Skip to main content

Full text of "Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte"

See other formats




Google 





This ıs a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before ıt was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 


It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 


Google ıs proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work 1s expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 


We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text ıs helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users ın other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 


About Google Book Search 


Google’s mission is to organıze the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 


athtto://books.qoogle.com/ 





Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 





Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun Öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ıst. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 


Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 





Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 


Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 








+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ıst, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 











+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sıe das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern Öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 


Über Google Buchsuche 





Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 


Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|lhttp: //books.google.comldurchsuchen. 





MATE 
La ir aFPUDLETRERERRETLTER AZ 


4; 
SE 





El m VERITAS 


u 


[4 
+ 
L 
I 
D 
L 
# 
L 
ñ 


F 
1Ë 
'E 
£ 
= 
E 
‘à 
‘É 
- 
‘à 
4 | 


as 
EF 
[x 
in 
Pi 
= 
= 
Fr 
== 
== 
DI 
= 
= 
z 
=. 
Bam 
== 
Fr 
= 
we 
== 
Fr 

Lx 
m 
r 


1 Fe 


ALPEN 


nel ? 
sims 


U 


LELRLEGHRTEERTERTEL LUN 





MELLE 


ft 
| 
| 
1 
' 


| 





ya 274, 
Vierteljahrsehrift 


NOCIAL- md Wirtschaf (soeschichle 


Unter ständiger Mitwirkung 


von 


Dr. GnoRGESs Espınas (Paris), Prof. Dr. HENRI PIRENNE (Gent), 
Prof. Dr. Grus. SaLvıoLı (Neapel), Prof. P. VINOGRADOFF (Oxford) 


herausgegeben 
Prof. Dr. Sr. BavER Dr, L. M. HARTMANN 
in Basel in Wien 
Prof, Dr. G. von Bezow, Geh, Hofrat 
in Freiburg i. Br. 


Bedaktionssekretär: Dr. KURT KASER in Wien 


II. Band 


— or — - 


Verlag von W. Kohlhammer 
Berlin W. 35 Stuttgart - Leipzig 
Dertfflingerstrasse 16 Urbanstrasse 14 Rossplatz 16 
1905 


Alle Rechte vorbehalten. 


Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart. 


Inhalt des dritten Bandes. 


I. Abhandlungen. 


WUuPrNER, H., Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter 

Miss LODGE, Serfdom in the Pyrenees . 

FRomevarx, HENRI, Le commerce français à Madagascar a au XVIIe siècle 

DARMSTÄDTER, PAUL, Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik . 

PEISKER, J., Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren und 
Germanen und ihre sozialgeschichtliche Bedeutung . 

MÜLLER, JOHANNES, Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spktmittel 
alter und zu Beginn der Neuzeit (Erster Teil) 

RIFTSCHEL, SIEGFRIED, Die älteren Stadtrechte von Freiburg i im Breis- 
gau . . . 

PEISKER, J., Die älteren Beziehungen der Slawen 2 zu Turkotataren und 
Germanen und ihre sozialgeschichtliche Bedeutung Beau). 

VINOGRADOFF, P., Zur Wergeldfrage . 

MCLLER, JOHAN NES, Das Rodwesen Bayerns und Tirols“ im Spätmittel- 
alter und zu Beginn der Neuzeit (Zweiter Teil, Schluß) . .. 

Mınaım, ERNEST, Les débuts de l'établissement John Cockerill à Seraing 


IL Miszellen. 


v. BeLow, G., Zur Entstehungsgeschichte der Acta Borussica . 

SALVIOLI, G. Per la storia della proprietà in Italia . 

NURET, M. P. Le traité de commerce franco-anglais de 1786, a propos 
d’une publication récente 


Heck, Pu., Die Gemeinfreien des Tacitus und das à Ständeproblem der 
Karolingerzeit . 


IN. Literatur. 


Russische Literatur über die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Rußland» 
in den Jahren 1900, 1901, 1902. Besprochen von W. DEHn. 
N. ROSCHKOW |. . 2 2 2 .... . . . . . . . . . . 

v. MED GER, WILH., Dr., Wirtschaftsgeschichte der Domäne Lobositz. 
Besprochen von JOSEPH SALABA en 


152055 


152 


177 


IV Inhalt des dritten Bandes. 


SERGEJEWITSCH, Ein neues Werk auf dem Gebiete der Geschichte des 
russischen Grundbesitzes. Besprochen von M. BOGOSLOWBEIJ . . 4 

KoGLeEr, FERD., Dr., Die Legitimatio per rescriptum von Justinian bis 
zum Tode Karls IV. 

Ders., Beiträge zur Geschichte der Rezeption und der Symbolik der 
legitimatio per subsequens matrimonium. Besprochen von SIEG- 
FRIED RIETSCHEL . . » 2 2 2 . . need 

Une Bibliographie de «l’Histoire économique et sociales moderne et 
contemporaine de la France. Besprochen von GEORGES EspınAs. ( 


Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter. 
Von 
H. Wopfner (Innsbruck). 


Soweit in den letzten Jahrzehnten die Leiheverhältnisse an 
Grund und Boden zum Gegenstand wissenschaftlicher Unter- 
suchung gemacht wurden, sind dieselben in freie und unfreie 
geschieden worden’), Als freie Leihen bezeichnete man jene, 
welche das Verhältnis zwischen den beiden im Leihevertrag auf- 
tretenden Kontrahenten rein vermögensrechtlich bestimmten, als 
unfreie jene Leiheverhältnisse, denen zufolge das beliehene Subjekt 
in ein personenrechtliches Abhängigkeitsverhältnis vom Leiheherrn 
geriet. Solche unfreie Leihen wurden auch Leihen zu Hofrecht 
genannt. 

Gegen diese Scheidung ist nun in dem hochbedeutsamen 
Werke von SEELIGER: Die soziale und politische Bedeutung der 
Grandherrschaft im früheren Mittelalter (1903) Einspruch erhoben 
worden. Wenn ich SEELIGER recht verstehe, so verwirft er diese 
Scheidung überhaupt”), nicht bloß für {die ältere Zeit. Er faßt 
die Ergebnisse seiner Untersuchung in folgenden Sätzen zusam- 
men: „Hofrecht war nie ein mit Leihegütern bestimmter Kate- 
gerien verbundenes Recht, das die Beliehenen in persönliche 
Abhängigkeit oder gar in Unfreiheit zwang“ (S. 191) — „die standes- 
rechtliche Wirkung gewisser Leihen müssen wir preisgeben“ (181). 

Wegen der engen Verbindung der sogenannten unfreien Leihen 
mit dem Hofrecht, ist es nötig, sich über Wesen und Begriff 


1) Vgl. die bei RIETSCHEL, Entstehung der freien Erbleihe (Zeitschr. 
d. Savignystiftung für Rechtsgesch. XXII. germanist. Abteil.) S. 181 ff. be- 
sprochene Literatur. 

2) Vgl. SEELIGER, a. a. O. 177. 

Vierteljahrschrift 1. Social- u. Wirtechaftsgeschichte. III. 1 


9 H. Wopfner 


des Hofrechtes vorerst klar zu werden. Das Hofrecht ist ent- 
standen aus der Gerichtsbarkeit des Grundherrn über seine 
Hintersassen. Die Gerichtsbarkeit über die unfreien Hinter- 
sassen ist hervorgegangen aus der ursprünglich unbeschränkten 
Disziplinargewalt des Herrn über die Knechte, welche sich seit 
der allmählichen Besserung der sozialen Stellung der Unfreien 
in eine Gerichtsbarkeit verwandelte, die an bestimmte, vom Herrn 
gesetzte Normen gebunden war. 

Die Ergebung zahlreicher Freier samt ihrem Eigen in die 
Gewalt (Munt) eines Herrn, führte andererseits auch diese in 
das grundherrliche Gericht. Das grundherrliche Gericht nun war 
beschränkt auf die inneren Angelegenheiten der Hintersassen, 
auf ihre rechtlichen Verhältnisse untereinander und zum Grund- 
herrn. Mit der aus der Immunität sich ergebenden Gerichtsbarkeit 
des Grundherrn steht dieses grundherrliche Gericht in keinem 
inneren Zusammenhang, da das letztere auch in Grundherrschaften 
nachweisbar ist, die keine Immunitätsprivilegien erlangten '). 

Mit dem allmählichen Festwurzeln dieser grundherrlichen 
Gerichtsbarkeit über Freie wie Unfreie bildete sich eine bestimmte 
Rechtspraxis im grundherrlichen Gerichte aus, nach welcher der 
Grundherr bei seinen Entscheidungen vorging. Diese Rechts- 
praxis bezeichnen wir als Hofrecht. Wir verstehen also unter 
Hofrecht die Summe aller jener Rechtssätze, welche die Bezie- 
hungen der grundherrschaftlichen Hintersassen untereinander wie 
zum Grundherrn regelten. 

Da das Hofrecht auf das Standesrecht der Hintersassen nur 
insoweit Einfluß nahm, als es die personenrechtlichen Abhängig- 
keitsverhältnisse zwischen Grundherren und unfreien Hinter- 
sassen regelte, so mußte es keineswegs notwendig uniformierend 
auf das Standesrecht aller grundherrlichen Hintersassen ein- 
wirken *). 

Mit dieser Auffassung des Hofrechtes scheint aber der 
Umstand schwer vereinbar zu sein, daß in zahlreichen älteren 
wie jüngeren Hofrechten die Hintersassen als Rechtsgenossen 
behandelt und bezeichnet werden, ihre Vereinigung als Genossen- 


. 1) Vgl. LAMPRECNT, Deutsches Wirtschaftaleben Ir, 991 ff. 
2) Vgl. SRELIGER, a. a. O. 178 


Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter. 3 


schaft sich darstellt!). Die Genossenschaft setzte aber Rechts- 
gleichheit bei ihren Mitgliedern voraus, dieselben mußten 
wenigstens in der Hauptsache „pares“ sein. 

Besteht also doch jene Ansicht zu Recht, welche behauptet, 
das Hofrecht habe uniformierend auf die standesrechtlichen Ver- 
hältnisse der grundherrlichen Hintersassen gewirkt?)? Keineswegs. 
Schon MAURER wie GIERKE haben hervorgehoben, daß das Hofrecht 
wenigstens in älterer Zeit nicht stark genug war, diese in der 
standesrechtlichen Verschiedenheit begründeten Gegensätze aus- 
zugleichen, daß auch die Unterstellung unter die grundherrliche 
Gewalt nicht imstande war, Freie und Unfreie in einer Genos- 
senschaft zu vereinigen. 

Das Hofrecht mußte daher diese Verschiedenheit berücksich- 
gen, wo immer es überhaupt den Charakter eines Genossen- 
&haftsrechtes trägt. Es entstanden daher in einem und demselben 
Herrschaftsverband mehrere Genossenschaften, bestehend aus 
Angehörigen einer bestimmten standesrechtlichen Kategorie grund- 
herrlicher Hintersassen. So bestanden z. B. nach dem Wormser 
Hofrecht (1023—25) innerhalb des Verbandes der „familia s. Petri“ 
eigene Genossenschaften der Fiskalinen, der dagewardi und 
eoncives®). Ebenso wurden zu Öthmarsen unterschieden die Echte 
(Genossenschaft) der sogenannten ,hoffreien“ und die „echte 
ofte hörigkeit“ *). 

Das Hofrecht darf also sicherlich nicht als Standesrecht der 
Hörigen aufgefasst werden, da es vielmehr auf eine verschieden- 
artige standesrechtliche Stellung der Hintersassen Rücksicht 
nimmt °). 


1) Vgl. GIERKE, Das deutsche Genossenschaftsrecht I, 140 und 156 ff. 
Diejenigen, welche dem Hofrecht unterstehen, werden in Quellen des früheren 
und späteren Mittelalters als consortes, socii, pares, gnossen u. 8. w. bezeich- 
net Vgl die Belege bei MAURER, Fronhöfe IV, 1ff., GIERKE, a. a. O. I, 156. 

2) Vgl. n. 5. 

3) Mon. Germ. hist. LL Sect. IV. Band I. c. 13.26u.a. Cit. GIERKE, 
L 157. Vgl. MAURER, Gesch. der Fronhöfe IV, 12. 

4) Weitere Belege bei MAURER, a. a. O. IV, 7f. 12. 

5) Ich möchte nicht mit SEELIGER jene Meinung, welche in dem Hof- 
recht ein Standesrecht der Hörigen erblickt, als die herrschende ansehen. 
Schon MAURER, à. a. O. IV, 12 und GiIERKE, a. a. O. I, 157, wiesen auf die 


4 H. Wopfner 


Vielfach aber, wenn auch nicht allgemein, ist im späteren 
Mittelalter eine Ausgleichung zwischen den nach ihrem Standes- 
rechte bisher unterschiedenen Gruppen von Hintersassen einge- 
treten. Vor allem verschwindet innerhalb der Genossenschaft 
der Unfreien der Unterschied zwischen den verschiedenen Klassen 
der angesessenen unfreien Hintersassen, so jene zwischen den 
Laten und servi casati?). 

Es tritt nunmehr eine einzige Klasse von Hörigen auf mit 
einheitlichen standesrechtlichen Merkmalen. Ein Stand der Hörigen 
gelangt zur Ausbildung; dessen charakterische Kennzeichen sind: 
Gebundenheit an die Scholle, Erbgebühr, Bindung an Ehebe- 
schränkungen seitens des Herrn. Die geringere standesrechtliche 
Qualität dieser Hörigen gegenüber den Freien kommt im Reichs- 
weistum von 1282 zur Geltung, in welchem Ehen zwischen Freien 
und Hörigen als Ungenossenehen gekennzeichnet werden, bei 
denen die Kinder der ärgeren (hörigen) Hand folgen ?). 

Die ursprüngliche standesrechtliche Verschiedenheit der grund- 
herrlichen Hintersassen zeigt sich zwar auch späterhin in dem 
Umstande, dass neben den unter den mannigfaltigsten Bezeich- 
nungen auftretenden hörigen Zinsleuten häufig ausdrücklich 
grundherrliche Eigenleute erwähnt werden?). Ein Unterschied 
zwischen diesen Eigenleuten und anderen Hofhörigen macht sich 
jedoch nicht in standesrechtlicher sondern in vermögensrechtlicher 


innerhalb des weiteren hofrechtlichen Verbandes auftretenden Sondergruppen 
von Hintersassen verschiedenen Standes hin. Ferner tritt auch SCHRÖDER ®, 
Deutsche Rechtsgesch. 650, der Ansicht HEUSLERS (Institutionen des deutschen 
Privatr. I, 39) bei, daß das Hofrecht nicht als ein Standesrecht zu betrachten sei. 

1) Vgl. WrrricH, Grundherrschaft in Nordwestdeutschl. 275. KÖTZSCHKE, 
Studien zur Verwaltungsgesch. der Großgrundherrschaft Werden a. d. Ruhr 65. 
Über die gewaltsame Herabdrückung freier Hintersassen in die Klasse der 
unfreien vgl. SEELIGER a. a. O. 182. 

2) Mon. Germ. hist. LL. II, 439. Scnuröpenr* a. a. O. 454. Gegen die 
Auffassung der Hörigkeit als Unfreiheit spricht sich HERUSLER, 1, a. a. 0. 
134, aus, was mir jedoch nach den Bestimmungen des Reichsweistums von 
1282 nicht gerechtfertigt erscheint. 

8) Vgl. z. B. tirolische Weistümer I, 201 ff. (Stifteöffnung von ABsAM, 
14. Jahrh. (?). „Mair“, „Hausgenossen“ und „Eigenleute“ werden nebeneinander 
erwähnt, ohne daß ein Unterschied in standesrechtlicher Hinsicht erkennbar 
wäre. Ähnlich ebend. 188 (Hofrecht von STUMM, 15. Jahrh.) 


Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter. 5 


Hinsicht geltend, indem die Eigenleute teilweise nicht auf herr- 
schaftlichen Gütern angesetzt sind, also der Vorteile des Hofrechts 
entbehren !). 

Gleichwohl ist auch dieses jüngere Hofrecht nicht ein Standes- 
recht, denn es ist nicht ausschließlich in seiner Wirksamkeit auf 
die Hörigen beschränkt. Auch Freie können, wie wir noch sehen 
werden ?), für einzelne ihrer Güter des hofrechtlichen Verkehrs 
teilhaftig werden, während es andererseits auch Unfreie gibt, die 
außerhalb des Hofrechts stehen’). 

Es ist nun eine dem deutschen Recht eigene Gepflogenheit, 
Lasten, welche ursprünglich persönlicher Natur waren, auf Grund- 
stücke zu radizieren. So ist bekanntlich die landesherrliche 
Bede allmählich aus einer von den einzelnen Personen zu ent- 
richtenden Steuer zu einer Reallast geworden. Eine derartige 
Radizierung trat nun auch hinsichtlich der Hörigkeit ein, und 
zwar nach zwei Richtungen. 

Es kommt einmal vor, daß die persönliche Hörigkeit gänzlich 
verschwindet und nunmehr auch Lasten persönlicher Natur wie 
Erbgebühr und Kopfzins in gleicher Weise wie der Grundzins 
auf das Leihegut des Hintersassen radiziert werden“). Vielfach 
aber wird das ganze Verhältnis der Hörigkeit in der Weise auf 
Grund und Boden radiziert, daß jeder, der grundherrliches, dem 
hofrechtlichen Verkehr unterworfenes Gut erwirbt, Höriger des 
Grundherrn wird, zu diesem in ein persönliches Abhängigkeits- 
verhältnis gerät und dementsprechend auch eine Minderung seiner 
Freiheit erleidet. Nachweisen läßt sich dieser Entwicklungs- 
prozeß erst seit dem 14. Jahrhundert, doch setzt derselbe zweifel- 
los vielerorts schon im 12. und 13. Jahrhundert ein. 

Diese enge Verbindung zwischen persönlicher Hörigkeit und 
Besitz gutsherrlichen Landes kommt am deutlichsten im Absamer 
Hofrecht®) zum Ausdruck: 

1) Vgl. tirol. Weistümer I. 140 Z. 15 (Hofrecht von STUMM), 209 Z. 21. 

2) Siehe unten 6. 

3) Vgl. HEUSLER, a. a. 0. I, 89. 

4) Vgl. z. B. SEGESSER, Rechtsgesch. der Stadt Luzern I, 158 über 
Umwandlung der persönlichen Hörigkeit der Hintersassen des St. Leodegar- 


kiosters zu Luzern in dingliche Abhängigkeit. 
5) Tirol. Weistümer I, 209 Z. 18 ff. 


6 H. Wopfner 


„Mer haben si geöffnet, alle unser frawen aigenleut oder die 
auf den güetern unser lieben frauen gesessen sin, 
die sollen nit heiraten on ains probsts oder maiers willen 
und rat.“ 

In derartiger Verknüpfung mit dem Besitze bestimmter grund- 
herrlicher Güter tritt die Hörigkeit auch in dem Weistum von 
Emmerke') auf: 

Es kan auch keyn freyman eigenbehörige meyer- 
dingsgüter, davon halshüner und baulebung gehen, besitzen, 
er setze dan eine getreue handt an das meyerdingsguth und er 
bleibe also frey.“ 

Wenn also ein Freier nur dann höriges Gut ohne nachteilige 
Folgen für seinen Stand übernehmen kann, falls er einen Treu- 
händer stellt, der dem Grundherrn gegenüber als verpflichtetes 
Subjekt erscheint, so ergibt sich daraus deutlich genug, daß die 
Hörigkeit als Folge des Besitzes grundherrlichen Gutes eintritt *). 

Wie die Übernahme hofhörigen Gutes in der Tat eine Herab- 
minderung des Standes der Beliehenen herbeiführte, zeigt eine 
Leiheurkunde von 1311°), laut welcher die Äbtissin des Klosters 
zu Essen, den Töchtern Henrich Scherers, eines (freien) Bürgers 
in Dortmund, ein in den Oberhof Huckarde gehöriges Hofgut 
verleiht. Die Beliehenen und deren nächste Nachfolger, also 
zwei Generationen, sollen frei bleiben: „Persona vero, que hiis 
secundis succedet in dictis bonis, sive sit earum proles sive aliter 
coniuncta, mancipium erit dicte curtis nostre, cum quo 
et se ipsam tenebit secundum ius et consuetudinem curtis predicte 
[Hukerte] et mancipiorum ipsius.“ 

Der ausnahmsweise Aufschub der sozialen Wirkung des Leihe- 
vertrages wird ausdrücklich als Akt besonderer Gnade bezeichnet: 
„notum facimus [abbatissa] quod nos Gertrudi et Elyzabeth filiabus 
... gratiam facere volentes specialem,“ was hier nach 
dem ganzen Zusammenhang nicht als bloß formelhafte Wendung 
bezeichnet werden darf. 

Diese Verknüpfung ursprünglich rein persönlicher, selbständig 

1) Grimm, Weistümer IV, 664 $ 19, zit. HEUSLER, a. a. O. I, 36. 


2) Weitere Beispiele bei HEUSLER, a. a. O. I, 36. 
8) KINDLINGER, Gesch. der deutschen Hörigkeit 361. 





Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter. 7 


bestehender Abhängigkeitsverhältnisse mit Grund und Boden 
kommt in der Sprache der Rechtsquellen zum Ausdruck, die 
einen merkwürdigen Parallelismus der verschiedenen Klassen der 
Bauern mit verschiedenen Klassen der Bauerngüter aufweisen. 
Es werden unterschieden freie, vogtbare, hörige u. s. w. Leute 
und entsprechend auch Freigüter, vogtbare und eigenbehörige 
Güter '). 

Treten wir nun auf Grund der bisherigen Ausführungen an 
die Lösung der Frage heran, ob die Scheidung in freie und 
ınfreie Leihen gerechtfertigt sei, so werden wir diese Frage 
bejahen müssen, da ja jeder Freie, der ein hofhöriges Gut der 
geschilderten Art übernahm, zum Hofhörigen herabsank. Weil 
andererseits diese Leihegüter dem hofrechtlichen Verkehr unter- 
worfen waren und derartige Leiheverträge dem Hofrecht ihre 
Ausbildung verdanken, können wir von Leihen nach Hofrecht 
sprechen, jedoch mit einer Einschränkung nach zwei Seiten. 

Erstens hat nicht jede Leihe nach Hofrecht standesrechtliche 
Wirkungen, denn auch das spätere Mittelalter kennt Hofrechte, 
die sich auf eine rein vermögensrechtliche Regelung der Bezie- 
bungen zwischen Grundherren und Hintersassen beschränken ?). 
Es ist also zu unterscheiden zwischen einer Leihe nach strengem 
Hofrecht mit standesrechtlicher Wirkung auf den Beliehenen und 
einer Leihe nach leichterem Hofrecht mit ausschließlich vermö- 
gensrechtlicher Wirkung. 

Zweitens aber ist hervorzuheben, daß im früheren Mittelalter, 
vor jener Radizierung der Hörigkeit auf das hörige Gut, nicht 
jede unfreie Leihe eine Leihe nach Hofrecht sein mußte. Dem 
Leiheherrn stand es schließlich frei auch Leihegüter, die dem hof- 


1) Vgl. v. Wyss, Die freien Bauern, Freiämter, Freigerichte und die 
Vogteien der (stschweiz im späteren Mittelalter (Zeitschr. f. schweizerisches 
Recht. XVIIL Abhandlungen) 108. Siehe oben 6. An und für sich würde 
diese Sprechweise der Quellen freilich noch nicht beweisend sein im Sinne 
der oben vertretenen Ansicht, da schon in fränkischer Zeit mansi serviles, 
litiles und ingenuiles erwähnt werden. 

2) So z. B. das Stiftrecht von KırzBüHkL (tirol. Weistümer I, 77). 
Über rein vermögensrechtliche Regelung der Beziehungen zwischen dem 
St. Leodegarkloster zu Luzern und seinen Hintersassen vgl. SEGESSER, a. a. 0. 
I, 158 ff. 


8 H. Wopfner 


rechtlichen Verkehr nicht unterlagen, zu solchen Bedingungen zu ver- 
geben, welche nachteilig auf den Stand des Beliehenen einwirkten!). 

Ebensowenig wie jede hofrechtliche Leihe als unfrei anzu- 
sehen ist, darf auch die Kompetenz des Hofgerichts in Leihe- 
sachen als notwendiges Merkmal unfreier Leiheverhältnisse be- 
zeichnet werden?). Wo das Hofrecht die Leiheverhältnisse rein 
vermögensrechtlich regelt, vermag die Dingpflicht des Beliehenen 
vor dem Hofgericht keinerlei standesrechtliche Wirkung auszuüben, 
da der Leihemann ja in anderen Beziehungen demselben nicht 
untersteht). 

Andererseits ist allerdings ein Leiheverhältnis, das gänzlich 
oder doch in wichtigen Bestimmungen dem Landrecht untersteht, 
entschieden als freies anzusehen, denn ein unfreies Leiheverhältnis 
machte den Leihemann unfrei und gestattete daher — im früheren 
Mittelalter wenigstens — in Leihesachen keine Kompetenz des 
Landgerichts, im späteren Mittelalter aber, wo die Leihe nach 
strengem Hofrecht die einzige uns bekannte Form unfreier Leihen 
ist, mußte durch die Kompetenz des (niederen) Landgerichts in Leihe- 
sachen der Einfluß des Hofrechtes auf Leihegut und Beliehenen 
ganz oder doch zum größten Teil faktisch beseitigt werden *). 

1) Auf die Existenz unfreier Leiheverhältnisse im früheren Mittelalter 
scheint mir eine Urkunde von 968 (Hist. de Metz 79) zit. Warrz, Deutsche 
Verfassungsgesch. V? 300 n. 1, hinzuweisen: Der Abt von St. Arnulf in 
Metz hat unter genauer Festsetzung von Abgaben und Diensten seine Hinter- 
sassen, wie es heißt, von knechtischer Abhängigkeit befreit: „De caetero 
tam terras sortium suarum quam quaeque ad se pertinentia nomine ac 
iure ingenuitatis habeant.“ Was sollte letztere Bestimmung „die 
Güter zu freiem Recht innehaben“ bezwecken als festzustellen, daß aus dem 
zwischen Abt und Hintersassen bestehenden Leiheverhältnis keine persönliche 
Abhängigkeit, keine Unfreiheit, letzteren erwachsen solle. Es müssen also 
unfreie Leiheverhältnisse bekannt gewesen sein. 

2) Die Ansicht, daß die Freiheit vom grundherrlichen Hofgericht ein 
wesentliches Merkmal aller freien Leiheverhältnisse sei, ward von LAMPRECHT, 
Deutsches Wirtschaftsleben I, 2. 925 sowie auch von mir in meinen Beiträgen 
zur Geschichte der freien, bäuerlichen Erbleihe Deutschtirols (GIERKES Unter- 
suchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte LXVII, 81) vertreten. 

8) Vgl. SEELIGER, a. a. O. 156. 

4) Die Güter des Klosters Georgenberg in Tyrol sind beispielsweise 
durchaus zu freier Leihe ausgetan und unterstehen dementsprechend dem 
Landgericht, in welchem sie gelegen sind. So durfte vor allem die Ab- 


Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter. 9 


Der Unterschied zwischen unfreien und freien Leihen ist auch 
im Mittelalter selbst wohl erfaßt worden, indem von einem Besitz 
von Leihegut iure ingenuitatis'), von einer Leihe „zu freiem 
Baurecht“, „nach freier Leute Recht“ ?) gesprochen wird. 
Blicken wir nun auf die bisherigen Ausführungen zurück, so 
wäre das Ergebnis derselben folgendes: Das Hofrecht der älteren 
Zeit ist kein Recht der grundherrlichen Hintersassen, welches 
die ständische Verschiedenheit derselben unterdrückt und uni- 
formiert. Soweit es die Leiheverhältnisse an grundherrlichem 
Gute regelt, kommt es nicht in die Lage, auf die standesrechtliche 
Stellung des Beliehenen einen Einfluß auszuüben. Es regelt das 
Personenrecht der Hintersassen auf Grund ihrer persönlichen 
Stellung zum Grundherrn, daß es aber bereits im früheren Mit- 
telalter persönliche Abhängigkeit vom Grundherrn mit dem Besitz 
bestimmter grundherrlicher Güter verbunden habe, ist unerweislich. 
Die Existenz unfreier Leiheverhältnisse dürfen wir daher 
nur insofern annehmen, als der Grundherr in einzelnen konkreten 
Fällen persönlich ein Gut unter solchen Bedingungen verlieh, 
welche Unfreiheit des Leihemanns zur Folge hatten. Erst in 
späterer Zeit zeigt sich auch im Gebiet des Hofrechts jener dem 
deutschen Recht eigene Prozeß der Radizierung, infolgedessen 
das Hörigkeitsverhältnis mit bestimmten Grundkomplexen derartig 
verbunden wird, daß jeder der dieselben innehat, auch in dieses 
Rechtsverhältnis eintreten muß. Erst diese Leihen dürfen wir 
als unfreie Leihen nach (strengem) Hofrecht bezeichnen. 
Während uns Beispiele von älteren unfreien Leiheverhält- 
nissen, die wohl vielfach gar nicht schriftlich fixiert wurden, 
nicht vorliegen, fehlt es nicht an Beispielen freier Leiheverträge. 
Die Ursache für deren reichlichere Überlieferung, vor allem in 
der Form der Prekarie, liegt wohl in der häufigen Verbindung 
dieser Leihe mit vorhergehender Schenkung an die verleihende 


meierung nicht ohne ein entsprechendes, im öffentlichen Gerichte gefundenes 
Trteil vollzogen werden. Das grundherrliche Bauding hat nur das Recht 
zar Untersuchung ob die Güter in gutem Stand erhalten werden, ob der 
Zins in richtiger Qualität gereicht werde und dgl. 

1) Siehe oben 8 n. 1. 

2) Vgl. WOPFXER, a. a. O. 100. 


10 H. Wopfner 


geistliche Anstalt. Die im Interesse letzterer gebotene Aufzeich- 
nung solcher Schenkung, zumal die Eintragung in Traditions- 
bücher bewirkte, daß die mit den Schenkungen verbundenen 
Leiheverträge gleichfalls schriftlich fixiert wurden. Andererseits 
mögen auch der Umfang der verliehenen Güter wie der Stand 
der Beliehenen nicht selten den Anlaß zur Aufzeichnung ge- 
boten haben. 

Die herrschende Meinung bezeichnet vor allem die precaria 
und das beneficium als die zwei Formen der freien Leihe älterer 
Zeit. Was nun das Verhältnis der precaria zum beneficium be- 
trifft, so kommt SEELIGER !) auf Grund eingehender Untersuchungen 
für die Merowingerzeit zu demselben Ergebnis, zu welchem 
RIETSCHEL*) für die ganze Zeit des Auftretens von precaria und 
beneficium gelangte, daß nämlich alle Prekarien zu den Bene- 
fizialleihen gehören. . 

Während nun darüber wohl kein Zweifel herrscht’), daß in 
späterer Zeit beneficium eine ziemlich farblose Bezeichnung für 
Leihen verschiedenster Art ist, hat SEELIGER gegen die herr- 
schende Meinung, die in der precaria ein freies Leiheverhältnis 
sieht, Stellung genommen. Zwar hinsichtlich der precaria der 
ältesten Zeit bemerkt er: „Das durch precaria geschaffene Leihe- 
verhältnis ward als ein freies erachtet“);“ hingegen sagt er von 
der jüngeren Prekarie: „Jetzt — seit dem 9. Jahrhundert — liegt 
in der durch Hingabe eines Gutes bewirkten Leihe allein das 
Charakteristische der Prekarien, liegt allein das, was sie von 
anderen Leihen unterschied,“ und fügt dann noch in der Folge 
bei: „Naturgemäss sind die persönlichen und dinglichen Verhält- 
nisse des Prekaristen zum Leiheherrn sehr verschieden. Schon 
die wirtschaftliche Verbindung war keineswegs überall die 
gleiche .. . Erst recht verschieden war die Gewalt des Herrn 
über die Prekaristen. Hier beruhte das Verhältnis auf einem 
rein dinglichen Vertrag Gleichgestellter, dort finden wir straffe 


1) A. a. O. 28. 

2) Die Entstehung der freien Erbleihe in Zeitschr. der Savignystiftung 
für Rechtsgesch. (german. Abteil.) XXII (XXXV), 204. 

3) SEELIGER, &. à. O. 45, RIETSCHEL, a. a. O. 204. 

4) SEELIGER, a. a. O. 20. 


Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter. 11 


Abhängigkeit des einen. Kommt es doch vor, daß Prekaristen 
unfrei werden, daß die Hingabe der Freiheit der Preis war für 
das im Prekarienvertrag empfangene Leihegut').“ 

Es ist gewiß zuzugeben, daß auch das persönliche Ver- 
hältnis des Prekaristen zum Leiheherrn ein sehr verschiedenes 
sein konnte. Als unfrei dürfen wir aber das Leiheverhältnis 
nur dann bezeichnen, wenn die Unfreiheit in einem innern Zu- 
sammenhang steht mit dem Leihevertrag, wenn sie als dessen 
notwendige Folge anzusehen wäre. 

SEELIGER glaubt, die Prekarie umfasse freie und unfreie Leihen 
im Sinne der herrschenden Meinung und führt hiefür als Belege 
Prekarien an, in welchen die Prekaristen zugunsten des Leihe- 
bern auf ihre Freiheit verzichten‘). In den von SEELIGER bei- 
gebrachten Belegen handelt es sich um Prekarien, bei welchen 
die Leihe verbunden ist mit einer Schenkung seitens des Be- 
iehenen. Wird bei der sogenannten precaria oblatata Gut 
geschenkt, welches dem Schenker wieder als Prekarie ver- 
hehen wird, so kommen doch auch zahlreiche Fälle vor, wo 
anderes Gut geschenkt wird, als dann Objekt der prekarischen 
Leihe bildet °). 

Fassen wir einmal die von Seeliger angeführten Prekarien 
ins Auge! Sie lauten: „Pro recompensatione huius precarie 


tradiderunt s. Salvatori . . . semet ipsos suosque deinde infan- 
tes.“ Mittelrhein. UB. I, 248 (c. 948). 
„Dederunt enim XI mansos . . . et se ipsos cceelesie.“ 


Hochst-Halb. UB. I, 85 n. 123 (1106). 

„Filii [des Prekaristen] subdiderunt se eidem ecclesie servili 
iure.+ Westf. UB. Suppl. 102 n. 619 (1011—29). 

Sowohl im ersten wie im zweiten Falle erscheint die Auf- 
gabe der Freiheit als Gegengabe seitens des Prekaristen. Im 
ersten Fall ist die persönliche Hingabe an den Leiheherrn die 
einzige Gegengabe, im andern Falle übergeben die Prekaristen 
sich selbt, sowie ihre Kinder und außerdem noch 11 Hufen. 
In diesen beiden Beispielen, wie im dritten Beispiele steht der 


1) A. a. O. 47 ft. 
2) A. a. O. 49 n. 2. 
8) WOPFNER, @. a. 0. 9. 


12 H. Wopfner 


Verzicht auf die Freiheit seitens der Prekaristen in keiner 
inneren Verbindung mit der Leihe. Man kann hier nicht von 
einer standesrechtlichen Wirkung des Leiheverhältnisses sprechen, 
der Verzicht auf die Freiheit ist nicht die Folge des Leihe- 
vertrags oder der Übernahme von Leihegut, sondern ist bedingt 
durch nebenhergehende Abmachungen. Die Natur der vom 
Prekaristen dargebrachten Gegengabe ist für den Charakter der 
prekarischen Leihe ganz unerheblich '). 

Daß am Charakter der Prekarie als eines freien Leihever- 
hältnisses auch dadurch nichts geändert wird, daß Unfreie als - 
Prekaristen erscheinen, hat schon RIETSCHEL mit Recht hervor- 
gehoben ?). 

Nichts spricht gegen die Annahme, daß das prekarische 
Leiheverhältnis nicht auch in die Kreise des Hofrechts eindrang, 
daß dasselbe nicht auch dem Hofrecht unterstellt worden wäre. 
Andererseits aber unterliegt es keinem Zweifel, daß die precaria 
ihrer Entstehung wie auch ihrem späteren Auftreten nach ein 
vor allem dem Landrecht unterstehendes Rechtsverhältnis war). 
Schon der Stand vieler Prekaristen tut dies kund‘‘). 

Wenn wir nun an die Lösung der Frage herantreten, ob die 
freie bäuerliche Erbleihe des 12. und 13. Jahrhunderts, die sich 


1) Wenn in einer Prekarie von 1092 (SEELIGER a. a. O. 164 f.) bestimmt 
wird, der Prekarist unterstehe bei nachlässiger Zinszahlung dem „iudicium 
familiae“, so wird dadurch der Charakter der Prekarie als freier Leihe nicht 
berührt (siehe oben 8). Für jene Fälle, wo der Prekarist sich in die Munt des 
Leiheherrn begibt (vgl. CARO, Studien zu den älteren St. Galler Urkunden. 
Jahrbuch für schweizerische Gesch. XXVI 261, n. 3), gilt dasselbe, was hin- 
sichtlich der Ergebung in Unfreiheit bemerkt wurde. Auch dann, wenn die 
Prekaristen all ihr Grundeigen übergeben und dann, wie dies eine Urkunde 
von 901 (WARTMANN, UB. St. Gallen II. n. 720) zeigt, in ein persönliches Ab- 
hängigkeitsverhältnis (sub. tutela) vom Leiheherrn geraten, ist letzteres keine 
Folge des Leihvertrages sondern des Umstandes, daß der Prekarist kein 
Eigen mehr besitzt und daher seine Stellung im öffentlichen Gericht schädigt. 
Vgl. Wyss, a. a. O. 150 ff. und SEELIGER, a. a. O. 75 f. 

2) A. a. O. 201. 

3) Vgl. HEUSLER, Institutionen des deutschen Privatrechts II, 170. 

4) Prekarie des vir inlustris Gozbertus, des Herzogs GIESELBERT, Mittel- 
rhein. UB. n. 163. 169; zit. HEUSLER a. a. O. I, 29 n. 5; vgl. ferner Lam- 
PRECHT, Deutsches Wirtschaftsleben I/s, 899 f. Salzburger UB. I, 70 ff. n. 4. 8. 
16. 28. 37 u. s. w. (10. Jahrh.) 


Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter. 13 


von Anfang an als ein vom Hofrecht unabhängiges, nicht ihm, 
sondern dem Landrecht unterstehendes Leiheverhältnis darstellt, 
aus der Leihe nach Hofrecht oder der Prekarie herzuleiten ist, 
# müssen wir uns für den Ursprung aus der Prekarie ent- 
scheiden, falls sich nachweisen läßt, daß letztere unmittelbar 
vor jener Zeit der Ausbreitung freier, nicht hofrechtlicher Erb- 
leihen und zu dieser Zeit selbst sich zur Erbleihe entwickelt habe. 

RıETScHEL') hat an der Hand der Traditionen an St. Stephan 
in Würzburg zuerst den Nachweis erbracht, daß sich aus Pre- 
karien, die den Charakter von Vitalleihen trugen, allmählich 
Prekarien mit vererblichem Nutzungsrecht herausbildeten. 

Hiergegen erhebt nun SEELIGER in seinem bereits öfters an- 
geführten Buche Einspruch. Zwar stellt er nicht in Abrede, 
daß Prekarien „gewiß oft zu freien Erbleihen geführt“ haben”), 
fügt jedoch hinzu: „aber in der Precarienleihe als solcher kann 
sicht der Ursprung der freien Erbleihe gefunden werden, die 
freie Erbleihe darf nicht als die in bestimmter Richtung fort- 
entwickelte Precaria gelten. Alles, was als charakteristisch an 
Preearien erkannt wurde, spricht dagegen. Es beruht auf einem 
Irrtum, die Precarien an sich als frei und nichthofrechtlich an- 
susehen. Wurde doch nachgewiesen, daß mancher Precarist unter 
das herrschaftliche Gericht geführt, daß mancher sogar unfrei 
wurde. Und dazu kommt vor allem, daß Erblichkeit auch bei 
solchem Leiheland stattfand, das nicht im Precarienvertrag ge- 
geben wurde?).“ 

Daß die Prekarie an sich als frei anzusehen sei, hierfür ver- 
suchten wir in den vorangehenden Ausführungen den Beweis zu 
erbringen’). Wenn SEELIGER darauf verweist, daß bereits im 
11. Jahrhundert Beispiele freier Erbleihen aufgewiesen werden 
können, die nicht als Prekarien anzusehen sind‘), so scheint 
nir dieser Einwand gegenüber RIETSCHELS Darlegungen nicht 
beweiskräftig zu sein. Es mögen wohl bereits im 11. Jahr- 
hundert freie bäuerliche Erbleiheverhältnisse vereinzelt unab- 


1) A. a. O. 214 ff. 
2) A. a. O. 190. 
3) Siehe oben 10 f. 
4) A. a. O. 188 ff. 





14 H. Wopfner 


hängig von der Prekarie bestanden haben. Da letztere aber von 
der Merowingerzeit bis herauf ins 13. Jahrhundert so überaus 
häufig und in so weiter Ausbreitung nachweisbar ist!) und 
andererseits gerade aus dem von RIETSCHEL benützten Material 
die organische Weiterbildung der Prekarie mit zeitlich begrenz- 
tem Nutzungsrecht zur Prekarie als Erbleihe deutlichst ersicht- 
lich wird, so sind wir wohl zur Annahme berechtigt, daß die 
aus der Prekarie herausgewachsenen Erbleiheverhältnisse als 
Vorbild für die Begründung zahlreicher freier bäuerlicher Erb- 
leihen dienten. 

Es steht unleugbar fest, daß bereits in früheren Jahrhunderten, 
so im 9. und 10., Prekarien mit erblichem Besitzrecht nicht selten 
waren. Diese Tatsache‘) dürfte aber kaum gegen die RIETSCHEL- 
schen Ausführungen etwas beweisen. Vor allem kommt es doch 
darauf an, daß unmittelbar vor dem Auftreten freier bauerlicher 
Erbleihen und in der Zeit ihres beginnenden Auftretens die 
Prekarie bereits zur Erbleihe geworden ist. Die Prekarie ist ja 
selbstverständlich nicht die Ursache der Ausbildung freier 
bäuerlicher Erbleihen, sondern nur der Ursprung, aus welchem 
letztere hervorgingen und Vorbild, nach welchem sie sich ge- 
stalten. Wenn bereits im 9. und 10. Jahrhundert in St. Gallener 
Urkunden die Prekarie sich häufig als Erbleihe darstellt, so kam 
sie damals nicht in die Lage, einen ähnlichen Einfluß auf die 
Gestaltung der bäuerlichen Leiheverhältnisse auszuüben, weil 
jene Umstände, wie innere und äußere Kolonisation, Blüte 
des Städtewesens u. s. w. damals noch nicht diese Wirksamkeit 
auf Hebung des Bauernstandes im allgemeinen, wie Ausbreitung 
freier bäuerlicher Erbleihen im besonderen entfalteten, wie gerade 
im 12. und 13. Jahrhundert. 

Außerdem darf nicht übersehen werden, daß der wirtschaft- 
liche Charakter der älteren prekarischen Erbleihe ein ganz 
anderer ist als jener der jüngeren, die uns RIETSCHEL in den 
Traditionen an St. Stephan vorwies. Bei jenen von SEELIGER 
angeführten älteren Prekarien zu Erbrecht wird ein Zins aus- 
bedungen, der in keinem Verhältnis stehen kann zur Grundrente 


1) Vgl. RIETSCHEL, a. a. O. 224 ff. WOPFNER, à. à. 0.8 f. 
2) die ja auch RIETSCHEL bekannt war, vgl. a. a. O. 208 und 230. 


Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter. 15 


des verliehenen Gutes’). Dieser Zins hat offenkundig nur die 
Bedeutung einer Rekognition des grundherrlichen Eigentums. 
Die Würzburger Prekarien stehen hingegen in dieser Hinsicht 
den freien bäuerlichen Erbleihen des 12. und 13. Jahrhunderts 
viel näher ?). 

Daß bei den Prekarien, welche mit vorausgehender oder 
nachfolgender Schenkung seitens des Prekaristen verbunden 
waren°), sich frühzeitig Erblichkeit des Leiheverhältnisses ent- 
wickelte, ist unschwer einzusehen, da hier der Prekarist in seiner 
Eigenschaft als Schenker vielfach in der Lage war, die Bedin- 
gungen des Leiheverhältnisses vorzuschreiben. 

Gegen jene Meinung‘), welche den Ursprung der freien 
bäuerlichen Erbleihe des 12. und 13. Jahrhunderts nicht in der 
Prekarie, sondern in der Leihe nach Hofrecht sucht, spricht 
auch der Umstand, daß bei dieser, soviel wir ersehen können, 
vielerorts nur faktisch eine Nachfolge der Erben in das Leihe- 
gut besteht, nicht aber rechtlich. 

In Tirol war z. B. dieses ältere hofrechtliche Leiheverhältnis 
nicht selten derartig geregelt, daß der Beliehene alljährlich ab- 
stiftbar war°). Die schlechte Qualität des Leiherechts vieler 
Hintersassen kommt am deutlichsten im 13. Jahrhundert in jenen 
gewaltsamen Bestrebungen derselben ans Licht, ihr schlechtes 
Besitzrecht in ein besseres, erbliches zu verwandeln ®). 


1) Zins von 1 den. in n. 780. 799. 804—807. 809. 812. 815; Zins von 
2 den. in n. 802, von 5 den. in n. 783, von 2 Hühnern in n. 782 und 803 
(WARTMANN, UB. St. Gallen III). 

2) Vgl. SCHANNAT, vindemiae litterariae I, 54ff. n, 2. 5. 16. 20. 21. 
31. 36 u. 8. w. 

3) Die von SEELIGER, a. a. O. 50 n. 2 angeführten St. Galler Prekarien 
mit erblichem Besitzrecht gehören in diese Kategorie. 

4) Über die Vertreter derselben vgl. RIETSCHEL, a. a. O. 182 ff. 

5) Vgl. WorrNER, a. a. O. 69 f. 

6) Ebend. 73 ff., vgl. ferner über derartige Bewegungen unter den grund- 
herrlichen Hintersassen RtETSCHELS Rezension vorgenannter Arbeit in der 
Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgesch. II, 328, ferner SEGESSER, 
a. a. 0. I, 728 n. 2: Kaiser Friedrich II. entscheidet zuungunsten der ein 
erbliches Besitzrecht an den Gütern (eine Beschränkung auf die Sellantgüter 
wie SEGESSER annimmt, vermag ich aus der Urkunde nicht herauszulesen) 
des Klosters Münster anstrebenden Hintersassen: „et uobis [preposito et fra- 


16 H. Wopfner 


Das Auftreten dieser Bewegung im 13. Jahrhundert ist jed 
zweifelsohne auf das immer weitere Vordringen der freien E 
leihe zurückzuführen, wodurch die grundherrlichen Hintersas 
erst den Ansporn erhielten, mit besonderem Nachdruck a: 
ihrerseits eine Besserung des Besitzrechtes anzustreben. Es 
ja eine alltäglich zu beobachtende Tatsache, dass glei 
mäßig lastender Druck, in unserm Falle gleichmäßig schlect 
Besitzrecht, weniger hart empfunden wird, als ein Druck, 
die Angehörigen einer Klasse verschieden belastet. 

Die Gründe der Ausbreitung freier Erbleihen bedürfen | 
wohl keiner eingehenderen Auseinandersetzung'). Wie schon 
Altertum?), so tritt auch im 12. und 13. Jahrhundert die Erble 
als die spezifische Leihe für Rottland auf. Die Kolonisation 
östlichen und nördlichen Deutschland sowie der regere Aus] 
des älteren Siedelungsgebietes haben daher unstreitig zu aus 
dehnter Anwendung freier Erbleiheverhältnisse geführt, was di 
wieder nicht ohne günstige Rückwirkung auf die allgemeine L; 
der grundherrlichen Bauleute blieb und zu einer Besserung 
Leiheverhältnisse am älteren Kulturboden führte. So moch 
denn auch die hofrechtlichen Leiheverhältnisse, wenn auch ur 
anfänglichem Widerstand der Grundherren?), sich in Erbleil 
umgestalten. 

Der Verfall der grundherrschaftlichen Organisation bewir 
seit dem 12. und 13. Jahrhundert ein Zurückdrängen der Leil 


tribus] potestatem et libertatem quam cetere ecclesie ad regn 
pertinentes usque ad tempora nostra habuisse dignoscuntu 
sententia nostre curie . . . concessimus, videlicet ut de dominicalibus ue: 
et lunaticis seu aliis beneficiis ad predictas curias pertinentibus utilius 
melius quam antea ordinatum fuerit facultatem disponendi habeatis.“ 

Wenn in Niedersachsen die Laten bereits im 12. Jahrhundert allgen 
Erbrecht an ihren Gütern besitzen (WrrricH, Grundherrsch. in Nordw 
deutschland 280), so dürfte hier wohl an den großen Einfluß der fr 
Kolonistenleihen im nördlichen (Kolonistenrecht von 1106 bei ALTMA 
BERNHEIN, ausgewählte Urkunden 146) und östlichen Deutschland zu den 
sein, der sich naturgemäß in Niedersachsen früher geltend machte als e 
im Süden Deutschlands. 

1) Vgl. INAMA, Deutsche Wirtschaftsgesch. II, 208 f. 

2) WOPFNER, a. à. O. 61f. 

8) Siehe oben 15 n. 6. 


Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter. 17 


nach Hofrecht zugunsten der Leihen nach Landrecht, denn die 
Zersetzung der Fronhofsverfassung entzog auch dem auf dieselbe 
aufgebauten Hofrecht den Boden. Am schnellsten äußerte sich 
dieser Prozeß in jenen Grundherrschaften oder jenen Teilen der- 
selben, in welchen die Streulage des Besitzes der grundherr- 
schaftlichen Verwaltung besondere Schwierigkeiten entgegenstellte. 

In Tirol beispielsweise lassen sich an den großen weithin 
verstreuten Grundbesitz der Klöster Georgenberg, Stams'), Neu- 
stift u. a. im 14. und 15. Jahrhundert nur landrechtliche Leihe- 
verhältnisse nachweisen. In Niedersachsen wurden zahlreiche 
Grundherren durch die Mangelhaftigkeit der Villikationsverfassung 
zur Auflösung derselben bewogen. An Stelle der bisherigen, 
durch das Hofrecht geregelten Besitzverhältnisse der Laten trat 
das Meierrecht, ein dem Landrecht unterstehendes, zeitlich be- 
schränktes Leiheverhältnis?). 

Daß die Beseitigung der hofrechtlichen Leiheverhältnisse 
keineswegs immer einen Vorteil für die Beliehenen bedeutet, zeigt 
sich gerade hier in Niedersachsen, wo das vererbliche Besitzrecht 
der Laten nach Hofrecht durch Zeitpacht nach Landrecht vielfach 
verdrängt wurde ©). 

Neben dem Verfall der grundherrlichen Organisation müssen 
wir in der erstarkenden landesfürstlichen Macht eine der Ursachen 
sehen, welche auf Beseitigung des Hofrechts und damit auch 
der hofrechtlichen Leïheverhältnisse hinwirkte. Der Landesfürst 
suchte einerseits durch seine Jurisdiktion, andererseits im Wege 
der Gesetzgebung den Geltungsbereich des Hofrechts einzuengen ?). 


1) Nur innerhalb des Gebietes der Stamser Hofmark, wo der klösterliche 
Besitz kommassierter lag, lassen sich im Hofmarksrecht des 16. Jahrhunderts 
Spuren einstiger hofrechtlicher Leihen entdecken. Vgl. tirol. Weistümer 
I, 56 Z. 21 ff.: Von erst sult ir wissen, daz mein herr von Stams und 
sein gotzhauß zu eu und den güetern, darauf ir iesund wesentlich sitzt, vil 
mer gerechtikait haben, dann zuo andern des gotzhauß güetern, in der graf- 
schaft Tirol gelegen. 

2) WITTICH, a. a. O. 324. 

3) Wirrrich, a. a. O. 881 ff. 

4) Die tirolische Landesordnung von 1404 (publiz. bei; WOPFNER, a. a. O. 
Beil. XVID stellt alle bäuerliche Leiheverhältnisse unter den Schutz des 
Richters, in dessen Bezirk das Leihegut liegt (Punkt 12); das bayrische 

2 


Vierteljahrschr. f. Boclal- u. Wirtschaftsgeschichte. III. m 


18 H. Wopfner 


Ermöglicht und rechtlich begründet wurde dieses Eingreifen der 
Landesfürsten in die grundherrschaftlichen Rechte, namentlich 
die Rechte der geistlichen Grundherren, durch die Ausdehnung 
der landesfürstlichen Vogteigewalt, die allmählich die verschiedenen 
Vogteien innerhalb eines Territorium aufsaugte. Die Vogtei aber 
gab dem Landesherrn die Befugnis, den grundherrlichen Hinter- 
sassen Schutz gegen die Übergriffe der Grundherren zu gewähren, 
dann aber auch positive Vorschriften zur Regelung des Verhält- 
nisses zwischen Grundherren und Hintersassen zu treffen. 

