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W
THERAPIE
DER
HERZKRANKHEITEN
Von
DRLUDWIG BRAUN
PRIVATDOZENT AN DER UNIVERSITÄT IN WIEN.
URBAN & SCHWARZENBERG
BERLIN WIEN
N., FRIEDRICHSTRASSE 105b I., MAXIMILIANSTRASSE 4
1903.
7V74
Alle Rechte vorbehalten.
VORWORT.
Das vorliegende Lehrbuch stellt den wesentlichen Inhalt
meiner Vorlesungen über die Therapie der Herzkrankheiten
dar. Es ist also in erster Linie für den Studierenden und
den praktischen Arzt berechnet und soll ein möglichst ge-
treues Bild vom heutigen Stande der Herztherapie entwerfen,
welche auf die Grundlagen der Physiologie und Pathologie
des Kreislaufs sowie der modernen pharmakodynamischen
Erfahrungen aufgebaut ist. Bei der Erörterung dieser Grund-
lagen habe ich stellenweise die mustergültigen Ausführungen
von Tigerstedt (Physiologie des Kreislaufs), Krehl (Pathologi-
sche Physiologie) und Gottlieb (Referat auf dem XIX. Kon-
gresse für innere Medizin) benützt.
Trotz der ausgezeichneten Darstellungen , welche das
vorliegende Thema in letzter Zeit von verschiedenen Auto-
ren erfahren hat, hielt ich es dennoch für zulässig, das-
selbe im Rahmen eines kurzen Lehrbuches zu behandeln,
einerseits von der rein praktischen Erwägung ausgehend,
daß alle jene Ausführungen in größeren, dem Praktiker
weniger zugänglichen Handbüchern erschienen sind, anderer-
seits bedenkend, daß mannigfache für das Verständnis der
Herzpathologie grundlegende Erkenntnisse bisher nur in
IV Vorwort.
Einzeldarstellungen vorliegen und in Lehrbüchern noch keine
entsprechende Berücksichtigung erfahren haben. Aus diesen
neueren und neuesten Erkenntnissen ging, vielleicht als
wichtigste Erkenntnis, das Ergebnis hervor, daß befallen
Störungen der Herzfunktion der Herzmuskel in den Mittel-
punkt der Betrachtung zu verlegen ist. — Die Beeinflußbar-
keit des Herzmuskels auf therapeutischem Wege ist die
Richtschnur meiner Ausführungen geworden.
Die Errungenschaften auf dem Gebiete der physikali-
schen Heilmethoden und die experimentelle Begründung
dieser Disziplinen hat dieselben auch für die Herztherapie
nutzbar gemacht. Ich konnte diesem Umstände am besten
wohl dadurch Rechnung tragen, daß ich für die Bearbeitung
der beiden namhaftesten Teile der physikalischen Therapie
zwei berufene Vertreter, Anton Bum und Alois Strasser,
gewann.
Wien, im Mai 1903.
Inhalts -Verzeichnis.
faf Seite
Einleitung.
I. Physiologische Vorbemerkungen 1
II. Das Hera unter pathologischen Verhältnissen 14
III. Die Beurteilung des Grades der Herzinsuffizienz 26
Allgemeine Therapie 41
Medikamentöse Therapie 44
Die Herzmittel 44
Digitalis 44
1. Die physiologischen Grundlagen der Digitalistherapie . 44
2. Die Indikationen der Digitalisdarreichung 51
3. Der Zeitpunkt der Digitalisdarreichung 58
4. Die pharmazeutischen Kriterien der Digitalistherapie . 60
5. Dosierung und Darreichungsform der Digitalisstoffe . . 61
a) Die gebräuchlichsten Digitalispräparate 61
b) Andere Digitalispräparate 67
Strophantus 69
Die übrigen Herzmittel . 70
Die Koffein- und Theobrominsalze 72
Kampher 73
Jodsalze 75
Alkohol 75
Nitrite 77
Die Vermehrung der Diurese 77
Diaphorese .- 83
Hautpunktion 84
Diätetische Therapie 86
Physikalische Therapie 102
Pneumotherapie 102
Klimato- und Balneotherapie 105
Das kohlensäurehältige Bad 109
b
VI Inhalts -Verzeichnis.
Seite
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten von Dozent
Dr. Alois Strasser in Wien 116
Praxis der Hydrotherapie 140
Die mechanische Behandlung der Herzkrankheiten von Dr. Anton
Bum in Wien 145
Elektrotherapie . . 155
Prophylaxe 159
Spezielle Therapie 167
Endokarditis 167
Myokarditis 172
Perikarditis 174
Perikardiotomie 176
Punktion des Perikards 177
Concretio pericardii 178
Die akute Herzinsuffizienz 179
Prophylaxe und Therapie der chronischen Insuffizienz des Herzens 181
Ist der Herzkranke über seinen Herzfehler aufzuklären? . 181
Berufswahl 183
Die Ehe Herzkranker 183
Kleidung, Abhärtung 185
Bewegung, Sport, Ruhe, Erholung, Temperaturwechsel . . 186
Rekonvaleszenz , allgemeine Grundsätze des Heilplanes,
Krankenpflege ' 190
Die Insuffizienz der Mitralklappen 199
Die Stenose des Mitralostiums 200
Stenose des Aortenostiums 203
Die Insuffizienz der Aortenklappen 204
Kombinierte Klappenfehler 207
Die Herzbeschwerden Fettleibiger 208
Das Herz bei Arteriosklerose 216
Heilstätten für Herzkranke 222
Die Kreislaufstörungen bei akuten Infektionskrankheiten .... 223
Das Aortenaneurysma 227
Die „nervösen Herzkrankheiten" 231
Autoren-Verzeichnis 237
Sach-Register 241
Einleitung.
I. Physiologische Vorbemerkungen.
Das Herz ist der Motor des Kreislaufs; es hat die
physiologische Aufgabe, das Blut in stetiger Strömung zu
erhalten, so dass die Nahrungsstoffe an die Gewebe abgegeben,
die Produkte der Gewebstätigkeit in das Blut aufgenommen
werden und an geeigneter Stelle zur Ausscheidung gelangen
können. Dieser Aufgabe wird das Herz durch abwechselnde
Kontraktion (Systole) und Erschlaffung (Diastole) gerecht.
Die Strömung des Blutes erhalten und regulieren
bestimmte Einrichtungen. Es sind: Die Herzklappen, die
Elastizität der Gefäßwände, die Venenklappen, die Atmung
und die Bewegungen der Skelettmuskulatur. Ein Teil dieser
Einrichtungen verhindert das Blut, seine Stromrichtung zu
ändern, ein anderer wirkt fördernd auf die Strömung ein.
Wir unterscheiden die venösen und die arteriellen
Herzklappen. Ihre Wirkung ist eine ventilartige. Die
venösen Klappen sind zwischen Vorhöfen und Kammern, die
arteriellen zwischen den Kammern und den großen Arterien
angebracht.
Die venösen Klappen (links Mitralis — rechts
Tricuspidalis) verhindern das Blut daran, während der
Kammersystole in die Vorhöfe zurückzufließen, und zwingen
es, in die Aorta, beziehungsweise Pulmonalarterie . einzu-
treten. Die Segel dieser Klappen legen sich während der
Systole sehr rasch aneinander; dies wird teils dadurch
ermöglicht, daß die Klappensegel auch während der Diastole
nicht bis an die Wände der Kammern zurückweichen können,
Braun, Therapie der Herzkrankheiten. 1
2 Einleitung.
weil sie durch das sich hier ansammelnde Blut daran gehin-
dert werden, teils dadurch, daß der Druck im Vorhofe
während der Kammersystole im Vergleiche zum Kammer-
drucke verschwindend niedrig ist. Regurgitation von Blut
in den Vorhof erscheint somit unter normalen Verhältnissen
kaum möglich. Eine regulär rasche Vorhofskontraktion
bereitet übrigens den Klappenschluß vor, da nach ihrem
Ablaufe der Kammerdruck bereits höher ist, als der Vor-
hofsdruck. Die freien Ränder der venösen Klappen können
während der Systole nicht in den Vorhof umschlagen; die
Klappensäume werden vielmehr dadurch, daß die Chordae
tendineae sich nicht am freien Rande selbst inserieren, son-
dern ein Stück weit auf die Klappenfläche hinaufgreifen, in
größerer Ausdehnung, gewissermaßen zahnförmig, an(in)ein-
ander gepreßt.
Die Kontraktion der Herzmuskulatur bewirkt, daß
auch die Atrioventrikularöifnung sich verengt und so von
den Klappen sicher bedeckt werden kann. Bleibt diese Ver-
engerung des Ostium aus, dann reicht die Klappenfläche zu
seiner Bedeckung nicht hin.
Mit der übrigen Herzmuskulatur kontrahieren sich
auch die Papillarmuskeln, da beide ein zusammenhängendes
Ganze bilden. Die sich verkürzenden Papillarmuskeln ziehen
die Klappen gegen das Septum heran und tragen dadurch
zur Straffheit des systolischen Klappenschlusses bei. *)
An dem systolischen Verschlusse des venösen Ostium
nehmen somit drei Faktoren teil, die Integrität der Klappe,
die Verengerung des Ostium, die Wirkung der Papillar-
muskeln.
Die arteriellen oder Semilunarklappen bestehen
aus je drei taschenförmigen Segeln, deren Konkavität gefäß-
wärts gerichtet ist. Das nach Ablauf der Systole zurück-
stauende Blut fängt sich in den Taschen, drückt die Klappen
herab und ihre freien Ränder aneinander. Die Semilunar-
*) Die Atrioventrikularklappen sind, wie u. a. Reid (cit. nach Albrecht
„Der Herzmuskel etc.", 1903), Kürschner (cit. nach Tiger stedt) und Gussen-
bauer (Sitzber. d. kais. Akad. d. Wiss., math.-nat. Klasse, 1868) nachwiesen, mit
Muskelfasern versehen.
Physiologische Vorbemerkungen. 3
klappen ruhen auf Muskelwülsten wie auf Polstern auf
(Krehl), die in das Ostium hineinragen. Das aus den Kammern
gepreßte Blut gelangt daher durch einen Muskelspalt in
den weiteren Raum oberhalb der Klappen. Hiedurch ent-
stehen Wirbelbewegungen und Kreisströme, welche die
Klappensegel einander zu nähern streben und nur deswegen
nicht nähern können, weil das unter hohem Drucke stehende,
durchfließende Blut sie auseinander drängt. Hört der Blut-
strom auf, dann müssen die Klappen, wie durch Federkraft
getrieben, außerordentlich schnell und ohne Regurgitation
sich aneinander legen. Der Verschluß bleibt dann auch nach
der Erschlaffung der Muskulatur infolge der Differenz
zwischen Aorten (resp. Pulmonalis) — und Kammerdruck
bestehen (Tigerstedt).
Es ist klar, daß die Raschheit dieses Verschlusses
Schaden leidet, wenn die Muskelwülste , auf welchen die
arteriellen Klappen ruhen, degeneriert und minder kon trak-
tionsfähig sind (Krehl).1) Dann ist die arterielle Mündung
wahrend der Systole weiter und die Differenz zwischen
ihrem systolischen Durchmesser und jenem der Arterien-
anfänge geringer. Die „Wirbelbewegungen und Kreisströme"
des Blutes werden dadurch schwächer und die Klappen
weniger rasch aneinander gelegt. So kann — im Anfange
der Diastole — Regurgitation, eine „muskuläre In-
suffizienz der Aortenklappen" zustande kommen, weil
ihr Verschluß nicht in regulärer Weise durch die Muskulatur
vorbereitet wird. —
Über jedem Herzostium hört man zwei Töne; an
jedem Ostium entsteht jedoch nur ein Ton. Die ersten Töne
entstehen in den Kammern, die zweiten durch die plötzliche
Spannung der arteriellen Klappen (und der Arterienwand);
die ersten Töne werden nach aufwärts (zur Herzbasis), die
zweiten nach abwärts fortgeleitet. Die ersten Töne sind teils
Muskeltöne, teils Klappentöne; der normale, sich kontra-
hierende Muskel erzeugt nämlich einen (bestimmten) ,.Ton",
*) Krehl, Beiträge zur Kenntnis der Füllung und Entleerung des
Herzens. Abt. d. sächs. Ges. d. Wiss., XVII, Nr. 5.
1*
4 Einleitung.
ebenso die durch ihren raschen Verschluß in Schwingung
versetzte Atrioventrikularklappe.
Die durch Inspektion und Palpation klinisch erkenn-
baren Bewegungen (Erschütterungen, Vor Wölbungen , Ein-
ziehungen) in der Herzgegend sind durch die Systole des
Herzens bedingt.1) Diese ist kurz — etwa O'l Sekunde —
und ihre Dauer unterliegt auch bei bedeutenden Schwan-
kungen der Pulsfrequenz nur sehr geringen Veränderungen.
Die Länge der Diastole kann hingegen erheblich schwanken.
Ihre Dauer beträgt im Mittel ungefähr 0*4 Sekunden.
Bei seinem Übergänge in die Diastole übt das Herz
eine Ansaugung auf das Blut aus ; die Saugwirkung wächst
bei normaler Elastizität der Herzwand mit der Kraft der
Herzkontraktion; sie ist nur dann kräftig, wenn ihr eine
vollständige , schnell ablaufende Systole vorangegangen ist
(v. Frey u. Krehl). 2)
An dem Mechanismus der Herzaktion ist auch der
Herzbeutel beteiligt. Barnard hat nachgewiesen, daß nach
Eröffnung des Herzbeutels beim Hunde eine relative Tricu-
spidalinsuffizienz entstehen kann. Die Stütze, welche der
Herzbeutel dem Herzen erteilt ; sichert wahrscheinlich den
Schluß der Tricuspidalklappe.
Die Menge Blutes, welche das Herz mit jeder Systole
in das Gefäßsystem hin austreibt, heißt das Schlag volumen,
auch Pulsvolumen des Herzens. Es dürfte beim Menschen
zwischen 50 und 100 g Blut betragen.
Die Muskulatur des Herzens besitzt nach Engel-
mann 3) vier kardinale Eigenschaften: Reizbarkeit, Reizleitung,
Kontraktilität, ferner die Fähigkeit, sich „von selbst", auto-
matisch, zu kontrahieren. Sämtliche Eigenschaften sind vom
Nervensysteme aus in positivem und in negativem Sinne
beeinflußbar.
*) C. Ludwig, Zeitschr. f. rat. Med. 7. — Marey, Journ. de l'anat. et de
physiol. II, u. La circulation du sang. — v. Frey, Die Untersuchung des Pulses. —
Hürthle, Pflügers Arch. Bd. 49 ff. — Edgren, Skand. Arch. f. Phys. I. — Mar-
tins, Zeitschr. f. klin. Med. 13, 15 u. 19; Volkm. klin. Beitr. Nr. 7, 1894 u. a.
a. 0. — Landois, Graph. Unters, über den Herzschlag. — Braun, Herzbewe-
gung und Herzstoß. Gustav Fischer. — U. v. a. m.
2) v. Frey u. Krehl, Arch. f. Anat. u. Physiol., phys. Abt., 1890.
3) Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1900 u. a. a. 0.
Physiologische Vorbemerkungen. 5
Der Herzmuskel ist während seiner Kontraktion bis
zum Maximum der Verkürzung für die gewohnten Reize1)
unempfänglich, „refraktär" (Marey) und erst nach erreichtem
Kontraktionsmaximum wieder durch dieselben erregbar;
eine vor Eintritt der regulären Kontraktion zugeführte
(ungewohnte, etwa eine pathologische) Reizung ruft eine
„Extrakontraktion" hervor, die desto größer, desto aus-
giebiger ist, je später während der Diastole sie stattfindet.
Einer Extrakontraktion folgt eine längere „kompensatorische"
Pause, denn die nächste Systole tritt erst zu der Zeit ein,
wo sie regulär eingetreten wäre. Dieses Verhalten ent-
spricht dem „Gesetze der physiologischen Reiz-
periode" des Herzens; da die „Extrasystole" vorzeitig
eintritt , muß die Zeit bis zur nächsten , regulären Systole
länger sein.
Die Ernährung des Herzens wird durch seine
Arterien — die Kranzarterien — vermittelt; dieselben sind
Endarterien. Durch Verschluß eines Coronararterienastes
wird daher der entsprechende Bezirk der Herzwand der
Blutzufuhr beraubt und fällt der Nekrose anheim. Kleine,
begrenzte Anämien ziehen keine schweren Folgeerscheinungen
nach sich ; wird ein größerer Kranzarterienast undurch-
gängig, dann muß der Herzmuskel zugrunde gehen.
Die Frequenz des Herzschlags ist bei höherer
Temperatur größer als bei niedrigerer; sie ist ferner von der
Körperlage 2) und von Muskelarbeit 3) in hohem Maße
abhängig. Mit der Abnahme der Frequenz steigt (bis zu
einer gewissen Grenze) der Umfang der Kontraktion. Das
Schlagvolumen des Herzens wächst (bis zu einem gewissen
Grade) im geraden Verhältnisse zur Größe des venösen Zu-
flusses.
Die Herznerven entstammen dem Vagus und dem
Sympathicus. Der Vagus hemmt die Herzbewegungen, seine
x) Wir müssen uns nämlich vorstellen, daß dem Herzmuskel unter
normalen Verhältnissen zugeführte, periodisch bis zur hinreichenden Höhe
anwachsende Reize den Rhythmus der Herzaktion bewirken, indem sie periodisch
Herzkontraktionen auslösen.
2) Langowoy, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 68.
8) Staehelin, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 59 u. v. a.
5 Einleitung.
Durchschneidung bewirkt Zunahme der Pulsfrequenz ; er
beherrscht auch die Stärke der Herzkontraktionen, indem
seine Reizung das Kontraktionsvermögen in negativem Sinne
beeinflußt. Nach schwachen Vagusreizungen kann die Kraft
der Herzschläge sinken , ohne daß ihre Zahl abnimmt
(Muhm). *) Die Diastole des Herzens wird durch Vagus-
reizung wahrscheinlich vergrößert. Es ist nicht unwahr-
scheinlich, daß der Vagus das Herz auch trophisch, nutritiv,
beeinflußt, denn es wurden degenerative Veränderungen am
Herzen nach Vagusdurchschneidungen mehrfach beschrieben
(Paivlow, Fanüno, Timofeew).
Die dem Sympathicus entstammenden beschleunigenden
Herzfasern steigern die Frequenz und die Kontraktions-
größe des Herzens.
Vagus und Accelerans sind tonisch erregt.
Die Tätigkeit des Herzens wird fortwährend durch
Impulse beeinflußt, die dem Herzen von den nervösen Zentral-
organen zugeführt werden. Zentripetale, vom Herzen aus-
gehende Nerven vermitteln Reflexe zum Herzen und zu den
Gefäßen.
Gegen ein übermäßiges Ansteigen des Blutdrucks wird
das Herz unter normalen Verhältnissen durch depressorische
Nervenfasern geschützt, deren Wirkung reflektorisch aus-
gelöst wird. Ein gleichzeitiger Reflex geht auf den Vagus
über, das Herz fängt an, langsamer zu schlagen und kann
sich nach der überstandenen Anstrengung wieder ausruhen.
So reguliert und überwacht das normale Herz
selbst seine Tätigkeit und die Anforderungen an
dieselbe. Sowohl beschleunigende als auch verlangsamende
Einflüsse können von den verschiedensten Teilen des Körpers
aus reflektorisch zum Herzen übertragen werden. Daß dies
auch von der Hirnrinde aus geschieht, beweist u. a. der
Umstand, daß psychische Alterationen das Herz in hohem
Maße beeinflussen können. — Im allgemeinen bewirken
Drucksteigerungen ein Sinken, Drucksenkungen ein Steigen
der Pulsfrequenz.
x) Muhm, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1901.
Physiologische Vorbemerkungen. 7
Durch die Kontraktionen des Herzens wird das Blut
rhythmisch in das Gefäßsystem entleert und dieses durch
den Blutzuwachs ausgedehnt. Da die Arterienwand elastisch
ist, zieht sie sich während der Diastole des Herzens wieder
zusammen und treibt dadurch das Blut in die Kapillaren
weiter. Die Elastizität der Gefäßwand nimmt daher dem
Herzen einen Teil der für die Erhaltung des Kreislaufs
notwendigen Arbeit ab.
Die Arbeit des Herzens wird im wesentlichen durch
den Druck im arteriellen Gefäßsystem und die ausgetriebene
Blutmenge bestimmt. Wenn wir den Blutdruck kennen,
dann besitzen wir somit einen gewissen Einblick in die vom
Herzen geleistete Arbeit.
Es ist daher begreiflich, daß die Kliniker seit langem der Blutdruck-
messung ein besonderes Augenmerk zugewandt haben und die Literatur dieses
Gegenstandes bereits zu ansehnlicher Größe herangewachsen ist. Im Vorder-
grunde der zahllosen Diskussionen über das Tema „Blutdruck" finden wir die
Namen v. Basch, Federn, v. Frey, Gärtner, Haivksley , Hensen, Hürthle,
Mosso, v. Recklinghausen, Riva-Rocci u. a. Das Prinzip aller Blutdruck-
Messungsmethoden besteht darin, daß man den Druck mißt, welcher notwendig
ist, um an einer bestimmten Stelle des Gefäßsystems — Radialis, Temporaiis,
Digitalarterie — den Puls zu unterdrücken, die Lichtung der Arterie zu
verschließen. Daß die Blutdruckmessung trotz bewunderungswürdigen Forscher-
fleißes und Scharfsinnes eigentlich noch immer nicht eine Methode der Praxis
geworden ist, liegt — abgesehen von den Fehlerquellen, die jeder klinischen
Methode der Blutdruckmessung anhaften und welche der Messende kennen muß
(s. z. B. die Diskussion des Sphygmomanometers in Tigerstedts Lehrbuch d. Phys.
des Kreislaufs), — darin, daß die Höhe des Blutdrucks unaufhörlich schwankt,
daß sie von der Körperlage, den Bewegungen des Körpers, der Nahrungsaufnahme,
von psychischen Einflüssen, der Menstruation u. v. a. m. abhängig ist; sie ist
daher nur in der Hand des Geübten, der über alle diese Erfahrungen verfügt,
von fruchtbarer Bedeutung. Wir sind daher auch keineswegs berechtigt, die
Blutdruckmessung der Temperaturmessung geradewegs an die Seite zu stellen,
denn die absoluten Werte, welche man mit einem den Blutdruck messenden
Apparate erhält, sind ohne Bedeutung. Der Praktiker möge aus dem Gesagten
die Lehre ziehen, daß er die Messung unter möglichst gleichen Verhältnissen
vorzunehmen hat. Daß er sich bei rationellem Vorgehen in der Blutdruck-
bestimmung einen wertvollen, bald unentbehrlichen Berater beschaffen kann,
lehrt u.a. die Tatsache, daß konstante Erhöhungen des Blutdrucks die
Arteriosklerose (v. Basch, Die Herzkrankheiten bei Arteriosklerose. A. Hirsch-
wald KOI), die Nephritis, Neigung zu Blutdrucksenkungen nach Muskel-
arbeit die Herzinsuffizienz einleiten, u. zw. zu einer Zeit, in der ihn vielleicht
g Einleitung.
noch keine andere klinische Untersuchungsmethode auf den schleichenden
Beginn dieser Affektionen aufmerksam macht.
Zur vollkommenen Beurteilung des Kreislaufs würde
auch die Bestimmung der Stromgeschwindigkeit des Blutes
gehören; diese ist jedoch derzeit klinisch nicht durchführbar.
Der Blutdruck ist von der Energie des Herzens, dem
Widerstände in den Arterien und der vorhandenen Blut-
menge abhängig. Die Energie des Herzens ist desto größer,
je mehr Blut das Herz in die Arterien treibt, je größer
die Kraft und die Plötzlichkeit ist, mit der dies geschieht.
Der Blutdruck bewegt sich unter normalen Verhält-
nissen infolge der vorhandenen regulatorischen Einflüsse in
ziemlich engen Grenzen. Dazu trägt unter normalen Ver-
hältnissen vor allem die Regulation bei, welche bei geän-
derten Blutmengen die Weite der Gefäßbahn erfährt. Wenn
sich die Hautgefäße kontrahieren, erweitern sich die Abdo-
minalgefäße und umgekehrt. Dadurch werden auftretende
Druckdifferenzen sofort wieder ausgeglichen, so daß der
Blutdruck wesentlich unverändert bleibt.
Wird eine Blutentziehung vorgenommen, dann ziehen
sich die Gefäße zusammen, die Drüsen und vor allem die
Nieren sezernieren weniger oder gar nicht und aus den
Gewebsstücken tritt Flüssigkeit in die Gefäßbahn ein. Bei
Transfusionen findet der umgekehrte Vorgang statt.
Die Abgabe von Verbrennungsmaterial und Sauerstoff
aus dem Blute und die Aufnahme der Abfallstoife aus den
Geweben in das Blut findet in den Kapillaren statt.
Sinkt der Druck in der Aorta infolge von Abnahme der
Herzkraft, dann muß schließlich auch die Geschwindigkeit
des Blutstromes abnehmen.
Alle Mechanismen, welche den Blutdruck regeln, haben
den Endzweck, die Strömung in den Kapillaren unter einem
normalen Druck zu erhalten. Die Blutmenge des Körpers
reicht nun nicht dazu aus, unter normalen Verhältnissen
bei gleicher Füllung aller Kapillarsysteme den Aorten-
druck auf der Höhe zu erhalten, die er unter normalen Ver-
hältnissen tatsächlich besitzt. Der Blutgehalt der einzelnen
Organe schwankt vielmehr unaufhörlich, u. zw. in der Weise,
Physiologische Vorbemerkungen. 9
daß ein arbeitendes Organ blutreicher ist — ein relativ
stärker gefülltes Kapillarsystem hat — als ein ruhendes.
Um dies zu ermöglichen, erweitern sich die dem betreffenden
Organe angehörenden Arterien, so daß das Blut reichlicher
in das zugehörige Kapillarsystem einströmen kann.
Die Reibung des Blutes an der Gefäßwand wirkt
verzögernd auf die Geschwindigkeit seiner Strömung ein.
Je größer die Reibung, desto größer der Widerstand für
die Blutströmung, desto größer auch die Arbeit des Herzens.
Die Venen leiten das Blut zum Herzen zurück.
Die Kraft, die das Blut vorwärts treibt, ist auch hier die
Herzkraft. Durch die starke Reibung in den kleinen Arterien
und Kapillaren wird aber der größte Teil der disponiblen
Kraft verbraucht und demzufolge ist die totale Energie,
welche das Blut nunmehr besitzt, nur ein kleiner Bruchteil
von derjenigen, die es beim Herausströmen aus dem Herzen
besaß (Tigerstedt). Unter normalen Verhältnissen muß im
allgemeinen aus den Venen so viel Blut zum Herzen zurück-
strömen, als in die Arterien getrieben wird.
Wir besitzen eine Reihe von Mechanismen, welche
die Blutströmung in den Venen erleichtern. Hiezu
gehören: Die Ansaugung in der Brusthöhle, zweitens
die Saugkraft des Herzens und drittens die Venen-
klappen, welch' letztere das Zurückfließen des Blutes
verhindern , wenn von außen her ein Druck auf die Vene
ausgeübt wird. Das Blut muß daher seinen Lauf zum
Herzen fortsetzen. In derselben Weise wirken die Pul-
sationen der Arterien auf deren Satellitvenen (Tigerstedt).
Auch Lageveränderungen des Körpers sowie Spannungs-
änderungen der Venen sind Mittel, fördernd auf den Blut-
strom in den Venen einzuwirken. Wir können ansaugend
auf das Venensystem der oberen Extremitäten einwirken,
wenn wir mit geballter und im Handgelenke gebeugter Faust
die Arme horizontal ausstrecken und sie in dieser Haltung
in einer Drehungsebene nach hinten bewegen; wir bemerken
hingegen eine allgemeine Erschlaffung, wenn wir mit ge-
streckten Fingern und dorsalflektierter Hand die im Ell-
bogengelenke gebeugten Arme an den Thorax legen. Die
IQ Einleitung.
Venen der unteren Extremitäten werden im allgemeinen
gespannt, wenn man die Oberschenkel möglichst weit spreizt;
Beugung, Adduktion und Einwärtsrollung des Oberschenkels,
Beugung des Knies und Dorsalflexion des Fußes bewirken
Erschlaffung der Hauptstämme. Die Stellung, bei welcher
das Venensystem im allgemeinen möglichst stark gespannt
wird , entspricht der Haltung , die man unwillkürlich ein-
nimmt, wenn man sich nach längerer Arbeit am Schreib-
tische aufrichtet und ausdehnt.
Streckung und Dehnung des Rumpfes wirkt beschleuni-
gend auf die durch das gebeugte Sitzen gestörte Venen-
zirkulation ein.
Der Lungenkreislauf unterliegt den gleichen Ge-
setzen wie der große Kreislauf, doch verlangt er insofern
eine besondere Beachtung, als er durch die verschiedenen
Phasen der Atmung wesentlich beeinflußt wird. Wenn der
Inhalt der Lungen, wie bei der natürlichen Atmung, durch
Ansaugung vergrößert wird, nimmt auch die Weite ihrer
Gefäße zu, denn die Lungenkapillaren werden nach allen
Richtungen ausgedehnt und der vom Innenraume der Lungen
auf sie wirkende Druck wird nicht größer, als vor der Er-
weiterung, sogar etwas kleiner, weil die Lungen schneller
erweitert werden, als die Luft durch die Stimmritze hinein-
kommen kann. Die Erweiterung der Lungengefäße setzt
wohl den Druck in der Lungenarterie herab, dafür ruft
aber die Ansaugung bei der Inspiration einen vermehrten Blut-
zufluß zum Herzen hervor, die rechte Kammer wird besser
gefüllt und kann daher auch mehr Blut auswerfen. Bei der
natürlichen Exspiration sind die Verhältnisse umgekehrt;
vor allem ist die Blutzufuhr zum rechten Herzen erschwert.
Die Arbeit, die der linken Kammer obliegt, scheint
viel mehr variieren zu können als die von der rechten
Kammer auszuführende; infolgedessen ermüdet die linke
Kammer zuweilen mehr oder weniger, während die rechte
fortwährend vollkommen leistungsfähig ist.
Die beiden Kreisläufe beeinflussen einander in
mannigfacher Weise. Das Resultat sind Variationen des
Blutdrucks, die mit den Atembewegungen synchron sind.
Physiologische Vorbemerkungen. \\
Die Inspiration befördert die Ansaugung des Blutes
zum rechten Herzen, sie erleichtert die Diastole, indem sie
von allen Seiten her erweiternd auf den Herzbeutel ein-
wirkt, sie erleichtert die Strömung in den Lungengefäßen
durch deren Erweiterung; gleichzeitig nimmt wegen des
Herabrückens des Zwerchfells der Druck in der Bauch-
höhle, zu und das Blut wird daher in vermehrter Menge
zum rechten Herzen getrieben. Die Inspiration enthält jedoch
auch Bedingungen , welche den Kreislauf erschweren : Die
Ansaugung des Thorax erschwert naturgemäß die Systole des
Herzens im Beginn der Irispiration; während sich die Lungen-
gefäße noch erweitern , muß ein Teil des von der rechten
Kammer herausgetriebenen Blutes in den Lungengefäßen
zurückbleiben; dadurch nimmt die zum linken Herzen strö-
mende Blutmenge ab, bis sich die Lungengefäße gefüllt haben,
wonach die Zufuhr vermehrt wird. Bei der Exspiration
wirken alle diese Mechanismen in umgekehrter Richtung.
Das Resultat dieser Wirkungen ist der Mangel jeglicher
respiratorischen Schwankung des Aortendrucks bei rascher
und oberflächlicher Atmung. Ist die Atmung tiefer, aber
schnell, dann steigt der Druck bei der Exspiration und sinkt
bei der Inspiration, weil die Lungengefäße bei der Exspiration
enger werden und das Blut austreiben müssen. Das linke
Herz wird besser gefüllt und kann daher auch mehr Blut
austreiben. Wenn nun die Inspiration einsetzt und die
Lungengefäße sich erweitern, dann behalten sie das von der
rechten Kammer herausgetriebene Blut zum Teil in sich,
das linke Herz wird weniger gefüllt, der Blutdruck sinkt.
Bei noch langsamerer Atmung bestehen zunächst dieselben
Verhältnisse. Wenn sich die Lungengefäße aber gefüllt
haben, so lassen sie, da sie nun weiter sind, mehr Blut zum
linken Herzen strömen. Jene Momente, welche die Bück-
strömung zum rechten Herzen begünstigen, steigern zugleich
die Blutzufuhr zum linken Herzen. Wir erhalten also eine
kurze Druckabnahme und hierauf eine Steigerung des Aorta-
drucks. Bei der nun folgenden Exspiration steigt dieser
Druck noch einen Augenblick an, da die sich verkleinernde
Lunge ihr Blut in das linke Herz preßt. Bald folgt jedoch
12 Einleitung.
die Druckabnahme, weil die Verengerung der Lungengefäße
keine so große Zufuhr wie vorher gestattet und daher auch
die Rückströmung des Blutes zum rechten Herzen behin-
dert wird.
DiePul sfrequenz nimmt während der Exspiration
ab , weil der Vagus erregt wird — dies ist ein drucksenkendes
Moment; die gleichzeitige Reizung der Gefäßnerven erhöht
den Gefäßtonus, die Gefäße werden dadurch verengt — dies
ist ein druckerhöhendes Moment. Diese Momente machen sich
jedoch nur bei nicht zu raschem Atemrhythmus geltend.
Die Innervation der Gefäße ist eine zweifache. Wir
unterscheiden gefäßverengende und gefäßerweiternde
Nerven. Die ersteren verbreiten sich in sympathischen
Bahnen durch den ganzen Körper ; sie sind tonisch , d. h.
kontinuierlich erregt. Wenn man z. B. den Halssympathikus
durchschneidet, erweitern sich die Gefäße des Ohres, das
Blut in ihnen strömt rascher und wird weniger venös.
Reizung der gefäßerweiternden Nervenfasern hat eine Er-
weiterung der zugehörigen Gefäßbahn zur Folge. Gefäß-
verengende und gefäßerweiternde Fasern sind aber keine
reinen Antagonisten; die Gefäßerweiterung tritt als Nach-
wirkung bei gleichzeitiger Reizung beider Nervenarten ein.
Die gefäßerweiternden Nerven verlaufen in den verschie-
densten Nervenbahnen, auch der Vagus soll erweiternde
Nerven für die Koronargefäße enthalten. Die meisten er-
weiternden Nerven empfangen die Herzgefäße wahrschein-
lich in sympathischen Bahnen. Die Gefäßnerven sind auch
reflektorisch erregbar, wodurch sowohl die Blutzufuhr zu
den verschiedenen Organen, als auch der arterielle Druck
vielfach beeinflußt wird. Gefäßreflexe können von den Ge-
fäßen selbst ausgelöst werden. Es gibt auch lokale Gefäß-
reflexe. Kälte Wirkung auf die Haut der Hand macht z. B
den Fingerpuls verschwinden (Kreidl1). Im allgemeinen
aber tritt bei den lokalisierten Reflexen eine Erweiterung
ein. Der Reflex kann sich auf den entsprechenden Körper-
teil der anderen Seite erstrecken. Es kommt vor. daß
J) Kreidl A., Gesellsch. f. inn. Med. in Wien, 1902, 24. April. Österr.
Balneolog.-Kongreß 1902.
Physiologische Vorbemerkungen. 13
vom Verbreitungsgebiete des gereizten (zentripetalen)
Nerven weit entfernte Gefäßbahnen jene (sensible) Reizung
mit Erweiterung oder Verengerung beantworten. Das große
Splanchnikusgebiet , das Gefäßgebiet der Baucheingeweide,
das einen so großen Raum umfaßt , daß die gesamte Blut-
masse des Körpers mehrfach in ihm Platz findet, kann von
allen Seiten her reflektorisch verengt und erweitert werden.
Ebenso sind die Gefäße der Skelettmuskulatur reflektorisch
erregbar ; sie erweitern sich auf sensible Reizung hin. Die
Erweiterung tritt zunächst in den Muskeln auf, welche mit
dem gereizten Nerven in einem näheren Zusammenhang
stehen , doch auch nach der Reizung entfernter sensibler
Nerven können Muskelgefäße reflektorisch erweitert werden.
Betreffen diese reflektorischen Wirkungen große Gefäß-
gebiete , z. B. das Splanchnikusgebiet, große Massen der
Skelettmuskulatur u. s. w., dann machen sie sich naturgemäß
bei den Blutdruckmessungen bemerkbar. — Biedl und Reiner1)
gelangten auf experimentellem Wege zu der Erkenntnis, daß
auch die Hirngefäße eine eigene vasomotorische Innervation
besitzen . doch sind die Bahnen dieser Innervation noch
unbekannt.
Der Gefäßtonus ist für den Kreislauf von
außerordentlicher Bedeutung.
Bei Erschlaffung aller Gefäße muß sich alles Blut all-
mählich in den Venen ansammeln. Die zum Herzen zurück-
strömende Blutmenge genügt dann nicht, um das Herz hinrei-
chend zu speisen, das Herz arbeitet immer leerer, der Blutdruck
sinkt ab, mit anderen Worten : die Blutmenge des Körpers reicht
nicht hin, bei erschlafften Gefäßen die Gefäßhöhle in genügen-
dem Grade zu füllen. — Zur Aufrechterhaltung der Zirku-
lation ist eine gewisse Blutdruckhöhe durchaus erforderlich.
Die Blutverteilung im Körper ist in erster Linie
von den Gefäßnerven, in zweiter von mechanischen Be-
dingungen, der Schwere, abhängig. Bei aufrechter Stellung
werden die Venen der unteren Extremitäten wegen des
hydrostatischen Druckes der Blutsäule erweitert, beim
1) Biedl und Keiner, Pflügers Archiv, Bd. 79.
14 Einleitung.
Übergang in horizontale Stellung nimmt ihre Blutmenge ab.
Steigt der Druck im Thorax — bei einer heftigen An-
strengung — dann wird der Rückfluß des Blutes behindert,
zugleich nimmt der Blutgehalt der Extremitäten zu. Kom-
pression der unteren Extremitäten erhöht die Blutzufuhr
zu den oberen Körperteilen u. s. w. Die Wirkung der
Gefäßnerven ist wiederum so eingeteilt (Tigerstedt) , daß
jeder Körperteil unter normalen Verhältnissen gerade die
Blutmenge erhält, die er braucht. Ein Organ enthält
demnach, wenn es in Tätigkeit ist, mehr Blut als während
der Ruhe, u. zw. desto mehr, je kräftiger es arbeitet.
Gleichzeitig werden — wie wir schon gehört haben —
die Blutgefäße in anderen Körperteilen verengt und so ist
eine immerwährende Wechselwirkung zwischen den Gefäß-
gebieten erhalten. Bei körperlicher Ruhe ist mehr als
die Hälfte der gesamten Blutmenge des Körpers in den
Organen der Brust- und Bauchhöhle angesammelt und wird
von hier aus im gegebenen Falle denjenigen Organen zur
Verfügung gestellt, die gerade mehr Blut benötigen.
Durch seine Akkommodationsfähigkeit wird das
gesunde Herz all den geschilderten schwankenden
Anforderungen gerecht; es paßt sich allen Veränderungen
zwischen dem individuellen Minimum und Maximum jederzeit
vollkommen an. Das Erfordernis des Augenblicks ist immer
gewährleistet. Erhöhung der Anforderung und Leistung
fallen stets zusammen. Diese Anpassungsfähigkeit
verdankt das Herz der wunderbaren Leistungs-
fähigkeit seiner Muskulatur (Krehl).
II. Das Herz unter pathologischen Verhältnissen.
Die Erkrankungen des Herzens gehen mit Störungen
des Kreislaufs einher, die für die Organe unseres Körpers
von maßgebender Bedeutung sind.
Wir haben gehört, daß die Herzarbeit sich im wesent-
lichen aus der geförderten Blutmenge und aus den Wider-
ständen zusammensetzt, welche der Entleerung des Blutes
entgegenstehen. Zu- oder Abnahme des einen oder anderen
dieser Faktoren kann die vom Herzen zu leistende Arbeit
Das Herz unter pathologischen Verhältnissen. 15
erhöhen oder vermindern ; die Regulier ungsvorrich tun gen
unseres Körpers, vor allem anderen der Wechsel des Gefäß-
tonus (in speziellen Gefäßgebieten) gleichen die Zu- oder
Abnahme jener Faktoren bis zu einem gewissen Grade ohne
einschneidende Veränderung in der Größe der Herzarbeit
aus. Hat das Herz eine diesen Grad übersteigende Arbeit
dauernd zu leisten , dann muß es sich diesem Bedürfnisse
unter Erhöhung der Leistung seiner Muskulatur anpassen
(v. Fret/1). (Wie die letztere zur Mehrleistung angeregt
wird, vermochten wir noch nicht zu erkennen.) Allmählich
nimmt — unter geeigneten Verhältnissen — die zu dauernder
Mehrleistung angehaltene Muskulatur an Masse zu, wie jeder
quergestreifte Muskel, der dauernd erhöhte Arbeit zu leisten
hat. Die Herzfasern werden dicker und vermehren sich an
Zahl. Damit hat das Herz einen neuen Gleichgewichtszustand
erreicht ; es ist dauernd zu höheren Leistungen befähigt
worden, „erstarkt", um die Bezeichnung Bauers2) zu ge-
brauchen. Wir sehen diese Erscheinung bei muskulösen Leuten
eintreten , welche durch schwere körperliche Arbeit ihren
Lebensunterhalt erwerben und in der Lage sind, sich reich-
lich zu ernähren , so bei Athleten , Ringern u. s. w. Bei
diesen Individuen nimmt die Skelettmuskulatur an Masse
zu und parallel mit ihr das Herz. — Die Masse des Herz-
muskels ist der Ausdruck der von ihm geleisteten Arbeit
— sagt Hirsch*) in seinen bemerkenswerten Ausführungen
über die Beziehungen zwischen dem Herzmuskel und der
Körpermuskulatur ; sie entspricht , da die Herzarbeit des
Gesunden von der Tätigkeit der Körpermuskulatur abhängig
ist, der Entwicklung der Körpermuskulatur.
Bei schwerer körperlicher Arbeit hat das Herz viel
größere Blutmassen zu bewältigen (Zuntz)^)^ die aus den
arbeitenden und allmählich hypertrophierenden Muskeln
zum rechten , aus diesem zum linken Ventrikel gepreßt
werden ; zu diesem Zwecke vermehrt es die Zahl seiner
*) v. Frey, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 46.
2) Bauer u. Bollinger, „Festschr. f. Max v. Pettenkofer" , München 1893.
3) Hirsch, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 64.
4) Zuntz, Deutsche med. Wochenschr., 1892.
Iß Einleitung.
Zusammenziehungen und sein Schlagvolum. Da durch die
Kapillaren beider Kreisläufe die gleiche Blutmenge strömen
muß, beeinflußt die körperliche Arbeit unter normalen und
pathologischen Verhältnissen mehr oder weniger beide Kreis-
läufe. An der Massenzunahme sind daher auch beide Herz-
halften im Verhältnisse ihrer ursprünglichen Wandstärke
gleichmäßig beteiligt.
Als direkte Ursache der „Erstarkung des Herzens" ist
die arterielle Drucksteigerung anzusehen, welche die Muskel-
arbeit begleitet. J) Die Arbeit des Herzens steigt bei Muskel-
anstrengungen jedenfalls (Stricker, Krchl)2), obwohl die
Tendenz zu einer regulatorischen Erweiterung der Gefäße
besteht.
Andere Verhältnisse finden wir z. B. bei der Massenzu-
nahme der Herzen von Individuen, die täglich sehr viel Bier
trinken und nicht Gelegenheit suchen, ihre Skelettmuskulatur
ausgiebig zu üben. Durch die immerwährende Überfüllung
des Kreislaufs wachsen die Füllungen dieser Herzen und
ihre Leistungen, damit der Blutdruck nicht sinke (Tiger stedt). 3)
Auch diese Herzen nehmen daher an Masse zu, doch nicht
im geraden Verhältnisse zur Skelettmuskulatur. Sie werden
vielmehr im Vergleiche zu dieser — relativ — hypertrophisch.
Darin liegt ein Unterschied; einen weiteren Unterschied
bewirken begleitende Momente, die früher oder später dege-
nerative Veränderungen an der hypertrophischen Herzmus-
kulatur herbeiführen.
Das (klappen- und struktur-) kranke Herz ist ein un-
unterbrochen mit Arbeit überladenes Herz, insoferne es in
toto oder einzelne seiner Teile mehr leisten muß , als es
seiner Anlage nach in jedem Augenblicke leisten kann. Es
muß daher gleichfalls an Masse zunehmen. Die Beziehungen
zwischen der Masse von Herzmuskulatur und Skelettmusku-
1) Eine genaue Darlegung der Blutdruckschwankungen während und
nach Muskelarbeit gehört nicht hieher. In der letzteren Zeit sind einige be-
merkenswerte Arbeiten über dieses Thema erschienen, u. a. von Maximoivitsch
u. Rieder, Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 46. — Zuntz u. Hagemann, Pflü-
gers Archiv, Bd. 72. — Grebner u. Grünbaum, Wiener med. Presse, 1900.
*) Stricker, „Vorl. üb. allg. u. exp. Path.", pag. 793. — Krehl, Die Er-
krankungen des Herzmuskels, 1901, pag. 85.
3) Tiger stedt, Skand. Arch. f. Phys., Bd. 4.
Das Herz unter pathologischen Verhältnissen. 17
latur haben jedoch gänzlich aufgehört; die Hypertrophie
betrifft fast niemals das gesamte Organ gleichmäßig, sondern
bestimmte Abschnitte desselben mehr als die anderen Teile,
je nachdem sich eben Erhöhung von Anforderung und
Leistung auf das Herz verteilt hat. Auch diese Hypertrophie
verbindet sich, ihrer Entstehung entsprechend, rascher oder
langsamer mit degenerativen Veränderungen.
Man könnte also in einer den Zwecken der Klinik
dienlichen Weise das ..erstarkte" oder gesunde hypertro-
phische und das kranke hypertrophische Herz unter-
scheiden , insoferne das letztere immer mehr oder weniger
den Keim zur Degeneration in sich trägt.
Zur Klarlegung der „krankhaften Hypertrophie"
wollen wir von einem konkreten Falle, etwa einer Aorten-
klappen-Insuffizienz, ausgehen und die Verhältnisse in mög-
lichst vereinfachter Form betrachten :
Von der Blutmenge, welche durch die Systole der linken
Kammer in die Aorta geworfen wurde , strömt bei mangel-
haftem Verschlusse des Aortenostiums ein Teil während der
Diastole in die Kammer zurück, u. zw. umsomehr, je größer
die Lücke zwischen den Klappen ist. Denken wir uns, die
Aorteninsuffizienz wäre (etwa bei Endomyokarditis) eben zu-
stande gekommen. Was muß nun geschehen?
Die nächste Folge ist eine Vergrößerung der diastolischen
Kammerfüllung durch das unter ungewohnt hohem Drucke
zurückströmende und das gleichzeitig aus dem Vorhofe nach-
strömende Blut. Vor übermäßiger Füllung — Dilatation —
kann sich das Herz durch rechtzeitige ,. Steifung" schützen
(Krehl)1), umso besser, je gesünder seine Muskulatur ist,
umso weniger, je mehr sich dieselbe an dem Entzündungs-
(Degenerations-) Prozesse beteiligt. Kornfeld2) hat in einer
überaus bemerkenswerten Publikation aus dem Laboratorium
v. Basctis auseinandergesetzt, daß der Herzmuskel aber
die Eigenschaft besitzt, eine Vergrößerung seines Hohlraumes
ohne notwendig damit einhergehende Vermehrung der
*) L. Krehl, Path. Physiol., Leipzig 189$ pag. 16.
2) Kornfeld, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 29.
Braun, Therapie der Herzkrankheiten.
\$ Einleitung.
Wandspannung erfahren zu können.1) Er nennt diese Eigen-
schaft Dilatationsfähigkeit (Ausweitungsfähigkeit). Die-
selbe erklärt uns unter anderem die so häufig zu beobachtende
Tatsache, daß es Fälle von Aorteninsuffizienz ohne Störung
des Lungenblutstromes gibt. (In anderen Fällen machen sich
alsbald solche Störungen geltend.) — Oftmals pflegt eine ge-
wisse Beschleunigung des Herzschlags einzutreten, die günstig
wirkt2), weil sie die Dauer der Diastolen verkürzt und da-
durch das Maß der Regurgitation verkleinert. — Hat die Aorten-
insuffizienz eine Zeitlang bestanden , dann beobachten wir
fast immer eine Hypertrophie des linken Ventrikels neben
der Dilatation seiner Höhle. Eine direkte Veranlassung zur
Hypertrophie ist vielleicht in der andauernd vermehrten
Kraft entfaltung gelegen, die notwendig ist, um das unge-
wohnte Plus an Blut bei jeder Systole in die Aorta zu
treiben. Ferner ist die gesamte Innenoberfläche der Ventrikel-
wandungen infolge der vermehrten Kapazität erheblich ge-
wachsen ; auf jede Quadrateinheit wird dabei während der
Systole der gleiche Druck ausgeübt, darum muß auch die
von der Muskelwand des Herzens aufgebrachte Kraft pro-
portioneil gesteigert sein. 3) Diese beiden Ursachen veran-
lassen die bei Aorteninsuffizienzen meist in so erheblichem
Maße vorhandene Hypertrophie (Broadbent).*)
Die Hypertrophie des linken Ventrikels bedeutet eine
Anpassung des Herzens an die neuen Verhältnisse, seine
Befähigung zu der andauernd erforderlichen Mehrleistung.
Nun fehlen aber in unseren klinischen Fällen von
Aorteninsuffizienz niemals Läsionen der Muskulatur (inter-
*) Klinische Beobachtungen scheinen dafür zu sprechen, daß die über-
mäßige Füllung der linken Kammer während der Diastole und die damit
verbundene Dilatation rasch einen hohen Grad erreichen kann ; der entzündete
Muskel kann sich wahrscheinlich vor Dehnungen nicht so gut durch recht-
zeitige Steifung schützen wie der gesunde ; es tritt eine primäre Dila-
tation der Kammer ein.
2) B. Lewy, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 31.
3) Daß der arterielle Mitteldruck bei künstlichen Aorteninsuffizienzen
mäßigen Grades nicht wesentlich verändert wird, beweisen unter anderem
Versuche von Rosenbach (Arch. f. experim. Path. u. Pharm., Nr. 9), von
De Jager (Pflügers Arch., Bd. 31) u. a. m.
4) Broadbent, Herzkrankheiten. Deutsch von F. Kornfeld, Würz-
burg 1902.
Das Herz unter pathologischen Verhältnissen. 19
stitielle Entzündungen, degenerative Myokardveränderungen).
die nicht nur „der Ausdruck einer schweren Schädigung sind,
sondern auch direkt zu lebhaften Funktionsstörungen führen"
(Krehl) x), da sie zwei fundamentale Eigenschaften des Herz-
muskels und wesentliche Faktoren seiner Tätigkeit , die
Kontraktilität und die Elastizität, schädigend beeinflussen.
Der Ventrikel ist allmählich nicht mehr imstande, sich seiner
Füllung entsprechend zu entleeren — Stauungs- (sekundäre)
Dilatation2) — oder nach Ablauf der Kontraktion aus-
reichend zu entfalten (Abnahme der diastolischen Saug-
wirkung) , die nächste Folge ist Stauung , Druckerhöhung
im linken Vorhofe. Der muskelschwache Vorhof verfügt je-
doch nur über geringe ausgleichende Kräfte , er erweitert
sich (und hypertrophiert) unter der Last der ungewohnt
großen zu bewältigenden Blutmenge. Doch seine Akkommo-
dationsfähigkeit ist nur gering, der Wall bald durchbrochen
und nun pflanzt sich die Stauung ungehemmt in die Lungen-
venen fort — das Gefälle des Lungenblutstromes zu mindern
suchend — durch die weiten Lungen kapillaren in die Lungen-
arterien , schließlich bis zum rechten Ventrikel. Soll das
Gefälle in der Lunge unverändert bleiben , dann muß sich
nunmehr auch der rechte Ventrikel den erhöhten Anforde-
rungen akkommodieren. Der klinische Ausdruck der
Mehrleistung des rechten Ventrikels und der durch ihn
aufgebrachten Druckerhöhung ist zunächst die von Skoda 3) zu-
erst beschriebene Akzentuierung des zweiten Pulmonaltones. —
Da in der Lunge keine Vorrichtungen vorhanden sind,
die , wie jene im großen Kreislaufe , durch Änderungen
der Blutverteilung (vasomotorische Einflüsse) die Widerstände
herabsetzen könnten *), richtet sich der weitere Verlauf dar-
nach allein , wie sich die rechte Kammer verhält , ob sie
ihrer andauernden Mehrleistung proportional hypertrophiert.
Ist dies der Fall, dann bleibt das Gefälle — die Geschwin-
x) Krehl, 1. c.
-) Auch die Elastizität des gesunden Herzmuskels nimmt ab, wenn er
kontrahiert ist, noch vielmehr jene des erkrankten (Weber).
3) Skoda, Abhandlung über Perkussion und Auskultation.
4) Knoll, Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. in Wien. Math.-naturw.
Kl., 99, III.
2*
20 Einleitung.
digkeit des Blutstromes in der Lunge — erhalten. Doch ist
ein labilerer Gleichgewichtszustand des Herzens vorhanden,
denn es bedarf oft nur eines geringen Anstoßes , um das
Heer aller Folgeerscheinungen herbeizurufen , welche die
„Insuffizienz des Herzens" zu begleiten pflegen.1)
Nunmehr hängt alles davon ab, ob die zugrunde
liegenden anatomischen Veränderungen einen mehr oder
weniger progredienten Charakter haben, in welchem Maße
speziell die Herzmuskulatur durch sie beeinträch-
tigt wird.
Die Druckerhöhung in den Lungen gef äßen schädigt die
Lunge durch Blutungen , interstitielle Leukocytenansamm-
lungen, Vermehrung ihres Bindegewebes (braune Induration),
sowie durch direkte Abnahme ihrer Exkursionsfähigkeit
[Lungenschwellung und Lungenstarre, v. Basch2)] und dadurch
wiederum das Herz, denn die Förderung der Blutströmung
durch die Atmung wird wie der Nutzeffekt der Atmung 3)
überhaupt geringer, wenn die Lunge minder beweglich ist.
Damit ist eine neuerliche , andauernde , zunehmende Mehr-
belastung des Herzens gegeben , welche dasselbe mit einem
neuerlichen Mehraufwande an Kraft und Zunahme der Hyper-
trophie beantworten muß. insoweit seine eigene Ernährung
die Massenzunahme seiner Muskulatur überhaupt noch ge-
stattet. — Die abnormen Füllungsunterschiede der Gefäße
(Systole und Diastole) nützen vorzeitig und unaufhaltsam
die Elastizität der Gefäßwände ab; auch hiemit ist ein
weiterer, beschwerender Faktor in die Arbeitsgleichung des
Herzens eingetreten; schwindet doch immer mehr das unter-
stützende Moment , das die Blutströmung unter normalen
Verhältnissen in den elastischen Kräften der Gefäßwände
1) Die Wirkung der von Strubell (20. Kongreß f. innere Med.) ange-
nommenen Pneumovasomotoren dürfte jedenfalls so gering sein, daß sie für eine
ausgiebige Regulation unter pathologischen Verhältnissen kaum hinreicht; die
Lungengefäße werden selbst durch so starke Gefäßverengerungsmittel wie
Suprarenin nicht zur Kontraktion gebracht (D. Gerhardt, „Arch. f. exper.
Path. und Pharm.", Bd. 44).
2) v. Basch, „Physiologie u. Pathologie des Kreislaufs" und zahlreiche
Arbeiten seiner Schule.
3) v. Basch, Wiener med. Presse, 1888, Wiener med. Blätter, 1888,
8. Kongr. f. innere Med. etc., Esser, Zentralbl. f. innere Med., 1901.
Das Herz unter pathologischen Verhältnissen. 21
findet. — Ein Grund für die Degeneration des kranken
Herzens liegt darin , daß die Blutzufuhr zum Herzen nur
oder vorwiegend während der Diastole erfolgt; da nun die
Zunahme der Pulszahl hauptsächlich auf Kosten der Diastole
geschieht, so steht das Herz unter ungünstigeren Ernährungs-
bedingungen. — Die Ernährung des Herzens ist zudem un-
mittelbar von der Herzarbeit selbst abhängig, d. h. sinkt der
Aortendruck, dann strömt auch weniger Blut in die Coronar-
gefäße ; der Herzmuskel wird also schlechter ernährt, weil er
schlechter arbeitet, und arbeitet schlechter, weil er schlechter
ernährt wird. — Das mit einem Klappenfehler behaftete
Herz erwärmt sich — wie Lewy x) hervorhebt — durch seine
Kontraktion mehr als das gesunde. Es ist denkbar, daß
auch dieser Umstand für seine Funktionierung nicht gleich-
giltig ist. — Schließlich bewirkt das vergrößerte Herz schon
durch seine Größenzunahme allein eine mechanische Behin-
derung der Atmung (Krehl)2), was gleichfalls schädigend
auf seine Tätigkeit zurückwirkt.
Man dürfte also eigentlich nicht mehr von einem neuen
..Gleichgewichtszustande'' des Herzens sprechen ; denn das
Verhältnis zwischen Herzkraft und der zu leistenden Arbeit
hat sich nicht nur wesentlich, u. zw. in einem für das Herz
ungünstigen Sinne verschoben, sondern es verschiebt sich
unaufhaltsam immer mehr.
Es ist wohl auch von wesentlicher Bedeutung für das
Herz, daß aus den beschriebenen Veränderungen eine geän-
derte Verteilung der Last auf das Herz resultiert.
Unter normalen Verhältnissen trägt jeder Herzteil die
seiner Anlage entsprechende Menge Arbeit. Anders unter
pathologischen Verhältnissen. Unter normalen Verhältnissen
ruht die größte Last auf dem linken Ventrikel, während
unter pathologischen Verhältnissen der rechte Ventrikel bis-
weilen stärker belastet sein kann als der linke. —
Wir haben das an Insuffizienz der Aortenklappen
leidende Herz in ein Stadium eintreten sehen, in welchem
zur Unterstützung der ihrer Arbeit nicht mehr gewachsenen
*) Lewy, 1. c.
2) Krehl, 1. c.
22 Einleitung.
linken die rechte Kammer herangezogen wurde. Der weitere
Verlauf kann sich nun verschieden gestalten. Es gibt Fälle,
die in diesem Stadium plötzlich zum Tode führen , neben
anderen, in welchen der Kranke, durch Schlaflosigkeit und
mangelhafte Nahrungsaufnahme erschöpft, stirbt, ohne daß
die Veränderungen der Herztätigkeit erkennbare weitere
Fortschritte gemacht hätten. Wir stehen in solchen Fällen
leider nur allzu oft an der Grenze unseres diagnostischen
Könnens, vor einem Rätsel, unvermögend zu sagen, warum
gerade jetzt der Herztod eingetreten sei; wir denken an eine
Beteiligung von vasomotorischen Faktoren, besitzen aber
noch keine greifbaren Stützen für diese Anschauung.
Eine Reihe anderer Fälle — es ist die Mehrzahl —
sieht die Störungen des Kreislaufes viel langsamer dem
unvermeidlichen Ende zustreben. Das Unvermögen des linken
Ventrikels, das von beiden Seiten einströmende Blut durch
eine energische Kontraktion in die Aorta zu. treiben, tritt
immer deutlicher zutage; die Schlaffheit der Kontraktion
setzt dem dehnenden Drucke des Blutes keinen genügenden
Widerstand entgegen, der Ventrikel wird immer größer. Da
an der mangelhaften Kontraktion auch die das Mitral-Ostium
umrahmende Muskulatur teilnimmt, wird dasselbe während
der Systole ungenügend verengt, die Zipfel der Mitralklappe
vermögen das weite Ostium nicht mehr zu bedecken, zur
Insuffizienz der Aortenklappen hat sich eine ,.muskuläre
(relative) Mitralinsuffizienz" gesellt. Es ist wahrscheinlich,
daß die abnorme Erweiterung der Kammerhöhle eine geän-
derte Stellung der Papillarmuskeln bedingt, so daß dieselben
den Verschluß der Klappen nicht ausreichend unterstützen
können. Dies ist ein zweiter Faktor der „muskulären Mitral-
insuffizienz".
Nun nehmen die Stauungserscheinungen im Lungen-
kreislaufe rasch zu, ein geringer Grad von Cyanose gesellt
sich zur blassen Färbung der Lippen1), die Dyspnoe steigt
rasch zur Orthopnoe an. Bald ist auch der rechte Ventrikel
den zu überwindenden Widerständen nicht mehr gewachsen,
*) Viele dieser Kranken kennzeichnet eine auffallende Röthe der Lippen
und Wangen mit einem undeutlichen Stich ins Bläuliche.
Das Herz unter pathologischen Verhältnissen. 23
die Energie seiner Kontraktionen nimmt mehr und mehr
ab, die unausbleibliche Folge ist die „muskuläre Tricuspidal-
insuffizienz", in der wir vielleicht die letzte „kompensa-
torische" Einrichtung erkennen dürfen, die dem Organismus
zur Verfügung steht (Broadbent). x) Wenn nämlich der Druck
(die Überfüllung) im Lungenkreislaufe so hochgradig ge-
worden ist, daß der rechte Ventrikel ihn nicht überwinden
kann, dann wirkt die Tricuspidalinsuffizienz wie ein Sicher-
heitsventil, das dem Blute das große Reservoir des Venen-
systems eröffnet. Das auf diese Weise notdürftig entlastete
Herz vermag nun noch so lange fortzuschlagen, als der
Druck in der Aorta — die Speisung des linken Ventrikels -
nicht allzu tief abgesunken ist. Ein weiteres Absinken des
Blutdrucks wäre mit der Fortdauer des Lebens nicht
vereinbar.
Während so das Herz dem unausweichlichen Ende ent-
gegenschlug, ist — die allmähliche Zunahme seiner „Insuffi-
zienz2) anzeigend — eine Reihe von klinischen Symptomen
aufgetreten, vor allem der Hydrops. Sein Zustandekommen
wird durch die Verlangsamung des Lymphstromes (Er-
schwerung des Lymphabflusses aus dem Ductus thoracicus
in die Anonyma), die Erhöhung des Kapillardrucks, durch
Veränderungen der Gefäßwände und durch lokale venöse
Stauung bedingt. Der erhöhte Kapillardruck wird nicht nur
von den Gefäßwänden, sondern auch von den umgebenden
Geweben getragen (Landerer). 3) Diese verlieren aber durch
die andauernde Druckwirkung an Elastizität. Sinkt nun die
Gewebespannung, dann wächst der Druckunterschied zwischen
Kapillaren und Lymphgefäßen und die Transsudation der
Lymphe wird begünstigt . ihre Fortbewegung erschwert.
Was ihre Strömung begünstigt hat, die Spannungsdifferenz
zwischen Lymphwurzeln und großen Lymphgefäßen, ist eben
geschwunden.
1) Broadbent, 1. c.
2) Den Ausdruck ..Herzinsuffizienz" hat zuerst Bamberger in seinem
„Lehrbuch der Krankheiten des Herzens" angewendet. Er nennt so die „Unzu-
länglichkeit des erkrankten Herzmuskels gegenüber den bestehenden Hinder-
nissen".
3) Landerer, Die Gewebespannung, Leipzig 1884.
24 Einleitung.
In der Verteilung des Blutes, die unter normalen Ver-
hältnissen vorwiegend vom Herzen abhängig ist, macht sieh
immer mehr der Einfluß der Schwere geltend; der Hydrops
tritt daher zuerst an den vom Herzen entferntesten Körper-
stellen auf.
Die einzelnen lebenswichtigen Organe des Körpers,
die Lunge, Leber. Niere etc., beantworten die Veränderung
der Zirkulation mit den ihnen entsprechenden , speziellen
klinischen Symptomen.
Erscheinungen der Herzinsuffizienz wie im Verlaufe
der Aorteninsuffizienz entwickeln sich -— mutatis mutandis —
auch bei den anderen Klappenfehlern des Herzens und bei
den Herzkrankheiten überhaupt. Es gibt viele Abweichungen
von diesem Bilde, die wir an geeigneter Stelle kurz be-
sprechen wollen; die Aorteninsuffizienz wurde als Beispiel
gewählt, weil sie ceteris paribus den längsten Weg darstellt,
auf dem der Reihe nach alle dem Herzen verfügbaren
..kompensatorischen" Einrichtungen in Aktion treten können.
Ob nun eine einfache oder eine kombinierte Klappen-
affektion vorliegt, ob die Erkrankung im Herzmuskel oder
an einer Klappe begann , ob das Herz primär erkrankt ist
oder sekundär nach Arteriosklerose. Nephritis, Lungenem-
physem, ob die Herzarbeit leidet, weil die Kontraktions-
kraft der Herzmuskulatur primär abnahm, oder weil diese
— etwa durch ein perikardiales Exsudat — in ihrer Tätig-
keit behindert wird, immer ist der schließliche Effekt das
Absinken der Leistung des einzelnen Herzschlags , das Un-
vermögen des Herzens , seine Funktion in normaler Weise
aufrecht zu erhalten.
Solange die Tätigkeit der Muskulatur aus-
reicht, bleibt die Funktion stets gewährleistet.
Die „kompensatorische" Hypertrophie der Herzmusku-
latur ist zur Erhaltung der Funktion unter den erschwerten
Verhältnissen des „Herzfehlers"' notwendig. Erst wenn die
Herzmuskulatur zu versagen beginnt, dann treten
bei jeder Form von Herzfehler (Klappenfehler
oder Strukturerkrankung) Insuffizienz-Erscheinun-
gen auf. Herzinsuffizienz und Herzmuskelinsufnzienz sind
Das Herz unter pathologischen Verhältnissen. 25
(nach dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse) iden-
tisch. Wenn man sagt, ein Klappenfehler ist „kompensiert",
dann meint man damit, daß der durch den Klappendefekt
gesetzte Schaden durch die Mehrleistung der Muskulatur
ausgeglichen wird. Ein reparatorischer Vorgang ist in dieser
Kompensation keineswegs zu finden (v. Basch, Krehl). Die
anderen ..kompensatorischen" Faktoren, z. B. Steigerung des
Gefäßtonus bei Mitralstenose, seine Herabsetzung bei Aorten-
insuffizienz, die Dehnung einer Aortenklappe behufs Deckung
einer insuffizienten Stelle, die Bradykardie bei Mitralstenose
und die relativen Tachykardien bei Aorten afp ektionen etc.
haben eine verhältnismäßig geringe Bedeutung. ,. Dekom-
pensation" eines Klappenfehlers tritt mit dem Augenblicke
ein, wo die Herzmuskulatur in unzureichender Weise zu
funktionieren beginnt. Der Grad der Insuffizienz entspricht
— von vasomotorischen und nervösen Einflüssen abgesehen,
deren Bestimmung sich unserem Ermessen vorläufig ent-
zieht — dem Grade der degenerativen Veränderungen. —
Die Art und Weise, in der die Herzmuskulatur zu ihrer
Tätigkeit angeregt wird, ändert nichts an diesem Einteilungs-
prinzipe, denn immer ist es schließlich die Muskulatur, von
welcher die Tätigkeit des Herzens ausgeht.
Wir haben daher auch Herzmuskelfunktion und Herz-
funktion als identisch aufzufassen.
Die Muskulatur des rechten Ventrikels scheint unter
dem Einflüsse der meisten Schädigungen, die das ganze
Herz betreffen, Arteriosklerose, Myokarditis etc., ein aus-
dauernderes Funktionsvermögen zu besitzen , als jene des
linken Ventrikels. Dies hängt vielleicht nur zum Teile davon
ab, daß der Grad der Schädigung links immer mehr aus-
gesprochen ist als rechts.
Der erste, welcher der Auffassung von der Bedeutung der
funktionellen Störung bei allen Herzkrankheiten allgemeine
Geltung zu verschaffen wußte, ist Rosenbach1) gewesen.'2)
*) Rosenbach, Die Krankheiten des Herzens, Wien u. Leipzig, Urban &:
Schwarzenberg.
*) Doch hatte schon der große Meister Stokes („Die Krankheiten des
Herzens", deutsch von Lindwurm, 1885), in der Besserung der Herzmuskel-
funktion das Wesen der Herztherapie erkannt.
26 Einleitung.
Es ist also die genaue Feststellung der Art
und der Größe der Funktionsstörung bei jeglicher
Form von Herzkrankheit die Grundlage der Herz-
therapie.
III. Die Beurteilung des Grades der Herzinsuffizienz.
Wir haben gehört, daß die Konsequenz jeglichen ,, Herz-
fehlers" die Insuffizienz des Herzmuskels ist, der Wider-
spruch zwischen Leistungsfähigkeit und Erfordernis.
Das Bild der vorgeschrittenen Herzinsuffizienz ist
klinisch leicht erkennbar. Die cyanotische Färbung der Haut
und der Schleimhäute oder das fahle, gelblichblasse Kolorit,
die Venenschwellungen am Halse, der Stauungskatarrh der
Lungen, die Herzfehlerzellen im Sputum, die Dyspnoe, der
allgemeine Hydrops, die Benommenheit des Sensoriums, die
Abnahme der Harnsekretion, der Eiweißgehalt des Harnes,
das Sinken des Blutdrucks und der Körpertemperatur spre-
chen eine deutliche, nicht mißzuverstehende Sprache.
Größer, oft unüberwindlich sind die Schwierigkeiten,
die ersten Anfänge der herabgesetzten Leistungsfähigkeit
zu erkennen , und ferner zu beurteilen , in welchem Grade
die Funktionstüchtigkeit eines Herzmuskels geschädigt ist.
Denn darauf kommt es hauptsächlich an; dem Grade dieser
Läsion haben wir die Art unseres Eingreifens anzupassen.
Es ist für unser therapeutisches Handeln zunächst belanglos,
welche Form von Herzkrankheit vorliegt, ob die Mitral-
klappe erkrankt ist, oder ob ein perikarditisches Exsudat sich
entwickelt hat, ob wir das insuffiziente Herz eines Kypho-
skoliotischen beeinflussen wollen oder die Herzschwäche eines
Arterioskl erotikers zu beseitigen haben. Wohl hat jede ein-
zelne Form von Herzkrankheit ihre spezielle Indikation,
die wir ausführlich kennen lernen werden; doch allen ge-
meinsam ist die unzureichende Leistungsfähigkeit des Herzens,
welche sich aus der abnehmenden Kontraktionsfähigkeit und
dem ungenügenden Ausdehnungsvermögen der Herzmuskulatur
zusammensetzt.
Von den ersten Anfängen der Insuffizienz bis zu ihren
höchsten , dem Tode unmittelbar vorangehenden Graden
Die Beurteilung des Grades der Herzinsuffizienz. ->"{
gibt es unzählige Abstufungen. Es ist den Zwecken der
Therapie dienlich, wenn wir, dem Vorschlage Krehls1) und
den Ausführungen Lewys2) folgend, jene Fälle, in denen
der Herzmuskel schon bei völliger Körperruhe unzureichend
arbeitet, von den anderen unterscheiden, bei welchen erst
nach Körperbewegung Insuffizienzerscheinungen auftreten.
Wir können diese beiden Kategorien als Insuffizienzen
ersten und zweiten Grades bezeichnen, wohlbewußt,
daß diese Scheidung eine willkürliche, wandelbare, schwan-
kende ist. Wir sprechen also von einer Insuffizienz ersten
Grades , wenn ein Kranker bei ruhiger Rückenlage ruhig
atmet, nicht cyano tisch ist, seine Ödeme verliert, normale
Harnmengen, von gleichem spezifischen Gewichte aufweist etc.,
von einer Insuffizienz zweiten Grades, wenn die Stauungs-
erscheinungen auch nach längerer Ruhe des Körpers gar
nicht oder nur teilweise rückbildungsfähig sind.
Daß diese Abgrenzung oft eine künstliche, gewaltsame
ist, lehrt uns die tägliche Erfahrung. Denn abgesehen davon,
daß z. B. das Auftreten von Stauungskatarrh über den
Lungen, von Ödemen etc. bei Mitralinsuffizienz prognostisch
wesentlich verschieden von den nämlichen Erscheinungen
bei Aorteninsuffizienz ist, sind wir vor Überraschungen
und Enttäuschungen auf keinem Gebiete der Klinik so
wenig bewahrt, wie bei den Herzkrankheiten. Wir sehen
oftmals „Insuffizienzen zweiten Grades" schwinden und
eben merkliche „Insuffizienzen des ersten Grades" sich
plötzlich in zweitgradige umwandeln oder gar — aus uns
zunächst nicht ersichtlichen Gründen — letal endigen. Es
ist auch die Insuffizienz eines im Verlaufe einer akuten
Endokarditis insuffizient gewordenen Herzens anders zu be-
urteilen, als der gleiche Grad von Insuffizienz im Verlaufe
einer allgemeinen Arteriosklerose. Im ersten Falle kann
Heilung eintreten , im zweiten schreitet die Veränderung,
welche zur Insuffizienz geführt hat, weiter fort.
Um nun in einer unseren therapeutischen Zwecken ent-
sprechenden Weise das funktionelle Leistungsvermögen eines
*) Krehl, 1. c.
2) B. Leivy, 1. c.
2£ Einleitung.
Herzens zu bestimmen, dessen Insuffizienz dem ersten Grade
anzugehören scheint, können wir uns verschiedener Methoden
bedienen.
Das Wesen einiger unter diesen Methoden besteht darin,
daß wir das betreffende Individuum irgend eine Muskel-
arbeit ausfuhren lassen, die je nach der Höhe der Insuffizienz
verschieden zu bemessen ist. Der Kranke hebt, nachdem
wir ihn genau untersucht haben, ein Gewicht, hat langsamer
oder rascher durchs Zimmer zu gehen, eine tiefe Kniebeuge
auszuführen u. s. w. Spezielle Vorschriften lassen sich hierüber
zunächst nicht geben, denn bei einer solchen Untersuchung
spielt in hohem Grade auch die Individualität des Kranken
eine Rolle.
,.Die Arbeitsfähigkeit eines jeden, mit irgend
einem Kreislaufhindernisse behafteten Menschen
ist gegen das Maß des Gesunden herabgesetzt."1)
Wir finden daher in der Praxis folgendes:
DerPuls verändert sichnachKörperbewegungen
und Muskelarbeit überhaupt beim Herzkranken mehr als beim
Gesunden, und zwar desto mehr, je schwerer die Herzaffektion
ist. Er kann wesentlich rascher werden , doch auch — in
der Regel ein malum omen , bei starker Beteiligung des
Myokards, — langsamer als bei Körperruhe.2) Arhythmien,
die bei ruhiger Rückenlage bestanden haben, werden deut-
licher oder es tritt Arhythmie an die Stelle einer vorher
annähernd regulären Pulsfolge. 3)
In anregender Weise hat es Mendelsohn*) versucht, die
Pulsschwankung nach Muskelarbeit zur Messung der Herz-
kraft zu verwenden. Er ging von der Tatsache aus. daß
jedes suffiziente Herz, wenn sein Träger aus der vertikalen
*) B. Lewy , 1. c. — „Herzkranke Individuen sind viel schlechtere
Arbeiter, selbst hochgradig Anämischen gegenüber/' (F. Kraus , „Die Ermü-
dung als Maß der Konstitution.") Dies kommt auch in der ergographischen
Muskelkurve von Herzkranken zum Ausdrucke.
2) Auffällige Unterschiede in diesem Verhalten machen eine eingehende
Untersuchung nach der Richtung eines Aortenaneurysma oder Mediastinaltumors
notwendig.
a) Eingehende Untersuchungen über den Einfluß der Körperlage auf
die Frequenz der Herzkontraktionen hat Lanyoiroy ausgeführt. L. c.
4) Verh. d. 19. Kongr. f. inn. Med.
Die Beurteilung des Grades der Herzinsuffizienz. 29
Haltung in die horizontale übergeht, eine ausgesprochene
Verlangsamung bis zu Differenzen von 10 — 12 Schlägen in
der Minute aufweist. Auch das pathologisch veränderte
Herz zeigt, so lange es suffizient bleibt, diese so einfach
konstatierbare Erscheinung deutlich, wenn auch quantitativ
weniger ausgesprochen. Droht dagegen Insuffizienz oder ist
sie bereits mehr oder weniger eingetreten, dann wird die
Pulsverlangsamung beim Liegen eine immer geringere und
bei ausgesprochener Insuffizienz ist sie überhaupt nicht
mehr vorhanden, ja bei starken Kompensationsstörungen
steigt der Puls sogar im Liegen noch an. Mendelsohn geht
nun von dieser „Liegezahl" des Pulses als einer innerhalb
gewisser Grenzen konstanten Größe aus und folgert weiter:
Ein Herz, das bei Ausschaltung aller die Herzaktion be-
schleunigenden äußeren Einflüsse sich sofort auf diese
Normalzahl einstellt, zeigt damit, daß in diesem Augen-
blicke sein vorangegangener Stoffverbrauch wieder gedeckt
ist. Je größer die Zahl von Kilogrammetern ist . die ein
Herz bewältigen und danach sofort auf seine Normalzahl
zurückkehren kann, desto größer ist die Funktionstüchtigkeit,
die es besitzt, natürlich ceteris paribus in Relation zur
Körperkraft. Körpergröße, Gesamtkonstitution. Man kann
somit die Erholung als Maß der Herzfunktion be-
zeichnen. Die Prüfung setzt die Verwendung irgend eines
geeigneten Dynamometers, etwa eines Ergostaten, voraus,
um das Maß der geleisteten Muskelarbeit bestimmen zu
können. — Die Schlüsse, die Mendelsohn aus den so gefundenen
Pulszahlen zieht, erscheinen nicht vollauf berechtigt. Man
muß F. Kraus 2) beistimmen, der im Anschlüsse an diese Aus-
führungen Mendelsohns betont hat, daß die Wiederkehr
der normalen Herzfunktion nach geleisteter Arbeit nicht
von der geleisteten Muskelarbeit allein, sondern auch von
vasomotorischen Einflüssen und dem Temperamente des be-
treffenden Individuums abhängig ist. Und gerade diese Ein-
flüsse kommen beim kranken Herzen noch viel mehr in Be-
tracht als beim gesunden. — Wir verdanken jedoch Mendelsohn
x) F. Kraus, Verh. d. 19. Kongr. f. inn. Med.
;iO Einleitung.
immerhin eine Methode , die in der Hand des erfahrenen
Praktikers wichtige prognostische und therapeutische Hin-
weise zu bieten vermag.
Zuverlässigere Daten als die Pulszählung gibt uns
das Verhalten des Blutdrucks nach Muskelarbeit an
die Hand. Der glückliche Gedanke Mendelsohns , die Er-
holung als Maß der Herzfunktion zu benutzen, kann viel-
leicht auf diesem Wege leichter für die Praxis verwertbar
werden.
