  ersetzen,  dann  würde  den  Körper- 
zellen dadurch  eine  Mehrarbeit  auferlegt  werden,  denn  die 
Zerlegung  des  hoch  zusammengesetzten  Eiweißmoleküls  setzt 
eine  viel  größere  Stoffwechselleistung  voraus,  als  die  Ver- 
brennung des  viel  einfacheren  Kohlehydrates.  Nun  linden 
wir  aber  in  der  Praxis,  zumal  in  den  besten  Gesellschafts- 
schichten,  einen  wahrhaften  Eiw  eißabusus ,  der  also  eine 
Luxusbelastung  des  Stoffwechsels  zur  Folge  hat. 

Nach  Huchard1)  hält  die  Zunahme  der  Herzkranken 
in  Frankreich  gleichen  Schritt  mit  der  Zunahme  des  Fleisch- 
konsums ;  nach  Neufville  und  Wolfhügel 2)  stellen  Metzger  ein 
besonders  großes  Kontingent  der  Herzkranken. 

Aus  dem  bisher  Gesagten  ergibt  sich  der  diätetische 
Grundsatz,  dem  Herzkranken  so  viel  an  Nahrung 
zuzuführen,  als  er  zur  Erhaltung  seines  Körperge- 
wichtes notwendig  hat  (wir  wollen  die  Therapie  des 
„Fettherzens"  an  geeigneter  Stelle  gesondert  besprechen), 
nicht  zu  viel,  aber  auch  nicht  zu  wenig  und  die  richtigen 
Mengen  in  richtiger  Zusammensetzung  und  Ver- 
teilung. Daß  es  hiebei  zweckmäßig,  ja  oft  unerläßlich  ist, 
sich  durch  genaue  Körperwägungen  leiten  zu  lassen, 
liegt  auf  der  Hand.  Der  Arzt,  der  die  Eegeln  der  Diätetik 
beherrscht,  der  die  Nahrung  nach  ihrer  Verdaulichkeit 
zu  qualifizieren  verstellt  und  der  schließlich  dem  indivi- 
duellen Geschmacke  und  den  materiellen  Verhältnissen  seiner 
Kranken  Rechnung  trägt,  findet  hier  ein  weites  Feld  der 
Betätigung.  Die  moderne  Krankenpflege  gibt  ihm  viele  Mittel 
an  die  Hand,  diese  Aufgabe  zu  erfüllen. 

Was  versteht  man  unter  Verdaulichkeit?  Die  Fähigkeit  eines 
Stoffes,  durch  die  Wirkung  der  Verdauungssäfte  rascher  oder  langsamer  zur 
Aufsaugung  in  die  Lymph-  und  Blutbahnen  geeignet  zu  werden  (Hirschfeld, 
Nahrungsmittel  und  Ernährung).  Leicht  verdaulich  sind  Speisen,  welche  im 
Magen  rasch  von  den  Verdauungssäften  angegriffen  werden,    so  daß  sie  bald 


*)  Huchard,  1.  c. 

2)  Zit.  nach  Burwinkel,  XXII.  Deutscher  Balneologen-Kongreß,  1901 


90  Allgemeine  Therapie. 

in  den  Darrakanal  übergehen  und  hier  in  dem  ihnen  entsprechenden  Maße 
zur  Resorption  gelangen.  Die  meisten  unserer  Nahrungsmittel  werden  diesen 
beiden  Bedingungen  gerecht,  So  wird  Fleisch  vom  Magensafte  rasch  ange- 
griffen und  im  Darme  fast  vollständig  resorbiert.  Eine  Ausnahme  macht  der 
Käse,  der  im  Magen  leicht  Beschwerden  hervorruft,  während  die  Ausnützung 
im  Darme  eine  vorzügliche  ist.  Das  Umgekehrte  ist  oft  mit  der  Milch  der 
Fall.  Eine  allgemein  gültige  Skala  der  Verdaulichkeit  der  Speisen  aufzustellen, 
ist  nicht  möglich ,  weil  bei  der  Frage  der  Verträglichkeit  dieser  oder  jener 
Speise  die  individuellen  Eigentümlichkeiten  und  Gewohnheiten  eine  nur  allzu 
oft  unterschätzte  Rolle  spielen.  Von  dieser  Fehlerquelle  abgesehen,  kann  man 
Milch,  Bouillon,  Eier,  Zwieback  zu  den  am  leichtesten  verdaulichen  Nahrungs- 
mitteln zählen,  in  eine  zweite  Kategorie  gekochtes  Huhn,  Hirn,  Bries  stellen, 
in  eine  dritte  rohes  gehacktes  Rindfleisch  oder  Schinken,  Beefsteak  (leicht  ge- 
braten), Kartoffelbrei,  alte  Semmeln,  Milchkaffee,  Milchtee,  in  die  vierte  die 
meisten  Fleischarten  (gebraten),  Eierspeisen,  leichten  Fisch,  Hecht,  Forelle  etc. 
setzen.  Dieses  Diätschema,  das  von  Leube  für  Magenkranke  aufgestellt  wurde, 
mag  auch  für  den  Herzkranken  als  Maßstab  dienen,  doch  ist  für  diesen  in- 
soferne  eine  Ausnahme  zu  machen,  als  er  nur  geringe  Nahrungsmengen  er- 
halten soll  und  sein  durch  den  Stauungskatarrh  geschädigter  Darmtrakt  oft 
geringere  Mengen  einer  etwas  schwerer  verdaulichen  Speise  großen  Mengen 
einer  leicht  verdauliehen  vorziehen  wird,  schon  deshalb,  weil  die  mechanische 
Wirkung  kleinerer  Mengen  im  Magen  eine  geringere  ist.  Schwarzbrot  ist 
schwerer  verträglich  als  Weißbrot,  weil  das  Roggenmehl  viel  mehr  Kleie  ent- 
hält als  das  Weizenmehl ,  pflanzliches  Eiweiß  schwerer  verdaulich  als 
tierisches.  Schwer  verträglich  sind,  zumal  für  den  Herzkranken,  die  blähenden 
Speisen,  z.  B.  Kraut,  Kohl,  ferner  die  sogenannten  Hefemehlspeisen,  die  durch 
Gasentwicklung  den  Magendarmtrakt  dilatieren,  das  Zwerchfell  in  die  Höhe 
drängen  und  dadurch  in  nachweisbarem  Maße  Herzbeschwerden  erzeugen. 

Für  die  Verdaulichkeit  ist  die  Zubereitung  der  Speisen  von 
großer  Bedeutung.  Gebratenes  Fleisch  ist  schwerer  zu  vertragen  als  rohes, 
geschabtes  oder  gekochtes  Fleisch.  Alle  Fleischspeisen  werden  durch  mecha- 
nische Zerkleinerung,  in  Breiform,  leichter  verträglich.  Von  Fetten  ist  die 
Butter  zumeist  am  leichtesten  zu  vertragen,  dann  kommt  Rahm,  Schweine- 
fett, Gänsefett.  Die  Vegetabilien,  vor  allem  die  Hülsenfrüchte  und  die  grünen 
Gemüse,  auch  das  Obst  werden  durch  längeres  Kochen  leichter  verträglich, 
zumal  wenn  man  sie  nach  dem  Kochen  passiert,  d.  h.  durch  ein  Sieb  treibt, 
wobei  sie  ihre  Zellulosehüllen  oder  die  zellnlosehältigen  Anteile  verlieren. 
Blähend  wirkt  auch  rohes  Obst,  besonders  Äpfel,  ebenso  Apfelwein.  Frisches 
Brot  ist  schwerer  zu  vertragen  als  älteres,  wahrscheinlich  weil  das  frischere, 
weichere,  weniger  eingespeichelt  und  rascher  geschluckt  wird  (Hirschfeld). 
Daher  ist  der  harte  Zwieback  eines  der  am  besten  verträglichen  Nahrungs- 
mittel. Eier  werden  von  schwer  Herzleidenden  in  der  Regel  sehr  schlecht 
vertragen ,  wohl  deshalb ,  weil  sie  zu  lebhafter  Gasentwicklung  im  Darme 
Veranlassung  geben.  —  Daß  auch  bei  der  Bestimmung  der  Verdaulichkeit,  je 
nach  der  Zubereitung  der  Speisen,  Eigentümlichkeiten  und  Gewohnheiten  des 


Diätetische  Therapie.  91 

einzelnen  eine  schwerwiegende  Bedeutung  haben ,  muß  nicht  erst  besonders 
hervorgehoben  werden.  Bekannt  ist  z.  B.  der  unüberwindliche  Ekel  mancher 
Menschen  vor  rohem  oder  halb  abgebratenem  Fleisch,  fetten  Speisen  etc. 

Die  Rolle,  welche  die  Salze  der  Nahrung  im  gesunden  und  kranken 
Organismus  spielen,  ist  noch  nicht  endgültig  festgestellt.  In  den  Magen  ein- 
geführte Salzlösungen  regen  infolge  ihres  hohen  osmotischen  Drucks  Flüssig- 
keitsbewegungen an ,  deren  Energie  nach  dem  Gesetze  ihrer  Konzentration 
und  der  Dissoziationsprodukte  (Ionen)  ihrer  Salze  von  den  in  der  Volums- 
einheit enthaltenen  Molekülen  abhängig  ist. l)  Da  die  eiweißreichen  Flüs- 
sigkeiten im  Organismus  nur  einen  geringen  osmotischen  Druck  aufweisen, 
werden  durch  in  den  Magen  gebrachte  Salzlösungen  Bewegungen  der  Salz- 
moleküle gegen  das  Blut  veranlaßt,  die  Salze  in  das  Blut  aufgenommen. 
Dadurch  steigt  der  osmotische  Druck  des  Blutes  und  nun  kann  an  anderen 
Stellen  eine  Salzbewegung  in  entgegengesetzter  Richtung  erfolgen.  Diese  der 
physikalischen  Chemie  zu  dankende  Erklärung  macht  es  uns  verständlich, 
daß  Zusatz  von  Salzlösungen  zur  Nahrung  die  Resorption  der  letzteren  be- 
fördert und  daß  die  Zufuhr  von  Salzen  in  den  Organismus  die 
Diurese  zu  steigern  vermag. 

Wie  sehr  Verschiedenheiten  der  Nahrung  die  vom  Herzen 
zu  leistende  Arbeit  zu  ändern  vermögen ,  zeigen  uns  die  Unter- 
suchungen der  letzten  Jahre  über  den  inneren  Reibungswider- 
stand des  Blutes,  die  Viskosität  desselben,  die  auf  eine  Reihe 
von  dunklen  Fragen  der  Pathologie  ein  helles  Licht  zu  werfen  ver- 
sprechen. 2)  Die  Arbeit  .des  Herzens  ist  desto  größer,  je  größer  der 
Reibungszustand  des  Blutes  ist,  beim  Hunde  viermal  größer,  als 
wenn  statt  des  Blutes  Wasser  durch  die  Gefäße  liefe ;  diese  Arbeit 
kann  nach  reiner  Fleischkost  auf  das  Achtfache  ansteigen :  Hunger- 
zustand, Blutentziehung,  wasserreiche  Nahrung,  setzen  die  Viskosität 
des  Blutes  herab.  Die  Viskosität  des  Gesamtblutes  nach  Fleisch- 
fütterung ist  wesentlich  größer,  als  nach  Fettfütterung  (Russell 
Burton* Opitz).  Eine  sichere  Verwertung  der  Resultate  dieser  inter- 
essanten Untersuchungen  für  praktische  Zwecke  ist  noch  nicht 
möglich ;  sie  zeigen  uns  jedoch  schon  heute  in  experimenteller  Be- 
leuchtung das  Wesen  einer  „Osmodiätetik"  3)  des  Herzens  und 
bringen  uns  eine  Erklärung  dafür,  warum  man  unter  Umständen 
die  vegetarianische  Diät  als  eine  Schonungsdiät  bezeichnen 
kann.  Es  ist  übrigens  schon  lange  bekannt ,  daß  vegetarianisch 
lebende  Individuen  ceteris  paribus  auch  eine  auffallend  geringe 
Pulsfrequenz    zeigen  und  wir  wissen ,    daß    die  Pulsverlangsamung, 


*)  Theod.  Paul,  Die  Bedeutung  der  Ionentherapie  f.  d.  physikal.  Chemie, 
Tübingen  1901  u.  a.  a.  0. 

2)  Hürthle,  Russell  Burton-Opitz,  Pflügers  Arch.,  Bd.  82.  —  C.  Hirsch, 
Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  68.  —  C.  Hirsch  und  C.  Beck,  Münchener 
med.  Wochenschr.,  1900,  Nr.  47,  Yerhandl.  d.  XIX.  Kongr.  f.  innere  Med. 

3)  H.  St?~auss,  Therapie  d.  Gegenwart.  1902,  Nr.  10. 


92  Allgemeine  Therapie. 

z.  B.  bei  Mitralaffektionen,  in  günstigem  Sinne  zu  wirken  vermag. 
Leider  stellen  sich  der  Durchführung  einer  vegetarischen  Diät 
in  praxi  oft  Schwierigkeiten  entgegen.  Die  Ausnutzung  derselben 
ist  oftmals  eine  unzureichende ,  es  treten  Verdauungsbeschwerden 
auf  und  dann  liegt  die  Gefahr  der  Unterernährung  nahe,  die  zumal 
bei  heruntergekommenen  Individuen  zu  vermeiden  ist.  Trotzdem 
wird  es  immer  des  Versuches  wert  sein,  festzustellen,  ob  die  vege- 
tarische Schonungsdiät  in  einem  konkreten  Falle,  zumindest  für 
einige  Zeit,  durchführbar  ist.  Die  Zuhilfenahme  eines  vegetarischen 
Kochbuches  kann  zur  Verdaulichkeit  und  Abwechslung  einer  solchen 
Kostform  sicherlich  viel  beitragen. 

Der  Wert  einer  vegetarianischen  Diät  ist  bei  vielen  Indi- 
viduen in  einer  durch  diese  Diätform  bewirkten  Stuhlregulierung 
zu  suchen. 

Auch  die  Technik  der  Ernährung  selbst,  nämlich  die  Technik 
der  Nahrungsherrichtung  und  Darreichung,  ist  bei  der  Pflege  der  Herzkranken 
von  großer  Bedeutung.  So  ist  es  z.  B.  zweckmäßig,  daß  der  Herzkranke  eine 
halbe  Stunde  vor  jeder  Mahlzeit  in  völliger  Körperruhe  verbringe.  Der  Herz- 
kranke zieht  kühlere  Speisen  zumeist  wärmeren  vor,  extrem  kühle  Speisen 
erzeugen  ihm,  wie  zu  heiße,  Schauern  und  Frösteln,  verstärken  einen  be- 
stehenden Hustenreiz,  bedingen  Herzklopfen.  Die  Erhöhung  der  reflektorischen 
Erregbarkeit  des  Herzens  macht  uns  diese  Wirkungen  verständlich.  Die  Art 
und  Weise,  wie  die  Speisen  gereicht  werden,  die  Körperhaltung  des  Kranken, 
zumeist  des  bettlägerigen  Kranken,  während  der  Nahrungsaufnahme,  die 
psychisch-hygienische  Gestaltung  der  Umgebung  und  noch  viele  andere  „Im- 
ponderabilien der  Krankenpflege''  sind  für  den  Herzkranken ,  dessen  Leiden 
und  Pflegebedürfnis  sich  oft  über  Monate  und  Jahre  erstrecken,  der  speziellen 
Beachtung  wert.  All  die  tausendfachen  Kleinigkeiten  der  Krankenpflege, 
durch  welche  der  Hausarzt  so  unendlich  viel  zum  subjektiven  Besserbefinden 
seines  Pfleglings  beitragen  kann  und  die  für  den  Herzkranken  die  Summe 
des  Lebens  ausmachen,  hat  der  auf  diesem  Gebiete  so  verdienstvolle 
M.  Mendelsohn  in  seiner  Abhandlung  „Die  Technik  und  der  Komfort  der 
Ernährung"  (Handbuch  der  Ernährungstherapie  von  E.  v.  Leyden)  zusammen- 
gestellt. 

Als  spezielle  Verhaltungsmaßregeln  mögen  die  folgen- 
den gelten :  Kranke  von  gutem  Ernährungszustande  mit 
Insuffizienzerscheinungen  des  ersten  Grades  wird  man  vor 
Überernährung  zu  schützen  und  auf  schwerer  verdauliche 
Speisen  aufmerksam  zu  machen  haben,  im  übrigen  aber  auf 
die  kleinen  Gewohnheiten  des  Lebens  nicht  verzichten  lassen. 
Unterernährte  Herzkranke  sollen  sich  reichlicher  ernähren, 
nicht  durch  Vermehrung  der  Quantität  der  einzelnen  Mahl- 
zeit, sondern  durch  häufigere,   etwa- in  zwei-  bis  dreistünd- 


Diätetische  Therapie.  93 

liehen  Intervallen  wiederkehrende  Nahrungsaufnahme.  Eine 
übermäßige  Anfüllung  des  Magens  ist  immer  kontraindiziert, 
vor  allem  am  Abend. x)  Der  Herzkranke  soll  nie  mit  vollem 
Magen  ins  Bett  gehen ;  die  letzte  Nahrungsaufnahme  am 
Abend  erfolge  mindestens  drei  Stunden  vor  dem  Zubette- 
gehen. 

Zur  Überernährung  eignet  sich  vor  allem  die  Milch, 
weil  sie  meist  leicht  verdaulich  ist  und  wahrscheinlich  auch 
diuretisch  wirkt.  Man  kann  die  Milch  z.  B.  statt  anderer 
durststillender  Getränke,  gleichsam  als  Daraufgabe,  trinken 
lassen  und  so  leicht  Ansatz  von  Körpersubstanz  herbei- 
führen. 

Bei  Individuen,  welche  Widerwillen  gegen  Milch  be- 
sitzen, gebe  man  den  Versuch,  Milch  trinken  zu  lassen,  nicht  so- 
gleich auf;  sondern  überzeuge  sich  zuerst  davon,  ob  tatsächlich 
nach  Milchaufnahme  Verdauungsbeschwerden  eintreten.  Oft  kann 
man  die  Abneigung  der  Kranken  zu  ihrem  Vorteile  besiegen ;  die 
Milch  ist  die  einzige  Nahrung,  welche  ohne  spezielle  Bestimmun- 
gen eine  ungefähre  Dosierung  erlaubt 2),  auch  dürfte  übermäßiger 
Milchgenuß  kaum  jemals  vorkommen.  Man  sieht  bei  vielen  Herz- 
kranken schwere  Störungen  unter  absoluter  Milchdiät  vollkommen 
verschwinden  und  muß  die  absolute  Milchdiät  als  ausgespro- 
chenste Schonungsdiät  des  Herzens  bezeichnen,  die  von  Zeit 
zu  Zeit  und  für  einige  Tage  bei  Herzkranken  immer  wieder  zur 
Anwendung  kommen  sollte.  Oft  wird  die  Milch  am  Nachmittage 
besser  als  am  Morgen  vertragen.  Der  für  viele  unangenehme  Ge- 
schmack kann  durch  Zusatz  von  etwas  Kaffee,  Tee,  Kakao,  Kochsalz, 
einigen  Tropfen  Kognak  beseitigt  werden.  Pasteurisierte  Milch 
behält  mehr  als  die  gekochte  den  Geschmack  und  Geruch  der  rohen 
und  wird  von  vielen  Kranken  lieber  genommen.  Die  stopfende, 
blähende  Wirkung,  welche  Milch  bei  vielen  Kranken  herbeiführt, 
läßt  sich  durch  Kalkmilchzusatz,  1—2  Eßlöffel  auf  1  Liter  Milch, 
oft  erfolgreich  beseitigen.  Den  gleichen  Effekt  führt  Zusatz  von  Reis-, 
Gersten-,  Haferschleim  etc.  herbei. 

Die  Frage  der  Regelung  der  Flüssigkeitszufuhr 
bei  Herzkranken  hat  —  wie  wir  bereits  gehört  haben  — 


*)  Schon  bei  Morgagni  („De  sedibus  et  causis  morborum  etc."  17(55) 
findet  sich  folgender  Satz:  „Intestina  flatus  distendunt  adeo,  utsepto  trans- 
verso  et  huic  in  combenti  cordi  incommodent."  In  gleichem  Sinne  äußerte  sich 
Senac  („Traite  de  la  strueture  du  coeur  etc.",  1749). 

2)  Ein  ruhender  gesunder  Mensch  kann  mit  ungefähr  3  l  Milch  pro  Tag 
leben  (Hoffmann),  bettlägerige  Kranke  kommen  mit  2  l  vollkommen  aus. 


<J4  Allgemeine  Therapie. 

namentlich  Oertel l)  hervorgehoben ,  nachdem  dieselbe  schon 
lange  vorher  von  Stokes2)  berührt  worden  war. 

Wir  wollen  auf  den  Oertehchen  Gesichtspunkt  der  E  r- 
leichterung  der  Herzarbeit  durch  Einschränkung 
der  Flüssigkeitsmenge  im  Körper  hier  nochmals  ein- 
gehen, weil  derselbe  nicht  nur  prophylaktischen,  sondern  auch 
therapeutischen  Indikationen  zu  dienen  beabsichtigt. 

Oertel  ging  von  der  Beobachtung  aus,  daß  sich  durch 
andauernde  Zirkulationsstörungen  eine  Veränderung  der 
Wasserbilanz  des  Organismus,  ein  Mißverhältnis  zwischen 
Aufnahme  und  Ausscheidung  von  Flüssigkeit,  entwickle,  und 
nahm  an,  daß  daraus  allmählich  eine  Vermehrung  des 
Wasserreichtums  des  Körpers,  Vermehrung  der  Blutmasse, 
hydrämische  Plethora  entstehe,  eine  Veränderung,  zu 
welcher  Eiweißverluste  durch  die  Niere  (Stauungsalbumin urie) 
mehr  oder  weniger  beitragen  sollten.  Dieser  Annahme  ent- 
sprechend hat  Oertel  bei  allen  Zirkulationsstörungen  behufs 
Erleichterung  der  Herzarbeit  eine  Verminderung  der  Flüssig- 
keitsmenge, eine  Entwässerung  des  Körpers  angestrebt 
und  dieselbe  einerseits  durch  Einschränkung  der  Flüssig- 
keitsaufnahme,  andererseits  durch  Steigerung  der  Wasser- 
abgabe zu  erreichen  gesucht. 

Die  Reduktion  der  Flüssigkeit  sollte  eine  Entlastung 
des  Gefäßsystems  und  eine  Erleichterung  der  Herzarbeit 
direkt  und  indirekt  (durch  Steigerung  der  Oxydationsprozesse, 
der  Fettverbrennung,  also  durch  Entfettung)  bewirken.  Durch 
Änderung  der  Nahrungszufuhr  und  übende  Maßnahmen,  die 
wir  kennen  lernen  werden ,  suchte  Oertel  gleichzeitig  eine 
Vermehrung  der  Leistungsfähigkeit  des  Herzens  herbeizu- 
führen. 

Die  Einschränkung  der  Flüssigkeitszufuhr  als  thera- 
peutischer Faktor  bei  Herzkrankheiten  ist  seinerzeit  rasch 
zum  Schlagworte  geworden  und  allenthalben  wurden  die 
Herzkranken  wahllos  und  kritiklos  den  unsinnigsten  Durst- 
kuren unterzogen.  Begreiflicherweise  hat  sich  mit  zahlreichen 
Mißerfolgen  eine  Reaktion  gegen  die  ÖerteZ-Kuren  eingestellt 


1)  Oertel,  1.  c. 

2)  Stokes,  1.  c. 


Diätetische  Therapie.  95 

und  dieselben  waren  alsbald  ebenso  verrufen  wie  sie  vorher 
gepriesen  und  empfohlen  worden  waren. 

Unterzieht  man  jedoch  die  Vorschriften  Oertels  über 
Flüssigkeitseinschränkung  als  therapeutischen  Gesichtspunkt 
bei  Herzkranken  einer  aufmerksamen  Betrachtung,  dann 
erkennt  man,  daß  dieselben  für  viele  Fälle  wohl  geeignet, 
für  andere  durchaus  ungeeignet  erscheinen,  daß  sie  demnach 
bei  strenger  Individualisierung  eine  bleibende  Bedeutung 
behalten   können. 

Durch  Verringerung  der  Blutmenge  des  Körpers  kann 
man  einem  Herzen  mit  Mitralstenose  oder  Aortenstenose  in 
der  Tat  Arbeit  ersparen ,  andererseits  aber  erleichtert  eine 
Plethora  bei  der  Aorteninsuffizienz  geradezu  die  Herzarbeit 
(B.  Lewy1). 

Wir  haben  ferner  gehört,  daß  der  innere  Reibungs- 
widerstand des  Blutes  durch  wasserreiche  Nahrung  herab- 
gesetzt wird,  durch  stärkere  Konzentration  des  Blutes  wächst. 
Erhöhung  des  Reibungswiderstandes  verringert  nun  die 
Rückflußmenge  bei  Aorteninsuffizienz ,  wirkt  also  hier  in 
vorteilhafter  Weise,  kann  jedoch  bei  einer  Stenose  die  Herz- 
arbeit nicht  unbeträchtlich  erhöhen ,  demnach  schädlich 
wirken  (B.  Lewy). 

Schon  diese  wenigen  Beispiele  zeigen,  daß  es  unrichtig 
ist,  der  Oertehchen  „Durstkur"  Allgemeinbedeutung,  für  alle 
„Herzfehler",  beizumessen.2) 

Für  die  strukturellen  Erkrankungen  des  Herzens  dürfte 
sie  ebenso  wie  für  „Stenosen"  von  Fall  zu  Fall  in  Erwägung 
zu  ziehen  und  zu  versuchen  sein. 

Jedenfalls  ist  es  empfehlenswert,  bei  allen  Krankheits- 
fällen, in  denen  sich  Ödeme  einstellen ,  die  aufgenommenen 
Flüssigkeitsmengen  und  die  Harnmenge  bestimmen  und  no- 
tieren zu  lassen,  damit  ein  Übermaß  an  Zufuhr  zuverlässig 


*)  B.  Lewy,  1.  c. 

2)  Die  Schlußfolgerungen  Oertels  beruhten  zudem  auf  Beobachtungen 
an  Individuen ,  die  täglich  Quantitäten  von  vielen  Litern  Bier  zu  trinken 
pflegten,  auf  die  also  eine  mehrfache  Schädigung  eingewirkt  hat:  Die  Belastung 
des  Kreislaufs  durch  die  übergroße  Flüssigkeitsmenge,  die  Schädigung  der 
Organe  durch  die  bedeutenden  Alkohol-  und  Extraktivstoffmengen  und  die 
Überernährung,  daneben  der  Mangel  an  ausreichender  Muskelbewegung. 


96  Allgemeine  Therapie. 

vermieden  werde.  Die  Einschränkung   der  Ffüssigkeits- 

zufuhr  ist  leichter  möglich,  wenn  man  die  Kranken  ein-  oder 
zweistündlich  kleine  Mengen  warmer  Flüssigkeit,  Milch, 
Tee,  Limonade  etc.  nehmen  läßt.  Der  Gesamtbedarf  an  Flüssig- 
keit kann  auf  diese  Weise  anscheinend  vermindert  werden.1) 
Auch  vermeide  man  bei  Herzkranken  in  diesem  Stadium  die 
Zufuhr  stark  gesalzener  oder  gewürzter  Speisen,  die  durst- 
erregend wirken. 

Keinesfalls  nötige  man  einem  Kranken,  der  das  Dürsten 
mit  Unruhe,  Aufregung,  Schlaflosigkeit  beantwortet,  eine 
Durstkur  auf,  auch  wenn  eine  Indikation  zur  Flüssigkeits- 
einschränkung vorzuliegen  scheint.  Die  Bedeutung  psychischer 
Einflüsse  bei  Herzkranken  kann  überhaupt  nicht  hoch  genug 
angeschlagen  werden. 

Es  ist  eine  bekannte  Tatsache,  daß  man  eine  in  Gang 
kommende  Diurese  durch  Zufuhr  von  Flüssigkeit  (Wasser) 
fördern  und  unterhalten  kann  (pag.  78). 

Wenn  deutliche  Zeichen  von  uratischer  Diathese  be- 
stehen und  die  Herzinsuffizienz-Erscheinungen  geringgradig 
sind,  soll  die  Flüssigkeitszufuhr  eher  erhöht  als  eingeschränkt 
werden.  —  Der  sicherste  Wegweiser  wird  in  allen  Fällen 
die   ,.Differenzbestimmungc:   nach   Oertel  (pag.  32)  sein. 

Eine  genauere  Besprechung  erfordert  die  Frage  der 
Alkohol  zufuhr,  die  zu  verschiedenen  Zeiten  und  von  ver- 
schiedenen Autoren  in  so  verschiedener  Weise  erörtert  wor- 
den ist. 

Die  alkoholischen  Getränke  zerfallen  in  drei  Hauptgruppen,  die  vom 
Bier,  AVein  und  Branntwein  repräsentiert  werden.  Bier  enthält  3 — 5%  Alkohol, 
die  bayerischen  Biere  sind  am  ärmsten  an  Alkohol,  die  englischen  am 
reichsten.  Das  Bier  hat  einen  relativ  hohen  Kohlehydratgell  alt,  4 — 5%>  und 
daher  einen  gewissen  Nährwert  --  1  Liter  ungefähr  500  Kalorien  —  bei 
relativ  geringem  Alkoholgehalt.  Es  ist  reich  an  Extraktivstoffen  und  N-haltigen 
Hefebestandteilen. 

Leichter  Wein  enthält  8-9%  Alkohol  und  nur  0'2— 0"5°/0  an  Kohle- 
hydraten; schwere  Tischweine  enthalten  12— 17°/0  Alkohol,  1—5%  Kohle- 
hydrat, der  Champagner  bis  zu  10%  Zucker.  Branntwein  enthält  25  bis 
50  —  (Rum)  70%  Alkohol,  süßer  Liqueur  variable  Zuckermengen. 


x)  Ein  Wasserglas   faßt  200—250  cw3,    ein   Weinglas   zirka   100  cm*, 
ein  Suppenteller  zirka  200  cm3,  eine  Tasse  zirka  150  cm'A  Flüssigkeit. 


Diätetische  Therapie.  97 

Für  den  Herzkranken  kommt  der  Alkohol  teils  als 
therapeutisches  Agens  (vide  pag.  75  ff.),  teils  als  Nahrungs- 
mittel in  Betracht. 

Wir  haben  an  dieser  Stelle  nicht  die  schwierige  und 
heiß  umstrittene  Frage  zu  entscheiden,  ob  der  Alkohol  als 
Nahrungsmittel  zu  bezeichnen  sei  oder  nicht.  Hier  genüge 
die  Bemerkung,  daß  die  Publikationen  der  letzten  Jahre 
(von  Clopatt,  Rosemann,  Altvater  und  Benedict,  Ott,  Rosenfeld, 
Finkler  u.  v.  a.)  für  den  Nährwert  des  Alkohols  zu 
sprechen  scheinen. 

Übermäßiger  Biergenuß  ist  jedenfalls  zu  verbieten ; 
zumal  die  bayrischen  Biere  bedingen ,  in  großen  Mengen 
genossen,  eine  unerwünschte  Überernährung,  ihr  Extraktiv- 
stoffgehalt schädigt  das  Nierenparenchym.  Weißbiere  rufen 
leicht  Verdauungsbeschwerden  hervor.  Alle  Biere  treiben 
infolge  ihres  Kohlensäuregehaltes  den  Magen  stark  auf  und 
belästigen  dadurch  das  Herz.  Mäßiger  Biergenuß  ist  zweifellos 
ein  Unterstützungsmittel  der  Ernährung;  auch  regt  der 
Bitterstoff  des  Bieres  Appetit  und  Verdauung  an. 

Mäßiger  Weingenuß  ist  für  viele  Herzkranke  von  ent- 
schiedenem Vorteile  (vide  pag.  75  ff.).  Beim  Weingenusse  spielt 
übrigens  —  wie  beim  Alkoholgenusse  überhaupt  —  die  Ge- 
wohnheit eine  große  Rolle.  Wer  seit  Jahr  und  Tag  bei 
jeder  Mahlzeit  100 — 150  cm3  eines  leichten  Weines  trinkt,  dem 
belasse  man  dieses  Quantum,  vorausgesetzt,  daß  die  spezielle 
Herzkrankheit  keine  Kontraindikation  der  Alkoholzufuhr 
darstellt.1)  Älteren  Leuten  soll  man  regelmäßigen 
Weingenuß,  je  100 — 150cm3  mittags  und  abends,  aus  den 
(pag.  76)  angegebenen  Gründen  geradezu  verordnen.  Ge- 
meint sind  leichte  Weiß-  und  Rotweine  mit  8 — 9%  Alko- 
holgehalt; größere  Mengen  von  schweren  Burgunder-,  Bor- 
deaux-, Rhein-,  Ungar-,  Champagner-Weinen  sind  zu  verbieten 
und  solche  Weine  nur  in  kleinen  Mengen,  etwa  50 — 100  cm3. 
zweimal  im  Tage,  zu  gestatten.  Besonders  Herzkranke,  die 
viel  geistige  Arbeit  zu  leisten  haben,  können  den  Wein 
als  leichtes  Stimulans  oft  nicht  entbehren ;  solchen  Kranken 


*)  Vide  pag.  75  ff. 

raun,  Therapie  der  Herzkrankheiten. 


nieine  Therapie. 

_  stattet  man  oft  mit  Vorteil  ein  kleines  Gläschen  eines 
starken  Weines.  —  Marsala.  Sherry.  Portwein.  Kognak  und 
andere  alkoholreiche  Getränke  sind  in  kleinen  Dosen  —  20  bis 

3  —  als  Exzitantien  zu  bezeichnen,  die  bei  den  Insuf- 
rizienzerscheinungen  der  Arteriosklerotiker  und  der  Aorten- 
klappenaffektionen  gute  Dienste  leisten  können. 

Kaffee  ruft  in  starkem  Aufgusse  nach  MSplain,  A.  li 
u.  a.  leicht  Herzklopfen  hervor:  Bim1)  und  Lehmann  - 1  konnten 
hingegen  keine  Veränderung  der  Pulsfrequenz  nach  Darrei- 
chung von  Kalfeedestillaten  beobachten.  Schwächere  Aufgüsse 
werden  demjenigen,  der  die  völlige  Entziehung  des  Kaffee 
mit  Unbehagen  beantwortet,  wohl  kaum  Schaden  bringen. l) 
Infolge  seines  Koffeingehaltes  (im  Durchschnitte  l*2fl  0)  hat 
der   Kaffee    die   therapeutischen  Indikationen   des  Koffein.1) 

Tee  ist  koffeinreicher  als  Kaffee  (2%),    doch  leichter 
zu  vertragen  und  minder  wirksam :    er  soll  aus  guten  Tee- 
blättern   bereitet    —    ein    gehäufter    Kaffeelöffel    für    zwei 
ssen  —  und  nur  für  wenige  Minuten  aufgegossen  werden. 

Kakau  ist  seiner  leicht  stopfenden  "Wirkung  halber 
nur  stark  süß  zu  reichen. 

Das  Tabakrauchen  ist  für  Herzkranke  nach  über- 
einstimmenden Angaben  vieler  erfahrener  Ärzte  schädlich. 
E-  scheinen  insbesondere  die  importierten  Havannah-Zigarren 
zu  sein .  welche  das  Herz  schädigend  beeinflussen  können. 
Herzkranke  tun  daher  am  besten,  dem  Rauchen  völlig  zu  ent- 
n.  Wollen  sie  durchaus  nicht  darauf  verzichten  oder  treten 
^inenzerscheinungen.  zumal  in  Form  einer  hartnäckigen 
Obstipation  ein .  dann  gestatte  man  inländische  Zigarren, 
u.  zw.  je  eine  nach  dem  Mittag-  und  Abendessen.  —  Die  das 
Herz  schädigenden  Stoffe  dürften  erst  bei  der  Präparation 
der  Zigarren  und  bei  ihrer  Verbrennung  entstehen :  es  sind : 

Pvridin.  Kollidin.  Lutidin.  Kohlenwasserstoffe  etc.  Jedenfalls 

«. 

erkranken  Tabakkauer  und  Schnupfer  niemals  unter  dem 
Bilde  der  Nikotinvergiftung. 

Zigaretten  sind  gänzlich  zu  verbieten,  weil  der  ein- 
g     ^mete  Rauch   die    Luftwege  reizt .    weil   der   Zigaretten- 

')  Bim.  Centralbl.  f.  innere  Med.,  1900,  Nr.  47. 
2l  Lehmann,  Arch.  f.  Hygiene,  1898. 


Diätetische  Therapie.  99 

raucher  viel  leichter  zu  viel  raucht  als  der  Zigarrenraucher 
und  weil  der  Tabak  vieler  Zigarettensorten  mit  schädlichen 
Ingredienzen  versehen  zu  sein  scheint.    Jedenfalls    sind    die 
Altstinenzerscheinungen    des    Zigarettenrauchers    inten-: 
als  jene  des  Zigarrenrauchers.  — 

Eine  der  wichtigsten  Maßnahmen  für  den  Herzkranken 
ist  die  Sorge  für  leichten  und  regelmäßigen  Stuhl- 
gang. Seit  wir  wissen,  daß  die  Regulierung  des  Blutdrucks 
in  erster  Linie  durch  den  Wechsel  des  Gefäßtonus  geschieht, 
daß  in  den  großen  Gefäßgebieten  des  Körpers  diesbezüglich  kein 
Parallelismus  besteht  und  daß  eine  in  physiologischen  Grenzen 
eintretende  Erweiterung  eines  großen  Gefäßgebietes .  z.  B. 
des  Splanchnikusgebietes.  Blutdrucksenkungen  zur  Folge  hat. 
ist  uns  die  depressorische  Wirkung  der  Abführmittel  ver- 
ständlich geworden  (die  je  nach  ihrer  Wirkung  Hyperämien 
verschiedenen  Grades  in  den  Bauchorganen  zur  Folge  hal 
ebenso  auch  die  blutdrucksteigernde  Wirkung  der  Obstipation 

Daß  einerseits  Hochstand  des  Blutdrucks,  andererseits 
eine  vermeidbare  Anstrengung  bei  der  Defäkation  (durch 
die  daran  geknüpfte  Blutdrucksteigerung)  Schaden  bringen. 
Apoplexien  veranlassen,  die  Loslösung  von  Thromben  herbei- 
führen kann,  liegt  auf  der  Hand. 

Wir  werden  einen  leichten  Stuhlgang  zunächst  durch  die 
bekannten  „Hausmittel"  herbeizuführen  suchen.  Es  sind  reich- 
licher Genuß  von  kleiehaltigem  Brot.  Grahambrot.  Butter. 
Honig,  Obst,  zumal  gedünstetem  Obst,  grünem  Gemüse.  Ein 
Glas  Wasser,  morgens  auf  nüchternen  Magen,  ein  Apfel  am 
Abend  '-).  Kürperbewegung  mäßigen  Grades  und  pünktliche 
Einhaltung  der  Defäkationszeit  allein  können  den  Stuhlgang 
oftmals  allmählich  regeln.  Muß  man  ab  und  zu  Laxantien 
brauchen  .  dann  wähle  man  zunächst  die  mildesten .  u.  zw. 
1  o  —  1  Glas  Bitterwasser.  Marienbader  Kreuzbrunnen  und 
selbst  Karlsbader  Mühlbrunnen  (kalt),    einen  Teelöffel   voll 


l)  Federn,    Blutdruck  und  Darmatonie.    —    Es  ist  anzunehmen,  daß 
auch    in    den    mit    einer  reichlichen   „flüssigen-   Stuhlentleerung  verbundenen 
.erlusten  ein  blutdrucksenkendes  Moment  erkannt  werden  darf. 
-i  Eating  an  apple  going  to  bed 
makes  the  doctor  beg  his  bread. 


100  Allgemeine  Therapie. 

künstlichem  Karlsbader  Salz  oder  Quellsalz,  einen  Eßlöffel 
voll  schwefelsaurem  Natron  in  Wasser  gelöst,  am  Morgen ; 
oder  am  Abend :  einen  gestrichenen  Kaffeelöffel  voll  Curella- 
Pulver  (Pulv.  liquirit.  compos.) ,  Flores  sulfuris  oder  Pulv. 
rad.  Rhei  mit  gleichen  Teilen  von  Milchzucker  messerspitzweise, 
in  schwankenden  Mengen  je  nach  der  individuellen  Reaktion, 
eine  Purgen-,  eine  Cascara-  oder  eine  Tamarinden-Pastille, 
1—3  Pillen  aus:  Rp.  Podophyll.  0*5,  Extr.  Aloes,  Extr.  Rhei 
aa.  3*0,  Extr.  Taraxac.  qu.  s.  ut  f.  pil.  Nr.  XL.,  Dct.  Frangulae 
10 — 15  :  200'0  u.  s.  w.  Es  ist  nicht  empfehlenswert,  salinische 
Abführmittel  durch  längere  Zeit  nehmen  zu  lassen.  —  Klysmen 
büßen  bald  an  Wirksamkeit  ein.  —  Am  längsten  erhält  sich 
die  Wirkung  der  Epsteinschen  Ölklystiere J)  und  der  Ein- 
laufe aus  gelbem  Zuckersirup  50 :  400  Wasser ;  fortgesetzte 
Irrigationen  mit  Glyzerin  oder  Sirup  erzeugen  aber  oft 
schmerzhaften  Tenesmus.  Die  günstige  Wirkung  der  mer- 
kuriellen  Abführmittel,  vor  allem  des  Kalomel,  bei  Herz- 
kranken ist  lange  bekannt. 2) 

Broadbent  hat  die  Hypothese  aufgestellt,  daß  das  Quecksilber  die 
Leber  chemisch  beeinflusse  und  die  Elimination  der  Stoffwechselprodukte  be- 
günstige, welche  zu  Widerständen  in  den  Kapillaren  Veranlassung  geben. 
Das  Kalomel  hätte  somit  den  doppelten  Effekt,  das  Pfortadersystem  zu  ent- 
lasten, wodurch  die  Lebervergrößerung  und  die  Stauung  im  rechten  Ventrikel 
herabgesetzt  wird,  sowie  auch  den,  die  Widerstände  im  großen  Kreisläufe  zu 
verringern  und  dadurch  den  linken  Ventrikel  zu  entlasten. 

Zur  Bekämpfung  einer  vorübergehenden  Stuhlver- 
stopfung eignen  sich  auch  Senna-Infuse  5'0 — 15'0: 100*0  Col., 
Species  laxantes,  1 — 2  Teelöffel  auf  eine  Tasse  Wasser,  im 
Infus,  oder  Cortex  Frangulae,  1  Eßlöffel  auf  1  Tasse  Wasser, 
im  Dekokt  etc. 

Bestehen  Insuffizienzerscheinungen  zweiten 
Grades,  dann  treten  strengere  Diätvorschriften  in 
Kraft.  Dieselben  betreffen  zunächst  die  Größe  derFlüssig- 
keitsauf  nähme.  (Im  allgemeinen  stellen  sie  Verschärfungen 
der  bisher  geschilderten  Maßnahmen  dar.)  Wir  haben  die 
diesbezüglichen     Gesichtspunkte    bereits    eingehend   kennen 


1)  W.  Epstein,  Die  chronische  Stuhl  Verstopfung. 

2)  Dosierung  s.  pag.  81. 


Diätetische  Therapie.  101 

gelernt   und    können    uns    daher    nunmehr  auf  das  Notwen- 
digste beschränken. 

Das  Flüssigkeitsquantum,  das  der  Gesunde  aufnimmt, 
beträgt  im  Mittel  V/2 — 2  Liter ,  im  Winter  weniger,  im 
Sommer ,  zumal  auf  heißen  ,  anstrengenden  Märschen  ,  das 
Mehrfache  der  genannten  Zahlen.  Dabei  ist  der  wandelbare 
Wassergehalt  der  Speisen  nicht  mit  in  Rechnung  gezogen, 
ebensowenig  das  individuelle  Bedürfnis. 

Ganz  besonders  wichtig  ist  für  Herzinsuffizienzen  zwei- 
ten Grades  die  Verordnung  zweistündlicher  geringer 
Nahrungsaufnahmen,  deren  Gesamtquantum  natürlich 
zur  Deckung  des  Tagesbedarfes  ausreichen  muß.  Hiedurch 
können  wir  die  „Verdauungskongestion"  der  Unterleibs- 
drüsen auf  das  erreichbare  Minimum  reduzieren. 

Mit  Rücksicht  darauf,  daß  das  labilere  Herz  dieser 
Kranken  schon  nach  dem  Rauchen  auch  nur  einer  Zigarre 
Beschleunigung  seiner  Schlagfolge,  sowie  subjektiv  und 
objektiv  wahrnehmbare  Arhythmien  aufweisen  kann,  ist  das 
Rauchen  bei  Insuffizienzen  zweiten  Grades  womöglich  zu 
untersagen.  Natürlich  werden  wir  aber  Leuten,  die  auch  in 
diesem  Stadium  auf  ein  bis  zwei  Zigarren  im  Tage  durch- 
aus nicht  verzichten  wollen,  dieses  Quantum  gestatten.  - 
Die  Frage  der  Alkoholzufuhr  bei  diesen  Kranken  ist  an 
früheren  Stellen  eingehend  erörtert  worden. 

Bestehen  lästige  Magen-  und  Darmbeschwerden ,  dann 
gebe  man  eine  vorwiegend  kohlehydratreiche  Kost,  Schleim- 
suppen mit  Zusatz  von  Fleischextrakten  sowie  Nährpräpa- 
raten und  schränke  die  Eiweiß-  und  Fettzufuhr  ein.  Zumal 
während  des  Gebrauches  von  Digitalis  oder  Strophantus  in 
größeren  Mengen  ist  eine  sorgfältige  Berücksichtigung  der 
Diät  geboten. 

Neigung  zu  Durchfällen  kann  durch  Darreichung  von 
Kakao,  Schleimsuppen,  Rotwein,  leichten  Tanninpräparaten, 
wie  z.  B.  Tannalbin  (Tannalbin.  Pulv.  Cacao  sacchar.  aa.  15*0 
M.  D  S.  Messerspitzweise  in  stündlichen  Intervallen),  seltener 
durch  Opium ,  beseitigt  werden ;  doch  kämpfe  man  gegen 
Diarrhoen  im  allgemeinen  nur  an ,  wenn  sie  zu  häufig  — 
öfter  als  2 — 3mal  im  Tage  -  -  auftreten   und  den  Kranken 


102  Allgemeine  Therapie. 

sehr  zu  schwächen  scheinen.  Oft  genügt  die  Einhaltung 
einer  kohlehydratreichen,  fettfreien  Kost  und  die  Vermei- 
dung von  Obst  und  grünen  Gemüsen ,  um  den  Stuhlgang 
wieder  im  erwünschten  Maße  zu  regulieren. 

Etwaige  Komplikationen  erfordern  die  ihnen  zukom- 
mende spezielle  Therapie,  die  natürlich  immer  in  erster 
Linie  das  Verhalten  der  Herzfunktion  zu  berücksichtigen  hat. 


Physikalische  Therapie. 
Pneumat  other  apie . 

Die  Pneumatotherapie  besteht  in  der  Verwendung 
des  veränderten  Luftdruckes  zu  Heilzwecken. 

Wir  können  Veränderungen  des  Luftdruckes  einseitig  auf 
uns  wirken  lassen ,  indem  wir  einen  pneumatischenApparat 
verwenden  (verdichtete  Luft  einatmen,  in  verdünnte  aus- 
atmen), oder  von  allen  Seiten  her.  in  der  pneumatischen 
Kammer. 

Die  mechanische  Wirkung  des  Luftdruckes  auf  den 
Kreislauf  beruht  fast  ausschließlich  auf  der  Veränderung 
der  intrathorakalen  Druckverhältnisse. J)  Die  normale  In- 
spiration wirkt  durch  Ansaugung  fördernd,  die  Exspiration 
hemmend  auf  die  Blutströmung  ein. 2)  Bei  forcierter  Ex- 
spirationsstellung  (Valsalvascher  Versuch)  wird  der  Blut- 
rücknuß zum  Herzen  behindert,  bei  forcierter  Inspirations- 
stellung (Müllerscher  Versuch)  gefördert.  Durch  Einatmung 
von  verdichteter  Luft  aus  einem  pneumatischen  Apparate 
kann  gewissermaßen  der  exspiratorische ,  beim  Einatmen 
aus  einem  Behälter  mit  verdünnter  Luft  der  inspiratorische 
Zustand  dauernd  erhalten  werden,  doch  darf  im  ersten  Falle 
die  Erweiterung  der  Lungen  nicht  rascher  erfolgen ,  als 
die  Luft  bei  dem  gegebenen  Drucke  einströmt,    im  zweiten 


*)  R.  du  Bois-Reymond,  Handbuch  der  physikalischen  Therapie. 
2)  Siehe  Cap.  I. 


Pneumatotherapie.  1Q3 

Falle  nicht  rascher  exspiriert  werden,  als  die  Luft  von 
selbst  in  den  luftverdünnten  Raum  ausströmt. 

Andere  Verhältnisse  finden  wir  unter  dem  Einflüsse 
allseitigen  geänderten  Luftdruckes  auf  den  Kreislauf,  also 
in  der  pneumatischen  Kammer.  Auf  dem  im  Brustraume 
befindlichen  Teile  des  Gefäßsystems  lastet  der  atmosphäri- 
sche Druck  nur  mittelbar,  indem  er  die  Lunge  ausdehnt, 
so  daß  sie  auf  die  Gefäßwände  drückt;  der  auf  diesen  Ge- 
fäßen ruhende  Druck  ist  daher  kleiner  als  der  auf  den 
übrigen  Gefäßen  des  Körpers  ruhende  Druck,  und  zwar  um 
so-  viel,  wie  zur  Überwindung  der  elastischen  Spannung  des 
Lungengewebes  verwendet  wird.  Je  mehr  die  Lunge  er- 
weitert wird ,  desto  höher  ist  daher  ceteris  paribus  die 
Spannung  des  Lungengewebes.  Erhöhte  Spannung  ist  nun 
beim  Atmen  in  verdichteter  Luft  gegeben,  weil  diese  den 
Bauminhalt  der  Lungen  vergrößert.  Beim  Aufenthalte  in 
verdichteter  Luft  wird  daher  auch  der  Unterschied  des 
Druckes  auf  die  Gefäße  innerhalb  und  außerhalb  des  Brust- 
raumes erhöht.  Diese  Wirkung  macht  sich  in  Bezug  auf  die 
Venen  in  höherem  Maße  geltend,  als  auf  die  Arterien.  All- 
gemeine Luftdruckverminderung  wirkt  umgekehrt.  Bei  allge- 
mein erhöhtem  Luftdruck  wird  denn  auch  die  Haut  blässer, 
während  der  Aufenthalt  in  verdünnter  Luft  Überfüllung  des 
Venenkreislaufes,  Cyanose  zur  Folge  hat. 

Die  Stromgeschwindigkeit  des  Blutes  wird  durch  solche 
Luftdruckänderungen  nicht  beeinflußt1),  die  Frequenz  des 
Herzschlages  bei  vermehrtem  Luftdruck  erhöht2),  der  Blut- 
druck ein  wenig  vermindert. 3) 

Das  Inspirieren  von  komprimierter  Luft  ist  demnach 
für  den  Lungenkreislauf  ungünstig,  da  die  Kapillaren  der 
Lungenalveolen  dem  Überdrücke  der  verdichteten  Luft  direkt 
ausgesetzt  sind  und  der  Blutzufluß  aus  dem  rechten  zum 
linken  Herzen  ein  wenig  erschwert  wird.  Tatsächlich  werden 
die   Lungen    bei    der    Einatmung    komprimierter    Luft    an- 

1)  R.  du  Bois-Reymond,  1.  c. 

2)  Loewy ,  Untersuchungen  über  die  Respiration  und  Zirkulation  etc. 
Berlin  1895. 

3)  Sommerbrodt,  zitiert  nach  F.  A.  Hoffmann,  1.  c.  pag.  78 ,  ferner 
„Luftdruckerkrankungen",   Heller,  Mayer,  v.  Schrötter.  Wien  1900. 


104  Allgemeine  Therapie. 

ämisch;  zum  linken  Ventrikel  fließt  daher  weniger  Blut  als 
vorher.  Das  Inspirieren  von  verdichteter  Luft  wird  somit  das 
linke  Herz  entlasten  und  die  Stauungserscheinungen  im 
Lungenkr eislaufe  herabsetzen  können. 

Daraus  ergibt  sich  die  Indikation  der  Einatmung 
von  komprimierter  Luft.  Dieselbe  wird  in  Fällen 
leichter  Insuffizienz  des  linken  Ventrikels  gegeben 
sein ,  deren  Folgen  bekanntlich  die  Mehrarbeit  des  rechten 
Ventrikels  kompensiert.  Atmen  solche  Patienten  kompri- 
mierte Luft  ein,  dann  wird  durch  die  konsekutive  Anämi- 
sierung  der  Lunge  dem  linken  Herzen  Arbeit  abgenommen, 
allerdings  um  den  Preis  einer  weiteren  Mehrbelastung  des 
rechten  Ventrikels.  Hat  diese  Stauung  bereits  höhere  Grade 
erreicht,  dann  werden  die  Nachteile  der  Einatmung  kom- 
primierter Luft  ihre  Vorteile  überwiegen  können,  umsomehr 
als  die  Frequenz  des  Herzschlages  während  der  Einathmung 
von  komprimierter  Luft  ansteigt,  was  bei  Mitralfehlern  und 
analogen  Herzaffektionen  ungünstig  wirkt  (pag.  53).  —  Die 
günstige  Wirkung  der  Einatmung  komprimierter  Luft  bei 
Mitralfehlern  leichteren  Grades,  bei  leichten  Myokarditiden 
und  Myodegenerationen  kommt  zum  großen  Teile  sicherlich 
durch  die  wohltätige  Beeinflussung  des  Stauungskatarrhs 
der  Lungen  und  durch  Beseitigung  der  schädigenden  rlück- 
wirkung  dieses  Katarrhs  auf  das  Herz  zustande. 

Beim  Aortenfehler  ist  die  Überfallung  des  Lungen- 
kreislaufes ein  Zeichen  von  Insuffizienz  zweiten  Grades  und 
tritt  oft  erst  gleichzeitig  mit  Symptomen  der  Kachexie 
und  der  Überfüllung  der  Venen  des  Bauchraumes  in  die 
Erscheinung.  Hier  sind  demnach  seltener  Indikationen  zur 
Pneumatotherapie  mit  komprimierter  Luft  gegeben.  Wohl 
aber  kann  bei  Aortenfehlern,  solange  die  Insuffizienz- 
erscheinungen den  ersten  Grad  nicht  überschritten  haben, 
Ausatmung  in  verdünnte  Luft  von  Vorteil  sein,  denn 
sie  begünstigt  die  Füllung  des  Pulmonalkreislaufes  direkt 
und  durch  vermehrte  Ansaugung  während  der  Inspira- 
tion. Das  linke  Herz  wird  dadurch  besser  gespeist,  das 
Arteriensystem  besser  gefüllt,  der  Blutdruck  gehoben. 
Im  Gegensatze   dazu    müßte    die   Ausatmung   in    verdünnte 


Klimato-  und  Balneotherapie.  105 

Luft  beim  Mitralfehler  schädlich  sein,  weil  sie  die  bereits 
vorhandene  Überfüllung  des  Lungenkreislaufes  noch  weiter 
steigern  würde. 

Die  Wirkung  der  pneumatischen  Kammern  ist  bei 
Herzkranken  vorläufig  nur  wenig,  vielleicht  zu  wenig,  in 
Anwendung  gezogen  worden.  Wir  haben  gehört,  daß  durch 
Atmen  in  verdichteter  Luft  der  negative  Thoraxdruck  an- 
steigt, die  Lungen  erweitert  werden,  die  Füllung  des  Herzens 
und  seiner  Gefäße  befördert  wird.  In  diesem  Sinne  äußert 
sich  auch  der  auf  diesem  Gebiete  erfahrene  G.  v.  Liebig. l) 
Es  könnten  daher  Aorteninsuffizienzen  leichteren  Grades  in 
pneumatischen  Kammern  mit  verdichteter  Luft,  die  mitralen 
und  ihr  analoge  Affektionen  in  Glocken  voll  verdünnter 
Luft  günstig  beeinflußt  werden.  Zukünftige  Untersuchungen 
werden  diese  theoretischen  Voraussetzungen  durch  praktische 
Anwendung  zu  erproben  haben. 

Als  Kontraindikation  (allgemeinere  Art)  der  Pneu- 
matotherapie  kann  eine  mangelhafte  Ausdehnungsfähigkeit 
des  Brustkorbes  bezeichnet  werden  (Lazarus).2) 

Das  Armamentarium  der  „pneumatischen  Therapie"  bilden  die  trans- 
portablen pneumatischen  Apparate  und  die  pneumatischen 
Kammern.  Die  Einführung  der  tragbaren  pneumatischen  Apparate  ist  von 
Hanke  in  Wien  ausgegangen ;  ihre  Anwendung  geschieht  mittelst  eines  Mund- 
stückes, das  der  Kranke  zur  Ein-  resp.  Ausatmung  verwendet.  Die  erste 
pneumatische  Kammer  hat  Montpellier  angegeben,  den  am  häufigsten  ange- 
wandten pneumatischen  Apparat  Waidenburg  konstruiert.  —  Eine  vorzüg- 
liche Zusammenstellung  und  Kritik  der  pneumatischen  Apparate  und  Kam- 
mern sowie  der  Indikationen  derselben  verdanken  wir  G.  v.  Liebig.  *) 


Klimato-  und  Balneotherapie. 

Von  der  Beantwortung  der  Frage  des  Einflusses  von 
Luftdruckveränderungen  auf  den  Kreislauf  führt  uns  ein 
Schritt  zur  Klimato-  und  Balneotherapie  der  Herzkrank- 
heiten. Auch  in  ihr  vermögen  wir  übende  und  schonende 
Faktoren  zu  finden. 


*)  G.  v.  Liebig,  Handbuch  der  physikalischen  Therapie. 

-)  Lazarus,  ^Pneumatotherapie"  in  Eulenburg- Samuel,  rAllg.  Ther. 


106  Allgemeine  Therapie. 

AVenn  wir  das  Herz  schonen  wollen,  müssen 
wir  den  Kranken  in  ein  warmes  Klima  bringen,  denn 
wir  wissen,  daß  die  in  der  Kälte  wesentlich  vermehrte 
AVar  Urproduktion  mit  Vermehrung  der  Herzarbeit  einher- 
geht, und  daß  uns  ein  warmes  Klima  Stoffwechselarbeit 
und  damit  auch  Herzarbeit  erspart.  Dabei  ist  aber  zu  be- 
achten, daß  Herzkranke  große  Hitze  erfahrungsgemäß  sehr 
schlecht  vertragen. 

Aufenthalt  im  Gebirge  ist  ein  übender  Faktor 
für  das  Herz,  doch  enthält  er  unter  geeigneten  Ver- 
hältnissen auch  schonende  Momente  für  dasselbe. 

Als  klimatische  Stationen  kommen  das  Hochgebirge  und 
das  Mittelgebirge  in  Betracht.  Höhenluft  über  1000  Meter 
ist  für  Herzkranke  ganz  ungeeignet,  so  ungeeignet ,  daß 
dieselben  im  Höhenklima  bald  Atemnot,  Herzklopfen,  Puls- 
arhythmien aufweisen.  Immer  wieder  kommt  es  vor ,  daß 
Individuen  mit  einem  „latenten"  Herzfehler  erst  im  Hochge- 
birge auf  denselben  aufmerksam  werden.  Die  große  Luft- 
verdünnung als  Heilfaktor  käme  ja  theoretisch  nur  für 
mitrale  und  analoge  Affektionen  leichtester  Xatur  in  Be- 
tracht, und  diesem  einzigen  schonenden  Momente  stehen  die 
niedrige  Lufttemperatur,  besonders  im  Schatten  und  nachts, 
der  häutige  und  jähe  Wechsel  im  AVasserdampfgehalte,  das 
Vorwiegen  von  Trockenheit,  die  starke  Luftbewegung  und 
die  dadurch  bewirkte  energische  Verdunstung,  kurz  die  in- 
tensive Steigerung  des  Stoffwechsels1)  als  hindernde,  weit- 
aus überwiegende  Faktoren  entgegen. 

Günstigere  Verhältnisse  für  Herzkranke,  deren  Herz 
übungsfähig  ist,  z.  B.  für  Fettleibige  mit  beginnender  Herz- 
insuffizienz, finden  wir  in  mittleren  Höhen  bis  zu  höchstens 
1000  m  Erhebung.  Die  Verbesserung  der  Durchblutung  des 
Lungengewebes,  die  anhaltende  Anregung  des  Stoffwechsels 
um  20 — 35%,  die  größere  Konstanz  der  Körperwärme,  die 
Verlängerung  der  Inspiration  als  Übungsmoment  für  die 
Respirationsmuskeln  und  gleichzeitig  als  Schonungsmoment 


V)  A.  Loeirij,  Handb.  d.  physik.  Therapie,  Bd.  J.  Man  nennt  Höhenklima 
Regionen  von  700  m  aufwärts,  und  zwar  700—1200  m  die  subalpine,  1200 
bis  1900  m  die  alpine,  darüber  die  hyperalpine  Region. 


Klimato-  und  Balneotherapie.  107 

für  das  Herz,  die  erhöhte  Festigkeit  des  Schlafes,  die  Ge- 
legenheit zur  ,.Terrainkur"  *),  vielleicht  auch  die  schon  in 
diesen  Höhen  kenntliche  Zunahme  der  Blutzellenzahl 2)  (innere 
Atmung)  vereinigen  sich  zu  einer  diese  Herzschwachen 
heilsam  beeinflussenden  Gesamtwirkung.  Den  vorläufig  aller- 
dings fast  ausschließlich  theoretischen  Grundlagen  ent- 
sprechend werden  sich  die  niedrigeren  Orte  besser  für  Aorten- 
fehler, die  höheren  besser  für  Mitralfehler  eignen.  Ältere 
Leute  mit  Herzfehlern  oder  Arteriosklerose  befinden  sich 
in  milden  Klimaten  besser  als  in  kälteren  Stationen.  Es 
wird  demnach  unter  Umständen  der  beste  Aufenthaltsort 
derjenige  sein,  der  eine  entsprechende  Höhe  mit  einer  ent- 
sprechenden Milde  vereinigt  (Corsica). 