Diese Bestrebungen der landesfürstlichen Gewalt auf Ein- 
schränkung der Wirksamkeit des Hofrechts kamen ebensolchen 
auf Seite der grundherrlichen Hintersassen, ja überhaupt weiter 
Kreise der Bevölkerung entgegen. So fordern Bürger- und Bauern- 
stand am Innsbrucker Landtag von 1525 „daz man in gedachter 
grafschaft Tirol under ainen landsprauch wonen“ soll und 
wenden sich gegen das Verhalten vieler geistlicher Grundherren: 
„daz sy sprechen, es soll mit den guetern nach irs stifts und 
gotzhaus rechten gehalten werden, daz ist: es sey dem 
landsprauch gemäß oder nit“). 

Erwiesen sich also bereits seit dem 12. Jahrhundert eine 
Reihe von Umständen dem Hofrecht und den Leihen nach Hofrecht 
feindlich, so haben sich letztere wie ersteres gleichwohl durch 
das ganze Mittelalter erhalten. 

Fassen wir die hauptsächlichen Ergebnisse dieser Untersuchung 
zusammen, so hat dieselbe vor allem versucht, den Nachweis zu 
erbringen, daß jene von der herrschenden Meinung angenommene, 
von SEELIGER aber bekämpfte Scheidung der Leiheverhältnisse in 
freie und unfreie zu Recht bestehe. Als unhaltbar aber erwies 
sich die von der herrschenden Meinung vertretene Gleichstellung 
der unfreien Leihen und der Leihen nach Hofrecht. 

Wir sind dazu gekommen, in den Erörterungen über die 
Natur des Hofrechts uns im wesentlichen der Ansicht SEELIGERS, 


Landrecht von 1346 regelt in Tit. 13 cap. 12, 22 u. a. sowie Tit. 15 cap. 1 u. 2 
bäuerliche Leiheverhältnisse ganz allgemein ohne zwischen landrechtlichen und 
hofrechtlichen Leihen zu unterscheiden. Über Eingriffe landesherrlicher Beamten 
in die grundherrliche Gerichtsbarkeit vgl. MAURER, Fronhöfe IV, 490. 

1) WOPFNER, 8. a. O. 83 n. 2. 


Freie und unfreie Leihen im späteren Mittelalter. 19 


HEusLers und anderer anzuschließen, daß Hofrecht im allgemeinen 
nicht ein Standesrecht, nicht das Recht der unfreien Bauern sei, 
sondern nur ein Recht bestimmter Verhältnisse. Es vermag 
daher auf den Stand aller ihm Unterworfener nicht jene ihm 
vielfach zugeschriebene uniformierende Wirkung auszuüben. Es 
ordnet die Rechtsverhältnisse sowohl der freien wie unfreien 
grandherrlichen Hintersassen mit Rücksichtnahme auf ihre standes- 
rechtliche Stellung. 

Das Hofrecht schafft nicht eine einheitliche Masse unfreier 
Hintersassen. Geregelt vom Hofrecht bilden sich verschiedene 
Genossenschaften grundherrlicher Hintersassen; die Mitglieder 
der einzelnen Genossenschaften setzen sich aus den einander 
standesrechtlich am nächsten Stehenden zusammen. Diese Ge- 
nossenschaften verwischen also nicht den Gegensatz von freien 
und unfreien Hintersassen; wohl aber schleifen sich etwa noch 
vorhandene Gegensätze innerhalb der einzelnen Genossenschaften 
ab. Die unfreien Genossen werden durch diesen Prozeß zu einem 
einzigen Stand, dem der Hörigen, verschmolzen. Die einzelnen 
Mitglieder dieser letzteren, unfreien Genossenschaften sind einem 
strengeren Hofrecht als die freien Hintersassen auf Grund ihres 
persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses vom Herrn unterworfen. 

In dieser Hinsicht tritt nun nachweisbar seit dem 14. Jahr- 
hundert eine Änderung ein. Der Umstand, daß Unfreie durch 
Jahrhunderte hindurch bestimmte Teile grundherrlichen Landes 
in eigener Wirtschaft bestellten, führte zur Anschauung, daß 
diese Unfreiheit in engster Verbindung mit bestimmten Grund- 
stücken stehe, daß jeder, dem solche Grundstücke vom Grund- 
herrn verliehen werden, in das Hörigkeitsverhältnis eintrete. 

Nicht nur Pflichten und Rechte, welche nach Hofrecht mit 
dem Besitz solcher Grundstücke verbunden waren, das ganze 
Hörigkeitsverhältnis selbst ward gleich einer Reallast mit dem 
Gut untrennbar verknüpft. Da also die Übernahme solcher 
Grundstücke im Leihevertrag ein nicht bloß vermögensrechtliches 
sondern auch persönliches, vom Hofrecht geregeltes Abhängigkeits- 
verhältnis herbeiführte, müssen wir derartige Leihen als unfrei 
bezeichnen. 

Indem wir ferner die Prekarie als ein wesentlich freies, dem 


20 H. Wopfner 


Landrecht entsprossenes Leiheverhältnis darstellten, das sich seit 
dem 11. Jahrhundert zur Erbleihe auswuchs, schlossen wir uns 
der Meinung RıETSCHELSs an, daß die freie bäuerliche, dem Land- 
recht unterstehende Erbleihe des 12. und 13. Jahrhunderts aus 
der Prekarie herzuleiten sei. 


Serfdom in the Pyrenees 
by 
Miss Lodge (Oxford). 


“Tous les habitants sont francs et de franche condition, sans 
tsche de servitude; et nul n’a ni peut prendre aucune suite de 
gens demeurant en la dite terre, ni exiger aucun dreit & cause 
de la personne et du corsage desdits manants ni habitants ni 
aucun d’iceux”’.’) 

So say the customs of Soule; and those of Bigorre though 
not so explicit, point to considerable freedom.—“Rusticus semper 
pacem habeat, nec quisquam pignoret ei boves vel ferra arari”.*) 
While in Béarn feudal power was limited by the old ‘Fors’,?) by 
the independent spirit of the people, by the privileges possessed 
by communes, bastides and rural communities; here if anywhere 
the maxim held good “nul seigneur sans titre”.*) 

Doubtless a land of mountains is a better home for freedom 


1) Fors de la Soule, Rubric 1. Drawn up by Cour de Lixarre 21. Oct. 
1520. — From. Haristoy-Pays Basque II, 379. Paris et Bayonne, 1885. 

2) Coutumes du Comté de Bigorre (about 1109). Archives départemen- 
tales des Basses Pyrénées. E. 368 f° 20. — (All the documents quoted in 
this paper being from the same Archives, only the number of the manuscript 
wii be given in future.) 

3) The Fors of Béarn are a code of written land or custom dating from 
the end of the 11tb century. They consist of general regulations for the 
whole country of Béarn, the Fors of Morlaas a code of special communal 
privileges afterwards extended to navy all towns of the land, the Fors of 
Oloron, and others for the 8 important Valleys of Ossau, Aspe and Barétons. 
There old customs were re-issued with some additions at various periods, the 
earliest forms in evidence been published by MAZURE and HATOULET (Paris 
1841, 4°. The reformed fors of Henri II, of which various copies exist are 
chiefly useful for the end nf the 16th century. 

4) MAZURE and HATOULET, Fors of Béarn, p. 81. — Lods and Ventés 
a0t due “sino que lo caver ne pudos mustrar instrument public”. 


29 Miss Lodge 


than a country of plains, and the sturdy mountaineers of the 
Pyrenees, isolated in their valleys, living almost entirely on their 
flocks and herds, defending their pasture rights through thick 
and thin, were far more able to maintain their liberties against 
their lords, and far less likely to be reduced to the lowest stage 
of serfdom than the inhabitants of Northern Gascony, and 
the country round large Towns such as, Bordeaux and Agen. 
But even in the mountainous valleys there are traces of ‘hommes 
questaux’ throughout the middle ages; and taking Bearn, Bigorre 
and the French Pays Basque as a whole, serfdom undoubtedly 
existed as it did elsewhere, but nevertheless with sufficiently 
varying conditions and characteristics to make it worth separate 
study, and to form an interesting comparison with the more ex- 
treme serfdom of the Bordelais. 

To reconcile the theory of freedom with the constant mention 
of ‘questaux’, it has been suggested that though land may have 
been servile, personal serfdom was unknown. That duties, 
disabilities and servile dependence were based on tenure is true 
here as in all feudal countries, and there is plenty of evidence of 
it. In 1374 the Comte de Foix frees from all “questalitat e 
subjugacion” the “loc e casau de Casanave”;!) and it is stated 
later in the same document that “sa casa en lo dist loc de Prat 
qui es questau fo comprees en la dite franquesse”*) and the 
Censiers of Béarn) and Bigorre‘) are full of “ostaus questaus”, 
‘‘terras questaus”. 

But this explanation will not hold good throughout; there 
were serfs by status as well as by tenure. Thus in 1318 we 
find a man who was a serf ‘tam ratione corporis quam ratione 
tenentiarum suarum’”.®) In 1343 an enfranchisement was granted 


1) E. 802 f° 86 v° 24. Dec. 1374. 

2) E. 302 f° 86 v° 28. Dec. 1874. 

3) E. 808 f° 38 v°. Censier de Béarn, 14tb century: “Ostau questau fe 
per aubergade XVIII d: morl:” 

4) E. 377 128 vw”. Censier de Bigorre 1429: “Lo cap casau de Casande- 
bat... estengut de pagar cascun an . . . sivada garie et anhet cum 
dessus X sous morlaas per queste tres pes de porii aixi cum los autres 
questaux”. 

5) E. 759. 


Serfdom in the Pyrenees 93 


to “soos homis de coos e de casaladge”,') and similarly in 
1371 the Comte de Foix “assout e quitat son serf cos e persone 
de tote questalitat e subjugacion”.?) Etc. Etc. What is more, in a 
Censier of Bearn in 1388 we actually find serfs without any 
land at all; this is, as a rule, in the case of younger children 
who do not naturally inherit; some are dwelling in a sister’s house 
and work for their living;°) others have no house nor land but 
pay quête for their body.) 

Taking it then as proved that serfs, known as ‘hommes que- 
staux’ existed in the part of France now included in the Depart- 
ments of Basses and Hautes Pyrénées, and that there might 
he serfs by birth as well as by landholding, we must notice 
certain circumstances which affected their position, and which 
helped to stamp local characteristics and peculiarities upon them. 

lt is in the Pyrenean countries, as we have seen, that some 
of the earliest governmental and social regulations are found. 
The Fors of Béarn with those of Morlaas and Oloron etc. (see 
note 3) date in their primitive form from about the 11‘ century; 
the customs of Bigorre are of much the same period: and those 
of Capsoule though the copy we possess of them is later, were 
doubtless a codification of the established usage of the country. 
Every Vicomte had to take an oath to observe there rules, and 
in the same way the lords of different territories were bound 
to do right to poor as well as rich. The Fors of Morlaas, in a 
rubric devoted to questaux,°) assert that they are bound to have 
enough to live upon, that their lord must give them land sufficient 
to nourish themselves and their family, and that the quête to 
which they are liable, must never be 80 great as to force them to 


1) E. 1916 Notaire de Pardies. 

2) E. 302 f° 79 v°. 

3) Enquête sur les Serfs de Béarn, 1388. Published by PAUL RAYMOxn. 
Bulletin de la Société des sciences, lettres et arts de Pau. (1877—78.) 
2 série vol. 7 p. 110: “Viven de lor brasse”. 

4) PAUL RAYMOND, Enquête sur les Serfs, p.121: “No ostau ni terres, 
mas per son corps los vesiis qu’en feu paguar 12 morlaas de queste”. 

p. 20. “Los quaus enfans eren de segonte molher e no an hostau ni 
autre cause”. 

5) MAZURE and HATOULET, Fors de Béarn. 


94 Miss Lodge 


sell their oxen in order to pay it. In the charter granted by 
Bernard II to Bigorre in 1098,') the peasants, though bound to 
the soil and debarred from hunting or fishing on their own 
account, are protected by the state and are permitted to resist 
their lord in 2 cases; viz: if he should burn their houses or 
seize their beasts. 

No doubt these limitations were not always rigidly observed, 
but that they were not merely a dead letter is proved by one 
article in the Fors of Morlaas,*) which commemorates the depo- 
sition of the Seigneur de Mirepeix for declaring in a matter of 
imposition that “qui ne puisse qu'il puisse”. The justice of this 
vengeance is maintained in the following article which declares 
that ‘Dieu ne commande pas qu’on fasse plus qu'on ne peut”, 
and therefore no man must be arrested for refusing to pay an 
obviously impossible sum. 

But still more important to the serf than the written law of 
the land, was the independence fostered in the mountain valleys, 
and in the privileges granted to the numerous rural communities 
or ‘beziaus’ as they were called, which existed particularly in the 
hilly and isolated parts of the country. These beziaus were united 
together by common privileges, common duties and above all 
common pasture; they had a certain amount of self-government, 
they could make treaties of peace with other beziaus, and they 
could stand shoulder to shoulder in defence of their rights and 
customs against their own lords, or even the Vicomte himself.?) 
The members of these communities, those inkabitants who shared 
in communal expenses and enjoyed communal privileges were 
known as beziis or voisias, and they combined something of the 
old family tie with something of guild relationship. They were 
mutually responsible for one another; they were, in some places, 
bound te help their poorer neighbours; they shared in all the privi- 
legen grantod to the community, amd they were to the villages 
or rural districts much what burgesses were to towns. It was 


1) Published by Abbadie. Sovitté Académique des Hantes Pyrénées. 
9) Mazunn and Harutuer, Fors de Béarn, p 208 


3) Livre Rouge d’Ossau — pamim — (Arch. départem. des Basse: 
Pyröutes) nacatalogued. 


TR 


Serfdom in the Pyrenees. 25 


their business to eleet oflicers to condact the affairs of the whole 
body, generally a ‘Garde’ or treasurer to oollect dues and taxes 
and to pay any provisions owed by the locality to a private lord 
or to Monseigneur le Vicomte. And these voisins might even be 
‘asestaux’. — Tenurial questaux possibly, privileged questaux pro- 
bably, but questaux nevertheless, and not necessarily distingui- 
stable from the majority of their fellows. In 1316 the “besiis e 
besies de Cauteretz” declare of their own free will “que eds e 
lors predecessors eren et ero estadz seissaus e questaus de dreit 
e de ley, d’entradgie, d’exido de compra e de fedexoos (due on 
birth), e serve condicioo”.') In a Béarn Censier of the 14% 
century, “La beziau de Ponsadesus (Ponson-dessus) heren questaus 
een l’an present a son estatz afranquidz”.?) 

One other custom of the country must be noticed as affecting 
te servile as well as the free population, and that was the general 
kaning towards primogeniture. The rules as to succession cannot 
be said to have been universally the same: in the Valleys of 
Barèges and Lavedan primogeniture prevailed without regard to 
sex;”) in one street in Lourdes females were excluded by males; 
in the Pays Basque the eldest born of either sex succeeded to 
ordinary rural property, but in the case of acquired possessions, 
if there were no will, all would be equally divided;*) and so 
on in great variety, but with a general tendency for the capcasau 
or principal estate to fall into the hands of the head of the family, 
and for the younger children to live with and work for him, or 
to marry with other heads of households, in order that they might 
not remain in poverty and dependence on the good will of the 
first born. *) | 

Whether thanks to the customs of the country, or to the innate 
love of the people for freedom, the serfs of the Pyrenees seem 
to have been better off than in other places, and were less rigidly 


1) LAGRÈZE, La Féodalité dans les Pyrénées. Pau, 1864. Quotation 
on p. 494. 

2) 2. 909 f° 39 v°. 

3) Nosuks, Les Coutumes de Barèges. Toulouse, 1760 12°. 

4) Harısrovy, Pays Basque p. 451. Coutumes de Labourd XII 

5) JuLES CORDIER, La droit de famille aux Pyrénées, Paris, 1859. 


26 Miss Lodge 


debarred from the advantages generally enjoyed only by the free. 
Thus it may be indicative of a certain respect that the heads even 
of servile families are frequently spoken of as ‘senhors’ and ‘daunes’. 
In 1357 we read of “Guirande daune d’ambiele notre cessau et 
questau”;') and in 1440 a charter of enfranchisement was 
granted to “los senhors eus filhs e las filhes” of a piece of questal 
land;*) and many other instances could be cited. That they 
could be voisins we have already seen, and it is also a peculiarity 
of this part of the country to couple ‘ceyssau’ and ‘questau’ 
together in the way which is so common in the documents both 
of the Hautes and Basses Pyrénées. In the Bordelais one great 
distinction between serf and free was the payment of arbitrary ‘quête’ 
in distinction to fixed ‘cens’; but here payers of cens and quête are 
mentioned in the same breath. This use of ‘ceyssau’ is certainly 
not meant to imply the free ‘censitaire’ of other parts: Lagreze 
indeed suggests that as ceyssau are always mentioned first that 
may imply some sort of distinction between them;°) but as 
a matter of fact this is not universally the case,*) and it seems rather 
to put on the same level, serfs paying rent in money or kind with 
those paying the typical ‘quête’. But, what is more, quête is by 
no means always arbitrary; even in early censiers mention is 
often made of a fixed amount of quête, either from an individual 
or from a whole village,°) and there is indeed a tendency to 
commute most payments into definite sums of money.) Above 
all.there is the trace of an idea that the natural condition of man 
is to be free not servile, and that this freedom is a question of 


u m 


1) E. 1596 f° 52. Notaire de Navarrenx. 1857. 

2) E, 1767 f° 82 v°. Notaire d'Oloron. 1440. 

3) Laurnze, La Féodalité dans les Pyrénées, p. 38. 

4) KE. 30% f° 30. “G. de Perent de Monenh e M. sa moelher soos ques- 
taux © ceysxans.” 

5) E, 317 f* 39. l'ensier de Béarn 1365: “Lo besian de Serse totz en 
semps cecl sols de Morlaas de queste”. E. 377 Censier de Bigorre 1429 f° 76. 
“Cap casau de KSasera per queste XXI blancs meya garie etc. etc”. 

6) EWR C'ensier de Béarn 148 c. 1° 33 v°: ‘‘Geronde questau III d: 
tina e IX d: per mierhe aubergade”. 

E 389 Censier de Muntanérés 1438 - 65 f* 140°: “XI sols los questaus 
de mayesque en mar per Ina herma et argues etc. etc.” 


Serfdom in the Pyrenees. 97 


status and free parentage, in the little clause inserted so frequently 
in charters of enfranchisement: ‘en torna au prumer graa de nature 
deu quoau totz em francx en aixi cum si ere nat de francx pay 
e may”.') 

Every thing seems to point to a condition of modified serfdom 
in the Pyrenees, with frequent fixing of services and dues, with 
protection by law and possibilities of advance and of independence. 
But there is at the same time a reverse side to this picture: the 
disabilities of serfs were real enough and in many cases irksome 
enough, and there are evidences of real poverty among them, 
which seem to imply that with less close supervision they had 
likewise less protection and less support. 

The most essential characteristic of a serf appears to have 
been his attachment to the soil. Monsieur Raymond suggests 
that this is the meaning of queste.— As questare means to search, 
homme questal he says may mean a man subject to this search, — 
a dependant whom his lord may seize if he attempts to go else- 
where. *) 

The Editors of the Fors of Béarn, though they give ‘questal’ 
the more probable meaning of subject to quête, notice this liability 
to be reclaimed, as a universal condition ; *) and the same is stated 
in the 16 century Commentary on the Fors by M. de Maria.‘) 

Though there are instances of free men also making promise 
not to leave the estate, it is certainly a stipulation rarely, if 
ever, absent from the ‘reconnaissance’ of a serf. Thus in 1324 
we find; “homi e femne serps e questaus deu Senhor de Clavarie 

.. natz e badutz e neuritz en cazau de capanmaron loc e cazau 
serp e questau . . . ne dejus sa senhorie nos partiran per poblar 
ne per acazar ne per estar part sa voluntat”’°); and in 1404 a 
man and his wife declaring that their children are serfs, agree 
that they may not leave the seigneurie, and promise that they 

1) E. 1699 f° 23. Notaire de Navarrenx, 1405. 

E. 1918. Notaire de Pardies 1870: “Tornat au prumer graa de franquessa 
axi cum si ere engendrat de franc pay e may etc.” 

2) RaYmonD, Enquête sur les Serfs, p. 122. 

3) MAZURE and HATOULET, Fors de Béarn, p. 75 note. 


4) M. de Maria Avocat, Éclaircissements sur le for et coutume de Béarn. 1551. 
ö) E. 948, 


28 Miss Lodge 


shall come whenever required;') while in enfranchisements it is 
a very frequent, though not quite universal clause in the list of 
promised privileges “de anar tornar estar habitar poblar e acasar 
aqui on lo playra e usar de totes bones condicions de homis e 
femnes francx’.”) 

Besides being bound to the soil there were other disabilities 
and services especially characteristic of serfs, though they varied 
in different cases and were not all imposed upon the same in- 
dividual. 

Arbitrary payments can certainly not be considered as an 
essential feature of Pyrenean serfdom; in some cases of-course 
they were unfixed, as we find in the Livre Rouge de Bénac where 
licence to marry outside the seigneurie was to be paid for “a la 
voluntat deu senhor de Castedloboo;”*) but in a charter of 1313 
for the inhabitants of Lavedan, 30 sous morlaas was fixed as the 
price,‘) and a similar arrangement per house was made elsewhere 
for fedexoos?) and for burial dues.°) In the Inquest on the serfs 
of Bearn in 1355 a list of fixed dues for the holdings is almost 
always given; so much for oublie, so much for arciut, so much for 
aubergade, so much for quäte;’) indeed the only constantly 
vague item found in that particular censier is castle guard, which 


- 


1) E. 950. G. de Benet and his wife “fossen tengutz d’anar sercar los 
ditz enfantz, e si los troben los torneran juus lo poder deudit senhor”. 

E. 948, 1318: “femne serve questau e seissau per tornar en son poder 
tote betz que per lus o per son sert mesage seran requeritz”. 

E. 1919. Notaire de Pardies 13882. The seigneur of Abos claiming certain 
men as serfs declared ‘que negun ni mascle ni femi . . . podin anar poblar 
fore son poder mas queus devin poblar jus lor e habitar jus lor, si donxs lo 
diit senhor d’Abos ne done lisenti”. 

2) E. 302 f° 46 v°. 

E. 1767. Notaire d’Oloron 1440. f° 92 v° Certain men were allowed 
“per anar ont los playra o per star en losdiitz locs, o per poblar sa en 
quinhe senhorie se bulhen, e per usar de tot privilege de franquesse aixi 
cum homis francx”. 

8) Quoted in LaGrkre, La féodalité dans les Pyrénées, p. 144. 

4) LAGRÈZE, p. 144. 

6) LAGREZE, p. 240. 

6) LAGRÈZE, p. 165. 

7) RAYMOND, Enquête sur les Serfs p. 5 etc. etc. 


Serfdom in the Pyrenees. | 29 


was demanded from each homme questal, and apparently left to 
the lord’s discretion,') but in some cases even this may have 
been fixed at a special length of time.?) 

Serfs were not supposed to sit in judgement nor to make 
wills; a man freed in 1370 is allowed ‘per far ordie e testamentz 
per entrar en judiament ab luy e ab tote aute persone ;” *) they 
could not sell nor give away their land without the lord’s licence ; *) 
and from time to time a few curious services are eited, such as 
beating the water to keep the frogs quiet at night,°) making bread, 
earting wood (a very common duty) or washing tablecloths etc.®) 
tbough in many cases it is difficult to be sure whether these 
things are owed by serf or free. 

A very imteresting document of the 15!" century, an account 
of a dispute between the abbot and the questaux of the monastery 
of St. Savin (Hautes Pyrénées) gives a list and explanation of many 
payments and services which were due, though they need not all 
have been essentially servile.’) Here, besides quête and other 
payments, those with sheep were bound to send them for 15 nights 
on to the Abbot’s land, to supply him with hens at Christmas, 
to pay entries and exits on any change of property, (this is as 
a rule reckoned a free payment), and to purchase a licence to: 
marry or to leave the estate. One of the most interesting dues 
was ‘presentia’ explained as a payment which had to be brought 
in person, thereby seeuring the presence of the serf on the demesne; 
and a very unusual interpretation is given of fedexoos, which 

u 1) RAYMOND, Enquête sur les Serfs. Passim. 

2) E. 316 f° IF v*. Vicomte de Béarn frees a man “de tot lo servitut. 
que lem tengut de far per un an en la garde dessoss casteg cum asson questau 
esterlo”. 

3) E. 1918 f° 40 v°. Notaire de Pardies, 1370. 

4) E. 302 f° 6. 1371. An enfranchisement allows “alianar obligar far 
dizen e complir totes lors propris voluntatz de totes los bees e causes”. 

E. 358 f° 21. 1826-657. Gifts are held to require “la laudor del senhor””. 

5) E. 368. Cartulaire de Bigorre 1062—1263 f° 2: “lo casal — debet 
las granolhas far carar” (Lourdes). 

6) E. 368. Cart. de Bigorre f° 7: ‘‘e forca e fals e flaget e caval al- 
bergar pa far e legna” (Ibos). f° 8: “Lo casal Brunet deu las toalhas 


lavar etc. etc.” 
7) H. 152 Sentence arbitrale. 1486. 


30 Miss Lodge 


instead of a due on birth is said to be a commutation of the 
service owed by every questau of a years work for the lord; boys 
at the age of 14 and girls at the age of 12. This duty was 
imposed upon the serfs of Béarn also, and is mentioned in the 
Censier of 1388;') probably there also a money payment was 
frequently substituted. These conditions do not, as a rule, appear 
very oppressive, and the payments and services when fixed were 
far from severe; but nevertheless it cannot be denied that 
a good deal of poverty and distress existed among the servile 
inhabitants, and this is very evident in the Inquest of 1388, a 
house to house visitation commanded by Gaston de Foix to discover 
what sum the unfree population were ready to offer for the 
privilege of freedom. Numbers answer that they have nothing 
to give for their liberty,*) some add that they have “no ox nor cow 
nor other beast”,*) or that they are “poor men who live by the 
work of their hands”;*) one poor old woman of 70, with no 
husband nor child and many dues to pay, has no money to 
offer.) Etc. Etc. 

The chief poverty was among the younger children, owing to 
the prevailing custom of primogeniture already mentioned; the 
younger brothers and sisters often went out to work, and in the 
rare cases where both husband and wife were ‘cadets’ it generally 
followed that they had neither “ostau ni terres”.®) 

In every village there were abandoned holdings, the families 
having either died out or deserted “la terre qui meurt” for more 
lucrative employments. The many instances of this dispel the 
usual belief that a serf was at least well looked after by his 
lord as being a valuable chattel, and shew that dependence was not 
incompatible with distress. 

All this would doubtless depend on the character of their 
individual masters, and from time to time we get traces of real 


1) RAYMOND, Enquête sur les Serfs. 

2) RAyMmonD, Enquête sur les Serfs, p. 37. 

8) RAYMOND, Enquête sur les Serfs, p. 129. 

4) RAYMonD, Enquête sur les serfs, p. 91. 

5) RAYMOND, Enquête sur les Serfs, p. 110, 131. 
6) RAYMOND, Enquête sur les Serfs, p. 76. 


Serfdom in the Pyrenees. 31 


bad treatment. Complaints were made to Edward I in 1305 by 
certain men of Dax, ‘“questaus e homis per son linadge”, that 
their lord and his companions “aucigo (killed) 1111 e arso totes 
les maizons de la paropia e airrauba todz los beis e tot lo bestiar 
et prins los vestimentz’’;') and the story of Gaston Phoebus is 
fall of horrors inflicted on the unlucky peasantry.?) 

Such things were, however, due to accidental circumstances 
rather than inseparable from the condition of a serf. On the 
other hand, the close connection between free and unfree, the 
constant intermarriages, the difficulty of drawing any distinct line 
between the two classes, and the constant disputes in court between 
lords and serfs are particularly striking, and point to the very 
close relationship which existed amongst members of both ranks. 
The holders themselves were frequently confused; thus in 1388 
one man says his property is not servile but ‘vassal and censitaire’, 
although he has to confess to paying quête;*) while another 
claims freedom because he has never paid ‘aubergade’, — a fact 
which has certainly nothing:to do with the question, as his neigh- 
bours do not fail to point out.*) 

The difficulty of ascertaining rank was increased by the 
almost total lack of any documents to prove one thing or 
the other; a father, wishing to marry his daughter to a free 
man, was so doubtful as to her condition, that, having no 
document to shew, he promised to purchase her freedom to make 
all square.°) 

The question of quête again presented endless dificulties. 
Was it only paid by questaux, or could it be imposed even on 


1) Miscellaneous Rolls Chancery. Bundle 52° 7 (Record Office). 

2) Lespy and RAYMOND, Un Baron Béarnais au 15° siècle. Pau, 1878, 
2 vols 16°. 

3) RAYMoxD, Enquête sur les Serfs, p. 132. 

4) RAYMOND, Enquête sur les Serfs, p. 133. 

5) E. 1926. Notaire de Pardies 1396. f° 1: “Cum maridatge sie estat 
feyt segont que dixon entre A. de Cazenaue de Suros macip franc une part 
e F. felhe de P. d’Osse de Poey d’autre part dizent lo dit A. Son marit 
que no sab si ses franque ho o no ni lo diit son pay no sab mustrar nulh 
instrument de affranquiment; per so lo diit pay... prometo e autreya.... 
de affranquir le asson propi cost.” 


32 Miss Lodge 


free men as the serfs of Montanérès tried to assert?!) A good 
deal depended on prescription ; servile duties performed for a number 
of years were almost impossible to shake off. Thus in the dispute 
already quoted between the abbot of St. Savin and his men, the 
abbot said in support of his claim, that he had received servile 
dues for 20, 30, 40, 50 or 60 years, and since the memory of 
man reached there had been no contradiction; while the questaux 
on the contrary asserted that quête and other payments had been 
added in recent times;*) and in another place a similar claim 
is put forward on the part of the serfs.°) 

All this uncertainty was tenfold increased by the complication 
of mixed marriages and the doubt as to the effect made thereby 
upon status. The Fors of Morlaas say “lo marit no pot affranquir 
los homis ni la terra qui ha de sa molher”,*) and neither did 
marriage with a freeholder give freedom to a servile wife or a servile 
husband; did it then enfranchise the children? To all appearances 
this was not necessarily the case. In 1388 a serf, who had 
married a free man, offered 10 florins to free herself and her 
children;°) the son of a mixed couple, himself having married 
a serf, offered 33 florins to free the whole family. One difficult 
case which arose was that of a free man and a free wife who 
had servile land and did not know what their children would be; 
the father considered that they ought to be free, but offered 
6 florins to make it sure.®) 


1) E. 868. 1326-57. The questaux declare “que los diitz francs e bo- 
toyees francs” ought to help them pay the quête; and after much discussion 
it was agreed that all ancient holdings should contribute, for though freed 
they were still bound to this payment, but that all newcomers were exempt. 

2) H. 152. Sentence arbitrale 1486. 

8) E. 1600. Notaire de Navarreux 1406 f? 3 v°: “La defence de Pro- 
dine danne deudit loc de Clarac de Peyrat son gier disen que egs e lors 
predecessors senhors dendiit loc de Clarac lan lotz temps li tengut cum 
afranc que memorie no es deu contrari, sees que lodiit Ramon ni 8008 pre- 
decessors senhors saurers de Balansun e de Bastanees entro adares nols y 
han feyt negun empatch per aquere cause otre los devers e fius costumatz”. 

4) MAZURE and HATOULET, Fors de Béarn, p. 172. 

5) RAYMOND, Enquête sur les Serfs, p. 2. 

6) RAyMoxp, Enqête sur les Serfs p. 147: “jassie que las filhes no 
deyen estar questaus cum sin de francx pay e may”. 


Serfdom in the Pyrenees. 33 


Occasionally freedom was claimed through the father‘), though 
not always with success; but, in one instance, the children of a 
serf and free woman were declared free, “car l’enfant sec la 
condition de la may”?). 

The only security for freedom was a written title, and some, 
who had already purchased the privilege at an earlier date, were 
still considered as serfs, because unable to find the record of this 
transaction *). The titles themselves were not always too explicit; 
for example, one woman who had married into a servile family 
which was afterwards freed, thought that she herself was included 
in the grant of liberty, but was ready to offer 3 florins more if 
she were still a serf. 

Enfranchisements did become extremely numerous throughout 
the 14‘ and especially the 15‘ centuries; the lords were doubt- 
less in need of money, and they may have found land, let out 
freely for cens, both more lucrative and more likely to be well 
cıltivated; besides which it was very usual to grant freedom to a 
whole village .or district in order to attract inhabitants. *) 

Freedom by gift, by ordination, by residence in a chartered 
town were all possible, but by far the most usual method was 
purchase,°) and the land then become fief or censive, making regular 
payments, and still subject to numerous small exactions of various 
kinds, which continued, in many cases practically without change 
till the Revolution of 1789. 

These enfranchisements usually included, as we have already 


1) RAYMOND, Enquête sur les Serfs, p. 70: “Que son pere ere franc 
jassie que lo may fos questave, perque no es questave segont la costume 
deus questaus, e no deu res a Moss: car no es questave”. (But was called 
w all the same.) 

2) RaAyMonp, Enquête ‘sur les Serfs, p. 20. This was done at the 
isstigstion of the curé. 

3) RAYMOND, Enquête sur les Serfs, p. 233. 

4) Enfranchisement of Montaner 1281. Published by MARSEILLAN, 
Histoire du Montaner, p. 185: “Gaston Vicomte de Béarn etc. de nostre 
rolantat affranquim poublans los homis deu casteg de Montaner . . . per 
ks bomis deudit casteg . . . aben jurat autreyat e promes dar e pagar . .. 
totz ans . . . cinq cens cinquoante cinq soos de Morlaas de fuis.” 

6) E. 1916. Notaire de Pardies 1845 f° 14: “Loquoau affranquiment 


fe lodiit n’Auger per some de CCC sous de bons morlaas etc. etc.” 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 8 


84 Miss Lodge 


seen, liberty to leave the soil, to escape certain dues — such as 
quête, aubergade and others, —!) to make contracts and wills,?) 
and to enjoy fuller pasture rights;’) but the liabilities still left 
were heavy enough, and may have caused many to think twice 
before converting their ‚questaue’ into a fief or censive. 

Military service, lods and ventes (capsoos,*) and a yearly 
payment in recognition of their freedom known as ‘franquau’ 5) 
were generally added: while residence, duty of hospitality, certain 
labour services and other relics of their old condition were fre- 
quently retained,°) and it is pretty evident that if any one lost 
by the transaction it was certainly not the lord. 

But charters of enfranchisement were not obtained by all, 
and as late as the 17 ‘* century a Terrier of Sauveterre enumerates 
many questal holdings burdened with payments and services 
similar to those of medieval times;?) fixed and commuted no 
doubt, but that, as we have seen, was a process begun at a much 
earlier date. In 1677, however, it is invariably the land which 
is burdened, not the tenants; — the old idea of status has gradually 
yielded to the doctrine of tenure, and it is the holding alone, not 
the man, which is known as questal. 

To sum up the general conclusions to which the documents of 
the time seem to point; it would appear that serfdom was well 
known in the Pyrenean districts throughout the middle ages, though 
on the whole less widespread, less oppressive and less extreme 
than in many other parts of France; that the distinguishing and 
universal characteristic of the ‘homme questau’ was his inability 
DE 90 82 v°: „De totes questes oblies e aubergades e autes 
debers e serbitutz que lodiit senhor y ave ni aver y deve cum a son questau 
e ceissau.“ 

2) E. 1918 f° 40 v*. Notaire de Pardies 1370. 

3) E. 1768. Notaire d'Oloron 1462. f° 29: “An affranquit e dat pa- 
doence at Auger de Lederix . . . pusque padoir e fustar lodiit herm per 
la forme que los besiis de Momor y deven fustar e padoir”. 

4) E. 2298. Maslaoq 1298: “Dret e ley host e ord e bendes etc.” 

E. 1767. Oloron 1440: ‘‘bendes e perparances © capsoos”. | 

6) E. 2801. Meritein 1220: “Pour franquan chascune année X sols 
morlaas”. 


6) See Appendix A and B. 
7) C. 1157. Terrier de Sauveterre 1877. See Appendix C. 


Serfdom in the Pyrenees. 35 


to leave his lord’s estate; that his dues, services and payments 
were frequently fixed and that at a fairly moderate fignre; and 
that he had greater opportunities for holding his own, for disputing 
with his lerd, for sharing in the management of local affairs, and 
for shaking off his dependence than the majority of his class; 
and that it may have been partly the advantages of his position 
and the lightness ef his liabilities which decided many a serf 
to remain as he was, although in individual instances poverty, 
distress and ill-treatment were the result. 

Bat if serfdem be worthy of study in these districts, the 
picture of ceuntry society remains very incomplete without a 
consideration of the free peasants, who formed the bulk of the 
inhabitants in the mountain villages and the backbone of the 
rural ‘besiaus’, with their self-sufficiency, their independence, 
their freedem frem supervision, and from many of the worst 
forme ef feudal oppression. 


Appendix. 

A. E.2288. Charter of Enfranchisement. Maslacq. 1298. 
“Conagude cause sie que cum lo noble senhor Rodger Bernard 
compte de Foix Vescompte de Bearn e de Castelbon et la noble 
done Margaride comtesse e Vescomtesse de quegs medixs loex 
agossan a Maslac de Larbag, vingt casaus questous e seysaus 
© pluus, e tractament fos estar feyt enter los diitz senhors dune 
part eus homes senhors deus diitz casaus dautre part, de poblar 
a Maslac a la franquessa e au for e a las costumes de la biele de 
Morlaas. Lesdiitz senhors e done que prometon soberdisso aber 
laatrey de lor filh hereter Gaston affranquin losdiitz casaus e las 
terres deus casaus © los senhors e las daunes deusdiitz cazaus 
enfanz e naturalz naz e anacxer per totz temps egtz poblar 
ensemps ab autres poblans en lodiit loc de Maslac a la fran- 
quesse e au fer e a las costumes de Morlaas. Et los den plen 
poder e licencie franque de far clausure aixi cum los autres locxs 
poblaz au for de Morlaas, e donaran a cascum poblant sengles 
places de cade tredze arazes de ample e dex sexante arazes de 
long enter lo barrar darrer e la carrera public, a sieys diners e 
cirmanadge per place, e los donan cade vingt jorndesa de terre 


36 Miss Lodge 


per laurar o binhes o bergees o fears far, a oeyt 8008 de fius 
per los vingt jornades quen fasen cade an cascun deus poblanz 
‘per nadau, e los donaren plus dus cenz jornades de terre que 
los remangue herme per padoent pero sien tregen dequeres dus 
cenz jornades que de la treyte dessen far per jornade, e segont 
que lautre fius monte per jornade, e retengon se losdiitz senhors 
comte e comtesse sober losdiitz poblanz dret e ley, host e orde, 
quant de Larbag exiran, e bendes si lors maysons e places o terres 
autres o binhes o bergees o fears la que poblar auren benen, se 
es assaver lo capsolz deus dodze diners ung diner, deus dus soos 
dus diners, e en aixi de qui ensus deu sol ung diner tant cum 
la some montare de m. 8soos mil diners, e presentations a lor 
messadge a Maslac per ters die. Si maysons o places o terres 
o bergees o binhes o fears benen pagan si larthien per nou dies 
apres 0 prenen daqui abant lo capsoos tanz diners cum la somme 
deu bende conthiere solz, la ost e lorde exir ab Larbag e las 
bendes e las presentations dessus diites se retenguen no contrestan 
ni prejudican au for de Morlaas e aus autres caas.” 

B. E. 1767. Notaire d’Oloron 1440. Enfranchise- 
ment. f° 92 v”.  “Coneguda cause sie que en Bertran de Domet 
de Goes na Condor sa molher Arnoud son filh e Guiraute sa 
molher totz encemps autreyan que no fossatz ni contrestz engavatz 
ni decebutz per negune persone deu mon, mas de grat e de lor 
voluntat e de lor certe scienci de tot lor dret e feyt certificatz 
per lor e per tot lor Ihinadge . . .. an afranquitz quitatz e 
renunceatz e deleixatz los locs aperatz Binhou Bergers e Conques 
de Goes e de Faget, e los senhors eus filhs e las filhes qui son. 
ni seran deusdiitz locs . . . e totz lors bens e causes qui are 
an interessi abant auran ab totz lors melhurers e ab totes lors 
apperthiences, de totz dretz e debers e de tote senhorie e subjecion 
que egs y aben o aber y deben o y poden aber . . . per anar 
ont los playra o per star en losdiitz locs o per poblar se en 
quinhe senhorie se bulhen, e per usar de tot privilege de fran- 
quesse aixi cum homis francx . . . . exceptatz que lo sobre diit 
afranquiment los diitz senhors de Domet se arthiencon audiitz 
laucx de Binhau etc. certes causes de debers losquoous los senhors 
qui son e per temps seran deusdiitz locx son thiencutz de far 


Serfdom in the Pyrenees. 37 


ausditz senhors de Domet. Soes assaber cada un deus senhors 
deusdiitz locx deben mostrar hereter loquoau hereter deu thier 
foec biu ens diitz locx e deben complir las causas dejus scrutes, 
. .. . deben los diitz hereters far dret e ley en la man deu. 
senhor de Domet e a sa bolor man e ban e lo senhor de Binhau 
que deu daz de fius cada an . .. XXV soos de bons morlas, 
€ los senhors de Berges e de Conques cada XII soos e VI 
diers morlaas. 

Item e deben moler tot lor blat gros e menut au molii de 
Domet totz los sobrediitz pagan punhere acostumade de senhor 
€ demorar betz, e si alor betz no poden moler star I noeyt es 
si stat la noeyt no aben podut moler que sen podossen anar 
moler or se boleran, es si per abenture no bolen demorar betz 
ni la noeyt star, pagen aqui la punhere degude e acostumade 
que sen pusquen anar. Empero si no demoraben betz ni no 
staben la noeyt e sens punhere pagar sen anaben moler en autre 
molii, lo sac e lo blat fosse deu senhor si eg en aquere betz 
osson mesage en lo camii lo poden encontrar. 

Item e mes que deben bater ab las egoes qui lo senhor de 
Domet los dara on que eg las se aye fasen tabon marcat cum 
bateran los autres besiis de Goes. 

Item e si lo senhor de Domet ab abe obs ni ac bole los senhors 
deus diitz loc quel deben intrar fidance entro a mil s0os de morlaas 
o dequi en jus per 80 que meter los bolera. 

Empero la que egs encemps o cada uns lentra e an fidances 
lo senhor Domet los ne deu gardar de tot dann, e quant egs se 
obligaran per luy queus deu autreyar carte de garenthie ab obli- 
gation de totz sons bens. 

Item de mes quel deu lo senhor de Binhau en cada an far 
X Iheytz (beds; means probably to give night’s lodging to 10 men) 
e losdiitz locx de Bergers e de Conques V Iheytz lan, si lo senhor 
de Domet ob de hostes que agosse ac bole ni ac abe obs. E plus 
quel deben arcoelher (receive) en los locx cada dus cavags o a 
roeiis cada noeyt que lheytz faran lo senhor de Domet dan los 
se sivade e fee. | 

item si los senhors deusdiitz locx . . . bolen bener de las 
terres . . que si arthiencon au senhor de Domet bendes e per- 


38 Miss Lodge 


parances e cap8oos; e si lo senhor de Domet feyte la perparance 
no prene la terre onola bole etz a daute la benen cada jornade 
quin beneran de la terre qui an a Goes fosse obligade, e aqueg 
qui la crompare de pagar VIII diers morlaas de fius per nadau 
cada an au senhor de Domet. Item mes se arthiencon que si 
los senhors deusdiitz locx o auguns qui ausdiitz locx o en cada 
un stessen se logamen egs ni lor bestiar stan ens diitz locx ques 
deben logar au senhor de Domet eg dan tant cum antre e fasen 
los ac assaber la noeyt dabant. E si feyt a lor assaber la noeyt 
egs lo responen que nos bolen logar e puixs se logamen quel 
sien tengutz de dar XII diers morlaas de cada betz qui en aquen 
guise se logaren a dantz egs ni lor bestiar.” (Limit on pur- 
veyance of beasts.) 

(In return for this enfranchisement the senhor of Binhau paid 
440 sous, the others each 266 sous.) 

C. C. 1157. Terrier de la senéchaussée de Sauveterre, 
Commune de Lichos. 1677. | 

f? 45. «S’ensuivent les maisons questalles et terroirs en de- 
pendans assis au territoire de Lichos avec les droits et attributs 
qu'ils sont tenus d’en faire au Roy seigneur souverain: 

Et en premier lieu tous les dits questaux ont reconnu et 
confessé estre tenus et avoir accoutume bailler tous et chascuns 
leurs enfans masles, l’ainé excepté, audit seigneur souverain de 
Béarn, pour servir chacun pendant une année et faire garde au 
chateau d'Orthes sous le commandement du capitaine chatelain 
dudit chateau. 

Item ont reconnu et confessé être tenus de demander permis- 
sion au seigneur souverain lorsqu'ils veulent marier leurs filles 
avec des hommes francs et en maisons franches. Item ont 
reconnu . . .. de porter de la paille et du bois au chateau 
de Sauveterre quand le dit seigneur y faira sa residence et cela 
une fois l’année seulement, autant qu'ils en pourrant porter et 
comme il leur sera ordonné par ledit seigneur ou par ses 
commison messagers. Item que tous ensemble et conjointement 
ont accoutumé payer de queste au Bayle de Sauveterre quatre 
vingt huit sols deux deniers morlaas; et que ledit Bayle peut 
contraindre l’un d’eux a payer la dite somme sans préjudice a 


Serfdom in the Pyrenees. 89 


celluy qui aura payé de recouvrer des autres questaux leur 
eontingente part . . .. 

Et continent s’est présenté J. de Harispe habitant de ladite 
paroisse lequel stipulantque dessus a juré comme dessus dit et 
déclaré tenir et posseder de sa Majesté a titre d’emphiteoze dans 
ladite paroisse scavoir une maison questalle scize audit lieu avec 
son jardin en dependant . . . item une pièce de terre labourable 
etc. etc. pour raison de toutes lesquelles terres et sudite maison 
ledit déclarant paye à sa Majesté annuellement outre les droits 
reconnus en commun avec les autres questaux : — prime au fermier 
du moulin de Sauveterre chaque année demy rasier de froment 
à Notre Dame d’Aoust; plus au fermier des aubergades chaque 
année à la feste de Notre Dame d’Aoust cen sol et demy mor- 
laae . . .. 

Dans le lieu de Lichos . . . auroit comparu et se seroit presenté 
Maitre Jean de l’Abbat du lieu de Rivehaute, lequel moyenant 
serment par luy presté en nos mains sur les quatre Saints Evan- 
gilles de Dieu a dit declaré et a reconnu tenir et posseder dans 
ladite paroisse en emphitoeze fiefs annuel et perpetuel de sa 
Majesté Maitre Jean Henri de Fondeville advocat en parlement 
et substitut du procureur du roy en la commission dudit papier 
stipulant et acceptant pour sa dite Majesté scavoir une maison 
questalle appellée Haritsague . . . . Item a accoutumé de payer 
annuellement ou fermier des aubergades quatre sols et demy 
tournois payables a chaque fête de Notre Dame d’Aoust. 

Item ont accoutume de payer a chascune fête de Noël la somme 
de sept sols six deniers tournois de fiefs. 

Lesquels biens ils ont promis de bien entretenir en bon père 
de famille et ne les transporter en main morte ny autre de droit 
prohibée et ne les surcharger d’aucun nouveau fiefs cens n’y rente 
au prejudice de sadite Majesté . . . . 

Item les maitres de ladite maison de Haritsague ont droit de 
moudre lurs grains de toute condition au moulin appellé du 
Dommug .... appartenant aux sieurs de Phillipes et de Minville 
dudit lieu, et ce franchiment sans payer aucun droit de pugnere 
pour la mouleure des dito grains et ont la préférence de se faire 
moudre les grains des maitres de ladite maison de Haritsague 


40 Miss Lodge, Serfdom in the Pyrenees. 


à l’expedition de tous autres . . . . Et parle que de toute 
l'antiquité les maitres de ladite maison de Haritsague estoient 
tenus et obligés de payer au sieur Begu& de Mongaston annuelle- 
ment, deux mesures de avoine, et de deux en deux ans une 
pipe et demy de pommade sans eau . . .. 

Et incontinent s’est présenté J. de Larrory dit Behetz laboureur 
habitant de ladite paroisse lequel stipulant que dessus a juré 
comme dessus dit et déclaré tenir et posséder audit lieu de sa 
Majesté à titre d’emphiteoze dans ladite paroisse scavoir une 
maison questalle avec son jardin et verger en dependent (and 
many other pieces of land) .... pour raison de toutes lesquelles 
terres et susdite maison ledit déclarant paye annuellement à sa 
Majesté outre les droits reconnus en commun avec les autres 
questaux scavoir de queste cinq cousseroux de froment qui font 
deux mesures et demy payables à chaque fête de Notre Dame 
d’Aoust.» 


49 Henri Froidevaux 


le long du rivage occidental de l’île de Saint-Laurent, le canal 
de Mozambique. 

Qu'il en ait été de même des marins du Corbin et du Croissant, 
les deux navires envoyés à Sumatra en 1602 par la Compagnie 
marchande LE LAVAL, DE SAINT-MALO et DE VITRÉ, il serait 
inexact de le dire. Durant leur relâche de trois mois dans la 
baie de Saint-Augustin, en effet, les équipages des bâtiments 
placés sous le commandement du sire Frotet de la Bardelière 
n’ont cessé de pratiquer cette forme de commerce qu’est le troc, 
échangeant contre des couteaux, des verroteries et des objets d’une 
valeur insignifiante les têtes de bétail dont ils avaient besoin pour 
leur nourriture et pour l’approvisionnement des deux vaisseaux !). 
De même encore ont agi, une quinzaine d'années plus. tard, les 
compagnons du «general» Augustin de Beaulieu, le commandant 
de la «flotte de Montmorency», qui, beaucoup moins longtemps 
que le Croissant et le Corbin, s'arrêtèrent à la baie de Saint- 
Augustin avant d'entreprendre de gagner Bantam en traversant 
l'Océan Indien?). Les relations de FRANÇOIS PYRARD DE LAVAL 
et de FRANÇOIS MARTIN DE VITRÉ, puis celle d’AUGUSTIN DE 
BEAULIEU sont très explicites et fournissent la preuve que, dans 
les deux cas, le ravitaillement des navires a été le seul souci 


1) «Durant nostre séjour en ce lieu, dit FRANÇO1S MARTIN DE VITRÉ, nous 
eusmes grande quantité de Beufs, Moutons, volailles et autres rafraichise- 
ments, le tout en trocque de peu de chosses, comme seroit des cuillers de 
cuivre, jettons et autres chosse de peu de valleur» (Description du premier 
voyage faict aux Indes Orientales . . ., p. 22; cf. p. 21 et 80). — «Pour 
un getton, ou pour une cuillier d’estain et autres choses de peu de valeur, 
rapporte de son côté FRANÇOIS PYRARD DE LAVAI, nous avions un bœuf ou 
un mouton» (Discours du Voyage des François aux Indes Orientales .. .; 
Paris, 1611, p. 22). 

2) La baie de Saint-Augustin «abonde en très grande quantité de bestail, 
spécialement de bœufs et moutons; beaucoup de poulles que nous avions pour 
chose de peu d'importance: en sorte que pour la valeur d’un sou nous recou- 
vrions deux ou trois moutons qui sont très grands, et un bœuf pour la valeur 
de dix souls» (Fragment d'AUGUSTIN DE BEAULIEU, cité dans un mémoire qu'on 
doit dater de 1681—1632. Bibl. Nat., mss. Fr. 4826, fol. 40). Cf. les détails fournis 
par le même auteur dans zes Mémoires du voyage aux Indes Orientales, 
p. 15—19 (THÉVENOT, Recueil de divers voyages curieux, t. 1, seconde partie, 
p. 1—128). 


Le commerce français à Madagascar au XVII siècle. 


Par 


Henri Froidevaux, Docteur-ès-lettres (Versailles). 