Jede Muskelarbeit bedingt Schwankungen des
arteriellen Blutdrucks. Während diese Blutdruck-
schwankungen sich aber beim Gesunden fast ausnahmslos
über der Normalhöhe des Blutdruckes bewegen und die
Senkungen geringfügig sind *) , ist dieses Verhältnis beim
Herzkranken umgekehrt. Hier überwiegt die Tendenz zum
Absinken des Blutdrucks und kommen Senkungen vor wie
niemals beim Gesunden. Es scheint, daß zukünftige Unter-
suchungen über die Funktionsprüfung des Herzens sich vor-
wiegend in dieser Richtung zu bewegen haben werden, und
daß es so vielleicht gelingen wird, zahlenmäßige Aufstel-
lungen zu beschaffen , welche uns lehren , welchem Grade
von Herzleistungsvermögen eine bestimmte Blutdruckkurve
entspricht.2) Wir besitzen aber schon derzeit kein
besseres Mittel, die Funktionstüchtigkeit eines
Herzens objektiv zu beurteilen, als die Blutdruck-
messung. Je weniger deutlich eine Muskelarbeit von Blut-
drucksteigerung gefolgt ist, je tiefer die Remissionen der
Blutdruckkurve nach der Muskelarbeit ausfallen , je ge-
ringere Muskelarbeit — ceteris paribus — erforderlich ist,
um ein bedeutendes Abfallen des Blutdruckes zu bewirken,
und je später die Blutdruckkurve wieder zur Norm zurück-
kehrt, desto geringer ist die Funktionstüchtigkeit des be-
treffenden Herzens.
*) Grebner und Grünbaum 1. c.
2) Der Anfang ist bereits gemacht ; die Untersuchungen von Friedrich
und Tauszk (Wiener med. Presse, 1891), von Staehelin („Deutsches Arch. f.
klin. Med.", Bd. 59 u. 67), ferner von Buttermann (ibidem, Bd. 74, H. 1 u. 2)
aus der Klinik Krehls und von Masing (ibidem, Bd. 74, H. 3 u. 4) aus der
Klinik Dehios bewegen sich auf diesem Gebiete.
Die Beurteilung des Grades der Herzinsuffizienz. ;;i
Die Herabsetzung der Funktionsfähigkeit der Herz-
muskulatur bei den Erkrankungen des Herzens wird uns
sodann dadurch erkennbar , daß die Herzwand unter der
Last des Innendrucks infolge ihres verminderten Kontrak-
tionsvermögens und ihrer größeren Dehnbarkeit nachgibt,
die Herzhöhlen sich erweitern. Während der Gesunde selbst
erhebliche Muskelarbeit ohne wesentliche Änderung seiner
Herzdämpfung leisten kann, tritt beim insuffizienten Herzen,
je nach dem Grade der Funktionsstörung in verschiedenem
Maße, je nach der speziellen Art derselben in verschie-
dener Weise, eine Dehnung der Herzwände, Dilatation
des Herzens und infolgedessen Verbreiterung der
Herzdämpfung nach Muskelarbeit ein. Zur richtigen
Beurtheilung einer solchen Verbreiterung muß man sich
daran erinnern, daß auch das gesunde Herz Volumschwan-
kungen aufweist (Heitier1), welche jedoch von äußerer Arbeit
unabhängig sind und Oszillationen der Herzdämpfungsgrenzen,
Schwankungen zwischen einer größeren und einer kleineren
Dämpfung, darstellen ; sie sind, wie uns experimentelle Unter-
suchungen lehren, von Tonusschwankungen der Herzmusku-
latur abhängig. Bei normalem Muskeltonus ist die Tendenz
zur Erhaltung der kleineren Dämpfung vorwaltend. Auch
das kranke Herz hat ein veränderliches Volum, aber schon
Heitier hat nachgewiesen, daß es wegen Abnahme seines
Muskeltonus mehr Tendenz zur größeren als zur kleineren
Dämpfung hat. ..Man kann daher die Dauer der größe-
ren Dämpfung als einen Maßstab für die Resistenz-
fähigkeit des Herzens bezeichnen."2) — Bei hochgra-
diger (Stauungs)-Dilatation des Ventrikels tritt „relative"
Insuffizienz der venösen Klappen und ein systolisches Ge-
räusch auf.
Dem soeben dargelegten Gedankengange folgt auch
die Funktionsprüfung des Herzens durch Beklopfung
*) Heitier, Wiener klin. Wochenschr., 1890 und Zentralbl. f. d. ges.
Therapie, 1893.
2) Ich will es an dieser Stelle nicht unterlassen, auf die Vorteile der
von Ebstein vorgeschlagenen „Tastperkussion" hinzuweisen und zu betonen,
daß uns diese Methode eine größere Sicherheit in der Beurteilung der Herz-
dänipfungsfiguren verleiht. Ich führe dieselbe mit auf den Kopf des Perkussions-
hammers gelegtem Zeigefinger aus.
32 Einleitung.
der Herzgegend. Während das Herz des Gesunden die
Beklopfung der Herzgegend mit Erhöhung seines Muskel-
tonus und der Tendenz , sein Volum zu verkleinern, beant-
wortet, tritt beim insuffizienten Herzen eine Verkleinerung
der Dämpfung umso weniger ein, je höher der Grad der
Insuffizienz ist. Bei der Insuffizienz zweiten Grades fehlt die
Tendenz zur Volumsabnahme in der Regel vollständig. Den
Wert dieser Methode beleuchtet am besten die durch sie
geübte Kontrolle der Funktionsfähigkeit eines akut, etwa im
Verlaufe eines Gelenkrheumatismus, erkrankten Herzens.
Während die Entzündung besteht, wird die Dämpfungs-
figur des Herzens durch Beklopf ung der Herzgegend fast
gar nicht beeinflußt, im weiteren Verlaufe desto mehr, je
mehr die Kontraktionsfähigkeit, d. h. die Reaktionsfähig-
keit des Herzens auf den äußeren Reiz, wieder zugenommen
hat. — Ich müßte wohl nicht hinzufügen, daß eine solche
Untersuchung bei einem akut erkrankten Herzen, wie jede
Untersuchung eines solchen Organes, mit großer Vorsicht
zu geschehen hat.
Ein weiterer Behelf zur Beurteilung des Herzzustan-
des ist die „Differenzbestimmung nach Oertel.1) Diese
Methode besteht darin, daß die Differenz Verhältnisse zwi-
schen Flüssigkeitsaufhahme und Harnausscheidung berück-
sichtigt werden. Die Beobachtung erstreckt sich auf min-
destens vier Tage. In den ersten Tagen behält der Kranke
seine gewohnte Nahrung bei, wird aber angewiesen, in
geeigneten Gläsern alles abzumessen, was er innerhalb
24 Stunden an Flüssigkeit aufnimmt , und wieviel Urin er
läßt. An den beiden folgenden Tagen wird dann die Flüs-
sigkeitsmenge gewöhnlich beträchtlich herabgesetzt; die
festen Speisen sollen, um die in denselben enthaltenen
Wassermengen nicht genauer bestimmen zu müssen , so
weit als möglich gleich beschaffen sein , sehr wasserreiche
Speisen an diesen Tagen nicht genossen werden. Unter nor-
malen Verhältnissen wird nun um ungefähr 18 — 32% weniger
Harn ausgeschieden, als Flüssigkeit aufgenommen wurde.
*) Handb. d. Ernährungsther. v. Leyden. Bd. II, LT., pag. 60.
Die Beurteilung des Grades der Herzinsuffizienz. 33
Oertel unterscheidet auf Grundlage dieser Untersuchungs-
methode folgende drei Gruppen von Herzkranken: Fälle, in
denen bei Herabsetzung der Flüssigkeitsaufnahme eine er-
hebliche Zunahme der Harnsekretion eintritt, Falle, in denen
keine solche Zunahme, und drittens Fälle, in denen eine
Abnahme der Harnsekretion erfolgt. Je größer der Über-
schuß (des Ausgeschiedenen) , desto besser ist die Funktion
des betreffenden Herzens. Es ist wichtig, zu wissen, daß die
Diurese des Nachts aus verschiedenen Gründen — Ende der
Verdauung, Bettruhe — höher ist, als am Tage, was für
die Berechnung des Gesamtquantums wesentlich in Betracht
kommt.
Nach Jürgenscn1) kann man eine noch latente Herz-
insuffizienz oftmals daran erkennen, daß Menge und Be-
schaffenheit der Einzelentleerungen des Harns im
Laufe des Tages starken Wechsel zeigen. ,.Es ist insbe-
sondere einem auffälligen Wechsel des spezifischen
Gewichtes eine hohe Bedeutung beizumessen, wenn man
die Anfänge der Herzinsuffizienz erkennen will, denn Schwan-
kungen des spezifischen Gewichtes gehören zu den allerersten
Frühsymptomen der Herzinsuffizienz.*' — Neusser2) hat darauf
hingewiesen, daß man bei solchen latenten Herzinsuffizienzen
nach forzierter Muskelarbeit bisweilen Globulinurie und
Urobilinurie finden kann. — Höhere Grade von Herzinsuffizienz
gehen bekanntlich mit einem entsprechenden Eiweiß geh alte
des Harnes einher.
Es erschiene mir voreilig, heute schon die Form einer
gegebenen Arhythmie als Richtschnur zur Beurtei-
lung einer Herzinsuffizienz zu verwenden. Ich würde
dem Praktiker keinen Dienst erweisen, wenn ich hier die
Frage der Entstehung der verschiedenen Arhythmieformen,
die noch zum größten Teile kontrovers ist, und zudem die
genaue Kenntnis der einschlägigen Literatur voraussetzt,
aufrollen wollte. Wir können Arhythmien und deren Grade
vorläufig weder in diagnostischer, noch in prognostischer
x) Jürgensen, „Insuffizienz (Schwäche) des Herzens". Spez. Path. u.
Therap. von Nothnagel, 1899.
2) Neusser, „Wiener kl
Braun, Therapie der Herzkrankheiten.
34 Einleitung.
Hinsicht verwerten. Einige Beispiele werden dies am besten
beleuchten: Das Herz steht unter dem kontinuierlichen Ein-
flüsse der widerstreitenden Vagus- und Aceleranseinflüsse,
sein individueller Rhythmus wird durch immerwährende, von
jenen Nerven ausgehende Impulse beeinflußt. Erhöhte An-
spruchsfähigkeit jener Nerven muß sich daher u. a. auch
im Rhythmus der Herztätigkeit geltend machen. Nun ist
beim Neurastheniker z. B. das gesamte Nervensystem und
mit diesem das Vaguszentrum reizbarer, leichter erschöpf-
bar, als beim normalen Individuum. Wir finden, daß ein
Neurastheniker ganz leichte Körperbewegungen mit deutlichen
Rhythmusschwankungen des Pulses beantwortet. Ähn-
liche Pulserscheinungen können wir aber unter den gleichen
Verhältnissen auch bei schweren Herzerkrankungen beob-
achten. — Die durch ,. Extrasystolen" (s. pag. 5) zustande
kommende Arhythmie, Pulsus intermittens irregularis ge-
nannt1), kommt beim Neurastheniker vor, aber auch in
prognostisch ganz ungünstigen Fällen von Myodegeneration. —
Der durch eine Herabsetzung des Leitungsvermögens der
Herzmuskulatur bedingte „Pulsus intermittens regularis" kann
dem Herztode jahrelang vorangehen. — Das „Delirium cordis"
ist einmal die Einleitung des terminalen Stadiums, ein an-
deresmal eine vorübergehende Attaque. Kurz, wir können
aus der Form einer bestehenden Arhythmie keinen Schluß
auf das Leistungsvermögen eines Herzens ziehen.
Die Anfänge der Herzinsuffizienz ersten Grades werden
uns ferner dadurch kenntlich, daß die Kranken Neigung
zu Bronchialkatarrhen (Mitralfehler) aufweisen, daß sie
leichter körperlich und auch geistig ermüden. Bisweilen
(Aortenaffektionen) leitet eine Störung der Verdauung -
Appetitlosigkeit, Stuhlverstopfung — das Krankheitsbild ein.
Neusser 2) hat erst jüngst auf dieses Verhalten hingewiesen.
Sorgfältige Blutdruckmessungen vor und nach graduierter
Muskelarbeit, sowie genaue Harnuntersuchungen können
uns in solchen Fällen am leichtesten auf die richtige Fährte
leiten.
*) Wenckebach, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 36 ff.
2) Neusser, Wiener klin. Wochenschr., 1902.
Die Beurteilung des Grades der Herzinsuffizienz. 35
Von Bedeutung ist sodann auch das Verhalten der Herz-
töne. So ist ein wichtiges Zeichen für beginnende Schwäche
des Ventrikels die Verlängerung der Systole und da-
durch des Zeitraumes zwischen 1. und 2. Ton (die Ab-
kürzung der systolischen Pause bedeutet einen hohen Grad
von Schwäche des Ventrikels; je rascher der 2. Ton dem
1. folgt, desto größer ist die Gefahr). — Eine der weiteren
Folgen der Herzinsuffizienz ist (z. B. bei Myokarditis) die
Drucksteigerung im linken Vorhofe infolge mangelhafter
Entleerung des linken Ventrikels und Behinderung des
Zuflusses aus dem Vorhofe in den Ventrikel. Bei der Aus-
kultation finden wir in diesem Stadium „Galopprhythmus''
der Herztöne. Derselbe kommt zustande , weil durch die
jedesmalige stärkere Anspannung der Wand des Vorhofes
während der Vorhofsystole ein wahrnehmbarer Ton entsteht,
der vor dem systolischen Ventrikeltone erschallt, also
..präsystolisch" ist.1) Wir hören in solchen Fällen über
der Herzspitze und dem Ventrikel (bis hinauf zur Herz-
basis) statt zweier Herztöne deren drei und können diese
Dreiteilung, „den Galopprhythmus", als charakteristisch für
die Insuffizienz des Ventrikels bezeichnen. Die Deutlichkeit
des Galopprhythmus schwankt ; bald ist die Dreiteilung
deutlich --in diesem Falle pflegt der zweite Ton lauter als
der erste zu sein — , bald klingt sie bloß wie eine undeut-
liche Spaltung des ersten Tones. — Die absolute Stärke
der Herztöne kann als Maß der Herzfunktion nicht be-
trachtet werden.
Auch die Beschaffenheit des Herzstoßes kann
bis zu einem gewissen Grade als Richtschnur für die Kraft
der Herzkontraktionen dienen; sie ist aber so sehr von
speziellen Verhältnissen abhängig, daß sie sich nur schwer
als Maß von allgemeinerer Geltung verwerten läßt. Bedeu-
tungsvoll ist jedoch ohne Frage der ..Gegensatz zwischen
Herzstoß und Puls*', auf den der auf dem Gebiete der
*) Der normale Vorhofston ist entweder so leise oder so nahe beim
Ventrikeltone , dass unser Ohr nur e i n Schallphänomen zu unterscheiden
vermag.
3*
36 Einleitung.
Herzstoßlehre so verdienstvolle Martins1) hingewiesen hat,
als Zeichen aknter Überdehnung des Herzmuskels, akuter
Herzinsuffizienz: Einem verbreiterten, weithin sichtbaren,
stark hebenden Herzstoße entspricht ein kleiner, weicher, oft
kaum fühlbarer Radialpuls.
Ein wichtiger Index kann uns bisweilen das Verhalten
der Psyche sein; das Auftreten von Psychosen ist zu-
meist von schlechter Vorbedeutung.
Die weiteren Hinweise auf die Insuffizienz des Herzens
und deren Fortschreiten erhalten wir aus der Untersuchung
der Lungen , des Bauchraumes , der Hautdecke, der Gefäße,
dem Zustande der Verdauungswerkzeuge. Die Innigkeit der
Beziehungen zwischen Herz und Lunge bewirkt, daß die
wachsende Zirkulationsstörung auch die Atmung immer mehr
beeinflußt. Die Form dieser Beeinflussung hat in geistvoller
und nimmermüder Weise v. Basch2) geprüft. Die Stauungs-
hyperämie der Lunge ist der Wertmesser der Kon-
traktionsfähigkeit des rechten Ventrikels und daher
ein wichtiger Indikator für den Herzzustand überhaupt.
Um diesen und die übrigen durch die Beurteilung
des Stauungsgrades zu gewinnenden Wertmesser der Herz-
insuffizienz in der ihnen entsprechenden Weise beurteilen
zu können, muß Folgendes festgehalten werden: Wir können
alle sogenannten Herzfehler in zwei ungleich grosse Gruppen
teilen. Auf der einen Seite stehen die Aorteninsuffizienz und
die Stenose des A orten ostiums, auf der anderen alle anderen
Klappenfehler, die strukturellen und die sekundären Erkran-
kungen. Ein Mitralfehler oder die Degeneration des Myokards
führen in einem relativ viel früheren Stadium eine Über-
flutung der Lunge, Cyanose, Stauungsleber, Ödeme herbei,
als etwa die Aorteninsuffizienz, bei der diese Erscheinungen
daher einen höheren Grad von Herzinsuffizienz, meistens eine
Insuffizienz zweiten Grades, bedeuten. Kranke mit reinen
Aorten-Insuffizienzen oder Stenosen und suffizientem Herzen
a) Martins, Naturforsckerversammlung in Heidelberg. — Volkmanns
Samml. klin. Vortr. N. F. 1894 etc.
2) v. Basch , „Wiener med. Presse", 1888 etc. — Kongr. f. innere
Med., 1889.
Die Beurteilung des Grades der Herzinsuffizienz. ;\1
zeigen keine Spur von Cyanose; das Auftreten von Cyanose
ist hier ein Zeichen des „Mitralisierens*', der beginnenden
Insuffizienz der linken Kammer. Andererseits sind die Kranken
mit ,.inkompensirten*' Aortenfehlern auffallend blaß und in-
folge ihrer hochgradigen Blässe nur wenig cyanotisch. Der
augenblickliche objektive Befund hat also einen nur be-
dingten Wert und setzt die sorgfältige Abwägung aller
konkurrierenden Momente , der speziellen Form des Herz-
fehlers, der Ätiologie, hereditärer Verhältnisse, des Verlaufes,
des Alters1), des Ernährungszustandes etc. voraus.
Hat sich also die Stauung auf die Lungen fortgepflanzt
und ist nach Überfüllung des kleinen Kreislaufs die
Leistung des rechten Ventrikels angewachsen, dann werden
die Pulmonalklappen unter höherem Drucke geschlossen,
es kommt Akzentuation des 2. Pulmonaltones zustande.
Der Grad dieser Akzentuation ist ceteris paribus für den
Grad der Stauung charakteristisch, ihr Schwinden, bei Zu-
nahme der übrigen Insuffizienzerscheinungen , ein Zeichen
von ominöser Bedeutung; dieses Stadium wird oftmals durch
ein charakteristisches Intervall eingeleitet, währenddessen
der zweite Pulmonalton bald stärker , bald schwächer
klingt, je nachdem die rechte Kammer durch straffere
oder schlaffere Kontraktion einen höheren oder niedrigeren
Druck im Lungenkreislaufe erzeugt.
Ein wichtiges Kennzeichen der Herzinsuffizienz ist die
Dyspnoe2), d.h. jeder Kranke mit insuffizientem Herzen
hat Atemnot, die oft schon in der Ruhe besteht und durch
leichte Körperbewegungen, durch die Nahrungsaufnahme,
durch andauerndes Sprechen etc. wesentlich deutlicher wird.
Patienten mit Mitralfehlern und analogen Herzaffektionen
1) Dehio, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 62.
2) Dyspnoe kann durch zentrale Störung (Herabsetzung des Gaswechsels
im zentralen Nervensysteme) und durch die Abnahme der Geschwindigkeit
des Lungenblutstromes zustande kommen. Die Erhaltung des Stromgefälles in
der Lunge trotz Erhöhung der Widerstände ist dadurch möglich, daß infolge
Mehrleistung der rechten Kammer im Pulmonalkreislaufe ein absolut höherer
Druck herrscht. Für solche Fälle haben v. Basch und Großmann eine An-
schwellung der Lunge und Herabsetzung ihrer Beweglichkeit postuliert und
nachgewiesen („Klin. Zeit- u. Streitfragen", 1887; „Wiener med. Presse '\
1888; Kongr. f. innere Med, 1889; „Zeitschr. f.klin.Med.", Bd. 12, 16, 20 etc.).
ßg Einleitung.
sind auch bei bestehender Herzsuffizienz mehr oder weni-
ger kurzathmig, wahrend ,. kompensierte" Aorten affektionen
(Insuffizienzen und Stenosen) ohne jegliche Spur von Dyspnoe
nicht zu den Seltenheiten gehören.
Wie sehr wir bei der Stellung der Funktionsdiagnose
oftmals im Dunkeln tappen, lehrt uns u. a. der Versuch,
das Asthma cardiale in einem konkreten Falle prognostisch
zu verwerten. Es gibt Kranke, die von hohen, den höchsten
Graden von Herzasthma monatelang, jahrelang gequält
werden, während andere im ersten derartigen Dyspnoepar-
oxysmus zugrunde gehen — und der anatomische Herzbefund
ist. vom Standpunkte unseres gegenwärtigen Wissens aus
betrachtet, in beiden Fällen oft nahezu gleich. Es bleibt zu-
künftigen Zeiten vorbehalten, sichere Wegweiser auf diesem
uns bisher verschlossenen Gebiete aufzufinden.
Während der einzelnen Stadien der Herzinsuffizienz
finden wir ein graduell verschiedenes Verhalten der Hals-
venen. Den Graden der Insuffizienz des Herzens entspricht
in der Regel in aufsteigender Reihenfolge: Schwellung der
linksseitigen Halsvenen (Jugularis externa), Schwellung der
rechtsseitigen Halsvenen — in den Anfangsstadien bloß
exspiratorisches Anschwellen , inspiratorisches Abschwellen,
später andauerndes Sichtbarbleiben der Venen — Venen-
undulation , präsystolische Venenpulsation , präsystolisch-
systolischer Venenpuls; diesem koordiniert ist der Puls in
den Lebervenen.
Gleichwie das weite Gefäßsystem der Lunge , große
Blutmassen in sich aufnehmend, ein die linke Herzhälfte
entlastendes Blutreservoir bilden kann, dessen Niveaustand
uns über den Grad der Insuffizienz zu orientieren vermag.
so dient das Gefäßsystem der Leber als Reservoir für den
rechten Ventrikel. Die Füllung und die Größe der Leber
kann uns daher gleichfalls ein Wertmesser der venösen
Stauung sein. Schon im Anfange der Herzinsuffizienz
schwillt die Leber an — durch Spannung ihrer Kapsel ver-
ursachte Schmerzen sind die der Leberschwellung ent-
sprechenden subjektiven Symptome; je mehr die Stauung
wächst, desto größer und plumprandiger wird die Leber
Die Beurteilung des Grades der Herzinsuffizienz. 39
und bei Insuffizienzen zweiten Grades ist der systolische
Leberpuls das Kennzeichen der durch Stauungsdilatation
des rechten Ventrikels bedingten Insuffizienz der Trikuspidal-
klappen. Da es auf mechanischem Wege, durch Lebermassage,
gelingt, die Leber zu entleeren und das in ihr angesammelte
Blut teilweise wiederum in den Kreislauf zu leiten, könnte
die Reaktion des Herzens auf diese vermehrte Blut-
zufuhr durch Lebermassage als Maßstab der Re-
aktionsfähigkeit, respektive Leistungsfähigkeit des
Herzens dienen. Die bisherigen Untersuchungen reichen noch
nicht dazu aus, diesen Gedanken zur Tat werden zu lassen-
Dem Gesagten entnehmen wir, daß es bei sorgfältiger
Abwägung der sich uns darbietenden Symptome einiger-
maßen möglich ist, den Grad einer bestehenden Herzinsuffizienz
abzuschätzen. Es ist den Zwecken der Therapie dienlich, In-
suffizienzen ersten und zweiten Grades zu unterschei-
den. Dem ersten Grade gehören alle Herzinsuffizienzen an, die
durch Körperruhe, bezw. auf ein Minimum reduzierte Muskel-
arbeit, zu beseitigen sind. Ein solches Herz kann das
bei völliger Kör per ruhe zur Erhaltung des normalen
Kreislaufes notwendige Maß von Arbeit leisten.
Bei Herzinsuffizienzen des zweiten Grades ist dies
nicht der Fall und sind auch unter solchen Ver-
hältnissen Stauungserscheinungen nachweisbar.
Die wichtigsten Zeichen der Herzinsuffizienz
sind: Das abnorme Verhalten des Pulses und des Herzens,
sowie die Tendenz zur Blutdrucksenkung nach Muskel-
arbeit, das geänderte Resultat der „Differenzbestimmung"
und das schwankende spezifische Gewicht des Harnes,
die Stauungserscheinungen an den Gefäßen , den Lungen,
den Verdauungswerkzeugen, den Nieren und an der Haut.
Die Herzinsuffizienz ersten Grades beurteilen wir sodann
u. a. je nach der Reaktion der genannten Organe auf
Muskelarbeit. Je geringere Muskelarbeit notwendig ist,
um ein gewisses Maß von Blutdrucksenkung oder von
Stauungserscheinungen zu bewirken, desto weiter ist bereits die
Insuffizienz gediehen. Wenn wir auch keine zahlenmäßigen
Angaben über die speziellen Grade einer vorliegenden Herz-
40 Einleitung.
Insuffizienz besitzen und in zuverlässiger Weise auch niemals
besitzen werden, weil Individualität (Konstitution) und Tem-
perament, zwei das Herz wesentlich beeinflussende Faktoren,
sich jeder Berechnung allzeit entziehen werden, so haben wir
doch auch heute schon Anhaltspunkte genug, einer ziel-
bewußten Therapie der Herzkrankheiten die Richtung zu
geben. —
Wir werden übrigens hören, daß sich uns auch ,.ex
juvantibus" oftmals brauchbare Kriterien zur Beurteilung
des Herzzustandes ergeben können. — Zur Bestimmung der
verschiedenen Grade der Herzinsuffizienz bei den Herzklappen-
fehlern des Herzens sind in den speziellen Abschnitten einige
Anhaltspunkte erörtert worden.
Allgemeine Therapie.
Die Therapie der Herzkrankheiten hat die Aufgabe,
die Wirkung von Kreislaufshindernissen aufzuheben, deren
Tendenz die Herabsetzung des normalen Blutdrucks und der
normalen Strömungsgeschwindigkeit des Blutes ist; sie kommt
dieser Aufgabe nach, indem sie sich bestrebt, entweder die
Leistungsfähigkeit des Herzens zu erhöhen oder das Maß
der vom Herzen zu leistenden Arbeit herabzusetzen. Vielfach
ist sie auch in der Lage, die schädigenden Faktoren direkt
zu bekämpfen. Daneben erwächst ihr das weite, dankbare
und sich immer mehr ausdehnende Gebiet der Prophylaxe.
Wir haben gehört, daß die Herztätigkeit von der
Leistungsfähigkeit des Herzmuskels abhängig ist, und daß
es uns bei der Therapie jeglicher Herzkrankheit in erster
Linie darauf ankommt, den Grad der Störung der Herzarbeit
zu bestimmen, weil wir uns zunächst nach dem Maße dieser
Störung allein zu richten haben. Dieser Gedankengang hat
sich in der Herztherapie als fruchtbar erwiesen und Wun-
derlich1), der ihm zuerst Ausdruck verlieh, sowie Stokes2),
der ihn zuerst anwandte, haben durch ihn, nach Rombergs 3)
schönem Ausspruche, die Herzkranken dem Leben wieder-
gegeben. So lange man nämlich von der Herztherapie nichts
anderes zu fordern wußte, als die Heilung des anatomischen
Schadens, des Klappendefektes, der Stenosierung eines Osti-
*) Wunderlich, „Handb. d. Path. u. Ther.'\ 2. Aufl., 1856.
2) Stokes, Die Krankheiten des Herzens. Deutsch von Lindwurm.
1885, pag. 294 ff.
3) Romberg, Krankheiten der Kreislaufsorgane, in Ebstein- Schwalbe,
Handb. d. prakt. Med.
42 Allgemeine Therapie.
ums, mußte man freilich bald gestehen, Unmögliches gewollt
zu haben, machtlos den vorhandenen Veränderungen gegen-
über zu stehen. Dem Arzte aber, der mit richtigem Blicke
an die Wiederherstellung, Besserung oder Erleich-
terung der gestörten Funktion des Herzmuskels
geht, der die Mittel kennt, die diesem Zwecke dienen können,
und dieselben zielbewußt anzuwenden weiß , bietet sich ein
weites, ergiebiges und dankbares Feld, aus dessen Saaten
reiche Garben reifen.
Wir besitzen mannigfache Wege, die funktionellen Ver-
änderungen des Herzens zu beeinflussen, da wir imstande
sind, auf die Kraft und Frequenz des Herzschlages, sowie
auf die Füllung der Gefäße in verschiedenem Maße und
in verschiedener Weise einzuwirken.
Die Mittel, über welche die Therapie der Herzkrank-
heiten verfügt, enthalten im allgemeinen zwei prinzipielle
Faktoren: Das Prinzip der Übung und das Prinzip
der Schonung.1) Wenn ein Herzkranker zu behandeln
ist, soll unser Heilplan zuerst nach dem Vorbilde des Mei-
sters der Therapie F. A. Hoffmann darüber entscheiden, ob
wir das Herz schonen, beruhigen müssen, oder ob wir das
Herz allmählich an eine Mehrleistung gewöhnen, also übend
vorgehen dürfen.2)
Einige Beispiele werden diesen Standpunkt am besten
beleuchten können. Während des Verlaufes einer frischen
Endokarditis ist absolute Schonung geboten. Da wir die
therapeutische Indikation — Ruhigstellung des entzündeten
Organs — nicht zu erfüllen vermögen, werden wir dem
Prinzipe der Schonung dadurch gerecht, daß wir das Maß
der vom Herzen zu leistenden Arbeit auf das erreichbare
Minimum herabsetzen. Unser Heilschatz verfügt über eine
Reihe von Mitteln, welche dieses Postulat erfüllen können.
Die Anfänge der Herzinsuffizienz bei einem Fettleibigen
erfordern ein anderes Vorgehen: Nachdem wir erkannt
haben, wie dieser Kranke auf ein gewisses Maß von körper-
*) F. A. Hoffmann, Allg. Therapie, Leipzig 1895.
'2) Diese Eintheilung hat auch Gumprecht im „Lehrbuch der allg.
Therapie etc." akzeptiert.
Allgemeine Therapie. 4;}
licher Arbeit reagiert und daß er dieselbe etwa ohne Stei-
gerung der Insuffizienzerscheinungen zu leisten vermag,
gehen wir daran , durch vorsichtig dosierte und allmählich
gesteigerte Übung das Leistungsvermögen dieses Herzens
langsam wieder zu erhöhen, denn wir wissen, daß der
Herzmuskel durch ein zweckmässiges Maß von gesteigerter
Arbeitsleistung mit nachfolgender Ruhepause in ähnlicher
Weise eine Steigerung seiner Leistungsfähigkeit erfährt,
wie der Skelettmuskel durch vorteilhaft geregelte Arbeit
und Gymnastik. Wir werden die Mittel der Herztherapie
kennen lernen, die diesem Zwecke dienen können. Einen
Rekonvaleszenten nach einer abgelaufenen Endokarditis
werden wir aus einer schonenden allmählich zu einer üben-
den Therapie zu leiten haben. Und so wird jeder einzelne
Fall ein neuer Prüfstein unseres Könnens, denn die Herz-
therapie kennt kein Schematisieren und jeder Herzkranke
hat zudem seine ureigene Individualität, die auf äußere
und innere Reize in ihrer Weise antwortet, seinen bestimmten
Beruf mit den speziellen Ansprüchen desselben an die Herz-
kraft. An die Behandlung jedes Falles treten wir wie an ein
physiologisches Experiment heran, das immer nur bis zu
einem gewissen Grade die Gewähr des Gelingens birgt. Die
Schwierigkeit liegt zum Teile auch darin, daß mehrere
Behelfe unserer therapeutischen Technik sich nicht streng
nach den Prinzipien der Schonung und der Übung teilen
lassen und daß denselben bis zu einem gewissen Grade
beide Prinzipien, das schonende und das übende, innewohnen.
Die herztherapeutische Praxis umfaßt Behelfe aus der
Pharmakologie, Diätetik, aus der chirurgischen und
der physikalischen Therapie. Um dieselben nach den
Grundprinzipien der Übung und der Schonung anwenden
zu können, müssen wir ihre Wirkungsweise eingehend kennen
lernen.
44 Allgemeine Therapie.
Medikamentöse Therapie.
Die Herzmittel.
Die Herzmittel zerfallen in direkte und indirekte
Herzmittel.
Direkte Herzmittel sind Medikamente, welche die
Fähigkeit besitzen, die Herztätigkeit zu verstärken,
zu üben, d. h. die Leistung des einzelnen Herzschlags zu
erhöhen. Direkte Herzmittel sind die Digitalisstoffe,
die Strophantus-, Spartium-, Konvallaria-, Adonis-
und Valeriana-Präpärate.
Die indirekten Herzmittel tragen zur Verbesserung
der Herztätigkeit bei, indem sie entweder die Korona r-
zirkulation, die Ernährung des Herzens, befördern
und dadurch das Herz zur Mehrleistung befähigen — die
Koffein- und Theobrominpräparate — oder indem sie
durch Grefäßentspannung die Entleerung des Her-
zens erleichtern — der Kampher, vielleicht auch die
Jodsalze (herzschonende Medikamente). Dazwischen stehen
schließlich Medikamente, welche mit einer gefäßent-
spannenden eine erregende Wirkung vereinen —
die Alkoholika und die Nitrite.
Die Bedeutung der Vasomotorenmittel wird a. a. 0.
erörtert.
Die Diuretika und Diaphoretika sind herzschonende
Medikamente, weil sie den auf den Gefäßen lastenden Druck
beseitigen ; sie können daher gleichfalls als indirekte Herz-
mittel bezeichnet werden, umsomehr als manche von ihnen —
z. B. die Koifeinsalze — noch eine zweite Wirkung , eine
..indirekte" Herzwirkung, besitzen.
Digitalis.
1. Die physiologischen Grundlagen der Digitalistherapie.
Das vornehmste und wichtigste unter den Herzmitteln
ist die zum erstenmale im Jahre 1785 von dem schottischen
Arzte William Withering1) gegen die Wassersucht empfohlene
*) William Withering, „Account of the foxglove", 1785. Aus dem
Englischen von D. Christian Friedrich Michaelis. Leipzig 1786. „Abhandlung
Die Herzmittel. 45
und in ihrer Wirkung auf die Herztätigkeit erkannte Digi-
talispflanze, eine Skrophularinee ; ihre in pharmakologischer
Hinsicht fast ausschließlich in Betracht kommende Art, die
Digitalis purpurea, der rote Fingerhut, wachst in bergigen
Gegenden, auf Waldwiesen und blüht im Hochsommer. Die
wirksamen Bestandteile der Digitalis hat zuerst Schmiede-
berg1) chemisch dargestellt und Koppe2) eingehend auf ihre
pharmakologische Wirkung geprüft. Es sind: Digitonin,
Digitalin und Digital ein, sämtlich Glykoside, ferner das
sehr giftige Digitoxin, nach Kiliani3) gleichfalls ein Gly-
kosid. Die in den Blättern enthaltenen Stoffe sind mit den
gleichnamigen der Samen identisch , doch sind die Blätter
im Verhältnisse viel reicher an dem wirksamsten Bestand-
teile, dem Digitoxin (Cloetta). 4) Für die Wirkung der Finger-
hutblätter und ihrer offizineilen Präparate kommen haupt-
sächlich das Digitalin und das Digitoxin in Betracht,
Ähnlich wie die wirksamen Stoffe der Digitalis wirken
auch das Strophantin, Adonidin, Konvall amarin, Szillain,
Spartein etc. ; alle diese Substanzen sind typische Herzgifte,
ihr Angriffspunkt ist das Herz, ihrer toxischen Wirkung
eigentümlich der Stillstand des Herzens in Kontraktions-
stellung, der systolische Herzstillstand".
Die gesamte , durch die Digitalissubstanzen bewirkte
Kreislaufsveränderung kann in zwei Stadien eingeteilt werden,
u. zw. in das Stadium der vermehrten Herzleistung, das thera-
peutische Stadium, und dasjenige der verminderten Herz-
leistung, das toxische Stadium.
Während der Puls im ersten Stadium in der Regel
nur wenig verlangsamt ist, wird er im zweiten, dem toxi-
schen Stadium, gewöhnlich exzessiv verlangsamt oder gar
arhythmisch. Dazwischen schiebt sich ein Stadium von
Pulsverlangsamung, ein Übergangsstadium, in dem das Herz
vom roten Fingerhut und dessen Anwendung in der praktischen Heilkunde,
vorzüglich hei der Wassersucht und einigen anderen Krankheiten."
*) Schmiedeberg, Arch. f. experim. Path. u. Pharm., Bd. 3.
2) Koppe, Ibidem.
3) Kiliani, Zitiert nach A.v. Vogl, „Arzneimittellehre", III. Aufl.,
pag. 838.
4) Cloetta, Arch. f. experim. Path. u. Pharm., Bd. 45.
46 Allgemeine Therapie.
gleichfalls pro Minute weniger Blut befördert als vorher.
Eine bedeutende Bradykardie ist daher das erste Signal der
toxischen Digitaliswirkung.
Im therapeutischen Stadium sehen wir Blutdruckstei-
gerung und Pulsverlangsamung koinzidieren. Schon Traube1)
hat es erkannt und Ackermann2) bestätigt, daß hier zwei
von einander unabhängige Wirkungen des Giftes nebenein-
ander einhergehen, die Wirkung auf den Vagus und jene
auf das Herz. Die Pulsverlangsamung ist einerseits Folge
der Reizung des Vaguszentrums durch den erhöhten Blut-
druck, also Hemmungswirkung, andererseits durch Muskel-
wirkung bedingt (Braun und Mager). 3)
Wie kommt die Blutdrucksteigerung zustande ? Durch
vermehrte Herzarbeit und durch Steigerung des Gefäßtonus
(Gottlieb). 4)
Die Steigerung der Herzarbeit durch Digitaliswirkung
haben zahlreiche Untersuchungen von Boehm5), Williams111),
Dreser1), Durdufi8), WgbauerQ), Francois Franck'10), Bock11),
Hedbom12), Cushng13), Braun und Mager 14) einwandfrei nachge-
wiesen ; diese Steigerung beträgt nach Gottlieb und Magnus15)
das Drei- bis Vierfache, nach Heinz 16) etwa 250 Prozent des
Ausgangswertes der Herzarbeit. Das rechte und das linke
Herz werden durch das Mittel im allgemeinen in gleicher
Weise beeinflußt, doch lehren die von Braun und Mager aus-
*) Traube, Gesammelte Beiträge zur Path. und Phys., Bd. I, pag. 190
und 252.
2) Ackermann, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 11.
3) Braun und Mager, Sitzungsber. d. kaiserl. Akad. d. Wissensch.
in Wien, 1899, Bd. 108.
4) Gottlieb, Verhandl. d. XIX. Kongresses f. innere Med.
6) Boehm, Pflügers Arch., Bd. 5.
6) Williams, Arch. f. experim. Path. u. Pharm., Bd. 13.
7) Dreser, ibidem, Bd. 24.
8) Durdufi, ibidem., Bd. 25.
9) Wybauer, ibidem., Bd. 44.
10) Zitiert nach Gottlieb, 1. c.
n) Bock, Arch. f. experim. Path. u. Pharm., Bd. 41.
12) Hedbom, Skand. Arch. f. Phys., Bd. 8.
13) Cushny, „Journ. of experim. medic", Bd. II und „Journ. of physiol.",
Bd. V.
14) Braun und Mager, 1. c.
15) Gottlieb und Magnus, Verhandl. d. XIX. Kongr. f. innere Med.
16) Heinz, ibidem.
Die Herzmittel. 47
geführten Versuche am „überlebenden Säugetierherzen", daß
der Kontraktionsgrad des rechten Ventrikels nach
Digitaliszufuhr in höherem Maße zunehmen kann
als jener des linken. Dies ist — wie wir sehen werden —
für die klinische Wirkungsweise der Digitalis von Bedeutung.
Das Wesentliche der Digitaliswirkung liegt
also in der Vergrößerung des Schlagvolums des
Herzens -- gleichen Widerständen gegenüber — und in
der Vermehrung der Herzarbeit (Gottlieb).1) Das Herz
vermag dabei maximale Widerstände nicht besser zu über-
winden, es nützt seine Kraft durch die stärkere Ver-
kürzung in Systole nur besser aus. Neben der systolischen
ist — durch die gleichzeitige Vagusreizung — auch eine
diastolische Wirkung vorhanden. Eine Vertiefung der Dia-
stole ohne gleichzeitige Pulsverlangsamung kommt nicht Vor-
untersuchungen von Johansson und Tiyerstedt 2) haben
gelehrt, daß sich das normale Herz während der Systole
nicht vollkommen entleert: das Schlagvolum wechselt viel-
mehr mit den wechselnden Bedingungen des Kreislaufs. Das
pathologisch geschwächte Herz behält am Schlüsse der
Systole ein zu großes Quantum von Residualblut, es wird
insuffizient. Unter der Wirkung der Digitalis kontrahiert
sich ein solches Herz nun vollständiger , es entleert sich
besser. Das Herz, das sich besser entleert, schöpft
aber auch besser, denn hatte die linke Kammer nur 2/3
ihres Inhaltes entleert, so vermochte sie eben auch nur 2/3
aas dem Vorhofe aufzunehmen. Für die vermehrte Schöpf-
kraft kommt zudem die Verlangsamung des Herzschlags in
hohem Maße in Betracht, da sie hauptsächlich zugunsten
der Diastolen geschieht und somit die Füllungszeit der
Kammern verlängert. Es kann daher auch die Füllung des
Herzens, u. zw. so erheblich, vergrößert werden, daß eine
mäßige Verringerung der Pulszahl überkompensiert wird
und das Herz in der Zeiteinheit tatsächlich mehr Arbeit
l) Unsere Darstellung der physiologischen Digitaliswirkung folgt zum
größten Teile dem trefflichen Referate Gottliebs auf dem XIX. Kongreß f.
innere Med.
■) Johansson und Tigerstedt, Skand. Arch. f. Phys., Bd. 2.
48 Allgemeine Therapie.
leistet. Aber das Herz leistet seine Arbeit auch
ökonomischer, sagt Gottlieb, weil kein Kontraktionsreiz
mehr zurückbleibt , wenn die nächste Systole einsetzt ; es
nützt jetzt seine Kontraktionsenergie vollständig aus , es
gewinnt durch den besseren Krafthaushalt wieder, was
zum Teile bereits verloren gegangen war, seine Ruhepausen.
Die längere Dauer jeder Diastole muß in den meisten Fällen
von Stauung günstig wirken : das in den Vorhöfen gestaute
Blut hat nämlich mehr Zeit, in die Kammern zu strömen
und gleichzeitig kann auch das Blut aus der Aorta besser
in die Arterien abfließen. Die Digitalis wirkt daher bei
Stauungserscheinungen dort am erfolgreichsten, wo sie den
Puls mäßig verlangsamt.
Während der längeren Diastole hat das Blut
mehr Zeit, in die Koronargefäße einzufließen, wozu
die Erhöhung des Blutdrucks auch ihrerseits beiträgt. Der
Herzmuskel gelangt dadurch in bessere Ernährungsver-
hältnisse.
Vollkommene Diastole bei mäßiger Pulsver-
langsamung und vollständige Systole ergeben das
Optimum der Herzleistung, die somit in geeigneten
Fällen durch Digitaliswirkung zustande kommen
kann.
Eine weitere primäre und günstige Wirkung ist der
Digitalis eigentümlich. Es ist die Pulsregulierung.
O.Frank1) konnte zeigen, daß durch Abgleichung zweier
inäquater Herzpulse zu zwei gleichmäßigen Schlägen die
in der Zeiteinheit ausgetriebene Blutmenge wächst. Schon
dies allein beweist eine Verbesserung der Herzarbeit,
die klinisch umsomehr in Betracht kommt, als die Digitalis
imstande ist, unter Umständen selbst die hochgradigsten
Arhythmien zum Schwinden zu bringen.2).
Die Digitalisstoffe wirken gefäßveren-
gernd3), und diese den Blutdruck steigernde Wirkung
*) 0. Frank, Zeitschr. f. Biologie, Bd. 23.
2) Gottlieb und Magnus 1. c. Braun und Mager 1. c.
3) Ibidem. Ferner Lander Brunton, „On Digitalis". — Magnus im
naturw.-med. Verein zu Heidelberg. Gottlieb und Magnus, Arch. f. experim.
Path , Bd. 47.
Die Herzmittel. 49
tritt zu der gleichsinnigen des Herzens hinzu. Digitalin,
Strophantin etc. verengern die Splanchnikusgefäße allein,
während das Digitoxin sämtliche Gefäßgebiete zur Verenge-
rung bringt. Im ersteren Falle weicht das Blut nach der
Körperperipherie aus und auf die peripheren Gefäße wirken
drei Einflüsse ein : Die direkt kontrahierende Wirkung des
betreifenden Digitaliskörpers, die passive Dehnung durch
das aus den Eingeweiden verdrängte Blut und eine aktive
reflektorische, durch die Verengerung der Bauchgefäße aus-
gelöste Erweiterung. Der erste dieser Einflüsse wird durch
die beiden anderen überkompensiert. — Bei Digitoxin wird
also durch die allgemeine Gefäß Verengerung das Blut von
der venösen auf die arterielle Seite des Kreislaufs umge-
lagert. Auch bei Strophantin, Digitalin u. s. w. kontrahiert
sich das Hauptreservoir des Körpers, das Splanchnikusgebiet ;
gleichzeitig tritt aber der geschilderte Regulationsmecha-
nismus in der Peripherie in Kraft, dem für die Herztätig-
keit eine große Bedeutung zukommt. Die allgemeine
Gefäßverengerung bei Digitoxin setzt dem Herzen einen
hohen Widerstand entgegen ; bei Digitalin , Strophantin
u. s. w. öffnen sich hingegen die Gefäße in der Peripherie,
um einen Teil der aus den Bauchorganen verdrängten Blut-
menge aufzunehmen, und damit tritt eine teilweise Ent-
lastung des Herzens gegenüber den gesteigerten Ansprü-
chen ein.
Die gefäß verenger nde Wirkung spielt
ohne Zweifel auch schon bei den therapeutischen
Digitalisgaben eine Rolle. Es ist begreiflich, daß hierin
unter Umständen eine günstige, in einem anderen Falle eine
ungünstige Nebenwirkung zu finden ist. Nehmen wir den
Fall , durch bessere Herzarbeit werde so viel Blut aus den
überfüllten Venensj^stemen in die Arteriensysteme hinüber-
geleitet, daß die Blutverteilung sich immer mehr der Norm
nähert. Eine gleichzeitige Verengerung der Gefäße kann
nun in einem solchen Falle von günstigem Einflüsse sein,
wenn sie sich vorwiegend etwa auf die Gefäße des Bauch-
raumes beschränkt und Haut sowie Gehirn viel Blut erhalten.
(Dies ist nun in der Tat bei Digitalinwirkung der Fall.)
Braun, Therapie der Herzkrankheiten. 4
50 Allgemeine Therapie.
Das aus dem Pfortaderkreislaufe und den Venen verdrängte
Blut kommt den Kapillargebieten des großen Kreislaufes
und den Lungen zugute, das Stromgefälle wächst, die Ge-
schwindigkeit des Blutstromes nimmt zu. Aber diese
Komponente der Digitaliswirkung vermehrt dafür auch die
Arbeit für das Herz, die Widerstände, gegen welche das Herz
sich zu entleeren hat. Haben diese Widerstände eine be-
stimmte Höhe erreicht, dann kann die günstige Digitalis-
wirkung durch die zweite ungünstige Wirkung aufgehoben
werden, denn allzu hohen Widerständen gegenüber kann
sich das Herz nicht mehr vollständig entleeren , das Puls-
volum sinkt, die Heilwirkung der Digitalis ist vermindert. —
Eine günstige Gesamtwirkung wird sich durch geeig-
nete Dosierung erreichen lassen. —
Die gef|iߥerCT|^£nde Wirkung erstreckt sich auch auf
die Kororfa^kraße ; aaatf^sK leidet die Ernährung des Her-
zens u*MJD?s ^wrr^Taher ai£>h\ immer darauf ankommen , ob
die HfeMna^d^iggr^gOBung purch Verlängerung der Dia-
stolenWer die Schädigung dei/Ernährung durch Verengerung
der Koronargefäße die(^erjmnd gewinnt. — Die vasoconstrik-
torische W^^^^^JÖr-jedenfalls, daß die Digitalis in erster
Linie ein Reizmittel des Herzens ist und durch Reizung
dessen Arbeitsleistung vergrößert. —
Die Gefäßwirkung hat nach Friedet Pick A) vielleicht
auch insoferne eine günstige Bedeutung, als die Steige-
rung des Gefäßtonus ein weiteres Zustandekommen von Ödem
verhindern und den Abfluß der bestehenden durch Steigerung
der Herzkraft eventuell beschleunigen kann.
Fassen wir die physiologischen Wirkungen
der Digitalisstoffe nunmehr zusammen, so finden wir,
daß dieselben die Leistung des einzelnen Herzschlags erhöhen
(die Erhöhung der Leistung kann rechts beträchtlicher sein
als links), die Entleerung der Kammern befördern und ihre
Füllung begünstigen, durch Regelung des Rhythmus und
der Frequenz wohltätig den Mechanismus des Herzens beein-
flussen, daß sie die Ernährung des Herzens begünstigen und
a) F. Pick, Verhandl. d. XIX. Kongr. f. innere Med.
Die Herzmittel. 51
schließlich durch Hebung des Gefäßtonus unter Umständen
regulierend auf die Blutverteilung einwirken können, wofern
in einem solchen Falle die Herzkraft ausreicht, unter den
Verhältnissen des gehobenen Blutdrucks die Zirkulation
aufrecht zu erhalten. Die bessere Füllung des Hirnkreis-
laufes unter Digitaliswirkung kann auf nervösem Wege die
Herztätigkeit günstig beeinflussen.
2. Die Indikationen der Digitalisdarreichung.
Die Kenntnis der physiologischen Wirkung der Digi-
talis gestattet uns nunmehr, ihre klinischen Indikationen
festzustellen und auch ihre Kontraindikationen zu präzisieren.
— Auf keinem Gebiete der Herztherapie zeigt sich so sehr wie
im Bereiche der Anwendbarkeit der Digitalis der Fortschritt
zwischen einst und jetzt, der Gegensatz zwischen der nihi-
listischen Anschauung der „anatomischen Richtung'' unter
den Klinikern und dem berechtigten Optimismus (Jer 5-PQysi°"
logischen Schule*'. Wenn man keine andere Indikation für
die Digitalisanwendung zu stellen vermag, als das Hörbar-
werden irgend eines Geräusches in der Herzgegend, dann
ist es natürlich, daß sich viele Mißerfolge einstellen, ja daß
dieselben an Zahl die Erfolge übertreffen können; solange man
von der Digitalis eine Heilung des „Herzfehlers"' erwartete;
mußte man sie freilich alsbald wieder zur Seite schieben.
Als man sich aber vom Unmöglichen abgewandt und dem
Erreichbaren, der Beeinflussung der Funktion des
Herzmuskels, zugewandt hatte, nachdem man die Indi-
kationen der Digitalisdarreichung präzisieren gelernt, wurde
auch die Digitalis, unser mächtiger Helfer, in die ihr ge-
bührenden Rechte eingesetzt.
Die Handhabung der Digitalistherapie ist, zumal in
den letzten Jahren , durch vielfache Übereinstimmung von
Versuchsresultaten und Krankenbeobachtungen sicherer und
zielbewußter geworden.
Wenn wir z. B. die Verhältnisse bei einem mittleren
Grade von Mitralinsuffizienz oder einer analogen Herzkrank-
heit (Myokarditis, Kombination von Mitralinsuffizienz mit
52 Allgemeine Therapie.
geringgradiger Stenose, Myodegeneration etc.) analysieren,
dann finden wir Bedingungen, welche die Digitaliswirkung
vorzüglich zu erfüllen vermag. Bei diesen Herzfehlern
kommen frühzeitig Dilatation (und je nach der Beschaffen-
heit der Koronarzirkulation in verschiedenem Grade auch
Hypertrophie) des linken Ventrikels, des linken Vorhofes,
Lungenhyperämie , Drucksteigerung im Lungenkreislaufe,
stärkere Belastung des rechten Ventrikels , Arhythmie zu-
stande.
Die Digitalis bewirkt Zunahme der Herzarbeit.
Regularisation und Verlangsamung der Herzaktion.
Das stärker arbeitende Herz entleert sich besser und schöpft
stärker, d. h. die linke Kammer zieht sich über ihrem Inhalte
besser zusammen und wirft eine größere Menge desselben in
die Aorta, sie entfaltet sich nach Ablauf der Kontraktion
energischer und entlastet durch kräftigere Saugung den
linken Vorhof.
Nimmt das Maß der systolischen Kontraktion zu, dann
wird auch der venöse Ostiumring während der Systole enger
und die Möglichkeit der Regurgitation von Blut in den
Vorhof jedenfalls eingeschränkt.
Die Entlastung des linken Vorhofes macht sich als-
bald im Lungenkreislaufe geltend, und da auch die Leistung
des rechten Ventrikels zunimmt, sinkt der Druck im
Venensysteme ab, steigt der arterielle Blutdruck an.
Nach der Berechnung von Lewy *) setzt Verminderung
der Pulsfrequenz allein bei Mitralinsuffizienz die zur Erhal-
tung des normalen Kreislaufes notwendige Arbeit über-
haupt herab.
Die Verlangsamung des Herzschlages geschieht vor-
wiegend auf Kosten der Diastole und begünstigt daher
erstens die Erholung des Herzens — durch Gewährung
von Ruhepausen — und zweitens die Ernährung der
Herzwand selbst — durch Verlängerung des Zeitraumes,
während dessen die Koronararterien mit Blut gefüllt werden.
Die Erhöhung des Aortendrucks — durch die Digitalis-
l) Lewy, 1. c.
Die Herzmittel. 53
wirkung — begünstigt die Füllung der Koronararterien
gleichfalls. (Die unvergleichlich bessere Wirkung kleiner
Digitalisgaben kann zum Teile auf die Steigerung der
Arbeitsleistung, zum Teile wohl auch auf die bessere Durch-
blutung des Herzmuskels bezogen werden.)
Die Verlangsamung des Herzschlags durch Digitalis
ist die weitere Ausgestaltung eines kompensatorischen Vor-
ganges, den der Herzmechanismus unter günstigen Ernäh-
rungsverhältnissen des Herzens bei Mitralaffektionen an-
scheinend selbsttätig zu erreichen sucht.
Da der linke Ventrikel, z. B. bei Mitralaffektionen,
oft keine primäre, bei leichtergradigen Strukturerkrankungen
keine wesentliche Schädigung seines Leistungsvermögens
erfuhr, kann er die Blutdrucksteigerung, welche im Gefolge
der Digitaliswirkung eventuell durch Hebung des Gefäßtonus
zustande kommt, leicht überwinden, Ja, man hat gerade in
diesen Fällen den Eindruck , als würde die Erhöhung der
Widerstände für den (nicht zu sehr geschädigten) linken
Ventrikel ein Anstoß zur Mehrleistung sein — denn das Herz
arbeitet bis zu einem gewissen Grade desto besser, je größere
Widerstände es überwinden muß — und damit die rück-
läufige Korrektur der Kreislaufsstörungen beginnen, welche
der betreffende ..Herzfehler*' bewirkt hat.
Auch die Regularisation der arhythmischen Herztätig-
keit ist für sich allein eine Verbesserung der Herzarbeit
{Naunyn, 0. Frank, pag. 48).
Schließlich sei noch daran erinnert, daß die Kontrak-
tionsenergie des rechten Ventrikels durch Digitaliswirkung
einen stärkeren Antrieb erfährt, als jene des linken, was den
Bedingungen und Verschiebungen bei den Mitralfehlern und
den analogen Herzaffektionen vorzüglich entsprechen kann.
Dies hat auch I). Gerhardt1) kürzlich betont.
Bei allen Herzaffektionen ist die Beschaffenheit
des Herzmuskels der Hauptfaktor der Digitalis-
wirkung, denn der Herzmuskel ist der hauptsäch-
lichste Angriffspunkt der Digitaliswirkung. Daher
l) D. Gerhardt, 20. Kongreß f. innere Med.
54 Allgemeine Therapie.
geht das Wirkungsvermögen der Digitalis immer in letzter
Linie der Beschaffenheit (dem Grade der Erkrankung) des
Herzmuskels parallel; die Reaktion des Herzens auf Digi-
talis ist desto besser, je weniger die Herzmuskulatur, speziell
jene der linken Kammer, geschädigt ist.
Ganz andere Bedingungen, als wir eben sahen, finden
wir bei der Aorteninsuffizienz, bei der Stenose des Aorten-
ostiums, ferner bei der arteriosklerotischen und der nephri-
tischen Herzhypertrophie (resp. Degeneration). Bei diesen
Affektionen ist der linke Ventrikel primär geschädigt, vom
Anfange an und vorwiegend zunächst allein, gezwungen, die
Mehrleistung zu übernehmen. Hier lehrt uns die Lungen-
hyperämie, daß der linke Ventrikel bereits insuffizient
wurde . die Hypertrophie des rechten Ventrikels , z. B. bei
den Aortenklappen affektionen, daß ein ,,mitr avisierter Aorten-
fehler" (Huchard)1) vorliegt, oder mit anderen Worten , daß
der rechte Ventrikel zur Hilfe eilen mußte, weil der linke
versagte. Eine relative Pulsvermehrung ist in einem solchen
Falle vorwiegend von günstiger Wirkung und Bedeutung :
die Digitalis aber wirkt diesem Vorgange entgegen, denn
ihre Wirkung ist eine verlangsamende. 2) Die Digitalis sucht
wohl die Arbeitsleistung der linken Kammer zu vermehren,
es sind aber entweder Bedingungen vorhanden, welche eine
eventuelle weitere Erhöhung des Blutdrucks nicht als
wünschenswert erscheinen lassen — Arteriosklerose, Nephritis,
granulierte Niere etc. — . oder andere, die durch eine Ver-
längerung der Diastolen eine Vergrößerung des Defektes
erfahren müßten — Aorteninsuffizienz (je länger die Diastole
ist, desto mehr Blut könnte in den Ventrikel regurgitieren) :
die Aorteninsuffizienz erfordert umso weniger Arbeit, je
kürzere Zeit die Diastole in Anspruch nimmt. — Zudem
sind in Fällen von Aorteninsuffizienz, Schrumpfniere, Ar-
teriosklerose, chronischer Nephritis etc. zur Zeit, wo Herz-
insuffizienz-Erscheinungen auftreten, zumeist bereits so hoch-
gradige Ernährungsstörungen der Herzmuskulatur vor-
*) Huchard, Quand et comment doit-on prescrire la digitale, Paris 1888-
2) Die Pulsverlangsamung ist besonders ungünstig, wenn nicht gleich-
zeitig die Dauer der Kammersystole hinreichend wächst.
Die Herzmittel. 55
handen, daß die Digitalis den Boden nicht mehr findet, auf
dem ihre Wirkung sich entfalten könnte.
Auch durch Regularisation des Herzschlags kann die
Digitalis bei Aortenfehlern zur Verbesserung der Herzarbeit
nichts beitragen , weil der Herzschlag , z. B. bei reiner
Aorteninsuffizienz , durchaus regelmäßig ist und das Auf-
treten von Arhythmien (frustranen Kontraktionen , Extra-
systolen etc.) eine hochgradige Myokardläsion bedeutet, welche
eine Digitaliswirkung vereitelt.
Trotzdem wird in solchen Fällen bisweilen ein Versuch
mit kleinen, vorsichtig tastenden Digitalisgaben zu
machen sein. Eine Wirkung derselben ist also möglich, wenn
die Strukturveränderungen der Herzmuskulatur nicht allzu
weit gediehen sind. Bei Arteriosklerose und interstitieller
Nephritis sollen Digitalisgaben jedenfalls erst gereicht wer-
den, wenn der Blutdruck zu sinken beginnt (Traube) *), resp.
Herzinsuffizienz-Erscheinungen auftreten. Dann kann man
allerdings unter Digitaliswirkung noch prächtige Erfolge und
Funktionserholungen der Herzmuskulatur eintreten sehen,
besonders wenn man vorher und gleichzeitig durch geeignete
Abführmittel die Gefäße entlastet und behufs besserer Durch-
strömung der Herzwand mit Blut, sowie zur Beseitigung
der vasokonstriktorischen Digitaliskomponente überhaupt
Digitalis mit einem Theobrominpräparate (Diuretin) oder
mit Kampher, auch mit Alkoholdarreichung, verbindet.
Aus dem Gesagten erklärt sich auch, warum Digitalis
bei den Aorteninsuffizienzen jugendlicher Individuen mit
guter Herzmuskulatur häufiger indiziert und besser wirksam
ist , als bei Aorteninsuffizienzen älterer Leute , die auf
arteriosklerotischer Basis zustande gekommen sind und mit
Ernährungsstörungen der Herzwand einhergehen. Bei Aorten-
insuffizienzen jugendlicher Individuen kann die durch Digitalis
bewirkte Systolen Verlängerung (Dreser, Braun und Mager)
zudem das Maß der Regurgitation verkleinern, also
günstiger wirken, indem sie die Entleerung der Aorta
(peripherwärts) fördert; in solchen Fällen hat auch die
Pulsverlangsanlung keine so schlechte Bedeutung.
*) Traube, Ges. Beiträge, Bd. III.
56 Allgemeine Therapie.
Aus dem Umstände , daß den Digitalisstoffen ein das
Herz übendes Prinzip innewohnt, daß sie Repräsentanten
der den Herzschlag verstärkenden Mittel sind, läßt sich
nun auch eine zuverlässige Grenze ihrer Kontraindi-
kationen ableiten.
Wir werden von der Digitalis nur Gebrauch
machen dürfen, wenn der Verstärkung der Herz-
tätigkeit keine Indikation entgegensteht.
Bei akuten Endomyokarditiden mit Herzinsuffizienz-
Erscheinungen sind wir oft vor die Frage gestellt, ob es
zweckmäßiger wäre, den entzündeten , kranken Herzmuskel
behufs Beseitigung der Insuffizienzerscheinungen zu ver-
stärkter Leistung anzuregen, oder ob wir nicht besser täten,
schonend vorzugehen , da etwaige Insuffizienzerscheinungen
eventuell auch spontan zurückgehen können. In einer Anzahl
von Fällen dürfen wir uns wohl — wie wir noch hören
werden - - für Digitalis entscheiden ; Schädigungen werden
durch vorsichtige Dosierung zu vermeiden sein.
Bei erhöhter Körpertemperatur kommt die Digi-
taliswirkung übrigens schwerer zustande ; sie wird in solchen
Fällen bisweilen durch Kombination von Digitalis mit
Chinin1) gefördert; auch gleichzeitige Alkoholdarreichung
kann zur Entfaltung der Digitaliswirkung in fieberhaften
Zuständen beitragen.
Lassen Embolien (der Niere, Lunge etc.) das Bestehen
zahlreicher Klappenexkreszenzen vermuten, bestehen (bei
frischen Endokarditiden) die Erscheinungen von Insuffizienz
und Stenosierung am Aortenostium oder von rasch zunehmen-
der Stenosierung des Mitralostiums, dann sind Maßnahmen,
welche die Herzaktion verstärken (Digitalisdarreichung),
kontraindiciert.
Hochgradige Mitralstenosen sind Kontraindi-
kationen der Digitalistherapie, teils wegen der Bradykardie,
*) Die Digitalis-Chinin-Kombination hat kein Geringerer als Skoda zum
erstenmale empfohlen. — Binz, Therapie der Gegenwart, 1902, widerrät hohe
Chiningaben; man gebe z. B. Pulv. fol. digit., Chinin, bisulf. aa. 01-
Die Herzmittel. 57
teils wegen der Emboliegefahr , mit der sie einhergehen ;
auch bei leichteren Mitralstenosen kann die vaso-
konstriktorische Digitalis -Komponente ungünstig wirken,
indem sie den schon gesteigerten Gefäßtonus noch weiter
erhöht.
Eine Kontraindikation ist ferner hoher Blut-
druck (Arteriosklerose), doch hat Sahli1) nachweisen können,
daß die Digitalis bei „Hochdruckstauungen-' — so nennt er
Stauungszustände mit Erhöhung der peripheren Wider-
stände — die Stauung beseitigen und in scheinbar paradoxer
Weise den erhöhten Blutdruck herabsetzen kann. Dabei
spielt dann wohl die zentrale Verminderung des Gefäßtonus
durch Entlastung der Lungen und Milderung der Dyspnoe
eine Rolle, vielleicht auch die bessere Füllung der Hirn-
gefäße (Gottlieb und Magnus). 2) Jedenfalls werden in der-
artigen Fällen kleine, tastende Digitalisdosen in Verbindung
mit einem Theobrominpräparate , mit Alkohol (Eichhorst)
oder Kamp her (Edlefsen) zu versuchen sein.
Eine allgemeinere Digitaliskontraindikation hat K. F.
Wcnckcbach*) aus der Genese einer Arhythmieform, des Pulsus
intermittens regularis, abzuleiten vermocht. Er wies nach,
daß dieser Arhythmie eine Verminderung des Leitungsver-'
mögens der Herzmuskulatur zugrunde liege. Da auch
Digitalis das Leitungs vermögen angreift und damit die
Herztätigkeit noch mehr schädigen würde, ist das Auf-
treten eines regelmäßig intermittierenden Pulses
(bei dem jeder 2. oder jeder 3., 4., 5., nte Puls- und Herz-
schlag ausfällt) nach Wenchebach eine Kontraindika-
tion der Digitalisanwendung.
Bei (fibrinösen und sero -fibrinösen) Perikarditiden
wird die Digitalis unter Umständen durch Hervorrufen
energischerer Herzkontraktionen die Entwicklung von
Adhäsionen verhüten können.
*) Sahli, Verhandl. d. XIX. Kongr. f. innere Med.
2) Gottlieb und Magnus, Arch. f. experim. Path. u. Pharm., Bd. 48.
3) K. F. Wenchebach, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 37.
rapie.
Bei komplizierten Herzfehlern (Klappenfeh-
lern; ist eine Digitaliswirkung desto eher zu erwarten, je
mehr das Bild eines Mitralfehlers hervorzutreten seheint.
i nervösen B . u n g e n kann die Digitalis
alstonisieren *el bisweilen indiziert und wirksam
//
Die Digitalisdarreichung bei Herzii. lenzen
zw lea rir-htf-t sich zum größten Teile nach den
Indikationen, die wir soeben kennen lernten : in vielen Fällen
wird es wohl immer wieder zuerst auf den Versuch an-
kommen. Jedenfalls wird man in solchen Fällen womöglich
her wirkende Präparate und größere D<>
verabreichen — zur Vermeidung unerwünschter Blutdruck-
d in geeigneter Verbindung mit einem Koffein-
ibrominprä parate mit Kampher oder mit Kalomel. Machen
sich Anzeichen dafür geltend . daß noch eine Digitalis-
wirkung zu erhoffen ist . dann setze man die Darreichung
unter sorgfältiger Pulskontrolle - meidung von bedeu-
tender Pulsverlancrsamung — fort. Bisweilen kann die An-
ordnung von Morphium den für fine darauffolgende
Dachen.
3. Der Zeitpunkt der Digitalisdarreichung.
auftreten deutlicher Stauur. _
abzuwarten, oder i -hon die gering
ren von Herzinsuffizienz durch Digitalisdarreichung zu
bekämpf
K int wohl zweckmäßig, au eh sr-hon die
niedrig der Herzinsuffizienz mit Digi-
talis zu behandeln. D zweifellos richtige Standpunkt
wird in nachdrücklicher Weise von / n.2j
Wiewohl solche Veränderungen bei ausschließlicher Scho-
nungsthi truhe, lei b, Laxantien) vollkommen
hwinden können, ie Indikationen der Digi-
Ho'hhaus, Deutsche med. Einhorn, Samml.
klin. Vortr. v. Volkmann, Ni 312.
2) Einhorn, 1. c.
Die Herzmittel. ;,<)
talisanwendung, denn es ist nicht bedeutungslos, wie lange
die Stauungserscheinungen bestehen. Unter richtiger Digi-
talistherapie, welche die Herzarbeit steigert, -das Herz
selbst in bessere Ernährungsverhältnisse bringt, die Ruhe-
pausen des Herzens verlängert, den Rhythmus regelt, die
Frequenz des Herzschlags herabsetzt, verschwinden die
Kreislaufstörungen jedenfalls rascher, zumal wenn man
gleichzeitig durch Bettruhe, leichte Diät und Laxantien die
Anforderungen an das Herz vermindert. Es ist sicherlich
nicht gleichgültig , ob die Stauung in der Leber , in den
Nieren, der Lunge durch kürzere oder durch längere Zeit
bestehen blieb (Einhorn). Leidet doch die Elastizität der
Lunge, das Parenchym der drüsigen Organe durch eine
Blutüberfüllnng von wochenlanger Dauer mehr, als wenn
dieselbe nur durch Tage anhielt! Der Lehrsatz, daß wir
Digitalis nicht brauchen, solange ein hinreichender Kreis-
lauf besteht, keine Ödeme vorhanden sind, der mit dem
..Herzfehler" Behaftete sich relativ wohl befindet, ist in
dieser allgemeinen Form sicherlich unbegründet. Zudem wäre
fehlerhaft, ein übungsfähiges Herz durch ausschließliche
Sdionungsmaßregeln einer zweckdienlichen ..Übung1' durch
Digitalis zu entziehen oder die notwendige ..Übung" in un-
nötiger Weise aufzuschieben. Man vergesse niemals daran,
daß die DigitalisstofFe die wertvolle Eigenschaft besitzen,
die Herzleistung tatsächlich zu erhöhen, und daß es für ein
nur wenig geschädigtes Herz oftmals bloß eines vorüber-
gehenden Anstoßes bedarf, um den Kreislauf wieder ins
Gleichgewicht zu bringen , die Störung für lange Zeit zu
beseitigen. Ein Nachteil kann durch Digitalisdarreichung
keinesfalls zustande kommen. Die Ansicht, daß ein Herz,
welches sich einmal unter Digitalisgebrauch wieder erholt
hat, unter schlechteren Lebensbedingungen stehe, als ein
anderes, bei welchem Stauungserscheinungen ohne Digitalis
zurückgegangen sind, muß erst bewiesen werden (Einhorn).
Wir dürfen also die Forderung aufstellen . daß jede
beginnende Herzinsuffizienz, sofern sich bei ihr keine speziellen
Kontraindikationen ergeben, mit Digitalis bis zum Kennt-
lichwerden der Wirkung behandelt werde.
60 Allgemeine Therapie.
4. Die pharmazeutischen Kriterien der Digitalistherapie.
Der Erfolg der Digitalisbehandlung hängt in hohem
Maße von dem (xlykosidgehalte und der Zubereitung des
Präparates ab. Auch die wirksamsten Blätter verlieren durch
längeres Liegen an Wirksamkeit, d. h. die Stärke der
Wirkung richtet sich nach der Jahreszeit.
Die Untersuchungen von Focke1) lehren uns, daß die
neuen , im Sommer gesammelten Blätter von ihrer mitge-
brachten Kraft bis zum Oktober etwa die Hälfte , bis zum
Januar mindestens zwei Drittel und bis zum Sommer ungefähr
drei Viertel einbüßen. Auffallend schwache Wirkungen sind
zu jeder Jahreszeit beobachtet worden, weitaus am häufigsten
aber im Frühjahre bis in den Juli hinein. Außergewöhnlich
starke Wirkungen , z. B. ernste Vergiftungen nach wenig
über 1 g im Infus, sind allein im Spätsommer vorgekommen,
d.h. bald nach dem gewöhnlichen Termine für die Erneuerung
der Blätter. Die alten Blätter im Anfange August dürften
von den um diese Zeit gesammelten neuen Blättern um etwa
das Vierfache an Kraft übertroifen werden. — Man soll
daher im Herbste die kleinsten Digitalisdosen verschreiben,
im Winter und Frühjahre größere, im Anfange des Sommers
die größten.
Die Wirksamkeit der Digitalisstoffe ist vom
Standorte der Mutterpflanze abhängig; Bührer konnte
unter Leitung Jaquefs zeigen, daß man bei aus verschiedenen
Droguen in gleicher Weise hergestellten Fluid-Extrakten
von dem einen bis zu viermal stärkere Wirkungen sehen
kann, als von dem anderen. Gottlieb hält es daher für ein
Postulat rationeller Arzneiverordnung , daß der Arzt nicht
bloß wisse , wieviel von der wirksamen Drogue er vor-
schreibt, sondern daß er auch die Wirksamkeit kenne, welche
diese betreffende Menge entfalten kann. Da hier — wie beim
Heilserum — nur eine physiologische Prüfung der
Wirksamkeit möglich ist, sollte diese auch immer in Be-
tracht kommen.
l) Focke, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 46, H. 4 u. 5.
Die Herzmittel. (51
Diesem Gedankengange haben Albert Fraenkel1), Ziegen-
bein 2) und Golaz (s. später) bereits Rechnung getragen. Ziegen-
bein nimmt z. B. die physiologische Prüfung am Herzen des
auf Digitalis besonders reagierenden Landfrosches, Rana
temporaria, vor. Er und Siebert bringen nunmehr Fol. digital,
conc. et pulver. ,.S. u. Z." mit einem stets gleichen Wirkungs-
wert von 0*04 g Drogue auf 100 g Froschgewicht , Tinct.
digitalis „S. u. Z." mit einem Giftwerte von 0*4 g Tinktur
auf 100 g Froschgewicht in den Handel.
Die wirksamsten Digitalisblätter stammen aus hügeligen
Gegenden ; ihre Einsammlung hat im Hochsommer zu ge-
schehen ; trockene Hitze erhöht, längere Regenperioden ver-
mindern den Digitalisgehalt der Blätter. Sie sind sorgfältig
zu trocknen und in Blechkästen aufzubewahren.
Die grob zerkleinerten Blätter sollen erst unmittelbar
vor ihrer Verarbeitung zu der vorgeschriebenen Arzneiform
pulverisiert werden. Dies gilt nicht nur für die Pulver- und
Pillenform , sondern auch für die Aufgüsse (Heinz). 3) Das
Vorrätighalten konzentrierter Infuse und deren Verdün-
nung für die eventuelle Verschreibung ist nicht angezeigt,
da konzentrierte Infuse durch Saprophyten Wucherung leicht
an Wirksamkeit verlieren.
5. Dosierung und Darreichungsform der Digitalisstoffe.
a) Die gebräuchlichsten Digitalispräparate.
Der wichtigste Grundsatz der Digitalis-Dosierung lautet:
Die kleinste, wirksame Dosis wirkt am besten oder
die besten Wirkungen werden mit kleinen Digitalisgaben
erreicht.
Die häufigste Darreichungsform der Digitalis ist das
Infus; in dasselbe gehen alle ihre wirksamen Stoffe über.
Die schlechtere Wirkung, welche das Infus bisweilen gegen-
über anderen Formen der Digitalisdarreichung aufweist,
rührt in der Mehrzahl der Fälle wahrscheinlich nur von
*) Albert Fraenkel, Die Therapie der Gegenwart, 1902, Nr. 3.
2) Ziegenbein, Arch. d. Pharmacie, 1902, Bd. 240.
3) Heinz, XVIII. Kongreß f. iünere Med.
('}'2 Allgemeine Therapie.
der Beschaffenheit der Blätter und der Art ihrer Verar-
beitung her.
Die Infusform verwendet u. a. Naunyn x), u. zw. 0*5 bis
0"8 : 180,0, in zweimal 24 Stunden eßlöfMweise zu ver-
brauchen, drei bis vier Flaschen, dann drei bis vier Tage
Pause, hierauf wiederum ein bis zwei Flaschen, eine aber-
malige Pause von drei bis vier Tagen und nochmals ein
bis zwei Flaschen. Dann pflegt die erreichbare günstige
Wirkung erzielt zu sein und nun genügt es, diese fortgesetzt
zu erhalten, indem man alle fünf bis sieben Tage einmal im
Verlaufe von 24 Stunden eine Flasche nehmen läßt.
Meist kann man mit der Dosis noch mehr herunter-
gehen, so daß die Kranken schließlich nur einige Tage in
der Woche und täglich nicht mehr als 0*1 bis O'lb g Digi-
talis nehmen. Die unangenehme Magenwirkung läßt sich
manchesmal durch stärkere Kühlung der Medizin abschwächen
oder beseitigen (Fräntzel 2), Ortner). 3)
Neusser empfiehlt als besonders wirksam das kalte
Macerat: Rp. Fol digit. 0*6 bis 1*0 macera frigide per horas
24 ad colat. 180'0, adde Syrup. Rub. Idaei 20'0.4)
Der Darreichung in Infusform ziehen Bomberg 5) und
Einhorn6) die Verschreibung der Blätter in Substanz
vor. Die Voraussetzung, daß die Blätter in Substanz wirk-
samer seien, weil sie Digitoxin enthielten, das in das Infus
nicht übergehe, ist mit den Befunden Cloettas7) im Wider-
spruche , der nachwies , daß Digitoxin in Gegenwart von
Digitonin wasserlöslich sei.
Jedenfalls lehrt uns die Klinik in Übereinstimmung
mit den Angaben Bombergs, daß wirksame Mengen des
Pulvers ohne Magen- und Darmbeschwerden von
einer bei weitem größeren Anzahl von Menschen
*) Naunyn, Therapie der Gegenwart, 1899.
2) Fräntzel, Vorlesungen über die Krankheiten des Herzens.
3) Ortner, Vorl. üb. spez. Ther. inn. Krankh.
4) Die bessere Wirkung desselben ist wahrscheinlich auf seinen geringeren
Digitoxingehalt zurückzuführen .
5) Bomber y, 1. c.
6) Einhorn, 1. c.
7) Cloetta, Arch. f. experim. Path. u. Pharm., Nr. 41.
Die Herzmittel. ßß
vertragen werden, als die entsprechenden Quantitäten des
Aufgusses; der oft ekelerregende Geschmack des Infuses
entfällt und man kann das Pulver — zumal in kleinen
Dosen — auch in Oblaten oder in Pillen reichen. So gibt
Romberg die Folia digitalis in Pillen, u. zw. je 0*05 des
Pulvers; er läßt dreimal täglich nach dem Essen zwei
Pillen nehmen, bis 30 bis 40 Pillen, d. i. 1*5 bis 2*0 g Folia
digitalis verbraucht sind. Selten kann man schon nach Ver-
brauch von 1 g aufhören. Meist ist mehrtägiger Gebrauch
nötig. Kranken, welche Pillen nicht schlucken können, gibt
Bomberg dreimal täglich ein Pulver zu 0*1. Das Schlucken
von Pillen kann dadurch erleichtert werden , daß man die-
selben in eine Semmel- oder Brotkrume steckt. Kindern
unter zehn Jahren gibt man Pillen zu 0025 g oder die
entsprechende Pulvermenge mit Sacch. lact. oder Pulv. Cacao
saccharat., als Gesamtmenge vom 10. bis zum 15. Lebens-
jahre etwa 1 g. vom 7. bis zum 10. Lebensjahre 0'75 g, noch
jüngeren Kindern 0'5 g. Ist diese Menge verbraucht, dann
lasse man eine Pause von einer bis zu mehreren Wochen
eintreten, um hierauf mit der Darreichung neuerdings zu
beginnen. In dieser Weise kann man im Bedarfsfalle durch
lange Zeit Digitalis geben und Kranke, wenn es nötig ist,
unter einer nahezu permanenten Digitaliswirkung erhalten.