*)  Wir  nennen  „Terrainkuren"  von  Oertel  in  die  Herztherapie  einge- 
führte, methodisch  fortgesetzte  und  dosirte  Spaziergänge,  die  auf  ebenen  Wegen 
begonnen  und  unter  genauer  Kontrolle  des  Herzens  bis  zu  Steigungen  von 
15—20°  fortgesetzt  werden.  Der  Patient  darf  nur  so  lange  steigen,  als  er  be- 
quem durch  die  Nase  atmen  kann,  ohne  den  Mund  öffnen  zu  müssen  ;  empfindet 
er  Atemnot  oder  Herzklopfen ,  dann  hat  er  sofort  innezuhalten.  Jedem 
Schritte  soll  eine  Inspiration  oder  eine  Exspiration  entsprechen.  Die  Wege 
sind  in  4  Klassen  eingeteilt,  mit  Steigungen  von  0  —  5,  5 — 10,  10 — 15,  15 
bis  20°,  die  in  verschiedener  Weise  markiert  sind.  Zu  Terrainkurorten  eignen 
sich  besonders  breite  Gebirgstäler;  die  Häuser  des  Kurortes,  dessen  Wert 
durch  landschaftliche  Schönheit  und  Waldreichtum  erhöht  wird,  sollen  nahe 
den  zu  besteigenden  Höhen  gelegen  sein,  damit  die  Kranken  nicht  bereits 
ermüdet  am  Fuße  der  Abhänge  ankommen.  Die  Kranken  sollen  die  „Kurwege4* 
unter  der  Leitung  der  Kurärzte  gradatim  durchnehmen ;  ohne  genaueste  Kon- 
trolle des  Herzens  durch  den  Arzt  darf  keine  Änderung  des  Kurplanes  unter- 
nommen, vor  allem  kein  steilerer  Weg  betreten  werden.  Übergroße  Vorsicht 
ist  stets  am  Platze.  Wer  sich  die  Zeit  nicht  nehmen  kann,  die  eine  Terrain- 
kur erfordert,  fange  dieselbe  gar  nicht  an.  Doch  schon  im  Verlaufe  von 
4  —  6  Wochen  lassen  sich  oftmals  schöne  Erfolge  erzielen.  Eigentliche  Terrain- 
kurorte sind  :  Meran-Gries,  Bozen,  Abbazia  (auch  im  Winter  und  Vorfrühling), 
Ischl,  Semmering,  Aussee,  Baden,  Brenner,  Sulz,  Niederdorf,  St.  Blasien  und 
Triberg,  Schwarzwald,  Baden-Baden,  Wiesbaden,  Ems,  Heidelberg,  Berchtes- 
gaden,  Tegernsee,  Reichenhall,  Kreuth,  Gersau  am  Vierwaldstättersee  etc.  (im 
Frühling  und  Sommer).  Die  Begründung  der  Kur  Oertels,  der  bekanntlich  durch 
Verminderung  der  Flüssigkeitsmenge  die  vom  Herzen  zu  leistende  Arbeit  zu  ver- 
mindern suchte,  durch  seine  Terrainkur  und  durch  gesteigerte  Muskeltätigkeit 
die  mechanische  Korrektur  von  Kreislaufstörungen  und  die  Verminderung  des 
Körperfettes  erreichen  wollte,  ist  vielfach  angegriffen,  ihre  Zweckmäßigkeit 
wiederholt  bezweifelt  worden.  Durch  ihre  vorsichtige  Handhabung  lassen  sich 
bei  Kranken  mit  verhältnismäßig  guter  Herzkraft,  mäßig  Fettleibigen,  „Luxus 
essern"  ohne  Frage  mit  ihr  sehr  günstige  Erfolge  erzielen.  In  diesem  Sinne 
äußern  sich  auch  Litten  und  Lenhoff  (Handb.  d.  phys.  Ther.). 

2)  Viault  und  Mallassez ,  Med.  mod.,  1891;  Egger  und  Koeppe, 
XII.  Kongr.  f.  i.  Med.,  1893;  Graivitz,  Berliner  klin.  Wochenschr.,  1895;  die 
neuere  Literatur  bei  Heller,  Mager  u.  v.  Schrötter  1.  c. 


108  Allgemeine  Therapie. 

Wir  senden  also  Herzkranke  mit  übungsfähigem  Herzen  im 
Sommer  in  die  sogenannten  Sommerfrischen,  eventuell  auch  an 
Orte,  an  denen  zugleich  Mineralwasser  getrunken  und  eine  Terrain- 
kur gemacht  werden  kann  {Nothnagel x). 

Solche  Stationen  sind  neben  bereits  genannten  und  später  zu 
nennenden  die  bekannten  Sommerfrischen  in  den  österreichischen 
und  deutschen  Alpen,  Johannisbad  in  Böhmen ,  die  Orte  an  den 
bayrischen  Seen,  Tegernsee,  Schliersee,  der  Harz,  im  Schwarzwald, 
Todtmoos,  St.  Blasien,  Baden-Baden,  Wiesbaden  am  Taunus,  Appen- 
zell, Heiden,  Gais,  Interlaken,  Ragatz-Pfäfers  in  der  Schweiz,  Schmecks 
in  den  Karpathen  u.  s.  w. 

Abwechslungsweise  eignen  sich  manchesmal  auch  die  durch 
ihre  konstantere  Temperatur  ausgezeichneten  Seebadeorte  für  Herz- 
kranke vorzüglich,  zumal  für  Kranke  mit  bronchitischen  Erschei- 
nungen. Unter  dem  Einflüsse  des  Nordseeklima  (zur  Sommerzeit) 
kann  eine  Steigerung  der  Widerstandsfähigkeit  gegen  Witterungs- 
einflüsse erzielt  werden.  Milder  und  zugleich  durch  seine  Staub- 
freiheit günstig  ist  der  Aufenthalt  in  den  Badeorten  der  Ostsee 
im  Sommer,  des  Mittelländischen  Meeres  in  den  Herbst-  und  Winter- 
monaten. Für  die  warme  Jahreszeit  empfiehlt  sich  der  Aufenthalt 
in  windstiller,  staubfreier,  würziger  Waldluft,  der  sich  oftmals  mit 
den  übrigen  Indikationen,  entsprechende  Höhe,  Terrainkur,  In- 
halatorium u.  s.  w.  vereinigen  läßt. 2)  Das  Baden  im  offenen  Meere 
ist  gar  nicht  oder  nur  bei  ruhigster  See,  ziemlich  hoher  Wasser- 
temperatur, ohne  jeglichen  Schwimmversuch,  bei  nur  kurzem  Ver- 
weilen im  Bade  und  mit  spezieller  Erlaubnis  des  Badearztes  aus- 
nahmsweise erlaubt 3)  (Hermann  Weber).  Seereisen  sind  für  Herz- 
kranke nicht  empfehlenswert,  höchstens  Fahrten  auf  ruhigen  Wässern 
zur  Bekämpfung  der  Bronchitis.  Wichtig  ist  die  Wahl  von  ge- 
eigneten Sommer-,  Winter-  und  Übergangsstationen;  Glax^)  empfiehlt 
für  die  kältere  Jahreszeit  Abbazia,  Lovrana,  Lussin  und  die  Riviera, 
ferner  die  Levante ,  Clar  Corsica,  das  die  Vorteile  des  marinen  und 
alpinen  Klima  in  sich  vereint;  für  März,  April,  Mai,  Oktober  und 
November  eignen  sich  Ragusa,  Montreux,  Territet  am  Genfer  See, 
ferner  Lugano ,  Bellagio ,  Biarritz ,  für  die  kälteste  Jahreszeit  die 
Nordküste  von   Afrika   etc.  Der   Quarnero  und  die   Adria   sind   im 


*)  Nothnagel,  im  Handb.  d.  phys.  Therapie. 

2)  Wer  die  Qualitäten  eines  Kurortes  aus  eigener  Anschauung  kennt, 
kann  über  die  Indikationen  desselben  jedenfalls  mehr  aussagen,  als  ein  anderer, 
den  theoretische  Kenntnisse  allein  leiten.  Es  ist  daher  die  neue  Institution 
der  Badereisen  von  Ärzten  wärmstens  zu  begrüßen.  Übrigens  gibt  es  in 
der  Nähe  vieler  großer  Städte  Orte,  die  so  manchen  der  oben  aufgestellten 
Bedingungen  entsprechen  können. 

3)  Sir  Hermann   Weber,  Handbuch  der  phys.  Therapie. 

4)  Glax,  Lehrbuch  der  Balneotherapie,  Stuttgart  1900. 


Das  kolilensäurehältige  Bad.  109 

Jänner  und  Februar  (wegen  der  Neigung  zu  stürmischem  Wetter) 
für  Herzkranke  oft  vollkommen  ungeeignet. 

Jedesmal,  wenn  wir  einen  Herzkranken  in  einen  entfernten  Kur- 
ort senden,  haben  wir  aber  zu  bedenken,  daß  ihm  für  die  Zeit  seiner 
Abwesenheit  der  Verzicht  auf  seine  Häuslichkeit  und  den  gewohnten 
Freundeskreis  auferlegt  ist.  Der  Arzt,  der  seinem  Kranken  die  An- 
nehmlichkeiten und  Vorteile  eines  entsprechenden  Klima  ver- 
schaffen will ,  vergesse  nie  an  die  Individualität  seines  Patienten. 
Die  größten  Vorteile  eines  milden  Klima  werden  durch  zehrendes 
Heimweh  zunichte  und  es  gibt  nicht  leicht  einen  größeren  thera- 
peutischen Fehler,  als  bei  einer  Herzkrankheit  bloß  mit  mecha- 
nischen, physikalischen  Faktoren  rechnen  zu  wollen. 

Die  Mehrzahl  der  Kranken ,  die  unseren  Rat  aufsuchen ,  ist 
an  einen  bestimmten  Ort  gebunden.  Das  Problem,  das  wir  zu  lösen 
haben,  besteht  dann  zumeist  darin,  aus  dem  Aufenthaltsorte  des 
Kranken  oder  einem  in  nächster  Nähe  gelegenen  Orte  die  größten 
Vorteile  für  den  Patienten  zu  gewinnen. 

Das  kolilensäurehältige  Bad. 

Das  kolilensäurehältige  Bad  gehört  zu  den  wirk- 
samsten Hilfsmitteln  der  physikalischen  Herztherapie.  Es 
stellt  in  geübter  Hand  einen  unserer  besten  Behelfe  dar, 
weil  es  wie  kein  zweites  abstuf  bar  ist  und  sich  in  mannig- 
facher Hinsicht  der  Individualität  des  einzelnen  anpassen 
läßt.  Um  den  Heilwert  und  die  Indikationen  des  kohlen- 
säurehaltigen Bades  beurteilen  zu  können,  müssen  wir  seine 
physiologische  Wirkung  kennen  lernen. *) 

Ein  wirksames  C02-haltiges  Bad  veranlaßt 
eine  Steigerung  des  Blutdrucks,  die  schon  im  Bade 
auftritt  und  dasselbe  x/4 — 1/2  Stunde  überdauert;  mit 
der  Blutdrucksteigerung  geht  eine  Verlangsamung 
des  Pulses  einher,  welche  länger  anhalten  kann  als  die 
Drucksteigerung. 

Die  Wirksamkeit  des  Bades  hängt  von  seinem  C02- 
(lehalte,  seiner  Temperatur  und  der  Reaktionsfähigkeit  des 
Kranken  ab. 


*)  Beneke,  Über  Nauheims  Soolthernien,  Marburg  1859.  —  Schott  A., 
Zur  Therapie  der  chronischen  Herzkrankheiten,  Berlin  1885,  Die  Heilfactoren 
von  Bad  Nauheim,  1900.  —  Diskussion  über  die  Bäderbehandlung,  Lancet,  1896. 
—  Groedel  7  Wiener  med.  Wochenschr. ,  1896.  —  Hensen,  Deutsche  med. 
Wochenschr.,  1899  u.  a. 


HO  Allgemeine  Therapie. 

Die  Kohlensäure  des  Bades ,  die ,  in  zahllosen  feinen 
Perlen  im  Badewasser  aufsteigend,  die  Haut  dicht  bedeckt 
und  auf  derselben  ein  eigentümliches  Prickeln  erzeugt,  setzt 
einen  Hautreiz,  der  das  vasomotorische  Zentrum  erregt  und 
auch  direkt  auf  das  Herz  einwirkt. x)  (An  der  Reizerzeu- 
gung nehmen  die  im  Wasser  gelösten  Bestandteile ,  Koch- 
salz, Chlorkalcium ,  Natrium  bicarbonicum ,  Eisensalze  etc. 
teil.)  Die  Blutdrucksteigerung  kommt  teils  durch  Er- 
höhung des  Gefäßtonus,  teils  durch  Erhöhung  der  Herz- 
leistung selbst  zustande;  sie  bewirkt  eine  Hebung  der 
Zirkulation,  Änderung  der  Blutverteilung;  das  große  Reser- 
voir der  Bauchgefäße  gibt  einen  Teil  seines  Inhaltes  wieder 
dem  Kreislaufe  zurück,  das  Gehirn  wird  besser  durchblutet, 
die  Haut  reicher  an  Blut,  der  Kranke  fühlt  sich  wärmer 
und  behaglicher.  Je  größer  der  C02-Gehalt  des  Bades  ist, 
desto  stärker  ist  der  durch  das  Bad  gesetzte  Reiz ,  desto 
eingreifender  auch  die  Wirkung  des  Bades. 

Ein  zweiter  Faktor  der  Wirksamkeit  des  C02-hältigen 
Bades  ist  seine  Temperatur  (siehe  bei  „Hydrotherapie").  Je 
niedriger  dieselbe  ist,  desto  stärker  ist  der  durch  sie  bewirkte 
Reiz.  —  Die  Temperatur  der  Nauheimer  Bäder  liegt  nahe 
der  IndifFerenzzone  (28—21°  R.). 

Wir  haben  es  demnach  in  der  Hand,  durch  allmähliche 
Herabsetzung  der  Temperatur  und  Erhöhung  des  C02-Gehaltes 
der  Bader  die  Anforderungen  an  die  Herzarbeit  abzustufen. 
Das  Bad  stellt  nach  dem  Ausspruche  A.  Schotts  eine  Turn- 
stunde für  das  geschwächte  Herz  dar  und  unsere  Aufgabe 
ist  es,  in  jedem  Falle  zu  entscheiden,  ob  und  wie  lange  das 
Herz  turnen  darf.  —  Bleibt  z.  B.  die  Blutdrucksteigerung  nach 
dem  Bade  aus,  dann  kann  das  Bad  zu  schwach  —  nicht  kühl 
genug  oder  zu  arm  an  C02  —  gewesen  sein  oder  es  ist  zu 
stark  gewesen.  Die  Untersuchung  des  Kranken  wird  die 
Entscheidung  bringen.  Ein  zu  schwaches  Bad  läßt  keinerlei 
Spuren  zurück,  ein  zu  starkes  ruft  Insuffizienzerscheinungen 
hervor,  d.  h.  ein  solches  Herz  ist  den  Ansprüchen  des  be- 
treffenden Bades  noch  nicht  gewachsen,  es  kann  diesen  Haut- 


*)   Grossmann,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.,  Bd.  32. 


Das  kohlensäurehältige  Bad.  \\\ 

reiz  nicht  durch  Vermehrung  seiner  Leistung  beantworten 
und  der  durch  Steigerung  des  Vasomotorentonus  bewirkten 
Erhöhung  des  arteriellen  Drucks  nicht  die  notwendige  Ar- 
beit entgegenstellen;  es  ist  mit  einem  Worte  entweder  über- 
haupt nicht  oder  noch  nicht  für  eine  übende  Therapie  geeignet. 
Mit  der  Blutdrucksteigerung  bleibt  in  solchen  Fällen  auch 
die  Pulsverlangsamung  aus,  oder  es  tritt  sogar  eine  Be- 
schleunigung des  Herzschlags,  selbst  Arhythmie,  ein.  Auch 
eine  Zunahme  der  Herzgröße  (Stauungsdilatation)  kann  Folge 
der  Vermehrung  der  Widerstände  im  Kreislaufe  durch  das 
C02-hältige  Bad  sein. 

Daraus  ergibt  sich  die  Regel,  daß  man  jedesmal  mit 
indifferenten  Bädern  beginnen  wird,  um  je  nach  der  Reaktion 
des  Kranken  langsamer  oder  rascher  zu  den  kühlsten  und 
C02-reichsten  Bädern  überzugehen.  Die  C02-Bäderbehandlung 
strebt  es  nämlich  an,  den  Herzmuskel  durch  immer  kräftigere, 
d.  h.  C02-reichere  und  kühlere  Bäder  zu  üben.  Leider  gelingt 
es  nicht  immer,  bis  zu  den  stärksten  C02-Bädern  anzusteigen- 
Je  geeigneter  der  betreffende  Fall,  je  erfahrener  der  Arzt 
ist  und  je  mehr  sich  der  Kranke  der  Kur  widmen  kann, 
desto  größer  ist  der  erreichbare  Erfolg. 

Den  Beginn  machen  in  der  Regel  einfache  Wasserbäder, 
Halbbäder,  denen  Salzbäder  folgen.  Dann  geht  man  zu  schwach 
C02 -hältigen  Bädern  über,  mit  denen  man  eventuell  bei  Insuffizienz- 
erscheinungen  allergeringsten  Grades  die  Kur  gleich  beginnen  kann. 
Ergibt  die  genaue  Kontrolle ,  daß  das  Herz  in  erwünschter  AVeise 
reagiert,  der  Blutdruck  steigt,  der  Puls  langsamer  wird,  die  Stauungs- 
erscheinungen abnehmen  ,  dann  kann  man  die  Kur  fortsetzen  und 
die  günstigen  Wirkungen  immer  länger  anhalten  sehen.  Die  Tem- 
peratur des  Bades  betrage  anfangs  27°  R.,  bei  älteren  Leuten  28°, 
und  werde  allmählich  bis  auf  18U  erniedrigt.  —  Der  Kranke  steigt 
nach  der  Nauheimer  Badevorschrift  langsam  in  das  Bad,  setzt  sich 
vorsichtig  nieder  und  lehnt  sich  an ;  er  hat  jede  Bewegung  im 
Bade  zu  vermeiden.  Wenn  es  ihn  fröstelt,  läßt  man  ein  wenig 
wärmeres  Wasser  zufließen.  Friert  es  ihn  trotzdem  weiter  oder 
beginnt  das  Frostgefühl  während  des  Bades,  dann  setze  man  noch 
warmes  Wasser  zu  und  kürze  die  Badedauer  jedenfalls  ab.  Das 
nächste  Bad  muß  dann  wärmer  und  von  kürzerer  Dauer  sein.  Das 
erste  Bad  dauert  5 — 10  Minuten,  je  nach  dem  Verhalten  des 
Kranken,  und  steigt  allmählich  auf  15 — 20  Minuten;  man  läßt 
anfangs  (in  der  ersten  Woche)  an  jedem  zweiten  Tage  baden  ,   in 


112  Allgemeine  Therapie. 

der  zweiten  Woche  vier,  von  der  dritten  Woche  an  fünf  bis  sechs 
Bäder  wöchentlich  nehmen ,  doch  bleibt  immer  der  Reaktion  des 
Kranken  nach  dem  Bade  die  Entscheidung  vorbehalten.  Wenn  der 
Kranke  sich  nach  dem  Bade  wohl  fühlt,  kann  dasselbe  Tags  darauf 
C02 -reicher  und  kühler  sein ;  fühlt  er  sich  müde  und  abgeschlagen 
und  lehrt  die  Untersuchung,  daß  Herz,  Puls  und  Blutdruck  nicht 
ungünstig  beeinflußt  wurden,  dann  kann  am  nächsten  Tage  in  der 
gleichen  Weise  gebadet  werden;  trat  jedoch  Blutdrucksenkung, 
Frequenzsteigerung  des  Pulses  oder  gar  Herzdilatation  und  Op- 
pressionsgefühl  ein ,  so  wird  am  folgenden  Tage  pausiert  oder 
schwächer  gebadet,  eventuell  sogar  Bettruhe  verordnet  und  das 
nächste  Bad  erheischt  dann  doppelte  Vorsicht.  —  Das  Badezimmer 
soll  richtig  temperiert  (ungefähr  15°),  luftig  und  geräumig  sein. 
Das  Baden  in  einem  überhitzten ,  dampferfüllten  Räume  kann  jed- 
weden Erfolg  vereiteln.  Ist  das  Bad  beendigt,  dann  wird  der  be- 
quem liegende  Kranke  kräftig  abgetrocknet  und  soll  nunmehr  1  bis 
2  Stunden  ruhig,  womöglich  im  Bette,  liegen.  Es  ist  empfehlens- 
wert, den  Kranken  auch  vor  dem  Bade  1/2  —  1  Stunde  der  Ruhe 
pflegen  und  ausgiebigere  Bewegungen  sowie  geistige  Anstrengungen 
vermeiden  zu  lassen. 

Die  beste  Badezeit  ist  der  Vormittag,  nach  dem  Frühstück; 
in  nüchternem  Zustande  werden  die  Bäder  schlecht  vertragen.  —  Eine 
vollkommene  Kur  nimmt  unter  günstigen  Verhältnissen  fünf  bis 
sieben  Wochen  in  Anspruch. 

Ans  dem  Gesagten  geht  hervor,  daß  wir  kein  Mittel 
besitzen ,  welches  uns  eine  so  systematisch  graduierte  Stei- 
gerung der  Inanspruchnahme  des  Herzens,  eine  so  metho- 
dische Gymnastik  des  Herzens  gestattete,  wie  das  C02- 
hältige  Bad,  welches  Herz  und  Gefäße  in  gleicher  Weise 
günstig  beeinflussen  kann. 

Wir  haben  aber  auch  erfahren ,  daß  das  C02 -hältige 
Bad  nur  dem  Arzte,  der  es  meistert,  ein  wohltätiger  Heil- 
behelf ist.  In  der  Hand  des  Unerfahrenen  ist  es  ein  zwei- 
schneidiges Schwert,  dessen  eine  Schärfe  Heil,  die  andere 
Unheil  bringt,  denn  das  C02-hältige  Bad  verlangt  täglich 
von  neuem  die  Stellung  der  Indikation ,  soll  nicht  durch 
dasselbe  dem  Kranken  unersetzbarer  Schaden  zugefügt 
werden. 

Das  C02-hältige  Bad  ist  für  Herzkranke  ange- 
zeigt, deren  Herz  nach  dem  Principe  der  Übung  be- 
handelt werden  kann,  also  bei  Insuffizienzen  des  ersten 
Grades,    gleichgültig  ob  dieselben    den  Anfang   eines  Herz- 


Das  kohlensäurehältige  Bad.  113 

leidens  darstellen  (Herzbeschwerden  der  Fettleibigen)  oder 
nach  Ablauf  einer  akuten  Affektion  (Endo-Myokarditis)  zu- 
rückgeblieben sind. 

Bei  Insuffizienzen  des  zweiten  Grades  ist  die 
Bäderkur  kontraindiziert,  ebenso  wenn  die  Insuf- 
fizienzerscheinungen  in  rascher  Zunahme  begriffen 
oder  Komplikationen,  Bronchitis.  Nephritiden  auf- 
getreten sind,  schließlich  bei  Herz-  oder  G-efäß- 
affektionen,  die  mit  Erhöhung  des  Blutdrucks  ein- 
hergehen. Leidet  der  Kranke  an  Anfällen  von  Angina 
pectoris,  dann  sei  man  vorsichtig,  weil  eine  zu  brüske  Stei- 
gerung der  Badestärke  einen  Anfall  hervorrufen  kann;  in 
Fällen  von  schwerer  Angina  pectoris  sind  C02 -hältige  Bäder 
kontraindiziert.  Sollen  dieselben  zur  Übung  eines  nach  Ablauf 
einer  akuten  Affektion  rekonvaleszenten  Herzens  zur  An- 
wendung kommen,  dann  muß  der  Zustand  zumindest  bereits 
zwei  bis  drei  Wochen  stationär  gewesen  sein.  Sehr  erregbare, 
nervöse  Individuen  pflegen  die  stärkeren  C02-hältigen  Bäder 
nicht  zu  vertragen. 

Unter  den  Badeorten  mit  C02 -hältigen  Bädern  stehtderzeit 
Nauheim  an  der  Spitze,  hauptsächlich  wohl  durch  die  große 
Erfahrung  seiner  Kurärzte  auf  dem  Gebiete  der  Herz- 
therapie, denn  C02-reiche  Quellen  und  die  Ingredienzen  zum 
C02-Bade  sind  auch  anderwärts  zu  finden. 

Nauheim  besitzt  Solbäder  und  drei  Hauptquellen  (Nr.  7 ,  großer 
Sprudel ;  Nr.  12,  Friedrich-Wilhelm-Sprudel  und  die  neuerbohrte  Quelle  Nr.  14). 
Die  Temperatur  der  Quellen  schwankt  von  31'6n  C.  bis  35*3°  C. ;  die  niedriger 
temperierten  sind  naturgemäß  kohlensäurereicher. 

Die  wichtigsten  Bestandteile  sind  neben  freier  Kohlensäure  Kochsalz, 
Chlorcalciuin,  kohlensaure  Alkalien  und  Eisen.  Die  CÜ2-hältigen  Quellen 
kommen  als  Thermalbäder,  Sprudelbäder  und  Sprudelstrombäder  in  Verwen- 
dung. Die  Thermalbäder  sind  Bäder  mit  schwachem  C02-Gehalt;  das  Wasser 
der  Sprudelbäder  wird,  ohne  vorher  mit  der  atmosphärischen  Luft  in  Be- 
rührung gewesen  zu  sein,  in  die  Badewanne  geleitet;  das  Wasser  der  Sprudel- 
strombäder strömt  mit  einem  Überdruck  in  die  Wanne  konstant  ein  und  aus. 
Durch  Vermischen  der  Quellen  untereinander  und  Zusatz  verschieden  tem- 
perierten Süßwassers  oder  Eises  werden  C02-Gehalt  und  Temperatur  der 
Quellen  beliebig  reguliert.  Die  Kur  wird  mit  Solbädern  oder  schwachen 
Thermalbädern  begonnen  und  allmählich  zu  Sprudelbädern  und  Strudelstrom- 
bädern weiter  geführt,  doch  setzt  das  Erreichen  der  letztgenannten  Bäder  in 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten.  8 


114  Allgemeine  Therapie. 

der  Regel  eine  zumindest  fünf  Wochen  andauernde  Kurzeit  voraus.  —  Nauheim 
verfügt  außerdem  über  vier  Trinkquellen. 

Auch  Oeynhausen  und  Soden  im  Taunus  besitzen  Öl- 
haltige Thermalsolen ;  kalte  C02 -hältige  Quellen  finden  sich  ferner 
in  Marienbad  (die  an  freier  C02  außerordentlich  reiche  Marien- 
q a eile),  Cudowa,  Franzensbad,  Elster,  Kissingen,  Homburg,  Reinerz, 
Tarasp.  Die  letztgenannten  Badeorte  können  auch  anderen  Indi- 
kationen Rechnung  tragen ,  die  sich  neben  der  Herzkrankheit  und 
mit  derselben  zu  ergeben  pflegen ,  z.  B.  Marienbad ,  Homburg, 
Elster  der  chronischen  Obstipation  und  der  Behandlung  Fettleibiger, 
Kissingen  gleichzeitigen  Magen-  und  Darmstörungen,  Tarasp,  soweit 
es  nicht  durch  seine  hohe  Lage  (mehr  als  1200  m)  bei  Herzkrank- 
heiten kontraindiziert  ist  (s.  Klimatotherapie),  Leberaffektionen  und 
Diabetes,  Franzensbad,  Reinerz  und  Elster  Frauenkrankheiten  und 
anämischen  Zuständen. 

Die  Temperatur  der  C02-hältigen  Wässer  wird  an  diesen 
Orten  nach  verschiedenen  Methoden  künstlich  auf  die  gewünschte 
Höhe  gebracht *) ;  ihre  Wirkung  kann  bei  genauer  Überwachung 
der  Badebereitung,  sorgfältiger  Dosierung  von  C02-Gehalt  und 
Temperatur,  sowie  strenger  Indikationsstellung  nach  den  Nauheimer 
Prinzipien ,  zweifellos  die  gleiche  sein  wie  in  Nauheim  selbst, 
denn  die  Erfolge  einer  C02-Kur  sind  von  dem  Orte  unabhängig, 
an  dem  sie  vorgenommen  wird,  sind  unter  geeigneten  Verhältnissen 
auch  durch  das  künstliche  C02 -hältige  Bad  zu  erreichen.  Allerdings 
wird  ein  Kranker,  der  eine  solche  Kur  zu  Hause  gebraucht,  nur 
selten  vollkommen  „kurgemäß"  leben  können.  Man  bedenke  bloß, 
daß  „procul  negotiis"  der  Kranke  oder  Rekonvaleszent  vor  allem 
Herr  seiner  Zeit,  in  der  Einteilung  seiner  Diät  von  den  Ansprüchen 
des  Berufes ,  der  Familie ,  des  Haushaltes  vollkommen  unabhängig 
ist.  Und  hierauf  ist  erfahrungsgemäß  der  größte  Teil  der  Kurer- 
folge in  Badeorten  zurückzuführen. 

Es  gibt  eine  Reihe  von  Verfahren  zur  Herstellung  künst- 
licher C02-hältiger  Bäder. 

Nach  der  ursprünglichen  A.  Schottschen  Methode  wird  die  C02  durch 
Einwirkung  roher  Salzsäure  auf  Natr.  bicarbon.  crudum  entwickelt.  Man  löst 
in  heißem  Wasser  3 — dkg  Mutterlaugensalz  (das  bei  der  Kochsalzgewinnung 
zurückbleibende,  durch  Verdampfung  zur  Trockne  erhaltene  Salzgemisch  aus 
Chlornatrium-,  Magnesium-  und  Calcium,  Jod-  und  Bromalkalien,  Glaubersalz  etc. 
bestehend),  100 — 300  #  Chorcalcium  oder  3 — 9  kg  Nauheimer  Badesalz  sowie 
die  gewünschte  Sodamenge  und  fügt  diese  Lösung  dem  Badewasser  zu,  das 
sodann  auf  die  erforderliche  Temperatur  zu  bringen  ist.  Nun  bringt  man  eine 
Flasche  mit  Salzsäure  in  einer  der  zugesetzten  Sodamenge  entsprechenden 
Quantität  mit  der  Öffnung  nach  unten  in  das  Wasser ,  entfernt  den  Stopfen 


*)  Siehe  Glax,  Handbuch  der  physikal.  Therapie. 


Das  kohlensäurehältige  Bad.  115 

und  bewegt  die  Flasche  über  dem  Wannenboden  hin  und  her.  Die  Salzsäure 
diffundiert  in  die  unterste  Wasserschichte;  schließlich  läßt  man,  indem  man 
die  Flasche  umdreht,  ihren  Inhalt  langsam  in  das  Badewasser  einfließen  und 
kontrolliert  nochmals  die  Wassertemperatur,  um  sie  auf  die  entsprechende 
Höhe  einzustellen. 

Wenn  der  Kranke  in  das  Bad  steigt,  mischt  sich  die  Salzsäure  aus- 
giebiger mit  dem  Badewasser  und  nun  beginnt  eine  15 — 20  Stunden  kräftig 
andauernde  COa -Entwicklung. 

Das  Verfahren  gestattet  bei  entsprechender  Vorsicht  und  Übung  die 
genaueste  Dosierung.  Man  beginnt  mit  einfachen  Halbbädern,  geht  dann  zu 
Salzbädern  über,  fügt  schließlich  Soda  in  steigender  Menge  und  die  ent- 
sprechende Salzsäureportion  hinzu,  u.  zw.  je  100 ij  Natr.  bicarbon.  crud.  und 
100#  Salzsäure,  250</,  600,  1000  bis  zu  1500#  Salz  und  Säure;  je  nach  der 
Reaktion  des  Kranken  werden  mehr  oder  weniger  Zwischenstufen  einzuhalten 
sein.  —  Die  künstlichen  C02-hältigen  Bäder  greifen  Zink-  und  Marmorwannen 
an.  —  In  bequemerer,  aber  kostspieligerer  Weise  kann  man  künstliche  C02- 
hältige  Bäder  nach  den  speziellen  Vorschriften  von  Quaglio,  Sandow  und 
Lippert  bereiten.  Den  entsprechenden  Bade-Ingredienzen  liegen  auch  immer 
die  Bereitungsvorschriften  bei. 

Die  Wirkung  der  C02-Badkuren  wird  durch  zielbewußte 
Nebenkuren,  Gymnastik,  Trinkkuren,  graduierte  Terrainkuren  etc. 
und  durch  geeignete  Nachkuren  zweckmäßig  unterstützt. 


Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

Von  Dozent  Dr.  Alois  Strasser. 

Bis  vor  nicht  langer  Zeit  hieß  es  allgemein,  daß  Herz- 
kranke von  der  Behandlung  mit  hydrotherapeutischen  Kuren 
ausgeschlossen  wären.  Offenbar  hat  sich  diese  Auffassung 
unter  dem  Eindrucke  der  übertriebenen  Behandlungsmethoden 
ausgebildet,  zu  Zeiten,  in  welchen  die  Aufgaben  der  Behand- 
lung der  Herzkrankheiten  nicht  so  klar  gestellt  waren  wie 
jetzt.  Augenblicklich  bildet  die  Hydrotherapie  geradezu  einen 
integrierenden  Bestandteil  der  modernen  Behandlungsmethode 
der  Herzkrankheiten. 

Zum  besseren  Verständnis  der  aufzustellenden  Indi- 
kationen ist  es  wichtig ,  im  kurzen  zu  rekapitulieren ,  in 
welcher  Weise  hydrotherapeutische  Methoden  das  Herz  und 
die  Herzarbeit  beeinflussen  können. 

Der  Tendenz  dieses  Buches  entsprechend,  wäre  es  not- 
wendig, eine  Sonderung  der  schonenden,  resp.  übenden  Be- 
handlung, soweit  dies  überhaupt  möglich  ist,  durchzuführen, 
und  ich  werde  nicht  versäumen,  in  einzelnem  auf  diese 
Forderung  zurückzukommen. 

Es  kommen  bei  der  Therapie  der  Herzkrankheiten  so- 
wohl lokale,  auf  das  Herz  applizierte,  wie  auf  Körperteile 
und  auf  den  ganzen  Körper  ausgedehnte  mit  mehr  oder  weniger 
mechanischen  Manipulationen  kombinierte  Prozeduren  zur  Ver- 
wendung. Die  Resultate  der  ausgedehnten  Untersuchungen 
werde  ich  hier  nur  insoweit  mitteilen,  als  sie  klinisch,  d.  i. 
für  die  Indikationsstellung  von  Wichtigkeit  sind  und  soweit 
sie    wenigstens    annähernd   feststehende    Resultate    liefern. 


Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  H7 

Ich  unterlasse  es,  auf  die  vielfachen  auch  große  Wider- 
sprüche aufweisenden  Arbeiten  näher  einzugehen ,  da  dies 
den  Rahmen,  der  mir  hier  gegeben  ist,  weitaus  überschreiten 
würde. 

Um  vorerst  von  den  lokalen,  auf  das  Herz  applizierten 
Prozeduren  zu  sprechen,  ist  folgendes  hervorzuheben :  Kalte 
und  warme  Applikationen  auf  das  Herz  durchdringen  in 
mehr  weniger  Zeit  das  Gewebe  und  kühlen  resp.  erwärmen  die 
Hülle  des  Herzens  und  das  Herz  selbst  (Silva).  Der  Abkühlung, 
resp.  Erwärmung  sind  auch  hier  dieselben  Grenzen  gesetzt. 
wie  überall  im  Körper ,  wie  in  der  Muskulatur ,  in  den 
tieferen  Organen,  im  Abdomen  etc.,  u.  zw.  durch  die  mehr 
minder  energische  Blutversorgung,  resp.  Aufrechterhaltung 
der  ungestörten  Zirkulation  im  Gewebe ,  welche  eine  be- 
sondere Erwärmung  und  viel  mehr  noch  eine  beträchtliche 
Abkühlung  verhindert.  —  Es  ist  festgestellt,  daß  das  Herz  be- 
deutende Erwärmungen  und  Abkühlungen  verträgt,  ohne  in 
seiner  Arbeit  sehr  bedeutend  Einbuße  zu  erleiden  (Langendorff). 
DasVolumen  des  Herzens  ändert  sich  durch  kalte  und  warme 
Applikationen,  u.  zw.  ist  eine  nachweisbare  Veränderung  des 
Volumens  nur  im  Sinne  einer  Verkleinerung  nachgewiesen, 
eine  direkte  Verbreiterung  des  Herzens  durch  Kälte  oder 
Wärme  ist  nur  in  später  zu  besprechender,  ganz  besonderer 
Ausnahme  gefunden  worden.  Eine  Verkleinerung  der  Herz- 
dämpfung kann  sowohl  bei  Kältewirkung  als  bei  Einwirkung 
höherer  Wärmegrade  stattfinden.  Erstere  Erscheinung  ist  eine 
unwidersprochen  allgemein  akzeptierte,  die  zweite  meines 
Wissens  nur  in  einer  Arbeit,  in  der  von  Heitier,  durch  Einrücken 
der  Herzdämpfung  nach  Applikation  höherer  Wärmegrade 
in  der  Dauer  von  höchstens  40  Minuten  angegeben.  Die 
Verkleinerung  des  Volumens  ist  als  eine  Tonusvermehrung 
des  Herzmuskels  anzusehen  und  infolgedessen  wahrschein- 
lich auch  als  eine  in  der  Einzelkontraktion  vermehrte 
Arbeitsleistung,  namentlich  eine  bessere  Entleerung  des 
Herzens. 

Die  Frequenz  des  Herzschlages  ist  im  allge- 
meinen unter  Kälteapplikation  vermindert,  unter  Wärme 
vermehrt.  Die  Verminderung  unter  Kälte  dürfte  von  dem  all- 


118  Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

gemeinen  Gesichtspunkte  aus  beurteilt  werden  wie  der  Ablauf 
der  unwillkürlichen  Muskelkontraktionen  unter  Kälte  über- 
haupt. Insbesondere  scheint  es  und  ist  aus  Pulskurven  zu 
beurteilen ,  daß  die  Verlan gsamung  der  Herzaktion  unter 
Kalte  sich  hauptsächlich  durch  längere  Diastole  und  eine  län- 
gere Herzpause  herausbildet.  In  ähnlicher  Weise  ist  zu  kon- 
statieren, daß  der  Rhythmus  der  Herzaktion  von  Kälte  und 
Wärme  lokal  beeinflußt  wird.  Arhythmie  wird  unter 
Kälte  besser  oder  verschwindet  ganz:  sie  kann  sich  unter 
höheren  Wärmegraden  ebenfalls  bessern.  Länger  dauernde 
Wärmeapplikationen  zeigen  diese  günstige  Wirkung  nicht, 
sie  können  sogar  eine  Arhythmie  steigern.  Ob  der  Ausgleich 
des  Rhythmus  durch  direkte  Wirkung  auf  den  Herzmuskel 
und  durch  Kältewirkung  auf  den  „gangliomuskulären  Apparat 
des  Herzens"  allein  entsteht,  oder  ob  hier  Reflexwirkungen 
noch  eine  Rolle  spielen,  ist  nicht  genau  anzugeben.  Es  ist 
jedenfalls  wahrscheinlich,  daß  es  sich  um  das  Zusammen- 
wirken beider  Elemente  handelt. 

Schmerzempfindungen  in  der  Herzgegend  werden 
durch  Kälte-  resp.  Wärmeapplikation  entschieden  beeinflußt 
u.zw.  resümiere  ich  unsere  Erfahrungen  kurz  dahin,  daß  bei  ent- 
zündlichen Schmerzen  ausschließlich  die  Kälte,  bei  krampf- 
artigen Schmerzen  beide  Arten  mit  Erfolg  angewendet  werden 
können.  Nur  ganz  bestimmte  Schmerzerscheinungen  am  Herzen 
erfordern  die  ausschließliche  An  wendung höherer  Temperaturen. 
Es  ist  eine  Erfahrung  in  der  Hydrotherapie,  daß  der  Einfluß 
von  Kälte  auf  die  Herzgegend  nicht  nur  therapeutisch, 
sondern  auch  differentialdiagnostisch  verwertet  werden 
kann.  So  gibt  es  Fälle  insbesondere  von  Herzmuskeldegene- 
ration, bei  welchen  die  Kälteajjplikation  nicht  die  erwähnten 
Effekte,  sondern  oft  gegenteilige  Wirkungen  hervorruft.  — 
Man  sieht,  daß  die  Herzdämpfung  sich  nicht  verkleinert, 
sondern  sich  ab  und  zu  nachweisbar  verbreitert  (seltener  Be- 
fund), daß  die  Pulsfrequenz  beschleunigt  wird,  die  Arhythmien 
nicht  gebessert,  sondern  verschlechtert  werden  und  daß  unter 
diesen  Erscheinungen  eine  ausgesprochene  Insuffizienz  oder 
eine  Steigerung  der  bestehenden  Insuffizienz  auftritt.  Wir 
stellen  uns  bei  solchen  Ereignissen  vor,  daß  es  sich  um  hoch- 


Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  119 

gradig  fortgeschrittene  Muskeldegenerationen  handelt;  der 
Muskel  reagiert  auf  Kälte  nicht  in  normaler  Weise,  sondern 
so  wie  ein  normaler  Muskel  auf  abnorm  große  Kältereize 
reagieren  würde,  nämlich  mit  baldiger  Erschlaffung,  Atonie. 
Unter  diesen  Umständen  wird  die  Herzarbeit  verschlechtert, 
die  Entleerung  des  Ventrikels  geht  schlechter  von  statten. 
Wenn  bei  derartigen  Fällen  auch  Schmerzen  vorhanden 
sind,  so  werden  dieselben  durch  die  Kälte  meist  ungünstig 
beeinflußt,  dagegen  durch  die  Wärmeapplikation  gebessert. 
Die  Zirkulationsstörung  äußert  sich  in  diesen  Fällen  sofort 
durch  Dyspnoe  und  durch  Cyanose  in  der  Peripherie  und 
es  wäre  die  theoretische  Möglichkeit  vorhanden ,  daß  die 
Kälteapplikation  in  solchem  Falle  selbst  einen  Herzstillstand 
bewirken  könnte.  Ich  selbst  weiß  von  keinem  Falle,  in 
welchem  sich  das  ereignet  hätte,  doch  sah  ich  im  Laufe 
von  10  Jahren  3  Fälle,  in  welchen  ich  den  Eindruck  hatte, 
daß  bei  Permanenz  der  Kältewirkung  die  drohenden  Er- 
scheinungen sich  bis  zum  letalen  Ende  hätten  steigern  können. 

Resümiere  ich,  wie  weit  die  lokale  Kälte-  und  Wärme- 
applikation als  schonendes,  resp.  übendes  Verfahren  für  das 
Herz  in  Betracht  kommen ,  so  muß  ich  sagen ,  daß  eine 
Trennung  nicht  genau  durchführbar  ist,  denn  soweit  der 
Kälte  und  der  Wärme  eine  schonende  Behandlung  durch 
Bekämpfung  von  Entzündungen,  Schmerzen  und  Herabsetzung 
der  Frequenz  zukommt,  ist  gleichzeitig  eine  übende  Ein- 
wirkung dabei,  welche  sich  durch  die  geschilderte  Erhöhung 
des  Muskeltonus  manifestiert.  Es  scheint  jedoch,  als  würde 
in  diesen  Maßnahmen  das  Prinzip  der  Schonung  präva- 
lieren.  —  In  der  Technik  der  Kälte-  und  Wärmeappiika- 
tionen  auf  das  Herz  ist  es  als  selbstverständlich  anzusehen, 
daß  die  Methoden  in  Muskelruhe  durchgeführt  werden 
müssen ,  was  an  sich  eine  gewisse  Schonung  bedeutet ,  da 
das  Quantum  des  Erfordernisses  an  den  Herzmuskel  herab- 
gesetzt ist. 

Die  Kälte  und  Wärmeapplikation  auf  das  Herz  kann 
durch  häufig  gewechselte,  entsprechend  temperierte  Um- 
schläge, sowie  auch  durch  die  bekannten  Kühl-  resp.  Wärme- 
apparate   geschehen.    Wir  benützen    meistens   die  Zirkulier- 


120  Die  hydriatische.  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

apparate  aus  Kautschuk  oder  Aluminium  und  weniger  die  Eis- 
resp.  die  Heißwassersäcke,  hauptsächlich  darum,  weil  diese 
erstens  zu  schwer  sind  und  zweitens  Modifikationen  der  an- 
gewendeten Temperatur  nicht  gut  zulassen.  Wir  legen  die 
Schlauchapparate  nicht  unmittelbar  auf  die  Haut,  sondern 
geben  zwischen  Haut  und  Apparat  einen  dünnen  feuchten 
Umschlag,  weil  die  Erfahrung  lehrt,  daß  niedrige  Kälte- 
grade mit  Feuchtigkeit  besser  vertragen  werden  als  trockene. 
Bei  Kühlung  des  Herzens  ist  es  gut,  mit  der  Temperatur 
einzuschleichen,  d.  h.  man  appliziert  den  Schlauch,  läßt  an- 
fangs etwas  temperiertes  Wasser,  z.B.  12°  C,  durchfließen 
und  kann  dann  rapid  die  Temperatur  herabsetzen,  so  zwar, 
daß  schon  bei  der  zweiten ,  dritten  Applikation  niedrigste 
Temperaturen  vertragen  werden.  Bei  Heiß  Wasserapplikation 
ist  es  angezeigt,  sofort  mit  der  hohen  Temperatur  einzu- 
setzen (40— 45°  C). 

Von  anderen  Körperstellen  ließ  sich  ein  reflek- 
torischer Einfluß  auf  das  Herz  empirisch  feststellen,  so  haupt- 
sächlich von  der  Nacken-Wirbelsäule,  wo  Kälte  eine 
vorübergehende  Beschleunigung  mit  nachfolgender  Verlang- 
samung der  Herzaktion  bewirkt  und  Hitze  auch  die  Herz- 
aktion ziemlich  bedeutend  verlangsamt.  Die  Einwirkung  von 
anderen  Körperstellen ,  Extremitäten ,  kleinen  Teilen  des 
Körpers  auf  die  Herzfrequenz  ist  durchaus  nicht  einheitlich 
und  dürfte  sich  nur  so  weit  äußern  ,  als  es  dem  sensiblen 
Reize  überhaupt  entspricht;  von  einer  dauernden  Beeinflussung 
der  Herzaktion  von  einzelnen  entfernten  Körperstellen  aus 
ist  nichts  bekannt. 

Die  Wirkung  von  allgemeinen  Prozeduren  auf  das 
Herz  selbst  äußert  sich  erstens  durch  reflektorische  Ver- 
änderung der  Herzarbeit  selbst,  zweitens  durch  dynamische 
Verhältnisse,  welche  die  hervorgerufenen  Veränderungen  im 
Stromgebiete  nach  sich  ziehen.  Die  Zahl  der  Mitteilungen 
über  den  Einfluß  allgemeiner  Prozeduren  auf  den  Blutdruck 
ist  eine  immens  große  und  ist  hervorzuheben,  daß  allgemeine 
resp.  größere  Körperteile  treffende  Kälte-  und  Wärme- 
wirkungen sowohl  den  Blutdruck  als  die  Pulsfrequenz  wesent- 
lich beeinflussen  können 


Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  121 

Wenn  man  aus  all  den  Beobachtungen  einen  einheit- 
lichen Schluß  ziehen  darf,  so  lautet  derselbe  für  hydro- 
therapeutische Prozeduren  im  allgemeinen  folgendermaßen : 
Jedwede  Prozedur,  welche  größere  Gefäßgebiete  zur  Kon- 
traktion bringt,  erhöht  den  Blutdruck  und  verlangsamt  die 
Herzaktion,  während  jede  Prozedur,  welche  größere  Gefäß- 
gebiete zur  Dilatation  bringt,  die  Herzfrequenz  vermehrt, 
nachdem  der  Blutdruck  vermindert  wurde.  Dieser  Satz  hat 
allerdings  gewisse  Korrekturen  nötig,  denn  die  Vorstellung 
der  Gefäßdilatation  ist  nach  unserer  Lehre  bei  Wärme-  und 
Kälteapplikationen  different.  Es  kommt  nämlich  nach  vor- 
übergehender Kälteapplikation ,  nach  einer  primären  Kon- 
traktion, auch  zu  einer  Dilatation  der  Gefäße,  wobei  der 
Blutdruck  allerdings  gegenüber  dem  Höhepunkte,  der  durch 
die  Gefäßkontraktion  erreicht  wurde,  etwas  sinkt,  im  ganzen 
aber  doch  noch  höher  bleibt  als  bei  Erweiterung  größerer 
Gefäßgebiete ,  wie  das  z.  B.  bei  länger  dauernder  Wärme- 
applikation durchwegs  zu  konstatieren  ist.  Bei  Kältereizen 
ist  es  auch  sicherstehend,  daß  der  rasch  in  die  Höhe  getriebene 
Blutdruck  ganz  allmählich  wieder  sinkt,  was  die  Wieder- 
erweiterung des  durch  Kontraktion  verkleinerten  Stromge- 
bietes anzeigen  dürfte,  aber  auch  den  Rückschluß  gestattet, 
daß  das  Stromgebiet  sich  nicht  so  rasch  und  nicht  so  stark 
erweitert  wie  nach  länger  dauernder  Wärmeapplikation. 

Wieweit  derlei  Veränderungen  in  Gefäßgebieten  auf 
das  Herz  zurückwirken,  ist  nicht  leicht  zu  bestimmen.  Es 
ist  zu  bedenken,  daß,  wenn  Blutmassen  von  einem  Körper- 
teil verdrängt  werden,  sie  in  andere  Gebiete  strömen  und 
sich  dermaßen  eine  Störung  ziemlich  ausgleichen  kann, 
andererseits  steht  fest,  daß  die  auf  die  Körperoberfläche 
applizierten  Reizwirkungen  der  Kälte  und  Wärme  reflek- 
torisch eine  Änderung  der  Herzarbeit  selbst  bewirken, 
welche  somit  nur  zu  einem  Teile  und  nicht  absolut  von  den 
Gefäßveränderungen  abhängig  ist  Eine  Bemessung,  wie 
viel  hiebei  auf  das  Herz  und  wie  viel  auf  die  Zirkulations- 
veränderung kommt,  ist  geradezu  unmöglich.  Trotzdem  muß 
man  derlei  Zirkulationsveränderungen  in  der  Therapie  sehr 
große  Bedeutung   beimessen,   weil  die  Anpassungsfähigkeit 


122  Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

des  Herzmuskels  an  derlei  Veränderungen  unter  Umständen 
eben  verändert  ist.  Es  mag  sich  der  Herzmuskel  verän- 
derten Zirkulationsbedingungen  in  mehr  minder  langer  Zeit 
akkommodieren  können,  gerade  die  Plötzlichkeit  der  Über- 
gänge kann  aber  unter  gewissen  Umständen  für  ein  Herz 
gefährlich  werden,  woraus  die  allgemeine  Regel  resul- 
tiert, daß  alle  allgemeinen  Prozeduren,  welche  eine 
brüske  Zirkulationsveränderung  im  größeren  Maß- 
stabe verursachen,  bei  Vorhandensein  von  Herz- 
muskelinsuffizienz unstatthaft  sind. 

Bei  Anwendung  lokaler  Prozeduren  ist  eine  Dosierung 
leichter  möglich.  Man  kann  sowohl  die  sensiblen  Reize,  wie  die 
verursachten  Zirkulationsveränderungen  derartig  modifizieren, 
daß  eine  plötzliche  Belastung  des  Herzens  entfällt  und  nur 
kleinweise  Veränderungen  entstehen,  welche  das  Herz  nach 
seiner  jeweiligen  Leistungsfähigkeit  überwinden  kann.  So 
z.  B.  kann  ein  Herzkranker  partielle  Abreibungen,  Waschun- 
gen einzelner  Körperteile  hintereinander  vertragen,  während 
er  eine  allgemeine  Abreibung  schwer  oder  gar  nicht  ver- 
trägt. So  kann  man  partielle  Schwitzkuren  mitunter  ganz 
sorglos  verabreichen  dort,  wo  eine  allgemeine  schweißtrei- 
bende Prozedur  durch  Überhitzung  unmöglich  wäre. 

Die  dermaßen  applizierten  Methoden  haben  den  Anschein, 
daß  sie  ausschließlich  übende  Methoden  sind,  und  zwar  übende 
dadurch ,  daß  sie  das  Herz  daran  gewöhnen ,  sukzessive  er- 
höhten Anforderungen  die  entsprechenden  Arbeitsleistungen 
entgegenzubringen.  Indessen  ist  in  der  Wirkungsweise  hydro- 
therapeutischer Prozeduren  auch  das  schonende  Prinzip  ver- 
treten. Ich  will  die  zwei  markantesten  Fälle  hervorheben, 
welche  für  das  letztere  sprechen :  Erstens  das  Vor- 
kommen von  Stasen,  welche  im  Verlaufe  von  Herzschwäche 
entstanden  sind,  die  zweite  Art,  die  der  Gefäßinsuffizienz 
(Vasomotoreninsuffizienz),  soferne  sie  bei  Infektionskrank- 
heiten vorkommt.  Bei  den  Stasen  ist  ein  circulus  vitiosus 
vorhanden,  indem  der  insuffiziente  Herzmuskel  die  eben  durch 
seine  Schwäche  bedingte  Zirkulationsstörung  nicht  zu  über- 
winden vermag;  eine  Zirkulationsverbesserung  durch  eine 
von  guter  Reaktion    begleitete  Kälteapplikation ,    sowie  die 


Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  1  23 

Eröffnung  der  Gef  äßbahnen  durch  lokale  Wärmeapplikation 
kann  die  Stase  vermindern,  resp.  beheben  und  somit  die 
Anforderungen  für  die  Herzarbeit  herabsetzen.  Ähnlich  liegt 
der  Fall  bei  Infektionskrankheiten,  wo  die  Kälteprozeduren 
die  toxische  Lähmung  der  Gefäße  beheben  und  somit  der 
Herzarbeit  günstigere  Chancen  bieten  können  (siehe  Herz  bei 
Infektionskrankheiten).  Also  Schonungsvorgänge  beiderseits. 

Bei  Kälteprozeduren  ist  wohl  darauf  zu  achten, 
daß  eine  möglichst  gute  Reaktion  erzielt  wird. 
Unter  Reaktion  verstehen  wir  in  der  Hydrotherapie  be- 
kanntlich die  Wiedererwärmung  der  Peripherie  nach  einem 
vorübergehenden  kalten  Reize  durch  sekundäre  Dilatation 
der  Gefäße. 

Die  Reaktionsfähigkeit  bei  Herzkranken  geht  mit  der 
Herzmuskelinsuffizienz  in  der  Regel  parallel,  d.  h.  so  lange 
keine  zirkulatorischen  Störungen  da  sind,  keine  Insuffizienz- 
erscheinungen (Kompensationsstörungen),  auch  keinerlei  Ur- 
sache da  ist,  abgesehen  von  individuellen  Verschiedenheiten, 
daß  die  Reaktionsfähigkeit  sich  nicht  normal  verhalten  sollte. 
Dagegen  ist  die  Reaktionsfähigkeit  bei  eingetretener  In- 
suffizienz in  der  Regel  mehr  oder  minder  herabgesetzt,  doch 
ist  es  noch  immer  erstaunlich,  daß  eine  Hautreaktion  auch 
dort  meist  hervorzurufen  ist,  wo  die  Störung  der  Zirkula- 
tion besonders  hohe  Grade  erreicht  hat.  Da  aber  die  Reak- 
tionsfähigkeit durch  den  einfachen  Kältereiz  allein  doch 
meist  nicht  in  befriedigendem  Maße  hervorzurufen  ist,  so 
ist  es  gerade  bei  Herzkranken  notwendig ,  entweder  durch 
Kontrastreize  oder  durch  mechanische  Manipulationen  die 
Reaktionsfähigkeit  zu  erhöhen.  Die  Notwendigkeit  dieser 
kombinierten  Reize  beschränkt  die  Indikationsstellung,  weil 
viele  Herzkranke  mit  ausgesprochenen  Insuffizienzerschei- 
nungen wohl  den  Kältereiz .  nicht  aber  viele  mechanische 
Manipulationen  vertragen  und  selbst  allgemeine  Kälteappli- 
kationen dürften  wahrscheinlich  mehr  angewendet  werden 
können,  wenn  der  Kältereiz  genügend  wäre  zur  Erreichung 
einer  Reaktion.  Die  Bedeutung  der  Reaktion  hat  nicht  nur 
ihre  theoretische  Begründung,  sie  ist  vielmehr  wichtig  aus 
dem    rein    empirisch    praktischen    Gesichtspunkte,     daß    die 


124  Vit  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

Herzkranken  mit  dauernd  kalter  Peripherie  sich  in  Bezug 
auf  Zirkulation,  Respiration  und  Diurese  meist  weniger  gut 
verhalten. 

Allgemeine  Wärmeapplikationen  werden  als  die 
Herzkraft  am  meisten  in  Anspruch  nehmende  Prozeduren 
angesehen  und  ihre  Indikationsstellung  ist  demgemäß  bei 
Herzkranken  eine  ziemlich  eingeschränkte.  Nichtsdesto- 
weniger sind  allgemeine  Wärmeapplikationen  von  der  An- 
wendung nicht  ausgeschlossen,  vielmehr  ist  es  üblich,  nach 
Vorschriften  von  Winternitz  die  Dampfapplikationen  mit 
einer  gewissen  Vorbauung  gegen  Herzschwäche  anzuwenden, 
nämlich  mit  der  Applikation  des  Herzkühlapparates  vor 
und  während  der  Wärmeanwendung.  Doch  auch  mit  dieser 
Vorsichtsmaßregel  ist  die  Anwendung  von  allgemeinen 
Schwitzprozeduren  nur  eine  verhältnismäßig  seltene  und  man 
beschränkt  sich,  Körperteile  der  Hitze  auszusetzen.  Wohl  ist 
es  bewiesen,  daß  längere  Hitzeapplikationen  auf  einzelne 
Körperteile  auch  von  einem  Abfall  des  Blutdruckes,  von  Be- 
schleunigung der  Herzaktion  gefolgt  werden,  doch  ist  die  Vor- 
bauung, wie  sie  vorhin  angegeben  ist,  mit  Kühlapparaten  auf 
das  Herz  bei  diesen  eingeschränkten  Hitzeprozeduren  wesent- 
lich wirksamer.  Die  Hauptindikation  der  Anwendung 
von  Hitze  ist  die  der  Entwässerung,  der  Beseitigung  der 
hydropischen  Schwellungen  und  es  ist  zweifellos,  daß  selbst 
durch  Teilschwitzbäder  eine  ziemlich  bedeutende  Wasserentzie- 
hung bewirkt  werden  kann.  Aber  auch  bei  leichten  „Kompen- 
sationsstörungen"' (Insuffizienzerscheinungen  ersten  Grades) 
werden  ausnahmsweise  allgemeine  Dampfbäder  mit  gewissem 
Erfolge  angewendet,  ohne  daß  man  dabei  ungünstige  Neben- 
wirkungen konstatieren  könnte.  Es  liegt  sogar  eine  Angabe 
von  Frey  vor,  nach  welcher  bei  Dampfbädern  selbst  nach  zehn 
Minuten  noch  eine  Verkleinerung  der  Herzdämpfung  da  war 
und  der  Puls  nicht  über  100  stieg.  Daß  bei  partiellen  Dampf- 
bädern nicht  allein  die  durch  Schweiß  erzielte  Wasser- 
entziehung das  Wirksame  ist,  das  beweist  der  Umstand, 
daß  die  Diurese  nach  Hitzeapplikationen  und  Schweiß  nicht, 
wie  man  etwa  erwarten  würde,  durch  Wasserverlust  von 
der  Haut  sich  vermindert  zeigt,  sondern  häufiger  eine  Vermeh- 


Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  ^25 

rung  eintrat,  was  ich  als  Zeichen  dessen  annehmen  möchte, 
daß  die  Herstellung  der  Zirkulation  in  dem  Stauungsgebiete 
durch  Wärme  auch  begünstigt  wird  und  die  Vermehrung 
der  Diurese  durch  Aufhebung  der  Stasen  bedingt  ist.  Die 
Änderung  der  Diurese  gehört  überhaupt  zu  den  bedeu- 
tendsten Wirkungen  hydrotherapeutischer  Prozeduren.  Im 
allgemeinen  sind  wir  gewohnt,  die  Diurese  vom  Blutdrucke, 
d.  h.  von  der  Herzkraft  abhängig  zu  machen,  doch  ist  nach 
den  Erfahrungen  in  der  Hydrotherapie  sicher  nicht  die  durch 
direkte  und  reflektorische  Wirkungen  erzielte  Besserung  der 
Herzarbeit  die  alleinige  Ursache  einer  allfälligen  Steige- 
rung der  Diurese ,  sondern  mindestens  in  demselben  Maße 
die  Besserung  der  peripheren  Zirkulation,  die  erhöhte  Strö- 
mungsgeschwindigkeit. Selbst  geringfügige  Prozeduren  üben 
in  dieser  Richtung  mitunter  die  augenfälligsten  Wirkungen. 
Es  gehört  nicht  zu  den  Seltenheiten,  daß  wenige  Tage 
fortgesetzte  Teilwaschungen  die  Diurese  auf  das  Doppelte 
und  Dreifache  erhöhen. 

Es  erübrigt  nur  noch,  gewisse  reflektorische  Wirkungen 
auf  das  Herz  zu  besprechen,  welche  in  der  Therapie  von 
Wichtigkeit  sind,  d.  i.  die  Applikation  von  sehr  heißen  oder 
wechselwarmen  Hand-  und  Fußbädern,  bei  Anfällen  von 
Schmerzen,  großen  Beschleunigungen  oder  rapid  vorüber- 
gehenden Muskelinsufiizienzzuständen  mit  augenfälliger 
Schädigung  des  Lungenkreislaufes.  Es  ist  durchaus  nicht 
möglich,  festzustellen,  in  welcher  Weise  diese  Wirkungen 
erzielt  werden.  Es  ist  möglich,  daß  nur  der  intensive  sensible 
Reiz  dieselben  auslöst,  doch  immerhin  auch  nicht  von  der 
Hand  zu  weisen,  daß  den  thermischen  Reizen  bei  diesen 
Formen  die  Rolle  von  spezifischen  Reizen  zukommt. 

Die  Anwendung  verschiedener  erregender  Umschlags- 
formen, d.  i.  also  kalter,  trocken  bedeckter  Umschläge,  welche 
mehrere  Stunden  bis  zur  Erwärmung  liegen  gelassen  werden, 
richtet  sich  bei  Herzkranken  nicht  nach  den  allgemeinen  ge- 
wöhnlichen Regeln,  sondern  ist  je  nach  der  Leistungsfähigkeit 
des  Herzmuskels,  nach  der  jeweiligen  Reaktionsfähigkeit  der 
Hautgefäße  eingeschränkt.  Bei  Herzkranken  mit  ungestörter 
Kompensation  können  in  der  Regel  verschiedene  Umschlags- 


126  Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

formen ,  Leibbinden ,  Stammumschläge  ohneweiters  ange- 
wendet werden.  Bei  Stauungskatarrhen,  sowie  bei  Ödemen. 
Anasarka  und  Aszites  kommt  man  öfter  in  die  Lage,  die 
oben  erwähnten  Umschlagsformen,  sowie  auch  Kreuzbinden 
auf  die  Brust  und  Wadenumschläge,  respektive  Einpackungen 
der  ganzen  Beine  zu  verwenden.  Doch  geschieht  es  hier  nicht 
selten,  daß  die  Patienten  nicht  imstande  sind,  die  Um- 
schläge zu  erwärmen,  darunter  frösteln  und  damit  die  ganze, 
geplante  Wirkung  der  Umschläge  illusorisch  wird.  Wohl 
kann  man  annehmen,  daß  erregende  Prozeduren  (Waschungen, 
Teilabreibungen)  die  Haut  soweit  bessern,  daß  die  Appli- 
kation von  Umschlägen  dennoch  möglich  wird.  Werden 
aber  die  Umschläge  ordnungsgemäß  vertragen,  dann  wirken 
sie  auch  günstig,  sie  bessern  die  Katarrhe,  erleichtern  die 
Expektoration  und  wirken  auf  die  gestörte  Zirkulation 
in  den  Beinen  und  in  der  Bauchhaut  zum  Teile  so  wie  eine 
erregende  Prozedur.  Wadenbinden  haben  sonst  noch  direkt 
ableitende  Wirkung  und  beruhigen ,  ganz  allgemein  ge- 
nommen ,  die  Herzaktion.  Heiß  angelegte  Wadenbinden 
wirken  ähnlich  revulsiv  wie  die  oben  erwähnten  Fuß-  und 
Handbäder. 