Quelque désir que puissent éprouver, aujourd'hui encore, certains 
historiens de faire remonter jusqu’au moyen-äge les plus lointaines 
origines de la colonisation française, il leur est impossible de 
dire que les marins et les négociants normands ont, avant le 
XVII: siècle, noué de véritables relations commerciales avec Ma: 
dagascar. Sans doute, dans le second quart du XVIe siècle, 
des navigateurs normands ou angoumois ont touché sur certains 
points du littoral de la grande île; mais ni le bâtiment dieppois 
dont, dès l’année 1527, la présence est signalée par le continua- 
teur de Barros sur les côtes de Madagascar), ni le navire sur 
lequel se serait trouvé Jean Alphonse aux environs de 1540?) ne 
semblent y avoir fait le moindre trafic. Quant aux équipages du 
Sacre et de la Pensée, ils n’engagerent — le Discours de la Navi- 
gation de Jean et Raoul Parmentier en fournit la preuve”), — 
aucune relation commerciale avec les indigènes qu’ils rencontrèrent, 
alors que, pour se rendre de Dieppe à Ticou, ils remontaient, 


1) Joao DE BARKOS, Quarta Decada da Asia, 1. DI, ch. 2, et 1. IV, ch. 6 
(éd. de Madrid, 1615, p. 136 et 296). 

2) Si toutefois, — comme d’ailleurs nous inclinons fortement à le penser, 
— le «gran capitano di mare Francese- de Ramusio est bien Jean-Alphonse. 
— Que, d’autre part, Jean-Alphonse ait été à Madagascar, la chose est à 
tout le moins vraisemblable, bien qu'il soit impossible de le démontrer soit 
en s'appuyant sur le titre même du document publié par RAMUSIO (Navi- 
gationi et Viaggi, t. III [6d. de Venise, 1565], fol. 423 r°), soit en se servant 
du texte de la Cosmographie universelle et de celui des Voyages adventureux. 

3) Discours de la Navigation de Jean et Raoul Parmentier, de Dieppe, 
éd. SCHKFER (Paris, Leroux, 1883, in-8), p. 31—41. 





Le commerce français à Madagascar au XVII: siècle. 45 


vaisseau dieppois de Digart en 1639 ou 1640 :); là ont certainement 
abordé le bâtiment dieppois le Saint-Alexis, commandé par Alonse 
Goubert, le 20 juillet 1638?) et le navire (dieppois encore) de Coquet 
en septembre 1642 *). | 
De ces différents bâtiments, comme de ceux qui les ont sans 
aucun doute précédés dans les mêmes parages, les équipages 
sont naturellement entrés en relations avec les indigènes ; la preuve 
en est dans le fait que, vers 1637, Gilles de Régimon, lors de sa 
relâche sur les côtes de l’Anosy, recueillit à son bord un Francais 
que la tempête avait jeté depuis plusieurs années sur cette partie 
du littoral de Madagascar‘) Mais la plupart ne l'ont fait, au 
début, qu’en passant, avant de commencer ou après avoir terminé 
une campagne dans les eaux de l'Arabie ou de la Perse. De la 
même manière comptait agir, en l’année 1638, le capitaine Alonse 
Goubert lorsque, après avoir touché aux Mascareignes, il vint 
aborder à Sainte-Luce®); mais des circonstances indépendantes 
de sa volonté, en prolongeant son séjour sur les côtes de l’Anosy, 
en ont fait le premier connu des négociants français qui ont noué 
des relations suivies avec les indigènes d’une partie de Madagascar. 


I. 
Ce n’est nullement dans le dessein de faire du commerce 
que le capitaine Goubert quitta le port de Dieppe, le 15 janvier 
1638; il se proposait, — après avoir déposé ses marchandises°) 


1) Relation du voyage que François Cauche a fait à Madagascar... ., 
dans les Relations véritables et curieuses de lisle de Dladagascar et du Brésil, 
p. 24 — Cauche ne parle que de l’arrivée de ce bâtiment, la Marguerite, 
à Sainte-Claire; mais cet endroit est très peu éloigné de la baie de Sainte- 
Luce, et on peut penser que Digart ne s’est transporté en ce point qu'après 
avoir appris, à Sainte-Luce même, le transfert de l'habitation des compagnons 
de Goubert à Sainte-Claire. 

2) Relation du voyage que François Cauche a fait à Madagascar ..., p. 9. 

3) FLACOURT, Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1658, 
p. 194. 

4) Iv., tbid., p. 36. 

5) Relation du voyage que François Cauche a fait à Madagascar ..., 
p. 18. 

6) Il n’est pas sans intérêt de se rendre compte oxactement de ce qu 
étaient ces marchandises; Cauche l’explique expressément. «Nostre marchandise, 
écrit-il (ouv. cite, p. 2—3), estoit en coral fin et faux, patenostres de verre, 


46 Henri Froidevaux 


et des approvisionnements de tout genre dans le fortin qu’il aurait 
débuté par construire à l’île Maurice, — de faire la course dans 
la partie occidentale de l'Océan Indien’); de 1à le nombre consi- 
dérable de canons, — vingt-deux, — que portait son bâtiment, 
le Saint-Alexis, une flûte montée par un équipage de 97 hommes. 
Ayant constaté, lors de son arrivée à Maurice, que des Hollandais 
avaient commencé de fonder un établissement dans cette île qu'il 
croyait déserte, Alonse Goubert modifia immédiatement son plan 
primitif, et, pour ne pas être gêné dans ses expéditions aventurenses 
par le voisinage de ces colons, résolut de faire d’un point de la 
côte orientale de Madagascar le centre de ses opérations. Les 
avantages nautiques de Manafiafy lui étaient sans doute connus, 
à tout le moins de réputation; il savait d'autre part qu’on avait 
trouvé en certaine abondance dans le pays d’Anosy un métal 
blanc très brillant . . . . Ce métal n'était-il pas de l'argent? et, 
en cas d’affirmative, ne proviendrait-il pas d’une mine située à 
l'intérieur de la contrée? . . . .*) Sans perdre de temps, Alonse 
Goubert gagna le port de Sainte-Luce où, dès son arrivée, il 
recevait du souverain de l’Anosy, Andrian-dRamaka, l'accueil le 
plus hospitalier. Non content en effet de lui faire immédiatement 
remettre tout ce qui pouvait être nécessaire au ravitaillement du 
Saint-Alexis®), le chef malgache autorisa les Français à s'établir 
‚chaisnes, bracelets, pendans d'oreilles, ceintures de toutes coulenrs de terre, 
d’esmail, de cristal, de bois, jaiet, cuivre doré et argenté, vrais grenats, perles 
de Venise, agates, cornalines, couteaux, miroüers, ciseaux, estuis, eselots, 
chapeaux, bonets, sonnettes, clochetes, et autre sorte de quincaillerie, pour 
trafiquer avec ceux ès ports desquels nous entrerions». 

1) Cauche le reconnait expressément quand il dit que le dessein d’Alonse 
Goubert était de «surprendre et combatre les vaisseaux Espagols (sic) que 
nous trouverions en mer, et non seulement ceux là, mais encore les vaisseaux 
des Mahométans et Gentils qui trafiquoient ès seins Persique et Arabique, 
conduits par les Portugais» (Relation du voyaye . . ., p. 3) 

2) «Il se trouve une autre espèce de metal que les habitans de cette contrée 
appellent Foulafoutchine; c'est ce que Libavius nomme stannum calaem, et 
les Allemans Zainch. Ce Voulafoutchine obligea le capitaine Goubert de venir 
exprès en ce païs, croyant que ce fut de l'argent et qu’il y en eust une mine» 
(FLACOURT, Histoire de la grande Isle Madagascar, 6d. de 1658, p. 147). 

8) «Il nous fit delivrer vingt bœufs qui portoient sur le col une grosse 
masse de graisse, fort bonne et delicate à manger; quatre chevres au poil 


Le commerce français à Madagascar au XVII siècle. 47 


à Sainte-Luce, <pourveu qu'ils ne feissent aucun bruit en ses 
Etats», et leur promit qu’eil les assisteroit de tout ce qu'il 
auroit»!). Peu de temps après, le capitaine français allait rendre 
à Andrian-dRamaka, dans son village fortifié de Fanjahira, situé 
à dix-huit lieues de Sainte-Luce, la visite qu'il avait précé- 
demment reçue de lui, et lui faisait à son tour, à lui et à son 
gendre, des présents en remercîment desquels lui étaient offerts 72 
bœufs ?). 

Cet échange de politesses et de cadeaux marque le début 
d'une série de relations amicales et commerciales qui se pour- 
suivirent pendant plusieurs années consécutives. Alonse Goubert 
aurait vivement souhaité, aussitôt l'habitation de Sainte-Luce achevée, 
reprendre la mer et aller enfin chercher dans des parages plus 
septentrionaux quelques riches prises, c’est à dire «les vaisseaux 
des Mahométans et Gentils qui trafiquoient ès seins Persique et 
Arabique, conduits par les Portugois»®); il avait compté sans les 
fitvres, — qui ne tardèrent pas à réduire à 50 le nombre de ses com- 
pagnons, et le forcèrent bientôt à émigrer à Sainte-Claire, — et 
sans les vers, — qui s'étaient attaqués à la coque du Saint-Aleris 
et, en quelques mois, la mirent absolument hors d'état de tenir 
la mer‘). Renoncant dès lors à ses desseins, Goubert ne chercha 
plus qu’à tirer de la situation dans laquelle il se trouvait le 
meilleur parti possible et à réunir dans les magasins de son habi- 
tation de Sainte-Claire une grande quantité de marchandises; c’est 
pourquoi lui et ses compagnons, au lieu d'aller, comme précé- 
demment, «par l’isle trocquer de la marchandise contre des poulets, 
cabrils, oranges et citrons, pour soulager les malades>»°), se mirent 


ras, de diverses couleurs, rondes et replettes; quatre moutons à la longue 
queuë, et plate, telle pesant jusques à seise livres; douze chapons comme 
les nostres; et du ris, tant que huit nègres en pouvoient porter» (Relation 
du voyage que François Cauche a fait à Madagascar . . ., p. 12—18). 

1) Ibid., p. 12. 

2) Ibid., p. 17. 

8) Ibid., p. 3; cf. p. 18: «Il y eust dissention entre le Capitaine et le 
Maistre de nostre navire, qui maintenoit . . ., et le Capitaine au contraire 
qu'il falloit passer outre et chercher quelque bonne prise». 

4) Ibid., p. 18—20. 

5) Ibid., p. 18. 


48 Henri Froidevaux 


à échanger leur cargaison contre des bestiaux?), dont ils mangeaient 
la chair et gardaient soigneusement le cuir, ou contre de la cire 
et d'autres produits du pays. Si leurs opérations commerciales 
ne dépassérent pas les frontières de l’Anosy, la faute n’en est pas 
à eux, mais aux indigènes avec lesquels ils tentèrent de nouer 
des relations; ces derniers ne répondirent à leurs avances, — dans 
l’Ambolo, en particulier — qu’en s’efforgant de les piller et de 
les tuer ?). 

Bien que leur champ d'opérations commerciales ne fût pas 
très étendu, Alonse Goubert et ses compagnons, grâce aux 
excellents termes dans lesquels ils vivaient avec les Antanosy, 
ne tardèrent pas à réunir dans leurs magasins des marchandises 
en quantité considérable, surtout des cuirs, de la cire et 
des gommes*). La barque à la construction de laquelle ils 
travaillaient depuis longtemps étant enfin achevée, une partie 
des marins du Saint-Alexis s’y embarqua, sous le commandement 
du maître d'équipage Jacques Soulas, après y avoir chargé 
«600 cuirs de bœufs, quantité de cire et gommes du pais, et... 
une grande partie de la marchandise que nous avions amenée 
de France‘); un peu plus tard le capitaine Goubert et 
plusieurs autres de ses compagnons prirent passage, avec des 
marchandises également, sur le vaisseau dieppois la Marguerite, 
qui regagnait son port d'attache en revenant de la mer 





1) C'est ce qui ressort du passage dans lequel Cauche raconte son ex- 
pédition dans la vallée d’Ambolo: «nostre dessein, dit-il, estoit de changer 
partie de nostre marchandise contre du bestail» (Relation du voyage ..., 
p. 21). 

2) Relation du voyage que François Cauche a fait à Madagascar ... 
p. 21. 

8) Cela rèsulte avec évidence de ce que dit Cauche au sujet du charge- 
ment de la barque construite avec les débris du Sasnt- Alexis. 

4) Relation du voyage que François Cauche a fait à Madagascar ..., 
p. 28. -- Aucune mention n'est faite en cet endroit de l’ébène dont le capi- 
taine Cocquet ira un peu plus tard faire un chargement à Matitanana (FLACOURT, 
Histoire de la grande Isle Madagascar, &d. de 1658, p. 194 et 196); Cauche 
sa borne à raconter que «nostre ditte barque . . . fut lestée de bois d’ébène: 
(Relation du voyage . . ., p. 38), ce qu'il faut sans doute attribuer à la vo- 
lonté de Jacques Soulas, qui, un peu plus tôt déjà, avait engagé le capitaine 
Goubert à charger le Saint-Aleris de bois d’ebene (Idid., p. 18). 


Le commerce français à Madagascar au XVII: siècle. 49 


Rouge'). Telle était toutefois la bonne intelligence existant 
entre les sujets d’Andrian-dRamaka et les marins normands que 
sept de ces derniers refusèrent de regagner encore la France, et, 
de leur plein gré, demeurèrent dans l’Anosy à faire du commerce. 

En quelques mots, FLACOURT a résumé l’histoire de ces Ro- 
binsons ; ils «se mirent, dit-il?), à traitter de la cire, des cuirs, et 
autres choses dans le pays pour leur compte». Dans des mémoires 
rédigés d’après les récits de l’un des sept, François Cauche, le 
sieur Morisot a écrit un commentaire très intéressant, — parfois 
rectificatif, — de ce court passage de FLACOURT, et raconté ce que 
devinrent, une fois abandonnés à eux-mêmes, les marins normands. 
Après avoir quitté Sainte-Luce, ils s’etablirent dans l’intérieur du 
pays, et y fondèrent, avec l'autorisation des chefs Antanosy, deux 
comptoirs, l’un à Manhale et l’autre à Fanjahira, trafiquant 
(comme l’a dit FLACOURT) avec les indigènes de l’Anosy, mais 
pour le compte de la compagnie rouenno-parisienne qui avait 
naguère envoyé le Saint-Alexis à Madagascar’), — entreprenant, 
comme de véritables marchands ambulants, dans différentes parties 
de la grande île de longs et périlleux voyages au cours de l’un 
desquels Cauche s’avança jusqu'à la baie de Saint-Augustin, 
où il troqua une quinzaine de têtes de gros bétail), — renouve- 
lant leur stock de marchandises du mieux qu'il leur était 
possible, lorsqu'un navire venait mouiller sur le littoral de 


1) Relation du voyage que François Cauche a fait à Madagascar ..., 
p. 24: «Il fut . . . résolu qu'ils se chargeroient d’une bonne partie des mar- 
chandises qui estoient en nostre magazin pour les porter en France . . ., à 
condition que ceux du vaisseau de la Marguerite, commandé par ledit Digart, 
partageroient esgallement avec ceux de nostre-ditte compagnie, lors qu'ils se- 
roient arrivez en France». | 

2) Histoire de la grande Isle Madagascar, ed. de 1658, p. 195. 

3) D est impossible d'interpréter autrement cette phrase de Cauche: 
«Il [Goubert] avoit laissé à ma charge et à celle de Sébastien Drouard le reste 
des marchandises qui estoient au magazin, à condition d’en tenir conte à 
la Compagnie, et remettre icelles ès mains de ceux qu’elle m’envoyeroi dans 
deux ans» (Relation du voyage . . ., p. 25). 

4) Ibid., p. 46. — I convient toutefois de noter qu’à plusieurs reprises, 
M ALFRED GRANDIDIER a énoncé des doutes très fortement motivés sur la 
réalité des voyages de F. Cauche à l’intérieur de Madagascar. Cf. Collection 
des Ouvrages anciens, t. II, p. 440. 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 4 


50 Henri Froidevaux 


l’Anosy'). Ils reussissaient admirableinent, au total, lorsqu'au mois 
de septembre 1642 debarqua à Sainte-Luce le commis de la 
Compagnie des Indes Orientales, Jacques Prony ou l’ronis. 


IL. 


Tandis qu’Alonse Goubert, François Cauche et leurs compag- 
nons demeuraient enfermés dans le sud de Madagascar, un autre 
Dieppois, le capitaine de la marine royale Rigault, qui (à en croire 
un document officiel) possédait de «grandes expériences au faict 
de la navigation»*) et avait fait «plusieurs entreprises sur mer pour 
descouvrir les terres estrangères»*), commençait à porter son 
attention sur ces parages de l'Océan Indien. Avait il eu connais- 
sance, à la cour, du «dessein touchant les Indes Orientales» proposé 
naguère au maréchal d’Effiat par AUGUSTIN DE BEAULIEU, et des 
motifs pour lesquels un des conseillers du cardinal de Richelieu, 
Isaac de Razilly suivant toute vraisemblance, avait préconisé en 1631 
ou 1632 la fondation d’un établissement français à Madagascar *)? 
ou bien est-ce sur les quais de Dieppe, par des conversations 
avec quelques marins revenus de la partie occidentale de l’Océan 
Indien, par la nouvelle du départ du Saint-Alexis et la connais- 
sance des desseins de Goubert, que le capitaine Rigault fut amenc 


1) Rien de plus explicite A cet égard que le passage du commandement 
signifié à Cauche par Prony le 8 avril 1643 dans lequel le commis de la 
Compagnie rappelle avoir défendu «aux Francois restez ici de traiter avec 
ledit Cocquet et ses hommes d’aucuns cuirs, cire ni bestail, comme aurotent 
cy devant fait François Cauche et Sebastien Droüart, se rafraichissans de 
marchandises qu’ils auroient pris et trocqué dudit Cocquet et de ses gens, 
qu’ils estimoient propres pour le pays» (cet acte est inséré dans l'«avis au 
lecteur» placé en tête de la Relation du voyage que François Cauche a fait 
à Madagascar). 

2) Nous ne connaissons pas la biographie de RiGAULT:; nous savons 
seulement qu'il était déjà capitaine de vaisseau à la fin de 1682, époque à 
laquelle Richelieu l’envoya en mission à Alger (Paul Masson, Histoire des 
Etablissements et du Commerce français dans l'Afrique Barbaresque, p. 46). 

8) Expressions employées par Richelieu quand il concéda au capitaine 
Rigault le privilège exclusif du commerce à Madagascar (Documents inédits 
relatifs à la constitution de la Compagnie des Indes Orientales de 1642. 
Bull. Comité de Madagascar, octobre 1898, p. 485). 

4) Bib. Nat., mss. Fr. 4826, fol. 39 —40. 


Le commerce francais à Madagascar au XVII® siècle. 51 


a former le projet d’entreprendre l’exploitation commerciale de 
l'île de Saint-Laurent? Toutes ces hypothèses sont également 
vraisemblables, et il est certain que le marin dieppois se mit, 
à partir de l’année 1639, à faire «pour descouvrir les terres 
estrangeres, et entre autres les isles de Madagascard, autrement 
de Saint-Laurens, et autres adjacentes, et costes de Mozambicq, 
-.. . de grandes despences>'). 

La récompense de tant d'efforts, ce fut de «trouver les moyens 
de faire auxdits païs des habitations de François, et de traicter 
et negotier avec les gens du pais des marchandises qui s'en 
peuvent tirer contre d'autres marchandises et manufactures de ce 
Royaume>»?), puis d'obtenir de Richelieu et de Louis XIII, pour 
dix années, le privilège exclusif du commerce avec «lesdites isles 
de Madagascard, autres isles et costes adjacentes»*), enfin de 
constituer, pour l'exploitation de ce privilège, une société qui prit 
le nom de Compagnie française des Indes Orientales“). Toutefois, 
pour user des droits que lui conférait l’acte du 29 janvier 1642, 
Rigault n’attendit pas que les statuts de la société en formation 
fussent définitivement signés ; quelques semaines après l'expédition 
des lettres patentes confirmant son privilège, il faisait partir à Mada- 
gascar, sous la direction de Prony, «quelques hommes et marchan- 
dises . . . pour commencer à prendre possession desdits pais au 
désir de ladite concession, et y habituer et travailler à la traite»). 

Comme les marins du Saint-Aleris l'avaient fait avant eux. 
c'est à Sainte-Luce que les agents de Rigault débutèrent par 
s'établir). Avec l’assentiment d’Andrian-dRamaka, ils y construi- 








1) Documents inedits . . . Loc. cit., p. 486. 

2) Documents inédits . . . Loc. cit., p. 486. 

3) Ip., 1bid. 

4) On trouvera les statuts de cette Compagnie dans les Documents 
médits relatifs a la Constitution de la Compagnie des Indes Orientales de 
1642 (Bull. Comité de Madagascar, octobre 1898, p. 490—497). 

5) Expressions empruntées à l’article 4 des statuts du 30 avril 1642 
(iv, idid., p. 493). 

6) «Les sieurs Pronis et Foucquembourg s’establirent au Port de Sainte 
Luce, nommé Manghafla [Manafiafy]» (FLACOURT, Histoire de la grande Isle 
Madagascar, éd. de 1668, p. 194). Cf. la Relation du voyage que François 
Cauche a fait à Madagascar .. ., p. 88 et suiv. 


52 Henri Froidevaux 


sirent, en attendant l’arrivée de nouveaux immigrants, une habi- 
tation à laquelle ils donnèrent le nom d’chabitation Saint-Pierre». 
En même temps, Prony, — au devant duquel s'était porté 
François Cauche lorsque le commis du capitaine Rigault, dès les 
premiers jours qui suivirent son arrivée, se rendit à Fanjahira, — 
communiquait aux anciens compagnons d’Alonse Goubert le texte 
des différents actes leur interdisant formellement de faire désormais 
du commerce à Madagascar sans l’assentiment du bénéficiaire du 
privilège royal, et insistait auprès d’eux pour qu'ils le suivissent 
à Sainte-Luce. «Nous demeurasmes d’accord, raconte Cauche!), 
qu’il me laisseroit six mois de temps pour débiter ma marchandise, 
au bout desquels je ne pourrois plus traitter que pour ma nour- 
riture et mes habits». 

A cette transaction, Prony trouvait sans doute plusieurs avan- 
tages: il faisait immédiatement reconnaître par ses compatriotes 
établis dans l’Anosy le privilège qu’il était chargé de faire respecter; 
il se donnait l'apparence de la générosité en les laissant continuer 
leurs opérations commerciales, alors qu'il ne pouvait guère lui- 
même en entreprendre encore; enfin il gagnait le temps nécessaire 
pour recevoir de France les renforts qui lui étaient promis, et 
imposer ensuite par la force, s’il le fallait, l’observance du privilège 
royal?). Mais il comptait sans les retards inévitables d'une entre- 
prise à ses débuts, sans le climat, sans la mauvaise volonté de 
ceux-là même qui l’avaient amené dans la grande île. Le Saint- 
Laurent, en effet, le premier navire équipé par la Compagnie 
des Indes Orientales à destination de Madagascar, n’arriva dans 
la baie de Sainte-Luce que longtemps après le moment où il y 
était attendu, le 1° mai 1643 *); dans les premiers mois de son 


1) Relation du voyage que François Cauche a fait à Madagascar ..., p. 89. 

2) Les termes de l'acte du 29 janvier étaient très nets; Rigault et ses 
faturs associés recevaient le privilège du commerce pour dix années, «sans 
qu’aucuns autres que ledit Rigault et ses associez puissent faire habitations, 
traictes, trafficq et commerce, ny en tirer aucunes marchandises pendant ledit 
temps pour apporter en ce royaume par quelque personne et nation que ce 
soit, sy ce n’est de leur consentement et par escript, à peine de confiscation 
des vaisseaux et marchandises au proffict dudit Rigault et [de] ses associez 
(Documents inédits . . . Loc. cit., p. 486 —487). 

3) Le texte de FLACOUKRT est très précis à ce sujet: «Le premier jour 


Le commerce français à Madagascar au XVII: siècle. 53 


séjour à la côte, Prony perdit, par suite de l’insalubrité du climat, 
plus de la moitié de ses compagnons (26 sur 40), et tous les 
autres furent très éprouvés par les maladies’); enfin les marins 
du Saint-Louis, — tel était le nom du bâtiment dieppois sur 
lequel Rigault avait embarqué ses agents, — ne se firent pas 
faute, tout en chargeant de l’ébène dans le pays d’Anosy et à 
Matitanana, de trafiquer, à l’encontre des défenses royales, et avec 
les indigènes, et avec les Normands établis à Fanjahira et à 
Manhale*). Se montrèrent-ils plus habiles, plus accommodants, plus 
larges dans leurs transactions que les envoyés de Rigault? des- 
servirent-ils ces derniers auprès des Antanosy? Toujours est-il 
que le vide ne tarda pas à se faire autour du comptoir établi à 
Sainte-Luce, et Prony dut bientôt reconnaître que <les habitants 
de ce lieu ne nous apportoient aucune commodité, tant pour vivre 
que pour traitter dans nostre habitation comme ils avoient ac- 
oonstume, estans divertis par les hommes du sieur Cocquet et 
quelques autres restez du voyage du capitaine Goubert>®). La 
ätuation était difficile; à force d'activité et d'énergie, le commis 
du capitaine Rigault parvint à la modifier légèrement en con- 
traignant François Cauche et ses compagnons à exécuter l’engage- 
de May [1643] arriva le Navire Sainct Laurent» (Histoire de la grande Isle 
Madagascar, &d. de 1658, p. 195). Cf. la Relation du voyage que François 
Cauche a fait à Madagascar . . ., p. 90, qui est aussi précise sur la date 
de l’arrivée de ce bâtiment, mais commet une erreur d’un an (1642 au lieu 
de 1643). 

1) «Proni retourna vers les siens qu'il trouva en piteux estat, la maladie 
ea ayant emporté douze en moins de douze jours, et le reste au désespoir . . . 
Des quarante qui estoient arrivez pour habiter avec le dit Proni, il n’en de- 
meura que quatorze au bout de deux mois» (Ibid., p. 89). Cf. ce que dit 
Prony lui-même dans son commandement à Cauche du 8 avril 1648: «... Se 
servans des afflictions qu'il auroit pleu à Dieu nous envoyer, nous detenans 
us malades» (Ibid., au lecteur). 

2) Le 8 avril 1643, Prony fait défense «à tous François, tant ceux qui 
seroient venus avec ledit Cocquet que ceux qui seroient restez de Goubert, 
de traitter aucune chose qui se trouve en cette Isle avec les habitans, que 
comme aux François restez icy de traiter avec ledit Cocquet et ses hommes 
d'aucuns cuirs, cire ne bestail» (Relation du voyage que François Cauche 
« fait à Madagascar, au lecteur). 

3) Relation du voyage que François Cauche a fait à Madagascar (au 
lecteur). 


54 Henri Froidevaux 


ment qu'ils avaient naguere pris envers lui, et à quitter leurs 
comptoirs de l'intérieur pour habiter à Saint-Pierre !); mais contre 
les marins du Saint-Louis, que de graves avaries survenues vers 
le même temps?) à leur bâtiment près de Matitanana avaient 
contraints de renoncer à regagner la France, et qui, établis vers 
l’extrêmité méridionale de la côte de l’Anosy, à l’Anse des Galions, 
excitaicnt les indigènes contre les habitants de Sainte-Luce et 
allaient jusqu’à leur vendre de la poudre et des balles?), Prony 
ne pouvait rien. Aussi les magasins de l'habitation Saint-Pierre 
étaient-ils à peu près vides quand parut enfin le navire annoncé 
depuis si longtemps, le Saint-Laurent. 

À en croire FLACOURT, ce bâtiment, armé par la Compagnie 
des Indes Orientales aussitôt après sa constitution définitive, 
apportait à Madagascar tout ce qui était nécessaire <afin de s’y 
fortifier et faire une bonne habitation»‘), et avait été soigneuse- 
ment pourvu de «toutes sortes d'outils pour bastir et pour cultiver 
la terre»°). Il devait débarquer son chargement, puis repartir 
sans perdre de temps après avoir embarqué à son bord les marchan- 
dises que l’on comptait avoir été accumulées par Prony dans les 
magasins de Saint-Pierre‘). Mais grande fut la déception de 

1) Cf. l'avertissement de la Kelation du voyage . . ., intitulé «au Jecteur», 
et la p. 104. 

2) C’est ce qui ressort avec évidence du texte de Cauche, 3. cit., p. 90. 

8) «Au lieu d'amener le navire au Fort-Dauphin en l’ance de Tholan- 
gharen [Itholangare], ils aymèrent mieux le mener eschouer à Ranoufoutchi 
ou Ance aux Galions, où ils vendirent la poudre, le plomb, et la pluspart de ce 
qu’ils peurent detourner aux grands d’Anossi . . . Ainsi ces voleurs de mate- 
lots, à l’appetit du peu de chose qu'ils en retirèrent, livrèrent beaucoup de 
poudre, munition et ferremena aux Grands» (FLACOURT, Histoire de la grande 
Isle Madagascar, &d. de 1658, p. 196. Cf. id., ibid., p. 278). | 

4) Cause pour laquelle les Interesses de la Compagnie n'ont pas fait 
de grands profits à Madagascar (à la suite de l'édition de 1658), p. 8. 

5) Relation du voyage que François Cauche a fait à Madagascar ..., 

. 91. 
? 6) «Arriva en ce temps . . . un autre vaisseau François appartenant à 
nöstre compagnie, ayant commandement de se charger de ce qu’il trouveroit 
avoir esté achepte, ou pris par eschange par ceux qu’on avoit envoyé aupars- 
vant dans le vaisseau S. Louis, et de tout ce qui seroit de marchandise en 
l'habitation nouvelle de Sainet Pierre, acquis par ceux qu’on avoit envoyé 
pour habiter en icelle . . .» (Idid., p. 90—91). 


Le commerce français à Madagascar au XVLI® siècle. 85 


Gilles de Regimon, le capitaine du Saint-Laurent, en visitant ces 
magasins: ils ne contenaient «que les euirs des bœufs qui avoient 
este mangez par les François» ')! L’enquöte à laquelle, pour avoir 
l'explication d’une telle pénurie, se livra Régimon lui montra 
quelles grandes illusions se faisaient à Paris ceux que FLACOURT 
appellera un peu plus tard <les Seigneurs de la Compagnie». 
«On s’estoit attendu à une grande traitte de cuirs et de cires; 
le sieur Pronis trouva que les habitans mangeoient les cuirs des 
bestes qu'ils tuoient, et la cire avec le miel, . . . les Nègres se 
mocquans d’eux [des Français] lorsqu'ils escorchoient les bœufs 
en disans qu'ils perdoient de bons morceaux en escorchans les 
bestes>*). Pour compléter sa cargaison, Regimon, en presence 
de l’hostilité manifestée par les Antanosy qu’excitaient les mate- 
lots du Saint-Louis, dut envoyer Cauche dans l’intérieur des 
terres, aux Tapates, pour faire la traite des bestiaux, et son 
propre fils a Matitanana, «pour y faire habitation» et pour se 
procurer ensuite de l’ébène*) chez les Antavares et chez les Ambo- 
hitsmenes. Quelque bien compris que fût ce programme, il ne 
fat que très imparfaitement rempli, et huit mois entiers s’écoulèrent 
avant que le Saiut-Laurent püt quitter l’anse de Taolankarana 
avec une cargaison que les fondateurs de la Compagnie des Indes 
Orientales estimèrent peu considérable; de l’ébène, un certain 
nombre de peaux, un peu de cire, voilà ce dont elle se composait“). 
Pas plus à Taolankarana, — à Fort-Dauphin, — qu’à l’ha- 
bitation Saint-Pierre, les agents du capitaine Rigault et de ses 
associés ne parvinrent, durant les années subséquentes, à faire 
un commerce un peu actif, rien ne le prouve mieux que la très 
réelle difficulté éprouvée par les navires de la Compagnie des 
Indes Orientales à repartir avec une véritable cargaison. Au Royal, 
il fallut dix-sept mois pour «faire sa charge . . . d’hébène, de 
| 1) FLACOURT, Cause pour laquelle les Interessez de la Compagnie... p. 8. 
2) Ibid., p. 3—4. 
3) Relation du voyage que François Cauche a fait à Madagascar, 
p. 91—92 et 100—101; of. aussi p. 104— 106. 
4) «1 [Regimon] fut blasmé par les interessez de n'avoir pas apporté 
assez de marchandises, quoy que son navire fut chargé d’hébène, et d’un peu 


de cuir et de cire» (Cause pour laquelle . . ., p. 4). — Cf. Histoire de la 
grande Isle Madagascar, éd. de 1658, p. 197. 


56 Henri Froidevaux 


cuirs et de cire>'), et si le Saint-Laurent, lors de son deuxième 
voyage, mit un temps beaucoup moins long à réunir les marchan- 
dises nécessaires, il dut toutefois se rendre aux Antavares pour 
y recueillir les billes d’ebene dont il avait besoin”) L’hostilite 
plus ou moins apparente d’une partie des indigènes à l'égard des 
Français contribuait certainement à un tel état de choses‘); sans 
doute aussi l’Anosy avait été dévasté en 1646 par un ouragan 
qui détruisit les récoltes, causa la mort de nombreuses têtes de 
bétail et obligea les habitants privés de riz à manger la plus 
grande partie du bétail qui leur était resté“); mais plus grave 
encore était probablement l’insouciance dont faisait preuve Prony, 
et dont FLACOURT donne une idée quand il écrit: «Le ris, que 
la barque apportoit du païs de Manghabé estoit bien-tost dissipé 
par son mauvais soin et de ceux à qui il donnoit charge du 
Magazin, qui en disposoient aussi de leur costé. Ainsi, faute 
d'un bon ordre, les François estoient le plus souvent, tantost 
sans ris et ne mangeoient que de la viande, tantost sans viande 
et ne mangeoient que du ris>°). 

Le gaspillage, voilà ce qui, durant le premier gouvernement 
de Prony, a surtout nui au succès des opérations commerciales 
de la Compagnie des Indes Orientales, bien qu’elles aient été 
le plus souvent très bien conçues et intelligemment menées. Il 
ressort en effet du texte de FLACOURT que le chef de la petite 





1) FLACOURT, Histoire de la arande Isle Madagascar, éd. de 1658, 
p. 200. 

2) Ip., ibid., p. 207. — (Comme à son voyage antérieur, le Sarnt-Laurent 
partit «chargé d’hébène, cire et cuirs» (Ibid.. p. 207). 

8) Sur cette hostilité, voir FLACOURT, Histoire de la grande Isle Madu- 
gascar, éd. de 1658, p. 195—196. Cf. Cause pour laquelle les Interesses de la 
Compagnie . . ., p. 3 et 4, et Relation du voyage que François Cauche a 
fait à Madagascar . . ., au lecteur: : Veu par nous et recognu que les habi- 
tans de ce lieu ne nous apportoient aucune commodité, tant pour vivre que 
pour traitter dans nostre habitation . . ., estaus divertis par les hommes du 
sieur Cocquet». 

4) FuAcoUrT, Cause pour laquelle les Interesses de la Compagnie... p. 4. 

5) Histoire de la grande Isle Madagascar, 6d. de 1658, p. 198; cf. p. 199 
et 204. Voir aussi Cause pour laquelle les Interessez de la Compagnie ..., 
p. 5: «Il 5 eut du mauvais soin dudit sieur Pronis pour le menagement des 
vivres. dont il arriva grande disette . . .» 


Le commerce français à Madagascar au XVII° siècle. 57 


colonie française de Fort-Dauphin songea de très bonne heure 
à étendre graduellement de tous les côtés son champ d'action. 
A peine le Saint-Laurent est-il, en l’année 1644, arrivé à Sainte- 
Luce qu'on voit Prony «envoyer douze François demeurer aux 
Matatanes [à Matitanana] pour y faire habitation», avec ordre 
de pousser plus au Nord, si faire se peut, pour y traiter avec 
les indigènes, et «afin aussi de reconnoistre le païs»'). Un peu 
plus tard, nouvelle expédition dans une autre direction; c’est le 
second de Prony, Fouquembourg, qui part avec un certain 
nombre de compagnons «du costé des Ampatres, puis après du 
eosté des Machicores, tant pour découvrir ce qu'il y avoit à faire 
dans le païs que pour traiter des bœufs pour vivre»). Quand 
le navire le Royal eût amené à Fort-Dauphin une centaine de 
colons, ce fut mieux encore; les expéditions se succederent alors 
sans interruption, si bien que, en dix-sept mois, de septembre 
1644 à janvier 1646, «les deux barques firent jusques à sept 
voyages de ris, tant aux Matatanes [Matitanana], Antavares, qu’en 
Ghalenboulou [la province actuelle de Fénérive], et le sieur 
Foucquembourg .... fit plusieurs voyages à la traicte du bestial, 
tant aux Machicores [Masikoro], Ampatres [Antampatrana ou habi- 
tants des plaines de l’Androy], Mahafales [Mahafaly], Manamboules, 
que Yongaive et Anachimoussi, d'où il amena en plusieurs voyages 
plus de deux mil cinq cens bœufs»*). Interrompues pendant les six 
mois que dura la captivité de Prony'), les expéditions lointaines 
recommencèrent aussitôt après l’arrivée du capitaine Lebourg en 
rade de Fort-Dauphin, pour se continuer avec une nouvelle activité 
après le rétablissement du commis de la Compagnie dans son autorité 
premiere; chez les Mahafales, chez les Antavares, dans le pays de 
Galemboule et à l’île de Sainte-Marie, enfin à Mascareigne (la 

1) FLACOURT, Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1658, 
. 196. 
2) In., sbsd., p. 197—198. 

3) In., #bid., p. 199. 

4) Ou plutôt simplement ralenties, car FLAcoURT, s'il n’en dit rien dans 
son Histoire de la grande Isle Madagascar, écrit dans le factum intitulé 
Cause pour laquelle les Interesses de la Compagnie... ., p. 5: «Pendant 


sa prison [de Prony], ils ne laissèrent pas d'envoyer au loin dans l'Isle des- 
couvrir le pais, en traittant du bestial pour la subsistance du Fort». 





28 Henri Froidevaux 


future île Bourbon) furent alors faites une série d’expeditions') 
dont les unes ont été de simples expéditions de traite, mais dont 
quelques autres ont eu pour résultat la fondation de petits comptoirs 
dépendants du comptoir principal de Fort-Dauphin?). 

En quoi consistait exactement le commerce de ces différents 
établissements, voilà ce qu’il serait particulièrement intéressant 
de savoir, et ce dont la plupart des documents ne soufflent pour 
ainsi dire pas mot. Les livres de comptes que Fouquembourg 
rapportait avec lui à Paris, et que brûla après sa mort son as- 
kassin Lelièvre °), et aussi les registres de la Compagnie des Indes 
Orientales «ontenaient certainement des indications nombreuses 
et précises à cet égard; malheureusement, rien n’en subsiste plus 
aujourd'hui‘). Ce qu'il est, grâce aux ouvrages de Cauche et 
de Flacourt, possible de dire, c’est que les transactions ne se faisaient 
pas sous forme de vente et d'achat, mais sous forme d'échange, 
de troc®), et que les marchandises recherchées par les Francais 


1) V. les p. 206. 207. 210—211. 218. 214—215 de l'Histoire de la grande 
Isle Madagascar (64. de 1658). 

2) Aux Antavarcs, comme il ressort du rapprochement de deux passages 
de Fuacounr (Histoire de la grande Isle Madagascar, p. 207; Cause pour 
laquelle les Interessez . . ., p. 7: «Le sieur Bouguier, qui commandoit une 
habitation aux Antavares . ..), et A l’île de Sainte Marie, où «on laissa le nommé 
Beaumout . . . commander huict Francois que l’on y avoit laissé pour asseurer 
les habitans de ladite Isle contre les courses de ceux d’Antongil qui leur 
faisoient la guerre, et aussi pour favoriser les Barques quand ils iroient (sic) 
à la traitte du ris A (thalemvoulou [Galemboule]» (Histoire de la grande Isle 
Modagascar, &d. de 1658, p. 207). — Quant à Mascareigne, Prony ne s’en 
servit que comme d’un lieu de déportation (In., sbsd., p. 213. 248 et 2571. 

8) V. Fuqauouur, {listoire de la grunde Isle Madagascar, éd. de 1658, 
p. 201. 

4) Ou du moins il nous a été impossible d’en retrouver, en dépit de 
persévérantes recherches, le moindre fragment. Peut-être se trouvaient-ils 
dans trois grands cartons qui ont été brûlés à Paris en 1871, lors de l'in- 
cendie de la Cour des comptes, avec le reste des Archives de la Cour (Box- 
NARSIKUN, Les grandes Compagnies de Commerce, p. 840) 

dB) Cuuche l'indique expressément dans sa Relation: il raconte (p. 99 
et 100) avair rejoint à Fanjahira em 1648 «an des commis da commandeur 
du vaisseau danoise qui avait relâché dans la baie de Fort-Danphin, et avoir 
446 «avec iur par tuate la province des Mallegasses, où nous acheptasmes 
quatre vingt bweufa, qu'il emmena, avec aix barrile de sel de roche, qu'il fit 


Le commerce francais à Madagascar au XVII siècle. 59 


etaient en premier lieu les vivres indispensables pour leur sub- 
sistance: bestiaux sur pied (beunfs surtout, dont on mangeait la 
chair et dont on conservait soigneusement la peau, — moutons, 
chèvres), volailles, riz, fruits, miel !), — et les boissons du pays ?); 
puis de la cire, des gommes*) et des bois, en particulier de 
l’ébène, dont on trouve encore de grandes quantités dans le Sud- 
Eat de Madagascar‘). En échange, Prony et ses compagnons 
donnaient aux indigènes des objets de pen de valeur, des étoffes, 
dex verroteries, des mouchoirs, des couvertures, des coiffes, des 
chapeaux, des couteaux, des ciseaux, des rasoirs, des ferrures, 
des morceaux de fer ou de cuivre; quant à la poudre et aux 
balles, on n'avait garde d’en vendre aux indigènes‘), aux chefs 
des quels, le jour où il fallait faire quelque cadeau, on se bornait 
a offrir, comme le fit Alonse Goubert à Andrian-dRamaka, «un 
chapelet de coral fin cizelé pesant cinq onces, et quelques bracelets 
de verre pour les Dames», ou encore des «pierres d’agathes, des 
coliers de fausses perles et des chaisnettes de leton blanc»). 
Une preuve absolument irrécusable que telle était bien la 
manière habituelle d'agir des marins francais qui venaient, vers le 
milieu du XVII siècle, trafiquer dans le pays d’Anosy se trou ve dans 
le petit manuel de conversation franco-malgache publié à la 
suite de la relation de Francois Cauche sous le titre de 





porter par des noirs. Cet achapt se fit en troc de r'assades». Précédemment 
déjà, en relatant ses transactions commerciales avec les indigènes, Cauche 
ne se sert que du verbe troquer (ibid., p. 45—46 et 48). 

1) V. les ouvrages de Cauche et de FLACOURT, passim. 

2) FLACOURT (Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1658, 
p. 195), à propos des marins du Saint-Alexis, dit que les <Nègres . . . de tous 
costez leur apportoient du vin, ei du miel de quoy en faire». 

3) Dans sa relation, Cauche rapporte que «Coquey et ceux de son vaisseau 
... se chargèrent de cuirs, de cire, gommes et bois d’ébène pour repasser 
en France» (L. cit., p. 89—90). 

4) G. GRANDIDIER dans Madagascar au début du XXe siècle, p. 22. 

5) En général tout au moins; cependant on voit en 1648 les marins 
du Saint-Louis vendre «la poudre, le plomb et la pluspart de ce qu’ils peurent 
détourner aux Grands d’Anossi>, ce que FLACOURT leur reproche sévèrement 
(Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1658, p. 196). 

6) Relation du voyage que François Cauche a fait à Madagascar ..., 
p. 17. 





60 Henri Froidevaux 


«Colloquels] entre le Madagascarois et le François sur les 
choses [les] plus nécessaires pour se faire entendre et estre 
entendu d’eux>!). Les deux premiers de ces courts dialogues 
ont précisément trait aux opérations commerciales usuelles aux- 
quelles se livraient les Français dans le Sud de Madagascar; il 
convient d’en reproduire ici quelques passages, parce qu’on y 
rencontrera une liste assez complète des objets qui, au temps de 
Cauche et de Prony, étaient recherchés par les Antanosy d’une 
part et par les Français de l’autre, parce qu'on y pourra aussi 
saisir, en quelque sorte sur le vif, la manière dont se faisaient 
alors les transactions entre les agents de la Compagnie des Indes 
Orientales et les habitants de Fanjahira ou de tout autre village 
du Sud de Madagascar. 

«Le Madagascarois. Que viens-tu faire en la terre de Madagascar? 

«Le François. Je te viens apporter beaucoup. 

«Le Madagascarois. Qu'est-ce? 

«Le François. De l'or, de l'argent, du coral fin, des patenostres 
de verre, de fausses perles, du cuivre, de l’estaing, du fer, des 
draps, des chapeaux, des souliers. 

«Le Madagascarois. Qu'est-ce que ton cœur desire? 

«Le François. Je veux de la viande de bœuf, du (sic) mouton, 
de chèvre, de[s] chapons, des œufs, des fruicts, des citrons et oranges, 
des gros limons, des fèves et du ris blanc. 

«Le Madagascarois. Je t'en donneray, et si tu seras le bien 
venu en ma maison .... Viens avec tous tes hommes; apporte 
tes cofres pleins dans le village de Fanzaire*). 

«Le François. Bonjour. Je suis venu en ton village avec mes 
hommes et mes cofres pleins. 

«Le Madagascarois. Que je voye! Ouvre les serrures . . . . 
O que cela est beau! . . . . Donne-moy ce colier de beau coral 


1) Aux pages 175—190. — Les réserves faites par FLACOURT sur la 
valeur de ces dialogues au point de vue de la langue ne diminuent en rien 
leur valeur documentaire pour l'histoire du commerce à Madagascar. 

2) Extraits du «premier colloque», p. 175—177. 


Le commerce français à Madagascar au XVII: siècle. 61 


«Le François. Tiens; je te le donne. 

«Le Madagascarois. Tu me fais un grand plaisir. Que veux- 
tu que je te donne? 

eLe François. De quoy es-tu riche? 

«Le Madagascarois. De bœufs chatrez, de moutons, de chèvres 
et de chapons. 

«Le François. J'en veux bien. 

«Le Madagascarois. Viens, Nègre; va-t’en à la montagne quérir 
des bœufs; amènes-en quarente chatrez, et dix vaches. 

«Le François. C’est beaucoup. Regarde en mes cofres ce que 
tu veux. 

«Le Madagascarois. Je ne scay. Si tu veux me donner du 
petit coral fin, des grenats de plusieurs couleurs, de citron, de 
jaune, de rouge et du noir, tu me feras plaisir. 

«Le François. Prends-en. 

«Le Madagascarois. Je n'en veux point prendre si tu ne 
m'en donnes. 

«Le François. Tiens! Prens ce collier, attache le autour de 
ton col; et ces bracelets de rassades de toutes couleurs assorties 
seront pour ta femme. 

«Le Madagascarois. Viens-ten en ma maison; elle est la 
tienne»'). 


II. 


Il ne semble pas qu’un contact un peu continu avec les blancs 
ait modifié les coutumes des indigènes, ni introduit, pendant le 
gouvernement d’ETIENNE DE FLACOURT, le moindre changement 
dans leur manière d'entendre le commerce. De la fin de l’année 
1648 au 12 février 1655, la traite s’est faite exactement comme 
par le passé, sous forme de troc; c’est de cette manière que les 
babitants de Fort Dauphin se sont, alors qu’ils n'étaient pas en 
guerre avec les Antanosy, procuré les vivres dont ils avaient 
besoin, et les marchandises qu’ils se proposaient de faire passer 
en France pour le compte de la Compagnie des Indes Orientales. 
Comment aurait-il pu en être autrement, étant données les habi- 
tudes décrites par FLACOURT? «Quant au traficq et commerce 


l: Extraits du «second colloque», p. 177—179. 


62 Henri Froidevaux 


qu'ils ont les uns avec les autres, écrit-il, 4 ne se fait que par 
eschange; ils n'ont aucun usage de monnoye; les merceries et 
verotteries que les Chrestiens leurs portent leurs servent de mon- 
noye, quand ils vont en pais loing-tain acheter des bœufs, du 
cotton, de la soye, des pagnes, du fer, des sagayes, des haches, 
des coutteaux et autres choses dont ils ont besoin. Ils eschangent 
du cuivre pour de l’or et de l’argent et du fer, et font ainsi leur 
negotiation par eschange. S’ils ont quelques pieces de monnoye 
d’or et d'argent, ils les font fondre pour en faire faire des me- 
nilles ou brasselets; ils n’ont pas encores la connoissance du 
commerce, ainsi que les Indiens, Arabes et Européens"). 

La seule modification qu'il soit possible de constater porte 
sur la nature même de ces marchandises, dont le nombre augmente 
très sensiblement dès les débuts du gouvernement de FLACOURT. 
Stimulé par les instructions des «Seigneurs de la Compagnie» et 
par les avantages de tout genre qui lui avaient été assurés avant 
son départ”), le nouveau chef des immigrés français institua, dès 
son arrivée à Fort Dauphin, sur les ressources économiques de 
la partie orientale et méridionale de Madagascar, une sorte d'enquête 
dont on n’a peut-être pas jusqu'ici fait suffisamment ressortir le 
grand intérêt. Entreprises (comme le dit expressément FLACOURT 
de l’une d'elles) «afin de descouvrir le pais de Madagascar et 
chercher ce qui y est de bon pour porter en France» ?), quelques 


1) Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1658, p. 90. Cf. p. 91: 
«II n’y a ny foire ny marché. La foire est où il y a abondance de quelque 
chose plus qu’en un autre païs; là le cours y est, là chacun en envoye 
faire sa provision». — En rapprocher ce qu'on lit à la page 18 de la Cause 
pour laquelle les Interesses de la Compagnie . . .: «Leur trafficq ne se fait 
entr’eux que par eschange. Ceux qui ont besoin de cotton en vont chercher 
où il y en a en abondance, pour les choses qu'ils portent et conduisent avec 
cux, comme bœufs, vaches, ris, fer et racines d’igname, eschangeant ce qu'ils 
ont en abondance pour celles qui leur manquent ; et les autres en font de mesme». 

2) LORDELOT: Deffenses pour Madame Murie de Cossé, Duchesse de la 
Meilleraye, p. 2 (Bib. Nat., Thoisy 89). — Cf. A. MALOTET, Etienne de 
Flacourt . . ., p. 101. 

8) Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1658, p. 263. Cf. la 
Cause pour laquelle les Interessez de la Compagnie . . ., p. 9: «Pendant 
cette année [1649], je fis faire trois voyages en divers endroits où les Fran- 
çois n'avoient point encor esté A la descouvertte du pais». 


Le commerce français à Madagascar au XVII* siècle. 63 


expéditions dirigées par des hommes intelligents et connaissant 
déja la manière de s’y prendre avec les indigènes !} ont permis 
au successeur de Prony de tirer parti, dès les premières anntes 
de son admimistration, d’une foule de richesses naturelles ignorées 
ou négligées avant lui. «Je trouvay, écrit-il dans le précieux 
factum intitulé Cause pour laquelle les Interessez de la Compagnie 
wont pas fait de grands profits à Madagaxcur ?), qu’il y avoit de 
l'exquine en abondance, dont je fis traitter environ quatre 
milliers, rechercher de la cire, de la gomme Tacamaca, et du 
bois d’aloës. Je descouvris qu’il y avoit bien des arbres de 
poivre blanc». D’importantes quantités de ces marchandises 
saccumulerent bientôt dans les magasins de Fort-Dauphin, et 
lorsque, le 19 février 1650, le Saint-Laurent quitta pour la 
troisième fois l'établissement de la Compagnie, il put partir, 
non plus avec quelques inarchandises seulement, mais avec 
une cargaison assez importante”), et beaucoup plus variée que 
lex précédentes. «Je fis charger dans le Navire, raconte 
FLACOURT, trois mille trois cens cuirs et cinquante-deux 
milliers de bois d’alo&s le plus excellent qui soit au monde, nommé 
par les Portugais Par d’aguilia et par les médecins Ayallochum, 
ontre la cire, l’exquine, la gomme de tacamaca, et autres choses 
que Jay envoyées»); il ne manquait, an total, et cela par suite 


1) En particulier Le Roy, dont le rôle fut considérable à la fin de l’ad- 
ministration de Prony et au début de celle de F.AcoUurr. 

2) P. 9. 