Diese Form der Digitalistherapie wird als „chronische
Digitalis th er apie*' bezeichnet. Unter ihren Lobrednern
finden wir Namen wie Fraentzel, G oldscheider \ Xaunyn und
Kussmaul.
Albert Fraenhel1) hat mit Digitalinum verum und Strophantin Tier-
versuche ausgeführt und gefunden, daß täglich sich wiederholende kleine Dosen
Verstärkung und Verlangsamung des Herzschlags herbeiführen, ohne daß die
Tiere krank aussehen. Er sieht hierin die experimentelle Grundlage der An-
wendung kleinster Dosen am Menschen durch längere Zeit, denn nimmt man
größere Dosen, dann tritt leicht Arhythmie, Salivation und Erbrechen ein.
Die „chronische Digitalistherapie'' leistet uns in vielen
Fällen vorzügliche Dienste. So erscheint es bisweilen zweck-
mäßig, nach 2 — 3maliger Darreichung größerer Dosen, wenn
eine deutliche Wirkung eingetreten ist, mit den kleinen und
*) A. Fraenhel, 1. c.
64 Allgemeine Therapie.
ganz kleinen fortzufahren ; es gelingt dadurch, die Wirkung
auf die Herzkraft zu steigern, ohne daß dabei die Pulsver-
langsamung zunähme, der Gefäßtonus höher würde,
schlimme Folgen für die Verdauung einträten. x) Viele Fälle
von chronischer Myokarditis. Myodegeneratio cordis und Fett-
herz kann man auf diese Weise jahrelang über Wasser halten.
Kussmaul2) beschreibt einen Fall von jahrelang fortgesetztem
Gebrauche der Digitalis bei einem Kranken mit mäßiger
Aortenstenose und Arteriosklerose. Der Kranke hat in acht
Jahren über ;>00<7 Digitalispulver, dazu auch reichlich
Tinctura digitalis genommen. Über einen ähnlichen Fall
hat in jüngster Zeit Schubert'6) berichtet. Man sieht in solchen
Fällen bisweilen eine Art von „Ge wöhnung" an das Mittel
eintreten, die manche Autoren als „Digitalismus" bezeichnet
haben. Von Gewöhnung kann aber im Sinne von Bäte4),
Schubert5), v. Boeck6), Kussmaul7) nur gesprochen werden,
wenn Kranke durch viele Jahre, mit Pausen von wenigen
Tagen, Digitalis nehmen und in digitalisfreien Zeiten
Abstinenzerscheinungen aufweisen. Boeck meint daher, die
Digitalis sei für manchen Herzkranken ein Genußmittel.
Groedel8) bestreitet den „Digitalismus", da man bei der
„chronischen Digitalistherapie" 1 — 2 Jahre lang kleine Dosen
geben und nachher ohneweiters aussetzen kann ; Gewöhnung
trete höchstens insoferne ein , als man im Verlaufe vieler
Monate mit der Dosierung ein wenig steigen müsse. Solche
Erscheinungen beschreibt nun u. a. tatsächlich van der Heide. 9)
In derartigen Fällen muß man schließlich, um die Digitalis-
anwendung sistieren zu können, dies ganz allmählich tun,
„ausschleichen" (Goldscheider). ,0)
*) Siehe „Indikationen der Digitalisdarreichung".
2) Kußmaul, Therap. d. Gegen w., 1900.
3) Schubert, Münchener med. Wochenschr , 1902.
4) Balz, Arch. f. Heilk., 1876. Eine Frau, die im Verlaufe von sechs
Jahren über 800 g Digitalis verbraucht hatte, war unfähig zu arbeiten, wenn
sie es einmal unterließ, Digitalis einzunehmen.
5) Schubert, Münchener med. Wochenschr., 1902.
6) v. Boeck, Handb. v. Ziemssen, Bd. 15, 2. Aufl.
7) Kussmaul, 1. c.
8) Groedel, XIX. Kongreß f. innere Med.
9) Van der Heide, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 58.
10) Goldscheider, XIX. Kongreß f. innere Med.
Die Herzmittel. (35
Wir haben nunmehr noch einer Digitaliswirkung zu
gedenken, die in der Literatur als ..kumulative Wir-
kung'' bekannt ist, ohne daß jedoch einwandfrei feststünde,
was wir unter diesem Titel eigentlich zu verstehen haben.
Wir können mit Kussmaul1) als „kumulative Digitalis-
wirkung*' eine unerwartete Digitalisvergiftung bezeichnen,
die durch ihren plötzlichen Eintritt und ihre Heftigkeit zur
Größe der letzten Einzelgabe außer Verhältniß zu stehen
scheint. Doch schon Kussmaul hält es für fraglich, ob wir
berechtigt sind, eine „kumulative Digitaliswirkung'' anzu-
nehmen. „Ich erinnere mich nicht" — sagt er — „eines
irgend bedenklichen Vorkommnisses dieser Art aus meiner
langen klinischen Tätigkeit Zwar hat Schmiedeberg
den Verdacht ausgesprochen, die Fälle seien gewiß sehr
zahlreich, in denen ein unerwarteter plötzlicher Tod bei
einem mit Digitalis behandelten Herzkranken nicht auf
Rechnung einer zu starken Digitaliswirkung gebracht, sondern
dem Leiden zugeschrieben werde. Ich kann hiezu die Be-
merkung nicht zurückhalten, daß die allermeisten Fälle
plötzlichen Todes Herzkranker, die zu meiner Kenntnis
kamen, Personen betreffen, die nie in ihrem Leben Digitalis
eingenommen hatten/' In ähnlichem Sinne hat sich schon
lange vorher Pereira2) geäußert und die Furcht vor kumu-
tativen Digitaliswirkungen für unnötig gehalten. Tatsächlich
liegt in der Literatur kein Beweis dafür vor, daß sich die
Digitaliswirkung auf das Herz kumulativ steigert (Gottliebj.
Die Zufälle, die man auf eine solche Wirkung zurückführt,
sind, wenn man nicht übergroße Dosen verwendet und ganz
unvorsichtig vorgeht, überaus selten. Sie beschränken sich
in der Regel auf Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen.
Dauern solche Zustände an, dann tritt naturgemäß infolge
mangelnder Nahrungszufuhr Abmagerung ein ; auch geht
die Puls verlangsamung imter das erwartete Maß herab, ohne
daß jedoch die Herzkraft sänke. Solche Beobachtungen be-
schrieb Koehorn*) bei Rekruten, die sich durch Erzeugung
x) Kussmaul, 1. c.
2) Pereira, Handb. d. Heilmittellelire, 1848.
3) Koehorn, Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med., 1876.
Braun, Therapie der Herzkrankheiten.
66 Allgemeine Therapie.
einer künstlichen Krankheit militärfrei machen wollten und
zu diesem Zwecke mehrere Tage lang große Digitalismengen
einnahmen.
Dennoch sind derartige Zufälle unliebsam, weil sie
manchesmal, auch wenn das Mittel sofort ausgesetzt wird,
nicht sogleich verschwinden, sondern einige Zeit lang, selbst
mehrere Tage, fortdauern können. „Auch ist es immer etwas
beängstigend, wenn die Pulsfrequenz durch Digitalis bis auf
50 und 40 Schläge herabgeht, obwohl man die gleiche Er-
scheinung bei der Krise Pneumonischer freudig begrüßt"
(Kussmaul). Id. unseren Fallen ist eine solche Pulsverlangsamung
von besonderer Bedeutung, weil es ja Herzkranke sind, mit
denen wir's zu tun haben, und es sich niemals von vornherein
sicher bemessen läßt, über welches Maß von Kraft das Herz
noch verfügt.
Es dürfte übrigens nicht zweckmäßig sein, die Möglich-
keit einer „kumulativen Wirkung" absolut zu leugnen, sonst
würde sie nicht von einer so großen Reihe erfahrener Arzte
immer und immer wieder hervorgehoben werden. Schmiede-
berg schreibt dieselbe der Schwerlöslichkeit, der schwierigen
Resorbierbarkeit und den besonderen Ausscheidungsverhält-
nissen der Digitalisstoffe zu.1) Man soll daher auch, dem
Rate Kussmauls folgend, bei den alten bewährten Ordination s-
weisen bleiben, weil die Anwendung der „rein" dargestellten
Digitalisbestandteile noch wenig zuverlässig ist.
Die Vergiftungserscheinungen bestehen in Appe-
titabnahme, Brechreiz, seltener Durchfall, Schwindel, Kopf-
schmerz, Augenflimmern, Schwächezuständen: hiezu gesellt
sich eine exzessive Bradykardie, die plötzlich in Arhythmie
und Pulsschwäche — Absinken des Blutdrucks — übergehen
kann. Das Sensorium ist dabei intakt.
Man kann die Digitalis schließlich auch als Klysma
in Infusform geben, etwa nach der Rombergschen Formel:
2 : 150'0 mit 50 # Mixtur, gummös, für 3 — 4 Klystiere, die
x) Van der Heide hat (Deutsches Areh. f. klin. Med., Bd. 58) die
,,kumulative "Wirkung" anscheinend bewiesen 1. durch den ^letalen Effekt
sehr kleiner, gleichbleibender Dosen, einigemale hintereinander angewendet,
2. durch den letalen Effekt einer sonst nicht tötlichen Dosis, wenn vorher
durch längere Zeit kleine Dosen angewendet worden waren.
Die Herzmittel. ß7
im Laufe von IV2 Tagen zu verbrauchen sind, oder lg auf
60*0 Wasser. Dies dürfte in der Mehrzahl der Fälle zur
Erzielung der Wirkung ausreichend sein. — Auch in Suppo-
sitorien ist Digitalis anwendbar; die Magenbeschwerden
treten aber auch nach dieser Anwendungsweise auf, da es
sich um Wirkungen von Seiten des zentralen Nervensystems
handelt, die den Magen beeinflussen.
Eine Vorschrift für Suppositorien lautet z.B.:
Pulv. fol. digital. 2 — 3 #, Butyr. Cacao qu. s. f. leg. art. suppos.
Nr. X. S. 2 — 3 Stuhlzäpfchen täglich.
b) Andere Digitalispräparate.
Die Unentbehrlichkeit der Digitalisstoffe und die Unverläßlich-
keit ihrer Wirkung, insoferne man nicht über ihre pharmakologischen
Qualitäten ausreichend Bescheid weiß , haben schon frühzeitig eine
Reihe von pharmazeutischen Digitalispräparaten erstehen lassen.
Über die älteren derselben, das Digitalisextrakt und das Digi-
tal isaze tat, lauten die Angaben der Autoren ungünstig. Die Digi-
tatistinktur hat einen sehr inkonstanten Glykosidgehalt, ist daher
unzuverlässig in der Wirkung und nur in den allerkleinsten Dosen
anwendbar, weil sonst Vergiftungserscheinungen auftreten können.
Von ausschlaggebender Bedeutung ist der Gehalt an Digitoxin,
einem so starken Gifte, daß in einem Selbstversuche Koppes *) nach
dem Einnehmen von 0*002 Digitoxin überaus schwere Vergiftungs-
erscheinungen auftraten. Da kleine Dosen der Tinktur fast unwirksam
sind und man sich zu größeren nur ungern entschließen wird, dürfte
es somit am zweckmäßigsten sein, die Tinktur überhaupt nicht zu
verwenden.
Über das Digita liiium verum Kiliaili (Böhringer & Söhne)
sind die Angaben widersprechend. Sehr gute Erfolge mit demselben
veröffentlichte aus der Klinik Eichhorsts Zengger. 2) Da die Magen-
verdauung seine Wirkung zerstört (Beucher) 3), gibt man es am zweck-
mäßigsten subkutan, etwa nach der Vorschrift von Bomberg:
Kp. Digitalin. ver. (Böhringer) 0'03
Alkohol, absol 1*0
Aq. dest 9'0
MDS. Mehrmals täglich 03— 1 cc. zu injicieren.
*) Koppe, 1. c.
2) Zengger, Korresp.-Bl. f. Schweizer Ärzte, 1895.
3) Deucher, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 57.
6$ Allgemeine Therapie.
Die Injektion soll intramuskulär in die Glutäen erfolgen, da
bei subkutaner Applikation heftige Schmerzen und Entzündungser-
scheinungen auftreten können. Die Wirkung ist nicht so anhaltend,
wie nach der Darreichung in Infus oder Pulverform, doch rasch
eintretend und daher nur für dringende Fälle aufzusparen, in
denen man die langsamer eintretende Wirkung nicht abwarten kann.
Die französischen Digitalispräparate Digitalines amorphes
Homolle und Quevenne werden bei uns nicht verwendet; die
Verordnung der Nativelleschen. und Blanquartschen Digitaline ist
kontraindiziert, da dieselben unreine Präparate und daher von un-
berechenbarer Wirkung sind.
Das Extractum digitalis liquidum lobt Denzel.1)
Neuerdings stellt Golaz in Saxon les bains Dialysate VOll
Digitalisblättern her, welche der Beachtung überaus wert sind.
Golaz nimmt ganz frische Pflanzen und unterwirft dieselben sofort
der Dialyse. Die so gewonnenen Präparate werden durch Jaquet
pharmazeutisch geprüft, worauf sodann die Konzentration so ver-
ändert wird, daß die Dialysate aus den verschiedensten Jahrgängen
immer den gleichen Glykosidgehalt haben und somit außerordentlich
konstante Präparate geschaffen werden. Das an Digitoxin reichste
Dialysat ist jenes der Digitalis grandiflora.2) Es ist auch das
zuverlässigste Dialysat. Man gibt es in steigender Dosis von 3mal
täglich 10 bis zu 3mal täglich 20 Tropfen und geht wieder herab.
Die Wirkung des zumal von Unverricht 3) gelobten Präparates ist eine
ausgezeichnete. In einem Falle von „Degeneratio myocardii" habe
ich nach zehntägiger Anwendung des Dialysates einen rauschartigen
Verwirrungszustand eintreten sehen, der nach dem Aussetzen des
Mittels bald wieder verschwunden ist. Er ging mit periodisch auf-
tretenden auffälligen Arhythmien einher.
Das Digitoxin (Merck), welches u. a. Zeltner 4) in vielen
Fällen angewendet hat, gibt man in Dosen von 1/2 — 1 — 2 Milli-
gramm, u. zw. 1 — 2 mal täglich, in alkoholischer Lösung oder in
Pillen. Da es unter Umständen überraschend plötzlich wirken und
hochgradige Bradykardien herbeiführen kann, gebe man es nie länger
als höchstens 2 Tage nacheinander und setze es dann für mehrere
Tage aus. Ich glaube, daß wir, solange kein absolut zuverlässiges
Präparat vorliegt, auf die „chronische Anwendung" des Digitoxin
überhaupt verzichten und dasselbe nur anwenden sollen, wo wegen
bedrohlicher Herzschwäche eine rasche Digitaliswirkung wünschens-
wert erscheint.
a) Denzel, Tlierap. Monatshefte, 1896.
2) Botanisch gleichnamig mit der Dig. ambigua.
3) Unverricht,Y erhsmdl d.XIX Kongresses f. innere Med. — Schwarzen-
beck, Zentralbl. f. innere Med., 1901, Nr. 17.
4) Zeltner, Münchener med. "Wochenschr. 1900.
Die Herzmittel. 69
Zur subkutanen Injektion eignet sich folgende Digitoxinlösung:
Rp. Digitoxin krystallisat O01
Alkohol, absolut 5*0
Aq. dest 150
DS. Ya — 1 Spritze voll. (Die Injektion ist schmerzhaft.)
Die Merckschen Digitoxin-Pastill en enthalten 0*00025
wirksamer Substanz. Bosse1) gibt 3 Pastillen täglich nach dem
Essen.
Strophantus.
Der Digitalis zunächst steht unter den Herzmitteln
die von Fräser 2) und Dräsche 3) in den Arzneischatz einge-
führte, von den Semina strophanti, einer im tropischen Afrika
und Asien einheimischen, strauchartigen Apocynee. stammende
Tinctura strophanti, als deren Lobredner insbesondere
Rosenstein 4) zu nennen ist.
Die Wirkung der Strophantustinktur tritt oft schon
am ersten Tage des Gebrauches zutage, doch ist sie keines-
wegs so zuverlässig und vor allem nicht so nachhaltig wie
die Digitaliswirkung. Bei Kindern unter fünf Jahren soll
man wegen der durch die Raschheit der Wirkung möglicher-
weise eintretenden Herzlähmung Strophantus überhaupt
nicht anwenden (Demme).») In Fällen, wo Digitalis versagt,
bleibt zumeist auch Strophantus ohne Wirkung , wohl aber
eignet sich die Strophantustinktur für die Behandlung
der chronischen Herzinsuffizienz als interimistische Ver-
treterin der Digitalis während einer chronischen Digi-
tal]'stherapie.6) Auch in den Anfangsstadien der Herzinsuffi-
zienz, sodann behufs rascherer Erzielung der Wirkung,
schließlich zur Ergänzung einer Digitaliskur kann man
Strophantustinktur einige Tage lang verabreichen. Die Be-
hauptung mancher Autoren, daß die Anorexie nach Strophan-
*) Bosse, St. Petersb. med. Wochenschr., 1901.
2) Fräser, Brit. med. Journ., 1878.
3) Dräsche, Wiener med. Blätter, 1878.
4) Rosenstein, Verhandl. d. XIX. Congr. f. innere Med.
5) Bemme, Ber. d. Jennerschen Kinderspitales in Bern.
6) Die Ursache der guten Strophantuswirkung in solchen Fällen ist
nach den (pag. 49) dargelegten Gründen wohl in dem Fehlen des Digitoxin-
gehaltes zu erkennen.
70 Allgemeine Therapie.
tusmedikationen weniger zu furchten sei, als bei Digitalis-
verordnungen, trifft nicht zu. Auch Romberg1) hebt hervor,
daß die Strophantustinktur bei recht vielen Menschen Magen-
störungen und Durchfälle hervorrufen kann. In solchen
Fallen ist sie sofort auszusetzen.
Man gibt von der Tinctura Strophanti innerlich Erwachsenen
dreimal täglich 5 — 15 Tropfen pro dosi. Mehr als 50 Tropfen im
Tage sollen niemals verabreicht werden. Kindern zwischen dem
fünften und zehnten Lebensjahre reicht man anfangs dreimal täg-
lich 1 Tropfen, älteren Kindern viermal täglich 1 Tropfen und
steigt allmählich bis zu viermal täglich 3 Tropfen. Will man bei
Erwachsenen eine chronische Strophantustherapie durchführen, dann
beginne man mit dreimal täglich 5 Tropfen nach den Mahlzeiten
und steige nach je einem oder zwei Tagen um je 1 Tropfen bis
zu dreimal täglich 10 — 15 Tropfen, um wieder allmählich auf
dreimal täglich 5 Tropfen herabzugehen. Je nach Maßgabe der
Wirkung kann man die beschriebene Darreichungsmethode wieder-
holen oder schließlich durch längere Zeit dreimal täglich 5 Tropfen
geben. In zweckmäßiger Weise schaltet man eine solche „chronische
Strophantustherapie" in eine chronische Digitalistherapie, z. B. bei
chronischen Herzinsuffizienzen, ein.
Das wirksame Glykosid der Strophantussamen , das Strophantin,
wird derzeit am reinsten von Merck dargestellt; man gibt dasselbe in
Kapseln oder in wässeriger Lösung, u. zw. z. B. 5- bis lOmal täglich eine Kapsel
von s/10 mg.
Ein neues (französisches) Strophantuspräparat, die „Granules de
Catillon" ä 1 mg titrirten Extraktes von Strophantus, scheint gleichfalls
von zuverlässiger Wirkung zu sein. Erwachsene nehmen anfangs eine Pastille
und steigen unter vorsichtiger Herzkontrole bis auf drei oder vier Pastillen
an, um langsam wieder auf eine Pastille herabzugehen. — Für Kinder (von
5 — 15 Jahren) ist jedes andere Strophantuspräparat als die Tinktur ungeeignet.
Die übrigen Herzmittel.
Von unverläßlicherer Wirkung als Digitalis und Strophantus
sind die nachfolgenden Herzmittel , das Spartei'n , die Convallaria-,
Adonis-, Helleborus- und Valeriana-Präparate.
Das Spartei'n, von Spartium scoparium , wird zumeist als
Spartium sulfuricum angewendet; es ist von G. See2) in die
') Romberg, 1. c.
2) G. See, Compt. rend., Bd. 101.
Die übrigen Herzmittel. 1\
Therapie eingeführt worden, doch hat es sich bisher wegen der
damit erhaltenen, einander widersprechenden Resultate keine Aner-
kennung zu schaffen vermocht. Man verordnet es in täglichen
Gaben von 0*1 — 0*3 in Lösung, Pulvern oder Pillenform, z.B.:
Rp. Spartein sulfur. 0*4, Syr. cort. aurant. 300*0 MDS. Täg-
lich 3—4 Eßlöffel; oder
Rp. Spartein sulfur. 0'4, Pulv. et extr. rad. liquir. qu. s. ut f.
pil. Nr. XX. DS. Täglich 2—4 Pillen.
Über das von Hürthle *) experimentell untersuchte Oxy spart ein
liegen noch keine therapeutischen, zuverlässigen Erfahrungen vor.
Herba Convallariae majalis und ihre Glykoside (Con-
vallarin und Convallamarin) sind in ihrer Wirkung ganz unzuver-
lässig. Botkin 2), der sie zuerst empfahl, verschrieb das Maiglöckchen-
kraut als Infus (10 : 200'0, zweistündlich 1 Eßlöffel).
Ortner zieht dem Infuse die Tinktur und das wässerige Ex-
trakt vor. Er verschreibt: Rp. Tinct. convallar. majal. 15*0. DS.
dreimal täglich 20 Tropfen, oder Rp. Extr. aquos. convallar. majal.
6*0, Syr. cort. aurant., Oxvmel. Scillae aa. 75*0 MDS. Täglich 3 Eß-
löffel.
Die Herba Adonidis vernalis wird als Infus verschrieben,
4 — 8:180*0, davon zweistündlich 1 Eßlöffel, oder in Tinkturform,
dreimal täglich 15 — 20 Tropfen.
Das Hellebore in von Helleborus niger, der Nießwurz, em-
pfiehlt Romberg in Pillenform, u. zw. zu 0*01, 1 — 4 Pillen, später
fünfmal täglich 2 Pillen.
Auch die Radix Valerianae ist früher in der Herztherapie
vielfach verwendet worden. Das in ihr enthaltene Borneol wirkt
kampherähnlich. Man verschreibt zumeist die Tinct. Valerian.
aether, z. B. in gleichen Teilen mit Spirit. aether. oder Liquor,
ammonii anisat., davon mehrmals täglich 20 — 30 Tropfen, seltener
die übelschmeckende Baldriantinktur allein ; auch das Infus, rad.
Valerian. (e 10:180*0 mit einem Geschmackscorrigens) wird wohl
nur selten angewandt.
a) Hürthle, Arch. f. experim. Path., Bd. 30.
2) Botkin, cit. nach Bomberg.
72 Allgemeine Therapie.
Die Koffein- und Theobrominsalze.
Die Koffein- und Theobrominsalze bewirken eine Ver-
mehrung der Koronarzirkulation.1) Die bessere Durch-
blutung der Koronargefäße beeinflußt die Ernährung des
Herzmuskels und dadurch wahrscheinlich sekundär die
Leistung des Herzens in günstigem Sinne. Im Versuche
am isolierten Säugetierherzen *) erweist sich das Koffein
denn auch tatsächlich als ein kräftiges Stimulans der Herz-
tätigkeit; es ruft eine auffallende Steigerung der Pulsfre-
quenz hervor. Auch Santesson 2) fand , daß das Koffein die
Pulsfrequenz steigere und die Kontraktionsenergie des
Herzens vermehre ; er nennt es daher ein Cardiotonicum.
Jedenfalls machen es diese Eigenschaften uns verständlich,
daß die Koffein- und Theobrominsalze mit Digitalispräparaten
kombinirt so vorzüglich zu wirken vermögen, denn sie heben
in geeigneten Dosen die ungünstigen Nebenwirkungen der
Digitalisstoffe (Verengerung der Gefäße, Verlangsamung der
Herzaktion) auf und unterstützen wahrscheinlich deren günstige
Wirkungen. Die bessere Durchblutung der Koronargefäße
nach Koffein- oder Theobromin - Darreichung erklärt viel-
leicht auch die günstigen Erfolge nach Anwendung dieser
Salze bei Angina pectoris (Koronarsklerose) 3) und allge-
meiner Arteriosklerose.
In größeren Dosen verabreicht, erzeugen die Koffein-
und Theobrominpräparate unangenehme Nebenwirkungen,
u. zw. : Schwindel, Üblichkeit, Erbrechen, rauschartige Auf-
regungszustände etc. Die Koffeinsalze sind auch als Vaso-
motorenmittel zu bezeichnen4) (Gottlieb, Bock, Santesson) ; die
durch sie bedingte Blutdrucksteigerung beruht auf Erregung
des vasomotorischen Centrums.
Man gibt das Koffein als C. natr.-benzoicum, C. natr.-
salicylicum oder C. citricum per os oder subcutan in Dosen
*) Hedbom, Skand. Arch. f. Physiol., Bd. 8. — Bock, Arch. f. experim.
Path. u. Pharm., Bd. 43. — Braun u. Mager, Sitzungsber. d. kaiserl. Akad. d.
Wissensch. in Wien, Bd. 108, Abth. III., 1899.
2) Santesson, Skand. Arch. f. Physiol., Bd. 12. S. auch Aubert u. Dehn,
Pflüger's Arch., Bd. 9.
3) Siehe auch pag. 55, 57 u. 58.
*) Gottlieb, Verhandl. d. XIX. Congr. f. innere Med.
Die übrigen Herzmittel. 73
von 0*2 g zwei- bis dreimal täglich. Die Theobrominsalze und
ihre Dosierung : Siehe bei Diuretica.
Von ähnlicher, doch entsprechend ihrem geringen Koffeingehalte
schwächerer Wirkung auf das Herz, als die reinen Koffein- und Theobromin-
salze sind die Kolanuß, Semen colae, und ihre Präparate. Die Kolanuß ist
ein Genußmittel der Sudanesen wie bei uns Kaffee und Tee, wie bei den
Peruanern die Kokablätter und Betel bei den Malaj^en und Hindus. Man ver-
schreibt sie in Pillenform, als alkoholischen Extrakt oder als Tinktur, z. B. :
ftp. Semin. col. pulv. lOO'O, Alcohol. 60°/0 5000, Macera per horas quindecim.
DS. Täglich 2—3 Kaffeelöffel in Wein; oder Rp. Vini colae. 500-0. DS. zwei-
mal täglich ein Weinglas, das französische Präparat Cola granulee Astier
oder den Syrup. colae composit. Hell, die Stollschon Kolapräparate etc.
Kampher.
Die Kliniker sehen in dem Kampher ein energisches
Stimulans für das Herz (Pel u. a.) l). Nach Robert 2) und Alber-
toni3) macht sich unter seiner Einwirkung eine Blutdruck-
steigerung bemerkbar. Im Gegensätze zu den meisten Angaben
der Literatur lehren uns Untersuchungen von Mercandino 4).
daß der Kampher bei akuten Infektionskrankheiten in manchen
Fällen wohl eine leichte Herabsetzung der Pulszahl und
eine mäßige Verminderung des Blutdrucks herbeiführe ; ge-
rade bei den schwersten Formen aber ohne jede Wirkung
bleibe. Eine gewisse eintretende günstige Wirkung bestehe
in Milderung der Dyspnoe und einer Erholung bei Kräfte-
verfall , aber dieser günstige Einfluss sei eher von der
Wirkung auf das Nervensystem, sowie auf das Atem-
zentrum abhängig, während die Beeinflussung der Herz-
aktion im allgemeinen eine äußerst geringe sei.
Die letzten und — wie es scheint — auch die eingehendsten
Untersuchungen über die Wirkung des Kamphers auf das
Herz und den Kreislauf hat H. Winterberg6) ausgeführt, in
dessen diesbezüglicher Publikation die gesamte Literatur
x) Pel, XIX. Congr. f. innere Med.
2) Robert, Lehrbuch der Pharmakotherapie.
3) Albertoni, „Commentario alla Farmakop. italian. d. Guareschi" .
4) Mercandino, Blätter f. klin. Hydrother., 1900, Nr. 10 u. 11 (übersetzt
von Strasser u. Kraus).
5) H. Winterberg, Pflüger's Archiv, Bd. 94, 1903. (Exp. Untersuch,
über d. Wirk. d. Kamph. auf. d. Herz u. d. Gefäße von Säugethieren.)
74 Allgemeine Therapie.
dieses Gegenstandes enthalten und kritisch erörtert ist. Den
Versuchsresultaten Winterbergs ist zu entnehmen, daß die
Hauptwirkung des Kamphers in einer Gefäßerweiterung
besteht, deren Angriffspunkt in der Peripherie zu suchen
ist. Für die Annahme einer direkten Begünstigung
der Herzarbeit unter der Einwirkung des Kamphers
fehlt jeder Anhaltspunkt; hingegen kommt unter seinem
Einflüsse eine Erregung des Großhirns, des Atem-
zentrums und bei direkter Einbringung in die Blutbahn
auch eine geringe und flüchtige Reizwirkung auf das
Vasomotorenzentrum zustande. Die Erregung des Atem-
zentrums äußert sich in Beschleunigung und Vertiefung der
einzelnen Atemzüge. Die als Hauptwirkung erkannte Gefäß-
dilatation betrifft nicht alle Gefäßterritorien gleichmäßig;
es ist von Wichtigkeit, daß eine Erweiterung der
Splanchnicusgefäße nicht eintritt, wohl aber eine
solche der Hirn- und Hautgefäße.
Aus dem letzteren Befände erklärt sich die Wirkung
des Kamphers auf das Großhirn und die Hirnzentren, ferner
die schon von PurkiJtje J) registrierte Tatsache, daß der Kampher
in kleinen Dosen ein Gefühl angenehmer Wärme über den
ganzen Körper hervorruft. Die Herzwirkung ist somit
als eine sekundäre (Erleichterung der Entleerung des
Herzens, Wirkung auf die Atmung, auf das Großhirn) zu
bezeichnen.
Es besteht also eine weitgehende Analogie in der
Wirkung medizinaler Gaben von Kampher, Koffein und Al-
kohol. Der Kampher scheint zwischen jenen beiden zu stehen.
Die Indikationen seiner Darreichung decken sich zum Teile
mit denen der Koffeinsalze und des Alkohols.
Der Kampher kann demnach als Mittel gegen die
Blutdrucksteigerungen der Arteriosklerotiker, bei
Angina pectoris, bei den peripheren Gefäßkrämpfen
(Schüttelfrösten) im Verlaufe septischer Infektionen,
ferner zur Aufhebung der vasokonstriktorischen Di-
gitaliskomponente verwendet werden, in welch letzterem
*) Purkinje eit. nach Winterberg.
Die übrigen Herzmittel. 75
Sinne ihn bereits Edlefsen empfohlen hat. Auch die In-
dikationen des Kamphers als Excitans ergeben sich aus
seinen physiologischen Wirkungen; er kann in der Herz-
therapie keinesfalls als Excitans eine solche Rolle spielen
wie z. ß. bei Lungenaffektionen etc.
Man gibt den Kampher in Pulverform, z. B. : Rp. Acid. benz. 0*3,
Camph. trit. 0*1, Sacch. 0*4, S. zweistündlich ein solches Pulver ; oder Rp.
Pulv. fol. digital. Camphor. ras. aa 0'5. Elaeosarcehari Menth. 5"0,
divide in dos. X. S. Täglich 2 — 3 Pulver; in Mixturen: Rp. Camphor.
ras. 0*2 — 0*5, Spir. vin. qu. s. ad solut. Mixtur, gummös. 70*0, Syr.
simpl. 10'0. S. zwei bis dreistündlich 1 Kaffeelöffel; schließlich auch
die Solutio Oxycampher (50°/0) 10'0, Spirit. vin. 20*0, Succ. liquirit.
10-0, Aq. destill, ad 150'0; DS. dreimal täglich 1 Eßlöffel.
Jodsalze.
Die Annahme , daß die Jodsalze durch Gefaßentspan-
nung blutdruckherabsetzend wirken können, ist von fran-
zösischen Autoren (Huchard) *) ausgegangen , während z. B.
Boehm 2) trotz Darreichung großer Dosen keinerlei Einfluß
auf den arteriellen Blutdruck nachweisen konnte. Damit
decken sich auch die klinischen Erfahrungen v. Schrötters 3).
Die gebräuchlichsten Jodpräparate und ihre Dosierung
sind im Abschnitte „Das Herz bei Arteriosklerose" erörtert.
Alkohol.
Der Alkohol wirkt in kleinen Graben entspannend
auf die Hautmuskelgefäße ein ; er wird daher in richtiger
Dosierung Blutdrucksteigerungen durch Erhöhungen des
Geiäßtonus beseitigen und die Herzarbeit (Entleerung
des Herzens) erleichtern können. Tigerstedt*) hat den
Nachweis erbracht, daß der linke Ventrikel sich besser ent-
leert und besser schöpft, wenn die Gefäßspannung absinkt.
Diese Wirkung kann unter pathologischen Verhältnissen
zweifellos besser hervortreten als in der Norm, und es wird
') Huchard, Maladies du coeur, Paris 1889.
2) Boehm und Berg, Arch. f. experim. Path. u. Pharm., Bd. 5.
3) v. Schrötter, Erkrankungen der Gefäße, in Nothnagels Spec. Path.
u. Ther.
4) Tigerstedt, 1. c.
76 Allgemeine Therapie.
sich daher unter Umständen die momentane Gefahr einer
Herzinsuffizienz durch Alkoholdarreichung überwinden lassen
(Gottlieb) !). Eine indirekte Beeinflussung des Herzens durch
Alkohol hat Gutnikow2) experimentell nachgewiesen.
Ebenso ist die gefäßentspannende Wirkung der Alko-
holika dazu verwendbar, um in Fällen, wo Digitalis wegen
Gefahr des Absinkens der Herzkraft indiziert wäre, doch
wegen seiner väsokonstriktorischen (blutdrucksteigernden)
Wirkung allein nicht gegeben werden kann, diese schädi-
gende Komponente auszuschalten. 3) Ferner kann der Alkohol
zur Beförderung der in fieberhaften Fällen bisweilen ver-
sagenden Digitaliswirkung und zur Bekämpfung der angio-
spastischen Erscheinungen bei septischen Fiebern (Schüttel-
frösten) oftmals in wirksamer Weise herangezogen werden.
Der Parallelismus zwischen Haut- und Hirnzirkulation
(Gottlieb und Magnus)4) berechtigt uns zur Annahme, daß
schließlich auch anämische Hirnzustände durch kleine Alko-
holdosen beseitigt werden können, so daß sich damit wieder
eine bessere Ernährung lebenswichtiger Centren an-
bahnen läßt.
Aus zahlreichen von Binz 5) gesammelten Literatur-
angaben (die diesbezüglichen Publikationen der letzten fünf
Jahre) geht hervor, daß mäßige Gaben Weingeist erregend
wirken.
Alle diese Befunde erklären die unleugbare Tatsache,
daß der Alkohol bei der Behandlung älterer Leute
fast unentbehrlich ist. — Er wird, da er pulsbeschleuni-
gend wirkt, bei Aortenklappenaffektionen indiciert, bei
Mitralaffektionen kontraindi eiert sein.
Große Alkoholdosen bringen das gesamte Gefäßsystem
zur Erschlaffung und vermindern die Stärke der Herz-
kontraktionen ; am spätesten wird bei letalen Dosen das
Respirationscentrum außer Tätigkeit gesetzt.
1) Gottlieb, 1. c.
2) Gutnikow , Klin. u. experim. Studien a. d. Laborat. v. Baschs , 1900.
3) Vide pag. 55, 56 u. 57.
4) Gottlieb und Magnus, 1. c.
5) Binz, Berl. klin. Wochenschr., 1903, Nr. 4.
Die Vermehrung der Diurese. 77
Man gibt den Alkohol zumeist in Form eines guten Tisch-
weines1). Auch kleine Kognakdosen sind verwendbar, z. B. die be-
kannte Stokes'sche Mixtur: Rp. Spirit. vin. Cognac. 50*0 Vitell. ovi
unius, Syr. cinnamom. aa. 20*0, Aq. fönt, ad 1500 MDS. 5 — 10
Eßlöffel täglich; ferner der Aether, z. B. Aether. sulf. gtts. 15,
Mixt, gummös. 70*0, Syr. simpl. 10*0. MDS. lsttindlich 1 Kaffee-
löffel oder subcutan z. B. Camphor. trit. I/O, Aether. sulf., Ol. olivar.
aa. 5'0. MDS. 1/2 — 1 Spritze voll zu injiciren.
Die Nitrite. 2)
Hieher gehören Amylnitrit, Nitroglyzerin, Na-
triumnitrit und Erythroltetranitrat.
Alle diese Verbindungen der salpetrigen Säure erzeugen
in geeigneter Dosierung Rötung der Haut, Hitzegefühl,
stärkeres Klopfen der tastbaren Gefäße. Romberg 3) bezieht
den etwaigen Nutzen dieser Mittel nicht auf ihre vasodilata-
torische Wirkung, sondern auf die Hebung des Blutdrucks,
auf die Verstärkung der Herzarbeit4).
Man gibt Amylnitrit tropfenweise zum Inhalieren, z. B. in den
Solger&chen Lymphröhrchen, in denen 4 — 5 Tropfen des Mittels ent-
halten sind, die man auf ein Taschentuch oder Löschpapier tropft.
Nitroglyzerin verschreibt Nothnagel in Pillen zu 0*01 oder
in Original-Tabletten zu 0'0005. Eine Pille (oder Tablette) , dann
nach je einer Woche zu steigen bis auf 3 — 5 Pillen und ebenso
langsam abnehmen.
Natrium nitrosum wird am besten in Lösung gegeben
(2 — 4%ige Lösung davon mehrere Eßlöffel täglich).
Das von v. Schrötter6) empfohlene Erythroltetranitrat gibt
man in Pillen zu 0*02, eventuell steigend wie Nitroglyzerin.
Die Vermehrung der Diurese.
Wenn es uns gelingt, vorhandene Ödeme zu beseitigen
und einen Gleichgewichtszustand zwischen Wasseraufnahme
*) Näheres darüber vide „Diätetische Therapie".
2) Boehm, Arch. f. experim. Path. u. Pharm., Bd. 8. — Buchheim, ibidem
Bd. 3. — Traube, Ges. Beiträge, I. pag. 383. — Köhler, Centralbl. f. d. med.
Wissensch., 1877, Nr. 38. — Aubert und Dehn. Pflüger's Archiv, Bd. 9.
3) Romberg, 1. c.
4) v. Schrötter, 1. c.
h) Ich bin gerade jetzt mit experimentellen Untersuchungen über die
Wirkung der Nitrite auf Herz und Kreislauf beschäftigt aber noch nicht in
der Lage, die Ergebnisse dieser Untersuchungen zusammenzufassen.
78 Allgemeine Therapie.
und -Abgabe, also eine geregelte Wasserbilanz, herzustellen,
dann schaffen wir dadurch Bedingungen, unter welchen die
Arbeit des Herzens leichter vonstatten geht, denn die Ver-
mehrung des Wasserreichtums des Körpers und die Ver-
mehrung der Blutmasse laden dem Herzen unbedingt eine
größere Arbeitsleistung auf.
Die Maßnahmen, welche der Hebung der Diurese
dienen, sind daher der herzschonenden Therapie zuzu-
rechnen1).
Es ist eine wichtige Erfahrungstatsache, daß
die Wirkung der Herzmittel besser zur Geltung
kommt, wenn man vor ihrer Darreichung Diuretica
mit Erfolg angewendet hat.
Vermehrung der Harnabsonderung kann auf
verschiedenem Wege hervorgerufen werden. Zunächst durch
Steigerung der Wasseraufnahme. Dies kommt jedoch
bei Herzkrankheiten in der Regel nicht in Betracht; zu-
weilen gelingt es, in Fällen wo die Diurese nach Anwendung-
anderer Mittel bereits wieder gehoben wurde, diese Steige-
rung durch Zufuhr warmer Getränke, Tee, Limonade, Milch;
zu erhalten ; doch darf man nicht daran vergessen , daß in
den genannten Flüssigkeiten auch diuretisch wirkende Sub-
stanzen enthalten sind.
Auch die Bettruhe vereinigt mit anderen vorteil-
haften Wirkungen auf den Organismus des Herzkranken eine
Steigerung der Diurese, wahrscheinlich weil der unter
günstigeren Verhältnissen arbeitende Herzmuskel den Kreis-
lauf wieder besser im Gange erhält.
Die eigentlichen Diuretika bewirken Vermehrung
der Harnabsonderung durch Vermehrung der Blutmenge,
die durch die Niere fließt, durch direkte Beeinflussung der
Nierenzellen 2), oder indem sie , die Niere passierend , als
„harnfähige Stoffe" Wasser mitnehmen. [Wir werden hören,
daß die Wirkung der ,, harnfähigen Salze" uns im Lichte
der Erklärung der physikalischen Chemie besser verständ-
*) Ausgenommen sind die Mittel, welche die Diurese durch Erhöhung
der Herzleistung steigern.
2) v. Sobieranski, Arch. f. experim. Path., Bd. 35.
Die Vermehrung der Diurese. 79
lieh wird (pag. 91). *)] Daß alle Medikamente, die das Herz
zu kräftigerem Schlagen anzuregen vermögen und die
Strömungsgeschwindigkeit des Blutes erhöhen, Digitalis.
Strophantus etc., damit auch diuretisch wirksam sein können,
liegt auf der Hand. Es zeigen daher unter sonst gleichen
Verhältnissen jene Diuretika die deutlichste Wirkung,
welche mit der Fähigkeit, die Nierenzellen selbst zu be-
einflussen und die Durchblutung der Niere zu steigern,
auch eine auf das Herz wirkende Komponente vereinen.
Diese Eigenschaft besitzen im ausgesprochensten Maße
die Koffeine und Theobromine, z. B. das Diuretin2) (Theo-
brominum natriosalicylicum). Dasselbe wirkt direkt auf die
Zellen der Niere und auf ihre Gefäße, indirekt — wie wir
bereits hörten — auf die Herzarbeit ein. 3)
Man reicht Diuretin in täglichen Dosen von 4 — 5#, am
besten in wässeriger Lösung, eventuell mit Syrupus citri, zwei-
stündlich 1 g, durch fünf Tage, setzt zwei bis drei Tage aus und
läßt es dann nochmals fünf Tage lang nehmen. Die diuretische
Wirkung des Diuretin ist unverkennbar, daneben in geeigneten
Fällen — auf arteriosklerotischer Grundlage entstandenen Herz-
insuffizienzen — die günstige Beeinflussung des Herzens. Schäd-
liche Nebenwirkungen sind nicht zu fürchten, wenn man die Tages-
dosis von 5 g nicht überschreitet.
Will man ein Diuretikum mit einem Kardiotonikum vereinen
— etwa bei darniederliegender Diurese eines Kranken mit Mitral-
insuffizienz — , dann verbindet man mit Vorteil Diuretin mit Digi-
talis, z.B. Pulv. folior. Digital. Ol, Diuretin 1/0. S. Täglich 3— 5 Pul-
ver, fünf Tage lang zu gebrauchen.
Neben dem Diuretin verdienen auch das Theobrominum-
Natr. benzoieum, das Uropherin (Theobrominum-Lithio-sali-
cylicum) , das Agurin (Theobrominum-Natr. aceticum) und das
reine Theobromin Erwähnung.4)
Theobrominum purum gibt man in Tagesdosen von 2' 5 bis
3 g, vom Agurin 3 — 4 g.
Minder günstig als das Diuretin wirken erfahrungsgemäß das
Koffein und dessen Salze auf die Diurese ein.6)
*) Dreser, Arch. f. experim. Path., Bd. 29.
2) v. Schröder, Ibidem, Bd. 22 u. 24.
8) Äskanazy, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 56. — Bob. Breuer,
Müncliener med. Wochenschr., 1902. — Pawinski . Zeitschr. f. klin. Med., Bd.
24. — Vide auch pag. 72.
4) Alle Theobrominpräparate sind sehr theuer.
5) Gottlieb, XIX. Congr. f. innere Med.
80 Allgemeine Therapie.
Da der diuretischen Wirkung auf die Niere die gefäßver-
engernde (durch Reizung des vasomotorischen Zentrums) entgegen-
steht, hat bereits v. Schröder das Alkaloid mit Paraldehyd kombinirt.
Von Koffein muß man relativ große Dosen geben, z. B.
Coffein, natr. benzoic. oder Coffein, natr. salicyl. drei- bis viermal
täglich 0*4 g, auch subkutan z. B. Coffein, natr. benzoic, Aq. dest.,
Glycerin. aa. 5 g. S. Täglich ein bis zwei Pravazspritzen voll ; die
gefäßverengernde Wirkung kann auch durch gleichzeitige Alkohol-
darreichung eingeschränkt werden.
Ein neues von Dreser *) und Minkowski 2) empfohlenes Prä-
parat, das Theo ein (ein synthetisch dargestelltes Theophyllin8),
scheint ein mächtig wirkendes Diuretikum zu sein. Es wird, in Pulver-
form oder in warmem Tee gelöst, in Dosen von 0*3 bis 0*5 g oder
in dreimaligen täglichen Gaben von 0*2 g gegeben. Das Theocin
besitzt in den erforderlichen Dosen keine Nebenwirkung auf Herz,
Gefäße und Nieren; in einigen Fällen machte sich eine Wirkung
auf den Magen und eine erregende Wirkung auf das Nervensystem
störend bemerkbar.
In vielen Fällen von Anurie und Oligurie ist das
Kalomel ein Diuretikum ohnegleichen. Es war als solches
bereits dem großen Herztherapeuten StoJces bekannt , doch —
wieder vergessen — musste es durch Jendrassik unserem Heil-
schatze von Neuem einverleibt werden ; seither ist es viel-
fach erprobt und anerkannt worden.4) — Die Kalomeldiurese,
oftmals eine wahrhaft erlösende Harnflut, kommt durch
Reizung des Nierenepithels zustande. Kalomelwirkung
und -Darreichung setzen daher Intaktheit der Nieren-
epithelien, gesunde Nieren, voraus, wovon man sich
durch vorherige Harnuntersuchung zu überzeugen hat.
Kalomel ist oft wirksam, wenn sich die anderen, allerdings
auch minder eingreifenden Diuretika als wirkungslos er-
wiesen haben ; seine Wirkung erscheint bis zu einem ge-
wissen Grade unabhängig von der Herzkraft und überdauert
gewöhnlich die Darreichung selbst. Man sieht Fälle, in
denen nach der Kalomeltherapie der Hydrops für längere Zeit
*) Dreser, Naturforscherversamml. 1902. „Über physiol. Albuminurie."
2) Minkowski, Therapie d. Gegenwart, Nov. 1902.
3) Das Theobromin, das Paraxanthin und das Theophyllin sind isomere
Dimethylxanthine. Koffein ist Trimethylxanthin.
4) Jendrassik, Deutsches Arch. f. klin. Med. , Bd. 38. — Rosenheim,
Deutsche med. Wochenschr. 1897. — Fleiner, Berliner klin. Wochenschr., 1890.
— Stinzing, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 43.
Die Vermehrung der Diurese. $\
schwindet und relatives Wohlbefinden eintritt, neben an-
deren, in denen Digitalis unwirksam blieb, um in prächtiger
Weise wirksam zu werden, nachdem unter Kalomelgebrauch
die Ödeme mehr oder weniger zum Schwinden gebracht
worden sind.
Man gibt vom Kalomel dreimal täglich 0*2 g, eventuell,
wenn der purgirende Effekt zu stark ist, nach der Vorschrift
Jendrassiks mit je O'Ol g Opium purum, um die auftretenden Diar-
rhoen zu mildern oder zu vermindern , und setzt die Darreichung
durch drei Tage fort. Treten sehr profuse Diarrhoen auf, dann
höre man mit dem Mittel auf; in günstigen Fällen kann man es
jedoch fünf, sechs, ja selbst zehn Tage lang nehmen lassen. Die
Wirkung auf die Diurese macht sich selten schon am ersten Tage,
in der Regel erst vom dritten Tage an, geltend. Ist sie am vierten
Tage noch nicht da, dann wird man meistens gut tun, das Kalomel
auszusetzen, um der Intoxikationsgefahr (Enteritis) aus dem Wege
zu gehen. Hat sich das Kalomel hingegen als wirksam erwiesen,
dann kann man diese Therapie wiederholen ; es pflegt dann auch
ein zweites- und drittesmal wirksam zu sein. J)
Kalomelkuren dürfen nur unter genauester ärztlicher Kontrolle
und peinlichster Vorsicht vorgenommen werden ; in Fällen von
Kachexie sind sie zu vermeiden. Sorgfältige Pflege des Mundes,
wie bei Quecksilber Schmierkuren, kann die Stomatitis zumeist ver-
hüten. Der Mund wird mit Kali chloricum-Lösung (20 — 30: 1000*0)
oft gespült, die Zähne werden dreimal täglich mit Beiersdorfßcher Kali
chloricum-Zahnpasta und Zahnbürste gereinigt, das Zahnfleisch ist
früh und abends mit Tr. Ratanhiae und Tr. Gallarum aa. zu pinseln.
Die übrigen Diuretika sind von minder sicherer Wirkung.
Vom Kalium aceticum muß man größere Dosen gebrauchen ;
in der Regel wird die Lösung dieses Salzes verwendet, der Liquor
Kalii acetici, zu 2*0 — 10*0 pro dosi, mehrmals täglich 1 — 2
Teelöffel, bis 30 g pro die. — Es kann monatelang ohne Nachteil
für den Kranken gereicht werden.
Das Strontium lacticum wird in Lösungen von 25*0: 150*0,
drei bis viermal täglich ein Eßlöffel, gegeben.
Auch derCremor tartari, 2 — 3 g pro dosi, mehrmals täglich in
Wasser, gilt — wie es scheint, mit Recht — als diuretisches Mittel.
Eine ausgesprochen diuretische Wirkung zeigt bisweilen der
Wacholderbeertee, Fructus Juniperi, im Aufgusse , ein Eßlöffel
der zerstoßenen Beeren auf eine Tasse Wasser.
a) Es gibt leider Fälle, die schon die ersten Kalomelgaben mit Sali-
vation beantworten, wo diese Medikation demnach sofort auszusetzen wäre.
Manche Autoren haben auch in solchen Fällen die Kalomeld arreichung mit
Erfolg forciert.
Braun, Therapie der Herzkrankheiten. 6
82 Allgemeine Therapie.
Lange bekannt, und zumal von Kussmaul und Storch em-
pfohlen, ist die Verwendung der Semina Colchici bei herab-
gesetzter Diurese; man gibt sie am besten in Infnsform (1*0: 200*0),
mehrmals täglich einen Eßlöffel ; wegen der Möglichkeit des Ein-
tretens einer kumulativen Wirkung ist Vorsicht geboten.
Eines gewissen Ansehens erfreut sich auch der Bulbus
Scillae, im Inf us 1*0 — 1*5 ; 200*0. Scilla und ihre Präparate wer-
den meist nur als Zusätze zu anderen Diureticis gebraucht, deren
besten eines der sogenannte Trousseausche Wein ist. (Rp. Vini
alb. 1500*0, Fruct. Juniper. 100*0, Bulbi Scillae 12*0, Fol. digi-
talis 22*0, Macera per dies 4, filtra, adde Kai. acet. 30*0. DS.
Eßlöffelweise.)
Auch die Radix ononidis, ein Bestandteil der Species
diureticae (Rad. ononid., Herb. Spartii scop., Fruct. Juniperi, Rad.
Petroselini) steht im Rufe eines wirksamen Diuretikums (sie wird
im Dekokt aus 30*0 — 60*0 : 500*0 gegeben), ebenso das von Winter-
?iitz empfohlene Infus der Birkenblätter, Folia Betulae 30:200*0,
zwei- bis dreimal täglich.
Der Harnstoff ist nach Romberg als Diuretikum bei Herz-
affektionen wirkungslos, der Gebrauch des Natrium salicylicum
zu widerraten , weil die großen Dosen , welche erforderlich wären,
die ohnehin darniederliegende Verdauung noch weiter beeinträchtigen
würden und ihre blutdrucksenkende Wirkung bei den herabgekom-
menen Kranken leicht Kollapszustände herbeiführen könnte.
Die Milchkur ist gleichwie für manche Erkrankungen der
Leber und der Niere auch für Herzkranke, zumal von F. A. Hof-
mann *) empfohlen worden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der
Enthusiasmus, mit dem manche Aerzte noch heute von einer abso-
luten Milchkur sprechen, teilweise berechtigt ist, denn man sieht
dieselbe bisweilen in ganz verzweifelt scheinenden Fällen von
Erfolg begleitet; sie verbindet dann oftmals einen hinreichenden
Grad von Ernährung mit Flüssigkeitsentziehung und diuretischer Salz-
wirkung. Jedenfalls aber stellt eine solche Kur die Ausdauer des
Kranken hart auf die Probe. — G. See2) hat auf die diuretische
Wirkung des Milchzuckers aufmerksam gemacht. Er gab 100 #
pro Tag in Wasser; hoher Albumingehalt des Harnes stellt eine
Kontraindikation dieser Therapie dar.
Bei der Karelischen Milchkur3) trinkt der Kranke in kleinen Quan-
titäten mit immer kürzeren Pausen abgekochte, kalte Milch, etwa in folgender
Weise : Zunächst drei- oder viermal am Tage in bestimmten Zwischenräumen
60 — 200 cm3 abgerahmte Milch, Temperatur nach Geschmack des Kranken.
*) A. F. Hoffmann, I. c, auch „Diät. Therapie".
2) G. See, Bull, de l'Acad. de med., 1889.
3) Karell, St. Petersburger med. Zeitschr., Bd. 38. — Archives generales,
1866. — A. F. Hoffmann, Handb. d. Ernährungstherapie, Bd. 1, pag. 582.
Diaphorese. $}\
Der Kranke darf nur in kleinen Schlucken trinken , damit der Speichel sich
genügend mit der Milch mischen kann. Bleibt der Stuhl regelmäßig und fest,
dann steigt man in der zweiten Woche bis auf 1500 cw8; daneben sind von
vornherein andere Speisen nicht gestattet. Eintretender Durchfall wird durch
Einschieben von Schleimsuppen bekämpft. Die strenge Durchführung ist meist
nur durch wenige Wochen nötig, dann setzt man wieder leichte Mahlzeiten
an Stelle von zuerst einer, dann zwei der Milchdarreichungen; am längsten
hält man den Gebrauch für den Mittag und Abend bei. — In dieser strengen
Form dürfte die „Milchkur" bei Herzkranken wohl niemals zur Anwendung
kommen.
Diaphorese.
Die Vermehrung der Diaphorese dient, wie die Ver-
mehrung der Diurese, der Herzschonung.
Die Schwitzkuren werden entweder auf physikalische
oder auf medikamentöse Weise durchgeführt. Sie erreichen
die angestrebte Herzschonung auf einem Umwege, der für
das Herz mit Gefahr und Anstrengung verbunden zu sein
pflegt, d. h. jede Diaphorese erhöht zunächst das Maß der
Herzarbeit. Die Einleitung einer Schwitzkur setzt daher
eine sorgfältige vorherige Untersuchung und die genaue
Überwachung des Kranken während der Schwitzprozedur
voraus, denn üble Zufälle gehören, wenn man nicht sehr vor-
sichtig ist, hiebei nicht zu den Seltenheiten.
Als medikamentöse Diaphoretica gelten in erster
Linie die Folia Jaborandi und das aus denselben dargestellte
Pilokarpin, dessen salzsaures Salz offizinell ist. Die Jaborandi-
blätter und das in ihnen enthaltene Alkaloid bewirken Vermehrung
der Speichel- und Schleimsekretion , vor allem aber gesteigerte
Schweißsekretion. In manchen Fällen gut vertragen, führt das Pilo-
karpin ein anderesmal , immer in vorher unberechenbarer Weise,
bedrohliche Kollapszustände herbei, die von Erscheinungen des
Lungenödems begleitet sind. Diese Wirkung kommt durch Herab-
setzung des Blutdruckes zustande. *) Folia Jaborandi und Pilokarpin
sind daher bei herabgesetztem Blutdruck nicht angezeigt, und da
dies in unseren Fällen wohl mehr oder weniger der Fall ist, am
besten aus dem Heilschatze der Herztherapie zu streichen.
Man gibt Folia Jaborandi im Infus, 20—50 : 150-0— 2000, das Pilo-
karpin subkutan zu O'Ol— 002 pro dosi.
Die Technik der physikalischen Diaphorese vide „Hydrotherapie".
*) Kahler und Soi/ka, Arch. f. exp. Path. u. Pharm., Bd. 7.
6*
84 Allgemeine Therapie.
Hautpunktion.
Das wirksamste Mittel zur Entleerung der Ödeme ist
ein mechanisches, die von Curschmann1) eingeführte Haut-
punktion. Unter aseptischen Kautelen vollzogen, kann
sie selbst in verzweifelten Fällen bisweilen eine günstige
Wendung des Krankheitsverlaufes herbeiführen. Ihre gute
Wirkung verdankt sie dem Umstände allein , daß sie die
einzige Methode der Ödementleerung ist . welche vom An-
fange an als eine schonende, das Maß der Herzarbeit er-
leichternde betrachtet werden kann ; sie erreicht ihr Ziel,
den Kreislauf zu entlasten, direkt, ohne den bisweilen ver-
hängnisvollen Umweg der medikamentösen Ödementleerung,
der vermehrten Inanspruchnahme der Kraft des insuffizienten
Herzens.
Zur Hautpimktion kann man die Curschmann&chen Haut-
troikarts, die Soutlieyschen Nadeln und die Methoden von Dehio,
Fürbringer, Citron und Krönig benützen.
Die durch Auskochen sterilisierten Curschmannschen Troikarts (einer
oder zwei) werden nach sorgfältiger Hautdesinfektion, die Spitze nach auf-
wärts, an der Außenseite jedes Oberschenkels schräg eingestochen, bis die
Spitze im subkutanen Gewebe frei beweglich ist; die Mündung soll etwa
1 Cm. weit aus der Haut hervorragen. Nun wird der Stachel hervorgezogen
und über die Kanülenmündung ein mit steriler, physiologischer Kochsalz-
lösung gefüllter, vorher ausgekochter Gummischlauch gebunden, der in ein
neben dem Bette stehendes, teilweise mit Kochsalzlösung gefülltes Gefäß
hinabreicht. Dadurch wird ein saugend wirkendes Hebersystem gebildet. Der
Schlauch soll lang genug sein , um dem Kranken einen gewissen Grad von
Bewegungsfreiheit zu gewähren. Die Enden der Fäden, welche den Schlauch
über der Kanüle festhalten, werden mit Heftpflasterstreifen in der Einstichs-
richtung fixiert, um das Herausgleiten der Kanüle zu verhindern. Die Ein-
stichsstelle selbst wird durch ein Heftpflasterkreuz gedeckt, das, wenn unter
ihm Ödemflüssigkeit hervorsickert, durch Brunssche Watta zu unterpolstern
ist. Die Anlegung der Hautwunden und jeder Verbandswechsel erheischen
die strengste Asepsis. — Schon nach dem Herausziehen des Stachels beginnt in
der Regel Ödemflüssigkeit abzurinnen. Man kann auf diese Weise in günstigen
Fällen ganz unglaubliche Flüssigkeitsmengen abfließen sehen. Das Ödem der
Beine schwindet, ebenso die Anschwellung des Skrotum und der Bauchhaut,
auch die Ergüsse in den serösen Höhlen nehmen ab. In ganz besonders
günstigen, seltenen Fällen bessern sich Herzkraft und Zirkulation nach der
l) Curschmann, Therap. Monatshefte, 1894.
Hautpunktion. (Sf)
Entleerung der Ödeme so sehr, daß man langsam wieder zu einer übenden
Therapie übergehen kann.
Leider verstopfen sich die Lumina der Troikarts leicht durch Koagula ;
ist 24 Stunden lang nichts abgeflossen, dann ist es zwecklos, die Kanülen
liegen zu lassen. Ein „Dunstumschlag* kann unter Umständen die Entleerung
der Flüssigkeit begünstigen. Nach Entfernung der Troikarts sind die Punktions-
stellen aseptisch zu verbinden.
Die Southc yschen Nadeln zur Hautpunktion sind schwerer sterilisierbar
als die Curschmannschen Troikarts und verstopfen sich auch leichter. — Um
dem Übelstande abzuhelfen , der durch Verstopfung der Kanülen die Haut-
punktion erschwert, hat Curschmann Gefäße mit abnehmbarem Deckel,
„Drainage kapseln", konstruiert, die zuerst ohne Deckel durch Heftpflaster
auf die Haut fixiert werden. Dann macht man innerhalb der von der Kapsel
umschlossenen Hautarea Inzisionen, setzt den Deckel auf und führt durch
eine Öffnung desselben zur Vermeidung der Durchnässung des Bettes einen
Schlauch in ein Gefäß mit Kochsalzlösung. Die Einhaltung aseptischer Kautelen
wird durch die Curschmannschen „Drainagekapseln" nur wenig gewährleistet.
Ein wenig besser geschieht dies durch eine von Dehio angegebene Vorrichtung
(St. Petersb. med. Wochenschr. 1900). Dehio hat auf der Mitte einer langen
zweiköpfigen Gummibinde, ., Trichterbinde", eine kleine Halbkugel von Gummi
anlöten lassen, die einen abführenden Gummischlauch trägt. Man bezeichnet
sich die zu skarifizierende Stelle, deren Größe sich nach dem Kapseldurch-
messer zu richten hat, und legt die gut desinfizierte Kapsel, sowie die zwei-
köpfige Binde so fest an, daß dieselbe vollständig wasserdicht anliegen. Die
Ableitung der Ödemflüssigkeit geschieht in der gleichen Weise wie bei den
„Drainagekapseln" und den Troikarts. Wenn das Ödem und damit der Umfang
des Beines abnimmt, muß die schlotternd gewordene Binde fester angezogen
werden. — Die Bedingungen der Asepsis kann daher auch der Dehiosche
Apparat nicht vollkommen erfüllen. — Unter dem gleichen Mangel leiden die
handlichen Punktionsapparate von Fürhringer („Deutsche med. Wochenschr."
1899) und Citron (Ibidem 1902). Einen neuen Punktionsapparat hat erst vor
wenigen Wochen Krönig angegeben (Verein f. inn. Med. i. Berlin, 1903, Febr.).
Am einfachsten und zuverlässigsten ist ohne Zweifel die Ödementleerung
durch Skarifikationen : In der Haut des Fußrückens z. B. wird ein 2—3 Cm.
langer Hautschnitt appliziert, die Wunde mit einer in eine antiseptische Flüssig-
keit getauchten Kompresse verbunden und der Fuß in eine herabhängende
Stellung gebracht. Die absickernde Flüssigkeit kann in einem untergestellten
Gefäße aufgefangen, das Kältegefühl durch eine nahe aufgestellte Wärme-
flasche bekämpft werden. Man kann Skarifikationen überall anwenden, selbst
am Penis und Skrotum {Litten, Verein f. inn. Med. i. Berlin, 1903, März).
Die Indicatio vitalis macht in seltenen Fällen eine Pleura- oder
Peritonealhöhlen-Punktion erforderlich. Die Entfernung der den
Kreislauf in mechanischer Weise beschwerenden Flüssigkeitsmengen
beseitigt oft nicht nur die augenblickliche Lebensgefahr, sondern kann
unter Umständen auch von anhaltendem Erfolge begleitet sein.
$6 Allgemeine Therapie.
Man sollte daher eine notwendig scheinende Punktion nicht allzu-
sehr hinausschieben. Eine Punktion des Abdomens wird der Sach-
lage entsprechend wohl nur äußerst selten vorgenommen werden.
Bei Thoraxpunktionen wird vorher zu erwägen sein, wie viel von
der Dyspnoe im gegebenen Falle auf Wirkung des Hydrothorax, wie
viel auf Rechnung etwa vorhandener Lungeninfarkte oder Lobulär-
pneumonien zu setzen ist. Kann man letztere nachweisen oder lassen
sich dieselben vermuten (Sputum) , dann wird die Punktion wohl
nur in den allerdringendsten Fällen gewagt werden dürfen. Bei
einseitigem Pleuraergüsse dürfte sich die Notwendigkeit einer
Punktion ergeben, wenn das Flüssigkeitsniveau bei Aufrechthaltung
des Kranken bis zur 3. Rippe reicht, bei beiderseitigem Ergüsse,
wenn dasselbe unter den genannten Verhältnissen auf der einen
Seite bis zur 4. Rippe reicht. Es ist selbstverständlich, daß in
Fällen, wo der Hydrothorax sich wegen Verwachsung der Pleura-
blätter nur einseitig entwickeln kann, oder wo komplizierende
Affektionen wie Pleuritis (im Anschlüsse an Lungeninfarkt), Leber-
zirrhose etc. vorhanden sind , auch schon geringere Flüssigkeits-
.•insainmlungen die Vornahme der Punktion empfehlen können.
Diätetische Therapie.
Wie bei jeder chronischen Krankheit, so spielt auch
bei den Herzkrankheiten , deren überwiegende Mehrzahl
dauernde Veränderungen zur Folge hat1) und ein andauerndes
Mißverhältnis zwischen Herzkraft und Belastung des Herzens
schafft, eine rationelle Diät einen wichtigen Bestandteil
der Therapie.
Mit einer rationellen Diät bezwecken wir eine Scho-
nung des Herzens, eine Verminderung der Herzarbeit.
Das Herz leistet einen erheblichen Teil der vom Körper
überhaupt geleisteten Arbeit. Die Arbeit des Herzens steht
in einer gewissen , durch seine Innervation geregelten Be-
ziehung zur Größe des Sauerstoffverbrauches, denn das Herz
*) Die Diätetik der akuten Herzkrankheiten ist in den speziellen Kapiteln
erörtert worden.
Diätetische Therapie. g7
muß umso mehr Blut umtreiben, je mehr Sauerstoff die
Organe brauchen (N. Zuntz).1)
Wir können daher, indem wir dem Körper Ver-
dauungsarbeit ersparen, auch eine Schonung des
Herzens bewerkstelligen.
Eine rationelle Diätvorschrift für einen Herzkranken
hat daher folgende Gesichtspunkte zu umfassen:
1. Sie muß der Ernährung unter den geänderten
Verhältnissen des Herzfehlers Rechnung tragen,
indem sie dem Kräftezustande des Kranken sorgfältige Auf-
merksamkeit zuwendet, dabei das durch die Kreislaufsstörung
geänderte Resorptionsvermögen des Darmes berücksichtigt
und auch die individuellen Verhältnisse des konkreten
Krankheitsfalles (Beruf, soziale Verhältnisse) nicht vernach-
lässigt.
2. Sie kann die spezielle Herzkrankheit selbst
therapeutisch beeinflussen.
Ein solcher Fall liegt uns z. B. vor, wenn wir an die
Behandlung eines Fettleibigen herantreten , dessen Herz-
insuffizienz-Erscheinungen aller Wahrscheinlichkeit nach auf
die Fettleibigkeit allein zurückzuführen sind. Hier ist die
Diätetik ein wesentlicher therapeutischer Faktor , der die
Krankheit selbst direkt beeinflußt. Nehmen wir ferner den
Fall einer Aorteninsuffizienz, dann finden wir, daß durch
reichliche Flüssigkeitszufuhr, „Plethora", die Herzarbeit er-
leichtert wird (B. Lewy2). Das Gegenteil liegt etwa bei einer
Mitralstenose vor; je geringere Flüssigkeitsmengen das Herz
zu bewältigen hat, desto leichter vermag es sich den durch
die Mitralstenose bedingten Veränderungen anzupassen.
3. Eine rationelle Diätetik kann schließlich durch
quantitative und qualitative Indikationsstellung prophy-
laktische Maßnahmen der Herzschonung in Betracht
*) „Eine strenge Proportionalität zwischen Größe des Sauerstoffver-
brauches im gesamten Organismus und Arbeitsleistung des Herzens dürfen
wir freilich deshalb nicht erwarten, weil bei der normalen Zirkulation der
Sauerstoffgehalt des Arterienblutes nicht aufgebraucht wird" (X. Zuntz, Deutsche
med. Wochenschr., 1892, Nr. 6).
2) B. Lewy, 1. c.
$# Allgemeine Therapie.
ziehen. Oft sind es recht gleichgültig scheinende Mittel,
durch welche sie diese Wirkungen erzielt.
Die Mehrzahl der Menschen ist gewohnt, die Bedürf-
nisse des Körperhaushaltes zu überdecken , d. h. mehr als
notwendig ist, zu essen. Schränkt man ihre Diät ein, dann
ist damit schon eine namhafte Herzschonung gegeben. Mehr
noch als durch unnötig große Zufuhr von festen Speisen,
pflegen viele Menschen durch übermäßige Flüssigkeitsauf-
nahme ihren Kreislauf zu belasten. Oertel1) hat darauf hin-
gewiesen , daß die mit dem Trinken verbundene Genuß-
empfindung allein ausschlaggebend ist für die Größe der
Flüssigkeitsaufnahme und das Durstgefühl häufig nur durch
die Gewohnheit angeregt und unterhalten wird. Die Reduktion
der Flüssigkeitsaufnahme auf das Maß des Notwendigen kann
die Arbeit für das Herz jedenfalls vermindern. 2) — Vielen
Menschen, namentlich Bewohnern der Großstadt, läßt der
Beruf buchstäblich nicht die Zeit zum Essen übrig. Solche
Individuen nehmen nur wenige Mahlzeiten, und diese hastig,
jedesmal, dem großen Hungergefühle entsprechend, in großen
Quantitäten, ein. Wenn sie dann, unter dem unabweisbaren
Zwange einer etwa beginnenden Herzinsuffizienz, ihre Mahl-
zeiten richtig einteilen , sich die unumgänglich notwendige
Zeit zum Essen lassen, d. h. die Speisen hinreichend kauen
und damit die vom Magen-Darmtrakte aufzubringende Arbeit
besser einleiten , dann trägt auch diese scheinbar gering-
fügige Änderung schon zur Erleichterung der Herztätigkeit
bei. Dazu kommt, daß eine geregelte, korrekte Nahrungs-
zufuhr die Verdauung regelt und damit die Stuhlentleerung
befördert, was gerade bei Herzkranken — wie wir noch
hören werden — - eine große Bedeutung hat.
Der nämliche Gesichtspunkt betrifft die Zusammen-
setzung der Nahrung, ihre Qualität. Die zur Erhaltung
des Stoffwechselgleichgewichtes notwendigen Nahrungsmittel,
Eiweiß, Fett, Kohlehydrat, können einander bis zu einem
gewissen Grade, aber nicht durchaus, vertreten. Eine gewisse
*) L. c.
2) Man darf sich aber nicht vorstellen, daß die aufgenommene Flüs-
sigkeit ohne weiteres die Blutmenge vermehre (Hoffmann).
Diätetische Therapie. 89
Menge von Fett, von Eiweiß, von Kohlehydrat ist für eine
rationelle Ernährung unbedingt notwendig. Wollte man
z. B. einen Teil des leicht verbrennbaren Kohlehydrats durch
vermehrte Eiweißzufuhr ersetzen, dann würde den Körper-
zellen dadurch eine Mehrarbeit auferlegt werden, denn die
Zerlegung des hoch zusammengesetzten Eiweißmoleküls setzt
eine viel größere Stoffwechselleistung voraus, als die Ver-
brennung des viel einfacheren Kohlehydrates. Nun linden
wir aber in der Praxis, zumal in den besten Gesellschafts-
schichten, einen wahrhaften Eiw eißabusus , der also eine
Luxusbelastung des Stoffwechsels zur Folge hat.
Nach Huchard1) hält die Zunahme der Herzkranken
in Frankreich gleichen Schritt mit der Zunahme des Fleisch-
konsums ; nach Neufville und Wolfhügel 2) stellen Metzger ein
besonders großes Kontingent der Herzkranken.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich der diätetische
Grundsatz, dem Herzkranken so viel an Nahrung
zuzuführen, als er zur Erhaltung seines Körperge-
wichtes notwendig hat (wir wollen die Therapie des
„Fettherzens" an geeigneter Stelle gesondert besprechen),
nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig und die richtigen
Mengen in richtiger Zusammensetzung und Ver-
teilung. Daß es hiebei zweckmäßig, ja oft unerläßlich ist,
sich durch genaue Körperwägungen leiten zu lassen,
liegt auf der Hand. Der Arzt, der die Eegeln der Diätetik
beherrscht, der die Nahrung nach ihrer Verdaulichkeit
zu qualifizieren verstellt und der schließlich dem indivi-
duellen Geschmacke und den materiellen Verhältnissen seiner
Kranken Rechnung trägt, findet hier ein weites Feld der
Betätigung. Die moderne Krankenpflege gibt ihm viele Mittel
an die Hand, diese Aufgabe zu erfüllen.
Was versteht man unter Verdaulichkeit? Die Fähigkeit eines
Stoffes, durch die Wirkung der Verdauungssäfte rascher oder langsamer zur
Aufsaugung in die Lymph- und Blutbahnen geeignet zu werden (Hirschfeld,
Nahrungsmittel und Ernährung). Leicht verdaulich sind Speisen, welche im
Magen rasch von den Verdauungssäften angegriffen werden, so daß sie bald
*) Huchard, 1. c.
2) Zit. nach Burwinkel, XXII. Deutscher Balneologen-Kongreß, 1901
90 Allgemeine Therapie.
in den Darrakanal übergehen und hier in dem ihnen entsprechenden Maße
zur Resorption gelangen. Die meisten unserer Nahrungsmittel werden diesen
beiden Bedingungen gerecht, So wird Fleisch vom Magensafte rasch ange-
griffen und im Darme fast vollständig resorbiert. Eine Ausnahme macht der
Käse, der im Magen leicht Beschwerden hervorruft, während die Ausnützung
im Darme eine vorzügliche ist. Das Umgekehrte ist oft mit der Milch der
Fall. Eine allgemein gültige Skala der Verdaulichkeit der Speisen aufzustellen,
ist nicht möglich , weil bei der Frage der Verträglichkeit dieser oder jener
Speise die individuellen Eigentümlichkeiten und Gewohnheiten eine nur allzu
oft unterschätzte Rolle spielen. Von dieser Fehlerquelle abgesehen, kann man
Milch, Bouillon, Eier, Zwieback zu den am leichtesten verdaulichen Nahrungs-
mitteln zählen, in eine zweite Kategorie gekochtes Huhn, Hirn, Bries stellen,
in eine dritte rohes gehacktes Rindfleisch oder Schinken, Beefsteak (leicht ge-
braten), Kartoffelbrei, alte Semmeln, Milchkaffee, Milchtee, in die vierte die
meisten Fleischarten (gebraten), Eierspeisen, leichten Fisch, Hecht, Forelle etc.
setzen. Dieses Diätschema, das von Leube für Magenkranke aufgestellt wurde,
mag auch für den Herzkranken als Maßstab dienen, doch ist für diesen in-
soferne eine Ausnahme zu machen, als er nur geringe Nahrungsmengen er-
halten soll und sein durch den Stauungskatarrh geschädigter Darmtrakt oft
geringere Mengen einer etwas schwerer verdaulichen Speise großen Mengen
einer leicht verdauliehen vorziehen wird, schon deshalb, weil die mechanische
Wirkung kleinerer Mengen im Magen eine geringere ist. Schwarzbrot ist
schwerer verträglich als Weißbrot, weil das Roggenmehl viel mehr Kleie ent-
hält als das Weizenmehl , pflanzliches Eiweiß schwerer verdaulich als
tierisches. Schwer verträglich sind, zumal für den Herzkranken, die blähenden
Speisen, z. B. Kraut, Kohl, ferner die sogenannten Hefemehlspeisen, die durch
Gasentwicklung den Magendarmtrakt dilatieren, das Zwerchfell in die Höhe
drängen und dadurch in nachweisbarem Maße Herzbeschwerden erzeugen.
Für die Verdaulichkeit ist die Zubereitung der Speisen von
großer Bedeutung. Gebratenes Fleisch ist schwerer zu vertragen als rohes,
geschabtes oder gekochtes Fleisch. Alle Fleischspeisen werden durch mecha-
nische Zerkleinerung, in Breiform, leichter verträglich. Von Fetten ist die
Butter zumeist am leichtesten zu vertragen, dann kommt Rahm, Schweine-
fett, Gänsefett. Die Vegetabilien, vor allem die Hülsenfrüchte und die grünen
Gemüse, auch das Obst werden durch längeres Kochen leichter verträglich,
zumal wenn man sie nach dem Kochen passiert, d. h. durch ein Sieb treibt,
wobei sie ihre Zellulosehüllen oder die zellnlosehältigen Anteile verlieren.
Blähend wirkt auch rohes Obst, besonders Äpfel, ebenso Apfelwein. Frisches
Brot ist schwerer zu vertragen als älteres, wahrscheinlich weil das frischere,
weichere, weniger eingespeichelt und rascher geschluckt wird (Hirschfeld).
Daher ist der harte Zwieback eines der am besten verträglichen Nahrungs-
mittel. Eier werden von schwer Herzleidenden in der Regel sehr schlecht
vertragen , wohl deshalb , weil sie zu lebhafter Gasentwicklung im Darme
Veranlassung geben. — Daß auch bei der Bestimmung der Verdaulichkeit, je
nach der Zubereitung der Speisen, Eigentümlichkeiten und Gewohnheiten des
Diätetische Therapie. 91
einzelnen eine schwerwiegende Bedeutung haben , muß nicht erst besonders
hervorgehoben werden. Bekannt ist z. B. der unüberwindliche Ekel mancher
Menschen vor rohem oder halb abgebratenem Fleisch, fetten Speisen etc.
Die Rolle, welche die Salze der Nahrung im gesunden und kranken
Organismus spielen, ist noch nicht endgültig festgestellt. In den Magen ein-
geführte Salzlösungen regen infolge ihres hohen osmotischen Drucks Flüssig-
keitsbewegungen an , deren Energie nach dem Gesetze ihrer Konzentration
und der Dissoziationsprodukte (Ionen) ihrer Salze von den in der Volums-
einheit enthaltenen Molekülen abhängig ist. l) Da die eiweißreichen Flüs-
sigkeiten im Organismus nur einen geringen osmotischen Druck aufweisen,
werden durch in den Magen gebrachte Salzlösungen Bewegungen der Salz-
moleküle gegen das Blut veranlaßt, die Salze in das Blut aufgenommen.
Dadurch steigt der osmotische Druck des Blutes und nun kann an anderen
Stellen eine Salzbewegung in entgegengesetzter Richtung erfolgen. Diese der
physikalischen Chemie zu dankende Erklärung macht es uns verständlich,
daß Zusatz von Salzlösungen zur Nahrung die Resorption der letzteren be-
fördert und daß die Zufuhr von Salzen in den Organismus die
Diurese zu steigern vermag.