Nun  wollen  wir  im  einzelnen  besprechen,  wie  eine 
planmäßige  Anordnung  hydrotherapeutischer  Prozeduren 
bei  den    einzelnen  Krankheiten    des  Herzens  zu    treffen  ist. 

Akut  entzündliche  Prozesse,  wie  akute  Endo-  und 
Perikarditis,  erfordern  selbstverständlich  absolute  Schonung 
und  auch  diejenigen  hydrotherapeutischen  Prozeduren,  welche 
als  vorwiegende  Schonungsbehandlung  gelten ,  also  lokale 
Kälteapplikation.  Hiebei  ist  es  möglich,  den  Kühlapparat  mit 
geringen  Unterbrechungen  viele  Tage  und  Wochen  zu  appli- 
zieren, ohne  daß  von  Seiten  der  Haut  etwa  Unannehmlichkeiten 
zu  befürchten  wären.  Der  Einfluß  auf  den  entzündlichen  Prozeß 
an  sich  ist  darum  nicht  genau  zu  bestimmen,  weil  wir  im  Einzel- 
falle über  die  Tiefkühlung  keine  genaue  Vorstellung  haben,  da- 
gegen beruhigen  die  Kühlumschläge  in  erster  Reihe  die  Schmer- 
zen und  verlangsamen  die  Herzaktion,  was  objektiv  als  die 


Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  127 

einzige  erreichbare  Schonung  bei  akut  entzündlichen  Krank- 
heiten zu  betrachten  ist;  subjektiv  wird  die  lästige  Be- 
schleunigung der  Herzaktion  unbedingt  vermindert.  Eine 
vereinzelte  Empfehlung  von  nicht  zu  schweren  Kataplasmen 
bei  akuter  Perikarditis  stammt  von  Bamberger,  doch 
hat  die  Empfehlung  wenig  Nachahmung  gefunden,  da  man 
mit  Kälteapplikationen  durchwegs  befriedigend  auskommt 
(Matthes).  Anderweitige  hydrotherapeutische  Prozeduren  sind 
in  akutesten  Stadien  dieser  Erkrankungen  soviel  wie  ausge- 
schlossen, weil  sie  ohne  Bewegung  und  ohne  Anstrengung 
des  Patienten  kaum  durchführbar  sind.  Nach  Abklingen 
der  akutesten  Erscheinungen  sind  insbesondere  bei  Peri- 
karditiden  erregende  Umschläge  abwechselnd  mit  kalten 
Umschlägen  von  guter  Wirkung,  weil  anscheinend  die  Re- 
sorption des  Exsudates  besser  von  statten  geht. 

Als  Krankheitsgruppe,  die  sich  hier  anschließt,  kommt 
die  „Herzschwäche  bei  Infektionskrankheiten*'  in  Betracht, 
doch  kann  ich  die  Bemerkung  nicht  unterlassen,  daß  in 
diesen  Fällen  Schonung  keineswegs  am  Platze,  vielmehr  eine 
Anspannung  sämtlicher  Reservekräfte  des  Herzens  und  die 
Tonisierung  der  Gefäße  durch  hydrotherapeutische  Proze- 
duren notwendig  ist,  um  über  die  Zeit  der  toxischen  Herz- 
insuffizienz hinwegzukommen.  Wohl  genügt  bei  kurz  dauern- 
den Infektionskrankheiten ,  sobald  die  Beschleunigung  der 
Herzaktion  mit  schlechter  Blutversorgung  der  Peripherie 
sich  zeigt,  die  mehreremale  im  Tage  stundenweise  oder  bei 
höheren  Graden  dieser  Symptome  eine  mit  geringen  Unter- 
brechungen kontinuierlich  fortgesetzte  Applikation  der  Kühl- 
apparate aufs  Herz.  Die  Effekte  sind  meist  befriedigend. 
Doch  ist  bei  Infektionskrankheiten  womöglich  nicht  darauf 
zu  verzichten ,  die  allgemeinen  gegen  das  Fieber ,  resp.  die 
fieberhafte  Erkrankung  in  Anspruch  genommenen  hydro- 
therapeutischen Prozeduren  mit  Rücksicht  auf  die  Vasomo- 
torenparese  nicht  außeracht  zu  lassen,  sondern  auch  diesen 
Erscheinungen  angepaßt  einzurichten.  Es  kann  nicht  meine 
Aufgabe  sein,  die  Indikationsstellung  der  Hydrotherapie  bei 
Infektionskrankheiten  hier  zu  besprechen.  Doch  darauf  muß 
ich    hinweisen ,    daß    Herzschwächezustände ,    Dikrotie    des 


128  Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

Pulses,  Cyanose  der  Extremitäten  nicht  nur  nicht  gegen  die 
Vornahme  eines  Bades  sprechen,  sondern  dieselbe  direkt  er- 
fordern ;  der  reflektorische  Einfluß  auf  das  Herz  kann 
oft  nach    einer    einzigen    hydrotherapeutischen  Applikation 

—  Halbbad  —  für  mehrere  Stunden  hinaus  gebessert  werden. 
Diese  Wirkung  ist  nicht  unverständlich ,  wenn  man  be- 
denkt, daß  die  Symptome  der  „Herzschwäche"  bei  man- 
chen Infektionskrankheiten  erwiesenermaßen  sekundär  als 
Konsequenz  verbreiteter  vasomotorischer  Parese  betrachtet 
werden  müssen  (Paessler  und  Romberg). 

Im  Sinne  dieses  letzten  Satzes  muß  man  sich  also  vor- 
stellen ,  daß  z.  B.  bei  Diphtherie,  aber  auch  bei  schwerem 
Typhus  oder  Pneumonie  die  Möglichkeit  gegeben  ist ,  daß 
das  Herz  an  sich  nicht  geschädigt  wird,  sondern  durch  mangel- 
hafte Speisung  bei  geschwundenem  Gefäßtonus  leer  arbeitet. 

—  Tonisierung  der  Gefäßgebiete  durch  thermische  und  me- 
chanische Reize  führt  Blutmassen  wieder  zum  Herzen  und 
so  in  den  Kreislauf  zurück.  —  Die  Hydrotherapie  kann 
demnach  in  solchen  Fällen  (durch  „Umschaltung  des  Kreis- 
laufs" [Gottlieb])  geradezu  lebensrettend  wirken. 

Der  Übergang  der  subakuten  in  eine  chronische  Endo- 
karditis mit  Klappenfehlern  erfordert  die  sorgfältigste  Er- 
wägung und  Dosierung  der  hydrotherapeutischen  Methoden. 
Es  ist  klar,  daß  hiebei  der  jeweilige  Kräftezustand  des  Herz- 
muskels der  alleinig  maßgebende  ist.  Ist  der  Herzmuskel 
mit  den  an  ihn  gestellten  Anforderungen  ins  Gleichgewicht 
gekommen,  ist  also,  wie  man  gewöhnlich  sagt,  der  Herzfehler 
kompensiert,  so  würde  im  allgemeinen  die  Forderung  zur 
Vornahme  von  hydrotherapeutischen  Prozeduren  nicht  be- 
rechtigt sein.  -  -  Man  glaubt  mit  Recht,  daß  eine  spontane 
Tendenz  zur  Kräftigung. in  der  Ruhe  vorhanden  ist.  —  Doch 
glaube  ich,  daß  diese  Methoden  eine  ähnliche  Berechtigung 
haben  wie  die  mechano-therapeutische  Methode  und  wesent- 
lich dazu  beitragen  können,  daß  das  Gleichgewicht  zwischen 
Herzkraft  und  erforderter  Arbeitsleistung  ungestört  bleibe. 
Nicht  als  ob  man  etwa  hydrotherapeutisch  die  Entstehung 
einer  kompensatorischen  Hypertrophie  fördern  könnte,  für 
einen    direkten    derartigen   Einfluß    irgend    einer    Therapie 


Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  129 

gibt  es  ja  keinen  Anhaltspunkt ,  aber  man  kann  mit  Hin- 
weis auf  die  besprochenen  Wirkungen  lokaler  und  all- 
gemeiner Prozeduren  als  feststehend  ansehen ,  daß  eine 
Übung  des  Herzmuskels  mit  genauer  Abgrenzung  der  Er- 
regungsschwelle (Leistungsvermögen)  nicht  schädlich  sein 
kann.  Genaue  Vorschriften,  wie  man  im  allgemeinen  Hydro- 
therapie bei  ausgeglichenen  kompensierten  Herzfehlern  ein- 
richten soll ,  kann  ich  nicht  geben.  Diese  Leute  vertragen 
die  differentesten .  leicht  erregenden  und  auch  Wärme  ent- 
ziehenden Prozeduren,  Teil  Waschungen,  Abreibungen,  Duschen, 
auch  Bäder  und  nur  das  eine  ist  vor  Augen  zu  halten,  ich 
wiederhole  den  Satz  wegen  seiner  Wichtigkeit,  daß  größere 
Erregungen,  welche  eine  brüske  Veränderung  der 
Zirkulation  erzeugen,  vermieden  werden  sollen.  Die 
erregenden  Prozeduren  tragen  dazu  bei,  daß  das  Herz  reflek- 
torisch gekräftigt  und  seine  Arbeit  durch  Einfluß  auf  die 
Gefäße  erleichtert  wird. 

Zeigt  sich  im  weiteren  Verlaufe,  daß  der  Herzmuskel 
anfängt,  in  seiner  Leistungsfähigkeit  nachzulassen,  dann 
würden  sich  die  Anforderungen  an  die  Therapie  allerdings 
vermehren  und  die  Hydrotherapie  kann  ihnen  auch  in  ziem- 
lich hohem  Maße  entsprechen.  Die  Methodik  dagegen  er- 
fordert eine  ziemliche  Einschränkung ;  eine  Sonderung  der 
übenden  und  schonenden  Hydrotherapie  ist  hier  niemals 
durchführbar,  beide  sind  dringendst  notwendig.  Die  haupt- 
sächlichsten Mittel,  welche  beiden  Richtungen  entsprechen, 
sind  einerseits  die  Kälteapplikation  auf  das  Herz, 
andererseits  die  partiellen  Abreibungen  des  ganzen 
Körpers.  Die  Kühlschläuche  sind  bei  großer  Beschleunigung 
der  Herzaktion  mehreremale,  sonst  nur  ein-  bis  zweimal 
täglich  für  je  eine  Stunde  zu  applizieren,  die  Teilabreibungen 
sukzessive  nur  an  einzelnen  Körperteilen  zu  beginnen  und 
wenn  sich  die  Patienten  daran  gewöhnt  haben,  allmäh- 
lich auf  den  ganzen  Körper  auszudehnen.  So  genügt 
es  in  schweren  Fällen,  im  Anfange  nur  die  unteren  oder 
die  unteren  und  oberen  Extremitäten  zu  waschen,  einige 
Tage  später  in  der  Rückenlage  auch  die  Brust  und  den 
Bauch,    und    nur    wenn     ein    Aufsetzen    des    Patienten    es 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten.  9 


130  Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

ohneweiters  gestattet,  dann  auch  den  Rücken.  Wenn  die 
Frottierung  an  sich  den  Patienten  schon  belästigt,  dann 
soll  man  sich  mit  Schwammwaschungen  begnügen  und 
nachher  trocken  reiben.  Die  Erscheinungen  der  Herzinsuf- 
fizienz pflegen  unter  dieser  Behandlung  Besserungen  aufzu- 
weisen. Beschleunigung  und  Arhythmien  der  Herzaktion  und 
die  damit  direkt  verbundenen  lästigen  Gefühle  werden  ver- 
mindert, entsprechend  auch  die  Atmung  gebessert  und,  was 
wohl  auch  zu  den  wichtigsten  Erfordernissen  gehört,  die  Diu- 
rese  ist  in  der  Regel  vermehrt.  Ist  eine  gute  Hautreaktion 
überhaupt  zu  erzielen ,  dann  ist  die  Vorstellung  auch  be- 
rechtigt, daß  eine  Vermehrung  der  insensiblen  Perspiration 
an  der  Entwässerung  des  Körpers  einen  unter  Umständen 
nicht  geringen  Teil  nimmt.  Größere  hydrotherapeutische 
Prozeduren  sind  in  der  Regel  in  diesem  Stadium  nicht  in 
Verwendung.  Doch  wenn  der  Zustand  des  Patienten  es  über- 
haupt erlaubt,  daß  er  aus  dem  Bette  steige,  so  steht  der 
Vornahme  gewisser  Prozeduren  nicht  viel  im  Wege.  Selbst- 
verständlich dürfen  dieselben  durchwegs  nicht  sehr  mit 
mechanischen  Manipulationen  kombiniert  sein,  und  da  die 
Hautreaktion  ohne  diese  letzteren  in  vielen  Fällen  manches 
zu  wünschen  übrig  lassen  wird,  so  ist  die  Zahl  der  anwend- 
baren Prozeduren  eine  sehr  geringe. 

Unter  allen  Umständen  pflegen  wir,  wenn  wir  die 
Patienten  überhaupt  aus  dem  Bette  lassen,  um  ihnen  irgend 
welche  Prozedur  zu  applizieren ,  dieselben  unmittelbar  vor- 
her durch  eine  ungefähr  einstündige  Applikation  des  Herz- 
schlauches für  die  erhöhte  Kraftleistung  zu  präparieren.  Diese 
Prozeduren  selbst  können  sein  Begießungen  20° C,  gewöhnliche 
Duschen  mit  einem  Drucke  von  zirka  1 — 11/2  Atmosphären  und 
mehr  auf  die  untere  Körperhälfte  gerichtet  und  nur  flüchtig 
die  obere  Körperhälfte  bestreichend,  in  der  Dauer  von  15  bis 
20  Sekunden  und  endlich  mit  ziemlichem  Effekte  kohlensaure 
Duschen,  bei  welchen  der  Gehalt  des  Wassers  an  Kohlen- 
säure die  Anwendung  niedriger  Temperaturen,  sowie  starke 
mechanische  Manipulationen  überflüssig  macht ,  weil  die 
Kohlensäure  als  Hautreiz  eine  bessere  Reaktion  bedingt.  Bei 


Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  l;)l 

kohlensauren  Duschen  genügen  Temperaturen  von  25°  C.  in 
der  Dauer  bis  zu   1/2  Minute. 

Es  ist  dringend  notwendig,  die  Patienten  während  und 
nach  der  Prozedur  genau  zu  beobachten.  Die  unmittelbare 
Auslösung  sehr  tiefer  Inspirationen  und  die  vorübergehende  Be- 
schleunigung der  Herzaktion  ist  die  selbstverständliche  Kon- 
sequenz. Werden  die  Prozeduren  gut  vertragen,  so  beruhigt 
sich  nachher  die  Herzaktion,  sowie  die  Atmung  und  der 
unmittelbare  Zweck  der  Prozedur  ist  erreicht. 

Die  Anwendung  von  Dampfbädern  wird  im  allgemeinen 
dann  empfohlen,  wenn  die  gewöhnlichen  hydrotherapeutischen 
Applikationsmethoden  nicht  ausreichen,  Ödeme  zu  beseitigen; 
doch  bin  ich  der  Ansicht,  daß  man  mit  Vorsicht  Dampfappli- 
kationen auf  die  untere  Körperhälfte,  wo  ja  die  Ödeme  stets  be- 
ginnen ,  frühzeitig  in  Anwendung  nehmen  soll,  weil  sie  in  Kombi- 
nation mit  nachfolgenden  Abkühlungen  die  Herstellung  des 
Gleichgewichtes  wesentlich  erleichtern,  ohne  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  das  Herz  besonders  zu  belasten.  Ich  erwähnte  schon, 
daß  wir  bei  Herzkranken  niemals  Hitzeapplikationen  anwenden, 
ohne  Kühlschläuche  auf  das  Herz  zu  legen.  Die  Dampfbäder 
erreichen  Temperaturen  bis  zu  55 — 60°  C,  sie  sollen  ungefähr 
bis  etwas  über  die  Nabelhöhe  reichen  und,  wenn  es  die  Herz- 
aktion erlaubt,  bis  zu  ordentlichem  Schweißausbruche  an  der  im 
Bade  befindlichen  Körperpartie  fortgesetzt  werden.  Da  die 
Schweißsekretion  bei  Zirkulationsstörungen  auch  in  der 
Regel  vermindert  ist ,  kann  es  vorkommen ,  daß  die  Dauer 
der  Bäder  länger  ausgedehnt  werden  muß.  Man  soll  bei 
systematischer  Applikation  von  Dampfbädern  nicht  darauf 
bestehen,  gleich  bei  dem  ersten  Bade  einen  größeren  Schweiß- 
ausbruch unter  allen  Umständen  erzwingen  zu  wollen.  Es 
ist  eine  Erfahrungstatsache,  daß  die  Patienten  das  Schwitzen 
erlernen  können  und  daß  man  bei  einem  Patienten,  dessen  Haut 
bei  der  ersten  Dampfapplikation  selbst  in  20  Minuten  nicht 
zum  Schwitzen  kam,  nach  4,  5  Bädern  schon  nach  5 — 10  Mi- 
nuten die  Ausscheidung  ganz  entsprechender  Schweißmengen 
erzielen  kann.  Man  kann  auch  nicht  generalisierend  aussprechen, 
ob  in  den  einzelnen  Fällen  die  Dampfapplikationen  überhaupt 
vertragen  werden.    Dies  muß  empirisch  festgestellt  werden. 


132  Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

Erhitzt  man  die  untere  Körperhälfte  bis  zum  starken 
Schweißausbruche ,  dann  dehnt  sich  der  Schweiß  sehr  oft 
auch  über  den  Oberkörper  aus;  es  schwitzt  also  der 
Patient  am  ganzen  Körper,  ohne  die  Belästigung  zu  empfin- 
den ,  welche  bei  allgemeiner  Erhitzung  vorhanden  ist.  — 
Auch  lange  dauernde  starke  Erhitzung  einzelner  Körperteile 
kann  einen  ähnlichen  Effekt  haben. 

Die  Applikationen  von  Umschlagsformen  ist  als  ab- 
leitende und  Zirkulation  verbessernde  Methode  in  einem 
Teile  der  Fälle  ohneweiters  zu  verwenden.  Bei  höheren 
Graden  von  Insuffizienz,  insbesondere  wo  größere  Atemnot 
vorhanden  ist .  sind  Umschläge ,  welche  größere  Teile  des 
Körpers  bedecken ,  besonders  am  Thorax  meist  schwer  an- 
zuwenden ,  die  Patienten  vertragen  die  Last  und  die  Um- 
schnürung schlecht,  sie  fühlen  sich  in  der  Respiration  be- 
hindert, werden  ängstlich  und  verweigern  oft  die  Annahme 
der  Umschläge. 

Mit  einigen  Worten  will  ich  darauf  hinweisen,  daß  in 
Wasserheilanstalten  auch  strengerer  Richtung  auf  die  An- 
wendung medikamentöser  Herzmittel,  insbesondere  auf  die 
Digitalis,  nicht  verzichtet  wird.  Das  Zusammenwirken  der 
Digitalis  mit  einer  Wasserkur  ist  entschieden  von  Vorteil, 
die  Gefäßgymnastik  wird  sicherlich  den  Effekt  einer  Digi- 
talisbehandlung unterstützen.  Ob  hydrotherapeutische  Pro- 
zeduren aber,  wie  das  mehrfach  in  Lehrbüchern  der  Hydro- 
therapie behauptet  wurde ,  gegen  kumulative  Intoxikation 
der  Digitalis  schützen,  ist  meiner  Erfahrung  nach  nicht  zu 
bestimmen. 

Erkrankungen  des  Myokards  erfordern  im  großen  und 
ganzen  dieselbe  Indikationsstellung  wie  die  Herzinsuffizienz 
bei  chronischer  Endokarditis.  Da  sich  die  Anfangsstadien 
der  Myokard-Erkrankungen  der  Beobachtung  vielfach  ent- 
ziehen, kommen  nahezu  ausnahmslos  vorgeschrittenere  Fälle 
in  unsere  Beobachtung.  Die  Bekämpfung  der  Insuffizienz- 
erseheinungen  hiebei  geschieht  genau  so  wie  bei  der  chro- 
nischen Endokarditis,  d.  i.  die  Einteilung  der  schonenden 
und  übenden  Prinzipien  der  hydrotherapeutischen  Methoden 
hängt  eben  davon  ab .     wieviel  das  Herz  in    der    gegebenen 


Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  133 

Zeit  verträgt.  Bei  akuter  Myokarditis,  sofern  sie  diagnosti- 
zierbar ist,  deckt  sich  die  Behandlung  mit  derjenigen  der 
akuten  Endokarditis.  Die  Resultate  der  Übung  durch  Hydro- 
therapie sind  nach  Ablauf  der  akuten  Erscheinungen  meist 
ziemlich  befriedigend. 

Eine  besondere  Besprechung  erfordert  nur  noch  die  An- 
ordnung von  hydrotherapeutischen  Entfettungskuren.  Diese 
Kuren  setzen  sich  zusammen  aus  starken  Erhitzungen  bis 
zu  profusem  Schweiß  und  starken  Abkühlungen  mit  nach- 
folgender intensiver  Muskelbewegung ,  welche  die  verloren 
gegangene  Wärme  wieder  aufbringen  soll,  und  wir  stellen 
uns  vor ,  daß  die  Kombination  dieser  Prozeduren  und  der 
Muskelbewegung  die  Fettverbrennung  in  großem  Maße  för- 
dert. Es  entzieht  sich  unserer  Beurteilung,  in  welchen 
Fällen  von  Fettleibigkeit  nur  eine  Fettauflagerung  und  in 
welchen  Fällen  schon  Anfangsstadien  einer  fettigen  Dege- 
neration des  Herzmuskels  vorhanden  sind ,  und  wir  sind 
bei  Ausführung  der  Entfettungskuren  ausschließlich  auf 
die  Beobachtung  des  Herzens  während  der  Kuren  ange- 
wiesen. Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  man  dermaßen  die 
Kuren  in  vorsichtiger  Steigerung  anordnen  wird.  Eine 
größere  Beschleunigung  der  Herzaktion  während  eines  Dampf- 
bades muß  ja  nicht  unbedingt  schon  für  eine  Degeneration 
des  Herzmuskels  sprechen  und  verbietet  die  Anwendung  der 
stärkeren  Schwitzkuren  im  allgemeinen  nicht.  Nur  wenn 
die  Beschleunigung  der  Herzaktion  nach  den  Abkühlungs- 
prozeduren, welche  den  Dampfbädern  folgen,  noch  mehrere 
Stunden  bestehen  bleibt,  erfordert  der  Patient,  resp.  sein 
Herz,  eine  noch  größere  Berücksichtigung,  wie  es  im  allge- 
meinen notwendig   ist. 

Es  ergibt  sich  da  zumindest  die  Forderung,  daß  das 
Dampfbad  niemals  ohne  gleichzeitige  Kälteapplikation  aufs 
Herz  verabreicht  werden  soll  und  genügt  diese  Vorsichts- 
maßregel oft  zur  ungestörten  Erledigung  der  Kur.  Die 
Schweißsekretion  allein  ist  wohl  zur  Abmagerung  nicht  ge- 
nügend,  es  gehört  die  Muskelbewegung  dazu.  Sollte  diese 
nicht  in  gehörigem  Maße  durchführbar  sein,  dann  darf  auch 
die  den  Dampfbädern  folgende  Abkühlung  nicht  hochgradig 


134  Diß  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

sein.  Sind  Erscheinungen  da,  welche  die  Diagnose  einer 
Herzmuskeldegeneration  zweifellos  erscheinen  lassen ,  dann 
ist  die  Anwendung  ganzer  und  intensiver  Schweißprozeduren 
verboten  ;  auch  dann  sind  noch  Hitzeapplikationen  auf  die 
untere  Körperhälfte  unter  den  nötigen  Kautelen  anwendbar 
und  ihre  Durchführung  fällt  meist  mit  der  Art  zusammen, 
welche  schon  vorn  bei  Besprechung  der  chronischen  Endo- 
karditis erörtert  wurde.  Sie  erfüllen  in  diesen  Stadien  weniger 
den  Zweck  einer  direkten  Abmagerungskur,  vielmehr  den 
einer  übenden  Behandlung  des  insuffizienten  Herzens.  Die 
lokale  Kälteapplikation  auf  das  Herz  ist  bei  vorgeschrittenen 
Myokardveränderungen  nahezu  ausnahmslos  von  guter  Wir- 
kung und  es  zeigt  sich  merkwürdigerweise,  daß  man 
ebensowohl  Herzbeschleunigungen  beruhigen,  als  auch  in 
einzelnen  Ausnahmefällen  auffallende  Verlangsamungen  der 
Herzaktion  bessern ,  resp.  diese  beschleunigen  kann.  Worauf 
diese  geradezu  paradoxe  Wirkung  beruht ,  ist  geradezu 
ganz  unklar.  Doch  sah  ich  bei  zwei  Patienten  mit  ausge- 
sprochener Myokarddegeneration  unter  Kühlschläuchen  eine 
Steigerung  der  Herzfrequenz  von  44,  resp.  48  auf  58,  resp.  64. 
Es  wurde  schon  vorn  erwähnt,  daß  die  lokale  Kälte  auf 
das  Herz  in  manchen  Fällen  vorgeschrittener  Degeneration 
schlecht  vertragen  wird.  Im  vorhinein  läßt  sich  wohl  dies 
kaum  jemals  bestimmen  —  doch  sieht  man,  daß  unter  Kälte- 
wirkung die  Herzfrequenz  zunimmt,  eine  Cyanose  der  Peri- 
pherie auftritt,  die  Atmung  sich  verschlechtert,  dann  ist  die 
Anwendung  zu  sistieren  und  eine  Zeit  hindurch  nicht  zu 
wiederholen.  Der  Umstand,  daß  solche  Patienten  eventuell 
mehrere  Wochen  später  dennoch  Kälte  aufs  Herz  gut  ver- 
tragen, spricht  dafür,  daß  nicht  ausschließlich  die  Reaktion 
der  degenerierten  Muskelfasern  auf  die  Kälte  Schuld  an 
den  geschilderten  Ereignissen  trägt,  sondern  wahrscheinlich 
auch  zum  Teile  abnorme  Innervationsbedingungen ,  deren 
Natur  unbestimmbar  ist. 

Die  Besprechung  der  arteriosklerotischen  Verände- 
rungen des  Herzens  ist  in  Beziehung  zur  Hydrotherapie 
von  großer  Wichtigkeit,  nicht  als  ob  man  mit  dieser  The- 
rapie die  Krankheit  als  solche  in  ihrem  Verlaufe  wesentlich 


Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  135 

und  nachweisbar  verändern,  hemmen  könnte,  aber  es  kommt 
ihr  nach  unseren  umfassenden  Erfahrungen  die  Rolle  einer 
die  Zirkulation  ausgleichenden  Therapie  zu.  —  Die  in 
Wasserheilanstalten  erscheinenden  Arteriosklerotiker  befinden 
sich  meist  in  ziemlich  vorgerückten  Stadien  der  Krankheit, 
und  Frühstadien  sehen  wir  nur  dann ,  wenn  wir  die  bei 
uns  häufigen  plethorisch  Fettleibigen  mit  uratischer  Diathese 
etc.  als  Anfangssklerotiker  ansehen;  doch  ist  es  einleuchtend, 
daß  eine  scharfe  Differenzierung  der  Symptome  und  der 
Therapie  in  dieser  Richtung  auf  große  Hindernisse  stößt, 
wenn  nicht  unmöglich  ist. 

Wir  sehen  durchwegs ,  daß  es  uns  im  Laufe  einer 
hydrotherapeutischen  Behandlung  gelingt,  pathologisch  ge- 
steigerten Blutdruck  herabzusetzen  und  können  diese  Er- 
scheinung wieder  nur  so  erklären,  daß  wir  Spasmen  kleiner 
Gefäße  und  Stasen  gewisser  Gefäß  bezirke  beheben  und  die 
Bahn  somit  eröffnen,  verbreitern.  Ich  sah  wiederholt  Blut- 
drucksenkungen, welche  schon  nach  mehrtägiger  Kur  auf- 
traten, selbst  30— 40  mm  (Gärtner:  Tonometer)  betrugen  und 
selbst  nach  Unterbrechung  der  Kur  nach .  vielen  Wochen 
unverändert  auf  dem  niedrigen  Niveau  blieben.  Damit  gehen 
Änderungen  gewisser,  äußerlich  genau  kontrollierbarer  Zir- 
kulationsstörungen Hand  in  Hand,  sowie  auch  Änderung  von 
Erscheinungen  (Neuralgien  etc.),  deren  Ursache  unserer  An- 
sicht nach  in  Zirkulationsstörungen  zu  suchen  ist. 

Die  Rückwirkung  dieser  Verbesserung  der  Zirkulation 
auf  das  Herz  ist  so  ziemlich  abschätzbar,  und  wenn  Fälle 
von  Arteriosklerose  existieren  würden,  in  welchen  nur  die 
Gefäße  und  nicht  auch  das  Herz  selbst  (durch  Sklerose  der 
Herzgefäße)  erkrankt  wäre,  so  gäbe  es  keine  rationellere 
Therapie  dieser  Krankheit  als  die  Hydrotherapie.  Indessen 
müssen  wir  in  der  Praxis  damit  rechnen,  daß  in  den  Fällen, 
die  zu  uns  kommen,  meist  die  Herzsklerose  im  Vorder- 
gründe der  Erscheinungen  steht  und  wir  es  stets  mit  einem 
mehr  minder  insuffizienten  Herzen  zu  tun  haben. 

Die  Hydrotherapie  der  allgemeinen  Arteriosklerose 
ist,  so  lange  direkte  Herzerscheinungen  nicht  dagegen 
sprechen,  weitaus  nicht  so  eingeschränkt  wie  die  der  Klappen- 


136  Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

fehler  oder  myokarditischen  Veränderungen.  Die  Vorsicht 
gebietet  es  allerdings,  mit  geringen  Reizprozeduren  (also  mit 
Teilabreibungen)  zu  beginnen;  eine  Steigerung  der  allge- 
meinen Prozeduren  bis  zu  ganz  kräftigen  Abreibungen, 
Duschen  ist  meist  nicht  unmöglich.  Eine  allgemeine  Regel  ge- 
bietet, bei  Arteriosklerose  vor  jeder  allgemeinen  Prozedur 
den  Kopf  energisch  zu  kühlen  (auch  Nacken  und  Brust) 
und  ihn  mit  einer  nassen  kalten  Haube  zu  versehen.  Es 
geschieht  dies  mit  Rücksicht  auf  eventuelle  Hämorrhagien. 
Laue  und  warme  Prozeduren  werden  von  Arteriosklerotikern 
erstaunlich  gut  vertragen.  Mit  Vorliebe  verwendeten  wir 
wechselwarme  Duschen  (erst  40°  C.  durch  J/2  —  1  Minute, 
dann  18°  C.  10  Sekunden)  und  vielfach  auch  Dampfbäder. 
Gewechselte  kalte  Umschläge  auf  den  Kopf  und  auch  Kühl- 
schläuche um  den  Hals  herum  während  des  Dampfbades 
halten  wir  für  notwendig,  dagegen  geben  wir  den  Kühl- 
schlauch direkt  auf  das  Herz  aus  Vorsicht  nur  dann,  wenn 
Anzeichen  einer  vorgeschrittenen  Veränderung  des  Myokards 
deutlich  hervortreten.  Die  Herzbeschwerden  von  Arterio- 
sklerotikern pflegen  im  Dampf  kästen  (Heißluftbad,  Licht- 
bad etc.)  weniger  häufig  eine  derartige  Steigerung  zu  erfahren 
wie  bei  Endo-  und  Myokarditis,  ja  sie  verschwinden  oft  in 
der  Wärme.  Wir  führen  das  Dampfbad  bis  etwa  50 — 60°  C. 
anfangs  5—6,  dann  auch  10 — 15  und  20  Minuten  hindurch 
bis  zur  starken  Schweißsekretion.  Nach  dem  Dampf  bade 
folgt  eine  nicht  zu  brüske  Abkühlung,  also  etwa  Dusche 
von  30°  C.  durch  1  Minute  allmählich  abgekühlt  auf  20  bis 
16°  oder  ein  allmählich  abgekühltes  Halbbad  von  32— 28— 25°Q. 

Eine  gewisse  Ängstlichkeit  in  der  Durchführung  von 
Schweißprozeduren  können  wir  uns  nicht  abgewöhnen,  trotz- 
dem wir  alltäglich  sehen,  daß  alte  Leute  mit  ausgesprochener 
hochgradiger  Arteriosklerose  bis  zu  einer  Stunde  in  Dampf- 
stubenbädern verweilen  und  sich  dabei  sehr  wohl  fühlen, 
ja  sie  reihen  die  genannte  Prozedur  als  periodisch  unerläß- 
liche in  ihre  Lebensgewohnheiten  ein. 

Die  ausgesprochene  Koronarsklerose  erfordert 
selbstredend  eine  sehr  vorsichtige  Dosierung,  resp.  Einschrän- 
kung der  obigen  Prozeduren.    Die  Schmerzen    in  der  Herz- 


Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  137 

gegend  und  die  ausstrahlenden  Schmerzen  sind  fallweise 
vom  Herzen  aus  zu  beruhigen.  Es  läßt  sich  im  vorhinein 
nicht  recht  bestimmen,  ob  Kälte  oder  Wärme  lokal  ap- 
pliziert auf  die  Schmerzen  besser  wirkt;  verschiedene 
Kranke  reagieren  in  dieser  Hinsicht  verschieden,  doch  kann 
man  soviel  mit  ziemlicher  Sicherheit  sagen,  daß  bei  aus- 
gesprochenen krampfartigen  Schmerzen,  wie  sie  beim  aus- 
gebrochenen stenokardischen  Anfall  vorhanden  sind,  Wärme- 
applikation auf  das  Herz  bessere  Dienste  leistet.  Es  wurde 
schon  vorn  erwähnt,  daß  starke  Wärme-  und  Kältereize 
von  verschiedenen  Stellen  des  Körpers  ab  und  zu  einen 
Anfall  coupieren  können  (besonders  sehr  heiße  Handbäder, 
auch  heiße  Waschungen  der  Nacken-  und  oberen  Brust- 
wirbelsäule); man  soll  bei  jedem  Anfalle  derartige  Versuche 
machen. 

An  einem  Tage,  an  welchem  ein  stenokardischer  An- 
fall dagewesen  ist,  müssen  allgemeine  kalte  Prozeduren 
unterlassen  werden,  sie  können  Wiederkehr  der  Krämpfe 
provozieren. 

Bei  Herzneurosen  spielt  die  Hydrotherapie  eine  sehr 
bedeutende  Rolle.  Die  nervösen  Erscheinungen  des  Herzens 
kennen  wir  in  der  Mehrheit  der  Fälle  als  Teilerscheinungen 
allgemein  nervöser  Erkrankungen  und  wenn  die  Symptome 
von  Seiten  des  Herzens  sich  nicht  in  den  Vordergrund 
drängen,  so  bedürfen  sie  auch  in  der  Hydrotherapie  keiner 
gesonderten  Beachtung ;  die  Behandlung  der  nervösen  Grund- 
erkrankung wird  in  Bezug  auf  die  Herzsymptome  als  kausale 
Behandlung  genügen. 

Symptomatisch  erfordert  meist  die  Beschleunigung  der 
Herzaktion  bei  Nervösen  ein  direktes  Eingreifen  und  da 
hat  uns  die  Erfahrung  gelehrt,  daß,  falls  man  annehmen 
kann,  daß  die  Tachykardie  auf  rein  nervöser  Grundlage 
beruht,  Kälteapplikation  auf  den  Nacken  appliziert  werden 
soll:  sie  bringt  das  Herz  oft  mehr  zur  Ruhe  als  die  Herz- 
kühlung. Die  Kühlung  des  Nackens  ist  ganz  so  durchzu- 
führen, wie  ich  es  für  die  Herzkühlung  beschrieb,  und  man 
läßt  die  Patienten  in  der  Rückenlage  1 — 2mal  täglich  durch 
je   l/,- — 1   Stunde  auf  dem  Schlauche  liegen. 


138  Die  hydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

Die  direkte  Kühlung  des  Herzens  ist  darum  auch  nicht 
überflüssig,  ja  sie  wirkt  oft  auch  sehr  gut,  bewirkt  speziell 
eine  Besserung  des  subjektiv  lästigen  Klopfgefühls.  — 
Leitet  uns  bei  Nackenkühlung  die  Vorstellung,  daß  die 
Beruhigung  der  Innervation sstörung  von  der  Medulla  aus 
erreicht  wird,  so  dürfen  wir  auch  nicht  vergessen,  daß  der 
gangliomuskuläre  Apparat  selbst  an  der  Innervation  einen 
uns  allerdings  unbekannten  Anteil  nimmt  und  ihre  direkte 
Kühlung  auch  eine  Änderung  des  Arbeitstypus  bewirken  kann. 

Von  allgemeinen  Prozeduren  ist  die  feuchte  Einpackung 
die  souveräne ,  die  nervöse  Tachykardie  beruhigende  Pro- 
zedur, und  diese  in  Verbindung  mit  dem  Nackenkühlschlauch 
bilden  die  Schablone  für  die  hydriatische  Behandlung  des 
Morbus  Basedowii  und  der  paroxysmalen  Tachykardie.  — 
Sonst  ist  gerade  bei  Nervösen  die  Auswahl  der  Prozeduren 
eine  recht  freie,  aber  die  Reaktion  der  Patienten ,  was  die 
Herzaktion  betrifft,  eine  ganz  ungleiche  und  bei  einem  und 
demselben  Patienten  zu  verschiedener  Zeit  auch  eine  diffe- 
rente.  —  Bei  sonst  gesunden  Leuten  mit  nervöser  Tachy- 
kardie kann  man  von  kalten  Duschen,  Halb-  und  Tauch- 
bädern, Abreibungen  bis  zu  Dampfbädern  mit  nachfolgender 
energischer  Kühlung  alles  versuchen  und  muß  durch  Beob- 
achtung während  der  Kur  den  Plan  empirisch  feststellen.  — 
Auch  feuchte  Einpackungen  kann  und  soll  man  bei  dauern- 
der Tachykardie  versuchen,  doch  gerade  diese  eminent  herz- 
beruhigende Prozedur  versagt  durch  die  psychische  Erre- 
gung (Angst),  welche  viele  der  nervösen  Patienten  in  der 
engen  Umschnürung  befällt.  —  Für  solche  Patienten  eignet 
sich  die  Buxbaumsche  modifizierte  Einpackung,  d.  i.  die 
Kombination  einer  Kreuzbinde  (erregender  Brustumschlag) 
mit  einer  Dreiviertelpackung  (bis  zur  Achselhöhle),  so  daß 
die  Arme  frei  sind ,  wodurch  das  Angstgefühl  oft  schon 
derart  beeinflußt  wird,  daß  man  die  Prozedur  überhaupt 
durchführen  kann. 

Die  allgemeine  Einteilung  der  Prozeduren  bei  nervöser 
Tachykardie  wird  sich  nach  der  Form  und  Größe  der  Er- 
regbarkeit richten.  —  Allgemein  er  ethische  erfordern  höhere 
Temperaturen    (Bäder    von    32—28°  C. ,    Duschen  30—25°), 


Die  liydriatische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  139 

deprimierte  im  allgemeinen  niedrigere.  —  Die  Franzosen 
loben  bei  nervöser  Tachykardie  die  Erfolge  ihrer  ,.Douche 
ecossaise"  ,  d.  i.  einer  Wechsel  warmen  allgemeinen  Douche 
(warm  bis  35 — 39°  C.  durch  2,  selbst  3  Minuten,  dann  kalt. 
8 — 10°  C,  durch  wenige  Sekunden,  nachher  fallweise  Nach- 
dunsten, d.  i.  eingewickelt  */, — 1  Stunde  liegen). 

Von  lokalen  Prozeduren  wenden  wir  vielfach  als  ab- 
leitende Prozeduren  kalte  Fußbäder  (fließend  durch  1  bis 
2  Minuten)  und  energische  Strahlenduschen  auf  die  Füße  an. 

Bradykardien  kommen  auf  nervöser  Grundlage  wohl 
selten  vor  und  erfordern  stets  genaueste  Beobachtung  wäh- 
rend der  dem  allgemeinen  nervösen  Zustand  angepaßten 
Prozeduren.  —  Wie  vorn  erwähnt,  sahen  wir  ab  und  zu 
unter  Herzkühlung  auch  eine  leichte  Beschleunigung  der 
verlangsamten    Herzaktion. 

Arhythmien  bei  Masturban ten  etc.  oder  sonst  mit 
Tachykardie  gemeinsam  vorkommend,  erheischen  keine  andere 
Behandlung  als  die  Tachykardie  selbst. 

Pseudoangina  pectoris  wird  hydrotherapeutisch 
genau  so  behandelt  wie  eine  echte ;  auch  diese  erfordert  oft 
Hitzeapplikation  auf  das  Herz,  doch  nicht  so  ausgesprochen 
wie  die  echte ;  zumindest  ebenso  häufig  hilft  auch  Kälte? 
und  in  der  anfallsfreien  Zeit  ist  man  durchaus  nicht  be- 
müssigt,  so  ängstlich  die  Reiz-  und  Belastungsschwelle  zu 
beachten  wie  bei  echter  Angina  pectoris.  —  Die  anzuwen- 
denden Prozeduren  (Halbbäder,  Einpackungen ,  Duschen) 
richten  sich  mehr  nach  der  Art  der  übrigen  nervösen  Er- 
scheinungen und  lassen  sich  meist  erst  im  Verlaufe  der  Kur 
genau  präzisieren. 

Der  Wert  der  Hydrotherapie  bei  Herzneurosen  ist  also 
ein  sehr  bedeutender  und,  wenn  auch  die  Annahme  berechtigt 
ist,  daß  die  Prozeduren  direkt  eine  Umstimmung  der  Inner- 
vation bewirken ,  darf  man  sich  nicht  verhehlen ,  daß  be- 
sonders bei  neurasthenisch-hysterischen  Patienten  ein  Teil 
der  Wirkung  ein  suggestiver  ist. 


140  Praxis  der  Hydrotherapie. 

Praxis  der  Hydrotherapie. 

Abreibung.    (Erregende  Prozedur.) 

Ein  21/2 — 3  m  langes  und  l1/^ — 2  m  breites  Leintuch  wird 
längs  des  längeren  Randes  gefaltet,  in  Wasser  von  vorgeschriebener 
Temperatur  getaucht,  mehr  weniger  ausgepreßt  und  in  folgender 
Weise  um  den  Patienten  gelegt:  Der  Diener  spannt  ein  zirka  1  m 
langes  Stück  vom  gefalteten  Rande,  tritt  an  den  aufrecht  stehenden 
Patienten  von  vorn  heran ,  wäscht  ihm  Gesicht  und  Brust,  preßt 
den  Zipfel  des  Tuches  in  die  rechte  Achselhöhle  des  Patienten, 
führt  das  Tuch  quer  über  Brust  und  Bauch,  durch  die  linke  Achsel- 
höhle,  schräg  über  den  Rücken  an  die  rechte  Schulter,  von  da 
über  die  linke  Schulter  und  stopft  den  Endzipfel  am  Halse  fest. 
Das  herabhängende  Leintuch  wird  zwischen  die  fest  aneinander 
gepreßten  Beine  gestopft.  Hierauf  beginnt  das  Abreiben  mit  langen 
Strichen  der  flachen  Hand.  —  Die  Dauer  des  Abreibens  richtet 
sich  nach  der  Zeit,  in  welcher  der  Patient  warm,  wird  (1/2 — 2  bis 
3 — 4  Minuten  Reaktionskapazität).  Kälteempfindliche  Patienten  kann 
man  bei  der  Abreibung  bis  zu  den  Knöcheln  in  heißem  Wasser 
stehen  lassen  oder  ihnen  die  Füße  mit  heißen  Tüchern  bedecken 
(Wintemitz).  Nach  der  Abreibung  wird  der  Patient  trockengerieben 
oder  wenig  abgetrocknet  ins  Bett  gebracht  und  sorgfältig  zugedeckt 
(Nachdunsten).  —  Man  beginnt  mit  Wasser  von  20°  und  senkt  die 
Temperatur  je  nach  der  Reaktion  und  Individualität  des  Kranken 
bis  auf  12—10°. 

Die  partielle  Abreibung  oder  Teilwaschung  wird  so 
ausgeführt,  daß  man  die  Extremitäten  aus  guter  Bedeckung  einzeln 
hervorholt,  mit  nassem  Tuche  bedeckt,  abreibt  (auf  dem  gespannten 
feuchten  Tuche  wird  gerieben),  abtrocknet  und  wieder  sorgfältig 
bedeckt;  ebenso  wird  der  Stamm  vorn  und  hinten  gesondert  abge- 
rieben, ohne  daß  die  übrigen  Teile  abgedeckt  werden. 

Die  Teilwaschung  wird  als  orientierende  Prozedur  ver- 
wendet, um  die  individuelle  Reaktion  des  Patienten  kennen  zu  lernen; 
werden  die  partiell  abgeriebenen  Extremitäten  rot  und  warm,  dann 
schätzen  wir  die  Reaktion  hoch,  bleiben  sie  trotz  energischen  Reibens 
kalt,   dann  liegt  eine  Kontraindikation  für  größere  Prozeduren  vor. 

Bäder. 

1.  Hochbad.  Patient  ist  bis  über  die  Schultern  in  Wasser 
getaucht;  Temperatur  32 — 38°  C.  Patient  frottiert  sich  leise  oder 
wird  leicht  gerieben.  Dauer  5 — 25  Minuten  (Beruhigungsmittel). 

2.  Tauchbad.  Das  Wasser  reicht  bis  zur  Hälfte  der  Wanne, 
22 — 15°  C,  1 — 2  Minuten;  Patient  muß  sich  energisch  bewegen 
und  frottieren.  (Erregendes  Mittel.) 


Praxis  der  Hydrotherapie.  141 

3.  Halbbad  (abgeschrecktes  Bad  von  Prießnitz).  Patient 
steigt  (oder  wird  gehoben)  mit  gekühltem  Kopfe  und  benetzter 
Brust  in  die  Wanne  —  Wasser  20 — 30  cm  hoch  — ,  taucht  tief  bis 
über  die  Schultern  in  das  Wasser,  nimmt  dann  eine  sitzende  Stellung 
ein  und  wird  mittelst  eines  mit  einem  Griffe  versehenen  Gefäßes 
vom  Badediener  fleißig  (J/2 — 1  Minute  lang)  begossen.  Dann  lehnt 
er  sich  zurück  und  wird  an  Extremitäten,  Brust  und  Bauch  fleißig 
durchfrottiert.  Hierauf  abermals  1  Minute  lang  Begießungen  von 
vorn  und  Patient  steigt,  nachdem  er  sich  durch  kurze  Zeit  in  der 
Wanne  herumgeschaukelt,  heraus.  Die  ganze  Prozedur  dauert  3  bis 
4  Minuten ;  Patient  darf,  abgesehen  vom  ersten  Momente,  nicht  frösteln. 
Kräftige  Leute  vertragen  längere,  kräftigere  Bäder,  schwache, 
anämische  Patienten  nur  kürzere,  mit  starkem  Frottieren  kombiniert. 
Nach  dem  Bade  wird  Patient  kräftig  trocken  gerieben  und  soll 
womöglich  im  Freien  Muskelbewegung  ausführen.  —  Die  erregende, 
respektive  beruhigende  Wirkung  eines  Halbbades  kann  kombiniert 
werden  durch  Änderungen  der  Temperatur  (des  Wassers),  der  Dauer 
des  Bades  und  der  beigegebenen  mechanischen  Manipulation;  niedrig 
temperierte  kürzere  Bäder  mit  starken  mechanischen  Reizen  wirken 
mehr  erregend,  höher  temperirte  längere,  mit  geringeren  mechani- 
schen Reizen  erregen  weniger,  respektive  beruhigen.  Gebräuchliche 
Temperaturen  33—20°;  Dauer  2 — 10  Minuten. 

Teilbäder.  Diese  Gruppe  umfaßt  das  Hinterhauptbad, 
das  Ellenbogenbad,  Hand-  und  Fußbad  und  endlich  das  Sitz- 
bad. Beim  Hinterhauptbad  taucht  der  Kopf  des  horizontal  liegenden 
Patienten  in  ein  rasierbeckenartiges  Gefäß,  in  welchem  kontinuierlich 
naturkaltes  Wasser  zu-  und  abfließt.  Dauer  5 — 10  Minuten.  Eine  Ver- 
einfachung der  Methode  besteht  in  der  einfachen  Kühlung  des  Hinter- 
hauptes durch  einen  Schlauchapparat.  —  Die  übrigen  Prozeduren 
sind  so  bekannt,    daß  ihre  nähere  Ausführung    unterbleiben  kann. 


Dampf  kastenbad. 

Patient  sitzt  (mit  Ausschluß  des  Kopfes)  in  einem  Kasten, 
während  der  Dampf  von  einem  außerhalb  des  Kastens  befindlichen 
dampferzeugenden  Apparate  in  den  Kasten  einströmt  oder  im  Innern 
des  Kastens  erzeugt  wird. 


•    Dampfwannenbad.  (Improvisiertes  Dampfbad.) 

Man  setzt  auf  den  Boden  einer  großen  Wanne  einen  auf 
zirka  10  cm  hohen  Füßen  ruhenden  Holzrahmen,  der  mit  querlaufenden 
Gurten  überspannt  ist.  Patient  liegt  auf  diesem  Gestell  (halbsitzend), 
an  eine   gleichbeschaffene  Rückenlehne  angelehnt.    Auf  den  Boden 


142  Praxis  der  Hydrotherapie. 

der  Wanne  führt  ein  Schlauch  (eventuell  aus  einem  Kübel  mit 
heißem  Wasser),  durch  welchen  heißes  Wasser  auf  den  Wannenboden 
fließt.  Das  heiße  Wasser  gibt  seinen  Dampf  ab;  das  Entweichen 
des  Dampfes  wird  durch  eine  über  die  ganze  Wanne  gebreitete 
Wolldecke  verhindert.  Da  der  Patient  liegt,  kann  ihm  gleichzeitig 
mit  dem  Dampfbade  ein  Herzschlauch  appliziert  werden.  Der  Kopf 
bleibt  frei.  —  Man  kann  ein  solches  Dampfbad  auch  als  Teildampfbad 
einrichten  (z.  B.  für  die  untere  Körperhälfte). 

Duschen. 

1.  Vertikale    Regendusche.    Das    Wasser    trifft,    durch 
Brauseköpfe  geteilt,  den  ganzen  Körper. 

2.  Fächerdusche,  mit  welcher  einzelne  Körperteile  getroffen 
oder  der  ganze  Körper  bestrichen  werden  kann. 

3.  Aufsteigende  Brause.    Der  Regendusche  analoge,  von 
unten  nach  aufwärts  gerichtete  Dusche. 

Schottische  Dusche.  Wechselwarme  Dusche. 


Einpackung. 

1.  Feuchte  Einpackung:  Eine  21/2m  breite  und  zirka 
2 — 3  m  lange  wollene  Decke  (Badekotzen)  wird  auf  ein  großes  Ruhe- 
bett gelegt,  darauf  kommt  ein  in  kaltes  Wasser  getauchtes,  ziemlich 
stark  ausgerungenes  Leintuch.  Patient  legt  sich  nach  vorheriger 
Abkühlung  des  Kopfes  hinein.  Das  Leintuch  muß  überall  glatt 
anliegen,  unter  die  Arme  und  zwischen  die  Beine  wird  es  gestopft, 
damit  nirgends  Haut  an  Haut  liege.  Nun  wird  die  Wolldecke  umge- 
schlagen und  dafür  gesorgt,  daß  um  Hals  und  Schulter  durch 
Faltenbildung  ein  fester  Anschluß  entstehe ;  über  den  Kotzen  kommen 
1 — 2  Decken.  In  einer  halben  Stunde  besteht  zumeist  ein  gutes 
Wärmegefühl.  Dauert  die  Einpackung  über  1  Stunde,  dann  kommt 
es  langsam  zu  Schweißausbruch.  Will  man  die  Hautgefäße  toni- 
sieren,  dann  muß  man  der  Einpackung  kühlende  Prozeduren  folgen 
lassen.  Dreiviertel-  oder  Halbpackungen  werden  in  ähnlicher 
Weise  appliziert.  —  Eine  Modifikation  der  Einpackung  hat 
Buxbaum  angegeben.  Er  legt  dem  Patienten  eine  mit  Flanell  oder 
wollenem  Tuche  gut  bedeckte  Kreuzbinde  an  und  darüber  eine  bis 
zur  Achselhöhle  reichende  Dreiviertelpackung.  Der  Patient  ist  nahezu 
vollständig  eingepackt,  hat  aber  die  freie  Beweglichkeit  der  Arme, 
was  zu  seiner  Beruhigung  wesentlich  beizutragen  pflegt.  Außerdem 
ist  es  bei  dieser  Art  der  Einpackung  möglich,  den  Kühlapparat 
aufs  Herz  anzulegen ,  wodurch  die  Möglichkeit  gegeben  ist ,  die 
Einpackung  auch  bei   gesunkener  Herzkraft  anzuwenden. 


Praxis  der  Hydrotherapie.  14o 

2.  Trockene  Einpack ung.  (Direkte  Schweißprozedur.) 
Genau  so  auszuführen  wie  die  feuchte  Einpackung,  jedoch  mit  tro- 
ckenem Leintuch  oder  ganz  ohne  dieses,  nur  mit  Kotzen.  Der  Eintritt 
des  Schweißes  ist  individuell  verschieden.  Um  den  Schweißausbruch 
zu  beschleunigen,  wird  ein  warmes  Bad  vorausgeschickt  oder  man 
läßt  in  warmer  Kleidung  starke  Muskelaktion  ausführen  und  legt 
den  schwitzenden  Patienten  in  die  trockene  Einpackung ;  der  Schweiß 
setzt  sich  fast  unmittelbar  fort  und  kann  durch  Trinken  von  1  bis 
2  Glas  Wasser  gesteigert  und  ausgedehnt  werden.  Die  trockene 
Einpackung  wird  mit  einer  abkühlenden ,  erregenden  Prozedur 
beendet. 

Heißluftbehandlung. 

Dieselbe  wird  in  abgeschlossenen  Kästen  aus  schlecht  leitendem 
Materiale  appliziert.  Für  Herzkranke  kommen  wohl  nur  die  Apparate 
für  Körperteile  in  Betracht.  (Ableitende  Maßnahme  =  Herzschonung?) 
Die  Luft  wird  in  recht  einfacher  Weise  mittelst  eines  Spiritus-  oder 
Gasbrenners  erwärmt  und  durch  ein  Rohr  (Schornsteiu)  zugeleitet; 
trockene  Luft  wird  in  viel  höheren  Hitzegraden  vertragen  als  feuchte. 
Damit  die  erhitzte  Luft  die  Haut  des  Patienten  nicht  direkt  treffe, 
wird  sie  zunächst  an  die  Decke  des  Kastens  abgelenkt  und  muß 
sich  von  da  aus  erst  allmählich  nach  abwärts  ausbreiten.  Thermo- 
meter zeigen  die  Temperatur  an,  die  in  dem  Heißluftkasten  besteht. 


Herzschlauch. 

Rund  angeordnete,  dünne  Gummischläuche  mit  Zu-  und  Ab- 
flußrohr. Sie  werden  nicht  direkt  auf  die  Haut  gelegt ;  zwischen 
Haut  und  Schlauch  kommt  eine  dünne,  feuchte  Leinwandlage ;  der 
Schlauch  selbst  wird  mit  trockenem  Tuche  bedeckt. 


Umschläge. 

Umschläge  bestehen  aus  mehrfachen  Lagen  von  zusammen- 
gelegter Leinwand,  Rohseide  etc.,  die  in  entsprechend  temperiertes 
Wasser  getaucht  und  mehr  oder  minder  ausgerungen  auf  den  Körper 
gelegt  werden. 

1.  Kalte  Umschläge.  (Statt  derselben  eventuell  Schlauch- 
apparate mit  zirkulierendem  Wasser  in  der  gewünschten  Temperatur.) 

2.  Warme  Umschläge,  trocken  oder  mit  Leinen  oder  Flanell 
bedeckt.  Nimmt  man  zur  Bedeckung  impermeable  Stoffe,  dann  wird 
die  Wasserabdunstung  gehemmt  und  die  Reizwirkung  erhöht. 


144  Praxis  der  Hydrotherapie. 

3.  Erregende  Umschläge.  Der  Umschlag  wird  erneuert, 
wenn  er  trocken  geworden  ist.  (Die  bedeckte  Hautpartie  weist 
nach  dem  primären  Kältereiz  einen  Reaktionszustand  auf.) 

Kreuzbinde.  Erforderlich  sind  zwei  Binden  von  2 — 21/2m 
Länge  und  30 — 40  cm  Breite.  Man  taucht  die  eine  Binde  in  kaltes 
Wasser,  ringt  sie  kräftig  aus  und  legt  sie  in  folgender  Weise  an : 
Von  der  rechten  Achselhöhle  beginnend  über  die  vordere  Brust- 
fläche zur  linken  Schulter  und  schräg  über  den  Rücken  zum  Aus- 
gangspunkte zurück,  von  hier  quer  über  die  Brust  zur  linken  Achsel- 
höhle und  von  da  wieder  quer  über  den  Rücken  zur  rechten  Schulter- 
höhe; über  den  noch  unbedeckten  Teil  der  vorderen  Brustfläche 
läßt  man  sie  auslaufen.  Die  zweite  trockene  Binde  wird  in  gleicher 
Weise  angelegt  und  durch  kleine  an  ihr  Ende  angenähte  Bändchen 
über  der  Brust  befestigt. 


Es  ist  eine  allgemeine  Gepflogenheit,  vor  jeder  kühlen  Pro- 
zedur, welche  den  ganzen  Körper  oder  nur  einen  Teil  desselben  trifft, 
den  Kopf  des  Badenden  durch  Waschen  mit  kaltem  Wasser  abzukühlen 
und  mit  einem  kühlen  Umschlag  zu  versehen.  Man  vermeidet  dadurch 
eine  plötzliche  Blutüberfüllung  von  direkt  oder  reflektorisch  be- 
troffenen Gefäßgebieten  (Splanchnikusgefäße,  Hirngefäße),  die  Win- 
ternitz  als  Rückstau ungskongestion  bezeichnet.  —  Der  Kopf- 
umschlag  oder  die  Kopfwaschung  kann  unter  Umständen  auch 
durch  eine  Kühlkrawatte  (kalter  Umschlag  um  den  Hals)  ersetzt 
werden. 

Bei  Hitzeeinwirkung  auf  den  Körper  (Schwitzprozeduren)  ist 
die  Kopfkühlung  gleichfalls  unerläßlich,  eventuell  durch  zirkuläre 
Kühlung  des  Halses  zu  ersetzen,  respektive  zu  unterstützen. 


Die  mechanische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

Von  Dr.  Anton  ßum  in  Wien. 

Von  den  therapeutischen  Behelfen,  die  wir  gegen  die 
Erkrankungen  und  funktionellen  Störungen  des  Herzens  in 
Anwendung  bringen,  vereint  vielleicht  keiner  die  beiden  in 
der  Einleitung  zu  vorliegendem  Werke  mit  riecht  hervor- 
gehobenen Indikationen  der  Schonung  und  der  Übung  des 
Herzens  in  solchem  Maße,  wie  die  Mechanotherapie.  Daß 
ihre  klinische  Anwendung  so  lange  vernachlässigt  worden 
ist,  daß  die  Schule  auch  heute  noch  der  mechanischen  Be- 
handlung der  Kreislaufstörungen  recht  skeptisch  gegenüber- 
steht, daß  endlich  die  Zahl  der  Mißerfolge  bei  dilettantischer 
Anwendung  der  Methode  eine  relativ  große  ist,  dafür  ist 
der  Grund  in  der  Schwierigkeit  ihrer  Technik,  beziehungs- 
weise der  Auswahl  der  Handgriffe  und  Bewegungen  zu 
suchen ,  von  welchen  einzelne  der  Kräftigung  des  Herzens 
durch  sorgfältig  sich  einschleichende  Mehrarbeit  und  ma- 
nuelle Beeinflussung  des  Herzmuskels,  andere  der  Entlastung 
des  Herzens  durch  Erleichterung  eines  Teiles  seiner  physio- 
logischen Arbeit  auf  mechanischem  Wege  dienen.  Wenn 
irgendwo,  so  ist  gerade  bei  der  mechanischen  Behandlung 
der  Herzkrankheiten  strengste  Individualisierung  und  sorg- 
fältigste Vermeidung  schematisierenden  Vorgehens  dringend 
geboten.  Eingehendes  Studium  des  Einzelfalles,  genaue 
Kenntnis  der  physiologischen  Wirkung  unserer  Eingriffe 
und  volle  Beherrschung  der  Technik  der  letzteren  sind  die 
Bedingungen  einer  günstigen  Beeinflussung  der  Herzarbeit 
durch  mechanische  Therapie. 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten.  10 


146  Die  mechanische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

Die  Besprechung  der  physiologischen  Wirkung 
mechanischer  Eingriffe  auf  Herzmuskel  und  Kreislauf  fordert 
strenge  Sonderung  der  aktiven  und  der  passiven  Manipula- 
tionen. Zu  ersteren  zählen  wir  die  vom  Kranken  allein  oder 
unter  Widerstand  auszuführenden  Bewegungen,  zu  letzteren 
die  vom  Arzte  am  passiven  Kranken  vorzunehmenden  Mani- 
pulationen. Bei  den  aktiven  Bewegungen  unterscheiden 
wir  wiederum  die  reine  Aktivbewegung  (z.  B.  Vorderarm- 
beugen) von  der  sie  erleichternden  Schwung-  oder  Förderungs- 
bewegung (z.  B.  Armbeugen  und  -Strecken  an  einem  Pendel- 
oder Schwungapparate)  und  von  der  sie  erschwerenden 
Widerstandsbewegung  (z.  B.  Armbeugen  unter  nachgiebigem 
Widerstand  des  Arztes,  am  Widerstandsapparate).  Hieher 
gehören  auch  die  sogenannten  „ Selbsthemmungsbewegungen u. 
Die  zweite  große  Gruppe  mechanischer  Manipulationen  um- 
faßt die  vom  Arzte  am  vollständig  passiven  Kranken  aus- 
geführten Gelenkbewegungen  (Beugung,  Streckung,  Ab-  und 
Adduktion,  Pro-  und  Supination,  Rollung),  sowie  jene  zu- 
mal in  Erschütterung,  Klopfung,  Streichung  und  Knetung 
bestehenden   Eingriffe,    welche    die   Massage   konstituieren. 

Daß  die  aktiven  Bewegungen  einen  sehr  bemerkens- 
werten Einfluß  auf  die  Herztätigkeit  ausüben,  wurde  in 
diesem  Buche  wiederholt  und  nachdrücklich  betont.  Derselbe 
ist  uns  so  bekannt,  daß  er  weitgehende  diagnostische  Verwer- 
tung findet  bei  Beurteilung  der  Leistungsfähigkeit  des  Herzens 
(s.  pag.  28). 