3) Cause pour laquelle les Interesses de la Compagnie... ., p. 10: «[Le 
Navire] estant de retour au Fort Dauphin, les nègres qui apportoient du 
bois que j’avois fait coupper pour la charge du navire, se sauverent tous, 
disans que le capitaine Le Bourg et le sieur Pronis les vouloient enlever 
pour les aller vendre aux Hollandois, si bien que l’on ne pût apporter le 
reste de ce bois; et ainsi le navire ınanqua de quelque vingt tonneaux de 
ss charge». Cf. Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1658, p. 261 
et 262. 

4) Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1658, p. 262. Cf. la 
Cause pour laquelle les Interesses de la Compagnie... .,p. 10, où FLACOURT 
indique ce qu'étaient ces «autres choses»; il y nomme le tabac, le santal 
citrin (dont il fit embarquer environ 18 tonneaux; v. la p. 261 de l'Histoire 
de la grande Isle Madagascar), «diverses sortes de bois de couleurs, ct 
d'autres eschantillons et coquillages ct curiositez». 


64 Henri Froidevaux 


de la mauvaise volonte du capitaine Lebourg et de Prony, que 
de l’ébène et du cristal de roche ?. 

Pour qu'il n’en fût plus de mêmé à l'avenir, et pour que 
l’approvisionnement des magasins de Fort-Dauphin fût assûré d’une 
manière constante, FLACOURT aurait souhaité, reprenant une idée 
déjà mise en pratique par Prony, fonder le long de la côte orien- 
tale de Madagascar un certain nombre de petits comptoirs dans 
chacun desquels fussent venus s’accumuler, par les soins de ses 
agents, les produits minéraux, végétaux et animaux de la contrée 
avoisinante. Pareille manière d'agir s’imposait dans un pays où 
«il n’y a ny foire ny marché» et où «la foire est où il y a abon- 
dance de quelque chose plus qu’en un autre pais; là, le cours 
y est; là, chacun en envoye faire sa provision»*. FLACOURT 
avait-il entretenu de ce projet quelques-uns des Français de Fort- 
Dauphin? La chose est vraisemblable, puisque, dès le 9 février 
1650, M. Nacquart en parlait à Saint-Vincent de Paul; «on dit, 
écrivait alors à son Supérieur ce Prêtre de la Mission®), qu'on 
fera plusieurs habitations des François, entr’autres deux grandes, 
dont l’une au[x An]tavares, proche des Matatanes, à trois journées 
de la». — Mais FLACOURT avait compté sans les indigènes qui, 
depuis longtemps déjà, supportaient impatiemment la présence 
des Francais dans l’Anosy. Aussitôt après le départ du Saint- 
Laurent, ils se soulevèrent contre les colons, et, forts de leur 
nombre, finirent par les enfermer dans un étroit espace sur le 
bord de la mer. Ce n’est done pas avec les Antanosy que, 
pendant les cinq dernières années de son administration, FLACOURT 
put faire du commerce; la seconde partie de son Histoire de la 
grande isle Madagascar est pleine de récits de razzias, d’expeditions 
armées accomplies dans l’intérieur du pays pour combattre les 
indigènes, pour détruire lenrs villages, pour enlever leurs troupeaux 

1) C'est du moins ce que dit FLAcOoUIT aux p. 9. 10 et 11 de son factum; 


l'Histoire de la grande Isle Madagascar ne contient aucune accusation 
de ce genre (cf. les p. 248—249 et 257—258 de l'éd. de 1658), tout au moins 
formulée d'une manière précise. 
2) Fuacourt, Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1658, p. 91. 
3) Mémoires de la Congrégation de la Mission, t. IX, p. 98—94. Ci- 
tation collationnée sur le manuscrit conservé aux Archives de la Congrégation 
de la Mission (registre de Madagascar). 


s 


Le commerce francais à Madagascar au XVII: siècle. 65 


et les amener par la misère et la terreur à se soumettre et à 
payer tribut’). Sur un seul point de la côte orientale de l'île 
de Saint-Laurent, au total, on voit quelques uns des agents de la 
Compagnie faire avec continuité et sécurité, du début de 1649 à 
la fin de 1651, quelque commerce: dans l’île de Sainte Marie?) 
et sur la côte voisine, dans cette fertile province de Galemboule 
ou de Fénérive, veritable grenier à riz dont on peut lire dans l’ouvrage 
de FLACOURT une description sommaire, mais enthousiaste ‘). 
Eût-il d’ailleurs été possible au gouverneur de Fort-Dauphin 
de réaliser ses projets, il se serait trouvé, par la faute de la 
Compagnie des Indes Orientales elle-même, singulièrement empêché 
pour tirer parti des différents postes dont il projetait la création. 
Pour transporter facilement au chef-lieu de la colonie les mar- 
chandises réunies dans les comptoirs, des barques lui eussent 
été nécessaires, et c’est précisément ce qui, par suite de diverses 
circonstances, faisait le plus défaut à FLACOURT. «Comme tout 
le négoce ne se fait pas en un endroit, lisons-nous dans la Cause 
pour laquelle les Interessez de la Compagnie n’ont pas fait de grands 
profits à Madagascar‘), il faut des barques pour aller de costé 
et d'autres querir et amasser les choses nécessaires pour la charge 
du navire . . . . La faute que les Interessez ont fait[e] en ce 
dernier embarquement, c’est de n’avoir pas mis dans le Navire 
une bonne barque chargée en fagot, ou bien envoyé un petit 
navire de quatre-vingt{s] ou cent tonneaux en compagnie du 
navire, quoy qu'on les en eust assez averty[s] avant leur départ; 
car en ce païs-là un navire sans barque, c’est un corps sans 


1) V. l'Histoire de la grande Isle Madagascar, 6d. de 1688, de la p. 265 
À la p. 870, passim. 

2) «Les huict Francois y avoient chacun leurs maison et leur jardin, 
et quand ils avoient affaire des nègres, ils les aydoyent en tout ce qu'ils 
avoient besoin d’eux», raconte FLACOURT aux p. 802—808 de son ouvrage. 
C'est le 18 novembre 1651 que les quatre survivants des huit colons envoyés 
à l'ile de Sainte Marie au début de l’année 1649 furent ramenés par leur chef 
lai-même à Fort-Dauphin. 

8) V. le cb. IX de la première partie de l’Histoire de la grande Isle 
Madagascar (6d. de 1658, p. 24—25) et surtout le chap. XLIIIT de la seconde 
partie (p. 296-—299). 

4) Page 11. 


Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. B 


66 Henri Froidevaux 


ame, et une ou plusieurs habitations sans barque, c’en est de 
mesme». FLACOURT en était si persuadé qu'il a fait construire, 
à Fort-Dauphin même, une barque de trente tonneaux pour remédier 
à cette insuffisance d'outillage économique !). 

Si la Sainte-Marie (tel était le nom de cette barque) a surtout servi 
au ravitaillement de <l’habitation», cela tient en majeure partie à la 
situation très difficile dans laquelle s’est trouvée, à partir de l’année 
1651, la petite colonie française de l’Anosy. Ainsi s’explique 
également la stagnation dans laquelle, en dépit des beaux projets 
de FLAcOURT, le commerce français est demeuré à Madagascar. 
A quoi d’ailleurs eft-il servir d’accumuler des marchandises à 
Fort-Dauphin? Dès cette époque, la Compagnie des Indes Orien- 
tales s'était, pour différents motifs, complètement désintéressée 
de ce qui se passait dans l'île de Saint-Laurent; oublieuse des 
engagements formels pris à l'égard de FLACOURT avant son départ”), 
sans le moindre souci des colons qu'elle avait fait passer à Ma- 
dagascar et de ses promesses envers eux, elle n’a pas, à partir 
de 1648, envoyé un seul navire ravitailler l'établissement fondé 
naguère par Prony, même après avoir obtenu du roi Louis XIV, 
en l’année 1652, le renouvellement de son privilège *)! Comment, 
sans secours d'aucun genre, sans marchandises de traite‘), les 
70 Français placés sous l'autorité de FLAcOURT*) eussent-ils pu 


1) Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1658, p. 263 et 285 
et 286. — Cf. Cause pour laquelle les Interesses de la Compagnie . . ., p. 13: 
«L'année mil six cens cinquante-trois, je fis renforcer une grande barque de 
quarante tonneaux que j’avois fait bastir». 

2) Dans son factum, FLACOURT déclare être parti à Madagascar «sur 
l'espérance qu’ils me tiendroient ce qu’ils m’avoient promis, que de m’envoyer 
tous les ans un navire» (p. 18). Cf. sa lettre du 8 juillet 1654: «y ayant 
cinq ans qu'il ne nous est venu de navire, quoy que Messieurs de la Com- 
pagnie m’ayent promis d’en envoyer un icy tous les ans» (Histoire de la 
grande Isle Madagascar, éd. de 1658, p. 361). 

8) Nous publierons sous peu le texte de cet acte, qui se trouve conservé 
aux Archives du Ministère des Affaires Etrangères, Asie, 2, fol. 8—9. 

4) Il ressort de la lettre adressée à Desmartins par Angeleaume le 
28 février 1654 que ces marchandises manquaient dès 1651 à Fort Dauphin 
(Histoire de la grande Isle Madagascar, 6d. de 1661, p. 405. Cf. p. 408). 

5) Tel est le chiffre donné par FLACOURT dans sa lettre du 3 juillet 1654 
(l. cit, p. 862). Lors du départ du Saint-Laurent, le 19 février 1650, Fı.A- 


Le commerce français à Madagascar au XVII siècle. 67 


faire de nombreux échanges, et à quoi leur eft-il servi d’en 
faire et d’entasser dans les magasins de la Compagnie des mar- 
chandises qui, à la longue, couraient risque de s’y abimer')? 
Réduits en l’année 1654, après être demeurés depuis 1648 sans 
secours d'aucun genre, à un dénûment extrême, «tous contraincts 
d'aller nuds ainsi que les nègres, faute de hardes, de linges et 
[de] souliers, pour se vestir et chausser»*), ils étaient vraiment, 
suivant l’expression de leur chef, «comme gens abandonnez), 
. . . Si bien (ajoute FLACOURT) qu'ils m’avoient souvent reproché 
que l’on ne se contentoit pas seulement de les faire servir, mais 
que l’on vouloit avoir leur vie et leur sallaire, en les laissant 
ainsi si long-temps en ce pais sans assistance et sans espérance 
de retourner jamais en France»t).| 
Le chef de la colonie a souffert d'autant plus cruellement de 
son impuissance qu'il s'était rendu compte des ressources de 
Madagascar, et qu'il avait formé, pour l’exploitation et la coloni- 
sation systématiques de l’île, un plan raisonné et réfléchi. Ce 
plan, il l’a lui-même exposé un peu plus tard avec une certaine 
ampleur, et il convient de s’y arrêter quelque peu, parce qu’on 
y trouve des idées intéressantes, et aussi parce qu’on y relève, 
eur les marchandises demandées par les indigènes et sur les 
«possibilités économiques» de Madagascar, des informations pré- 
cises. «Afin que, débute par déclarer FLACOURT*), les habitans de 


COURT avait gardé avec lui 108 hommes à Fort Dauphin (Cause pour la- 
quelle les Inieressez de la Compagnie . . ., p. 11). 

1) FLACOURT parle dans son récit de la crainte qu’il avait «que les cuirs 
qui estoient icy ne se gastassent à la longue» (Histoire de la grande Isle 
Madagascar, éd. de 1658, p. 371). 

2) V. la lettre d’Angeleaume à Desmartins datée du 28 février 1654: 
«Nous sommes réduits à aller nuds comme les nègres, jusqu’à Monsieur de 
FLACOURT, qui n’a pas une chemise» (Histoire de la grande Isle Madagascar, 
éd. de 1661, p. 405). 

3) Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1658, p. 361. 

4) Ip., 5bid., p. 369. 

5) V. dans le Factum intitulé Cause pour laquelle les Interesses de la 
Compagnie n’ont pas fait de grands profits à Madagascar, les p. 18—37: 
«Advantages que l’on peut retirer en l’establissement des Colonies à Mada- 
gascar pour la religion et pour le commerce». — Ces pages sont reproduites 
dans le chapitre LXXXXI de la seconde partie de l'Histoire de la grande 


68 Henri Froidevaux 


cette isle se puissent accoustumer à un bon négoce et y prendre 
soust, il est besoin d’y establir diverses colonies de François, 
qui eux-mesmes (ainsi que par toutes les Isles de l’Amerique) 
cultivent le tabac, l’indigo, le cotton, les cannes de sucre; y ra- 
massent la soye qui y vient par tout en abondance; y nour- 
rissent les vers à soye à la façon de l’Europe; entretiennent grande 
quantité de ruches à miel; recueillent les gommes de benjoin, 
tacamacha et autres gommes odoriferantes; cultivent la racine 
d’exquine, le poivre blanc qui est par tout en abondance ; ramassent 
l’'ambre gris le long de la coste de la mer, négligé par les 
habitans du païs'); cherchent dans les rivieres plusieurs pierres 
précieuses de diverses espèces qui s’y peuvent trouver; observent 
les montagnes qui contiennent l'or, et le séparent d’avec le sable 
où il se treuve en quelques ruisseaux; establissent des forges de 
fer et d’acier, qui y est par tout en abondance; aillent à la chasse 
des bœufs sauvages en plusieurs provinces pour en amasser les 
cuirs, et conservent ceux des [bœufs] domestiques, que les habitans 
nourrissent en grande quantité, et par troupeaux». 

Ces colonies affecteraient surtout (comme il ressort nettement 
du passage qu'on vient de lire) un caractère agricole et industriel ; 
aussi n’y faut-il point faire passer «de vagabonds ny . . . de 
femmes desbauchées>?). Comme colons, FLACOURT veut toute autre 
chose; «ceux qui sont propres pour Madagascar, dit-il formelle- 
ment’), ce sont tous gens de mestier»; ce sont des travailleurs 
ayant le moyen de payer leur passage depuis la France jusqu’à 
l'île de Saint-Laurent, auxquels seront immédiatement donnces 
«des terres pour planter et faire valoir» *); ce sont encore des 
laboureurs et des artisans qui, transportés dans l’île aux frais 
de la Compagnie, débuteront par y travailler, avec «des gages 
médiocres», obligatoirement pendant trois ans pour le compte de 
cette même Compagnie, ou enfin des soldats engagés aux mêmes 


Isle Madagascar, éd. de 1661, p. 445—464. — Notre citation est empruntée 
aux p. 18 et 19 du Factum. 

1) C’est ce que faisait, dès 1647, le nommé Alain quand il fut tué (Cause. 
pour laquelle . . ., p. 6—7). 

2) Cause pour laquelle les Interesses de la Compagnie . . ., p. 30. 

8) Ibid., p. 29. 

4) Ibid., p. 29. 








Le commerce français à Madagasear au XVII: siècle. 69 


conditions et susceptibles, une fois leur temps de service expiré, 
de s'établir définitivement dans le pays et de travailler, eux aussi, 
à sa mise en valeur !). 

Tous ces immigrants seront, dès leur arrivée à Fort-Dauphin, 
répartis entre différentes colonies qui seront créées simultanément, 
si faire se peut, le long des côtes méridionale et orientale de 
Madagascar. Par suite de son existence même et aussi pour des 
raisons d'ordre géographique, le centre administratif sera placé 
a Fort-Dauphin; c’est là que «se doit faire la principale colonie»). 
Un établissement sera fondé plus à l'Ouest, à la baie de Saint- 
Augustin, tandis qu’un véritable chapelet d’habitations d’impor- 
tance variable s’échelonnera le long de la côte orientale (à l’em- 
bouchure du Mananjara, au Port-aux-prunes, à l’île Sainte-Marie, 
à Antongil) et que deux comptoirs seront fondés aux Mascareignes, 
l'un à Bourbon et l’autre à Rodrigue. Quant à l'intérieur des 
terres, eneore à peu près inexploré, FLACOURT ne juge opportun 
d'y établir qu’une seule colonie, dans le pays des Masikoro, séparé 
dela mer par le pays des Mahafaly actuels, «pour y establir des mâteurs 
de bœufs ou boucaniers, d'autant que tout ce païs est très-grand 
et est remply de bœufs, ou pour mieux dire de taureaux sauvages»). 

De ces différents établissements, la plupart doivent essaimer 
a leur tour. Non contents de se livrer à la mise en valeur de 
la contrée qu’ils habiteront, les colons devront, — FLACOURT le 
déclare expressément, — entreprendre des reconnaissances, et 
même de véritables voyages d'exploration dans les contrées avoi- 
sinantes ‘); puis, dans les endroits reconnus les plus favorables, 
«aimer et fouder de petites habitations et des fortins. C’est 
ainsi que, de Fort-Dauphin, «l’on peut, déclare FLACOURT, establir 


1) Cause pour laquelle les Interessez . . ., p. 28—9%9. 

2) Ibid., p. 34. 

3) Ibid., p. 34—36. 

4) Ibid., p. 36: «De toutes ces habitations, l’on pourroit envoyer des Fran- 
wis au nombre de trente ou quarante François à la fois pour descouvrir le 
pais en tirant à POüest Norotiest de l’isle, et de ces voyages dependroit toute 
ln connoïissance du païs . .. L'on pourroit dans des barques desconvrir toutes 
les bayes, caps et bouches de rivières qui sont à l'Oüest de l'isle et vers 
le Nord d’icelle, qui n'ont point encore esté descouvertes. Ce voyage seroit 
le plus fructueux que l’on pourroit faire». 


70 Henri Froidevaux 


un fort à Itapere dans !’Islet [la principale des îles Sainte-Claire] 
qui est un lieu très advantageux pour commander au port, qui 
est fort bon, un autre à Manghafia [Manafiafy], qui est un autre 
port, et faire un fort à Sainte Luce qui est l’Islet de Manghafia; 
et un autre à Ranoufoutchy [Ranofotsy], qui est aussi une fort 
belle ance où un grand navire peut mouiller. Outre que, dans 
la province d’Anossi [Anosy|, l’on pourra establir des François 
habitans en divers lieux pour cultiver le tabac et les choses qui 
sont bonnes à negotier avec les originaires»!). On devra de même, 
une fois la colonie des Antavares établie, «en ordonner quelques 
autres aux lieux les plus advantageux du pais>?), et, des îles 
littorales de Sainte-Marie et d’Antongil, fonder des établissements 
sur la terre ferme, et en particulier «soubs-ordonner une habitation 
de douze ou vingt hommes à Ghalemboule, et bastir un fort sur 
le bord de la mer, proche le lieu où nous bastissons nos cases, 
sur la petite eminence qui fait une pointe au fond de la baye, 
entre le sable de l’ance et celuy du chemin d’Ambato>?°). 

Reliés sans cesse les uns aux autres et à Fort-Dauphin, — 
où se trouveront les magasins de la Compagnie, — par «plusieurs 
barques longues‘), ces différents établissements seront en outre 
en relations régulières avec la France, la Compagnie des Indes 
Orientales prenant soin d'envoyer chaque année «au moins un 
navire» à Madagascar, et permettant sous certaines conditions 
déterminées «& tous marchands de faire equiper des vaisseaux 
pour aller negotier en ladite isle»*). Ces bâtiments trouveront 
dans les différents groupements de population blanche, comptoirs 
et forts disséminés sur le littoral, et surtout à Fort-Dauphin, 
tous les éléments de frêt et de chargement qui leur seront nécessaires ; 
ils y porteront de leur côté les vivres et objets de toute nature 
indispensables pour le ravitaillement de la colonie, ainsi que les 


1) Cause pour laquelle les Interessez . . ., p. 34. 

2) Ibid., p. 34. 

8) Ibid., p. 85. — Cf. aussi ce qui est dit de l'ile Bourbon (p. 35), du 
Port aux Prunes (p. 35—86), de la baie de Saint Augustin et du pays des 
Masikoro (p. 36). 

4) Ibid., p. 34. 

5) Ibid., p. 33. 


Le commerce français à Madagascar au XVII® siècle. 71 


marchandises nécessaires pour trafiquer avec les indigenes'), mar- 
chandises dont FLACOURT a soin de donner une liste trop précise 
à divers points de vue pour ne pas être transcrite intégrale- 
ment ici. 

«Les choses bonnes à porter à Madagascar pour y négotier 
avec les habitans sont verottories (sic) de toutes couleurs, qui 
sont petits grains d’esmail, gros comme graine de cheneviere 
(les couleurs bleües, rouges, noires, blanches, vertes, jaunes 
et orengées sont les meilleures, et principalement la rouge et 
la violette); rassades*) de diverses couleurs, et principalement 
la bleüe, dont il faut en plus grande quantité que des autres, la 
rouge, jaune, couleur d’aigre-marine, de cristal, et de verre, peu 
de blanche et de la noire, de la violette ®) . . . . Les grains de 
corail de toutes grosseurs y sont extremement requis, les cornal- 
lines rouges et blanches, grosses, longues et en olive; mais il 
fant qu’elles soient toutes percées pour enfiler. Les grains d’a- 
gathes, grenats et cristal de roche y sont fort requis. Le cuivre 
jaune en gros fil et diverses merceries, comme chaisnettes de 
cuivre jaune (il ne leur faut rien de fragile et de facile à rompre), 
des cizeaux, des couteaux, des haches, des serpes, des marteaux, 
des clous, des cadenats, des sefrlrures, des pentures de portes, 
des gons, des verroux, des locquets, des scies, des cizeaux de 
menuisiers, des rabots, des vrilles, et des vibrequins (sc), 
et mille autres broüilleries sont très bonnes à porter dans 
lisle pour traitter avec les originaires, pour lesquelles acheter 
ils s’efforceront de trouver, chercher et de manufacturer tout ce 
que l’on voudra»‘). 

Arrêtons, sur cette longue et instructive citation, notre examen 


1) Cause pour laquelle les Interesses de la Compagnie . . ., p. 84. 

2) «La Rassade est faicte d’une paste d’esmail, dont les grains sont gros 
comme des pois de diverses grosseurs» (FLACOURT, ibid., p. 31). 

8) Cf. les recommandations faites un peu auparavant à Desmartins par 
ANGELEAUME: «Les marchandises du pays, n’oubliez pas d’en envoyer quan- 
tté de toutes les sortes, à la réserve de la rossade blanche, noire et fueille 
morte, et couleurs couverte{s]; pour toutes autres couleurs, envoyez-en, comme 
aussi de toutes sortes de verroteries, corail, cornalines et cuivre jaune tout 
tré» (Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1661, p. 405). 

4) Cause pour laquelle les Interesses de la Compagnie . . ., p. 30—31. 





72 Henri Froidevaux 


des grandes lignes économiques du plan de colonisation 
formé par FLACOURT durant son séjour à Madagascar, après 
une longue et attentive étude des ressources de toute une 
partie de la grande île. De ce plan, dont il rêvait de diriger 
l'exécution, il lui était impossible, par suite du complet abandon 
dans lequel le laissait la Compagnie des Indes Orientales, d’en- 
treprendre de réaliser même la plus petite partie. A cette de- 
eeption, si cruelle pour un ambitieux tel que le gouverneur de 
Fort-Dauphin, s’ajouterent encore d’autres griefs: la singulière 
négligence des directeurs de la Compagnie, qui ne songèrent 
même pas à profiter du départ des bâtiments envoyés en 1654 
dans l'Océan Indien par le maréchal de la Meilleraye pour faire 
passer, non des armes et des vivres, mais simplement des ins- 
tructions à leurs agents de Madagascar’), puis l’accueil indifférent 
glacial, que firent à FLACOURT revenu en France les intéressés de la 
Compagnie, et les chicanes pécuniaires qu'ils lui chercherent*). C’en 
était trop! FLacourT n'’hésita plus à donner un libre cours à son 
ressentiment, et publia le factum intitulé Cause powr laguelle les 
Interessez de la Compagnie n'ont pas fait de grands profits à 
Madagascar. «La véritable eause, y écrivait-il non sans amer- 
tume ni rancœur”), de ce que les Interessez n'ont rien fait et 
n’ont point advance leurs affaires de Madagascar, c’est leur negli- 
gence, et l'abandon qu'ils ont fait de la meilleure affaire du 
monde, si elle eust tombé entre les mains de personnes soigneux 
et bien entendus en maniere d'envoyer establir des Colonies aux 
pais nouvellement descouverts. Ils ont abandonné leurs terres 
lorsqu'ils ont veu la moisson preste à recueillir; et ainsi ont donné 
sujet à tous ceux qui sont capables d’en bien juger, de se rire 
de leurs simplicité et négligence». 


1) Seul, Fouquer écrivit à FLACOURT, et seulement pour lui recomman- 
der les deux prêtres de la Mission qui arrivaient à Madagascar {Histoire de la 
grande Isle Madagascar, éd. de 1668, p. 365—366). Uf. la dédicace à For- 
QUET: «Sans m’y prescrire rien des affaires qus concernent le commerce du 
pais, vous n'avez point eu d’autre but que de me recommander les choses qui 
regardent les spirituelles . . .» 

2) Histoire de la grande Isle Madagascar, 6d. de 1658, p. 882—384, et 
Cause pour laquelle les Interesses de la Compagnie . . ., p. 16—17. 

8) Page 17. 


Le commerce francais à Madagascar au XVII® siècle. 13 


IV. 

Si précaire qu’ait pu être, pendant le gouvernement d'ETIENKE 
DE FLACOURT, la situation de la petite colonie française de Ma- 
dagascar, elle ne tarda pas à le devenir davantage encore. Le 
directeur de la Compagnie des Indes Orientales avait pris soin 
avant de s’embarquer sur l’Ouwrs, un des deux navires frêtés par 
le maréchal de la Meilleraye, de pourvoir du mieux qu’il lui 
avait été possible de vivres et de marchandises ses compagnons !); 
mais les incendies qui, aussitôt après son départ pour la France, 
firent de la partie retranchée de Fort-Dauphin*) un monceau 
de cendres amenèrent la perte totale des munitions, des appro- 
visionnements et des marchandises de toute sorte conservés dans 
les magasins ?), si bien qu’au début du mois de mars 1655, les 
habitants de ce poste se trouvaient dans un état plus lamentable 
que jamais. Avec son énergie eontumière, Prony, à qui FLACOURT 
avait délégué son autorité et qui avait déjà manifesté l’intention 
de mettre le fort «en bien meilleur estat que le sieur de FLACOURT 


1) La chose ne semble pas avoir toujours été très facile, car les provisions 
chargées sur le Saint-Georges et sur P’Ours n’arrivörent pas en bon état à 
Madagascar. «Notre farine, écrit M. MOUXIER le 5 février 1655, ne s’est 
point trouvée meilleure que celle de M. de Pronis, et elle se gatera bientot, 
si Dieu n’y met la maïn . .. Notre vin aussi auroit esté mieux en de grands 
vases, faicts d’étain ou de verre, pour le préserver de tout danger, de mesme 
que l'huile d'olive: (Mémoires de la Congrégation de la Mission, t. IX, 
p. 206). 

2) I convient en effet de distinguer soigneusement le fort du reste de 
l'établissement français de Fort Dauphin. «Le Fort consistoit en la Chapelle, 
maison du Gouverneur, . . . une cuisine de pierre, deux pavillons de pierre 
qui servoient de prisons, cinq Magazins, un Corps de garde, une boutique 
de forge et une autre petite forge, une boucherie, et seize maisons de parti- 
culiers . .. L’habitation des François hors le F'ort . . . est composée d’en- 
viron quelques cent cinquante cases tant de François que de Nègres qui servent 
au Fort» (FLACOURT, Histoire de lu grande Isle Madagascar, &d. de 
1661, p. 412—413). — Cf. le plan de Fort Dauphin annexé à l'ouvrage de 
FLACOURT. 

3) Sur ces incendies, voir dans l'édition de 1661 de l’Histerre de la 
grande Isle Madagascar, ia «Relation de ce qui s’est passé en l'Isle de Mada- 
gascar depuis le 12 febrier 1665 jusques au 19 janvier 1656» (p. 410—413) 
et la lettre de M. BOURDAISE du 10 janvier 1656 (Mémoires de la Congre- 
gation de la Mission, t. IX, p. 210—212). 


74 Henri Froidevaux 


ne l’avoit laissé»"), se mit à l'œuvre pour remédier à ces désastres; 
mais la mort ne lui laissa malheureusement pas le temps de mener 
à bonne fin ses projets, et s’il put, grâce à la présence du Saint- 
Georges dans l’anse de Taolankarana, reconstituer immédiatement 
un petit stock d’approvisionnements de toute espèce et de mar- 
chandises de traite, c’est à son successeur Des Périers que revient 
le mérite d'avoir achevé tant bien que mal la reconstruction, à 
côté de l'habitation des Français, d’une nouvelle enceinte fortifiée 
à l’intérieur de laquelle furent immédiatement élevées des cases 
qui servirent d’arsenal, de magasins, d'habitation pour le gou- 
verneur, etc. 

Tandis que la reconstruction de leur fort, et la réunion des 
vivres nécessaires pour l’alimentation de la colonie occupaient 
exclusivement les habitants de Fort-Dauphin ?), le capitaine du 
Satit-Georges (le second navire du maréchal de la Meilleraye), 
M. de la Forest, faisait ses préparatifs de départ; trafiquer avec 
les indigènes de la côte orientale de Madagascar, puis faire la 
course dans la mer Rouge, tel était alors son double but“). Aus- 
sitôt après le retour des Français envoyés par Prony à la traite 
du bétail, il quitta l’anse de Fort-Dauphin, et se dirigea vers 
l'île de Sainte-Marie, d’où, tandis qu’une partie de son équipage 
travaillait à remettre le Saint-Georges en état de poursuivre son 
voyage, il gagnait lui-même l'embouchure du Manantsatra, afin 
d'y recueillir «des pierres de cristal de roche» dont il voulait 
lester son navire. Malheureusement, le capitaine de la Forest 
ignorait de quelle manière il convenait de se comporter à l’égard 
des indigènes; par son impatience, ses menaces, ses violences, 
il modifia leurs dispositions d'abord pacifiques et amicales, et 
finit par se faire assassiner par eux‘)! 

De cette mort, qui ne semblait devoir constituer qu’un de ces 

1) Histoire de la grande Isle Madagascar, 6d. de 1661, p. 414. Cf. p. 411: 
«le sieur Pronis . . . s’estoit vanté qu'il vouloit faire changer le Fort et le 
mettre en bien meilleur estat qu’il n'estoit auparavant». 

2) C'est «pour assister les Francois» qu'un parti de trente hommes, 
commandé par Des Periers, s'était rendu dans le pays des Mahafaly (In., sbid., 
», 413 
in, tdid., p. 418. 

4) Lo, sbid., p. 414—416. 


Le commerce français à Madagascar au XVII: siècle. 75 


regrettables incidents presque inévitables au début de toute en- 
treprise coloniale, résultèrent bientôt des conséquences désastreuses. 
Les indigènes du pays de Galemboulou en prirent prétexte pour 
attaquer les habitants des rives du Manantsatra qui, enhardis 
par l’impunité dans laquelle les avait laissés l'équipage du Saint- 
(reurges, ne craignirent pas de porter à leur tour le fer et la 
flamme sur le territoire de leurs agresseurs et menacèrent les 
habitants de l’île de Sainte-Marie «de les venir inquiéter, et 
brusler leurs villages à cause qu'ils estoient amis des François»). 
Lorsque, d’autre part, les colons de Fort-Dauphin apprirent l’as- 
sassinat du capitaine de la Forest «fort aymé et estimé d’un 
chacun», ils en rendirent immédiatement responsables les grands 
du pays d’Anosy, et, sans tenir compte de la soumission dont, 
depuis plusieurs mois déjà, ces derniers avaient donné des preuves 
multiples, ni de leurs protestations d’innocence, des Périers les fit 
emprisonner, puis ignominieusement exécuter ?). 

«Les Nègres de Carcanossy [Anosy], écrivait en terminant son 
récit l’auteur anonyme de la Relation de ce qui s’est passé en lisle de 
Madagascar depuis le 12 febr[ier ] 1655 jusques au 19 janvier 1650, 
tesmoignent estre bien aise d’estre delivrez desdits Roandrian, 
qui sont les Grands, qui les menagoient de les perdre et les piller 
quand il n’y auroit plus de François dans leurs pais; l’on ne scait 
u is disent cela par dissimulation ou autrement»°). Cette phrase 
significative indique quelles furent pour les colons français les 
suites de ces violences impolitiques; l'insécurité devint bientôt 
telle que le successeur de Des Periers, Gueston, dut se résigner 
a «faire reculer le Fort Dauphin d’une portée de mousquet, par 
ce qu'il estoit trop proche du village des nègres, de qui on devoit 
appréhender quelque surprise par le feu»*). De cette mesure 

1) Relation de ce qui s’est passé en l’Isle de Madagascar depuis le 12 febr. 
185 jusques au 19 janvier 1656» (Histoire de la grande Isle Madagascar, 
éd de 1661, p. 418). 

2) In., ibid., p. 419—492. 

3) In., ibid., p. 422. 

4) Lettre de M. BOURDAISE à Saint Vincent de Paul, 19 février 1657 
(Mémoires de la Congrégation de la Mission, t. IX, p. 302). Citation col- 


lationnée sur le manuscrit conservé dans les archives de la Congrégation de 
la Mission (reg. de Madagascar). 





76 Henri Froidevaux 


et de celles qui en furent vraisemblablement les consequences 
résulta sans doute un apaisement momentane, puisque, au moment 
où le premier des quatre vaisseaux expédiés en octobre 1655 
par le maréchal de la Meilleraÿe jeta l’ancre dans la rade de 
Taolankarana (29 mai 1656), «les François estoient au Fort-Dauphin 
dans un grand calme». La tranquillité dont parle SOUCHU DE 
RENNEFORT !) n'existait d’ailleurs que sur un territoire assez restreint, 
les nègres tributaires des colons étant, au rapport du même auteur, 
«en guerre contre leurs voisins, qui leur reprochoient de s’estre 
soumis à un petit nombre d’inconnus>?). 

Si, à ces circonstances éminemment défavorables pour des 
opérations commerciales suivies, on ajoute ce fait que les mar- 
chandises embarquées sur les navires du maréchal de la Meille- 
raye n'avaient pas été convenablement choisies, et n'étaient 
point celles que recherchaient les indigènes des points où atter- 
rirent ces mêmes vaisseaux‘), on s’expliquera sans peine leur 
insuecès commercial complet. En dépit de son long séjour à l'île 
de Sainte-Marie de Madagascar, puis de sa croisière dans les 
parages de l'Océan Indien voisins de la mer Rouge, la Maréchale 
dut, au mois de février 1657, eretourner en France sans rien 
apporter que son laist»t), 

Ni cet insuocès, ni celui de l’armement qui suivit ne deeou- 
ragèrent le maréchal de la Meilleraye °); après chaque échec, on 


1) Histoire des Indes Orientales, p. 59. 

2) Ibid., p. 59. — Cf. également, du même auteur, la Relation du premier 
voyage de la Compagnie des Indes Orientales en PIsle de Madagascar, 
p. 102: «Les nègres lours tributaires [6taient) en guerre contre leurs voisins, 
pour soutenir les reproches qu'ils leur faisoient à main armée de s’être soumis 
à de malheureux fugitifs que les crimes, disoient-ils, ou la nécessité de moyens 
avoient fait sortir de leur païs>. 

B) C’est ce que constate avec découragement dans son journal de bord, 
à la date du 21 mai 1658, «le sieur de la Roche Saint-André, fameux capi- 
taine de marine»; il y raconte devoir emprunter au charpentier flamand de 
la Duchesse «de la troque, ia nostre n’estant [pes] bonne; le cuivre jaune 
est fort estimé» (Arch. Ministère des Colonies, C 5, Madagascar, carton n° 1}. 

4) «Relation de Madagascar depuis l’an 1656 jusqu’en l’an 1687», dans 
FLAUOURT (Histoire de la grande Isle Madagascar, éd. de 1661, p. 427). 

5) Voir le récit contenu aux p. 423 —481 de l'Histoire de la grande Isle 
Madagascar (éd. de 1661), et les différents documents relatifs à ces deux 


Le commerce français à Madagascar au XVII" siècle. 77 


le voit recommencer avec perseverance, tantöt de concert avec 
les actionnaires de la Compagnie des Indes Orientales, tantôt 
seul *), à préparer une nouvelle expédition, en tenant compte de 
l'expérience chèrement acquise”). C’est seulement en l’année 
1661 que, pour la première fois, les efforts de ce remuant et 
ambitieux personnage furent couronnés de quelque succès; alors 
un bâtiment armé par ses soins deux ans auparavant) et chargé 
de marchandises soigneusement choisies, achetées à Rouen, selon 
toute vraisemblance chez des marchands auxquels s'était déjà 
adressé ETIENNE DE FLACOURT‘), rapporta de Madagascar une 
cargaison considérable. Malgré la situation précaire de la colonie 
française de Fort Dauphin, en dépit de l’état de guerre dans. 
lequel, depuis plus de quatre ans déjà, se trouvait toute la partie 
méridionale de l'fle de Saint-Laurent, le capitaine Veron «retourna 
chargé de cuirs, de bois d’ebeine, d’indigo, de benjoin, d’aloës, 


armements publiés dans le tome IX des Mémoires de la Congrégation de la 
Mission. Cf. A. MALOTET, Etienne de F'lacourt, p. 273—274. 

1) «Le mois de septembre 1656, le duc de la Meilleraye s’estant accordé 
avec les interessez de la compagnie Francoise de l'Orient, pour envoyer un 
Navire en Madagascar à communs frais . . .» (Histoire de la grande Isle 
Madagascar, éd. de 1661, p. 427—428). — Un an plus tard, en septembre 
1657, «le sieur Duc de la Meilleraye faict encor esquiper un autre Navire au 
port Loüis . . . pour aller à Madagascar» (In., ibid., p. 481). 

2) C’est ainsi qu'en 1656, FLACOURT a été envoyé à Rouen «pour y 
acheter les marchandises propres pour la traitte> (Ip., sdid., p. 428). Ainsi 
était très intelligemment mis en pratique ce que, dès 1650, M. NACQUART re- 
commandait À Saint Vincent de Paul: «Il faudrait avoir suffisamment des 
marchandises d’une espèce dont vous ne pouvez estre informé que par quel- 
qu'on qui en ait l'expérience» (Mémoires de la Congrégation de la Mission, 
t IX, p. 83). 

3) Ou plutôt un petit bâtiment frêté au Cap par un Hollandais, et sur 
lequel furent chargées les marchandises apportées jusque là par la Maréchale 
In., sbid., p. 441). 

4) Ce fut certainement le cas pour les marchandises qu’emporta M. ETIENNE, 
«mme le prouve le «Mémoire des Marchandises vendues et livrées par Marie 
Legrand, veufve de deffunt Thomas le Prevost, Marchand à Rouen, [qui] 
demeure rue Gros Horloge, a Rotien> conservé dans les archives de la 
Congrégation de la Mission. On sait que FLACOURT était en relations per- 
tomelles avec Saint Vincent de Paul; il dut donner des indications pour l’achat 
deces marchandises. Aussi nous semble-t-il intéressant de faire connaître ce 
Xémoire, que nous publions en appendice. 


78 Henri Froidevaux 


de muscade et de gomme, avec quelques pierreries, des essays 
de mines, de l’ambre gris et d’autres raretez qui ont empêché 
Monsieur de la Meilleraye de céder ses droits tant qu'il a vécu»r!). 

Convient-il, en l’absence d'indications chronologiques précises, 
d'attribuer au succès de cette expédition la résolution prise par 
un des anciens fondateurs de la Compagnie de 1642, qui n’avait 
jamais cessé de s'intéresser à l’exploitation commerciale de Ma- 
dagascar, le célèbre surintendant Fouquet, d'envoyer à son tour 
un bâtiment à Fort Dauphin? La Compagnie Caset, qui, en l’année 
1656, avait obtenu du roi Louis XIV la concession du privilège 
précédemment octroyé à la Compagnie des Indes Orientales”), 
avait, à la suite du désastre dans lequel avait péri FLACOURT (1660), 
renoncé à faire valoir ses droits sur Madagascar; après avoir 
précédemment essayé de s'entendre avec le maréchal de la Meille- 
raye, Fouquet résolut alors de se substituer à lui. Il envoya 
donc, rapporte SOUCHU DE RENNEFORT*), «pour son interest par- 
ticulier courir la mer Rouge à une Fregatte nommée !’ Aigle Noir, 
et chargea le sieur Hugo, Hollandois, qu'il en avait fait Capitaine, 
de s’emparer de Madagascar s’il le pouvoit sur ceux qui le te- 
noient pour Monsieur de la Meilleraye». Arrivé à Fort Dauphin, 
Hubert Hugo“), pour se conformer aux instructions qu’il avait 





1) SoucHU DE RENNEFORT, Histoire des Indes Orientales, p. 46. — A en 
en croire le sieur Gentilot, les peaux étaient encore la partie la plus appréciable 
de la cargaison; «les meilleures marchandises que l’on aye receu de Madagascar 
sont, dit-il, des cuir[s] qui peuvent bien ayder à payer les despens» (Arch. 
Minist. des Colonies, C 2, reg. 2, fol. 87). 

2) A. MALOTET a publié intégralement les statuts de la Compagnie Caset 
à la fin de son Etienne de F'lacourt, p. 306—314. 

8) Histoire des Indes Örientales, p. 46. 

4) Est-ce pendant son séjour à Fort Dauphin que Hubert Hugo se 
procura «des petites pièces de toille de coton simple, de viron quarante sols» 
pour lesquelles, à son retour, il lui fallut «payer plus de unze sols à la ro- 
maine, quoy que les dittes toiles soient d’une qualité inconnue et de peu de 
valeur; de sorte que, bien loin de deux à trois pour cent, on nous a faict 
payer sur le dit pied plus de vingt-cinq pour cent»? Il est impossible de le 
dire; mais il est certain que ce marin hollandais a recueilli, au cours de son 
voyage, de précieuses informations sur le commerce des Arabes avec Madagascar, 
«ce qui, dit-il, est inconnu au commandant et habitans françois qui sont au 
Fort Dauphine. C'est même là, pour lui, la raison pour laquelle s’est appauvri 


Le commerce français à Madagascar au XVII" siècle. 79 


reçues, «proposa au sieur de Chamargou l’embarquement de luy 
et de ses gens et sa part en la course, afin de s’emparer de 
Madagascar, suivant l’ordre secret que Monsieur Fouquet luy en 
avoit donné: mais Chamargou le refusa dans l'espoir de recevoir 
bien-tost du secours de Monsieur de la Meilleraye; et ayant appris 
que le Capitaine tâchoit de gagner de ses soldats, il empêcha par sa 
défiance et par ses soins que Hugo ne se rendist maître du Fort»). 
Cependant le maréchal de la Meilleraye se préoccupait de 
renforcer la petite garnison de Fort Dauphin, et de coloniser le 
sud de Madagascar. Dans les premiers mois de l’année 1663, 
il y fit passer une centaine d’&migrants commandés par un <chef 
de colonie»), tandis qu’un Prêtre de la Mission, M. ETIENNE, 
y conduisait une vingtaine d'ouvriers). Il eût certainement fait 
plus encore (différents documents en fournissent la preuve) s’il 
ne s'était pas jugé lui-même «moribon et proche de sa fin, et 
... pas en estat de faire un si grand effort comme il est dores- 
navant necessaire», car il demeurait persuadé du grand avenir 
de cette île, dans le sud de laquelle, écrivait-il dans un mémoire 
de l’année 1663, «on trouveroit assez de vivres pour avictuailler 
tous les vaisseaux que l’on voudroit envoyer à long cours, tant 
à la mer Rouge, Sainct (sic) Persique, qu’à l’isle de Zeingland 
[Ceylan], la Chine, Bantan, etc., . . . et mesme on y trouverroit 
toutes les choses nécessaires pour les retours de France, comme 
cristal, hebeine, cotton, tabac, soye, mesmes pierres precieuses, 
cuirs et autres choses qui se trouvent dans les ditz Isles>»®). 


le sud de J’ile; «il est tout apparamment certain, déclare-t-il, que les plus 
riches et puissans habitans de l’isle se sont retirez au plus loin des François, 
afin de pouvoir plus facilement négocier avec ceux qui viennent traiter avec 
eux aux quartiers les plus advantageux de l’isle». (Ch. GRANDJEAN, Mémotre 
présenté à Louis XIV en 1664 par le Hollandais Hubert Hugo pour la 
fondation d'une Compagnie des Indes Orientales. Bull. Soc. Etudes Marit. 
et Colon., 1893, p. 28 et 13). 

1) SOUCHU DE RENNEFORT, Histoire des Indes Orientales, p. 63. 

2) Ibid., p. 49. 

3) Mémoires de la Congrégation de la Mission, t. IX, p. 458; Souci 
DE RENNEFORT, ouv. cite, p. 49. 

4) Tous ces termes sont empruntés à un «Memoire pour soustenir l’Eta- 
bissement fait par M. de la Meilleraye à Madagascar» (Archives du Ministère 


80 Henri Froidevaux 


Au moment même où le maréchal de la Meilleraye se portait 
ainsi garant de la richesse de Madagascar, la petite colonie fran- 
çaise de Fort Dauphin se trouvait, par suite des cruautés inutiles 
de son commandant actuel, M. de Champmargou, et de sa jalousie 
à l'égard de Vacher de la Case, dans une situation extrêmement 
critique '). La contrée qui avoisinait immédiatement l'habitation 
étant, depuis longtemps déjà, ruinée par suite «des guerres presque 
perpetuelles que les François y avoient portées pendant vingt 
ans»?), c’est de plus loin, des provinces voisines de l’Ambolo, 
que provenaient les tributs vraiment importants; or ces tributs 
en’estoient plus apportez au Fort Dauphin par les Grands de 
l'Isle qu’on y avoit soûmis auparavant, parce qu’ils ne redoutoient 
pas assez la puissance des François reduits à petit nombre, et 
qui estoient désunis»”). Aussi était-il impossible de faire le 
moindre commerce et même de se procurer des vivres dans l’Anosy. 
C'est pourquoi de Champmargou et la Case réconciliés un peu 
plus tard par le capitaine du Saint-Charles entreprirent, après 
avoir rétabli leur autorité sur les chefs vassaux, de réaliser par- 
tiellement le plan de colonisation préconisé naguère par FLACOURT. 
Non contents de faire des reconnaissances et des expéditions 
guerrières dans l’intérieur des terres ‘), ils fondent quelques petits 
postes le long de la côte orientale de Madagascar, à Manambara, 
à Galemboulou, dans l’île de Sainte-Marie‘). Etablis en des points 
intelligemment choisis, et échelonnés de manière à assûrer par 
mer le ravitaillement de Fort Dauphin, ces comptoirs étaient 
destinés à une existence moins éphémère que ceux dont il a été 
précédemment question; ils n'avaient pas encore, en dépit des 


des Colonies, C 5, Madagascar, carton 1). — Ce fragment de mémoire montre 
combien SOUCHU DE RENNEFORT était exactement informé des idées du maré- 
chal de la Meilleraye quand il a écrit que «fen Monsieur de la Meilleraye 
avoit de si bonnes connoissances des richesses de l'Isle qu’il n’a jamais voulu 
céder ses droits» (Histoire des Indes Orientales, p. 400). 

1) Sur ce point, v. SOUCHU DE RENNEFORT, Histoire des Indes Orientales, 
p. 59—656. 

2) SOUCHU DE RENNEFORT, ibid., p. 68. 

8) Ib., ıdid., p. 49—50. | 

4) In., idid., p. 50. 

5) In., #bid., p. 47. 


Le commerce français à Madagascar au XVIlI* siècle. 81 


dificultés avec lesquelles s'était trouvée aux prises la poignée 
de Français qui occupaient Fort Dauphin, été évacués au moment 
où, en juillet 1665, l’île de Madagascar passa effectivement sous 
la direction de la Compagnie des Indes Orientales de 1664. 


V. 

Ce n’est pas ici le lieu de raconter comment fut fondée cette 
puissante Compagnie, si différente des petites associations privi- 
kégiées qui, depuis l’année 1604, avaient été constituées en France 
sous le même nom; on sait quelle part active prit personnelle- 
ment Louis XIV à la constitution de la Compagnie des Indes 
Orientales’), dont l’Académicien Charpentier, dans le Discours 
d'un fidèle sujet du Roy touchant l'Establissement d’une Compagnie 
françoise pour le Commerce des Indes Orientales?), avait montré 
la grande utilité et les avantages au point de vue français, et 
avait en même temps esquissé le programme d'action. Avant 
toute chose, le gouvernement, désireux de faire œuvre solide et 
durable, devait naturellement se préoccuper d’assûrer aux flottes 
de la Compagnie, sur la route des Indes, des points de relâche 
et de ravitaillement; était-il possible, à cet égard, de trouver 
situation plus favorable que celle de Madagascar? Tout concourait 
d'ailleurs à corroborer cette impression d’ordre stratégique et éco- 
somique, ainsi qu’à confirmer Louis XIV et Colbert dans ce dessein, 
et le souvenir de la riche cargaison rapportée de Madagascar en 
1661 par le capitaine Véron, et la connaissance des relations 
publiées ®), et la lecture des mémoires adressés au Ministre par 
le maréchal de la Meilleraye lui-même, par le chevalier de Jant, 


1) Se reporter sur ce point au travail de LOUIS PAULIAT, Madagascar 
ses Louis XIV. Louis XIV et la Compagnie des Indes Orientales de 1664 
(Paris, Calmann Lévy, 1886, in-12 de XXII—404 p.). 

2) Paris, sans nom d’imprimeur, 1664, in-4 de 57 p. 

3) Celles de FRANÇOIS CAUCHE et de FLACOURT, dont la seconde avait 
eu deux éditions (1658 et 1661). D'autres voyageurs avaient incidemment 
préconisé un établissement à Madagascar, la Boullaye le Gouz, par exemple, 
qu écrivait sur ce sujet en l’année 1657: «Si Sa Majesté vouloit entendre 
à ces conquestes, elle se rendroit facilement maistresse de toute l'Isle, et des 
costes d’Affrique, où sont les mines d’or» (Les voyages et observations du 


sieur de La Boullaye le Gouz, p. 277). 
Vierteljahrsehr, f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. Ill. 6 





82 Henri Froidevaux 


par Hubert Hugo”), par d'autres encore‘). Aussi eomprend-on 
que le porte-parole de Louis XIV ait insisté comme il l’a fait, 
dans le Discours dun fidèle sujet du Roy, sur l'importance de 
Madagascar et assigné comme but aux premières apérations de 
la future Compagnie l'occupation et la colonisation de la terre 
appelée naguère par les Portugais le de Saint-Laurent. «Il n’y 
a pas, déclarait-il*), de lieu plus propre pour faire un magazin 
général des marchandises que l’on feroit venir de tous costez 
pour estre apportées dans l’Europe». En outre, «la terre y est 
admirable pour toutes sortes de grains et d’arbres, et ne demande 
qu'a estre cultivée pour estre merveilleuse. Il n’est point neces- 
saire comme aux autres Isles, d’y apporter des vivres pour y faire 
subsister les colonies; on y trouve de toutes choses en abondance, 
et le pays en produit non seulement assez pour nourrir ses ha- 
bitans, mais assez encore pour en faire part à d’autres peuples. 
Les eaux y sont excellentes, les fruits délicieux, et l’on peut dire 
sans exaggeration qu'il est aysé d’en faire un vray Paradis terrestre. 
Elle a outre cela des mines d’or si abondantes que durant les 
grandes pluyes et ravines d’eaux, les veines d’or se descouvrent 
d’elles-mesmes le long des costes et sur les montagnes»*). 

Ces assertions optimistes — que semble seul avoir discutées 
le sieur Gentilot dans ses curieuses «Remarques et observations d’un 
fidèle sujet du Roy sur les discours touchant l'Etablissement d’une 
Compagnie françoise pour le commerce d'Orient» °) — se trouvèrent 
corroborées par l’arrivée à Port-Louis, au milieu du mois de mai 1664, 
du navire le Saint-Charles, le dernier bâtiment envoyé à Madagascar 
par le Maréchal de la Meilleraye. Onze mois et vingt jours lui 


1) Ces différents mémoires sont conservés aux Archives du Ministère des 
Colonies, C 5, Madagascar, carton 1. Le premier a été analysé dans les 
Mémoires de la Congrégation de la Mission (t. IX, p. 389—890), le dernier 
publié par CH. GrANDJEAN dans le Bulletin de la Société des Etudes Man- 
times et Coloniales, 1898, janvier, p. 5—25). 

2) V. les différents mémoires contenus dans le registre 2 de la série 
C 2 des Archives du Ministère des Colonies, dans lesquels il est accidentelle- 
ment question de Madagascar. 

3) P. 19 de l'édition in-4. 

4) P. 17—18 de l'édition in-4. 

5) Archives du Ministère des Colonies, U 2, registre 2, fol. 75—88. 