Wie sehr Verschiedenheiten der Nahrung die vom Herzen
zu leistende Arbeit zu ändern vermögen , zeigen uns die Unter-
suchungen der letzten Jahre über den inneren Reibungswider-
stand des Blutes, die Viskosität desselben, die auf eine Reihe
von dunklen Fragen der Pathologie ein helles Licht zu werfen ver-
sprechen. 2) Die Arbeit .des Herzens ist desto größer, je größer der
Reibungszustand des Blutes ist, beim Hunde viermal größer, als
wenn statt des Blutes Wasser durch die Gefäße liefe ; diese Arbeit
kann nach reiner Fleischkost auf das Achtfache ansteigen : Hunger-
zustand, Blutentziehung, wasserreiche Nahrung, setzen die Viskosität
des Blutes herab. Die Viskosität des Gesamtblutes nach Fleisch-
fütterung ist wesentlich größer, als nach Fettfütterung (Russell
Burton* Opitz). Eine sichere Verwertung der Resultate dieser inter-
essanten Untersuchungen für praktische Zwecke ist noch nicht
möglich ; sie zeigen uns jedoch schon heute in experimenteller Be-
leuchtung das Wesen einer „Osmodiätetik" 3) des Herzens und
bringen uns eine Erklärung dafür, warum man unter Umständen
die vegetarianische Diät als eine Schonungsdiät bezeichnen
kann. Es ist übrigens schon lange bekannt , daß vegetarianisch
lebende Individuen ceteris paribus auch eine auffallend geringe
Pulsfrequenz zeigen und wir wissen , daß die Pulsverlangsamung,
*) Theod. Paul, Die Bedeutung der Ionentherapie f. d. physikal. Chemie,
Tübingen 1901 u. a. a. 0.
2) Hürthle, Russell Burton-Opitz, Pflügers Arch., Bd. 82. — C. Hirsch,
Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 68. — C. Hirsch und C. Beck, Münchener
med. Wochenschr., 1900, Nr. 47, Yerhandl. d. XIX. Kongr. f. innere Med.
3) H. St?~auss, Therapie d. Gegenwart. 1902, Nr. 10.
92 Allgemeine Therapie.
z. B. bei Mitralaffektionen, in günstigem Sinne zu wirken vermag.
Leider stellen sich der Durchführung einer vegetarischen Diät
in praxi oft Schwierigkeiten entgegen. Die Ausnutzung derselben
ist oftmals eine unzureichende , es treten Verdauungsbeschwerden
auf und dann liegt die Gefahr der Unterernährung nahe, die zumal
bei heruntergekommenen Individuen zu vermeiden ist. Trotzdem
wird es immer des Versuches wert sein, festzustellen, ob die vege-
tarische Schonungsdiät in einem konkreten Falle, zumindest für
einige Zeit, durchführbar ist. Die Zuhilfenahme eines vegetarischen
Kochbuches kann zur Verdaulichkeit und Abwechslung einer solchen
Kostform sicherlich viel beitragen.
Der Wert einer vegetarianischen Diät ist bei vielen Indi-
viduen in einer durch diese Diätform bewirkten Stuhlregulierung
zu suchen.
Auch die Technik der Ernährung selbst, nämlich die Technik
der Nahrungsherrichtung und Darreichung, ist bei der Pflege der Herzkranken
von großer Bedeutung. So ist es z. B. zweckmäßig, daß der Herzkranke eine
halbe Stunde vor jeder Mahlzeit in völliger Körperruhe verbringe. Der Herz-
kranke zieht kühlere Speisen zumeist wärmeren vor, extrem kühle Speisen
erzeugen ihm, wie zu heiße, Schauern und Frösteln, verstärken einen be-
stehenden Hustenreiz, bedingen Herzklopfen. Die Erhöhung der reflektorischen
Erregbarkeit des Herzens macht uns diese Wirkungen verständlich. Die Art
und Weise, wie die Speisen gereicht werden, die Körperhaltung des Kranken,
zumeist des bettlägerigen Kranken, während der Nahrungsaufnahme, die
psychisch-hygienische Gestaltung der Umgebung und noch viele andere „Im-
ponderabilien der Krankenpflege'' sind für den Herzkranken , dessen Leiden
und Pflegebedürfnis sich oft über Monate und Jahre erstrecken, der speziellen
Beachtung wert. All die tausendfachen Kleinigkeiten der Krankenpflege,
durch welche der Hausarzt so unendlich viel zum subjektiven Besserbefinden
seines Pfleglings beitragen kann und die für den Herzkranken die Summe
des Lebens ausmachen, hat der auf diesem Gebiete so verdienstvolle
M. Mendelsohn in seiner Abhandlung „Die Technik und der Komfort der
Ernährung" (Handbuch der Ernährungstherapie von E. v. Leyden) zusammen-
gestellt.
Als spezielle Verhaltungsmaßregeln mögen die folgen-
den gelten : Kranke von gutem Ernährungszustande mit
Insuffizienzerscheinungen des ersten Grades wird man vor
Überernährung zu schützen und auf schwerer verdauliche
Speisen aufmerksam zu machen haben, im übrigen aber auf
die kleinen Gewohnheiten des Lebens nicht verzichten lassen.
Unterernährte Herzkranke sollen sich reichlicher ernähren,
nicht durch Vermehrung der Quantität der einzelnen Mahl-
zeit, sondern durch häufigere, etwa- in zwei- bis dreistünd-
Diätetische Therapie. 93
liehen Intervallen wiederkehrende Nahrungsaufnahme. Eine
übermäßige Anfüllung des Magens ist immer kontraindiziert,
vor allem am Abend. x) Der Herzkranke soll nie mit vollem
Magen ins Bett gehen ; die letzte Nahrungsaufnahme am
Abend erfolge mindestens drei Stunden vor dem Zubette-
gehen.
Zur Überernährung eignet sich vor allem die Milch,
weil sie meist leicht verdaulich ist und wahrscheinlich auch
diuretisch wirkt. Man kann die Milch z. B. statt anderer
durststillender Getränke, gleichsam als Daraufgabe, trinken
lassen und so leicht Ansatz von Körpersubstanz herbei-
führen.
Bei Individuen, welche Widerwillen gegen Milch be-
sitzen, gebe man den Versuch, Milch trinken zu lassen, nicht so-
gleich auf; sondern überzeuge sich zuerst davon, ob tatsächlich
nach Milchaufnahme Verdauungsbeschwerden eintreten. Oft kann
man die Abneigung der Kranken zu ihrem Vorteile besiegen ; die
Milch ist die einzige Nahrung, welche ohne spezielle Bestimmun-
gen eine ungefähre Dosierung erlaubt 2), auch dürfte übermäßiger
Milchgenuß kaum jemals vorkommen. Man sieht bei vielen Herz-
kranken schwere Störungen unter absoluter Milchdiät vollkommen
verschwinden und muß die absolute Milchdiät als ausgespro-
chenste Schonungsdiät des Herzens bezeichnen, die von Zeit
zu Zeit und für einige Tage bei Herzkranken immer wieder zur
Anwendung kommen sollte. Oft wird die Milch am Nachmittage
besser als am Morgen vertragen. Der für viele unangenehme Ge-
schmack kann durch Zusatz von etwas Kaffee, Tee, Kakao, Kochsalz,
einigen Tropfen Kognak beseitigt werden. Pasteurisierte Milch
behält mehr als die gekochte den Geschmack und Geruch der rohen
und wird von vielen Kranken lieber genommen. Die stopfende,
blähende Wirkung, welche Milch bei vielen Kranken herbeiführt,
läßt sich durch Kalkmilchzusatz, 1—2 Eßlöffel auf 1 Liter Milch,
oft erfolgreich beseitigen. Den gleichen Effekt führt Zusatz von Reis-,
Gersten-, Haferschleim etc. herbei.
Die Frage der Regelung der Flüssigkeitszufuhr
bei Herzkranken hat — wie wir bereits gehört haben —
*) Schon bei Morgagni („De sedibus et causis morborum etc." 17(55)
findet sich folgender Satz: „Intestina flatus distendunt adeo, utsepto trans-
verso et huic in combenti cordi incommodent." In gleichem Sinne äußerte sich
Senac („Traite de la strueture du coeur etc.", 1749).
2) Ein ruhender gesunder Mensch kann mit ungefähr 3 l Milch pro Tag
leben (Hoffmann), bettlägerige Kranke kommen mit 2 l vollkommen aus.
<J4 Allgemeine Therapie.
namentlich Oertel l) hervorgehoben , nachdem dieselbe schon
lange vorher von Stokes2) berührt worden war.
Wir wollen auf den Oertehchen Gesichtspunkt der E r-
leichterung der Herzarbeit durch Einschränkung
der Flüssigkeitsmenge im Körper hier nochmals ein-
gehen, weil derselbe nicht nur prophylaktischen, sondern auch
therapeutischen Indikationen zu dienen beabsichtigt.
Oertel ging von der Beobachtung aus, daß sich durch
andauernde Zirkulationsstörungen eine Veränderung der
Wasserbilanz des Organismus, ein Mißverhältnis zwischen
Aufnahme und Ausscheidung von Flüssigkeit, entwickle, und
nahm an, daß daraus allmählich eine Vermehrung des
Wasserreichtums des Körpers, Vermehrung der Blutmasse,
hydrämische Plethora entstehe, eine Veränderung, zu
welcher Eiweißverluste durch die Niere (Stauungsalbumin urie)
mehr oder weniger beitragen sollten. Dieser Annahme ent-
sprechend hat Oertel bei allen Zirkulationsstörungen behufs
Erleichterung der Herzarbeit eine Verminderung der Flüssig-
keitsmenge, eine Entwässerung des Körpers angestrebt
und dieselbe einerseits durch Einschränkung der Flüssig-
keitsaufnahme, andererseits durch Steigerung der Wasser-
abgabe zu erreichen gesucht.
Die Reduktion der Flüssigkeit sollte eine Entlastung
des Gefäßsystems und eine Erleichterung der Herzarbeit
direkt und indirekt (durch Steigerung der Oxydationsprozesse,
der Fettverbrennung, also durch Entfettung) bewirken. Durch
Änderung der Nahrungszufuhr und übende Maßnahmen, die
wir kennen lernen werden , suchte Oertel gleichzeitig eine
Vermehrung der Leistungsfähigkeit des Herzens herbeizu-
führen.
Die Einschränkung der Flüssigkeitszufuhr als thera-
peutischer Faktor bei Herzkrankheiten ist seinerzeit rasch
zum Schlagworte geworden und allenthalben wurden die
Herzkranken wahllos und kritiklos den unsinnigsten Durst-
kuren unterzogen. Begreiflicherweise hat sich mit zahlreichen
Mißerfolgen eine Reaktion gegen die ÖerteZ-Kuren eingestellt
1) Oertel, 1. c.
2) Stokes, 1. c.
Diätetische Therapie. 95
und dieselben waren alsbald ebenso verrufen wie sie vorher
gepriesen und empfohlen worden waren.
Unterzieht man jedoch die Vorschriften Oertels über
Flüssigkeitseinschränkung als therapeutischen Gesichtspunkt
bei Herzkranken einer aufmerksamen Betrachtung, dann
erkennt man, daß dieselben für viele Fälle wohl geeignet,
für andere durchaus ungeeignet erscheinen, daß sie demnach
bei strenger Individualisierung eine bleibende Bedeutung
behalten können.
Durch Verringerung der Blutmenge des Körpers kann
man einem Herzen mit Mitralstenose oder Aortenstenose in
der Tat Arbeit ersparen , andererseits aber erleichtert eine
Plethora bei der Aorteninsuffizienz geradezu die Herzarbeit
(B. Lewy1).
Wir haben ferner gehört, daß der innere Reibungs-
widerstand des Blutes durch wasserreiche Nahrung herab-
gesetzt wird, durch stärkere Konzentration des Blutes wächst.
Erhöhung des Reibungswiderstandes verringert nun die
Rückflußmenge bei Aorteninsuffizienz , wirkt also hier in
vorteilhafter Weise, kann jedoch bei einer Stenose die Herz-
arbeit nicht unbeträchtlich erhöhen , demnach schädlich
wirken (B. Lewy).
Schon diese wenigen Beispiele zeigen, daß es unrichtig
ist, der Oertehchen „Durstkur" Allgemeinbedeutung, für alle
„Herzfehler", beizumessen.2)
Für die strukturellen Erkrankungen des Herzens dürfte
sie ebenso wie für „Stenosen" von Fall zu Fall in Erwägung
zu ziehen und zu versuchen sein.
Jedenfalls ist es empfehlenswert, bei allen Krankheits-
fällen, in denen sich Ödeme einstellen , die aufgenommenen
Flüssigkeitsmengen und die Harnmenge bestimmen und no-
tieren zu lassen, damit ein Übermaß an Zufuhr zuverlässig
*) B. Lewy, 1. c.
2) Die Schlußfolgerungen Oertels beruhten zudem auf Beobachtungen
an Individuen , die täglich Quantitäten von vielen Litern Bier zu trinken
pflegten, auf die also eine mehrfache Schädigung eingewirkt hat: Die Belastung
des Kreislaufs durch die übergroße Flüssigkeitsmenge, die Schädigung der
Organe durch die bedeutenden Alkohol- und Extraktivstoffmengen und die
Überernährung, daneben der Mangel an ausreichender Muskelbewegung.
96 Allgemeine Therapie.
vermieden werde. Die Einschränkung der Ffüssigkeits-
zufuhr ist leichter möglich, wenn man die Kranken ein- oder
zweistündlich kleine Mengen warmer Flüssigkeit, Milch,
Tee, Limonade etc. nehmen läßt. Der Gesamtbedarf an Flüssig-
keit kann auf diese Weise anscheinend vermindert werden.1)
Auch vermeide man bei Herzkranken in diesem Stadium die
Zufuhr stark gesalzener oder gewürzter Speisen, die durst-
erregend wirken.
Keinesfalls nötige man einem Kranken, der das Dürsten
mit Unruhe, Aufregung, Schlaflosigkeit beantwortet, eine
Durstkur auf, auch wenn eine Indikation zur Flüssigkeits-
einschränkung vorzuliegen scheint. Die Bedeutung psychischer
Einflüsse bei Herzkranken kann überhaupt nicht hoch genug
angeschlagen werden.
Es ist eine bekannte Tatsache, daß man eine in Gang
kommende Diurese durch Zufuhr von Flüssigkeit (Wasser)
fördern und unterhalten kann (pag. 78).
Wenn deutliche Zeichen von uratischer Diathese be-
stehen und die Herzinsuffizienz-Erscheinungen geringgradig
sind, soll die Flüssigkeitszufuhr eher erhöht als eingeschränkt
werden. — Der sicherste Wegweiser wird in allen Fällen
die ,.Differenzbestimmungc: nach Oertel (pag. 32) sein.
Eine genauere Besprechung erfordert die Frage der
Alkohol zufuhr, die zu verschiedenen Zeiten und von ver-
schiedenen Autoren in so verschiedener Weise erörtert wor-
den ist.
Die alkoholischen Getränke zerfallen in drei Hauptgruppen, die vom
Bier, AVein und Branntwein repräsentiert werden. Bier enthält 3 — 5% Alkohol,
die bayerischen Biere sind am ärmsten an Alkohol, die englischen am
reichsten. Das Bier hat einen relativ hohen Kohlehydratgell alt, 4 — 5%> und
daher einen gewissen Nährwert -- 1 Liter ungefähr 500 Kalorien — bei
relativ geringem Alkoholgehalt. Es ist reich an Extraktivstoffen und N-haltigen
Hefebestandteilen.
Leichter Wein enthält 8-9% Alkohol und nur 0'2— 0"5°/0 an Kohle-
hydraten; schwere Tischweine enthalten 12— 17°/0 Alkohol, 1—5% Kohle-
hydrat, der Champagner bis zu 10% Zucker. Branntwein enthält 25 bis
50 — (Rum) 70% Alkohol, süßer Liqueur variable Zuckermengen.
x) Ein Wasserglas faßt 200—250 cw3, ein Weinglas zirka 100 cm*,
ein Suppenteller zirka 200 cm3, eine Tasse zirka 150 cm'A Flüssigkeit.
Diätetische Therapie. 97
Für den Herzkranken kommt der Alkohol teils als
therapeutisches Agens (vide pag. 75 ff.), teils als Nahrungs-
mittel in Betracht.
Wir haben an dieser Stelle nicht die schwierige und
heiß umstrittene Frage zu entscheiden, ob der Alkohol als
Nahrungsmittel zu bezeichnen sei oder nicht. Hier genüge
die Bemerkung, daß die Publikationen der letzten Jahre
(von Clopatt, Rosemann, Altvater und Benedict, Ott, Rosenfeld,
Finkler u. v. a.) für den Nährwert des Alkohols zu
sprechen scheinen.
Übermäßiger Biergenuß ist jedenfalls zu verbieten ;
zumal die bayrischen Biere bedingen , in großen Mengen
genossen, eine unerwünschte Überernährung, ihr Extraktiv-
stoffgehalt schädigt das Nierenparenchym. Weißbiere rufen
leicht Verdauungsbeschwerden hervor. Alle Biere treiben
infolge ihres Kohlensäuregehaltes den Magen stark auf und
belästigen dadurch das Herz. Mäßiger Biergenuß ist zweifellos
ein Unterstützungsmittel der Ernährung; auch regt der
Bitterstoff des Bieres Appetit und Verdauung an.
Mäßiger Weingenuß ist für viele Herzkranke von ent-
schiedenem Vorteile (vide pag. 75 ff.). Beim Weingenusse spielt
übrigens — wie beim Alkoholgenusse überhaupt — die Ge-
wohnheit eine große Rolle. Wer seit Jahr und Tag bei
jeder Mahlzeit 100 — 150 cm3 eines leichten Weines trinkt, dem
belasse man dieses Quantum, vorausgesetzt, daß die spezielle
Herzkrankheit keine Kontraindikation der Alkoholzufuhr
darstellt.1) Älteren Leuten soll man regelmäßigen
Weingenuß, je 100 — 150cm3 mittags und abends, aus den
(pag. 76) angegebenen Gründen geradezu verordnen. Ge-
meint sind leichte Weiß- und Rotweine mit 8 — 9% Alko-
holgehalt; größere Mengen von schweren Burgunder-, Bor-
deaux-, Rhein-, Ungar-, Champagner-Weinen sind zu verbieten
und solche Weine nur in kleinen Mengen, etwa 50 — 100 cm3.
zweimal im Tage, zu gestatten. Besonders Herzkranke, die
viel geistige Arbeit zu leisten haben, können den Wein
als leichtes Stimulans oft nicht entbehren ; solchen Kranken
*) Vide pag. 75 ff.
raun, Therapie der Herzkrankheiten.
nieine Therapie.
_ stattet man oft mit Vorteil ein kleines Gläschen eines
starken Weines. — Marsala. Sherry. Portwein. Kognak und
andere alkoholreiche Getränke sind in kleinen Dosen — 20 bis
3 — als Exzitantien zu bezeichnen, die bei den Insuf-
rizienzerscheinungen der Arteriosklerotiker und der Aorten-
klappenaffektionen gute Dienste leisten können.
Kaffee ruft in starkem Aufgusse nach MSplain, A. li
u. a. leicht Herzklopfen hervor: Bim1) und Lehmann - 1 konnten
hingegen keine Veränderung der Pulsfrequenz nach Darrei-
chung von Kalfeedestillaten beobachten. Schwächere Aufgüsse
werden demjenigen, der die völlige Entziehung des Kaffee
mit Unbehagen beantwortet, wohl kaum Schaden bringen. l)
Infolge seines Koffeingehaltes (im Durchschnitte l*2fl 0) hat
der Kaffee die therapeutischen Indikationen des Koffein.1)
Tee ist koffeinreicher als Kaffee (2%), doch leichter
zu vertragen und minder wirksam : er soll aus guten Tee-
blättern bereitet — ein gehäufter Kaffeelöffel für zwei
ssen — und nur für wenige Minuten aufgegossen werden.
Kakau ist seiner leicht stopfenden "Wirkung halber
nur stark süß zu reichen.
Das Tabakrauchen ist für Herzkranke nach über-
einstimmenden Angaben vieler erfahrener Ärzte schädlich.
E- scheinen insbesondere die importierten Havannah-Zigarren
zu sein . welche das Herz schädigend beeinflussen können.
Herzkranke tun daher am besten, dem Rauchen völlig zu ent-
n. Wollen sie durchaus nicht darauf verzichten oder treten
^inenzerscheinungen. zumal in Form einer hartnäckigen
Obstipation ein . dann gestatte man inländische Zigarren,
u. zw. je eine nach dem Mittag- und Abendessen. — Die das
Herz schädigenden Stoffe dürften erst bei der Präparation
der Zigarren und bei ihrer Verbrennung entstehen : es sind :
Pvridin. Kollidin. Lutidin. Kohlenwasserstoffe etc. Jedenfalls
«.
erkranken Tabakkauer und Schnupfer niemals unter dem
Bilde der Nikotinvergiftung.
Zigaretten sind gänzlich zu verbieten, weil der ein-
g ^mete Rauch die Luftwege reizt . weil der Zigaretten-
') Bim. Centralbl. f. innere Med., 1900, Nr. 47.
2l Lehmann, Arch. f. Hygiene, 1898.
Diätetische Therapie. 99
raucher viel leichter zu viel raucht als der Zigarrenraucher
und weil der Tabak vieler Zigarettensorten mit schädlichen
Ingredienzen versehen zu sein scheint. Jedenfalls sind die
Altstinenzerscheinungen des Zigarettenrauchers inten-:
als jene des Zigarrenrauchers. —
Eine der wichtigsten Maßnahmen für den Herzkranken
ist die Sorge für leichten und regelmäßigen Stuhl-
gang. Seit wir wissen, daß die Regulierung des Blutdrucks
in erster Linie durch den Wechsel des Gefäßtonus geschieht,
daß in den großen Gefäßgebieten des Körpers diesbezüglich kein
Parallelismus besteht und daß eine in physiologischen Grenzen
eintretende Erweiterung eines großen Gefäßgebietes . z. B.
des Splanchnikusgebietes. Blutdrucksenkungen zur Folge hat.
ist uns die depressorische Wirkung der Abführmittel ver-
ständlich geworden (die je nach ihrer Wirkung Hyperämien
verschiedenen Grades in den Bauchorganen zur Folge hal
ebenso auch die blutdrucksteigernde Wirkung der Obstipation
Daß einerseits Hochstand des Blutdrucks, andererseits
eine vermeidbare Anstrengung bei der Defäkation (durch
die daran geknüpfte Blutdrucksteigerung) Schaden bringen.
Apoplexien veranlassen, die Loslösung von Thromben herbei-
führen kann, liegt auf der Hand.
Wir werden einen leichten Stuhlgang zunächst durch die
bekannten „Hausmittel" herbeizuführen suchen. Es sind reich-
licher Genuß von kleiehaltigem Brot. Grahambrot. Butter.
Honig, Obst, zumal gedünstetem Obst, grünem Gemüse. Ein
Glas Wasser, morgens auf nüchternen Magen, ein Apfel am
Abend '-). Kürperbewegung mäßigen Grades und pünktliche
Einhaltung der Defäkationszeit allein können den Stuhlgang
oftmals allmählich regeln. Muß man ab und zu Laxantien
brauchen . dann wähle man zunächst die mildesten . u. zw.
1 o — 1 Glas Bitterwasser. Marienbader Kreuzbrunnen und
selbst Karlsbader Mühlbrunnen (kalt), einen Teelöffel voll
l) Federn, Blutdruck und Darmatonie. — Es ist anzunehmen, daß
auch in den mit einer reichlichen „flüssigen- Stuhlentleerung verbundenen
.erlusten ein blutdrucksenkendes Moment erkannt werden darf.
-i Eating an apple going to bed
makes the doctor beg his bread.
100 Allgemeine Therapie.
künstlichem Karlsbader Salz oder Quellsalz, einen Eßlöffel
voll schwefelsaurem Natron in Wasser gelöst, am Morgen ;
oder am Abend : einen gestrichenen Kaffeelöffel voll Curella-
Pulver (Pulv. liquirit. compos.) , Flores sulfuris oder Pulv.
rad. Rhei mit gleichen Teilen von Milchzucker messerspitzweise,
in schwankenden Mengen je nach der individuellen Reaktion,
eine Purgen-, eine Cascara- oder eine Tamarinden-Pastille,
1—3 Pillen aus: Rp. Podophyll. 0*5, Extr. Aloes, Extr. Rhei
aa. 3*0, Extr. Taraxac. qu. s. ut f. pil. Nr. XL., Dct. Frangulae
10 — 15 : 200'0 u. s. w. Es ist nicht empfehlenswert, salinische
Abführmittel durch längere Zeit nehmen zu lassen. — Klysmen
büßen bald an Wirksamkeit ein. — Am längsten erhält sich
die Wirkung der Epsteinschen Ölklystiere J) und der Ein-
laufe aus gelbem Zuckersirup 50 : 400 Wasser ; fortgesetzte
Irrigationen mit Glyzerin oder Sirup erzeugen aber oft
schmerzhaften Tenesmus. Die günstige Wirkung der mer-
kuriellen Abführmittel, vor allem des Kalomel, bei Herz-
kranken ist lange bekannt. 2)
Broadbent hat die Hypothese aufgestellt, daß das Quecksilber die
Leber chemisch beeinflusse und die Elimination der Stoffwechselprodukte be-
günstige, welche zu Widerständen in den Kapillaren Veranlassung geben.
Das Kalomel hätte somit den doppelten Effekt, das Pfortadersystem zu ent-
lasten, wodurch die Lebervergrößerung und die Stauung im rechten Ventrikel
herabgesetzt wird, sowie auch den, die Widerstände im großen Kreisläufe zu
verringern und dadurch den linken Ventrikel zu entlasten.
Zur Bekämpfung einer vorübergehenden Stuhlver-
stopfung eignen sich auch Senna-Infuse 5'0 — 15'0: 100*0 Col.,
Species laxantes, 1 — 2 Teelöffel auf eine Tasse Wasser, im
Infus, oder Cortex Frangulae, 1 Eßlöffel auf 1 Tasse Wasser,
im Dekokt etc.
Bestehen Insuffizienzerscheinungen zweiten
Grades, dann treten strengere Diätvorschriften in
Kraft. Dieselben betreffen zunächst die Größe derFlüssig-
keitsauf nähme. (Im allgemeinen stellen sie Verschärfungen
der bisher geschilderten Maßnahmen dar.) Wir haben die
diesbezüglichen Gesichtspunkte bereits eingehend kennen
1) W. Epstein, Die chronische Stuhl Verstopfung.
2) Dosierung s. pag. 81.
Diätetische Therapie. 101
gelernt und können uns daher nunmehr auf das Notwen-
digste beschränken.
Das Flüssigkeitsquantum, das der Gesunde aufnimmt,
beträgt im Mittel V/2 — 2 Liter , im Winter weniger, im
Sommer , zumal auf heißen , anstrengenden Märschen , das
Mehrfache der genannten Zahlen. Dabei ist der wandelbare
Wassergehalt der Speisen nicht mit in Rechnung gezogen,
ebensowenig das individuelle Bedürfnis.
Ganz besonders wichtig ist für Herzinsuffizienzen zwei-
ten Grades die Verordnung zweistündlicher geringer
Nahrungsaufnahmen, deren Gesamtquantum natürlich
zur Deckung des Tagesbedarfes ausreichen muß. Hiedurch
können wir die „Verdauungskongestion" der Unterleibs-
drüsen auf das erreichbare Minimum reduzieren.
Mit Rücksicht darauf, daß das labilere Herz dieser
Kranken schon nach dem Rauchen auch nur einer Zigarre
Beschleunigung seiner Schlagfolge, sowie subjektiv und
objektiv wahrnehmbare Arhythmien aufweisen kann, ist das
Rauchen bei Insuffizienzen zweiten Grades womöglich zu
untersagen. Natürlich werden wir aber Leuten, die auch in
diesem Stadium auf ein bis zwei Zigarren im Tage durch-
aus nicht verzichten wollen, dieses Quantum gestatten. -
Die Frage der Alkoholzufuhr bei diesen Kranken ist an
früheren Stellen eingehend erörtert worden.
Bestehen lästige Magen- und Darmbeschwerden , dann
gebe man eine vorwiegend kohlehydratreiche Kost, Schleim-
suppen mit Zusatz von Fleischextrakten sowie Nährpräpa-
raten und schränke die Eiweiß- und Fettzufuhr ein. Zumal
während des Gebrauches von Digitalis oder Strophantus in
größeren Mengen ist eine sorgfältige Berücksichtigung der
Diät geboten.
Neigung zu Durchfällen kann durch Darreichung von
Kakao, Schleimsuppen, Rotwein, leichten Tanninpräparaten,
wie z. B. Tannalbin (Tannalbin. Pulv. Cacao sacchar. aa. 15*0
M. D S. Messerspitzweise in stündlichen Intervallen), seltener
durch Opium , beseitigt werden ; doch kämpfe man gegen
Diarrhoen im allgemeinen nur an , wenn sie zu häufig —
öfter als 2 — 3mal im Tage - - auftreten und den Kranken
102 Allgemeine Therapie.
sehr zu schwächen scheinen. Oft genügt die Einhaltung
einer kohlehydratreichen, fettfreien Kost und die Vermei-
dung von Obst und grünen Gemüsen , um den Stuhlgang
wieder im erwünschten Maße zu regulieren.
Etwaige Komplikationen erfordern die ihnen zukom-
mende spezielle Therapie, die natürlich immer in erster
Linie das Verhalten der Herzfunktion zu berücksichtigen hat.
Physikalische Therapie.
Pneumat other apie .
Die Pneumatotherapie besteht in der Verwendung
des veränderten Luftdruckes zu Heilzwecken.
Wir können Veränderungen des Luftdruckes einseitig auf
uns wirken lassen , indem wir einen pneumatischenApparat
verwenden (verdichtete Luft einatmen, in verdünnte aus-
atmen), oder von allen Seiten her. in der pneumatischen
Kammer.
Die mechanische Wirkung des Luftdruckes auf den
Kreislauf beruht fast ausschließlich auf der Veränderung
der intrathorakalen Druckverhältnisse. J) Die normale In-
spiration wirkt durch Ansaugung fördernd, die Exspiration
hemmend auf die Blutströmung ein. 2) Bei forcierter Ex-
spirationsstellung (Valsalvascher Versuch) wird der Blut-
rücknuß zum Herzen behindert, bei forcierter Inspirations-
stellung (Müllerscher Versuch) gefördert. Durch Einatmung
von verdichteter Luft aus einem pneumatischen Apparate
kann gewissermaßen der exspiratorische , beim Einatmen
aus einem Behälter mit verdünnter Luft der inspiratorische
Zustand dauernd erhalten werden, doch darf im ersten Falle
die Erweiterung der Lungen nicht rascher erfolgen , als
die Luft bei dem gegebenen Drucke einströmt, im zweiten
*) R. du Bois-Reymond, Handbuch der physikalischen Therapie.
2) Siehe Cap. I.
Pneumatotherapie. 1Q3
Falle nicht rascher exspiriert werden, als die Luft von
selbst in den luftverdünnten Raum ausströmt.
Andere Verhältnisse finden wir unter dem Einflüsse
allseitigen geänderten Luftdruckes auf den Kreislauf, also
in der pneumatischen Kammer. Auf dem im Brustraume
befindlichen Teile des Gefäßsystems lastet der atmosphäri-
sche Druck nur mittelbar, indem er die Lunge ausdehnt,
so daß sie auf die Gefäßwände drückt; der auf diesen Ge-
fäßen ruhende Druck ist daher kleiner als der auf den
übrigen Gefäßen des Körpers ruhende Druck, und zwar um
so- viel, wie zur Überwindung der elastischen Spannung des
Lungengewebes verwendet wird. Je mehr die Lunge er-
weitert wird , desto höher ist daher ceteris paribus die
Spannung des Lungengewebes. Erhöhte Spannung ist nun
beim Atmen in verdichteter Luft gegeben, weil diese den
Bauminhalt der Lungen vergrößert. Beim Aufenthalte in
verdichteter Luft wird daher auch der Unterschied des
Druckes auf die Gefäße innerhalb und außerhalb des Brust-
raumes erhöht. Diese Wirkung macht sich in Bezug auf die
Venen in höherem Maße geltend, als auf die Arterien. All-
gemeine Luftdruckverminderung wirkt umgekehrt. Bei allge-
mein erhöhtem Luftdruck wird denn auch die Haut blässer,
während der Aufenthalt in verdünnter Luft Überfüllung des
Venenkreislaufes, Cyanose zur Folge hat.
Die Stromgeschwindigkeit des Blutes wird durch solche
Luftdruckänderungen nicht beeinflußt1), die Frequenz des
Herzschlages bei vermehrtem Luftdruck erhöht2), der Blut-
druck ein wenig vermindert. 3)
Das Inspirieren von komprimierter Luft ist demnach
für den Lungenkreislauf ungünstig, da die Kapillaren der
Lungenalveolen dem Überdrücke der verdichteten Luft direkt
ausgesetzt sind und der Blutzufluß aus dem rechten zum
linken Herzen ein wenig erschwert wird. Tatsächlich werden
die Lungen bei der Einatmung komprimierter Luft an-
1) R. du Bois-Reymond, 1. c.
2) Loewy , Untersuchungen über die Respiration und Zirkulation etc.
Berlin 1895.
3) Sommerbrodt, zitiert nach F. A. Hoffmann, 1. c. pag. 78 , ferner
„Luftdruckerkrankungen", Heller, Mayer, v. Schrötter. Wien 1900.
104 Allgemeine Therapie.
ämisch; zum linken Ventrikel fließt daher weniger Blut als
vorher. Das Inspirieren von verdichteter Luft wird somit das
linke Herz entlasten und die Stauungserscheinungen im
Lungenkr eislaufe herabsetzen können.
Daraus ergibt sich die Indikation der Einatmung
von komprimierter Luft. Dieselbe wird in Fällen
leichter Insuffizienz des linken Ventrikels gegeben
sein , deren Folgen bekanntlich die Mehrarbeit des rechten
Ventrikels kompensiert. Atmen solche Patienten kompri-
mierte Luft ein, dann wird durch die konsekutive Anämi-
sierung der Lunge dem linken Herzen Arbeit abgenommen,
allerdings um den Preis einer weiteren Mehrbelastung des
rechten Ventrikels. Hat diese Stauung bereits höhere Grade
erreicht, dann werden die Nachteile der Einatmung kom-
primierter Luft ihre Vorteile überwiegen können, umsomehr
als die Frequenz des Herzschlages während der Einathmung
von komprimierter Luft ansteigt, was bei Mitralfehlern und
analogen Herzaffektionen ungünstig wirkt (pag. 53). — Die
günstige Wirkung der Einatmung komprimierter Luft bei
Mitralfehlern leichteren Grades, bei leichten Myokarditiden
und Myodegenerationen kommt zum großen Teile sicherlich
durch die wohltätige Beeinflussung des Stauungskatarrhs
der Lungen und durch Beseitigung der schädigenden rlück-
wirkung dieses Katarrhs auf das Herz zustande.
Beim Aortenfehler ist die Überfallung des Lungen-
kreislaufes ein Zeichen von Insuffizienz zweiten Grades und
tritt oft erst gleichzeitig mit Symptomen der Kachexie
und der Überfüllung der Venen des Bauchraumes in die
Erscheinung. Hier sind demnach seltener Indikationen zur
Pneumatotherapie mit komprimierter Luft gegeben. Wohl
aber kann bei Aortenfehlern, solange die Insuffizienz-
erscheinungen den ersten Grad nicht überschritten haben,
Ausatmung in verdünnte Luft von Vorteil sein, denn
sie begünstigt die Füllung des Pulmonalkreislaufes direkt
und durch vermehrte Ansaugung während der Inspira-
tion. Das linke Herz wird dadurch besser gespeist, das
Arteriensystem besser gefüllt, der Blutdruck gehoben.
Im Gegensatze dazu müßte die Ausatmung in verdünnte
Klimato- und Balneotherapie. 105
Luft beim Mitralfehler schädlich sein, weil sie die bereits
vorhandene Überfüllung des Lungenkreislaufes noch weiter
steigern würde.
Die Wirkung der pneumatischen Kammern ist bei
Herzkranken vorläufig nur wenig, vielleicht zu wenig, in
Anwendung gezogen worden. Wir haben gehört, daß durch
Atmen in verdichteter Luft der negative Thoraxdruck an-
steigt, die Lungen erweitert werden, die Füllung des Herzens
und seiner Gefäße befördert wird. In diesem Sinne äußert
sich auch der auf diesem Gebiete erfahrene G. v. Liebig. l)
Es könnten daher Aorteninsuffizienzen leichteren Grades in
pneumatischen Kammern mit verdichteter Luft, die mitralen
und ihr analoge Affektionen in Glocken voll verdünnter
Luft günstig beeinflußt werden. Zukünftige Untersuchungen
werden diese theoretischen Voraussetzungen durch praktische
Anwendung zu erproben haben.
Als Kontraindikation (allgemeinere Art) der Pneu-
matotherapie kann eine mangelhafte Ausdehnungsfähigkeit
des Brustkorbes bezeichnet werden (Lazarus).2)
Das Armamentarium der „pneumatischen Therapie" bilden die trans-
portablen pneumatischen Apparate und die pneumatischen
Kammern. Die Einführung der tragbaren pneumatischen Apparate ist von
Hanke in Wien ausgegangen ; ihre Anwendung geschieht mittelst eines Mund-
stückes, das der Kranke zur Ein- resp. Ausatmung verwendet. Die erste
pneumatische Kammer hat Montpellier angegeben, den am häufigsten ange-
wandten pneumatischen Apparat Waidenburg konstruiert. — Eine vorzüg-
liche Zusammenstellung und Kritik der pneumatischen Apparate und Kam-
mern sowie der Indikationen derselben verdanken wir G. v. Liebig. *)
Klimato- und Balneotherapie.
Von der Beantwortung der Frage des Einflusses von
Luftdruckveränderungen auf den Kreislauf führt uns ein
Schritt zur Klimato- und Balneotherapie der Herzkrank-
heiten. Auch in ihr vermögen wir übende und schonende
Faktoren zu finden.
*) G. v. Liebig, Handbuch der physikalischen Therapie.
-) Lazarus, ^Pneumatotherapie" in Eulenburg- Samuel, rAllg. Ther.
106 Allgemeine Therapie.
AVenn wir das Herz schonen wollen, müssen
wir den Kranken in ein warmes Klima bringen, denn
wir wissen, daß die in der Kälte wesentlich vermehrte
AVar Urproduktion mit Vermehrung der Herzarbeit einher-
geht, und daß uns ein warmes Klima Stoffwechselarbeit
und damit auch Herzarbeit erspart. Dabei ist aber zu be-
achten, daß Herzkranke große Hitze erfahrungsgemäß sehr
schlecht vertragen.
Aufenthalt im Gebirge ist ein übender Faktor
für das Herz, doch enthält er unter geeigneten Ver-
hältnissen auch schonende Momente für dasselbe.
Als klimatische Stationen kommen das Hochgebirge und
das Mittelgebirge in Betracht. Höhenluft über 1000 Meter
ist für Herzkranke ganz ungeeignet, so ungeeignet , daß
dieselben im Höhenklima bald Atemnot, Herzklopfen, Puls-
arhythmien aufweisen. Immer wieder kommt es vor , daß
Individuen mit einem „latenten" Herzfehler erst im Hochge-
birge auf denselben aufmerksam werden. Die große Luft-
verdünnung als Heilfaktor käme ja theoretisch nur für
mitrale und analoge Affektionen leichtester Xatur in Be-
tracht, und diesem einzigen schonenden Momente stehen die
niedrige Lufttemperatur, besonders im Schatten und nachts,
der häutige und jähe Wechsel im AVasserdampfgehalte, das
Vorwiegen von Trockenheit, die starke Luftbewegung und
die dadurch bewirkte energische Verdunstung, kurz die in-
tensive Steigerung des Stoffwechsels1) als hindernde, weit-
aus überwiegende Faktoren entgegen.
Günstigere Verhältnisse für Herzkranke, deren Herz
übungsfähig ist, z. B. für Fettleibige mit beginnender Herz-
insuffizienz, finden wir in mittleren Höhen bis zu höchstens
1000 m Erhebung. Die Verbesserung der Durchblutung des
Lungengewebes, die anhaltende Anregung des Stoffwechsels
um 20 — 35%, die größere Konstanz der Körperwärme, die
Verlängerung der Inspiration als Übungsmoment für die
Respirationsmuskeln und gleichzeitig als Schonungsmoment
V) A. Loeirij, Handb. d. physik. Therapie, Bd. J. Man nennt Höhenklima
Regionen von 700 m aufwärts, und zwar 700—1200 m die subalpine, 1200
bis 1900 m die alpine, darüber die hyperalpine Region.
Klimato- und Balneotherapie. 107
für das Herz, die erhöhte Festigkeit des Schlafes, die Ge-
legenheit zur ,.Terrainkur" *), vielleicht auch die schon in
diesen Höhen kenntliche Zunahme der Blutzellenzahl 2) (innere
Atmung) vereinigen sich zu einer diese Herzschwachen
heilsam beeinflussenden Gesamtwirkung. Den vorläufig aller-
dings fast ausschließlich theoretischen Grundlagen ent-
sprechend werden sich die niedrigeren Orte besser für Aorten-
fehler, die höheren besser für Mitralfehler eignen. Ältere
Leute mit Herzfehlern oder Arteriosklerose befinden sich
in milden Klimaten besser als in kälteren Stationen. Es
wird demnach unter Umständen der beste Aufenthaltsort
derjenige sein, der eine entsprechende Höhe mit einer ent-
sprechenden Milde vereinigt (Corsica).
*) Wir nennen „Terrainkuren" von Oertel in die Herztherapie einge-
führte, methodisch fortgesetzte und dosirte Spaziergänge, die auf ebenen Wegen
begonnen und unter genauer Kontrolle des Herzens bis zu Steigungen von
15—20° fortgesetzt werden. Der Patient darf nur so lange steigen, als er be-
quem durch die Nase atmen kann, ohne den Mund öffnen zu müssen ; empfindet
er Atemnot oder Herzklopfen , dann hat er sofort innezuhalten. Jedem
Schritte soll eine Inspiration oder eine Exspiration entsprechen. Die Wege
sind in 4 Klassen eingeteilt, mit Steigungen von 0 — 5, 5 — 10, 10 — 15, 15
bis 20°, die in verschiedener Weise markiert sind. Zu Terrainkurorten eignen
sich besonders breite Gebirgstäler; die Häuser des Kurortes, dessen Wert
durch landschaftliche Schönheit und Waldreichtum erhöht wird, sollen nahe
den zu besteigenden Höhen gelegen sein, damit die Kranken nicht bereits
ermüdet am Fuße der Abhänge ankommen. Die Kranken sollen die „Kurwege4*
unter der Leitung der Kurärzte gradatim durchnehmen ; ohne genaueste Kon-
trolle des Herzens durch den Arzt darf keine Änderung des Kurplanes unter-
nommen, vor allem kein steilerer Weg betreten werden. Übergroße Vorsicht
ist stets am Platze. Wer sich die Zeit nicht nehmen kann, die eine Terrain-
kur erfordert, fange dieselbe gar nicht an. Doch schon im Verlaufe von
4 — 6 Wochen lassen sich oftmals schöne Erfolge erzielen. Eigentliche Terrain-
kurorte sind : Meran-Gries, Bozen, Abbazia (auch im Winter und Vorfrühling),
Ischl, Semmering, Aussee, Baden, Brenner, Sulz, Niederdorf, St. Blasien und
Triberg, Schwarzwald, Baden-Baden, Wiesbaden, Ems, Heidelberg, Berchtes-
gaden, Tegernsee, Reichenhall, Kreuth, Gersau am Vierwaldstättersee etc. (im
Frühling und Sommer). Die Begründung der Kur Oertels, der bekanntlich durch
Verminderung der Flüssigkeitsmenge die vom Herzen zu leistende Arbeit zu ver-
mindern suchte, durch seine Terrainkur und durch gesteigerte Muskeltätigkeit
die mechanische Korrektur von Kreislaufstörungen und die Verminderung des
Körperfettes erreichen wollte, ist vielfach angegriffen, ihre Zweckmäßigkeit
wiederholt bezweifelt worden. Durch ihre vorsichtige Handhabung lassen sich
bei Kranken mit verhältnismäßig guter Herzkraft, mäßig Fettleibigen, „Luxus
essern" ohne Frage mit ihr sehr günstige Erfolge erzielen. In diesem Sinne
äußern sich auch Litten und Lenhoff (Handb. d. phys. Ther.).
2) Viault und Mallassez , Med. mod., 1891; Egger und Koeppe,
XII. Kongr. f. i. Med., 1893; Graivitz, Berliner klin. Wochenschr., 1895; die
neuere Literatur bei Heller, Mager u. v. Schrötter 1. c.
108 Allgemeine Therapie.
Wir senden also Herzkranke mit übungsfähigem Herzen im
Sommer in die sogenannten Sommerfrischen, eventuell auch an
Orte, an denen zugleich Mineralwasser getrunken und eine Terrain-
kur gemacht werden kann {Nothnagel x).
Solche Stationen sind neben bereits genannten und später zu
nennenden die bekannten Sommerfrischen in den österreichischen
und deutschen Alpen, Johannisbad in Böhmen , die Orte an den
bayrischen Seen, Tegernsee, Schliersee, der Harz, im Schwarzwald,
Todtmoos, St. Blasien, Baden-Baden, Wiesbaden am Taunus, Appen-
zell, Heiden, Gais, Interlaken, Ragatz-Pfäfers in der Schweiz, Schmecks
in den Karpathen u. s. w.
Abwechslungsweise eignen sich manchesmal auch die durch
ihre konstantere Temperatur ausgezeichneten Seebadeorte für Herz-
kranke vorzüglich, zumal für Kranke mit bronchitischen Erschei-
nungen. Unter dem Einflüsse des Nordseeklima (zur Sommerzeit)
kann eine Steigerung der Widerstandsfähigkeit gegen Witterungs-
einflüsse erzielt werden. Milder und zugleich durch seine Staub-
freiheit günstig ist der Aufenthalt in den Badeorten der Ostsee
im Sommer, des Mittelländischen Meeres in den Herbst- und Winter-
monaten. Für die warme Jahreszeit empfiehlt sich der Aufenthalt
in windstiller, staubfreier, würziger Waldluft, der sich oftmals mit
den übrigen Indikationen, entsprechende Höhe, Terrainkur, In-
halatorium u. s. w. vereinigen läßt. 2) Das Baden im offenen Meere
ist gar nicht oder nur bei ruhigster See, ziemlich hoher Wasser-
temperatur, ohne jeglichen Schwimmversuch, bei nur kurzem Ver-
weilen im Bade und mit spezieller Erlaubnis des Badearztes aus-
nahmsweise erlaubt 3) (Hermann Weber). Seereisen sind für Herz-
kranke nicht empfehlenswert, höchstens Fahrten auf ruhigen Wässern
zur Bekämpfung der Bronchitis. Wichtig ist die Wahl von ge-
eigneten Sommer-, Winter- und Übergangsstationen; Glax^) empfiehlt
für die kältere Jahreszeit Abbazia, Lovrana, Lussin und die Riviera,
ferner die Levante , Clar Corsica, das die Vorteile des marinen und
alpinen Klima in sich vereint; für März, April, Mai, Oktober und
November eignen sich Ragusa, Montreux, Territet am Genfer See,
ferner Lugano , Bellagio , Biarritz , für die kälteste Jahreszeit die
Nordküste von Afrika etc. Der Quarnero und die Adria sind im
*) Nothnagel, im Handb. d. phys. Therapie.
2) Wer die Qualitäten eines Kurortes aus eigener Anschauung kennt,
kann über die Indikationen desselben jedenfalls mehr aussagen, als ein anderer,
den theoretische Kenntnisse allein leiten. Es ist daher die neue Institution
der Badereisen von Ärzten wärmstens zu begrüßen. Übrigens gibt es in
der Nähe vieler großer Städte Orte, die so manchen der oben aufgestellten
Bedingungen entsprechen können.
3) Sir Hermann Weber, Handbuch der phys. Therapie.
4) Glax, Lehrbuch der Balneotherapie, Stuttgart 1900.
Das kolilensäurehältige Bad. 109
Jänner und Februar (wegen der Neigung zu stürmischem Wetter)
für Herzkranke oft vollkommen ungeeignet.
Jedesmal, wenn wir einen Herzkranken in einen entfernten Kur-
ort senden, haben wir aber zu bedenken, daß ihm für die Zeit seiner
Abwesenheit der Verzicht auf seine Häuslichkeit und den gewohnten
Freundeskreis auferlegt ist. Der Arzt, der seinem Kranken die An-
nehmlichkeiten und Vorteile eines entsprechenden Klima ver-
schaffen will , vergesse nie an die Individualität seines Patienten.
Die größten Vorteile eines milden Klima werden durch zehrendes
Heimweh zunichte und es gibt nicht leicht einen größeren thera-
peutischen Fehler, als bei einer Herzkrankheit bloß mit mecha-
nischen, physikalischen Faktoren rechnen zu wollen.
Die Mehrzahl der Kranken , die unseren Rat aufsuchen , ist
an einen bestimmten Ort gebunden. Das Problem, das wir zu lösen
haben, besteht dann zumeist darin, aus dem Aufenthaltsorte des
Kranken oder einem in nächster Nähe gelegenen Orte die größten
Vorteile für den Patienten zu gewinnen.
Das kolilensäurehältige Bad.
Das kolilensäurehältige Bad gehört zu den wirk-
samsten Hilfsmitteln der physikalischen Herztherapie. Es
stellt in geübter Hand einen unserer besten Behelfe dar,
weil es wie kein zweites abstuf bar ist und sich in mannig-
facher Hinsicht der Individualität des einzelnen anpassen
läßt. Um den Heilwert und die Indikationen des kohlen-
säurehaltigen Bades beurteilen zu können, müssen wir seine
physiologische Wirkung kennen lernen. *)
Ein wirksames C02-haltiges Bad veranlaßt
eine Steigerung des Blutdrucks, die schon im Bade
auftritt und dasselbe x/4 — 1/2 Stunde überdauert; mit
der Blutdrucksteigerung geht eine Verlangsamung
des Pulses einher, welche länger anhalten kann als die
Drucksteigerung.
Die Wirksamkeit des Bades hängt von seinem C02-
(lehalte, seiner Temperatur und der Reaktionsfähigkeit des
Kranken ab.
*) Beneke, Über Nauheims Soolthernien, Marburg 1859. — Schott A.,
Zur Therapie der chronischen Herzkrankheiten, Berlin 1885, Die Heilfactoren
von Bad Nauheim, 1900. — Diskussion über die Bäderbehandlung, Lancet, 1896.
— Groedel 7 Wiener med. Wochenschr. , 1896. — Hensen, Deutsche med.
Wochenschr., 1899 u. a.
HO Allgemeine Therapie.
Die Kohlensäure des Bades , die , in zahllosen feinen
Perlen im Badewasser aufsteigend, die Haut dicht bedeckt
und auf derselben ein eigentümliches Prickeln erzeugt, setzt
einen Hautreiz, der das vasomotorische Zentrum erregt und
auch direkt auf das Herz einwirkt. x) (An der Reizerzeu-
gung nehmen die im Wasser gelösten Bestandteile , Koch-
salz, Chlorkalcium , Natrium bicarbonicum , Eisensalze etc.
teil.) Die Blutdrucksteigerung kommt teils durch Er-
höhung des Gefäßtonus, teils durch Erhöhung der Herz-
leistung selbst zustande; sie bewirkt eine Hebung der
Zirkulation, Änderung der Blutverteilung; das große Reser-
voir der Bauchgefäße gibt einen Teil seines Inhaltes wieder
dem Kreislaufe zurück, das Gehirn wird besser durchblutet,
die Haut reicher an Blut, der Kranke fühlt sich wärmer
und behaglicher. Je größer der C02-Gehalt des Bades ist,
desto stärker ist der durch das Bad gesetzte Reiz , desto
eingreifender auch die Wirkung des Bades.
Ein zweiter Faktor der Wirksamkeit des C02-hältigen
Bades ist seine Temperatur (siehe bei „Hydrotherapie"). Je
niedriger dieselbe ist, desto stärker ist der durch sie bewirkte
Reiz. — Die Temperatur der Nauheimer Bäder liegt nahe
der IndifFerenzzone (28—21° R.).
Wir haben es demnach in der Hand, durch allmähliche
Herabsetzung der Temperatur und Erhöhung des C02-Gehaltes
der Bader die Anforderungen an die Herzarbeit abzustufen.
Das Bad stellt nach dem Ausspruche A. Schotts eine Turn-
stunde für das geschwächte Herz dar und unsere Aufgabe
ist es, in jedem Falle zu entscheiden, ob und wie lange das
Herz turnen darf. — Bleibt z. B. die Blutdrucksteigerung nach
dem Bade aus, dann kann das Bad zu schwach — nicht kühl
genug oder zu arm an C02 — gewesen sein oder es ist zu
stark gewesen. Die Untersuchung des Kranken wird die
Entscheidung bringen. Ein zu schwaches Bad läßt keinerlei
Spuren zurück, ein zu starkes ruft Insuffizienzerscheinungen
hervor, d. h. ein solches Herz ist den Ansprüchen des be-
treffenden Bades noch nicht gewachsen, es kann diesen Haut-
*) Grossmann, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 32.
Das kohlensäurehältige Bad. \\\
reiz nicht durch Vermehrung seiner Leistung beantworten
und der durch Steigerung des Vasomotorentonus bewirkten
Erhöhung des arteriellen Drucks nicht die notwendige Ar-
beit entgegenstellen; es ist mit einem Worte entweder über-
haupt nicht oder noch nicht für eine übende Therapie geeignet.
Mit der Blutdrucksteigerung bleibt in solchen Fällen auch
die Pulsverlangsamung aus, oder es tritt sogar eine Be-
schleunigung des Herzschlags, selbst Arhythmie, ein. Auch
eine Zunahme der Herzgröße (Stauungsdilatation) kann Folge
der Vermehrung der Widerstände im Kreislaufe durch das
C02-hältige Bad sein.
Daraus ergibt sich die Regel, daß man jedesmal mit
indifferenten Bädern beginnen wird, um je nach der Reaktion
des Kranken langsamer oder rascher zu den kühlsten und
C02-reichsten Bädern überzugehen. Die C02-Bäderbehandlung
strebt es nämlich an, den Herzmuskel durch immer kräftigere,
d. h. C02-reichere und kühlere Bäder zu üben. Leider gelingt
es nicht immer, bis zu den stärksten C02-Bädern anzusteigen-
Je geeigneter der betreffende Fall, je erfahrener der Arzt
ist und je mehr sich der Kranke der Kur widmen kann,
desto größer ist der erreichbare Erfolg.
Den Beginn machen in der Regel einfache Wasserbäder,
Halbbäder, denen Salzbäder folgen. Dann geht man zu schwach
C02 -hältigen Bädern über, mit denen man eventuell bei Insuffizienz-
erscheinungen allergeringsten Grades die Kur gleich beginnen kann.
Ergibt die genaue Kontrolle , daß das Herz in erwünschter AVeise
reagiert, der Blutdruck steigt, der Puls langsamer wird, die Stauungs-
erscheinungen abnehmen , dann kann man die Kur fortsetzen und
die günstigen Wirkungen immer länger anhalten sehen. Die Tem-
peratur des Bades betrage anfangs 27° R., bei älteren Leuten 28°,
und werde allmählich bis auf 18U erniedrigt. — Der Kranke steigt
nach der Nauheimer Badevorschrift langsam in das Bad, setzt sich
vorsichtig nieder und lehnt sich an ; er hat jede Bewegung im
Bade zu vermeiden. Wenn es ihn fröstelt, läßt man ein wenig
wärmeres Wasser zufließen. Friert es ihn trotzdem weiter oder
beginnt das Frostgefühl während des Bades, dann setze man noch
warmes Wasser zu und kürze die Badedauer jedenfalls ab. Das
nächste Bad muß dann wärmer und von kürzerer Dauer sein. Das
erste Bad dauert 5 — 10 Minuten, je nach dem Verhalten des
Kranken, und steigt allmählich auf 15 — 20 Minuten; man läßt
anfangs (in der ersten Woche) an jedem zweiten Tage baden , in
112 Allgemeine Therapie.
der zweiten Woche vier, von der dritten Woche an fünf bis sechs
Bäder wöchentlich nehmen , doch bleibt immer der Reaktion des
Kranken nach dem Bade die Entscheidung vorbehalten. Wenn der
Kranke sich nach dem Bade wohl fühlt, kann dasselbe Tags darauf
C02 -reicher und kühler sein ; fühlt er sich müde und abgeschlagen
und lehrt die Untersuchung, daß Herz, Puls und Blutdruck nicht
ungünstig beeinflußt wurden, dann kann am nächsten Tage in der
gleichen Weise gebadet werden; trat jedoch Blutdrucksenkung,
Frequenzsteigerung des Pulses oder gar Herzdilatation und Op-
pressionsgefühl ein , so wird am folgenden Tage pausiert oder
schwächer gebadet, eventuell sogar Bettruhe verordnet und das
nächste Bad erheischt dann doppelte Vorsicht. — Das Badezimmer
soll richtig temperiert (ungefähr 15°), luftig und geräumig sein.
Das Baden in einem überhitzten , dampferfüllten Räume kann jed-
weden Erfolg vereiteln. Ist das Bad beendigt, dann wird der be-
quem liegende Kranke kräftig abgetrocknet und soll nunmehr 1 bis
2 Stunden ruhig, womöglich im Bette, liegen. Es ist empfehlens-
wert, den Kranken auch vor dem Bade 1/2 — 1 Stunde der Ruhe
pflegen und ausgiebigere Bewegungen sowie geistige Anstrengungen
vermeiden zu lassen.
Die beste Badezeit ist der Vormittag, nach dem Frühstück;
in nüchternem Zustande werden die Bäder schlecht vertragen. — Eine
vollkommene Kur nimmt unter günstigen Verhältnissen fünf bis
sieben Wochen in Anspruch.
Ans dem Gesagten geht hervor, daß wir kein Mittel
besitzen , welches uns eine so systematisch graduierte Stei-
gerung der Inanspruchnahme des Herzens, eine so metho-
dische Gymnastik des Herzens gestattete, wie das C02-
hältige Bad, welches Herz und Gefäße in gleicher Weise
günstig beeinflussen kann.
Wir haben aber auch erfahren , daß das C02 -hältige
Bad nur dem Arzte, der es meistert, ein wohltätiger Heil-
behelf ist. In der Hand des Unerfahrenen ist es ein zwei-
schneidiges Schwert, dessen eine Schärfe Heil, die andere
Unheil bringt, denn das C02-hältige Bad verlangt täglich
von neuem die Stellung der Indikation , soll nicht durch
dasselbe dem Kranken unersetzbarer Schaden zugefügt
werden.
Das C02-hältige Bad ist für Herzkranke ange-
zeigt, deren Herz nach dem Principe der Übung be-
handelt werden kann, also bei Insuffizienzen des ersten
Grades, gleichgültig ob dieselben den Anfang eines Herz-
Das kohlensäurehältige Bad. 113
leidens darstellen (Herzbeschwerden der Fettleibigen) oder
nach Ablauf einer akuten Affektion (Endo-Myokarditis) zu-
rückgeblieben sind.
Bei Insuffizienzen des zweiten Grades ist die
Bäderkur kontraindiziert, ebenso wenn die Insuf-
fizienzerscheinungen in rascher Zunahme begriffen
oder Komplikationen, Bronchitis. Nephritiden auf-
getreten sind, schließlich bei Herz- oder G-efäß-
affektionen, die mit Erhöhung des Blutdrucks ein-
hergehen. Leidet der Kranke an Anfällen von Angina
pectoris, dann sei man vorsichtig, weil eine zu brüske Stei-
gerung der Badestärke einen Anfall hervorrufen kann; in
Fällen von schwerer Angina pectoris sind C02 -hältige Bäder
kontraindiziert. Sollen dieselben zur Übung eines nach Ablauf
einer akuten Affektion rekonvaleszenten Herzens zur An-
wendung kommen, dann muß der Zustand zumindest bereits
zwei bis drei Wochen stationär gewesen sein. Sehr erregbare,
nervöse Individuen pflegen die stärkeren C02-hältigen Bäder
nicht zu vertragen.
Unter den Badeorten mit C02 -hältigen Bädern stehtderzeit
Nauheim an der Spitze, hauptsächlich wohl durch die große
Erfahrung seiner Kurärzte auf dem Gebiete der Herz-
therapie, denn C02-reiche Quellen und die Ingredienzen zum
C02-Bade sind auch anderwärts zu finden.
Nauheim besitzt Solbäder und drei Hauptquellen (Nr. 7 , großer
Sprudel ; Nr. 12, Friedrich-Wilhelm-Sprudel und die neuerbohrte Quelle Nr. 14).
Die Temperatur der Quellen schwankt von 31'6n C. bis 35*3° C. ; die niedriger
temperierten sind naturgemäß kohlensäurereicher.
Die wichtigsten Bestandteile sind neben freier Kohlensäure Kochsalz,
Chlorcalciuin, kohlensaure Alkalien und Eisen. Die CÜ2-hältigen Quellen
kommen als Thermalbäder, Sprudelbäder und Sprudelstrombäder in Verwen-
dung. Die Thermalbäder sind Bäder mit schwachem C02-Gehalt; das Wasser
der Sprudelbäder wird, ohne vorher mit der atmosphärischen Luft in Be-
rührung gewesen zu sein, in die Badewanne geleitet; das Wasser der Sprudel-
strombäder strömt mit einem Überdruck in die Wanne konstant ein und aus.
Durch Vermischen der Quellen untereinander und Zusatz verschieden tem-
perierten Süßwassers oder Eises werden C02-Gehalt und Temperatur der
Quellen beliebig reguliert. Die Kur wird mit Solbädern oder schwachen
Thermalbädern begonnen und allmählich zu Sprudelbädern und Strudelstrom-
bädern weiter geführt, doch setzt das Erreichen der letztgenannten Bäder in
Braun, Therapie der Herzkrankheiten. 8
114 Allgemeine Therapie.
der Regel eine zumindest fünf Wochen andauernde Kurzeit voraus. — Nauheim
verfügt außerdem über vier Trinkquellen.
Auch Oeynhausen und Soden im Taunus besitzen Öl-
haltige Thermalsolen ; kalte C02 -hältige Quellen finden sich ferner
in Marienbad (die an freier C02 außerordentlich reiche Marien-
q a eile), Cudowa, Franzensbad, Elster, Kissingen, Homburg, Reinerz,
Tarasp. Die letztgenannten Badeorte können auch anderen Indi-
kationen Rechnung tragen , die sich neben der Herzkrankheit und
mit derselben zu ergeben pflegen , z. B. Marienbad , Homburg,
Elster der chronischen Obstipation und der Behandlung Fettleibiger,
Kissingen gleichzeitigen Magen- und Darmstörungen, Tarasp, soweit
es nicht durch seine hohe Lage (mehr als 1200 m) bei Herzkrank-
heiten kontraindiziert ist (s. Klimatotherapie), Leberaffektionen und
Diabetes, Franzensbad, Reinerz und Elster Frauenkrankheiten und
anämischen Zuständen.
Die Temperatur der C02-hältigen Wässer wird an diesen
Orten nach verschiedenen Methoden künstlich auf die gewünschte
Höhe gebracht *) ; ihre Wirkung kann bei genauer Überwachung
der Badebereitung, sorgfältiger Dosierung von C02-Gehalt und
Temperatur, sowie strenger Indikationsstellung nach den Nauheimer
Prinzipien , zweifellos die gleiche sein wie in Nauheim selbst,
denn die Erfolge einer C02-Kur sind von dem Orte unabhängig,
an dem sie vorgenommen wird, sind unter geeigneten Verhältnissen
auch durch das künstliche C02 -hältige Bad zu erreichen. Allerdings
wird ein Kranker, der eine solche Kur zu Hause gebraucht, nur
selten vollkommen „kurgemäß" leben können. Man bedenke bloß,
daß „procul negotiis" der Kranke oder Rekonvaleszent vor allem
Herr seiner Zeit, in der Einteilung seiner Diät von den Ansprüchen
des Berufes , der Familie , des Haushaltes vollkommen unabhängig
ist. Und hierauf ist erfahrungsgemäß der größte Teil der Kurer-
folge in Badeorten zurückzuführen.
Es gibt eine Reihe von Verfahren zur Herstellung künst-
licher C02-hältiger Bäder.
Nach der ursprünglichen A. Schottschen Methode wird die C02 durch
Einwirkung roher Salzsäure auf Natr. bicarbon. crudum entwickelt. Man löst
in heißem Wasser 3 — dkg Mutterlaugensalz (das bei der Kochsalzgewinnung
zurückbleibende, durch Verdampfung zur Trockne erhaltene Salzgemisch aus
Chlornatrium-, Magnesium- und Calcium, Jod- und Bromalkalien, Glaubersalz etc.
bestehend), 100 — 300 # Chorcalcium oder 3 — 9 kg Nauheimer Badesalz sowie
die gewünschte Sodamenge und fügt diese Lösung dem Badewasser zu, das
sodann auf die erforderliche Temperatur zu bringen ist. Nun bringt man eine
Flasche mit Salzsäure in einer der zugesetzten Sodamenge entsprechenden
Quantität mit der Öffnung nach unten in das Wasser , entfernt den Stopfen
*) Siehe Glax, Handbuch der physikal. Therapie.
Das kohlensäurehältige Bad. 115
und bewegt die Flasche über dem Wannenboden hin und her. Die Salzsäure
diffundiert in die unterste Wasserschichte; schließlich läßt man, indem man
die Flasche umdreht, ihren Inhalt langsam in das Badewasser einfließen und
kontrolliert nochmals die Wassertemperatur, um sie auf die entsprechende
Höhe einzustellen.
Wenn der Kranke in das Bad steigt, mischt sich die Salzsäure aus-
giebiger mit dem Badewasser und nun beginnt eine 15 — 20 Stunden kräftig
andauernde COa -Entwicklung.
Das Verfahren gestattet bei entsprechender Vorsicht und Übung die
genaueste Dosierung. Man beginnt mit einfachen Halbbädern, geht dann zu
Salzbädern über, fügt schließlich Soda in steigender Menge und die ent-
sprechende Salzsäureportion hinzu, u. zw. je 100 ij Natr. bicarbon. crud. und
100# Salzsäure, 250</, 600, 1000 bis zu 1500# Salz und Säure; je nach der
Reaktion des Kranken werden mehr oder weniger Zwischenstufen einzuhalten
sein. — Die künstlichen C02-hältigen Bäder greifen Zink- und Marmorwannen
an. — In bequemerer, aber kostspieligerer Weise kann man künstliche C02-
hältige Bäder nach den speziellen Vorschriften von Quaglio, Sandow und
Lippert bereiten. Den entsprechenden Bade-Ingredienzen liegen auch immer
die Bereitungsvorschriften bei.
Die Wirkung der C02-Badkuren wird durch zielbewußte
Nebenkuren, Gymnastik, Trinkkuren, graduierte Terrainkuren etc.
und durch geeignete Nachkuren zweckmäßig unterstützt.
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten.
Von Dozent Dr. Alois Strasser.
Bis vor nicht langer Zeit hieß es allgemein, daß Herz-
kranke von der Behandlung mit hydrotherapeutischen Kuren
ausgeschlossen wären. Offenbar hat sich diese Auffassung
unter dem Eindrucke der übertriebenen Behandlungsmethoden
ausgebildet, zu Zeiten, in welchen die Aufgaben der Behand-
lung der Herzkrankheiten nicht so klar gestellt waren wie
jetzt. Augenblicklich bildet die Hydrotherapie geradezu einen
integrierenden Bestandteil der modernen Behandlungsmethode
der Herzkrankheiten.
Zum besseren Verständnis der aufzustellenden Indi-
kationen ist es wichtig , im kurzen zu rekapitulieren , in
welcher Weise hydrotherapeutische Methoden das Herz und
die Herzarbeit beeinflussen können.
Der Tendenz dieses Buches entsprechend, wäre es not-
wendig, eine Sonderung der schonenden, resp. übenden Be-
handlung, soweit dies überhaupt möglich ist, durchzuführen,
und ich werde nicht versäumen, in einzelnem auf diese
Forderung zurückzukommen.
Es kommen bei der Therapie der Herzkrankheiten so-
wohl lokale, auf das Herz applizierte, wie auf Körperteile
und auf den ganzen Körper ausgedehnte mit mehr oder weniger
mechanischen Manipulationen kombinierte Prozeduren zur Ver-
wendung. Die Resultate der ausgedehnten Untersuchungen
werde ich hier nur insoweit mitteilen, als sie klinisch, d. i.
für die Indikationsstellung von Wichtigkeit sind und soweit
sie wenigstens annähernd feststehende Resultate liefern.
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten. H7
Ich unterlasse es, auf die vielfachen auch große Wider-
sprüche aufweisenden Arbeiten näher einzugehen , da dies
den Rahmen, der mir hier gegeben ist, weitaus überschreiten
würde.
Um vorerst von den lokalen, auf das Herz applizierten
Prozeduren zu sprechen, ist folgendes hervorzuheben : Kalte
und warme Applikationen auf das Herz durchdringen in
mehr weniger Zeit das Gewebe und kühlen resp. erwärmen die
Hülle des Herzens und das Herz selbst (Silva). Der Abkühlung,
resp. Erwärmung sind auch hier dieselben Grenzen gesetzt.
wie überall im Körper , wie in der Muskulatur , in den
tieferen Organen, im Abdomen etc., u. zw. durch die mehr
minder energische Blutversorgung, resp. Aufrechterhaltung
der ungestörten Zirkulation im Gewebe , welche eine be-
sondere Erwärmung und viel mehr noch eine beträchtliche
Abkühlung verhindert. — Es ist festgestellt, daß das Herz be-
deutende Erwärmungen und Abkühlungen verträgt, ohne in
seiner Arbeit sehr bedeutend Einbuße zu erleiden (Langendorff).
DasVolumen des Herzens ändert sich durch kalte und warme
Applikationen, u. zw. ist eine nachweisbare Veränderung des
Volumens nur im Sinne einer Verkleinerung nachgewiesen,
eine direkte Verbreiterung des Herzens durch Kälte oder
Wärme ist nur in später zu besprechender, ganz besonderer
Ausnahme gefunden worden. Eine Verkleinerung der Herz-
dämpfung kann sowohl bei Kältewirkung als bei Einwirkung
höherer Wärmegrade stattfinden. Erstere Erscheinung ist eine
unwidersprochen allgemein akzeptierte, die zweite meines
Wissens nur in einer Arbeit, in der von Heitier, durch Einrücken
der Herzdämpfung nach Applikation höherer Wärmegrade
in der Dauer von höchstens 40 Minuten angegeben. Die
Verkleinerung des Volumens ist als eine Tonusvermehrung
des Herzmuskels anzusehen und infolgedessen wahrschein-
lich auch als eine in der Einzelkontraktion vermehrte
Arbeitsleistung, namentlich eine bessere Entleerung des
Herzens.
Die Frequenz des Herzschlages ist im allge-
meinen unter Kälteapplikation vermindert, unter Wärme
vermehrt. Die Verminderung unter Kälte dürfte von dem all-
118 Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten.
gemeinen Gesichtspunkte aus beurteilt werden wie der Ablauf
der unwillkürlichen Muskelkontraktionen unter Kälte über-
haupt. Insbesondere scheint es und ist aus Pulskurven zu
beurteilen , daß die Verlan gsamung der Herzaktion unter
Kalte sich hauptsächlich durch längere Diastole und eine län-
gere Herzpause herausbildet. In ähnlicher Weise ist zu kon-
statieren, daß der Rhythmus der Herzaktion von Kälte und
Wärme lokal beeinflußt wird. Arhythmie wird unter
Kälte besser oder verschwindet ganz: sie kann sich unter
höheren Wärmegraden ebenfalls bessern. Länger dauernde
Wärmeapplikationen zeigen diese günstige Wirkung nicht,
sie können sogar eine Arhythmie steigern. Ob der Ausgleich
des Rhythmus durch direkte Wirkung auf den Herzmuskel
und durch Kältewirkung auf den „gangliomuskulären Apparat
des Herzens" allein entsteht, oder ob hier Reflexwirkungen
noch eine Rolle spielen, ist nicht genau anzugeben. Es ist
jedenfalls wahrscheinlich, daß es sich um das Zusammen-
wirken beider Elemente handelt.
Schmerzempfindungen in der Herzgegend werden
durch Kälte- resp. Wärmeapplikation entschieden beeinflußt
u.zw. resümiere ich unsere Erfahrungen kurz dahin, daß bei ent-
zündlichen Schmerzen ausschließlich die Kälte, bei krampf-
artigen Schmerzen beide Arten mit Erfolg angewendet werden
können. Nur ganz bestimmte Schmerzerscheinungen am Herzen
erfordern die ausschließliche An wendung höherer Temperaturen.
Es ist eine Erfahrung in der Hydrotherapie, daß der Einfluß
von Kälte auf die Herzgegend nicht nur therapeutisch,
sondern auch differentialdiagnostisch verwertet werden
kann. So gibt es Fälle insbesondere von Herzmuskeldegene-
ration, bei welchen die Kälteajjplikation nicht die erwähnten
Effekte, sondern oft gegenteilige Wirkungen hervorruft. —
Man sieht, daß die Herzdämpfung sich nicht verkleinert,
sondern sich ab und zu nachweisbar verbreitert (seltener Be-
fund), daß die Pulsfrequenz beschleunigt wird, die Arhythmien
nicht gebessert, sondern verschlechtert werden und daß unter
diesen Erscheinungen eine ausgesprochene Insuffizienz oder
eine Steigerung der bestehenden Insuffizienz auftritt. Wir
stellen uns bei solchen Ereignissen vor, daß es sich um hoch-
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten. 119
gradig fortgeschrittene Muskeldegenerationen handelt; der
Muskel reagiert auf Kälte nicht in normaler Weise, sondern
so wie ein normaler Muskel auf abnorm große Kältereize
reagieren würde, nämlich mit baldiger Erschlaffung, Atonie.
Unter diesen Umständen wird die Herzarbeit verschlechtert,
die Entleerung des Ventrikels geht schlechter von statten.
Wenn bei derartigen Fällen auch Schmerzen vorhanden
sind, so werden dieselben durch die Kälte meist ungünstig
beeinflußt, dagegen durch die Wärmeapplikation gebessert.
Die Zirkulationsstörung äußert sich in diesen Fällen sofort
durch Dyspnoe und durch Cyanose in der Peripherie und
es wäre die theoretische Möglichkeit vorhanden , daß die
Kälteapplikation in solchem Falle selbst einen Herzstillstand
bewirken könnte. Ich selbst weiß von keinem Falle, in
welchem sich das ereignet hätte, doch sah ich im Laufe
von 10 Jahren 3 Fälle, in welchen ich den Eindruck hatte,
daß bei Permanenz der Kältewirkung die drohenden Er-
scheinungen sich bis zum letalen Ende hätten steigern können.
Resümiere ich, wie weit die lokale Kälte- und Wärme-
applikation als schonendes, resp. übendes Verfahren für das
Herz in Betracht kommen , so muß ich sagen , daß eine
Trennung nicht genau durchführbar ist, denn soweit der
Kälte und der Wärme eine schonende Behandlung durch
Bekämpfung von Entzündungen, Schmerzen und Herabsetzung
der Frequenz zukommt, ist gleichzeitig eine übende Ein-
wirkung dabei, welche sich durch die geschilderte Erhöhung
des Muskeltonus manifestiert. Es scheint jedoch, als würde
in diesen Maßnahmen das Prinzip der Schonung präva-
lieren. — In der Technik der Kälte- und Wärmeappiika-
tionen auf das Herz ist es als selbstverständlich anzusehen,
daß die Methoden in Muskelruhe durchgeführt werden
müssen , was an sich eine gewisse Schonung bedeutet , da
das Quantum des Erfordernisses an den Herzmuskel herab-
gesetzt ist.
Die Kälte und Wärmeapplikation auf das Herz kann
durch häufig gewechselte, entsprechend temperierte Um-
schläge, sowie auch durch die bekannten Kühl- resp. Wärme-
apparate geschehen. Wir benützen meistens die Zirkulier-
120 Die hydriatische. Behandlung der Herzkrankheiten.
apparate aus Kautschuk oder Aluminium und weniger die Eis-
resp. die Heißwassersäcke, hauptsächlich darum, weil diese
erstens zu schwer sind und zweitens Modifikationen der an-
gewendeten Temperatur nicht gut zulassen. Wir legen die
Schlauchapparate nicht unmittelbar auf die Haut, sondern
geben zwischen Haut und Apparat einen dünnen feuchten
Umschlag, weil die Erfahrung lehrt, daß niedrige Kälte-
grade mit Feuchtigkeit besser vertragen werden als trockene.
Bei Kühlung des Herzens ist es gut, mit der Temperatur
einzuschleichen, d. h. man appliziert den Schlauch, läßt an-
fangs etwas temperiertes Wasser, z.B. 12° C, durchfließen
und kann dann rapid die Temperatur herabsetzen, so zwar,
daß schon bei der zweiten , dritten Applikation niedrigste
Temperaturen vertragen werden. Bei Heiß Wasserapplikation
ist es angezeigt, sofort mit der hohen Temperatur einzu-
setzen (40— 45° C).
Von anderen Körperstellen ließ sich ein reflek-
torischer Einfluß auf das Herz empirisch feststellen, so haupt-
sächlich von der Nacken-Wirbelsäule, wo Kälte eine
vorübergehende Beschleunigung mit nachfolgender Verlang-
samung der Herzaktion bewirkt und Hitze auch die Herz-
aktion ziemlich bedeutend verlangsamt. Die Einwirkung von
anderen Körperstellen , Extremitäten , kleinen Teilen des
Körpers auf die Herzfrequenz ist durchaus nicht einheitlich
und dürfte sich nur so weit äußern , als es dem sensiblen
Reize überhaupt entspricht; von einer dauernden Beeinflussung
der Herzaktion von einzelnen entfernten Körperstellen aus
ist nichts bekannt.
Die Wirkung von allgemeinen Prozeduren auf das
Herz selbst äußert sich erstens durch reflektorische Ver-
änderung der Herzarbeit selbst, zweitens durch dynamische
Verhältnisse, welche die hervorgerufenen Veränderungen im
Stromgebiete nach sich ziehen. Die Zahl der Mitteilungen
über den Einfluß allgemeiner Prozeduren auf den Blutdruck
ist eine immens große und ist hervorzuheben, daß allgemeine
resp. größere Körperteile treffende Kälte- und Wärme-
wirkungen sowohl den Blutdruck als die Pulsfrequenz wesent-
lich beeinflussen können
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten. 121
Wenn man aus all den Beobachtungen einen einheit-
lichen Schluß ziehen darf, so lautet derselbe für hydro-
therapeutische Prozeduren im allgemeinen folgendermaßen :
Jedwede Prozedur, welche größere Gefäßgebiete zur Kon-
traktion bringt, erhöht den Blutdruck und verlangsamt die
Herzaktion, während jede Prozedur, welche größere Gefäß-
gebiete zur Dilatation bringt, die Herzfrequenz vermehrt,
nachdem der Blutdruck vermindert wurde. Dieser Satz hat
allerdings gewisse Korrekturen nötig, denn die Vorstellung
der Gefäßdilatation ist nach unserer Lehre bei Wärme- und
Kälteapplikationen different. Es kommt nämlich nach vor-
übergehender Kälteapplikation , nach einer primären Kon-
traktion, auch zu einer Dilatation der Gefäße, wobei der
Blutdruck allerdings gegenüber dem Höhepunkte, der durch
die Gefäßkontraktion erreicht wurde, etwas sinkt, im ganzen
aber doch noch höher bleibt als bei Erweiterung größerer
Gefäßgebiete , wie das z. B. bei länger dauernder Wärme-
applikation durchwegs zu konstatieren ist. Bei Kältereizen
ist es auch sicherstehend, daß der rasch in die Höhe getriebene
Blutdruck ganz allmählich wieder sinkt, was die Wieder-
erweiterung des durch Kontraktion verkleinerten Stromge-
bietes anzeigen dürfte, aber auch den Rückschluß gestattet,
daß das Stromgebiet sich nicht so rasch und nicht so stark
erweitert wie nach länger dauernder Wärmeapplikation.