Alle  Beobachter  (mit  alleiniger  Ausnahme  G.  Zanders 
und  Nebels)  konstatieren  Blutdrucksteigerung  während  der 
Muskelarbeit,  welche  ja  stets  mit  Herzarbeit  einhergeht. 
Auch  Hasebroek  beobachtete  konform  den  einwandfreien 
Untersuchungen  von  Grebner  und  Grünbaum  Blutdruckstei- 
gerung während  und  unmittelbar  nach  der  Arbeit,  gleich- 
zeitig aber  sphygmographische  Entspannungszeichen  an  der 
Radialis :  Koinzidenz  verstärkter  Herzarbeit  mit  Erweiterung 
der  peripheren  Gefäße.  Die  Muskelarbeit  ist  daher  in  erster 
Reihe  als  herz  übendes  Agens  anzusehen.  Muskelübung 
ist  Herzübung.  Gleichzeitig  aber  verhütet  die  Entspannung 
im  großen  Kreislaufe  eine  etwaige  andauernde  Vermehrung 


Die  mechanische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  147 

der  Widerstände,  die  sich  der  Herzarbeit  entgegensetzen. 
Der  Mechanismus  dieser  Entspannung  in  der  Peripherie  ist 
strittig.  Während  ein  Teil  der  Untersucher  geneigt  ist,  eine 
Verbreiterung  der  Blutbahnen  aus  der  Tatsache  stärkerer 
Durchblutung  arbeitender  Muskeln  zu  deduzieren,  in  welchen 
der  Blutstrom  während  ihrer  Arbeit  eine  Erleichterung 
erfährt  (Zuntz),  ziehen  andere  für  die  Erklärung  der  ge- 
nannten Erscheinung  den  Einfluß  des  Tiefatmens,  zumal  der 
vermehrten  Zwerchfellsexkursion  während  der  Muskelarbeit 
auf  das  Splanchnikusgebiet,  heran.  —  Wir  werden  auf  den 
Wert  vertiefter  Respiration  für  die  Verbesserung  der  Kreis- 
lauf sverhältnisse  noch  zurückkommen.  —  Außer  Zweifel 
steht  die  Tatsache,  daß  wir  in  der  Muskelarbeit  ein  die 
Herzaktion  stimulierendes  Mittel  besitzen,  das  vor  anderen, 
den  Blutdruck  steigernden  Agentien  den  Vorteil  besitzt, 
Faktoren  zu  enthalten,  welche  die  Herzarbeit  zu  erleichtern 
vermögen.  Methodische  Muskelarbeit  veranlaßt  das 
Herz  zu  erhöhter  Arbeit  unter  günstigen  Bedin- 
gungen. Die  Möglichkeit,  diese  Arbeit  auf  das  Genaueste 
zu  dosieren,  erhöht  den  therapeutischen  Wert  aktiver,  vor 
allem  der  die  sogenannte  „schwedische  Heilgymnastik" 
charakterisierenden  Widerstandsbewegungen.  Minder  wirk- 
sam sind  naturgemäß  die  einfach  aktiven  Bewegungen  (Frei- 
übungen des  deutschen  Turnens)  und  die  sogenannten  Förde- 
rungs-  und  Schwungbewegungen,  wrelche  bereits  den  Übergang 
zu  den  rein  passiven  Bewegungen  (s.  unten)  bilden. 

Die  von  den  Brüdern  Schott  in  die  Therapie  einge- 
führten Bewegungen  unter  gleichzeitiger  Anspannung  der 
Antagonisten  (Selbsthemmung)  sollen  die  Vorteile  der 
aktiven  und  passiven  Bewegungen  vereinigen. 

Wenn  nach  dem  Gesagten  die  aktiven  und  unter 
diesen  die  Widerstandsbewegungen  als  herzübende  Ein- 
griffe anzusehen  sind,  dienen  die  passiven  Bewegungen 
sowie  jene  Manipulationen,  welche  wir  an  den  Extremitäten 
in  Form  von  Massage  vornehmen,  den  Zwecken  der  Herz- 
schonung durch  Beförderung  des  Rückflusses  des  venösen 
Blutes  und  der  Lymphe.  Passive  Gelenkbewegungen  be- 
günstigen   den  Abfluß    des   Venenblutes    und    der    Lymphe 

10* 


148  Die  mechanische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

(Lassar)  und  bedingen  wechselnde  Spannung  und  Entspan- 
nung der  Faszien,  durch  welche  die  an  die  letzteren  befestigten 
großen  Venenstämme  erweitert  werden  und  Blut  ansaugen, 
das  infolge  der  Venenklappen  nicht  peripherwärts  zurück- 
strömen kann  {Bräune's  „Fasziensaugapparate").  Hierüber 
wurde  in  der  Einleitung  zu  diesem  Buche  (s.  pag.  9  u.  10) 
bereits  gesprochen.  Der  Mechanotherapeut  wird  bei  An- 
wendung dieser  Bewegungen  auch  auf  die  Stellung  der 
Extremitäten  zum  Rumpfe  achten .  da  er  weiß ,  daß  z.  B. 
Erheben  der  oberen  Extremitäten  den  Abfluß  des  venösen 
Blutes  aus  denselben  erleichtert. 

Eine  weitere,  die  Saugkraft  des  Herzens  unterstützende 
Manipulation  muß  in  zentripetalen  Streichungen  der  Extre- 
mitäten (Massage)  erblickt  werden.  Methodische  Streichungen, 
bei  welchen  ein  mäßiger  Druck  auf  die  Gegend  des  Ver- 
laufes der  großen  Gefäße  ausgeübt  wird  (die  Arterien  wände 
bieten  einer  etwaigen  mechanischen  Beeinflussung  genügenden 
Widerstand),  beschleunigen  den  venösen  Blut-  und  Lymph- 
strom, dessen  Rückströmung  die  Klappen  der  Venen  und 
Lymphgefäße  verhüten. 

Dazu  kommt  die  von  uns  bereits  gestreifte  Wirkung 
gesteigerter  Respiration,  die  wahrend  und  unmittelbar 
nach  Muskelarbeit  reflektorisch  —  dem  durch  Vermehrung 
der  Sauerstoffabgabe  erhöhten  Sauerstoffbedürfnisse  des 
Organismus  entsprechend  —  erfolgt.  Die  tiefe  Inspiration 
bedingt  vermehrten  Blutzufluß  zum  Herzen,  die  Exspiration 
Entleerung  desselben ;  das  Herabrücken  des  Zwerchfelles 
einerseits  Druckvermehrung  in  der  Bauchhöhle ,  anderer- 
seits Druckverminderung  in  der  Brusthöhle ,  mithin  gün- 
stige Bedingungen  für  den  Abfluß  des  venösen  Blutes  in 
das  Herz. 

Wir  stehen  daher  durchaus  auf  realem,  physiologischem 
Boden ,  wenn  wir  die  passiven  Gelenkbewegungen  und  die 
Handgriffe  der  Massage  ebenso  als  die  Zirkulation ,  die 
Strömungsgeschwindigkeit  des  Blutes,  begünstigende  Mo- 
mente erklären,  wie  die  die  aktive  Bewegung  begleitende 
Entspannung    der    peripheren  Arterien    und    die    durch  die 


Die  mechanische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  14<) 

Begleiterin  jeder  Bewegung,  die  vertiefte  Respiration,  be- 
günstigte Ansaugung  des  venösen  Blutes.  Die  bei  richtig 
gestellter  Indikation  und  korrekter  Technik  stets  eintretende 
subjektive  Euphorie  nach  mechanischer  Behandlung,  bei 
welcher  sicherlich  auch  die  Herz  und  Athmung  stimulierende 
Wirkung  der  im  Blute  zirkulierenden  Stoffwechselprodukte 
des  arbeitenden  Muskels  (Zuntz)  eine  Rolle  spielt,  ist  ledig- 
lich eine  Bestätigung  dieser  theoretischen  Anschauungen. 
Damit  ist  aber  der  Effekt  äußerer  mechanischer  Einflüsse 
auf  das  Herz  nicht  erschöpft. 

Die  Massage  verfügt  über  Eingriffe,  welche  eine 
direkte  Wirkung  auf  den  Herzmuskel  selbst  zu  besitzen 
scheinen.  Erschütterungen  jenes  Teiles  des  Thorax,  welchem 
das  Herz  während  der  Systole  und  Diastole  anliegt  (L.  Braun), 
erhöhen  den  Tonus  des  Herzmuskels.  Wir  kennen  die  AVirkung 
der  Klopfung  und  anderer  erschütternder  Manipulationen 
der  Skelettmuskulatur  sehr  genau  und  wissen ,  daß  durch 
diese  passiven  Eingriffe  die  Muskelfasern  zur  reflektorischen 
Kontraktion  gezwungen  und  durch  häufige  Wiederholung 
dieses  mechanischen  Reizes  gekräftigt  werden.  Wenn  wir  die 
Herzgegend  erschüttern  —  etwa  in  Form  der  Klopfung, 
wie  sie  bei  der  diagnostischen  Perkussion  geübt  wird  — , 
so  reagiert  das  Herz,  dessen  Reaktionsfähigkeit  nicht  voll- 
ständig geschwunden  ist  (vgl.  pag.  32),  durch  Erhöhung  seines 
Tonus,  die  sich  als  prompte  Verkleinerung  der  Herzdämpfung 
nachweisen  läßt  (M.  Heitier).  Diese  Erscheinung  erfolgt  mit 
solcher  Regelmäßigkeit,  daß  sie  diagnostische  Verwertung 
findet.  Sie  geht  mit  Pulsverlangsamung  und  Pulskräftigung 
einher,  welche  auch  die  schon  von  den  alten  schwedischen 
Gymnasten  vielgeübte  „Rückenhackung,\  also  Erschütterung 
der  rückwärtigen  Thoraxfläche,  begleiten.  Es  dürfte  hier 
reflektorische  Erregung  eine  Rolle  spielen. 

Fassen  wir  die  uns  bisher  bekannten  Einflüsse  mecha- 
nischer Eingriffe  auf  das  Herz  und  den  Kreislauf  zusammen 
und  .versuchen  wir  eine  Gruppierung  dieser  Effekte  im  Sinne 
übender  und  schonender  Manipulationen ,  so  ergibt  sich 
folgendes  Schema : 


150  I)le  mechanische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

Herzübung:  Herzschonung: 

Aktive,  zumal  Widerstands-  Passive  Bewegungen. 

bewegungen.  Extremitätsmassage, 

Erschütterungen   der   Herz-  Tiefatmen. 

gegend  (Herzmassage)  und 

Rückenhackung. 

Aus  dem  im  Vorstehenden  Ausgeführten  geht  für  die 
praktische  Anwendung  der  Mechanotherapie  bei  Herzkranken 
zunächst  hervor ,  daß  diese  Methode  lediglich  einen ,  und 
zwar  nicht  unwesentlichen,  Teil  der  allgemeinen  hygie- 
nisch-diätetischen Therapie  der  Herzkrankheiten  dar- 
stellt und  demgemäß  auch  in  der  Prophylaxe  der  Kreis- 
laufstörungen eine  bemerkenswerte  Rolle  spielt.  Als  spe- 
zielles Therapeutikum  ist  sie  hier  ebensowenig  zu  betrachten 
wie  die  Freiluftbehandlung  der  Phthise.  Ihre  Wirkung  ist 
die  funktionelle  Beeinflussung  des  Herzens,  und  zwar, 
der  Indikation  entsprechend,  bald  im  Sinne  der  Übung,  bald 
in  ienem  der  Schonung:. 


Die  nachfolgenden  Paradigmen  sollen  dem  Leser 
vielleicht  nicht  unwillkommene  Winke  bezüglich  der  Technik 
und  der  Dosierung  der  mechanischen  Behandlungsmethoden 
bei   verschiedenen  Indikationen  bieten. 


1.  Akute  Herzinsuffizienz 

(Endokarditis,  akute  Myokarditis,  Perikarditis  nach  Überanstrengung). 

Zunächst  schonende  Methoden :  Patient  in  Bett- 
lage. (Zwei  Wochen  fieberfrei ;  das  Herz  auf  Beklopfung 
prompt  reagierend.)  Passive  Bewegungen  der  Extremitäten, 
Rollungen  der  Arme  und  Beine,  zentripetale  Streichung  der- 
selben, in  den  Pausen  methodisches  Tiefatmen.  Täglich  ein- 
bis  zweimalige  Sitzungen  von  je  25 — 30  Minuten  Dauer. 
Nach  etwa  4  bis  5  Tagen  leicht  einschleichende  übende  Be- 
handlung. Zwischen  die  passiven  Bewegungen  werden  einzelne 


Die  mechanische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  151 

aktive  Bewegungen  eingeschoben,  z.  B.  nach  passiver  Ab- 
duktion  einer  Extremität  aktive  Adduktion ,  bald  unter 
leichtem,  nachgiebigem  Widerstände  bei  sorgfältiger  Be- 
achtung regelmäßiger  tiefer  In-  und  Exspiration.  Man  be- 
ginne sowohl  bei  den  passiven  als  bei  den  aktiven  und 
Widerstandsbewegungen  zunächst  mit  Bewegungen  der 
peripheren  Gelenke  und  schreite  von  Sitzung  zu  Sitzung 
allmählich  zu  zentraleren  Gelenken  fort:  Hand,  Fuß;  Vor- 
derarm. Unterschenkel;  Oberarm ,  Oberschenkel.  Rumpf- 
bewegungen sind  hier  ausgeschlossen  (s.  u.).  Gleichzeitig  Herz- 
massage am  liegenden,  später  am  sitzenden  Kranken.  All- 
mähliche vollständige  Verdrängung  der  schonenden  durch  die 
übende  Behandlung  (s.  sub  2). 

2.  Chronische  Herzinsuffizienz 

(„Fettherz",    Herzmuskelerkrankungen,    Arteriosklerotische    Insuffizienz    des 
Herzens,  Concretio  pericardii,  Klappenfehler). 

Mechanische  Therapie,  nur  bei  noch  vorhandener 
Reaktionsfähigkeit  des  Herzens  angezeigt,  besteht  hier  in 
erster  Reihe  aus  herz  übenden  Manipulationen:  Herz- 
massage, Rückenhackung ,  Widerstandsbewegungen  mit  an- 
fangs sehr  geringen ,  gradatim  gesteigerten  Widerständen. 
Diese  Steigerung  betrifft  sowohl  die  Größe  des  Widerstandes 
wie  die  Zahl  der  5 — 20mal  im  Tempo  der  Respiration  vor- 
zunehmenden Bewegungen.  Auch  hier  ist  stufenweise  von 
den  peripheren  zu  den  zentralen  Gelenken  überzugehen. 
Rumpfbewegungen  sind  mit  besonderer  Vorsicht  (Gefahr 
plötzlicher  Blutdrucksteigerung,  raschen  Abflusses  des  venösen 
Blutes  in  das  Herz)  vorzunehmen,  und  zwar  zunächst  seit- 
liche, dann  rollende,  kreisende  Bewegungen  des  Rumpfes, 
während  Rumpf beugun gen  nach  vorn  und  rückwärts  besser 
vermieden  werden. 

Die  Widerstandsbewegungen  müssen  mit  einem  sehr 
geübten,  die  eigene  Muskulatur  voll  beherrschenden  Gym- 
nasten  ausgeführt  werden.  Vorteilhafter  ist  die  Benützung 
guter  Widerstandsapparate  unter  sorgfältiger  Aufsicht  eines 
sachverständigen  Arztes.  Die  von  G.  Zander  und  M.  Herz  kon- 


152  ®ie  mechanische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

s tririerten  Apparate,  unter  welchen  sich  auch  Förder ungs-, 
passive  und  Massagemanipulationen  imitierende  (aber  nicht 
ersetzende)  Maschinen  befinden,  leisten  hier  treffliche  Dienste. 
Zumal  die  Widerstandsapparate  von  Herz,  deren  Konstruktion 
Zugschwankungen  konform  der  physiologischen  An-  und 
Abschwellung  der  Muskelarbeit  während  der  Bewegung  ge- 
stattet, erfüllen  alle  Forderungen,  welche  an  eine  korrekte 
Gymnastik  gestellt  werden  können. 

Die  gymnastischen  Sitzungen  sollen  in  den  späteren 
Vormittags-  oder  Nachmittagsstunden,  nicht  früher  als  etwa 
2 — 3  Stunden  nach  einer  Mahlzeit,  bei  die  Respiration  nicht 
beengender,  leichter  Kleidung  des  Kranken  (Korsetts,  Hals- 
krägen  etc.  ablegen!),  in  hellen,  gut  ventilierten,  staub- 
freien, nicht  zu  warm  gehaltenen  (12 — 13°  R.),  geräumigen, 
hohen  Sälen  (im  Sommer  womöglich  in  hallenartigen 
Räumen,  deren  eine  Seite  große  Öffnungen  ins  Freie  besitzt) 
oder  in  Sälen  mit  weit  geöffneten  Fenstern  täglich  durch 
15 — 60  Minuten  vorgenommen  werden.  Das  „gymnastische 
Rezept*'  ist  so  zusammenzustellen,  daß  es  3 — 4  Gruppen 
von  je  3  Bewegungen  enthalte,  von  welchen  je  eine  eine  pas- 
sive, Förderungs-  und  Widerstandsbewegung  und  je  eine 
Bewegung  für  die  oberen ,  unteren  Extremitäten  und  den 
Rumpf  (s.  oben)  sei.  Eine  oder  die  andere  passive  Bewegung 
kann  durch  eine  maschinelle  Massageapplikation  (Herzer- 
schütterung, Rückenhackung  etc.)  ersetzt  werden,  wenn 
man  nicht,  wie  dringend  zu  empfehlen,  der  manuellen  Mas- 
sage den  Vorzug  gibt.  Nach  jeder  Gruppe  ist  eine  Pause 
von  etwa  5  Minuten  Dauer  einzuschieben,  während  welcher 
Patient  ruht. 

Der  sofortige  Effekt  einer  gymnastischen  Sitzung  ist 
Euphorie  des  Kranken.  Erfolgt  diese  nicht  trotz  Modi- 
fikation der  Übungen,  ihrer  Widerstände  und  Frequenz,  trotz 
eventueller  Änderung  der  Übungszeit  und  Dauer,  so  ist  die 
Behandlung  bald  zu  sistieren.  Deutliches  Erbleichen  und  Er- 
röten des  Gesichtes,  die  Angabe  des  Kranken,  Schwindel 
zu  empfinden,  lebhaftere  Bewegungen  der  Nasenflügel, 
Atmen  mit  offenem  Munde  oder  gar  deutlichere  Zeichen 
von  Dyspnoe    sind   Fingerzeige   für  ungeeignete  Wahl    der 


Die  mechanische  Behandlung  der  Herzkrankheiten.  153 

Übungen,  beziehungsweise  der  für  dieselben  angegebenen 
qualitativen  und  quantitativen  Potenzen. 

Dieselbe  Technik  mit  minder  strengen  Kautelen  wie 
manifeste  chronische  Herzinsuffizienz  erheischt  die  pro- 
phylaktische Mechanotherapie ,  die  ihre  Anzeigen  bei 
muskel schwachen,  fettleibigen  Kindern  und  Erwachsenen, 
ferner  bei  Kindern  aus  Familien  findet,  in  welchen  Herz- 
krankheiten oder  Fettsucht  erblich  sind. 

Die  von  anderen  Autoren  beliebte  Anweisung  spezieller 
Übungen  und  Bewegungen  für  die  einzelnen  Erkrankungen 
des  Herzens,  Vorschriften,  die  für  Klappenveränderungen 
der  verschiedenen  Ostien  Variationen  erfahren ,  halten  wir 
für  durchaus  gesucht  und  unwissenschaftlich.  Nichts  be- 
rechtigt uns,,  für  die  Mechanotherapie  der  Herz- 
krankheiten eine  andere  Stellung  zu  arrogieren, 
als  die  eines  Teiles  der  Allgemeintherapie  dieser 
Krankheiten.  Hier  leistet  sie  in  Form  teils  schonender, 
teils  übender  funktioneller  Beeinflussung  des  Herzens  bei 
sorgfältiger  Indikationsstellung  und  voller  Beherrschung  der 
Technik  Vorzügliches. 

Zum  Schlüsse  seien  die  wichtigsten  Gegenanzeigen 
mechanischer  Behandlung  von  Herzkrankheiten  hervorge- 
hoben. Dieselbe  erscheint  kontraindiziert  im  Senium  mit 
Rücksicht  auf  die  Gefahr  häufiger  Blutdrucksteigerung,  bei 
Mitralstenosen  wegen  der  drohenden  Embolien  und  wegen 
Störung  der  Kompensation  durch  Verlangsamung  der  Herz- 
aktion; aussichtslos  ist  diese  Behandlung  auch,  wenn 
die  Strukturerkrankung  des  Herzens  einen  so  hohen  Grad 
erreicht  hat,  daß  an  eine  Erholung  nicht  zu  denken  ist. 
Hieher  gehören  ferner  Herzkranke,  deren  Beruf  schwere 
Körperarbeit  erfordert  und  welche  eine  sehr  kräftige 
Skelettmuskulatur  aufweisen  (Bomberg),  ferner  Fälle  von 
syphilitischer  Endarteriitis  und  hochgradiger  Atheromatose. 
Endlich  gibt  es  Fälle,  die  trotz  sorgfältigster  Technik 
refraktär  bleiben  ;  hier  ist  baldige  Sistierung  der  mechani- 
schen Behandlung  geboten. 


154  Die  mechanische  Behandlung  der  Herzkrankheiten. 

Anhangsweise  noch  einige  Worte  über  den  Wert  der 
sogenannten  ,.  Sportbewegungen"  in  der  Prophylaxe  und 
Therapie  der  Herzkrankheiten:  Bekanntlich  bildete  metho- 
disches Bergsteigen  das  Wesen  der  nunmehr  rasch  in  Ver- 
gessenheit geratenden  Oertehchen  „Terrainkuren".  Un- 
zweifelhaft stellt  das  Gehen  auf  schiefer  Ebene  eine 
Widerstandsbewegung  dar,  gleich  dem  Schwimmen  gegen 
den  Strom  zum  Unterschiede  von  dem  als  Übergang  von 
einer  Förderungs-  zu  einer  aktiven  Bewegung  zu  betrachten- 
den Gehen  in  der  Ebene  oder  Schwimmen  mit  dem  Strome, 
beziehungsweise  in  strömungsfreiem  Wasser.  Von  einem 
Therapeutikum  aber  müssen  wir  neben  Vermeidung  der 
Einseitigkeit  zunächst  die  Möglichkeit  sorgfältigster  Dosie- 
rung, des  weiteren  strengster  Überwachung  verlangen. 
Beides  trifft  hier  ebensowenig  zu,  wie  beim  Radfahren  Herz- 
kranker, das  jüngst  empfohlen  wurde.  In  der  Prophylaxe 
der  Herzkrankheiten  (s.  oben)  mögen  auch  Sportbewegungen 
bei  entsprechender  Kontrolle  durch  vernünftige  Erwachsene 
(Eltern,  Erzieher)  Anwendung  finden;  in  der  Therapie 
finden  sie  keinen  Raum.  Ob  sie  nach  Überwindung  eines 
Anfalles  von  Herzinsuffizienz  anzuwenden  sind,  darüber  kann 
nur  der  erfahrene  Arzt  im  Einzelfalle  und  unter  sorg- 
fältiger Berücksichtigung  des  Individuums  (auch  seines 
Charakters)  entscheiden.  Direkte  Empfehlung  aber  verdienen 
mit  der  nötigen  Vorsicht  auszuübende  Sportbewegungen 
(Bergsteigen,  Schwimmen,  Rudern,  Schlittschuhlaufen,  Ball- 
spiele) bei  sichergestellten  Fällen  von  Herzneu r ose n 
leichteren  Grades,  zumal  abwechselnd  mit  methodischer  mecha- 
nischer Behandlung. 


Elektrotherapie. 

Die  Elektrotherapie  der  Herzkrankheiten  gehört  zu 
jenen  Heilverfahren,  die  vorwiegend  rein  suggestiven  Zwecken 
dienen ;  zwischen  dem  Heilverfahren  und  der  Besserung  be- 
steht zumeist  ein  psychischer .  nicht  ein  physikalischer  Zu- 
sammenhang. Wir  werden  daher  bei  einer  großen  Zahl 
von  geeigneten  Krankheitsfällen  —  vor  allem  den  Neu- 
rosen —  bestechende  Erfolge  erzielen  können ,  besonders 
wenn  wir  die  Elektrotherapie  ,.cum  apparatu  magno"  in- 
szenieren und  individualisierend  verwenden. 

Man  darf  sich  aber  nicht  vorstellen ,  daß  durch  An- 
wendung elektrischer  Potenzen  Läsionen  der  Struktur  des 
Herzens  heilsam  zu  beeinflussen  seien,  so  wie  ähnliche  Ver- 
änderungen an  der  Skelettmuskulatur. 

Den  meisten  Empfehlungen  der  Anwendung  galvanischer 
und  faradischer  Ströme  bei  Herzkrankheiten  liegt  die  fehler- 
hafte, ja  völlig  unerlaubte  Annahme  zugrunde ,  daß  Herz- 
muskeln und  Skelettmuskeln  analoge  Organe  seien ,  daß  es 
daher  gestattet  sei,  die  Erfahrungen  der  Nervenmuskel- 
physiologie  geradewegs  auch  auf  die  Herzphysiologie  zu 
übertragen. 

Die  Herzmuskulatur  nimmt  aber  eine  ganz  besondere 
Stelle  für  sich  in  Anspruch;  ihre  Analogisierung  mit  der 
Skelettmuskulatur  ist  durchaus  willkürlich  und  im  Wider- 
spruche mit  den  diesbezüglichen  Ergebnissen  der  Anatomie 
und   Physiologie  (Ehrenfried  Albrecht1). 


x)  Ehrenfried  Albrecht,  Der  Herzmuskel,  Berlin  1903. 


156  Elektrotherapie. 

Wenn  sich  trotzdem  in  der  Literatur  Angaben  darüber 
linden,  „daß  man  durch  perkutane  stabile  Durchleitung  und 
Wendungen  starker  galvanischer  Ströme  mittels  großer 
Elektroden  von  der  Wirbelsäule  zur  Herzgegend  bei  nicht 
zu  fetten  Personen  Steigerung  der  Energie  der  einzelnen 
Kontraktionen,  Regelmäßigkeit  der  Schlagfolge  und  Hebung 
der  Pulswelle  mit  Spannungszunahme,  also  kurz  eine  Er- 
frischung der  Herztätigkeit,  erzielen  könne"  (y.  Ziemssen1). 
so  sind  diese  Befunde  mit  umso  größerer  Vorsicht  aufzu- 
nehmen, als  sie  durch  Versuche  anderer  Autoren  (Herbst2), 
Dixon  Mann 3)  nicht  bestätigt  wurden  und  die  Versuchsbe- 
dingungen nicht  als  völlig  einwandsfrei  zu  bezeichnen  sind. 
Erneute  Versuche  wären  notwendig,  um  dieses  vielfach  un- 
geklärte Gebiet  für  die  Praxis  urbar  zu  machen ,  doch  ist 
für  solche  Versuche  vielleicht  erst  die  Zeit  gekommen, 
wenn  wir  in  den  Mechanismus  der  Herzaktion  einen  tieferen 
Einblick  werden  gewonnen  haben  als  bisher.  Vorläufig 
rechnet  jeder,  der  elektrische  Ströme  als  Heilfaktoren  bei 
Herzkrankheiten  verwendet,  mit  unbekannten  Größen ;  er 
tut  daher  gut  daran,  sich  nicht  allzuweit  vorzuwagen,  um- 
somehr  als  elektrische  Ströme  für  das  Herz  zu  Quellen  der 
Lebensgefahr  werden  können. 

Es  ist  uns  nämlich  vom  Tierexperimente  her  bekannt, 
daß  nach  Durchleitung  elektrischer  Ströme  von  verhältnis- 
mäßig niedriger  Spannung  die  Herzen  der  Versuchstiere  (in 
individuell  wechselnder,  ganz  unberechenbarer  Weise)  ihre 
koordinierte  Schlagform  verlieren  und  zu  ,.flimmerna  be- 
ginnen können,  d.  h.  es  treten  keine  regelrechten  Systolen 
mehr  auf,  dafür  aber  wogende  und  wühlende  Bewegungen; 
dabei  bleibt  die  Kammerwand  schlaff,  es  wird  kein  Blut 
aus  den  Kammern  herausgetrieben,  die  Zirkulation  sistiert, 
das  Tier  geht  zugrunde. 

Da  die  Elektrotherapie  von  manchem  Elektrotherapeuten 
auch   für   hochgradig   geschädigte  Herzen    empfohlen   wird, 


*)  v.  Ziemssen,  Deutsch.  Arch.  f.  kl.  Med.,  1882. 

2)  Herbst,  Arch.  f.  exper.  Path.,  1884. 

3)  Dixon  Mann,  The  medic.  chron.,  1885,  zit.  nach  E.  Remak,  „Elektro- 
therapieu  in  Eulenburgs  Real-Enzyklopädie,  Bd.  6,  3.  Auflage. 


Elektrotherapie.  ]f)7 

und  es  sich  auch  nicht  im  entferntesten  bemessen  läßt,  in 
welcher  Weise  ein  krankes  Herz  auf  elektrische  Ströme 
reagiert,  könnte  es  sich  unter  Umständen  ereignen,  daß  ein 
solches  Herz  unter  dem  Einflüsse  eines  stärkeres  Stromes  in 
iibrilläre  Zuckungen  versetzt  würde ,  aus  denen  es  durch 
kein  therapeutisches  Mittel  mehr  zu  koordinierten  Schlägen 
zu  erwecken  wäre. 

Die  Elektrotherapie  der  Herzkrankheiten  beschränke  sich 
daher  am  besten  auf  psychogene  Wirkungen,  die  allerdings 
durch  geschickte  Verwertung  im  Leben  eines  Herzkranken 
außerordentliche  Bedeutung  gewinnen  können.  —  Es  ist  auch 
nicht  unbedingt  von  der  Hand  zu  weisen ,  daß  etwa  fara- 
dische Ströme  an  irgend  einer  Hautstelle  im  Sinne  von  sen- 
siblen Reizen  eine  reflektorische  Beeinflussung  der  Herzaction 
zu  bewirken  vermögen.  Die  Wirkungsart  an  sich  und  ihre 
Grenzen  lassen  sich  aber  bisher  noch  in  keiner  Weise  prä- 
zisieren. 

Von  diesen  Gesichtspunkten  aus  betrachtet,  ist  jegliche 
milde  Form  von  Elektrotherapie,  die  Galvanisation  wie  die 
Faradisation.  die  Franklinisation  und  die  d'Arsonvalisation. 
das  monopolare  wie  das  dipolare  elektrische  Bad,  in  unserem 
Heilschatze  willkommen. 


Noch  einige  Worte  schließlich  über  die  sogenannten 
Herzstützeu.  Mit  diesem  Namen  werden  von  ihren  Erfin- 
dern Abbe1).  Gräupner2),  Hellendall 3)  Apparate  bezeichnet, 
welche  die  Aufgabe  haben  sollen,  „das  Herz  zu  stützen,  be- 
ziehungsweise dem  Senkungsbestreben  des  hypertrophischen 
oder  des  dilatierten  Herzens  entgegenzuwirken."  Diese  Appa- 
rate sind  im  Grunde  genommen  Pelotten,  zumeist  von  herz- 
förmiger Gestalt ,  den  Thoraxverhältnissen  angepaßt  und 
durch  Gurtsysteme  in  der  Weise  zu  befestigen,  daß  sie  einen 
nach  oben  gerichteten  Druck  ausüben.    Sie  wirken  oft  ganz 


x)  Abbe,  Deutsche  med.  Wochenschr.,  1900,  Nr.  4. 

2)  Gräupner,  Therapie  der  Gegenwart,  1901.  Nr.  6. 

3)  Hellenddll,  Deutsche  med.  Wochenschr.,  1900,  Nr.  48. 


158  Elektrotherapie. 

vorzüglich,  zumal  bei  den  Herzbeschwerden  der  Neurasthe- 
niker,  seltener,  bei  „anatomischen"  Herzaffektionen.  Ihre 
Wirkung  ist  ohne  Frage  eine  rein  suggestive ;  sie  können 
eine  vorübergehende  Erleichterung  herbeiführen  (Gold- 
scheider1),  sowie  die  gegen  die  schmerzende  Herzgegend 
gepreßte  Hand.  Daß  man  durch  eine  in  der  beschriebenen 
Weise  anzulegende  Pelotte  tatsächlich  einen  Einfluß  auf 
die  Herzlage  oder  auf  den  Zustand  des  Herzens  ausüben 
könne,  haben  wohl  auch  ihre  Erfinder  nicht  einen  Augen- 
blick geglaubt.  Hierauf  hat  G.  Klemperer 2)  vor  kurzem  hin- 
gewiesen. 


*)  Goldscheider,  Gesellsch.  d.  Charite-Ärzte  in  Berlin,  1901. 
2)  G.  Klemperer,  Therapie  der  Gegenwart,  1901,  Nr.  6. 


Prophylaxe. 

Das  Gebiet  der  Prophylaxe  der  Herzkrankheiten  ist 
in  stetigem  Wachstum  begriffen.  Je  weiter  unsere  ätiologi- 
schen Kenntnisse  vordringen,  je  mehr  Zusammenhänge  zwischen 
Herzaffektionen  und  vorausgegangenen  Krankheiten  uns  be- 
kannt werden,  desto  zahlreichere  Angriffspunkte  bieten  sich 
für  unsere  Maßnahmen  dar.  Auch  die  eigentliche  Therapie 
der  Herzkrankheiten  ist  in  einem  großen  Teile  ihrer  Leistungen 
vorwiegend  prophylaktischer  Natur ;  denn  wenn  sie  z.  B. 
einem  an  Endokarditis  Erkrankten  unsere  Heilbehelfe  ange- 
deihen  läßt,  sorgt  sie  für  die  Bedürfnisse  des  Augenblicks, 
ist  aber  auch  bemüht,  den  Eintritt  bleibender  Schädigungen 
zu  verhüten. 

Wie  die  Hygiene  als  praktische  Wissenschaft  über- 
haupt, so  umfaßt  auch  die  Hygiene  des  Herzens  einen 
sozialen  und  einen  persönlichen  Anteil.  Der  erstere  ist  vor- 
wiegend Aufgabe  des  Staates,  der  durch  Sanitätsgesetze  und 
sanitäre  Maßnahmen  für  das  Wohl  seiner  Bürger  Sorge  zu 
tragen  hat  (Gewerbehygiene  etc.),  der  letztere  Aufgabe  des 
Einzelnen,  soweit  derselbe  seine  Widerstandsfähigkeit  gegen 
krankmachende  Einflüsse  erhöhen  und  Schädlichkeiten  von 
sich  fernhalten  will  und  kann  (Alkoholismus,  gonorrhoische 
Endokarditis  etc.).  Hier  findet  zumal  der  Hausarzt  als 
Berater  und  warnender  Freund  ein  weites  Feld  einer  frucht- 
baren Tätigkeit. 

Wir  beschützen  den  Herzgesunden  vor  einer  Erkrankung 
seines  Herzens  oder  vermindern  zumindest  die  Wahrschein- 
lichkeit derselben,  indem  wir  die  Widerstandsfähigkeit 


160  Prophylaxe. 

seines  Körpers  im  allgemeinen ,  seines  Herzens  im  beson- 
deren gegen  krankmachende  Einflüsse  zu  erhöhen  suchen, 
zu  Herzaffektionen  führende  Krankheiten  nach  Möglich- 
keit hintanzuhalten  trachten  oder  —  falls  sie  sich  trotz- 
dem entwickeln  —  sachgemäß  behandeln  und  nachweisbare 
Schädlichkeiten  vermeiden  lassen. 

Die  Erhöhung  der  Widerstandsfähigkeit  beginnt 
mit  der  Abhärtung  und  Körperpflege  im  Kindesalter. 

Durch  Abhärtung  suchen  wir  die  Reflexerregbarkeit 
der  peripherischen  sensiblen  Hautnerven  herabzusetzen,  die 
Haut  und  ihre  Gefäße  -an  eine  rasche  und  ausgiebige  Re- 
aktion auf  wechselnde  Temperaturreize  zu  gewöhnen.  Jeder 
unnötige  Wärmeverlust,  der  nichts  anderes  ist  als  eine  Ver- 
geudung an  Kraft,  muß  vermieden  werden  (Jürgensen1). 

Zu  diesem  Zwecke  soll  zunächst  die  Kleidung  so  be- 
schaffen sein,  daß  sie  eine  Gewöhnung  der  Haut  an  wechselnde 
thermische  Einflüsse  gestattet  und  gleichzeitige  unnötige 
W^ärmeverluste.  somit  unnötigen  Kraft  verbrauch  (des  Herzens) 
verhindert.  Unmittelbar  dem  Körper  anliegend  sollen  nicht 
zu  dichte  Wollstoffe  getragen  werden.  Für  die  Fußbeklei- 
dung ist  Wolle  (Schafwolle)  zu  verwenden.  Jürgensen  em- 
pfiehlt, in  das  Fußzeug  neben  stärkerem  Oberleder  Gummi- 
sohlen den  Ledersohlen  aufnageln  zu  lassen ,  um  das  Ein- 
dringen von  Wasser  in  das  Fußzeug  zu  verhüten.  Die 
Kleidung  darf  auch  nicht  zu  schwer  sein,  durch  ihr  Gewicht 
nicht  belästigen. 

Eines  der  wichtigsten  Hilfsmittel  zur  Abhärtung  ist 
die  Anwendung  des  Wassers,  das  in  mannigfacher,  gut  dosier- 
barer Applikationsweise  eine  allmähliche  Gewöhnung  der 
Haut  an  mechanische  und  thermische  Reize  gestattet. 

Diese  Abhärtung  kann  bereits  im  frühesten  Kindesalter 
beginnen ;  man  kann  schon  nach  Ablauf  der  ersten  Woche 
zu  dem  üblichen  täglichen  Reinigungsbade  kühleres  Wasser, 
allmählich  bis  zu  34°  C,  nehmen  und  den  Rumpf  des  Kindes 
nach  Beendigung  des  Bades  mit  noch  kühlerem  Wasser  (bis 
30°  C.)  übergießen ;    dann   folgt   eine  Abreibung   mit   einem 


*)  Jürgensen  in  Penzoldt  und  Stintzing,  Handbuch  der  Therapie,  III. 


Prophylaxe.  \ß\ 

trockenen  Tuche.  Das  zur  Übergießung  verwendete  Wasser 
wird  allmählich  immer  kälter  genommen  (am  Ende  des 
2.  Lebensjahres  22—20°  C).  Später  werden  nur  tägliche 
Übergießungen  mit  zimmerwarmem  Wasser  vorgenommen. 
Es  handelt  sich  dabei  nicht  um  Wärmeentziehung,  sondern 
um  den  Reiz,  die  Gewöhnung  an  denselben.  Bad  und  Über- 
gießung müssen  daher  aus  der  Bettwärme,  nach  vorheriger 
Erwärmung  erfolgen  und  dürfen  nicht  lange  dauern .  denn 
die  Reaktion  ist  desto  kräftiger,  der  Wärmeverlust  desto 
geringer,  je  kräftiger  und  kürzer  der  mechanische  und  ther- 
mische Reiz. 

Auch  einen  verweichlichten  Erwachsenen  kann  man 
durch  „Wasser prozeduren"  allmählich  an  den  Kältereiz  ge- 
wöhnen, abhärten.  Oft  ist  es  notwendig,  mit  Benetzungen 
oder  Waschungen  kleiner  Teile  der  Körperoberfläche  zu 
beginnen  und  täglich  einen  größeren  Hautbezirk  für  die 
Prozedur  heranzuziehen.  Kussmaul1)  empfahl  für  solche  Fälle, 
mit  Fußbädern  von  Zimmertemperatur ,  mit  nachherigem 
Frottieren,  vor  dem  Zubettegehen  zu  beginnen  und  dieselben 
erst  nach  eingetretener  Gewöhnung  am  Morgen  anwenden 
zu  lassen ;  bei  mangelhafter  Erwärmung  sollen  die  betreffen- 
den Individuen  anfangs  für  einige  Minuten  ins  Bett  zurück- 
kehren. —  Eine  wirksame  Prozedur  besteht  z.  B.  darin,  daß 
der  Abzuhärtende  unmittelbar  nach  dem  Verlassen  des  Bettes 
ein  gut  ausgerungenes  Leintuch  über  sich  ausbreiten  läßt, 
mit  welchem  nun  die  ganze  Oberfläche  des  Körpers ,  das 
Gesicht  ausgenommen,  stark  abgerieben  wird,  bis  sie  krebs- 
rot ist.  Den  Schwachen  mag  man  nachher  noch  für  kurze 
Zeit  wieder  ins  Bett  gehen  lassen,  die  Abreibung  mit  einem 
wärmeren  Tuche  im  geheizten  Zimmer  gestatten.  Hat  er 
sich  an  diese  Prozedur  gewöhnt,  dann  wird  das  Leintuch 
nasser,  die  Wassertemperatur  niedriger  genommen  (von  20°  C. 
bis  herab  auf  12 — 10°).  Die  Abreibung  hat  von  reich- 
licher Muskelbewegung  gefolgt  zu  sein;  sie  kann  durch 
Brausen  ersetzt  werden ;  man  beginnt  z.  B.  mit  Wasser  von 
30°  C.  und  y4  Minute  und  geht  rasch  bis  auf  12—10°  herab. 


*)  Kussmaul,  Jagenderinnerungen  etc. 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten.  11 


162  Prophylaxe. 

Der  Kopf  darf  nicht  geduscht  werden.  Nach  Beendigung 
der  Dusche  sind  kräftiges  Trockenreiben  und  ein  kurzer 
Spaziergang  notwendig. 

Da  die  Ausbildung  der  Herzmuskulatur  unter  normalen 
Verhältnissen  der  Ausbildung  der  Körpermuskulatur 
parallel  geht,  die  Körpermuskulatur  daher  in  mancher  Hin- 
sicht als  Wertmesser  des  Zustandes  der  Herzmuskulatur  gelten 
kann,  ist  es  unsere  Aufgabe,  durch  Übung  der  Körpermus- 
kulatur das  Herz  zu  üben.  Wir  dürfen  es  freudig  begrüßen, 
daß  die  Versäumnisse  vergangener  Tage  unserem  Zeitalter 
fremd  geworden  sind ;  zum  Wohle  unserer  Kinder  und  zukünf- 
tiger Geschlechter  achten  wir  darauf,  daß  für  Turnen,  körper- 
liche Übungen  und  Bewegung  im  Freien  ein  genügender 
Raum  im  Unterrichte  frei  gehalten  und  neben  der  Pflege  des 
Geistes  die  Pflege  des  Körpers    nicht  vernachlässigt  werde. 

Wie  das  Schulkind  so  bedarf  auch  der  Erwachsene, 
zumal  derjenige,  der  sich  einen  sitzenden  Beruf  erwählt  hat, 
ausreichender  Körperbewegung.  Das  Maß  der  zuträglichen 
körperlichen  Bewegung  wird  aber,  z.  B.  bei  unvernünftigen 
sportlichen  Leistungen ,  nur  allzuleicht  überschritten  ,  denn 
das  Ermüdungsgefühl  ist  nicht  immer  ein  verläßlicher  Weg- 
weiser ;  auch  können  falscher  Ehrgeiz  und  an  einen  Sport 
geknüpfte  Exzesse  Vorteile  vereiteln,  die  sich  bei  hygieni- 
schem Betreiben  des  Sportes  erreichen  lassen,  ja  an  Stelle 
des  Vorteiles  Nachteile  bringen.  So  ist  es  unhygienisch, 
wenn  jemand,  den  sein  Beruf  den  ganzen  Tag  über  auf  den 
Füßen  hält ,  noch  dazu  am  Morgen  und  am  Abend  einen 
sehr  anstrengenden  Sport  betreibt ,  oder  wenn  ein  anderer, 
der  den  ganzen  Tag  hinter  dem  Schreibtische  verbringt, 
statt  täglich,  etwa  am  Abend,  spazieren  zu  gehen,  zu  turnen, 
zu  reiten,  zu  schwimmen  u.  s.  w.,  das  Defizit  an  Muskelbe- 
wegung dadurch  deckt,  daß  er  gerade  nur  während  eines 
„Urlaubsmonates*'  forcierte  Bergtouren  macht  etc.  —  Kindern 
ist  jeglicher  Sport  überhaupt  zu  verbieten. 

Aus  dem  Gesagten  ist  zu  entnehmen,  daß  die  unter 
geeigneter  (ärztlicher)  Kontrolle  vorgenommene  Heilgym- 
nastik1) sicherlich  am  besten  geeignet  ist,    eine  rationelle 

1)  Vide  pag.  145. 


Prophylaxe.  163 

Pflege  des  Körpers  anzubahnen  und  die  Prinzipien  der  hy- 
gienischen Muskelübungen  zu  verbreiten.  Im  übrigen  ist  es 
wohl  ganz  gleichgültig,  welche  Form  von  Muskelbewegung 
gewählt  wird.  Turnen,  Reiten,  Schwimmen,  Rudern,  Fechten, 
Radfahren  und  Bergsteigen  können  in  gleicher  Weise  zur 
Kräftigung  der  Körpermuskulatur  beitragen ,  nur  müssen 
sie  eben  systematisch  und  in  hygienischer  Weise  geübt 
werden;  ein   „Zuviel"  ist  immer  von  Übel. 

Da  wohl  kein  anderer  Sport  so  sehr  zu  Überanstrengungen 
verleitet,  wie  das  für  die  meisten  am  leichtesten  erreichbare  Rad- 
fahren, sei  auf  einige  Quellen  der  Schädigung  durch  dasselbe  ganz 
kurz  hingewiesen :  Wer  nach  Überwindung  von  ganz  geringen 
Wegsteigungen  in  mäßigem  Tempo  stärkeres  Herzklopfen  und  ein 
Spannungsgefühl  in  der  Herzgegend  hat,  fahre  nur  in  der  Ebene, 
„trainiere"  sich  langsam  und  vorsichtig  oder  nehme  nach  einer  Pause 
das  Radfahren  erst  wieder  auf,  wenn  sein  Herz  durch  längere 
Spaziergänge,  vorsichtiges  Tarnen  etc.  übungsfähiger  und  leistungs- 
fähiger geworden  ist.  Nur  die  häufige  Kontrolle  des  Pulses  und  der 
Atmung  kann  Überanstrengungen  verhüten.  Schlechtes  Pflaster  er- 
höht den  Kraftaufwand  in  hohem  Maße;  das  Gleiche  bewirkt  die 
Neigung,  zu  hohe  Übersetzungen  zu  wählen.  Von  außerordentlichem 
Einflüsse  ist  der  Luftwiderstand ;  Gegenwind  verursacht  schon  bei 
geringer  Windgeschwindigkeit  bedeutende  Mehrarbeit.  Die  zum 
Fahren  notwendige  Arbeit  wird  am  ökonomischesten  geleistet, 
wenn  die  Sattelstellung  derartig  ist,  daß  das  Knie  dauernd  leicht 
gebeugt  bleibt  und  der  Fuß  niemals  in  stärkste  Plantarflexion 
gerät. 2) 

Die  direkte  Hintanhaltung  der  zu  Herzaffek- 
tionen führenden  Krankheiten  ist  derzeit  noch  kein 
dankbares  Gebiet  der  Prophylaxe. 

Da  wir  annehmen  dürfen,  daß  eine  große  Reihe  von  Infek- 
tionserregern den  Organismus  auf  dem  Wege  der  Mundhöhle 
betritt,  und  die  Erfahrung  uns  lehrt,  daß  auch  der  akute  Ge- 


J)  Die  Literatur  über  den  „Einfluß  des  Radfahrens  auf  den  mensch- 
lichen Organismus"  hat  L.  Zuntz  in  übersichtlicher  Weise  zusammengestellt 
und  an  der  Hand  eigener  Erfahrungen  kritisch  beleuchtet.  Die  bemerkens- 
wertesten Publikationen  sind:  Mendelsohn,  Verhandl.  d.  Vereins  f.  innere  Med. 
in  Berlin.  —  yiacquorn- Rankini ,  Paris,  Theorie  du  velocipede.  —  Bouny, 
Compt.  rend.,  1896.  —  Siegfried,  Deutsche  med.  Wochenschr.,  18  7  u.  1899; 
Zeitschr.  f.  physiol.  u.  diät.  Therapie ,  Bd.  5.  —  Albu,  Verhandl.  d.  Berliner  med. 
Gesellsch.,  Bd."  28.  —  Kisch,  Zeitschr.  f.  physikal.  u.  diät.  Therapie,  Bd.  2.  — 
Schoit,  Deutsche  med.  Wochenschr.,  1897.  —  Sehrwald,  Arch.  f.  Hygiene,  Bd.  22. 

—  Leo  Zuntz,  Berlin,  1899,  A.  Hirsclnvald,  und  Fortschritte  der  Medizin,  1901. 

—  Zoth,  Pflügers  Arch.,  Bd.  76  u.  v.  a. 

11* 


104  Prophylaxe. 

lenkrkeumatismus .  der  in  einem  überaus  großen  Prozentsatze 
(vielleicht  der  Mehrzahl)  aller  seiner  Fälle  von  einer  Herzaffek- 
tion gefolgt  wird,  durch  Ton  sillar- Anginen  eingeleitet  werden 
kann ,  obliegt  uns  die  Aufgabe ,  unseren  Schutzbefohlenen 
eine  gewissenhafte,  „wohlgeordnete"  Mundpflege1)  aufzu- 
tragen und  jede,  auch  die  leichteste  Angina  so  wie  eine 
akute  Infektionskrankheit  zu  behandeln. 

Sorgfältiges  Bürsten  der  Zähne  (auch  der  Innenflächen) 
und  Mundspülungen  mit  desinfizier  enden  Flüssigkeiten 
(3%ige  Borsäurelösung,  1/2%oigeThymollösung,  l%ige  Wasser- 
stoffsuperoxydlösung, Tinct.  Myrrhae,  Tinct.  Ratanh.,  Tinct. 
Catechu,  M.D.  S.  20—30  Tropfen  auf  ein  Glas  Wasser,  Spirit. 
vin.  Gallic.  2 — 3  Kaffeelöffel  auf  ein  Glas  Wasser  oder 
2  Kaffeelöffel  einer  10%igen  alkoh.  Menthol-Lösung  auf  ein 
Glas  Wasser,  Kai.  hypermangan.-Lösungen;  x/4 — V2%ig?  etc.) 
täglich  nach  den  Mahlzeiten ,  namentlich  vor  dem  Zubette- 
gehen,  werden  zur  Verminderung  der  Infektionschancen  bei- 
tragen können.  Der  Hauptwert  ist  immer  auf  die  mechanische 
Reinigung  zu  legen. 

Auch  die  leichteste  Angina  ist  —  zumal  im  Kindes- 
alter —  wie  jede  Infektionskrankheit  durch  Bettruhe  bis 
zum  völligen  Schwinden  der  lokalen  Erscheinungen  zu  be- 
handeln. Man  lehre  die  Kinder  zeitig  das  Gurgeln  und  wende 
bei  bestehender  Angina  antiseptische  Pinselungen  und  Gur- 
gelungen mit  Kai.  hypermang.,  Acid.  boric,  Tr.  Ratanh.,  Tr. 
Gallar.  aa.,  etc.  an.  Zerklüftete  und  hypertrophische  Ton- 
sillen sind  zu  entfernen ,  die  Reste  der  Tonsillen  bei  Indi- 
viduen, die  zu  Anginen  disponieren,  täglich  mit  Jod-  und 
Ratanhia-Tinktur ,  Jodglycerin ,  Alkohol  u.  s.  w.  zu  pinseln. 

Erfahrene  Autoren  wie  Romberg  haben  beobachtet,  daß 
man  häufig  wiederkehrende  rheumatische  Attacken  bisweilen 
unterdrücken  kann,  wenn  man  nach  jeder  Angina  eines 
Rheumatikers  sofort  2 — 3  Wochen  lang  mäßige  Mengen  von 
salicylsaurem  Natron  (2 — 3  g  pro  die)   reicht.    Wird  salicyl- 


*)  J.  Mikulicz  u.  W.  Kümmel,  Krankheiten  des  Mundes.  Jena  1898.  — 
Es  ist  vielleicht  auf  diesen  scheinbar  geringfügigen  Umstand  zurückzuführen, 
daß  in  den  „besseren  Gesellschaftsschichten"  sowohl  akute  (infektiöse)  Herz- 
affektionen als  auch  die  aus  denselben  hervorgehenden  „Herzfehler"  relativ 
seltener  vorkommen  als  in  den  ärmeren  Volksklassen. 


Prophylaxe.  165 

saures  Natron  nicht  vertragen,  dann  nehme  man  Aspirin, 
Acetopyrin,  Salophen,  Salipyrin,  Salol  etc.,  die  oftmals  viel 
besser  verträglich  sind. 

■  Von  großer  Wichtigkeit  ist  die  Kenntnis  der  Tat- 
sache, daß  der  Gelenkrheumatismus,  im  Kindesalter  häu- 
figer als  beim  Erwachsenen ,  eine  ganz  leichte ,  kaum 
augenfällige  übersehbare  Affektion  sein  kann.  So  kön- 
nen die  Gelenke  nur  wenig  schmerzhaft ,  nicht  geschwol- 
len ,  oft  überhaupt  nicht  ergriffen ,  hingegen  über  den 
Gelenken  oder  in  der  Nähe  derselben ,  seltener  über  den 
Stamm  verstreut,  im  Unterhautzellgewebe  sitzende,  harte, 
schmerzlose  „rheumatische"  Knötchen  nachweisbar  sein,  die 
Stecknadelkopf-  bis  Linsengröße  zu  erreichen  pflegen  und 
auf  ihrer  Unterlage  leicht  verschieblich  sind. 1)  Das  Auf- 
treten solcher  Knötchen  ist  eine  Indikation  zu  strenger  Bett- 
ruhe. —  Auch  der  akute  Muskelrheumatismus  ist  wahrschein- 
lich als  ätiologischer  Faktor  von  Herzaffektionen  zu  betrachten 
(Broadbent),  ebenso  der  chronische  Gelenkrheumatismus  (PH- 
bram,  Barie2)  — Nur  zu  leicht  können  diese  „Äquivalente 
desGelenkrheumatismus"  übersehen  werden  und  wir  stehen 
dann  eines  Tages  vor  einer  ätiologisch  ganz  unklaren  Endo- 
myokarditis ,  die  im  Kindesalter  prognostisch  ganz  besonders 
ungünstig  ist,  weil  sie  sehr  oft  von  Perikarditis  begleitet 
wird  und  in  hohem  Maße  zu  Rückfällen  neigt. 

Rheumatikern  ist  der  Besuch  von  Thermal-,  beziehungs- 
weise Wildbädern ,  z.  B.  Teplitz  ,  Wildbad-Gastein  ,  Warm- 
brunn, Bormio,  zu  empfehlen;  auch  die  kohlensauren  Thermal- 
bäder ,  Nauheim ,  Oeynhausen ,  ferner  ein  entsprechender 
Kurgebrauch  in  Franzensbad  sind  für  sie  von  Nutzen. 

Als  Eintrittspforten  der  Entzündungserreger,  die  eine 
Endomyokarditis  bewirken,  sind  wiederholt  auch  eiternde  Wun- 
den, Phlegmonen,  Panaritien  bezeichnet  worden  (G.  Singer*)] 


x)  In  einem  solchen  Falle,  der  einen  Erwachsenen  betraf,  habe  ich  die 
untere  Thoraxapertur  von  solchen  „rheumatischen  Knötchen-  in  großer  Zahl 
eingesäumt  gesehen.  (Literatur  bei  Pfibram,  Der  akute  Gelenkrheumatismus 
in  Spez.  Path.  u.  Ther.  von  Nothnagel,  1901.) 

2)  Pfibram,  Chron.  Gelenkrheumatismus  etc.  in  Spez.  Path.  u.  Ther.  von 
Nothnagel,  1902.  —  Barie,  Sem.  med.,  1903. 

3)  G.  Singer,  „Ätiol.  u.  Klin.  d.  akut.  Gelenkrheum."   1898. 


166  Prophylaxe. 

die  rationelle  chirurgische  Therapie  ist  daher  in  solchen 
Fällen  zugleich  von   wichtiger  prophylaktischer  Bedeutung. 

Außerordentlich  notwendig  ist  jegliche  Art  der  Prophy- 
laxe bei  Kindern  herzkranker  Eltern,  denn  es  gibt  wahr- 
scheinlich eine  familiäre  Prädisposition  für  Herzaf- 
fektionen, die  vielleicht  vorwiegend  auf  einer  Prädisposition 
für  Anginen  und  rheumatische    Affektionen  beruhen  dürfte. 

Die  Vermeidung  der  Schädlichkeiten,  welche  zu 
Herzaffektionen  führen .  des  Alkoholismus ,  der  Adipositas, 
des  Diabetes,  der  Arteriosklerose  ist  in  den  Kapiteln  „Er- 
nährungstherapie" ,  ,. Herzbeschwerden  bei  fettleibigen  Indi- 
viduen".  ,. Arteriosklerose"  etc.  erörtert. 

Die  Prophylaxe  der  gonorrhoischen  und  postsyphi- 
litischen Herzkrankheiten  fällt  mit  der  Verhütung  des 
Grundleidens  und  der  sachgemäßen  Behandlung  der  bestehen- 
den Affektion  zusammen;  die  tatkräftigen  Bestrebungen 
unserer  „Gesellschaften  zur  Bekämpfung  der  venerischen 
Krankheiten"  versprechen  in  dieser  Hinsicht  unschätzbare 
Erfolge. 

Ob  den  prophylaktischen  Seruminjektionen  beider 
Diphtherie  und  anderen  Infektionskrankheiten  eine  wesent- 
liche Bedeutung  beizumessen  sei,  kann  heute  noch  nicht  ent- 
schieden werden. 


Spezielle  Therapie. 

Endokarditis. 

Wir  nennen  Endokarditis  seit  Bouillaud1)  die  Entzündung 
des  Endokards;  dieselbe  kommt  fast  ausschließlieh  durch  Bakterien- 
wirkung zustande  und  kann  sich  auch  an  die  leichtesten  Infektions- 
krankheiten (Angina  cat.7  Rheumatismus  musculorum2)  anschließen; 
weitaus  am  häufigsten  tritt  sie  im  Gefolge  des  akuten  Gelenkrheumatis- 
mus auf.  Die  Endokarditis  ist  benignerer  oder  malignerer  Natur,  je 
nach  Art  und  Virulenz  der  Mikroorganismen,  die  ihr  zugrunde  liegen. 
Es  sind  Staphylokokken,  Streptokokken,  Pneumokokken,  Gonokokken, 
Tuberkel-,  Diphtherie-  ,Influenzabazillen  etc.  gefunden  worden.  „Es 
ist  rationeller,  statt  auf  der  Basis  der  einzelnen  pathologischen 
Formveränderung  künstliche  Systeme  zu  schaffen ,  die  klinischen 
und  ätiologischen  Unterschiede  zum  Ausgangspunkte  der  Klassifi- 
kation zu  machen.  Denn  wir  können  es  trotz  des  äußerlich  ver: 
schiedenartigen  Bildes  nur  als  graduelle  Differenzen  bezeichnen, 
wenn  wir  bald  nur  Thromben  und  reifartige  Beläge  auf  den  Klappen 
finden,  bald  verruköse  Wucherungen,  bald  zusammenfließende  um- 
fangreiche Bakterienrasen,  unter  welchen  das  Klappengewebe  nekro- 
tisiert ,  bald  Ulzerationen  mit  umfangreichen  Zerstörungen  der 
Klappen.  Zudem  können  die  sogenannten  verrukösen  Formen  mit 
äußerster  Malignität  verlaufen  und  andererseits  sind  nicht  alle  Fälle 
ulzeröser  Endokarditis  maligner  Natur"  (Litten3).  —  Der  Entzündungs- 
prozeß manifestiert  sich  in  der  Regel  hauptsächlich  an  den  Klappen; 
die  benignen  Formen  führen  nur  unwesentliche  Veränderungen  der 
Klappen  herbei,  die  leichtesten  Fälle  sind  der  restitutio  ad  integrum 
fähig.  In  minder  günstigen  Fällen  resultieren  narbige  Veränderungen 
an  den  Klappen  und  Klappenrändern ,  die  Klappenfehler.  Die  zu 
den  höchsten  Graden  von  destruktiven  Klappenveränderungen  und  zu 


*)  Boiällaud,  Traite  clinique  du  rheumatisnie    articulaire  et  de  la  loi 
de  eoincidence  des  inflaramations  du  cceur  avec  cette  maladie.  Paris  1890. 

2)  Leube,   18.  Kongr.  f.  inn.  Med. 

3)  Litten,  ibidem. 


\Q$  Spezielle  Therapie. 

häufiger  Metastasenbildung,  sowie  Allgemeinerscheinungen  führenden 
Endokarditiden  ziehen  die  rechtsseitigen  Klappen  relativ  öfter  in  .Mit- 
leidenschaft als  die  benignen  Formen.  —  Die  Endokarditis  geht  stets 
mit  Myokarditis  einher  (Jürgensen l)  —  Klappen,  die  einmal  erkrankt 
gewesen,  werden  anscheinend  leichter  befallen  als  gesunde  Klappen. — 
Die  Schädigung,  welche  der  Kreislauf  durch  Endokarditiden  erfährt, 
ist  teils  lokal-mechanischer,  teils  embolischer,  teils  allgemeiner  Natur. 
Die  Veränderungen  an  den  Klappen  setzen  deren  Beweglichkeit 
herab  und  verhindern  ihren  dichten  Verschluß.  Verruköse  Exkres- 
zenzen  in  großer  Zahl  können  auch  Stenosierung  eines  Ostiums, 
des  arteriellen  leichter  als  des  venösen,  bewirken.  Die  gleichzeitige 
Myokarditis  trägt  in  dem  auf  pag.  2  dargelegten  Sinne  zur  In- 
suffizienz der  Klappen  und  zur  Funktionsstörung  der  Herzmuskulatur 
bei.  Die  allgemeine  Schädigung  des  Kreislaufs  kann  je  nach  der 
Art  der  Infektion  in  verschiedenem  Maße  im  Krankheitsbilde  her- 
vortreten, ja  dasselbe  in  schweren  Fällen  vollkommen  beherrschen. 
Dann  kommt  rasch  das  Bild  der  Vasomotorenschwäche  zu- 
stande :  Der  Blutdruck  sinkt  ab,  die  Splanchnikusgefäße  sind  überfüllt, 
Gehirn,  Muskeln   und  Haut  mehr  oder  weniger  anämisch. 