Le commerce français à Madagascar au XVII” siècle. 83 


avaient suffi pour se rendre dans l’île de Saint-Laurent, et pour en 
revenir «chargé de quantité de cuirs, de cire et de bois d’ébène», 
et «aussi [de] quelques pierreries» '); il en rapportait d’autre part, 
a en croire CHARPENTIER, des lettres ne tarissant pas en éloges 
sur le pays”). (C’est done un don vraiment royal que fit, dans 
de telles circonstances Louis XIV à la Compagnie des Indes 
Orientales quand, non content de souscrire personnellement une 
somme de trois millions de hvres, il lui concéda à perpétuité, 
le 26 mai 1664, «la propriété de l’isle de Madagascar ou Saint- 
Laurent avec les isles circonvoisines, forts, habitations et colonies»). 

Mais du moins Louis XIV, s’il lui faisait an semblable cadeau, 
entendait-il que la grande île dans laquelle il se plaisait à voir 
une base solide pour les futures opérations commerciales et co- 
loniales de ses sujets, ft de la part de la Compagnie des Indes 
Orientales l’objet d’une sollicitude particulière, et fût colonisée 
et mise en valeur avant toute autre partie du vaste domaine 
dont il lui avait abandonné l'exploitation exclusive. CHARPENTIER 
l'avait, dans son Discours d’un fidèle sujet du Roi, donné nette- 
ment à entendre“); aussi les syndics décidèrent-ils que le premier 


1) CHARPENTIER, Relation de l’Etablissement de la Compagnie I'rancoise 
pour le Commerce des Indes Orientales, p. 19. 

2) «Nous sommes, déclarait le lieutenant de Maison-Blanche dans une 
kttre du 1° janvier 1664, en un pays très-beau, très-bon et très-fertile. Les 
Viandes y sont en grande abondance, aussi bien que le Ris. le Vin, le Miel; 
mais les guerres que les Naturels #e sont faites ont un peu incommodé le 
payse (CHARPENTIER, 1bid., p. 34). Cf. la lettre de M. Etienne citée aux 
p. 37—38. 

3) Ce sont les termes mêmes de l’article 20 des «Articles et Conditions 
sur lesquelles les Marchans Negotians du Royaume supplient très-humblement 
le Roi de leur accorder sa Declaration, et les grâces y contenfes pour l’&ta- 
klissement d’une Compagnie pour le Commerce des Indes Orientales» (Paris, 
1064, in-4 de 21 p.) — Cf. les art. 21 et 22. 

4) «11 faut . . . équiper une Flotte, et aller descendre droit dans nostre 
Isle de Madagascar, où nous ne trouverons aucune résistance, et commencer 
à y faire un grand establissement, qui sera soustenu par de fortes colonies 
que l'on continuera d’y envoyer . .. Et ce sera là comme les préliminaires 
de nostre grand commerce» (P. 29—30). — «Il paroist maintenant que ce que 
jay advancé est très-vray, je veux dire que la demeure de Madagascar cst 
préférable en tout à celle que nos voisins ont dans l’Isle de Java, et par 
cmséquent que nous ne la devons point négliger» (P. 38). 


84 Henri Froidevaux 


armement de la Compagnie naissante ne se rendrait pas jusqu'aux 
Indes, mais se bornerait, après avoir gagné Madagascar, à explorer 
les côtes de. l'Afrique orientale jusqu'à la mer Rouge. C’est 
sur la grande île africaine de l'Océan Indien que devaient d’ailleurs 
porter presque exclusivement les efforts des agents de la Compagnie, 
les instructions des syndics en fournissent la preuve indéniable. 
Bien que «l’on n’eät point d'autre intention, pour cette première 
fois, que d'aller jetter les fondemens d’un grand establissement»"), 
il fut <enjoint expressément aux gens du Conseil d'envoyer aussi- 
tost qu'ils seraient arrivez plusieurs brigades dans les dedans 
du pays pour informer les habitans de nos desseins, et pour 
tascher de les attirer à nous par toutes les voyes de douceur 
imaginables, et en leur faisant entendre qu'ils viennent . . . . afin 
de traffiquer avec eux, et de leur apporter du Royaume de France 
les choses dont ils manquent, . . . . que jamais aucun Negre 
ni autre habitant de l'Isle n’en sera enlevé ni transporté pour 
estre vendu comme esclave ou pour estre contraint de servir, 
mais au contraire que les François leur donneront une protection 
entière contre ceux qui leur voudroient faire un pareil traitte- 
ment»*). En même temps, et pour préparer l'avenir d’une autre 
manière encore, les membres du Conseil Souverain devaient s’at- 
tacher avec un soin tout particulier à l’exploration scientifique et 
économique *) de l'ile Dauphine, ainsi qu'était dorénavant appelée 
Madagascar‘). a 

Bien qu'une «seconde flotte, qui sera beaucoup plus puissante, 
et par le moyen de laquelle on sera en estat de mettre la dernière 
main au Gouvernement de la Compagnie dans cette Isle», dût 


1) CHARPEXTIRR, Relation de l'Establissement de la Compagnie . . ., p. 67. 

2) In., sbid., p. 84. — Pour comprendre la réserve relative à ia traite, 
il convient de rappeler ici que Prony avait naguère, en l'année 1646, fourni 
une Cargaison d'esclaves antanoay A un capitaine hollandais qui les transporta 
Al’ile Maurice, «ce qui a esté cause que, depuis ce temps-là, il ne se trouva 
aucun Nègre en l'habitation tant qu’il y a eu Navire mouillé à l’ancre, et 
que lea Nègres du païs eurent en hayne dès ce jour-là les François» (FLA- 
COURT, Histoire de la grande Islc Madagascar, 6d. de 1658, p. 209—210). 

3 CHARTENTIER, Relation de VEstablissement de la Compagnie . 
y. US 

4) ln. sded,, p. 108-108. 


e > 


Le commerce français à Madagascar au XVII" siècle. 85 


suivre de très près la première !), les syndics ne negligerent rien 
de ce qui pouvait, au point de vue matériel même, aider au succès 
de l’entreprise. Non contents de s’assûrer le concours des ad- 
ministrateurs qu'ils jugeaient le mieux au courant des affaires de 
Madagascar, et des capitaines les plus habiles et les plus 
expérimentés, non contents de recruter des marins d'élite, des 
gens de métier et des artisans de toute espèce’), ils veillèrent 
avec un soin minutieux à fournir leurs agents de «toutes 
sortes de marchandises, non seulement de celles dont le débit 
pourroit estre avantageux avec les insulaires, mais encore de 
toutes les choses necessaires pour la commodité de la colonie»). 
Ausai leur fallut-il plus de sept mois pour mettre leurs quatre 
premiers vaisseaux en état de quitter la France à destination de 
Madagascar (7 mars 1665). 

Mais, quelque soin que Colbert et les syndics de la Compagnie 
eussent apporté à la désignation de ceux qui devaient présider 
aux destinées de la colonie de Fort-Dauphin, ils se tromperent 
sar leur valeur. «Les premiers du Conseil n’estoient pas gens 
à rendre de grands services . . . et il y avoit des marchands 
qui eussent bien conduit des boutiques et des magasins, mais 
qui estoient incapables d’une administration politique; et tous 
aavoient point l’experience, la fermeté et l'élévation de genie né- 
cssaires pour soûtenir une entreprise de cette importance>‘). 
En outre, quelques précautions qui eussent été prises pour bien 
déterminer les attributions de chacun‘), on n’était pas arrivé à 





1) CHARPENTIER, Relation de l’Establissement de la Compagnie pour 
le Commerce des Indes Orientales, p. 67—68. 

2) V. CHARPENTIER, idid., p. 24 et 73; et SOUCHU DE RENNEFORT, 
Histoire des Indes Orientales, p. 6—8. 

3) CHARPENTIER, Relation de lPEstablissement de la Compagnie ..., p. 71. 

4) Soucat de RENNEFORT, Histoire des Indes Orientales, p. 392. Cf. 
p. 91. 

5) CHARPENTIER, Relation de l’Establissement de la Compagnie . .., 
p. 68. 75. 86—88. On se rendra compte de la minutie avec laquelle tout 
arait été déterminé par l'exemple suivant: «Quant aux affaires de la Com- 
Pagnie qui regardent particulièrement le traffic, elle en distribua la direction 
eatre les quatre marchands qui doivent estre du Conseil particulier. Ainsi 
ele ordonna que l’un d'eux tiendroit les livres et prendroit soin qu'ils fussent 


86 Henri Froidevaux 


faire en sorte que plusieurs des principaux agents envoyés à 
Madagascar eussent dépouillé toute préoccupation personnelle, 
qu'ils ne songeassent avant tout à leur fortune particulière, ni 
qu'ils vécussent ensemble dans une entente parfaite. C'est ce 
dont SOUCHU DE RENNEFORT a, dans sa précieuse Histoire des 
Indes Orientales, fourni plus d’une preuve; il a montré comment, 
durant la traversée même, se produisirent entre marins, admi- 
nistrateurs et marchands des conflits de personnes qui se conti- 
nuèrent après l’arrivée à Fort Dauphin !); il a également montré 
comment, après le débarquement (14 juillet 1665), <chacun s’appli- 
quoit sérieusement à se faire du bien»*). Aussi, malgré que la 
flotte eût, selon les expressions mêmes de CHARPENTIER ®), cgé- 
néralement de tout ce qui se peut imaginer et de tout ce que 
les hommes peuvent désirer», les colons ne tardèrent-ils pas à 
y souffrir tellement de la disette que «la derniere extrémité fit 
courir à la traite dans quelques Villages des environs, d’où l’on 
apporta des racines, des fèves, du miel et quelque ris», et qu’il 
fallût bientôt après, «pour soulager le fort», envoyer en expédition, 
sous différents prétextes, bon nombre de Français“). Mais ce 
n'était là que des palliatifs insuffisants; ce qu'il aurait fallu 
modifier, c'était l'esprit de l'administration même de la colonie, 
c'était l’âpreté et l’avidité de l’ancien gouverneur, M. de Champ- 


tousjours en bon ordre et en parties doubles; que ce seroit luy qui dresseroit 
les commissions qu’on donneroit à ceux qu’il faudroit envoyer en parti, pour 
faire quelque nouvel Establissement, ou pour la traitte des Marchandises; 

. que le quatriesme auroit soin du magazin où seront les marchandises 
appartenant à la Compagnie, avec les Drogues et Medicamens, et feroit placer 
toutes ces choses séparément et avec le plus d'ordre et de propreté qu'il 
pourroit, qu’il tiendroit un registre exact de tout ce qui seroit mis dans ces 
magazins, et de ce qui en sortiroit, soit pour aller en traitte, soit pour porter 
à quelque nouvelle habitation, de façon qu’on peust tousjours sçavoir la quan- 
tité et la qualité des marchandises qui seront sorties du Magazin; et qu’enfin 
il ne delivreroit jamais aucune chose sans l’ordre exprès du Conseil» (Ib. 
tbid., p. 86—88). 

1) P. 35—86. 72—75. 85. 100-101. 392. 

2) P. 90. 

3) Relation de lEstablissement de la Compagnie . . ., p. 71. 

4) SoucHU de RENNEFORT, Histoire des Indes Orientales, p. X. 


Le commerce français à Madagascar au XVII* siècle. 87 


margou, devenu «commandant les armes de l’isle>'), c'était «la 
foiblesse ou l’infidélité du Conseil des Indes>?). 

Il serait cependant injuste de ne pas reconnaître que les 
chefs de la colonie française de Madagascar ont fait à tout le 
moins une parte de leur devoir, et se sont efforcés de satisfaire 
à certains articles de leurs instructions. Ce même SoucHU DE 
RENSNEFORT, dont l’ouvrage contient de si lourdes charges contre 
les membres du Conseil Supérieur, fournit également la preuve 
que l'enquête économique prescrite par les Syndics commença 
presque immédiatement après l’arrivée du premier convoi à Fort- 
Dauphin °), et que, dès le début de l’année 1666, de précieuses 
informations de toute espèce avaient été recueillies par leurs 
soins sur la partie sud-orientale de l’île, celle (il est vrai) que 
les Français habitaient et parcouraient depuis plus de vingt ans, 
celle sur laquelle il était le plus facile d'obtenir des renseigne- 
ments précis“). En outre un gisement de pierres précieuses y 
avait été découvert”), et des marchandises de grand prix avaient 
été accumulées dans les magasins de Fort-Dauphin, comme le 
prouve la liste des objets composant la cargaison de /a Vierge 
de Bon Port, qui fit voile vers la France le 20 février 1666. 
Dans la cale de ce navire avaient été entassées «des montres 
de pierreries, de minéraux, de gommes, d’épiceries, de terre mêlée 
d'or, et d’autres métaux, de bois précieux et de senteur, et de 
tout ce qu’on avoit trouvé de riche et de précieux à Madagascar>°), 


1) Sur La façon dont fut conduite la négociation qui aboutit à cette 
tomination, conformément aux instructions des syndics, v. SOUCHU DE RENNE- 
FORT, 3. cit., p. 40—41 et 71—72. 

2) Expression de SOUCHU DE RENNEFORT, owv. cité, p. 113. 

3) In., ibid., p. 89—90: dès le 10 septembre 1685, le Suint Paul fut 
expédié «reconnoitre les lieux où il seroit le plus à propos d'établir des 
comptoirs et des correspondances. Il fut chargé d'aller en l’Isle de Sacator 
[Soeotora], dans la Mer Rouge, et tant qu’il seroit possible prendre infor- 
mation seure de la Côte d’Asie jusques au sein Persique». 

4) V. les chapitres XXIV—XXX du livre II de l'Histoire des Indes 
Urientales de SOUCHU DE RENNEFORT (p. 118—185). 

5) In., sbid., p. 96—97. 

6) In., #bid., p. 392. Cf. p. 159, où SOUCHU DE RENNEFORT parle de 
tabec, de benjoin, d’ambre gris, de poivre et d’alven. 


88 Henri Froidevaux 


sans parler de ce qui constituait la cargaison ordinaire des bä- 
timents de commerce revenant de l’île de Saint-Laurent, des 
cuirs et des billes d’ebene en particulier!) Si, en vue de Guerne- 
sey, la Vierge de Bon Port dut, après un combat acharné 
contre un vaisseau de guerre anglais, amener son pavillon, puis 
s’engloutit dans les flots?), les membres du Conseil Souverain 
de Madagascar ne doivent pas être rendus responsables de ce 
désastre; ils avaient rempli leur devoir en chargeant à son bord 
de telles richesses que, — sans tenir compte de tous les objets 
précieux dissimulés dans leurs coffres par les marins de l’équi- 
page?), — «on faisoit valoir [ce navire] un milion d’or>»t). 

Non content de recueillir des renseignements de tout genre 
sur la partie méridionale du pays, le Conseil Souverain de Ma- 
dagascar s’est préoccupé de poursuivre son enquête sur la côte 
orientale ‘), et même (un peu plus tard) sur la côte occidentale 
de l’île‘); et il n’a pas dépendu de lui que le navire Ze Saint- 


1) SOUCHU DE RENNEFORT., Histoire des Indes Orientales, p. 169. Cf. les 
Mémoires de Fr. MArTın (Arch. Nat., T. 1169, fol. 36 v°), où il est question 
de cuirs et de «diverses sortes de gommes». — D’autre part, SOUCHU DE RENNE- 
FORT parle de singes et de deux caméléons embarqués sur la Vierge de Bon Port 
(Relation du premier royage de la Compagnie des Indes Orientales . . ., p. 298). 

2) SOUCHU DE RENNEFORT, Histoire des Indes Orientales, p. 152—160. 

3) «Il est certain, écrit SOUCHU DE RENNEFORT (ibid., p. 161), que presque 
tous les coffres estoient à double fond et cachoient des pierreries». FRANÇOIS 
MARTIN raconte de son côté dans ses Mémoires que «plusieurs des officiers 
du navire ainsy qu'entre les passagers avoient l'idée remplie des grandes 
richesses qu’ils emportoient avec eux par quantité de topazes, d’amathistes et 
d’autres pierres de couleurs . . . dont ces gens la estoient bien garnis> (Arch. 
Nat., T 1169, fol. 22 r°). 

4) SOUCHU DE REXNEFORT, tbid., p. 161. 

5) Les voyages de FRANGOIS MARTIN (dont il sera question un peu 
plus bas) en fournissent la preuve, ainsi que les instructions données au 
Saint-Paul avant son départ (SOUCHU DE RENNEFORT, Histoire des Indes 
Orientales, p. 89 —90). 

6) FRANÇOIS MARTIN, dans ses Mémoires inédits (Arch. Nat. T 1169, 
fol. 22 r°), raconte que, dès l’arrivée du houcre St. Loue à Fort Dauphin 
(12 février 1666), «le Conseil trouva à propos d’envoier ce houcre reconnoitre 
la coste de l'Ouest de l’ile pour remarquer ce qu’il y auroit à faire pour 
l'avantage de la Compagnie». Cf. CARPEAU PU SAUSSAY, Voyage de Mada- 
gascar, p. 179. 


Le commerce francais A Madagascar au XVII: siècle. 89 


Paul se rendit beaucoup plus loin encore, jusqu’à Socotora et 
sur les rivages de l’Arabie et de la Perse'). Le Conseil Souve- 
rain a également tenté, en dépit des objections et des répugnances 
de M. de Champmargou ?), de vivre en paix avec les indigènes 
du sud de Madagascar, et de se procurer du bétail autrement 
que par des razzias; il a enfin essayé de fonder plusieurs comp- 
toirs ou de maintenir les comptoirs déjà existants à Mas- 
eareigne, à Matitanana, à Galemboulou, dans l’île de Sainte-Marie, 
à Antongil”). De ces différents établissements, un seul, celui 
de Mascareigne, était destiné à un long avenir; quant aux autres, 
ils ne devaient subsister que quelques années. Leur histoire, 
malheureusement très obscure, est cependant intéressante à étudier; 
elle prouve que si, parmi les personnages les plus importants de 
la colonie française de Madagascar, «l’ambition et l’avarice estoient 
les passions dominantes», si <el'interest particulier l’emportoit 
toujours sur le général, et sur celuy de la Compagnie>*), il n’en 
était pas de même chez un certain nombre d'agents subalternes. 
Rien peut-être, à cet égard, n'est plus significatif que l’histoire 
de FRANÇOIS MARTIN, le futur fondateur de la domination 
française dans l'Inde. 


Envoyé de l’île Mascareigne, où l’avait transporté le navire 
PAigle Blanc, à Galemboulou pour y remplir son office de <sous- 


1) Non seulement SOUCHU DU RENNEFORT le dit avec précisign, mais 
FRANÇOIS MARTIN corrobore son récit quand il écrit avoir reçu du Conseil 
«des instructions où l’on me marquoit de passer avec le navire le Saint- 
Paul au Bandar Abassy et jusques à Bassora, pour y apprendre des nouvelles 
des envoiez par terre» (Arch. Nat., T 1169, fol. 19 r°; cf. fol. 17 r°). 

2) V.les Mémotres de FRANÇOIS MARTIN, fol. 16 v°. — Si M. de Beausse 
rest enfin décidé à autoriser l’expédition projetée depuis longtemps par M. de 
Champmargou, ce fut sous la condition expresse «que le party seroit fait au 
som et pour l’interest de Monsieur le duc Masarin» (ibid, fol. 17 r°), l’heri- 
ter du maréchal de la Meilleraye. Ainsi s'explique le partage du butin 
rapporté par SOUCHU DE RENNEFORT à la p. 112 de son Histoire des Indes 
Orientales. 

3) Sur tous ces faits, v. l'Histoire des Indes Orientales de SovcHht DE 
REXXErORT et les Mémoires de FRANÇOIS MARTIN, passim. 

4) Expressions employées par SOTCHU DE REXNEFOR‘T, Histoire des Ind:s 
Orientales, p. 391. 


90 Henri Froidevaux 


marchand» et pourvoir d’une manière toute spéciale à l’appro- 
visionnement en riz de Fort Dauphin, Frangois MARTIN se préoc- 
cupa, avant même d’avoir gagné le lieu de sa résidence, de 
recueillir sur le champ de ses futures opérations commerciales 
toutes les informations possibles'); puis, aussitôt arrivé à Fort 
Gaillard, — tel était le nom de l’habitation française de Galem- 
boulou, — il entra en relations avec les chefs indigènes, et, pour 
éviter tout malentendu, débuta par arrêter de concert avec eux 
un véritable tarif de transactions. «Nous convînmes, raconte-t-il 
dans ses précieux Mémoires encore inédits, avec les maîtres de 
village de donner douze grains de rassade d’une mesure de ris 
blanc quy contenoit 12 livres de ce grain; les poules à dix grains 
chacune”). C’est seulement ensuite que FRANÇOIS MARTIN <ouvrit 
la traite», avec un plein succès, puisque en quelques jours, et 
bien que sa rassade ne fût point celle que souhaitaient les indi- 
gènes, il put réunir 150 barriques de riz blanc et 500 volailles 
qu’il s’empressa de faire passer a Fort Dauphin). 

C’est au mois de septembre 1665 que FRANÇois Marris, 
assisté de dix-neuf Français entrés en même temps que lui au 
service de la Compagnie des Indes Orientales, commença de la 
sorte à remplir ses fonctions de sous-marchand; jamais jusqu’a- 
lors un pareil nombre de colons n'était venu habiter dans le 
pays. Rien n’en fournit mieux la preuve que la description de 
l'établissement dans lequel débutèrent par se loger Martin et ses 
compagnons; «l’habitation des François à Ghalemboule nommé{e] 
par eux le fort Gaillard avoit cinquante pas en quarré. Elle 


1) Erancoıs MARTIN, Mémoires, fol. 4 v°, 7 v°, 9 v°. — Cf, CARrEAU 
DU Baussay (Voyage de Madagascar, p. 91): <Messieurs de la Compagnie y 
avoient envoyé du monde pour y traiter du ris, qui y est en abondance, et 
à très-bon marché». 

2) Fol. 11 vw”. Cf. SOUCHU DE RENNEFORT, Relation du premier voyage 
de la Compagnie des Indes Orientales . . ., p. 191: «Le boisseau ne coustant 
que douze grain{s] de rassade ou verre . . .». 

3) ManriN, Mémoires, fol. 12 r°. SOUCHU DE RENNEFORT, dans sa Re- 
lation du premier voyage de la Compagnie des Indes Orientales (p. 191), 
ne parle que de 30 tonneaux de riz comme ayant 6t& chargés à cette époque 
sur PAigle Blanc, et cela «par l'intelligence des deux anciens François» que 
MARTIN y avait trouvés en arrivant. 


Le commerce français à Madagascar au XVII® siècle. 91 


renfermoit une grande caze, cine autres petites cazes et un ma- 
gasin pour garder du ris. Cette habitation estoit ferméfe] de 
deux pallissades de gros pieux, distante[s] l’une de l’autre de 
dix pieds, à l’exception néanmoins du costé de nord où estoit 
l'entrée, et où il n’y avoit qu'une pallissade. Deux formes de 
demy tours, aussy de pieux, à deux angles osposez (sic), flan- 
quoient les courtines. Au reste, c’estoit la plus mechante scituation 
du monde: un terrain bas toujours plein d’eau joignant un grand 
bois, en sorte que deux personnes pouvoient à peine passer de 
front du costé de l’ouest entre le bois et la pallissade. Il n’y 
avoit que la place devant l'entrée de l'habitation quy estoit très 
belle. La mer battoit au pied»!). (C'était là des conditions 
absolument défectueuses au point de vue de l'hygiène et de la 
salubrité; aussi comprend-on sans peine que les fièvres n'aient 
pas tardé à réduire le nombre des colons français de Galemboulou, 
et que MARTIN, au bout de quelques mois (juillet 1666), se soit 
décidé à transférer le Fort Gaillard à quelque distance, <sur une 
hauteur . . . et en bel air»?). Au mois de décembre suivant, il 
s'établissait dans une nouvelle habitation, «bien plus commode 
et bien plus saine», à la construction de laquelle les indigènes 
de la contrée étaient, sur l'invitation de FRANÇOIS MARTIN, venus 
travailler «par courvées et avec joye>°). 

Rien, peut-être, mieux que ce petit fait, — qui se reproduisit 
a plusieurs reprises l’année suivante‘), — ne prouve combien le 
sous-marchand de Galemboulou avait su, par sa douceur et par 
sa scrupuleuse honnêteté, gagner l’amitie des indigènes du pays. 
Ir venaient au reste d'eux-mêmes vendre au Fort Gaillard tout 
le-riz dont ils n’avaient pas besoin pour leur consommation per- 
sonnelle, et c’est ainsi que MARTIN put, à différentes reprises, 
charger de grandes quantités de riz sur les bâtiments que les 
vhefs de la colonie de Fort Dauphin envoyèrent dans ce but à 


1) F. Mırrın, Mémoires, fol. 11 v°. 

2) In., idid,, fol. 24 r°. 

3) Iv., ibid., fol. 28 r°. 

4) V. le fol. 81 v9: «Je fis bastir des magasins au bord de la mer, à 
dix pas de l’endroit où les chaloupes abordoient, pour la facilité de l’embarque- 
ment. ex nègres y travaillèrent par courvées.» Cf. encore le fol. 32 r°. 


99 Henri Froidevaux 


Galemboulou. Ses Mémoires montrent Martin!) faisant passer au 
mois d'août 1666 100 tonneaux de riz sur le Suint-Paul, au mois 
de Mai 1667 140 barriques sur le même bâtiment, puis, sur un autre 
navire, 180 barriques quelques semaines plus tard, et, sur un autre 
encore, 200 barriques en août suivant, 80 sur le Saint-Robert en 
novembre 1667, enfin, bien que les sauterelles eussent un peu aupara- 
vant ravagé tout le pays, 150 barriques sur le Petit Saint-Jean 
au mois de mai 1668 *) Le mérite de MARTIN paraîtra plus con- 
siderable encore si l’on songe que le sous-marchand de la Com- 
pagnie est loin d’avoir toujours eu en magasin les verroteries que 
les indigènes accentaient seules en paiement, et qu'il lui fallut user 


1) MARTIN, Mémoires, fol. 24 r°, 31 v°, 82 r°, 32 v°, 38 v°, 48 r°. 

2) Les faits énoncés par MARTIN trouvent leur confirmation dans ce 
passage d’une lettre de M. RouuET, prêtre de la Mission, en date du 15 oc- 
tobre 1667: «Galemboule . . . est une contrée sur la côte de la mer, à 150 ou 
200 lieues d’ici, vers l’île Sainte Marie. Les Français y ont un fort, et c’est 
de là que nous tirons la plus grande partie de notre riz» (Arch. de la 
Congrégation de la Mission, reg. de Madagascar). De son côté, CARPEAU DU 
SAUSSAY reconnaît que, lors de son passage au Fort Gaillard avec 3. de 
Champmargou en mai 1666, on embarqua sur le Taureau ‘autant [de riz] 
que notre navire en pouvoit porter» (Voyage de Madagascar, p. 91). 11 semble 
donc, dans de telles conditions, que rien ne subsiste de l’accusation formulée 
contre MARTIN par SOUCHU DE RENNEFORT dans les termes suivants: «Depuis 
que P’Aigle Blanc étoit party de Galamboulle pour le Fort Dauphin, le com- 
mandant du Fort Gaillard avoit entièrement gasté le commerce» (Æelation du 
premier voyage de la Compagnie des Indes Orientales . . ., p. 220). Au reste, 
MARTIN lui-même explique dans ses Mémoires comment une telle accusation 
a pu être portée contre lui (fol. 17 v° et 19 v’). — On trouve une précieuse 
confirmation de la véracité de MARTIN dans la lettre collective écrite par de 
FAYE et CARON le 14 octobre 1667 (Arch. Ministère des Colonies, C 5, Ma- 
dagascar, carton 1); ils y disent avoir «tiré» de Galemboulou «depuis leur 
arrivée 320 bariques de rys et environ 200 poules». Or ce chiffre de 320 
bariques concorde exactement avec celui que donne MARTIN pour ses deux 
premiers envois de l’année 1667. On peut d’autre part, en admettant que 
le copiste a mal transcrit le chiffre contenu dans l'original, constater que 
les directeurs accusent réception de 520 bariques, ce qui est encore le 
chiffre total indiqué par MarriX pour ses expéditions de rig entre mai et 
août 1667. — Tenir compte enfin de la mention que poste la carte de la côte 
N. E. de Madagascar dressée par DUPRÉ-EBERAPD en 1667: «Galanboulle ou 
nous chargions du Rys ou Foul Point» (A. Grandidier: Atlas de ?’Flistoire 
de la Géographie de Madagascar, pl. 30, n°. 1), 


Le commerce français à Madagascar au XVII* siècle. 93 


parfois de toute son habilete, de toute son influence sur les habitants 
de la contrée pour les déterminer à se contenter, en échange de leur 
riz, de marchandises dont ils ne faisaient aucun cas. «La rassade 
ne les satisfaisoit [pas], rapporte-t-il quelque part !), pour ce qu’elle 
estoit de diverses couleurs, et il n’en faut que de la bleue et de la 
rouge”); mais comme l’on ne m’en avoit donné que fort peu de 
ces deux couleurs, j’estois obligé d’en mesler d’autres parmy celles- 
la... Le capitaine du houcre le Saint-Louis, raconte-t-il un 
peu plus loin°®), me remit les marchandises de traite qu’il estoit 
chargé de me rendre, mais très mauvaises pour la contrée de 
Ghallemboulle. . . . J’envoiay avertir les noirs de la contrée 
de l'ouverture de la traite; les marchandises ne leur plaisoient 
pas . . . Je leur promis qu’il y en avoit de meilleures dans un 
autre vaisseau que j’attendois dans peu de jours, mais qu'il 
falloit qu'ils prissent celles que je leur montrois. Ils s’y ren- 
dirent, quoy qu'avec peine>*). Parfois, en dépit de tous ses efforts, 
MARTIN ne parvenait pas à amener les indigènes à se contenter 
des seules marchandises dont il pouvait disposer, à moins qu'il 
ne trouvät des alliés tout à fait inattendus dans les femmes du 
pays; c’est ce qui se produisit au moins dans une occasion, en 
l'année 1666. «Nous avions, écrit-il*), ouvert la traite du ris ... 
Les maîtres de Villages de la contrée vinrent en troupes visiter 
la rassade que nous avions pour traiter. Ilz amenèrent leurs 
femmes avec eux. L’on leur fit voir les sortes. Cine ou six 
de ces dames quy passoient entre les autres pour avoir l’adresse 
de se bien mettre, . . . choisirent les rassades, les assortissant 
par couleurs pour donner plus d’agreement (sic) aux colliers, 
aux brasselets et aux autres ajustemens à quoy elles les em- 
ployent: et après en estre convenues entr’elles, elles s’a[rjreterent 
a demander de ces sortes de rassades. Les maris les considerans 
ne trouvèrent pas qu’elles pussent leur servir à traiter dans les 





1) Mémoires, fol. 11 v°. 

2) Rapprocher cette indication de celles fournies par Flacourt dans son 
factum (p. 31) et citées plus haut. 

3) MARTIN, Mémoires, fol. 31 r°. 

4) Ibid., fol. 31 v°. 

5) Ibid., fol. 60 r°. 


94 Henri Froidevaux 


contrées voisines pour en tirer ce qu’ilz avoient besoin; ilz le 
représentèrent à leurs femmes, mais elles tinrent ferme, et ils 
furent obligez d'en passer à ce qu'elles avoient résolu. Mon 
second, quy estoit auprès de moy et quy avoit observé fort sérieuse- 
ment leurs façons de faire, et leur opiniatreté ensuite au choix 
des rassades, s'écria avec une espèce d’emportement: «Et quoy! 
faut-il qu’elles soient les maîtresses partout!» Elles se firent 
expliquer ce qu’il avoit dit, mais elles n'en firent que rire.» — 
C'est encore d’une manière toute pacifique, et en leur faisant 
valoir les avantages de différente nature que la présence des 
Français de Fort Gaillard leur assûrait, que FRANÇOIS MARTIN est 
arrivé à se procurer (non d’ailleurs sans quelque difficulté) les 
têtes de bétail dont il avait besoin”). Il sut au total, grâce à 
une conduite faite de douceur, d'énergie, d’habilete et de stricte 
loyauté tout à la fois, obtenir beaucoup des indigènes du pay: 
de Galemboulou, sur la constance et la fidélité desquels il ne 
se faisait d’ailleurs aucune illusion; il sut donner une véritable 
vie au comptoir qu'il dirigeait et en faire, — ce qu’on attendait 
surtout de lui, — jusqu’au jour où il le quitta définitivement 
(6 septembre 1668), un véritable magasin de vivres pour la colonie 
française de Fort Dauphin. 

A cette tâche extrêmement utile, mais modeste, ne s’est pas 
borné FRANÇOIS MARTIN; il a aussi, pour obéir aux instructions 
que lui avaient données ses chefs, étudié avec un soin minutieux 
le pays qui environnait le Fort Gaillard; et il en a laissé une 
description extrêmement précise, et du plus haut intérêt). Sans 
doute, on n’y trouvera pas sur la géographie physique de la 
contrée les renseignements qu'ont pris l’heureuse habitude de 
fournir les voyageurs contemporains; mais sur ses productions 
végétales et animales, sur les mœurs et coutumes de ses habi- 
tants, sur ses <possibilités économiques», on peut y relever de 
multiples indications de très grande valeur. On en relèvera aussi 
dans la relation des différentes reconnaissances que MARTIN a fait 


1) Mémoires, fol. 24 v°, etc. Cf. aussi fol. 57 v°. 

2) Nous comptons publier cette description, qui se trouve aux fol. 53 v’— 
63 r° des «Memoires sur l'Etablissement des Colonies Francoises aux 
Indes Orientales». 


Le commerce français à Madagascar au XVII" siècle. 95 


faire par ses lieutenants, ou qu'il a lui-même exécutées au Sud, 
au Nord et aussi à l'Ouest de Fort Gaillard; l’une d’entre elles, qui 
faillit avoir une funeste issue, l’a mené à la fin de 1667, avant tout 
autre Européen, jusque dans le pays d’Amboët, l’Antsihanaka contem- 
porain, et jusque sur les bords du lac Alaotra, où il s’est trouvé en 
contact avec des populations chez lesquelles l’influence des Hovas se 
faisait déjà sentir’). C’est à l’échec de cette expédition, dont le Con- 
seil des Directeurs de la Compagnie avait formellement décidé 
l'exécution *), que certains documents attribuent l’abandon, au 
mois d'avril 1669, du comptoir français de Galemboulou*); ne 
serait-il pas plus exact de l’attribuer, — puisque ce comptoir avait 
subsisté jusqu'alors et qu'il avait même continué, en dépit de 


cet insuccès, à rendre de réels services, — à l’incapacité du suc- 
cesseur de FRANÇOIS MARTIN à Fort (Gaillard ? 
VI. 


Tandis que ces évènements se passaient sur la côte orientale 
de Madagascar, la grande flotte dont les navires partis de Brest 
au mois de mars 1665 ne constituaient que l’avant-garde était 
enfin arrivée à Fort Dauphin (février-mars 1667)*). Grande fut 


1) Qu'il me soit permis de renvoyer pour ces différents points à deux 
etudes que j’ai publiées naguère sur Un erplorateur inconnu de Madagas- 
car au XVIIe siècle, François Martin (Bull. Gécg. Hist. et Descr., 1896, 
p. 38—77, carte) et Un voyage dans les lagunes de la cute orientale de Ma- 
dagascar en 1666 (R. de Géog., 1896, t. XXXIX, p. 434—444, carte). 

2) Cf. fol. 37 v°: «Le Conseil trouva à propos de me renvoier à Ghalem- 
boule y faire un parti dans les terres pour garnir de bestial cette habitation 
et celles de Sainte-Marie et d’Antongil . . . Je fis beaucoup de difficultez pour 
m’exempter de ce voyage . .. J’en vint feëc) jusques là de demander à Monsieur 
de Faye mon congé pour repasser en France plus tost que de faire ce voiage». 
Finalement, MARTIN se décida à retourner à Galemboulou, par considération pour 
le directeur de Faye. 

8) «La cause pour laquelle on a este obligé d'abandonner ces postes 
provient de la faute du S" ManrTiN et de sa mauvaise conduite dans l'exécution 
de son entreprise contre les Amboittes» c’est A dire les Silanaka (Relation des 
Remarques qui ont este faites sur les principalles bayes, ances et havres de 
Plde Dauphine et isles adjacentes. Arch. Ministère des Colonies, C 6, 
Madagascar, carton 1). — Cf. aussi, moins hostile A MARTIN, l'Histoire des 
Indes Orientales de Soucau de RENNEFORT, p. 246—247. 

4) G. SanxT-Yvrs et J. Fournier, Le voyage de J'rançois de I.opex, 


96 Henri Froidevaux - 


la deception de M. de Montdevergue, le nouveau gouverneur de 
la colonie, et des directeurs de la Compagnie en constatant que 
la réalité ne répondait nullement à ce qui leur avait été dit en 
France de Madagascar. «Le Fort Dauphin, écrivaient quelques 
mois plus tard, dans une lettre collective, les directeurs DE FAYE 
et CARoN), est un lieu nullement propre à faire un Etablisse- 
ment, étant un lieu fort malsain . .. Il y a grande apparance 
que le profit ne rendra de longtems la dépense qu'il faudra faire 
pour ces établissements, si la côte du Ouest de cette isle ne pro- 
duit autre chose que la Côte de l’Est, dont jusqu'à présent ils n’ont 
connû aucunne production que l’on puisse porter en France . . 
Tout ce qui est connû est la province d’Anossy [Anosy], Amboulle 
[Ambolo] et Manemboulle qui en sont les provinces voisines . .. Tout 
ce pays, avec quelques autres petittes provinces en dépendantes (sic) 
jusqu'aux Matatannes [Matitanana] contiennent plus de 60 lieues de 
chemin, en long et en large, où il n’y a nul negoce à faire que des 
racines dans la saison; ... à peine les habitans cueillent-ils du ris 
pour les nourfrlir. . . . Ils ont été autrefois fort riches en bétail; ... 
il n’y avoit pas moins de cent mil bêtes dans cette étendue de 
pays, mais . . . à peine s’y en trouveroient-ils (sic) 4000 par les 
guerres qui se sont faites entre les Roys, ou que les François leurs ont 
fait[es], ce qui cause la difficulté de subsister . .. Si ce qu’ils ne 
connoissent pas ne donne autre chose que ce qui leur est connû, il 
n’y aura jamais rien à espérer, étant certain que depuis la baye 
d’Antongille jusqu'à celle de St. Augustin, du côté de l'Est par le Sud, 
il n’y aura jamais rien à espérer que du riz; et encorre ne sçait-on pas 
si on pourra en avoir suffisamment pour tenir les magazins fournis.» 
En présence d’un tel dénûment, les directeurs avaient dû, 
dès leur arrivée dans le pays, faire bon marché des instructions 
qui leur avaient été remises avant leur départ. «Ils disent, lisons- 
nous dans l'analyse détaillée d’une lettre un peu postérieure ?), 








marquis de Montdevergues, de la Rochelle à Madagascar, 1666—1667 (Bull. 
Géog. Hist. et Desc., 1898, p. 114—137). 

1) Lettre du 14 octobre 1667 (Arch. Ministère des Colonies, C 5, Mads- 
gascar, carton 1). 

2) Lettre du 24 octobre 1667 (Arch. Minist. des Colonies, C 5, Mada- 
gascar. carton 1). 


Le commerce français à Madagascar au XVII* siècle. 97 


que . . . les premieres loix obligent de songer à se loger et 
nourrir, et qu'ils ont crû que leurs soins devoient plustost estre 
appliquez à faire venir de quoy nourrir les habitans et subvenir 
à leurs nécessitez de maladies que de leur faire publier un grand 
nombre de règlemens; qu’à la vérité ils n’ont pas trouvé à l’Isle 
Dauphine ce qu'ils pensoient, que dès le commancement ilz ont 
travaillé à ramasser le ris du pays qui leur coustoit cinq sols 
la livre, et estoient contrainctz de le donner à deux sols pour 
faire vivre les gens et esviter la dernière nécessité; qu’ils ont 
este obligez de donner pour la subcistance (sic) quarente sols 
par jour aux marchands, vingt-cinq sols aux soubz-marchands, 
quinze sols aux commis, vingt sols aux chefs de colonie, et six 
sols aux colons jusques aux enfans à la mamelle» Pour dimi- 
nuer la population de Fort Dauphin, il leur fallut renoncer à 
faire (comme on l’avait décidé dans le conseil des directeurs métro- 
politains) différentes colonies dirigées par des chefs choisis en 
France même, rompre les contrats passés avec eux, et leur offrir 
«de chercher dans la terre quelque place qui fût propre à un 
chacun d'eux», leur représentant «que l’on leur donneroit de la 
marchandise pour envoyer à la traite, et que par ce moyen ils 
touveroient mieux leur compte». Mais les chefs de colonie, 
«s’estans tous imaginez qu'ils vivroient sans rien faire, et que 
leurs gens les serviroient en esclaves», refusèrent unanimement 
d’adherer à ces propositions. 

D'ailleurs, s’ils les avaient acceptées, quelles marchandises leur 
aurait-on pu donner epour envoyer à la traites? Sans doute, 
on a eu soin de charger, à bord des dix navires qui composaient 
la flotte, des marchandises de tout genre, surtout celles qu’on 
savait être appréciées des indigènes du sud de Madagascar; mais 
actuellement les habitants du pays ne s’en contentent plus. «En 
la province d’Anossy [Anosy], écrivent les directeurs, ils sont sy 
rebuttez de rassades et de cuivre qu’ils n’en veulent plus du tout, 
pas seulement pour des citrons, oranges, qui ne leur coustent qu’a 
prendre dans le bois, de sorte qu’il leur faut des ménilles d’argent 
pour les volailles et pour les travaux que l’on leur fait faire» !). 
Ce que les directeurs DE FAYE et CARON ne disent pas, le médecin 


1) Lettre du 24 octobre 1667 (Arch. Minist. Colonies, C 5 carton 1). 
Vierteljahrsehr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 7 


98 Henri Froidevaux 


Dellon n’a pas craint de le publier un peu plus tard: il est une 
autre marchandise & laquelle il faut recourir parfois pour obtenir 
des indigènes ce que l’on désire, c’est «l’eau de vie, qu’ils ap- 
pellent Chicaf'); entre toutes les marchandises qu'on leur peut 
offrir, aucune ne leur est si agréable»?). Voilà pour les habi- 
tants de la partie méridionale de l’île; ailleurs, on accepte encore 
les objets de traite, mais, par suite d'une inadvertance inexplicable, 
ce sont précisément les marchandises les plus prisées des Mal- 
gaches qui font alors défaut. «On ne laissa pas, rapporte Mont- 
devergue lui-même dans un mémoire un peu postérieur *), . . . d’en- 
voyer incontinent et sans perdre un moment un navire à Galemboule 
pour chercher des vivres avec ce que l’on pät trouver de marchan- 
dises propres, qui sont la seule rassade bleuë à l’exclusion de 
toutte autre, hormis un peu de rouge et de jaune; et il s’est 
rencontré par malheur que la bleué est celle dont il y avoit le 
moins dans les assortimens de nos cargaisons, ce qui ne peut 
pas avoir été fait par ignorance, puisque [de] tous les particuliers 
qui en avoyent apportés (sic) pour leur compte, il n’y en avoit 
pas un qui se fut chargé d’autre que de la bleuë, sachant bien 
que c’estoit la meilleure, ce qui doit servir d'avertissement impor- 
tant pour l’advenir au choix et à l’achapt des rassades. Aux 
provinces voisines de celle-cy, et presque jusque à la coste d'Ouest, 
au lieu de rassade, il faut de petites verotteries (sic) dont les 
meilleur[e]js sont la rouge et une certaine feuille-morte aurore, et 
avec cela le cuivre jaune. Ils] font grand cas des cornalines, 
des agates et du corail; les magasins sont denués entièrement 
de toutte[s] ces sortes de marchandises.» 








1) Relation d’un Voyage des Indes Orientales, éd. de 1685, t. L p. 33. — 
Il est juste cependant de noter que, dans leur lettre du 14 octobre 1667, 
DE FAYE et CARON avaient mentionné l’eau de vie parmi les objets de troc 
employés au comptoir français de Matitanana; «aux Matatannes . . ., la 
Compagnie y a une habitation commandée par le Si Desroquettes qui fournit 
aux troupes et colons de quoy vivre pour peu de choses, en troque de diffé- 
rentes marchandises, et d'eau de vies (sic), huilles, vinaigres et autres rafrai- 
chissements» (Arch. Minist. Colonies, C 5, Madagascar, carton 1). 

2) Dellon, ouv. cite, éd. de Cologne, 1709, t. I, p. 46. 

8) Mémoire sur l’estat présent de Pislle (sic) Dauphine, ce dixième febverier 
MCC. soixante et huict (Arch. Minist. des Colonies, C 5, Madagascar, carton 1). 





Le commerce français à Madagascar au XVII: siècle. 99 


De telles constatations n'étaient pas faites pour stimuler beau- 
coup le zèle des directeurs de la Compagnie des Indes Orientales, 
ni pour les exciter à faire du commerce; aussi semblent-ils s’être, 
au début de leur séjour à Fort Dauphin, laissé aller à un véri- 
table decouragement — tel est du moins l’état d'esprit dont témoi- 
gnent leurs lettres'), — et n'avoir pas pris, à l’égard d’un stock 
considérable de cuirs les mesures conservatoires auxquelles ils 
auraient dû recourir”). Bientôt cependant ils se ressaisirent et 
s’appliquèrent, dans leurs différents conseils de commerce, de sub- 
sistance et de colonie”), à tirer de la situation le meilleur parti 
possible. Tandis que le Flamand Caron passait dans l’Inde sur 
an navire chargé d’argent et de marchandises, le directeur DE 
FaAyE demeurait à Madagascar, où M. de Montdevergue, en dépit 
de la mésintelligence qui avait régné entre les délégués de la 
Compagnie et lui-même, le représentant du roi‘), n'avait cessé 
de travailler avec énergie à modifier une situation singulièrement 
précaire. Par ses soins, la citadelle de Fort Dauphin avait été 
mise en meilleur état de défense ; à l’intérieur de l’enceinte avait été 
élevé, à côté de petits magasins couverts de paille où vivres et 
munitions se trouvaient entassés pêle-mêle *), un bâtiment de pierre 

1) Celle du 14 octobre 1667 en particulier. V. aussi la lettre de CARON 
datée du 15 octobre, analysée par G. SAINT-YVES dans Quelques documents 
sur Madagascar au XVIIe siècle, 1667—1671 (Bull. Géog. Hist. et Desc., 
1900, p. 178). Cf. ce que dit MARTIN: «Le mauvais estat où l’on avoit trouvé 
Tile avoit jetté les personnes du Conseil dans un[e] espece de letargie quy leur 
faisoit oublier ce qu’ils devoient à leur employ» (fol. 36 r°). 

2) Marrix le rapporte formellement dans ses Mémoires, fol. 36 r°: 
«Par une négligence très blämable, l’on laissa emporter par la mer 3 ou 
quatre mille cuirs quy estoilen]t le revenu le plus solide de l'île que l’on 
roioit bien qu'il falloit faire retirer du lieu où ils estoient sy l’on ne les 
vouloit perdre.» Il a parlé un peu plus haut du «peu de soin que l’on apor- 
toit A la conservation des marchandises et des effets de la Compagnie». 

3) C'est par SOUCHU DE RENNEFORT (Histoire des Indes Orientales, 
p. 226) que l'existence de ces différents conseils nous est connue. 

4) SOUCHU DE RENNEFORT, tbid., p. 226 et 395; cf. p. 318. 

6) V. le Mémoire du 10 février 1668 (Arch. Ministère des Colonies, C 6, 
Madagascar, carton 1): «Point d'église qu’un petit lieu bien chetif couvert de feuilles, 
les magasins de mesme étoffe». Cf. MARTIN, Mémoires, fol. 36 r°: «Il n’y avoit 
q{u’Jan magasin avec un estage au-dessus où tout estoit en confusion, les merceries, 
les quincailleries, les armes, etc., meslez l’un parmy l’autre et ainsy tout en désordre». 


100 Henri Froidevaux 


susceptible de «servir de couvert aux principaux officiers, et, 
en un besoing, de magazin» ; on s'était «particulièrement attaché 
à faire un chemin pour dessandre (sic) à la marine et faciliter le 
transport des marchandises» ; les environs de Fort Dauphin avaient 
été remis en culture !), enfin de nouvelles reconnaissances avaient 
été faites sur le littoral de Madagascar, et même quelques pointes 
poussées à l’intérieur des terres. C'était là des résultats appre- 
ciables, qui expliquent comment, la confiance étant rentrée dans 
l'esprit des chefs de la colonie, on se remit, vers le milieu de 
l’année 1668, à faire quelque commerce. 

Bien qu’on s’obstinât à leur expédier de France des marchan- 
dises de traite dont les indigènes ne voulaient point, en parti- 
culier des rassades de couleurs sombres”), les agents de la 
Compagnie parvinrent bientôt à réunir une cargaison «de cuirs, 
d’indigo, d’aloës, de montres de gomme et de poivre de Mada- 
gascar» qu'ils chargèrent en 1668 sur le Saint-Jean lorsque ce 
navire, à son retour des Indes, fit escale à Fort Dauphin avant 
de regagner la France”). Un peu plus tard encore, durant les 
années 1670 et 1671, deux autres bâtiments au pavillon fleur- 
delysé, la Force et la Marie, apporterent dans la métropole ces 
mêmes marchandises que, depuis longtemps déjà, y introduisaient 
tous les bâtiments qui s’arrêtaient à Madagascar, c’est à dire — sans 
parler d'animaux rares ou de curiosités d’especes diverses — des 
cuirs, du benjoin et de l’aloës *). Mais il était trop tard ; la Compagnie 


1) V. les Mémoires du 10 février et du 1° octobre 1668 (Arch. Minist. 
Colonies, C 5, Madagascar, carton 1). 

2) Le témoignage de SOUCHU DE RENNEFORT (Histoire des Indes Orien- 
tales, p.248) est formel sur ce point ; les navires ?’ Aigle d’Or et la F'orcearrivèrent 
en août et septembre 1668 à Fort Dauphin «tous deux garnis d’une sorte de rassade 
noire et d'autres couleurs tristes, qui n’y estoit point du tout de commerce». 

3) SOUCHU DE RENNEFORT, 1bid., p. 244 et 249. 

4) SOUCHU DE RENNEFORT le dit avec précision: «Except& les cuirs, le 
benjoin et l’aloës qu'ils prirent à Madagascar» (Histoire des Indes Orientales, 
p. 359). — Sur les animaux rapportés par /a Marie, v. le «Journal succinct 
du voyage du vaisseau la Marie», publié par G. SAINT-YVES dans Quelques 
documents sur Madagascar au XVIIe siècle (Bull. Géog. Hist. et Desc., 
1900, p. 190—191). — Nous savons d'autre part par Dubois que le houcre 
le Sdint-Denys, parti de Fort-Dauphin en mars 1670 avant la Force et la 
Marie, rapporta en France une cargaison «de cuirs et vituailles» (Les Voyages 


Le commerce français à Madagascar au XVII: siècle. 101 


des Indes Orientales, découragée par ses insueeës et aussi par les 
lettres reçues de ses agents en 1668, avait dans l'intervalle rétrocédé 
l'ile de Madagascar au roi, que ses déboires successifs avaient 
amené à renoncer au projet de coloniser ce pays. «Il semble, 
déclarait CoLBERT dès le 8 mars 1669), que cette isle peut et 
doit estre considérée comme un entrepost de convenance, et non 
de nécessité»; aussi déeida-t-on de n’y plus expédier désormais 
«aucuns vivres ni rafraischissements>, «d'envoyer en droiture les 
vaisseaux des Indes en France, sans toucher à l’Isle Dauphine, 
à moins qu'ils n’y soyent contraints par une nécessité absolne 
du tempe>’), enfin, un peu plus tard, de «retraneher toutes les 
dépenses de Fiske Dauphine et l’abandonner entièrement & ses 
habitane>°). Tel fut, en effet, dès l’année 1670, le plan adopté; 
voilà comment, dans son mémoire en date du 1° août 1671, 
Blanquet de la Haye, estimant (selon les expressions de CoLBERT) 
«que l’on ne peut faire des colonies considérables dans la 
première [l’île Dauphine] et qu’il faudra en faire dans la seconde 
[Bourbon], à eause de sa fertilité, de son bon air, de l'abondance 
de ia chasse et des autres commodités que lon y peut trouver» *}, 
conseillait de «peupler de soldats et d'habitans» l’île Bourbon, 
dans laquelle il voyait la future escale des bâtiments français 
sur la route de l’Inde et de l’Extrême-Orient *). 

Toutefois, et quelque eonvaineus qu'ils fussent «que l'isle 








fuits par le Sieur D. B. aux isles Dauphine ou Madagascar, et Bourbon ou 
Mascarenne, ès années 1669. 70. 71 et 72, p. 67). 