Wieweit derlei Veränderungen in Gefäßgebieten auf
das Herz zurückwirken, ist nicht leicht zu bestimmen. Es
ist zu bedenken, daß, wenn Blutmassen von einem Körper-
teil verdrängt werden, sie in andere Gebiete strömen und
sich dermaßen eine Störung ziemlich ausgleichen kann,
andererseits steht fest, daß die auf die Körperoberfläche
applizierten Reizwirkungen der Kälte und Wärme reflek-
torisch eine Änderung der Herzarbeit selbst bewirken,
welche somit nur zu einem Teile und nicht absolut von den
Gefäßveränderungen abhängig ist Eine Bemessung, wie
viel hiebei auf das Herz und wie viel auf die Zirkulations-
veränderung kommt, ist geradezu unmöglich. Trotzdem muß
man derlei Zirkulationsveränderungen in der Therapie sehr
große Bedeutung beimessen, weil die Anpassungsfähigkeit
122 Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten.
des Herzmuskels an derlei Veränderungen unter Umständen
eben verändert ist. Es mag sich der Herzmuskel verän-
derten Zirkulationsbedingungen in mehr minder langer Zeit
akkommodieren können, gerade die Plötzlichkeit der Über-
gänge kann aber unter gewissen Umständen für ein Herz
gefährlich werden, woraus die allgemeine Regel resul-
tiert, daß alle allgemeinen Prozeduren, welche eine
brüske Zirkulationsveränderung im größeren Maß-
stabe verursachen, bei Vorhandensein von Herz-
muskelinsuffizienz unstatthaft sind.
Bei Anwendung lokaler Prozeduren ist eine Dosierung
leichter möglich. Man kann sowohl die sensiblen Reize, wie die
verursachten Zirkulationsveränderungen derartig modifizieren,
daß eine plötzliche Belastung des Herzens entfällt und nur
kleinweise Veränderungen entstehen, welche das Herz nach
seiner jeweiligen Leistungsfähigkeit überwinden kann. So
z. B. kann ein Herzkranker partielle Abreibungen, Waschun-
gen einzelner Körperteile hintereinander vertragen, während
er eine allgemeine Abreibung schwer oder gar nicht ver-
trägt. So kann man partielle Schwitzkuren mitunter ganz
sorglos verabreichen dort, wo eine allgemeine schweißtrei-
bende Prozedur durch Überhitzung unmöglich wäre.
Die dermaßen applizierten Methoden haben den Anschein,
daß sie ausschließlich übende Methoden sind, und zwar übende
dadurch , daß sie das Herz daran gewöhnen , sukzessive er-
höhten Anforderungen die entsprechenden Arbeitsleistungen
entgegenzubringen. Indessen ist in der Wirkungsweise hydro-
therapeutischer Prozeduren auch das schonende Prinzip ver-
treten. Ich will die zwei markantesten Fälle hervorheben,
welche für das letztere sprechen : Erstens das Vor-
kommen von Stasen, welche im Verlaufe von Herzschwäche
entstanden sind, die zweite Art, die der Gefäßinsuffizienz
(Vasomotoreninsuffizienz), soferne sie bei Infektionskrank-
heiten vorkommt. Bei den Stasen ist ein circulus vitiosus
vorhanden, indem der insuffiziente Herzmuskel die eben durch
seine Schwäche bedingte Zirkulationsstörung nicht zu über-
winden vermag; eine Zirkulationsverbesserung durch eine
von guter Reaktion begleitete Kälteapplikation , sowie die
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten. 1 23
Eröffnung der Gef äßbahnen durch lokale Wärmeapplikation
kann die Stase vermindern, resp. beheben und somit die
Anforderungen für die Herzarbeit herabsetzen. Ähnlich liegt
der Fall bei Infektionskrankheiten, wo die Kälteprozeduren
die toxische Lähmung der Gefäße beheben und somit der
Herzarbeit günstigere Chancen bieten können (siehe Herz bei
Infektionskrankheiten). Also Schonungsvorgänge beiderseits.
Bei Kälteprozeduren ist wohl darauf zu achten,
daß eine möglichst gute Reaktion erzielt wird.
Unter Reaktion verstehen wir in der Hydrotherapie be-
kanntlich die Wiedererwärmung der Peripherie nach einem
vorübergehenden kalten Reize durch sekundäre Dilatation
der Gefäße.
Die Reaktionsfähigkeit bei Herzkranken geht mit der
Herzmuskelinsuffizienz in der Regel parallel, d. h. so lange
keine zirkulatorischen Störungen da sind, keine Insuffizienz-
erscheinungen (Kompensationsstörungen), auch keinerlei Ur-
sache da ist, abgesehen von individuellen Verschiedenheiten,
daß die Reaktionsfähigkeit sich nicht normal verhalten sollte.
Dagegen ist die Reaktionsfähigkeit bei eingetretener In-
suffizienz in der Regel mehr oder minder herabgesetzt, doch
ist es noch immer erstaunlich, daß eine Hautreaktion auch
dort meist hervorzurufen ist, wo die Störung der Zirkula-
tion besonders hohe Grade erreicht hat. Da aber die Reak-
tionsfähigkeit durch den einfachen Kältereiz allein doch
meist nicht in befriedigendem Maße hervorzurufen ist, so
ist es gerade bei Herzkranken notwendig , entweder durch
Kontrastreize oder durch mechanische Manipulationen die
Reaktionsfähigkeit zu erhöhen. Die Notwendigkeit dieser
kombinierten Reize beschränkt die Indikationsstellung, weil
viele Herzkranke mit ausgesprochenen Insuffizienzerschei-
nungen wohl den Kältereiz . nicht aber viele mechanische
Manipulationen vertragen und selbst allgemeine Kälteappli-
kationen dürften wahrscheinlich mehr angewendet werden
können, wenn der Kältereiz genügend wäre zur Erreichung
einer Reaktion. Die Bedeutung der Reaktion hat nicht nur
ihre theoretische Begründung, sie ist vielmehr wichtig aus
dem rein empirisch praktischen Gesichtspunkte, daß die
124 Vit hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten.
Herzkranken mit dauernd kalter Peripherie sich in Bezug
auf Zirkulation, Respiration und Diurese meist weniger gut
verhalten.
Allgemeine Wärmeapplikationen werden als die
Herzkraft am meisten in Anspruch nehmende Prozeduren
angesehen und ihre Indikationsstellung ist demgemäß bei
Herzkranken eine ziemlich eingeschränkte. Nichtsdesto-
weniger sind allgemeine Wärmeapplikationen von der An-
wendung nicht ausgeschlossen, vielmehr ist es üblich, nach
Vorschriften von Winternitz die Dampfapplikationen mit
einer gewissen Vorbauung gegen Herzschwäche anzuwenden,
nämlich mit der Applikation des Herzkühlapparates vor
und während der Wärmeanwendung. Doch auch mit dieser
Vorsichtsmaßregel ist die Anwendung von allgemeinen
Schwitzprozeduren nur eine verhältnismäßig seltene und man
beschränkt sich, Körperteile der Hitze auszusetzen. Wohl ist
es bewiesen, daß längere Hitzeapplikationen auf einzelne
Körperteile auch von einem Abfall des Blutdruckes, von Be-
schleunigung der Herzaktion gefolgt werden, doch ist die Vor-
bauung, wie sie vorhin angegeben ist, mit Kühlapparaten auf
das Herz bei diesen eingeschränkten Hitzeprozeduren wesent-
lich wirksamer. Die Hauptindikation der Anwendung
von Hitze ist die der Entwässerung, der Beseitigung der
hydropischen Schwellungen und es ist zweifellos, daß selbst
durch Teilschwitzbäder eine ziemlich bedeutende Wasserentzie-
hung bewirkt werden kann. Aber auch bei leichten „Kompen-
sationsstörungen"' (Insuffizienzerscheinungen ersten Grades)
werden ausnahmsweise allgemeine Dampfbäder mit gewissem
Erfolge angewendet, ohne daß man dabei ungünstige Neben-
wirkungen konstatieren könnte. Es liegt sogar eine Angabe
von Frey vor, nach welcher bei Dampfbädern selbst nach zehn
Minuten noch eine Verkleinerung der Herzdämpfung da war
und der Puls nicht über 100 stieg. Daß bei partiellen Dampf-
bädern nicht allein die durch Schweiß erzielte Wasser-
entziehung das Wirksame ist, das beweist der Umstand,
daß die Diurese nach Hitzeapplikationen und Schweiß nicht,
wie man etwa erwarten würde, durch Wasserverlust von
der Haut sich vermindert zeigt, sondern häufiger eine Vermeh-
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten. ^25
rung eintrat, was ich als Zeichen dessen annehmen möchte,
daß die Herstellung der Zirkulation in dem Stauungsgebiete
durch Wärme auch begünstigt wird und die Vermehrung
der Diurese durch Aufhebung der Stasen bedingt ist. Die
Änderung der Diurese gehört überhaupt zu den bedeu-
tendsten Wirkungen hydrotherapeutischer Prozeduren. Im
allgemeinen sind wir gewohnt, die Diurese vom Blutdrucke,
d. h. von der Herzkraft abhängig zu machen, doch ist nach
den Erfahrungen in der Hydrotherapie sicher nicht die durch
direkte und reflektorische Wirkungen erzielte Besserung der
Herzarbeit die alleinige Ursache einer allfälligen Steige-
rung der Diurese , sondern mindestens in demselben Maße
die Besserung der peripheren Zirkulation, die erhöhte Strö-
mungsgeschwindigkeit. Selbst geringfügige Prozeduren üben
in dieser Richtung mitunter die augenfälligsten Wirkungen.
Es gehört nicht zu den Seltenheiten, daß wenige Tage
fortgesetzte Teilwaschungen die Diurese auf das Doppelte
und Dreifache erhöhen.
Es erübrigt nur noch, gewisse reflektorische Wirkungen
auf das Herz zu besprechen, welche in der Therapie von
Wichtigkeit sind, d. i. die Applikation von sehr heißen oder
wechselwarmen Hand- und Fußbädern, bei Anfällen von
Schmerzen, großen Beschleunigungen oder rapid vorüber-
gehenden Muskelinsufiizienzzuständen mit augenfälliger
Schädigung des Lungenkreislaufes. Es ist durchaus nicht
möglich, festzustellen, in welcher Weise diese Wirkungen
erzielt werden. Es ist möglich, daß nur der intensive sensible
Reiz dieselben auslöst, doch immerhin auch nicht von der
Hand zu weisen, daß den thermischen Reizen bei diesen
Formen die Rolle von spezifischen Reizen zukommt.
Die Anwendung verschiedener erregender Umschlags-
formen, d. i. also kalter, trocken bedeckter Umschläge, welche
mehrere Stunden bis zur Erwärmung liegen gelassen werden,
richtet sich bei Herzkranken nicht nach den allgemeinen ge-
wöhnlichen Regeln, sondern ist je nach der Leistungsfähigkeit
des Herzmuskels, nach der jeweiligen Reaktionsfähigkeit der
Hautgefäße eingeschränkt. Bei Herzkranken mit ungestörter
Kompensation können in der Regel verschiedene Umschlags-
126 Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten.
formen , Leibbinden , Stammumschläge ohneweiters ange-
wendet werden. Bei Stauungskatarrhen, sowie bei Ödemen.
Anasarka und Aszites kommt man öfter in die Lage, die
oben erwähnten Umschlagsformen, sowie auch Kreuzbinden
auf die Brust und Wadenumschläge, respektive Einpackungen
der ganzen Beine zu verwenden. Doch geschieht es hier nicht
selten, daß die Patienten nicht imstande sind, die Um-
schläge zu erwärmen, darunter frösteln und damit die ganze,
geplante Wirkung der Umschläge illusorisch wird. Wohl
kann man annehmen, daß erregende Prozeduren (Waschungen,
Teilabreibungen) die Haut soweit bessern, daß die Appli-
kation von Umschlägen dennoch möglich wird. Werden
aber die Umschläge ordnungsgemäß vertragen, dann wirken
sie auch günstig, sie bessern die Katarrhe, erleichtern die
Expektoration und wirken auf die gestörte Zirkulation
in den Beinen und in der Bauchhaut zum Teile so wie eine
erregende Prozedur. Wadenbinden haben sonst noch direkt
ableitende Wirkung und beruhigen , ganz allgemein ge-
nommen , die Herzaktion. Heiß angelegte Wadenbinden
wirken ähnlich revulsiv wie die oben erwähnten Fuß- und
Handbäder.
Nun wollen wir im einzelnen besprechen, wie eine
planmäßige Anordnung hydrotherapeutischer Prozeduren
bei den einzelnen Krankheiten des Herzens zu treffen ist.
Akut entzündliche Prozesse, wie akute Endo- und
Perikarditis, erfordern selbstverständlich absolute Schonung
und auch diejenigen hydrotherapeutischen Prozeduren, welche
als vorwiegende Schonungsbehandlung gelten , also lokale
Kälteapplikation. Hiebei ist es möglich, den Kühlapparat mit
geringen Unterbrechungen viele Tage und Wochen zu appli-
zieren, ohne daß von Seiten der Haut etwa Unannehmlichkeiten
zu befürchten wären. Der Einfluß auf den entzündlichen Prozeß
an sich ist darum nicht genau zu bestimmen, weil wir im Einzel-
falle über die Tiefkühlung keine genaue Vorstellung haben, da-
gegen beruhigen die Kühlumschläge in erster Reihe die Schmer-
zen und verlangsamen die Herzaktion, was objektiv als die
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten. 127
einzige erreichbare Schonung bei akut entzündlichen Krank-
heiten zu betrachten ist; subjektiv wird die lästige Be-
schleunigung der Herzaktion unbedingt vermindert. Eine
vereinzelte Empfehlung von nicht zu schweren Kataplasmen
bei akuter Perikarditis stammt von Bamberger, doch
hat die Empfehlung wenig Nachahmung gefunden, da man
mit Kälteapplikationen durchwegs befriedigend auskommt
(Matthes). Anderweitige hydrotherapeutische Prozeduren sind
in akutesten Stadien dieser Erkrankungen soviel wie ausge-
schlossen, weil sie ohne Bewegung und ohne Anstrengung
des Patienten kaum durchführbar sind. Nach Abklingen
der akutesten Erscheinungen sind insbesondere bei Peri-
karditiden erregende Umschläge abwechselnd mit kalten
Umschlägen von guter Wirkung, weil anscheinend die Re-
sorption des Exsudates besser von statten geht.
Als Krankheitsgruppe, die sich hier anschließt, kommt
die „Herzschwäche bei Infektionskrankheiten*' in Betracht,
doch kann ich die Bemerkung nicht unterlassen, daß in
diesen Fällen Schonung keineswegs am Platze, vielmehr eine
Anspannung sämtlicher Reservekräfte des Herzens und die
Tonisierung der Gefäße durch hydrotherapeutische Proze-
duren notwendig ist, um über die Zeit der toxischen Herz-
insuffizienz hinwegzukommen. Wohl genügt bei kurz dauern-
den Infektionskrankheiten , sobald die Beschleunigung der
Herzaktion mit schlechter Blutversorgung der Peripherie
sich zeigt, die mehreremale im Tage stundenweise oder bei
höheren Graden dieser Symptome eine mit geringen Unter-
brechungen kontinuierlich fortgesetzte Applikation der Kühl-
apparate aufs Herz. Die Effekte sind meist befriedigend.
Doch ist bei Infektionskrankheiten womöglich nicht darauf
zu verzichten , die allgemeinen gegen das Fieber , resp. die
fieberhafte Erkrankung in Anspruch genommenen hydro-
therapeutischen Prozeduren mit Rücksicht auf die Vasomo-
torenparese nicht außeracht zu lassen, sondern auch diesen
Erscheinungen angepaßt einzurichten. Es kann nicht meine
Aufgabe sein, die Indikationsstellung der Hydrotherapie bei
Infektionskrankheiten hier zu besprechen. Doch darauf muß
ich hinweisen , daß Herzschwächezustände , Dikrotie des
128 Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten.
Pulses, Cyanose der Extremitäten nicht nur nicht gegen die
Vornahme eines Bades sprechen, sondern dieselbe direkt er-
fordern ; der reflektorische Einfluß auf das Herz kann
oft nach einer einzigen hydrotherapeutischen Applikation
— Halbbad — für mehrere Stunden hinaus gebessert werden.
Diese Wirkung ist nicht unverständlich , wenn man be-
denkt, daß die Symptome der „Herzschwäche" bei man-
chen Infektionskrankheiten erwiesenermaßen sekundär als
Konsequenz verbreiteter vasomotorischer Parese betrachtet
werden müssen (Paessler und Romberg).
Im Sinne dieses letzten Satzes muß man sich also vor-
stellen , daß z. B. bei Diphtherie, aber auch bei schwerem
Typhus oder Pneumonie die Möglichkeit gegeben ist , daß
das Herz an sich nicht geschädigt wird, sondern durch mangel-
hafte Speisung bei geschwundenem Gefäßtonus leer arbeitet.
— Tonisierung der Gefäßgebiete durch thermische und me-
chanische Reize führt Blutmassen wieder zum Herzen und
so in den Kreislauf zurück. — Die Hydrotherapie kann
demnach in solchen Fällen (durch „Umschaltung des Kreis-
laufs" [Gottlieb]) geradezu lebensrettend wirken.
Der Übergang der subakuten in eine chronische Endo-
karditis mit Klappenfehlern erfordert die sorgfältigste Er-
wägung und Dosierung der hydrotherapeutischen Methoden.
Es ist klar, daß hiebei der jeweilige Kräftezustand des Herz-
muskels der alleinig maßgebende ist. Ist der Herzmuskel
mit den an ihn gestellten Anforderungen ins Gleichgewicht
gekommen, ist also, wie man gewöhnlich sagt, der Herzfehler
kompensiert, so würde im allgemeinen die Forderung zur
Vornahme von hydrotherapeutischen Prozeduren nicht be-
rechtigt sein. - - Man glaubt mit Recht, daß eine spontane
Tendenz zur Kräftigung. in der Ruhe vorhanden ist. — Doch
glaube ich, daß diese Methoden eine ähnliche Berechtigung
haben wie die mechano-therapeutische Methode und wesent-
lich dazu beitragen können, daß das Gleichgewicht zwischen
Herzkraft und erforderter Arbeitsleistung ungestört bleibe.
Nicht als ob man etwa hydrotherapeutisch die Entstehung
einer kompensatorischen Hypertrophie fördern könnte, für
einen direkten derartigen Einfluß irgend einer Therapie
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten. 129
gibt es ja keinen Anhaltspunkt , aber man kann mit Hin-
weis auf die besprochenen Wirkungen lokaler und all-
gemeiner Prozeduren als feststehend ansehen , daß eine
Übung des Herzmuskels mit genauer Abgrenzung der Er-
regungsschwelle (Leistungsvermögen) nicht schädlich sein
kann. Genaue Vorschriften, wie man im allgemeinen Hydro-
therapie bei ausgeglichenen kompensierten Herzfehlern ein-
richten soll , kann ich nicht geben. Diese Leute vertragen
die differentesten . leicht erregenden und auch Wärme ent-
ziehenden Prozeduren, Teil Waschungen, Abreibungen, Duschen,
auch Bäder und nur das eine ist vor Augen zu halten, ich
wiederhole den Satz wegen seiner Wichtigkeit, daß größere
Erregungen, welche eine brüske Veränderung der
Zirkulation erzeugen, vermieden werden sollen. Die
erregenden Prozeduren tragen dazu bei, daß das Herz reflek-
torisch gekräftigt und seine Arbeit durch Einfluß auf die
Gefäße erleichtert wird.
Zeigt sich im weiteren Verlaufe, daß der Herzmuskel
anfängt, in seiner Leistungsfähigkeit nachzulassen, dann
würden sich die Anforderungen an die Therapie allerdings
vermehren und die Hydrotherapie kann ihnen auch in ziem-
lich hohem Maße entsprechen. Die Methodik dagegen er-
fordert eine ziemliche Einschränkung ; eine Sonderung der
übenden und schonenden Hydrotherapie ist hier niemals
durchführbar, beide sind dringendst notwendig. Die haupt-
sächlichsten Mittel, welche beiden Richtungen entsprechen,
sind einerseits die Kälteapplikation auf das Herz,
andererseits die partiellen Abreibungen des ganzen
Körpers. Die Kühlschläuche sind bei großer Beschleunigung
der Herzaktion mehreremale, sonst nur ein- bis zweimal
täglich für je eine Stunde zu applizieren, die Teilabreibungen
sukzessive nur an einzelnen Körperteilen zu beginnen und
wenn sich die Patienten daran gewöhnt haben, allmäh-
lich auf den ganzen Körper auszudehnen. So genügt
es in schweren Fällen, im Anfange nur die unteren oder
die unteren und oberen Extremitäten zu waschen, einige
Tage später in der Rückenlage auch die Brust und den
Bauch, und nur wenn ein Aufsetzen des Patienten es
Braun, Therapie der Herzkrankheiten. 9
130 Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten.
ohneweiters gestattet, dann auch den Rücken. Wenn die
Frottierung an sich den Patienten schon belästigt, dann
soll man sich mit Schwammwaschungen begnügen und
nachher trocken reiben. Die Erscheinungen der Herzinsuf-
fizienz pflegen unter dieser Behandlung Besserungen aufzu-
weisen. Beschleunigung und Arhythmien der Herzaktion und
die damit direkt verbundenen lästigen Gefühle werden ver-
mindert, entsprechend auch die Atmung gebessert und, was
wohl auch zu den wichtigsten Erfordernissen gehört, die Diu-
rese ist in der Regel vermehrt. Ist eine gute Hautreaktion
überhaupt zu erzielen , dann ist die Vorstellung auch be-
rechtigt, daß eine Vermehrung der insensiblen Perspiration
an der Entwässerung des Körpers einen unter Umständen
nicht geringen Teil nimmt. Größere hydrotherapeutische
Prozeduren sind in der Regel in diesem Stadium nicht in
Verwendung. Doch wenn der Zustand des Patienten es über-
haupt erlaubt, daß er aus dem Bette steige, so steht der
Vornahme gewisser Prozeduren nicht viel im Wege. Selbst-
verständlich dürfen dieselben durchwegs nicht sehr mit
mechanischen Manipulationen kombiniert sein, und da die
Hautreaktion ohne diese letzteren in vielen Fällen manches
zu wünschen übrig lassen wird, so ist die Zahl der anwend-
baren Prozeduren eine sehr geringe.
Unter allen Umständen pflegen wir, wenn wir die
Patienten überhaupt aus dem Bette lassen, um ihnen irgend
welche Prozedur zu applizieren , dieselben unmittelbar vor-
her durch eine ungefähr einstündige Applikation des Herz-
schlauches für die erhöhte Kraftleistung zu präparieren. Diese
Prozeduren selbst können sein Begießungen 20° C, gewöhnliche
Duschen mit einem Drucke von zirka 1 — 11/2 Atmosphären und
mehr auf die untere Körperhälfte gerichtet und nur flüchtig
die obere Körperhälfte bestreichend, in der Dauer von 15 bis
20 Sekunden und endlich mit ziemlichem Effekte kohlensaure
Duschen, bei welchen der Gehalt des Wassers an Kohlen-
säure die Anwendung niedriger Temperaturen, sowie starke
mechanische Manipulationen überflüssig macht , weil die
Kohlensäure als Hautreiz eine bessere Reaktion bedingt. Bei
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten. l;)l
kohlensauren Duschen genügen Temperaturen von 25° C. in
der Dauer bis zu 1/2 Minute.
Es ist dringend notwendig, die Patienten während und
nach der Prozedur genau zu beobachten. Die unmittelbare
Auslösung sehr tiefer Inspirationen und die vorübergehende Be-
schleunigung der Herzaktion ist die selbstverständliche Kon-
sequenz. Werden die Prozeduren gut vertragen, so beruhigt
sich nachher die Herzaktion, sowie die Atmung und der
unmittelbare Zweck der Prozedur ist erreicht.
Die Anwendung von Dampfbädern wird im allgemeinen
dann empfohlen, wenn die gewöhnlichen hydrotherapeutischen
Applikationsmethoden nicht ausreichen, Ödeme zu beseitigen;
doch bin ich der Ansicht, daß man mit Vorsicht Dampfappli-
kationen auf die untere Körperhälfte, wo ja die Ödeme stets be-
ginnen , frühzeitig in Anwendung nehmen soll, weil sie in Kombi-
nation mit nachfolgenden Abkühlungen die Herstellung des
Gleichgewichtes wesentlich erleichtern, ohne in der Mehrzahl
der Fälle das Herz besonders zu belasten. Ich erwähnte schon,
daß wir bei Herzkranken niemals Hitzeapplikationen anwenden,
ohne Kühlschläuche auf das Herz zu legen. Die Dampfbäder
erreichen Temperaturen bis zu 55 — 60° C, sie sollen ungefähr
bis etwas über die Nabelhöhe reichen und, wenn es die Herz-
aktion erlaubt, bis zu ordentlichem Schweißausbruche an der im
Bade befindlichen Körperpartie fortgesetzt werden. Da die
Schweißsekretion bei Zirkulationsstörungen auch in der
Regel vermindert ist , kann es vorkommen , daß die Dauer
der Bäder länger ausgedehnt werden muß. Man soll bei
systematischer Applikation von Dampfbädern nicht darauf
bestehen, gleich bei dem ersten Bade einen größeren Schweiß-
ausbruch unter allen Umständen erzwingen zu wollen. Es
ist eine Erfahrungstatsache, daß die Patienten das Schwitzen
erlernen können und daß man bei einem Patienten, dessen Haut
bei der ersten Dampfapplikation selbst in 20 Minuten nicht
zum Schwitzen kam, nach 4, 5 Bädern schon nach 5 — 10 Mi-
nuten die Ausscheidung ganz entsprechender Schweißmengen
erzielen kann. Man kann auch nicht generalisierend aussprechen,
ob in den einzelnen Fällen die Dampfapplikationen überhaupt
vertragen werden. Dies muß empirisch festgestellt werden.
132 Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten.
Erhitzt man die untere Körperhälfte bis zum starken
Schweißausbruche , dann dehnt sich der Schweiß sehr oft
auch über den Oberkörper aus; es schwitzt also der
Patient am ganzen Körper, ohne die Belästigung zu empfin-
den , welche bei allgemeiner Erhitzung vorhanden ist. —
Auch lange dauernde starke Erhitzung einzelner Körperteile
kann einen ähnlichen Effekt haben.
Die Applikationen von Umschlagsformen ist als ab-
leitende und Zirkulation verbessernde Methode in einem
Teile der Fälle ohneweiters zu verwenden. Bei höheren
Graden von Insuffizienz, insbesondere wo größere Atemnot
vorhanden ist . sind Umschläge , welche größere Teile des
Körpers bedecken , besonders am Thorax meist schwer an-
zuwenden , die Patienten vertragen die Last und die Um-
schnürung schlecht, sie fühlen sich in der Respiration be-
hindert, werden ängstlich und verweigern oft die Annahme
der Umschläge.
Mit einigen Worten will ich darauf hinweisen, daß in
Wasserheilanstalten auch strengerer Richtung auf die An-
wendung medikamentöser Herzmittel, insbesondere auf die
Digitalis, nicht verzichtet wird. Das Zusammenwirken der
Digitalis mit einer Wasserkur ist entschieden von Vorteil,
die Gefäßgymnastik wird sicherlich den Effekt einer Digi-
talisbehandlung unterstützen. Ob hydrotherapeutische Pro-
zeduren aber, wie das mehrfach in Lehrbüchern der Hydro-
therapie behauptet wurde , gegen kumulative Intoxikation
der Digitalis schützen, ist meiner Erfahrung nach nicht zu
bestimmen.
Erkrankungen des Myokards erfordern im großen und
ganzen dieselbe Indikationsstellung wie die Herzinsuffizienz
bei chronischer Endokarditis. Da sich die Anfangsstadien
der Myokard-Erkrankungen der Beobachtung vielfach ent-
ziehen, kommen nahezu ausnahmslos vorgeschrittenere Fälle
in unsere Beobachtung. Die Bekämpfung der Insuffizienz-
erseheinungen hiebei geschieht genau so wie bei der chro-
nischen Endokarditis, d. i. die Einteilung der schonenden
und übenden Prinzipien der hydrotherapeutischen Methoden
hängt eben davon ab . wieviel das Herz in der gegebenen
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten. 133
Zeit verträgt. Bei akuter Myokarditis, sofern sie diagnosti-
zierbar ist, deckt sich die Behandlung mit derjenigen der
akuten Endokarditis. Die Resultate der Übung durch Hydro-
therapie sind nach Ablauf der akuten Erscheinungen meist
ziemlich befriedigend.
Eine besondere Besprechung erfordert nur noch die An-
ordnung von hydrotherapeutischen Entfettungskuren. Diese
Kuren setzen sich zusammen aus starken Erhitzungen bis
zu profusem Schweiß und starken Abkühlungen mit nach-
folgender intensiver Muskelbewegung , welche die verloren
gegangene Wärme wieder aufbringen soll, und wir stellen
uns vor , daß die Kombination dieser Prozeduren und der
Muskelbewegung die Fettverbrennung in großem Maße för-
dert. Es entzieht sich unserer Beurteilung, in welchen
Fällen von Fettleibigkeit nur eine Fettauflagerung und in
welchen Fällen schon Anfangsstadien einer fettigen Dege-
neration des Herzmuskels vorhanden sind , und wir sind
bei Ausführung der Entfettungskuren ausschließlich auf
die Beobachtung des Herzens während der Kuren ange-
wiesen. Es versteht sich von selbst, daß man dermaßen die
Kuren in vorsichtiger Steigerung anordnen wird. Eine
größere Beschleunigung der Herzaktion während eines Dampf-
bades muß ja nicht unbedingt schon für eine Degeneration
des Herzmuskels sprechen und verbietet die Anwendung der
stärkeren Schwitzkuren im allgemeinen nicht. Nur wenn
die Beschleunigung der Herzaktion nach den Abkühlungs-
prozeduren, welche den Dampfbädern folgen, noch mehrere
Stunden bestehen bleibt, erfordert der Patient, resp. sein
Herz, eine noch größere Berücksichtigung, wie es im allge-
meinen notwendig ist.
Es ergibt sich da zumindest die Forderung, daß das
Dampfbad niemals ohne gleichzeitige Kälteapplikation aufs
Herz verabreicht werden soll und genügt diese Vorsichts-
maßregel oft zur ungestörten Erledigung der Kur. Die
Schweißsekretion allein ist wohl zur Abmagerung nicht ge-
nügend, es gehört die Muskelbewegung dazu. Sollte diese
nicht in gehörigem Maße durchführbar sein, dann darf auch
die den Dampfbädern folgende Abkühlung nicht hochgradig
134 Diß hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten.
sein. Sind Erscheinungen da, welche die Diagnose einer
Herzmuskeldegeneration zweifellos erscheinen lassen , dann
ist die Anwendung ganzer und intensiver Schweißprozeduren
verboten ; auch dann sind noch Hitzeapplikationen auf die
untere Körperhälfte unter den nötigen Kautelen anwendbar
und ihre Durchführung fällt meist mit der Art zusammen,
welche schon vorn bei Besprechung der chronischen Endo-
karditis erörtert wurde. Sie erfüllen in diesen Stadien weniger
den Zweck einer direkten Abmagerungskur, vielmehr den
einer übenden Behandlung des insuffizienten Herzens. Die
lokale Kälteapplikation auf das Herz ist bei vorgeschrittenen
Myokardveränderungen nahezu ausnahmslos von guter Wir-
kung und es zeigt sich merkwürdigerweise, daß man
ebensowohl Herzbeschleunigungen beruhigen, als auch in
einzelnen Ausnahmefällen auffallende Verlangsamungen der
Herzaktion bessern , resp. diese beschleunigen kann. Worauf
diese geradezu paradoxe Wirkung beruht , ist geradezu
ganz unklar. Doch sah ich bei zwei Patienten mit ausge-
sprochener Myokarddegeneration unter Kühlschläuchen eine
Steigerung der Herzfrequenz von 44, resp. 48 auf 58, resp. 64.
Es wurde schon vorn erwähnt, daß die lokale Kälte auf
das Herz in manchen Fällen vorgeschrittener Degeneration
schlecht vertragen wird. Im vorhinein läßt sich wohl dies
kaum jemals bestimmen — doch sieht man, daß unter Kälte-
wirkung die Herzfrequenz zunimmt, eine Cyanose der Peri-
pherie auftritt, die Atmung sich verschlechtert, dann ist die
Anwendung zu sistieren und eine Zeit hindurch nicht zu
wiederholen. Der Umstand, daß solche Patienten eventuell
mehrere Wochen später dennoch Kälte aufs Herz gut ver-
tragen, spricht dafür, daß nicht ausschließlich die Reaktion
der degenerierten Muskelfasern auf die Kälte Schuld an
den geschilderten Ereignissen trägt, sondern wahrscheinlich
auch zum Teile abnorme Innervationsbedingungen , deren
Natur unbestimmbar ist.
Die Besprechung der arteriosklerotischen Verände-
rungen des Herzens ist in Beziehung zur Hydrotherapie
von großer Wichtigkeit, nicht als ob man mit dieser The-
rapie die Krankheit als solche in ihrem Verlaufe wesentlich
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten. 135
und nachweisbar verändern, hemmen könnte, aber es kommt
ihr nach unseren umfassenden Erfahrungen die Rolle einer
die Zirkulation ausgleichenden Therapie zu. — Die in
Wasserheilanstalten erscheinenden Arteriosklerotiker befinden
sich meist in ziemlich vorgerückten Stadien der Krankheit,
und Frühstadien sehen wir nur dann , wenn wir die bei
uns häufigen plethorisch Fettleibigen mit uratischer Diathese
etc. als Anfangssklerotiker ansehen; doch ist es einleuchtend,
daß eine scharfe Differenzierung der Symptome und der
Therapie in dieser Richtung auf große Hindernisse stößt,
wenn nicht unmöglich ist.
Wir sehen durchwegs , daß es uns im Laufe einer
hydrotherapeutischen Behandlung gelingt, pathologisch ge-
steigerten Blutdruck herabzusetzen und können diese Er-
scheinung wieder nur so erklären, daß wir Spasmen kleiner
Gefäße und Stasen gewisser Gefäß bezirke beheben und die
Bahn somit eröffnen, verbreitern. Ich sah wiederholt Blut-
drucksenkungen, welche schon nach mehrtägiger Kur auf-
traten, selbst 30— 40 mm (Gärtner: Tonometer) betrugen und
selbst nach Unterbrechung der Kur nach . vielen Wochen
unverändert auf dem niedrigen Niveau blieben. Damit gehen
Änderungen gewisser, äußerlich genau kontrollierbarer Zir-
kulationsstörungen Hand in Hand, sowie auch Änderung von
Erscheinungen (Neuralgien etc.), deren Ursache unserer An-
sicht nach in Zirkulationsstörungen zu suchen ist.
Die Rückwirkung dieser Verbesserung der Zirkulation
auf das Herz ist so ziemlich abschätzbar, und wenn Fälle
von Arteriosklerose existieren würden, in welchen nur die
Gefäße und nicht auch das Herz selbst (durch Sklerose der
Herzgefäße) erkrankt wäre, so gäbe es keine rationellere
Therapie dieser Krankheit als die Hydrotherapie. Indessen
müssen wir in der Praxis damit rechnen, daß in den Fällen,
die zu uns kommen, meist die Herzsklerose im Vorder-
gründe der Erscheinungen steht und wir es stets mit einem
mehr minder insuffizienten Herzen zu tun haben.
Die Hydrotherapie der allgemeinen Arteriosklerose
ist, so lange direkte Herzerscheinungen nicht dagegen
sprechen, weitaus nicht so eingeschränkt wie die der Klappen-
136 Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten.
fehler oder myokarditischen Veränderungen. Die Vorsicht
gebietet es allerdings, mit geringen Reizprozeduren (also mit
Teilabreibungen) zu beginnen; eine Steigerung der allge-
meinen Prozeduren bis zu ganz kräftigen Abreibungen,
Duschen ist meist nicht unmöglich. Eine allgemeine Regel ge-
bietet, bei Arteriosklerose vor jeder allgemeinen Prozedur
den Kopf energisch zu kühlen (auch Nacken und Brust)
und ihn mit einer nassen kalten Haube zu versehen. Es
geschieht dies mit Rücksicht auf eventuelle Hämorrhagien.
Laue und warme Prozeduren werden von Arteriosklerotikern
erstaunlich gut vertragen. Mit Vorliebe verwendeten wir
wechselwarme Duschen (erst 40° C. durch J/2 — 1 Minute,
dann 18° C. 10 Sekunden) und vielfach auch Dampfbäder.
Gewechselte kalte Umschläge auf den Kopf und auch Kühl-
schläuche um den Hals herum während des Dampfbades
halten wir für notwendig, dagegen geben wir den Kühl-
schlauch direkt auf das Herz aus Vorsicht nur dann, wenn
Anzeichen einer vorgeschrittenen Veränderung des Myokards
deutlich hervortreten. Die Herzbeschwerden von Arterio-
sklerotikern pflegen im Dampf kästen (Heißluftbad, Licht-
bad etc.) weniger häufig eine derartige Steigerung zu erfahren
wie bei Endo- und Myokarditis, ja sie verschwinden oft in
der Wärme. Wir führen das Dampfbad bis etwa 50 — 60° C.
anfangs 5—6, dann auch 10 — 15 und 20 Minuten hindurch
bis zur starken Schweißsekretion. Nach dem Dampf bade
folgt eine nicht zu brüske Abkühlung, also etwa Dusche
von 30° C. durch 1 Minute allmählich abgekühlt auf 20 bis
16° oder ein allmählich abgekühltes Halbbad von 32— 28— 25°Q.
Eine gewisse Ängstlichkeit in der Durchführung von
Schweißprozeduren können wir uns nicht abgewöhnen, trotz-
dem wir alltäglich sehen, daß alte Leute mit ausgesprochener
hochgradiger Arteriosklerose bis zu einer Stunde in Dampf-
stubenbädern verweilen und sich dabei sehr wohl fühlen,
ja sie reihen die genannte Prozedur als periodisch unerläß-
liche in ihre Lebensgewohnheiten ein.
Die ausgesprochene Koronarsklerose erfordert
selbstredend eine sehr vorsichtige Dosierung, resp. Einschrän-
kung der obigen Prozeduren. Die Schmerzen in der Herz-
Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten. 137
gegend und die ausstrahlenden Schmerzen sind fallweise
vom Herzen aus zu beruhigen. Es läßt sich im vorhinein
nicht recht bestimmen, ob Kälte oder Wärme lokal ap-
pliziert auf die Schmerzen besser wirkt; verschiedene
Kranke reagieren in dieser Hinsicht verschieden, doch kann
man soviel mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß bei aus-
gesprochenen krampfartigen Schmerzen, wie sie beim aus-
gebrochenen stenokardischen Anfall vorhanden sind, Wärme-
applikation auf das Herz bessere Dienste leistet. Es wurde
schon vorn erwähnt, daß starke Wärme- und Kältereize
von verschiedenen Stellen des Körpers ab und zu einen
Anfall coupieren können (besonders sehr heiße Handbäder,
auch heiße Waschungen der Nacken- und oberen Brust-
wirbelsäule); man soll bei jedem Anfalle derartige Versuche
machen.
An einem Tage, an welchem ein stenokardischer An-
fall dagewesen ist, müssen allgemeine kalte Prozeduren
unterlassen werden, sie können Wiederkehr der Krämpfe
provozieren.
Bei Herzneurosen spielt die Hydrotherapie eine sehr
bedeutende Rolle. Die nervösen Erscheinungen des Herzens
kennen wir in der Mehrheit der Fälle als Teilerscheinungen
allgemein nervöser Erkrankungen und wenn die Symptome
von Seiten des Herzens sich nicht in den Vordergrund
drängen, so bedürfen sie auch in der Hydrotherapie keiner
gesonderten Beachtung ; die Behandlung der nervösen Grund-
erkrankung wird in Bezug auf die Herzsymptome als kausale
Behandlung genügen.
Symptomatisch erfordert meist die Beschleunigung der
Herzaktion bei Nervösen ein direktes Eingreifen und da
hat uns die Erfahrung gelehrt, daß, falls man annehmen
kann, daß die Tachykardie auf rein nervöser Grundlage
beruht, Kälteapplikation auf den Nacken appliziert werden
soll: sie bringt das Herz oft mehr zur Ruhe als die Herz-
kühlung. Die Kühlung des Nackens ist ganz so durchzu-
führen, wie ich es für die Herzkühlung beschrieb, und man
läßt die Patienten in der Rückenlage 1 — 2mal täglich durch
je l/,- — 1 Stunde auf dem Schlauche liegen.
138 Die hydriatische Behandlung der Herzkrankheiten.
Die direkte Kühlung des Herzens ist darum auch nicht
überflüssig, ja sie wirkt oft auch sehr gut, bewirkt speziell
eine Besserung des subjektiv lästigen Klopfgefühls. —
Leitet uns bei Nackenkühlung die Vorstellung, daß die
Beruhigung der Innervation sstörung von der Medulla aus
erreicht wird, so dürfen wir auch nicht vergessen, daß der
gangliomuskuläre Apparat selbst an der Innervation einen
uns allerdings unbekannten Anteil nimmt und ihre direkte
Kühlung auch eine Änderung des Arbeitstypus bewirken kann.
Von allgemeinen Prozeduren ist die feuchte Einpackung
die souveräne , die nervöse Tachykardie beruhigende Pro-
zedur, und diese in Verbindung mit dem Nackenkühlschlauch
bilden die Schablone für die hydriatische Behandlung des
Morbus Basedowii und der paroxysmalen Tachykardie. —
Sonst ist gerade bei Nervösen die Auswahl der Prozeduren
eine recht freie, aber die Reaktion der Patienten , was die
Herzaktion betrifft, eine ganz ungleiche und bei einem und
demselben Patienten zu verschiedener Zeit auch eine diffe-
rente. — Bei sonst gesunden Leuten mit nervöser Tachy-
kardie kann man von kalten Duschen, Halb- und Tauch-
bädern, Abreibungen bis zu Dampfbädern mit nachfolgender
energischer Kühlung alles versuchen und muß durch Beob-
achtung während der Kur den Plan empirisch feststellen. —
Auch feuchte Einpackungen kann und soll man bei dauern-
der Tachykardie versuchen, doch gerade diese eminent herz-
beruhigende Prozedur versagt durch die psychische Erre-
gung (Angst), welche viele der nervösen Patienten in der
engen Umschnürung befällt. — Für solche Patienten eignet
sich die Buxbaumsche modifizierte Einpackung, d. i. die
Kombination einer Kreuzbinde (erregender Brustumschlag)
mit einer Dreiviertelpackung (bis zur Achselhöhle), so daß
die Arme frei sind , wodurch das Angstgefühl oft schon
derart beeinflußt wird, daß man die Prozedur überhaupt
durchführen kann.
Die allgemeine Einteilung der Prozeduren bei nervöser
Tachykardie wird sich nach der Form und Größe der Er-
regbarkeit richten. — Allgemein er ethische erfordern höhere
Temperaturen (Bäder von 32—28° C. , Duschen 30—25°),
Die liydriatische Behandlung der Herzkrankheiten. 139
deprimierte im allgemeinen niedrigere. — Die Franzosen
loben bei nervöser Tachykardie die Erfolge ihrer ,.Douche
ecossaise" , d. i. einer Wechsel warmen allgemeinen Douche
(warm bis 35 — 39° C. durch 2, selbst 3 Minuten, dann kalt.
8 — 10° C, durch wenige Sekunden, nachher fallweise Nach-
dunsten, d. i. eingewickelt */, — 1 Stunde liegen).
Von lokalen Prozeduren wenden wir vielfach als ab-
leitende Prozeduren kalte Fußbäder (fließend durch 1 bis
2 Minuten) und energische Strahlenduschen auf die Füße an.
Bradykardien kommen auf nervöser Grundlage wohl
selten vor und erfordern stets genaueste Beobachtung wäh-
rend der dem allgemeinen nervösen Zustand angepaßten
Prozeduren. — Wie vorn erwähnt, sahen wir ab und zu
unter Herzkühlung auch eine leichte Beschleunigung der
verlangsamten Herzaktion.
Arhythmien bei Masturban ten etc. oder sonst mit
Tachykardie gemeinsam vorkommend, erheischen keine andere
Behandlung als die Tachykardie selbst.
Pseudoangina pectoris wird hydrotherapeutisch
genau so behandelt wie eine echte ; auch diese erfordert oft
Hitzeapplikation auf das Herz, doch nicht so ausgesprochen
wie die echte ; zumindest ebenso häufig hilft auch Kälte?
und in der anfallsfreien Zeit ist man durchaus nicht be-
müssigt, so ängstlich die Reiz- und Belastungsschwelle zu
beachten wie bei echter Angina pectoris. — Die anzuwen-
denden Prozeduren (Halbbäder, Einpackungen , Duschen)
richten sich mehr nach der Art der übrigen nervösen Er-
scheinungen und lassen sich meist erst im Verlaufe der Kur
genau präzisieren.
Der Wert der Hydrotherapie bei Herzneurosen ist also
ein sehr bedeutender und, wenn auch die Annahme berechtigt
ist, daß die Prozeduren direkt eine Umstimmung der Inner-
vation bewirken , darf man sich nicht verhehlen , daß be-
sonders bei neurasthenisch-hysterischen Patienten ein Teil
der Wirkung ein suggestiver ist.
140 Praxis der Hydrotherapie.
Praxis der Hydrotherapie.
Abreibung. (Erregende Prozedur.)
Ein 21/2 — 3 m langes und l1/^ — 2 m breites Leintuch wird
längs des längeren Randes gefaltet, in Wasser von vorgeschriebener
Temperatur getaucht, mehr weniger ausgepreßt und in folgender
Weise um den Patienten gelegt: Der Diener spannt ein zirka 1 m
langes Stück vom gefalteten Rande, tritt an den aufrecht stehenden
Patienten von vorn heran , wäscht ihm Gesicht und Brust, preßt
den Zipfel des Tuches in die rechte Achselhöhle des Patienten,
führt das Tuch quer über Brust und Bauch, durch die linke Achsel-
höhle, schräg über den Rücken an die rechte Schulter, von da
über die linke Schulter und stopft den Endzipfel am Halse fest.
Das herabhängende Leintuch wird zwischen die fest aneinander
gepreßten Beine gestopft. Hierauf beginnt das Abreiben mit langen
Strichen der flachen Hand. — Die Dauer des Abreibens richtet
sich nach der Zeit, in welcher der Patient warm, wird (1/2 — 2 bis
3 — 4 Minuten Reaktionskapazität). Kälteempfindliche Patienten kann
man bei der Abreibung bis zu den Knöcheln in heißem Wasser
stehen lassen oder ihnen die Füße mit heißen Tüchern bedecken
(Wintemitz). Nach der Abreibung wird der Patient trockengerieben
oder wenig abgetrocknet ins Bett gebracht und sorgfältig zugedeckt
(Nachdunsten). — Man beginnt mit Wasser von 20° und senkt die
Temperatur je nach der Reaktion und Individualität des Kranken
bis auf 12—10°.
Die partielle Abreibung oder Teilwaschung wird so
ausgeführt, daß man die Extremitäten aus guter Bedeckung einzeln
hervorholt, mit nassem Tuche bedeckt, abreibt (auf dem gespannten
feuchten Tuche wird gerieben), abtrocknet und wieder sorgfältig
bedeckt; ebenso wird der Stamm vorn und hinten gesondert abge-
rieben, ohne daß die übrigen Teile abgedeckt werden.
Die Teilwaschung wird als orientierende Prozedur ver-
wendet, um die individuelle Reaktion des Patienten kennen zu lernen;
werden die partiell abgeriebenen Extremitäten rot und warm, dann
schätzen wir die Reaktion hoch, bleiben sie trotz energischen Reibens
kalt, dann liegt eine Kontraindikation für größere Prozeduren vor.
Bäder.
1. Hochbad. Patient ist bis über die Schultern in Wasser
getaucht; Temperatur 32 — 38° C. Patient frottiert sich leise oder
wird leicht gerieben. Dauer 5 — 25 Minuten (Beruhigungsmittel).
2. Tauchbad. Das Wasser reicht bis zur Hälfte der Wanne,
22 — 15° C, 1 — 2 Minuten; Patient muß sich energisch bewegen
und frottieren. (Erregendes Mittel.)
Praxis der Hydrotherapie. 141
3. Halbbad (abgeschrecktes Bad von Prießnitz). Patient
steigt (oder wird gehoben) mit gekühltem Kopfe und benetzter
Brust in die Wanne — Wasser 20 — 30 cm hoch — , taucht tief bis
über die Schultern in das Wasser, nimmt dann eine sitzende Stellung
ein und wird mittelst eines mit einem Griffe versehenen Gefäßes
vom Badediener fleißig (J/2 — 1 Minute lang) begossen. Dann lehnt
er sich zurück und wird an Extremitäten, Brust und Bauch fleißig
durchfrottiert. Hierauf abermals 1 Minute lang Begießungen von
vorn und Patient steigt, nachdem er sich durch kurze Zeit in der
Wanne herumgeschaukelt, heraus. Die ganze Prozedur dauert 3 bis
4 Minuten ; Patient darf, abgesehen vom ersten Momente, nicht frösteln.
Kräftige Leute vertragen längere, kräftigere Bäder, schwache,
anämische Patienten nur kürzere, mit starkem Frottieren kombiniert.
Nach dem Bade wird Patient kräftig trocken gerieben und soll
womöglich im Freien Muskelbewegung ausführen. — Die erregende,
respektive beruhigende Wirkung eines Halbbades kann kombiniert
werden durch Änderungen der Temperatur (des Wassers), der Dauer
des Bades und der beigegebenen mechanischen Manipulation; niedrig
temperierte kürzere Bäder mit starken mechanischen Reizen wirken
mehr erregend, höher temperirte längere, mit geringeren mechani-
schen Reizen erregen weniger, respektive beruhigen. Gebräuchliche
Temperaturen 33—20°; Dauer 2 — 10 Minuten.
Teilbäder. Diese Gruppe umfaßt das Hinterhauptbad,
das Ellenbogenbad, Hand- und Fußbad und endlich das Sitz-
bad. Beim Hinterhauptbad taucht der Kopf des horizontal liegenden
Patienten in ein rasierbeckenartiges Gefäß, in welchem kontinuierlich
naturkaltes Wasser zu- und abfließt. Dauer 5 — 10 Minuten. Eine Ver-
einfachung der Methode besteht in der einfachen Kühlung des Hinter-
hauptes durch einen Schlauchapparat. — Die übrigen Prozeduren
sind so bekannt, daß ihre nähere Ausführung unterbleiben kann.
Dampf kastenbad.
Patient sitzt (mit Ausschluß des Kopfes) in einem Kasten,
während der Dampf von einem außerhalb des Kastens befindlichen
dampferzeugenden Apparate in den Kasten einströmt oder im Innern
des Kastens erzeugt wird.
• Dampfwannenbad. (Improvisiertes Dampfbad.)
Man setzt auf den Boden einer großen Wanne einen auf
zirka 10 cm hohen Füßen ruhenden Holzrahmen, der mit querlaufenden
Gurten überspannt ist. Patient liegt auf diesem Gestell (halbsitzend),
an eine gleichbeschaffene Rückenlehne angelehnt. Auf den Boden
142 Praxis der Hydrotherapie.
der Wanne führt ein Schlauch (eventuell aus einem Kübel mit
heißem Wasser), durch welchen heißes Wasser auf den Wannenboden
fließt. Das heiße Wasser gibt seinen Dampf ab; das Entweichen
des Dampfes wird durch eine über die ganze Wanne gebreitete
Wolldecke verhindert. Da der Patient liegt, kann ihm gleichzeitig
mit dem Dampfbade ein Herzschlauch appliziert werden. Der Kopf
bleibt frei. — Man kann ein solches Dampfbad auch als Teildampfbad
einrichten (z. B. für die untere Körperhälfte).
Duschen.
1. Vertikale Regendusche. Das Wasser trifft, durch
Brauseköpfe geteilt, den ganzen Körper.
2. Fächerdusche, mit welcher einzelne Körperteile getroffen
oder der ganze Körper bestrichen werden kann.
3. Aufsteigende Brause. Der Regendusche analoge, von
unten nach aufwärts gerichtete Dusche.
Schottische Dusche. Wechselwarme Dusche.
Einpackung.
1. Feuchte Einpackung: Eine 21/2m breite und zirka
2 — 3 m lange wollene Decke (Badekotzen) wird auf ein großes Ruhe-
bett gelegt, darauf kommt ein in kaltes Wasser getauchtes, ziemlich
stark ausgerungenes Leintuch. Patient legt sich nach vorheriger
Abkühlung des Kopfes hinein. Das Leintuch muß überall glatt
anliegen, unter die Arme und zwischen die Beine wird es gestopft,
damit nirgends Haut an Haut liege. Nun wird die Wolldecke umge-
schlagen und dafür gesorgt, daß um Hals und Schulter durch
Faltenbildung ein fester Anschluß entstehe ; über den Kotzen kommen
1 — 2 Decken. In einer halben Stunde besteht zumeist ein gutes
Wärmegefühl. Dauert die Einpackung über 1 Stunde, dann kommt
es langsam zu Schweißausbruch. Will man die Hautgefäße toni-
sieren, dann muß man der Einpackung kühlende Prozeduren folgen
lassen. Dreiviertel- oder Halbpackungen werden in ähnlicher
Weise appliziert. — Eine Modifikation der Einpackung hat
Buxbaum angegeben. Er legt dem Patienten eine mit Flanell oder
wollenem Tuche gut bedeckte Kreuzbinde an und darüber eine bis
zur Achselhöhle reichende Dreiviertelpackung. Der Patient ist nahezu
vollständig eingepackt, hat aber die freie Beweglichkeit der Arme,
was zu seiner Beruhigung wesentlich beizutragen pflegt. Außerdem
ist es bei dieser Art der Einpackung möglich, den Kühlapparat
aufs Herz anzulegen , wodurch die Möglichkeit gegeben ist , die
Einpackung auch bei gesunkener Herzkraft anzuwenden.
Praxis der Hydrotherapie. 14o
2. Trockene Einpack ung. (Direkte Schweißprozedur.)
Genau so auszuführen wie die feuchte Einpackung, jedoch mit tro-
ckenem Leintuch oder ganz ohne dieses, nur mit Kotzen. Der Eintritt
des Schweißes ist individuell verschieden. Um den Schweißausbruch
zu beschleunigen, wird ein warmes Bad vorausgeschickt oder man
läßt in warmer Kleidung starke Muskelaktion ausführen und legt
den schwitzenden Patienten in die trockene Einpackung ; der Schweiß
setzt sich fast unmittelbar fort und kann durch Trinken von 1 bis
2 Glas Wasser gesteigert und ausgedehnt werden. Die trockene
Einpackung wird mit einer abkühlenden , erregenden Prozedur
beendet.
Heißluftbehandlung.
Dieselbe wird in abgeschlossenen Kästen aus schlecht leitendem
Materiale appliziert. Für Herzkranke kommen wohl nur die Apparate
für Körperteile in Betracht. (Ableitende Maßnahme = Herzschonung?)
Die Luft wird in recht einfacher Weise mittelst eines Spiritus- oder
Gasbrenners erwärmt und durch ein Rohr (Schornsteiu) zugeleitet;
trockene Luft wird in viel höheren Hitzegraden vertragen als feuchte.
Damit die erhitzte Luft die Haut des Patienten nicht direkt treffe,
wird sie zunächst an die Decke des Kastens abgelenkt und muß
sich von da aus erst allmählich nach abwärts ausbreiten. Thermo-
meter zeigen die Temperatur an, die in dem Heißluftkasten besteht.
Herzschlauch.
Rund angeordnete, dünne Gummischläuche mit Zu- und Ab-
flußrohr. Sie werden nicht direkt auf die Haut gelegt ; zwischen
Haut und Schlauch kommt eine dünne, feuchte Leinwandlage ; der
Schlauch selbst wird mit trockenem Tuche bedeckt.
Umschläge.
Umschläge bestehen aus mehrfachen Lagen von zusammen-
gelegter Leinwand, Rohseide etc., die in entsprechend temperiertes
Wasser getaucht und mehr oder minder ausgerungen auf den Körper
gelegt werden.
1. Kalte Umschläge. (Statt derselben eventuell Schlauch-
apparate mit zirkulierendem Wasser in der gewünschten Temperatur.)
2. Warme Umschläge, trocken oder mit Leinen oder Flanell
bedeckt. Nimmt man zur Bedeckung impermeable Stoffe, dann wird
die Wasserabdunstung gehemmt und die Reizwirkung erhöht.
144 Praxis der Hydrotherapie.
3. Erregende Umschläge. Der Umschlag wird erneuert,
wenn er trocken geworden ist. (Die bedeckte Hautpartie weist
nach dem primären Kältereiz einen Reaktionszustand auf.)
Kreuzbinde. Erforderlich sind zwei Binden von 2 — 21/2m
Länge und 30 — 40 cm Breite. Man taucht die eine Binde in kaltes
Wasser, ringt sie kräftig aus und legt sie in folgender Weise an :
Von der rechten Achselhöhle beginnend über die vordere Brust-
fläche zur linken Schulter und schräg über den Rücken zum Aus-
gangspunkte zurück, von hier quer über die Brust zur linken Achsel-
höhle und von da wieder quer über den Rücken zur rechten Schulter-
höhe; über den noch unbedeckten Teil der vorderen Brustfläche
läßt man sie auslaufen. Die zweite trockene Binde wird in gleicher
Weise angelegt und durch kleine an ihr Ende angenähte Bändchen
über der Brust befestigt.
Es ist eine allgemeine Gepflogenheit, vor jeder kühlen Pro-
zedur, welche den ganzen Körper oder nur einen Teil desselben trifft,
den Kopf des Badenden durch Waschen mit kaltem Wasser abzukühlen
und mit einem kühlen Umschlag zu versehen. Man vermeidet dadurch
eine plötzliche Blutüberfüllung von direkt oder reflektorisch be-
troffenen Gefäßgebieten (Splanchnikusgefäße, Hirngefäße), die Win-
ternitz als Rückstau ungskongestion bezeichnet. — Der Kopf-
umschlag oder die Kopfwaschung kann unter Umständen auch
durch eine Kühlkrawatte (kalter Umschlag um den Hals) ersetzt
werden.
Bei Hitzeeinwirkung auf den Körper (Schwitzprozeduren) ist
die Kopfkühlung gleichfalls unerläßlich, eventuell durch zirkuläre
Kühlung des Halses zu ersetzen, respektive zu unterstützen.
Die mechanische Behandlung der Herzkrankheiten.
Von Dr. Anton ßum in Wien.
Von den therapeutischen Behelfen, die wir gegen die
Erkrankungen und funktionellen Störungen des Herzens in
Anwendung bringen, vereint vielleicht keiner die beiden in
der Einleitung zu vorliegendem Werke mit riecht hervor-
gehobenen Indikationen der Schonung und der Übung des
Herzens in solchem Maße, wie die Mechanotherapie. Daß
ihre klinische Anwendung so lange vernachlässigt worden
ist, daß die Schule auch heute noch der mechanischen Be-
handlung der Kreislaufstörungen recht skeptisch gegenüber-
steht, daß endlich die Zahl der Mißerfolge bei dilettantischer
Anwendung der Methode eine relativ große ist, dafür ist
der Grund in der Schwierigkeit ihrer Technik, beziehungs-
weise der Auswahl der Handgriffe und Bewegungen zu
suchen , von welchen einzelne der Kräftigung des Herzens
durch sorgfältig sich einschleichende Mehrarbeit und ma-
nuelle Beeinflussung des Herzmuskels, andere der Entlastung
des Herzens durch Erleichterung eines Teiles seiner physio-
logischen Arbeit auf mechanischem Wege dienen. Wenn
irgendwo, so ist gerade bei der mechanischen Behandlung
der Herzkrankheiten strengste Individualisierung und sorg-
fältigste Vermeidung schematisierenden Vorgehens dringend
geboten. Eingehendes Studium des Einzelfalles, genaue
Kenntnis der physiologischen Wirkung unserer Eingriffe
und volle Beherrschung der Technik der letzteren sind die
Bedingungen einer günstigen Beeinflussung der Herzarbeit
durch mechanische Therapie.
Braun, Therapie der Herzkrankheiten. 10
146 Die mechanische Behandlung der Herzkrankheiten.
Die Besprechung der physiologischen Wirkung
mechanischer Eingriffe auf Herzmuskel und Kreislauf fordert
strenge Sonderung der aktiven und der passiven Manipula-
tionen. Zu ersteren zählen wir die vom Kranken allein oder
unter Widerstand auszuführenden Bewegungen, zu letzteren
die vom Arzte am passiven Kranken vorzunehmenden Mani-
pulationen. Bei den aktiven Bewegungen unterscheiden
wir wiederum die reine Aktivbewegung (z. B. Vorderarm-
beugen) von der sie erleichternden Schwung- oder Förderungs-
bewegung (z. B. Armbeugen und -Strecken an einem Pendel-
oder Schwungapparate) und von der sie erschwerenden
Widerstandsbewegung (z. B. Armbeugen unter nachgiebigem
Widerstand des Arztes, am Widerstandsapparate). Hieher
gehören auch die sogenannten „ Selbsthemmungsbewegungen u.
Die zweite große Gruppe mechanischer Manipulationen um-
faßt die vom Arzte am vollständig passiven Kranken aus-
geführten Gelenkbewegungen (Beugung, Streckung, Ab- und
Adduktion, Pro- und Supination, Rollung), sowie jene zu-
mal in Erschütterung, Klopfung, Streichung und Knetung
bestehenden Eingriffe, welche die Massage konstituieren.
Daß die aktiven Bewegungen einen sehr bemerkens-
werten Einfluß auf die Herztätigkeit ausüben, wurde in
diesem Buche wiederholt und nachdrücklich betont. Derselbe
ist uns so bekannt, daß er weitgehende diagnostische Verwer-
tung findet bei Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Herzens
(s. pag. 28).
Alle Beobachter (mit alleiniger Ausnahme G. Zanders
und Nebels) konstatieren Blutdrucksteigerung während der
Muskelarbeit, welche ja stets mit Herzarbeit einhergeht.
Auch Hasebroek beobachtete konform den einwandfreien
Untersuchungen von Grebner und Grünbaum Blutdruckstei-
gerung während und unmittelbar nach der Arbeit, gleich-
zeitig aber sphygmographische Entspannungszeichen an der
Radialis : Koinzidenz verstärkter Herzarbeit mit Erweiterung
der peripheren Gefäße. Die Muskelarbeit ist daher in erster
Reihe als herz übendes Agens anzusehen. Muskelübung
ist Herzübung. Gleichzeitig aber verhütet die Entspannung
im großen Kreislaufe eine etwaige andauernde Vermehrung
Die mechanische Behandlung der Herzkrankheiten. 147
der Widerstände, die sich der Herzarbeit entgegensetzen.
Der Mechanismus dieser Entspannung in der Peripherie ist
strittig. Während ein Teil der Untersucher geneigt ist, eine
Verbreiterung der Blutbahnen aus der Tatsache stärkerer
Durchblutung arbeitender Muskeln zu deduzieren, in welchen
der Blutstrom während ihrer Arbeit eine Erleichterung
erfährt (Zuntz), ziehen andere für die Erklärung der ge-
nannten Erscheinung den Einfluß des Tiefatmens, zumal der
vermehrten Zwerchfellsexkursion während der Muskelarbeit
auf das Splanchnikusgebiet, heran. — Wir werden auf den
Wert vertiefter Respiration für die Verbesserung der Kreis-
lauf sverhältnisse noch zurückkommen. — Außer Zweifel
steht die Tatsache, daß wir in der Muskelarbeit ein die
Herzaktion stimulierendes Mittel besitzen, das vor anderen,
den Blutdruck steigernden Agentien den Vorteil besitzt,
Faktoren zu enthalten, welche die Herzarbeit zu erleichtern
vermögen. Methodische Muskelarbeit veranlaßt das
Herz zu erhöhter Arbeit unter günstigen Bedin-
gungen. Die Möglichkeit, diese Arbeit auf das Genaueste
zu dosieren, erhöht den therapeutischen Wert aktiver, vor
allem der die sogenannte „schwedische Heilgymnastik"
charakterisierenden Widerstandsbewegungen. Minder wirk-
sam sind naturgemäß die einfach aktiven Bewegungen (Frei-
übungen des deutschen Turnens) und die sogenannten Förde-
rungs- und Schwungbewegungen, wrelche bereits den Übergang
zu den rein passiven Bewegungen (s. unten) bilden.
Die von den Brüdern Schott in die Therapie einge-
führten Bewegungen unter gleichzeitiger Anspannung der
Antagonisten (Selbsthemmung) sollen die Vorteile der
aktiven und passiven Bewegungen vereinigen.
Wenn nach dem Gesagten die aktiven und unter
diesen die Widerstandsbewegungen als herzübende Ein-
griffe anzusehen sind, dienen die passiven Bewegungen
sowie jene Manipulationen, welche wir an den Extremitäten
in Form von Massage vornehmen, den Zwecken der Herz-
schonung durch Beförderung des Rückflusses des venösen
Blutes und der Lymphe. Passive Gelenkbewegungen be-
günstigen den Abfluß des Venenblutes und der Lymphe
10*
148 Die mechanische Behandlung der Herzkrankheiten.
(Lassar) und bedingen wechselnde Spannung und Entspan-
nung der Faszien, durch welche die an die letzteren befestigten
großen Venenstämme erweitert werden und Blut ansaugen,
das infolge der Venenklappen nicht peripherwärts zurück-
strömen kann {Bräune's „Fasziensaugapparate"). Hierüber
wurde in der Einleitung zu diesem Buche (s. pag. 9 u. 10)
bereits gesprochen. Der Mechanotherapeut wird bei An-
wendung dieser Bewegungen auch auf die Stellung der
Extremitäten zum Rumpfe achten . da er weiß , daß z. B.
Erheben der oberen Extremitäten den Abfluß des venösen
Blutes aus denselben erleichtert.
Eine weitere, die Saugkraft des Herzens unterstützende
Manipulation muß in zentripetalen Streichungen der Extre-
mitäten (Massage) erblickt werden. Methodische Streichungen,
bei welchen ein mäßiger Druck auf die Gegend des Ver-
laufes der großen Gefäße ausgeübt wird (die Arterien wände
bieten einer etwaigen mechanischen Beeinflussung genügenden
Widerstand), beschleunigen den venösen Blut- und Lymph-
strom, dessen Rückströmung die Klappen der Venen und
Lymphgefäße verhüten.
Dazu kommt die von uns bereits gestreifte Wirkung
gesteigerter Respiration, die wahrend und unmittelbar
nach Muskelarbeit reflektorisch — dem durch Vermehrung
der Sauerstoffabgabe erhöhten Sauerstoffbedürfnisse des
Organismus entsprechend — erfolgt. Die tiefe Inspiration
bedingt vermehrten Blutzufluß zum Herzen, die Exspiration
Entleerung desselben ; das Herabrücken des Zwerchfelles
einerseits Druckvermehrung in der Bauchhöhle , anderer-
seits Druckverminderung in der Brusthöhle , mithin gün-
stige Bedingungen für den Abfluß des venösen Blutes in
das Herz.
Wir stehen daher durchaus auf realem, physiologischem
Boden , wenn wir die passiven Gelenkbewegungen und die
Handgriffe der Massage ebenso als die Zirkulation , die
Strömungsgeschwindigkeit des Blutes, begünstigende Mo-
mente erklären, wie die die aktive Bewegung begleitende
Entspannung der peripheren Arterien und die durch die
Die mechanische Behandlung der Herzkrankheiten. 14<)
Begleiterin jeder Bewegung, die vertiefte Respiration, be-
günstigte Ansaugung des venösen Blutes. Die bei richtig
gestellter Indikation und korrekter Technik stets eintretende
subjektive Euphorie nach mechanischer Behandlung, bei
welcher sicherlich auch die Herz und Athmung stimulierende
Wirkung der im Blute zirkulierenden Stoffwechselprodukte
des arbeitenden Muskels (Zuntz) eine Rolle spielt, ist ledig-
lich eine Bestätigung dieser theoretischen Anschauungen.
Damit ist aber der Effekt äußerer mechanischer Einflüsse
auf das Herz nicht erschöpft.
Die Massage verfügt über Eingriffe, welche eine
direkte Wirkung auf den Herzmuskel selbst zu besitzen
scheinen. Erschütterungen jenes Teiles des Thorax, welchem
das Herz während der Systole und Diastole anliegt (L. Braun),
erhöhen den Tonus des Herzmuskels. Wir kennen die AVirkung
der Klopfung und anderer erschütternder Manipulationen
der Skelettmuskulatur sehr genau und wissen , daß durch
diese passiven Eingriffe die Muskelfasern zur reflektorischen
Kontraktion gezwungen und durch häufige Wiederholung
dieses mechanischen Reizes gekräftigt werden. Wenn wir die
Herzgegend erschüttern — etwa in Form der Klopfung,
wie sie bei der diagnostischen Perkussion geübt wird — ,
so reagiert das Herz, dessen Reaktionsfähigkeit nicht voll-
ständig geschwunden ist (vgl. pag. 32), durch Erhöhung seines
Tonus, die sich als prompte Verkleinerung der Herzdämpfung
nachweisen läßt (M. Heitier). Diese Erscheinung erfolgt mit
solcher Regelmäßigkeit, daß sie diagnostische Verwertung
findet. Sie geht mit Pulsverlangsamung und Pulskräftigung
einher, welche auch die schon von den alten schwedischen
Gymnasten vielgeübte „Rückenhackung,\ also Erschütterung
der rückwärtigen Thoraxfläche, begleiten. Es dürfte hier
reflektorische Erregung eine Rolle spielen.
Fassen wir die uns bisher bekannten Einflüsse mecha-
nischer Eingriffe auf das Herz und den Kreislauf zusammen
und .versuchen wir eine Gruppierung dieser Effekte im Sinne
übender und schonender Manipulationen , so ergibt sich
folgendes Schema :
150 I)le mechanische Behandlung der Herzkrankheiten.
Herzübung: Herzschonung:
Aktive, zumal Widerstands- Passive Bewegungen.
bewegungen. Extremitätsmassage,
Erschütterungen der Herz- Tiefatmen.
gegend (Herzmassage) und
Rückenhackung.
Aus dem im Vorstehenden Ausgeführten geht für die
praktische Anwendung der Mechanotherapie bei Herzkranken
zunächst hervor , daß diese Methode lediglich einen , und
zwar nicht unwesentlichen, Teil der allgemeinen hygie-
nisch-diätetischen Therapie der Herzkrankheiten dar-
stellt und demgemäß auch in der Prophylaxe der Kreis-
laufstörungen eine bemerkenswerte Rolle spielt. Als spe-
zielles Therapeutikum ist sie hier ebensowenig zu betrachten
wie die Freiluftbehandlung der Phthise. Ihre Wirkung ist
die funktionelle Beeinflussung des Herzens, und zwar,
der Indikation entsprechend, bald im Sinne der Übung, bald
in ienem der Schonung:.
Die nachfolgenden Paradigmen sollen dem Leser
vielleicht nicht unwillkommene Winke bezüglich der Technik
und der Dosierung der mechanischen Behandlungsmethoden
bei verschiedenen Indikationen bieten.
1. Akute Herzinsuffizienz
(Endokarditis, akute Myokarditis, Perikarditis nach Überanstrengung).
Zunächst schonende Methoden : Patient in Bett-
lage. (Zwei Wochen fieberfrei ; das Herz auf Beklopfung
prompt reagierend.) Passive Bewegungen der Extremitäten,
Rollungen der Arme und Beine, zentripetale Streichung der-
selben, in den Pausen methodisches Tiefatmen. Täglich ein-
bis zweimalige Sitzungen von je 25 — 30 Minuten Dauer.
Nach etwa 4 bis 5 Tagen leicht einschleichende übende Be-
handlung. Zwischen die passiven Bewegungen werden einzelne
Die mechanische Behandlung der Herzkrankheiten. 151
aktive Bewegungen eingeschoben, z. B. nach passiver Ab-
duktion einer Extremität aktive Adduktion , bald unter
leichtem, nachgiebigem Widerstände bei sorgfältiger Be-
achtung regelmäßiger tiefer In- und Exspiration. Man be-
ginne sowohl bei den passiven als bei den aktiven und
Widerstandsbewegungen zunächst mit Bewegungen der
peripheren Gelenke und schreite von Sitzung zu Sitzung
allmählich zu zentraleren Gelenken fort: Hand, Fuß; Vor-
derarm. Unterschenkel; Oberarm , Oberschenkel. Rumpf-
bewegungen sind hier ausgeschlossen (s. u.). Gleichzeitig Herz-
massage am liegenden, später am sitzenden Kranken. All-
mähliche vollständige Verdrängung der schonenden durch die
übende Behandlung (s. sub 2).
2. Chronische Herzinsuffizienz
(„Fettherz", Herzmuskelerkrankungen, Arteriosklerotische Insuffizienz des
Herzens, Concretio pericardii, Klappenfehler).
Mechanische Therapie, nur bei noch vorhandener
Reaktionsfähigkeit des Herzens angezeigt, besteht hier in
erster Reihe aus herz übenden Manipulationen: Herz-
massage, Rückenhackung , Widerstandsbewegungen mit an-
fangs sehr geringen , gradatim gesteigerten Widerständen.
Diese Steigerung betrifft sowohl die Größe des Widerstandes
wie die Zahl der 5 — 20mal im Tempo der Respiration vor-
zunehmenden Bewegungen. Auch hier ist stufenweise von
den peripheren zu den zentralen Gelenken überzugehen.
Rumpfbewegungen sind mit besonderer Vorsicht (Gefahr
plötzlicher Blutdrucksteigerung, raschen Abflusses des venösen
Blutes in das Herz) vorzunehmen, und zwar zunächst seit-
liche, dann rollende, kreisende Bewegungen des Rumpfes,
während Rumpf beugun gen nach vorn und rückwärts besser
vermieden werden.
Die Widerstandsbewegungen müssen mit einem sehr
geübten, die eigene Muskulatur voll beherrschenden Gym-
nasten ausgeführt werden. Vorteilhafter ist die Benützung
guter Widerstandsapparate unter sorgfältiger Aufsicht eines
sachverständigen Arztes. Die von G. Zander und M. Herz kon-
152 ®ie mechanische Behandlung der Herzkrankheiten.
s tririerten Apparate, unter welchen sich auch Förder ungs-,
passive und Massagemanipulationen imitierende (aber nicht
ersetzende) Maschinen befinden, leisten hier treffliche Dienste.
Zumal die Widerstandsapparate von Herz, deren Konstruktion
Zugschwankungen konform der physiologischen An- und
Abschwellung der Muskelarbeit während der Bewegung ge-
stattet, erfüllen alle Forderungen, welche an eine korrekte
Gymnastik gestellt werden können.
Die gymnastischen Sitzungen sollen in den späteren
Vormittags- oder Nachmittagsstunden, nicht früher als etwa
2 — 3 Stunden nach einer Mahlzeit, bei die Respiration nicht
beengender, leichter Kleidung des Kranken (Korsetts, Hals-
krägen etc. ablegen!), in hellen, gut ventilierten, staub-
freien, nicht zu warm gehaltenen (12 — 13° R.), geräumigen,
hohen Sälen (im Sommer womöglich in hallenartigen
Räumen, deren eine Seite große Öffnungen ins Freie besitzt)
oder in Sälen mit weit geöffneten Fenstern täglich durch
15 — 60 Minuten vorgenommen werden. Das „gymnastische
Rezept*' ist so zusammenzustellen, daß es 3 — 4 Gruppen
von je 3 Bewegungen enthalte, von welchen je eine eine pas-
sive, Förderungs- und Widerstandsbewegung und je eine
Bewegung für die oberen , unteren Extremitäten und den
Rumpf (s. oben) sei. Eine oder die andere passive Bewegung
kann durch eine maschinelle Massageapplikation (Herzer-
schütterung, Rückenhackung etc.) ersetzt werden, wenn
man nicht, wie dringend zu empfehlen, der manuellen Mas-
sage den Vorzug gibt. Nach jeder Gruppe ist eine Pause
von etwa 5 Minuten Dauer einzuschieben, während welcher
Patient ruht.
Der sofortige Effekt einer gymnastischen Sitzung ist
Euphorie des Kranken. Erfolgt diese nicht trotz Modi-
fikation der Übungen, ihrer Widerstände und Frequenz, trotz
eventueller Änderung der Übungszeit und Dauer, so ist die
Behandlung bald zu sistieren. Deutliches Erbleichen und Er-
röten des Gesichtes, die Angabe des Kranken, Schwindel
zu empfinden, lebhaftere Bewegungen der Nasenflügel,
Atmen mit offenem Munde oder gar deutlichere Zeichen
von Dyspnoe sind Fingerzeige für ungeeignete Wahl der
Die mechanische Behandlung der Herzkrankheiten. 153
Übungen, beziehungsweise der für dieselben angegebenen
qualitativen und quantitativen Potenzen.
Dieselbe Technik mit minder strengen Kautelen wie
manifeste chronische Herzinsuffizienz erheischt die pro-
phylaktische Mechanotherapie , die ihre Anzeigen bei
muskel schwachen, fettleibigen Kindern und Erwachsenen,
ferner bei Kindern aus Familien findet, in welchen Herz-
krankheiten oder Fettsucht erblich sind.
Die von anderen Autoren beliebte Anweisung spezieller
Übungen und Bewegungen für die einzelnen Erkrankungen
des Herzens, Vorschriften, die für Klappenveränderungen
der verschiedenen Ostien Variationen erfahren , halten wir
für durchaus gesucht und unwissenschaftlich. Nichts be-
rechtigt uns,, für die Mechanotherapie der Herz-
krankheiten eine andere Stellung zu arrogieren,
als die eines Teiles der Allgemeintherapie dieser
Krankheiten. Hier leistet sie in Form teils schonender,
teils übender funktioneller Beeinflussung des Herzens bei
sorgfältiger Indikationsstellung und voller Beherrschung der
Technik Vorzügliches.