Wir  können  das  Auftreten  von  Herzveränderungen 
während  des  Bestehens  einer  Infektionskrankheit,  vor  allem 
des  akuten  Gelenkrheumatismus,  fast  niemals  verhüten,  ihr 
Fortschreiten  jedoch  in  günstigen  Fällen  vielleicht  thera- 
peutisch beeinflussen.2)  Bisweilen  gelingt  es,  einen  akuten 
Rheumatismus  durch  Salicylpräparate  gleichsam  zu  cou- 
pieren  und  dadurch  möglicherweise  zu  verhindern,  daß  bei 
längerer  Krankheitsdauer  eine  Entzündung  des  Endokards 
hinzugetreten  wäre. 3)  Ist  eine  solche  trotzdem  zustande 
gekommen,  dann  ist  es  zweckmäßig,  die  Salicyldarreichung 
zu  unterbrechen,  denn  die  erforderlichen  großen  Dosen  er- 
höhen das  Gerinnungsvermögen  des  Blutes  und  können  dadurch 
zur  Vermehrung  der  thrombotischen  Klappenauflagerungen 
Veranlassung  geben,  was  zumal  für  Rheumatismen,  die  mit 
vermehrtem  Fibringehalte  des  Blutes  einhergehen,  in  Betracht 
kommt.  Hingegen  ist  der  zunächst  in  England  geübte  Gebrauch 


*)  In  Nothnagels  Spez.  Path.  u  Ther. 

2)  Der  große  Skeptizismus,  den  manche  sonst  recht  sanguinische  Herz- 
therapeuten gerade  gegenüber  der  Endokarditis-Therapie  zur  Schau  tragen,  ist 
jedenfalls  nicht  vollauf  berechtigt. 

3)  J.  r.  Bauer  in  Penzoldt-Stintzing,  Handbuch  der  Therapie  innerer 
Krankheiten;  Bomberg,  1.  c. 


Endokarditis.  169 

von  Alkalien,  welche  die  Tendenz  zur  Fibrinbildung  ver- 
mindern, in  prophylaktischer  Hinsicht  und  bei  bestehender 
Endokarditis  empfehlenswert. x) 

Man  gibt  z.  B.  Liq.  Kalii  acetici  bis  30  g  pro  die  in 
Wasser  oder  Mixturen,  ferner  Kalium  natriotartaricum  als 
Cremor  tartari  und  Kalium  hydrotartaricum  (Tartar. 
depurat.)  5 — 10 — \bg  in  Wasser  mit  Sirupzusatz  oder  kaffee- 
löfTelweise  in  Zuckerwasser2),  15 — 20g  Natrium  bicarbonicum, 
in  warmem  Wasser  gelöst,  als  Klysma,  ferner  Cremor  tartari 
40*0,  Magn.  carb.  4"0,  davon  früh  und  abends  1  Eßlöffel  in 
Wasser  oder  alkalische,  alkalisch-salinische  und  alkalisch- 
muriatische  Säuerlinge,  z.  B.  Rohitscher,  Biliner,  Preblauer, 
Gleichenberger  Wasser  etc. 

Selbst  die  scheinbar  geringfügigsten  Symptome  von 
Endokarditis  machen  die  Einhaltung  von  strengster  Bett- 
ruhe erforderlich.  Erscheint  z.  B.  über  der  Mitral-  oder 
Pulmonalarterien-Gegend  während  des  Ablaufes  eines  akuten 
Gelenkrheumatismus  ein  systolisches  Geräusch  oder  eine 
deutliche  Spaltung  des  ersten  Tones,  nimmt  die  Herzdämpfung 
nach  links  und  oben,  nach  rechts  an  Ausdehnung  zu,  wird 
der  zweite  Pulmonal  ton  accentuiert,  der  Puls  arhythmisch 
und  inäqual,  dann  sind  die  sorgfältigsten  Schonung s- 
maßregeln  am  Platze.  Der  Kranke  darf  das  Bett  nicht 
verlassen,  er  soll  jede  unnötige  Körperbewegung  vermeiden, 
sich,  auch  im  Bette,  nicht  aufsetzen,  Harn  und  Stuhl  liegend 
entleeren.  Es  ist  für  leichten  Stuhlgang  Sorge  zu  tragen, 
damit  jegliche  Anstrengung  während  der  Defäkation  ver- 
mieden werde. 3)  Auf  die  Herzgegend  wird  ein  Eisbeutel 
appliziert,  noch  besser  eine  Kühlflasche  mit  permanentem 
Durchlauf4);  um  den  plötzlichen  Reiz  zu  vermeiden,  nimmt 
man  anfangs  Wasser  von  20°  C.  und  geht  dann  langsam, 
je   nach   der  Reaktion    des    Kranken,    auf  12-    4°  C.    herab. 

*)  Broadbent,  1.  c.  —  Jaccoud,  Herzkrankheiten  u.  v.  a.  Vide  auch 
„Prophylaxe". 

2)  Die  gleichzeitige  laxative  Wirkung  läßt  die  Anwendung  dieser  Salze 
doppelt  empfehlenswert  erscheinen. 

3)  S.  bei  „Diät.  Therapie",  pag.  99. 

4)  Litten  u.  Lennhof,  Handbuch  der  phys.  Therapie,  T.  II,  Bd.  2.  Zwi- 
schen Eisbeutel  oder  Kühlflasche  und  die  Haut  ist  eine  mehrfach  zusammen- 
gelegte Kompresse  zu  legen. 


170  Spezielle  Therapie. 

Die  Wirkung  auf  den  Puls  zeigt  sich  im  Voller-  und  Regel- 
mäßigerwerden desselben;  auch  die  Harnmenge  nimmt  zu.  — 
Die  Kühlflasche  bleibt  durchschnittlich  zwei-  bis  dreimal  im 
Tage  je  zwei  Stunden  lang  liegen;  bevor  man  sie  weggibt, 
lasse  man  allmählich  wieder  die  Temperatur  des  durch- 
fließenden Wassers  ansteigen. 

Digitalismedikation  ist  nur  dann  am  Platze,  wenn 
Arhythmie  und  zunehmende  Herzdilatation  auf  Herzinsuffi- 
zienz schließen  lassen1);  man  gebe  in  solchen  Fällen  kleine 
Digitalisdosen  in  Verbindung  mit  Chinin  bis  zum  Kenntlich- 
werden der  Wirkung,  später  Chinin  allein.  Sind  die  Kranken 
blaß,  ist  ihr  Puls  klein  und  frequent,  der  Blutdruck  sehr 
niedrig,  das  Herz  nicht  dilatiert,  liegt  also  die  Vermutung 
nahe,  daß  der  namhafteste  Teil  der  Kreislaufsstörung  der  Vaso- 
motoreninsuffizienz entspricht,  dann  sind  Vasomotorenmittel2), 
eventuell  in  Kombination  mit  größeren  Digitalisgaben  und 
den  entsprechenden  hydrotherapeutischen  Maßnahmen,  an- 
gezeigt. Je  mehr  die  Blässe  der  Haut  und  der  sichtbaren 
Schleimhäute,  erhöhte  Pulsfrequenz  und  niedriger  Blutdruck, 
sowie  Erscheinungen  von  Anaemia  cerebri  im  Vordergrunde 
des  Krankheitsbildes  stehen,  desto  mehr  wird  dasselbe  ceteris 
paribus  von  der  Vasomotorenparese  beherrscht. 

Das  Auftreten  von  Embolien  (der  Niere,  Lunge  etc.) 
verbietet  eine  kardiotonische  Medikation.  —  Die  gerinnungs- 
bef ordernde  Wirkung  der  Digitalisstoffe  auf  das  Blut3) 
kommt  bei  den  therapeutischen  Gaben  dieses  Medikamentes 
wohl  nicht  in  Betracht. 

Die  Bettruhe  ist  einzuhalten,  bis  jegliche  Spur  von 
Herzinsuffizienz  geschwunden  ist*).  Je  nach  der  Schwere 
der  Störung  und  dem  Alter  des  Kranken  werden  dazu 
4 — 8 — 10  Wochen  und  mehr  erforderlich  sein.  In  manchen 
Fällen  muß  man  sich  wohl  am  Ende  dazu  entschließen,  nicht 
bis  zur  völligen  Rückbildung  aller  Insuffizienzerscheinungen 
zu  warten.  Womöglich  bleibe  der  Kranke  aber  noch  drei 
bis   vier   Wochen,    von    dem  Erscheinen  der   letzten 


a)  Vide  pag.  51  ff. 

2)  S.   „Die  Kreislaufstörungen  bei  Infektionskrankheiten. t; 

3)  S.  „Die  mechanische  Behandlung",  pag.  150. 

4)  Gazza,  Riform.  med.,  1901.  —  Borini,  E.  Acc.  d.  Med.  d.  Torino,  1902. 


Endokarditis.  Jfl 

Temperatursteigerung  an  gerechnet,  im  Bette,  gleich- 
gültig, ob  diese  Steigerung  mehrere  Grade  oder  nur  ein 
Zehntel  eines  Grades  über  die  Norm  betrug.  Zw  ei  stünd- 
liche Messungen  sollen  uns  die  ganze  Zeit  hindurch  dar- 
über orientieren,  ob  noch  solche  Temperatursteigerungen 
bestehen  oder  nicht.  Daß  diesen  kleinen  Erhebungen  der 
Temperaturkurve  eine  Bedeutung  zukommt,  beweist  ihr  oft- 
maliges Zusammentreffen  mit  leichten  Nachschüben  des  Ge- 
lenkrheumatismus oder  mit  Schmerzhaftigkeit  des  einen  oder 
anderen  Gelenkes.  -  -  Erwachsene  haben  sich  bis  zur  vollen 
Rekonvaleszenz  des  sexuellen  Verkehres  zu  enthalten. 
Kann  man  endlich  darangehen,  den  Genesenden  auf- 
stehen zu  lassen,  dann  geschehe  es  ganz  allmählich,  etwa 
in  der  Weise,  daß  er  das  erstemal  (am  1.  Tage)  nach  dem 
Mittagmahle,  und  nur  für  wenige  Minuten,  das  Bett  ver- 
läßt, das  zweitemal  das  Mittagmahl  außerhalb  des  Bettes 
einnimmt,  das  drittemal  mehrere  Stunden  und  schließlich 
den  ganzen  Tag  außerhalb  des  Bettes  zubringt.  Inzwischen 
werden  unter  genauer  Kontrolle  von  Puls  und  Respiration 
zur  Übung  des  Herzens  vorsichtig  dosierte  und  gesteigerte 
Widerstandsbewegungen  vorgenommen,  bald  können 
lauwarme  Bäder,  dann  eventuell  auch  kohlensäurehältige 
Bäder  zur  Anwendung  gelangen.  Ungefähr  eine  Woche, 
nachdem  er  das  Bett  verlassen,  kann  der  Rekonvaleszent 
versuchen,  die  Straße  zu  betreten.  Der  erste  Versuch 
erstrecke  sich  auf  einige  Minuten  Aufenthaltes  im  Freien 
oder  eine  kurze  Ausfahrt  u.  s.  w.  Erst  wenn  der  Genesene 
gymnastische  Übungen  durch  10 — 15  Minuten  ohne  Zeichen 
der  Ermüdung  ausführen  kann,  darf  er  auch  daran  gehen. 
Treppen  zu  steigen.  Der  Besuch  eines  entsprechenden  Kur- 
ortes, sowie  die  zweckmäßigen  hydro-  und  mechanothera- 
peutischen  Maßnahmen  beschließen  die  Kur. *)  -  -  Bis  zur 
Reaktivierung  pflegt  ein  Zeitraum  von  l/4 — 1/2 — 1  Jahre 
zu  verstreichen.  Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  bei  der  Be- 
messung dieses  Zeitraumes  die  Schwere  der  Erkrankung 
und  der  Beruf  des  Kranken  ganz  besonders  maßgebend  sind. 


l)  S.  I.  Teil,  Allgemeine  Therapie. 


172  Spezielle  Therapie. 

Die  Verwendung  von  ^ntipyreticis.  Antipyrin,  Phe- 
naeetin  ete.  hat  wegen  der  blutdrucksenkenden  Wirkung 
derselben,  die  vielleicht  reine  Herzwirkung  ist.  meistens  zu 
entfallen. 

Alkoholdarreichung  ist  während  des  Ablaufes  einer 
Endokarditis  nur  dann  angezeigt,  wenn,  z.  B.  bei  den  Schüttel- 
frösten einer  malignen  Endokarditis,  Blutdrucksteigerungen 
auftreten. 

Bei  schweren  Infektionen  wende  man  der  Ernährung 
des  Kranken  mit  stickstoffreichen  Nahrungsmitteln,  wie 
Milch,  Eier,  Kaviar,  Austern,  leicht  verdauliche  Fisch- 
sorten, Fleischsaft 2)  etc.  besondere  Aufmerksamkeit  zu. 

Schmerzen  und  Druckgefühl  in  der  Herzgegend 
werden  durch  Applikation  von  Kühlflaschen,  Sinapismen, 
Blutegeln  bisweilen  günstig  beeinflußt. 

Die  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Serumtherapie 
lassen  uns  auch  für  die  Therapie  der  Endokarditis  (als 
Infektionskrankheit)  für  die  Zukunft  Vorteile  erhoffen. 


Myokarditis. 

Als  Myokarditis  bezeichnen  wir  akute,  subakute  und  chronische 
entzündliche  Affektionen  des  Myokards,  bei  denen  es  sich  entweder 
um  eine  merkliche  Entzündung  handelt  oder  mehr  um  ein  Zusam- 
mentreffen von  chronischen  Veränderungen  an  der  Muskulatur,  dem 
interstitiellen  Bindegewebe  und  den  Gefäßen.2)  Bei  akuten  und  sub- 
akuten   entzündlichen    Erkrankungen    finden    sich    oft    massenhafte 


*)  Man  bereitet  Fleischsaft  „Beaftea",  „meat  juiceu,  indem  man 
etwa  72  Pfund  fettloses  Fleisch  in  kleine  Würfelchen  schneidet  und  dieselben  ohne 
Wasser  in  eine  Flasche  füllt,  die,  lose  verschlossen,  erst  zwei  Stunden  in 
einem  Wasserbade  von  etwa  50°  bleibt,  um  dann  noch  eine  halbe  Stunde 
in  kochendem  Wasser  zu  stehen.  Der  ausfließende  Saft  wird  „Beaftea"  oder 
Fleischsaft  genannt.  Man  kann  denselben  durch  Pressen  aus  gehacktem 
Fleische  gleichfalls  gewinnen.  —  Auch  Liebigs  Fleischextrakt  und  der  Fleisch- 
saft  „Puro"  verdienen  als  Zutat  zu  Suppen  Anwendung,  ebenso  die  Nähr- 
präparate (Somatose.  Eukasin,  Nutrose,  Tropon)  etc.,  die  jedoch  alle  vom 
.,Fleischpulveru  an  ernährender  Wirkung  übertroffen  werden.  Dieses 
stellt  man  sich  her,  indem  man  fettfreies  Fleisch ,  in  Stücke  geschnitten, 
auf  dem  Wasserbade  zur  Trockne  eindampft  und  dann  im  Mörser  zu  feinem 
Pulver  zerstößt.  Das  angenehm  fleischartig  riechende  Pulver  kann,  in  Wasser, 
Suppe  oder  Milch  aufgeschwemmt,  verabreicht  werden. 

2)  Huchard,  V.  französischer  Kongr.  f.  innere  Med.  in  Lille. 


Myokarditis.  ^73 

Rundzellenherde ,  die  ausheilend  zur  Narbenbildung  Veranlassung 
geben.  Die  chronischen  Formen  *)  können  diffus  sowie  herdförmig 
lokalisiert  sein  (die  linke  Kammer  ist  meistens  stärker  betroffen  als 
die  rechte) ;  sie  führen  in  der  Regel  Degeneration  von  Muskelfasern 
und  konsekutive  Wucherung  des  interstitiellen,  periarteriellen  Bindege- 
webes, schließlich  mehr  oder  weniger  Ersatz  von  Muskelfasern  durch 
Bindegewebe  herbei.  —  Die  parenchymatösen  und  die  interstitiellen 
Veränderungen  sind  in  hohem  Maße  von  einander  unabhängig. 

Die  Ursachen  der  Myokarditis  sind  infektiöser,  toxischer  und 
konstitutioneller  Natur.  Alle  Infektionskrankheiten,  Diphtherie,  Ab- 
dominaltyphus ,  Rheumatismus ,  Pneumonie  ,  Gonorrhoe ,  Skarlatina, 
Influenza  2)  etc.  können  zu  entzündlichen  Myokardveränderungen  Ver- 
anlassung bieten.3)  Bei  den  schwersten  Infektionen  scheint  die  Schädi- 
gung der  Vasomotoren  den  Tod  herbeizuführen 4),  während  die 
Entwicklung  von  entzündlichen  Veränderungen  einen  minder  stürmi- 
schen Verlauf  der  Infektionskrankheit  voraussetzt  und  oft  erst 
wochenlang  nach  Eintritt  der  Entfieberung  manifest  wird  (z.  B.  der 
spätdiphtheritische  Herztod ,  „Myolisis"  [Eppinger] 5).  Die  Entzün- 
dung des  Myokards  und  die  Folgen  der  chronischen  Myokarditis  (be- 
ziehungsweise „eine  gewisse  Summe  von  interstitiellen  entzündlichen 
Veränderungen  und  parenchymatösen  Degenerationen")  haben  eine 
Herabsetzung  des  Funktionsvermögens  der  Herzmuskulatur  zur  Folge  ; 
in  jenen  Fällen,  wo  die  akute  Myokarditis  nur  einen  Teil  einer  „Pan- 
karditis" 6)  darstellt,  läßt  sich  das  auf  sie  selbst  entfallende  Funk- 
tionsdefizit naturgemäß  nicht  genau  bestimmen.  Die  Symptome  der 
Myokarditis  sind  die  einer  akuten  oder  chronischen  Funktionsläsion 
des  Herzens.7) 

Die  Therapie  der  akuten  Myokarditis  deckt  sich  zum 
größten  Teile  mit  jener  der  Endokarditis ;  im  übrigen  ist  sie 
rein  symptomatisch ;  eine  kausale  (Serum-)  Therapie  kommt 


x)  D.  Gerhardt  (Würzburger  Abhandlungen,  1902)  nennt  „Herzniuskel- 
erkrankungen'"  schlechtweg  jene  Fälle  von  Myocard.  chron.,  die  sich  weder 
der  entzündlichen  noch  der  degenerativen  Form  allein  einreihen  lassen. 

2)  Die  charakteristischen  Herzerscheinungen  nach  Influenza 
(Arhythmien  und  Bradykardien,  muskuläre  Mitralinsuffizienzen  mit  auffälligen 
Dilatationen) ,  die  mit  Schwindelgefühlen ,  hochgradigem  Darniederliegen  des 
Appetits  und  intensiven,  nervösen  Störungen  verbunden  zu  sein  pflegen, 
dürften  ganz  besonders  mit  Rücksicht  darauf,  daß  sie  sich  oft  erst  spät  ent- 
wickeln und  wochenlang  anhalten  können,  hieher  zu  rechnen  sein. 

3)  Aus  Untersuchungen  von  Ehrenfried  Albrecht  (Berlin  1903)  ist  zu 
entnehmen,  daß  die  mj^okarditischen  Veränderungen  von  den  Lymphgefäßen 
ihren  Ausgangspunkt  nemen. 

4)  Romberg,  Pässler,  Bruhns  u.  Müller,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med., 
Bd.  64. 

5)  Eppinger,  Deutsche  med.  Wschr.  1903,  Nr.  15. 

6)  Jürgensen,  1.  c. 

7)  Vide  pag.  26  ff. 


174  Spezielle  Therapie. 

vorläufig  wohl  nur  für  die  Diphtherie  in  Betracht.  Um  die 
unheilvollen  Herzinsuffizienz-Erscheinungen  zu  verhüten, 
welche  auftreten  können,  wenn  Rekonvaleszenten  nach  Diph- 
therie, Abdominaltyphus  etc.  zu  früh  das  Bett  verlassen, 
gibt  es  kein  besseres  Mittel  als  die  genaue  Krankenunter- 
suchung und  das  Fahnden  nach  etwaigen  Erscheinungen  der 
Herzinsuffizienz.  *)  Hier  gilt  ganz  besonders  der  Satz : 
„Qui  bene  diagnoscit,  bene  medebitur."  (Die  in  den  ersten 
Tagen  nach  der  Infektion  auftretenden  Erscheinungen  von 
Blässe ,  Frequenzsteigerung  des  Pulses ,  Kühle  der  Ex- 
tremitäten, Symptome  von  Hirnanämie  sind  mit  Vasomotoren- 
mitteln 2)  zu  bekämpfen.)  Für  die  chronischen  Formen  von 
Myokarditis  kommen  die  Koffein-  und  Theobrominpräparate 
sowie  kleine  Alkoholdosen  behufs  Verbesserung  der  Koronar- 
circulation  und  die  Maßnahmen  in  Betracht,  welche  im 
Abschnitte  „Chronische  Herzinsuffizienz*'  erörtert  wurden. 3) 
Die  Regeln  für  die  Digitalisanwendung  sind  im  „Allge- 
meinen Teil"' 4)  enthalten ;  sie  lehren  uns  vor  allem  anderen, 
daß  wir  eine  desto  bessere  Digitaliswirkung  erwarten  dürfen, 
je  weniger  ausgedehnte  Veränderungen  das  Myokard  erlitten 
hat,  und  daß  wir  uns  daher  aus  der  Reaktion  auf  die  Digi- 
talisdarreichung eventuell  einen  Schluß  auf  den  Grad  des 
Läsion  gestatten  dürfen. 

Perikarditis. 

Wir  verstehen  unter  „Perikarditis"  eine  entzündliehe  Affektion 
des  Perikards,  die  in  akuter,  subakuter  und  chronischer  Form,  fast 
ausschließlieh  auf  infektiöser  Grundlage,  zustande  kommt.  Die 
Infektion  kann  auf  dem  Blutwege,  auf  dem  Lymphwege  und  von 
der  Nachbarschaft  aus  (per  continuitatem)  erfolgen  und  zu  seröser, 
fibrinöser,  eitriger,  jauchiger  Entzündung,  eventuell  zu  einer  Kom- 
bination der  einen  mit  der  anderen  Form,  Veranlassung  geben.  Die 
häufigste  Ursache  der  Perikarditis  ist  der  Rheumatismus;  andere 
.ätiologische  Faktoren  sind  die  Pneumonie ,  Pleuritis ,  Nephritis, 
Tuberkulose,  Skarlatina ,  hämorrhagische  Diathesen,  Traumen  etc. 
Die    Schädigung    der    Herzfunktion    bei  Perikarditiden    wird    durch 


J)  Vide  pag.  26  ff. 

2)  S.  „Die  Kreislaufstörungen  bei  Infektionskrankheiten" 

3)  Vide  pag.  181  ff. 

4)  Vide  pag  44  ff. 


Perikarditis.  175 

Fortleitung  des  Entzünduugsprozesses  auf  das  Myo-  und  Endokard 
und  auf  mechanische  Weise  (Behinderung-  der  Herzbewegung  durch 
das  Exsudat,  Adhäsionsbildung  etc.)  bewirkt.  Den  Grad  dieser 
Schädigung  bestimmen  in  hohem  Maße  Art  und  Virulenz  der  be- 
treffenden Infektionserreger.  Die  Folgen  für  das  Herz  entsprechen 
einzig  und  allein  dem  Grade  der  Funktionsstörung  und  der  Ver- 
änderung seiner  Muskulatur  während  und  nach  Ablauf  der  Peri- 
karditis. Die  Prognose  ist  bei  Kindern  im  allgemeinen  günstiger 
als  bei  Erwachsenen,  doch  findet  man  bei  Kindern  häufiger  Ver- 
wachsung als  Krankheitsfolge.  Umschriebene  Entzündungen  sind 
naturgemäß  von  geringerer  Bedeutung  als  diffusere  Formen  und 
zumal  große  Exsudate,  welch  letztere  Symptome  herbeiführen  können, 
die  den  Erscheinungen  bei  „Tamponade  des  Herzbeutels"  x)  (Er- 
stickungstod) nahezu  gleichen.  Die  rheumatische  Perikarditis  gibt 
im  allgemeinen  quoad  vitam  eine  günstige ,  die  Perikarditis  beim 
Morbus  Brighti  eine  ungünstige  Prognose. 

Prophylaxe  und  Therapie  der  Perikarditis  und  ihrer 
Folgen  unterliegen  den  Grundsätzen,  die  wir  zum  Teile  bei  der 
..Endokarditis"  kennen  gelernt  haben  und  zum  Teile  bei  der 
„chronischen  Insuffizienz  des  Herzmuskels"  erfahren  werden. 

Der  Digitalisanwendung  dürfte  bei  allen  For- 
men der  Perikarditis  ein  größerer  Spielraum  zu  ge- 
währen sein,  als  bei  Endokarditiden ,  denn  eine  ver- 
stärkte Herztätigkeit  wird  die  mechanische  Behinderung 
der  Herzbewegung  durch  ein  flüssiges  Exsudat  besser  zu 
überwinden  vermögen  und  die  Entstehung  von  Ad- 
häsionen vielleicht  eher  verhindern  können.  Auch  die 
leichtesten  Symptome  von  Herzschwäche  bei  Perikarditis  sind 
Indikationen  der  Digitalisdarreichung.  Es  ist  empfehlenswert, 
immer  kleine  Digitalisdosen  zu  geben,  um  die  Erhöhung  der 
peripheren  Widerstände  durch  Steigerung  des  Gefäßtonus 
so  weit  als  möglich  zu  verhindern  oder  Digitalis  mit  einem 
Theobrominsalze  zu  verbinden. 

Besondere  Sorgfalt  wende  man  der  Lagerung  des 
Kranken  und  der  Sorge  für  leichten  Stuhlgang  zu. 
Schmerz  und  Oppressionsgefühl  werden  oft  durch  Auflegung 
von  Eisblasen ,  Kühlapparaten ,  Vesikantien  etc.  wirksam 
bekämpft.  Bei  Kindern  und  empfindlichen  Erwachsenen  ist 
die   Anwendung  großer   Kälte    nicht    angezeigt    und    lasse 

')  Rose,  Deutsche  Zeitschr.  f.  Chir.,  Bd.  20,  H.  5. 


176  Spezielle  Therapie. 

man  kühlere  Temperaturen  sich  vorsichtig  einschleichen. l) 
Wichtig  ist  die  Sorge  für  ausreichenden  Schlaf  und  ent- 
sprechende Ernährung.  Fieberlose  Patienten  sind  kräftig  zu 
nähren,  Fiebernde  durch  stickstoffr eiche  Kost,  Eier,  Kaviar, 
geschabtes  Fleisch,  Fleischsaft.  Reis-  und  Griessuppe  mit 
Beaftea-Zusatz,  Milch,  vor  Entkräftung  zu  bewahren.  Auch 
die  Alkoholdarreichung  wird  sich  bei  fiebernden  Peri- 
karditikern  wohl  meistens  als  zweckmäßig  erweisen. 

Bei  hartnäckigen  Exsudaten  kann  man ,  falls  keine 
Herzinsuffizienz-Erscheinungen  bestehen,  schließlich  mit  ent- 
sprechender Vorsicht  von  Diureticis  und  diaphoretischen  Maß- 
nahmen ,  wenn  endokardiale  Veränderungen  ausgeschloßen 
sind,  eventuell  von  Salicylpräparaten  Gebrauch  machen, 
um  die  Resorption  des  Exsudates  anzubahnen.  —  Die  resor- 
bierende Wirkung  der  Jodpräparate  ist  mehr  als  zweifelhaft. 

Die  Therapie  der  Perikarditis  bei  Skorbut,  Nephritis  etc. 
unterliegt  den  Indikationen  der  Grundaffektion. 

Nach  Ablauf  der  Perikarditis  treten  bezüglich  der 
Rekonvaleszenz  die  bei  „Endokarditis"  angeführten  Maß- 
nahmen in  Betracht,  die  in  sukcessive  gesteigerten,  vorsichtig 
dosierten  Mehransprüchen  an  das  Herz  bestehen  und  den 
Gebieten  der  Hydro-.  Mechano-,  Pneumo-  und  Klimatotherapie 
entnommen  werden. 

Perikardiotomie. 

Wenn  die  bestehenden  Krankheitssymptome  (Schüttel- 
fröste, heftiger  Schmerz,  Präkordialödem)  auf  Eiteransamm- 
lung im  Herzbeutel  hinweisen  und  der  Zustand  des  Kranken 
kein  hoffnungsloser  scheint,  vor  allem  eine  schwere  Grund- 
affektion, wie  Lungentuberkulose,  oder  Komplikationen,  wie 
Nephritis,  auszuschließen  sind,  schreite  man  unverweilt  zur 
Perikardiotomie.  Durch  dieselbe  sind  schon  verloren  ge- 
glaubte Fälle  gerettet  worden. 

Die  Perikardiotomie  ist  wegen  des  Zustandes  des  Kranken 
wohl  zumeist  unter  Lokalanästhesie  auszuführen.  Der  Hautschnitt 
wird   in   der    Richtung    des  fünften    Interkostalraumes    vom   linken 


l)   Tide  pag.  169. 


Perikarditis.  17  7 

Sternalrande  nach  auswärts  (5 — 8cm  lang)  geführt,  dann  werden 
die  Weichteile  schichtweise  durchtrennt,  der  Herzbeutel  breit  er- 
öffnet. Eine  Verletzung  der  Mammargefäße  ist  zu  vermeiden.  Man 
achte  darauf,  daß  die  Pleura  den  Perikardialsack  von  links  her  be- 
deckt und  gehe  daher  2 — 3 — 4  cm  neben  dem  Sternum  in  den  Herz- 
beutel ein.  Manche  Autoren  betrachten  die  Resektion  des  fünften 
oder  sechsten  Rippenknorpels,  eventuell  beider,  als  empfehlenswert. 
Ist  der  Erguß  entleert ,  dann  wird  ein  Drainrohr  eingeführt  und 
die  Wunde  versorgt.  Lag  ein  jauchiges  Exsudat  vor,  dann  spüle 
man  den  Herzbeutel  vorher  mit  38°  C.  warmer  steriler  Kochsalz- 
lösung gründlich  aus.  Lange  andauernde  Eiterungen  (Tuberkulose) 
lassen  sich  oft  erfolgreich  durch  wiederholte  Injection  von  Jodoform- 
glycerinemulsion  in  den  Perikardialsack  bekämpfen  (v.  Eiseisberg  x). 


Punktion  des  Perikards. 

Dieselbe  ist  vorzunehmen,  wenn  im  Verlaufe  einer 
Perikarditis  sich  unter  unseren  Augen  ein  großes  perikar- 
diales Exsudat  schnell  entwickelt  hat,  die  Dyspnoe  zur 
Orthopnoe  angewachsen  ist,  die  Herzinsuffizienz-Erscheinungen, 
wie  Cyanose,  Venenschwellungen,  Blässe,  Ödeme  (Präkordial- 
ödem)  etc.  zunehmende  Tendenz  zeigen.  Schlaflosigkeit  be- 
steht und  durch  Morphiumwirkung  nicht  bekämpft  werden 
kann ,  oder  wenn  ein  großes  Exsudat  keine  Tendenz  zur 
Resorption  zeigt  und  der  Kranke  durch  die  Affektion  immer 
mehr  herabkommt. 

Die  rheumatische  Perikarditis  führt  nur  selten  eine 
Indikation  zur  Vornahme  der  Punktion  des  Perikards  herbei; 
selbst  schwere  Erscheinungen  können  nach  medikamentöser 
Therapie  allein  rückgängig  werden.  Besteht  gleichzeitig 
exsudative  Pleuritis,  dann  wird  zur  Erleichterung  des  Kranken 
zuerst  wohl  die  Pleurapunktion  zu  versuchen  sein,  und  erst 
wenn  der  Erfolg  dieser  Operation  nicht  befriedigt,  an  die 
Perikardpunktion   geschritten   werden.  Die  skorbutische 

Perikarditis  ist  relativ  häufig  Veranlassung  zur  Punktion 
(Bäumler 2),  sehr  selten  die  tuberkulöse  (seröse)  Entzündung 
des  Herzbeutels;    bei  der  letzteren  Form   mit    ihren  häufig 


*)  v.  Eiseisberg,  Wiener  klin.  Wochenschr.,  1895. 

2)  Bäumler,  Penzoldt-Stintzing,  Handbuch  der  Therapie  innerer  Krank- 
heiten, Perikarditis. 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten.  12 


178  Spezielle  Therapie. 

rezidivierenden  Ergüssen  kann  bisweilen  die  Einspritzung 
von  Jodoformemulsion  in  den  Perikardialsack  von  dauerndem 
Erfolge  begleitet  sein. 

Die  Operation  wird  in  halbsitzender  Stellung  des  Kranken 
vorgenommen ;  stets  überzeuge  man  sich  durch  eine  Probepunktion 
vorher  noch  von  der  Richtigkeit  der  Diagnose.  Unter  Schleichscher 
Lokalanästhesie  wird  die  Haut  an  der  Einstichstelle  in  vertikaler 
Richtung  mit  dem  Messer  durchtrennt,  hierauf  vorsichtig  bohrend 
ein  möglichst  dünner  Troikart  im  fünften  Interkostalraume,  2 — 3  cm 
links  vom  Sternum  eingestochen.  Um  Herzverletzungen  zu  vermei- 
den, die  übrigens  (zumal  jene  des  linken  Ventrikels)  nicht  immer  gar 
so  gefährlich  sind,  wie  man  zu  glauben  geneigt  ist,  verwende  man 
den  Dieulafotjschen  Aspirationsapparat.  Ist  die  Flüssigkeit  abge- 
flossen ,  dann  fühlt  man  oft  das  unheimliche  Kratzen  des  Herzens 
an  der  im  Herzbeutel  steckenden  Troikartspitze.  Fließt,  nach  dem 
man  eingegangen  ist,  nicht  alsbald  Flüssigkeit  ab,  dann  schiebe 
man  die  Nadel  vorsichtig  hin  und  her,  denn  es  ist  möglich,  daß 
Fibrinmassen  ihr  Lumen  verlegen.  Man  kann  200 — 300 — 500  cm 
Flüssigkeit  ablassen,  im  allgemeinen  so  lange  Flüssigkeit  frei  ab- 
lauft. Der  Erfolg  der  Punktion  tritt  meist  rasch  ein,  Cyanose  und 
Atemnot  verschwinden  zusehends,  der  Schlaf  kehrt  wieder,  die 
Diurese  steigt  an,  die  Ödeme  nehmen  ab,  die  Digitalis  wird  wirk- 
samer oder  wieder  wirksam.  So  kann  die  Herzbeutelpunktion  oft- 
mals als  lebensrettende  Operation  bezeichnet  werden.  Verletzungen 
der  Pleura  sind  bei  Vorhandensein  von  pleuralem  Exsudate  unge- 
fährlich. Im  übrigen  dürfte  wohl  mit  Rücksicht  auf  die  Gefahren, 
welche  die  Punktion  mit  sich  bringt  (Verletzung  der  Mammaria 
einerseits,  der  Pleura  andererseits)  und  die  relative  Gefahrlosigkeit, 
mit  der  unter  unseren  heutigen  Kautelen  eine  Parazentese  des 
Herzbeutels  vorgenommen  werden  kann,  die  Punktion  wohl  immer 
mehr  an  Terrain  verlieren  zugunsten  der  Perikardiotomie ,  welche 
unter  der  Leitung  des  Auges  alle  Gefahren  der  Punktion  sicher 
vermeiden  läßt. 

Während  der  Rekonvalescenz  müssen  wir  den  Kranken  außer 
den  Postulaten  der  Wundbehandlung  die  nämlichen  Maßnahmen 
angedeihen  lassen ,  wie  während  der  Genesung  nach  Endo-  oder 
Myokarditiden. 


Concretio  pericardii. 

Die  Obliteration  des  Herzbeutels  kann  völlig  symptomlos,  mit 
spezifischen  Symptomen  (syst.  Einziehung  an  Stelle  des  Spitzen- 
stoßes ,  Unverschieblichkeit  des  Herzens  bei  Lagewechsel ,  Erschei- 


Die  akute  Herzinsuffizienz.  179 

innigen  der  Insuffizienz  des  rechten  Ventrikels,  Pulsus  paradoxus  ete.) 
oder  unter  den  Erscheinungen  der  chronischen  Herzinsuffizienz  über- 
haupt verlaufen.  Ihre  Feststellung  gehört  unter  Umständen  zu  den 
schwierigsten  Problemen  der  Klinik.  *) 

In  prophylaktischer  Hinsicht  ist  es  —  wie  erwähnt 

empfehlenswert,  während  des  Ablaufes  einer  Perikarditis 
Herzmittel,  Digitalis,  zu  geben,  um  durch  Verstärkung  der 
Herzbewegung  die  Bildung  von  Adhäsionen  zu  verhindern 
oder  die  Schrumpfung  bereits  vorhandener  Adhäsionen  so  weit 
als  möglich  hintanzuhalten.  Die  bestehende  Obliteration  ist 
nach  den  Regeln  zu  behandeln,  welche  wir  bei  der  Therapie  der 
chronischen  Herzinsuffizienz  kennen  lernen  werden.  —  Chirur- 
gische Maßnahmen  kommen  kaum  jemals  in  Betracht,  da 
es  sich  fast  immer  um  breite,  flächenhafte  Verwachsungen 
handelt. 

Zur  Behandlung  desHämoperikards  und  desPneumo- 
perikards  dienen  uns  die  Behelfe  der  Chirurgie. 


Die  akute  Herzinsuffizienz. 

Als  akute  Herzinsuffizienz  dürfen  wir  erfahrungsgemäß  Er- 
scheinungen von  gestörter  Leistungsfähigkeit  des  Herzens  bezeichnen, 
welche  nach  einer  einmaligen  Überanstrengung  des  Herzens  zurück- 
geblieben sind.  Es  ist  sicher  möglich ,  daß  auch  ein  vollkommen 
gesundes  Herz  unter  der  Last  einer  übermäßigen  Anforderung  ver- 
sagen kann,  doch  dürfte  es  sich  in  der  Mehrzahl  der  einschlägigen 
Beobachtungen  um  Herzen  gehandelt  haben,  deren  latente  Anomalie 
durch  das  „Trauma''  manifest  wurde.  In  solchen  Fällen  stellen 
sich  rasch  Symptome  von  Herzinsuffizienz ,  Dyspnoe ,  'Schwindel, 
Hinfälligkeit,  der  Martiussche  Gegensatz2),  Cyanose,  Herzschmerzen 
ein.  Die  Literatur  3)  verzeichnet  Fälle  von  Heilung,  daneben  Beob- 
achtungen, in  denen  unmittelbar  nach  einer  Überanstrengung  der 
Tod  eingetreten  ist 4),  schließlich  Fälle ,  wo  solche  akute  Insuf- 
fizienzen geradewegs  in  chronische  Insuffizienzen   übergegangen  sind 


*)  v.  Schrötter  in  Nothnagels  Spez.  Path.  u.  Ther.  —  Anregende  „Bei- 
träge zur  Diagnostik  der  Concretio  pericardii"  etc.  verdanken  wir  W.  Türk, 
Wiener  klin.  Wochenschr.,  1901. 

2)  Vide  pag.  36. 

3)  S.  bei  Krehl,  Nothnagels  Spez.  Path.  u.  Ther. 

4)  Albutt  bei  Seitz ,  Die  Überanstrengung  des  Herzens.  Berlin  1875, 
A.  Hirschwald.  —   J)üms,  Handbuch  der  Militärkrankheiten,  1898. 

12* 


l^O  Spezielle  Therapie. 

oder  sich  an  das   „Trauma"    eine  dauernde  Herzinsuffizienz    ange- 
schlossen hat.  l) 

Die  akute  Herzinsuffizienz  erfordert  im  Anfange  eine 
ausschließlich  schonende  Behandlung;  der  Kranke  wird 
ins  Bett  gelegt  und  erhält  Eis-  oder  Kaltwasserumschläge, 
am  besten  eine  Kühlflasche  auf  das  Herz.  In  manchen  Fällen 
soll  sich  die  Applikation  von  heißen  Umschlägen  vorzüglich 
bewährt  haben.  Zeigt  sich  nach  einigen  Stunden  noch  keine 
deutliche  Besserung ,  dann  ist  wohl  die  Darreichung  von 
Herzmitteln,  Digitalis  —  in  großen  Dosen  und  eventuell  in 
einer  rasch  wirkenden  Form  —  angezeigt ;  desgleichen  käme 
Digitalin  in  Betracht,  wenn  die  Erscheinungen  bald  einen 
bedrohlichen  Grad  erreichen.  Ihrer  physiologischen  Wirkung- 
entsprechend  (vermehrte  Durchblutung  der  Koronarien, 
bessere  Ernährung  des  Herzens)  dürften  die  Koffein-  und 
Theobrominsalze  —  zumeist  wohl  in  Kombination  mit  Digi- 
talis —  für  solche  Fälle  zu  empfehlen  sein.  Schmerzen  der 
Kranken  erfordern  eine  symptomatische  Behandlung,  Blut- 
egel. Sinapismen  etc.  — 

Es  wäre  wohl  des  Versuches  wert,  ob  man  nicht 
gegebenenfalls  bei  akuten  Herzinsuffizienzen  vorteilhaft  von 
einer  Morphium -Digitalis -Kombination  Gebrauch  machen 
könnte. 

Die  weitere  Behandlung  des  Kranken  und  seine  Ke- 
konvalescenz,  der  Übergang  aus  der  schonenden  zur  übenden 
Behandlung  verhalten  sich  wie  bei  jeder  akuten  Herzaffektion 
(s.  z.  B.  bei  Endokarditis  und  die  ,.Mechanische  Behandlung 
der  Herzkrankheiten",  pag.  145). 


1)  0.  Fraentzel,  Vorlesungen  ü.  d.  Krankheiten  d.  Herzens.  Berlin  1899, 
A.  Hirsclnvald. 


Prophylaxe  und  Therapie  der  chronischen  Insuffizienz  des  Herzens.     l^J 

Prophylaxe  und  Therapie  der  chronischen 
Insuffizienz  des  Herzens. 

Unter  der  Bezeichnung  „chronische  Herzinsuffi- 
zienz" fassen  wir  mit  Romberg1)  die  allmählich,  langsamer 
oder  rascher,  oftmals  schleichend,  entstehenden  Funktions- 
störungen des  Herzens  zusammen,  die  als  „chronische 
Myokarditis",  „Herzinsuffizienz  bei  Fettleibigen", 
bei  Arteriosklerose,  bei  Alkoholikern,  bei  chronischen 
Perikard-,  Pleura-,  Lungen-,  Nierenveränderungen, 
als  Herzinsuffizienz  neurogenen  Ursprungs  (Basedow). 
nach  andauernden  Überanstrengungen2)  bekannt  sind, 
deren  Mechanismus  und  Bestimmung  im  Abschnitte  2  und  3 
(pag.  14 ff.)  erörtert  wurden.  Auch  bei  den  Klappenfehlern 
des  Herzens  kommt  je  nach  ihrer  Ätiologie,  je  nach  dem 
Grade  der  Läsion  und  dem  Alter  des  Kranken  früher  oder 
später  eine  Insuffizienz  des  Herzens  zustande.  Allen  diesen 
„Herzfehlern"  ist  der  wachsende  Widerspruch  zwischen 
Leistungsfähigkeit  des  Herzmuskels  und  dem  Erfordernisse 
des  Kreislaufs,  die  Abnahme  der  Leistung  des  ein- 
zelnen Herzschlags  gemeinsam.  Ihre  Behandlung  hat 
einerseits  dem  Grade  der  Herzinsuffizienz,  andererseits 
dem  speziellen  Grundleiden  Rechnung  zu  tragen. 

Ist  der  Herzkranke  über  seinen  „Herzfehler" 
aufzuklären? 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  wird  diese  Frage  rundweg 
zu  verneinen  sein.  Jeder  erfahrene  Arzt  weiß  sich  an  Herz- 
kranke zu  erinnern,  deren  Zustand  sich  von  dem  x\ugen- 
blicke  an,  da  sie  die   „Wahrheit"   erfuhren,    in  unheilvoller 


*)  Romberg,  Krankheiten  der  Kreislauforgane  in  Ebstein- Schwalbe, 
Handb.  d.  prakt.  Med. 

2)  Peacock,  Coron.  Lectures,  Churchill  1865.  —  Älbutt,  1.  c.  —  Mt/ers, 
ibidem.  —  Seitz ,  Deutsch.  Arch.  f.  kl.  Med.,  Bd.  10—13.  —  v.  Leyden,  Zeit- 
schrift f.  kl.  Med.,  Bd.  11.  —  Curschmann,  Deutsch.  Arch.  f.  kl.  Med.,  Bd.  11. 
—  0.  Fraentzel,  Über  die  Entstehung  von  Hypertrophie  und  Dilatation  der 
Herzventrikel  durch  Kriegsstrapazen.  —  Hunzinger,  Deutsch.  Arch.  f.  kl.  Med., 
1877,  u.a. 


18 2  Spezielle  Therapie. 

AVeise  verschlimmert  hat.  Seit  wir  den  mannigfachen 
Einfluß  des  Vagus  auf  das  Herz  kennen  lernten,  können  wir 
auch  die  Begründung  der  Tatsache  erfassen,  daß  man  ..an 
gebrochenem  Herzen"  sterben  kann.1)  Wieviel  größer  wird 
die  AVirkung  einer  nervösen  Depression  auf  ein  krankes 
Herz  sein !  Fast  alle  Herzkranken  sind  reizbar .  zu  Ver- 
stimmungen geneigt  und  von  hypochondrischem  Gemüts- 
zustande. Diese  Erwägung  allein  macht  die  Logik  jener 
Ärzte  zunichte .  welche  sich  berufen  rinden .  jedem  Herz- 
kranken ins  Gesicht  zu  sagen .  daß  er  einen  Herzfehler 
habe.  Man  muß  seine  Kranken  auch  ohne  eine  solche  In- 
formation an  ein  entsprechendes  hygienisches  Verhalten  ge- 
wöhnen können.  Ich  kann  den  Standpunkt  derjenigen  nicht 
teilen,  die  etwa  einem  Kranken  mit  leichter  Mitralinsuffizienz, 
der  also  einem  Gesunden  gegenüber  nur  wenig  im  Nach- 
teile ist  und  voraussichtlich  noch  viele  Jahre  lang  erwerbs- 
fähig, genußfähig  bleibt,  oder  einem  Kranken  mit  einem  ge- 
ringeren Grade  von  Arteriosklerose  das  „memento  mori"  gerade- 
zu aufzwingen.  Lassen  wir  uns  aber  auch  angesichts  schwererer 
Fälle  mehr  von  den  Prinzipien  der  Menschlichkeit  leiten, 
als  von  anderen  sich  uns  etwa  aufdrängenden  Erwägungen. 
Persönlicher  Takt  und  Menschenkenntnis  werden  uns  über 
manche  gefährliche  Klippe  hinweghelfen  können.  —  Einem 
Kranken .  der  geneigt  ist .  seinen  Herzzustand  zu  unter- 
schätzen .  der  trotz  unserer  Einsprache  an  anstrengenden 
Sportleistungen  Anteil  nimmt .  leichtsinnige  Exzesse  in  Ve- 
nera, in  Baccho  begeht,  haben  wir  zu  warnen,  diesem 
gegenüber  kann  uns  allerdings  die  ,.  Wahrheit"  bisweilen 
zur  Pflicht  werden.  —  Mancher  Herzkranke  wird  anläßlich 
eines  Versuches,  eine  Lebensversicherung  einzugehen,  über 
das  Bestehen  eines  ..Fehlers"  an  seinem  Herzen  orientiert. 
AVir  haben  mit  dieser  Tatsache  zu  rechnen,  denn  mit  der 
immer  anwachsenden  Zahl  der  Versicherten  wächst  auch  die 
^Wahrscheinlichkeit .  daß  Herzkranke  sich  versichern  lassen 
wollen.  Ebenso  kann  ein  Herzkranker  durch  einen  Zufall 
den    wahren  Sachverhalt    erfahren.    In    solchen  Situationen 


l)  >:.  Schroffer,  A'erhandlungen  des  17.  Kongresses  für  innere  Medizin. 


Berufswahl.  —  Die  Ehe  Herzkranker.  Ig3 

muß  der  Arzt  zum  Tröster  werden  können,  darauf  hin- 
weisend, daß  ,.Herzfehler"  unter  günstigen  Verhältnissen 
eine  normale  Lebensdauer  zulassen,  daß  es  sich  im  vor- 
liegenden Falle  um  einen  völlig  ,. kompensierten"  Fehler 
handle ,  der  bei  kluger  Lebensführung  keinerlei  Anlaß  zu 
Besorgnissen  biete  u.  s.  w.  Immer  aber  hängen  die  Folgen 
einer  solchen  Mitteilung  von  dem  Temperamente  und  der 
Intelligenz  des  Kranken  einerseits,  von  der  Erfahrung  und 
Lebensklugheit    des  Arztes  andererseits   ganz  besonders  ab. 

Berufswahl. 

Liegt  uns  die  Frage  der  Berufswahl  bei  einem  herz- 
kranken Jüngling  oder  Mädchen  vor,  dann  haben  wir  darauf 
aufmerksam  zu  machen,  daß  ein  Beruf,  der  mit  schwerer 
körperlicher  Arbeit,  mit  reichlicher  Bewegung.  Stiegen- 
steigen u.  s.  w.  verbunden  ist ,  für  Herzkranke  durchaus 
ungeeignet  erscheinen  muß. 

Oft  zwingt  uns  unser  Befund,  einen  Herzkranken  aus 
der  erwerbenden  Bevölkerungsschichte,  dessen  Beruf  zu 
anstrengend  erscheint,  auf  die  Notwendigkeit  der  Wahl 
eines  anderen  Berufes  aufmerksam  zu  machen.  Leider  stellen 
sich  der  Lösung  einer  solchen  Frage  nur  allzu  häufig  ma- 
terielle Hindernisse ,  die  Sorge  um  die  Existenz ,  entgegen. 
Dann  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  den  Kranken  seinen 
Beruf  fortsetzen  oder  wieder  aufnehmen  zu  lassen  und  vor- 
läufig nur  abzuwarten .  inwieweit  er  denselben  noch  zu 
erfüllen  vermag.  Der  Kranke  wird  oft  leider  wohl  selbst 
das  Maß  seiner  Leistungen  im  Berufe  immer  mehr  herab- 
stimmen müssen;  gelingt  es  ihm,  einen  neuen,  minder  an- 
strengenden Lebenserwerb  zu  finden,  dann  kann  er  vor- 
aussichtlich sich  und  seiner  Familie  länger  erhalten  bleiben. 

Die  Ehe  Herzkranker. 

Sollen  wir  einem  Herzkranken  die  Ehe  ge- 
statten, wiewohl  wir  wissen,  daß  jede  sexuelle  Betätigung 
einen    heftigen  Herzreiz    darstellt,    die  Gravidität    und    vor 


1$4  Spezielle  Therapie. 

allem  der  Geburtsakt1)  für  die  Frau  unter  Umständen 
direkte  Lebensgefahr  zur  Folge  haben?  Ich  möchte  diese 
Frage  mit  den  Worten  Rombergs  beantworten:  ..Jene  Ge- 
fahren wiegen  jedenfalls  das  Glück  nicht  auf,  welches  eine  glück- 
liche Ehe  mit  sich  bringt."  Auch  hier  kommt  es  übrigens  in 
hohem  Maße  auf  die  Verhältnisse  des  vorliegenden  Falles  an.  So 
wie  es  nicht  richtig  ist,  zu  fragen,  ob  Herzkranke  körperlich 
arbeiten  dürfen,  sondern  die  Frage  lauten  sollte : ,,  Welche  Herz- 
kranken dürfen  arbeiten*',  ist  auch  die  Fragestellung  in 
Bezug  auf  die  Ehe  Herzkranker  so  zu  präzisieren :  „Welchen 
Herzkranken  können  wir  das  Heiraten  gestatten?"  Eine 
solche  Entscheidung  deckt  sich  jedesmal  naturgemäß  mit 
der  Prognose  des  speziellen  ,. Herzfehlers u  überhaupt,  mit 
dem  Grade  der  Herzfunktion,  dem  Alter  des  Kranken: 
Einem  Kranken  mit  einem  geringen  Grade  von  Mitral- 
insuffizienz werden  wir  das  Heiraten  oft  zweifellos  gestatten 
können,  eine  in  mittleren  Jahren  nach  Endokarditis  erworbene 
Aorteninsuffizienz  ist  bereits  schlechter  daran,  noch  schlechter 
unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  ein  Kranker,  dessen 
Aorteninsuffizienz  auf  luetischer  Grundlage  acquiriert  wurde, 
oder  eine  Frau  mit  hochgradiger  Kyphoskoliose.  Kranke 
Frauen  mit  schwereren  Mitralstenosen  sind  durch  die  Gra- 
vidität und  die  Geburtsarbeit,  besonders  wegen  der  Mög- 
lichkeit des  Eintrittes  von  Embolien  und  Infarkten,  ge- 
fährdet. Es  ist  ferner  zu  beachten,  daß  herzkranke  Frauen 
zu  Aborten  und  Frühgeburten  neigen,  daß  Entzündungen 
von  Gelenken  und  Endokarditiden  während  des  Puerperiums 
wiederkehren  können  und  daß  Komplikationen  des  ..Herz- 
fehlers" wie  Nephritis,  obsolete  Pleuritis  etc.  die  Prognose 
wesentlich  verschlimmern.  ..Oft  wird  es  leichter  sein,  wieder- 
holte Schwangerschaften  zu  verhindern,  als  durch  unseren  Rat 
zu  bewirken,  daß  herzkranke  Mädchen  und  Frauen  gänzlich 
dem    Glücke    der    Ehe    oder    dem   Mutterglücke    entsagen" 


*)  Mit  jeder  AVehe  geht  eine  mächtige  arterielle  Blutdrucksteigerung 
einher;  sobald  das  Kind  ausgestoßen  ist,  erfolgt  ein  starkes  Absinken  des 
Blutdrucks.  In  unseren  Fällen  handelt  es  sich  eben  um  die  Frage,  ob  das 
Herz  solchen  Druckschwankungen  gewachsen  ist. 


Kleidung,  Abhärtung.  1$5 

(v.  Lei/den1).  Herzkranken  Frauen,  deren  Entbindung  wegen 
rhachitiseher  Beckenformation  voraussichtlich  schwer  sein 
wird,  ist  das  Heiraten  zu  widerraten.  In  jedem  Falle  ist  es 
unsere  Pflicht,  die  Eltern  eines  herzkranken  Mädchens  auf  die 
Gefahren  der  Schwangerschaft  und  Entbindung  aufmerksam 
zu  machen,  den  herzkranken  Mann  vor  jedem  sexuellen  Exzesse 
dringend  zu  warnen.  —  Kranke  mit  Erscheinungen  der  Herz- 
insuffizienz sollen,  je  nach  dem  Grade  derselben,  den  Koitus 
einschränken  oder  meiden,  denn  die  Literatur  kennt  plötz- 
liche Todesfälle  von  Herzkranken  während  des  Koitus.  — 
Das  Eingehen  der  Ehe  ist,  wenn  einmal  Insuffizienzerschei- 
nungen  bestehen,  sowohl  Männern  als  Frauen  zu  wider- 
raten. —  Den  Anforderungen  der  Geburt,  selbst  der  Früh- 
geburt, ist  ein  insuffizientes  Herz  kaum  jemals  gewachsen. 
Meist  folgt  der  Geburt  eine  schwere  Dekompensation ,  die 
bisweilen  schon  3 — 4  Tage  nach  der  Entbindung  zum  Tode 
führt  oder  nur  allmählich  wieder  rückgängig  wird  (Romberg). 

Kleidung,  Abhärtung. 

Herzkranke,  zumal  diejenigen,  welche  den  ..Herzfehler' 
durch  Endomyokarditiden  erworben  haben ,  sind  in  der  Regel 
gegen  auffällige  Feuchtigkeits-  und  Temperaturverhältnisse 
sehr  empfindlich,  für  rheumatische  Affektionen  ..prädisponiert''. 
Relativen  Schutz  hiergegen  bietet  eine  rationelle  Kleidung- 
Empfehlenswert  ist  vor  allem  das  Tragen  von  flanellenen 
oder  schaf wollenen  Unterkleidern  und  von  schafwollenen 
Strümpfen  im  Winter,  von  leichteren  schafwollenen  „Leibchen" 
in  der  wärmeren  Jahreszeit.  Rheumatiker  und  Herzkranke 
sollen  „nasse  Füße*'  und  durchnäßte  Kleider  meiden,  durch- 
näßtes Fußzeug  so  rasch  als  möglich  wechseln,  sich,  wenn 
sie  durchnäßt  gewesen,  kräftig  trocken  reiben  oder  trocken 
reiben  lassen,  hierauf  die  Wäsche  wechseln,  vom  Gehen, 
Laufen,  vom  Spiele  erhitzt,  sich  nicht  ins  Gras  legen  oder 
auf  feuchte  Plätze    setzen,    trockene  Wohnungen    beziehen. 


*■)  v.  Lei/den,  Zeitscbr.  f.  klin.  Med..  Bd   23.  —   Feis,  Samml.  kl.  Vortr. 
v.  Volkmann,  Nr.  213,  n.  v.  a.  m. 


186  Spezielle  Therapie. 

andererseits  bestrebt  sein,  sich  abzuhärten,  um  die  "Wider- 
standsfähigkeit ihres  Körpers  gegen  Witterungseinflüsse  zu 
erhöhen.  Eng  anliegende  Kleider,  beengende  Kleidungs- 
stücke, Korsett,  Gürtel,  Riemen,  hohe  Stehkragen,  enge 
Uniformen  sind  zu  meiden.  Die  Enge  des  Halskragens  beim 
Militär  wird  von  Myers1)  geradezu  für  die  Erklärung  der 
Häufigkeit  von  Herzaffektionen  in  der  englischen  Armee 
mit  angeführt.  Die  Kleidung  soll  auch  nicht  durch  ihr 
Gewicht  belästigen,  Atmung  und  Zirkulation  nicht  er- 
schweren, sie  soll  aber  entsprechenden  Schutz  gegen  Kälte 
bieten. 

Wichtig  ist  die  Sorge  für  eine  regelmäßige  Haut- 
pflege durch  Waschungen  und  Bäder.  Die  Temperatur 
des  Zimmers,  wo  Herzkranke  sich  aufhalten,  wird  nach 
individuellem  Maße  zu  regulieren  sein;  ältere  Leute  und 
schwer  Herzleidende  benötigen  wärmere  Wohnräume  als 
jüngere  Individuen  und  Leichtkranke.  —  Die  Normaltempe- 
ratur eines  Wohnraumes  ist  15°  R. 

Bewegung,  Sport,  Ruhe,  Erholung,  Temperaturwechsel. 

Der  Herzkranke  soll  darüber  orientiert  sein,  daß  ihm 
alles  schadet,  was  ihn  dyspnoisch  macht. 

Kann  er,  ohne  kurzatmig  zu  werden,  körperliche  Be- 
wegungen ausführen,  dann  wäre  es  fehlerhaft,  ihn  daran 
zu  hindern,  ihn  ans  Zimmer  zu  fesseln,  zur  Ruhe  zu  ver- 
dammen, denn  in  ungeahnt  vielen  Fällen  läßt  sich  durch 
Übung,  durch  Heilgymnastik  und  „Übungstherapie"  eine 
Bewegungsfähigkeit  erreichen,  die  anfangs  unmöglich  ge- 
wesen wäre.  Es  ist  das  unvergängliche  Verdienst  von  Stokes, 
dies  zuerst  gelehrt  zu  haben ;  er  hat  den  Herzkranken  Licht 
und  Luft,  Himmel  und  Sonne  wiedergegeben.  Es  wäre  aber 
sicherlich  noch  fehlerhafter,  den  Kranken  zu  einem  Maße 
von  Bewegung  anzuhalten,  das  ihn  erschöpft.  Körperbewe- 
gung, Spaziergänge  und  Heilgymnastik  sollen  täglich  aus- 
geführt werden;   einmal  in  der  Zeit  unternommen,  ermüdet 


*)  F.  A.  Hoffmann,  1.  c.  pag.  74. 


Bewegung,  Sport,  Ruhe,  Erholung,  Temperaturwechsel.  187 

ein  Spaziergang,  den  der  Geübte,  Gewöhnte,  mühelos  zurück- 
legt, ja  er  kann  schädlich  wirken.  Der  Herzkranke  soll 
an  den  Rückweg  niemals  vergessen,  bei  der  Bemessung  der 
zurückzulegenden  Entfernung  auf  denselben  bedacht  sein. 
Unmittelbar  nach  einer  Nahrungsaufnahme  ist  für  kurze 
Zeit  Ruhe  einzuhalten;  niemals  erfolge  andererseits  ein 
Spaziergang  zeitlich  morgens  mit  nüchternem  Magen,  ferner 
bei  großer  Hitze  oder  heftigem  Winde. 

Ein  Herzkranker,  der  Stiegen  und  Anhöhen  ohne  Herz- 
klopfen und  Athemnot  steigen  kann,  mag  dies  unter  häufig 
wiederholter  Kontrolle  fortsetzen.  (Oft  können  Herzkranke 
noch  nach  rückwärts  gehend  Stiegen  hinaufgehen ,  wenn 
ihnen  das  Steigen  in  gewöhnlicher  Weise  überaus  schwer 
fällt  [Broadbent]). 

Die  verschiedenen  Sporte  sind  Herzkranken  zum  größten 
Teile  versagt.  Mäßiges  Radfahren  auf  ebenem  Terrain 
könnte  geübten  Fahrern  am  Ende  gestattet  werden.  Doch 
wird  man  besser  daran  tun,  es  zu  verbieten,  da  speziell 
beim  Radfahren  des  Guten  leicht  zu  viel  getan  wird. 

Herzkranke,  die  reiten  können,  dürfen  diesen  Sport, 
wenn  Insuffizienzerscheinungen  nicht  vorhanden  oder  ver- 
schwunden sind,  wieder  aufnehmen;  es  empfiehlt  sich  hin- 
gegen nicht ,  Herzkranke  reiten  lernen  zu  lassen ,  da  die 
Aufregungen  und  Anstrengungen  des  Lernens  entschieden 
zu  groß  sind. 

Alle  Herzkranken  sind  zum  Militärdienste  un- 
tauglich. 

Herzkranken  Kindern  sind  im  Schulunterrichte 
Erleichterungen  zu  gewähren;  sie  sind  vom  Schulturnunter- 
richte zu  dispensieren  und  sollen  körperliche  Übungen  wo- 
möglich nur  unter  ärztlicher  Leitung  oder  Anleitung  aus- 
führen. 

Herzkranke  (wie  ältere  Individuen  überhaupt)  dürfen 
sich  —  etwa  beim  Verlassen  der  Wohnung  —  nicht  plötz- 
lichen Temperaturunterschieden  aussetzen,  den 
Übergang  aus  dem  Zimmer  in  die  Außenluft  sollen  sie 
langsam  bewerkstelligen  (indem  sie  sich  eine  Weile  im  Vor- 
zimmer ,    Stiegenhause    aufhalten) ,    weil    durch    den    unver- 


Igg  Spezielle  Therapie. 

mittelten  Einfluß  von  kalter  Luft  auf  die  Hautgefäße  Blut- 
drucksteigerungen zustande  kommen  können,  denen  das  ge- 
schwächte Herz  oftmals  nicht  gewachsen  ist. 

Das  Herz  eines  älteren  Individuums  ist  ceteris  paribus1) 
weniger  anpassungsfähig,  als  das  Herz  eines  jüngeren  In- 
dividuums, weilKontraktilität  und  Elastizität  des  Herzmuskels 
in  individuell  wechselnder  Weise  allmählich  abnehmen. 2) 
Wir  werden  daher  z.  B.  einem  herzkranken  Kinde  eine  täg- 
liche Arbeitsleistung  zumessen  dürfen ,  die  einer  Person  in 
mittleren  Jahren  mit  dem  gleichen  Herzfehler  entschieden 
zu  verbieten  sein  wird. 