1) «Mémoire sur l’estat présent de la Compagnie orientale de France 
dans l'isle Dauphine et dans les Indes», 8 mars 1689 (CLEMENT, Lettres, ins- 
tructions et mémoires de Colbert, t. III", p. 420; cf. tbsd., p. 421). 

2) In, sbed., t. ILT?, p. 421. 

3) Mémoire pour la Compagmie des Indes Orientales; Paris, 30 décembre 
1870» (Ip., sbid., t. Ill *, p. 608). Une minute antérieure d'un fragment de 
la même instruction, conservée aux Archives du Ministère des Colonies (C 2, 
vol 2), porte: «Examiner s’il y a encores quelques ordres à donner pour re- 
trancher toutes les dépenses de l’isle Dauphine où l’abandonner entièrement 
à ses habitans» (fol. 286 r°). 

4) Lettre de CoLB&rT à M. de la Haye, 30 juin 1672 (Iv., idid., t. LIT, 
BR. 547). 

5) Un mémoëre inédit de M. de la Haye sur Madagascar (Bull. Comité 
de Madagascar, septembre 1807, p. 117—118; cf. p. 116). 


102 Henri Froidevaux 


Dauphine n’est pas propre pour le commerce des Indes>'), ni 
Louis XIV ni COLBERT ne songeaient à l’abandonner. Le 20 mars 
1669, le roi l’avait donné nettement à entendre à Montdevergue; 
en relisant la correspondance du gouverneur de l’île, afin de 
«penser à faire repasser en France le nombre de mes sujets qui 
ne pourroient y subsister», il «n’avoit pas eu de peine à se 
persuader» que Madagascar, «estant cultivée, deviendroit assure- 
ment très fertile, et, par conséquent, qu’il suffisoit d’y porter les 
colons en leur faisant connoistre que leur subsistance et leurs 
avantages consistoient en leur travail»?). — «L'autorité du com- 
mandement que je vous ay confié, avait-il écrit à Montdevergue 
quelques jours auparavant), s’accorde bien peu avec l'esprit de 
marchandise» ; aussi, quelques mois après, dans ses instructions 
à M. de la Haye, CoLBERT déclare-t-il que, dans l'avenir le plus 
rapproché, «la fin principale doit estre de faire subsister les colonies 
des François qui sont establis dans le pays». (C’est seulement 
plus tard, «par succession de temps», qu'on pourra envisager 
l'éventualité de la conquête de Madagascar entière, de son ex- 
ploitation commerciale, et de son utilisation pour «faire quelque 
establissement dans l’Afrique»{). 

Blanquet de la Haye était donc dans l’esprit et dans la lettre 
de ses instructions quand il fit reconnaître quelques points des 
côtes de Madagascar, — entre autres la baie de Saint-Augustin, 
où ses envoyés nouèrent de courtes relations commerciales avec 
les indigènes *), — et quand, en quittant Fort Dauphin, il fit 
ı Lettre de COLBERT à M. de Saint-Romain, ambassadeur à Lisbonne; 
Saint-Germain, 28 août 1670 (CLÉMENT, Lettres, instructions et mémoires de 
Colbert, t. IIP, p. 495). 

2) Louts XIV à M. de Montdevergue; Paris, 30 mars 1669 (In., ıbid., 
p. 498). — A ce moment là même, Montdevergue écrivait en France que 
Madagascar «ne vaut rien, mais je vous dis, Monsieur, à vous à qui je parle 
librement, absolument rien» (Arch. Aff. Etr., Asie, vol. 2, fol. 11 v°). 

8) Lowıs XIV à M. de Montdevergue; Paris, 9 mars 1669 (In., 5b5d., p. 429). 
— «Le commandement des armes ne s'accorde guère avec le commerce», 
écrit de son côté CoLBERrT à Caron le 81 mars 1669 (In., ıdid., p. 488); 
cf. encore sa lettre au directeur de Faye, de la même date (p. 440). 

4) CLKMENT, Lettres, instructions et mémoires de Colbert, t. III®, p. 464. 

5) Les bâtiments de Jules et la Diligente s’y rendirent «pour en tirer 
des ritz (sic), vivres, et observer les lieux, ports et rades, hâvres et récifs 


Le commerce francais à Madagascar au XVII® siècle. 103 


évacuer l’île par les agents de la Compagnie des Indes, qui 
navaient plus rien à y faire. Mais ne manqua-t-il pas de mesure 
en emmenant les officiers du roi, et en ne laissant que <ceux 
qui avoient commandé du temps de Monsieur de la Meilleraye, 
les anciens habitans, et quelques missionnaires qui voulurent 
demeurer»')? N’en manqua-t-il pas plus encore en abandonnant 
ces colons dans un dénuement complet? «Une grande flotte est 
passée, écrit un missionnaire, M. Roguet, le 26 octobre 1671”), 
et au lieu d’y laisser du renfort [a Fort Dauphin], elle en a retiré 
les meilleurs soldats; au lieu de lui fournir des rafraichissements 
et des choses nécessaires à la vie, elle a refusé d’y laisser un 
baril de poudrer. De bonnes paroles, les discours prescrits par 
COLBERT pour «les exciter fortement au travail et à la culture 
de la terre») pouvaient-ils suppléer à l’absence des approvisionne- 
ments de toute espèce indispensables au développement de la 
colonie de Fort Dauphin? En réalité, M. de la Haye avait, comme 
toujours, manqué à la fois de modération et d'initiative dans 
l'application de ses instructions; c’est ce dont COLBERT, après 
avoir reçu les lettres dans lesquelles le vice-roi lui exposait ce 
qu'il avait fait à Madagascar, se rendit très nettement compte. 
S'il ya, écrivit-il alors à M. de la Haye, bon nombre de François 
establis à l’isle Dauphine qui y veulent demeurer, il faut appuyer 
cet establissement, l’augmenter par tous [les] moyens possibles; 
mais s’il couroit risque d’estre enlevé par les naturels du pays, 
où que l'infertilité de la terre fust telle qu’il fust impossible 
d'augmenter les colonies en cela, il seroit bon d'inviter, et mesme 
arconvoisins» (Suite du journal du Navarre. Arch. Marine, B 4, Campagnes, 
voL 4, fol. 813 r°). — «Pour cet effet, on a fait embarquer des François qui 
parlent la langue, ausquels on a donné pour troquer de la cornaline, pagnes et 
rassade» (Journal du Voyage des grandes Indes, 1, p. 65—66). — Selon 
Cauche, les indigènes des environs de la baie de Saint-Augustin ne voulaient 
accepter comme marchandises de traite que «des longues cornalines et grenats 
de Venise de couleur de citron, qu’ils appellent Vaques, et les Tapates £ts- 


ds» (Relation du voyage que François Cauche a fait à Madagascar . . ., 
p- 46) 

1) SOUCHU DE RENNEFORT, Histoire des Indes Orientales, p. 383. 

2) Mémoires de la Congrégation de la Mission, t. IX, p. 572. 

3) CLÉMENT, Lettres, instructions et mémoires de Colbert, t. III*, p. 464 
(Expressions contenues dans l’«Instruction pour M. de la Haye»). 


104 Henri Froidevaux 


de foreer les habitans on de changer de poste dans la mesme 
isle ou de passer dans l'isle Bourbon>?!),. Néanmoins COLBERT 
ne modifia nullement sa ligne de conduite & l’egard des colons 
de Madagasear; «au lieu d’apporter des rafratekissements et des 
munitions pour la conservation de la eolonie, les navires ne sont 
chargés que de lest», constatait avec douleur M. Roguet dès le 
26 oetobre 1671*). Bientôt même, les bâtiments français reçurent 
l’ordre de se rendre à Mascareigne sans toucher à Fort Dauphin. 

Cependant le denuement de la petite eolonie était absolu; 
rien ne le prouve mieux que la lecture de l’inventaire des maga- 
sins dressé au mois de juillet 1673°). Se voyant abandonnés 
du roi, dépourvus de tout ou de presque tout, serrés de plus en 
plus près par les indigènes soulevés contre eux, les malheureux 
eolons ne pouvaient plus ni cultiver la terre ni faire le moindre 
commerce. C’est alors qu'ils adresserent à Louis XIV une supplique 
désespérée, dans laquelle ils lui demandaient d’avoir pitié d’enx, «sy 
tel estoit son bon plaisir de les retirer d’icy . .. Ils ont creu, ajou- 
taient-ils, que leur establissement y seroit de durée; pourguoy 
ils y ont employé tous leurs travaux, leurs soings, et entièrement 
consommé leur jeunesse». Plaise à Sa Majesté d’ordonner 
«qu’ils seront mis en lieu où ils trouveront quelques soulagement, 
et qu'ils pourront passer avee eux tel nombre de noirs qu’il 
lui plaira, lesquels les suivront volontairement»‘). Mais ils avaient 
trop attendu! Avant que leur touchante requête, datée du 28 fe- 
vrier 1674, füt parvenue en France, la colonie de Fort Dauphin, 
| DAM de la Haye; Saint-Germain, 30 juin 1672 (CLÉMENT, Lettres, 
instructions et mémotres de Colbert, t. III’, p. 547). 

2) Mémoires de la Congrégation de la Mission, t. IX, p. 578. 

8) «Inventaire des magasins du sieur Hénoq, commissaire général du Roy 
à l’île Dauphine; 1673> (Arch. Ministère des Colonies, C 5, Madagascar, 
carton 1). Les marchandises de traite qui s’y trouvent alors sont: «672 agattes 
grosses et petittes, pesans 5 livres 9 onces; . . . dix huict mil huict cent 
soixantte seige livres et demye de rassades; . . . 340 menilles de cuivre, 
730 menilles d’estaing; . . . . 13 livres de cuivre rouge du Japon en barres: 
. . -. 209 livres 5 onces 6 gros de Samsam; 12 livres 18 onces demy gros 
de Cornalinnes» (p. 13. 16. 16. 19 de l’Inventaire). 

4) Le texte de cette supplique, dont l’original est conservé dans les Arch. 


du Ministère des Colonies (C 5, Madagascar, carton 1), a été publié dans les 
Mémoires de la Congrégation de la Mission, t. IX, p. 588. 


Le commerce français à Madagasear au XVII® siècle. 105 


dépourvue de tout et réduite à quelques habitants, avait dû être 
éracmée (9 septembre 1674) par les 63 personnes qui avaient eu 
ka fortune d'échapper au massacre du 27 août précédent. 


Personne ne tenta, pendant le règne de Louis XIV, de relever 
le pavillon fleurdelysé à Madagasear; l’île demeura, dans un autre 
sens que l’avait souhaité COLBERT, «abandonnee entièrement à 
ses habitans». Mais, en dépit de l’éehec retentissant subi par 
le roi et par la Compagnie des Indes Orientales, tout le monde 
netait pas convaincu de l’inutilité de l'occupation de la grande 
terre, ni de sa non-valeur économique. «Les Européens, écrivait 
encore SOUCHU DE RENNEFORT en 1688"), n’ont rien aux endroits 
qu'ils occupent dans l'Afrique, l’Amérique et l'Asie, qu'on ne 
trouve à Madagascar . . . Si les autres nations de l’Europe qui 
ont abordé Madagascar ne s’y sont pas establi[e]s, elle n’en doit 
pas pour cela estre moins estimée». (C'était, prononcée par un 
homme intelligent, indépendant et compétent à la fois, la justi- 
fication des idées de Cauche?), de Rigault, de FLACOURT, du 
maréchal de la Meilleraye, de Louis XIV et de CoLBERT; elle 
était trop contraire aux derniers résultats obtenus pour pouvoir 
trouver dans la nation, et surtout chez les négociants du royaume, 
le moindre écho. 


1) Histoire des Indes Orientales, p. 400-401. — Cf. les Voyages du 
Sieur D. B., p. 157: «La Compagnie des Indes Orientalles a voulu faire des 
établissemens en cette Isle. Plusieurs colonies y ont esté passées à ce sujet, 
qui n’ont point reüssi. Cependant l’on pourroit tirer bien du profit et de 
l'atilité de l'Isle». 

2) Voici la conclusion du récit de Cauche: «Je m’estonne comme cette 
isle, si grande, si peuplée et si fertile, ayant . . . des mines de fer, d’or et 
d'argent, des gommes, des résines et du sel, que les vagues et vents de la 
ner laissent dans les trous des rochers, des forests, du coton, du mahault, 
ds roches entières de cristal dans la provmee d’Anthongil, où, foüissant dans 
les ruisseaux qui en sortent on trouve des esmeraudes et des saphyrs, comme 
& talgue dans les montagnes des Machicores et Madegasses, n’a encere attiré 
de nestre France des colonies entières pour s’en rendre maistres . .. Outre 
ces raisons, il n’y a point de païs au monde dont la situation soit plus à 
timer, cette Isle estant entre les deux Indes comme arbitre de la conqueste 
des unes et des autres, ayant tout ce qu’il est nécessaire pour la navigation, 
tation et nourriture de Fhemme» (Relation du voyage que François 
(auche a fait à Madagascar . . ., p 173—174). 


106 Henri Froidevaux 


Appendice. 


«Mémoire des marchandises vendues et livrées par MARIE 
LEGRAND, veufve de deffunt Thomas le Prevost, marchand à 
Rouen, [qui] demeure rue Gros Horloge, à Roüen !). 
eN° 1. 50 mille grains bleux matte 

Turquie 
25 mille grains aigremarine 
(sic) 
25 mille grains violet 
26 mille jaune d'œuf 
_25 mille grains noirs 
151 mille grains de couleur 
pesent . . . . . . 36 livres 
Tous les paquets mar- 
quez ?) 
«N°2. 15 mille grains mate Turquie 
4 mille jaune d'œuf 
20 mille grains aigremarine 
(sic) 
10 mille violet 
19 mille crystal 
5 mille noirs 
5 mille blancs de lait 
5 mille vert clair 
6 mille feuille morte 


89 mille grains de couleur 


poize (sic) . . . . . 72 livres '/ 
Tous les paquets marquez 


Re ee ee © 


1) Ce «mémoire» fait partie de l’«Inventaire des choses envoyées en Mada- 
gascar en l’année 1659, en octobre. M'° Estienne, Faydin, Davroux et de 
Fontaynes, prebstres destinez pour Madagascar» (Archives de la Congrégation 
de la Mission, registre de Madagascar, p. 82—34). — Il est très intéressant, 
car il contient, le plus souvent avec les prix courants en France, la liste la 
plus complète des marchandises employées au XVII* siècle pour commercer 
avec les indigènes de Madagascar. 

2) On trouve en marge les trois majuscules SLA. C’est là, selon nous, 
la marque des paquets destinés aux Prêtres de la Mission ou de Saint Lazare. 


Le commerce français à Madagascar au XVIT- siècle. 107 


«N°3. 15 mille grains matte Turquie 
9 mille 800 cens (sic) — 
crystal 
16 mille aigremarine (sic) 
5 mille jaune d'œuf 
5 mille feuille morte 
5 mille vert mate 
5 mille vert clairs (sic) 
_5 mille noirs 
_65_ mille [800] grains ') de cou- 
leurs poize (sc) . . . 105 livres 
212 livres 4°) 
«212 livres !/a ) grains, sçavoir n°2, 


n° 3 à 23 sols la livre . . . 244 livres 7 sols [6 deniers] 
«Monte la partie en l’autre costé à la 
somme de . . . . . . . 244 livres 7 sols [6 deniers] 


«Verot a la livre 
«2 masse[s] ?) de violet 
1 masse bleue matte Turquie 
l masse verte matte 
1 masse blanc de let (sic) 
l masse vacque“) 


1) Texte du manuscrit: «70 mille grains de couleurs». 

2) Texte du manuscrit: 212 livres °/.. 

8) «On compte par masses les verroteries de diverses couleurs qu’on 
porte en Guinée, aussi bien que les rassades qui font pareillement une partie 
du commerce qui se fait sur cette côte d'Afrique. La masse des verroteries 
est de vingt mille grains, et pèse de trois livres et demie à quatre livres. 
La masse de la rassade n’est que de quatre mille grains, et ne pèse qu'une 
ivre» (SAVARY DES BRUSLONS, Dictionnaire Universel de Commerce, éd. de 
Copenhague, t. III, col. 816, v° Masse). 

4) La couleur vacque devait être une couleur rousse, se rapprochant de 
celle du poil de la vache. Aucun dictionnaire ne signale à notre connaissance, 
l'adjectif vacque; le seul endroit où nous ayons trouvé quelque chose s'y rap- 
portant peut-être un peu est le Pictionnaire de l’ancienne langue française 
de FREDERIC GODEFROY, t. VIII, p. 128. Nous copions textuellement ce 
passage: « Vacque, adj.? — ‘Premièrement que les dis draps velus appelés 
vecqgues, soient ourdis en XXII aunes de loncq . . .» (29 nov. 1407, reg. des 
Mét., fol. 69 r°. Arch. Tournai). — Subst. «Sera reservé les draps velus et 


108 Henri Froidevaux 


1 masse rouge 
_2 masses blanc rayé 
_3 mafsjse[s] gros verot poize 23 
livres à 30 sols la livre . . 34 livres 10 sols 
1 mille 9 cens gros rouge 
11 mille rouge plus moyen 
13 mille petit rouge 
25 mille 9 cens rouge poize 21 li- 


vres !/ı à 40 sols la livre . 42 livres 10 sols 
«Petit verot au respect du gros; 
mais je n’ay pas mis le petit, celuy 
que j’ay mis est du moyen. 
mase verot rouge 
mase/[s] bleue aigremarine 
mase bleue mate Turquie 
mase[s} crystal 
mase[s] noir 
mase[s] blanc de let 
mase[s] violet 
mase vacque 
mase[s] Jaune d'œuf 
mase{s] citron 
mase[s] vert clair 
mase[s] vert mate 


24 mase{s] verot assorties de cou- 
leurs 35 sols . . . . . . 42 livres 


363 livres 7 sols 6 der 
«Monte[nt] les parties à cocté à 
la somme de . . . . . . . . 363 livres 7 sols 6 der 


lo von = ww own - 





ceux que l’on appelle communsument draps de vaeque> (18 oct. 1408, re 
Mét., fol. 117 v°. Arch. Tournai)». — Il convient de rapprocher d 
textes le passage dans lequel Cauche raconte que les Masikoro ne veu 
Rai troquer leurs marchandises que contre «des longues cornalines, et g1 
de Venise de couleur de citron qu’ils appolèant Vaques» (Rekitton du v 
que P'rançois Cauche a fait à Madagasear . . ., p 48). 


Le commerce français À Madagascar au XVII: siècle. 109 


N°1. Un Paquet. 
1 mille gros ollive crystal 


rayé de blanc. 
1 mille grains rouet !) rayé de 
blanc 
l mille grains bleu rayé de 
blanc 
poize{nt] les 3 mille 5 livres à 
30 sols la livre . . . 7 livres 10 sols. 
N°3. 1 mille ollive dorée, 5 livres 
10 sos. . . 5 livres 10 sols 
«\'4. 2 millegrosgrains doré brodé, 
4 livres 10 sols. . . 9 livres 
(N°5.2 mille grains brodé doré, 
3 livres 10 sols. . . 7 livres 
«\'6.1 mille grains bleu frizé, 
30 sols. . . 1 livre 10 sols 
«7.1 mille grains bleu frizé de 
jaune, 22 sols . . . 1 livre 2 sols 


«\'8.6 mille grains jaspe picoté 
de plusieurs façons et de 
plusieurs couleurs, 18 sols 

[le] mille . . . . 5 livres 8 sols 
«Dans une petite ca[s]sette, [vous] 


trouverez ce qui suit, sgavoir: 
2 douzaines de bagues, facon 


dobleu (sic)?), 42 sols. . . 4 livres 4 sols 
4 [douzaines] de croix à perle 
facons d’or, dix sols . . . 2 livres 


3 [douzaines] de bagues] d’al- 

liance doréefs] forte[s], 10 sols 1 livre 10 sols 
3 [douzaines] de bagues (agone 

d'argent, 3 sol8 . . . , 9 sols 


1 Rouet est sans doute le même adjectif que Zoe, roué, roet, rouet, 
qui signife: «orné de figures de roue, de rosaces, de petits ronds, de paillettes». 
(Fr. Gongraoy, Dictionn. de l’anc. langue française, t. VII, p. 217°). 

2) Nous n'avons trouvé ce mot nulle part. 


110 Henri Froidevaux 


2 [douzaines] de croix, fagon de 
crucifix eslevez, en bosse atta- 
chez sur la croix, 16 sols 

2 [douzaines] de piece à dia- 
mans-ruby et emeraude, à 24 
sols en 

«pour le boucauet '') et le port, 45 sols 


1 livre 12 sols 


2 livres 8 sols 
2 livres 5 sols 


414 livres 15 sols 6 den 





«20 onces de corail très fin, à 6 
livres l’once 
11 onces de corail commun, à 3 
livres 4 sols l’once . 
1 chapelet de faux corail très 
gros bien fait . . . . 
42 agathesd’Oriantou Sambaises?) 
et15 canons de coralline rouge, 
a 20 sols piece . 
300 grains de cornalline, agathes 
d’Orient et de erystal, a un sol 
5 pièces de crystal taillées . 
1 paquetdediversessortes degros 
grains de differentes couleur 
1 paquet de corail fin 


® 


plus considerables. 
«23 mille d’or pezant 4 onces et 
gros, a 54 livres l’once, le tout 


1) Pour l’emballage. 


«Mémoire des Marchandises les 


120 livres 


22 livres 4 sols 


4 livres 


56 livres 


15 livres 


5 livres 


40 livres 


222 livres 15 sols 


2) Ici s'arrête sans aucun, doute le mémoire des marchandises vi 
et livrées par MARTE LEGRAND. Mais l'inventaire des objets empo 
Madagascar par M. Etienne et par ses compagnons contient enco 
certain nombre d'indications trop précises pour ne pas être publiées ici 

8) Ce mot ne se trouve nulle part. — On sait que les véritables 
d'Orient étaient beaucoup plus estimées que les autres, car elles 4 
beaucoup plus dures et d’un poli beaucoup plus beau (Savary des Bn 


Diet. cité, t. I, col. 589, v° Agate). 


Le commerce français à Madagascar au XVII® siècle. 111 


«57 menilles d'argent pezant 
4 mars!), une once, 2 gros et 
demy, à raison de 42 livres 
le mart (sic) compris la façon 175 livres 


«2 douzaines d’alliances . . . 15 livres 
«50 livres de fil de cuivre pour 
faire des menilles . . . . 655 livres. 


«il est à remarquer que, des marchandises cy dessus, la rassade 
rouge et bleue, aigremarine (sic) et jaulne grosse est excellente 
pour Mangabets. — Pour Anosse [Anosy], verot rouge, vaque, 
vollet, vert clair, petit cristal, aigremarine (sic) et bleue, cuivre, 
argent et or. 

«Manamboulle, cuivre et rassades de toutes couleurs. 

«Aux Ampattes, euivre et verot de toutte couleur. 

«Rassade de toutes couleurs grosse ?).» 


1) Il s'agit ici du marc, c’est à dire du poids le plus usité en France pour 
peser l'or et l’argent Le marc était divisé en 8 onces, ou 64 gros, ou 
1% deniers, ou 4.608 grains. (D’après le Dictionnaire Universel de Commerce 
de Savary des Bruslons, éd. citée, t. III, col. 272, v° Marc). 

2) I ne faudrait pas conclure de la lecture de cet inventaire que les 
Prötres de la Mission ont jamais cherché à faire du commerce à Madagascar, 
ni M Nacquart ni ses successeurs n’ont eu pareille idée, et aucune Compagnie 
ne leur aurait ainsi permis d’empiéter sur son privilège exclusif. Du mains 
leur laissait-on emporter quelques marchandises pour subvenir à leurs bassins, 
récompenser les services qui leur étaient rendus, et venir en aide à leurs 
néophytes, comme le montrent différents textes dont l'inventaire qu’on vient 
de lire constitue la pièce justificative en même temps qu’un document précieux 
pour l’histoire du commerce français à Madagascar au XVII: siècle. 


Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 
Von 


Paul Darmstädter (München). 


2. Über die auswärtige Handelspolitik Napoleons I. 


„Wenn der englische Handel zur See triumphiert, so ist das 
darin begründet, dass England zu Wasser am mächtigsten ist. 
Es ist deshalb in der Ordnung, dass, da Frankreich zu Lande 
am stärksten ist, der französische Handel auf dem Festland 
triumphiert; sonst ist alles verloren ').“ Diese Worte, die Napoleon 
am 23. August 1810 an den Vizekönig Eugen richtete, können 
als das Programm der auswärtigen Handelspolitik Napoleons be- 
zeichnet werden. 

Im 18. Jahrhundert hatte das überseeische Geschäft eine 
überragende Stellung im französischen Wirtschaftsleben eingenom- 
men. Frankreiclı setzte einen erheblichen Teil seiner Erzeugnisse 
in seinen Kolonien ab und versorgte außerdem mehrere europäische 
Länder mit Kolonialwaren, die es von den Antillen bezog). 
Dieser gewinnbringende Handel — der Handel mit den fran- 
zösischen Kolonien betrug 1787 345,9 Millionen bei einem Ge- 
samtaußenhandel von 1073,1 Millionen Livres?) — war jetzt fast 
ganz vernichtet, und es galt, Ersatz für ihn zu beschaffen. Wo 


1) „Vous ne devez jamais perdre de vue que, si le commerce anglais 
triomphe sur mer, c’est parce que les Anglais y sont les plus forts; il est 
donc convenable, puisque la France est la plus forte sur terre, qu’elle y fasse 
aussi triompher son commerce; sans quoi tout est perdu.“ Correspondance 
de Napoleon I. 21,60. 

2) Vgl. oben S. 576 f. 

3) Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein erheblicher Teil der von den 
Kolonien importierten Erzeugnisse wieder ausgeführt wurde. 


Paul Darmstädter, Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 113 


konnte er anders gesucht werden, als in den Staaten des Kontinents, 
die durch die Waffen dem französischen Einfluss unterworfen 
waren? Wie die britische Industrie das Erbe Frankreichs jen- 
seits des Ozeans angetreten hatte, so sollte jetzt die französische 
Industrie England vom festen Lande vertreiben. Die Kontinental- 
sperre hatte keineswegs nur den negativen Zweck, die englischen 
Waren fernzuhalten, sondern zugleich einen sehr positiven Inhalt: 
Die Herrschaft der französischen Industrie sollte an die Stelle 
der englischen treten, Frankreichs Fabriken die Länder des euro- 
päischen Festlands mit industriellen Erzeugnissen aller Art ver- 
sorgen; wie die Seegewalt Englands die Suprematie der englischen 
Industrie im überseeischen Handel bedingte, so sollte die mili- 
tärische Vorherrschaft Frankreichs auf dem Kontinent mit der 
wirtschaftlichen Hand in Hand gehen. 

Wie die Ausführung dieser Idee gedacht war, und wie sie 
in einem Lande auch verwirklicht worden ist, soll im folgenden 
näher erläutert werden’). 


I. 


Viele Zeugnisse beweisen das grosse Interesse, das Napoleon 
dem französischen Außenhandel entgegengebracht hat. Bald 
wünscht er Auskunft darüber, warum die Lyoner Fabrikanten 
die ausländischen Bestellungen nicht befriedigen, bald macht er 
darauf aufmerksam, daß man in Mailand Garn und baumwollene 
Gewebe brauche. Auf dem Schloß zu Finkenstein ist er auf die 
Förderung des südfranzösischen Tuchexports nach der Levante 
bedacht, und während des österreichischen Feldzugs von 1809 
äussert er sein lebhaftes Missvergnügen darüber, dass die Bureau- 
kratie nicht genug für den französischen Außenhandel tue. „Man 





1) Die Darstellung stützt sich in der Hauptsache auf Akten des Pariser 
Nationalarchivs und des Staatsarchivs zu Mailand. Von gedruckten Quellen 
kommt die Correspondance de Napoléon I. fast ausschließlich in Betracht. 
In der Literatur finden sich über diese Materie, soweit mir bekannt, nur 
wenige Andeutungen. Es kann deshalb bei der Weitläufigkeit des Stoffes 
nicht befremden, wenn ich nur die Handelspolitik gegenüber dem Königreich 
Italien ausführlich behandle, mich im übrigen aber darauf beschränke, die 
Tendenz der napoleonischen Politik herauszuarbeiten. Vielleicht regt diese 


Arbeit zu weiteren Spesialuntersuchungen an. 
Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. IIl. 8 


114 Paul Darmstädter 


hätte, so schreibt er, den Einzug der französischen 'Truppen be- 
nützen, und Kaufleute und Fabrikanten dazu ermuntern sollen, 
Tuchwaren, Porzellan und andere in Österreich sonst mit hohen 
Zöllen belastete Waren jetzt dorthin auszuführen. Zahlen doch 
Tuche allein 60°/0 Ich hätte sie — und mit Recht — vom 
Zoll befreit und die Magazine Wiens damit vollgepfroptt. Aber 
das Bureau (im Ministerium des Innern) denkt an nichts und 
tut nichts').* 

Die Auffassung, die wir in diesem Aktenstück ausgesprochen 
finden, dass die französischen Siege dazu dienen sollten, fran- 
zösischen Waren in den besiegten und unterworfenen Staaten 
Eingang zu verschaffen, ist für die napoleonische Handelspolitik 
durchaus charakteristisch. In der/Tat hat Napoleon den Wunsch 
gehabt, das von ihm geschaffene politische System, die Unter- 
werfung des europäischen Festland» unter den Willen Frankreichs, 
zu einem ebensolchen kommerziellen System zu erweitern. Ein 
grosses Wirtschaftsgebiet sollte erstehen, in dem englische Waren 
ausgeschlossen, französische Produkte aber ebenso frei und un- 
gehindert passieren sollten wie die französischen Soldaten. Man 
könnte vermuten, Napoleon habe eine allgemeine Zollunion 
Europas oder doch nur der von Frankreich abhängigen Staaten 
mit völligem Freihandel innerhalb des geeinigten Gebiets beab- 
sichtigt. Das war indes seine Meinung nicht. So wenig er daran 
dachte, die verbündeten Staaten in der Politik als gleichberechtigt 
anzusehen, ebensowenig wünschte er ihren Waren Gleichberech- 
tigung einzuräumen. Französische Erzeugnisse sollten überall 
Eingang finden; dagegen verschloß er den französischen Markt den 
fremden Produkten. Das handelspolitische System des Kaisers 
war nicht auf die Interessengemeinschaft gleichberechtigter Staaten, 
sondern auf die Waffengewalt Frankreichs begründet. 

Der Verwirklichung dieser Gedanken diente in erster Linie 
die gegen die englischen Waren gerichtete Gesetzgebung. Da 
Frankreich nach England der bedeutendste Industriestaat des 
Kontinents war, so musste der Ausschluss englischer Erzeugnisse 
der französischen Industrie zugute kommen. Aber auch darüber 


— 








1) Correspondance 15,68. 202. 17,254. 19,529. 20,35. 21,274. 


Studien zur napoleunischen Wirtschaftspolitik. 115 


hinaus beabsichtigte man den französischen Erzeugnissen eine 
Vorzugsstellung eingeräumt zu sehen, und zwar durch Tarif- 
rertrâge mit differentieller Begünstigung französischer Waren. Im 
Jahre 1806 war seitens der französischen Regierung ein um- 
fassendes System von Handelsverträgen mit den angrenzenden 
Staaten geplant, durch die französische Waren überall Vorzugs- 
behandlung genießen sollten. Da in Frankreich die meisten fremden 
Erzeugnisse verboten waren, hätten die französischen Gegen- 
kistungen nur den Charakter von Scheinkonzessionen getragen. 

Es bedarf noch näherer Untersuchung, ob diese Aktion am 
Widerstand der fremden Regierungen gescheitert ist, oder ob 
Frankreich sich davon überzeugt hat, sein Ziel auch auf anderem 
Wege ebenso sicher zu erreichen, genug, es ist nur ein einziger 
Tarifvertrag, und zwar mit dem Königreich Italien zustande 
gekommen. Ehe wir aber auf diesen des näheren eingehen, 
wollen wir noch einen kurzen Blick auf die handelspolitischen 
Beziehungen zu einigen anderen Staaten werfen. 

Der Vertrag, den Frankreich am 24. Mai 1806 mit dem 
Königreich Holland abschloß, bestimmte im Artikel 10, dass 
ein Handelsvertrag zwischen beiden Staaten die politische Allianz 
ergänzen solle’). In der Tat ist ein solches enges kommerzielles 
Bündnis von französischer Seite in Aussicht genommen worden. 
Champagny sprach sich in einem Bericht vom 10. September 1806 
für einen Handelsvertrag aus, durch den französische Weine und 
Fabrikate gegenüber Erzeugnissen anderer Staaten begünstigt 
werden sollten?). Dann forderte der Kaiser am 11. Januar 1808 
den Minister des Inneren auf, ihm über die Mafregeln zu be- 
riehten, die man ergreifen könnte, um in Holland (Spanien und 
Italien) für Frankreich günstigere Zolltarife zu erwirken?). In der 
Antwort wurden eine Reihe von Wünschen geäußert, deren Er- 
fillung man vom Kaiser begehrte‘): die Herabsetzung der hol- 
indischen Transitzölle, der Flußabgaben auf der Maaß, der Zölle 
auf Wein, Hüte, Lederwaren, Eisen-, Töpferwaren und Seiden- 


1) Archives nationales A F 1V 1704. 
2) Arch. nat. F 12,534. 

3) Correspondance 18,240. 

4) Arch. nat. F 12,622. 


116 Paul Darmstädter 


stoffe. Ob Napoleon auf diplomatischen Wege sich dieser 
Wünsche angenommen und tatsächlich Änderungen des hollän- 
dischen Tarifs erwirkt hat, habe ich nicht zu ermitteln vermocht. 
Nach der Annexion wurde Holland am 1. Januar 1811 in das 
französische Zollgebiet einbezogen '!). 

Das wirre Durcheinander des deutschen Zollwesens muß, 
so verkehrshindernd und handelsfeindlich es auf den ersten Blick 
erscheinen mochte, doch kein Hindernis für den französischen 
Export gebildet haben. Als Napoleon am 30. Juli 1807 sich 
danach erkundigte, welche Begünstigungen der französische Handel 
in den Rheinbundsstaaten wohl wünschen möchte, und welche 
Mafregeln zu ergreifen wären, um dort den Absatz französischer 
Fabrikate zu befördern ?), antwortete der Minister Champagny, 
daß wenig Ursache zu Klagen über den Stand der Dinge im 
rheinbündischen Deutschland vorhanden sei; die kleinen Staaten 
seien nicht imstande, eine Frankreich feindliche Schutzzollpolitik 
zu treiben; Sache Frankreichs sei es, zu verhüten, daß die 
neugebildeten größeren zu einer Politik der Absperrung über- 
gingen. Vielleicht könnte man die Einführung neuer Zölle im 
Bundesgebiet von der Genehmigung des Protektors abhängig 
machen. Ferner sollte man darauf sehen, daß die Transitzölle 
nicht mehr als 1°/o vom Werte der Waren betrügen, und die 
Einfuhrzölle auf die Hauptartikel des französischen Exports, 
Wein, Seiden- und Tuchwaren 10° des Werts nicht. &ber- 
schritten °). Zum Abschluss von Handelsverträgen mit den Rhein- 
bundsstaaten war somit für Frankreich kein Anlaß vorhanden. 
Ein formelles Einspruchsrecht des Protektors gegen Zollerhöhungen 
im Bundesgebiet hätte mit der feierlich garantierten Souveränität 
des Fürsten in zu großem Widerspruch gestanden, als daß Napoleon 
sich diese Forderung zu eigen gemacht hätte. Es wäre um so 
überflüssiger gewesen, da er die Macht besaß, auch ohne ein 
formelles Interventionsrecht seinen Willen durchzusetzen, und 
von dieser Macht, wo es ihm gut schien, auch unbedenklich Ge- 
brauch gemacht hat. So verlangte er 1808 von Baden die Er- 


— 


1) Bulletin des Lois 4. Serie 13,372. 
2) Correspondance 15,456. 
3) Arch. nat. A F IV 1060. 


Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 117 


mäßigung der Transit- und Einfuhrzölle auf französische Weine, 
von Bayern die Herabsetzung des Weinzolles von 3 auf 2 Gulden 
pro Zentner. In beiden Fällen wurde seinem Wunsche ent- 
sprochen !). Es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß der Kaiser 
such in anderen Fällen seinen politischen Einfluß in Deutschland 
den wirtschaftlichen Interessen Frankreichs dienstbar gemacht hat). 

Im Jahre 1812 hat Frankreich den Versuch unternommen, 
den größten Rheinbundsstaat seinem wirtschaftlichen System an- 
sugliedern. Im Königreich Bayern war am 23. September 1811 
ein neuer Zolltarif erlassen worden, der wegen seiner aus- 
gesprochen schutzzöllnerischen Tendenz das lebhafte Mißfallen 
Frankreichs erregte. In einer Unterredung, die der bayrische 
Gesandte, Baron Cetto, im Januar 1812 mit dem französischen 
Minister Maret, Herzog von Bassano, hatte, sprach sich dieser 
mit einer Zurückhaltung, deren sich die französische Regierung 
im Verkehr mit ihren Verbündeten durchaus nicht immer be- 
feißigte, dahin aus, dass Bayern nur von einem zweifellosen 
Souveränitätsrecht Gebrauch gemacht habe, und der Kaiser weit 
entfernt davon sei, ihm deshalb Vorwürfe zu machen. Frankreich 
verlange von Bayern nichts, was nur im geringsten den bayrischen 
Interessen nachteilig sei, aber es wäre doch möglich, durch gegen- 
seitige Konzessionen zu einem Einvernehmen zu gelangen. Maret 
machte dann den Vorschlag, einen Handelsvertrag abzuschließen 
nit wechselseitiger Begünstigung derjenigen Erzeugnisse der 
beiden Länder, welche das andere nicht selbst produziere°). 
Diese Anregung hat keinen Erfolg gehabt, aber sie zeigt doch, 
wie konsequent die französische Handelspolitik an ihren Ideen 
festgehalten hat. 

Sonst habe ich für eine differentielle Begünstigung fran- 


1) Arch. nat. F 12,534. Moniteur 11. April 1808. 

2) Ganz allgemein, doch ohne einzelne Staaten zu nennen, sagt GEORGIUS 
(FARNENBERG8 Magazin 5,292): „Es wurden ihnen (d. h. den französischen 
Waren) nicht nur nirgends neue Einfuhrverbote entgegengesetzt, sondern es 
wurden auch ältere aufgehoben, oder die aufgelegten Abgaben vermindert, 
oder ihnen sogar ausschließend der Eingang verstattet, und eine Gleichheit 
ait den einheimischen Erzeugnissen eingeräumt.“ 

3) Münchner Geheimes Staatsarchiv. M A III, 11. Bericht Cettos an den 
König vom 25. ‚Januar 1812. 


118 Paul Darmstädter 


zösischer Waren in den Rheinbundsstaaten, selbst in Westfalen 
und Berg keinerlei Anhaltspunkte gefunden. Dagegen berichtet 
Fahnenberg, daß französische und sächsische Tuche im Herzog- 
tum Warschau sich einer Vorzugsbehandlung erfreuten !). 

Die politische Allianz mit dem Zaren hatte auch eine freilich 
nur sehr kurze Zeit währende handelspolitische Freundschaft mit 
Russlandim Gefolge. Der Anschluß des Zarenreichs an das Kon- 
tinentalsystem bedeutete naturgemäß eine Begünstigung der fran- 
zösischen Industrie, und namentlich im Jahre 1808 scheint die 
französische Ausfuhr dorthin eine große Steigerung erfahren zu 
haben. Doch schon damals machten gescheite Beobachter darauf 
aufmerksam, daß Rußland auf die Dauer nicht imstande sei, 
die französische Einfuhr zu bezahlen. Es pflege seinen Import 
mit Waren wie Holz, Hanf und Flachs zu begleichen, für die Eng- 
land, nicht aber Frankreich aufnahmefähig sei. Dieser Zustand, 
so schrieb 1808 die Lyoner Handelskammer, könnte solche Ver- 
hältnisse herbeiführen, daß die schönsten politischen Kombinationen 
dadurch gestört würden?). Es hat zwar nicht an Projekten ge- 
fehlt, die kommerziellen Beziehungen zwischen beiden Kaiser- 
reichen aufrecht zu erhalten, aber ein positives Ergebnis ist nicht 
erzielt worden. Die wirtschaftlichen Interessen mußten Rußland 
auf die Seite der Gegner Frankreichs treiben. Der Ukas 
Alexanders vom 31. Dezember 1810 bedeutet die wirtschaftliche 
Kriegserklärung an Frankreich. 

Auch in der Türkei wußte Napoleon seinen politischen 
Einfluß zur Begünstigung des französischen Handels auszunützen, 
und die Hohe Pforte im Frühjahr 1807 zum Verbot englischer 
und zur Aufnahme französischer Erzeugnisse zu veranlassen °). 
Da aber die Engländer das Mittelmeer beherrschten, 80 vermochte 
der Levantehandel seine frühere Bedeutung nicht wieder zu ge- 
. 1) FAHNENBERG 2,470. Dekret vom 22. Mai 1811. Durch ein Dekret 
vom gleichen Tage wurde die Einfuhr preußischer Baumwollwaren in War- 
schau verboten. (Gesetssammlung des vormaligen Herzogtums Warschau, 
übersetzt von LAUBE 8,949). Nach FAHNENBERG 6,292 und 296 scheint 
sich die Begünstigung französischer Produkte noch auf andere Waren be- 
zogen zu haben. 


2) Arch. nat. F 12, 622. A F IV 1060. 
3) Correspondance 15,68. 202. 


Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 119 


winnen. Der Kaiser faßte nun den Plan, den Handel nach dem 
Orient durch die illyrischen Provinzen zu leiten; auch hier 
wollte er die französischen Kaufleute begünstigt wissen: in den 
Dekret vom 27. November 1810 sprach er die Befreiung der 
durch Illyrien nach dem Orient versandten französischen Waren 
von allen Transitzöllen in Italien und Illyrien aus!) Obwohl 
Napoleon sich von der neu erschlossenen Handelsstraße — sie 
führte von der französisch-italienischen Grenze bei Vercelli über 
Brescia, Venedig, durch Friaul und Dalmatien nach Kostanizza 
an der Save und von dort durch Bosnien nach Saloniki — 
große Vorteile versprach, scheint der praktische Erfolg infolge der 
Länge und Unsicherheit des Weges ein recht bescheidener ge- 
wesen zu sein. Die Gesamtausfuhr via Kostanizza hat 1811 2,6, 
1812 3,7 Millionen Frs. betragen’). 

Außer der Befreiung von den Durchfuhrzöllen enthielt der 
illyrische Zolltarif vom 27. November 1810°) auch namhafte Be- 
günstigungen für den französischen Export nach Illyrien selbst‘). 
Die Erzeugnisse des Kaiserreichs sollten im allgemeinen nur die 
Hälfte der Zollsätze des Generaltarifs entrichten. Manche Artikel 
waren indes durch einen Spezialtarif weit stärker begünstigt’), und 
Baumwollstoffe, Tuche, feine Leinenwaren, Strumpfwaren, Steingut, 
Porzellan und Kurzwaren wurden nur zugelassen, wenn sie aus dem 
französischen Kaiserreich oder aus dem Königreich Italien stammten. 
Es kann nicht zweifelhaft sein, daß diese Maßregeln gegen die 
österreichische, besonders gegen die Wiener Industrie gerichtet waren. 


1) Bulletin des lois 4. Serie 18,521 ff. Vgl. Correspondance 21,89 ff. 

2) FAHNENBERG 6,182. 

3) Während das Zollgesetz in Bulletin des Lois veröffentlicht wurde, scheint 
die Publikation des Zolltarifs unterblieben zu sein. Vgl. FAHNENBERG 2, 218. 
Ich fand ein Exemplar des Zolltarifs in der alten Registratur der K. General- 
direktion der Zölle und indirekten Steuern zu München Nr. 188. 

4) Alle diese Begünstigungen kamen auch dem Königreich Italien zugute, 
doch war der Nutzen für die italienische Industrie natürlich viel geringer 
als für die französische. 

6) So =. B. zahlten Lederwaren nach dem allgemeinen Tarif 20 fl. pro 
/eatner, nach dem Spezialtarif 8 fl., Bijouterien pro Unze 5 fl. bezw. 30 Kreuzer, 
Modewaren pro Pfund 6 fl. bezw. 1 fl. Ein Kastorhut zahlte nach dem all- 
gemeinen Tarif 2 fl. Zoll, ein Dutzend nach dem Spezialtarif 1 fl. 30. 





120 Paul Darmstädter 


Der Vertrag, den der Kaiser am 26. Vendemiaire XII mit 
Spanien abschloss, bewilligte Frankreich die Meistbegünstigung 
und Transitfreiheit für die nach Portugal gehenden Tuche; im 
achten Artikel war der Abschluß eines besonderen Handelsver- 
trags in Aussicht gestellt’). Die französischen Industriellen und 
Kaufleute wünschten um so lebhafter die Beziehungen zu Spanien 
durch einen Vertrag geregelt zu sehen, als gerade dessen Handels- 
politik vielfachen Anlaß zu Klagen gab. Das’ spanische Zoll- 
system wäre kompliziert und undurchsichtig, seine Handhabung 
willkürlich und schikanös, die Zölle für die meisten Waren fran- 
zösischer Herkunft exorbitant hoch, zum Teil geradezu prohibitiv ?). 
Gewiß berühren diese Beschwerden eigentümlich in dem Munde 
von Franzosen, denn alle Klagen, die über Spanien erhoben 
wurden, trafen mindestens ebensosehr auch auf das französische 
Zollsystem zu, aber die handelspolitischen Ereignisse unserer 
Tage lassen es ganz verständlich erscheinen, daß man beim 
Nachbar bitter tadelt, was man bei sich zu Haus für selbstver- 
ständlich erachtet. 

In Spanien war man auch durchaus nicht geneigt, auf die 
französischen Wünsche einzugehen. Man behauptete, die nationale 
Industrie würde ruiniert werden, wenn man sich zu Zollherab- 
setzungen verstünde. Obwohl Napoleon die Abstellung der fran- 
zösischen Beschwerden verlangt hatte, scheint Frankreich doch 
nichts erreicht zu haben), und in dem Aktenstück vom 24. April 1808, 
das die Absetzung der bourbonischen Dynastie rechtfertigen sollte, 
ist auch von den Klagen des französischen Handelsstandes über 
die spanische Zollpolitik die Rede. „Die spanischen Zollgesetze, 
so heißt es, waren hauptsächlich gegen den französischen Handel 
gerichtet. Sie waren bemerkenswert durch ihre Willkür und 
ihren beständigen Wechsel. Diese Veränderungen waren nicht 
bekannt, denn sie wurden nicht publiziert. Nur auf den Zoll- 
ämtern konnte man erfahren, daß das Gesetz von gestern heute 


1) Arch. nat. A F IV 1704 Espagne. 
2) Arch. nat. A F IV 1060. F 12,584. Vgl. auch P. J. REHFUES, 
Spanien nach eigener Ansicht im Jahre 1808. Frankfurt 1818 S. 558 und 625. 
3) Correspondance 12,87. 89. 14,406. Nur den freien Transit französischer 
Waren nach Portugal gestand Spanien zu. Moniteur vom 3. Januar 1808. 


Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 121 


nicht mehr galt. Alle von Franzosen und für französische Inter- 
essen gemachten Reklamationen wurden verworfen, und während 
Spanien so gegen Frankreich und seinen Handel Krieg führte, 
waren seine Häfen dem englischen Handel geöffnet“ !). 

Nach dem Sturze der bourbonischen Dynastie suchte man 
Spanien auch in wirtschaftliche Abhängigkeit von Frankreich zu 
bringen; im Zolltarif von 1810 wurden die meisten französischen 
Wünsche berücksichtigt. Obwohl auch damals, wie Champagny 
in einer ausführlichen Denkschrift mitteilte, eine differentielle 
Begünstigung französischer Waren nicht zu erlangen war — man 
wollte wahrscheinlich die Regierung König Josephs nicht völlig 
diskreditieren — und auch nicht alle von den französischen 
Industriellen erhobenen Forderungen Annahme fanden, bot der 
neue Tarif dem französischen Handel doch große Vorteile. „Im 
neuen Zolltarif, schreibt Champagny, finden sich nicht mehr die 
verschiedenen Kombinationen, welche der Geist des Übelwollens 
ersonnen hatte, um Frankreich zu schädigen.“ Alle Prohibitionen 
seien beseitigt, und wenn auch auf Tuch- und Seidenwaren die 
Zölle höher wären, als man es im französischen Interesse wünschen 
mochte, so wäre die Herabsetzung der Zolisätze doch recht er- 
heblich. Für die Varre Tuch wurde der Zoll von 24 auf 18 Realen 
ermäßigt, Seidenband künftig mit 25 statt mit 42 Realen pro 
Pfund verzollt, Spitzen entrichteten 75 statt 112 Realen. Noch 
günstiger war der Tarif für die Leinwandindustrie. Der Unter- 
schied zwischen feiner und grober Leinwand fiel fort, und die 
feinen französischen Leinenwaren wurden mit den gewöhnlichen 
schlesischen gleichgesetzt, eine Bestimmung, die tatsächlich einer 
Begünstigung Frankreichs gleichkam. Der Zoll auf Hüte wurde 
auf die Hälfte, auf Quincaillerie auf "/s—'/ı ermäßigt; Baum- 
wollstoffe, die bisher meist verboten waren, wurden jetzt gegen 
mäßige Zölle zugelassen °.. Dieser Tarif, der die Grundlage für 
spätere Handelsvertragsverhandlungen abgeben sollte, hätte unter 
anderen Verhältnissen für Frankreich recht vorteilhaft sein können; 
im Jahre 1810 ist er für die französische Industrie kaum mehr 
von Vorteil gewesen. 

1) Correspondance 17,36, 

2) Arch. nat. F 12,620. 621 


122 Paul Darmstädter 


In Portugal hatte Frankreich schon durch den Vertrag vom 
7. Vendemiaire X (29. September 1801) die Zulassung für feine Tuch- 
waren erreicht, und im Vertrag vom 28. Ventöse XII (19. März 1804) 
sogar die Beseitigung der portugiesischen Einfuhrverbote auf 
Seidenwaren, Spitzen, Batist, Bijouterien und Leinwand durch- 
zusetzen gewußt; doch sollten diese Bestimmungen erst nach den: 
Seefrieden in Wirksamkeit treten'). Allein der weite Landweg 
und die Schwierigkeiten, die Spanien dem Transit in den Weg 
legte, hinderten die französische Tuchindustrie daran, von der 
ihr eingeräumten Begünstigung Gebrauch zu machen?), und als 
Spanien endlich die Durchfuhr durch sein Gebiet freigab, machte 
der Krieg den Export nach Portugal unmöglich. 

Mit dem Königreich Neapel beabsichtigte man einen Vertrag 
auf einer ähnlichen Grundlage abzuschließen, wie er 1808 mit 
Italien zustande gekommen ist, d. h. mit differentieller Begünsti- 
sung der wichtigsten Erzeugnisse der beiden vertragschließenden 
Staaten. Zu dem Abschluß eines Handelsvertrags ist es zwar — 
aus welchen Gründen habe ich nicht zu ermitteln vermocht — 
nicht gekommen, wohl aber zu einer weitgehenden Bevorzugung 
des französischen Imports im italienischen Süden. Durch ein 
Dekret vom 9. Januar 1808 wurde die Einfuhr aller Baumwoll- 
fabrikate, soweit sie nicht aus Frankreich und dem Königreich 
Italien stammten, kurzerhand verboten‘), so dass, da die ein- 
heimische Baumwollindustrie nicht nennenswert, die italienische 
unbedeutend war, der französischen ein Monopol im Königreicl 
eingeräumt wurde. Im folgenden Jahre, 1809, verlangte der 
Kaiser eine Begünstigung der französischen Tuchindustrie*), und 
der Zolltarif vom 31. August 1810 kam dem in weitem Maße 


1) A F1V 1705 Portugal. Turens 3,186 f. 

2) A F IV 1060. F 12,534. 

8) Bullettino delle leggi del regno di Napoli 1808 Nr. 7: „L’introduzion« 
di tutte le mercanzie di cottone manifatturate siano bianche o stampate di 
qualunque natura è proibita nel nostro regno. Sarauno soltanto ammess 
cottoni manifatturati che saranno accompagnati da un certificato che prov 
eusere stati manifatturati in Francia o nel regno d'Italia.“ 

4) „Les draps de France payent un droit. Rendre un decret pour exemte: 
de ce droit les marchandises françaises et surtout les draps. Napoleon aı 
Murat 14. Okt. 1809. Correspondance 19,575. 


Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 123 


entgegen. Für alle Arten von Tuch, das aus Frankreich stammte, 
warden die Zölle herabgesetzt, und auch für Leinen- und Baum- 
wollgewebe wurden die Abgaben ermäßigt'). Napoleon scheint 
sich indes davon überzeugt zu haben, daß das Verbot fremder 
Produkte für die französische Industrie größeren Vorteil bot, als 
die differentielle Begünstigung: am 18. Oktober 1810 forderte Zır 
er den König von Neapel dazu auf, für alle nicht französischen „ 
Wollen- und Seidenwaren ein Einfuhrverbot zu erlassen’). Schon 
am 30. Oktober kam Murat diesem Wunsche oder vielmehr Be- Fi 
fehle nach. Die den Franzosen am 31. August 1810 gewährten uch 
Zollermäßigungen wurden zwar aufgehoben, dafür aber alle /ef « 
Baumwoll-, Woll- und Seidenfabrikate, die nicht französischen 
Ursprungs waren, in Neapel verboten*). Selbst vom Königreich 
Italien, dessen Produkte noch 1808 der gleichen Begünstigung 
wie die französischen teilhaftig geworden waren, war jetzt nicht 
mehr die Rede, wahrscheinlich, weil man die Konkurrenz der 
oberitalienischen Wollindustrie fürchtete. Endlich erfuhr die 
französische und italienische Einfuhr noch eine allerdings weniger 
wichtige Begünstigung durch ein am 13. Februar 1812 erlassenes 
Dekret. In diesem wurden die Zölle für eine Anzahl von Waren 
verdoppelt, doch blieben für Produkte französischer und italienischer 
Herkunft die alten Zollsätze in Kraft*). 

Der französische Handel wurde also im Königreich Neapel 
auf doppelte Weise bevorzugt: durch niedrigere Zollsätze und 
den Ausschluß fremder Konkurrenz. Nur in einem Lande‘) hat 
eine noch weitgehendere Begünstigung des französischen Exports 
stattgefunden: im Königreich Italien. 


1) Bullettino 1810 S. 125 ff. 

2) Lecestre Lettres inédites 2,82 Nr. 708. 

3) „A contare della pubblicazione del presente non sarà piu ammessa nel 
reguo alcuna specie di panni o mercanzie di cotone o di seta, che non pro- 
veaga dalle fabbricche dell’Impero francese“. Bullettino 1810 S. 224. 

4) Bullettino 1812 S. 210. Die Zollerhöhung betraf z. B. verschiedene 
Metalle wie Zinn, Kupfer und Antimon, Holzarten wie Mahagoni, Buchsbaum 
und Blauholz, Fischereierzeugnisse aller Art, wie Heringe, Stockfische, Sar- 
diaen und Schwämme; ferner Galläpfel, Sumaeh, Pottasche, Soda, Käse 
und Häute. 

5) Abgesehen von Illyrien, das indes eine französische Provins war. 





1234 Paul Darmstädter 


IL. 


Der die napoleonische Handelspolitik beherrschende Gedanke, 
daß die unterworfenen Länder dazu bestimmt seien, Absatzgebiete 
für französische Erzeugnisse zu bilden, ist nirgends mit solcher 
Entschiedenheit durchgesetzt worden wie im Königreich Italien). 
Bereits das Direktorium hatte die Ergänzung der politischen 
Allianz durch ein enges handelspolitisches Bündnis mit der Cisal- 
pinischen Republik beabsichtigt. In dem Vertrag vom 27. Ventôse VI 
war bestimmt worden, daß alle Prohibitionen gegenüber fremden 
Staaten für die Beziehungen der beiden Republiken untereinander 
keine Anwendung finden und kein Zoll im wechselseitigen Ver- 
kehr 6°/o des Wertes der Ware übersteigen sollte. Da aber 
diese Bestimmung erst nach dem Abschluß des allgemeinen 
Friedens in Kraft treten sollte, so war vorläufig eine gegenseitige 
Begünstigung vorgesehen, die 50 °/o der geltenden Zölle betrug’). 
Dieser Vertrag ist infolge der kriegerischen Ereignisse, die den 
Untergang der Cisalpinischen Republik herbeiführten, nie zur An- 
wendung gekommen. Es war Napoleon vorbehalten, den Gedanken 
der engen wirtschaftlichen Verbindung der beiden lateinischen 
Schwesternationen wieder aufzunehmen und zur Durchführung 
zu bringen, allerdings mit der völligen Unterordnung Italiens 
unter den mächtigen Nachbar. 

Nachdem schon durch die Verordnung vom 27. Juli 1805 das 
Verbot englischer Erzeugnisse im Königreich Italien ergangen 
war, erließ der Kaiser am 10. Juni 1806 ein weiteres Dekret, 
das scheinbar auch gegen die englischen Waren gerichtet war, 
in Wirklichkeit aber der französischen Industrie eine Vorzugs- 
stellung in Italien verschaffen sollte. Unter englischen Erzeug- 
nissen wurden nämlich nicht nur in England hergestellte Waren 
verstanden, sondern folgende Warenklassen wurden, ganz gleich 
welcher Herkunft, als englisch bezeichnet: 1. Samt aus Baum- 
wolle, Stoffe und Tuche aus Wolle, Baumwolle und Haaren, und 
aus diesen Rohstoffen gemischte Zeuge, Piqués, Basins, Nankins 
und Musselines. 2. Bänder und Schleier. 3. Knöpfe aller Art. 
1) Es sei bemerkt, daß wenn ich von Italien schlechtweg spreche, stets 
das Königreich Italien gemeint ist. 

2) Arch. nat. A F IV 1704 Italie. 


Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 125 


4. Töpferwaren. Die Einfuhr aller dieser genannten Waren wurde 
durch das Dekret verboten, sofern sie nicht — das war der 
wichtigste Punkt des Gesetzes — aus Frankreich stammten). 
Da in Italien selbst diese Erzeugnisse gar nicht oder jedenfalla 
nicht in genügender Menge hergestellt wurden, war somit der 
französischen Industrie ein Monopol oder mindestens eine sehr 
bevorzugte Stellung auf dem italienischen Markt eingeräumt ?). 
Unter diesen angeblich gegen den englischen Handel gerichteten 
Maßnahmen verbarg sich also eine Begünstigung Frankreichs und 
eine schwere Schädigung nicht nur Großbritanniens, sondern auch 
der befreundeten und verbündeten Staaten. Die böhmischen und 
mährischen Fabrikanten, die bisher Tuche nach Italien exportiert 
hatten, die Sachsen und Schweizer, die baumwollenen Samt 
und Musselin geliefert hatten, wurden ebenso und vielleicht in 
noch höherem Grade betroffen, als die Engländer°?). Die Absicht 
und Wirkung dieser angeblichen Bekämpfung des britischen 
Handels war nicht nur die, daß die britische Industrie den 


1) Der Text des Edikts ist der folgende: 

& 1. L’introduzione delle merci manifatturate provenienti sia dalle fab- 
briche sia dal commercio inglese & proibita tanto per mare quanto per terra 
in tutta l’estensione del regno d’Italia. 

$ 2. Sono riputati provenire dalle fabbriche inglesi qualunque ne sia 
l'origine gli oggetti qui sotto specificati tranne quelli che vengono 
ds Francia con certificati di fabbrica, vidimati dai prefetti e con ispedizioni 
di uscita rilasciate dagli agenti delle dogane imperiali: 

1. I velluti di cotone, le stoffe e panni di lana, di cotone e di pelo o 
misti di queste materie, ogni sorta di piqué, basini, nankini, e di mussoline. 

2. le fetucce e i veli. 

3. bottoni d'ogni specie. 

4. qualunque majolica conosciuta sotto il nome di terra di pipa ossia 
terraglia d’Inghilterra. 

2) Durch ein Dekret vom 12. Januar 1807 (Bollettino delle leggi del 
regno d’Italia 1807 S. 42) warden Bänder und Schleier-aus dem Erofter 
zogtum Berg zugelassen, aber durch ein Edikt vom 28. Dezember 1807 wie- 
tr verboten. Auch für Bayern war im 3 IB des am 2. Januar 1808 abge- 
shlossenen italienisch-bayrischen Handelsvertrags eine Ausnahme von den 
Bestimmungen des Dekrets vom 10. Juni 1806 beabsichtigt, doch ist der Ver- 
tag nie zur Ausführung gelangt. 

3) Sehr bedeutend war auch die Schädigung der Interessen Bayerns, wie 
ih in einem Aufsatz demnächst zu zeigen gedenke. 


126 Paul Darmstädter 


italienischen Markt verlor, sondern daß die französische ihn ge- 
wann. Elbeuf und Louviers, Eupen und Verviers, Rouen und 
Amiens verdrängten nicht nur Manchester und Leeds, Glasgow 
und Nottingham, sondern auch Zürich und Basel, Augsburg und 
Elberfeld, Mühlhausen in Thüringen und Brünn. 

Doeh damit noch nicht genug. Noch immer blieben die 
Schweizer gefürchtete Konkurrenten in der Baumwollindustrie. 
Als sich Napoleon nach seiner Rückkehr aus dem preußischen 
Feldzug, im Juli 1807, nach den Gründen der Erfolge der 
Schweizer Kattunfabrikanten in Italien erkundigte'), teilte ihm 
der Minister Champagny mit, daß diese infolge der billigeren 
Rohstoffpreise, der geringeren Löhne der Arbeiter und der 
niedrigeren Transportkosten die französischen Fabrikanten zu 
unterbieten imstande seien*). Kurzerhand entschloß sich der 
Kaiser zu einem neuen Gewaltstreich, und verbot durch das 
Dekret vom 28. Dezember 1807 die Einfuhr aller nicht aus 
. Frankreich stammenden Baumwollwaren?). 

War somit die ausländische Konkurrenz in der Textilindustrie, 
wenigstens vom legitimen Wettbewerb ausgeschlossen, so galt es 
jetzt den Franzosen auch gegenüber den italienischen Fabriken 
günstigere Bedingungen zu erzielen sowie in anderen Zweigen 
der Industrie und Landwirtschaft, in denen ein Verbot nicht- 
französischer Produkte als unzweckmäfßig erschien, den Franzosen 
den Wettbewerb sowohl mit dem Ausland als auch mit den 
italienischen Produzenten zu erleichtern. Diesem Zwecke sollte 
ein Handelsvertrag dienen, der seit 1806 sehr sorgfältig vor- 
bereitet wurde. Es ist vielleicht nicht hinreichend bekannt, daß 
Napoleon über einen wirtschaftlich geschulten Generalstab ver- 
fügte: neben seinen Offizieren und Diplomaten entsandte er 
Kommissare nach allen Himmelsgegenden, um sich über die 
wirtschaftlichen Verhältnisse des Auslandes zu unterrichten und 


1) Correspondance 15,456. 

2) A F IV 1060, F 12,534. 536. 

3) Bollettino delle leggi 1807 S. 1534: „L’introduzione di tutte le merci 
di cotone manifatturate tanto in tele bianche quanto in tele colorate di qua- 
lanque natura esse sieno, 6 proibita nel nostro regno d'Italia. Saranno sol- 
tanto ammessi i cottoni manifatturati che venissero dalla Francia.“ 


Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 127 


für den französischen Handel zu wirken. Ein solcher Kommissar, 
namens Isnard, wurde 1806/07 nach Italien gesandt, und seine 
Berichte sind neben den Wünschen der Interessenten, die natürliclı 
auch gehört wurden, dem Handelsvertrag zugrunde gelegt 
worden, der am 20. Juni 1808 zwischen dem französischen 
Kaiserreich und dem Königreich Italien abgeschlossen wurde; 
formell ein Vertrag, in Wirklichkeit ein Dekret des Kaisers, der 
ja zugleich auch als König in Italien gebot. 

Nach dem Handelsvertrag!) wurden die Zollsätze für die 
wiehtigsten Produkte, welche die beiden Länder untereinander 
austauschten, auf die Hälfte ermäßigt. Italien setzte seine Zölle 
berab auf Fabrikate der Textilindustrie, Eisenwaren, Luxusartikel, 
wie Bijouterien, Uhren, Möbel, Spitzen und Modewaren, auf Hüte, 
Lederwaren, Posamentierwaren, Tapisserien, Seife, ferner auf Öl, 
Vieh und Erzeugnisse der Fischerei; dagegen ermäßigte Frank- 
reich seine Zölle auf einige Erzeugnisse der italienischen Land- 
wirtschaft, wie Käse, Öl, getrocknete Trauben, Rohseide, Vieh, 
Hanf und Lein, auf Fischereierzeugnisse, ferner auf Feuerwaffen, 
Sicheln und Sensen, auf Strohhüte, auf Leinwand, Segeltuch, 
Kork und Wachs, auf Taue und Seidengaze. Für alle diese 
Artikel blieben zwar Änderungen der Zollsätze zulässig, doch 
wurde bestimmt, daß die Waren der beiden Kontrahenten stets eine 
Vorzugsbehandlung von 50°/n vor Produkten aus fremden Ländern 
genießen sollten; bei den Tuchwaren sollte der Zollsatz °/ı des 
bisherigen Zolles nicht überschreiten dürfen. Für einige andere 
Produkte, z. B. für feine Weine und Porzellan in Italien, für 
Reis und seidene Crêpes in Frankreich wurden die Zollsätze 
sebunden X). Endlich wurde noch vereinbart, daß die Transit- 
zölle, die Schiffahrts- und Lagerhausgebühren für Angehörige der 
beiden vertragschließenden Staaten die Hälfte der Abgaben be- 

1) Arch. nat. A F IV 1704 Italie. Der Austausch der Ratifikationen 
fand am 8. August 1808 statt. 


2) Der Zoll betrug für Porzellan 50 Frs. pro Zentner, für Flaschenweine 
% Cent. für den Liter, für Weine im Faß 5 Frs. pro Zentner; gewöhnliche 
Weine zahlten die Hälfte des Generaltarifs. Italienische Weine genossen die 
gleiche Begünstigung in Frankreich. Außerdem wurden italienische Tuch- 
waren, die bisher in Frankreich verboten waren, gegen einen Zoll von Frs. 1,50 
pro Meter zugelassen. 


128 Paul Darmstädter 


tragen sollten, die von fremden Staatsangehörigen zu en 
waren. 

Die Gesetzgebung, die den Zweck verfolgte, Italien z 
mäne der französischen Exportindustrie zu machen, fanı 
ihre Vollendung durch das Dekret vom 10. Oktober 181 
das völlige Einfuhrverbot aller Baumwoll- und Wollware 
Ausnahme der in Frankreich hergestellten, aussprach ı 
sogar auf den Transitverkehr ausdehnte'). Also böhmische 
und schweizerische Kattune waren nicht nur in Italien ve 
sondern durften auch nicht über das Königreich nach 
oder Sardinien versandt werden. Eine weitere Begün 
der französischen Industrie lag darin, daß die italienische 
zollfrei nach Frankreich eingeführt werden durfte, währe 
Ausfuhr über die anderen Landesgrenzen hohen Ausfuh 
unterworfen wurde?). Die Absicht dieser Maßregel wa 
französischen Seidenindustrie den Rohstoff zu verbillige 
konkurrierenden Industrien des Auslands aber zu verteue 

Die französische Industrie war also im Verkehr mit 
durch die napoleonische Handelspolitik auf dreifache We: 
günstigt: durch die Verbote fremder Produkte war sie geg 
Konkurrenz anderer Länder geschützt, durch die niedrige 
gangszölle wurde ihr der Wettbewerb mit der italieniscl 
dustrie erleichtert, und drittens wurde ihr der Bezug eine 
tigen Rohstofis, der Rohseide, erleichtert. 

Welches sind nun die Erfolge dieser Politik geweseı 
ist unzweifelhaft, daß Frankreich große Vorteile aus ihr g 
hat. Mag es auch richtig sein, daß es den Englände 
namentlich den Schweizern trotz der Dekrete gelungen ist, 
wollene und wollene Stoffe nach Italien zu schmuggel 


1) Nur Bänder aus dem Großherzogtum Berg genossen wi 
ihnen 1807 zugestandene Begünstigung. Bollettino 1811 S. 898. D 
Dekret vom 29. Februar 1809 (Bollettino 1809 S. 54) wurden auch ir 
verfertigte Strumpfwaren im Königreich Italien zugelassen. 

2) Dekret vom 26. September 1810. Bollettino 1810 S. 98 
Correspondance 21,60. 165. 

8) Nach den Berichten des Kommissars Catineau, der die Schw 
im Auftrage des Kaisers bereiste, fand der Schmuggel meist über Fr 
mit französischen Ursprungszeugnissen statt. Er behauptet, von X 








Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 129 


liegen doch Zeugnisse dafür vor, daß tatsächlich die französischen 
Waren die schweizer, englischen, deutschen und österreichischen 
Produkte aus Italien verdrängt haben. „Seit Frankreichs Über- 
macht auf dem festen Lande, schreibt ein deutscher Reisender, 
der 1810 Italien besuchte'), hat die Lage des Handels überhaupt, 
und so insonderheit die Vertreibung der Fabrikwaren in Italien 
eine ganz andere Wendung genommen. Der sonst unermeßliche 
Verkehr zwischen England und Italien ist ganz abgebrochen. 
Was Deutschland und die Schweiz betrifft, so sind die Einfuhren 
ihrer Fabrikate größtenteils untersagt. Das Wenige, was noch 
enzusenden erlaubt ist, leidet unter dem Gesetz der Douanen, 
und wird wahrscheinlich früh oder spät ebenfalls dem Verbot 
oder doch einer schwereren Belastung unterworfen werden. Es 
bleibt dem Lande keine Wahl weder der Güte noch der vorteil- 
hafteren Preise übrig. Es muß das meiste seines Bedarfs, gleich- 
viel wie es befriedigt wird, von Frankreich annehmen.“ Die von 
Napoleon nach Italien entsandten Kommissare, der italienische 
Finanzminister, sowie der italienische Generalzolldirektor betonen 
in gleicher Weise die Steigerung der französischen Einfuhr in 
Italien sowie den Rückgang des Imports aus der Schweiz und 
aus Deutschland *). 

Eine noch deutlichere Sprache reden die Ziffern der Statistik, 
die ja gewiß der Genauigkeit entbehren, aber doch einen rela- 
tiren Wert beanspruchen dürfen. Nach der französischen Handels- 


statistik °) betrug die Ausfuhr des Kaiserreichs nach dem König- 
reich Italien 


im Jahre: XI. . . . . 9 Mill. Frs. 
. » XI . . . . . 129 „ » 
„ n XII . . . . . 18,0 „ n 
“ „XIV/1806 . . . . . 401 „ » 
„ „ 1807 . . . . . 40,6 „ » 


Musselin, die von Frankreich nach Italien gingen, seien 180 Schweizer Ur- 
prungs gewesen. Arch. nat. F 12,536. 

D) Nesisich Bd. 7 S. 8. 

2) Arch. nat. F. 12,585. Mailänder Staatsarchiv: Commercio Stati esteri: 
Inghilterra und Finanze, contabilitä, bilanci, dogane 1805/11. 


3) Bilans de commerce Arch. nat. A F IV* 488. 
Vierteljahrschr. f. Social- n. Wirtschaftrgerchichte. III. 9 


130 Paul Darmstädter 


im Jahre 1808 . . . . . 44,4 Mill. Frs. 

» … 1809 . . . . . 43,8 „ » 

s » 18310 . . . . . 51,6 „ u 
» 1811 . . . 0.0.6526 „ » 


Gewiß darf man nicht übersehen, daß ein Teil der Steigerung 
der Ausfuhr auf den Export der Gebiete Italiens, die dem Kaiser- 
reich einverleibt wurden, zurückzuführen ist, aber ein sehr be- 
trächtlicher Teil der Ausfuhr bestand aus Fabrikaten, die un- 
zweifelhaft national-französischen Ursprungs waren’), und so 
dürfte das von uns festgestellte Ergebnis, daß die französische 
Industrie bedeutende Vorteile aus der ihr in Italien zuteil ge- 
wordenen Begünstigung gezogen hat, durch die Statistik eine 
weitere Bestätigung erfahren ?). 

Weit weniger günstig sind die Folgen der napoleonischen 
Politik für die italienische Volkswirtschaft gewesen. Zwar weisen 
die Zahlen der Statistik ein bedeutendes Anwachsen der italienischen 
Ausfuhr nach dem Kaiserreich auf’), aber es scheint, daß es sich 
nicht, wie bei dem französischen Export, um eine wirkliche Ver- 
mehrung der Ausfuhr überhaupt handelt, sondern daß die Steige- 
rung zum großen Teile auf die Angliederung bisher selbständiger 


1) So betrug z. B. der Export von Fabrikaten der Textilindustrie im 
Jahre XI nur 2,2 Mill, XII 5,2, 1807 19, 1808 24, 1809 22, 1810 24, 1811 
23t/s Mill. Frs. 

2) Von dem Gesamtimport Italiens entstammten nach der italienischen 
Statistik (Staatsarchiv Mailand: Finanze, Importazioni e esportazioni) aus 
dem Kaiserreich: 

1810 von 140,4 Millionen 63,0 — 45% 
1811 „ 129,6 „ 70,4 = 66 „ 
1812 „ 140,0 „ 75,5 — 54 „ 
1813 „ 105,3 » 56,8 — 54 . 

3) Der Export Italiens nach dem Kaiserreich betrug, nach der französischen 
Statistik, im Jahre XI 5,6, XII 5,3, XIII 6,9, XIV/1806 21,0, 1807 15,6, 
1808 27,1, 1809 41,4, 1810 42,8, 1811 43,6 Mill. Frs. Nach der italienischen 
Statistik entfielen von der italienischen Gesamtausfuhr auf die Ausfuhr nach 
Frankreich: 

1810 von 144,3 Millionen 35,5 = 24"/s 
1811 „ 132,6 » 64,9 — 49 
1812 „ 143,1 » 65,9 = 46 „ 
1813 „ 112,7 „ 45,5 — 40, 


Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 131 


Staaten an das Kaiserreich zurückzuführen ist; und soweit eine 
Vermehrung des Exports nach Frankreich stattfand, war sie durch 
den Rückgang der Ausfuhr nach anderen Ländern erkauft. 

Alle mir vorliegenden italienischen Zeugnisse sind sich darüber 
einig, daß die napoleonische Handelspolitik und ganz besonders 
der Handelsvertrag von 1808 für Italien äußerst nachteilig ge- 
wesen sind. Man betonte, und mit Recht, daß die französischen 
Konzessionen von viel geringerem Werte waren, als die von 
Italien Frankreich eingeräumten. Während der italienische Markt 
den französischen Fabrikaten aller Art offen stand, blieb die 
französische Grenze nach wie vor auch für zahlreiche Produkte 
des verbündeten Italien verschlossen. Die Teile Oberitaliens, 
die jetzt das Königreich bildeten, hatten immer im regsten 
Warenaustausch mit den Landschaften Italiens gestanden, die 
dem Kaiserreich einverleibt waren. In den Getreide bauenden 
Gebieten von Novara und Vigevano und in der Lomellina, die 
zum Königreich gehörten, klagte man darüber, .daß die fran- 
zösischen Zollgesetze die Ausfuhr nach dem zwar an Wein reichen, 
an Korn aber armen Montferrat nieht zuließen. Die Besitzer der 
über ganz Oberitalien verbreiteten Seidenfabriken, die Eigentümer 
der Eisenwerke im Gebiet von Brescia, der zahlreichen Woll- 
manufakturen in der Umgebung von Verona und Vicenza, sowie 
der Baumwollfabriken in Mailand jammerten darüber, daß ihnen 
der Absatz nach Piemont, Parma, Piacenza, Genua, Toscana und 
Rom nunmehr verschlossen war; die Seidenindustrie war überdies 
durch die Annexion des linken Rheinufers geschädigt, wo sie 
vormals zahlreiche Abnehmer ihrer Erzeugnisse besessen hatte’). 

Noch mehr als durch die Einfuhrbeschränkungen in Frankreich 
wurde die italienische Industrie durch die Zollherabsetzungen in 
Italien selbst betroffen. Man hat sich in Frankreich den An- 
schein gegeben, als ob Italien lediglich ein Rohstoffe produzierendes 
Land sei, und es ganz wie eine Kolonie nach dem alten Kolonial- 
«ystem behandelt, die Fabrikate vom Mutterland einzuführen ge- 





1) Staatsarchiv Mailand, Commercio Stati esteri Francia. Protokolle 
des Consiglio generale delle manifatture e commercio. Finanze: Contabilitä 
hilanci, dogane, Importazioni, Esportazioni. Arch. nat. F 12,620). 621. De- 
mandes faites par les députés du commerce italien. 


132 Paul Darmstädter 


zwungen war. Italien besaß indes eine gar nicht unbedeutende 
Textilindustrie: wenn auch die Baumwollindustrie noch ganz in 
den Kinderschuhen steckte, so war dafür die Seidenindustrie 
recht entwickelt und auch die Wollmanufakturen, wenigstens für 
geringere Tuchsorten, durchaus leistungsfähig; auch andere Gewerb- 
zweige, wie z. B. die Hutmacherei, die Eisenwarenfabrikation, 
Glas-, Fayence-, Leder- und Seifenfabriken waren im Königreich 
vertreten. Aber obwohl Italien nicht das nur Rohstoffe produ- 
zierende Land war, als welches es die Franzosen hinstellen 
wollten, stand doch die Tatsache fest, daß die italienische 
Industrie der französischen in keiner Weise gewachsen war, und 
die stete Herabsetzung der Zölle, namentlich auf die Fabrikate 
der Textilindustrie, die durch den Handelsvertrag geboten war, 
erwies sich als verhängnisvoll. Die Seidenfabriken Italiens ver- 
mochten nicht mit Lyon, die Wollwarenmanufakturen nicht mit 
Verviers und Eupen zu konkurrieren '). 

Die napoleonische Gesetzgebung schädigte die italienische 
Industrie aber nicht bloß durch die Absperrung des Kaiserreichs 
und die Konkurrenz der französischen Fabriken in Italien selbst, 
sondern auch noch durch die Verteuerung, ja zum Teil sogar durch 
die Entziehung der Rohstoffe. Die Tuchfabriken der südöstlichen 
Teile des Königreichs hatten früher vielfach Wolle aus der römischen 
Campagna bezogen. Nach der Annexion Roms wurde das 
Wollausfuhrverbot, das im Kaiserreich bestand, auch hier wirk- 
sam, und die Fabriken der Marken sahen sich des Rohstoffs 
beraubt. Ebenso wurden die Lederfabriken Italiens durch das 
Verbot der Ausfuhr von Fellen aus dem Kaiserreich geschädigt). 

Während Napoleon die Ausfuhr von Rohstoffen aus dem 
Kaiserreich nach Italien untersagte, suchte er umgekehrt dem 
Königreich die Rohstoffe zugunsten der französischen Industrie 
zu entziehen, vor allem das wichtigste Rohprodukt Oberitaliens, 
die Seide. Die Seidenfabrikanten von Vicenza, Padua, Bergamo, 
Bologna und Mailand wurden nicht müde, hervorzuheben, für 
wie bedenklich sie das Edikt vom 10. Oktober 1810 ansahen. 


1) Staatsarchiv Mailand. Consiglio generale di manifatture e commercio 
und Commercio parte generale. Arch. nat. F 12,620. 621. A F IV 1712. 
2) Staatsarchiv Mailand. Commercio parte generale. 


Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 133 


Alle Rohseide, so behaupteten sie, ginge nach Lyon, und die 
Konkurrenzfähigkeit der italienischen Industrie, die durch die 
niedrigen Einfuhrzölle schon an und für sich vermindert sei, 
würde durch die Entziehung der Rohseide noch weiter herab- 
gesetzt!). 

Man könnte meinen, das Verbot der Einfuhr fremder Textil- 
fabrikate sei doch auch der italienischen Industrie zugute ge- 
kommen, und es ist von französischer Seite behauptet worden, 
das Verbot englischer Fabrikate habe der italienischen Tuch- 
industrie tatsächlich genützt. In Italien selbst freilich klagte 
man nur über die übermächtige Konkurrenz Frankreichs. Das 
Verbot der nichtfranzösischen Waren erwies sich außerdem in 
doppelter Weise für Italien als ungünstig. Einmal dadurch, daß 
die Konsumenten genötigt waren, diejenigen Waren, die in Italien 
nicht hergestellt wurden, und für die die Franzosen jetzt ein 
Monopol besassen, teurer als bisher zu bezahlen, zweitens da- 
durch, daß infolge des Abbruchs der Handelsbeziehungen mit 
Deutschland, Österreich, England und der Schweiz auch die 
italienische Ausfuhr nach diesen Ländern geschädigt wurde. Und 
nicht nur der Warenaustausch mit dem Norden, auch der Transit- 
verkehr, der für manche Teile des Königreichs von großer Be- 
deutung gewesen war, hörte fast ganz auf. 

Dadurch wurden auch die Staatsfinanzen betroffen. Die Ver- 
bote der Einfuhr aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und 
England, die Zollherabsetzungen auf die französische Einfuhr 
und der Fortfall des Ausfuhrzolls auf die nach Frankreich ex- 
portierte Rohseide machten sich durch einen starken Rückgang 
in den Zolleinnahmen bemerkbar. 

Es ist möglich, daß die vermehrte Ausfuhr einiger landwirt- 
schaftlicher Produkte nach Frankreich einen gewissen Ausgleich 
für diese zahlreichen Verluste geboten hat; aber es ist sicher, 
daß auch die ländlichen Konsumenten von Industrieerzeugnissen 
durch den Ausschluss der fremden Konkurrenz und den Zwang, 
französische Fabrikate zu kaufen, geschädigt wurden. Unser 
Endurteil über die gegenüber Italien befolgte Handelspolitik wird 
sich dem Urteil des italienischen Generalzolldirektors anschließen 


| 1) Staatsarchiv Mailand. Consiglio generale. 


134 Paul Darmstädter 


müssen, der sie 1812 folgendermaßen charakterisierte: „Zwei 
von den Gesetzen des gleichen Herrschers regierte Völker, die 
durch engste politische Union verbunden sind, sollten nicht unter- 
einander Rivalen und ungerechterweise eifersüchtig sein, so daß 
während die eine ihre Produkte teuer an die andere verkauft 
und das, was sie von der andern braucht, an sich zieht, diese 
die Früchte ihrer Tätigkeit von den französischen Zolllinien zu- 
rückgewiesen sieht !).“ 

Die Italiener haben es nicht an Versuchen fehlen lassen, 
diesen Zustand zu ändern und günstigere Bedingungen für den 
italienischen Export, Aufhebung der Ausfuhrverbote auf Rohstofte 
in Frankreich, sowie Zollerhöhungen auf französische Produkte 
in Italien zu erlangen. Ihr sehr umfangreicher Wunschzettel, 
den sie im September 1810 dem Kaiser überreichten, enthielt 
Herabsetzung der französischen Zölle bezw. Aufhebung der 
Prohibition für Wollwaren, Eisenwaren, Fayencen, Glaswaren, 
Bücher, seidene Crêpes, Reis und Aufhebung des Ausfuhrverbots 
für Wolle?). Andererseits wünschte man die Erhöhung der 
italienischen Zölle auf Tuche, Baumwoll-, Seiden-, Leinwand- 
waren und Hüte?). Eine Zollerhöhung könne Frankreich um so 
weniger schaden, da die fremde Konkurrenz durch Verbote fern- 
gehalten würde. 

Die französischen Industriellen, denen die italienischen Wünsche 
zur Begutachtung vorgelegt wurden, sprachen sich begreiflicher- 
weise gegen ihre Bewilligung aus. Sie behaupteten, daß die 
Italiener niedrigere Arbeitslöhne hätten und deshalb imstande 
seien, billiger zu produzieren als die französische Industrie. Das 
erstere war wohl richtig. Man übersah indes, daß billige Arbeits- 
löhne nicht ohne weiteres mit billiger Produktion identisch sind. 
Auch an dem Wollausfuhrverbot bat man die französische Re- 
gierung festzuhalten, da Frankreich nicht über einen genügenden 
Vorrat dieses unentbehrlichen Rohstoffes verfüge. Nur gegen die 
Einfuhr von Reis und Büchern erklärten sie, nichts einwenden 
zu wollen. Sehr nachdrücklich sprachen sich die französischen 

1) Staatsarchiv Mailand. Finanze: contabilità, bilanci, dogane. 

2) Arch. nat. F 12,620. 621. 

3) Arch. nat. A F IV 1712. 


Le j 
" 
- 





Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 135 


Fabrikanten gegen die in Italien geplanten Zollerhöhungen aus, 
die für die französische Industrie einen verhängnisvollen Schlag 
(coup funeste) bedeuten würden. Der Handelsvertrag sei für 
Frankreich höchst günstig und glücklich gewesen. Jetzt sei 
Russland durch den Ukas Alexanders verschlossen, die Ausfuhr 
nach Deutschland vermindert, die Unruhen in Spanien hätten 
dem Absatz französischer Erzeugnisse nach der pyrenäischen 
Halbinsel geschadet; Italien sei das einzige gute Absatzgebiet, 
das der französischen Industrie geblieben sei '). 

Trotzdem hat sich Napoleon nicht ganz ablehnend gegen die 
italienischen Wünsche verhalten. Er willigte in die zollfreie 
Zulassung von Reis und seidenen Cröpesein, erhöhte die italienischen 
Zölle auf Hüte, gestattete die Ausfuhr der römischen Wolle gegen 
einen Ausfuhrzoll von 5 Frs. pro Zentner, und erlaubte auch 
die Einfuhr italienischer Wollwaren ins Kaiserreich”). Aber 
weiter wollte und konnte er nicht gehen. Gewiß lag es Napoleon 
sehr fern, Italien absichtlich zu schädigen, etwa in der Weise, 
wie wir es bei der Schweiz nachweisen können; im Gegenteil, 
er war bestrebt, soweit es irgend anging, die italienischen Inter- 
essen zu berücksichtigen. Wenn indes ein Konflikt zwischen 
italienischen und französischen Interessen eintrat, stellte er sich 
ganz, auf die französische Seite und kannte keine Rücksicht mehr 
für die verbündete Schwesternation. Mit voller Offenheit hat er 
die Motive seiner Politik in einem Brief an Eugen ausgesprochen: 
„Nehmen Sie die Devise an: Frankreich über alles! Wenn ich 
eine große Schlacht verlieren würde, so würden 1, ja 2 Millionen 
Männer Frankreichs unter meine Fahne eilen, alle Börsen würden 
mir offen stehen, — Italien aber würde mich verlassen. Ich finde 
es deshalb eigentümlich, daß man Widerwillen hat, den fran- 
zösischen Manufakturen zu helfen . . . Anstatt die Hälfte der 
Zölle zu zahlen, müßten französische Waren zollfrei in Italien 
eingehen dürfen“*). Frankreich über alles! das war die Devise, 
die Napoleon bei seiner Handelspolitik befolgt hat. Es fragt 
sich nur, ob bei den Nationen, wie im Leben, der grenzenlose 


1) F 12,192. 194. 549. 550. 620. 621. A F IV 1712. 
2) Dekret vom 10. Oktober 1810. 
3) Correspondance 21,61. 





136 Paul Darmstädter 


Egoismus auch wirklich den größtmöglichen Vorteil zu verhürgen 
imstande ist. 


IH. 


Es ist wohl sicher, daß dank der napoleonischen Handels- 
politik vorübergehend bedeutende Vorteile für die französische 
Industrie erzielt worden sind. Französische Erzeugnisse haben 
auf vielen Märkten des Kontinents englische, hie und da auch 
schweizer, deutsche und österreichische Waren verdrängt und 
sind sogar in Italien mit den einheimischen Produkten in er- 
folgreichen Wettbewerb getreten. In Frankreich selbst war ihnen 
durch den hohen Zollschutz und die Einfuhrverbote der Absatz 
gegen den legitimen Mitbewerb des Auslands nahezu gesichert. 
Trotz alledem wage ich es zu bezweifeln, daß das napoleonische 
System selbst für Frankreich besonders segensreich gewesen ist. 
Es zeigt die Verkennung des elementarsten Satzes der Handels- 
politik: Wenn du nehmen willst, so gib, es negiert die Gegen- 
seitigkeit des Austausches, die die Grundlage jedes Handels- 
verkehrs bildet. Indem es Frankreich auf Kosten des Auslandes 
bereichern wollte, führte es zu einer schweren Schädigung der 
wirtschaftlichen und schließlich auch der politischen Stellung 
Frankreichs. 

Es ist allgemein bekannt, wie Napoleon die ihm feindlichen 
Länder durch Kontributionen ausgesogen hat. Es ist durch ver- 
schiedene ältere und neuere Arbeiten festgestellt worden, in wie 
hohem Grade der Kaiser durch die Forderung von Kontingenten 
die finanziellen Kräfte seiner Verbündeten angestrengt hat. 
Weniger bekannt ist es, wie er diese — von den Menschenopfern 
und der Steuerlast ganz abgesehen — durch seine Wirtschafts- 
politik geschädigt hat. 

Frankreich zwang die ihm unterworfenen Staaten zum Ab- 
bruch der alten Handelsbeziehungen zu England; aber anstatt 
sie durch eine weitherzige Handelspolitik für die Verluste, die 
dadurch veranlaßt waren, zu entschädigen, schloß es sich selbst 
nicht nur gegen England, sondern auch gegen die Verbündeten 
hermetisch ab. Wenn die ausländischen Staaten sich damit ab- 
finden mochten, den Markt des alten Frankreich zu verlieren, 


Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 137 


auf dem ihr Absatz an und für sich vielleicht nicht so erheblich 
zewesen war, um so schlimmer trafen sie die zahlreichen An- 
nexionen. Tausendfache Bande bestanden z. B. zwischen den 
deutschen Gebieten rechts und links des Rheins, zwischen den 
Landschaften des französischen und des Königreichs Italien. Ich 
habe oben bereits darauf hingewiesen, wie sehr die Trennung 
durch die französischen Zolllinien in die wirtschaftlichen Ver- 
hältnisse der Lombardei eingrifl. Aber auch in fast allen Teilen 
Deutschlands, auf dem badischen Schwarzwald und in Sachsen, 
in den Reichsstädten Frankens und Schwabens, im Großherzogtum 
Berg und am Fichtelgebirge klagte man über die unübersteig- 
liehen Schranken, welche die französischen Einfuhrverbote den 
Exportindustrien dieser Gebiete entgegensetzten '). 

Aber noch nicht genug damit, die ausländischen Waren aus 
dem Kaiserreich fernzuhalten, dessen Grenzen sich fast jährlich 
vergrößerten, nicht genug damit, daß jede neue Annexion die 
materiellen Interessen der Nachbarstaaten aufs schwerste verletzte, 
suchte Frankreich seinen Verbündeten auch noch den italienischen 
Markt zu verschließen. Wie Italien durch diese Mafregeln ge- 
sehädigt wurde, habe ich zu zeigen versucht. Die Einfuhrverbote 
trafen indes natürlich noch mehr diejenigen Länder, welche bisher 
Italien mit Fabrikaten versehen hatten, also Österreich, Deutsch- 
land und namentlich die Schweiz, die vielleicht von allen mit 
Frankreich verbündeten Ländern am meisten unter der napole- 
nischen Handelspolitik zu leiden hatte, und nur durch den 
allerdings im größten Umfang betriebenen Schmuggel sich einiger- 
maßen schadlos zu halten verstand. 

Aber diese Handelspolitik, die zu Frankreichs Vorteil erdacht 
war, gereichte doch auch Frankreich selbst zum Schaden, und 


1) Kreisarchiv München ZA. 7/45, ZA. 7/50, MF. 429/42 (Wollweber in 
Ulm. Strumpfmacher in Dinkelsbühl. Nürnberger Industrielle) BEUGNOT 
in dem von SCHMIDT in der Revue d’histoire moderne et contemporaine Bd. 5, 
N. 608. 611. 615 ff. mitgeteilten Bericht. Arch. nat. F 12,549. 550 (Berg). 
FAHNENBERG 1,219 (Muslinfabrikation in Baden) 4,3 S. 185 und CAMILLE DE 
Tourxon, die Provinz Baireuth unter französischer Herrschaft. Wunsiedel 1900 
3. 86. 91 (Industrie in Bayreuth). NEMNICH 8,49 (Augsburger Kattunindustrie). 
Könıe, Die sächsische Baumwollindustrie S. 262. Vgl. auch MoXTGELAS 
Memoiren S. 224. 


138 Paul Darmstädter 


der auf andere abgesandte Pfeil prallte schließlich auf den 
Schützen zurück. Frankreich war für seine wichtigsten Indu- 
xtrien auf den Export angewiesen, und gerade die Bewohner 
der Vasallenstaaten waren die besten Abnehmer französischer 
Erzeugnisse’). Bei Berücksichtigung dieser Tatsache muß die 
napoleonische Handelspolitik in ganz anderem Lichte erschei- 
nen. Mit vollem Recht wies eine Eingabe der Schweizer 
darauf hin, daß die wirtschaftliche Schwächung eines Abnehmer: 
nicht im Interesse des Verkäufers gelegen sei. „Die Prosperität 
der Schweiz, so schrieben sie, sei auch für Frankreich von 
Vorteil, da die Schweiz tausenderlei Waren von Frankreich 
kaufe. Wenn aber die Schweiz durch die französische Handels- 
politik ausgesogen sei, werde sie auch nichts mehr von Frank- 
reich kaufen können?“ Aber diese einfache volkswirtschaft- 
liche Weisheit, die natürlich auch für die Beziehungen Frank- 
reichs zu Holland, Deutschland und Italien zutraf, fand keine 
Beachtung. 

Und doch hätten außer wirtschaftlichen auch politische Er- 
wägungen zu einer Änderung der Handelspolitik führen müssen. 
Frankreich war in seinem Kampfe gegen England, für die Durch- 
führung der Kontinentalsperre auf den guten Willen der anderen 
Festlandsstaaten angewiesen. Konnte man diesen guten Willen 
aber von Leuten voraussetzen, die täglich durch die französische 
Politik empfindlich geschädigt wurden? Einsichtige Beurteiler 
haben wiederholt betont, daß die Kontinentalsperre auch für die 
anderen Staaten von Vorteil sein könnte, wenn Frankreich sein 
zollpolitisches System ändere und mit den verbündeten Staaten 
eine enge handelspolitische Freundschaft schliesse. Nur bei 
wirklichem Freihandel auf dem Festlande, der Öffnung der Grenzen 
des Kaiserreichs für die Erzeugnisse der verbündeten Staaten, 
bei allgemeiner Beteiligung aller Völker am gemeinsamen Gewinn 
sei an das Gelingen der Absperrung des Festlands gegen Eng- 


1) Vgl. darüber namentlich Öchsıı, Schweizer Geschichte im 19. Jahr- 
hundert S. 520 ff. 644 ff. 579 ff. Sehr groß war auch der Schaden für Tirol 
durch das Stocken des Verkehrs von Deutschland nach Italien, wie die Akten 
des Münchner Kreisarchivs zeigen. Vgl. auch meinen ersten Aufsatz S. 599 ff. 

2) Arch. nat. F 12,521. 





Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 139 


land zu denken’). So aber, wie die Dinge lagen, mußten die 
Verbündeten sich sagen, daß sie nur Nachteile von der Konti- 
nentalsperre hatten, und alle noch so schönen Proklamationen 
von der gemeinsamen Bekämpfung des treulosen Albion durch 
die vereinte Macht des Kontinents konnten nicht darüber hinweg- 
täuschen, daß der Kampf außer dem politischen auch das wirt- 
schaftliche Übergewicht Frankreichs zum Ziele habe. Die Ver- 
drängung englischer Waren durch deutsche in Deutschland, durch 
italienische in Italien wäre vielleicht nicht unpopulär gewesen; 
aber wer konnte ein Interesse daran haben, anstatt guter und 
billiger Baumwollstoffe aus Manchester teure und schlechte aus 
Rouen zu tragen? 

Das handelspolitische System Napoleons war auf die Dauer 
ebensowenig haltbar, wie sein politisches System. Wie dies auf 
der finanziellen und militärischen, so beruhte jenes auf der wirt- 
wchaftlichen Aussaugung der dem französischen Einfluß unter- 
worfenen Festlandsstaaten zugunsten Frankreichs. Sie sollten 
französische Produkte, ja womöglich nur französische Erzeugnisse 
kaufen, während Frankreich sich selbst und Italien gegen fremde 
Produkte absperrte. Durch diese Politik wurde die wirtschaftliche 
Kraft der Verbündeten geschwächt, und der französische Export 
mußte schließlich durch eben die Maßregeln leiden, die ihn 
fordern sollten. Ferner wurde durch den grenzenlosen wirt- 
schaftspolitischen Egoismus Frankreichs der Erfolg des wirt- 
schaftlichen Kampfes gegen England in Frage gestellt und 
schließlich auch das politisch-militärische Übergewicht. Frankreichs 
bedroht. 

Es drängt sich am Schlusse noch die Frage auf, welche Motive 
den Kaiser dazu bestimmt haben, das Prohibitionssystem anzu- 





1) Diese Ideen entwickelt z. B. der vom Kaiser 1811 nach der Schweiz 
and Italien in kommerzieller Mission entsandte Catineau la Roche (Arch. 
nat. F 12,536). Ebenso ein anonymes Memoire (F 12,643): „Convient-il 
qu'entre des états aussi étroitement unis il y ait une double ligne de dou- 
anes, qui entrave leurs relations et divise leurs interêts, et ne vaudrait il 
pas mieux qu’une seule enceinte les protégeant tous également contre la 
“oncurrence étrangère permit dans l'intérieur même du territoire commun 
la libre circulation des productions du sol et de l’industrie?“ Vgl. auch 
KERSELHAUH, Die Kontinentalsperre S. 119. 





140 Paul Darmstädter 


nehmen, und dann bei der einmal von ihm angenommenen 
Handelspolitik zu beharren. 

Wie in so vielen anderen Punkten hat Napoleon auch in der 
Handelspolitik an die altfranzösischen Traditionen angeknüpft; 
ja streng genommen ist er nur in die Fußtapfen des Direktoriums 
getreten, das durch das Dekret vom 10. Brumaire V bereits das 
Prohibitionssystem angenommen hatte. Der Kaiser hat es schon 
fertig vorgefunden und nur noch weiter ausgestaltet. 

Das Hauptmotiv, das ihn dabei leitete, ist stets die Feind- 
schaft gegen die englischen Waren gewesen. Auch durch die 
Mafregeln gegen ganze Warenkategorien und gegen die Erzeug- 
nisse der verbündeten Staaten glaubte er doch in erster Linie 
den verhaßten Erbfeind zu treffen. Er war der nicht ganz der 
Berechtigung entbehrenden Meinung, daß die Engländer alle 
Mittel benützten und vielfach unter falscher Flagge ihre Erzeug- 
nisse ins Kaiserreich einschmuggelten. Das radikale Verbot aller 
Einfuhr schien so das einzige sichere Mittel zu sein, um den Im- 
port englischer Erzeugnisse zu verhindern. Dann läßt sich nicht 
verkennen, daß das strenge Schutzzollsystem mit der Staatsauf- 
fassung des Absolutismus der napoleonischen Zeit in enger 
Wechselwirkung steht. Die Regelung der wirtschaftlichen Ver- 
hältnisse, wie sie dem Kaiser als notwendige Aufgabe des Staates 
vorschwebte, ließ sich nur bei einem protektionistischen System 
durchsetzen. Die Idee des geschlossenen Handelsstaats ist die 
Konsequenz der äußersten Konzentration aller Mittel des Staates 
zu einem Zweck, wie sie die napoleonische Monarchie ver- 
wirklichte. 

Ferner muß man auch erwägen, daß dieser napoleonische 
Staat ein sehr großes Territorium umfaßte. Von einem Reich, 
das von Lübeck bis Rom reichte, mochte man annehmen, daß 
es imstande wäre, sich selbst zu genügen. Und der freie, von 
allen Binnenzöllen ungehinderte Verkehr in diesem Gebiet war 
in einer Zeit, in der man in anderen Ländern jede Wegstunde 
auf einen Schlagbaum stieß, eine gewaltige Neuerung. Wenn 
einige weitblickende Männer die Ausdehnung des französischen 
Wirtschaftsgebiets auf alle verbündeten Staaten oder gar auf 
ganz Europa verlangten, so war dies gewiß ein großartiger Ge- 


Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 141 


danke, aber es fragt sich, ob er durchführbar gewesen wäre, 
und bei einer Öffnung der Grenzen des Kaiserreichs zugunsten 
der Erzeugnisse der verbündeten Staaten waltete stets die Be- 
sorgnis ob, diese würden nicht die entsprechenden Maßnahmen 
treffen, um den Engländern den Import zu verwehren. 

Endlich darf man nicht außer acht lassen, daß die französischen 
Fabrikanten die kaiserliche Politik unterstützten; die berufenen 
Vertreter der französischen Industrie, die Handelskammern und 
der Conseil general des manufactures traten nicht nur für alle 
vom Kaiser angeordneten Einfuhrbeschränkungen und Verbote 
ein (freilich nur, soweit sie Fabrikate betrafen), sondern suchten 
sie mitunter noch zu übertrumpfen. 

Es sind also gewichtige Gründe der inneren und auswärtigen 
Politik, welche die Handelspolitik Napoleons bestimmt haben. 
Daß diese die Erbitterung der Völker gegen den Kaiser mit ver- 
ursacht und zu seinem Sturze wesentlich mit beigetragen hat, ist 
zweifellos. Es mußte aber darauf hingewiesen werden, daß auch 
eine anders geartete Handelspolitik mit großen Schwierigkeiten 
hätte kämpfen müssen; denn der Beweis, daß das nationale 
Interesse nicht notwendig in der vollen Ausnützung der Über- 
legenheit einer Nation besteht, wird einem siegreichen Volke 
schwer einleuchten, und es lag nicht in der Natur eines Napoleon, 
diesen Beweis zu führen. 


Miszellen. 





Zur Entstehungsgeschichte der Acta Borussica. 
Von 
G. v. Below (Tübingen). 


Die Redaktion der „Zeitsehrift für Social- und Wirtschaftsgeschiehte“ 
hat mir vor langer Zeit das Referat über die beiden ersten Bände der 
Abteilung „Behördenorganisation und allgemeine Staatsverwaltung“ der 
„Acta Borussica“ („Denkmäler der preußischen Staatsverwaltung im 
18. Jahrhundert, herausgegeben von der Kgl. Akademie der Wissen- 
schaften. Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsvorwal- 
tung Preußens im 18. Jahrhundert.“ Erter Band. Akten von 1701 
bis Ende Juni 1714, bearbeitet von G. SCHMOLLER und O. KRAUSER. 
Mit einer Einleitung über Behördenorganisation, Amtswesen und Be 
amtentum von G. SCHMOLLER. Zweiter Band. Akten vom Juli 1714 
bis Ende 1717, bearbeitet von G. SCHMOLLER, O. KRAUSKE und 
V. Löwe. Berlin, Verlagsbuchhandlung Paul Parey, 1894 und 1898) 
übertragen. Leider habe ich, durch andere Verpflichtungen gebunden, 
dem damals mir gewordenen Auftrag in der Zwischenzeit nicht nach- 
kommen können. Jetzt noch ein Referat nachzuholen, scheint mir nicht 
angebracht zu sein, nachdem schon von anderen Seiten in ausreichender 
Weise auf die Wichtigkeit der Publikation hingewiesen worden ist. 
Dagegen möchte ich hier eine einzelne Frage erürtern, die nicht bloß 
für die Acta Borussica von Bedeutung, sondern von allgemeinem Inter- 
esse ist. Ich suche im folgenden festzustellen, wen wir als den 
geistigen Urheber dieser Edition anzusehen haben. Eine solche Frage 
hat heute erhöhte Bedeutung, da sich täglich die Veröffentlichungen 
mehren, die von gelehrten Körperschaften ausgehen und an denen eine 
Mehrzahl von Autoren beteiligt ist. Mich interessiert die Frage zu- 
nächst vom rein historiographischen Standpunkt aus (als eine kleine 
Vorfrage betreffs der von mir geplanten Darstellung der Geschichte 
der deutschen wirtschaftsgeschichtlichen Literatur)!), Aber es lockt 
mich zugleich, hier einen bescheidenen Beitrag zu dem Problem der 
Feststellung des geistigen Eigentums im allgemeinen zu liefern. 

SCHMOLLER selbst hat sich mehrfach (z. B. in Bd. I seiner „All- 


1) Vgl. Zeitschr. für Sozialwissenschaft 1904, S. 145. 


- 
..n 
° 
. 
. 