Zum Schlüsse seien die wichtigsten Gegenanzeigen
mechanischer Behandlung von Herzkrankheiten hervorge-
hoben. Dieselbe erscheint kontraindiziert im Senium mit
Rücksicht auf die Gefahr häufiger Blutdrucksteigerung, bei
Mitralstenosen wegen der drohenden Embolien und wegen
Störung der Kompensation durch Verlangsamung der Herz-
aktion; aussichtslos ist diese Behandlung auch, wenn
die Strukturerkrankung des Herzens einen so hohen Grad
erreicht hat, daß an eine Erholung nicht zu denken ist.
Hieher gehören ferner Herzkranke, deren Beruf schwere
Körperarbeit erfordert und welche eine sehr kräftige
Skelettmuskulatur aufweisen (Bomberg), ferner Fälle von
syphilitischer Endarteriitis und hochgradiger Atheromatose.
Endlich gibt es Fälle, die trotz sorgfältigster Technik
refraktär bleiben ; hier ist baldige Sistierung der mechani-
schen Behandlung geboten.
154 Die mechanische Behandlung der Herzkrankheiten.
Anhangsweise noch einige Worte über den Wert der
sogenannten ,. Sportbewegungen" in der Prophylaxe und
Therapie der Herzkrankheiten: Bekanntlich bildete metho-
disches Bergsteigen das Wesen der nunmehr rasch in Ver-
gessenheit geratenden Oertehchen „Terrainkuren". Un-
zweifelhaft stellt das Gehen auf schiefer Ebene eine
Widerstandsbewegung dar, gleich dem Schwimmen gegen
den Strom zum Unterschiede von dem als Übergang von
einer Förderungs- zu einer aktiven Bewegung zu betrachten-
den Gehen in der Ebene oder Schwimmen mit dem Strome,
beziehungsweise in strömungsfreiem Wasser. Von einem
Therapeutikum aber müssen wir neben Vermeidung der
Einseitigkeit zunächst die Möglichkeit sorgfältigster Dosie-
rung, des weiteren strengster Überwachung verlangen.
Beides trifft hier ebensowenig zu, wie beim Radfahren Herz-
kranker, das jüngst empfohlen wurde. In der Prophylaxe
der Herzkrankheiten (s. oben) mögen auch Sportbewegungen
bei entsprechender Kontrolle durch vernünftige Erwachsene
(Eltern, Erzieher) Anwendung finden; in der Therapie
finden sie keinen Raum. Ob sie nach Überwindung eines
Anfalles von Herzinsuffizienz anzuwenden sind, darüber kann
nur der erfahrene Arzt im Einzelfalle und unter sorg-
fältiger Berücksichtigung des Individuums (auch seines
Charakters) entscheiden. Direkte Empfehlung aber verdienen
mit der nötigen Vorsicht auszuübende Sportbewegungen
(Bergsteigen, Schwimmen, Rudern, Schlittschuhlaufen, Ball-
spiele) bei sichergestellten Fällen von Herzneu r ose n
leichteren Grades, zumal abwechselnd mit methodischer mecha-
nischer Behandlung.
Elektrotherapie.
Die Elektrotherapie der Herzkrankheiten gehört zu
jenen Heilverfahren, die vorwiegend rein suggestiven Zwecken
dienen ; zwischen dem Heilverfahren und der Besserung be-
steht zumeist ein psychischer . nicht ein physikalischer Zu-
sammenhang. Wir werden daher bei einer großen Zahl
von geeigneten Krankheitsfällen — vor allem den Neu-
rosen — bestechende Erfolge erzielen können , besonders
wenn wir die Elektrotherapie ,.cum apparatu magno" in-
szenieren und individualisierend verwenden.
Man darf sich aber nicht vorstellen , daß durch An-
wendung elektrischer Potenzen Läsionen der Struktur des
Herzens heilsam zu beeinflussen seien, so wie ähnliche Ver-
änderungen an der Skelettmuskulatur.
Den meisten Empfehlungen der Anwendung galvanischer
und faradischer Ströme bei Herzkrankheiten liegt die fehler-
hafte, ja völlig unerlaubte Annahme zugrunde , daß Herz-
muskeln und Skelettmuskeln analoge Organe seien , daß es
daher gestattet sei, die Erfahrungen der Nervenmuskel-
physiologie geradewegs auch auf die Herzphysiologie zu
übertragen.
Die Herzmuskulatur nimmt aber eine ganz besondere
Stelle für sich in Anspruch; ihre Analogisierung mit der
Skelettmuskulatur ist durchaus willkürlich und im Wider-
spruche mit den diesbezüglichen Ergebnissen der Anatomie
und Physiologie (Ehrenfried Albrecht1).
x) Ehrenfried Albrecht, Der Herzmuskel, Berlin 1903.
156 Elektrotherapie.
Wenn sich trotzdem in der Literatur Angaben darüber
linden, „daß man durch perkutane stabile Durchleitung und
Wendungen starker galvanischer Ströme mittels großer
Elektroden von der Wirbelsäule zur Herzgegend bei nicht
zu fetten Personen Steigerung der Energie der einzelnen
Kontraktionen, Regelmäßigkeit der Schlagfolge und Hebung
der Pulswelle mit Spannungszunahme, also kurz eine Er-
frischung der Herztätigkeit, erzielen könne" (y. Ziemssen1).
so sind diese Befunde mit umso größerer Vorsicht aufzu-
nehmen, als sie durch Versuche anderer Autoren (Herbst2),
Dixon Mann 3) nicht bestätigt wurden und die Versuchsbe-
dingungen nicht als völlig einwandsfrei zu bezeichnen sind.
Erneute Versuche wären notwendig, um dieses vielfach un-
geklärte Gebiet für die Praxis urbar zu machen , doch ist
für solche Versuche vielleicht erst die Zeit gekommen,
wenn wir in den Mechanismus der Herzaktion einen tieferen
Einblick werden gewonnen haben als bisher. Vorläufig
rechnet jeder, der elektrische Ströme als Heilfaktoren bei
Herzkrankheiten verwendet, mit unbekannten Größen ; er
tut daher gut daran, sich nicht allzuweit vorzuwagen, um-
somehr als elektrische Ströme für das Herz zu Quellen der
Lebensgefahr werden können.
Es ist uns nämlich vom Tierexperimente her bekannt,
daß nach Durchleitung elektrischer Ströme von verhältnis-
mäßig niedriger Spannung die Herzen der Versuchstiere (in
individuell wechselnder, ganz unberechenbarer Weise) ihre
koordinierte Schlagform verlieren und zu ,.flimmerna be-
ginnen können, d. h. es treten keine regelrechten Systolen
mehr auf, dafür aber wogende und wühlende Bewegungen;
dabei bleibt die Kammerwand schlaff, es wird kein Blut
aus den Kammern herausgetrieben, die Zirkulation sistiert,
das Tier geht zugrunde.
Da die Elektrotherapie von manchem Elektrotherapeuten
auch für hochgradig geschädigte Herzen empfohlen wird,
*) v. Ziemssen, Deutsch. Arch. f. kl. Med., 1882.
2) Herbst, Arch. f. exper. Path., 1884.
3) Dixon Mann, The medic. chron., 1885, zit. nach E. Remak, „Elektro-
therapieu in Eulenburgs Real-Enzyklopädie, Bd. 6, 3. Auflage.
Elektrotherapie. ]f)7
und es sich auch nicht im entferntesten bemessen läßt, in
welcher Weise ein krankes Herz auf elektrische Ströme
reagiert, könnte es sich unter Umständen ereignen, daß ein
solches Herz unter dem Einflüsse eines stärkeres Stromes in
iibrilläre Zuckungen versetzt würde , aus denen es durch
kein therapeutisches Mittel mehr zu koordinierten Schlägen
zu erwecken wäre.
Die Elektrotherapie der Herzkrankheiten beschränke sich
daher am besten auf psychogene Wirkungen, die allerdings
durch geschickte Verwertung im Leben eines Herzkranken
außerordentliche Bedeutung gewinnen können. — Es ist auch
nicht unbedingt von der Hand zu weisen , daß etwa fara-
dische Ströme an irgend einer Hautstelle im Sinne von sen-
siblen Reizen eine reflektorische Beeinflussung der Herzaction
zu bewirken vermögen. Die Wirkungsart an sich und ihre
Grenzen lassen sich aber bisher noch in keiner Weise prä-
zisieren.
Von diesen Gesichtspunkten aus betrachtet, ist jegliche
milde Form von Elektrotherapie, die Galvanisation wie die
Faradisation. die Franklinisation und die d'Arsonvalisation.
das monopolare wie das dipolare elektrische Bad, in unserem
Heilschatze willkommen.
Noch einige Worte schließlich über die sogenannten
Herzstützeu. Mit diesem Namen werden von ihren Erfin-
dern Abbe1). Gräupner2), Hellendall 3) Apparate bezeichnet,
welche die Aufgabe haben sollen, „das Herz zu stützen, be-
ziehungsweise dem Senkungsbestreben des hypertrophischen
oder des dilatierten Herzens entgegenzuwirken." Diese Appa-
rate sind im Grunde genommen Pelotten, zumeist von herz-
förmiger Gestalt , den Thoraxverhältnissen angepaßt und
durch Gurtsysteme in der Weise zu befestigen, daß sie einen
nach oben gerichteten Druck ausüben. Sie wirken oft ganz
x) Abbe, Deutsche med. Wochenschr., 1900, Nr. 4.
2) Gräupner, Therapie der Gegenwart, 1901. Nr. 6.
3) Hellenddll, Deutsche med. Wochenschr., 1900, Nr. 48.
158 Elektrotherapie.
vorzüglich, zumal bei den Herzbeschwerden der Neurasthe-
niker, seltener, bei „anatomischen" Herzaffektionen. Ihre
Wirkung ist ohne Frage eine rein suggestive ; sie können
eine vorübergehende Erleichterung herbeiführen (Gold-
scheider1), sowie die gegen die schmerzende Herzgegend
gepreßte Hand. Daß man durch eine in der beschriebenen
Weise anzulegende Pelotte tatsächlich einen Einfluß auf
die Herzlage oder auf den Zustand des Herzens ausüben
könne, haben wohl auch ihre Erfinder nicht einen Augen-
blick geglaubt. Hierauf hat G. Klemperer 2) vor kurzem hin-
gewiesen.
*) Goldscheider, Gesellsch. d. Charite-Ärzte in Berlin, 1901.
2) G. Klemperer, Therapie der Gegenwart, 1901, Nr. 6.
Prophylaxe.
Das Gebiet der Prophylaxe der Herzkrankheiten ist
in stetigem Wachstum begriffen. Je weiter unsere ätiologi-
schen Kenntnisse vordringen, je mehr Zusammenhänge zwischen
Herzaffektionen und vorausgegangenen Krankheiten uns be-
kannt werden, desto zahlreichere Angriffspunkte bieten sich
für unsere Maßnahmen dar. Auch die eigentliche Therapie
der Herzkrankheiten ist in einem großen Teile ihrer Leistungen
vorwiegend prophylaktischer Natur ; denn wenn sie z. B.
einem an Endokarditis Erkrankten unsere Heilbehelfe ange-
deihen läßt, sorgt sie für die Bedürfnisse des Augenblicks,
ist aber auch bemüht, den Eintritt bleibender Schädigungen
zu verhüten.
Wie die Hygiene als praktische Wissenschaft über-
haupt, so umfaßt auch die Hygiene des Herzens einen
sozialen und einen persönlichen Anteil. Der erstere ist vor-
wiegend Aufgabe des Staates, der durch Sanitätsgesetze und
sanitäre Maßnahmen für das Wohl seiner Bürger Sorge zu
tragen hat (Gewerbehygiene etc.), der letztere Aufgabe des
Einzelnen, soweit derselbe seine Widerstandsfähigkeit gegen
krankmachende Einflüsse erhöhen und Schädlichkeiten von
sich fernhalten will und kann (Alkoholismus, gonorrhoische
Endokarditis etc.). Hier findet zumal der Hausarzt als
Berater und warnender Freund ein weites Feld einer frucht-
baren Tätigkeit.
Wir beschützen den Herzgesunden vor einer Erkrankung
seines Herzens oder vermindern zumindest die Wahrschein-
lichkeit derselben, indem wir die Widerstandsfähigkeit
160 Prophylaxe.
seines Körpers im allgemeinen , seines Herzens im beson-
deren gegen krankmachende Einflüsse zu erhöhen suchen,
zu Herzaffektionen führende Krankheiten nach Möglich-
keit hintanzuhalten trachten oder — falls sie sich trotz-
dem entwickeln — sachgemäß behandeln und nachweisbare
Schädlichkeiten vermeiden lassen.
Die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit beginnt
mit der Abhärtung und Körperpflege im Kindesalter.
Durch Abhärtung suchen wir die Reflexerregbarkeit
der peripherischen sensiblen Hautnerven herabzusetzen, die
Haut und ihre Gefäße -an eine rasche und ausgiebige Re-
aktion auf wechselnde Temperaturreize zu gewöhnen. Jeder
unnötige Wärmeverlust, der nichts anderes ist als eine Ver-
geudung an Kraft, muß vermieden werden (Jürgensen1).
Zu diesem Zwecke soll zunächst die Kleidung so be-
schaffen sein, daß sie eine Gewöhnung der Haut an wechselnde
thermische Einflüsse gestattet und gleichzeitige unnötige
W^ärmeverluste. somit unnötigen Kraft verbrauch (des Herzens)
verhindert. Unmittelbar dem Körper anliegend sollen nicht
zu dichte Wollstoffe getragen werden. Für die Fußbeklei-
dung ist Wolle (Schafwolle) zu verwenden. Jürgensen em-
pfiehlt, in das Fußzeug neben stärkerem Oberleder Gummi-
sohlen den Ledersohlen aufnageln zu lassen , um das Ein-
dringen von Wasser in das Fußzeug zu verhüten. Die
Kleidung darf auch nicht zu schwer sein, durch ihr Gewicht
nicht belästigen.
Eines der wichtigsten Hilfsmittel zur Abhärtung ist
die Anwendung des Wassers, das in mannigfacher, gut dosier-
barer Applikationsweise eine allmähliche Gewöhnung der
Haut an mechanische und thermische Reize gestattet.
Diese Abhärtung kann bereits im frühesten Kindesalter
beginnen ; man kann schon nach Ablauf der ersten Woche
zu dem üblichen täglichen Reinigungsbade kühleres Wasser,
allmählich bis zu 34° C, nehmen und den Rumpf des Kindes
nach Beendigung des Bades mit noch kühlerem Wasser (bis
30° C.) übergießen ; dann folgt eine Abreibung mit einem
*) Jürgensen in Penzoldt und Stintzing, Handbuch der Therapie, III.
Prophylaxe. \ß\
trockenen Tuche. Das zur Übergießung verwendete Wasser
wird allmählich immer kälter genommen (am Ende des
2. Lebensjahres 22—20° C). Später werden nur tägliche
Übergießungen mit zimmerwarmem Wasser vorgenommen.
Es handelt sich dabei nicht um Wärmeentziehung, sondern
um den Reiz, die Gewöhnung an denselben. Bad und Über-
gießung müssen daher aus der Bettwärme, nach vorheriger
Erwärmung erfolgen und dürfen nicht lange dauern . denn
die Reaktion ist desto kräftiger, der Wärmeverlust desto
geringer, je kräftiger und kürzer der mechanische und ther-
mische Reiz.
Auch einen verweichlichten Erwachsenen kann man
durch „Wasser prozeduren" allmählich an den Kältereiz ge-
wöhnen, abhärten. Oft ist es notwendig, mit Benetzungen
oder Waschungen kleiner Teile der Körperoberfläche zu
beginnen und täglich einen größeren Hautbezirk für die
Prozedur heranzuziehen. Kussmaul1) empfahl für solche Fälle,
mit Fußbädern von Zimmertemperatur , mit nachherigem
Frottieren, vor dem Zubettegehen zu beginnen und dieselben
erst nach eingetretener Gewöhnung am Morgen anwenden
zu lassen ; bei mangelhafter Erwärmung sollen die betreffen-
den Individuen anfangs für einige Minuten ins Bett zurück-
kehren. — Eine wirksame Prozedur besteht z. B. darin, daß
der Abzuhärtende unmittelbar nach dem Verlassen des Bettes
ein gut ausgerungenes Leintuch über sich ausbreiten läßt,
mit welchem nun die ganze Oberfläche des Körpers , das
Gesicht ausgenommen, stark abgerieben wird, bis sie krebs-
rot ist. Den Schwachen mag man nachher noch für kurze
Zeit wieder ins Bett gehen lassen, die Abreibung mit einem
wärmeren Tuche im geheizten Zimmer gestatten. Hat er
sich an diese Prozedur gewöhnt, dann wird das Leintuch
nasser, die Wassertemperatur niedriger genommen (von 20° C.
bis herab auf 12 — 10°). Die Abreibung hat von reich-
licher Muskelbewegung gefolgt zu sein; sie kann durch
Brausen ersetzt werden ; man beginnt z. B. mit Wasser von
30° C. und y4 Minute und geht rasch bis auf 12—10° herab.
*) Kussmaul, Jagenderinnerungen etc.
Braun, Therapie der Herzkrankheiten. 11
162 Prophylaxe.
Der Kopf darf nicht geduscht werden. Nach Beendigung
der Dusche sind kräftiges Trockenreiben und ein kurzer
Spaziergang notwendig.
Da die Ausbildung der Herzmuskulatur unter normalen
Verhältnissen der Ausbildung der Körpermuskulatur
parallel geht, die Körpermuskulatur daher in mancher Hin-
sicht als Wertmesser des Zustandes der Herzmuskulatur gelten
kann, ist es unsere Aufgabe, durch Übung der Körpermus-
kulatur das Herz zu üben. Wir dürfen es freudig begrüßen,
daß die Versäumnisse vergangener Tage unserem Zeitalter
fremd geworden sind ; zum Wohle unserer Kinder und zukünf-
tiger Geschlechter achten wir darauf, daß für Turnen, körper-
liche Übungen und Bewegung im Freien ein genügender
Raum im Unterrichte frei gehalten und neben der Pflege des
Geistes die Pflege des Körpers nicht vernachlässigt werde.
Wie das Schulkind so bedarf auch der Erwachsene,
zumal derjenige, der sich einen sitzenden Beruf erwählt hat,
ausreichender Körperbewegung. Das Maß der zuträglichen
körperlichen Bewegung wird aber, z. B. bei unvernünftigen
sportlichen Leistungen , nur allzuleicht überschritten , denn
das Ermüdungsgefühl ist nicht immer ein verläßlicher Weg-
weiser ; auch können falscher Ehrgeiz und an einen Sport
geknüpfte Exzesse Vorteile vereiteln, die sich bei hygieni-
schem Betreiben des Sportes erreichen lassen, ja an Stelle
des Vorteiles Nachteile bringen. So ist es unhygienisch,
wenn jemand, den sein Beruf den ganzen Tag über auf den
Füßen hält , noch dazu am Morgen und am Abend einen
sehr anstrengenden Sport betreibt , oder wenn ein anderer,
der den ganzen Tag hinter dem Schreibtische verbringt,
statt täglich, etwa am Abend, spazieren zu gehen, zu turnen,
zu reiten, zu schwimmen u. s. w., das Defizit an Muskelbe-
wegung dadurch deckt, daß er gerade nur während eines
„Urlaubsmonates*' forcierte Bergtouren macht etc. — Kindern
ist jeglicher Sport überhaupt zu verbieten.
Aus dem Gesagten ist zu entnehmen, daß die unter
geeigneter (ärztlicher) Kontrolle vorgenommene Heilgym-
nastik1) sicherlich am besten geeignet ist, eine rationelle
1) Vide pag. 145.
Prophylaxe. 163
Pflege des Körpers anzubahnen und die Prinzipien der hy-
gienischen Muskelübungen zu verbreiten. Im übrigen ist es
wohl ganz gleichgültig, welche Form von Muskelbewegung
gewählt wird. Turnen, Reiten, Schwimmen, Rudern, Fechten,
Radfahren und Bergsteigen können in gleicher Weise zur
Kräftigung der Körpermuskulatur beitragen , nur müssen
sie eben systematisch und in hygienischer Weise geübt
werden; ein „Zuviel" ist immer von Übel.
Da wohl kein anderer Sport so sehr zu Überanstrengungen
verleitet, wie das für die meisten am leichtesten erreichbare Rad-
fahren, sei auf einige Quellen der Schädigung durch dasselbe ganz
kurz hingewiesen : Wer nach Überwindung von ganz geringen
Wegsteigungen in mäßigem Tempo stärkeres Herzklopfen und ein
Spannungsgefühl in der Herzgegend hat, fahre nur in der Ebene,
„trainiere" sich langsam und vorsichtig oder nehme nach einer Pause
das Radfahren erst wieder auf, wenn sein Herz durch längere
Spaziergänge, vorsichtiges Tarnen etc. übungsfähiger und leistungs-
fähiger geworden ist. Nur die häufige Kontrolle des Pulses und der
Atmung kann Überanstrengungen verhüten. Schlechtes Pflaster er-
höht den Kraftaufwand in hohem Maße; das Gleiche bewirkt die
Neigung, zu hohe Übersetzungen zu wählen. Von außerordentlichem
Einflüsse ist der Luftwiderstand ; Gegenwind verursacht schon bei
geringer Windgeschwindigkeit bedeutende Mehrarbeit. Die zum
Fahren notwendige Arbeit wird am ökonomischesten geleistet,
wenn die Sattelstellung derartig ist, daß das Knie dauernd leicht
gebeugt bleibt und der Fuß niemals in stärkste Plantarflexion
gerät. 2)
Die direkte Hintanhaltung der zu Herzaffek-
tionen führenden Krankheiten ist derzeit noch kein
dankbares Gebiet der Prophylaxe.
Da wir annehmen dürfen, daß eine große Reihe von Infek-
tionserregern den Organismus auf dem Wege der Mundhöhle
betritt, und die Erfahrung uns lehrt, daß auch der akute Ge-
J) Die Literatur über den „Einfluß des Radfahrens auf den mensch-
lichen Organismus" hat L. Zuntz in übersichtlicher Weise zusammengestellt
und an der Hand eigener Erfahrungen kritisch beleuchtet. Die bemerkens-
wertesten Publikationen sind: Mendelsohn, Verhandl. d. Vereins f. innere Med.
in Berlin. — yiacquorn- Rankini , Paris, Theorie du velocipede. — Bouny,
Compt. rend., 1896. — Siegfried, Deutsche med. Wochenschr., 18 7 u. 1899;
Zeitschr. f. physiol. u. diät. Therapie , Bd. 5. — Albu, Verhandl. d. Berliner med.
Gesellsch., Bd." 28. — Kisch, Zeitschr. f. physikal. u. diät. Therapie, Bd. 2. —
Schoit, Deutsche med. Wochenschr., 1897. — Sehrwald, Arch. f. Hygiene, Bd. 22.
— Leo Zuntz, Berlin, 1899, A. Hirsclnvald, und Fortschritte der Medizin, 1901.
— Zoth, Pflügers Arch., Bd. 76 u. v. a.
11*
104 Prophylaxe.
lenkrkeumatismus . der in einem überaus großen Prozentsatze
(vielleicht der Mehrzahl) aller seiner Fälle von einer Herzaffek-
tion gefolgt wird, durch Ton sillar- Anginen eingeleitet werden
kann , obliegt uns die Aufgabe , unseren Schutzbefohlenen
eine gewissenhafte, „wohlgeordnete" Mundpflege1) aufzu-
tragen und jede, auch die leichteste Angina so wie eine
akute Infektionskrankheit zu behandeln.
Sorgfältiges Bürsten der Zähne (auch der Innenflächen)
und Mundspülungen mit desinfizier enden Flüssigkeiten
(3%ige Borsäurelösung, 1/2%oigeThymollösung, l%ige Wasser-
stoffsuperoxydlösung, Tinct. Myrrhae, Tinct. Ratanh., Tinct.
Catechu, M.D. S. 20—30 Tropfen auf ein Glas Wasser, Spirit.
vin. Gallic. 2 — 3 Kaffeelöffel auf ein Glas Wasser oder
2 Kaffeelöffel einer 10%igen alkoh. Menthol-Lösung auf ein
Glas Wasser, Kai. hypermangan.-Lösungen; x/4 — V2%ig? etc.)
täglich nach den Mahlzeiten , namentlich vor dem Zubette-
gehen, werden zur Verminderung der Infektionschancen bei-
tragen können. Der Hauptwert ist immer auf die mechanische
Reinigung zu legen.
Auch die leichteste Angina ist — zumal im Kindes-
alter — wie jede Infektionskrankheit durch Bettruhe bis
zum völligen Schwinden der lokalen Erscheinungen zu be-
handeln. Man lehre die Kinder zeitig das Gurgeln und wende
bei bestehender Angina antiseptische Pinselungen und Gur-
gelungen mit Kai. hypermang., Acid. boric, Tr. Ratanh., Tr.
Gallar. aa., etc. an. Zerklüftete und hypertrophische Ton-
sillen sind zu entfernen , die Reste der Tonsillen bei Indi-
viduen, die zu Anginen disponieren, täglich mit Jod- und
Ratanhia-Tinktur , Jodglycerin , Alkohol u. s. w. zu pinseln.
Erfahrene Autoren wie Romberg haben beobachtet, daß
man häufig wiederkehrende rheumatische Attacken bisweilen
unterdrücken kann, wenn man nach jeder Angina eines
Rheumatikers sofort 2 — 3 Wochen lang mäßige Mengen von
salicylsaurem Natron (2 — 3 g pro die) reicht. Wird salicyl-
*) J. Mikulicz u. W. Kümmel, Krankheiten des Mundes. Jena 1898. —
Es ist vielleicht auf diesen scheinbar geringfügigen Umstand zurückzuführen,
daß in den „besseren Gesellschaftsschichten" sowohl akute (infektiöse) Herz-
affektionen als auch die aus denselben hervorgehenden „Herzfehler" relativ
seltener vorkommen als in den ärmeren Volksklassen.
Prophylaxe. 165
saures Natron nicht vertragen, dann nehme man Aspirin,
Acetopyrin, Salophen, Salipyrin, Salol etc., die oftmals viel
besser verträglich sind.
■ Von großer Wichtigkeit ist die Kenntnis der Tat-
sache, daß der Gelenkrheumatismus, im Kindesalter häu-
figer als beim Erwachsenen , eine ganz leichte , kaum
augenfällige übersehbare Affektion sein kann. So kön-
nen die Gelenke nur wenig schmerzhaft , nicht geschwol-
len , oft überhaupt nicht ergriffen , hingegen über den
Gelenken oder in der Nähe derselben , seltener über den
Stamm verstreut, im Unterhautzellgewebe sitzende, harte,
schmerzlose „rheumatische" Knötchen nachweisbar sein, die
Stecknadelkopf- bis Linsengröße zu erreichen pflegen und
auf ihrer Unterlage leicht verschieblich sind. 1) Das Auf-
treten solcher Knötchen ist eine Indikation zu strenger Bett-
ruhe. — Auch der akute Muskelrheumatismus ist wahrschein-
lich als ätiologischer Faktor von Herzaffektionen zu betrachten
(Broadbent), ebenso der chronische Gelenkrheumatismus (PH-
bram, Barie2) — Nur zu leicht können diese „Äquivalente
desGelenkrheumatismus" übersehen werden und wir stehen
dann eines Tages vor einer ätiologisch ganz unklaren Endo-
myokarditis , die im Kindesalter prognostisch ganz besonders
ungünstig ist, weil sie sehr oft von Perikarditis begleitet
wird und in hohem Maße zu Rückfällen neigt.
Rheumatikern ist der Besuch von Thermal-, beziehungs-
weise Wildbädern , z. B. Teplitz , Wildbad-Gastein , Warm-
brunn, Bormio, zu empfehlen; auch die kohlensauren Thermal-
bäder , Nauheim , Oeynhausen , ferner ein entsprechender
Kurgebrauch in Franzensbad sind für sie von Nutzen.
Als Eintrittspforten der Entzündungserreger, die eine
Endomyokarditis bewirken, sind wiederholt auch eiternde Wun-
den, Phlegmonen, Panaritien bezeichnet worden (G. Singer*)]
x) In einem solchen Falle, der einen Erwachsenen betraf, habe ich die
untere Thoraxapertur von solchen „rheumatischen Knötchen- in großer Zahl
eingesäumt gesehen. (Literatur bei Pfibram, Der akute Gelenkrheumatismus
in Spez. Path. u. Ther. von Nothnagel, 1901.)
2) Pfibram, Chron. Gelenkrheumatismus etc. in Spez. Path. u. Ther. von
Nothnagel, 1902. — Barie, Sem. med., 1903.
3) G. Singer, „Ätiol. u. Klin. d. akut. Gelenkrheum." 1898.
166 Prophylaxe.
die rationelle chirurgische Therapie ist daher in solchen
Fällen zugleich von wichtiger prophylaktischer Bedeutung.
Außerordentlich notwendig ist jegliche Art der Prophy-
laxe bei Kindern herzkranker Eltern, denn es gibt wahr-
scheinlich eine familiäre Prädisposition für Herzaf-
fektionen, die vielleicht vorwiegend auf einer Prädisposition
für Anginen und rheumatische Affektionen beruhen dürfte.
Die Vermeidung der Schädlichkeiten, welche zu
Herzaffektionen führen . des Alkoholismus , der Adipositas,
des Diabetes, der Arteriosklerose ist in den Kapiteln „Er-
nährungstherapie" , ,. Herzbeschwerden bei fettleibigen Indi-
viduen". ,. Arteriosklerose" etc. erörtert.
Die Prophylaxe der gonorrhoischen und postsyphi-
litischen Herzkrankheiten fällt mit der Verhütung des
Grundleidens und der sachgemäßen Behandlung der bestehen-
den Affektion zusammen; die tatkräftigen Bestrebungen
unserer „Gesellschaften zur Bekämpfung der venerischen
Krankheiten" versprechen in dieser Hinsicht unschätzbare
Erfolge.
Ob den prophylaktischen Seruminjektionen beider
Diphtherie und anderen Infektionskrankheiten eine wesent-
liche Bedeutung beizumessen sei, kann heute noch nicht ent-
schieden werden.
Spezielle Therapie.
Endokarditis.
Wir nennen Endokarditis seit Bouillaud1) die Entzündung
des Endokards; dieselbe kommt fast ausschließlieh durch Bakterien-
wirkung zustande und kann sich auch an die leichtesten Infektions-
krankheiten (Angina cat.7 Rheumatismus musculorum2) anschließen;
weitaus am häufigsten tritt sie im Gefolge des akuten Gelenkrheumatis-
mus auf. Die Endokarditis ist benignerer oder malignerer Natur, je
nach Art und Virulenz der Mikroorganismen, die ihr zugrunde liegen.
Es sind Staphylokokken, Streptokokken, Pneumokokken, Gonokokken,
Tuberkel-, Diphtherie- ,Influenzabazillen etc. gefunden worden. „Es
ist rationeller, statt auf der Basis der einzelnen pathologischen
Formveränderung künstliche Systeme zu schaffen , die klinischen
und ätiologischen Unterschiede zum Ausgangspunkte der Klassifi-
kation zu machen. Denn wir können es trotz des äußerlich ver:
schiedenartigen Bildes nur als graduelle Differenzen bezeichnen,
wenn wir bald nur Thromben und reifartige Beläge auf den Klappen
finden, bald verruköse Wucherungen, bald zusammenfließende um-
fangreiche Bakterienrasen, unter welchen das Klappengewebe nekro-
tisiert , bald Ulzerationen mit umfangreichen Zerstörungen der
Klappen. Zudem können die sogenannten verrukösen Formen mit
äußerster Malignität verlaufen und andererseits sind nicht alle Fälle
ulzeröser Endokarditis maligner Natur" (Litten3). — Der Entzündungs-
prozeß manifestiert sich in der Regel hauptsächlich an den Klappen;
die benignen Formen führen nur unwesentliche Veränderungen der
Klappen herbei, die leichtesten Fälle sind der restitutio ad integrum
fähig. In minder günstigen Fällen resultieren narbige Veränderungen
an den Klappen und Klappenrändern , die Klappenfehler. Die zu
den höchsten Graden von destruktiven Klappenveränderungen und zu
*) Boiällaud, Traite clinique du rheumatisnie articulaire et de la loi
de eoincidence des inflaramations du cceur avec cette maladie. Paris 1890.
2) Leube, 18. Kongr. f. inn. Med.
3) Litten, ibidem.
\Q$ Spezielle Therapie.
häufiger Metastasenbildung, sowie Allgemeinerscheinungen führenden
Endokarditiden ziehen die rechtsseitigen Klappen relativ öfter in .Mit-
leidenschaft als die benignen Formen. — Die Endokarditis geht stets
mit Myokarditis einher (Jürgensen l) — Klappen, die einmal erkrankt
gewesen, werden anscheinend leichter befallen als gesunde Klappen. —
Die Schädigung, welche der Kreislauf durch Endokarditiden erfährt,
ist teils lokal-mechanischer, teils embolischer, teils allgemeiner Natur.
Die Veränderungen an den Klappen setzen deren Beweglichkeit
herab und verhindern ihren dichten Verschluß. Verruköse Exkres-
zenzen in großer Zahl können auch Stenosierung eines Ostiums,
des arteriellen leichter als des venösen, bewirken. Die gleichzeitige
Myokarditis trägt in dem auf pag. 2 dargelegten Sinne zur In-
suffizienz der Klappen und zur Funktionsstörung der Herzmuskulatur
bei. Die allgemeine Schädigung des Kreislaufs kann je nach der
Art der Infektion in verschiedenem Maße im Krankheitsbilde her-
vortreten, ja dasselbe in schweren Fällen vollkommen beherrschen.
Dann kommt rasch das Bild der Vasomotorenschwäche zu-
stande : Der Blutdruck sinkt ab, die Splanchnikusgefäße sind überfüllt,
Gehirn, Muskeln und Haut mehr oder weniger anämisch.
Wir können das Auftreten von Herzveränderungen
während des Bestehens einer Infektionskrankheit, vor allem
des akuten Gelenkrheumatismus, fast niemals verhüten, ihr
Fortschreiten jedoch in günstigen Fällen vielleicht thera-
peutisch beeinflussen.2) Bisweilen gelingt es, einen akuten
Rheumatismus durch Salicylpräparate gleichsam zu cou-
pieren und dadurch möglicherweise zu verhindern, daß bei
längerer Krankheitsdauer eine Entzündung des Endokards
hinzugetreten wäre. 3) Ist eine solche trotzdem zustande
gekommen, dann ist es zweckmäßig, die Salicyldarreichung
zu unterbrechen, denn die erforderlichen großen Dosen er-
höhen das Gerinnungsvermögen des Blutes und können dadurch
zur Vermehrung der thrombotischen Klappenauflagerungen
Veranlassung geben, was zumal für Rheumatismen, die mit
vermehrtem Fibringehalte des Blutes einhergehen, in Betracht
kommt. Hingegen ist der zunächst in England geübte Gebrauch
*) In Nothnagels Spez. Path. u Ther.
2) Der große Skeptizismus, den manche sonst recht sanguinische Herz-
therapeuten gerade gegenüber der Endokarditis-Therapie zur Schau tragen, ist
jedenfalls nicht vollauf berechtigt.
3) J. r. Bauer in Penzoldt-Stintzing, Handbuch der Therapie innerer
Krankheiten; Bomberg, 1. c.
Endokarditis. 169
von Alkalien, welche die Tendenz zur Fibrinbildung ver-
mindern, in prophylaktischer Hinsicht und bei bestehender
Endokarditis empfehlenswert. x)
Man gibt z. B. Liq. Kalii acetici bis 30 g pro die in
Wasser oder Mixturen, ferner Kalium natriotartaricum als
Cremor tartari und Kalium hydrotartaricum (Tartar.
depurat.) 5 — 10 — \bg in Wasser mit Sirupzusatz oder kaffee-
löfTelweise in Zuckerwasser2), 15 — 20g Natrium bicarbonicum,
in warmem Wasser gelöst, als Klysma, ferner Cremor tartari
40*0, Magn. carb. 4"0, davon früh und abends 1 Eßlöffel in
Wasser oder alkalische, alkalisch-salinische und alkalisch-
muriatische Säuerlinge, z. B. Rohitscher, Biliner, Preblauer,
Gleichenberger Wasser etc.
Selbst die scheinbar geringfügigsten Symptome von
Endokarditis machen die Einhaltung von strengster Bett-
ruhe erforderlich. Erscheint z. B. über der Mitral- oder
Pulmonalarterien-Gegend während des Ablaufes eines akuten
Gelenkrheumatismus ein systolisches Geräusch oder eine
deutliche Spaltung des ersten Tones, nimmt die Herzdämpfung
nach links und oben, nach rechts an Ausdehnung zu, wird
der zweite Pulmonal ton accentuiert, der Puls arhythmisch
und inäqual, dann sind die sorgfältigsten Schonung s-
maßregeln am Platze. Der Kranke darf das Bett nicht
verlassen, er soll jede unnötige Körperbewegung vermeiden,
sich, auch im Bette, nicht aufsetzen, Harn und Stuhl liegend
entleeren. Es ist für leichten Stuhlgang Sorge zu tragen,
damit jegliche Anstrengung während der Defäkation ver-
mieden werde. 3) Auf die Herzgegend wird ein Eisbeutel
appliziert, noch besser eine Kühlflasche mit permanentem
Durchlauf4); um den plötzlichen Reiz zu vermeiden, nimmt
man anfangs Wasser von 20° C. und geht dann langsam,
je nach der Reaktion des Kranken, auf 12- 4° C. herab.
*) Broadbent, 1. c. — Jaccoud, Herzkrankheiten u. v. a. Vide auch
„Prophylaxe".
2) Die gleichzeitige laxative Wirkung läßt die Anwendung dieser Salze
doppelt empfehlenswert erscheinen.
3) S. bei „Diät. Therapie", pag. 99.
4) Litten u. Lennhof, Handbuch der phys. Therapie, T. II, Bd. 2. Zwi-
schen Eisbeutel oder Kühlflasche und die Haut ist eine mehrfach zusammen-
gelegte Kompresse zu legen.
170 Spezielle Therapie.
Die Wirkung auf den Puls zeigt sich im Voller- und Regel-
mäßigerwerden desselben; auch die Harnmenge nimmt zu. —
Die Kühlflasche bleibt durchschnittlich zwei- bis dreimal im
Tage je zwei Stunden lang liegen; bevor man sie weggibt,
lasse man allmählich wieder die Temperatur des durch-
fließenden Wassers ansteigen.
Digitalismedikation ist nur dann am Platze, wenn
Arhythmie und zunehmende Herzdilatation auf Herzinsuffi-
zienz schließen lassen1); man gebe in solchen Fällen kleine
Digitalisdosen in Verbindung mit Chinin bis zum Kenntlich-
werden der Wirkung, später Chinin allein. Sind die Kranken
blaß, ist ihr Puls klein und frequent, der Blutdruck sehr
niedrig, das Herz nicht dilatiert, liegt also die Vermutung
nahe, daß der namhafteste Teil der Kreislaufsstörung der Vaso-
motoreninsuffizienz entspricht, dann sind Vasomotorenmittel2),
eventuell in Kombination mit größeren Digitalisgaben und
den entsprechenden hydrotherapeutischen Maßnahmen, an-
gezeigt. Je mehr die Blässe der Haut und der sichtbaren
Schleimhäute, erhöhte Pulsfrequenz und niedriger Blutdruck,
sowie Erscheinungen von Anaemia cerebri im Vordergrunde
des Krankheitsbildes stehen, desto mehr wird dasselbe ceteris
paribus von der Vasomotorenparese beherrscht.
Das Auftreten von Embolien (der Niere, Lunge etc.)
verbietet eine kardiotonische Medikation. — Die gerinnungs-
bef ordernde Wirkung der Digitalisstoffe auf das Blut3)
kommt bei den therapeutischen Gaben dieses Medikamentes
wohl nicht in Betracht.
Die Bettruhe ist einzuhalten, bis jegliche Spur von
Herzinsuffizienz geschwunden ist*). Je nach der Schwere
der Störung und dem Alter des Kranken werden dazu
4 — 8 — 10 Wochen und mehr erforderlich sein. In manchen
Fällen muß man sich wohl am Ende dazu entschließen, nicht
bis zur völligen Rückbildung aller Insuffizienzerscheinungen
zu warten. Womöglich bleibe der Kranke aber noch drei
bis vier Wochen, von dem Erscheinen der letzten
a) Vide pag. 51 ff.
2) S. „Die Kreislaufstörungen bei Infektionskrankheiten. t;
3) S. „Die mechanische Behandlung", pag. 150.
4) Gazza, Riform. med., 1901. — Borini, E. Acc. d. Med. d. Torino, 1902.
Endokarditis. Jfl
Temperatursteigerung an gerechnet, im Bette, gleich-
gültig, ob diese Steigerung mehrere Grade oder nur ein
Zehntel eines Grades über die Norm betrug. Zw ei stünd-
liche Messungen sollen uns die ganze Zeit hindurch dar-
über orientieren, ob noch solche Temperatursteigerungen
bestehen oder nicht. Daß diesen kleinen Erhebungen der
Temperaturkurve eine Bedeutung zukommt, beweist ihr oft-
maliges Zusammentreffen mit leichten Nachschüben des Ge-
lenkrheumatismus oder mit Schmerzhaftigkeit des einen oder
anderen Gelenkes. - - Erwachsene haben sich bis zur vollen
Rekonvaleszenz des sexuellen Verkehres zu enthalten.
Kann man endlich darangehen, den Genesenden auf-
stehen zu lassen, dann geschehe es ganz allmählich, etwa
in der Weise, daß er das erstemal (am 1. Tage) nach dem
Mittagmahle, und nur für wenige Minuten, das Bett ver-
läßt, das zweitemal das Mittagmahl außerhalb des Bettes
einnimmt, das drittemal mehrere Stunden und schließlich
den ganzen Tag außerhalb des Bettes zubringt. Inzwischen
werden unter genauer Kontrolle von Puls und Respiration
zur Übung des Herzens vorsichtig dosierte und gesteigerte
Widerstandsbewegungen vorgenommen, bald können
lauwarme Bäder, dann eventuell auch kohlensäurehältige
Bäder zur Anwendung gelangen. Ungefähr eine Woche,
nachdem er das Bett verlassen, kann der Rekonvaleszent
versuchen, die Straße zu betreten. Der erste Versuch
erstrecke sich auf einige Minuten Aufenthaltes im Freien
oder eine kurze Ausfahrt u. s. w. Erst wenn der Genesene
gymnastische Übungen durch 10 — 15 Minuten ohne Zeichen
der Ermüdung ausführen kann, darf er auch daran gehen.
Treppen zu steigen. Der Besuch eines entsprechenden Kur-
ortes, sowie die zweckmäßigen hydro- und mechanothera-
peutischen Maßnahmen beschließen die Kur. *) - - Bis zur
Reaktivierung pflegt ein Zeitraum von l/4 — 1/2 — 1 Jahre
zu verstreichen. Es liegt auf der Hand, daß bei der Be-
messung dieses Zeitraumes die Schwere der Erkrankung
und der Beruf des Kranken ganz besonders maßgebend sind.
l) S. I. Teil, Allgemeine Therapie.
172 Spezielle Therapie.
Die Verwendung von ^ntipyreticis. Antipyrin, Phe-
naeetin ete. hat wegen der blutdrucksenkenden Wirkung
derselben, die vielleicht reine Herzwirkung ist. meistens zu
entfallen.
Alkoholdarreichung ist während des Ablaufes einer
Endokarditis nur dann angezeigt, wenn, z. B. bei den Schüttel-
frösten einer malignen Endokarditis, Blutdrucksteigerungen
auftreten.
Bei schweren Infektionen wende man der Ernährung
des Kranken mit stickstoffreichen Nahrungsmitteln, wie
Milch, Eier, Kaviar, Austern, leicht verdauliche Fisch-
sorten, Fleischsaft 2) etc. besondere Aufmerksamkeit zu.
Schmerzen und Druckgefühl in der Herzgegend
werden durch Applikation von Kühlflaschen, Sinapismen,
Blutegeln bisweilen günstig beeinflußt.
Die Fortschritte auf dem Gebiete der Serumtherapie
lassen uns auch für die Therapie der Endokarditis (als
Infektionskrankheit) für die Zukunft Vorteile erhoffen.
Myokarditis.
Als Myokarditis bezeichnen wir akute, subakute und chronische
entzündliche Affektionen des Myokards, bei denen es sich entweder
um eine merkliche Entzündung handelt oder mehr um ein Zusam-
mentreffen von chronischen Veränderungen an der Muskulatur, dem
interstitiellen Bindegewebe und den Gefäßen.2) Bei akuten und sub-
akuten entzündlichen Erkrankungen finden sich oft massenhafte
*) Man bereitet Fleischsaft „Beaftea", „meat juiceu, indem man
etwa 72 Pfund fettloses Fleisch in kleine Würfelchen schneidet und dieselben ohne
Wasser in eine Flasche füllt, die, lose verschlossen, erst zwei Stunden in
einem Wasserbade von etwa 50° bleibt, um dann noch eine halbe Stunde
in kochendem Wasser zu stehen. Der ausfließende Saft wird „Beaftea" oder
Fleischsaft genannt. Man kann denselben durch Pressen aus gehacktem
Fleische gleichfalls gewinnen. — Auch Liebigs Fleischextrakt und der Fleisch-
saft „Puro" verdienen als Zutat zu Suppen Anwendung, ebenso die Nähr-
präparate (Somatose. Eukasin, Nutrose, Tropon) etc., die jedoch alle vom
.,Fleischpulveru an ernährender Wirkung übertroffen werden. Dieses
stellt man sich her, indem man fettfreies Fleisch , in Stücke geschnitten,
auf dem Wasserbade zur Trockne eindampft und dann im Mörser zu feinem
Pulver zerstößt. Das angenehm fleischartig riechende Pulver kann, in Wasser,
Suppe oder Milch aufgeschwemmt, verabreicht werden.
2) Huchard, V. französischer Kongr. f. innere Med. in Lille.
Myokarditis. ^73
Rundzellenherde , die ausheilend zur Narbenbildung Veranlassung
geben. Die chronischen Formen *) können diffus sowie herdförmig
lokalisiert sein (die linke Kammer ist meistens stärker betroffen als
die rechte) ; sie führen in der Regel Degeneration von Muskelfasern
und konsekutive Wucherung des interstitiellen, periarteriellen Bindege-
webes, schließlich mehr oder weniger Ersatz von Muskelfasern durch
Bindegewebe herbei. — Die parenchymatösen und die interstitiellen
Veränderungen sind in hohem Maße von einander unabhängig.
Die Ursachen der Myokarditis sind infektiöser, toxischer und
konstitutioneller Natur. Alle Infektionskrankheiten, Diphtherie, Ab-
dominaltyphus , Rheumatismus , Pneumonie , Gonorrhoe , Skarlatina,
Influenza 2) etc. können zu entzündlichen Myokardveränderungen Ver-
anlassung bieten.3) Bei den schwersten Infektionen scheint die Schädi-
gung der Vasomotoren den Tod herbeizuführen 4), während die
Entwicklung von entzündlichen Veränderungen einen minder stürmi-
schen Verlauf der Infektionskrankheit voraussetzt und oft erst
wochenlang nach Eintritt der Entfieberung manifest wird (z. B. der
spätdiphtheritische Herztod , „Myolisis" [Eppinger] 5). Die Entzün-
dung des Myokards und die Folgen der chronischen Myokarditis (be-
ziehungsweise „eine gewisse Summe von interstitiellen entzündlichen
Veränderungen und parenchymatösen Degenerationen") haben eine
Herabsetzung des Funktionsvermögens der Herzmuskulatur zur Folge ;
in jenen Fällen, wo die akute Myokarditis nur einen Teil einer „Pan-
karditis" 6) darstellt, läßt sich das auf sie selbst entfallende Funk-
tionsdefizit naturgemäß nicht genau bestimmen. Die Symptome der
Myokarditis sind die einer akuten oder chronischen Funktionsläsion
des Herzens.7)
Die Therapie der akuten Myokarditis deckt sich zum
größten Teile mit jener der Endokarditis ; im übrigen ist sie
rein symptomatisch ; eine kausale (Serum-) Therapie kommt
x) D. Gerhardt (Würzburger Abhandlungen, 1902) nennt „Herzniuskel-
erkrankungen'" schlechtweg jene Fälle von Myocard. chron., die sich weder
der entzündlichen noch der degenerativen Form allein einreihen lassen.
2) Die charakteristischen Herzerscheinungen nach Influenza
(Arhythmien und Bradykardien, muskuläre Mitralinsuffizienzen mit auffälligen
Dilatationen) , die mit Schwindelgefühlen , hochgradigem Darniederliegen des
Appetits und intensiven, nervösen Störungen verbunden zu sein pflegen,
dürften ganz besonders mit Rücksicht darauf, daß sie sich oft erst spät ent-
wickeln und wochenlang anhalten können, hieher zu rechnen sein.
3) Aus Untersuchungen von Ehrenfried Albrecht (Berlin 1903) ist zu
entnehmen, daß die mj^okarditischen Veränderungen von den Lymphgefäßen
ihren Ausgangspunkt nemen.
4) Romberg, Pässler, Bruhns u. Müller, Deutsches Arch. f. klin. Med.,
Bd. 64.
5) Eppinger, Deutsche med. Wschr. 1903, Nr. 15.
6) Jürgensen, 1. c.
7) Vide pag. 26 ff.
174 Spezielle Therapie.
vorläufig wohl nur für die Diphtherie in Betracht. Um die
unheilvollen Herzinsuffizienz-Erscheinungen zu verhüten,
welche auftreten können, wenn Rekonvaleszenten nach Diph-
therie, Abdominaltyphus etc. zu früh das Bett verlassen,
gibt es kein besseres Mittel als die genaue Krankenunter-
suchung und das Fahnden nach etwaigen Erscheinungen der
Herzinsuffizienz. *) Hier gilt ganz besonders der Satz :
„Qui bene diagnoscit, bene medebitur." (Die in den ersten
Tagen nach der Infektion auftretenden Erscheinungen von
Blässe , Frequenzsteigerung des Pulses , Kühle der Ex-
tremitäten, Symptome von Hirnanämie sind mit Vasomotoren-
mitteln 2) zu bekämpfen.) Für die chronischen Formen von
Myokarditis kommen die Koffein- und Theobrominpräparate
sowie kleine Alkoholdosen behufs Verbesserung der Koronar-
circulation und die Maßnahmen in Betracht, welche im
Abschnitte „Chronische Herzinsuffizienz*' erörtert wurden. 3)
Die Regeln für die Digitalisanwendung sind im „Allge-
meinen Teil"' 4) enthalten ; sie lehren uns vor allem anderen,
daß wir eine desto bessere Digitaliswirkung erwarten dürfen,
je weniger ausgedehnte Veränderungen das Myokard erlitten
hat, und daß wir uns daher aus der Reaktion auf die Digi-
talisdarreichung eventuell einen Schluß auf den Grad des
Läsion gestatten dürfen.
Perikarditis.
Wir verstehen unter „Perikarditis" eine entzündliehe Affektion
des Perikards, die in akuter, subakuter und chronischer Form, fast
ausschließlieh auf infektiöser Grundlage, zustande kommt. Die
Infektion kann auf dem Blutwege, auf dem Lymphwege und von
der Nachbarschaft aus (per continuitatem) erfolgen und zu seröser,
fibrinöser, eitriger, jauchiger Entzündung, eventuell zu einer Kom-
bination der einen mit der anderen Form, Veranlassung geben. Die
häufigste Ursache der Perikarditis ist der Rheumatismus; andere
.ätiologische Faktoren sind die Pneumonie , Pleuritis , Nephritis,
Tuberkulose, Skarlatina , hämorrhagische Diathesen, Traumen etc.
Die Schädigung der Herzfunktion bei Perikarditiden wird durch
J) Vide pag. 26 ff.
2) S. „Die Kreislaufstörungen bei Infektionskrankheiten"
3) Vide pag. 181 ff.
4) Vide pag 44 ff.
Perikarditis. 175
Fortleitung des Entzünduugsprozesses auf das Myo- und Endokard
und auf mechanische Weise (Behinderung- der Herzbewegung durch
das Exsudat, Adhäsionsbildung etc.) bewirkt. Den Grad dieser
Schädigung bestimmen in hohem Maße Art und Virulenz der be-
treffenden Infektionserreger. Die Folgen für das Herz entsprechen
einzig und allein dem Grade der Funktionsstörung und der Ver-
änderung seiner Muskulatur während und nach Ablauf der Peri-
karditis. Die Prognose ist bei Kindern im allgemeinen günstiger
als bei Erwachsenen, doch findet man bei Kindern häufiger Ver-
wachsung als Krankheitsfolge. Umschriebene Entzündungen sind
naturgemäß von geringerer Bedeutung als diffusere Formen und
zumal große Exsudate, welch letztere Symptome herbeiführen können,
die den Erscheinungen bei „Tamponade des Herzbeutels" x) (Er-
stickungstod) nahezu gleichen. Die rheumatische Perikarditis gibt
im allgemeinen quoad vitam eine günstige , die Perikarditis beim
Morbus Brighti eine ungünstige Prognose.
Prophylaxe und Therapie der Perikarditis und ihrer
Folgen unterliegen den Grundsätzen, die wir zum Teile bei der
..Endokarditis" kennen gelernt haben und zum Teile bei der
„chronischen Insuffizienz des Herzmuskels" erfahren werden.
Der Digitalisanwendung dürfte bei allen For-
men der Perikarditis ein größerer Spielraum zu ge-
währen sein, als bei Endokarditiden , denn eine ver-
stärkte Herztätigkeit wird die mechanische Behinderung
der Herzbewegung durch ein flüssiges Exsudat besser zu
überwinden vermögen und die Entstehung von Ad-
häsionen vielleicht eher verhindern können. Auch die
leichtesten Symptome von Herzschwäche bei Perikarditis sind
Indikationen der Digitalisdarreichung. Es ist empfehlenswert,
immer kleine Digitalisdosen zu geben, um die Erhöhung der
peripheren Widerstände durch Steigerung des Gefäßtonus
so weit als möglich zu verhindern oder Digitalis mit einem
Theobrominsalze zu verbinden.
Besondere Sorgfalt wende man der Lagerung des
Kranken und der Sorge für leichten Stuhlgang zu.
Schmerz und Oppressionsgefühl werden oft durch Auflegung
von Eisblasen , Kühlapparaten , Vesikantien etc. wirksam
bekämpft. Bei Kindern und empfindlichen Erwachsenen ist
die Anwendung großer Kälte nicht angezeigt und lasse
') Rose, Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 20, H. 5.
176 Spezielle Therapie.
man kühlere Temperaturen sich vorsichtig einschleichen. l)
Wichtig ist die Sorge für ausreichenden Schlaf und ent-
sprechende Ernährung. Fieberlose Patienten sind kräftig zu
nähren, Fiebernde durch stickstoffr eiche Kost, Eier, Kaviar,
geschabtes Fleisch, Fleischsaft. Reis- und Griessuppe mit
Beaftea-Zusatz, Milch, vor Entkräftung zu bewahren. Auch
die Alkoholdarreichung wird sich bei fiebernden Peri-
karditikern wohl meistens als zweckmäßig erweisen.
Bei hartnäckigen Exsudaten kann man , falls keine
Herzinsuffizienz-Erscheinungen bestehen, schließlich mit ent-
sprechender Vorsicht von Diureticis und diaphoretischen Maß-
nahmen , wenn endokardiale Veränderungen ausgeschloßen
sind, eventuell von Salicylpräparaten Gebrauch machen,
um die Resorption des Exsudates anzubahnen. — Die resor-
bierende Wirkung der Jodpräparate ist mehr als zweifelhaft.
Die Therapie der Perikarditis bei Skorbut, Nephritis etc.
unterliegt den Indikationen der Grundaffektion.
Nach Ablauf der Perikarditis treten bezüglich der
Rekonvaleszenz die bei „Endokarditis" angeführten Maß-
nahmen in Betracht, die in sukcessive gesteigerten, vorsichtig
dosierten Mehransprüchen an das Herz bestehen und den
Gebieten der Hydro-. Mechano-, Pneumo- und Klimatotherapie
entnommen werden.
Perikardiotomie.
Wenn die bestehenden Krankheitssymptome (Schüttel-
fröste, heftiger Schmerz, Präkordialödem) auf Eiteransamm-
lung im Herzbeutel hinweisen und der Zustand des Kranken
kein hoffnungsloser scheint, vor allem eine schwere Grund-
affektion, wie Lungentuberkulose, oder Komplikationen, wie
Nephritis, auszuschließen sind, schreite man unverweilt zur
Perikardiotomie. Durch dieselbe sind schon verloren ge-
glaubte Fälle gerettet worden.
Die Perikardiotomie ist wegen des Zustandes des Kranken
wohl zumeist unter Lokalanästhesie auszuführen. Der Hautschnitt
wird in der Richtung des fünften Interkostalraumes vom linken
l) Tide pag. 169.
Perikarditis. 17 7
Sternalrande nach auswärts (5 — 8cm lang) geführt, dann werden
die Weichteile schichtweise durchtrennt, der Herzbeutel breit er-
öffnet. Eine Verletzung der Mammargefäße ist zu vermeiden. Man
achte darauf, daß die Pleura den Perikardialsack von links her be-
deckt und gehe daher 2 — 3 — 4 cm neben dem Sternum in den Herz-
beutel ein. Manche Autoren betrachten die Resektion des fünften
oder sechsten Rippenknorpels, eventuell beider, als empfehlenswert.
Ist der Erguß entleert , dann wird ein Drainrohr eingeführt und
die Wunde versorgt. Lag ein jauchiges Exsudat vor, dann spüle
man den Herzbeutel vorher mit 38° C. warmer steriler Kochsalz-
lösung gründlich aus. Lange andauernde Eiterungen (Tuberkulose)
lassen sich oft erfolgreich durch wiederholte Injection von Jodoform-
glycerinemulsion in den Perikardialsack bekämpfen (v. Eiseisberg x).
Punktion des Perikards.
Dieselbe ist vorzunehmen, wenn im Verlaufe einer
Perikarditis sich unter unseren Augen ein großes perikar-
diales Exsudat schnell entwickelt hat, die Dyspnoe zur
Orthopnoe angewachsen ist, die Herzinsuffizienz-Erscheinungen,
wie Cyanose, Venenschwellungen, Blässe, Ödeme (Präkordial-
ödem) etc. zunehmende Tendenz zeigen. Schlaflosigkeit be-
steht und durch Morphiumwirkung nicht bekämpft werden
kann , oder wenn ein großes Exsudat keine Tendenz zur
Resorption zeigt und der Kranke durch die Affektion immer
mehr herabkommt.
Die rheumatische Perikarditis führt nur selten eine
Indikation zur Vornahme der Punktion des Perikards herbei;
selbst schwere Erscheinungen können nach medikamentöser
Therapie allein rückgängig werden. Besteht gleichzeitig
exsudative Pleuritis, dann wird zur Erleichterung des Kranken
zuerst wohl die Pleurapunktion zu versuchen sein, und erst
wenn der Erfolg dieser Operation nicht befriedigt, an die
Perikardpunktion geschritten werden. Die skorbutische
Perikarditis ist relativ häufig Veranlassung zur Punktion
(Bäumler 2), sehr selten die tuberkulöse (seröse) Entzündung
des Herzbeutels; bei der letzteren Form mit ihren häufig
*) v. Eiseisberg, Wiener klin. Wochenschr., 1895.
2) Bäumler, Penzoldt-Stintzing, Handbuch der Therapie innerer Krank-
heiten, Perikarditis.
Braun, Therapie der Herzkrankheiten. 12
178 Spezielle Therapie.
rezidivierenden Ergüssen kann bisweilen die Einspritzung
von Jodoformemulsion in den Perikardialsack von dauerndem
Erfolge begleitet sein.
Die Operation wird in halbsitzender Stellung des Kranken
vorgenommen ; stets überzeuge man sich durch eine Probepunktion
vorher noch von der Richtigkeit der Diagnose. Unter Schleichscher
Lokalanästhesie wird die Haut an der Einstichstelle in vertikaler
Richtung mit dem Messer durchtrennt, hierauf vorsichtig bohrend
ein möglichst dünner Troikart im fünften Interkostalraume, 2 — 3 cm
links vom Sternum eingestochen. Um Herzverletzungen zu vermei-
den, die übrigens (zumal jene des linken Ventrikels) nicht immer gar
so gefährlich sind, wie man zu glauben geneigt ist, verwende man
den Dieulafotjschen Aspirationsapparat. Ist die Flüssigkeit abge-
flossen , dann fühlt man oft das unheimliche Kratzen des Herzens
an der im Herzbeutel steckenden Troikartspitze. Fließt, nach dem
man eingegangen ist, nicht alsbald Flüssigkeit ab, dann schiebe
man die Nadel vorsichtig hin und her, denn es ist möglich, daß
Fibrinmassen ihr Lumen verlegen. Man kann 200 — 300 — 500 cm
Flüssigkeit ablassen, im allgemeinen so lange Flüssigkeit frei ab-
lauft. Der Erfolg der Punktion tritt meist rasch ein, Cyanose und
Atemnot verschwinden zusehends, der Schlaf kehrt wieder, die
Diurese steigt an, die Ödeme nehmen ab, die Digitalis wird wirk-
samer oder wieder wirksam. So kann die Herzbeutelpunktion oft-
mals als lebensrettende Operation bezeichnet werden. Verletzungen
der Pleura sind bei Vorhandensein von pleuralem Exsudate unge-
fährlich. Im übrigen dürfte wohl mit Rücksicht auf die Gefahren,
welche die Punktion mit sich bringt (Verletzung der Mammaria
einerseits, der Pleura andererseits) und die relative Gefahrlosigkeit,
mit der unter unseren heutigen Kautelen eine Parazentese des
Herzbeutels vorgenommen werden kann, die Punktion wohl immer
mehr an Terrain verlieren zugunsten der Perikardiotomie , welche
unter der Leitung des Auges alle Gefahren der Punktion sicher
vermeiden läßt.
Während der Rekonvalescenz müssen wir den Kranken außer
den Postulaten der Wundbehandlung die nämlichen Maßnahmen
angedeihen lassen , wie während der Genesung nach Endo- oder
Myokarditiden.
Concretio pericardii.
Die Obliteration des Herzbeutels kann völlig symptomlos, mit
spezifischen Symptomen (syst. Einziehung an Stelle des Spitzen-
stoßes , Unverschieblichkeit des Herzens bei Lagewechsel , Erschei-
Die akute Herzinsuffizienz. 179
innigen der Insuffizienz des rechten Ventrikels, Pulsus paradoxus ete.)
oder unter den Erscheinungen der chronischen Herzinsuffizienz über-
haupt verlaufen. Ihre Feststellung gehört unter Umständen zu den
schwierigsten Problemen der Klinik. *)
In prophylaktischer Hinsicht ist es — wie erwähnt
empfehlenswert, während des Ablaufes einer Perikarditis
Herzmittel, Digitalis, zu geben, um durch Verstärkung der
Herzbewegung die Bildung von Adhäsionen zu verhindern
oder die Schrumpfung bereits vorhandener Adhäsionen so weit
als möglich hintanzuhalten. Die bestehende Obliteration ist
nach den Regeln zu behandeln, welche wir bei der Therapie der
chronischen Herzinsuffizienz kennen lernen werden. — Chirur-
gische Maßnahmen kommen kaum jemals in Betracht, da
es sich fast immer um breite, flächenhafte Verwachsungen
handelt.
Zur Behandlung desHämoperikards und desPneumo-
perikards dienen uns die Behelfe der Chirurgie.
Die akute Herzinsuffizienz.
Als akute Herzinsuffizienz dürfen wir erfahrungsgemäß Er-
scheinungen von gestörter Leistungsfähigkeit des Herzens bezeichnen,
welche nach einer einmaligen Überanstrengung des Herzens zurück-
geblieben sind. Es ist sicher möglich , daß auch ein vollkommen
gesundes Herz unter der Last einer übermäßigen Anforderung ver-
sagen kann, doch dürfte es sich in der Mehrzahl der einschlägigen
Beobachtungen um Herzen gehandelt haben, deren latente Anomalie
durch das „Trauma'' manifest wurde. In solchen Fällen stellen
sich rasch Symptome von Herzinsuffizienz , Dyspnoe , 'Schwindel,
Hinfälligkeit, der Martiussche Gegensatz2), Cyanose, Herzschmerzen
ein. Die Literatur 3) verzeichnet Fälle von Heilung, daneben Beob-
achtungen, in denen unmittelbar nach einer Überanstrengung der
Tod eingetreten ist 4), schließlich Fälle , wo solche akute Insuf-
fizienzen geradewegs in chronische Insuffizienzen übergegangen sind
*) v. Schrötter in Nothnagels Spez. Path. u. Ther. — Anregende „Bei-
träge zur Diagnostik der Concretio pericardii" etc. verdanken wir W. Türk,
Wiener klin. Wochenschr., 1901.
2) Vide pag. 36.
3) S. bei Krehl, Nothnagels Spez. Path. u. Ther.
4) Albutt bei Seitz , Die Überanstrengung des Herzens. Berlin 1875,
A. Hirschwald. — J)üms, Handbuch der Militärkrankheiten, 1898.
12*
l^O Spezielle Therapie.
oder sich an das „Trauma" eine dauernde Herzinsuffizienz ange-
schlossen hat. l)
Die akute Herzinsuffizienz erfordert im Anfange eine
ausschließlich schonende Behandlung; der Kranke wird
ins Bett gelegt und erhält Eis- oder Kaltwasserumschläge,
am besten eine Kühlflasche auf das Herz. In manchen Fällen
soll sich die Applikation von heißen Umschlägen vorzüglich
bewährt haben. Zeigt sich nach einigen Stunden noch keine
deutliche Besserung , dann ist wohl die Darreichung von
Herzmitteln, Digitalis — in großen Dosen und eventuell in
einer rasch wirkenden Form — angezeigt ; desgleichen käme
Digitalin in Betracht, wenn die Erscheinungen bald einen
bedrohlichen Grad erreichen. Ihrer physiologischen Wirkung-
entsprechend (vermehrte Durchblutung der Koronarien,
bessere Ernährung des Herzens) dürften die Koffein- und
Theobrominsalze — zumeist wohl in Kombination mit Digi-
talis — für solche Fälle zu empfehlen sein. Schmerzen der
Kranken erfordern eine symptomatische Behandlung, Blut-
egel. Sinapismen etc. —
Es wäre wohl des Versuches wert, ob man nicht
gegebenenfalls bei akuten Herzinsuffizienzen vorteilhaft von
einer Morphium -Digitalis -Kombination Gebrauch machen
könnte.
Die weitere Behandlung des Kranken und seine Ke-
konvalescenz, der Übergang aus der schonenden zur übenden
Behandlung verhalten sich wie bei jeder akuten Herzaffektion
(s. z. B. bei Endokarditis und die ,.Mechanische Behandlung
der Herzkrankheiten", pag. 145).
1) 0. Fraentzel, Vorlesungen ü. d. Krankheiten d. Herzens. Berlin 1899,
A. Hirsclnvald.
Prophylaxe und Therapie der chronischen Insuffizienz des Herzens. l^J
Prophylaxe und Therapie der chronischen
Insuffizienz des Herzens.
Unter der Bezeichnung „chronische Herzinsuffi-
zienz" fassen wir mit Romberg1) die allmählich, langsamer
oder rascher, oftmals schleichend, entstehenden Funktions-
störungen des Herzens zusammen, die als „chronische
Myokarditis", „Herzinsuffizienz bei Fettleibigen",
bei Arteriosklerose, bei Alkoholikern, bei chronischen
Perikard-, Pleura-, Lungen-, Nierenveränderungen,
als Herzinsuffizienz neurogenen Ursprungs (Basedow).
nach andauernden Überanstrengungen2) bekannt sind,
deren Mechanismus und Bestimmung im Abschnitte 2 und 3
(pag. 14 ff.) erörtert wurden. Auch bei den Klappenfehlern
des Herzens kommt je nach ihrer Ätiologie, je nach dem
Grade der Läsion und dem Alter des Kranken früher oder
später eine Insuffizienz des Herzens zustande. Allen diesen
„Herzfehlern" ist der wachsende Widerspruch zwischen
Leistungsfähigkeit des Herzmuskels und dem Erfordernisse
des Kreislaufs, die Abnahme der Leistung des ein-
zelnen Herzschlags gemeinsam. Ihre Behandlung hat
einerseits dem Grade der Herzinsuffizienz, andererseits
dem speziellen Grundleiden Rechnung zu tragen.
Ist der Herzkranke über seinen „Herzfehler"
aufzuklären?
In der Mehrzahl der Fälle wird diese Frage rundweg
zu verneinen sein. Jeder erfahrene Arzt weiß sich an Herz-
kranke zu erinnern, deren Zustand sich von dem x\ugen-
blicke an, da sie die „Wahrheit" erfuhren, in unheilvoller
*) Romberg, Krankheiten der Kreislauforgane in Ebstein- Schwalbe,
Handb. d. prakt. Med.
2) Peacock, Coron. Lectures, Churchill 1865. — Älbutt, 1. c. — Mt/ers,
ibidem. — Seitz , Deutsch. Arch. f. kl. Med., Bd. 10—13. — v. Leyden, Zeit-
schrift f. kl. Med., Bd. 11. — Curschmann, Deutsch. Arch. f. kl. Med., Bd. 11.
— 0. Fraentzel, Über die Entstehung von Hypertrophie und Dilatation der
Herzventrikel durch Kriegsstrapazen. — Hunzinger, Deutsch. Arch. f. kl. Med.,
1877, u.a.
18 2 Spezielle Therapie.
AVeise verschlimmert hat. Seit wir den mannigfachen
Einfluß des Vagus auf das Herz kennen lernten, können wir
auch die Begründung der Tatsache erfassen, daß man ..an
gebrochenem Herzen" sterben kann.1) Wieviel größer wird
die AVirkung einer nervösen Depression auf ein krankes
Herz sein ! Fast alle Herzkranken sind reizbar . zu Ver-
stimmungen geneigt und von hypochondrischem Gemüts-
zustande. Diese Erwägung allein macht die Logik jener
Ärzte zunichte . welche sich berufen rinden . jedem Herz-
kranken ins Gesicht zu sagen . daß er einen Herzfehler
habe. Man muß seine Kranken auch ohne eine solche In-
formation an ein entsprechendes hygienisches Verhalten ge-
wöhnen können. Ich kann den Standpunkt derjenigen nicht
teilen, die etwa einem Kranken mit leichter Mitralinsuffizienz,
der also einem Gesunden gegenüber nur wenig im Nach-
teile ist und voraussichtlich noch viele Jahre lang erwerbs-
fähig, genußfähig bleibt, oder einem Kranken mit einem ge-
ringeren Grade von Arteriosklerose das „memento mori" gerade-
zu aufzwingen. Lassen wir uns aber auch angesichts schwererer
Fälle mehr von den Prinzipien der Menschlichkeit leiten,
als von anderen sich uns etwa aufdrängenden Erwägungen.
Persönlicher Takt und Menschenkenntnis werden uns über
manche gefährliche Klippe hinweghelfen können. — Einem
Kranken . der geneigt ist . seinen Herzzustand zu unter-
schätzen . der trotz unserer Einsprache an anstrengenden
Sportleistungen Anteil nimmt . leichtsinnige Exzesse in Ve-
nera, in Baccho begeht, haben wir zu warnen, diesem
gegenüber kann uns allerdings die ,. Wahrheit" bisweilen
zur Pflicht werden. — Mancher Herzkranke wird anläßlich
eines Versuches, eine Lebensversicherung einzugehen, über
das Bestehen eines ..Fehlers" an seinem Herzen orientiert.
AVir haben mit dieser Tatsache zu rechnen, denn mit der
immer anwachsenden Zahl der Versicherten wächst auch die
^Wahrscheinlichkeit . daß Herzkranke sich versichern lassen
wollen. Ebenso kann ein Herzkranker durch einen Zufall
den wahren Sachverhalt erfahren. In solchen Situationen
l) >:. Schroffer, A'erhandlungen des 17. Kongresses für innere Medizin.
Berufswahl. — Die Ehe Herzkranker. Ig3
muß der Arzt zum Tröster werden können, darauf hin-
weisend, daß ,.Herzfehler" unter günstigen Verhältnissen
eine normale Lebensdauer zulassen, daß es sich im vor-
liegenden Falle um einen völlig ,. kompensierten" Fehler
handle , der bei kluger Lebensführung keinerlei Anlaß zu
Besorgnissen biete u. s. w. Immer aber hängen die Folgen
einer solchen Mitteilung von dem Temperamente und der
Intelligenz des Kranken einerseits, von der Erfahrung und
Lebensklugheit des Arztes andererseits ganz besonders ab.
Berufswahl.
Liegt uns die Frage der Berufswahl bei einem herz-
kranken Jüngling oder Mädchen vor, dann haben wir darauf
aufmerksam zu machen, daß ein Beruf, der mit schwerer
körperlicher Arbeit, mit reichlicher Bewegung. Stiegen-
steigen u. s. w. verbunden ist , für Herzkranke durchaus
ungeeignet erscheinen muß.
Oft zwingt uns unser Befund, einen Herzkranken aus
der erwerbenden Bevölkerungsschichte, dessen Beruf zu
anstrengend erscheint, auf die Notwendigkeit der Wahl
eines anderen Berufes aufmerksam zu machen. Leider stellen
sich der Lösung einer solchen Frage nur allzu häufig ma-
terielle Hindernisse , die Sorge um die Existenz , entgegen.
Dann bleibt nichts anderes übrig, als den Kranken seinen
Beruf fortsetzen oder wieder aufnehmen zu lassen und vor-
läufig nur abzuwarten . inwieweit er denselben noch zu
erfüllen vermag. Der Kranke wird oft leider wohl selbst
das Maß seiner Leistungen im Berufe immer mehr herab-
stimmen müssen; gelingt es ihm, einen neuen, minder an-
strengenden Lebenserwerb zu finden, dann kann er vor-
aussichtlich sich und seiner Familie länger erhalten bleiben.
Die Ehe Herzkranker.
Sollen wir einem Herzkranken die Ehe ge-
statten, wiewohl wir wissen, daß jede sexuelle Betätigung
einen heftigen Herzreiz darstellt, die Gravidität und vor
1$4 Spezielle Therapie.
allem der Geburtsakt1) für die Frau unter Umständen
direkte Lebensgefahr zur Folge haben? Ich möchte diese
Frage mit den Worten Rombergs beantworten: ..Jene Ge-
fahren wiegen jedenfalls das Glück nicht auf, welches eine glück-
liche Ehe mit sich bringt." Auch hier kommt es übrigens in
hohem Maße auf die Verhältnisse des vorliegenden Falles an. So
wie es nicht richtig ist, zu fragen, ob Herzkranke körperlich
arbeiten dürfen, sondern die Frage lauten sollte : ,, Welche Herz-
kranken dürfen arbeiten*', ist auch die Fragestellung in
Bezug auf die Ehe Herzkranker so zu präzisieren : „Welchen
Herzkranken können wir das Heiraten gestatten?" Eine
solche Entscheidung deckt sich jedesmal naturgemäß mit
der Prognose des speziellen ,. Herzfehlers u überhaupt, mit
dem Grade der Herzfunktion, dem Alter des Kranken:
Einem Kranken mit einem geringen Grade von Mitral-
insuffizienz werden wir das Heiraten oft zweifellos gestatten
können, eine in mittleren Jahren nach Endokarditis erworbene
Aorteninsuffizienz ist bereits schlechter daran, noch schlechter
unter sonst gleichen Verhältnissen ein Kranker, dessen
Aorteninsuffizienz auf luetischer Grundlage acquiriert wurde,
oder eine Frau mit hochgradiger Kyphoskoliose. Kranke
Frauen mit schwereren Mitralstenosen sind durch die Gra-
vidität und die Geburtsarbeit, besonders wegen der Mög-
lichkeit des Eintrittes von Embolien und Infarkten, ge-
fährdet. Es ist ferner zu beachten, daß herzkranke Frauen
zu Aborten und Frühgeburten neigen, daß Entzündungen
von Gelenken und Endokarditiden während des Puerperiums
wiederkehren können und daß Komplikationen des ..Herz-
fehlers" wie Nephritis, obsolete Pleuritis etc. die Prognose
wesentlich verschlimmern. ..Oft wird es leichter sein, wieder-
holte Schwangerschaften zu verhindern, als durch unseren Rat
zu bewirken, daß herzkranke Mädchen und Frauen gänzlich
dem Glücke der Ehe oder dem Mutterglücke entsagen"
*) Mit jeder AVehe geht eine mächtige arterielle Blutdrucksteigerung
einher; sobald das Kind ausgestoßen ist, erfolgt ein starkes Absinken des
Blutdrucks. In unseren Fällen handelt es sich eben um die Frage, ob das
Herz solchen Druckschwankungen gewachsen ist.
Kleidung, Abhärtung. 1$5
(v. Lei/den1). Herzkranken Frauen, deren Entbindung wegen
rhachitiseher Beckenformation voraussichtlich schwer sein
wird, ist das Heiraten zu widerraten. In jedem Falle ist es
unsere Pflicht, die Eltern eines herzkranken Mädchens auf die
Gefahren der Schwangerschaft und Entbindung aufmerksam
zu machen, den herzkranken Mann vor jedem sexuellen Exzesse
dringend zu warnen. — Kranke mit Erscheinungen der Herz-
insuffizienz sollen, je nach dem Grade derselben, den Koitus
einschränken oder meiden, denn die Literatur kennt plötz-
liche Todesfälle von Herzkranken während des Koitus. —
Das Eingehen der Ehe ist, wenn einmal Insuffizienzerschei-
nungen bestehen, sowohl Männern als Frauen zu wider-
raten. — Den Anforderungen der Geburt, selbst der Früh-
geburt, ist ein insuffizientes Herz kaum jemals gewachsen.
Meist folgt der Geburt eine schwere Dekompensation , die
bisweilen schon 3 — 4 Tage nach der Entbindung zum Tode
führt oder nur allmählich wieder rückgängig wird (Romberg).
Kleidung, Abhärtung.
Herzkranke, zumal diejenigen, welche den ..Herzfehler'
durch Endomyokarditiden erworben haben , sind in der Regel
gegen auffällige Feuchtigkeits- und Temperaturverhältnisse
sehr empfindlich, für rheumatische Affektionen ..prädisponiert''.
Relativen Schutz hiergegen bietet eine rationelle Kleidung-
Empfehlenswert ist vor allem das Tragen von flanellenen
oder schaf wollenen Unterkleidern und von schafwollenen
Strümpfen im Winter, von leichteren schafwollenen „Leibchen"
in der wärmeren Jahreszeit. Rheumatiker und Herzkranke
sollen „nasse Füße*' und durchnäßte Kleider meiden, durch-
näßtes Fußzeug so rasch als möglich wechseln, sich, wenn
sie durchnäßt gewesen, kräftig trocken reiben oder trocken
reiben lassen, hierauf die Wäsche wechseln, vom Gehen,
Laufen, vom Spiele erhitzt, sich nicht ins Gras legen oder
auf feuchte Plätze setzen, trockene Wohnungen beziehen.
*■) v. Lei/den, Zeitscbr. f. klin. Med.. Bd 23. — Feis, Samml. kl. Vortr.
v. Volkmann, Nr. 213, n. v. a. m.