Ein  wichtiger  Bestandteil  der  Therapie  der  Herzinsuf- 
fizienz ist  in  vielen  Fällen  das  Einhalten  von  Ruhe,  und 
wenn  es  der  Zustand  des  Kranken  erfordert,  von  absoluter 
Bettruhe.3)  Dieselbe  erspart  dem  Herzkranken  Muskel- 
und  Herzarbeit,  sowie  Wärme  Verluste,  die  durch  Stoffwechsel- 
arbeit gedeckt  werden  müssen ,  die  also  auch  eine  Vermeh- 
rung der  Herzarbeit  voraussetzen.  Es  gibt  ohne  Zweifel 
Fälle,  in  denen  Bettruhe  in  der  Dauer  einiger  Wochen 
das  Leben  des  Kranken  um  eben  so  viele  Jahre  verlängern 
kann.  Man  soll  aber  seine  Kranken  nicht  unnötig  ins  Zimmer 
sperren  oder  gar  ans  Bett  fesseln,  denn  dies  hieße  oft 
nur  die  Qualen  der  letzten  Lebenstage  erhöhen,  ohne  die 
Zahl  dieser  Tage  zu  vermehren.  Der  Kranke,  der  ins  Bett 
gehört,  empfindet  diese  Notwendigkeit  schließlich  zumeist 
selbst,  ohne  daran  gemahnt  zu  werden.  Man  ziehe  in  Be- 
tracht, daß  viele  Kranken  bisweilen  schon  durch  den  Ge- 
danken, im  Bette  liegen  zu  müssen,  aufgeregt  werden  und 
in  schlechte  Stimmung  geraten,  was  den  Verlauf  ihres 
Leidens  in  böser  Weise  beeinflussen  kann. 

Oft  hat  man  es  mit  eigensinnigen  Kranken  zu  tun, 
die  ihren  Vorteil  verkennen  und  zu  demselben  gezwungen 
werden  müssen.  Gerade  Herzkranke  neigen  zu  Reiz- 
barkeit  und    Verstimmungen,    die  oft  einen  pathologi- 

x)  Siehe  Kap.  II. 

2)  Masing,  Deutsches  Arch.  f.  kl.  Med.,  Bd.  74. 

3)  Die  medikamentöse ,  diätetische ,  gymnastische  und  hydriatische 
Therapie  während  der  Bettlägerigkeit  sind  im  Abschnitte  „Digitalis"  etc.  er- 
örtert worden. 


Bewegung,  Sport,  Ruhe,  Erholung,  Temperaturwechsel.  1  g9 

sehen  Charakter  annehmen  können.  Die  Umgebung  soll 
hierauf  aufmerksam  gemacht  werden ,  um  nicht  als  Laune 
zu  deuten,  was  Folge  der  Krankheit  ist. 

Mancher  schwer  Kranke  fühlt  sich  im  Bette  unbehag- 
licher als  auf  einer  Ottomane ;  oft  ist  daran  das  Bett  selbst 
schuld ,  das  zu  weich  oder  zu  hart ,  zu  kühl  oder  zu  heiß 
sein  kann.  Selbst  das  Leben  eines  durch  Monate  ans  Bett 
Gefesselten  läßt  sich  noch  mannigfach  verschönen.  Das  Wesen 
der  therapeutischen  Kunst  beruht  ja  oft  in  der  Beachtung 
von  Kleinigkeiten.1)  Herzkranke  haben  das  Bedürfnis 
hoch  zu  liegen;  mäßig  harte  Polster  sind  weichen  Kopfkissen 
vorzuziehen. 

Viele  Patienten ,  die  sich  durchaus  nicht  an  den  Ge- 
danken des  Aufenthaltes  im  Bette  gewöhnen  wollten ,  ge- 
wöhnen sich  hieran ,  versöhnen  sich  mit  demselben ,  wenn 
schon  nach  ein-  bis  zwei  Tagen  eine  leichte  Besserung  zu  ver- 
zeichnen ist,  der  Schlaf  sich  bessert,  dieDiurese  ansteigt  etc.  — 
Frische  Luft,  manchmal  ein  bißchen  Sonnenschein,  sind  dem 
Herzkranken  willkommene  Gäste.  Selbst  kühlere  Witterung 
verbietet  das  Öffnen  des  Fensters  im  Krankenzimmer  nicht, 
wenn  der  Kranke  geschützt,  in  warme  Decken  eingehüllt 
ist.  Es  tut  ihm  oft  unendlich  wohl,  wenn  ein  kühler  Luft- 
hauch über  seine  Stirne  hinwegstreicht.  —  Zu  viel  Besuch  und 
das  damit  verbundene  Sprechenmüssen  ermüden  den  Herz- 
kranken ;  auch  Lesen  und  Schreiben  strengen  in  bisweilen 
ganz  unerwarteter  Weise  an,  denn  geistige  Arbeit  hat  eine 
Erhöhung  des  Blutdruckes  zur  Folge. 

Wie  bei  jedem  Kranken,  der  zu  lange  fortgesetztem 
Aufenthalte  im  Bette  verurteilt  ist,  werde  auch  beim  Herz- 
kranken gegen  das  Eintreten  von  Dekubitus  Sorge  ge- 
tragen. Das  Leintuch  darf  keine  Falten  bilden,  es  soll,  wo 
keine  speziellen  Vorrichtungen  hiefür  vorhanden  sind, 
mittels  Sicherheitsnadeln  an  die  Matratze  befestigt  werden. 
Gerötete  Partien  des  Körpers  (am  Kreuz,  den  Fersen)  sind 
täglich  mit  Essig ,  Zitronenscheiben ,  Franzbranntwein  zu 
waschen,  wenn  sie  wund  werden  durch  Wattakränze,  Gummi- 


l)  Mendelsohn,  Krankenpflege  für  Mediziner.  Jena  1899. 


190  Spezielle  Therapie. 

luftringe ,  Wasserkissen  zu  schützen ,  vor  Verunreinigung 
durch  Bleisalben,  Präzipitatsalben  zu  bewahren,  mit  Salicyl- 
und  Lapissalben  zu  behandeln.  Tiefe  brandige  Geschwüre 
reinigen  sich  oftmals  rasch ,  wenn  man  sie  mit  Gypsteer 
(ßitum.  fag.  20'0,  Calc.  sulf.  80*0.  S.  Äußerlich)  dick  ein- 
streut und  verbindet. 

Patienten  mit  den  höchsten  Graden  von  Dyspnoe  ver- 
tragen den  Aufenthalt  im  Bette,  selbst  sitzend,  nicht.  Sie 
lassen  die  Beine  über  den  Bettrand  hinaushängen,  vermutlich 
um  den  Druck  auf  das  geschwellte  Abdomen  (Leber)  und 
die  ödematöse  Bauchhaut  zu  vermeiden ,  oder  sie  befinden 
sich  in  einem  breiten ,  gepolsterten  Lehnstuhle  mit  Arm- 
und  Fußstützen,  warm  zugedeckt,  besser  als  im  Bette. 


Rekonvaleszenz.  Allgemeinere  Grundsätze  des  Heilplanes. 
Krankenpflege. 

Die  Frage,  wann  ein  Herzkranker  nach  eingetretener 
Besserung  das  Bett  verlassen,  seinen  Beruf  wieder  aufnehmen 
darf,  laßt  sich  nicht  kurz  beantworten.  Hier  muß  die  Er- 
fahrung und  die  Reaktion  des  Kranken  auf  leichte,  im  Bette 
vorgenommene  Widerstandsbewegungen  die  Auskunft  geben.1) 
Im  allgemeinen  wird  man  warten,  bis  die  Insuffizienzer- 
scheinungen bei  Bettruhe  ganz  oder  zum  größten  Teile  zu- 
rückgegangen sind ,  die  Harnmenge  längere  Zeit  wieder 
normal ,  Embolien  seit  mehreren  Wochen  nicht  mehr  auf- 
getreten, Fiebererscheinungen  seit  mindestens  drei  Wochen 
verschwunden  sind  etc.  Erst  stehe  der  Kranke  nur  für 
wenige  Minuten  auf2) ,  dann  für  immer  längere  Zeit ,  die 
Zwischenpausen  werden  immer  kürzer,  der  Aufenthalt  außer- 
halb des  Bettes  immer  länger ;  der  Kranke  darf  sich  anfangs 
nicht  bücken  und  muß  sich  beim  Ankleiden  helfen  lassen. 
Ganz  allmählich,  unter  Einschaltung  von  C02-hältigen  Bädern, 
Gymnastik ,  eines  Badeaufenthaltes ,  klimatischen  Kurge- 
brauches u.  s.  w.  erfolgt  der  Rücktritt    in    das  Leben ,    die 


')  Siehe  außerdem  pag.  26  ff. 
l)  Siehe  pag.  170  u.  171. 


Rekonvaleszenz.  Allgemeinere  Grundsätze  des  Heilplanes.  191 

Freiheit,  den  Beruf.  Besondere  Vorsicht  hat  einzutreten, 
wenn  der  Genesene  einer  unvorhergesehenen  Überanstrengung 
ausgesetzt  wird,  weil  eine  solche  leicht  zur  Wiederkehr  der 
Insuffizienzerscheinungen,  eventuell  zu  irreparablen  Störun- 
gen führen  kann. 

Gelingt  die  Rückbildung  der  Insuffizienzerscheinungen 
nicht  vollständig,  ist  also  eine  Insuffizienz  zweiten  Grades 
vorhanden,  dann  ist  strenge  Überwachung  des  Kranken 
und  Anpassung  der  Tätigkeit  desselben  an  den  Herzzustand, 
in  dem  Maße  als  es  die  konkreten  Verhältnisse  erfordern, 
resp.  gestatten,  notwendig. 

Solchen  Kranken  ist  jede  anstrengende  Körperbewe- 
gung, jeder  Sport  strikte  zu  untersagen,  das  Maß  der  Ar- 
beit und  das  Maß  des  Vergnügens  weit  herabzusetzen,  soweit 
es  ihnen  die  eigene  Empfindung  nicht  schon  grausam  ver- 
bietet. Etwaige  Spaziergänge  sind  3 — 4  Stunden  nach  der 
Mahlzeit  oder  vor  derselben  auszuführen. 

Angestrengtes  Bücken  ,  Kniebeugen ,  Armehochheben 
ist  diesen  Kranken  verboten.  Dies  gilt  speziell  mit  Rück- 
sicht auf  die  gern  ohne  Leitung  eines  Arztes  vorgenommene 
..Zimmergymnastik",  welche  vielen  Patienten  häufig  von 
„Unberufenen"   empfohlen  wird. 

Bestehen  nur  geringe  Insuffizienzerscheinungen ,  dann 
kann  man  von  kontinuierlicher  Bettruhe  Abstand  nehmen, 
sich  anfangs  auf  die  uns  bekannten  medikamentösen,  diäte- 
tischen, peumato therapeutischen  und  klimatotherapeutischen 
Maßnahmen  beschränken,  den  Kranken  vorübergehend  seinem 
Berufe  entziehen  oder  für  wesentliche  Erleichterungen  in 
demselben  Sorge  tragen  und  durch  solche  Mittel  eine  Wieder- 
kehr der  Herzsuffizienz  anbahnen. 

Alle  Herzkranken  sollen  nach  jeder  Art  von  anstren- 
gender Körperbewegung,  nach  der  Nahrungsaufnahme,  nach 
psychischen  Erregungen  u.  s.  w.  ruhige  Rückenlage  (oder  die 
dem  Einzelnen  bequemste  Ruhelage)  einnehmen,  bis  die  Zahl 
der  Respirationen  und  der  Pulse  auf  das  individuelle  Mindest- 
maß abgesunken  ist.  Die  Ausnahmsfälle,  in  denen  etwa  die 
Pulszahl  während  der  Rückenlage  ansteigt  (pag.  28),  können 
die    Regel    nicht   tangieren,    daß    die    Grundlage   jeder    ab- 


192  Spezielle  Therapie. 

sohlten  Schonung  des  Herzens  die  Innehaltung  der  ruhigen 
Rückenlage  ist  (F.  A.  Hoff  mann1). 

Ob  ausschließlich  ,. schonende"  Behandlung  notwendig 
ist,  oder  ob  von  vornherein  auch  bereits  übende  Behelfe 
herangezogen  werden  sollen ,  muß  in  jedem  Falle  durch 
den  Versuch  entschieden  werden.  In  den  ersten  Wochen 
der  Behandlung  nehme  der  Kranke  einmal  täglich  (während 
der  Tagesstunden)  mehrstündliche  Rückenlage  behufs  Appli- 
kation eines  „Herzschlauches"  ein.2)  Wofern  keine  spezielle 
Kontraindikation  der  Digitalisdarreichung  vorliegt,  werde 
dieselbe  nach  den  uns  bekannten  Regeln  zur  Anwendung 
gebracht.3)  Je  nach  dem  Grade  der  Funktionsläsion  und 
der  Art  der  Erkrankung  kommen  langsamer  oder  rascher 
die  übenden  Maßnahmen,  C02 -hältige  Bäder,  Mechano-  und 
Hydrotherapie,  ,,Terraincuren"  etc.  in  Betracht.  Man  be- 
denke aber  immer,  daß  die  Funktionsdiagnose  in  vielen 
Fallen  von  Myodegeneration  ,  Concretio  pericardii ,  Nieren- 
affe ktionen  etc.  überaus  schwer,  trügerisch  ist.  Je  mehr 
Vorsicht  wir  üben,  desto  mehr  Enttäuschungen  bleiben  uns 
erspart.  Jederzeit  aber  kann  es  uns  trotz  genauester  Unter- 
suchung widerfahren,  daß  eine  anscheinend  leichte  Insuffi- 
zienz in  einem  scheinbar  frühen  Stadium  letal  endigt,  und 
daß  uns  erst  die  mikroskopische  Untersuchung  des  Herzens, 
oft  nicht  einmal  diese,  über  den  Grad  der  speziellen  Insuffi- 
zienz Aufklärung  bringt. 

Sich  wiederholende  Anfälle  von  Herzinsuffi- 
zienz sind  desto  vorsichtiger  zu  behandeln,  je  älter  das 
betreffende  Individuum  ist  und  je  öfter  sie  sich  bereits 
wiederholt  haben. 

An  dieser  Stelle  sei  die  „Herzschwäche"  erwähnt,  die  man 
bei  Diabetikern  neben  großer  Muskelschwäche  und  Hinfälligkeit 
zu  finden  pflegt  und  die  in  vielen  Fällen  durch  eine  antidiabetische 
Diät  merklich  beeinflußt  wird.  Hirschfeld 4)  bringt  diese  Herz- 
schwäche mit  der  allgemeinen  Muskelschwäche  in  Verbindung, 
welche  sich  u.  a.  auch  an  dem  Akkommodationsmuskel  des  Auges  be- 


x)  F.  A.  Hoffmann,  1.  c. 

a)  Vide  pag.  119,  120,  169,  170. 

3)  Vide  pag.  51  ff. 

4)  Hirschfeld,  Berliner  klin.  Wochenschr.,   1900,  Nr.  16. 


Rekonvaleszenz.  Allgemeinere  Grundsätze  des  Heilplanes.  !<);; 

merkbar  macht.  Ihre  Therapie  ist  im  übrigen  die  der  chronischen 
Herzinsuffizienz  (neben  Berücksichtigung  der  für  den  Diabetes  in 
Betracht  kommenden  Maßnahmen). 

Die  Schmerzen  der  Kranken  in  der  Herz-  und  Leber- 
gegend werden  bisweilen  nach  Anlegung  von  Blutegeln. 
Senfpflastern,  Schröpfköpfen  (an  die  schmerzenden  Stellen) 
vermindert.  Einige  wirksame  Blutegel  lindern  das  Spannungs- 
gefühl in  der  Lebergegend  z.  B.  manchmal  in  eminentester 
Weise. 

Man  nehme  nur  gesunde  Blutegel,  die  sich  lebhaft  bewegen 
und  lasse  dieselben  einige  Stunden  vor  dem  Gebrauche  außer 
Wasser  oder  in  verdünntem  Essig.  Gute  Blutegel  ziehen  sich  nach 
dem  Anfassen  eiförmig  zusammen.  Nach  Reinigung  der  Hautstelle 
mit  Seife  und  Wasser  bestreicht  man  die  Haut  mit  Milch  oder  Zucker- 
w  asser.  Man  appliziert  die  Blutegel  einzeln,  indem  man  sie  vorsichtig 
mit  einem  dünnen  Leinenläppchen  dicht  hinter  dem  Kopf,  ohne  sie  zu 
drücken,  faßt  und  den  Kopf  gegen  die  Haut  hält,  oder  sie  in  ein 
zusammengerolltes  Kartenblatt  bringt,  dessen  Mündung  man  gegen 
die  Haut  hält.  Man  kann  aber  auch  mehrere  Blutegel  zusammen 
applizieren ,  indem  man  sie  in  ein  breithalsiges  Gefäß  bringt  und 
dieses  mit  der  Mündung  nach  unten  auf  die  Haut  aufsetzt.  Der 
vollgesogene  Blutegel  fällt  von  selbst  ab ;  durch  Bestreichen  mit 
Zucker  oder  Kochsalz  wird  das  Abfallen  erleichtert;  gewaltsames 
Abreißen  ist  nicht  angezeigt.  Sodann  läßt  man  einige  Zeit  nach- 
bluten ,  indem  man  die  blutende  Stelle  immer  wieder  mit  Watte 
oder  Gaze  abwischt.   Schließlich  Kompressionsverband. 

Zur  Bereitung  von  Senfteig  rührt  man  eine  Handvoll  Senf- 
mehl mit  der  gleichen  Menge  warmen  Wassers  zu  einem  dicken 
Brei  an,  der  auf  ein  Stück  Leinwrand  messerrückendick  aufgestochen 
und  direkt  auf  die  Haut  gelegt  wird.  Nach  5 — 10  Minuten  wird 
der  Senfteig  wieder  abgenommen  und  die  stark  gerötete  Haut  ab- 
gewaschen ,  abgetrocknet  und  mit  Vaselin  eingefettet.  Längeres 
Liegenlassen  des  Senfteiges  führt  Blasenbildung  herbei ,  die  zu 
vermeiden  ist. 

Als  Ersatz  des  zu  bereitenden  Senfteiges  dient  das  stets  be- 
reite Senfpapier,  das  1/2  Minute  lang  in  lauem  Wasser  aufgeweicht 
werden  muß  und  mit  der  Schichtseite  auf  die  Haut  gelegt  wird, 
oder  ein  mit  Senf  Spiritus  getränktes  Löschpapierblatt. 

Zum  Schröpfen  verwende  man  gläserne  Schröpfköpfe,  die 
sich  am  besten  reinigen  lassen.  Im  Notfalle  kann  jedes  nicht  zu 
große  und  zu  weite  Glas  als  Schröpfkopf  gebraucht  werden.  Die 
Luftverdünnung  im  Schröpfkopfe  kann  man  am  einfachsten  dadurch 
herbeiführen,  daß  man  ein  Holzstäbchen  an  einem  Ende  mit  Watte 
umwickelt,    die  letztere  mit  Alkohol  tränkt  und  angezündet  in  die 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten.  13 


194  Spezielle  Therapie. 

Öffnung:  des  Schröpfkopfes  hineinhält,  ohne  diesen  zu  berühren. 
Dann  setzt  man  den  Schröpfkopf  rasch  auf  die  Haut  auf,  so  daß 
sein  Rand  überall  fest  anliegt.  Man  erwärme  den  Schröpfkopf 
nicht  zu  sehr,  um  eine  Verbrennung  der  Haut  zu  vermeiden.  Übri- 
gens kann  man  nach  einer  Empfehlung  Auberts  (Lyon  medic,  1892) 
ein  mit  warmem  Wasser  benetztes  Seidenpapier  unter  die  Ränder 
des  Schröpfkopfes  legen  und  dadurch  die  Haut  schützen.  Infolge 
der  Luftverdünnung  wird  die  Haut  allenthalben  in  die  Höhlung 
des  Schröpfkopfes  hineingezogen ;  nach  einigen  Minuten  nimmt  man 
den  Kopf  ab,  indem  man  an  einer  Stelle  des  Randes  die  Haut 
niederdrückt  und  dadurch  Luft  eintreten  läßt.  Die  Rötung  und 
Verfärbung  der  Haut  bleibt  durch  längere  Zeit  bestehen ;  bei  zarter 
Haut  kann  es  bis  zur  Blasenbildung  kommen.  Man  setze  Schröpf- 
köpfe nur  auf  Körperteile  auf,  welche  genügend  große  Flächen 
darbieten;  Stellen,  an  denen  die  Haut  dem  Knochen  direkt  aufliegt, 
vermeide  man.  Behaarte  Teile  werden  vorher  rasiert ,  die  Haut 
wird  durch  Auflegen  feuchtwarmer  Kompressen  vorbereitet.  —  An 
Stelle  des  „blutigen  Schröpfens"  ist  neuerer  Zeit  die  Skarifikation 
getreten.  Die  „künstlichen  Blutegel"  gehören  der  Vergangenheit 
an.  Eine  überaus  handliche  Methode  des  Schröpfens  hat  v.  Jaksch  x) 
angegeben. 

Wenn  bei  Schädigungen  des  linken  Ventrikels  die  Ver- 
langsamung der  Zirkulation  den  höchsten  noch  mit  dem  Leben 
verträglichen  Grad  erreicht,  ein  plötzlicher  Schwächezustand 
der  linken  Kammer  eintritt,  die  vermehrte  Inanspruchnahme 
des  rechten  Ventrikels  (bei  Mitralfehlern)  keine  weitere  Steige- 
rung mehr  zuläßt,  Insuffizienz  des  rechten  Ventrikels  nahe 
bevorsteht  und  Lungenödem  sich  entwickelt,  dann  kann  dieser 
durch  die  höchsten  Grade  von  Cyanose  ausgezeichnete  be- 
drohliche Zustand  bisweilen  noch  durch  die  Venäsektion 
beseitigt  werden.  Durch  Entnahme  von  300 — 500  cmz  Blut 
wird  der  Druck  im  rechten  Vorhofe  vorübergehend  vermindert, 
die  Kammer  entlastet.  Die  Wirkung  eines  Aderlasses  ist  in 
solchen  Fällen  oftmals  geradezu  erstaunlich.  Das  gedunsene, 
cyanotische,  mit  Todesschweiß  bedeckte  Gesicht  wird  frischer 
gefärbt,  die  kühlen  Extremitäten  werden  wieder  wärmer,  ein 
Zeichen  dafür,  daß  der  Kreislauf  sich  gebessert  hat.  Die 
Indikation  zur  Vornahme  der  Venäsektion  bietet 
also  das  Verhalten  des  rechten  Ventrikels.  Findet 
sich  eine  kräftige  Hebung  des  Sternum  oder  neben  dem  Ster- 

\)  v.  Jaksch,  Tlierap.  Monaish.,  1902,  Nr.  7. 


Rekonvaleszenz.  Allgemeinere  Grundsätze  des  Heilplanes.  195 

num.  dann  kann  die  Entlastung  der  überangestrengten 
Kammer  Nutzen  bringen;  ist  hingegen  die  Insuffizienz  des 
rechten  Ventrikels  bis  zu  ihren  höchsten  Erscheinungen  ge- 
diehen, dann  wird  auch  die  Vornahme  eines  Aderlasses  nur 
noch  selten  von  Erfolg  begleitet  sein. 

Die  Herzinsuffizienz  nach  Aorteninsuffizienzen  älterer 
Leute  bietet  wegen  der  hochgradigen  Anämie,  mit  der  sie 
einherzugehen  pflegt,  wohl  kaum  jemals  die  Veranlassung 
zur  Vornahme  eines  Aderlasses  dar. 

Wenn  sich  im  Verlaufe  einer  Herzaffektion  Embolien 
oder  Thrombosen  entwickeln,  hat  absolute  körperliche 
Ruhe  einzutreten;  je  nach  der  Größe  des  obturierten  Ge- 
fäßes muß  3 — 6  Wochen  lang  das  Bett  gehütet  werden. 
Befallene  Extremitäten  werden  hoch  gelagert  und  in  er- 
höhter Stellung  leicht  fixiert.  Zur  Behebung  der  Schmerz- 
haftigkeit  sind  feuchtwarme  Umschläge  am  meisten  empfehlens- 
wert, während  Eisapplikation  gewöhnlich  versagt,  ja  selbst 
schmerzhaft  empfunden  werden  kann.  Alle  „übenden"'  Maß- 
nahmen ,  die  Darreichung  von  Herzmitteln ,  der  Gebrauch 
von  C02-hältigen  Bädern  haben  zu  unterbleiben.  Nur  ganz 
allmählich  dürfen  Bewegungen  wieder  aufgenommen  werden. 
Wichtig  ist  vor  allem  die  Sorge  für  leichten  Stuhlgang, 
um  Blutdrucksteigerungen  während  der  Defäkation,  welche 
zur  Loslösung  von  Thrombenmassen  führen  könnten,  zu  ver- 
meiden. 

Bei  der  Mehrzahl  der  „Herzleidenden"'  stellt  sich 
schließlich  ein  qualvolles  Siechtum  ein,  in  welchem  alle  Ver- 
suche ,  die  Zirkulation  zu  bessern ,  erfolglos  bleiben.  Der 
Hydrops  steigt,  die  Kranken  werden  immer  schwerer  be- 
weglich, orthopnoisch,  vom  Spannungsgefühle  in  der  Leber- 
gegend ,  dem  Hustenreize  gepeinigt,  schlaflos ,  entkräftet. 
Dann  bleibt  wohl  nichts  anderes  übrig,  als  zu  Schlafmitteln 
zu  greifen,  sollen  nicht  die  heruntergekommenen  Kranken 
durch  die  Qual  der  schlaflosen  Nächte  noch  weiter  erschöpft 
und  zerrüttet  werden. 

Der  Schlaf  kann  in  vielen  Fällen  nicht  nur  als  Tröster, 
sondern  auch  als  Helfer  bezeichnet  werden.  So  hat  Quincke  x) 


')   Quincke,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  31. 

13* 


!<)<)  Spezielle  Therapie. 

zum  erstenmale  darauf  hingewiesen,  daß  die  Diurese  bei 
Herzschwäche  im  Schlafe  zunimmt.  Während  des  Schlafes 
erholen  sich  das  Großhirn  und  die  lebenswichtigen  Zentren, 
die  auch  die  Herztätigkeit  beeinflussen.  Der  Stoffwechsel  ist 
im  Schlafe  geringer  als  im  wachen  Zustande,  seine  Abnahme 
desto  größer,  je  fester  der  Schlaf.  Wir  haben  gehört,  daß 
Ersparnisse  in  Bezug  auf  den  Stoffwechsel  sich  auch  in  Ver- 
minderung der  Herzarbeit  äußern.  Die  Herabsetzung  des 
Stoffwechsels  im  Schlafe  ist  wohl  hauptsächlich  auf  die  völlige 
Ausschaltung  der  willkürlichen  Muskelbewegungen  zurück- 
zuführen. Während  des  Schlafes  ist  die  Frequenz  des  Herz- 
schlags herabgesetzt,  wird  der  Tonus  der  Gefäße  geringer, 
sinkt  der  Blutdruck  ab  (Tiyerstedt1).  Schließlich  hält  der 
Schlaf  jeglichen  psychischen  Reiz  von  dem  Herzen  fern.  — 
Der  Schlaf  ist  also  unser  wirksamstes,  bestes  Herzscho- 
nungsmittel,  das  unter  Umständen  auch  auf  künstlichem 
(medikamentösem)  AVege  herbeizuschaffen  ist. 

Die  mildesten  Beruhigungsmittel2)  sind  die  Bromprä- 
parate, die  unbedenklich  durch  lange  Zeit  gereicht  werden 
können.  Ob  das  Natronsalz  vor  dem  Kalisalze  die  weniger 
herzschädigende  Wirkung  voraus  hat,  bleibt  noch  dahinge- 
stellt ;  jedenfalls  erzeugt  das  Bromkalium  leichter  Verdauungs- 
beschwerden als  das  Bromnatrium.  Man  gebe  also  Brom- 
natrium, und  zwar  gleich  in  tüchtiger  Dosis,  2—3—4^, 
1/2  Kaffeelöffel  voll,  in  AVasser  gelöst  oder  in  Milch;  die 
Brom-Brausemischungen  und  die  Darreichung  der  Bromsalze 
in  kohlensäurehältigen  Mineralwässern  sind  für  Herzkranke 
ungeeignet.  Oft  erzielt  man  eine  bessere  Bromwirkung,  wenn 
man  die  Bromdosis  teilt,  z.B.  1*5 — 2g  etwa  eine  Stunde 
vor  der  Schlafenszeit,  die  gleiche  Dosis  unmittelbar  vor  der 
Schlafenszeit  verabreichen  läßt. 

Bromammonium  wird  in  ungefähr  halb  so  großen 
Dosen  gegeben  wie  Bromnatrium. 


*)   Tiger  st  edi,  Lehrbuch  der  d.  Physiol.  d.  Menschen.  Leipzig  1902. 

a)  Auch  die  sogenannten  Beruhigungsmittel  (Sedativa)  können  im 
wahrsten  Sinne  des  Wortes  als  Beruhigungs-(Schonungs-)mittel  des  Herzens 
bezeichnet  werden,  indem  sie  jegliche  (vor  allem  die  reflektorische)  Erregbarkeit 
des  Herzens  herabsetzen  und  damit  zahlreiche  Quellen  der  vermehrten  In- 
anspruchnahme des  Herzens  beseitigen. 


Rekonvaleszenz.  Allgemeinere  Grundsätze  des  Heilplanes.  \\\~ 

Den  Sulfo Verbindungen  der  Fettreihe,  Sulfonal  und 
Trional  ist  eine  kräftige  schlafbringende  Wirkung  eigen- 
tümlich, die  uns  jedoch  bei  Herzkranken  leider  nur  allzu  oft 
im  Stiche  läßt.  Der  Schlaf  tritt,  vielleicht  wegen  der  Schwer- 
löslichkeit dieser  Mittel,  verhältnismäßig  langsam  ein.  um 
jedoch  bisweisen  viel  länger  anzuhalten  als  nach  anderen 
Schlafmitteln.  Als  Nachwirkungen  des  Sulfonals  sind  Schläfrig- 
keit, Depressionszustände  (Hat/1),  ja  selbst  Lähmungser- 
scheinungen (Umj)fenhach-)  verzeichnet  worden.  Xach  großen 
Sulfonaldosen  können  schwere  Yergiftungserscheinungen  auf- 
treten. —  Das  Trional  ist  wirksamer  als  das  Sulfonal.  seine 
Wirkung  tritt  rascher  ein .  die  Nachwirkungen  sind  viel 
weniger  unangenehm.  Die  länger  fortgesetzte  Darreichung 
der  Sulfoverbindungen  bei  Herzkranken  ist  nicht  angezeigt: 
das  Trional  kann  ungefähr  eine  AVoche  lang  unbedenklich 
verabfolgt  werden,  das  Sulfonal  immer  nur  zwei  oder  drei 
Tage  nacheinander;  dann  trete  immer  wieder  eine  Pause 
von  zumindest   mehrtägiger  Dauer  ein. 

Man  gibt  das  Sulfonal  in  Dosen  von  1— 1*5 — 'lg  in 
heißem  Tee  oder  in  heißer  Milch  oder  in  Kapseln  und  läßt 
eine  der  genannten  Flüssigkeiten  (etwa  150— 200  cm8)  nach- 
trinken. Tom  Trional  verschreibe  man  mindestens  2  g  pro 
dosi  und  lasse  es  in  gleicher  Weise  einnehmen  wie  das 
Sulfonal. 

Das  dritte  Schlafmittel  aus  der  Gruppe  der  Sulfoverbindungen  der 
Fettreihe,  das  Tetronal,  wird  kaum  verwendet. 

Die  Anwendung  des  Chloralh ydrat  bei  Herzkranken, 
namentlich  Arteriosklerotikern.  ist  wegen  seiner  schädlichen 
Herzwirkung  bedenklich.  Hingegen  sind  die  halogenfreien 
Verbindungen  dieser  Gruppe,  das  Paraldehyd.  Amylen- 
hydrat  und  Urethan  anwendbar,  wo  man  Chloralhydrat 
nicht  gebrauchen  darf. 

Paraldehyd  ist  relativ  wasserlöslich  und  wirkt  narko- 
tisch, ohne  Respiration  und  Zirkulation  zu  beeinträchtigen.  Es 
hat  einen  lange  anhaftenden,  sehr  unangenehmen  Geschmack 
und  verleiht  der  Athemluft.  da  es  durch  die  Lungen  au- 


»)  Hay  zit.  nach  Schmied  eberg,  Grundriß  der  Pharmak.   Leipzig  1902. 
-')   Umpfenbaeh,  zit.  nach   Schmiedeberg. 


198  Spezielle  Therapie. 

schieden  wird,  durch  viele  Stunden  seinen  spezifischen,  wider- 
lichen Geruch.  Die  hypnotische  Wirkung  tritt  nach  Dosen  von 
2 — 4  g  sehr  rasch  (oft  schon  nach  ungefähr  zehn  Minuten)  ein. 
Man  verschreibt  z.  B. :  Rp.  Paraldehyd.  20*0,  Aq.  fönt.  300'0. 
MDS.  2—8  Eßlöffel  in  Zuckerwasser;  oder  Rp.  Paraldehyd. 
;VQ.  Aq.  menth.  piper.,  Cognac.  Syr.  cort.  aurant.  aa.  2O0. 
MDS.  Auf  einmal  zu  nehmen. 

Das  leicht  lösliche  Urethan  wirkt  schwächer  narko- 
tisch .  hingegen  erregend  auf  das  Respirationszentrum,  was 
sich  bei  Herzkranken  mit  Insuffizienzerscheinungen  zweiten 
Grades  unter  Umständen  wohltätig  bemerkbar  macht.  Man 
gibt  Urethan  in  Dosen  von  3 — 4  g,  z.  B.:  Urethan  lO'O.  Syr. 
cort.  aurant,  500.  MDS.  Abends  1—2  Kaffeelöffel  voll. 

Das  Amylenhydrat  hat  unangenehme  Nebenwir- 
kungen auf  Zirkulation  und  Athmung;  es  erzeugt  auch 
leicht  Kopfschmerz  und  Übelkeit  (Schmiedeberg *).  Man  ver- 
schreibt es  in  Einzeldosen  von  2 — 4  g  in  Gelatinekapseln 
oder  mit  Orangensirup  etc. 

Von  neueren  Schlafmitteln  wäre  noch  das  Hedonal 
zu  nennen ,  das  in  Dosen  von  1*5 — 2*0  g  als  Pulver  (in 
Kapseln)  zu  verschreiben  ist,  während  die  Chloralderivate. 
das  Chloralformamid ,  das  Ural,  das  Somnal,  das  Dormiol. 
das  Hypnal ,  die  Chlor  alose  etc.  wegen  ihrer  schädlichen 
Wirkung  auf  das  Herz  zu  vermeiden  sind. 

Versagen  alle  die  genannten  Schlafmittel,  dann  greife 
man  unbedenklich  zu  dem  fast  ausnahmslos  wirksamen,  den 
gequälten  Kranken  den  heilsamen  Schlaf  wiederbringenden 
Morphium.  Die  Angst  vor  dem  Morphium  ist  ganz  und 
gar  unberechtigt:  es  hat  sogar  in  manchen  Fällen  nicht 
nur  eine  subjektive  Erleichterung  herbeigeführt,  sondern 
geradezu  eine  Wendung  zur  Besserung  angebahnt.  Einen 
ganz  besonders  bemerkenswerten  einschlägigen  Fall  schildert 
Ewald. 2)  Morphium  erspart  dem  Kranken  Schmerzen,  mildert 
die  Dyspnoe,  seine  Wirkung  ist  bei  hochgradigen  Herzin- 
suffizienzen   oftmals    geradezu    zauberhaft,   Es    ist   also  das 


1)  Schmiedeberg,  1.  c.  pag.  41. 

2)  Ewald,  Berliner  klin.  Wochenschr.,  1901,  Nr.  42. 


Die  Insuffizienz  der  Mitralklappen.  199 

Herzschonungsmittel  koct  eco/tjv.  Seinen  beruhigenden 
Einfluß  verdankt  es  zum  Teile  wohl  auch  der  Fernhaltung 
des  Einflusses  psychischer  Erregungen  auf  das  Herz. 


Die  Insuffizienz  der  Mitralklappen. 

Eine  „Mitralinsuffizienz"  kann  durch  anatomische  Verände- 
rungen der  Mitralklappe,  durch  Läsion  der  Funktion  ihrer  Papillar- 
und  Klappenmuskeln  und  als  Resultat  der  (Stauungs-)  Dilatation  des 
linken  Ventrikels  (relative  Insuffizienz)  zustande  kommen.  Ist  die 
Mitralklappe  insuffizient,  dann  strömt  eine  gewisse  Menge  Blutes  wäh- 
rend jeder  Systole  in  den  linken  Vorhof  zurück  und  es  entwickeln  sich 
allmählich  die  im  Abschnitte  2.(pag.  14  ff.)  angedeuteten  Stauungs- 
erscheinungen. Die  Mitralinsuffizienz  manifestiert  sich  durch  Vergröße- 
rung des  Herzens  nach  links  oben,  nach  links  und  nach  rechts,  durch 
ein  systolisches  Schwirren  und  ein  systolisches  Geräusch,  das  über  dem 
linken  Ventrikel,  selten  über  dem  Rücken  (zwischen  Wirbelsäule  und 
linker  Skapula)  zu  hören  ist  und  nur  ausnahmsweise  über  die  „Aorten- 
region1" hinaus  nach  oben  fortgeleitet  wird.  Der  Spitzenstoß  ist 
nach  außen  verrückt,  hebend,  es  besteht  „epigastrische  Pulsation" 
und  fühlbarer  Pulmonalklappenschluß.  —  Die  Insuffizienz  der  Mitral- 
klappe ist  der  häufigste  und  relativ  günstigste  Klappenfehler;  leichte 
Grade  können  unter  günstigen  Verhältnissen  viele  Jahre,  ja  bis 
ins  hohe  Alter,  ohne  Insuffizienzerscheinungen  des  Herzens  bestehen 
bleiben.  Je  bedeutender  der  Defekt,  desto  bedeutender  sind  auch 
die  „kompensatorische"  Hypertrophie  des  mit  größeren  Füllungen 
als  in  der  Norm  arbeitenden  linken  Ventrikels,  des  rechten  Ventrikels 
und  die  Folgeerscheinungen  für  den  Lungenkreislauf  (Cyanose, 
Dyspnoe ,  Herzfehlerzellen ,  bisweilen  nachweisbare  Lungenstarre), 
ferner  die  Leberschwellung;  das  systolische  Geräusch  wird  bei 
schwereren  Fällen  weit  nach  unten  und  außen  fortgeleitet  und  füllt 
die  ganze  Systole  aus,  den  ersten  Ton  vollkommen  ersetzend ,  bei 
leichteren  Fällen  pflegt  die  Systole  mit  einem  Tone  zu  beginneu, 
an  den  sich  erst  das  Geräusch  anschließt.  Je  leiser  und  kürzer  das 
den  Ton  völlig  ersetzende  Geräusch  ceteris  paribus  ist,  desto  hoch- 
gradiger ist  die  Mitralinsuffizienz  oder  die  Läsion  der  Herzfunktion. 
Die  mit  Tachykardie  einhergehenden  Fälle  sind  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  prognostisch  minder  günstig.  Arhythmie  kommt  auch  bei 
den  leichtesten  Fällen  vor,  die  Inäqualität  des  Pulses  ist  ein 
ernsteres  Symptom.  Die  relative  Mitralinsuffizienz  ist  naturgemäß 
zumeist  von  schlechterer  Vorbedeutung. 

Die  Insuffizienz  der  Mitralklappe  ist  therapeutisch 
vielfach  beeinflußbar.    Da    der  Grad  der  Regurgitation  mit 


2(  M  )  Spezielle  Therapie. 

der  Höhe  des  Blutdruckes  zunimmt,  ist  es  eine  der  Haupt- 
indikationen ,  Blutdrucksteigerungen  zu  vermeiden ,  be- 
ziehungsweise durch  geeignete  Diät,  Laxantien,  hydrothera- 
peutische Maßnahmen  ,  Jodmedikation  ,  Alkohol ,  Kampfer, 
Blutegel,  Venasektion  zu  bekämpfen. 

Wenn  sich  Herzinsuftizienz-Erscheinungen  entwickeln 
oder  ein  Kranker  mit  Mitralinsuffizienz  und  hohen  Graden  von 
Herzinsuffizienz  zu  behandeln  ist,  dann  versuche  man  es  sofort 
mit  der  Digitalisdarreichung  x),  im  ersteren  Falle  in  kleineren, 
lange  fortgesetzten ,  im  zweiten  Falle  in  zwei  bis  drei 
größeren  Dosen  mit  gleichzeitiger  Theobrominmedikation ; 
für  Mitralkranke  mit  leichteren  Graden  von  Herzinsuffizienz 
ist  die  „chronische  Digitalistherapie"  oftmals  ganz  besonders 
geeignet ;  nur  wenn  Appetitlosigkeit  eintritt,  werde  sie  eine 
Zeitlang  weggelassen.  Der  Zustand  der  Bronchien  ist  sorg- 
fältig zu  beachten,  auch  die  leichteste  Bronchitis  sorgsam 
zu  behandeln.  Mitralinsuffizienzen  sind  zumeist  dankbare 
Objekte  der  unter  entsprechenden  Kautelen  vorgenommenen 
Klimato-,  Pneumo-,  Mechano-  und  Hydrotherapie.  Die  In- 
suffizienzerscheinungen sind  im  übrigen  nach  den  Regeln  zu 
behandeln,  die  wir  im  Kapitel  ..chronische  Herzinsuffizienz" 
kennen  lernten.  Erscheinungen  von  hochgradiger  Insuffizienz 
lassen  sich  bisweilen  durch  Morphiumdarreichung  in  über- 
raschend günstiger  Weise  beeinflussen. 


Die  Stenose  des  Mitralostiums. 

Bei  der  Mitralstenose  ist  der  Übertritt  des  Blutes  aus  dem 
linken  Vorhofe  in  den  linken  Ventrikel  erschwert.  Die  Verengerung 
des  mitralen  Ostiums  geht  fast  immer  mit  Insuffizienz  der  Mitral- 
klappen einher  (weil  die  geschrumpften  Klappen  starrer  und  schluß- 
unfähig geworden  sind),  doch  können  die  Erscheinungen  der  Re- 
gurgitation so  sehr  zurücktreten,  daß  wir  eine  „klinisch  reine" 
Mitralstenose  vor  uns  haben.  Bei  „Mitralstenosen"  entwickeln  sich 
sehr  rasch  die  Symptome  der  Überfüllung  des  Lungenkreislaufes 
((Zyanose,  Dyspnoe  etc.)  und  der  Hypertrophie  des  rechten  Ven- 
trikels.   Zur    Beurtheilung    des    Grades    der   Läsion    ist   zumal    die 


')  Viele  pag.  44  ff. 


Die  Stenose  des  Mitralostiums.  201 

Kenntnis  der  mannigfaltigen  auskultatorischen  Erscheinungen  not- 
wendig. Das  „diastolische"  Geräusch  kann  nämlich  in  vier  Modi- 
fikationen auftreten;  dieselben  sind:  1.  das  lange,  die  ganze  Dia- 
stole ausfüllende,  an  seinem  Ende  (durch  die  Vorhofskontraktion) 
verstärkte  Geräusch;  2.  das  zweigeteilte  rudimentäre,  diastolische 
Geräusch  —  man  hört  nur  den  Anfang  und  das  Ende  des  sub  1  ge- 
schilderten Geräusches ;  3.  das  präsystolische  Geräusch —  man  hört 
nur  die  oben  erwähnte  Verstärkung,  den  ersten  Teil  der  Diastole 
nimmt  der  zweite  Aorten-  oder  Pulmonalton  ein  ;  4.  die  mehrfache 
Spaltung  des  zweiten  Tones,  weit  hinauf,  bis  zum  Aortenostium  zu  ver- 
folgen. Der  erste  Mitralton  ist  fast  immer  auffallend  laut,  paukend. 
Die  Mitralstenose  ist  prognostisch  viel  ungünstiger  als  die  Mitral- 
insuffizienz; ihre  Gefährlichkeit  bedingen  auch  die  aus  den  Thromben 
im  linken  Vorhofe  (Herzohr)  stammenden  Embolien  ;  sie  muß  mit 
Ausnahme  der  geringgradigsten  Fälle  als  ein  schwerer  Klappen- 
fehler bezeichnet  werden.  Bei  Kindern  gibt  die  Mitralstenose  wegen 
der  progressiven  (schrumpfenden)  Tendenz  der  Klappenläsion  eine 
besonders  schlechte  Prognose ;  sie  kommt  bei  Frauen  häufiger  als 
bei  Männern  vor.  Broadbent  ])  unterscheidet  im  Verlaufe  der  Mitral- 
stenose im  allgemeinen  zutreffend  drei  Stadien:  Im  ersten  Stadium 
findet  man  über  der  Herzspitze  und  links  von  ihr  ein  präsystolisches 
Geräusch  und  einen  ersten  (akzentuierten)  Ton;  der  zweite  Ton  ist 
der  fortgeleitete  Aortenton;  solche  Patienten  können  Graviditäten, 
Erkrankungen  verschiedener  Art,  selbst  schwere  Bronchitiden  und 
Pneumonien  überstehen.  Im  zweiten  Stadium  ist  der  zweite  Ton 
über  der  Spitze  verschwunden,  der  erste  Ton  auffallend  laut,  von 
einem  präsystolischen  Geräusche  eingeleitet;  oft  füllt  in  diesem 
Stadium  ein  langes  Geräusch  die  ganze  Diastole  aus,  oder  es  sind 
die  oben  beschriebenen  Modifikationen  des  diastolischen  Geräusches 
vorhanden.  Die  Fälle  mit  langem  diastolischen  Geräusche  sind 
prognostisch  besonders  ungünstig.  Im  dritten,  dem  schwersten 
Stadium,  fehlt  das  präsystolische  Geräusch  an  der  Spitze  und  ist 
nur  der  akzentuierte  erste  Ton  vorhanden,  der  zweite  Aortenton 
unhörbar  (linke  Kammer  und  Aorta  werden  mangelhaft  gefüllt). 
Bei  stürmischer  Herzaktion  wird  im  zweiten  Stadium  der  zweite 
Pulmonalton  bis  zur  Herzspitze  fortgeleitet.  —  Über  den  Grad  der 
Funktionsläsion  belehrt  uns  vor  allein  der  Zustand  des  rechten 
Ventrikels.  Relative  Trikuspidalinsuffizienz,  Erscheinungen  an  den 
Halsvenen ,  Leberpuls 2),  Abnahme  der  Akzentuation  des  zweiten 
Pulmonaltones,  das  Auftreten  eines  systolischen  Geräusches  am 
Pulmonalostium  sind  Zeichen  schwerer  Insuffizienz.  Ödeme  pflegen 
gerade  bei  den  höchsten  Graden  von  Mitralstenose,  den  sogenannten 
..Kiiopflochstenosent:,  bis  zum   Schlüsse    vollständig  zu  fehlen.    Der 


')  Broadbent,  1.  c. 
»)  Vide  pag.  38. 


202  Spezielle  Therapie. 

Tod  tritt    in  solchen  Fällen    bisweilen   plötzlich  ein.    Die    „klinisch 
reinen"  Mitralstenosen  sind  fast  ausschließlich  hochgradige  Stenosen. 

Die  Mitralstenose  erfordert  fast  in  allen  Stadien  eine 
..schonende"  Behandlung,  d.h.  sämtliche  ,.herzschonenden" 
Maßnahmen  kommen  bei  ihr  in  Betracht.  Bei  den  leichtesten, 
dem  ersten  Stadium  entsprechenden  Graden  können  wir  uns 
auf  prophylaktische  und  diätetische  Behelfe  beschränken,  mit 
großer  Vorsicht  mechano- therapeutische  und  vor  allem 
passende  hydro-therapeutische  Prozeduren  anwenden  lassen. 
Die  Vorteile  der  Klimato-  und  Pneumotherapie  werden  von 
solchen  Kranken  nutzreich  angewendet;  Bronchitiden  und 
Lungenaffekt ionen  lassen  sich  dadurch  am  besten  bekämpfen. 
Digitalis  ist  im  ersten  Stadium  bloß  dann  indiziert,  wenn 
sich  auffällige  Pulsinäqualitäten  2),  Tachykardie,  Arhythmie 
oder  Insuffizienzerscheinungen  bemerkbar  machen ;  es  werde 
niemals  allein  gegeben ,  sondern  immer  in  Verbindung  mit 
Theobrominpräparaten ,  Alkohol,  Kampfer,  Jodpräparaten, 
z.  B.  Rubidium  jodatum,  in  ganz  kleinen  Dosen  und  gleich- 
zeitig mit  Purgan tien. 

Das  zweite  und  dritte  Stadium  fordern  zu  strengen 
Vorsichtsmaßregeln  auf;  jede  größere  körperliche  Anstren- 
gung ist  sorfältig  zu  vermeiden.  Es  ist  überaus  zweckmäßig, 
solche  Patienten  zeitweise  eine  mehrwöchentliche  Liegekur 
durchmachen  zu  lassen  ,  während  der  alle  schonenden  Maß- 
nahmen der  Herztherapie  (geringe  Flüssigkeitszufuhr)  zur 
Anwendung  kommen  können.  Digitalis  ist  bloß  bei  deut- 
lichen Insuffizienzerscheinungen  indiziert,  stets  nur  in  kleinen 
Dosen ,  die  bald  auszusetzen  sind ,  im  Vereine  mit  Mitteln, 
welche  seine  vasokonstriktorische  Wirkung  aufheben 2). 
nachdem  man  vorher  Purgantien  gereicht  oder,  im  geeigneten 
Augenblicke 3) ,  einen  Aderlaß  vorgenommen.  Für  solche 
Kranke     schien    mir     die    Strophantustinktur    zumeist     ent- 


*)  Geringe  Pulsinäqualitäten  kommen  auch  bei  den  leichtesten  Mitral- 
stenosen vor. 

2)  Vide  pag.  55. 

3)  Ein  auffälliger  Gegensatz  zwischen  der  Tätigkeit  des  linken  und 
des  rechten  Ventrikels,  d.  h.  starke  epigastrische  Pulsation  und  präsystolisch- 
systolischer Venenpuls  neben  kleinem,  irregulärem,  frequentem  Radialpulse,  ist 
bei  nicht  anämischen  Individuen  als  Indikation  des  Aderlasses  zu  betrachten. 


Stenose  des  Aortenostiums.  •){  );> 

sprechender  als  die  Präparate  der  Digitalispflanze.  Oftmals 
ist  die  Applikation  von  Blutegeln  in  der  Lebergegend  von 
guter  Wirkung.  —  Bei  hochgradigen  Mitralstenosen  erfordert 
die  Darreichung  von  direkten  Herzmitteln  wegen  der  Em- 
boliegefahr  ganz  besondere  Vorsicht;  in  derartigen  Fällen 
ist  übrigens  die  zumeist  bestehende  bedeutende  Bradykardie 
eine  direkte  Kontraindikation  der  Digitalisanwendung. 

Die  chirurgische  Therapie  hochgradiger  Mitralstenosen 
hat  Laudcr  Brunton1)  bereits  in  Erwägung  gezogen. 


Stenose  des  Aortenostiums. 

Bei  der  „Aortenstenose"  ist  der  Übertritt  des  Blutes  aus  dem 
linken  Ventrikel  in  die  Aorta  erschwert ;  die  zur  Mehrleistung  ge- 
zwungene Muskulatur  des  linken  Ventrikels  hypertrophiert  mehr 
oder  weniger,  nach  Maßgabe  des  Defektes  und  ihrer  Ernährungs- 
verhältnisse. Das  die  Aortenstenose  charakterisierende  Geräusch  ist 
systolisch,  in  der  „Aortenregion"  zu  hören  und  gewöhnlich  auch 
weit  hinauf,  bis  in  die  Halsgefäße,  zu  verfolgen;  es  ist  in  der 
Regel  von  einem  über  dem  oberen  Sternumdrittel  und  rechts  davon 
fühlbaren  Schwirren  begleitet.  Eine  hohe  Pulsfrequenz  ist  bei 
Aortenstenosen  zumeist  als  ungünstiges  prognostisches  Zeichen  zu 
betrachten.  Die  Mehrzahl  der  Aortenstenosen  kommt  auf  arterio- 
sklerotischer Grundlage  zustande ,  daher  ist  die  Vorhersage  dieser 
Stenosen  immer  verhältnismäßig  ungünstig;  hingegen  können  im 
jugendlichen  Alter  entstandene  Aortenstenosen  mäßigen,  ja  selbst 
solche  höheren  Grades,  viele  Jahre  lang  ohne  jegliche  Erscheinung 
von  Herzinsuffizienz  bestehen  bleiben.  Die  Bestimmung  des  Grades 
der  Funktionsläsion  unterliegt  den  im  Abschnitte  111  (pag.  26)  ange- 
führten Kriterien.  Die  geringgradigen  Aortenstenosen  gehen  immer 
mit  Insuffizienz  der  Aortenklappen  einher. 

Aortenstenosen  älterer  Leute  machen  in  der  Regel  die 
Fernhaltung  von  körperlichen  und  geistigen  Überanstren- 
gungen, also  ,. Schonungstherapie"  notwendig;  hingegen  sind 
jugendliche  Individuen  mit  Aortenstenose  für  ,. übende •'  Maß- 
nahmen oftmals  recht  gut  geeignet.  Zeichen  von  Herzinsuf- 
fizienz lassen  die  Digitalisanwendung  nach  den  Indikationen 
und    Methoden ,    die    wir  a.  a.  0.  kennen    gelernt    haben  2), 


*)  Länder  Brunton,  Lancet,  1902. 
2)  Vi  Je  pag.  51. 


^04  Spezielle  Therapie. 

wünschenswert  erscheinen.  Digitalis  wird  also  bei  jungen 
Leuten  von  Nutzen  sein  können,  bei  den  Herzinsuffizienzen 
älterer  Leute  mit  Aortenstenose  werden  wir  sie  meistens 
versagen  sehen.  Bleiben  die  Erscheinungen  von  Stenosierung 
des  Aortenostiums  nach  Endokarditiden  zurück ,  dann  ge- 
währe man  dem  linken  Ventrikel  sehr  viel  Zeit  zur  Ent- 
wicklung der  „kompensatorischen"  Hypertrophie.  *  Lange 
fortgesetzte  Bettruhe,  sehr  vorsichtig  dosierte,  allmählich  an- 
steigende Übungstherapie  kommen  dann  in  Betracht. 

Alle  übrigen  therapeutischen  Indikationen  und  Behelfe 
sind  im  ..Allgemeinen  Teile",  in  dem  Kap.  „Chronische  Herz- 
insuffizienz "  und  im  Abschnitte  ..Das  Herz  bei  Arterio- 
sklerose"  eingehend  erörtert  worden. 


Die  Insuffizienz  der  Aortenklappen. 

Wir  haben  den  Mechanismus  der  Aorteninsuffizienz  bereits 
kennen  gelernt. *)  Dieser  Klappenfehler  manifestiert  sich  durch 
Dilatation  und  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels,  die  charakteristi- 
schen Erscheinungen  an  den  peripheren  Gefäßen  [Pulsus  celer 2), 
tönende  Radialis  etc.],  sowie  durch  ein  in  der  „Aortenregion"  auf- 
tretendes diastolisches  Geräusch ,  das  über  dem  Sternalende  der 
dritten  linken  Rippe  am  lautesten  zu  sein  pflegt  und  im  „Liegen" 
meistens  deutlicher  ist  als  bei  aufrechter  Haltung  des  Patienten. 
Ein  langes,  lautes  diastolisches  Geräusch  entspricht  unter  gleichen 
Erscheinungen  der  Herzinsuffizienz  gewöhnlich  einem  geringeren 
Grade  von  Klappenläsion  als  ein  kurzes,  leises  Geräusch.  Es  gibt 
aber  viele  Ausnahmen  von  dieser  Regel.  Je  mehr  Blut  bei  „kom- 
pensierten" Aortenfehlern  während  der  Diastole  regurgitiert,  desto 
grüßer  ist  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  der  linke  Ventrikel, 
desto  dicker  seine  Wand,  desto  deutlicher  auch  die  schnellende  Be- 
schaffenheit des  Pulses.  Bei  hohen  Graden  von  Aortenklappen- 
Insuffizienz  entsteht  an  der  Aorta  kein  zweiter  Ton.  Sind  die 
Klappen  nur  wenig:  verändert,  noch  teilweise  Schluß-  und  schwin- 
frungsfähig,  können  sie  also  noch  „gestellt"  werden ,  dann  hört 
man  im  Beginne  der  Diastole  einen  akzentuierten  Ton,  der  in  das 
diastolische  Geräusch  übergeht.  Ist  der  Klappendefekt  hochgradig, 
dann  kann  die  plötzliche  Hemmung  der  Blutsäule  nicht  zustande 
kommen ,    welche    die    Aorta    in    Schwingung    versetzt    und    einen 


')  Vide  pag.  17  ff. 

a)   Corrigan,  Edinburgh  med.  and  surgic.  Journal,  1832. 


Die  Insuffizienz  der  Aortenklappen.  -_>(  )b 

zweiten  Aorten-  (Arterien-)  Ton  erzeugt.  Es  muß  also,  wenn  man  sich, 
am  Halse  über  der  Karotis  auskultierend,  außer  dem  Hörbereiche 
des  diastolischen  Geräusches  und  des  zweiten  Pulmonaltones  befindet, 
die  plötzliche  Hemmung  der  Blutsäule  noch  möglich  sein ,  damit 
hier  der  zweite  Ton  hörbar  werde.  Sein  Vorhandensein  beweist 
somit ,  daß  die  Klappen  noch  teilweise  funktionieren  und  gibt 
daher  einen  prognostisch  relativ  günstigen  Hinweis  (Broadbent  1). 
Läßt  bei  Aorteninsuffizienz  die  Leistungsfähigkeit  des  linken 
Ventrikels  nach,  dann  kann  auch  ein  systolisches  Geräusch  (systoli- 
sches Rückströmen  von  Blut)  zustande  kommen  (Senator  -) ;  ein  weiteres 
Absinken  der  Kontraktionsfähigkeit  des  linken  Ventrikels  wird  durch 
das  Auftreten  eines  systolischen  Mitralgeräusches  gekennzeichnet.  — 
Bei  jugendlichen  Individuen  kann  selbst  ein  mittlerer  Grad  von 
Aortenklappen-Insuffizienz  ohne  Erscheinungen  der  Herzinsuffizienz 
viele  Jahre  lang  bestehen  bleiben.  Die  fast  ausschließlich  auf 
arteriosklerotischer  Grundlage  entstehenden  Aorteninsuffizienzen  älterer 
Leute  gehen  mit  strukturellen  Erkrankungen  der  Herzwand  (Koro- 
narsklerose)  einher  und  führen  daher  zumeist  schon  vom  Anfange 
an  schwere  Erscheinungen  herbei ;  das  Gleiche  gilt  von  den  auf 
luetischer  Endarteriitis  beruhenden  Formen. 

Die  Therapie  der  Aorteninsuffizienz  richtet  sich  nach 
ihrer  Ätiologie,  beziehungsweise  dem  Alter  des  Patienten. 
Für  Affektionen,  die  z.  B.  nach  rheumatischen  Endokardi- 
tiden  zurückgeblieben  sind,  gilt  das  hei  „Endokarditis*'  Ge- 
sagte: Man  muß  dem  Herzen  durch  lange  Bettruhe  Zeit 
lassen  zur  Entwicklung  der  „kompensatorischen"  Hyper- 
trophie, die  Anforderungen  an  das  Herz  durch  viele  Wochen 
auf  ein  Minimum  reduzieren  und  mit  Handhabung  aller  uns 
gebotenen  Kautelen  ganz  allmählich  zur  „übenden"  Therapie 
übergehen.  Im  allgemeinen  sollen  sich  Kranke  mit  Aorten- 
insuffizienz, auch  wenn  jegliche  „Kompensationsstörung"  fehlt, 
niemals  großen  körperlichen  Anstrengungen  aussetzen. 3) 
Treten  bei  jugendlichen  Individuen  auch  nur  die  leichtesten 
Erscheinungen  der  „Dekompensation"  auf,  dann  ist  Bettruhe 
von  mehr  wöchentlicher  Dauer  und  Digitalistherapie4)  ange- 


*)  Broadbent,  1.  c.  pag.  125. 

2)  Senator,  Festschrift  f.  Leyden.  Internat.  Beiträge  etc.,   Berlin  1902. 

3)  Die  Fälle  der  Literatur,  in  welchen  solche  Individuen  viele  Jahre 
lang  einen  körperlich  sehr  anstrengenden  Beruf  haben  erfüllen  können 
(Fraentzel,  Berl.  klin.  Wochenschr.,  1889,  Nr.  27),  sind  Ausnahmen,  welche  die 
Begel  bestätigen. 

4)  Tide  pag  23  ff. 


206  Spezielle  Therapie. 

zeigt;  eine  auf  diese  Weise  erreichte  Erholung  kann  unter 
günstigen  Verhältnissen  viele  Jahre  lang  anhalten.  Alle  im 
höheren  Alter  aufgetretenen  (arteriosklerotischen)  Aorten- 
insuffizienzen sind  in  hohem  Maße  ruhebedürftig.  —  Ein  ge- 
wisser Grad  von  Plethora  erleichtert  die  Herzarbeit  bei 
Aorteninsuffizienz  (Lewy),  denn  je  kleiner  der  Gesamtinhalt 
des  Aortensystems  ist.  desto  stärker  fällt  die  Wirkung  der 
Insuffizienz  auf  den  Kreislauf  ins  Gewicht.  Flüssigkeits- 
entziehu'ng  ist  daher  in  solchen  Fällen  nicht  angezeigt. 
Alle  pulsbeschleunigenden  Mittel,  z.  B.  Koffein,  Theobromin. 
Alkohol  etc.  wirken  bei  Aorteninsuffizienzen  günstig  ein; 
daher  ist  auch  die  Kombination :  Digitalis  —  Atropin,  Digi- 
talis —  Koffein,  in  vielen  Fällen  vorteilhaft  zu  gebrauchen.  — 
Chloralhydrat-Darreichung  ist  bei  arteriosklerotischen  Aorten- 
insuffizienzen direkt  gefährlich  (Broadbent).  —  Der  Ader- 
laß kommt  für  diese  Erkrankungen  nur  selten  in  Betracht. 

Arhythmien  sind  bei  Aorteninsuffizienzen  im  allgemeinen 
von  schlechter  Bedeutung  und  fordern  zur  Anordnung  von 
Bettruhe  auf.  Da  bei  Aorteninsuffizienzen  die  Gefahr  eines 
plötzlichen  Todes  besteht,  lasse  man  solche  Kranke  größere 
Fußmärsche  oder  längere  Reisen,  Bahnfahrten,  niemals  allein 
absolvieren. 

Die  übrigen  prophylaktischen  und  therapeutischen  Maß- 
nahmen sind  in  den  Kap.  „Chronische  Herzinsuffizienz^  und 
„Arteriosklerose"  zu  finden. 


Die  Insuffizienz  der  Pulmonalklappen  ist  fast  immer 
ein  angeborener  „Herzfehler",  ebenso  die  Stenose  des  Pulmo  na  1- 
o stiu ms.  Eine  Stenose  der  Pulmonalarterie  kommt  bisweilen  durch 
Druck  von  außen  her  (bei  Aortenaneurysmen,  schwieligen  Lungen- 
affektionen  etc.)  zustande.  Allen  Klappenfehlern  des  rechten  Ventrikels 
entpricht  das  starke  Hervortreten  der  Tätigkeit  desselben  im  Sym- 
ptomenbilde. 

Die  Insuffizienz  der  Trikuspidalklappen  ist  in  der 
Regel  mit  anderen  Klappenfehlern  kombiniert  oder  als  relative 
Trikuspidalklappen-Insuffizienz  ein  Zeichen  von  Herzinsuffizienz 
zweiten  Grades  bei  einfachen  oder  kombinierten  Herzfehlern.  x)  Das 


*)  Vide  pag.  51. 


Kombinierte  Klappenfehler.  207 

für  sie    am    meisten    charakteristische    Symptom   ist   der   systolische 
(dem  arteriellen  Pulse  synchrone)  Venenpuls. 

Die  Stenose  des  Trikuspidalostiums  ist  als  isolierter 
Klappenfehler  noch  nicht  beobachtet  worden. 

Die  Behandlung  der  eben  skizzierten  Herzkrankheiten 
deckt  sich  im  wesentlichen  mit  der  Therapie  der  chronischen 
Herzinsuffizienz,  doch  dürfen,  den  schweren  Zuständen  und 
Folgezuständen  entsprechend,  wohl  nur  die  schonenden  Maß- 
nahmen zur  Anwendung  kommen.  Die  physiologische  Wirkung 
der  Digitalis  läßt  uns  für  manche  dieser  Fälle  von  ihrer 
Anwendung  Vorteile  erhoffen.  Tatsächlich  hat  Eger1)  in 
einem  einschlägigen  Falle  bei  öfters  wiederkehrenden  Attacken 
von  Herzinsuffizienz  von  der  Digitalis  Nutzen  gesehen. 

Kombinierte  Klappenfehler. 

Für  kombinierte  Klappenfehler  kann  man  mit  B.  Leuij  2)  im 
allgemeinen  den  Satz  aufstellen  ,  daß  derjenige  Klappenfehler  den 
Charakter  der  Herztätigkeit  bedingt,  der,  wenn  allein  vorhanden, 
dem  Herzen  die  größte  Arbeit  zur  Aufrechterhaltung  eines  aus- 
reichenden Kreislaufes  auferlegt.  —  Die  Folgen  eines  Klappen- 
fehlers können  durch  einen  anderen  Klappenfehler  vermehrt  oder 
vermindert  werden.  So  kann  das  Maß  der  Regurgitation  bei  Mitral- 
insuffizienz abnehmen,  wenn  zu  diesem  Klappenfehler  eine  leichte 
Stenose  des  Mitralostiums  hinzutritt,  welche  die  Beweglichkeit  der 
Klappen  nur  wenig  einschränkt;  die  Kombination  von  Mitral-  und 
Aortenstenose  wirkt  ungünstig ,  weil  der  linke  schlecht  gefüllte 
Ventrikel  in  seiner  Entleerung  behindert  ist  und  somit  die  peri- 
pheren Arterien  (inklusive  Koronargefäße)  nur  geringe  Blutmengen 
erhalten;  hingegen  kann  ein  geringer  Grad  von  Aorteninsuffizienz 
durch  einen  geringen  Grad  von  Mitralstenose,  welche  die  „kom- 
pensatorische" Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels  begünstigt  und 
die  rückläufige  Stauung  erschwert,  eine  Art  von  Kompensation 
erfahren. 

Alle  kombinierten  Klappenfehler  stellen  schwere  Herz- 
erkrankungen dar,  deren  Prognose  in  der  Regel  sehr  un- 
günstig ist.  —  Ihre  Behandlung  muß  sich  nach  den  vor- 
herrschenden Symptomen  richten.    Man  darf   die  Prinzipien 


*)  Eger,  zit.  nach   Vierordt,    „Die  angeborenen    Herzkrankheiten"    in 
Nothnagels  Spez.  Path.  u.  Ther. 
2)  B.  Letvy  1.  c. 


208  Spezielle  Therapie. 

derselben  vielleicht  in  die  "Worte  fassen,  daß  es  in  erster 
Linie  auf  den  Grad  der  bestehenden  Herzinsuffizienz  ankommt, 
in  zweiter  Linie  auf  das  Alter  des  Kranken  und  die  Natur 
der  Erkrankung  (Klappenfehler  nach  Endokarditis,  auf  ar- 
teriosklerotischer, luetischer  Grundlage),  schließlich  auf  den 
Umstand ,  ob  die  dominierenden  Symptome  einer  Mitraler- 
krankung  oder  einer  Aortenaffektion  entsprechen.  Es  wird 
uns  also  der  nämliche  Grad  von  Herzinsuffizienz  bei  einem 
jüngeren  Individuum  die  Möglichkeit  einer  übenden  im  An- 
schlüsse an  eine  schonende  Behandlung  erwägen  lassen,  bei 
älteren  Individuen  eine  strenge .  ausschließliche  Schonungs- 
therapie vorschreiben,  wir  werden  in  einem  Falle  von  ,. kom- 
biniertem Klappenfehler",  der  Cyanose,  Dyspnoe,  Arhythmie, 
Ödeme  etc.  aufweist,  also  das  Gesamtbild  eines  Mitralfehlers 
zeigt,  die  Prinzipien  der  Therapie  des  Mitralfehlers  in  An- 
wendung ziehen  etc.,  im  übrigen  alle  Maßnahmen  befolgen, 
welche  im  Abschnitte  ,.  Prophylaxe  und  Therapie  der  chroni- 
schen Herzinsuffizienz"   ausführlich  erörtert  wurden. 

Die  Herzbeschwerden  Fettleibiger.  • 

Es  ist  das  Verdienst  E.  v.  Leydens x),  zuerst  darauf  hinge- 
wiesen zu  haben ,  daß  die  Herzinsuffizienzerscheinungen  bei  Fett- 
leibigen auf  verschiedene  Momente    zurückgeführt    werden  müssen. 

In  vielen  Fällen  —  bei  muskelschwachen  Fettleibigen  —  be- 
steht ein  gewisser  Grad  von  Muskelschwäche  überhaupt,  von  Herz- 
schwäche im  besonderen,  das  dem  großen  Körpergewichte  gegenüber 
besonders  zum  Ausdrucke  kommt.  Tatsächlich  ertragen  muskel- 
kräftige  Menschen  einen  verhältnismäßig  bedeutenden  Fettansatz 
ohne  Herzinsuffizienzerscheinungen ,  während  muskelschwache  Indi- 
viduen schon  bei  geringeren  Graden  von  Fettleibigkeit  Insuffizienz- 
erscheinungen aufweisen ;  diesen  Unterschied  hat  schon  Traube 2) 
hervorgehoben. 

Andere  Fettleibige  sind  „Luxuskonsumenten",  zu  Exzessen  in 
Alkoholicis  geneigt  und  akquirieren  dadurch  allmählich  Gefäß-, 
Nieren-,  Herzveränderungen. 

In  einer  dritten  ,Reihe  von  Fällen  findet  sich  ein  wirkliches 
„Fettherz",   „Adipositas  cordis",  vor,  d.  h.  es  hat  sich  Fettgewebe 


*)  v.  Leyden,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.,  Bd.  5  u.  11. 
2)  Traube,  Ges.  Beitr.,  Bd.  3. 


Die  Herzbeschwerden  Fettleibiger.  209 

unter  dem  viszeralen  Perikard,  in  den  Herzf lirchen,  in  Begleitung  der 
Gefäße,  angesammelt,  mehr  oder  weniger  reichlich  das  Herz  durch- 
wuchernd, die  Muskelfasern  ertödtend  und  ersetzend. x)  Die  zwischen 
den  Muskelfasern  sich  ansammelnden  Fettmassen  können  rein 
mechanisch  die  Systole  und  die  diastolische  Erweiterungsfähigkeit 
des  Herzens  erschweren  (y.  Noorden  2),  was  umsomehr  in  Betracht 
kommt,  als  dieses  Herz  zudem  größere  Arbeitsleistungen  auszuüben 
hat  [Lazams3).  Schließlich  kann  im  anatomischen  Bilde  eine  fettige 
Degeneration  der  Herzmuskelfasern  mehr  oder  weniger  hervortreten.  — 
Untersuchungen  von  fiothberger*)  scheinen  dafür  zu  sprechen,  daß 
das  Herz  schon  durch  fettige  Degenerationen  mäßigen  Grades  eine 
nachweisbare  Einbuße  an  Arbeitskraft  erfahren  kann.  —  Aus  der 
Kombination  von  „Adipositas  cordis"  und  Fettdegeneration  müssen 
sich  naturgemäß  hohe  Grade  von  Herzinsuffizienz  ergeben ,  die 
höchsten,  wenn  sich  gegebenenfalls  alle  angedeuteten  Ursachen  von 
Herzbeschwerden  bei  einem  Fettleibigen  zusammenfinden. 

Die  therapeutischen  Indikationen  des  „Fettherzens" 
decken  sich  zum  großen  Teile  mit  den  Indikationen  der  Herz- 
insuffizienz überhaupt;  es  handelt  sich  auch  bei  der  Herz- 
insuffizienz der  Fettleibigen  um  die  Lösung  des  Widerspruchs 
zwischen  Leistungsvermögen  des  Herzens  und  Erfordernis. 
In  den  meisten  dieser  Fälle  können  wir  den  Hebel  an  zwei 
Punkten  ansetzen,  indem  wir  das  Maß  des  für  das  Herz  zu 
Leistenden  vermindern  und  gleichzeitig  das  Leistungs- 
vermögen des  Herzens  heben. 

Der  ersten  Indikation  dient  die  Entfettung,  der 
zweiten  die  ,.übenden"  Maßnahmen  der  Herztherapie;  in  vor- 
geschrittenen Fällen  wird  eventuell  mit  einer  „schonenden" 
Therapie  zu  beginnen  sein.  Immer  aber  müssen  wir  uns, 
bevor  wir  den  Kurplan  entwerfen,  der  Mahnung  Bombergs 
folgend,  die  Frage  vorlegen :  Beruhen  die  Herzbeschwerden 
im  konkreten  Falle  nur  auf  einem  Mißverhältnisse  zwischen 
Herzkraft  und  Körpermasse  oder  müssen  wir  auch  eine  ana- 
tomische Erkrankung  des  Herzens  (Adipositas  cordis,  fettige 
Degeneration,  sklerotische  Veränderungen  der  Koronargefäße, 
chronische  Myokarditis  etc.)  in  Erwägung  ziehen  ? 

*)  Ein  solches  Herz  verbirgt  seine  „Abmagerung"  hinter  seiner  dicken 
Fetthülle  (Aug.  Schott);  Kisch  nennt  ein  solches  Herz  ein  „ Mastfettherz u 
(„Das  Mastfettherz",  Prag  1894  u.  a.  a.  0.). 

2)  v.  Noorden,  Nothnagels  Spez.  Path.  u.  Ther.,  Bd.  7,  T.  4. 

3)  Lazarus,  Handb.  d.  physik.  Therapie. 

4)  Bothberger,  Arch.  de  Pharmakodynamie  etc..  Vol.  8. 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten.  14 


210  Spezielle  Therapie. 

Es  gibt  keinen  größeren  therapeutischen  Fe  hl  er 
als  die  Einleitung  einer  energischen  Entfettungs- 
kur bei  einem  Fettleibigen  mit  einem  kranken 
Herzen.  ..Die  in  weiten  ärztlichen  wie  Laienkreisen  ver- 
breitete Ansicht ,  zur  Wiederherstellung  der  Herzfunktion 
bei  Fettleibigen  genüge  eine  „Entfettungskur"  nach  diesem 
oder  jenem  Schema,  hat  außerordentlich  viel  Unheil  ange- 
richtet" (Romberg).  Bestehen  Zeichen  von  Herzinsuffizienz, 
dann  gehe  man  jedenfalls  davon  ab,  eine  der  beliebten 
forcierten  Entfettungskuren  vornehmen  zu  lassen ;  solche 
Individuen,  sind  vielmehr  zunächst  ausschließlich  nach  den 
Indikationen  der  chronischen  Herzinsuffizienz  überhaupt  zu 
behandeln.  Der  notwendigen  Entfettung  lasse  man,  insoweit 
sie  sich  nicht  ohne  unser  Zutun  einstellt,  Zeit,  viel  Zeit; 
alle  ihr  dienenden  Maßnahmen  haben  unter  strenger  Kontrolle 
der  Herzfunktion,  gewissermaßen  nur  nebenbei,  zu  erfolgen. 
Am  besten  ist  es,  den  Vorschlag  Rombergs1)  zu  beherzigen 
und  die  Herzinsuffizienz  eines  fettleibigen  Individuums  nur 
dann  durch  eine  Entfettungskur  zu  beseitigen ,  wenn  das- 
selbe nicht  mehr  als  vierzig  Jahre  alt  ist. 

Fettleibige  über  Vierzig,  hochgradig  Fettleibige  sowie 
alle  Leute  über  Fünfzig  sind  vor  Einleitung  einer  Brunnen- 
oder Entfettungskur  einer  genauen  Prüfung  des  Herzens 
nach  den  Regeln  zu  unterziehen,  die  wir  im  Abschnitte  III 
kennen  lernten ;  lassen  sich  auch  nur  die  leichtesten  Insuf- 
fizienz-Erscheinungen nachweisen,  dann  hat  die  Kur  zu  unter- 
bleiben. Personen  mit  Klappenfehlern,  hochgradig  Fettleibige 
anämische  Individuen  („Fettsüchtige")  und  Leute  über  Sechzig 
sind  für  „Brunnen-*'  und  „Entfettungskuren"   ungeeignet. 

Brunnenkuren  (in  Marienbad,  Karlsbad,  Kissingen, 
Tarasp  etc.)  oder  „Entfettungskuren"  seien  demnach 
nur  prophylaktische  Maßnahmen  bei  fettleibigen, muskel- 
kräftigen Individuen,  die  den  angeführten  Bedingungen  ent- 
sprechen, deren  Fettleibigkeit  oftmals  nichts  anderes  ist  als 
ein  höherer  oder  niedrigerer  Grad  von  Überernährung  (die 
wir  von  den   „Fettsüchtigen''   wohl  zu  unterscheiden  haben). 


J)  Rombery  1.  c. 


Die  Herzbeschwerden  Fettleibiger.  211 

Mit  diesen  Kuren  können  sich  in  zweckmäßiger  Weise 

unsere  verschiedenen  physikalischen  Behelfe  vereinigen. 
Oft  reichen  Regulierung  der  Diät1)  und  Sorge  für  genügende 
Körperbewegung  aus,  oder  man  sieht  allmähliche  Abnahme 
des  Körpergewichtes  eintreten  ,  wenn  man  die  betreifenden 
Individuen  Gymnastik  und  Hydrotherapie  betreiben  läßt 
und  bloß  dazu  anhält,  die  Speisen  weniger  fett  und  süß 
bereiten  zu  lassen,  zum  Süßen  von  Kaffee,  Tee,  Limonaden 
statt  Zucker  Saccharin  zu  nehmen,  während  der  Hauptmahl- 
zeiten nicht  viel  zu  trinken,  Schwarzbrot  statt  Weizenbrot 
zu  essen,  auf  Süßigkeiten,  süße  Kompots,  Creme,  Fruchteis, 
süße  Mehlspeisen,  fetten  Käse,  reichlichen  Biergenuß  zu 
verzichten,  nicht  gehäufte  kleine,  sondern  fünf  regelmäßige, 
rationell    Zusammengesetze  Mahlzeiten    einzunehmen  u.  s.  w. 

Der  Erfolg  der  eigentlichen  ..Entfettungskuren"  bei 
geeigneten  Individuen  ist  hauptsächlich  auf  die  präzise  Art 
ihrer  Vorschrift  zurückzuführen  ,  die  den  schädigendeu  Le 
bensgewohnheiten  mit  einem  Schlage  ein  Ende  bereitet  und 
als  Novum  dem  Gros  des  Publikums  mehr  imponiert  als 
die  allgemeineren,  eine  gewisse  Einsicht  in  die  Ernährungs- 
physiologie erheischenden  Vorschriften. 

Der  Wert  solcher  Kuren  beruht  zudem  auch  darauf, 
daß  die  betreffenden  Individuen  durch  sie  an  eine  rationelle 
Diät  gewöhnt  werden.  Der  Verzicht  auf  ..Tafelfreuden"  ist 
überhaupt  mit  einemmale  leichter  zu  erreichen  als  durch 
langsame  Entwöhnung.  Allmählich  kommende,  unmerkliche, 
sich  einschleichende  Kostverminderungen  werden  nur  von 
intelligenten  Kranken ,  denen  man  die  Prinzipien  der  Er- 
nährung klarlegen  kann,  anerkannt  und  befolgt. 

Die  Mehrzahl  der  Menschen  aber  will  handgreifliche 
Unterschiede  merken,  rasche  Erfolge  sehen  und  fühlen.  Wer 
übrigens,  etwa  nach  vierwöchentlichem  Aufenthalte  in  Marien- 
bad, nachdem  er  daselbst  einige  Kilogramme  seines  Körper- 
gewichtes abgegeben  hat,  wieder  zu  seiner  früheren  Luxus- 


*)  In  Laienkreisen  bestehen  oft  die  merkwürdigsten  Vorstellungen  über 
den  Nährwert  der  Speisen;  oft  kann  man  den  Nachweis  führen,  daß  Leute, 
die  wenig  zu  essen  glauben,  überernährt  sind.  Allerdings  ist  das  ..Kalorienbe- 
dürfnis"  mancher  Fettleibigen  auffällig  niedrig. 

14* 


212  Spezielle  Therapie. 

diät,  zum  Alkoholmißbrauch  und  zu  seinem  Schlendrian 
zurückkehrt,  wird  bald  um  den  Erfolg  der  Brunnenkur  ge- 
kommen sein.  Wohl  läßt  sich  der  gleiche  äußere  unmittelbare 
Effekt  auch  im  nächsten  Jahre  wieder  erreichen ,  aber  der 
Kranke  und  sein  Herz  sind  inzwischen  um  ein  Jahr  älter 
geworden ;  auch  ist  es  überaus  zweifelhaft,  ob  so  bedeutende 
jährliche  Schwankungen  des  Körpergewichtes  auch  für  den 
Gesündesten  als  gleichgültige  Faktoren  zu  bezeichnen  sind. 
In  zuverlässiger  Weise  könnte  dies  nur  eine  Statistik  ent- 
scheiden ,  welche  die  durchschnittliche  Lebensdauer  solcher 
Individuen,  etwa  der  Stammgäste  Marienbads,  umfaßt.  — 
Bei  raschen  Entfettungen  laufen  wir  zudem  immer  Gefahr, 
Eiweißverluste  zu  veranlassen,  was  bei  „chronischen  Ent- 
fettungskuren" ,  die  nur  den  Fettbestand  angreifen ,  ver- 
meidbar ist  {Kolisch  *). 

Der  Gebrauch  einer  Brunnenkur,  etwa  einer  Marien- 
bader Kur,  mit  ihren  entsprechenden  Diätvorschriften  wird 
am  besten  im  Kurorte  selbst  vorgenommen.  Dort  entfallen 
alle  Schädigungen,  welche  auf  den  Kranken  zu  Hause  ein- 
wirken können,  die  Anforderungen  des  Berufes,  derFamilie  etc., 
von  selbst,  der  Kranke  ist  Herr  seiner  Zeit  und  den  Er- 
fordernissen der  Kur  niemals  entzogen.  Man  trachte  daher, 
den  Kranken  womöglich  zum  Besuche  des  Kurortes  selbst 
zu  bewegen. 

Muß  man  sich  dazu  entschließen,  die  Kur  zu  Hause  vor- 
nehmen zu  lassen,  dann  dringe  man  auf  die  weitmöglichste 
Einschränkung  der  Berufsgeschäfte  und  strenge  Einhaltung 
aller  Diätvorschriften.  Wen  sein  Beruf  zu  einer  variablen 
Tageseinteilung  zwingt,  der  wird  eine  solche  Kur  zu  Hause 
nicht  so  leicht  vornehmen  können  wie  etwa  ein  Beamter, 
der  über  eine  fixe  Tageseinteilung  verfügt. 

Man  läßt  die  größte  Menge  des  zu  trinkenden  Mineral- 
wassers (600 — 800  cm3)  früh  morgens  (von  6 — 7  Uhr)  nüchtern, 
schluckweise  nehmen ;  der  Kranke  geht  während  dieser  Zeit 
behaglich,  nach  dem  letzten  Schlucke  in  der  gleichen  Weise, 
doch    mindestens    eine    Stunde    lang,    spazieren.    (In    allen 

x)  Kolisch,  Diätet.  Therapie.  —  Zuntz,  Zeitschr.  f.  diät.  u.  phys.  Ther., 
Bd.  5,  H.  2  u.  a. 


Die  Herzbeschwerden  Fettleibiger.  213 

größeren  Städten  gibt  es  bereits  heutzutage  von  Gärten  und 
Anlagen  umgebene,  für  diesen  Zweck  geeignete  Kurpavillons.) 
Zwischen  8  und  9  Uhr  wird  gefrühstückt,  gegen  11  Uhr  eine 
Kleinigkeit  gegessen,  zwischen  12  und  1  Uhr  die  Haupt- 
mahlzeit, nachmittags  Tee  (oder  Kaffee),  zwischen  6  und 
7  Uhr  das  Nachtmahl  eingenommen.  Vor  der  Jause,  zwischen 
dieser  und  dem  Nachmittagsspaziergange  kann  abermals  eine 
kleinere  Portion  (200  cm3)  Mineralwasser  getrunken  werden. 
Um  9  Uhr  hat  der  Kurgebrauchende  bereits  im  Bette  zu 
liegen. 

Bei  der  Diät  ist  den  individuellen  Bedürfnissen  und  Erfahrungen 
in  weitem  Maße  Rechnung  zu  tragen.  Während  der  Trinkkur  sind 
saure  und  fette  Speisen,  fettes  Backwerk  und  Bier  zu  meiden.  Auf 
der  Liste  des  Verbotenen  stehen  durchgängig x) : 

Fleischspeisen:  Fettes  Schweinefleisch,  Rauchfleisch,  Gänse- 
ond  Entenbraten,  Leber  und  Leberpastete,  fette  Wurst,  Aal,  Lachs, 
Karpfen,  Sardinen,  Krebse,  Muscheln.  Erlaubt  sind:  Rindsbraten, 
Wild,  Geflügel,  Zander,  Hecht,  Schellfisch  etc. 

Gemüse:  Kohl,  Kohlrüben,  Hülsenfrüchte,  Pilze,  Trüffel, 
junge  Kartoffeln,  scharfe  Gewürze,  Pfeffer,  Senf,  Rettig,  Kren. 
Erlaubt  sind:  Blumenkohl,  Rosenkohl,  Spinat,  Karotten,  Spargel, 
Kartoffelbrei. 

Mehlspeisen:   Fette  Kuchen  und  Puddings. 

Ferner  sind  verboten :  Käse ,  fette  Saucen ,  Mayonnaisen, 
Fruchteis,  Gurken,  Melonen,  Nüsse,  Mandeln.  Weizenbrot  begünstigt 
die  Obstipation,  Schwarzbrot  (Grahambrot)  regt  —  bei  entsprechender 
Körperbewegung  —  die  Darmtätigkeit  an.  Über  den  Obstgenuß 
sind  die  Meinungen  geteilt,  doch  dürfte  der  Genuß  geringer  Mengen 
—  znmal  nach  dem  Mittagessen  —  zu  gestatten  sein.  Starke  Kaffee- 
und  Teeaufgüsse  sind  zu  meiden.  Die  Ansicht,  daß  Schokolade  stopfe, 
ist  nicht  zutreffend;  sie  kann  sogar  durch  den  Zucker-  und  Fett- 
gehalt abführend  wirken. 


Die  älteste  Entfettungskur  ist  die  Bantingkur,  die  eine 
fast  fettfreie  Eiweißdiät  darstellt.  Sie  gestaltet  sich  ungefähr  in 
folgender  Weise :  Frühstück:  120— 150  g  mageres  Fleisch,  Tee 
ohne  Milch  und  Zucker;  Mittag  150 — 180//  Fisch  oder  mageres 
Fleisch,  grünes  Gemüse,  30  g  Brot,  Kompott,  30  g  geröstetes  Brot, 
1  Glas  Wein;  Jause:  60 — 70  g  Obst,    1  Zwieback,  Tee  (wie  morgens); 


l)  A.  Hoffmann,  Diätetische  Kuren  in  Nothnagels  Spez.  Path  u.  Ther. 


214  Spezielle  Therapie. 

Nachtmahl:  100 — 120 g  mageres  Fleisch,  1  Glas  Wein.  —  Diese  Diät 
führt  leicht  üble  Zufälle,  Schwächezustände  herbei;  Ebstein  hat 
dieselben  durch  Reduktion  der  Kohlehydrate  und  Vermehrung  des 
Fettes  zu  bekämpfen  gesucht.  (Die  eigentliche  Bantingkur  ist 
übrigens  zu  reich  an  Alkohol.) 

Ebstein  verordnet:  Früh:  Tee  250//  (ohne  Milch  und  Zucker), 
50//  Weißbrot,  viel  Butter;  Mittag:  Suppe  mit  Mark,  120—180// 
Fleisch  mit  fetter  Sauce,  wenig  Gemüse,  keine  Kartoffeln,  keine 
Rüben,  kein  frisches  Obst,  kein  Backobst,  Wein,  schwarzen  Kaffee; 
Nachmittag:  Tee  wie  morgens;  Abend:  Tee,  1  Ei,  fetten  Braten 
oder  Schinken.  Wurst,  30//  Weißbrot,  viel  Butter,  wenig  Käse, 
frisches  Obst.  —  Eine  so  ausgesprochene  Eiweißfettdiät  ist  kaum 
allgemein  anwendbar;  es  gibt  viele  Menschen,  die  Fett  nicht  ver- 
trauen, ja  einen  Widerwillen  gegen  dasselbe  empfinden;  auch  ist 
diese  Diätform  sicherlieh  nicht  als  Darmschonungsdiät  zu  bezeichnen, 
was  für  die  Herztherapie  wesentlich  in  Betracht  kommt. 

Die  Oertelsche  Diät  hält  zwischen  der  Bantingschen  und  der 
Ebsteimchen  beiläufig  die  Mitte  ein.  Die  Kranken  sollen  die  vor- 
geschriebene Lebensweise  dauernd  beibehalten.  Unterernährung 
und  Körperbewegung  sind  bekanntlich  die  Hauptprinzipien  seiner 
Entfettungskur.  Oertel  reicht  vorwiegend  Eiweiß,  um  die  Ausbildung 
von  Muskel-  und  Organsubstanz  zu  befördern ,  die  Einschränkung 
der  Kohlehydrate  soll  die  Verbrennung  des  überschüssigen  Körper- 
fettes begünstigen;  zudem  schränkt  er  die  Flüssigkeitszufuhr  ein. 
(Wir  haben  a.  a.  0.  gehört,  daß  diese  Einschränkung  als  Ent- 
fettungsprinzij)  der  theoretischen  Grundlage  entbehrt  und  sich  auch 
durchaus  nicht  als  allgemein  geltendes  Prinzip  durchführen  läßt, 
da  z.  B.  bei  Klappeninsuffizienzen  Flüssigkeitsentziehung  schädlich 
wirkt  etc.) 

Ein  Speisezettel  Oertels  lautet  z.  B.:  Morgens:  35  //  weißes 
Brot,  120//  Kaffee  und  30//  Milch,  2  weiche  Eier,  100//  ge- 
bratenes Fleisch,  5  //  Zucker,  12 //Butter.  Vormittags:  100// 
Bouillon,  100  g  Wasser,  50  //  starken  Weines,  50  //  kaltes  Fleisch, 
20  //  Roggenbrot.  Mittags:  150 — 200  g  schwarzes  Fleisch,  50  // 
Salat,  100  //  Mehlspeise  oder  25  g  Brot,  100  //  Obst,  250  g  leichten 
Weines.  Nachmittags:  120//  Kaffee,  30//  Milch,  5//  Zucker. 
Abends:  12//  Kaviar  oder  2  Sprotten  oder  2  weiche  Eier,  150//  Wild- 
bret,  15//  Käse,   20//  Brot,   250  //  Wasser  oder  Wein   100//  Obst. 

Die  Hirschfeldsche  Entfettungskur  ist  eine  vorsichtigere  Unter- 
ernährung. Ein  Speisezettel  derselben  lautet  z.  B.:  Frühstück: 
Bitteren  schwarzen  Kaffee,  1  Semmel.  Vormittags:  2  Eier.  Mit- 
tags: Bouillon  mit  30  g  Reis,  250  g  mageres  Fleisch  gekocht  oder 
mit  wenig  Fett  gebraten.  Nachmittags:  wie  morgens.  Abends: 
50  //  fetten  Käse,  100  g  Brot,  10  g  Schmalz.  Mittags  kann  statt 
Reis  Gemüse,  abends  statt  Käse  Schinken  oder  kalter  Braten  ge- 
reicht werden.  — 


Die  Herzbeschwerden  Fettleibiger.  21  5 

Die  mit  Recht  verlassene  Schroth&che  Kur  ist  eigentlich  nichts 
anderes  als  eine  Hunger-  und  Durstkur  gewesen. 

Die  Behandlung  der  Fettleibigkeit  mit  Schilddrüsen- 
präparaten ist  einerseits  oft  unwirksam,  andererseits  in  vielen 
Fällen  von  unangenehmen  Nebenerscheinungen  (Herzbeschwerden, 
Glykosurie)  begleitet ;  ihre  Anwendung  erscheint  auf  Grund  von 
physiologischen  Erwägungen  nur  ratsam  in  Fällen ,  wo  die  Fett- 
leibigkeit (Frauen  im  Klimakterium,  Kastraten)  gewissermaßen  als 
Symptom  des  Wegfalls  der  inneren  Sekretion  der  Genitaldrüsen  zu 
betrachten  ist  (Biedl,  „Wiener  Klinik",  1903).  —  Es  wird  behauptet, 
scheint  jedoch  nicht  bewiesen,  daß  die  schädlichen  Nebenwirkungen 
durch  gleichzeitige  Arsenikmedikation  hintangehalten  werden  können. 
Man  reicht  Schilddrüsentabletten  (die  besten  sind  die  englischen 
Präparate)  in  steigender  und  wieder  abnehmender  Dosis  (1/2  bis 
2  Tabletten)  unter  sorgfältiger  Herz-  und  Nierenkontrolle. 

Die  „Entfettungskur"  durch  „Lichtbäder  und  Dampf- 
bäder'' ist  nichts  anderes  als  Gewichtsabnahme  durch  Wasserent- 
ziehung. 


Als  Nachkur  einer  „Brunnen-  oder  Entfettungskur',  eventuell 
an  Stelle  einer  solchen,  kann  bisweilen  eine  Molken-  oder  Trauben- 
kur vorteilhaft  wirken. 

Bei  der  Molkenkur  kommen  die  mäßig  abführende  und 
die  diuretische  Wirkung  des  Milchzuckers  sowie  die  kleinen,  die 
Unterernährung  fördernden  Fett-  und  Eiweißmengen  der  Molke  in 
Betracht.  Molkenkurorte  sind  u.  a.:  Ischl,  Meran,  Reichenhall, 
Badenweiler  etc.  Man  läßt  500—1000  cm*  Molke  im  Laufe  eines 
Tages  in  zwei  Raten  trinken.  Die  Molkenkur  dürfte  zumal  als  pro- 
phylaktische Kur  für  Leute ,  die  aus  Familien  mit  harnsaurer 
Diathese  stammen,  zu  empfehlen  sein.  Ebenso  die  Traubenkuren. 
Bei  diesen  werden  Schalen  und  Kerne  der  Trauben  nicht  geschluckt. 
Die  Traubenkur  wirkt  so  wie  die  Molkenkur  in  geringem  Maße 
diuretisch,  leicht  abführend  (säurereiche  Traubensorten  können 
Stomatitiden  und  Darmkatarrhe  veranlassen).  Die  übrige  Diät  während 
einer  Traubenkur  sei  eiweißreich,  fettarm;  grobes  Brot,  Bier  und 
Salate  sind  zu  meiden.  Man  verordne  niemals  mehr  als  3  kg  Trauben 
im  Tage,  lasse  morgens  nüchtern  eine  Portion,  etwa  die  Hälfte  der 
Tagesmenge  nehmen,  eine  Stunde  später  ein  leichtes  Frühstück, 
2/4  der  Tagesration  (an  Trauben)  eine  Stunde  vor  dem  Mittag- 
essen, das  letzte  Viertel  1  Stunde  vor  dem  Nachtmahle.  —  Trauben- 
kurorte sind  Bozen,  Montreux,  Loschwitz  bei  Dresden  etc. 

Bei  Traubenkuren  und  Molkenkuren  wird  man  natürlich  wie 
bei  jeder  anderen  Diätkur  sorgfältig  zu  individualisieren   haben. 


216  Spezielle  Therapie. 


Das  Herz  bei  Arteriosklerose. 

Die  Arteriosklerose  kann  das  Herz  direkt  und  indirekt 
schädigen ;  eine  direkte  Schädigung  kommt  durch  die  Ernährungs- 
störungen der  Herzwand  (Koronarsklerose)  oder  durch  Läsionen 
der  Herzklappen  (vorwiegend  Aortenklappen),  eine  indirekte  durch 
die  Erkrankung  der  Gefäße  zustande.  Je  nach  dem  Überwiegen  der 
Sklerose  in  einem  speziellen  Gefäßgebiete  gestalten  sich  die  Sym- 
ptome und  Folgen  verschieden:  Sind  die  Koronararterien  stark  in 
Mitleidenschaft  gezogen,  dann  können  Anfälle  von  Stenokardie1), 
von  Arhythmie,  von  Tachykardie,  von  exzessiver  Bradykardie  (Aäam- 
Stokes  2),  von  chronischer  Herzinsuffizienz  im  Vordergrunde  der  Er- 
scheinungen stehen  —  „Herzbild";  hat  die  Arteriosklerose  in  dem 
Gebiete  der  Splanchnikusgefäße  die  stärksten  Veränderungen  gesetzt, 
dann  sind  es  anscheinend  unmotivierte  Störungen  der  Verdauung, 
Obstipation ,  seltener  anfallsweise  auftretende  Diarrhoen,  neuralgi- 
forme  Schmerzen  in  der  Magengegend  {Xeussevz\  die  unsere  Auf- 
merksamkeit erwecken  —  „Darmbild"  ;  andere  Kranke  klagen  über 
Anfälle  von  Schwindel  und  Kopfschmerz ,  Erschwerung  des  Denk- 
vermögens, Bewußtseinstrübungen  —  „Hirnbild";  oder  es  besteht 
Vermehrung  der  Diurese,  eventuell  Glykosurie  —  „Nierenbild". 
Diese  von  Huchard  aufgestellte  zutreffende  Einteilung  wird  auch 
von  v.  Schrötter  (1.  c.)  akzeptiert;  auch  die  merkwürdige  als  „inter- 
mittierendes Hinken"  [Charcot*),  Nothnagel6),  Grassmann 6) u. a.] 
bekannte  Gehstörung  (rasche  Ermüdung,  Schmerz-  und  Vertaubungs- 
gefühl  in  einer  oder  beiden  unteren  Extremitäten),  die  auf  die 
Erkrankung  der  zugehörigen  Muskelgefäße  zurückgeführt  wird, 
kann  das  Krankheitsbild  einleiten. 

Pathogenetisch  dem  „intermittierenden  Hinken"  analog  sind 
vielleicht  die  bei  Sklerose  der  Magen-  und  Darmarterien  vorkommen- 
den Gastralgien  und  kolikartigen,   intestinalen  Schmerzen,    auf    die 


*)  Der  stenokardische  Anfall  kann  in  typischer  Form  auftreten  oder 
bloß  rudimentär  vorhanden  sein,  z.  B.  als  anfallsweise  auftretende  Gastralgie 
{Huchard,  Paidi  und  Kaufmann,  Wiener  klin.  Rundschau,   1901.) 

2)  Man  nennt  Adam-Stokessches  Krankheitsbild  einen  Symptomen- 
komplex von  anhaltender,  oft  exzessiver  Bradykardie,  der  von  apoplekti- 
formen  oder  epileptiformen  Anfällen  begleitet  ist  und  kardiogenen  sowie 
neurogenen  Ursprunges  sein  kann.  Huchard  (Malad,  du  coeur,  1893) ,  His 
(Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  64.),  Jaquet  (ibidem,  Bd.  72),  Luce  (ibidem, 
Bd.  74).  Hoffmann  (Zeitschr.  f.  klin.  Med.,  Nr.  41)  u.  a.  haben  einschlägige 
Beobachtungen  beschrieben. 

3)  Neusser,  Wiener  klin.  Wochenschr.,  1902. 

4)  Charcot,  Mein.  d.  1.  societe  d.  biolog.,  1859  und  Gaz.  med.  de  Paris,  1859. 

5)  Nothnagel,  Berliner  klin.  Wochenschr.,  1867,  und  Zeitschr.  f.  klin. 
Med.,  1891. 

6)  Grassmann,  Deutsch.  Arch.  f.  klin,  Med.,  Bd.  66. 


Das  Herz  bei  Arteriosklerose.  217 

Erb1),  Huchard*),  Markwald*)  Schnitzler*)  und  Ortner*)  in  diesem 
Zusammenhange  hingewiesen  haben ,  ferner  die  Nierenkoliken  und 
die  Neuralgien  in    anderen  Körpergebieten. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  die  Arteriosklerose  an  der  Radial- 
arterie palpatorisch  kenntlich ;  der  stärkeren  Beteiligung  der  Aorta  ent- 
spricht ein  dumpfer  erster  Ton  (in  der  Aortenregion)  oder  ein  systolisches 
Geräusch  daselbst,  ferner  der  verstärkte  oder  klingende  zweite  Aortenton ; 
den  verschiedenen  Graden  der  diffusen  oder  lokal  besonders  ent- 
wickelten Gefäßerkrankung  entsprechen  mehr  oder  weniger  deutliche 
Herzinsuffizienz-Erscheinungen. 6)  —  Während  des  „Latenzstadiums" 
der  Erkrankung  kann  uns  am  besten  eine  andauernd  nachweisbare 
Erhöhung  des  Blutdruckes  die  geschilderten  Symptome  erkennen 
und  würdigen  lehren  (v.  Basch 7),  Edgren 8). 

Die  Prophylaxe  der  Arteriosklerose  und  die  Behand- 
lung der  beginnenden  Erkrankung  decken  sich  mit  den  An- 
forderungen einer  rationellen  Lebensweise. 

Die  hygienische  Einteilung  aller  Erfordernisse  des 
Lebens  und  des  Berufes,  richtige  Diät9),  ein  ausreichendes 
Maß  von  Körperbewegung  und  Ruhe,  Vermeidung  des  Abusus 
von  Alkohol,  Nikotin,  Kaffee  und  Tee,  weise  Beschränkung 
auf  sexuellem  Gebiete,  sorgfältige  Überwachung  der  Darm- 
funktionen sind  die  wichtigsten  diesbezüglichen  Maßnahmen. 

Auch  die  Schulung  gegenüber  den  vielfachen  seelischen 
Erregungen ,  welchen  der  Mensch  auf  seinem  Lebenswege 
begegnet,  muß  hier  Erwähnung  finden ,  denn  es  besteht 
vielleicht  ein  Zusammenhang  zwischen  gemütlichen  Er- 
regungen und  der  Gefäßsklerose;  zumal  die  Verschlimme- 
rungen im  Zustande  von  Kranken  mit  Koronarsklerose  nach 
psychischen  Traumen  sind  jedem  Praktiker  bekannt.  In  der 
Prophylaxe  der  Arteriosklerose  lü)  zeigt  sich,  wie  nicht  leicht 


1)  Erb,  Zeitschr.  f.  Nervenheilk.,  13. 

2)  Huchard  1.  c. 

3)  Markwald,  Zeitschr.  f.  prakt.  Ärzte,   1900,  Bd.  9. 

4)  Schnitzler,     Wiener  med.  AVochenschr.,  1901. 

5)  Ortner,  Wiener  klin.  Wochenschr.,  1902   und    Volkmanns  Samml. 
klin.  Vorträge,  Nr.  347. 

6)  Vide  pag.  26. 

7)  v.  Basch,  Wiener  med.  Presse,  1893  und  1896.  Die  Herzkrankheiten 
bei  Arteriosklerose,  1902. 

8)  Edgren,  Die  Arteriosklerose,   1898. 

9)  Vide  pag.  86. 

10)  Die  übrigen  prophylaktischen  Maßnahmen  sind  im  Abschnitte  „Pro- 
phylaxe und  Therapie    der    chronischen  Insuffizienz    des  Herzens"    eingehend 


21S  Spezielle  Therapie. 

auf  einem  zweiten  Gebiete  der  Therapie,  der  Wert  einer 
permanenten  Führung  und  Beratung  durch  den  Hausarzt, 
der  auch  mit  dem  Temperamente ,  den  Anlagen  und  Nei- 
gungen seines  Schutzbefohlenen  aus  persönlicher  Erfahrung 
zu  rechnen  weiß. 

Wiewohl  wir  keine  sicheren  Beweise  für  eine  direkte 
Einwirkung  des  ,. arthritischen  Giftes",  d.  h.  der  Ursache 
von  arthritischen  Veränderungen  auf  Herz  und  Gefäße  be- 
sitzen (Minkowski 2).  läßt  uns  die  häufige  Koinzidenz  von 
„uratischen"  und  arteriosklerotischen  Erkrankungen  die 
Möglichkeit  eines  bestehenden  Kausalnexus  vermuten,  um- 
somehr  als  auch  die  ,.harnsaure  Diathese ;'  mit  andauernden 
Blutdruckerhöhungen  einhergeht.  In  der  Prophylaxe  der 
Arteriosklerose  und  in  ihrer  Therapie  wird  daher  auf  die 
Einhaltung  einer  „antiarthrilischen  Diät"  Bedacht  zu  nehmen 
sein.  Dieselbe  besteht  —  von  dem  eingangs  Gesagten  abge- 
sehen —  in  der  Anregung  der  Harnsekretion  durch  aus- 
giebige Flüssigkeitszufuhr,  namentlich  alkalischer  Mineral- 
wässer 2) ,  Vermeidung  von  nukleinreicher  Kost  (Thymus. 
Leber,  Nieren,  Milz,  Hirn,  ebenso  Spargel)  und  jedes  Über- 
maßes an  Kohlehydratzufuhr;  hingegen  ist  der  reichliche 
Genuß  von  Obst  und  grünem  Gemüse  angezeigt. 

Als  Kurorte,  welche  sämtlichen  angedeuteten  prophy- 
laktischen Prinzipien  gerecht  zu  werden  vermögen,  sind  zu 
nennen:  Karlsbad,  Marienbad,  Franzensbad,  Kissingen,  Hom- 
burg, Tarasp.  außerdem  die  Wildbäder,  Gastein  etc. 

Bei  vollblütigen  Arteriosklerotikern  hat  die  periodische 
Vornahme  eines  Aderlasses  zweifellosen  prophylaktischen 
Wert. 

Die  Erscheinungen  der  Herzinsuffizienz  bei  Arterio- 
sklerose sind  mit  den  Mitteln  zu  bekämpfen .  die  wir  bei 
der  Behandlung  der  ,.chronischen  Herzinsuffizienz*'  kennen 
gelernt  haben. 


erörtert.    Die    Prophylaxe    der    auf    toxischem  Wege    (Saturnismus)    zustande 
kommenden  Arteriosklerose  ergibt  sich  von  selbst. 

1)  Minkowski,    Die  Gicht.   In  Nothnagels  Spez.  Path.  u.  Ther.,  1903. 

2)  Biliner,   Selters,  Gießhübler,  Karlsbader,  Fachinger,    Emser,    Kton- 
dorfer  etc. 


Das  Herz  bei  Arteriosklerose.  219 

Eine  wirksame  Therapie  der  bestehenden  Arterio- 
sklerose besitzen  wir  noch  nicht.  Das  von  Huchard  und 
Vierordt  in  diesem  Sinne  warm  empfohlene  Jodnatrium  hat 
v.  Schrötter  nicht  sonderlich  bewährt  gefunden,  während 
Bamberg  seine  Anwendung  zumal  für  die  Koronarsklerose 
befürwortet. J)  Huchard  gibt  Jodnatrium  sehr  lange  Zeit. 
mindestens  ein  Jahr  lang.  Er  läßt  das  Mittel  nach  je  vier 
Wochen  immer  eine  Woche,  nach  ungefähr  viermonatlichem 
Gebrauche  einen  Monat  aussetzen,  um  sodann  einen  zweiten 
Turnus  zu  beginnen.  Die  unangenehmen  Nebenwirkungen 
der  Jodsalze  erschweren  ihre  Anwendung.  Durch  langsame 
Steigerung  der  Joddosen  (wässerige  Lösung  5.  dann  10: 150'0. 
anfangs  3mal  täglich  1  Kaffeelöffel ,  später  omal  täglich 
1  EßlÖifel)  kann  man  nach  Rombergs  Angabe  heftigen 
Jodismus  ziemlich  sicher  vermeiden.  Bronchitis  ist  eine 
Kontraindikation  der  Jodmedikation,  da,  zumal  bei  bestehen- 
der Herzinsuffizienz,  durch  dieselbe  Lungenödem  hervorge- 
rufen werden  kann ;  der  Jodschnupfen  vermag  eine  vor- 
handene Dyspnoe  in  überaus  unangenehmer  Weise  zu 
steigern.  —  In  manchen  Fällen  scheint  das  Jodrubidium  vor 
dem  Jodnatrium  den  Vorzug  besserer  Wirkung,  deutlicherer 
Blutdruckherabsetzung  und  geringerer  Gefahr  des  Jodismus 
zu  besitzen.  Man  gibt  das  Jodrubidium  in  wässerigen  Lö- 
sungen, 1  g  täglich,  eine  Woche  lang,  pausiert  eine  Woche, 
reicht  es  dann  wieder  durch  eine  Woche  u.  s.  f.  durch  zwei 
bis  drei  Monate.  Nach  einigen  Monaten  beginnt  man  mit 
dieser  Medikation  von  neuen.  Jodkalium  ruft  leichter  Herz- 
klopfen hervor  und  ist  deshalb  nicht  empfehlenswert. 

Von  physikalisch-chemischen  Erwägungen  ausgehend, 
hat  W.Pauli-)  gefunden,  daß  den  Rhodansalzen  eine  seda- 
tive und  energische  Gefäß wirkung  zukomme.  Er  folgert  aus 
den  Beziehungen  zwischen  Rhodan-  und  Calciumjonen.  daß 
gerade  die  Arteriosklerose  das  wichtigste  Anwendungsgebiet 
der  Rhodanide  darstellen  dürfte. 

*)  See  und  Lapicque,  Bullet.de  l'Acad.  de  Medecine,  1889.  —  Huchard, 
Rev.  de  med.,  1883.  —  Prevost  und  Binet,  Revue  suisse,  1890.  —  Bogolopoff  zit. 
nach  Jodlbauer,  Münchener  med.  Wochenschr..  1902.  —  /•.  Schrötter,  „Erkran- 
kung der  Gefäße"  in  Nothnagels  Spei.  Path.  u.  Ther.  u.  v.  a. 

2)  W.  Pauli,  K.  k.  Gesellsch.  d.  Arzte  in  Wien,  19.  Dezember  1902.  — 
Münch.  med.  Wochenschr.,  1903. 


220  Spezielle  Therapie. 

Der  Wert  einer  zeitweise,  durch  einige  Wochen,  einge- 
haltenen absoluten  Milchdiät1)  ist  bisweilen  unverkennbar. 
—  Rumpf-)  versucht  die  Arteriosklerose  durch  eine  möglichst 
kalkarme  Speisevorschrift  (Fleisch,  Brot,  Fisch,  Kartoffeln, 
Äpfel)  zu  bekämpfen ,  um  der  Kalkretention  vorzubeugen, 
welcher  er  eine  ursächliche  Bedeutung  beimißt.  Zur  Be- 
förderung der  Kalkausscheidung  reicht  er  milchsaures 
Natron.  „Seine  Studien  verdienen  gewiß  alles  Interesse" 
(v.  Sehr ött er). 

Die  zumal  bei  Koronarsklerose ,  unter  Umständen  bis 
zur  Höhe  der  ..Angina  pectoris*',  eines  Anfalles  von 
..Stenokardie'',  anwachsenden  Beschwerden  erfordern  die  sorg- 
fältigste Beachtung  (die  zutreffende  Deutung  der  steno- 
kardischen  Äquivalente  ist  daher  in  therapeutischer  Hinsicht 
von  größter  Bedeutung).  Zu  ihrer  Bekämpfung  sind  anscheinend 
die  Koffein-  und  Theobrominpräparate  am  besten  ge- 
eignet, wahrscheinlich  weil  sie  Erweiterung  der  Koronar- 
gefäße 3),  sowie  bessere  Durchblutung  der  (mehr  oder  weniger 
ischämischen)  Herzwand  bewirken  und  somit  sekundär  die 
Leistung  des  Herzmuskels  günstig  beeinflussen  können. 4) 
R.  Breuer 5)  empfiehlt  als  das  verläßlichste  Theobrominpräparat 
das  Diuretin  (Theobrom.  Natr.  salicjlic.) ;  er  gibt  dasselbe 
womöglich  in  wässeriger  Lösung  (mit  Aq.  Menthae  als  Korri- 
gens)  oder,  wenn  die  Kranken  durch  den  schlechten  Geschmack 
sehr  belästigt  werden ,  in  Pulvern  zu  0*5.  Die  Tagesdosis 
beträgt  3 — 3'og.  Es  ist  wichtig,  die  Tagesdosis  gleichmäßig 
über  24  Stunden  zu  verteilen ;  schädliche  Nebenwirkungen 
hat  Breuer,  trotzdem  er  Dosen  von  2 — 21/29  Pro  die  wochen- 
lang gab,  nie  gesehen.  Gelegentlich  traten  Kopfschmerzen  auf. 

Das  Agurin  (Theobrom.  Natr.  acet.)  wird  in  der  Tages- 
dosis von  2 — ■21/2g,  ebenso  Uropherin  (Theobr.  Lith.  salicyl.) 
gegeben,  Theobrominum  purum  in  Tagesgaben  von  ll/2 — 2g. 


x)  Vide  pag.  82  und  93. 

2)  Rumpf,  Berliner  klin.  Wochenschr.,  1898. 

3)  Vide  pag.  72. 

4)  Askanazy,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  1895.  —  Gottlieb,  Verhandl. 
d.  XIX.  Kongr.  f.  innere  Med.  —  Braun  u.  Mager,  Sitzungsber.  d.  kais.  Akad. 
d.  Wissensch.  in  Wien,  1899,  III. 

5)  R.  Breuer,  Münchener  med.  Wochenschr.,  1902. 


Das  Herz  bei  Arteriosklerose.  221 

Von  manchen,  namentlich  englischen  Autoren,  werden 
zur  Bekämpfung  des  Anfalles  selbst  und  auch  in  den  freien 
Intervallen  die  Nitrite,  angeblich  mit  günstigem  Erfolge, 
verabreicht.  Man  gibt  z.  B.  Amylnitrit,  am  besten  in  den 
Solgerschen  Lymphröhrchen  (mit  je  4 — 5  Tropfen)  oder  in  Ge- 
latinekapseln (mit  je  3 — 4 — 5  Tropfen),  deren  Inhalt  man  auf 
ein  Taschentuch  tropfen  und  inhalieren  läßt.  —  Das  Nitro- 
glycerin wird  zu  0*0005  in  Pillen  oder  Tabletten  ver- 
schrieben. Manchmal  ist  eine  ,.Nitroglycerinkur''  wirksam 
(Nothnagel),  darin  bestehend,  daß  man  die  Kranken  mit  einer 
Pille  oder  Tablette  täglich  beginnen ,  nach  je  einer  Woche 
bis  auf  3 — 5  Pillen  steigen  und  ebenso  langsam  wieder  herab- 
gehen läßt.  —  Statt  des  Nitroglycerin ,  weil  unschädlicher 
als  dieses,  empfiehlt  v.  Schroffer  das  Erythroltetranitrat 
in  Pillen  zu  0*02— 0'03  (30  Pillen  aus  0'5  des  Medikamentes) ; 
er  beginnt  mit  einer  Pille  im  Tage  und  steigt  bis  auf  drei 
Pillen  täglich  an.  —  Das  Natrium  nitrosum  gibt  man  in 
wässeriger  Lösung  1 — 1*5:150*0,  davon  zwei-  bis  dreimal 
täglich  einen  Eßlöffel. 

Während  des  Anfalles  selbst  soll  der  Kranke  größte 
Ruhe  einhalten ;  man  läßt  ihn  starken  Kaffee ,  Glühwein 
trinken,  gibt  Kampfer,  legt  ihm  ein  Senfpapier,  Schröpf- 
köpfe auf  die  Herzgegend  ,  heiße  Tücher  auf  den  Nacken, 
reicht  von  Tr.  Valerianae  aether.  oder  dem  Spirit.  aether. 
Hoffmanni  20  Tropfen,  reibt  Herzgegend  und  Extremitäten 
mit  Essig  oder  Kampferspiritus ,  bereitet  rasch  ein  heißes 
Hand-  und  Fußbad  u.  s.  w.  Manchem  Kranken  bringt  Wärme-, 
einem  anderen  Kälteapplikation  auf  die  Herzgegend  Er- 
leichterung. —  Oft  bewährt  es  sich,  Arme  oder  Beine,  wenn 
es  angeht  beide,  in  möglichst  tiefe  Gefäße  (Waschbecken. 
Eimer,  Wannen)  mit  Wasser  von  so  hoher  Temperatur,  als 
nur  irgend  vertragen  wird,  stecken  zu  lassen.  Eventuell 
gibt  man  zum  Wasser  einige  Löffel  Senfmehl  hinzu. 

Die  furchtbaren  Schmerzen  während  des  Anfalles  wer- 
den oftmals  nur  durch  Narkotika  zu  bekämpfen  sein ;  die 
Angst  vor  dem  Morphium  ist  kaum  begründet,  die  dem 
Kranken  durch  eine  subkutane  Injektion  von  0*01 — 002  ge- 
schaffene Erleichterung  oftmals  geradezu  unbeschreiblich.  — 


222  Spezielle  Therapie. 

Die  übrigen  Narkotika,  Kodein,  Heroin,  Dionin  sind  viel 
weniger  wirksam. 

Bleibt  der  Puls  trotz  aller  angeführten  Mittel  klein 
und  unregelmäßig,  dann  mag  als  letztes  Mittel  der  Aderlaß 
versucht  werden. 

Kranke .  die  einmal  einen  Anfall  von  echter  Angina 
pectoris  gehabt  haben ,  sollen  womöglich  nicht  allein  aus- 
gehen, keinesfalls  allein  reisen  und  über  ihr  Verhalten  bei 
einem  (eventuellen)  neuerlichen  Anfalle  instruiert  sein. 


Heilstätten  für  Herzkranke. 

Wir  haben  gesehen ,  daß  die  Behandlung  der  chroni- 
schen Herzinsuffizienz ,  zumal  in  ihrem  Beginne ,  wo  sich 
schonende  mit  übenden  Maßnahmen  vereinigen  können,  neben 
der  Darreichung  medikamentöser  Mittel  die  kombinierte 
Verwendung  mehrerer  therapeutischer  Methoden,  sowie  die 
ständige  persönliche  Beaufsichtigung  und  Leitung  durch  den 
Arzt  voraussetzt.  Diese  Bedingungen  lassen  sich  in  ihrer 
Gesamtheit  im  Haushalte  eines  Kranken  kaum  jemals  er- 
füllen. Der  auf  dem  Gebiete  der  Krankenpflege  so  erfahrene 
Mendelsohn1)  hat,  diesem  Umstände  Rechnung  tragend,  daher 
schon  vor  längerer  Zeit  die  Frage  der  Heilstätten  für 
Herzkranke  angeregt.  Er  sieht  den  unverkennbaren 
Nutzen  derartiger  Anstalten  —  von  all  den  Vorteilen  ab- 
gesehen ,  die  Herzkranken  daraus  erwachsen ,  daß  sie  hier 
das  „Ensemble  von  Arzneiwirkung,  Bädern,  Widerstands- 
gymnastik, Ernährung,  Massage  etc."  fänden  —  vor  allem 
darin,  daß  die  Kranken  hier  „zweckmäßig  leben  lernen" 
könnten. 

Solche  Heilstätten  wären  an  keinen  Ort  gebunden,  denn 
alle  ihre  Behelfe,    die  C02-hältigen  Bäder  wie  die  pneuma- 


')  Mendelsohn,  Vortrag  i.  d.  Deutschen  Gesellsch.  i".  off.  Gesundheits- 
pflege, 1901. 


Die   Kreislaufstörungen  bei  akuten  Infektionskrankheiten.  223 

tischen  Apparate,  die  mechanotherapeutischen  wie  die  hydro- 
therapeutischen Einrichtungen  sind  fast  überall  gleich  gut 
und  gleich  wirksam  herzustellen.  Und  ein  weiteres  käme 
dazu:  Den  Ärzten  wäre  die  Gelegenheit  geboten,  in  „Heil- 
stätten für  Herzkranke"'  alle  Errungenschaften  der  modernen 
Therapie  auf  die  Herztherapie  angewendet  zu  sehen ;  sie 
könnten  hier  ebenso  zu  Spezialisten  für  Herzkranke  werden, 
wie  es  unsere  Kollegen  in  Nauheim  geworden  sind ,  deren 
unleugbare  Erfolge  nicht  etwa  auf  die  spezifische  Wirkung 
der  Nauheimer  Thermalsolen  zurückgeführt  werden  dürfen, 
vielmehr  auf  ihre  langjährige  Erfahrung  und  Betätigung  im 
anderenorts  noch  stark  vernachlässigten  Gebiete  der  Herz- 
therapie. 


Die  Kreislaufstörungen  bei  akuten  Infektions- 
krankheiten. 

Die  Zirkulationsstörungen  auf  der  Höhe  der  Infektion  bei 
Diphtherie,  Scharlach,  Typhus  etc.  sind  von  jenen  im  späteren  Ver- 
laufe oder  während  der  Rekonvaleszenz  der  Infektionskrankheiten 
streng  zu  trennen.  Während  als  Ursache  der  für  die  Rekonvales- 
zenz charakteristischen  Kreislaufsstörung  eine  akute  infektiöse  Myo- 
karditis zu  bezeichnen  ist,  sind  die  Kreislaufserscheinungen  auf  der 
Höhe  der  Infektion  nicht  Folgen  einer  Abnahme  der  Herzkraft, 
sondern  durch  Gefäßlähmung  bedingt. l)  Das  betreffende  Individuum 
verblutet  sich  in  seine  Bauchgefäße,  d.  h.  das  Herz  treibt  das  ihm 
zugeführte  Blut  in  das  große,  erschlaffte  Gebiet  der  Splanchnikus- 
gefäße  und  erhält  schließlich  nicht  mehr  Blut  genug  zur  Erhaltung 
des  Kreislaufs.  Infolgedessen  sinkt  der  Blutdruck  immer  mehr, 
das  Gehirn,  die  Haut,  die  Muskulatur  werden  blutleer.  Nehmen 
diese  Erscheinungen  zu,  dann  tritt  unter  weiterem  Absinken  des 
Blutdrucks  und  Zunahme  der  Blässe  schließlich  der  Tod  ein. 

Bei  schweren  Infektionskrankheiten  finden  wir  oft  schon 
frühzeitig  Arhythmien  und  Herzdilatationen,  die  auch  auf  eine  Be- 
teiligung des  Herzens  (Myokarditis)  hinweisen.   In  welchem  Ausmaße 


*)  Romberg,  Pässler,  Bruhns,  Müller  u.  Hollwachs,  Deutsches  Arch.  f. 
klin.  Med.,  Bd.  64. 


224  Spezielle  Therapie. 

die  Symptome  dann  auf  Rechnung  der  Vasomotoreninsuffizienz  zu 
setzen  sind,  inwieweit  auf  Rechnung  einer  Herzinsuffizienz,  das  wird 
sich  im  Einzelfalle  oftmals  kaum  entscheiden  lassen.  —  Eine  Schädi- 
gung des  Herzens  kommt  in  diesem  Krankheitsstudium  auch  wohl 
dadurch  zustande,  daß  die  Koronargefäße,  während  der  Blutdruck 
tiefer  und  tiefer  absinkt,  immer  schlechter  und  schlechter  gefüllt 
werden ,  so  daß  die  Ernährung  der  Herzwand  wesentlich  beein- 
trächtigt erscheint. 

Die  Therapie  der  Kreislaufstörung  bei  einer  akuten 
Infektionskrankheit  hat  sich  naturgemäß  dem  Ursprünge  der 
Störung  zuzuwenden.  Da  die  während  der  Rekonvaleszenz 
auftretenden  Erscheinungen  Folgen  einer  akuten  Myokarditis 
sind,  kommen  für  sie  die  therapeutischen  Maßnahmen  in 
Betracht,  welche  wir  auf  pag.  172  kennen  gelernt  haben.  — 
Je  mehr  die  Symptome  der  Vasomotorenlähmung !)  (niedriger 
Blutdruck,  Blässe  der  Hautdecke,  Erscheinungen  von  Hirn- 
anämie) im  Vordergrunde  stehen,  desto  wichtiger  ist  es,  hier 
den  Hebel  anzusetzen,  um  durch  die  Aufrechterhaltung  des 
Kreislaufs  das  Leben  über  den  Zeitpunkt  zu  verlängern, 
wo  die  Infektionskrankheit  ihr  natürliches  Ende  erreicht. 
Diese  Aufgabe  erfüllen  die  „Vasomotorenmittel",  indem 
sie  den  Tonus  der  Gefäße  erhöhen. 

Ein  Hauptrepräsentant  der  Vasomotorenmittel  ist  das 
Strychnin,  das  durch  Reizung  der  vasomotorischen  Zentren 
die  Gefäße  verengert  (S.  Mayer  2).  Da  aber  seine  blutdruck- 
steigernde und  seine  krampfmachende  Wirkung  nahe  bei- 
sammen liegen,  ist  es  zweckmäßig,  das  gefahrlosere  Koffein 
zu  nehmen  {Gottlieb'6)]  auch  das  Koriamyrtin  (von  Coriaria 
myrtifolia,  Gerberstrauch)  scheint  als  Vasomotorenmittel 
eine  Zukunft  zu  haben.  —  Die  Nebennierenpräparate 
sind  ihrer  physiologischen  Aktion  nach  bei  sinkendem  Ge- 
fäßtonus wohl  indiziert,  doch  vorläufig  noch  nicht  genügend 
klinisch  geprüft:  sie  sind  daher  derzeit  für  die  Therapie 
der  Vasomotoreninsuffizienz  noch  unverwendbar. 


*)  Gleiche  Verhältnisse  finden  wir  bei  dem  Gefäßtode  durch  Narkotika, 
wie  Alkohol,  Chloroform,  Chloralhydrat  etc. 