186 Spezielle Therapie.
andererseits bestrebt sein, sich abzuhärten, um die "Wider-
standsfähigkeit ihres Körpers gegen Witterungseinflüsse zu
erhöhen. Eng anliegende Kleider, beengende Kleidungs-
stücke, Korsett, Gürtel, Riemen, hohe Stehkragen, enge
Uniformen sind zu meiden. Die Enge des Halskragens beim
Militär wird von Myers1) geradezu für die Erklärung der
Häufigkeit von Herzaffektionen in der englischen Armee
mit angeführt. Die Kleidung soll auch nicht durch ihr
Gewicht belästigen, Atmung und Zirkulation nicht er-
schweren, sie soll aber entsprechenden Schutz gegen Kälte
bieten.
Wichtig ist die Sorge für eine regelmäßige Haut-
pflege durch Waschungen und Bäder. Die Temperatur
des Zimmers, wo Herzkranke sich aufhalten, wird nach
individuellem Maße zu regulieren sein; ältere Leute und
schwer Herzleidende benötigen wärmere Wohnräume als
jüngere Individuen und Leichtkranke. — Die Normaltempe-
ratur eines Wohnraumes ist 15° R.
Bewegung, Sport, Ruhe, Erholung, Temperaturwechsel.
Der Herzkranke soll darüber orientiert sein, daß ihm
alles schadet, was ihn dyspnoisch macht.
Kann er, ohne kurzatmig zu werden, körperliche Be-
wegungen ausführen, dann wäre es fehlerhaft, ihn daran
zu hindern, ihn ans Zimmer zu fesseln, zur Ruhe zu ver-
dammen, denn in ungeahnt vielen Fällen läßt sich durch
Übung, durch Heilgymnastik und „Übungstherapie" eine
Bewegungsfähigkeit erreichen, die anfangs unmöglich ge-
wesen wäre. Es ist das unvergängliche Verdienst von Stokes,
dies zuerst gelehrt zu haben ; er hat den Herzkranken Licht
und Luft, Himmel und Sonne wiedergegeben. Es wäre aber
sicherlich noch fehlerhafter, den Kranken zu einem Maße
von Bewegung anzuhalten, das ihn erschöpft. Körperbewe-
gung, Spaziergänge und Heilgymnastik sollen täglich aus-
geführt werden; einmal in der Zeit unternommen, ermüdet
*) F. A. Hoffmann, 1. c. pag. 74.
Bewegung, Sport, Ruhe, Erholung, Temperaturwechsel. 187
ein Spaziergang, den der Geübte, Gewöhnte, mühelos zurück-
legt, ja er kann schädlich wirken. Der Herzkranke soll
an den Rückweg niemals vergessen, bei der Bemessung der
zurückzulegenden Entfernung auf denselben bedacht sein.
Unmittelbar nach einer Nahrungsaufnahme ist für kurze
Zeit Ruhe einzuhalten; niemals erfolge andererseits ein
Spaziergang zeitlich morgens mit nüchternem Magen, ferner
bei großer Hitze oder heftigem Winde.
Ein Herzkranker, der Stiegen und Anhöhen ohne Herz-
klopfen und Athemnot steigen kann, mag dies unter häufig
wiederholter Kontrolle fortsetzen. (Oft können Herzkranke
noch nach rückwärts gehend Stiegen hinaufgehen , wenn
ihnen das Steigen in gewöhnlicher Weise überaus schwer
fällt [Broadbent]).
Die verschiedenen Sporte sind Herzkranken zum größten
Teile versagt. Mäßiges Radfahren auf ebenem Terrain
könnte geübten Fahrern am Ende gestattet werden. Doch
wird man besser daran tun, es zu verbieten, da speziell
beim Radfahren des Guten leicht zu viel getan wird.
Herzkranke, die reiten können, dürfen diesen Sport,
wenn Insuffizienzerscheinungen nicht vorhanden oder ver-
schwunden sind, wieder aufnehmen; es empfiehlt sich hin-
gegen nicht , Herzkranke reiten lernen zu lassen , da die
Aufregungen und Anstrengungen des Lernens entschieden
zu groß sind.
Alle Herzkranken sind zum Militärdienste un-
tauglich.
Herzkranken Kindern sind im Schulunterrichte
Erleichterungen zu gewähren; sie sind vom Schulturnunter-
richte zu dispensieren und sollen körperliche Übungen wo-
möglich nur unter ärztlicher Leitung oder Anleitung aus-
führen.
Herzkranke (wie ältere Individuen überhaupt) dürfen
sich — etwa beim Verlassen der Wohnung — nicht plötz-
lichen Temperaturunterschieden aussetzen, den
Übergang aus dem Zimmer in die Außenluft sollen sie
langsam bewerkstelligen (indem sie sich eine Weile im Vor-
zimmer , Stiegenhause aufhalten) , weil durch den unver-
Igg Spezielle Therapie.
mittelten Einfluß von kalter Luft auf die Hautgefäße Blut-
drucksteigerungen zustande kommen können, denen das ge-
schwächte Herz oftmals nicht gewachsen ist.
Das Herz eines älteren Individuums ist ceteris paribus1)
weniger anpassungsfähig, als das Herz eines jüngeren In-
dividuums, weilKontraktilität und Elastizität des Herzmuskels
in individuell wechselnder Weise allmählich abnehmen. 2)
Wir werden daher z. B. einem herzkranken Kinde eine täg-
liche Arbeitsleistung zumessen dürfen , die einer Person in
mittleren Jahren mit dem gleichen Herzfehler entschieden
zu verbieten sein wird.
Ein wichtiger Bestandteil der Therapie der Herzinsuf-
fizienz ist in vielen Fällen das Einhalten von Ruhe, und
wenn es der Zustand des Kranken erfordert, von absoluter
Bettruhe.3) Dieselbe erspart dem Herzkranken Muskel-
und Herzarbeit, sowie Wärme Verluste, die durch Stoffwechsel-
arbeit gedeckt werden müssen , die also auch eine Vermeh-
rung der Herzarbeit voraussetzen. Es gibt ohne Zweifel
Fälle, in denen Bettruhe in der Dauer einiger Wochen
das Leben des Kranken um eben so viele Jahre verlängern
kann. Man soll aber seine Kranken nicht unnötig ins Zimmer
sperren oder gar ans Bett fesseln, denn dies hieße oft
nur die Qualen der letzten Lebenstage erhöhen, ohne die
Zahl dieser Tage zu vermehren. Der Kranke, der ins Bett
gehört, empfindet diese Notwendigkeit schließlich zumeist
selbst, ohne daran gemahnt zu werden. Man ziehe in Be-
tracht, daß viele Kranken bisweilen schon durch den Ge-
danken, im Bette liegen zu müssen, aufgeregt werden und
in schlechte Stimmung geraten, was den Verlauf ihres
Leidens in böser Weise beeinflussen kann.
Oft hat man es mit eigensinnigen Kranken zu tun,
die ihren Vorteil verkennen und zu demselben gezwungen
werden müssen. Gerade Herzkranke neigen zu Reiz-
barkeit und Verstimmungen, die oft einen pathologi-
x) Siehe Kap. II.
2) Masing, Deutsches Arch. f. kl. Med., Bd. 74.
3) Die medikamentöse , diätetische , gymnastische und hydriatische
Therapie während der Bettlägerigkeit sind im Abschnitte „Digitalis" etc. er-
örtert worden.
Bewegung, Sport, Ruhe, Erholung, Temperaturwechsel. 1 g9
sehen Charakter annehmen können. Die Umgebung soll
hierauf aufmerksam gemacht werden , um nicht als Laune
zu deuten, was Folge der Krankheit ist.
Mancher schwer Kranke fühlt sich im Bette unbehag-
licher als auf einer Ottomane ; oft ist daran das Bett selbst
schuld , das zu weich oder zu hart , zu kühl oder zu heiß
sein kann. Selbst das Leben eines durch Monate ans Bett
Gefesselten läßt sich noch mannigfach verschönen. Das Wesen
der therapeutischen Kunst beruht ja oft in der Beachtung
von Kleinigkeiten.1) Herzkranke haben das Bedürfnis
hoch zu liegen; mäßig harte Polster sind weichen Kopfkissen
vorzuziehen.
Viele Patienten , die sich durchaus nicht an den Ge-
danken des Aufenthaltes im Bette gewöhnen wollten , ge-
wöhnen sich hieran , versöhnen sich mit demselben , wenn
schon nach ein- bis zwei Tagen eine leichte Besserung zu ver-
zeichnen ist, der Schlaf sich bessert, dieDiurese ansteigt etc. —
Frische Luft, manchmal ein bißchen Sonnenschein, sind dem
Herzkranken willkommene Gäste. Selbst kühlere Witterung
verbietet das Öffnen des Fensters im Krankenzimmer nicht,
wenn der Kranke geschützt, in warme Decken eingehüllt
ist. Es tut ihm oft unendlich wohl, wenn ein kühler Luft-
hauch über seine Stirne hinwegstreicht. — Zu viel Besuch und
das damit verbundene Sprechenmüssen ermüden den Herz-
kranken ; auch Lesen und Schreiben strengen in bisweilen
ganz unerwarteter Weise an, denn geistige Arbeit hat eine
Erhöhung des Blutdruckes zur Folge.
Wie bei jedem Kranken, der zu lange fortgesetztem
Aufenthalte im Bette verurteilt ist, werde auch beim Herz-
kranken gegen das Eintreten von Dekubitus Sorge ge-
tragen. Das Leintuch darf keine Falten bilden, es soll, wo
keine speziellen Vorrichtungen hiefür vorhanden sind,
mittels Sicherheitsnadeln an die Matratze befestigt werden.
Gerötete Partien des Körpers (am Kreuz, den Fersen) sind
täglich mit Essig , Zitronenscheiben , Franzbranntwein zu
waschen, wenn sie wund werden durch Wattakränze, Gummi-
l) Mendelsohn, Krankenpflege für Mediziner. Jena 1899.
190 Spezielle Therapie.
luftringe , Wasserkissen zu schützen , vor Verunreinigung
durch Bleisalben, Präzipitatsalben zu bewahren, mit Salicyl-
und Lapissalben zu behandeln. Tiefe brandige Geschwüre
reinigen sich oftmals rasch , wenn man sie mit Gypsteer
(ßitum. fag. 20'0, Calc. sulf. 80*0. S. Äußerlich) dick ein-
streut und verbindet.
Patienten mit den höchsten Graden von Dyspnoe ver-
tragen den Aufenthalt im Bette, selbst sitzend, nicht. Sie
lassen die Beine über den Bettrand hinaushängen, vermutlich
um den Druck auf das geschwellte Abdomen (Leber) und
die ödematöse Bauchhaut zu vermeiden , oder sie befinden
sich in einem breiten , gepolsterten Lehnstuhle mit Arm-
und Fußstützen, warm zugedeckt, besser als im Bette.
Rekonvaleszenz. Allgemeinere Grundsätze des Heilplanes.
Krankenpflege.
Die Frage, wann ein Herzkranker nach eingetretener
Besserung das Bett verlassen, seinen Beruf wieder aufnehmen
darf, laßt sich nicht kurz beantworten. Hier muß die Er-
fahrung und die Reaktion des Kranken auf leichte, im Bette
vorgenommene Widerstandsbewegungen die Auskunft geben.1)
Im allgemeinen wird man warten, bis die Insuffizienzer-
scheinungen bei Bettruhe ganz oder zum größten Teile zu-
rückgegangen sind , die Harnmenge längere Zeit wieder
normal , Embolien seit mehreren Wochen nicht mehr auf-
getreten, Fiebererscheinungen seit mindestens drei Wochen
verschwunden sind etc. Erst stehe der Kranke nur für
wenige Minuten auf2) , dann für immer längere Zeit , die
Zwischenpausen werden immer kürzer, der Aufenthalt außer-
halb des Bettes immer länger ; der Kranke darf sich anfangs
nicht bücken und muß sich beim Ankleiden helfen lassen.
Ganz allmählich, unter Einschaltung von C02-hältigen Bädern,
Gymnastik , eines Badeaufenthaltes , klimatischen Kurge-
brauches u. s. w. erfolgt der Rücktritt in das Leben , die
') Siehe außerdem pag. 26 ff.
l) Siehe pag. 170 u. 171.
Rekonvaleszenz. Allgemeinere Grundsätze des Heilplanes. 191
Freiheit, den Beruf. Besondere Vorsicht hat einzutreten,
wenn der Genesene einer unvorhergesehenen Überanstrengung
ausgesetzt wird, weil eine solche leicht zur Wiederkehr der
Insuffizienzerscheinungen, eventuell zu irreparablen Störun-
gen führen kann.
Gelingt die Rückbildung der Insuffizienzerscheinungen
nicht vollständig, ist also eine Insuffizienz zweiten Grades
vorhanden, dann ist strenge Überwachung des Kranken
und Anpassung der Tätigkeit desselben an den Herzzustand,
in dem Maße als es die konkreten Verhältnisse erfordern,
resp. gestatten, notwendig.
Solchen Kranken ist jede anstrengende Körperbewe-
gung, jeder Sport strikte zu untersagen, das Maß der Ar-
beit und das Maß des Vergnügens weit herabzusetzen, soweit
es ihnen die eigene Empfindung nicht schon grausam ver-
bietet. Etwaige Spaziergänge sind 3 — 4 Stunden nach der
Mahlzeit oder vor derselben auszuführen.
Angestrengtes Bücken , Kniebeugen , Armehochheben
ist diesen Kranken verboten. Dies gilt speziell mit Rück-
sicht auf die gern ohne Leitung eines Arztes vorgenommene
..Zimmergymnastik", welche vielen Patienten häufig von
„Unberufenen" empfohlen wird.
Bestehen nur geringe Insuffizienzerscheinungen , dann
kann man von kontinuierlicher Bettruhe Abstand nehmen,
sich anfangs auf die uns bekannten medikamentösen, diäte-
tischen, peumato therapeutischen und klimatotherapeutischen
Maßnahmen beschränken, den Kranken vorübergehend seinem
Berufe entziehen oder für wesentliche Erleichterungen in
demselben Sorge tragen und durch solche Mittel eine Wieder-
kehr der Herzsuffizienz anbahnen.
Alle Herzkranken sollen nach jeder Art von anstren-
gender Körperbewegung, nach der Nahrungsaufnahme, nach
psychischen Erregungen u. s. w. ruhige Rückenlage (oder die
dem Einzelnen bequemste Ruhelage) einnehmen, bis die Zahl
der Respirationen und der Pulse auf das individuelle Mindest-
maß abgesunken ist. Die Ausnahmsfälle, in denen etwa die
Pulszahl während der Rückenlage ansteigt (pag. 28), können
die Regel nicht tangieren, daß die Grundlage jeder ab-
192 Spezielle Therapie.
sohlten Schonung des Herzens die Innehaltung der ruhigen
Rückenlage ist (F. A. Hoff mann1).
Ob ausschließlich ,. schonende" Behandlung notwendig
ist, oder ob von vornherein auch bereits übende Behelfe
herangezogen werden sollen , muß in jedem Falle durch
den Versuch entschieden werden. In den ersten Wochen
der Behandlung nehme der Kranke einmal täglich (während
der Tagesstunden) mehrstündliche Rückenlage behufs Appli-
kation eines „Herzschlauches" ein.2) Wofern keine spezielle
Kontraindikation der Digitalisdarreichung vorliegt, werde
dieselbe nach den uns bekannten Regeln zur Anwendung
gebracht.3) Je nach dem Grade der Funktionsläsion und
der Art der Erkrankung kommen langsamer oder rascher
die übenden Maßnahmen, C02 -hältige Bäder, Mechano- und
Hydrotherapie, ,,Terraincuren" etc. in Betracht. Man be-
denke aber immer, daß die Funktionsdiagnose in vielen
Fallen von Myodegeneration , Concretio pericardii , Nieren-
affe ktionen etc. überaus schwer, trügerisch ist. Je mehr
Vorsicht wir üben, desto mehr Enttäuschungen bleiben uns
erspart. Jederzeit aber kann es uns trotz genauester Unter-
suchung widerfahren, daß eine anscheinend leichte Insuffi-
zienz in einem scheinbar frühen Stadium letal endigt, und
daß uns erst die mikroskopische Untersuchung des Herzens,
oft nicht einmal diese, über den Grad der speziellen Insuffi-
zienz Aufklärung bringt.
Sich wiederholende Anfälle von Herzinsuffi-
zienz sind desto vorsichtiger zu behandeln, je älter das
betreffende Individuum ist und je öfter sie sich bereits
wiederholt haben.
An dieser Stelle sei die „Herzschwäche" erwähnt, die man
bei Diabetikern neben großer Muskelschwäche und Hinfälligkeit
zu finden pflegt und die in vielen Fällen durch eine antidiabetische
Diät merklich beeinflußt wird. Hirschfeld 4) bringt diese Herz-
schwäche mit der allgemeinen Muskelschwäche in Verbindung,
welche sich u. a. auch an dem Akkommodationsmuskel des Auges be-
x) F. A. Hoffmann, 1. c.
a) Vide pag. 119, 120, 169, 170.
3) Vide pag. 51 ff.
4) Hirschfeld, Berliner klin. Wochenschr., 1900, Nr. 16.
Rekonvaleszenz. Allgemeinere Grundsätze des Heilplanes. !<);;
merkbar macht. Ihre Therapie ist im übrigen die der chronischen
Herzinsuffizienz (neben Berücksichtigung der für den Diabetes in
Betracht kommenden Maßnahmen).
Die Schmerzen der Kranken in der Herz- und Leber-
gegend werden bisweilen nach Anlegung von Blutegeln.
Senfpflastern, Schröpfköpfen (an die schmerzenden Stellen)
vermindert. Einige wirksame Blutegel lindern das Spannungs-
gefühl in der Lebergegend z. B. manchmal in eminentester
Weise.
Man nehme nur gesunde Blutegel, die sich lebhaft bewegen
und lasse dieselben einige Stunden vor dem Gebrauche außer
Wasser oder in verdünntem Essig. Gute Blutegel ziehen sich nach
dem Anfassen eiförmig zusammen. Nach Reinigung der Hautstelle
mit Seife und Wasser bestreicht man die Haut mit Milch oder Zucker-
w asser. Man appliziert die Blutegel einzeln, indem man sie vorsichtig
mit einem dünnen Leinenläppchen dicht hinter dem Kopf, ohne sie zu
drücken, faßt und den Kopf gegen die Haut hält, oder sie in ein
zusammengerolltes Kartenblatt bringt, dessen Mündung man gegen
die Haut hält. Man kann aber auch mehrere Blutegel zusammen
applizieren , indem man sie in ein breithalsiges Gefäß bringt und
dieses mit der Mündung nach unten auf die Haut aufsetzt. Der
vollgesogene Blutegel fällt von selbst ab ; durch Bestreichen mit
Zucker oder Kochsalz wird das Abfallen erleichtert; gewaltsames
Abreißen ist nicht angezeigt. Sodann läßt man einige Zeit nach-
bluten , indem man die blutende Stelle immer wieder mit Watte
oder Gaze abwischt. Schließlich Kompressionsverband.
Zur Bereitung von Senfteig rührt man eine Handvoll Senf-
mehl mit der gleichen Menge warmen Wassers zu einem dicken
Brei an, der auf ein Stück Leinwrand messerrückendick aufgestochen
und direkt auf die Haut gelegt wird. Nach 5 — 10 Minuten wird
der Senfteig wieder abgenommen und die stark gerötete Haut ab-
gewaschen , abgetrocknet und mit Vaselin eingefettet. Längeres
Liegenlassen des Senfteiges führt Blasenbildung herbei , die zu
vermeiden ist.
Als Ersatz des zu bereitenden Senfteiges dient das stets be-
reite Senfpapier, das 1/2 Minute lang in lauem Wasser aufgeweicht
werden muß und mit der Schichtseite auf die Haut gelegt wird,
oder ein mit Senf Spiritus getränktes Löschpapierblatt.
Zum Schröpfen verwende man gläserne Schröpfköpfe, die
sich am besten reinigen lassen. Im Notfalle kann jedes nicht zu
große und zu weite Glas als Schröpfkopf gebraucht werden. Die
Luftverdünnung im Schröpfkopfe kann man am einfachsten dadurch
herbeiführen, daß man ein Holzstäbchen an einem Ende mit Watte
umwickelt, die letztere mit Alkohol tränkt und angezündet in die
Braun, Therapie der Herzkrankheiten. 13
194 Spezielle Therapie.
Öffnung: des Schröpfkopfes hineinhält, ohne diesen zu berühren.
Dann setzt man den Schröpfkopf rasch auf die Haut auf, so daß
sein Rand überall fest anliegt. Man erwärme den Schröpfkopf
nicht zu sehr, um eine Verbrennung der Haut zu vermeiden. Übri-
gens kann man nach einer Empfehlung Auberts (Lyon medic, 1892)
ein mit warmem Wasser benetztes Seidenpapier unter die Ränder
des Schröpfkopfes legen und dadurch die Haut schützen. Infolge
der Luftverdünnung wird die Haut allenthalben in die Höhlung
des Schröpfkopfes hineingezogen ; nach einigen Minuten nimmt man
den Kopf ab, indem man an einer Stelle des Randes die Haut
niederdrückt und dadurch Luft eintreten läßt. Die Rötung und
Verfärbung der Haut bleibt durch längere Zeit bestehen ; bei zarter
Haut kann es bis zur Blasenbildung kommen. Man setze Schröpf-
köpfe nur auf Körperteile auf, welche genügend große Flächen
darbieten; Stellen, an denen die Haut dem Knochen direkt aufliegt,
vermeide man. Behaarte Teile werden vorher rasiert , die Haut
wird durch Auflegen feuchtwarmer Kompressen vorbereitet. — An
Stelle des „blutigen Schröpfens" ist neuerer Zeit die Skarifikation
getreten. Die „künstlichen Blutegel" gehören der Vergangenheit
an. Eine überaus handliche Methode des Schröpfens hat v. Jaksch x)
angegeben.
Wenn bei Schädigungen des linken Ventrikels die Ver-
langsamung der Zirkulation den höchsten noch mit dem Leben
verträglichen Grad erreicht, ein plötzlicher Schwächezustand
der linken Kammer eintritt, die vermehrte Inanspruchnahme
des rechten Ventrikels (bei Mitralfehlern) keine weitere Steige-
rung mehr zuläßt, Insuffizienz des rechten Ventrikels nahe
bevorsteht und Lungenödem sich entwickelt, dann kann dieser
durch die höchsten Grade von Cyanose ausgezeichnete be-
drohliche Zustand bisweilen noch durch die Venäsektion
beseitigt werden. Durch Entnahme von 300 — 500 cmz Blut
wird der Druck im rechten Vorhofe vorübergehend vermindert,
die Kammer entlastet. Die Wirkung eines Aderlasses ist in
solchen Fällen oftmals geradezu erstaunlich. Das gedunsene,
cyanotische, mit Todesschweiß bedeckte Gesicht wird frischer
gefärbt, die kühlen Extremitäten werden wieder wärmer, ein
Zeichen dafür, daß der Kreislauf sich gebessert hat. Die
Indikation zur Vornahme der Venäsektion bietet
also das Verhalten des rechten Ventrikels. Findet
sich eine kräftige Hebung des Sternum oder neben dem Ster-
\) v. Jaksch, Tlierap. Monaish., 1902, Nr. 7.
Rekonvaleszenz. Allgemeinere Grundsätze des Heilplanes. 195
num. dann kann die Entlastung der überangestrengten
Kammer Nutzen bringen; ist hingegen die Insuffizienz des
rechten Ventrikels bis zu ihren höchsten Erscheinungen ge-
diehen, dann wird auch die Vornahme eines Aderlasses nur
noch selten von Erfolg begleitet sein.
Die Herzinsuffizienz nach Aorteninsuffizienzen älterer
Leute bietet wegen der hochgradigen Anämie, mit der sie
einherzugehen pflegt, wohl kaum jemals die Veranlassung
zur Vornahme eines Aderlasses dar.
Wenn sich im Verlaufe einer Herzaffektion Embolien
oder Thrombosen entwickeln, hat absolute körperliche
Ruhe einzutreten; je nach der Größe des obturierten Ge-
fäßes muß 3 — 6 Wochen lang das Bett gehütet werden.
Befallene Extremitäten werden hoch gelagert und in er-
höhter Stellung leicht fixiert. Zur Behebung der Schmerz-
haftigkeit sind feuchtwarme Umschläge am meisten empfehlens-
wert, während Eisapplikation gewöhnlich versagt, ja selbst
schmerzhaft empfunden werden kann. Alle „übenden"' Maß-
nahmen , die Darreichung von Herzmitteln , der Gebrauch
von C02-hältigen Bädern haben zu unterbleiben. Nur ganz
allmählich dürfen Bewegungen wieder aufgenommen werden.
Wichtig ist vor allem die Sorge für leichten Stuhlgang,
um Blutdrucksteigerungen während der Defäkation, welche
zur Loslösung von Thrombenmassen führen könnten, zu ver-
meiden.
Bei der Mehrzahl der „Herzleidenden"' stellt sich
schließlich ein qualvolles Siechtum ein, in welchem alle Ver-
suche , die Zirkulation zu bessern , erfolglos bleiben. Der
Hydrops steigt, die Kranken werden immer schwerer be-
weglich, orthopnoisch, vom Spannungsgefühle in der Leber-
gegend , dem Hustenreize gepeinigt, schlaflos , entkräftet.
Dann bleibt wohl nichts anderes übrig, als zu Schlafmitteln
zu greifen, sollen nicht die heruntergekommenen Kranken
durch die Qual der schlaflosen Nächte noch weiter erschöpft
und zerrüttet werden.
Der Schlaf kann in vielen Fällen nicht nur als Tröster,
sondern auch als Helfer bezeichnet werden. So hat Quincke x)
') Quincke, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 31.
13*
!<)<) Spezielle Therapie.
zum erstenmale darauf hingewiesen, daß die Diurese bei
Herzschwäche im Schlafe zunimmt. Während des Schlafes
erholen sich das Großhirn und die lebenswichtigen Zentren,
die auch die Herztätigkeit beeinflussen. Der Stoffwechsel ist
im Schlafe geringer als im wachen Zustande, seine Abnahme
desto größer, je fester der Schlaf. Wir haben gehört, daß
Ersparnisse in Bezug auf den Stoffwechsel sich auch in Ver-
minderung der Herzarbeit äußern. Die Herabsetzung des
Stoffwechsels im Schlafe ist wohl hauptsächlich auf die völlige
Ausschaltung der willkürlichen Muskelbewegungen zurück-
zuführen. Während des Schlafes ist die Frequenz des Herz-
schlags herabgesetzt, wird der Tonus der Gefäße geringer,
sinkt der Blutdruck ab (Tiyerstedt1). Schließlich hält der
Schlaf jeglichen psychischen Reiz von dem Herzen fern. —
Der Schlaf ist also unser wirksamstes, bestes Herzscho-
nungsmittel, das unter Umständen auch auf künstlichem
(medikamentösem) AVege herbeizuschaffen ist.
Die mildesten Beruhigungsmittel2) sind die Bromprä-
parate, die unbedenklich durch lange Zeit gereicht werden
können. Ob das Natronsalz vor dem Kalisalze die weniger
herzschädigende Wirkung voraus hat, bleibt noch dahinge-
stellt ; jedenfalls erzeugt das Bromkalium leichter Verdauungs-
beschwerden als das Bromnatrium. Man gebe also Brom-
natrium, und zwar gleich in tüchtiger Dosis, 2—3—4^,
1/2 Kaffeelöffel voll, in AVasser gelöst oder in Milch; die
Brom-Brausemischungen und die Darreichung der Bromsalze
in kohlensäurehältigen Mineralwässern sind für Herzkranke
ungeeignet. Oft erzielt man eine bessere Bromwirkung, wenn
man die Bromdosis teilt, z.B. 1*5 — 2g etwa eine Stunde
vor der Schlafenszeit, die gleiche Dosis unmittelbar vor der
Schlafenszeit verabreichen läßt.
Bromammonium wird in ungefähr halb so großen
Dosen gegeben wie Bromnatrium.
*) Tiger st edi, Lehrbuch der d. Physiol. d. Menschen. Leipzig 1902.
a) Auch die sogenannten Beruhigungsmittel (Sedativa) können im
wahrsten Sinne des Wortes als Beruhigungs-(Schonungs-)mittel des Herzens
bezeichnet werden, indem sie jegliche (vor allem die reflektorische) Erregbarkeit
des Herzens herabsetzen und damit zahlreiche Quellen der vermehrten In-
anspruchnahme des Herzens beseitigen.
Rekonvaleszenz. Allgemeinere Grundsätze des Heilplanes. \\\~
Den Sulfo Verbindungen der Fettreihe, Sulfonal und
Trional ist eine kräftige schlafbringende Wirkung eigen-
tümlich, die uns jedoch bei Herzkranken leider nur allzu oft
im Stiche läßt. Der Schlaf tritt, vielleicht wegen der Schwer-
löslichkeit dieser Mittel, verhältnismäßig langsam ein. um
jedoch bisweisen viel länger anzuhalten als nach anderen
Schlafmitteln. Als Nachwirkungen des Sulfonals sind Schläfrig-
keit, Depressionszustände (Hat/1), ja selbst Lähmungser-
scheinungen (Umj)fenhach-) verzeichnet worden. Xach großen
Sulfonaldosen können schwere Yergiftungserscheinungen auf-
treten. — Das Trional ist wirksamer als das Sulfonal. seine
Wirkung tritt rascher ein . die Nachwirkungen sind viel
weniger unangenehm. Die länger fortgesetzte Darreichung
der Sulfoverbindungen bei Herzkranken ist nicht angezeigt:
das Trional kann ungefähr eine AVoche lang unbedenklich
verabfolgt werden, das Sulfonal immer nur zwei oder drei
Tage nacheinander; dann trete immer wieder eine Pause
von zumindest mehrtägiger Dauer ein.
Man gibt das Sulfonal in Dosen von 1— 1*5 — 'lg in
heißem Tee oder in heißer Milch oder in Kapseln und läßt
eine der genannten Flüssigkeiten (etwa 150— 200 cm8) nach-
trinken. Tom Trional verschreibe man mindestens 2 g pro
dosi und lasse es in gleicher Weise einnehmen wie das
Sulfonal.
Das dritte Schlafmittel aus der Gruppe der Sulfoverbindungen der
Fettreihe, das Tetronal, wird kaum verwendet.
Die Anwendung des Chloralh ydrat bei Herzkranken,
namentlich Arteriosklerotikern. ist wegen seiner schädlichen
Herzwirkung bedenklich. Hingegen sind die halogenfreien
Verbindungen dieser Gruppe, das Paraldehyd. Amylen-
hydrat und Urethan anwendbar, wo man Chloralhydrat
nicht gebrauchen darf.
Paraldehyd ist relativ wasserlöslich und wirkt narko-
tisch, ohne Respiration und Zirkulation zu beeinträchtigen. Es
hat einen lange anhaftenden, sehr unangenehmen Geschmack
und verleiht der Athemluft. da es durch die Lungen au-
») Hay zit. nach Schmied eberg, Grundriß der Pharmak. Leipzig 1902.
-') Umpfenbaeh, zit. nach Schmiedeberg.
198 Spezielle Therapie.
schieden wird, durch viele Stunden seinen spezifischen, wider-
lichen Geruch. Die hypnotische Wirkung tritt nach Dosen von
2 — 4 g sehr rasch (oft schon nach ungefähr zehn Minuten) ein.
Man verschreibt z. B. : Rp. Paraldehyd. 20*0, Aq. fönt. 300'0.
MDS. 2—8 Eßlöffel in Zuckerwasser; oder Rp. Paraldehyd.
;VQ. Aq. menth. piper., Cognac. Syr. cort. aurant. aa. 2O0.
MDS. Auf einmal zu nehmen.
Das leicht lösliche Urethan wirkt schwächer narko-
tisch . hingegen erregend auf das Respirationszentrum, was
sich bei Herzkranken mit Insuffizienzerscheinungen zweiten
Grades unter Umständen wohltätig bemerkbar macht. Man
gibt Urethan in Dosen von 3 — 4 g, z. B.: Urethan lO'O. Syr.
cort. aurant, 500. MDS. Abends 1—2 Kaffeelöffel voll.
Das Amylenhydrat hat unangenehme Nebenwir-
kungen auf Zirkulation und Athmung; es erzeugt auch
leicht Kopfschmerz und Übelkeit (Schmiedeberg *). Man ver-
schreibt es in Einzeldosen von 2 — 4 g in Gelatinekapseln
oder mit Orangensirup etc.
Von neueren Schlafmitteln wäre noch das Hedonal
zu nennen , das in Dosen von 1*5 — 2*0 g als Pulver (in
Kapseln) zu verschreiben ist, während die Chloralderivate.
das Chloralformamid , das Ural, das Somnal, das Dormiol.
das Hypnal , die Chlor alose etc. wegen ihrer schädlichen
Wirkung auf das Herz zu vermeiden sind.
Versagen alle die genannten Schlafmittel, dann greife
man unbedenklich zu dem fast ausnahmslos wirksamen, den
gequälten Kranken den heilsamen Schlaf wiederbringenden
Morphium. Die Angst vor dem Morphium ist ganz und
gar unberechtigt: es hat sogar in manchen Fällen nicht
nur eine subjektive Erleichterung herbeigeführt, sondern
geradezu eine Wendung zur Besserung angebahnt. Einen
ganz besonders bemerkenswerten einschlägigen Fall schildert
Ewald. 2) Morphium erspart dem Kranken Schmerzen, mildert
die Dyspnoe, seine Wirkung ist bei hochgradigen Herzin-
suffizienzen oftmals geradezu zauberhaft, Es ist also das
1) Schmiedeberg, 1. c. pag. 41.
2) Ewald, Berliner klin. Wochenschr., 1901, Nr. 42.
Die Insuffizienz der Mitralklappen. 199
Herzschonungsmittel koct eco/tjv. Seinen beruhigenden
Einfluß verdankt es zum Teile wohl auch der Fernhaltung
des Einflusses psychischer Erregungen auf das Herz.
Die Insuffizienz der Mitralklappen.
Eine „Mitralinsuffizienz" kann durch anatomische Verände-
rungen der Mitralklappe, durch Läsion der Funktion ihrer Papillar-
und Klappenmuskeln und als Resultat der (Stauungs-) Dilatation des
linken Ventrikels (relative Insuffizienz) zustande kommen. Ist die
Mitralklappe insuffizient, dann strömt eine gewisse Menge Blutes wäh-
rend jeder Systole in den linken Vorhof zurück und es entwickeln sich
allmählich die im Abschnitte 2.(pag. 14 ff.) angedeuteten Stauungs-
erscheinungen. Die Mitralinsuffizienz manifestiert sich durch Vergröße-
rung des Herzens nach links oben, nach links und nach rechts, durch
ein systolisches Schwirren und ein systolisches Geräusch, das über dem
linken Ventrikel, selten über dem Rücken (zwischen Wirbelsäule und
linker Skapula) zu hören ist und nur ausnahmsweise über die „Aorten-
region1" hinaus nach oben fortgeleitet wird. Der Spitzenstoß ist
nach außen verrückt, hebend, es besteht „epigastrische Pulsation"
und fühlbarer Pulmonalklappenschluß. — Die Insuffizienz der Mitral-
klappe ist der häufigste und relativ günstigste Klappenfehler; leichte
Grade können unter günstigen Verhältnissen viele Jahre, ja bis
ins hohe Alter, ohne Insuffizienzerscheinungen des Herzens bestehen
bleiben. Je bedeutender der Defekt, desto bedeutender sind auch
die „kompensatorische" Hypertrophie des mit größeren Füllungen
als in der Norm arbeitenden linken Ventrikels, des rechten Ventrikels
und die Folgeerscheinungen für den Lungenkreislauf (Cyanose,
Dyspnoe , Herzfehlerzellen , bisweilen nachweisbare Lungenstarre),
ferner die Leberschwellung; das systolische Geräusch wird bei
schwereren Fällen weit nach unten und außen fortgeleitet und füllt
die ganze Systole aus, den ersten Ton vollkommen ersetzend , bei
leichteren Fällen pflegt die Systole mit einem Tone zu beginneu,
an den sich erst das Geräusch anschließt. Je leiser und kürzer das
den Ton völlig ersetzende Geräusch ceteris paribus ist, desto hoch-
gradiger ist die Mitralinsuffizienz oder die Läsion der Herzfunktion.
Die mit Tachykardie einhergehenden Fälle sind in der Mehrzahl
der Fälle prognostisch minder günstig. Arhythmie kommt auch bei
den leichtesten Fällen vor, die Inäqualität des Pulses ist ein
ernsteres Symptom. Die relative Mitralinsuffizienz ist naturgemäß
zumeist von schlechterer Vorbedeutung.
Die Insuffizienz der Mitralklappe ist therapeutisch
vielfach beeinflußbar. Da der Grad der Regurgitation mit
2( M ) Spezielle Therapie.
der Höhe des Blutdruckes zunimmt, ist es eine der Haupt-
indikationen , Blutdrucksteigerungen zu vermeiden , be-
ziehungsweise durch geeignete Diät, Laxantien, hydrothera-
peutische Maßnahmen , Jodmedikation , Alkohol , Kampfer,
Blutegel, Venasektion zu bekämpfen.
Wenn sich Herzinsuftizienz-Erscheinungen entwickeln
oder ein Kranker mit Mitralinsuffizienz und hohen Graden von
Herzinsuffizienz zu behandeln ist, dann versuche man es sofort
mit der Digitalisdarreichung x), im ersteren Falle in kleineren,
lange fortgesetzten , im zweiten Falle in zwei bis drei
größeren Dosen mit gleichzeitiger Theobrominmedikation ;
für Mitralkranke mit leichteren Graden von Herzinsuffizienz
ist die „chronische Digitalistherapie" oftmals ganz besonders
geeignet ; nur wenn Appetitlosigkeit eintritt, werde sie eine
Zeitlang weggelassen. Der Zustand der Bronchien ist sorg-
fältig zu beachten, auch die leichteste Bronchitis sorgsam
zu behandeln. Mitralinsuffizienzen sind zumeist dankbare
Objekte der unter entsprechenden Kautelen vorgenommenen
Klimato-, Pneumo-, Mechano- und Hydrotherapie. Die In-
suffizienzerscheinungen sind im übrigen nach den Regeln zu
behandeln, die wir im Kapitel ..chronische Herzinsuffizienz"
kennen lernten. Erscheinungen von hochgradiger Insuffizienz
lassen sich bisweilen durch Morphiumdarreichung in über-
raschend günstiger Weise beeinflussen.
Die Stenose des Mitralostiums.
Bei der Mitralstenose ist der Übertritt des Blutes aus dem
linken Vorhofe in den linken Ventrikel erschwert. Die Verengerung
des mitralen Ostiums geht fast immer mit Insuffizienz der Mitral-
klappen einher (weil die geschrumpften Klappen starrer und schluß-
unfähig geworden sind), doch können die Erscheinungen der Re-
gurgitation so sehr zurücktreten, daß wir eine „klinisch reine"
Mitralstenose vor uns haben. Bei „Mitralstenosen" entwickeln sich
sehr rasch die Symptome der Überfüllung des Lungenkreislaufes
((Zyanose, Dyspnoe etc.) und der Hypertrophie des rechten Ven-
trikels. Zur Beurtheilung des Grades der Läsion ist zumal die
') Viele pag. 44 ff.
Die Stenose des Mitralostiums. 201
Kenntnis der mannigfaltigen auskultatorischen Erscheinungen not-
wendig. Das „diastolische" Geräusch kann nämlich in vier Modi-
fikationen auftreten; dieselben sind: 1. das lange, die ganze Dia-
stole ausfüllende, an seinem Ende (durch die Vorhofskontraktion)
verstärkte Geräusch; 2. das zweigeteilte rudimentäre, diastolische
Geräusch — man hört nur den Anfang und das Ende des sub 1 ge-
schilderten Geräusches ; 3. das präsystolische Geräusch — man hört
nur die oben erwähnte Verstärkung, den ersten Teil der Diastole
nimmt der zweite Aorten- oder Pulmonalton ein ; 4. die mehrfache
Spaltung des zweiten Tones, weit hinauf, bis zum Aortenostium zu ver-
folgen. Der erste Mitralton ist fast immer auffallend laut, paukend.
Die Mitralstenose ist prognostisch viel ungünstiger als die Mitral-
insuffizienz; ihre Gefährlichkeit bedingen auch die aus den Thromben
im linken Vorhofe (Herzohr) stammenden Embolien ; sie muß mit
Ausnahme der geringgradigsten Fälle als ein schwerer Klappen-
fehler bezeichnet werden. Bei Kindern gibt die Mitralstenose wegen
der progressiven (schrumpfenden) Tendenz der Klappenläsion eine
besonders schlechte Prognose ; sie kommt bei Frauen häufiger als
bei Männern vor. Broadbent ]) unterscheidet im Verlaufe der Mitral-
stenose im allgemeinen zutreffend drei Stadien: Im ersten Stadium
findet man über der Herzspitze und links von ihr ein präsystolisches
Geräusch und einen ersten (akzentuierten) Ton; der zweite Ton ist
der fortgeleitete Aortenton; solche Patienten können Graviditäten,
Erkrankungen verschiedener Art, selbst schwere Bronchitiden und
Pneumonien überstehen. Im zweiten Stadium ist der zweite Ton
über der Spitze verschwunden, der erste Ton auffallend laut, von
einem präsystolischen Geräusche eingeleitet; oft füllt in diesem
Stadium ein langes Geräusch die ganze Diastole aus, oder es sind
die oben beschriebenen Modifikationen des diastolischen Geräusches
vorhanden. Die Fälle mit langem diastolischen Geräusche sind
prognostisch besonders ungünstig. Im dritten, dem schwersten
Stadium, fehlt das präsystolische Geräusch an der Spitze und ist
nur der akzentuierte erste Ton vorhanden, der zweite Aortenton
unhörbar (linke Kammer und Aorta werden mangelhaft gefüllt).
Bei stürmischer Herzaktion wird im zweiten Stadium der zweite
Pulmonalton bis zur Herzspitze fortgeleitet. — Über den Grad der
Funktionsläsion belehrt uns vor allein der Zustand des rechten
Ventrikels. Relative Trikuspidalinsuffizienz, Erscheinungen an den
Halsvenen , Leberpuls 2), Abnahme der Akzentuation des zweiten
Pulmonaltones, das Auftreten eines systolischen Geräusches am
Pulmonalostium sind Zeichen schwerer Insuffizienz. Ödeme pflegen
gerade bei den höchsten Graden von Mitralstenose, den sogenannten
..Kiiopflochstenosent:, bis zum Schlüsse vollständig zu fehlen. Der
') Broadbent, 1. c.
») Vide pag. 38.
202 Spezielle Therapie.
Tod tritt in solchen Fällen bisweilen plötzlich ein. Die „klinisch
reinen" Mitralstenosen sind fast ausschließlich hochgradige Stenosen.
Die Mitralstenose erfordert fast in allen Stadien eine
..schonende" Behandlung, d.h. sämtliche ,.herzschonenden"
Maßnahmen kommen bei ihr in Betracht. Bei den leichtesten,
dem ersten Stadium entsprechenden Graden können wir uns
auf prophylaktische und diätetische Behelfe beschränken, mit
großer Vorsicht mechano- therapeutische und vor allem
passende hydro-therapeutische Prozeduren anwenden lassen.
Die Vorteile der Klimato- und Pneumotherapie werden von
solchen Kranken nutzreich angewendet; Bronchitiden und
Lungenaffekt ionen lassen sich dadurch am besten bekämpfen.
Digitalis ist im ersten Stadium bloß dann indiziert, wenn
sich auffällige Pulsinäqualitäten 2), Tachykardie, Arhythmie
oder Insuffizienzerscheinungen bemerkbar machen ; es werde
niemals allein gegeben , sondern immer in Verbindung mit
Theobrominpräparaten , Alkohol, Kampfer, Jodpräparaten,
z. B. Rubidium jodatum, in ganz kleinen Dosen und gleich-
zeitig mit Purgan tien.
Das zweite und dritte Stadium fordern zu strengen
Vorsichtsmaßregeln auf; jede größere körperliche Anstren-
gung ist sorfältig zu vermeiden. Es ist überaus zweckmäßig,
solche Patienten zeitweise eine mehrwöchentliche Liegekur
durchmachen zu lassen , während der alle schonenden Maß-
nahmen der Herztherapie (geringe Flüssigkeitszufuhr) zur
Anwendung kommen können. Digitalis ist bloß bei deut-
lichen Insuffizienzerscheinungen indiziert, stets nur in kleinen
Dosen , die bald auszusetzen sind , im Vereine mit Mitteln,
welche seine vasokonstriktorische Wirkung aufheben 2).
nachdem man vorher Purgantien gereicht oder, im geeigneten
Augenblicke 3) , einen Aderlaß vorgenommen. Für solche
Kranke schien mir die Strophantustinktur zumeist ent-
*) Geringe Pulsinäqualitäten kommen auch bei den leichtesten Mitral-
stenosen vor.
2) Vide pag. 55.
3) Ein auffälliger Gegensatz zwischen der Tätigkeit des linken und
des rechten Ventrikels, d. h. starke epigastrische Pulsation und präsystolisch-
systolischer Venenpuls neben kleinem, irregulärem, frequentem Radialpulse, ist
bei nicht anämischen Individuen als Indikation des Aderlasses zu betrachten.
Stenose des Aortenostiums. •){ );>
sprechender als die Präparate der Digitalispflanze. Oftmals
ist die Applikation von Blutegeln in der Lebergegend von
guter Wirkung. — Bei hochgradigen Mitralstenosen erfordert
die Darreichung von direkten Herzmitteln wegen der Em-
boliegefahr ganz besondere Vorsicht; in derartigen Fällen
ist übrigens die zumeist bestehende bedeutende Bradykardie
eine direkte Kontraindikation der Digitalisanwendung.
Die chirurgische Therapie hochgradiger Mitralstenosen
hat Laudcr Brunton1) bereits in Erwägung gezogen.
Stenose des Aortenostiums.
Bei der „Aortenstenose" ist der Übertritt des Blutes aus dem
linken Ventrikel in die Aorta erschwert ; die zur Mehrleistung ge-
zwungene Muskulatur des linken Ventrikels hypertrophiert mehr
oder weniger, nach Maßgabe des Defektes und ihrer Ernährungs-
verhältnisse. Das die Aortenstenose charakterisierende Geräusch ist
systolisch, in der „Aortenregion" zu hören und gewöhnlich auch
weit hinauf, bis in die Halsgefäße, zu verfolgen; es ist in der
Regel von einem über dem oberen Sternumdrittel und rechts davon
fühlbaren Schwirren begleitet. Eine hohe Pulsfrequenz ist bei
Aortenstenosen zumeist als ungünstiges prognostisches Zeichen zu
betrachten. Die Mehrzahl der Aortenstenosen kommt auf arterio-
sklerotischer Grundlage zustande , daher ist die Vorhersage dieser
Stenosen immer verhältnismäßig ungünstig; hingegen können im
jugendlichen Alter entstandene Aortenstenosen mäßigen, ja selbst
solche höheren Grades, viele Jahre lang ohne jegliche Erscheinung
von Herzinsuffizienz bestehen bleiben. Die Bestimmung des Grades
der Funktionsläsion unterliegt den im Abschnitte 111 (pag. 26) ange-
führten Kriterien. Die geringgradigen Aortenstenosen gehen immer
mit Insuffizienz der Aortenklappen einher.
Aortenstenosen älterer Leute machen in der Regel die
Fernhaltung von körperlichen und geistigen Überanstren-
gungen, also ,. Schonungstherapie" notwendig; hingegen sind
jugendliche Individuen mit Aortenstenose für ,. übende •' Maß-
nahmen oftmals recht gut geeignet. Zeichen von Herzinsuf-
fizienz lassen die Digitalisanwendung nach den Indikationen
und Methoden , die wir a. a. 0. kennen gelernt haben 2),
*) Länder Brunton, Lancet, 1902.
2) Vi Je pag. 51.
^04 Spezielle Therapie.
wünschenswert erscheinen. Digitalis wird also bei jungen
Leuten von Nutzen sein können, bei den Herzinsuffizienzen
älterer Leute mit Aortenstenose werden wir sie meistens
versagen sehen. Bleiben die Erscheinungen von Stenosierung
des Aortenostiums nach Endokarditiden zurück , dann ge-
währe man dem linken Ventrikel sehr viel Zeit zur Ent-
wicklung der „kompensatorischen" Hypertrophie. * Lange
fortgesetzte Bettruhe, sehr vorsichtig dosierte, allmählich an-
steigende Übungstherapie kommen dann in Betracht.
Alle übrigen therapeutischen Indikationen und Behelfe
sind im ..Allgemeinen Teile", in dem Kap. „Chronische Herz-
insuffizienz " und im Abschnitte ..Das Herz bei Arterio-
sklerose" eingehend erörtert worden.
Die Insuffizienz der Aortenklappen.
Wir haben den Mechanismus der Aorteninsuffizienz bereits
kennen gelernt. *) Dieser Klappenfehler manifestiert sich durch
Dilatation und Hypertrophie des linken Ventrikels, die charakteristi-
schen Erscheinungen an den peripheren Gefäßen [Pulsus celer 2),
tönende Radialis etc.], sowie durch ein in der „Aortenregion" auf-
tretendes diastolisches Geräusch , das über dem Sternalende der
dritten linken Rippe am lautesten zu sein pflegt und im „Liegen"
meistens deutlicher ist als bei aufrechter Haltung des Patienten.
Ein langes, lautes diastolisches Geräusch entspricht unter gleichen
Erscheinungen der Herzinsuffizienz gewöhnlich einem geringeren
Grade von Klappenläsion als ein kurzes, leises Geräusch. Es gibt
aber viele Ausnahmen von dieser Regel. Je mehr Blut bei „kom-
pensierten" Aortenfehlern während der Diastole regurgitiert, desto
grüßer ist unter sonst gleichen Verhältnissen der linke Ventrikel,
desto dicker seine Wand, desto deutlicher auch die schnellende Be-
schaffenheit des Pulses. Bei hohen Graden von Aortenklappen-
Insuffizienz entsteht an der Aorta kein zweiter Ton. Sind die
Klappen nur wenig: verändert, noch teilweise Schluß- und schwin-
frungsfähig, können sie also noch „gestellt" werden , dann hört
man im Beginne der Diastole einen akzentuierten Ton, der in das
diastolische Geräusch übergeht. Ist der Klappendefekt hochgradig,
dann kann die plötzliche Hemmung der Blutsäule nicht zustande
kommen , welche die Aorta in Schwingung versetzt und einen
') Vide pag. 17 ff.
a) Corrigan, Edinburgh med. and surgic. Journal, 1832.
Die Insuffizienz der Aortenklappen. -_>( )b
zweiten Aorten- (Arterien-) Ton erzeugt. Es muß also, wenn man sich,
am Halse über der Karotis auskultierend, außer dem Hörbereiche
des diastolischen Geräusches und des zweiten Pulmonaltones befindet,
die plötzliche Hemmung der Blutsäule noch möglich sein , damit
hier der zweite Ton hörbar werde. Sein Vorhandensein beweist
somit , daß die Klappen noch teilweise funktionieren und gibt
daher einen prognostisch relativ günstigen Hinweis (Broadbent 1).
Läßt bei Aorteninsuffizienz die Leistungsfähigkeit des linken
Ventrikels nach, dann kann auch ein systolisches Geräusch (systoli-
sches Rückströmen von Blut) zustande kommen (Senator -) ; ein weiteres
Absinken der Kontraktionsfähigkeit des linken Ventrikels wird durch
das Auftreten eines systolischen Mitralgeräusches gekennzeichnet. —
Bei jugendlichen Individuen kann selbst ein mittlerer Grad von
Aortenklappen-Insuffizienz ohne Erscheinungen der Herzinsuffizienz
viele Jahre lang bestehen bleiben. Die fast ausschließlich auf
arteriosklerotischer Grundlage entstehenden Aorteninsuffizienzen älterer
Leute gehen mit strukturellen Erkrankungen der Herzwand (Koro-
narsklerose) einher und führen daher zumeist schon vom Anfange
an schwere Erscheinungen herbei ; das Gleiche gilt von den auf
luetischer Endarteriitis beruhenden Formen.
Die Therapie der Aorteninsuffizienz richtet sich nach
ihrer Ätiologie, beziehungsweise dem Alter des Patienten.
Für Affektionen, die z. B. nach rheumatischen Endokardi-
tiden zurückgeblieben sind, gilt das hei „Endokarditis*' Ge-
sagte: Man muß dem Herzen durch lange Bettruhe Zeit
lassen zur Entwicklung der „kompensatorischen" Hyper-
trophie, die Anforderungen an das Herz durch viele Wochen
auf ein Minimum reduzieren und mit Handhabung aller uns
gebotenen Kautelen ganz allmählich zur „übenden" Therapie
übergehen. Im allgemeinen sollen sich Kranke mit Aorten-
insuffizienz, auch wenn jegliche „Kompensationsstörung" fehlt,
niemals großen körperlichen Anstrengungen aussetzen. 3)
Treten bei jugendlichen Individuen auch nur die leichtesten
Erscheinungen der „Dekompensation" auf, dann ist Bettruhe
von mehr wöchentlicher Dauer und Digitalistherapie4) ange-
*) Broadbent, 1. c. pag. 125.
2) Senator, Festschrift f. Leyden. Internat. Beiträge etc., Berlin 1902.
3) Die Fälle der Literatur, in welchen solche Individuen viele Jahre
lang einen körperlich sehr anstrengenden Beruf haben erfüllen können
(Fraentzel, Berl. klin. Wochenschr., 1889, Nr. 27), sind Ausnahmen, welche die
Begel bestätigen.
4) Tide pag 23 ff.
206 Spezielle Therapie.
zeigt; eine auf diese Weise erreichte Erholung kann unter
günstigen Verhältnissen viele Jahre lang anhalten. Alle im
höheren Alter aufgetretenen (arteriosklerotischen) Aorten-
insuffizienzen sind in hohem Maße ruhebedürftig. — Ein ge-
wisser Grad von Plethora erleichtert die Herzarbeit bei
Aorteninsuffizienz (Lewy), denn je kleiner der Gesamtinhalt
des Aortensystems ist. desto stärker fällt die Wirkung der
Insuffizienz auf den Kreislauf ins Gewicht. Flüssigkeits-
entziehu'ng ist daher in solchen Fällen nicht angezeigt.
Alle pulsbeschleunigenden Mittel, z. B. Koffein, Theobromin.
Alkohol etc. wirken bei Aorteninsuffizienzen günstig ein;
daher ist auch die Kombination : Digitalis — Atropin, Digi-
talis — Koffein, in vielen Fällen vorteilhaft zu gebrauchen. —
Chloralhydrat-Darreichung ist bei arteriosklerotischen Aorten-
insuffizienzen direkt gefährlich (Broadbent). — Der Ader-
laß kommt für diese Erkrankungen nur selten in Betracht.
Arhythmien sind bei Aorteninsuffizienzen im allgemeinen
von schlechter Bedeutung und fordern zur Anordnung von
Bettruhe auf. Da bei Aorteninsuffizienzen die Gefahr eines
plötzlichen Todes besteht, lasse man solche Kranke größere
Fußmärsche oder längere Reisen, Bahnfahrten, niemals allein
absolvieren.
Die übrigen prophylaktischen und therapeutischen Maß-
nahmen sind in den Kap. „Chronische Herzinsuffizienz^ und
„Arteriosklerose" zu finden.
Die Insuffizienz der Pulmonalklappen ist fast immer
ein angeborener „Herzfehler", ebenso die Stenose des Pulmo na 1-
o stiu ms. Eine Stenose der Pulmonalarterie kommt bisweilen durch
Druck von außen her (bei Aortenaneurysmen, schwieligen Lungen-
affektionen etc.) zustande. Allen Klappenfehlern des rechten Ventrikels
entpricht das starke Hervortreten der Tätigkeit desselben im Sym-
ptomenbilde.
Die Insuffizienz der Trikuspidalklappen ist in der
Regel mit anderen Klappenfehlern kombiniert oder als relative
Trikuspidalklappen-Insuffizienz ein Zeichen von Herzinsuffizienz
zweiten Grades bei einfachen oder kombinierten Herzfehlern. x) Das
*) Vide pag. 51.
Kombinierte Klappenfehler. 207
für sie am meisten charakteristische Symptom ist der systolische
(dem arteriellen Pulse synchrone) Venenpuls.
Die Stenose des Trikuspidalostiums ist als isolierter
Klappenfehler noch nicht beobachtet worden.
Die Behandlung der eben skizzierten Herzkrankheiten
deckt sich im wesentlichen mit der Therapie der chronischen
Herzinsuffizienz, doch dürfen, den schweren Zuständen und
Folgezuständen entsprechend, wohl nur die schonenden Maß-
nahmen zur Anwendung kommen. Die physiologische Wirkung
der Digitalis läßt uns für manche dieser Fälle von ihrer
Anwendung Vorteile erhoffen. Tatsächlich hat Eger1) in
einem einschlägigen Falle bei öfters wiederkehrenden Attacken
von Herzinsuffizienz von der Digitalis Nutzen gesehen.
Kombinierte Klappenfehler.
Für kombinierte Klappenfehler kann man mit B. Leuij 2) im
allgemeinen den Satz aufstellen , daß derjenige Klappenfehler den
Charakter der Herztätigkeit bedingt, der, wenn allein vorhanden,
dem Herzen die größte Arbeit zur Aufrechterhaltung eines aus-
reichenden Kreislaufes auferlegt. — Die Folgen eines Klappen-
fehlers können durch einen anderen Klappenfehler vermehrt oder
vermindert werden. So kann das Maß der Regurgitation bei Mitral-
insuffizienz abnehmen, wenn zu diesem Klappenfehler eine leichte
Stenose des Mitralostiums hinzutritt, welche die Beweglichkeit der
Klappen nur wenig einschränkt; die Kombination von Mitral- und
Aortenstenose wirkt ungünstig , weil der linke schlecht gefüllte
Ventrikel in seiner Entleerung behindert ist und somit die peri-
pheren Arterien (inklusive Koronargefäße) nur geringe Blutmengen
erhalten; hingegen kann ein geringer Grad von Aorteninsuffizienz
durch einen geringen Grad von Mitralstenose, welche die „kom-
pensatorische" Hypertrophie des rechten Ventrikels begünstigt und
die rückläufige Stauung erschwert, eine Art von Kompensation
erfahren.
Alle kombinierten Klappenfehler stellen schwere Herz-
erkrankungen dar, deren Prognose in der Regel sehr un-
günstig ist. — Ihre Behandlung muß sich nach den vor-
herrschenden Symptomen richten. Man darf die Prinzipien
*) Eger, zit. nach Vierordt, „Die angeborenen Herzkrankheiten" in
Nothnagels Spez. Path. u. Ther.
2) B. Letvy 1. c.
208 Spezielle Therapie.
derselben vielleicht in die "Worte fassen, daß es in erster
Linie auf den Grad der bestehenden Herzinsuffizienz ankommt,
in zweiter Linie auf das Alter des Kranken und die Natur
der Erkrankung (Klappenfehler nach Endokarditis, auf ar-
teriosklerotischer, luetischer Grundlage), schließlich auf den
Umstand , ob die dominierenden Symptome einer Mitraler-
krankung oder einer Aortenaffektion entsprechen. Es wird
uns also der nämliche Grad von Herzinsuffizienz bei einem
jüngeren Individuum die Möglichkeit einer übenden im An-
schlüsse an eine schonende Behandlung erwägen lassen, bei
älteren Individuen eine strenge . ausschließliche Schonungs-
therapie vorschreiben, wir werden in einem Falle von ,. kom-
biniertem Klappenfehler", der Cyanose, Dyspnoe, Arhythmie,
Ödeme etc. aufweist, also das Gesamtbild eines Mitralfehlers
zeigt, die Prinzipien der Therapie des Mitralfehlers in An-
wendung ziehen etc., im übrigen alle Maßnahmen befolgen,
welche im Abschnitte ,. Prophylaxe und Therapie der chroni-
schen Herzinsuffizienz" ausführlich erörtert wurden.
Die Herzbeschwerden Fettleibiger. •
Es ist das Verdienst E. v. Leydens x), zuerst darauf hinge-
wiesen zu haben , daß die Herzinsuffizienzerscheinungen bei Fett-
leibigen auf verschiedene Momente zurückgeführt werden müssen.
In vielen Fällen — bei muskelschwachen Fettleibigen — be-
steht ein gewisser Grad von Muskelschwäche überhaupt, von Herz-
schwäche im besonderen, das dem großen Körpergewichte gegenüber
besonders zum Ausdrucke kommt. Tatsächlich ertragen muskel-
kräftige Menschen einen verhältnismäßig bedeutenden Fettansatz
ohne Herzinsuffizienzerscheinungen , während muskelschwache Indi-
viduen schon bei geringeren Graden von Fettleibigkeit Insuffizienz-
erscheinungen aufweisen ; diesen Unterschied hat schon Traube 2)
hervorgehoben.
Andere Fettleibige sind „Luxuskonsumenten", zu Exzessen in
Alkoholicis geneigt und akquirieren dadurch allmählich Gefäß-,
Nieren-, Herzveränderungen.
In einer dritten ,Reihe von Fällen findet sich ein wirkliches
„Fettherz", „Adipositas cordis", vor, d. h. es hat sich Fettgewebe
*) v. Leyden, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 5 u. 11.
2) Traube, Ges. Beitr., Bd. 3.
Die Herzbeschwerden Fettleibiger. 209
unter dem viszeralen Perikard, in den Herzf lirchen, in Begleitung der
Gefäße, angesammelt, mehr oder weniger reichlich das Herz durch-
wuchernd, die Muskelfasern ertödtend und ersetzend. x) Die zwischen
den Muskelfasern sich ansammelnden Fettmassen können rein
mechanisch die Systole und die diastolische Erweiterungsfähigkeit
des Herzens erschweren (y. Noorden 2), was umsomehr in Betracht
kommt, als dieses Herz zudem größere Arbeitsleistungen auszuüben
hat [Lazams3). Schließlich kann im anatomischen Bilde eine fettige
Degeneration der Herzmuskelfasern mehr oder weniger hervortreten. —
Untersuchungen von fiothberger*) scheinen dafür zu sprechen, daß
das Herz schon durch fettige Degenerationen mäßigen Grades eine
nachweisbare Einbuße an Arbeitskraft erfahren kann. — Aus der
Kombination von „Adipositas cordis" und Fettdegeneration müssen
sich naturgemäß hohe Grade von Herzinsuffizienz ergeben , die
höchsten, wenn sich gegebenenfalls alle angedeuteten Ursachen von
Herzbeschwerden bei einem Fettleibigen zusammenfinden.
Die therapeutischen Indikationen des „Fettherzens"
decken sich zum großen Teile mit den Indikationen der Herz-
insuffizienz überhaupt; es handelt sich auch bei der Herz-
insuffizienz der Fettleibigen um die Lösung des Widerspruchs
zwischen Leistungsvermögen des Herzens und Erfordernis.
In den meisten dieser Fälle können wir den Hebel an zwei
Punkten ansetzen, indem wir das Maß des für das Herz zu
Leistenden vermindern und gleichzeitig das Leistungs-
vermögen des Herzens heben.
Der ersten Indikation dient die Entfettung, der
zweiten die ,.übenden" Maßnahmen der Herztherapie; in vor-
geschrittenen Fällen wird eventuell mit einer „schonenden"
Therapie zu beginnen sein. Immer aber müssen wir uns,
bevor wir den Kurplan entwerfen, der Mahnung Bombergs
folgend, die Frage vorlegen : Beruhen die Herzbeschwerden
im konkreten Falle nur auf einem Mißverhältnisse zwischen
Herzkraft und Körpermasse oder müssen wir auch eine ana-
tomische Erkrankung des Herzens (Adipositas cordis, fettige
Degeneration, sklerotische Veränderungen der Koronargefäße,
chronische Myokarditis etc.) in Erwägung ziehen ?
*) Ein solches Herz verbirgt seine „Abmagerung" hinter seiner dicken
Fetthülle (Aug. Schott); Kisch nennt ein solches Herz ein „ Mastfettherz u
(„Das Mastfettherz", Prag 1894 u. a. a. 0.).
2) v. Noorden, Nothnagels Spez. Path. u. Ther., Bd. 7, T. 4.
3) Lazarus, Handb. d. physik. Therapie.
4) Bothberger, Arch. de Pharmakodynamie etc.. Vol. 8.
Braun, Therapie der Herzkrankheiten. 14
210 Spezielle Therapie.
Es gibt keinen größeren therapeutischen Fe hl er
als die Einleitung einer energischen Entfettungs-
kur bei einem Fettleibigen mit einem kranken
Herzen. ..Die in weiten ärztlichen wie Laienkreisen ver-
breitete Ansicht , zur Wiederherstellung der Herzfunktion
bei Fettleibigen genüge eine „Entfettungskur" nach diesem
oder jenem Schema, hat außerordentlich viel Unheil ange-
richtet" (Romberg). Bestehen Zeichen von Herzinsuffizienz,
dann gehe man jedenfalls davon ab, eine der beliebten
forcierten Entfettungskuren vornehmen zu lassen ; solche
Individuen, sind vielmehr zunächst ausschließlich nach den
Indikationen der chronischen Herzinsuffizienz überhaupt zu
behandeln. Der notwendigen Entfettung lasse man, insoweit
sie sich nicht ohne unser Zutun einstellt, Zeit, viel Zeit;
alle ihr dienenden Maßnahmen haben unter strenger Kontrolle
der Herzfunktion, gewissermaßen nur nebenbei, zu erfolgen.
Am besten ist es, den Vorschlag Rombergs1) zu beherzigen
und die Herzinsuffizienz eines fettleibigen Individuums nur
dann durch eine Entfettungskur zu beseitigen , wenn das-
selbe nicht mehr als vierzig Jahre alt ist.
Fettleibige über Vierzig, hochgradig Fettleibige sowie
alle Leute über Fünfzig sind vor Einleitung einer Brunnen-
oder Entfettungskur einer genauen Prüfung des Herzens
nach den Regeln zu unterziehen, die wir im Abschnitte III
kennen lernten ; lassen sich auch nur die leichtesten Insuf-
fizienz-Erscheinungen nachweisen, dann hat die Kur zu unter-
bleiben. Personen mit Klappenfehlern, hochgradig Fettleibige
anämische Individuen („Fettsüchtige") und Leute über Sechzig
sind für „Brunnen-*' und „Entfettungskuren" ungeeignet.
Brunnenkuren (in Marienbad, Karlsbad, Kissingen,
Tarasp etc.) oder „Entfettungskuren" seien demnach
nur prophylaktische Maßnahmen bei fettleibigen, muskel-
kräftigen Individuen, die den angeführten Bedingungen ent-
sprechen, deren Fettleibigkeit oftmals nichts anderes ist als
ein höherer oder niedrigerer Grad von Überernährung (die
wir von den „Fettsüchtigen'' wohl zu unterscheiden haben).
J) Rombery 1. c.
Die Herzbeschwerden Fettleibiger. 211
Mit diesen Kuren können sich in zweckmäßiger Weise
unsere verschiedenen physikalischen Behelfe vereinigen.
Oft reichen Regulierung der Diät1) und Sorge für genügende
Körperbewegung aus, oder man sieht allmähliche Abnahme
des Körpergewichtes eintreten , wenn man die betreifenden
Individuen Gymnastik und Hydrotherapie betreiben läßt
und bloß dazu anhält, die Speisen weniger fett und süß
bereiten zu lassen, zum Süßen von Kaffee, Tee, Limonaden
statt Zucker Saccharin zu nehmen, während der Hauptmahl-
zeiten nicht viel zu trinken, Schwarzbrot statt Weizenbrot
zu essen, auf Süßigkeiten, süße Kompots, Creme, Fruchteis,
süße Mehlspeisen, fetten Käse, reichlichen Biergenuß zu
verzichten, nicht gehäufte kleine, sondern fünf regelmäßige,
rationell Zusammengesetze Mahlzeiten einzunehmen u. s. w.
Der Erfolg der eigentlichen ..Entfettungskuren" bei
geeigneten Individuen ist hauptsächlich auf die präzise Art
ihrer Vorschrift zurückzuführen , die den schädigendeu Le
bensgewohnheiten mit einem Schlage ein Ende bereitet und
als Novum dem Gros des Publikums mehr imponiert als
die allgemeineren, eine gewisse Einsicht in die Ernährungs-
physiologie erheischenden Vorschriften.
Der Wert solcher Kuren beruht zudem auch darauf,
daß die betreffenden Individuen durch sie an eine rationelle
Diät gewöhnt werden. Der Verzicht auf ..Tafelfreuden" ist
überhaupt mit einemmale leichter zu erreichen als durch
langsame Entwöhnung. Allmählich kommende, unmerkliche,
sich einschleichende Kostverminderungen werden nur von
intelligenten Kranken , denen man die Prinzipien der Er-
nährung klarlegen kann, anerkannt und befolgt.
Die Mehrzahl der Menschen aber will handgreifliche
Unterschiede merken, rasche Erfolge sehen und fühlen. Wer
übrigens, etwa nach vierwöchentlichem Aufenthalte in Marien-
bad, nachdem er daselbst einige Kilogramme seines Körper-
gewichtes abgegeben hat, wieder zu seiner früheren Luxus-
*) In Laienkreisen bestehen oft die merkwürdigsten Vorstellungen über
den Nährwert der Speisen; oft kann man den Nachweis führen, daß Leute,
die wenig zu essen glauben, überernährt sind. Allerdings ist das ..Kalorienbe-
dürfnis" mancher Fettleibigen auffällig niedrig.
14*
212 Spezielle Therapie.
diät, zum Alkoholmißbrauch und zu seinem Schlendrian
zurückkehrt, wird bald um den Erfolg der Brunnenkur ge-
kommen sein. Wohl läßt sich der gleiche äußere unmittelbare
Effekt auch im nächsten Jahre wieder erreichen , aber der
Kranke und sein Herz sind inzwischen um ein Jahr älter
geworden ; auch ist es überaus zweifelhaft, ob so bedeutende
jährliche Schwankungen des Körpergewichtes auch für den
Gesündesten als gleichgültige Faktoren zu bezeichnen sind.
In zuverlässiger Weise könnte dies nur eine Statistik ent-
scheiden , welche die durchschnittliche Lebensdauer solcher
Individuen, etwa der Stammgäste Marienbads, umfaßt. —
Bei raschen Entfettungen laufen wir zudem immer Gefahr,
Eiweißverluste zu veranlassen, was bei „chronischen Ent-
fettungskuren" , die nur den Fettbestand angreifen , ver-
meidbar ist {Kolisch *).
Der Gebrauch einer Brunnenkur, etwa einer Marien-
bader Kur, mit ihren entsprechenden Diätvorschriften wird
am besten im Kurorte selbst vorgenommen. Dort entfallen
alle Schädigungen, welche auf den Kranken zu Hause ein-
wirken können, die Anforderungen des Berufes, derFamilie etc.,
von selbst, der Kranke ist Herr seiner Zeit und den Er-
fordernissen der Kur niemals entzogen. Man trachte daher,
den Kranken womöglich zum Besuche des Kurortes selbst
zu bewegen.
Muß man sich dazu entschließen, die Kur zu Hause vor-
nehmen zu lassen, dann dringe man auf die weitmöglichste
Einschränkung der Berufsgeschäfte und strenge Einhaltung
aller Diätvorschriften. Wen sein Beruf zu einer variablen
Tageseinteilung zwingt, der wird eine solche Kur zu Hause
nicht so leicht vornehmen können wie etwa ein Beamter,
der über eine fixe Tageseinteilung verfügt.
Man läßt die größte Menge des zu trinkenden Mineral-
wassers (600 — 800 cm3) früh morgens (von 6 — 7 Uhr) nüchtern,
schluckweise nehmen ; der Kranke geht während dieser Zeit
behaglich, nach dem letzten Schlucke in der gleichen Weise,
doch mindestens eine Stunde lang, spazieren. (In allen
x) Kolisch, Diätet. Therapie. — Zuntz, Zeitschr. f. diät. u. phys. Ther.,
Bd. 5, H. 2 u. a.
Die Herzbeschwerden Fettleibiger. 213
größeren Städten gibt es bereits heutzutage von Gärten und
Anlagen umgebene, für diesen Zweck geeignete Kurpavillons.)
Zwischen 8 und 9 Uhr wird gefrühstückt, gegen 11 Uhr eine
Kleinigkeit gegessen, zwischen 12 und 1 Uhr die Haupt-
mahlzeit, nachmittags Tee (oder Kaffee), zwischen 6 und
7 Uhr das Nachtmahl eingenommen. Vor der Jause, zwischen
dieser und dem Nachmittagsspaziergange kann abermals eine
kleinere Portion (200 cm3) Mineralwasser getrunken werden.
Um 9 Uhr hat der Kurgebrauchende bereits im Bette zu
liegen.
Bei der Diät ist den individuellen Bedürfnissen und Erfahrungen
in weitem Maße Rechnung zu tragen. Während der Trinkkur sind
saure und fette Speisen, fettes Backwerk und Bier zu meiden. Auf
der Liste des Verbotenen stehen durchgängig x) :
Fleischspeisen: Fettes Schweinefleisch, Rauchfleisch, Gänse-
ond Entenbraten, Leber und Leberpastete, fette Wurst, Aal, Lachs,
Karpfen, Sardinen, Krebse, Muscheln. Erlaubt sind: Rindsbraten,
Wild, Geflügel, Zander, Hecht, Schellfisch etc.
Gemüse: Kohl, Kohlrüben, Hülsenfrüchte, Pilze, Trüffel,
junge Kartoffeln, scharfe Gewürze, Pfeffer, Senf, Rettig, Kren.
Erlaubt sind: Blumenkohl, Rosenkohl, Spinat, Karotten, Spargel,
Kartoffelbrei.
Mehlspeisen: Fette Kuchen und Puddings.
Ferner sind verboten : Käse , fette Saucen , Mayonnaisen,
Fruchteis, Gurken, Melonen, Nüsse, Mandeln. Weizenbrot begünstigt
die Obstipation, Schwarzbrot (Grahambrot) regt — bei entsprechender
Körperbewegung — die Darmtätigkeit an. Über den Obstgenuß
sind die Meinungen geteilt, doch dürfte der Genuß geringer Mengen
— znmal nach dem Mittagessen — zu gestatten sein. Starke Kaffee-
und Teeaufgüsse sind zu meiden. Die Ansicht, daß Schokolade stopfe,
ist nicht zutreffend; sie kann sogar durch den Zucker- und Fett-
gehalt abführend wirken.
Die älteste Entfettungskur ist die Bantingkur, die eine
fast fettfreie Eiweißdiät darstellt. Sie gestaltet sich ungefähr in
folgender Weise : Frühstück: 120— 150 g mageres Fleisch, Tee
ohne Milch und Zucker; Mittag 150 — 180// Fisch oder mageres
Fleisch, grünes Gemüse, 30 g Brot, Kompott, 30 g geröstetes Brot,
1 Glas Wein; Jause: 60 — 70 g Obst, 1 Zwieback, Tee (wie morgens);
l) A. Hoffmann, Diätetische Kuren in Nothnagels Spez. Path u. Ther.
214 Spezielle Therapie.
Nachtmahl: 100 — 120 g mageres Fleisch, 1 Glas Wein. — Diese Diät
führt leicht üble Zufälle, Schwächezustände herbei; Ebstein hat
dieselben durch Reduktion der Kohlehydrate und Vermehrung des
Fettes zu bekämpfen gesucht. (Die eigentliche Bantingkur ist
übrigens zu reich an Alkohol.)
Ebstein verordnet: Früh: Tee 250// (ohne Milch und Zucker),
50// Weißbrot, viel Butter; Mittag: Suppe mit Mark, 120—180//
Fleisch mit fetter Sauce, wenig Gemüse, keine Kartoffeln, keine
Rüben, kein frisches Obst, kein Backobst, Wein, schwarzen Kaffee;
Nachmittag: Tee wie morgens; Abend: Tee, 1 Ei, fetten Braten
oder Schinken. Wurst, 30// Weißbrot, viel Butter, wenig Käse,
frisches Obst. — Eine so ausgesprochene Eiweißfettdiät ist kaum
allgemein anwendbar; es gibt viele Menschen, die Fett nicht ver-
trauen, ja einen Widerwillen gegen dasselbe empfinden; auch ist
diese Diätform sicherlieh nicht als Darmschonungsdiät zu bezeichnen,
was für die Herztherapie wesentlich in Betracht kommt.
Die Oertelsche Diät hält zwischen der Bantingschen und der
Ebsteimchen beiläufig die Mitte ein. Die Kranken sollen die vor-
geschriebene Lebensweise dauernd beibehalten. Unterernährung
und Körperbewegung sind bekanntlich die Hauptprinzipien seiner
Entfettungskur. Oertel reicht vorwiegend Eiweiß, um die Ausbildung
von Muskel- und Organsubstanz zu befördern , die Einschränkung
der Kohlehydrate soll die Verbrennung des überschüssigen Körper-
fettes begünstigen; zudem schränkt er die Flüssigkeitszufuhr ein.
(Wir haben a. a. 0. gehört, daß diese Einschränkung als Ent-
fettungsprinzij) der theoretischen Grundlage entbehrt und sich auch
durchaus nicht als allgemein geltendes Prinzip durchführen läßt,
da z. B. bei Klappeninsuffizienzen Flüssigkeitsentziehung schädlich
wirkt etc.)
Ein Speisezettel Oertels lautet z. B.: Morgens: 35 // weißes
Brot, 120// Kaffee und 30// Milch, 2 weiche Eier, 100// ge-
bratenes Fleisch, 5 // Zucker, 12 //Butter. Vormittags: 100//
Bouillon, 100 g Wasser, 50 // starken Weines, 50 // kaltes Fleisch,
20 // Roggenbrot. Mittags: 150 — 200 g schwarzes Fleisch, 50 //
Salat, 100 // Mehlspeise oder 25 g Brot, 100 // Obst, 250 g leichten
Weines. Nachmittags: 120// Kaffee, 30// Milch, 5// Zucker.
Abends: 12// Kaviar oder 2 Sprotten oder 2 weiche Eier, 150// Wild-
bret, 15// Käse, 20// Brot, 250 // Wasser oder Wein 100// Obst.
Die Hirschfeldsche Entfettungskur ist eine vorsichtigere Unter-
ernährung. Ein Speisezettel derselben lautet z. B.: Frühstück:
Bitteren schwarzen Kaffee, 1 Semmel. Vormittags: 2 Eier. Mit-
tags: Bouillon mit 30 g Reis, 250 g mageres Fleisch gekocht oder
mit wenig Fett gebraten. Nachmittags: wie morgens. Abends:
50 // fetten Käse, 100 g Brot, 10 g Schmalz. Mittags kann statt
Reis Gemüse, abends statt Käse Schinken oder kalter Braten ge-
reicht werden. —
Die Herzbeschwerden Fettleibiger. 21 5
Die mit Recht verlassene Schroth&che Kur ist eigentlich nichts
anderes als eine Hunger- und Durstkur gewesen.