2)  Zitiert  nach  Gottlieb,  Herzmittel  und  Vasomotorenmittel.  —  Vide  die 
Fußnote  auf  pag.  47. 

3)  Gottlieb,  Verhandl.  d.  XVIII.  Kongr.  f.  innere  Med. 


Die  Kreislaufstörungen  bei  akuten  Infektionskrankheiten.  225 

Friedet  Pick1)  empfiehlt  das  kräftig  gefäßverengernde 
Hydrastinin  ;  man  gibt  dasselbe  als  salzsaures  Hydrastinin, 
f/, — 1  Pravazspritze  einer  l%igen  Lösung,  oder  intern  in 
Gallertkapseln  zu  0*025 ,  drei-  bis  viermal ;  auch  der  Fluid- 
extrakt der  Hydrastiswurzel  in  mehrmaligen  Dosen  von 
20 — 30  Tropfen  ist  zu  versuchen. 

Ihrer  gefäß verengernden  Wirkung  wegen  sind  auch  das 
Mutterkorn  und  seine  Präparate  in  der  Therapie  der 
Vasomotorenschwäche  zu  erwägen,  doch  ist  festzuhalten,  daß 
auch  sie  gleich  dem  Strychnin  wahrscheinlich  nur  in  toxi- 
schen Dosen  blutdrucksteigernde  Wirkungen  besitzen.  Man 
gibt  z.B.  Infus,  secal.  cornut.  10:150'0,  zwei- bis  dreistündlich 
einen  Eßlöffel,  oder  Extract.  secal.  cornut.  fluid,  in  Dosen 
von  O-3—l'O,  z.  B.  Extr.  secal.  cornut.  2*0,  Aq.  destill.  1500. 
Syr.  Cinnamom.  200.  S.  2— 3stündlich  1  Eßlöffel. 

Die  Wirkung  der  Vasomotorenmittel  ist  durch  die 
Umschaltung  der  pathologischen  Blutverteilung  zu 
erklären  (Gottlieb).  Der  Antagonismus  in  der  Blutfülle  zwi- 
schen Haut-  und  Eingeweidegefäßen  ermöglicht  uns  nämlich 
eine  solche  Umschaltung,  denn  die  Vasomotorenmittel  ver- 
engern bloß  das  Splanchnikusgebiet ,  der  rechte  Ventrikel 
schöpft  wieder  mehr  Blut  aus  den  Venen,  der  linke  Ventrikel 
aus  den  Lungengefäßen,  der  Aortendruck  steigt  an,  die 
Haut-,  Muskel-  und  Hirngefäße  werden  blutreicher.  „Indem 
die  bessere  Durchblutung  lebenswichtiger  Organe  —  des 
Herzens,  des  Gehirns  —  zur  Hebung  ihrer  Funktion  beiträgt, 
gewinnt  der  Organismus  Zeit,  der  krankmachenden  Ursache 
Herr  zu  werden.  So  können  die  Vasomotorenmittel  lebens- 
rettend wirken,  zumal  sie  gleichzeitig  auch  das  Respirations- 
zentrum erregen.  " 

Das  Gleiche  bewirken  Hautreize,  z.B.  der  Kälte- 
reiz2), die  daher  gleichfalls  als  Analeptika  dienen 
können.3) 


*)  F.  Pick,  Verhandl.  d.  XIX.  Kongr.  f.  innere  Med. 

2)  Vide  pag.  127. 

3)  Wertheimer,  Arch.  d.  phys.  norm,  et  path.,  1893. 

Braun,   Therapie  der  Herzkrankheiten.  15 


226  Spezielle  Therapie. 

Aus  den  Ergebnissen  neuester  Untersuchungen  von 
Gottlieb  und  Magnus1)  laßt  sich  sicherer,  als  dies  früher 
möglich  war,  der  Schluß  ziehen,  daß  die  Digitalis  st  offe 
zweifellos  auch  Vasomotorenmittel  sind,  vielleicht 
bessere  als  alle  bisher  genannten.  Das  Digitoxin  vor  allem 
bewirkt  eine  Umlagerung  des  Blutes  von  der  venösen  auf 
die  arterielle  Seite  des  Kreislaufs,  während  die  anderen 
Digitalispräparate,  Digitalin,  Strophantin  etc.,  bloß  eine  Um- 
lagerung aus  den  Gefäßgebieten  des  Körperinnern  (Splanchni- 
kus)  nach  der  Körperoberfläche  zur  Folge  haben,  also  nicht 
so  mächtig  gefäßverengernd  wirken  wie  das  Digitoxin.  Es 
dürften  also  bei  Vasomotorenparesen  günstige  Wirkungen 
durch  Digitalisdarreichung,  aber  nur  bei  Verwendung 
der  größten  therapeutisch  in  Betracht  kommenden 
Dosen  erwartet  werden  können.  Die  Digitalisstoffe  haben 
in  solchen  Fällen  gegenüber  manchem  anderen  Vasomotoren- 
mittel, dem  Strychnin  und  Ergotin,  zwei  unschätzbare  Vor- 
teile voraus,  daß  ihre  gefäßverengernde  Wirkung  schon  in 
therapeutischen  Gaben  in  Betracht  kommt  und  daß  sie  auch 
die  Herzleistung  günstig  beeinflussen ,  was  ganz  besonders 
für  jene  Fälle  wichtig  wäre,  wo  sich  zur  Vasomotoreninsuf- 
fizienz aller  Wahrscheinlichkeit  nach  bereits  eine  Schädigung 
des  Herzens  gesellt  hat  (toxische  Myokarditis  —  Myolyse  — 
Eppinger). 

Es  ist  schließlich  eine  lange  bekannte  Tatsache  von 
großer  therapeutischer  Bedeutung  im  Verlaufe  akuter  In- 
fektionskrankheiten, daß  nach  Infusion  von  Kochsalz- 
lösung (intravenös  oder  hyperdermatisch)  das  besser  gefüllte 
Herz  wieder  kräftiger  zu  schlagen  beginnt ;  der  durch  die 
Vasomotorenschwäche  gesunkene  Blutdruck  wieder  ansteigen, 
das  Leben  des  Kranken  verlängert,   gerettet  werden  kann. 

Durch  die  Kombination  von  Vasomotoren  mittein,  Haut- 
reizen und  Kochsalzinfusionen  wird  wohl  manches,  der  Vaso- 
motorenlähmung gegenüber  völlig  machtlose  Herz  im  Kampfe 
gegen    die  Infektion    ausgiebig   unterstützt   werden  können. 


*)  Gottlieb  u.  Magnus,  Arch.  f.  experini.  Path.  u.  Pharm.,  Bd.  48  u. 
Naturh.-med.  Verein.  Heidelberg,  S.  auch  pag.  49. 


Das  Aortenaneurysma.  227 

Die  von  v.  Ziemssen1)  zuerst  empfohlene  h ypodermatisehe 
Injektion  (Hypodermoklyse)  g-estattet  uns,  dem  Organismus,  resp. 
dem  Gefäßraume  desselben ,  größere  Mengen  von  physiologischer 
Kochsalzlösung  ohne  die  umständliche  Vornahme  der  Präparation 
einer  Vene  einzuverleiben.  Als  Ort  der  Injektion  wählt  man  am 
besten  die  Ileocöcalgegend.  Die  Infusion  wird  mittelst  einer  größeren 
Spritze  ausgeführt  oder  man  nimmt  einen  langen,  dünnen,  mit  einem 
Schlauehe  armierten  Troikart  und  läßt  aus  einem  Irrigator  sterilisierte, 
erwärmte ,  physiologische  Kochsalzlösung  in  den  notwendigen 
Quantitäten  (300—500 — 1000  cm3)  in  das  subkutane  Zellgewebe 
einfließen. 


Das  Aortenaneurysma. 2) 

Die  durch  ein  Aortenaneurysma  bedingten  Symptome,  sowie 
die  diesbezüglichen  allgemeinen  und  speziellen  Gesichtspunkte  sind 
von  v.  Schrötter*)  in  meisterhafter  Weise  dargestellt  worden;  sie 
können  an  dieser  Stelle  nur  andeutungsweise  erörtert  werden.  Je 
nach  Lage,  Größe  und  Beschaffenheit  des  Sackes  ergeben  sich 
charakteristische  Verdrängungserscheinungen undKreislaufssymptome. 
Bisweilen  sind  heftige  Neuralgien  in  der  Thoraxgegend  das  einzige 
Symptom  eines  latenten  Aneurysma,  ein  anderesmal  treten  die  Er- 
scheinungen  der  Rekurrenslähmung,  der  Hämoptoe,  von  Singultus, 
von  rhythmischen  Erschütterungen  des  Larynx  4)  zuerst  hervor; 
nach  außen  wachsende  Aneurysmen  bilden  charakteristische  Dämpfungs- 
zonen oder  pulsierende  Geschwülste,  welche  das  Stern  um,  die  Rip- 
pen etc.  usurieren  können ,  oder  es  machen  sich  die  Zeichen  der 
Kompression  der  Trachea,  großer  Bronchien,  der  Venenstämme,  des 
Ösophagus  etc.  geltend.  Über  Aneurysmen  der  Aorta  aseendens 
oder  des  Aortenbogens  tritt  bisweilen  fühlbares  Schwirren,  wenn 
der  Sitz  des  Aneurysma  nahe  beim  Herzen  ist,  ein  diastolisches 
Geräusch  auf.  Je  nach  dem  Sitze  des  Aneurysma  am  Abgange  der 
vom  Arcus  aortae  abgehenden  Arterien  findet  man  charakteristische 
Pulsverspätungen  und  Differenzen  der  einen  gegenüber  der  anderen 
Kadialis,  der  Femoralis  gegenüber  den  Radiales  etc.  —  Durch  die 


*)  v.  Ziemssen,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  36. 

3)  Da  sich  die  Therapie  des  Aortenaneurysma  zum  großen  Teile  mit 
jener  der  „chronischen  Herzinsuffizienz1*  deckt,  wurde  sie  in  kurzen  Zügen 
hier  aufgenommen. 

3)  v.  Schrötter  (Nothnagels  Spez.  Path.  u.  Ther.),  Erkrankungen  der 
Gefäße. 

4)  Oliver- Cadarellis  Pulsation. 

15* 


228  Spezielle  Therapie. 

Röntgendurchleuchtung  ist  die  Diagnostik  der  Aortenaneurysmen 
wesentlich  gefördert  worden.  —  In  der  Pathogenese  der  Aneurysmen 
spielt  die  Syphilis  ohne  Frage  eine  bedeutsame  Rolle x) ,  daneben 
kommen  Traumen  und  entzündliche  oder  degenerative  Ernährungs- 
störungen der  Gefäßwand  in  Betracht. 

Die  Prophylaxe  des  Aortenaneurysma  fällt  mit  der 
Einhaltung  der  im  Abschnitte  „Arteriosklerose"  geschildert en 
Vorschriften  und  mit  der  Verhütung  der  luetischen  In- 
fektion zusammen. 

Die  wichtigste  therapeutische  Maßnahme  ist,  solange 
wir  keine  zuverlässige  operative  Behandlungsmethode  be- 
sitzen, die  Einhaltung  von  Ruhe,  um  die  Zirkulation  mög- 
lichst langsam  und  gleichförmig  zu  gestalten.  Dies  wird  am 
besten  durch  absolute  Bettruhe  erreicht,  welche  man 
immer  wieder  wochenlang  einhalten  läßt.  Es  unterliegt  keinem 
Zweifel,  daß  hierdurch  Gerinnungsvorgänge  im  Aneurysma- 
sacke  angebahnt  werden  können,  die  in  günstigen  Fällen 
zur  Verödung  des  Sackes,  zur  Heilung  führen.  Unterstützend 
kann  hierbei  die  Einschränkung  der  zugeführten  Flüssigkeits- 
mengen wirken.  Im  übrigen  haben  alle  Schonungsmaßnahmen 
der  diätetischen  Therapie  in  Kraft  zu  treten.  Bisweilen  hat 
sich  eine  absolute  Milchdiät  als  zweckmäßig  erwiesen;  es 
empfiehlt  sich  jedoch,  eingedampfte,  mit  Milchzucker  ver- 
setzte Milch  reichen  zu  lassen ,  um  die  Flüssigkeitszufuhr 
nicht  allzu  groß  zu  gestalten.  Der  Milchzuckerzusatz  erhöht 
den  Nährwert  der  Milch,  vermehrt  die  Diurese  und  wirkt 
laxierend,  was  den  konkreten  therapeutischen  Indikationen 
vollkommen  entspricht.  Überaus  wichtig  ist  die  Sorge  für 
leichten  Stuhlgang 2),  um  Anstrengungen  bei  der  Stuhlent- 
leerung zu  vermeiden. 

Manche  Autoren,  darunter  auch  Broadbent,  haben  beim 
Aortenaneurysma  einen  entschieden  günstigen  Einfluß  vom 
Jodkalium  gesehen.  Man  reicht  dasselbe  in  allmählich  stei- 
gender Dosis,  bis   1*5  g  dreimal  täglich,   durch  lange  Zeit; 


*)  Welch,  cit.  nach  Bäumler  in  Handbuch  der  Therapie  inn.  Krank- 
heiten von  Penzoldt-Stintzing.  —  Malmsten,  ibidem.  —  Puppe,  Deutsche  med. 
Wochenschr..  1894.  —  Hampeln,  Berliner klin.  Wochenschr.,  1894.  —  Etienne, 
ibidem,  1897, 

2)  Tide  pag.  99  ff. 


Das  Aortenaneurysma.  229 

wenn  deutliche  Intoxikationserscheinungen  auftreten,  setze 
man  die  Darreichung  aus,  um  nach  Ablauf  des  ..Jodismus" 
von  neuem  zu  beginnen. 

Die  Injektion  Koagulation  hervorrufender  Flüssigkeiten 
in  den  Aneurysmasack  ist  als  ein  überaus  gefährlicher  Ein- 
griff zu  bezeichnen,  der  wohl  nur  auf  die  trostlosesten  Fälle 
beschränkt  bleiben  kann. 

Relativ  geringere  Gefahren  bereiten  chirurgische  Maß- 
nahmen, welche  sich  bestreben,  im  Aneurysmasaeke  auf 
mechanische  Weise  Fibrinbildung  einzuleiten,  die  „Aku- 
punktur',  die  ..Elektropunktur"  ,  die  „Galvanopunktur". 
Moore1)  hat  versucht,  einen  Fremdkörper  mit  möglichst 
großer  Oberfläche  einzuführen ,  um  dem  Fibrin  zahlreiche 
Punkte  zur  Ablagerung  zu  gewähren;  er  wählte  dazu  in 
einem  Falle  einen  mehr  als  23  cm  langen  feinen  Eisendraht : 
Baccelli 2)  verwendete  in  gleicher  Absicht  feine  Uhrfedern, 
Bansohojf'3)  Silberdraht,  Levis  und  Brt/ant4-)  Roßhaar, 
t\  ScJirötter 5)  Fils  de  Florence.  —  Die  Erfolge  der  Autoren 
sind  ungleich  gewesen,  im  allgemeinen  über  Erwarten  günstig. 
Entgegen  Verneuü 6),  der  sich  in  einem  ausführlichen  Referate 
über  diese  Methoden  abfällig  äußert,  spricht  sich  Bäumler1) 
nicht  mit  Entschiedenheit  gegen  dieselben  aus.  ..Im  großen 
und  ganzen  —  sagt  er  —  muß  man  erstaunt  sein  über  die 
Toleranz  der  Aneurysmen  und  mancher  Aneurysmatiker 
derartigen  Eingriffen  gegenüber,  und  diese  Erfahrung  wird 
bei  einer  an  sich  so  hoffnungslosen  Krankheit  die  Auf- 
munterung zur  Anwendung  derselben  geben  und  sie  be- 
rechtigt erscheinen  lassen." 

Als  „Filipunktur"  (Macewen 8)  wird  eine  Methode  be- 
zeichnet, bei  welcher  man  durch  eine  (aseptische)  Nadel- 
spitze kleine  Verletzungen  der  Intimaauskleidung  des  Aneu- 
rysmasackes  und  Gerinnungsvorgänge  in  demselben  bewirken 

x)  Cit.  nach  Bäumler,  1.  c. 

2)  Baccelli,  ibidem. 

5)  Ransohoff,  Med.  News,  1886. 

4)  Levis  und  Bryant,  cit.  nach  Bäumler. 

5)  f.  Schrötter,  1.  c 

6)  Verneuü,  Acad.  d.  M..  1888;  Arch.  general.,  1888. 

7)  Bäumler,  1.  c. 

8)  Macewen,  Lance!,  1890. 


230  Spezielle  Therapie. 

will.  Caselli1)  und  Bignone-)  haben  von  dieser  Methode  Er- 
folge gesehen. 

Von  erfahrenen  Autoren,  wie  v.  Schroffer  3),  ist  unter 
der  Einwirkung  subkutaner  Ergotininjektionen  „oft  ein 
Stationärbleiben  der  Aneurysmageschwulst ,  ein  auffallend 
langes  Leben  des  Patienten  beobachtet  worden,  so  daß  man 
dem  Medikamente  einen  Einfluß  auf  diese  günstigen  Um- 
stände zuschreiben  muß". 

Neuerdings  ward,  namentlich  von  Sorgo*)  aus  der 
Klinik  v.  Schroff ers.  die  Anwendung  der  von  Lancereaux*) 
zuerst  empfohlenen  subkutanen  Injektionen  von  Ge- 
latine als  erfolgversprechend  geschildert.  In  einem  hohen 
Prozentsatze  von  sackförmigen  Aneurysmen  sah  Sorgo 
Gerinnung  eintreten ,  welche  ausbleibt,  wenn  es  sich  um 
diffuse  Dilatationen  handelt;  doch  betont  er  ausdrücklich, 
daß  wir  nicht  wissen,  ob  die  Gerinnung  im  aneurysmatischen 
Sacke  Folge  der  Gelatinebehandlung  sind,  weil  der  Effekt 
auch  durch  das  diätetische  Regime  und  die  ruhige  Rücken- 
lage bedingt  sein  kann.  Die  Injektionen  sind,  strenge  Asepsis 
vorausgesetzt,  ungefährlich.  >S 'orgo  injizierte  aus  einer  150  cm8 
fassenden,  mit  einer  weitkalibrigen  Injektionsnadel  armierten 
Spritze  nach  vorheriger  Infiltrationsanästhesierung  100  bis 
150cm3  einer  4 — 5%igen  Gelatinelösung.  —  v.  Legeten6)  und 
A.  Fränkel 7)  haben  von  der  Gelatinebehandlung  der  Aneu- 
rysmen keine  eindeutigen  Erfolge  gesehen,  hingegen  hat 
sich  Kalendern*)  über  diese  Methode  günstiger  geäußert. 
Der  Wert  des  Verfahrens  liegt  ohne  Zweifel,  wie  auch 
A.  Fränkel  hervorhebt,  in  der  dazu  erforderlichen  acht- 
wöchentlichen Liegekur,  die  von  den  Patienten  leichter  ein- 
gehalten wird,  wenn  sie  die  Überzeugung  gewinnen,  daß  die- 
selbe zum  Zwecke  einer  besonderen  Behandlung  notwendig  ist. 


*)  Caselli,  8.  Sess.  della  Societ.  Chirurg,  ital.,  1891. 

2)  Bignone,  Riforma  med.,   1895. 

3)  v.  Sehr ötter,  1.  c. 

4)  Sorgo,  Therapie  der  Gegenwart,  1900;  Zeitschr.  f.  klin.  Med.,  Bd.  42. 
3)  Lancereau.r,  Acad.  d.  med.,   1900  und  Gaz.  des  höpit,  1901. 

6)  v.  Leyden,  Verein  f.  innere  Med.  in  Berlin,  1900. 

7)  A.  Fränkel,  ibidem. 

8)  Kalendern,  Klin.-ther.  Wochenschr.,  1900. 


Die  „nervösen  Herzkrankheiten'-.  231 

Die  Anwendung  der  Digitalispräparate  bei  Aorten- 
aneurysmen behufs  therapeutischer  Beeinflussung  derselben 
ist  kaum  berechtigt ,  da  die  günstige  Wirkung  auf  das 
Aneurysma  selbst  (Erhöhung  des  Wandtonus)  durch  die 
Blutdrucksteigerung  (im  Gefolge  der  Digitalis wirkung)  auf- 
gehoben, ja  überwogen  werden  kann.  —  Herzinsuffizienz-Er- 
scheinungen werden  die  Darreichung  kleiner  Digitalisgaben 
und  die  Maßnahmen,  welche  wir  a.  a.  0.  kennen  lernten, 
notwendig  erscheinen  lassen. 

Bestehen  heftige  Schmerzen  (Neuralgien),  dann  kann 
die  Venäsektion  durch  Herabsetzung  der  Spannung  des 
Aneurysmasackes  (und  Verminderung  der  Kompressionser- 
scheinungen) wesentliche  Erleichterungen  schaffen.  — 

Bei  Aneurysmen  der  aufsteigenden  Aorta  und  der 
Anonyma  suchte  man  mit  abwechselndem  Erfolge  durch 
Unterbindung  der  Carotis  communis  oder  der  Subclavia  oder 
beider  zugleich  eine  auf  den  Aneurysmasack  selbst  be- 
schränkte Yerlangsamung  der  Blutströmung  zu  bewirken, 
welche  die  Gerinnselbildung  begünstigen  sollte  (Methode 
von  Brasdor1). 


Die  „nervösen  Herzkrankheiten". 

Als  „nervöse  Herzkrankheiten"  fassen  wir  mit  KreJil2)  auf 
nervösem  Wege  zustande  kommende  Anomalien  der  Herztätigkeit 
und  Veränderungen  des  Herzens  zusammen. 

Hieher  gehören  erstens  diejenigen  Herzbeschwerden ,  die  als 
„Herzneurosen"  bezeichnet  werden  und  nichts  Anderes  sind  als 
Teilerscheinungen  einer  allgemeinen  Nervosität  7  zweitens  die  Ver- 
änderungen des  Herzens  und  seiner  Tätigkeit,  denen  möglicherweise 
eine  Erkrankung  des  „Herznervensystems"  zugrunde  liegt, 
schließlich  die  „Herzerkrankungen,  welche  wahrscheinlich 
reflektorisch  erzeugt  werden". 


L)  Die  diesbezügliche  Literatur  bei  Bäumler,  1.  c. 
')  KrehJ,  1.  c. 


232  Spezielle  Therapie. 

Als  häufigste  Ursache  von  Herzneurosen  kann  die  Neurasthenie 
bezeichnet  werden.  „Die  Labilität  des  neurasthenischen  Nerven- 
systems betrifft  auch  die  Zentren  der  Herznerven."  *)  Manche  dieser 
Patienten  empfinden  neben  den  Zeichen  ihrer  Nervosität  mehr  oder 
weniger  deutlich  Herzsymptome  (Schmerzen,  unangenehme  Gefühle 
in  der  Herzgegend),  in  anderen  Fällen  füllen  die  Herzbeschwerden 
den  Vordergrund  des  Krankheitsbildes  vollkommen  aus.  Die  Kranken 
werden  von  peinlichen,  beängstigenden,  schmerzhaften  Empfindungen 
in  der  Herzgegend  gequält,  die  zeitweise  bis  zur  Höhe  eines  An- 
falles von  ..Angina  pectoris"  anwachsen  können;  die  Furcht, 
herzkrank  zu  sein,  beherrscht  ihre  ganze  Psyche,  verdüstert 
ihnen  den  Tag,  schreckt  sie  des  Nachts  aus  quälenden  Träumen 
auf.  —  Objektiv  findet  man  neben  den  mehr  oder  weniger  deut- 
lichen Symptomen  der  Neurasthenie  auffällige  Rhythmusschwan- 
kungen des  Herzschlags  (pag.  34),  die  durch  Körperbewegungen 
leicht  ausgelöst  werden  können,  seltener  „Extrasystolen",  in  manchen 
Fällen  eine  plötzliche  Pulsverlangsamung  beim  Niederhocken.2) 
Neurasthenische  Bradykardien  kommen  wohl  niemals  vor ,  ebenso- 
wenig Schwankungen  in  der  Größe  des  Pulses. 

Die  ,.Herzdämpfung"  ist  fast  immer  normal.  —  Während 
eines  Anfalles  sind  die  Kranken  bisweilen  auffällig  blaß,  ..verfallen", 
am  Herzen  findet  man  jedoch  außer  einer  kaum  nennenswerten 
Beschleunigung  des  Herzschlags  und  den  geschilderten  Symptomen 
keine  Veränderung.  Es  besteht  demnach  ein  bemerkenswerter 
Widerspruch  zwischen  subjektivem  und  objektivem  Ver- 
halten. - —  Die  Anfälle  werden  auf  psychischem  Wege  leichter  her- 
vorgerufen als  auf  physischem ;  immer  aber  spielt  das  psychische 
Element  in  ihrer  Genese  eine  wichtige  Rolle. 

Die  Dyspnoe  der  Kranken  mit  neurasthenischer  Angina  pec- 
toris macht  immer  den  Eindruck  des  ..Gewollten".  —  Wenn  die 
Herzbeschwerden  ältere  Individuen  betreffen ,  Veränderungen  von 
beginnender  Arteriosklerose  vermutet  werden  können 3)  oder  in  der 
Anamnese  der  Kranken  mehrfache  „rheumatische"  Attacken  erwähnt 
werden ,  sei  man  mit  der  Diagnose  der  neurasthenischen  Herzbe- 
schwerden vorsichtig  und  fahnde  eifrig  nach  Zeichen  der  beginnen- 
den Herzinsuffizienz. 4)  An  den  Herzen  jugendlicher  Individuen  mit 
Herzneurosen  findet  man  bisweilen  auffällig  laute ,  wie  klingende, 
akzentuierte ,  seltener  gespaltene  Töne ,  oft  auch  ein  systolisches 
Geräusch  mit  den  Kriterien  des  akzidentellen  Geräusches.  Die 
Spaltung    betrifft    die    ersten    Töne    häufiger    als    die  zweiten    und 


*)  Braun  u.  Fuchs,  Zentralbl.  f.  innere  Med. 

2)  Krelil,  1.  c.  —  Binsivanyer,  Path.  u.  Therap.  d.  Neurasthenie,  1896. 
—  Lommel,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.,  Bd.  72.  —  Erben,  Wiener  klin. 
Wochenschr.,  1898.  —  Braun  u.  Fuchs,  1.  c. 

3)  Vide  pag.  216. 

4)  Vide  pag.  26. 


Die  „nervösen  Herzkrankheiten'.  233 

kommt  bei  Männern  öfter  als  bei  Frauen  vor;  speziell  bei  jugend- 
lichen Neurasthenikern  (Masturbanten)  findet  man  den  ersten  Ton 
an  der  Spitze  recht  häufig  deutlich  gespalten,  ja  sogar  eine  Art 
von  präsystolischem  Schwirren.  Treten  auch  noch  die  Zeichen  der 
verstärkten  Aktion  des  linken  Ventrikels  hinzu,  ferner  ein  dumpfer, 
systolischer  Ton,  eventuell  ein  systolisches  Geräusch,  was  bei  diesen 
Fällen  nicht  zu  den  Seltenheiten  gehört,  dann  liegt  die  Möglichkeit 
einer  Verwechslung  mit  leichten  Fällen  von  Mitralstenose  nahe  genug. 

Differentialdiagnostisch  kommen  in  Betracht:  Der  Gegensatz 
zwischen  dem  geschilderten  palpatorischen  und  auskultatorischen 
lief unde  einerseits,  dem  Perkussionsbefunde  andererseits,  in  dem 
jegliche  Spur  von  Vergrößerung  des  linken  Vorhofes  und  des 
rechten  Ventrikels  fehlt ,  der  Mangel  von  Cyanose  und  Pulsin- 
äqualitäten,  die  geschilderten  Rhythmusschwankungen  des  Pulses, 
xhließlich  die  Erscheinungen  der  Gefäßneurose:  Auffälliger  Wechsel 
der  Gesichtsfarbe ,  feuchtkalte ,  livide  Hände  und  Füße ,  fliegende 
Erytheme,  das  Gefühl  des  Abgestorbenseins  an  Händen  und  Füßen, 
Karotidenklopfen  und  die  Kennzeichen  der  allgemeinen  Nervosität 
(Tremor  der  Zunge,  der  geschlossenen  Augenlider,  der  Hände,  ge- 
steigerte Reflexerregbarkeit  etc.). 

Die  Erklärung  der  ..nervösen  Herzkrankheiten'',  bei  denen 
wir  eine  Beteiligung  des  Herznervensystems  vermuten ,  und  der 
..reflektorischen  Herzaffektionen "  stößt  derzeit  noch  auf  kaum  über- 
windliche  Hindernisse.  —  Als  Typus  der  ..reflektorischen  Herz- 
affektionen" J)  sind  die  Anomalien  der  Herztätigkeit  zu  bezeichnen, 
die  man  z.  B.  bei  nervösen  Frauen  mit  Erkrankungen  des  Digestions- 
traktes oder  der  Geschlechtsorgane  findet.  (Immer  ist  Nervosität  ein 
notwendiges  Bindeglied  zwischen  reflexauslösendem  Agens  und  der 
reflektorischen  Herzaffektion.)  Im  Symptomenkomplexe  dieser  Krank- 
heitsbilder tritt  die  Funktionsstörung  des  linken  Ventrikels 
mehr  oder  weniger  deutlich  hervor. 2) 

Vielleicht  dürfen  auch  die  Fälle  von  „essentieller  paro- 
xysmaler Tachykardie"  der  Literatur  hieher  gezählt  werden,  bei 
denen  sich  keine  anatomische  Erkrankung  des  Herzens  selbst  nach- 
weisen ließ.  Man  versteht  unter  dem  Namen  „essentielle  paroxysmale 
Tachykardie''  plötzlich  auftretende  Anfälle  von  Herzjagen,  die  ver- 
schieden lange  anhalten  und  angeblich  mit  Vergrößerung  der  Herz- 
dämpfung einhergehen  können.  3) 


*)  Literatur  bei  Rombery  1.  e.  und  Krehl  1.  c.,  ferner  Mayer  u.  Pribram, 
Sitzungsber.  d.  Wiener  kais.  Akad.  d.  Wissenseh. ,  1872.  —  Potain,  Gaz.  hebd., 
1894.  —  Rosenbach,  Deutsche  med.  Wochenschr.,  1879.  —  Ott,  Prager  med. 
Wochenschr.,  1882. 

2)  Braun,  Wiener  med.  Presse,  1902  und  pag.  17  ff. 

■)  Nothnagel,  Wiener  med.  Blätter,  1887.  —  Boweret,  Revue  de  med. 
1889.  —  Martins,  Tachykardie,  1895.  —  Hoffmann,  Die  paroxysmale  Tachy- 
kardie, 1900. 


234  Spezielle  Therapie. 

Zu  den  Neurosen  des  Zirkulationsapparates  sind  schließlich  der- 
zeit noch1)  als  ,.toxische  Neurosen"  auch  die  Veränderungen  der  Herz- 
tätigkeit zu  rechnen,  die  sich  bei  vielen  Individuen  nach  lange  fort- 
gesetztem Abusus  von  Tabak,  Kaffee  und  Tee  entwickeln,  ferner  die 
Herzbeschwerden  der  Morphinisten.  In  allen  diesen  Fällen  steht  die 
Labilität  des  Herzrhythmus  im  Vordergrunde  der  Erscheinungen. 
Arhythmien,  „Extrasystolen*',  die  von  den  Kranken  zumeist  peinvoll 
als  Aussetzen  des  Herzschlags  empfunden  werden ,  überaus  leicht 
auslösbares  Herzklopfen,  dazu  das  Gefühl  der  Verstimmung,  die 
Angst  vor  unheilbarem  Kranksein ,  Todesfurcht ,  Schlaflosigkeit, 
Unfähigkeit  zur  Arbeit ,  Einschränkung  des  Denkvermögens  setzen 
das  Bild  dieser  Neurose  zusammen ,  deren  zunehmende  Häufigkeit 
den  immer  schwerer  werdenden  Bedingungen  entspricht,  unter  denen 
der  „moderne  Mensch"  seinen  Lebenspfad  durchschreitet.  Die  falsche 
Vorstellung ,  daß  man  des  „Stimulus"  nicht  entraten  könne ,  dazu 
eine  Reihe  von  sozialen  und  sozialökonomischen  Faktoren  zeitigen 
diese  traurigen  Blüten  der  fortschreitenden  Zivilisation. 

Die  Therapie  der  nervösen  Herzkrankheiten  hat  sich 
gegen  die  Grundkrankheit,  beziehungsweise  gegen  die  sie 
auslösenden  Momente  zu  wenden. 

Es  kommen  also  bei  neurasthenischen  und  hysterischen 
Herzbeschwerden  die  für  die  Behandlung  dieser  Neurosen 
geltenden  Gesichtspunkte  in  Betracht.  „Das  Wichtigste  ist 
unter  allen  Verhältnissen,  daß  der  Kranke  Ruhe  und  Frieden 
seiner  Seele  erlangt"  (Krehl).  Wer  von  der  Hast  des  Lebens 
entkräftet,  in  übermüdender  Arbeit  zusammenbrach,  der  be- 
nötigt vor  allem  anderen  Ruhe ,  Erholung,  im  Gebirge,  an 
der  See,  in  waldreichen  Gegenden,  je  nach  Maßgabe  des 
Grades  seiner  Erkrankung,  eventuell  in  einer  Kuranstalt. 
Wer  durch  seelischen  Kummer,  traurige  Ereignisse  Herz- 
beschwerden erwarb,  den  wird  unter  Umständen  Selbstüber- 
windung, Berufsarbeit,  Beschäftigung  am  besten  zu  heilen 
vermögen.  In  den  allermeisten  Fällen  übt  die  persönliche 
Einflußnahme  des  Arztes,  die  Psychotherapie,  die  größte 
Wirkung  aus ;  ein  guter  Rat ,  ein  kluges  Wort ,  oft  auch 
taktvolle ,  doch  unnachsichtliche  Strenge  zu  rechter  Zeit 
helfen  dann  wohl  mehr  als  die  teuerste  „Medizin". 


*)  Genaue  Untersuchungen  werden  uns  möglicherweise  einen  Zusammen- 
hang zwischen  der  Entwicklung  dieser  Noxen  und  der  Entwicklung  mancher 
(anatomischen)  Gefäß-  und  Herzveränderung  erkennen  lassen. 


Die  „nervösen  Herzkrankheiten".  235 

Im  übrigen  dienen  zur  Behandlung  der  Grundkrank- 
heit unsere  verschiedenen  diätetischen  *),  hydriatischen  2)  und 
mechano-therapeutischen  Maßnahmen. 3)  Sehr  wichtig  ist  die 
Beachtung  und  therapeutische  Behebung  der  übrigen  Sym- 
ptome der  Nervosität,  des  Appetitmangels,  der  Schlaflosigkeit; 
sie  werden  durch  „Luftveränderung",  Wechsel  der  Umge- 
bung, oft  in  überraschender  Weise  günstig  beeinflusst.  Für 
leichtere  Fälle  genügt  die  Entfernung  aus  dem  gewohnten 
Kreise,  der  täglichen  Umgebung,  der  Familie,  vollkommen, 
um  einem  größeren  (suggestiven)  Einflüsse  des  Arztes  Raum 
zu  schaffen;  schwere  Neurastheniker  bedürfen  zu  ihrer  Ge- 
nesung wohl  zumeist  der  permanenten  Anleitung  und  Über- 
wachung durch  den  Arzt,  einer  streng  geregelten  Zeit- 
einteilung, einer  passenden  Beschäftigung  (Garten-,  Feld- 
arbeit), was  sich  in  harmonischer  Weise  wohl  nur  in  einer 
Heilanstalt  zusammenfindet.  Gegen  die  Schlaflosigkeit  wende 
man  im  Anfange  der  Behandlung  leichtere  Schlafmittel,  z.  B. 
Sulfonal,  Trional  etc.  4),  an.  Vor  dem  Morphiumgebrauche  ist 
dringendst  zu  warnen.  Auch  die  Darreichung  von  Alkoholicis 
werde  so  weit  als  möglich  eingeschränkt  oder  am  besten 
vollkommen  unterlassen. 

Bisweilen  hat ,  zumal  bei  Patienten  mit  gesunkenem 
Ernährungszustande ,  neben  reichlicher  Ernährung  die  An- 
wendung des  Opium  unleugbare  Erfolge  zu  verzeichnen.  Man 
gibt  das  Extractum  opii  aquosi  in  Pillen ,  z.  B.  Rp.  Extr. 
opii  aquos.  1*0,  Extr.  Rhei  2*0,  Extr.  et  pulv.  Liq.  qu.  s.  ut  f. 
pil.  Nr.  L.  S.  Morgens  und  Abends  2 — 10  Pillen  steigend  zu 
nehmen,  oder  in  Lösung,  z.B. :  Rp.  Extr.  opii  aquos.  0*6,  Vin. 
Malac,  Aq.  destill,  aa.  60'0,  Tr.  Aurant.  comp.,  Syrup.  Aurant. 
aa.  15'0.  S.  Kaffeelöffelweise ,  langsam  steigend  zu  nehmen, 
z.  B.  am  1.  Tage  morgens  2  Kaffeelöffel,  abends  3  Kaffee- 
löffel, am  2.  Tage  2,  resp.  ?>1/2  Kaffeelöffel,  am  3.,  4.,  5.  und 
6.  Tage  jedesmal  um  je  */«  Kaffeelöffel  mehr,  ebenso  langsam 
wieder  herab.  Man  kann  so  unbedenklich  bis  auf  0"4  Extr. 


*)  Vide  pag.  86. 

2)  Vide  pag.  116. 

3)  Vide  pag.  145. 

4)  Vide  pag.  196  ff. 


2;i6  Spezielle  Therapie. 

opii  pro  die  ansteigen.  Die  anfängliche  Obstipation  schwindet 
bald  von  selbst. 

Gegen  stärkere  Herzbeschwerden  wirken  Brompräpa- 
rate (2 — ?>g  abends,  vor  dem  Zubettegehen),  ebenso  die  Tinc- 
tura  Valerianae  oder  Valyl.  —  Auch  der  tonisierende 
Einfluß  von  Herzmitteln  (Digitalis,  Strophantus)  kann  sich 
bisweilen  günstig  erweisen,  doch  vergesse  man  nicht  daran, 
daß  die  Kranken  in  der  Darreichung  von  Herzmitteln  even- 
tuell eine  Bestätigung  des  gefürchteten  Herzfehlers  sehen 
und  dadurch  unheilvoll  beeinflußt  werden  können.  Daher 
ist  auch  der  psychische  Wert  einer  Bewegungskur,  der  die 
Kranken  so  recht  davon  überzeugt,  daß  ihrem  Leiden  keine 
anatomische  HerzafFektion  zugrunde  liegt,  von  großem  Werte. 
—  Die  „reflektorischen  HerzafFektionen"  erfordern  die  Be- 
handlung und  Beseitigung  der  sie  auslösenden  Momente.  — 
Die  Behandlung  der  „toxischen  Herzaffektionen*'  setzt  fast 
ausnahmslos  die  dauernde  Überwachung  der  Kranken  voraus. 
Es  wird  daher  zumeist  das  Aufsuchen  einer  Heilanstalt 
notwendig  erscheinen. 


Autoren  -Verzeichnis. 

(Die  beigedruckten  Ziffern  bedeuten  die  Seitenzahlen.) 


Abbe  157. 
Ackermann  46. 
Adam-Stokessches  Sym- 
ptomenbild 216. 
Albertoni  73. 
Albu  163. 
Albutt  179,  181. 
Altvater  96,  97. 
Askanasy  79,  220. 
Aubert  72,  77,  194. 

B. 

Baccelli  229. 

Bamberger  127. 

Barie  165. 

Barnard  4. 

Basch  v.  17,  20,  25,  36, 

37,  217. 
Bauer  15,  168. 
Bäumler  177,  229. 
Beck  C.  91. 
Benedikt  96,  97. 
Beneke  109. 
Berg  75. 
Biedl  13,  215. 
Bignone  230. 
Binet  219. 


Binswanger  232. 

Binz  56,  76,  98. 

Bock  46,  72. 

Boeck  v.  64. 

Boehm  46,  75,  77. 

Bogolopoff  219. 

du  Bois-Beymond  103. 

Bollinger  15. 

Borini  171. 

Bosse  69. 

Botkin  71. 

Bouillaud  107. 

Bouny     163. 

Bouveret  233. 

Brasdor  231. 

Braun  4,  46,  48,  55,  72, 

149,  220,  232,  233. 
Breuer  Rob.  79,  220. 
Braune  148. 
Broadbent  18,    23,    100, 

165,    169,    187,    201, 

205,  207,  228. 
Bruhns  173,  223. 
Bryant  229. 
Buchheim  77. 
Bum  Anton  145. 
Burton-Opitz  91. 
Burwinkel  89. 
Buttermann  30. 


C. 

Charcot  216. 
Citron  84,  85. 
Clar  108. 
Cloetta  45,  (52. 
Clopatt  96,  97. 
Corrigan  204. 
Curschmann  84,  181. 
Cushny  46. 


Dehio  30,  37,  85. 

Dehn  72,  77. 

Bemme  69. 

Denzel  68. 

Deucher  67. 

Dixon  Mann  156. 

Dräsche  69. 

Dreser   46,   55,   79,   80. 

Düms  179. 

Dnrdufi  46. 

E. 

Ebstein  31,  100,  214. 
Edgren  4,  217. 
Edlefsen  75. 
Eger  207. 


238 


Autoren  -Verzeichnis. 


Egger   und   Koeppe  107. 
Ehrenfried    Albrecht     2. 

155,  173. 
Einhorn  58,  59,  62. 
Eiseisberg  v.,  177. 
Engelmann  4. 
Eppinger  173,  226. 
Erb  217. 
Erben  232. 
Esser  20. 
Etienne  228. 
Ewald  198. 


F. 

Fantino  6. 

Federn  7,  99. 

Feis  185. 

Finkler  96. 

Fleiner  80. 

Focke  60. 

Fraenkel  Albert  60,    83, 

230. 
Fraentzel   62,   63,    180, 

181,  205. 
Frank  0.  48,  53. 
Fräser  69. 
Frey  v.  4,  7,  15. 
Friedrich  30. 
Fuchs  A.  232. 
Fürbringer  84,  85. 


G. 

Gärtner  7,  135. 
Gaffa  171. 

Gerhardt  D.  23,  53,  173. 
Glax  108,  114. 
Golaz  60. 
Goldscheider  158. 
Gottlieb   46,  48,  57,  60, 

65,    76,  79,  128,  220, 

224,  225,  226. 
Gräupner  157. 
Grawitz  207. 


Grebner  16,  30,  146. 
Grassmann  216. 
Groedel  64,  109. 
Grossmann  37,  109. 
Grünbaum    16,    30,  146. 
Gussenbauer  2. 
GutnikoAv  76. 

H. 

!  Hagemann  16. 
I  Hampeln  228. 

Hare  98. 

Hasebroek  146. 

Hauke  105. 

HaAvksley  7. 


Hay  197. 
Hedbom  46,  72. 
Heinz  46,  61. 
Heitier  31,  117,  149. 
Hellendall  157,  122. 
Heller  103,  107. 
Hensen  7,  109. 
Herbst  156. 
Herz  132,  151. 
Hirsch  15,  91. 
Hirschfeld  89,90,192, 224. 
His  216. 

Hoffmann  A.  233. 
Hoffmann  F.  A.   42,   82, 

93,  186,  192,  213,  216. 
Hollwachs  223. 
Huchard  54,  75,  89,  172, 

216,  217,  219. 
Hürthle  4,  7,  71,  91. 


J. 

Jaccoud  169. 
Jaksch  v.  194. 
Jaquet  216. 
Jendrassik  80,  81, 
Johannsson  47. 
Jürgen  sen   33,  160,  168, 
173. 


K. 

Kahler  83. 

Kalenderu  230. 

Karell  82. 

Kaufmann  216. 

Kiliani  45. 

Kisch  163,  209. 

Klemperer  9,  158. 

Knoll  19. 

Kobert  73. 

Köhler  77. 

Koehorn  65. 

Kolisch  212. 

Koppe  45,  67. 

Kornfeld  17. 

Kraus  F.  28,  29,  73. 

Krehl  3,  16,  17,  19,  21, 

25,   27,   30,  179,  231, 

232,  233,  234. 
Kreidl  12. 
Krönig  84,  85. 
Kümmel  164. 
Kürschner  2. 
Kussmaul  63,  64,  65,  66, 

82,  161. 


Lancereaux  230. 

Landerer  23. 

Langendorff  107. 

Langowoy  5,  28. 

Lapicque  219. 

Lassar  148. 

Lauder  Brunton  48,  203. 

Lazarus  104,  105,  209. 

Lehmann  98. 

Lennhoff  107,  169. 

Leube  90,  167. 

Levis  229. 

Lewy  B.  18,  21,  27,  28, 

52,   87,  95,  206,  207. 
Leyden  v.  32,   92,   181, 

185,  208,  230. 
Liebig  G.  v.  104,  105. 
Lippert  115. 


Autoren  -Verzeichnis. 


239 


Litten  85,  107,  167, 

169. 

O. 

Levy  A.  103,  106. 
Lommel  232. 
Luce  216. 

Oertel  32,  33,  88,  93,  94, 
95,  96,  106,  107,  154, 
214. 

Ludwig  C.  4. 

Oliver  -  Cardarellis    Sym- 
ptom 227. 

M. 

Ortner  62,  71,  217. 

Macewen  229. 

Ott  96,  97,  233. 

Macquorn-Rankini  163. 

P. 

Mager  46,    48,    55, 

72, 

103,  107,  220,  223. 

Pässler  128,  173.  223. 

Magnus  46,  48,  57 

76, 

Paul  Theod.  91. 

226. 

Pauli  216,  219. 

Malmsteh  228. 

Pawinsky  79. 

Marey  4,  5. 

Pawlow  6. 

Markwald  217. 

Peacock  181. 

Martius  4,  36,  179, 

233. 

Pel  73. 

Masing  30,  188. 

Pereira  65. 

Matthes  127. 

Pick  Friedel  50,  225. 

Maximowitsch  16. 

Potain  233. 

Mayer  S.  221). 

Prevost  219. 

Mendelsohn   28,  29 

30, 

Pribram  165,   233. 

92,  163,  189,  222. 

Puppe  228. 

Meplain  98. 

Purkinje  74. 

Mercandino  73. 

Mikulicz  164. 

Q- 

Minkowski  80,  218. 

Quaglio  115. 
Quincke  195. 

Montpellier  105. 
Moore  229. 

Morgagni  92. 

R. 

Mosso  7. 

Müller  173,  223. 

Ransohoff  229. 

Münzinger  181. 
Muhm  6. 

Reiner  13. 

v.  Recklinghausen  7. 

Myers  181. 

Remak  E.   156. 
Rieder  16. 

N. 

Riva-Rocci  7. 

Romberg  41,  62,  66,  70, 

Naunyn  53,  61,  63. 

71,  77,  82,    128,  153, 

Nebel  146. 

168  ,  173  ,    181 ,  185, 

Neufville  89. 

209  ,  210 ,   219  ,  223, 

Neusser  33,  34,  62, 

216. 

233. 

v.  Noorden  209. 

Rose  175. 

Nothnagel   77,  107, 

216, 

Rosemann  96,  97. 

221,  233. 

Rosenbach  18,  25,  233. 

Rosenfeld  96.  97. 
Rosenheim  80. 
Rosenstein  69. 
Rothberger  209. 
Rumpf  220. 
Rüssel  91. 

S. 

Sahli  57. 
Sandow   115. 
Santesson  72. 
Schmiedeberg  45,  65,  66, 

197.  198. 
Schnitzler  217. 
Schott  A.  109,  110,  114, 

163,  209. 
Schott  147. 
Schröder  v.  79,  80. 
v.  Schrötter  75,  77,  179, 

182  ,  207  ,   219  ,  220, 

221,  229,  230. 
v.  Schrötter  H.  103,  107. 
Sehroth  215. 
Schubert  64. 
Schwarzenbeck  68. 
Sehrwald  163. 
Seitz  181. 
Senator  205. 
See  G.  70,  82,  219. 
Senac  92. 
Siebert  61. 
Siegfried  163. 
Silva   117. 
Singer  G.   165. 
Skoda  19,  56. 
Sobieranski  v.  78. 
Sorgo  230. 
Southey  84,  85. 
Sommerbrodt  103. 
Soyka  83. 
Staehelin  5,  30. 
Strasser  A.  73,  116,  180. 
Stintzing  80. 
Störck  82. 
Stokes  25,  41,  77,  80,  93. 


240 

Strangs  H.  91. 

Stricker  16. 
Strübell  20. 


Tauszk  30. 

Tigerstedt   3,  9.  14,  16, 

47,  75,  196. 
Timofeew  6. 

Traube  46,  55,  77,  208. 
Türk  W.  179. 

u. 

Umpfenbach  197. 
Unverricht  68. 


Autoren  -Verzeichnis. 

v. 

Van  der  Heide  64. 
Verneuil  229. 
Viani  u.  Mallassez  107. 
Vierordt  207,  219. 
Vogl  A.  v.  45. 

W. 

Waidenburg  105. 
Weber  19. 

Weber  Hennann  108. 
Welch  228. 
Wenckebach  34,  57. 
Wertheimer  225. 
Williams  46. 


Winterberg  H.  73,  74. 
Winternitz  144. 
Withering  44. 
Wunderlich  41. 
Wybauer  46. 

z. 

Zander  146. 
Zengger  67. 
Zeltner  68. 
Ziegenbein  60. 
v.  Ziemssen  156,  226. 
Zoth  163. 
Zuntz  L.  163. 
Zuntz  N.  15,  16,  86,  147, 
149,  212. 


Sach-Register. 

(Die  beigedruckten  Ziffern  bedeuten  die  Seitenzahlen.) 


A. 

Abführmittel  99. 

Abhärtung  160,  185. 

Abreibung  140. 

Adonis  71. 

Agurin  79,  220. 

Akkommodationsfähigkeit  des  Herzens 

14. 
Akupunktur  229. 
Alkalien  bei  Endokarditis  169. 
Alkohol  75,  96,  172. 
—  Nährwert  des  96. 
Alkoholdarreichung  mit  Digitalis  55. 
Amylenhydrat  197,  198. 
Amylnitrit  77. 
Angina  pectoris  220. 
Antipyretika  172. 
Aortenaneurysma  227. 
Aortenfehler,  Mitralisierter  54. 
Aorteninsuffizienz  3,  17,  204. 
Aortenstenose  203. 
Arhythmie  33,  118. 
Arteriosklerotische  Veränderungen  des 

Herzens  134,  217. 

Braun,  Therapie  der  Herzkrankheiten. 


B. 

Badekuren  für  Rheumatiker  165. 
Balneotherapie  105. 
Bantingkur  213. 
Beaftea   172. 

Beiersdorffsche    Kali  chloricum- Zahn- 
pasta 81. 
Berufswahl  183. 
Bettruhe  169. 

—  Verlassen  der  171. 
Bewegung  186. 

Bier  96. 
Blutdruck  7. 

—  Beeinflussung   des    —    durch    die 
Atmung  11. 

Blutdruckschwankungen  nach  Muskel- 
arbeit 16. 
Blutentziehung  8. 
Blutegel  193. 
Bradykardie  139. 
Branntwein  96. 
Brompräparate  196. 
Brunnenkuren  210. 


16 


242 


Sach-Register. 


C. 

Colchici,  Semen  82. 
Concretio  pericardii  178. 
Cremor  tartari  81. 

D. 

Dampfbäder  215. 

Dampf  kastenbad  141. 

Dampfwannenbad  141. 

Dekubitus  189. 

Depressorische  Nervenfasern  6. 

Diabetes,   Herzschwäche  bei  192. 

Diät,  rationelle  86,  87. 

Diaphorese  83. 

Ditt'erenzbestimmung  (Oertel)  32,  96. 

Digitaline  Blanquart,  Homolle  ,  Nati- 
velle,  Quevenne  68. 

Digitalinum  verum  Kiliani  (Böhringer 
&  Söhne)  67. 

Digitalis  44. 

Digitalisacetat  67. 

Digitalis  bei  Endomyokarditis ,  bei 
erhöhter  Körpertemperatur,  bei  Em- 
bolien, bei  Mitralstenosen  56. 

—  bei  Perikarditis  57. 

—  Beschaffenheit  des  Herzmuskels 
Hauptfaktor  der  Wirkung  von  — 
53. 

—  Beschleunigung  der  Strömungsge- 
schwindigkeit des  Blutes  durch  50. 

—  bessere  Wirkung  kleiner  Gaben 
von  —  52,  61. 

—  Dosierung  und  Darreichungsform 
von  61. 

—  Gefäß  Verengerung  und  therapeu- 
tische Wirkung  49. 

—  Gefäß  Verengerung  durch  48. 


Digitalis,  Gewöhnung  an  64. 

—  grandiflora  68. 

—  Indikationen  der  51. 

—  im  Klysma  66. 

—  in  Substanz  62. 

—  in  Suppositorien  67. 

—  Kontraindikation  von  57. 

—  kumulative  Wirkung  der  64. 

—  Magenbeschwerden  nach  62. 

—  mit  Alkohol  55. 

—  mit  Diuretin  55. 

—  Pharmazeutische  Kriterien  der  — 
Therapie  59. 

—  Physiologische  Prüfung  der  60. 

—  Pulsregulierung  durch   48. 

—  Regularisation  der  Herzarbeit  durch 
52. 

—  Vergiftungserscheinungen    der  66. 

—  Verbesserung  der  Herzarbeit  durch 
48. 

—  Zeitpunkt  der  Darreichung  von  58. 
Digitalisdialysat  Golaz  68. 
Digitalisextrakt  67. 
Digitalisgaben,  tastende  55. 
Digitalismacerat  62. 
Digitalismus  64. 

Digitalispräparate ,    die    gebräuchlich- 
sten 61. 

Digitalistherapie,  chronische  63. 

—  Unterschied    zwischen    Digitoxin 
und  Digitalin  49. 

Digitalistinktur  67. 
Digitaliswirkung,  Abhängigkeit  der  — 
vom  Standorte  der  Mutterpflanze  60. 

—  je  nach  Jahreszeit  60. 

—  Kumulative  65. 

—  Therapeutisches  Stadium   der  45. 

—  Toxisches  Stadium  der  45. 


Sach-Register. 


243 


Digitoxin  68,  69. 

Dilatationsfähigkeit    des   Herzens  18. 
Diurese,  Vermehrung  der  77. 
Diuretika  78. 
Diuretin  79,  220. 
Drainagekapseln  85. 
Durstkur  95. 
Duschen  142. 
Dyspnoe  37. 


E. 

Einpackung  142. 

Elektropunktur  219. 

Elektrotherapie  154. 

Embolien  170,  195. 

Endokarditis  126,  167. 

Entfettungskur  133,  210. 

Entwässerung  124. 

Erholung  186. 

Erholung    als  Maß    der   Herzfunktion 

29. 
Ernährungstechnik  92. 
Erstarkung  des  Herzens  15. 
Ery throltetranitrat  22 1 . 
Extrasystole  5,  34. 


„Fettherz"  208. 

Filipunktur  229. 

Fleischpulver  172. 

Flüssigkeitszufahr  bei  Herzkranken 
93. 

Frequenz  des  Herzschlages  5,  117. 

Fructus  juniperi  81. 

Funktionsprüfung  durch  Blutdruck- 
messung 30. 


G. 

Gefäßinnervation   12. 
Gefäßrchexe  12. 
Gefäßtonus  13. 

Gesetz    der    physiologischen    Heiz- 
periode 5. 

H. 

Hämoperikard  179. 

Halbbad  140. 

Harn ,  AVechsel  im  spezifischen  Ge- 
wichte des  —  bei  beginnender 
Herzinsuffizienz  33. 

Harnstoff  82. 

Hausarzt  159. 

Hautpflege  186. 

Hautpunktion  84. 

Hautskarifikation  84. 

Hedonal  197,  198. 

Heilgymnastik  162. 

Heilstätten  für  Herzkranke  222. 

Heißluftbad  136. 

Heißluftbehandlung  143. 

Helleborei'n  71. 

Herzarbeit  7. 

—  Vermehrung  der  —  durch  Digi- 
talis 47. 

Herzdilatation  nach  Muskelarbeit  bei 

Herzinsuffizienz  31. 
Herzerscheinungen      nach     Influenza 

173. 
Herzfehler,  Ist  der  Herzkranke    über 

den  —  aufzuklären  181. 
Herzinsuffizienz,  Akute  179. 

—  Chronische   181. 

—  1.  u.  2.  Grades   27. 

—  Herztöne  bei  35. 

16* 


244 


Sach-Register. 


Herzinsuffizienz,  Leber  bei  38. 
Herzklappen,  venöse  1. 
Herzkranker,  Ehe  183. 
Herzmittel  44. 

—  -  direkte  44. 

—  indirekte  44. 
Herzmuskulatur  5. 
Herzmuskelfanktion   =   Herzfunktion 

25. 

Herzmuskelinsuffizienz  =  Herzinsuffi- 
zienz 24,  25. 

Herznerven  5. 

Herzneurosen  137. 

Herzschwäche     bei     Infektionskrank- 
heiten 127,  172. 

Herzschlauch  143. 

Herzstoß  als  Maß   der  Herzfunktion 
35. 

Herzstützen   157. 

Herzvolum  117. 

Hochbad  140. 

Hydriatische  Behandlung    der    Herz- 
krankheiten 116. 

Hydrops  23. 

Hydrotherapie,  Praxis  der  140. 

Hypertrophie,   gesunde  17. 

—  krankhafte   17. 
Hypodermoklyse  226. 


Jaborandi,  Folia  83. 
Infektionskrankheiten ,     Kreislaufstö- 
rungen bei  akuten  223. 
Intermittierendes  Hinken  216. 
Jodismus  229. 
.Todpräparate  219. 
Jodsalze  75. 


K. 

Kacao  98. 

Kälte,  Einfluß  der  —  auf  das  Herz 
118ff. 

Kältereiz  225. 

Kaffee  98,  234. 

Kalium  aceticum  81. 

Kalomel  80. 

Kampher  73,  74,  75,  221. 

Klappenfehler,  kombinierte  207. 

Kleidung  160,  185. 

Klimatische  Stationen  108. 

Klimatotlierapie  105. 

Körpermuskulatur,    Ausbildung    der 
162. 

Körperpflege  160. 

Koffein  72,  79. 

Kohlensäurehaltige  Bad,  Bas  109. 

—  —  Baderegeln  des  111,  Indika- 
tionen des  112,  Kontraindikationen 
des  112,  113. 

Kohlensaure   Bäder,    Künstliche    114. 

Kolapräparate  73. 

Konvallaria  71. 

Koronarsklerose  136. 

Krankenpflege  190. 

Kreuzbinde  144. 

Kühlflasche  169. 

Kurdiät  313. 


Laxantien  99,   100. 
Lichtbäder  136,  215,  209. 
Liebigs  Feischextrakt  172. 
Liquor  Kalii  acetici  81. 
Lungenkreislauf  10. 


Sach-Register. 


245 


M. 

Meat  juice   172. 

Mechanische  Behandlung,  Die  —  der 

Herzkrankheiten  145. 
Mechanotherapie ,     Prophylaktische 

153. 
Milchkur  82,  93. 
Milch,  Pasteurisierte  93. 
Militärdienst  187. 
Mitralinsuffizienz  199. 

—  Relative  22. 
Mitralstenose  200. 
Morphium  198. 
Molken kur  215. 
Müllerscher  Versuch  102. 
Mundpflege  164. 

—  bei  Kalomelmedikation  81. 
Mvokarderkrankungen  1 32. 
Myokarditis  172. 

Myolyse  173,  226. 

N. 

Nahrung,    Zusammensetzung    der  88, 

Verdaulichkeit  der  89. 
Natriumnitrit  77,  221. 
Natrium  salicylicum  82. 
Nauheim  113. 
Nebennierenpräparate   224. 
Nervöse  Herzkrankheiten  231. 
Nitroglycerin  77,  221. 


Ölklystiere,  Epsteinsche  100. 
Ononidis,  Radix  82. 
Osmodiätetik  91. 
Oxyspartein  71. 

Braun,   Therapie  der  Herzkrankheiten. 


Paraldehyd  197,   198. 
Perikardiotomie  176. 
Perikarditis  126,  174. 
Perikard,  Punktion  des  177. 
Peritonealpunktion  85. 
Pilokarpin  83. 
Plethora  hydraemica   94. 
Pleurapunktion  85. 
Pneumatotherapie  102. 

—  Indikatiooen  der  103. 

—  Kontraindikationen  der  104. 
Pneumoperikard  179. 
Prädisposition  für  Herz affektionen  166. 
Prophylaxe  159. 

Pseudoangina  pectoris  139. 
Psychosen  bei  Herzfehlern  36. 
Pulmonalinsufflzienz  206. 
Pulsveränderung     nach    Körperbewe- 
gungen 28. 

R. 

Radfahren  163,   187. 
Reaktivierung  nach  Endokarditis  171. 
Rekonvaleszenz  190. 
Reibung  des  Blutes  9. 
Reibungswiderstand  des  Blutes  91. 
Rhodansalze  219. 
Rückstauungskongestion  144. 
Ruhe  186. 

S. 

Salze  der  Nahrung  90. 
Schädlichkeiten,  Vermeidung  von  166. 
Schilddrüsenpräparate  bei  Fettleibig- 
keit 215. 

17 


246 


Sach-Register. 


Schmerzen  172. 
Schonung  42. 
Schröpfen  193. 
Schulunterricht  187. 
Schwitzkuren  83. 
Schwitzprozeduren  144. 
Scillae,  Bulbus  82. 
Seereisen  108. 
Semilunarklappen   2. 
Senfpflaster  193. 
Serumtherapie  172. 
Sexueller  Verkehr  171. 
Solgersche  Lymphröhrchen  221. 
Spartein  70,  71. 
Species  diureticae  82. 
Speisenzubereitung  90. 
Sportbewegungen  154,  186. 
Strontium  lacticum  81. 
Strophantin  70. 
Strophantus  69. 
—  Granules  de  Catillon  70. 
Stuhlgang  99. 
Sulfonal  197. 

T. 

Tabakraucher  98,  234. 

Tachykardie,  paroxysmale  138,  233. 

Tauchbad  240. 

Tee  98,  234. 

Teilbad  141. 

Temperaturwechsel  186. 

Terrainkur  106. 

Terrainkurorte  107. 

Tetronal  197. 

Theobromin  79. 


Theobromin  bei  Angina  pectoris  72. 
Theocin  80. 
Thrombosen  195. 
Toxische  Neurosen  224. 
Transfusion  8. 
Traubenkur  215. 
Tricuspidalinsuffizienz  206. 
Tricuspidalstenose  207. 
Trional  197. 

U. 

Überernährung  93. 
Übung  42. 
Umschläge  143. 
Urethan  197,  198. 
Uropherin  79. 

V. 

Valeriana  71. 

Valsalvascher  Versuch  102. 
Vasomotorenmittel  224. 
Vegetarianismus  91,  92. 
Venaesektion  194. 
Venen  bei  Herzinsuffizienz  38. 

w. 

Wärme,  Einfluß  der  —  auf  das  Herz 

118  ff. 
Wein  96. 
Widerstandsbewegungen  171. 


Zigaretten  98. 
Zimmergymnastik  191. 


Druck  von  Gottlieb  Oistel  &  Cie.,  Wien,  III.,  Münzgasse  l