Die Behandlung der Fettleibigkeit mit Schilddrüsen-
präparaten ist einerseits oft unwirksam, andererseits in vielen
Fällen von unangenehmen Nebenerscheinungen (Herzbeschwerden,
Glykosurie) begleitet ; ihre Anwendung erscheint auf Grund von
physiologischen Erwägungen nur ratsam in Fällen , wo die Fett-
leibigkeit (Frauen im Klimakterium, Kastraten) gewissermaßen als
Symptom des Wegfalls der inneren Sekretion der Genitaldrüsen zu
betrachten ist (Biedl, „Wiener Klinik", 1903). — Es wird behauptet,
scheint jedoch nicht bewiesen, daß die schädlichen Nebenwirkungen
durch gleichzeitige Arsenikmedikation hintangehalten werden können.
Man reicht Schilddrüsentabletten (die besten sind die englischen
Präparate) in steigender und wieder abnehmender Dosis (1/2 bis
2 Tabletten) unter sorgfältiger Herz- und Nierenkontrolle.
Die „Entfettungskur" durch „Lichtbäder und Dampf-
bäder'' ist nichts anderes als Gewichtsabnahme durch Wasserent-
ziehung.
Als Nachkur einer „Brunnen- oder Entfettungskur', eventuell
an Stelle einer solchen, kann bisweilen eine Molken- oder Trauben-
kur vorteilhaft wirken.
Bei der Molkenkur kommen die mäßig abführende und
die diuretische Wirkung des Milchzuckers sowie die kleinen, die
Unterernährung fördernden Fett- und Eiweißmengen der Molke in
Betracht. Molkenkurorte sind u. a.: Ischl, Meran, Reichenhall,
Badenweiler etc. Man läßt 500—1000 cm* Molke im Laufe eines
Tages in zwei Raten trinken. Die Molkenkur dürfte zumal als pro-
phylaktische Kur für Leute , die aus Familien mit harnsaurer
Diathese stammen, zu empfehlen sein. Ebenso die Traubenkuren.
Bei diesen werden Schalen und Kerne der Trauben nicht geschluckt.
Die Traubenkur wirkt so wie die Molkenkur in geringem Maße
diuretisch, leicht abführend (säurereiche Traubensorten können
Stomatitiden und Darmkatarrhe veranlassen). Die übrige Diät während
einer Traubenkur sei eiweißreich, fettarm; grobes Brot, Bier und
Salate sind zu meiden. Man verordne niemals mehr als 3 kg Trauben
im Tage, lasse morgens nüchtern eine Portion, etwa die Hälfte der
Tagesmenge nehmen, eine Stunde später ein leichtes Frühstück,
2/4 der Tagesration (an Trauben) eine Stunde vor dem Mittag-
essen, das letzte Viertel 1 Stunde vor dem Nachtmahle. — Trauben-
kurorte sind Bozen, Montreux, Loschwitz bei Dresden etc.
Bei Traubenkuren und Molkenkuren wird man natürlich wie
bei jeder anderen Diätkur sorgfältig zu individualisieren haben.
216 Spezielle Therapie.
Das Herz bei Arteriosklerose.
Die Arteriosklerose kann das Herz direkt und indirekt
schädigen ; eine direkte Schädigung kommt durch die Ernährungs-
störungen der Herzwand (Koronarsklerose) oder durch Läsionen
der Herzklappen (vorwiegend Aortenklappen), eine indirekte durch
die Erkrankung der Gefäße zustande. Je nach dem Überwiegen der
Sklerose in einem speziellen Gefäßgebiete gestalten sich die Sym-
ptome und Folgen verschieden: Sind die Koronararterien stark in
Mitleidenschaft gezogen, dann können Anfälle von Stenokardie1),
von Arhythmie, von Tachykardie, von exzessiver Bradykardie (Aäam-
Stokes 2), von chronischer Herzinsuffizienz im Vordergrunde der Er-
scheinungen stehen — „Herzbild"; hat die Arteriosklerose in dem
Gebiete der Splanchnikusgefäße die stärksten Veränderungen gesetzt,
dann sind es anscheinend unmotivierte Störungen der Verdauung,
Obstipation , seltener anfallsweise auftretende Diarrhoen, neuralgi-
forme Schmerzen in der Magengegend {Xeussevz\ die unsere Auf-
merksamkeit erwecken — „Darmbild" ; andere Kranke klagen über
Anfälle von Schwindel und Kopfschmerz , Erschwerung des Denk-
vermögens, Bewußtseinstrübungen — „Hirnbild"; oder es besteht
Vermehrung der Diurese, eventuell Glykosurie — „Nierenbild".
Diese von Huchard aufgestellte zutreffende Einteilung wird auch
von v. Schrötter (1. c.) akzeptiert; auch die merkwürdige als „inter-
mittierendes Hinken" [Charcot*), Nothnagel6), Grassmann 6) u. a.]
bekannte Gehstörung (rasche Ermüdung, Schmerz- und Vertaubungs-
gefühl in einer oder beiden unteren Extremitäten), die auf die
Erkrankung der zugehörigen Muskelgefäße zurückgeführt wird,
kann das Krankheitsbild einleiten.
Pathogenetisch dem „intermittierenden Hinken" analog sind
vielleicht die bei Sklerose der Magen- und Darmarterien vorkommen-
den Gastralgien und kolikartigen, intestinalen Schmerzen, auf die
*) Der stenokardische Anfall kann in typischer Form auftreten oder
bloß rudimentär vorhanden sein, z. B. als anfallsweise auftretende Gastralgie
{Huchard, Paidi und Kaufmann, Wiener klin. Rundschau, 1901.)
2) Man nennt Adam-Stokessches Krankheitsbild einen Symptomen-
komplex von anhaltender, oft exzessiver Bradykardie, der von apoplekti-
formen oder epileptiformen Anfällen begleitet ist und kardiogenen sowie
neurogenen Ursprunges sein kann. Huchard (Malad, du coeur, 1893) , His
(Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 64.), Jaquet (ibidem, Bd. 72), Luce (ibidem,
Bd. 74). Hoffmann (Zeitschr. f. klin. Med., Nr. 41) u. a. haben einschlägige
Beobachtungen beschrieben.
3) Neusser, Wiener klin. Wochenschr., 1902.
4) Charcot, Mein. d. 1. societe d. biolog., 1859 und Gaz. med. de Paris, 1859.
5) Nothnagel, Berliner klin. Wochenschr., 1867, und Zeitschr. f. klin.
Med., 1891.
6) Grassmann, Deutsch. Arch. f. klin, Med., Bd. 66.
Das Herz bei Arteriosklerose. 217
Erb1), Huchard*), Markwald*) Schnitzler*) und Ortner*) in diesem
Zusammenhange hingewiesen haben , ferner die Nierenkoliken und
die Neuralgien in anderen Körpergebieten.
In der Mehrzahl der Fälle ist die Arteriosklerose an der Radial-
arterie palpatorisch kenntlich ; der stärkeren Beteiligung der Aorta ent-
spricht ein dumpfer erster Ton (in der Aortenregion) oder ein systolisches
Geräusch daselbst, ferner der verstärkte oder klingende zweite Aortenton ;
den verschiedenen Graden der diffusen oder lokal besonders ent-
wickelten Gefäßerkrankung entsprechen mehr oder weniger deutliche
Herzinsuffizienz-Erscheinungen. 6) — Während des „Latenzstadiums"
der Erkrankung kann uns am besten eine andauernd nachweisbare
Erhöhung des Blutdruckes die geschilderten Symptome erkennen
und würdigen lehren (v. Basch 7), Edgren 8).
Die Prophylaxe der Arteriosklerose und die Behand-
lung der beginnenden Erkrankung decken sich mit den An-
forderungen einer rationellen Lebensweise.
Die hygienische Einteilung aller Erfordernisse des
Lebens und des Berufes, richtige Diät9), ein ausreichendes
Maß von Körperbewegung und Ruhe, Vermeidung des Abusus
von Alkohol, Nikotin, Kaffee und Tee, weise Beschränkung
auf sexuellem Gebiete, sorgfältige Überwachung der Darm-
funktionen sind die wichtigsten diesbezüglichen Maßnahmen.
Auch die Schulung gegenüber den vielfachen seelischen
Erregungen , welchen der Mensch auf seinem Lebenswege
begegnet, muß hier Erwähnung finden , denn es besteht
vielleicht ein Zusammenhang zwischen gemütlichen Er-
regungen und der Gefäßsklerose; zumal die Verschlimme-
rungen im Zustande von Kranken mit Koronarsklerose nach
psychischen Traumen sind jedem Praktiker bekannt. In der
Prophylaxe der Arteriosklerose lü) zeigt sich, wie nicht leicht
1) Erb, Zeitschr. f. Nervenheilk., 13.
2) Huchard 1. c.
3) Markwald, Zeitschr. f. prakt. Ärzte, 1900, Bd. 9.
4) Schnitzler, Wiener med. AVochenschr., 1901.
5) Ortner, Wiener klin. Wochenschr., 1902 und Volkmanns Samml.
klin. Vorträge, Nr. 347.
6) Vide pag. 26.
7) v. Basch, Wiener med. Presse, 1893 und 1896. Die Herzkrankheiten
bei Arteriosklerose, 1902.
8) Edgren, Die Arteriosklerose, 1898.
9) Vide pag. 86.
10) Die übrigen prophylaktischen Maßnahmen sind im Abschnitte „Pro-
phylaxe und Therapie der chronischen Insuffizienz des Herzens" eingehend
21S Spezielle Therapie.
auf einem zweiten Gebiete der Therapie, der Wert einer
permanenten Führung und Beratung durch den Hausarzt,
der auch mit dem Temperamente , den Anlagen und Nei-
gungen seines Schutzbefohlenen aus persönlicher Erfahrung
zu rechnen weiß.
Wiewohl wir keine sicheren Beweise für eine direkte
Einwirkung des ,. arthritischen Giftes", d. h. der Ursache
von arthritischen Veränderungen auf Herz und Gefäße be-
sitzen (Minkowski 2). läßt uns die häufige Koinzidenz von
„uratischen" und arteriosklerotischen Erkrankungen die
Möglichkeit eines bestehenden Kausalnexus vermuten, um-
somehr als auch die ,.harnsaure Diathese ;' mit andauernden
Blutdruckerhöhungen einhergeht. In der Prophylaxe der
Arteriosklerose und in ihrer Therapie wird daher auf die
Einhaltung einer „antiarthrilischen Diät" Bedacht zu nehmen
sein. Dieselbe besteht — von dem eingangs Gesagten abge-
sehen — in der Anregung der Harnsekretion durch aus-
giebige Flüssigkeitszufuhr, namentlich alkalischer Mineral-
wässer 2) , Vermeidung von nukleinreicher Kost (Thymus.
Leber, Nieren, Milz, Hirn, ebenso Spargel) und jedes Über-
maßes an Kohlehydratzufuhr; hingegen ist der reichliche
Genuß von Obst und grünem Gemüse angezeigt.
Als Kurorte, welche sämtlichen angedeuteten prophy-
laktischen Prinzipien gerecht zu werden vermögen, sind zu
nennen: Karlsbad, Marienbad, Franzensbad, Kissingen, Hom-
burg, Tarasp. außerdem die Wildbäder, Gastein etc.
Bei vollblütigen Arteriosklerotikern hat die periodische
Vornahme eines Aderlasses zweifellosen prophylaktischen
Wert.
Die Erscheinungen der Herzinsuffizienz bei Arterio-
sklerose sind mit den Mitteln zu bekämpfen . die wir bei
der Behandlung der ,.chronischen Herzinsuffizienz*' kennen
gelernt haben.
erörtert. Die Prophylaxe der auf toxischem Wege (Saturnismus) zustande
kommenden Arteriosklerose ergibt sich von selbst.
1) Minkowski, Die Gicht. In Nothnagels Spez. Path. u. Ther., 1903.
2) Biliner, Selters, Gießhübler, Karlsbader, Fachinger, Emser, Kton-
dorfer etc.
Das Herz bei Arteriosklerose. 219
Eine wirksame Therapie der bestehenden Arterio-
sklerose besitzen wir noch nicht. Das von Huchard und
Vierordt in diesem Sinne warm empfohlene Jodnatrium hat
v. Schrötter nicht sonderlich bewährt gefunden, während
Bamberg seine Anwendung zumal für die Koronarsklerose
befürwortet. J) Huchard gibt Jodnatrium sehr lange Zeit.
mindestens ein Jahr lang. Er läßt das Mittel nach je vier
Wochen immer eine Woche, nach ungefähr viermonatlichem
Gebrauche einen Monat aussetzen, um sodann einen zweiten
Turnus zu beginnen. Die unangenehmen Nebenwirkungen
der Jodsalze erschweren ihre Anwendung. Durch langsame
Steigerung der Joddosen (wässerige Lösung 5. dann 10: 150'0.
anfangs 3mal täglich 1 Kaffeelöffel , später omal täglich
1 EßlÖifel) kann man nach Rombergs Angabe heftigen
Jodismus ziemlich sicher vermeiden. Bronchitis ist eine
Kontraindikation der Jodmedikation, da, zumal bei bestehen-
der Herzinsuffizienz, durch dieselbe Lungenödem hervorge-
rufen werden kann ; der Jodschnupfen vermag eine vor-
handene Dyspnoe in überaus unangenehmer Weise zu
steigern. — In manchen Fällen scheint das Jodrubidium vor
dem Jodnatrium den Vorzug besserer Wirkung, deutlicherer
Blutdruckherabsetzung und geringerer Gefahr des Jodismus
zu besitzen. Man gibt das Jodrubidium in wässerigen Lö-
sungen, 1 g täglich, eine Woche lang, pausiert eine Woche,
reicht es dann wieder durch eine Woche u. s. f. durch zwei
bis drei Monate. Nach einigen Monaten beginnt man mit
dieser Medikation von neuen. Jodkalium ruft leichter Herz-
klopfen hervor und ist deshalb nicht empfehlenswert.
Von physikalisch-chemischen Erwägungen ausgehend,
hat W.Pauli-) gefunden, daß den Rhodansalzen eine seda-
tive und energische Gefäß wirkung zukomme. Er folgert aus
den Beziehungen zwischen Rhodan- und Calciumjonen. daß
gerade die Arteriosklerose das wichtigste Anwendungsgebiet
der Rhodanide darstellen dürfte.
*) See und Lapicque, Bullet.de l'Acad. de Medecine, 1889. — Huchard,
Rev. de med., 1883. — Prevost und Binet, Revue suisse, 1890. — Bogolopoff zit.
nach Jodlbauer, Münchener med. Wochenschr.. 1902. — /•. Schrötter, „Erkran-
kung der Gefäße" in Nothnagels Spei. Path. u. Ther. u. v. a.
2) W. Pauli, K. k. Gesellsch. d. Arzte in Wien, 19. Dezember 1902. —
Münch. med. Wochenschr., 1903.
220 Spezielle Therapie.
Der Wert einer zeitweise, durch einige Wochen, einge-
haltenen absoluten Milchdiät1) ist bisweilen unverkennbar.
— Rumpf-) versucht die Arteriosklerose durch eine möglichst
kalkarme Speisevorschrift (Fleisch, Brot, Fisch, Kartoffeln,
Äpfel) zu bekämpfen , um der Kalkretention vorzubeugen,
welcher er eine ursächliche Bedeutung beimißt. Zur Be-
förderung der Kalkausscheidung reicht er milchsaures
Natron. „Seine Studien verdienen gewiß alles Interesse"
(v. Sehr ött er).
Die zumal bei Koronarsklerose , unter Umständen bis
zur Höhe der ..Angina pectoris*', eines Anfalles von
..Stenokardie'', anwachsenden Beschwerden erfordern die sorg-
fältigste Beachtung (die zutreffende Deutung der steno-
kardischen Äquivalente ist daher in therapeutischer Hinsicht
von größter Bedeutung). Zu ihrer Bekämpfung sind anscheinend
die Koffein- und Theobrominpräparate am besten ge-
eignet, wahrscheinlich weil sie Erweiterung der Koronar-
gefäße 3), sowie bessere Durchblutung der (mehr oder weniger
ischämischen) Herzwand bewirken und somit sekundär die
Leistung des Herzmuskels günstig beeinflussen können. 4)
R. Breuer 5) empfiehlt als das verläßlichste Theobrominpräparat
das Diuretin (Theobrom. Natr. salicjlic.) ; er gibt dasselbe
womöglich in wässeriger Lösung (mit Aq. Menthae als Korri-
gens) oder, wenn die Kranken durch den schlechten Geschmack
sehr belästigt werden , in Pulvern zu 0*5. Die Tagesdosis
beträgt 3 — 3'og. Es ist wichtig, die Tagesdosis gleichmäßig
über 24 Stunden zu verteilen ; schädliche Nebenwirkungen
hat Breuer, trotzdem er Dosen von 2 — 21/29 Pro die wochen-
lang gab, nie gesehen. Gelegentlich traten Kopfschmerzen auf.
Das Agurin (Theobrom. Natr. acet.) wird in der Tages-
dosis von 2 — ■21/2g, ebenso Uropherin (Theobr. Lith. salicyl.)
gegeben, Theobrominum purum in Tagesgaben von ll/2 — 2g.
x) Vide pag. 82 und 93.
2) Rumpf, Berliner klin. Wochenschr., 1898.
3) Vide pag. 72.
4) Askanazy, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1895. — Gottlieb, Verhandl.
d. XIX. Kongr. f. innere Med. — Braun u. Mager, Sitzungsber. d. kais. Akad.
d. Wissensch. in Wien, 1899, III.
5) R. Breuer, Münchener med. Wochenschr., 1902.
Das Herz bei Arteriosklerose. 221
Von manchen, namentlich englischen Autoren, werden
zur Bekämpfung des Anfalles selbst und auch in den freien
Intervallen die Nitrite, angeblich mit günstigem Erfolge,
verabreicht. Man gibt z. B. Amylnitrit, am besten in den
Solgerschen Lymphröhrchen (mit je 4 — 5 Tropfen) oder in Ge-
latinekapseln (mit je 3 — 4 — 5 Tropfen), deren Inhalt man auf
ein Taschentuch tropfen und inhalieren läßt. — Das Nitro-
glycerin wird zu 0*0005 in Pillen oder Tabletten ver-
schrieben. Manchmal ist eine ,.Nitroglycerinkur'' wirksam
(Nothnagel), darin bestehend, daß man die Kranken mit einer
Pille oder Tablette täglich beginnen , nach je einer Woche
bis auf 3 — 5 Pillen steigen und ebenso langsam wieder herab-
gehen läßt. — Statt des Nitroglycerin , weil unschädlicher
als dieses, empfiehlt v. Schroffer das Erythroltetranitrat
in Pillen zu 0*02— 0'03 (30 Pillen aus 0'5 des Medikamentes) ;
er beginnt mit einer Pille im Tage und steigt bis auf drei
Pillen täglich an. — Das Natrium nitrosum gibt man in
wässeriger Lösung 1 — 1*5:150*0, davon zwei- bis dreimal
täglich einen Eßlöffel.
Während des Anfalles selbst soll der Kranke größte
Ruhe einhalten ; man läßt ihn starken Kaffee , Glühwein
trinken, gibt Kampfer, legt ihm ein Senfpapier, Schröpf-
köpfe auf die Herzgegend , heiße Tücher auf den Nacken,
reicht von Tr. Valerianae aether. oder dem Spirit. aether.
Hoffmanni 20 Tropfen, reibt Herzgegend und Extremitäten
mit Essig oder Kampferspiritus , bereitet rasch ein heißes
Hand- und Fußbad u. s. w. Manchem Kranken bringt Wärme-,
einem anderen Kälteapplikation auf die Herzgegend Er-
leichterung. — Oft bewährt es sich, Arme oder Beine, wenn
es angeht beide, in möglichst tiefe Gefäße (Waschbecken.
Eimer, Wannen) mit Wasser von so hoher Temperatur, als
nur irgend vertragen wird, stecken zu lassen. Eventuell
gibt man zum Wasser einige Löffel Senfmehl hinzu.
Die furchtbaren Schmerzen während des Anfalles wer-
den oftmals nur durch Narkotika zu bekämpfen sein ; die
Angst vor dem Morphium ist kaum begründet, die dem
Kranken durch eine subkutane Injektion von 0*01 — 002 ge-
schaffene Erleichterung oftmals geradezu unbeschreiblich. —
222 Spezielle Therapie.
Die übrigen Narkotika, Kodein, Heroin, Dionin sind viel
weniger wirksam.
Bleibt der Puls trotz aller angeführten Mittel klein
und unregelmäßig, dann mag als letztes Mittel der Aderlaß
versucht werden.
Kranke . die einmal einen Anfall von echter Angina
pectoris gehabt haben , sollen womöglich nicht allein aus-
gehen, keinesfalls allein reisen und über ihr Verhalten bei
einem (eventuellen) neuerlichen Anfalle instruiert sein.
Heilstätten für Herzkranke.
Wir haben gesehen , daß die Behandlung der chroni-
schen Herzinsuffizienz , zumal in ihrem Beginne , wo sich
schonende mit übenden Maßnahmen vereinigen können, neben
der Darreichung medikamentöser Mittel die kombinierte
Verwendung mehrerer therapeutischer Methoden, sowie die
ständige persönliche Beaufsichtigung und Leitung durch den
Arzt voraussetzt. Diese Bedingungen lassen sich in ihrer
Gesamtheit im Haushalte eines Kranken kaum jemals er-
füllen. Der auf dem Gebiete der Krankenpflege so erfahrene
Mendelsohn1) hat, diesem Umstände Rechnung tragend, daher
schon vor längerer Zeit die Frage der Heilstätten für
Herzkranke angeregt. Er sieht den unverkennbaren
Nutzen derartiger Anstalten — von all den Vorteilen ab-
gesehen , die Herzkranken daraus erwachsen , daß sie hier
das „Ensemble von Arzneiwirkung, Bädern, Widerstands-
gymnastik, Ernährung, Massage etc." fänden — vor allem
darin, daß die Kranken hier „zweckmäßig leben lernen"
könnten.
Solche Heilstätten wären an keinen Ort gebunden, denn
alle ihre Behelfe, die C02-hältigen Bäder wie die pneuma-
') Mendelsohn, Vortrag i. d. Deutschen Gesellsch. i". off. Gesundheits-
pflege, 1901.
Die Kreislaufstörungen bei akuten Infektionskrankheiten. 223
tischen Apparate, die mechanotherapeutischen wie die hydro-
therapeutischen Einrichtungen sind fast überall gleich gut
und gleich wirksam herzustellen. Und ein weiteres käme
dazu: Den Ärzten wäre die Gelegenheit geboten, in „Heil-
stätten für Herzkranke"' alle Errungenschaften der modernen
Therapie auf die Herztherapie angewendet zu sehen ; sie
könnten hier ebenso zu Spezialisten für Herzkranke werden,
wie es unsere Kollegen in Nauheim geworden sind , deren
unleugbare Erfolge nicht etwa auf die spezifische Wirkung
der Nauheimer Thermalsolen zurückgeführt werden dürfen,
vielmehr auf ihre langjährige Erfahrung und Betätigung im
anderenorts noch stark vernachlässigten Gebiete der Herz-
therapie.
Die Kreislaufstörungen bei akuten Infektions-
krankheiten.
Die Zirkulationsstörungen auf der Höhe der Infektion bei
Diphtherie, Scharlach, Typhus etc. sind von jenen im späteren Ver-
laufe oder während der Rekonvaleszenz der Infektionskrankheiten
streng zu trennen. Während als Ursache der für die Rekonvales-
zenz charakteristischen Kreislaufsstörung eine akute infektiöse Myo-
karditis zu bezeichnen ist, sind die Kreislaufserscheinungen auf der
Höhe der Infektion nicht Folgen einer Abnahme der Herzkraft,
sondern durch Gefäßlähmung bedingt. l) Das betreffende Individuum
verblutet sich in seine Bauchgefäße, d. h. das Herz treibt das ihm
zugeführte Blut in das große, erschlaffte Gebiet der Splanchnikus-
gefäße und erhält schließlich nicht mehr Blut genug zur Erhaltung
des Kreislaufs. Infolgedessen sinkt der Blutdruck immer mehr,
das Gehirn, die Haut, die Muskulatur werden blutleer. Nehmen
diese Erscheinungen zu, dann tritt unter weiterem Absinken des
Blutdrucks und Zunahme der Blässe schließlich der Tod ein.
Bei schweren Infektionskrankheiten finden wir oft schon
frühzeitig Arhythmien und Herzdilatationen, die auch auf eine Be-
teiligung des Herzens (Myokarditis) hinweisen. In welchem Ausmaße
*) Romberg, Pässler, Bruhns, Müller u. Hollwachs, Deutsches Arch. f.
klin. Med., Bd. 64.
224 Spezielle Therapie.
die Symptome dann auf Rechnung der Vasomotoreninsuffizienz zu
setzen sind, inwieweit auf Rechnung einer Herzinsuffizienz, das wird
sich im Einzelfalle oftmals kaum entscheiden lassen. — Eine Schädi-
gung des Herzens kommt in diesem Krankheitsstudium auch wohl
dadurch zustande, daß die Koronargefäße, während der Blutdruck
tiefer und tiefer absinkt, immer schlechter und schlechter gefüllt
werden , so daß die Ernährung der Herzwand wesentlich beein-
trächtigt erscheint.
Die Therapie der Kreislaufstörung bei einer akuten
Infektionskrankheit hat sich naturgemäß dem Ursprünge der
Störung zuzuwenden. Da die während der Rekonvaleszenz
auftretenden Erscheinungen Folgen einer akuten Myokarditis
sind, kommen für sie die therapeutischen Maßnahmen in
Betracht, welche wir auf pag. 172 kennen gelernt haben. —
Je mehr die Symptome der Vasomotorenlähmung !) (niedriger
Blutdruck, Blässe der Hautdecke, Erscheinungen von Hirn-
anämie) im Vordergrunde stehen, desto wichtiger ist es, hier
den Hebel anzusetzen, um durch die Aufrechterhaltung des
Kreislaufs das Leben über den Zeitpunkt zu verlängern,
wo die Infektionskrankheit ihr natürliches Ende erreicht.
Diese Aufgabe erfüllen die „Vasomotorenmittel", indem
sie den Tonus der Gefäße erhöhen.
Ein Hauptrepräsentant der Vasomotorenmittel ist das
Strychnin, das durch Reizung der vasomotorischen Zentren
die Gefäße verengert (S. Mayer 2). Da aber seine blutdruck-
steigernde und seine krampfmachende Wirkung nahe bei-
sammen liegen, ist es zweckmäßig, das gefahrlosere Koffein
zu nehmen {Gottlieb'6)] auch das Koriamyrtin (von Coriaria
myrtifolia, Gerberstrauch) scheint als Vasomotorenmittel
eine Zukunft zu haben. — Die Nebennierenpräparate
sind ihrer physiologischen Aktion nach bei sinkendem Ge-
fäßtonus wohl indiziert, doch vorläufig noch nicht genügend
klinisch geprüft: sie sind daher derzeit für die Therapie
der Vasomotoreninsuffizienz noch unverwendbar.
*) Gleiche Verhältnisse finden wir bei dem Gefäßtode durch Narkotika,
wie Alkohol, Chloroform, Chloralhydrat etc.
2) Zitiert nach Gottlieb, Herzmittel und Vasomotorenmittel. — Vide die
Fußnote auf pag. 47.
3) Gottlieb, Verhandl. d. XVIII. Kongr. f. innere Med.
Die Kreislaufstörungen bei akuten Infektionskrankheiten. 225
Friedet Pick1) empfiehlt das kräftig gefäßverengernde
Hydrastinin ; man gibt dasselbe als salzsaures Hydrastinin,
f/, — 1 Pravazspritze einer l%igen Lösung, oder intern in
Gallertkapseln zu 0*025 , drei- bis viermal ; auch der Fluid-
extrakt der Hydrastiswurzel in mehrmaligen Dosen von
20 — 30 Tropfen ist zu versuchen.
Ihrer gefäß verengernden Wirkung wegen sind auch das
Mutterkorn und seine Präparate in der Therapie der
Vasomotorenschwäche zu erwägen, doch ist festzuhalten, daß
auch sie gleich dem Strychnin wahrscheinlich nur in toxi-
schen Dosen blutdrucksteigernde Wirkungen besitzen. Man
gibt z.B. Infus, secal. cornut. 10:150'0, zwei- bis dreistündlich
einen Eßlöffel, oder Extract. secal. cornut. fluid, in Dosen
von O-3—l'O, z. B. Extr. secal. cornut. 2*0, Aq. destill. 1500.
Syr. Cinnamom. 200. S. 2— 3stündlich 1 Eßlöffel.
Die Wirkung der Vasomotorenmittel ist durch die
Umschaltung der pathologischen Blutverteilung zu
erklären (Gottlieb). Der Antagonismus in der Blutfülle zwi-
schen Haut- und Eingeweidegefäßen ermöglicht uns nämlich
eine solche Umschaltung, denn die Vasomotorenmittel ver-
engern bloß das Splanchnikusgebiet , der rechte Ventrikel
schöpft wieder mehr Blut aus den Venen, der linke Ventrikel
aus den Lungengefäßen, der Aortendruck steigt an, die
Haut-, Muskel- und Hirngefäße werden blutreicher. „Indem
die bessere Durchblutung lebenswichtiger Organe — des
Herzens, des Gehirns — zur Hebung ihrer Funktion beiträgt,
gewinnt der Organismus Zeit, der krankmachenden Ursache
Herr zu werden. So können die Vasomotorenmittel lebens-
rettend wirken, zumal sie gleichzeitig auch das Respirations-
zentrum erregen. "
Das Gleiche bewirken Hautreize, z.B. der Kälte-
reiz2), die daher gleichfalls als Analeptika dienen
können.3)
*) F. Pick, Verhandl. d. XIX. Kongr. f. innere Med.
2) Vide pag. 127.
3) Wertheimer, Arch. d. phys. norm, et path., 1893.
Braun, Therapie der Herzkrankheiten. 15
226 Spezielle Therapie.
Aus den Ergebnissen neuester Untersuchungen von
Gottlieb und Magnus1) laßt sich sicherer, als dies früher
möglich war, der Schluß ziehen, daß die Digitalis st offe
zweifellos auch Vasomotorenmittel sind, vielleicht
bessere als alle bisher genannten. Das Digitoxin vor allem
bewirkt eine Umlagerung des Blutes von der venösen auf
die arterielle Seite des Kreislaufs, während die anderen
Digitalispräparate, Digitalin, Strophantin etc., bloß eine Um-
lagerung aus den Gefäßgebieten des Körperinnern (Splanchni-
kus) nach der Körperoberfläche zur Folge haben, also nicht
so mächtig gefäßverengernd wirken wie das Digitoxin. Es
dürften also bei Vasomotorenparesen günstige Wirkungen
durch Digitalisdarreichung, aber nur bei Verwendung
der größten therapeutisch in Betracht kommenden
Dosen erwartet werden können. Die Digitalisstoffe haben
in solchen Fällen gegenüber manchem anderen Vasomotoren-
mittel, dem Strychnin und Ergotin, zwei unschätzbare Vor-
teile voraus, daß ihre gefäßverengernde Wirkung schon in
therapeutischen Gaben in Betracht kommt und daß sie auch
die Herzleistung günstig beeinflussen , was ganz besonders
für jene Fälle wichtig wäre, wo sich zur Vasomotoreninsuf-
fizienz aller Wahrscheinlichkeit nach bereits eine Schädigung
des Herzens gesellt hat (toxische Myokarditis — Myolyse —
Eppinger).
Es ist schließlich eine lange bekannte Tatsache von
großer therapeutischer Bedeutung im Verlaufe akuter In-
fektionskrankheiten, daß nach Infusion von Kochsalz-
lösung (intravenös oder hyperdermatisch) das besser gefüllte
Herz wieder kräftiger zu schlagen beginnt ; der durch die
Vasomotorenschwäche gesunkene Blutdruck wieder ansteigen,
das Leben des Kranken verlängert, gerettet werden kann.
Durch die Kombination von Vasomotoren mittein, Haut-
reizen und Kochsalzinfusionen wird wohl manches, der Vaso-
motorenlähmung gegenüber völlig machtlose Herz im Kampfe
gegen die Infektion ausgiebig unterstützt werden können.
*) Gottlieb u. Magnus, Arch. f. experini. Path. u. Pharm., Bd. 48 u.
Naturh.-med. Verein. Heidelberg, S. auch pag. 49.
Das Aortenaneurysma. 227
Die von v. Ziemssen1) zuerst empfohlene h ypodermatisehe
Injektion (Hypodermoklyse) g-estattet uns, dem Organismus, resp.
dem Gefäßraume desselben , größere Mengen von physiologischer
Kochsalzlösung ohne die umständliche Vornahme der Präparation
einer Vene einzuverleiben. Als Ort der Injektion wählt man am
besten die Ileocöcalgegend. Die Infusion wird mittelst einer größeren
Spritze ausgeführt oder man nimmt einen langen, dünnen, mit einem
Schlauehe armierten Troikart und läßt aus einem Irrigator sterilisierte,
erwärmte , physiologische Kochsalzlösung in den notwendigen
Quantitäten (300—500 — 1000 cm3) in das subkutane Zellgewebe
einfließen.
Das Aortenaneurysma. 2)
Die durch ein Aortenaneurysma bedingten Symptome, sowie
die diesbezüglichen allgemeinen und speziellen Gesichtspunkte sind
von v. Schrötter*) in meisterhafter Weise dargestellt worden; sie
können an dieser Stelle nur andeutungsweise erörtert werden. Je
nach Lage, Größe und Beschaffenheit des Sackes ergeben sich
charakteristische Verdrängungserscheinungen undKreislaufssymptome.
Bisweilen sind heftige Neuralgien in der Thoraxgegend das einzige
Symptom eines latenten Aneurysma, ein anderesmal treten die Er-
scheinungen der Rekurrenslähmung, der Hämoptoe, von Singultus,
von rhythmischen Erschütterungen des Larynx 4) zuerst hervor;
nach außen wachsende Aneurysmen bilden charakteristische Dämpfungs-
zonen oder pulsierende Geschwülste, welche das Stern um, die Rip-
pen etc. usurieren können , oder es machen sich die Zeichen der
Kompression der Trachea, großer Bronchien, der Venenstämme, des
Ösophagus etc. geltend. Über Aneurysmen der Aorta aseendens
oder des Aortenbogens tritt bisweilen fühlbares Schwirren, wenn
der Sitz des Aneurysma nahe beim Herzen ist, ein diastolisches
Geräusch auf. Je nach dem Sitze des Aneurysma am Abgange der
vom Arcus aortae abgehenden Arterien findet man charakteristische
Pulsverspätungen und Differenzen der einen gegenüber der anderen
Kadialis, der Femoralis gegenüber den Radiales etc. — Durch die
*) v. Ziemssen, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 36.
3) Da sich die Therapie des Aortenaneurysma zum großen Teile mit
jener der „chronischen Herzinsuffizienz1* deckt, wurde sie in kurzen Zügen
hier aufgenommen.
3) v. Schrötter (Nothnagels Spez. Path. u. Ther.), Erkrankungen der
Gefäße.
4) Oliver- Cadarellis Pulsation.
15*
228 Spezielle Therapie.
Röntgendurchleuchtung ist die Diagnostik der Aortenaneurysmen
wesentlich gefördert worden. — In der Pathogenese der Aneurysmen
spielt die Syphilis ohne Frage eine bedeutsame Rolle x) , daneben
kommen Traumen und entzündliche oder degenerative Ernährungs-
störungen der Gefäßwand in Betracht.
Die Prophylaxe des Aortenaneurysma fällt mit der
Einhaltung der im Abschnitte „Arteriosklerose" geschildert en
Vorschriften und mit der Verhütung der luetischen In-
fektion zusammen.
Die wichtigste therapeutische Maßnahme ist, solange
wir keine zuverlässige operative Behandlungsmethode be-
sitzen, die Einhaltung von Ruhe, um die Zirkulation mög-
lichst langsam und gleichförmig zu gestalten. Dies wird am
besten durch absolute Bettruhe erreicht, welche man
immer wieder wochenlang einhalten läßt. Es unterliegt keinem
Zweifel, daß hierdurch Gerinnungsvorgänge im Aneurysma-
sacke angebahnt werden können, die in günstigen Fällen
zur Verödung des Sackes, zur Heilung führen. Unterstützend
kann hierbei die Einschränkung der zugeführten Flüssigkeits-
mengen wirken. Im übrigen haben alle Schonungsmaßnahmen
der diätetischen Therapie in Kraft zu treten. Bisweilen hat
sich eine absolute Milchdiät als zweckmäßig erwiesen; es
empfiehlt sich jedoch, eingedampfte, mit Milchzucker ver-
setzte Milch reichen zu lassen , um die Flüssigkeitszufuhr
nicht allzu groß zu gestalten. Der Milchzuckerzusatz erhöht
den Nährwert der Milch, vermehrt die Diurese und wirkt
laxierend, was den konkreten therapeutischen Indikationen
vollkommen entspricht. Überaus wichtig ist die Sorge für
leichten Stuhlgang 2), um Anstrengungen bei der Stuhlent-
leerung zu vermeiden.
Manche Autoren, darunter auch Broadbent, haben beim
Aortenaneurysma einen entschieden günstigen Einfluß vom
Jodkalium gesehen. Man reicht dasselbe in allmählich stei-
gender Dosis, bis 1*5 g dreimal täglich, durch lange Zeit;
*) Welch, cit. nach Bäumler in Handbuch der Therapie inn. Krank-
heiten von Penzoldt-Stintzing. — Malmsten, ibidem. — Puppe, Deutsche med.
Wochenschr.. 1894. — Hampeln, Berliner klin. Wochenschr., 1894. — Etienne,
ibidem, 1897,
2) Tide pag. 99 ff.
Das Aortenaneurysma. 229
wenn deutliche Intoxikationserscheinungen auftreten, setze
man die Darreichung aus, um nach Ablauf des ..Jodismus"
von neuem zu beginnen.
Die Injektion Koagulation hervorrufender Flüssigkeiten
in den Aneurysmasack ist als ein überaus gefährlicher Ein-
griff zu bezeichnen, der wohl nur auf die trostlosesten Fälle
beschränkt bleiben kann.
Relativ geringere Gefahren bereiten chirurgische Maß-
nahmen, welche sich bestreben, im Aneurysmasaeke auf
mechanische Weise Fibrinbildung einzuleiten, die „Aku-
punktur', die ..Elektropunktur" , die „Galvanopunktur".
Moore1) hat versucht, einen Fremdkörper mit möglichst
großer Oberfläche einzuführen , um dem Fibrin zahlreiche
Punkte zur Ablagerung zu gewähren; er wählte dazu in
einem Falle einen mehr als 23 cm langen feinen Eisendraht :
Baccelli 2) verwendete in gleicher Absicht feine Uhrfedern,
Bansohojf'3) Silberdraht, Levis und Brt/ant4-) Roßhaar,
t\ ScJirötter 5) Fils de Florence. — Die Erfolge der Autoren
sind ungleich gewesen, im allgemeinen über Erwarten günstig.
Entgegen Verneuü 6), der sich in einem ausführlichen Referate
über diese Methoden abfällig äußert, spricht sich Bäumler1)
nicht mit Entschiedenheit gegen dieselben aus. ..Im großen
und ganzen — sagt er — muß man erstaunt sein über die
Toleranz der Aneurysmen und mancher Aneurysmatiker
derartigen Eingriffen gegenüber, und diese Erfahrung wird
bei einer an sich so hoffnungslosen Krankheit die Auf-
munterung zur Anwendung derselben geben und sie be-
rechtigt erscheinen lassen."
Als „Filipunktur" (Macewen 8) wird eine Methode be-
zeichnet, bei welcher man durch eine (aseptische) Nadel-
spitze kleine Verletzungen der Intimaauskleidung des Aneu-
rysmasackes und Gerinnungsvorgänge in demselben bewirken
x) Cit. nach Bäumler, 1. c.
2) Baccelli, ibidem.
5) Ransohoff, Med. News, 1886.
4) Levis und Bryant, cit. nach Bäumler.
5) f. Schrötter, 1. c
6) Verneuü, Acad. d. M.. 1888; Arch. general., 1888.
7) Bäumler, 1. c.
8) Macewen, Lance!, 1890.
230 Spezielle Therapie.
will. Caselli1) und Bignone-) haben von dieser Methode Er-
folge gesehen.
Von erfahrenen Autoren, wie v. Schroffer 3), ist unter
der Einwirkung subkutaner Ergotininjektionen „oft ein
Stationärbleiben der Aneurysmageschwulst , ein auffallend
langes Leben des Patienten beobachtet worden, so daß man
dem Medikamente einen Einfluß auf diese günstigen Um-
stände zuschreiben muß".
Neuerdings ward, namentlich von Sorgo*) aus der
Klinik v. Schroff ers. die Anwendung der von Lancereaux*)
zuerst empfohlenen subkutanen Injektionen von Ge-
latine als erfolgversprechend geschildert. In einem hohen
Prozentsatze von sackförmigen Aneurysmen sah Sorgo
Gerinnung eintreten , welche ausbleibt, wenn es sich um
diffuse Dilatationen handelt; doch betont er ausdrücklich,
daß wir nicht wissen, ob die Gerinnung im aneurysmatischen
Sacke Folge der Gelatinebehandlung sind, weil der Effekt
auch durch das diätetische Regime und die ruhige Rücken-
lage bedingt sein kann. Die Injektionen sind, strenge Asepsis
vorausgesetzt, ungefährlich. >S 'orgo injizierte aus einer 150 cm8
fassenden, mit einer weitkalibrigen Injektionsnadel armierten
Spritze nach vorheriger Infiltrationsanästhesierung 100 bis
150cm3 einer 4 — 5%igen Gelatinelösung. — v. Legeten6) und
A. Fränkel 7) haben von der Gelatinebehandlung der Aneu-
rysmen keine eindeutigen Erfolge gesehen, hingegen hat
sich Kalendern*) über diese Methode günstiger geäußert.
Der Wert des Verfahrens liegt ohne Zweifel, wie auch
A. Fränkel hervorhebt, in der dazu erforderlichen acht-
wöchentlichen Liegekur, die von den Patienten leichter ein-
gehalten wird, wenn sie die Überzeugung gewinnen, daß die-
selbe zum Zwecke einer besonderen Behandlung notwendig ist.
*) Caselli, 8. Sess. della Societ. Chirurg, ital., 1891.
2) Bignone, Riforma med., 1895.
3) v. Sehr ötter, 1. c.
4) Sorgo, Therapie der Gegenwart, 1900; Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 42.
3) Lancereau.r, Acad. d. med., 1900 und Gaz. des höpit, 1901.
6) v. Leyden, Verein f. innere Med. in Berlin, 1900.
7) A. Fränkel, ibidem.
8) Kalendern, Klin.-ther. Wochenschr., 1900.
Die „nervösen Herzkrankheiten'-. 231
Die Anwendung der Digitalispräparate bei Aorten-
aneurysmen behufs therapeutischer Beeinflussung derselben
ist kaum berechtigt , da die günstige Wirkung auf das
Aneurysma selbst (Erhöhung des Wandtonus) durch die
Blutdrucksteigerung (im Gefolge der Digitalis wirkung) auf-
gehoben, ja überwogen werden kann. — Herzinsuffizienz-Er-
scheinungen werden die Darreichung kleiner Digitalisgaben
und die Maßnahmen, welche wir a. a. 0. kennen lernten,
notwendig erscheinen lassen.
Bestehen heftige Schmerzen (Neuralgien), dann kann
die Venäsektion durch Herabsetzung der Spannung des
Aneurysmasackes (und Verminderung der Kompressionser-
scheinungen) wesentliche Erleichterungen schaffen. —
Bei Aneurysmen der aufsteigenden Aorta und der
Anonyma suchte man mit abwechselndem Erfolge durch
Unterbindung der Carotis communis oder der Subclavia oder
beider zugleich eine auf den Aneurysmasack selbst be-
schränkte Yerlangsamung der Blutströmung zu bewirken,
welche die Gerinnselbildung begünstigen sollte (Methode
von Brasdor1).
Die „nervösen Herzkrankheiten".
Als „nervöse Herzkrankheiten" fassen wir mit KreJil2) auf
nervösem Wege zustande kommende Anomalien der Herztätigkeit
und Veränderungen des Herzens zusammen.
Hieher gehören erstens diejenigen Herzbeschwerden , die als
„Herzneurosen" bezeichnet werden und nichts Anderes sind als
Teilerscheinungen einer allgemeinen Nervosität 7 zweitens die Ver-
änderungen des Herzens und seiner Tätigkeit, denen möglicherweise
eine Erkrankung des „Herznervensystems" zugrunde liegt,
schließlich die „Herzerkrankungen, welche wahrscheinlich
reflektorisch erzeugt werden".
L) Die diesbezügliche Literatur bei Bäumler, 1. c.
') KrehJ, 1. c.
232 Spezielle Therapie.
Als häufigste Ursache von Herzneurosen kann die Neurasthenie
bezeichnet werden. „Die Labilität des neurasthenischen Nerven-
systems betrifft auch die Zentren der Herznerven." *) Manche dieser
Patienten empfinden neben den Zeichen ihrer Nervosität mehr oder
weniger deutlich Herzsymptome (Schmerzen, unangenehme Gefühle
in der Herzgegend), in anderen Fällen füllen die Herzbeschwerden
den Vordergrund des Krankheitsbildes vollkommen aus. Die Kranken
werden von peinlichen, beängstigenden, schmerzhaften Empfindungen
in der Herzgegend gequält, die zeitweise bis zur Höhe eines An-
falles von ..Angina pectoris" anwachsen können; die Furcht,
herzkrank zu sein, beherrscht ihre ganze Psyche, verdüstert
ihnen den Tag, schreckt sie des Nachts aus quälenden Träumen
auf. — Objektiv findet man neben den mehr oder weniger deut-
lichen Symptomen der Neurasthenie auffällige Rhythmusschwan-
kungen des Herzschlags (pag. 34), die durch Körperbewegungen
leicht ausgelöst werden können, seltener „Extrasystolen", in manchen
Fällen eine plötzliche Pulsverlangsamung beim Niederhocken.2)
Neurasthenische Bradykardien kommen wohl niemals vor , ebenso-
wenig Schwankungen in der Größe des Pulses.
Die ,.Herzdämpfung" ist fast immer normal. — Während
eines Anfalles sind die Kranken bisweilen auffällig blaß, ..verfallen",
am Herzen findet man jedoch außer einer kaum nennenswerten
Beschleunigung des Herzschlags und den geschilderten Symptomen
keine Veränderung. Es besteht demnach ein bemerkenswerter
Widerspruch zwischen subjektivem und objektivem Ver-
halten. - — Die Anfälle werden auf psychischem Wege leichter her-
vorgerufen als auf physischem ; immer aber spielt das psychische
Element in ihrer Genese eine wichtige Rolle.
Die Dyspnoe der Kranken mit neurasthenischer Angina pec-
toris macht immer den Eindruck des ..Gewollten". — Wenn die
Herzbeschwerden ältere Individuen betreffen , Veränderungen von
beginnender Arteriosklerose vermutet werden können 3) oder in der
Anamnese der Kranken mehrfache „rheumatische" Attacken erwähnt
werden , sei man mit der Diagnose der neurasthenischen Herzbe-
schwerden vorsichtig und fahnde eifrig nach Zeichen der beginnen-
den Herzinsuffizienz. 4) An den Herzen jugendlicher Individuen mit
Herzneurosen findet man bisweilen auffällig laute , wie klingende,
akzentuierte , seltener gespaltene Töne , oft auch ein systolisches
Geräusch mit den Kriterien des akzidentellen Geräusches. Die
Spaltung betrifft die ersten Töne häufiger als die zweiten und
*) Braun u. Fuchs, Zentralbl. f. innere Med.
2) Krelil, 1. c. — Binsivanyer, Path. u. Therap. d. Neurasthenie, 1896.
— Lommel, Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 72. — Erben, Wiener klin.
Wochenschr., 1898. — Braun u. Fuchs, 1. c.
3) Vide pag. 216.
4) Vide pag. 26.
Die „nervösen Herzkrankheiten'. 233
kommt bei Männern öfter als bei Frauen vor; speziell bei jugend-
lichen Neurasthenikern (Masturbanten) findet man den ersten Ton
an der Spitze recht häufig deutlich gespalten, ja sogar eine Art
von präsystolischem Schwirren. Treten auch noch die Zeichen der
verstärkten Aktion des linken Ventrikels hinzu, ferner ein dumpfer,
systolischer Ton, eventuell ein systolisches Geräusch, was bei diesen
Fällen nicht zu den Seltenheiten gehört, dann liegt die Möglichkeit
einer Verwechslung mit leichten Fällen von Mitralstenose nahe genug.
Differentialdiagnostisch kommen in Betracht: Der Gegensatz
zwischen dem geschilderten palpatorischen und auskultatorischen
lief unde einerseits, dem Perkussionsbefunde andererseits, in dem
jegliche Spur von Vergrößerung des linken Vorhofes und des
rechten Ventrikels fehlt , der Mangel von Cyanose und Pulsin-
äqualitäten, die geschilderten Rhythmusschwankungen des Pulses,
xhließlich die Erscheinungen der Gefäßneurose: Auffälliger Wechsel
der Gesichtsfarbe , feuchtkalte , livide Hände und Füße , fliegende
Erytheme, das Gefühl des Abgestorbenseins an Händen und Füßen,
Karotidenklopfen und die Kennzeichen der allgemeinen Nervosität
(Tremor der Zunge, der geschlossenen Augenlider, der Hände, ge-
steigerte Reflexerregbarkeit etc.).
Die Erklärung der ..nervösen Herzkrankheiten'', bei denen
wir eine Beteiligung des Herznervensystems vermuten , und der
..reflektorischen Herzaffektionen " stößt derzeit noch auf kaum über-
windliche Hindernisse. — Als Typus der ..reflektorischen Herz-
affektionen" J) sind die Anomalien der Herztätigkeit zu bezeichnen,
die man z. B. bei nervösen Frauen mit Erkrankungen des Digestions-
traktes oder der Geschlechtsorgane findet. (Immer ist Nervosität ein
notwendiges Bindeglied zwischen reflexauslösendem Agens und der
reflektorischen Herzaffektion.) Im Symptomenkomplexe dieser Krank-
heitsbilder tritt die Funktionsstörung des linken Ventrikels
mehr oder weniger deutlich hervor. 2)
Vielleicht dürfen auch die Fälle von „essentieller paro-
xysmaler Tachykardie" der Literatur hieher gezählt werden, bei
denen sich keine anatomische Erkrankung des Herzens selbst nach-
weisen ließ. Man versteht unter dem Namen „essentielle paroxysmale
Tachykardie'' plötzlich auftretende Anfälle von Herzjagen, die ver-
schieden lange anhalten und angeblich mit Vergrößerung der Herz-
dämpfung einhergehen können. 3)
*) Literatur bei Rombery 1. e. und Krehl 1. c., ferner Mayer u. Pribram,
Sitzungsber. d. Wiener kais. Akad. d. Wissenseh. , 1872. — Potain, Gaz. hebd.,
1894. — Rosenbach, Deutsche med. Wochenschr., 1879. — Ott, Prager med.
Wochenschr., 1882.
2) Braun, Wiener med. Presse, 1902 und pag. 17 ff.
■) Nothnagel, Wiener med. Blätter, 1887. — Boweret, Revue de med.
1889. — Martins, Tachykardie, 1895. — Hoffmann, Die paroxysmale Tachy-
kardie, 1900.
234 Spezielle Therapie.
Zu den Neurosen des Zirkulationsapparates sind schließlich der-
zeit noch1) als ,.toxische Neurosen" auch die Veränderungen der Herz-
tätigkeit zu rechnen, die sich bei vielen Individuen nach lange fort-
gesetztem Abusus von Tabak, Kaffee und Tee entwickeln, ferner die
Herzbeschwerden der Morphinisten. In allen diesen Fällen steht die
Labilität des Herzrhythmus im Vordergrunde der Erscheinungen.
Arhythmien, „Extrasystolen*', die von den Kranken zumeist peinvoll
als Aussetzen des Herzschlags empfunden werden , überaus leicht
auslösbares Herzklopfen, dazu das Gefühl der Verstimmung, die
Angst vor unheilbarem Kranksein , Todesfurcht , Schlaflosigkeit,
Unfähigkeit zur Arbeit , Einschränkung des Denkvermögens setzen
das Bild dieser Neurose zusammen , deren zunehmende Häufigkeit
den immer schwerer werdenden Bedingungen entspricht, unter denen
der „moderne Mensch" seinen Lebenspfad durchschreitet. Die falsche
Vorstellung , daß man des „Stimulus" nicht entraten könne , dazu
eine Reihe von sozialen und sozialökonomischen Faktoren zeitigen
diese traurigen Blüten der fortschreitenden Zivilisation.
Die Therapie der nervösen Herzkrankheiten hat sich
gegen die Grundkrankheit, beziehungsweise gegen die sie
auslösenden Momente zu wenden.
Es kommen also bei neurasthenischen und hysterischen
Herzbeschwerden die für die Behandlung dieser Neurosen
geltenden Gesichtspunkte in Betracht. „Das Wichtigste ist
unter allen Verhältnissen, daß der Kranke Ruhe und Frieden
seiner Seele erlangt" (Krehl). Wer von der Hast des Lebens
entkräftet, in übermüdender Arbeit zusammenbrach, der be-
nötigt vor allem anderen Ruhe , Erholung, im Gebirge, an
der See, in waldreichen Gegenden, je nach Maßgabe des
Grades seiner Erkrankung, eventuell in einer Kuranstalt.
Wer durch seelischen Kummer, traurige Ereignisse Herz-
beschwerden erwarb, den wird unter Umständen Selbstüber-
windung, Berufsarbeit, Beschäftigung am besten zu heilen
vermögen. In den allermeisten Fällen übt die persönliche
Einflußnahme des Arztes, die Psychotherapie, die größte
Wirkung aus ; ein guter Rat , ein kluges Wort , oft auch
taktvolle , doch unnachsichtliche Strenge zu rechter Zeit
helfen dann wohl mehr als die teuerste „Medizin".
*) Genaue Untersuchungen werden uns möglicherweise einen Zusammen-
hang zwischen der Entwicklung dieser Noxen und der Entwicklung mancher
(anatomischen) Gefäß- und Herzveränderung erkennen lassen.
Die „nervösen Herzkrankheiten". 235
Im übrigen dienen zur Behandlung der Grundkrank-
heit unsere verschiedenen diätetischen *), hydriatischen 2) und
mechano-therapeutischen Maßnahmen. 3) Sehr wichtig ist die
Beachtung und therapeutische Behebung der übrigen Sym-
ptome der Nervosität, des Appetitmangels, der Schlaflosigkeit;
sie werden durch „Luftveränderung", Wechsel der Umge-
bung, oft in überraschender Weise günstig beeinflusst. Für
leichtere Fälle genügt die Entfernung aus dem gewohnten
Kreise, der täglichen Umgebung, der Familie, vollkommen,
um einem größeren (suggestiven) Einflüsse des Arztes Raum
zu schaffen; schwere Neurastheniker bedürfen zu ihrer Ge-
nesung wohl zumeist der permanenten Anleitung und Über-
wachung durch den Arzt, einer streng geregelten Zeit-
einteilung, einer passenden Beschäftigung (Garten-, Feld-
arbeit), was sich in harmonischer Weise wohl nur in einer
Heilanstalt zusammenfindet. Gegen die Schlaflosigkeit wende
man im Anfange der Behandlung leichtere Schlafmittel, z. B.
Sulfonal, Trional etc. 4), an. Vor dem Morphiumgebrauche ist
dringendst zu warnen. Auch die Darreichung von Alkoholicis
werde so weit als möglich eingeschränkt oder am besten
vollkommen unterlassen.
Bisweilen hat , zumal bei Patienten mit gesunkenem
Ernährungszustande , neben reichlicher Ernährung die An-
wendung des Opium unleugbare Erfolge zu verzeichnen. Man
gibt das Extractum opii aquosi in Pillen , z. B. Rp. Extr.
opii aquos. 1*0, Extr. Rhei 2*0, Extr. et pulv. Liq. qu. s. ut f.
pil. Nr. L. S. Morgens und Abends 2 — 10 Pillen steigend zu
nehmen, oder in Lösung, z.B. : Rp. Extr. opii aquos. 0*6, Vin.
Malac, Aq. destill, aa. 60'0, Tr. Aurant. comp., Syrup. Aurant.
aa. 15'0. S. Kaffeelöffelweise , langsam steigend zu nehmen,
z. B. am 1. Tage morgens 2 Kaffeelöffel, abends 3 Kaffee-
löffel, am 2. Tage 2, resp. ?>1/2 Kaffeelöffel, am 3., 4., 5. und
6. Tage jedesmal um je */« Kaffeelöffel mehr, ebenso langsam
wieder herab. Man kann so unbedenklich bis auf 0"4 Extr.
*) Vide pag. 86.
2) Vide pag. 116.
3) Vide pag. 145.
4) Vide pag. 196 ff.
2;i6 Spezielle Therapie.
opii pro die ansteigen. Die anfängliche Obstipation schwindet
bald von selbst.
Gegen stärkere Herzbeschwerden wirken Brompräpa-
rate (2 — ?>g abends, vor dem Zubettegehen), ebenso die Tinc-
tura Valerianae oder Valyl. — Auch der tonisierende
Einfluß von Herzmitteln (Digitalis, Strophantus) kann sich
bisweilen günstig erweisen, doch vergesse man nicht daran,
daß die Kranken in der Darreichung von Herzmitteln even-
tuell eine Bestätigung des gefürchteten Herzfehlers sehen
und dadurch unheilvoll beeinflußt werden können. Daher
ist auch der psychische Wert einer Bewegungskur, der die
Kranken so recht davon überzeugt, daß ihrem Leiden keine
anatomische HerzafFektion zugrunde liegt, von großem Werte.
— Die „reflektorischen HerzafFektionen" erfordern die Be-
handlung und Beseitigung der sie auslösenden Momente. —
Die Behandlung der „toxischen Herzaffektionen*' setzt fast
ausnahmslos die dauernde Überwachung der Kranken voraus.
Es wird daher zumeist das Aufsuchen einer Heilanstalt
notwendig erscheinen.
Autoren -Verzeichnis.
(Die beigedruckten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)
Abbe 157.
Ackermann 46.
Adam-Stokessches Sym-
ptomenbild 216.
Albertoni 73.
Albu 163.
Albutt 179, 181.
Altvater 96, 97.
Askanasy 79, 220.
Aubert 72, 77, 194.
B.
Baccelli 229.
Bamberger 127.
Barie 165.
Barnard 4.
Basch v. 17, 20, 25, 36,
37, 217.
Bauer 15, 168.
Bäumler 177, 229.
Beck C. 91.
Benedikt 96, 97.
Beneke 109.
Berg 75.
Biedl 13, 215.
Bignone 230.
Binet 219.
Binswanger 232.
Binz 56, 76, 98.
Bock 46, 72.
Boeck v. 64.
Boehm 46, 75, 77.
Bogolopoff 219.
du Bois-Beymond 103.
Bollinger 15.
Borini 171.
Bosse 69.
Botkin 71.
Bouillaud 107.
Bouny 163.
Bouveret 233.
Brasdor 231.
Braun 4, 46, 48, 55, 72,
149, 220, 232, 233.
Breuer Rob. 79, 220.
Braune 148.
Broadbent 18, 23, 100,
165, 169, 187, 201,
205, 207, 228.
Bruhns 173, 223.
Bryant 229.
Buchheim 77.
Bum Anton 145.
Burton-Opitz 91.
Burwinkel 89.
Buttermann 30.
C.
Charcot 216.
Citron 84, 85.
Clar 108.
Cloetta 45, (52.
Clopatt 96, 97.
Corrigan 204.
Curschmann 84, 181.
Cushny 46.
Dehio 30, 37, 85.
Dehn 72, 77.
Bemme 69.
Denzel 68.
Deucher 67.
Dixon Mann 156.
Dräsche 69.
Dreser 46, 55, 79, 80.
Düms 179.
Dnrdufi 46.
E.
Ebstein 31, 100, 214.
Edgren 4, 217.
Edlefsen 75.
Eger 207.
238
Autoren -Verzeichnis.
Egger und Koeppe 107.
Ehrenfried Albrecht 2.
155, 173.
Einhorn 58, 59, 62.
Eiseisberg v., 177.
Engelmann 4.
Eppinger 173, 226.
Erb 217.
Erben 232.
Esser 20.
Etienne 228.
Ewald 198.
F.
Fantino 6.
Federn 7, 99.
Feis 185.
Finkler 96.
Fleiner 80.
Focke 60.
Fraenkel Albert 60, 83,
230.
Fraentzel 62, 63, 180,
181, 205.
Frank 0. 48, 53.
Fräser 69.
Frey v. 4, 7, 15.
Friedrich 30.
Fuchs A. 232.
Fürbringer 84, 85.
G.
Gärtner 7, 135.
Gaffa 171.
Gerhardt D. 23, 53, 173.
Glax 108, 114.
Golaz 60.
Goldscheider 158.
Gottlieb 46, 48, 57, 60,
65, 76, 79, 128, 220,
224, 225, 226.
Gräupner 157.
Grawitz 207.
Grebner 16, 30, 146.
Grassmann 216.
Groedel 64, 109.
Grossmann 37, 109.
Grünbaum 16, 30, 146.
Gussenbauer 2.
GutnikoAv 76.
H.
! Hagemann 16.
I Hampeln 228.
Hare 98.
Hasebroek 146.
Hauke 105.
HaAvksley 7.
Hay 197.
Hedbom 46, 72.
Heinz 46, 61.
Heitier 31, 117, 149.
Hellendall 157, 122.
Heller 103, 107.
Hensen 7, 109.
Herbst 156.
Herz 132, 151.
Hirsch 15, 91.
Hirschfeld 89,90,192, 224.
His 216.
Hoffmann A. 233.
Hoffmann F. A. 42, 82,
93, 186, 192, 213, 216.
Hollwachs 223.
Huchard 54, 75, 89, 172,
216, 217, 219.
Hürthle 4, 7, 71, 91.
J.
Jaccoud 169.
Jaksch v. 194.
Jaquet 216.
Jendrassik 80, 81,
Johannsson 47.
Jürgen sen 33, 160, 168,
173.
K.
Kahler 83.
Kalenderu 230.
Karell 82.
Kaufmann 216.
Kiliani 45.
Kisch 163, 209.
Klemperer 9, 158.
Knoll 19.
Kobert 73.
Köhler 77.
Koehorn 65.
Kolisch 212.
Koppe 45, 67.
Kornfeld 17.
Kraus F. 28, 29, 73.
Krehl 3, 16, 17, 19, 21,
25, 27, 30, 179, 231,
232, 233, 234.
Kreidl 12.
Krönig 84, 85.
Kümmel 164.
Kürschner 2.
Kussmaul 63, 64, 65, 66,
82, 161.
Lancereaux 230.
Landerer 23.
Langendorff 107.
Langowoy 5, 28.
Lapicque 219.
Lassar 148.
Lauder Brunton 48, 203.
Lazarus 104, 105, 209.
Lehmann 98.
Lennhoff 107, 169.
Leube 90, 167.
Levis 229.
Lewy B. 18, 21, 27, 28,
52, 87, 95, 206, 207.
Leyden v. 32, 92, 181,
185, 208, 230.
Liebig G. v. 104, 105.
Lippert 115.
Autoren -Verzeichnis.
239
Litten 85, 107, 167,
169.
O.
Levy A. 103, 106.
Lommel 232.
Luce 216.
Oertel 32, 33, 88, 93, 94,
95, 96, 106, 107, 154,
214.
Ludwig C. 4.
Oliver - Cardarellis Sym-
ptom 227.
M.
Ortner 62, 71, 217.
Macewen 229.
Ott 96, 97, 233.
Macquorn-Rankini 163.
P.
Mager 46, 48, 55,
72,
103, 107, 220, 223.
Pässler 128, 173. 223.
Magnus 46, 48, 57
76,
Paul Theod. 91.
226.
Pauli 216, 219.
Malmsteh 228.
Pawinsky 79.
Marey 4, 5.
Pawlow 6.
Markwald 217.
Peacock 181.
Martius 4, 36, 179,
233.
Pel 73.
Masing 30, 188.
Pereira 65.
Matthes 127.
Pick Friedel 50, 225.
Maximowitsch 16.
Potain 233.
Mayer S. 221).
Prevost 219.
Mendelsohn 28, 29
30,
Pribram 165, 233.
92, 163, 189, 222.
Puppe 228.
Meplain 98.
Purkinje 74.
Mercandino 73.
Mikulicz 164.
Q-
Minkowski 80, 218.
Quaglio 115.
Quincke 195.
Montpellier 105.
Moore 229.
Morgagni 92.
R.
Mosso 7.
Müller 173, 223.
Ransohoff 229.
Münzinger 181.
Muhm 6.
Reiner 13.
v. Recklinghausen 7.
Myers 181.
Remak E. 156.
Rieder 16.
N.
Riva-Rocci 7.
Romberg 41, 62, 66, 70,
Naunyn 53, 61, 63.
71, 77, 82, 128, 153,
Nebel 146.
168 , 173 , 181 , 185,
Neufville 89.
209 , 210 , 219 , 223,
Neusser 33, 34, 62,
216.
233.
v. Noorden 209.
Rose 175.
Nothnagel 77, 107,
216,
Rosemann 96, 97.
221, 233.
Rosenbach 18, 25, 233.
Rosenfeld 96. 97.
Rosenheim 80.
Rosenstein 69.
Rothberger 209.
Rumpf 220.
Rüssel 91.
S.
Sahli 57.
Sandow 115.
Santesson 72.
Schmiedeberg 45, 65, 66,
197. 198.
Schnitzler 217.
Schott A. 109, 110, 114,
163, 209.
Schott 147.
Schröder v. 79, 80.
v. Schrötter 75, 77, 179,
182 , 207 , 219 , 220,
221, 229, 230.
v. Schrötter H. 103, 107.
Sehroth 215.
Schubert 64.
Schwarzenbeck 68.
Sehrwald 163.
Seitz 181.
Senator 205.
See G. 70, 82, 219.
Senac 92.
Siebert 61.
Siegfried 163.
Silva 117.
Singer G. 165.
Skoda 19, 56.
Sobieranski v. 78.
Sorgo 230.
Southey 84, 85.
Sommerbrodt 103.
Soyka 83.
Staehelin 5, 30.
Strasser A. 73, 116, 180.
Stintzing 80.
Störck 82.
Stokes 25, 41, 77, 80, 93.
240
Strangs H. 91.
Stricker 16.
Strübell 20.
Tauszk 30.
Tigerstedt 3, 9. 14, 16,
47, 75, 196.
Timofeew 6.
Traube 46, 55, 77, 208.
Türk W. 179.
u.
Umpfenbach 197.
Unverricht 68.
Autoren -Verzeichnis.
v.
Van der Heide 64.
Verneuil 229.
Viani u. Mallassez 107.
Vierordt 207, 219.
Vogl A. v. 45.
W.
Waidenburg 105.
Weber 19.
Weber Hennann 108.
Welch 228.
Wenckebach 34, 57.
Wertheimer 225.
Williams 46.
Winterberg H. 73, 74.
Winternitz 144.
Withering 44.
Wunderlich 41.
Wybauer 46.
z.
Zander 146.
Zengger 67.
Zeltner 68.
Ziegenbein 60.
v. Ziemssen 156, 226.
Zoth 163.
Zuntz L. 163.
Zuntz N. 15, 16, 86, 147,
149, 212.
Sach-Register.
(Die beigedruckten Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)
A.
Abführmittel 99.
Abhärtung 160, 185.
Abreibung 140.
Adonis 71.
Agurin 79, 220.
Akkommodationsfähigkeit des Herzens
14.
Akupunktur 229.
Alkalien bei Endokarditis 169.
Alkohol 75, 96, 172.
— Nährwert des 96.
Alkoholdarreichung mit Digitalis 55.
Amylenhydrat 197, 198.
Amylnitrit 77.
Angina pectoris 220.
Antipyretika 172.
Aortenaneurysma 227.
Aortenfehler, Mitralisierter 54.
Aorteninsuffizienz 3, 17, 204.
Aortenstenose 203.
Arhythmie 33, 118.
Arteriosklerotische Veränderungen des
Herzens 134, 217.
Braun, Therapie der Herzkrankheiten.
B.
Badekuren für Rheumatiker 165.
Balneotherapie 105.
Bantingkur 213.
Beaftea 172.
Beiersdorffsche Kali chloricum- Zahn-
pasta 81.
Berufswahl 183.
Bettruhe 169.
— Verlassen der 171.
Bewegung 186.
Bier 96.
Blutdruck 7.
— Beeinflussung des — durch die
Atmung 11.
Blutdruckschwankungen nach Muskel-
arbeit 16.
Blutentziehung 8.
Blutegel 193.
Bradykardie 139.
Branntwein 96.
Brompräparate 196.
Brunnenkuren 210.
16
242
Sach-Register.
C.
Colchici, Semen 82.
Concretio pericardii 178.
Cremor tartari 81.
D.
Dampfbäder 215.
Dampf kastenbad 141.
Dampfwannenbad 141.
Dekubitus 189.
Depressorische Nervenfasern 6.
Diabetes, Herzschwäche bei 192.
Diät, rationelle 86, 87.
Diaphorese 83.
Ditt'erenzbestimmung (Oertel) 32, 96.
Digitaline Blanquart, Homolle , Nati-
velle, Quevenne 68.
Digitalinum verum Kiliani (Böhringer
& Söhne) 67.
Digitalis 44.
Digitalisacetat 67.
Digitalis bei Endomyokarditis , bei
erhöhter Körpertemperatur, bei Em-
bolien, bei Mitralstenosen 56.
— bei Perikarditis 57.
— Beschaffenheit des Herzmuskels
Hauptfaktor der Wirkung von —
53.
— Beschleunigung der Strömungsge-
schwindigkeit des Blutes durch 50.
— bessere Wirkung kleiner Gaben
von — 52, 61.
— Dosierung und Darreichungsform
von 61.
— Gefäß Verengerung und therapeu-
tische Wirkung 49.
— Gefäß Verengerung durch 48.
Digitalis, Gewöhnung an 64.
— grandiflora 68.
— Indikationen der 51.
— im Klysma 66.
— in Substanz 62.
— in Suppositorien 67.
— Kontraindikation von 57.
— kumulative Wirkung der 64.
— Magenbeschwerden nach 62.
— mit Alkohol 55.
— mit Diuretin 55.
— Pharmazeutische Kriterien der —
Therapie 59.
— Physiologische Prüfung der 60.
— Pulsregulierung durch 48.
— Regularisation der Herzarbeit durch
52.
— Vergiftungserscheinungen der 66.
— Verbesserung der Herzarbeit durch
48.
— Zeitpunkt der Darreichung von 58.
Digitalisdialysat Golaz 68.
Digitalisextrakt 67.
Digitalisgaben, tastende 55.
Digitalismacerat 62.
Digitalismus 64.
Digitalispräparate , die gebräuchlich-
sten 61.
Digitalistherapie, chronische 63.
— Unterschied zwischen Digitoxin
und Digitalin 49.
Digitalistinktur 67.
Digitaliswirkung, Abhängigkeit der —
vom Standorte der Mutterpflanze 60.
— je nach Jahreszeit 60.
— Kumulative 65.
— Therapeutisches Stadium der 45.
— Toxisches Stadium der 45.
Sach-Register.
243
Digitoxin 68, 69.
Dilatationsfähigkeit des Herzens 18.
Diurese, Vermehrung der 77.
Diuretika 78.
Diuretin 79, 220.
Drainagekapseln 85.
Durstkur 95.
Duschen 142.
Dyspnoe 37.
E.
Einpackung 142.
Elektropunktur 219.
Elektrotherapie 154.
Embolien 170, 195.
Endokarditis 126, 167.
Entfettungskur 133, 210.
Entwässerung 124.
Erholung 186.
Erholung als Maß der Herzfunktion
29.
Ernährungstechnik 92.
Erstarkung des Herzens 15.
Ery throltetranitrat 22 1 .
Extrasystole 5, 34.
„Fettherz" 208.
Filipunktur 229.
Fleischpulver 172.
Flüssigkeitszufahr bei Herzkranken
93.
Frequenz des Herzschlages 5, 117.
Fructus juniperi 81.
Funktionsprüfung durch Blutdruck-
messung 30.
G.
Gefäßinnervation 12.
Gefäßrchexe 12.
Gefäßtonus 13.
Gesetz der physiologischen Heiz-
periode 5.
H.
Hämoperikard 179.
Halbbad 140.
Harn , AVechsel im spezifischen Ge-
wichte des — bei beginnender
Herzinsuffizienz 33.
Harnstoff 82.
Hausarzt 159.
Hautpflege 186.
Hautpunktion 84.
Hautskarifikation 84.
Hedonal 197, 198.
Heilgymnastik 162.
Heilstätten für Herzkranke 222.
Heißluftbad 136.
Heißluftbehandlung 143.
Helleborei'n 71.
Herzarbeit 7.
— Vermehrung der — durch Digi-
talis 47.
Herzdilatation nach Muskelarbeit bei
Herzinsuffizienz 31.
Herzerscheinungen nach Influenza
173.
Herzfehler, Ist der Herzkranke über
den — aufzuklären 181.
Herzinsuffizienz, Akute 179.
— Chronische 181.
— 1. u. 2. Grades 27.
— Herztöne bei 35.
16*
244
Sach-Register.
Herzinsuffizienz, Leber bei 38.
Herzklappen, venöse 1.
Herzkranker, Ehe 183.
Herzmittel 44.
— - direkte 44.
— indirekte 44.
Herzmuskulatur 5.
Herzmuskelfanktion = Herzfunktion
25.
Herzmuskelinsuffizienz = Herzinsuffi-
zienz 24, 25.
Herznerven 5.
Herzneurosen 137.
Herzschwäche bei Infektionskrank-
heiten 127, 172.
Herzschlauch 143.
Herzstoß als Maß der Herzfunktion
35.
Herzstützen 157.
Herzvolum 117.
Hochbad 140.
Hydriatische Behandlung der Herz-
krankheiten 116.
Hydrops 23.
Hydrotherapie, Praxis der 140.
Hypertrophie, gesunde 17.
— krankhafte 17.
Hypodermoklyse 226.
Jaborandi, Folia 83.
Infektionskrankheiten , Kreislaufstö-
rungen bei akuten 223.
Intermittierendes Hinken 216.
Jodismus 229.
.Todpräparate 219.
Jodsalze 75.
K.
Kacao 98.
Kälte, Einfluß der — auf das Herz
118ff.
Kältereiz 225.
Kaffee 98, 234.
Kalium aceticum 81.
Kalomel 80.
Kampher 73, 74, 75, 221.
Klappenfehler, kombinierte 207.
Kleidung 160, 185.
Klimatische Stationen 108.
Klimatotlierapie 105.
Körpermuskulatur, Ausbildung der
162.
Körperpflege 160.
Koffein 72, 79.
Kohlensäurehaltige Bad, Bas 109.
— — Baderegeln des 111, Indika-
tionen des 112, Kontraindikationen
des 112, 113.
Kohlensaure Bäder, Künstliche 114.
Kolapräparate 73.
Konvallaria 71.
Koronarsklerose 136.
Krankenpflege 190.
Kreuzbinde 144.
Kühlflasche 169.
Kurdiät 313.
Laxantien 99, 100.
Lichtbäder 136, 215, 209.
Liebigs Feischextrakt 172.
Liquor Kalii acetici 81.
Lungenkreislauf 10.
Sach-Register.
245
M.
Meat juice 172.
Mechanische Behandlung, Die — der
Herzkrankheiten 145.
Mechanotherapie , Prophylaktische
153.
Milchkur 82, 93.
Milch, Pasteurisierte 93.
Militärdienst 187.
Mitralinsuffizienz 199.
— Relative 22.
Mitralstenose 200.
Morphium 198.
Molken kur 215.
Müllerscher Versuch 102.
Mundpflege 164.
— bei Kalomelmedikation 81.
Mvokarderkrankungen 1 32.
Myokarditis 172.
Myolyse 173, 226.
N.
Nahrung, Zusammensetzung der 88,
Verdaulichkeit der 89.
Natriumnitrit 77, 221.
Natrium salicylicum 82.
Nauheim 113.
Nebennierenpräparate 224.
Nervöse Herzkrankheiten 231.
Nitroglycerin 77, 221.
Ölklystiere, Epsteinsche 100.
Ononidis, Radix 82.
Osmodiätetik 91.
Oxyspartein 71.
Braun, Therapie der Herzkrankheiten.
Paraldehyd 197, 198.
Perikardiotomie 176.
Perikarditis 126, 174.
Perikard, Punktion des 177.
Peritonealpunktion 85.
Pilokarpin 83.
Plethora hydraemica 94.
Pleurapunktion 85.
Pneumatotherapie 102.
— Indikatiooen der 103.
— Kontraindikationen der 104.
Pneumoperikard 179.
Prädisposition für Herz affektionen 166.
Prophylaxe 159.
Pseudoangina pectoris 139.
Psychosen bei Herzfehlern 36.
Pulmonalinsufflzienz 206.
Pulsveränderung nach Körperbewe-
gungen 28.
R.
Radfahren 163, 187.
Reaktivierung nach Endokarditis 171.
Rekonvaleszenz 190.
Reibung des Blutes 9.
Reibungswiderstand des Blutes 91.
Rhodansalze 219.
Rückstauungskongestion 144.
Ruhe 186.
S.
Salze der Nahrung 90.
Schädlichkeiten, Vermeidung von 166.
Schilddrüsenpräparate bei Fettleibig-
keit 215.
17
246
Sach-Register.
Schmerzen 172.
Schonung 42.
Schröpfen 193.
Schulunterricht 187.
Schwitzkuren 83.
Schwitzprozeduren 144.
Scillae, Bulbus 82.
Seereisen 108.
Semilunarklappen 2.
Senfpflaster 193.
Serumtherapie 172.
Sexueller Verkehr 171.
Solgersche Lymphröhrchen 221.
Spartein 70, 71.
Species diureticae 82.
Speisenzubereitung 90.
Sportbewegungen 154, 186.
Strontium lacticum 81.
Strophantin 70.
Strophantus 69.
— Granules de Catillon 70.
Stuhlgang 99.
Sulfonal 197.
T.
Tabakraucher 98, 234.
Tachykardie, paroxysmale 138, 233.
Tauchbad 240.
Tee 98, 234.
Teilbad 141.
Temperaturwechsel 186.
Terrainkur 106.
Terrainkurorte 107.
Tetronal 197.
Theobromin 79.
Theobromin bei Angina pectoris 72.
Theocin 80.
Thrombosen 195.
Toxische Neurosen 224.
Transfusion 8.
Traubenkur 215.
Tricuspidalinsuffizienz 206.
Tricuspidalstenose 207.
Trional 197.
U.
Überernährung 93.
Übung 42.
Umschläge 143.
Urethan 197, 198.
Uropherin 79.
V.
Valeriana 71.
Valsalvascher Versuch 102.
Vasomotorenmittel 224.
Vegetarianismus 91, 92.
Venaesektion 194.
Venen bei Herzinsuffizienz 38.
w.
Wärme, Einfluß der — auf das Herz
118 ff.
Wein 96.
Widerstandsbewegungen 171.
Zigaretten 98.
Zimmergymnastik 191.
Druck von Gottlieb Oistel & Cie., Wien, III., Münzgasse l