G. v. Below: Zur Entstehungsgeschichte der Acta Borussica. 143 


“emeinen Volkswirtschaftslehre“) als den geistigen Urheber der Acta 
Borussica schlechthin bezeichnet, und andere sind ihm darin ge- 
folgt. Er kann sich für dies Verfahren auf das Beispiel anderer 
Leiter derartiger gemeinschaftlicher Unternehmungen vielleicht be- 
rufen. Wir wollen deshalb im folgenden die Frage, ob ihn irgend- 
ein Tadel ftir die Beanspruchung der Autorschaft treffen könnte, voll- 
kommen ausscheiden und ganz objektiv das Verhältnis zu ermitteln 
suchen. 

Eine Anregung zu solchen Veröffentlichungen, wie wir sie jetzt in 
den Acta Borussica haben, hat schon RANKE gegeben (vgl. seine 
„Zwölf Bücher preußischer Geschichte“, 3. und 4. Bd. S. 167; „Ur- 
sprung und Beginn der Revolutionskriege,“ 2. Aufl., S. 261). In dem 
Vorwort zum 1. Bande der Acta Borussica („Die preußische Seiden- 
industrie im 18. Jahrhundert und ihre Begründung durch Friedrich 
den Großen“) S. V wird auch auf dahin gehörige Aeußerungen RANKES 
hingewiesen. Nach ihm haben andere preußische Historiker, ins- 
besondere ERDMANNSDÖRFFER !), die Notwendigkeit verwaltungsgeschicht- 
licher Studien betont. SCHMOLLER hat sich dann gewissermaßen be- 
rufsmäßig ihnen gewidmet. Ueber die Vorgeschichte der Acta Borussica 
speziell berichtet jenes Vorwort folgendes. Im Frühjahr 1887 bean- 
tragten die Mitglieder der Berliner Akademie H. v. SYBEL, SCHMOLLER 
nnd LEHMANN „auf Anregung des erstgenannten“ als Ergänzung der 
politischen Korrespondenz Friedrichs des Großen?) eine umfassende 
Publikation über die innere Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahr- 
hundert. Das Plenum der Akademie gab dem Antrag Folge. Es wurde 
für die Edition eine Kommission gebildet, in die die oben genannten 
drei eintraten, SYBEL als Vorsitzender, SCHMOLLER als der, dem „die 
übrige geschäftliche und wissenschaftliche Leitung und der regelmäßige 
Verkehr mit den Mitarbeitern übertragen wurde“. 

Wie man aus dem bisherigen ersieht, kann SCHMOLLER nicht 80 
ohne weiteres das Verdienst zugesprochen werden, die Acta Borussica 
veranlaßt zu haben. Er ist dann immerhin zum Leiter des Unter- 
nehmens bestellt worden. Nun werden zu Leitern in der Regel solche 
Autoren gewählt, die durch eigene Editionen auf dem betreffenden oder 
einem verwandten Gebiet den Mitarbeitern ein Vorbild geben können; 
oft solche, die die betreffende Editionsspecies begründet haben. Es 
sei nur an PERTZ und WAITZ in ibrem Verhältnis zu den Monumenta, 
an WEIZSÄCKER als Leiter der Reichstagsakten, an HEGEL als Leiter 
der Chroniken der deutschen Städte erinnert; hier hatte der Leiter 
stets durch eigene Ausgaben das Muster geliefert. SCHMOLLER befand 
sich nicht in solcher Lage; er hatte überhaupt kaum eine Edition her- 


1) ERPMANNSDORFFER, Graf G. F. von Waldeck (1869), S. IX, nennt 
„eine quellenmäßige Geschichte des preußischen Beamtentums“ eine Arbeit, 
„deren wir so sehr bedürfen“. 

2) Es mag hier darauf hingewiesen werden, daß die Edition der Acta 
Borussica in gewissem Sinne eine konsequente Weiterentwicklung älterer Ar- 
beiten der Akademie darstellt. Vgl. das von DROYSEN, DUNCKER und SYBEI. 
unterzeichnete Vorwort zum ersten Bande der „Politischen Korrespondenz 
Friedrichs des Großen“ (1879), S. X. 





144 G. v. Below: Miszelle. 


gestellt, am wenigsten eine, die hier als Vorbild dienen konnte‘). 
Damit soll selbstverständlich seine Wahl nicht -getadelt werden: er 
qualifizierte sich durch seine eingehende Beschäftigung mit dem Stoff 
zum Leiter. Aber es ist zu konstatieren, daß die Mitarbeiter, die er 
jetzt fand, sich nicht nach seinem Vorbild richten konnten, sondern 
zu anderen Mustern ihre Hilfe nehmen mußten. Die Vorrede zum 
ersten Bande der Acta Borussica (S. XXI) spricht von „eingehenden 
Verhandlungen der Beteiligten“: SyBEL und LEHMANN werden also 
auch ihre Ansichten über die Art der Edition zur Geltung gebracht 
haben. Weiter (S. XXII) heißt er, daß man sich die Edition der 
„Politischen Korrespondenz Friedrichs des Großen“ ?) zum Muster ge- 
nommen hat. Das Programm für die letztere haben DROYSEN, DUNCKER 
und SYBEL entworfen; der Editor der ersten Bände war KOsER. Wir 
werden also diesen einen indirekten Anteil an der Ausgabe der Acta 
Borussica zuzumessen haben. Es handelt sich hier teilweise um Dinge, 
die dem Laien geringfügig zu sein scheinen, die tatsächlich jedoch 
keineswegs unwichtig sind. Nun hatte SCHMOLLER für seine Abhand- 
lungen über preußische Verwaltungsgeschichte schon viel archivalisches 
Material gesammelt, und er hat dies dann für die Acta Borussica zur 
Verfügung gestellt (S. XVIII). Natürlich sichert ihm dies einen ge- 
wissen Anteil an ihnen. Indessen, ganz abgesehen davon, daß es noch 
nichts vollständiges war, so liegt die entscheidende Arbeit doch in der 
Zubereitung des Materials, bei Editionen zur neueren Geschichte, bei 
dem unermeßlichen Quellenstoff, den sie bietet, namentlich auch in der 
Sichtung der Akten, der Aussonderung des Wichtigen. Diese Arbeit 
hat bei den ersten Bänden der Acta Borussica HINTZE getan. Die 
Vorrede sagt ausdrücklich (8. XXIII): „die ganze Detailausführung 
und Fertigstellung . . . stammt von Dr. HINTZE“*). Hierbei verdient 
es Erwähnung, daß dieser Schüler WEIZSÂCKERS, eines Meisters der 
Edition, ist. Immerhin mag SCHMOLLER als von der Akademie be- 


1) Wie verbreitet die Anschauung, daß SCHMOLLER im vollen Sinn der 
Urbeber der Acta Borussica sei, ist, dafür liefert ein bezeichnendes Beispiel 
GOTHEIN, ein ganz unbefangener Autor, der von den bewährten Editions- 
grundsätzen SCHMOLLERS, die im ersten Band der Acta Borussica zur Anwen- 
dung gekommen seien, spricht (Annalen des histor. Vereins für den Nieder- 
rhein 58, S. 198). Wo hat SCHMOLLER denn „bewährte Editionsgrundsätze“ 
dargelegt, bezw. angewandt? Die urkundlichen Beilagen, die seine Schrift 
„Straßburg zur Zeit der Zunftkämpfe“ enthält, sind nicht besonders gut 
ediert (s. Zeitschr. für Sozialwissenschaft 1904, S. 318). Bei der Edition der 
Urkunden ferner, die der „Straßburger Tucher- und Weberzunft“ beigegeben 
sind, hat die Hauptarbeit StırpAa getan (s. das Vorwort dazu S. VII ff.); über- 
dies wurden darin die Grundsätze WEIZsÄCKERs akzeptiert (S. VII). 

2) Vgl. S. XXII des ersten Bandes der Acta Borrussica mit S. XVI des 
ersten Bandes der Polit. Korr. Wenn an ersterer Stelle fortgefahren wird: 
„der wörtliche Abdruck und die auszugsweisen Mitteilungen sind durch 
größere und kleinere Schrift im Druck unterschieden,“ so war auch dies 
keine Neuerung. 

3) Ebenso heißt es in der Vorrede (S. 11) des ersten Bandes der Ab- 
teilung über die Behördenorganisation: „Die Einzelredaktion ist durchaus das 
Werk und das Verdienst von Dr. KRAUSKE.“ 


Zur Entstehungsgeschichte der Acta Borussica. 145 


stellter formeller Leiter des Unternehmens ihm wertvolle Dienste ge- 
leistet haben. Aber so viel ist klar, daß er ganz und gar nicht als 
geistiger Urheber der Acta Borussica schlechthin bezeichnet werden 
darf; er hat wohl sogar einen geringeren Anteil an ihnen als die 
meisten Leiter an ähnlichen Unternehmungen !). 


1) Ich benutze die Gelegenheit, um hier noch auf eine weitere Über- 
schätzung der Verdienste SCHMOLLERS hinzuweisen. W. NAUDÉ setzt in seiner 
Abhandlung „STADELMANNs Publikation über die Tätigkeit der preußischen 
Könige für die Landeskultur“, Forschungen zur brandenburg. und preuß. 
Geschichte 15, S. 1 ff., eingehend auseinander, daß diese Publikation einen 
durchaus unwissenschaftlichen Charakter hat. Er konstatiert mit Befremden, 
daß SYBEL STADELMANN die Edition habe übertragen können und daß mehrere 
Historiker, z. B. BAILLEU (Deutsche Rundschau 19, S. 824), die Publikation 
sehr gelobt haben. Nach seiner Meinung ist das nur möglich gewesen, weil 
diese Autoren noch nicht den Einfluß SCHMOLLERS erfahren haben. Seit ihm 
sei so etwas nicht mehr möglich. „Es ist ganz wesentlich durch SCHMOLLERS 
Verdienst ein Wandel eingetreten: ganze Generationen [!] von Studierenden 
haben durch ihn Richtung, Anregung und Methode zu wissenschaftlicher Ar- 
beit empfangen, und heute mangeln nicht die Historiker, die mit genügender 
staatswissenschaftlich-juristischer Bildung historische Kritik nnd methodische 
Schulung verbinden.“ Ich sehe nun die Kritik, die NAUDÉ an STADELMANNS 
Publikation übt, als sehr dankenswert an. Aber als Historiograph der 
deutschen Wirtschaftsgeschichte fühle ich mich veranlaßt, gegen die falsche 
Abgrenzung der Verdienstanteile, die er vornimmt, den entschiedensten Protest 
einzulegen. SCHMOLLER hat nämlich nicht nur nichts getan, um auf die 
Fehler STADELMANNs den Blick zu lenken, sondern er ist zweifellos in erster 
Linie dafür verantwortlich zu machen, daß dessen Publikation trotz ihrer 
schon vor langer Zeit festgestellten Mängel bisher noch immer in weiten 
Kreisen als eine vortreffliche Arbeit angesehen wurde. Am Schluß seiner 
Abhandlung muß NAUDÉ selbst schon in einem Nachtrag zugeben, daB be- 
reits 1892 GOTHEIN gegen STADELMANN folgende Vorwürfe erhoben hat: 
„dilettantische Art der Quellenbenützung, Mangel an Kritik, panegyrische 
Tendenz, Auswahl einiger Aktenstücke aufs Geratewohl.“ Ferner kann er 
nicht umhin, anzudeuten, verschleiert es nur leider sehr (vgl. S. 2), daß 
G. F.Kxapr im Jahre 1891 (Die Landarbeiter in Knechtschaft und Freiheit S. 89) 
die unbefriedigende Art der Publikation STADELMANNs hervorgehoben hat. 
Derselbe hat das meiste von dem, was NAUDE jetzt im einzelnen feststellt, 
schon gesagt. Die Mängel waren nun offen dargelegt. NAUDE brauchte 
Kxıarpe Sätze nur zu erweitern. Aber man hat auf Fehler STADELMANNS 
auch schon viel früher hingewiesen. POSNER, der, soweit es sich um die neuere 
Geschichte handelt, Schüler SYBELS war, hat bereits im Jahre 1880 vieles von 
dem, was jetzt NAUDE moniert, an der Publikation getadelt (Hist. Zeitschr. 44, 
S. 520 f.): „Leider lassen sich gegen Anordnung und Genauigkeit der mit- 
geteilten Dokumente . . . mancherlei Bedenken nicht unterdrücken . .. Vor 
allem die Genauigkeit in Lesung und Abdruck der Dokumente läßt gar viel 
zu wünschen übrig... Das Auffälligste an Flüchtigkeit aber ist geleistet“ 
u.8. w. Umgekehrt hat STIEDA, der zu den Schülern SCHMOLLERS zu rech- 
nen ist, von den „allgemein geschätzten wertvollen Untersuchungen“ STADEI- 
MANNS, von seiner „Umsicht“ in der „Gruppierung und Bearbeitung des 
Stoffes“ gesprochen (Hist. Zeitschr. 57, 8. 102). SCHMOoLLER selbst benützt 
STADELMANNS Arbeiten ganz anstandslos; s. z. B. Jahrbuch für Gesetz- 
gebung 1884, S. 1014, Umrisse und Untersuchungen S. 587 und 627. Nur 
einmal finde ich bei ihm eine einzelne gegen STADELMANN gerichtete Be- 
merkung (Umrisse S. 608 Anm. 1). Wo sich ihm Gelegenheit bot, ein auf- 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 10 


146 G. v. Below: Miszelle. 


klärendes Urteil über dessen Publikation zu fällen, hat er cs nicht getan 
(Jahrbuch 1886, S. 570 ff.; 1888, S. 646). Ja, er hat ihr sogar ein ofüzielles 
Lob erteilt. NAUDÉ (S. 30) äußert seine Entrüstung darüber, daß „die epoche- 
machenden Forschungen SCHMOLLERs und die dilettantischen und verfehl- 
ten Bände STADELMANNS“ im DAHLMANN-WAITZ auf eine Linie gestellt 
werden. Nun, in dem von SCHMOLLER mitunterzeichneten Vorwort (5. XI: 
zum ersten Bande der Acta Borussica werden STADELMANXS Bände nicht bloß 
mit KnArps, sondern auch mit — SCHMOLLERs eigenen Arbeiten auf eine 
Linie gestellt! Es wird erklärt, die Akademie wolle mehrere Themata einst- 
weilen aus ihrem Programm ausscheiden, weil darüber „schon brauchbare 
Arbeiten vorhanden sind“: so die von STADELMANN, Knarr, LEHMANN, 
SCHMOLLER U. 8. w. Wenn NAUDE von dem Einfluß SCHMOLLERS eine neue 
Ara wissenschaftlicher Arbeit datiert, so müssen wir ferner geltendmachen, 
daß STADELMANN selbst und diejenigen, die ihn lobten, schon die Arbeiten 
SCHMOLLERS gekannt und mit größter Anerkennung genannt, also sich doch 
wohl seinem Einfluß geöffnet haben. Vgl. STADELMANX, Friedrich Wilhelm I 
in seiner Tätigkeit für die Landeskultur Preußens S. VI; BAınL.LEv, Deutsche 
Rundschau 19 (1879), S. 324 f. Es ist aber auch an die vorhin (S. 148 f.) fest- 
gestellte Tatsache zu erinnern, daß SCHMOLLER nie ein Vorbild der Edition 
gegeben hat. Einige unter seinem Einfluß stehende Autoren haben sogar 
unbefriedigende Editionen geliefert (vgl. Liter. Zentralblatt 1886, Sp. 1076 f£.; 
Zeitschr. für Sozialwissenschaft 1904, S. 323). Ein besonders scharfer Gegen- 
satz zwischen seiner und STADELMANNS Art läßt sich keineswegs beobachten. 
Wenn GOTHEIN STADELMANN wegen seiner „panegyrischen Tendenz* tadelt, 
80 ist SCHMOLLER zwar nicht Panegyriker, aber, wie derselbe GOTHEIN her- 
vorgehoben hat, wenigstens Apologet. Er wird STADELMANNs Übertreibungen 
kaum als solche empfunden haben. Beide huldigen der „biographischen“ 
Auffassung (ich gebrauche diesen Ausdruck im Anschluß an Knarr, a. a. O.). 
Allerdings besitzt ja SCHMOLLER viel mehr Sachkenntnis als STADELMANN 
und hat sich nie solcher Schnitzer wie dieser schuldig gemacht. Ob er in- 
dessen als ein Autor von ganz hervorragender Akribie (wie ihn NAUDE offen- 
bar hinstellen will) gelten kann und ob er besonders strenge wissenschaftliche 
Anforderungen stellt, darüber zu urteilen liegt genügendes Material vor, das 
ich hier nicht auszubreiten brauche (vgl. z. B. Zeitschr. für Sozialwissenschaft 
1904, S. 160 ff. und S. 794 ff... Hiernach werden wir unsere Erörterungen 
zu folgendem Urteil zusammenzufassen haben : die bedauerliche Überschätzung 
und die zu vertrauensvolle Verwertung der Publikationen STADELMANNS 
hätten nicht stattgefunden, wenn man die kritischen Stimmen PosxERs, 
Knapps und GOTHEINS beachtet hätte; daß man diese im wesentlichen un- 
beachtet ließ, dafür trägt ohne Zweifel in erster Linie SCHMOLLER, dem 
man die Führerstellung auf dem Gebiet der preußischen Verwaltungsgeschichte 
zuschreibt, die Verantwortung, indem er die Schwächen der Publikationen 
STADELMANNS aufzudecken unterließ, bezw. nicht vermochte, ja vielmehr 
ihre Brauchbarkeit hervorhob. Von Interesse wäre es noch zu erfahren. 
auf wessen Rat SYBEL seinerzeit STADELMANXN die Edition übertragen hat. 
Vielleicht geben darüber die Akten der preußischen Archivverwaltung Aus- 
kunft. Eine Vermutung liegt nahe. 


G: Salvioli: Per la storia della proprietà in Italia. 147 


Per la storia della proprietà in Italia 
di 
G. Salvioli (Napoli). 
1. 


Nell’ Archivio comunale di Modena si conservano i Catasti fondiari 
del secolo XVI ordinati dagli Estensi per l’applicazione dell’ imposta 
prediale. I più antico & del 1546, ed ha il titolo di Campione 
delle terre del distretto di Modena. Quelli compilati nel 1258, 
1262, 1287 secondo quanto dicono gli Annales veteres!) e gli 
Statuti del 1327,?) sono andati perduti. Il Campione del 1546, come 
l'aitro del 1583 intitolato Campione rusticale, contiene l’elenco 
dei proprietari di terre, distribuiti per ville, l’estensione in biolche 
(bibulca—Ettare 0,28.36) della terra da ciascuno posseduta, coll’ 
indicazione dei confini, del valore, del genere delle culture e dell’ im- 
posta onde & gravata. Il territorio di ogni villa & diviso in cittadino 
e contadino, secondo che le terre apparteugono a rurali che le coltivano 
direttamente a conto proprio, o a cittadini che le tengono a boaria 0 
a mezzadria.. E questa una distinzione antica che trovasi già negli 
Statuti del 1327: dicevansi proprietari del eittadino gli iscritti fra i 
dttadini, quelli che godendo i diritti di cittadinanza, avevano il voto e 
potevano essere eletti a pubblici uffici. Nel catasto sono soltanto 
elencate le terre sottoposte al pagamento dei tributi, restando quindi 
escluse quelle del duca, del Comune che aveva anche allora importanti 
possessi, dei nobili, del clero e degli enti ecclesiastici. Perciö solo 
una parte relativamente piccola era censita, e precisamente la proprietä 
allodiale non sottoposta a vincoli e nemmeno a privilegi, quella che 
era nelle mani dei rustici e dei semplici cittadini che pagavano imposta, 
quantunque qualche volta il catasto li gratifichi dei titoli di ser e di 
magnifico. Il numero totale degli iscritti nel Campione & di 520 sopra 
un territorio di circa 20 mille ettare, quanta era la superficie delle 
ville comprese nel catasto. 

Ora la particolarit che presentano questi 520 proprietarii, & la 
piocolezza dei loro possessi. La terra appare straordinariamente 
frazionata: molti posseggono poche are, i piu poche biolche, rari quelli 
ehe hanno oltre 40 biolche (= Ett. 11,34). E nessuno possiede la sua 
terra, grande o piccola che sia, in unico corpo, ma il possesso di 
cisscuno € rappresentato da molti piccoli appezzamenti tutti piccolissimi, 
disseminati nella villa, separati da fondi intermedi, appartenenti ad 
altri. Si vede che per quanto antico e sempre in uso fosse a Modena 
l'istituto degli Ingrossatori?) incaricati di promuovere le permute, con 
facoltä di procedere a vendite forzose se il tratto di terra coltiva fosse 


1) MURATORI, Rerum ital. Script. XI ad h. a. 

2) Ed. Camport nei Mon. storici delle provincie mod. e par- 
mensi. 

3) MURATORI, Antiq. italicae II 238. 


148 G. Salvioli: Miszelle. 


maggiore di 1 iugero o di 2 se a bosco'), non potevan le leggi nei 
magistrati impedire ciö che era la conseguenza delle divisioni ereditarie, 
delle costituzioni di dote, ecc. Nei Memoriali notarili, che in copia 
straordinaria conservansi nell’ Arch. notarile, dal sec. XIII, trovansi 
numerosissime le permute, molte delle quali, come attesta il notaio, 
avvengono ad istigazione degli Ingrossatori. 

Non ostante cio, la terra si mantiene frazionata in piccole quote e 
i possessi sparpagliati, cosi che quasi tutti hanno tre o quattro appez- 
zamenti in una villa e altri in altre, e i piu rilevanti possessi sono 
costituiti da 15 o 20 appezzamenti qua e là sparsi con grande danno 
dell’ agricoltura. Questo fatto serve a spiegare la mancanza di bestiame 
bovino quale si desume dagli Statuti del 1324 (lib. III rubr. XXXIX). 
Le piccole quote eran sfornite degli animali necessari alla cultura, che 
si faceva o con animali posseduti da consorzi di vicini o presi in fitto; 
cosiche i lavori riescivan sempre superficiali e affrettati, e poi manca- 
vano le concimazioni. Da ciö si comprende come, pur essendo scarsa 
la popolazione, restando la terra semi incolta per impotenza degli uomini, 
le campagne si alimentassero con grani scadenti, l’orzo e la spelta, 
e si frequenti fossero le carestie. 

Per dare un’ idea della distribuzione della proprietà secondo il 
Catasto del 1546, scegliamo la Villa di Collegara con una superficie 
di circa 2000 Ett. per quanto si pud desumere dalle Carte dello Stato 
maggiore. Detta villa figura in catasto con 44 proprietari, per biolche 
654 — Ett. 237, ossia una media di Ett. 4,50 per ciascuno, cosiche 
oltre ‘/s della superficie non sono catastate nd gravate d’imposta. 
La villa di Portile di circa 1000 Ett. figura con 25 proprietari per 
biolche 400 = Ett. 112. Parecchi non hanno più di una biolca, e 
i possessi maggiori (della famiglia Crespolano) sono cosi costituiti: 
1° possesso composto di 8 appezzamenti di biolche 1 + 1 + 2 +5 
+ 5 + 5 + 7 + tavole 45; 2° appezzamenti 14 per biolche 23; 
3° appezzamenti 16 per biolche 112. Nella villa di Panzano vi & un 
proprietario di 27 piccoli lotti, un altro di 35, un terzo di 50 formanti 
una proprietä di biolche 62 = Ett. 17.58. Questo è lo stato normale 
di tutta la proprietà catastata, tanto pel cittadino che pel contadino. 

Risalendo agli atti notarili del secolo XIII al XV, conservati a 
migliaia nell’ Archivio notarile, vediamo nei testamenti, inventari, vendite, 
permute predominare non solo la piccola ma la piccoliseima proprietä 
anche in una misura inferiore a quella rivelata dal Catasto del 1546. 
Tale esistenza di piccoli possessi nel territorio modenese è un fatto 
antichissimo, perche giä nelle carte dell’ alto medio evo essi compaiono 
non solo attorno alla cittä, ma framezzo alle grandi corti imperiali?), 
ai grandi dominii che nel Modenese avevano le chiese di Modena, 


1) Statuti di Modena del 1327 ed. Camrorı pref. c. 12. 
2) CorTE di Ganaceto: an. 1025 MURATORI, Antig. ital. I 1021. 
In. di Bajoaria: an. 970 id. „ „ 116. 
Iv. di Solara: an. 1029 id. V 191. 
Cfr. Muratorı, Ant.est. 199: TrraBoscHı Mem. moden. I 128; II 186, 
27, 38. 


Per la storia della proprietà in Italia. 149 


Bologna, Reggio, Parma'), il monastero di Nonantola?), ecc. La parte 
del territorio non costituita in grandi possessi, molti dei quali fecero 
poi parte del patrimonio matildico®), era frazionata in piccole quote. 
Cunegonda moglie a re Bernardo fondando un monastero a Reggio, gli 
don terre che aveva comprato qua e là nel Modenese da diverse 
persone; e nomina 18 piccoli appezzamenti, e altri ne acquistö l’abbate 
desingulis hominibust). Una carta di Modena del 816 menziona 
8 petiolae di terra da 1 modio e altre di pochi sestari5). Di tali 
petiolae & frequente la menzione nelle carte del IX secolo®). Fondi 
da 1 a 7 iugeri hanno il titolo di curtes’), e le grandi corti sono 
æcompagnate da numerose piccole sortes autonome e coltivate da 
massari“). Al secolo X si hanno enfiteusi di 1 jugero, 1 sestario, 
Ttavole e 1 piede?), di 4 sestari, 4 tavole e 5 piedi!”) e numerose di 
piccolissime quote'!!). Anche allora i proprietari avevano le loro terre 
sparse in molti luoghi!?). 

Crebbe poi questa piccola proprietä nell’ epoca comunale quando 
fa ai livellari di terre ecclesiastiche accordato il diritto di affrancare 
le enfiteusi. In questo senso ebbero grande importanza prima una 
legge del 1221, poi il trattato stipulato col vescvo Guglielmo nel 1227. 
Colla prima legge dichiaravansi libero allodio le terre e case in Modena 
e nel circondario per 10 miglia all’ intorno, quando fossero passate al 
direttario 3 lire modenesi per ogni sestario di frumento o meno se il 
tributo era in derrate. Detta legge voleva che se il canone fosse in 
moneta rimanesse l’obbligo di contribuire in perpetuo un denaro per 
ogni rata del canone stesso. Coltrattato del 1227 si stabili l’obbligo della 
affrancazione dei livelli quando si offrivano 5 soldi imperiali per ogni 
denaro del canone??). 

Da queste misure origin quella classe di tezolani, onde è si 
spesso parola negli Statuti di Modena del 1327, che erano rustici 
liberi, coltivatori di terre altrui, a mezzadria (laboratores de medio), 
almeno per 12 biolche, ma distinti dagli altri rustici, perchè dovevano 
possedere in proprio alcun pö di terre, almeno 4 biolche se del contado, 
o un jugero se forestieri. I loro diritti e privilegi erano condizionati 


1) Tacout, Memoriestoriche diReggio di Lombardia IIpag. 667 
an. 835: Arro Storia della città di Parma I pag. 349 an. 948: SavıoLı 
Annali bolognesi I parte I" pag. 173—180. 

2) TrraposcHı Storia dell’ Abbazia di Nonantola, II n. 118 
an 1014. 

3) OVERMANX, Die Besitzungen der Grossgräfin Matilde 
ron Tuscien, 1893, pag. 12—20. 

4) TACOLI, o. c. II 667 an. 836. 

5) TiraposcHı, Mem. moden. In. 12 e 18. 

6) In. 1 n. 35 an. 869: n. 125, 127, 130 an. 980. 

7) TIRABOSCHI, Storia di Nonant. II n. 20 e 21. 

8) 1v., Mem. moden. In. 52 an. 896. 

9) Ip. Storia di Nonant. II n. 133 an. 1081. 

10) Ip. II n. 66 an. 904. 

11) In. II n. 71, 74, 76, 81, 82: an. 904—987. 

12) TIRABOSCHI, Storia di Nonant. II n. 117 e 135. 
13) Statati di Modena 1327 lib. III r. 70 e 71. 


150 G. Salvioli: Miszelle. 


a questo possesso, e li perdevano perdendo questo'). Itezolani 
del 1327 sono poi i proprietari coltivatori che figurano nei catasti del 
secoo XVI. 

Le carte del monastero di S. Pietro di Modena e altre inedite del 
secolo XIV), non che gli atti notarili mostrano la larga diffusione del 
possesso fondiario, nella mani degli stessi artigiani, proprietari, nel 
contado, di poche biolche: cid dava all’ economia il carattere che & 
prevalente nelle economie domestiche. 

In un inventario dei possessi del monastero di S. Domenico del 1450 
vedesi come detto monastero avesse 60 fondi sparsi in molte ville, ma 
formanti in tutto l’estensione di Ett. 127. Erano il frutto di tante 
donazioni e i donanti erano piccoli proprietari?). Cosi fino al secolo 
XVI è tipico il grande sminuzzamento della proprietà nel territorio 
modenese. (Cid & anche confermato dal Catasto di Carpi del 1448, 
nel quale sono registrati i nomi di oltre 1300 persone che posseggono 
piu di undici mila appezzamentit). 

Ma le relazioni fondiarie non tardarono ad alterarsi. Confrontando 
il Catasto del 1546 coi posteriori del 1585, 1595, 1642, 1685, nei quali 
€ dato seguire le variazioni avvenute nella distribuzione della terra, 
possiamo constatare: I’ la diminuzione del numero dei proprietari: 
II’ la diminuzione piu sensibile nel numero dei contadini proprietari o 
possessori del rusticale: III” l’arrotondarsi delle quote in unitä agrarie 
maggiori. La diminuzione si avverte già nel Campione rusticale del 
1583, e si fa piu sensibile nei posteriori. La citata villa di Collegara 
ha in catasto solo 500 biolche possedute da 32 persone: il che vuol 
dire che 156 biolche sono passate fra le esenti d’imposta, assorbite 
dal clero o dalla nobiltà. Anche diminuiti sono i proprietari, ed & da 
notarsi che i 32 portano nomi diversi da quelli segnati nel catasto del 
1546. La stessa famiglia (Crespolano) che aveva il piu rilevante 
possesso, vi figura ma con un possesso ridotto. Nel catasto del 1642 
le terre soggette a imposta sono cresciute a 1300 biolche, divise a 45 
proprietari, con una media di Ettare 8 per ciascuno. Ma già si notano 
possessi di biolche 80 — Ett. 22. Si osserva che le piccole quote 
sparse nelle ville si sono aggregate, mercé permute e aquisti, in maggiori 
unit e che sono scomparsi i minimi possessi di tavole o di una o 
due biolche. Vi è solo uno che ha 2 biolche, un altro 3, un altro 4: 
i possessi degli altri 42 proprietari superano le 10 biolche. Nella denunzia 
del 1656 i rustici sono divenuti nulla tenenti e raramente incontrasi 
ancora chi coltiva un loghetto proprio di poche are. I catasti del secolo 
XVII rivelano un altro fatto, cio& il concentrarsi della proprietä, special- 
mente nel Basso modenese, nelle mani della nobiltà — proprietà fatta 
coll’ aggregazione di piccoli lotti acquistati, come si vede dalle denuazie; 
mentre nelle montagne la terra rest frazionata, come lo è tuttora. 


1) Stat. id. III r. 3. Campori, Del governo a comune in Modena 
II c. XIT. 
2) Archivio CAmroRr1 (presso la Bibl. Estense Modena), Atti civili y B 1, 15; 
y À 2, 2-3; y I 1, 89. 

8) Bibl. estense, mss. Camrorı, Memorie patrie 1881 pag. 82. 

4) Presso il Comune di Carpi. 


Per la storia della proprietä in Italia. 151 


A parte le diverse cause economiche da cui puö essere derivato 
tale concentramento, vogliamo indicare l’azione esercitata dai duchi 
di Modena che favorirono l’arricchimento della nobiltà di corte e di 
uffici, concedendo esenzioni dalle imposte e altri privilegi, che in gran 
copia sono nell’ Arch. di Stato. Ecco, per es, un decreto del Duca Borso 
del 1497 in favore del Conte Galiazzo de Canossa e un altro del duca 
Ercole del 1476 per Paolo Ant. de Trotti coi quali si dà licenza di 
poter acquistare qualsiasi quantitä di terra rusticale Il primo aveva 
in nove anni, cioë fino al 1506 accumulate biolche 655 in 114 appez- 
zamenti «terre aquistade da contadini et da citadini»: il secondo 
aveva 89 petie, tutte di poche biolche. Altri doc. del. sec. XVI mostrano 
come alcune famiglie della nobiltä estesero i loro possessi acquistande 
«terre mere rusticali» per le quali ottenevano l’esenzione dalle imposte. 
Cosi gradualmente si compi l’espropriazione dei rustici e dei piccoli 
proprietari. Per mezzo dei cambi si costituirono grossi nuclei di 
proprietà fondiaria, i quali anche tuttora mostrano il loro derivare da. 
tanti piccoli appezzamenti coi molti numeri speciali che ogni fondo 
conserva nei moderni catasti, 

Per tali vie vennesi formando nel territorio di Modena l’attuale 
tipo di possesso fondiario, il quale, se certamente non rappresenta la 
grande proprietä, & perö diverso da quello che risulta dai Catasti di 

arpi del 1448, di Modena del 1546. Non si possono fare confronti 
di cifre, perché mancano in questi i dati pei beni appartenenti al clero 
e alla nobiltä, che, come & detto, rappresentavano i ‘/s della superficie. 
Oggi ancora la media estensione delle proprietä & nella provincia di 
Modena di Ett. 6.40, e nei Comuni di Modena e Carpi di 4.60: & questa 
certamente ancora la piccola proprietä: ma che vi sia stato un movi- 
mento di concentrazione specialmente a danno dei rurali, una volta 
proprietari di terre, per lo piu provenienti da livelli affrancati, è quello 
che risulta dai documenti esaminati. 


Literatur. 


Russische Literatur über die Sozial- und Wirtschafts- 
geschichte Ruflands in den Jahren 1900, 1901, 1902. 


Mit dem vorliegenden Bericht über die Literatur zur Sozial- und 
Wirtschaftsgeschichte Rußlands in den Jahren 1900, 1901, 1902 be- 
zwecken wir, den Fachgelehrten ein möglichst vollständiges bibliogra- 
phisches Register der in den genannten Jahren erschienenen wissenschaft- 
lichen Werke nebst einer kurzen Inhaltsangabe und einer knappen 
kritischen Würdigung, zu liefern. Der Bericht zerfällt in 4 Teile: Der 
erste ist den Quellenausgaben, der zweite dem archäologischen Material 
und den archäologischen Forschungen, der dritte den geschichtlichen For- 
schungen und der vierte endlich solchen populären Arbeiten gewidmet, 
welche trotz ihrer gemeinverständlichen Form vermöge ihrer originellen 
Ausführung und Auffassung einen wissenschaftlichen Zweck und einen 
wissenschaftlichen Wert haben. 


I. 
Quellenausgaben. 


Hier kommen in erster Linie die Arbeiten W. N. STOROZEW: 
und 8. A. SCHUMAKOWS in Betracht. STOROZEW redigierte die zweite 
Lieferung des ersten Bandes der „Erbregister des Rjasaner Gebietes‘ 
({ucuoBHA xHurı Pasanckaro xKpası), berausgegeben von der 
Rjasaner wissenschaftlichen Archivkommission; SCHUMAKOW hat eine 
sehr wertvolle Sammlung von Dokumenten aus dem XVI. und XVII. Jahr- 
hundert unter dem Titel: „Hundertregister, Privilegien und Verzeich- 
nisse“ (ÜOTHHUBI, TPAMOTBI If 3AIIMHCH) herausgegeben. 

Diese Dokumente sind zunächst in den „Verhandlungen der Gesell- 
schaft für Geschichte und Altertiimer Rußlands“ — die Gesellschaft 
hat ihren Sitz an der Moskauer Universität — und erst dann separat 
erschienen. 

Die erste Lieferung des ersten Bandes der „Erbregister des Rjasaner 
Gebietes“ ist schon im Jahre 1898 erschienen und enthält die Erb- 
register des XVI. Jahrhunderts; die zweite Lieferung enthält die 
„Hundertregister und Auszüge aus den Erbregistern des XVI. Jahr- 
hunderts“ (COTHHA TPAMOTH H TIHCHOBHA BHNIHCH), das heißt Doku- 


Referate. 153 


mente, welche auf Grund der Erbregister der Grundbesitzer ausgestellt 
worden sind und welche Auszüge aus diesen, auf die einzelnen Güter Bezug 
nehmenden Erbregistern enthalten, — während sich die Erbregister des 
XVIL Jahrhunderts erst im Drucke befinden. Die „Hundertregister“ 
und die „Auszüge“ aus der Zeit des XVI. Jahrhunderts sind schon 
deswegen von großer Wichtigkeit, weil die Mehrzahl der Erbregister 
aus jener Zeit verloren gegangen ist und Abrisse dieser Erbregister in 
den erwähnten Dokumenten enthalten sind. Die Erbregister aus dem 
XVII. Jahrlıundert sind in großer Zahl erhalten, aber größtenteils nicht 
abgedruckt. Die in geringer Zalıl abgedruckten Erbregister aus dem 
genannten Jahrhundert haben dank den Arbeiten STOROZEws eine sehr 
wiehtige Ergänzung erhalten. 


Die „Hundertregister“ von SCHUMAKOW enthalten Urkunden und 
Auszüge aus den Registern derselben Art, wie sie STOROZEW heraus- 
gegeben hat, nur beziehen sie sich auf andere als das Rjasaner Gebiet. 
Abgesehen davon hat SCHUMAKOW in seinem Werke eine ganze Reihe 
von Urkunden (TPaMOTA) über Austausch von Grund und Boden, von 
Schenkungsurkunden und gerichtlichen Streitverhandlungen zwischen 
den Grundbesitzern veröffentlicht. Eine Urkunde bezieht sich auf die 
Geschiebte der strafrechtlichen Verfassung („Iy6HHA yuperkzeHis), 
und behandelt das gerichtliche Verfahren wegen wichtiger Verbrechen 
im XVL und XVII. Jahrhundert, eine zweite Urkunde bezieht sich auf 
die Geschichte der Salzindustrie im Kostromaer Gebiete im XVII. Jahr- 
hundert. 


Im Zusammenhang mit diesem Werke steht die im Jahre 1900 in 
den „Verhandlungen der Gesellschaft für Geschichte und Altertümer 
Rußlands“ erschienene II. Lieferung der „Übersicht der Urkunden des 
Ökonomie-Kollegiums“ (O630pb TPaMOTB KO.LIeTit 3KOHOMIH), 
gleichfalls von SCHUMAKOW, welche einige Textabschriften und einen 
allgemeinen Ueberblick der Beloserskschen Urkunden aus dem XIV. bis 
XVII. Jahrhundert enthält. Unter der Bezeichnung „Urkunden des 
Ökonomie -Kollegiums“ versteht man die umfangreiche und wert- 
volle Sammlung von Urkunden, welche unter Katharina Il. nach der 
Säkularisation der Kloster-, Kirchen- und bischöflichen Güter im 
Jahre 1764 durch diese zur Bewirtschaftung der konfiszierten Güter be- 
stellte Kollegium veranstaltet wurde. Diese Urkunden werden in dem 
Moskauer Archiv des Justizministeriums aufbewahrt. Die „Übersicht“ 
SCHUMAKOWS gibt uns eine wissenschaftliche Darstellung des Urkunden- 
wesens des alten Beloserskschen Gebietes (heute Gouvernement Nowgorod) 
und eine Abschrift der wichtigsten Urkunden im Anhange, wo das 
Hauptaugenmerk auf die für die Wirtschaftsgeschichte so wichtigen 
Urkunden der Hundertschaften gerichtet ist. 

Einen großen Wert hat ferner die Ausgabe des Gesetzentwurfes 
vom Jahre 1589, des sogenannten „Gesetzbuches des Zaren Theodor 
Joannowicz“ (ÜyAe6HHKPB napa Heonopa loaHHoBı ya), das übrigens 
nie in Kraft getreten ist. Die Veröffeutlichung dieses „Gesetzbuches“ 
ist von S. K. BOGOJAWLENSKIJ besorgt worden. Es erschien zunächst 
in der VII. Lieferung der „Sammlung des Moskauer Hauptarchivs des 


154 Reierate. 


Ministeriums des Auswärtigen“ und später in separater Ausgabe. 
Dieses „Gesetzbuch“ gewährt einen Einblick in die sozialen und wirt- 
schaftlichen Verhältnisse Rußlands im XVI. Jahrhundert und ist von 
besonderer Wichtigkeit deswegen, weil es den Grundbesitz der Bauern 
behandelt. 


Sehr viel Material über die Finanz- und Wirtschaftsgeschichte des 
west- und südwestlichen Rußland im XV. und XVI. Jahrhundert ist in 
der von M. W. DOWNaR SAPOLSKIJ herausgegebenen I. Lieferung der „Ur- 
kunden des Litauisch-russischen Reiches“ (AKTH JIHTOBCKO-PYCCKATO 
TOCYAAPCTBA) zu finden. Die in dieser Sammlung abgedruckten 
Dokumente sind der sogenannten Litauischen Metryk entnommen, d. i. 
dem Staatsarchiv des ehemaligen Großftirstentums Litauen, das sich 
gegenwärtig im Moskauer Archiv des Justizministeriums befindet. Sie 
beziehen sich auf die staatlichen Ausgaben, direkte und indirekte Ein- 
nahmen, Handel, Besteuerung der Gemeinden, Abgabepflicht und 
Steuerleistung der einzelnen gesellschaftlichen Klassen, Grundeigentum, 
Bodenpreise u. 8. w. Leider sind bei der Herausgabe dieser Doku- 
mente Fehler mitunterlaufen. 

Großen Wert hat ferner die erste Lieferung der „Beiträge zur Ge- 
schichte der ökonomischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ver- 
hältnisse des alten Kleinrußland“ von N. P. WASSYLENKO, welche unter 
: dem Titel „Allgemeine Untersuchung des Grundeigentums in dem Gebiete 
der Niezinskschen Garnison“ (l'enepabHoe c.TBICTBie 0 MAETHOCTAXB 
© Hbörmnckaro II0JIkA) erschienen ist. Diese „Allgemeine Untersuchung“ 
bietet eine vollständige wirtschaftliche Beschreibung Kleinrußlands und 
ist in den Jahren 1729 und 1730 behufs Ordnung der verworrenen 
Grundeigentumsverhältnisse und der Annulierung der gesetzwidrigen 
Bodenaueignungen zustande gekommen. WASSYLENKO hat nur einen 
Teil dieser Beschreibung und zwar denjenigen, welcher sich auf die 
Niezinsksche Garnison bezieht, herausgegeben, die Beschreibung der 
Gebiete der anderen neun Garnisonen ist bis jetzt noch nicht ver- 
öffentlicht. Von Wichtigkeit ist aber nicht nur die Beschreibung allein, 
sondern auch die in ihr enthaltenen Kopien von verschiedenen Grund- 
eigentumsurkunden, in welchen sich sehr wertvolle wirtschaftliche Aus- 
führungen finden. 

P. M. GOLOWATSCHOW hat eine Materialsammlung redigiert und 
herausgegeben unter dem Titel: „Das erste Jahrhundert der Stadt 
Irkutsk“ ([lepBoe croxbrie HpryTera). Hier sind viele für die 
Wirtschaftsgeschichte Sibiriens im XVII. und XVIII. Jahrhundert wert- 
volle Dokumente enthalten, wie z. B.: Erbregister, Verzeichnisse der 
zu Dienst- und Amtsleistungen bestimmten Personen, Loohnbticher 
der Bediensteten, Einnalıme- und Ausgabebücher u. 8. w. Diese 
Sammlung würde eine hervorragende Bedeutung beanspruchen können, 
wenn nicht zwei Lücken sich zeigten: Erstens sind nicht alle Doku- 
mente vollständig (von einigen sind nur Ausztige veröffentlicht) und 
zweitens — das ist die Hauptsache — sind bei der Ausgabe einiger 
Dokumente schwere Fehler mituntergelaufen. 

Diese letztere Bemerkung trifft in weit größerem Maße bei der 


Referate. 155 


Besprechung des von der Akademie der Wissenschaften herausgesebenen 
III. Bandes der „Urkunden des Moskowischen Reiches“ (AKTH 
\lOCKOBCKATO TOCYAAPCTBA) zu. Die ersten zwei Bände enthalten 
— gleich dem dritten Bande — Ausztige aus den Dokumenten derjenigen 
Zentralverwaltung des Moskowischen Reiches („Razrjadnoj Prykas“), 
(PA3PAXHHË IIPHKA3P), welcher die Organisation des Militärdienstes, 
die Evidenzhaltung der Dienstpflichtigen und die generelle Verwaltung 
der stidlichen Grenzgebiete oblag. Die genannten ersten zwei Bände sind 
unter der Redaktion des ehemaligen Leiters des Moskauer Archivs 
des Justizministeriums, N. A. Popow, erschienen und bieten eine wert- 
volle und sorgfältig gesichtete Sammlung historischen Materials. Dieser 
Umstand bewog die Akademie der Wissenschaften, die Herausgabe des 
Materials auch nach dem Tode Popows fortzusetzen, und mit der 
Redaktion des Werkes wurde der Tradition gemäß der Nachfolger 
im Amte, D. S. SsaMOKwASSow, betraut. Allein der dritte Band erschien 
in so nachlässiger Form und strotzte von so vielen groben Fehlern, 
für welche nur der Redakteur verantwortlich gemacht werden kann, 
daß sich die Akademie der Wissenschaften gezwungen sah, von der 
weiteren Ausgabe abzusehen. Es ist nur zu bedauern, daß solche 
wichtige Dokumente, wie sie der dritte Band enthält, in dieser, durch 
die Nachlässigkeit des Redakteurs werschuldeten Fassung für wissen- 
schaftliche Zwecke nicht benützt werden können. Will man diese 
Dokumente studieren, so muß man sie im Original benützen. 


Alle obgenannten Quellenausgaben kennzeichnen sich, einige wenige 
Teile der Ausgaben von DOWNAR-SAPOLSKIJ und GOLOWATSCHOW und 
die Ausgabe SSAMOKWASSOWs in ihrem Ganzen ausgenommen, abgesehen 
von ihrer inhaltlichen Wichtigkeit, durch eine äußerst sorgfältige 
Wiedergabe des Textes und eine dem Ernst der angestrebten Aufgabe 
entsprechende Korrektheit. 

In zweiter Linie kommen solche Quellenausgaben in Betracht, 
welche sich ein weniger weites Ziel gesteckt haben und daher kein 
so umfangreiches Material enthalten. 

Dazu gehören vor allem „Gesetzesmaterialien in bezug auf die Regelung 
der Verhältnisse der Dorfbevölkerung“ (SaKOHOJaTe.ILHHE MA- 
TePiAJIH HO BOIIPOCaMB, OTHOCALUHMCA KB JCTPOHCTBy CE-IBCKATO 
nace1eHif) — herausgegeben von der Semstwo-Abteilung des Mini- 
steriums des Innern. Davon sind drei Lieferungen erschienen: die 
erste im Jahre 1899, die zweite und dritte im Jahre 1900. Das hier 
mitgeteilte Material enthält die seitens des Ministeriums des Innern 
dem Staatsrat gemachten Vorschläge in bezug auf die Frage der Ent- 
eiguung und Verteilung des in dem Besitze der Gemeinde befindlichen 
Bauerngrundes, Denkschriften in bezug auf dieselbe Frage, welche 
von anderen Behörden ausgegangen sind, und die Verhandlungen des 
Staatsrats. In allen diesen Arbeiten findet man interessantes geschicht- 
liches Material, z. B.: Mitteilungen über die Familienteilungen der 
Bauern in den einzelnen Gouvernements vom Jahre 1874 an u. a. 

Aufmerksamkeit erfordert weiter die Veröffentlichung der Schrift- 
«tticke des Feldmarschalls B. P. SCHEREMETIEw unter dem Titel: 


156 Referate. 


„Archiv des Dorfes Woschaznikowo“ (APXHB?R CeJa BolNaskHIIKOBA), 
I. Lieferung. Hier befindet sich der Briefwechsel zwischen SCHEREMETJEW 
und den Verwaltern seiner Güter im Jaroslawler Gouvernement, Bitt- 
schreiben seiner Leibeigenen und die Einnahme- und Ausgabebicher 
der Gutsverwaltung. Diese Dokumente, die unter der sehr sorgfältigen 
Redaktion J. S. BELJAJEws erschienen sind und sich auf den Anfang 
des XVII. und teilweise auf das Ende des XVII. Jahrhunderts be- 
ziehen, bieten ein sehr interessantes Musterbild jener Schriftstücke, die 
sich noch jetzt bei vielen Gutsbesitzern erhalten haben, zu großem 
Teile aber nach und nach verloren gehen. Diese Dokumente haben einen 
großen Wert für die Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse zur 
Zeit der Leibeigeuschaft, indem sie uns einen Einblick in die Organi- 
sation der gutsherrlichen und bäuerlichen Bewirtschaftung, in die Art 
der Bauernabgaben, in die Einktinfte des Gutsherrn, in die Autonomie 
der Gemeinde und ihr Verhältnis zum Gutsherrn, den Stand der Vieh- 
zucht, den Verkauf und den Konsum der wirtschaftlichen Produkte etc. 
gewähren. 

Die von W. J. und G. S. CHOLMOGOROW herausgegebene X. Liefe- 
rung des Werkes: „Historisches Material über Kirchen und Dörfer im 
XVL—XVIIL Jahrhundert“ (Hcropnueckie MaTepiaTH 0 HEPKBAXB 
H celaxXb XVL—XVII. CT.) bezieht sich auf einen Teil des Moskauer 
Gebietes und hat gleich den ersten neun Lieferungen eine gewisse Be- 
deutung für die Wirtschaftsgeschichte des alten Rußland, da sie Aus- 
ztige aus den alten Erbregistern tiber den Grundbesitz der Pfarrkirchen 
enthält. Die Ausgabe zeichnet sich durch große Sorgfältigkeit aus. 

Zur Charakteristik der wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt- 
bevölkerung und der „Jamsclıiki" (AMIUHKB), d. i. jener Leute, welche 
im XVI. Jahrhundert die Staatspost besorgten, dienen vorztiglich 
die von J. S. GURLAND herausgegebenen „Dokumente der Stadt Ro- 
manowo-Boryssoglebsk“ (AKTH ropoza PomanHoBo-bopHcorıböcka) 
und die „Dokumente der Romanower Jamskaja Sloboda“ (AKTH 
PoMaHoBcKoïñ SMCKOÏ CI060Abl). Dasselbe gilt von dem von 
W. Borıssow herausgegebenen Werke „Erbregister der Stadt Laischew 
aus dem Jahre 1568“ (IlmcmoBas KkHnra r. JlammeBa 1568). 

Für die Geschichte der Staatswirtschaft sind von Bedeutung die 
von À. 8. Lappo-DANILEWSKIJ in der XI. Lieferung der „Jahrbücher 
der archäographischen Kommission“ veröffentlichten Auszüge aus den 
Verhandlungen tiber die im Nowgoroder Gebiete im XVI. Jahrhundert 
üblichen Abgaben für Zwecke der sogenannten „Jemtschuznoje delo‘ 
(AMuUy>kHoe 1510), d. h. für die zur Pulverfabrikation notwendige 
Herstellung von Salpeter. 

Die wissenschaftliche Archiv-Kommission von T'wjer benützte die 
von der schwedischen Regierung herausgegebenen Berichte ihres an 
der Botschaft in Moskau im Jahre 1674 akkreditierten Militärattachés 
PALMQUIST und gab einen Teil dieser Berichte mit Abbildungen unter 
dem Titel „Die Stadt Twjer im Jahre 1674 nach Palmquist“ heraus. 
Dieselbe Kommission hat auch eine Beschreibung der Stadt Twjer 
nach den Erbregistern des Jahres 1626 herausgegeben. 


Referate. 157 


Für die Geschichte des Grundeigentums und der Hauswirtschaft ist 
die Beilage zu dem von A. J. KOWALEWSKI veröffentlichten Werke: 
„Die Ortschaft Simbuchowo“ (Cesio C1M6yX0Bo) von Bedeutung. 
Den größten Wert haben hier die Auszüge aus den Erbregistern. 

Um die Besprechung der Quellenausgaben zu beenden, erübrigt 
noch, die für die Wirtschaftsgeschichte wichtigen Dokumente, welche 
in der periodischen Literatur der Jahre 1900, 1901, 1902 veröffent- 
licht sind, aufzuzählen. 

Im „Journal der 83ten Sitzung der wissenschaftlichen Archiv-Kom- 
mission von Twjer“ findet sich die Beschreibung des Dmitrowschen 
Klosters in der Stadt Kaschin und des Grundeigentums desselben im 
Jahre 1764. Dasselbe Material ist später mit einigen Vermehrungen 
in Buchform unter dem Titel „Die Beschreibung des Dmitrowschen 
Klosters in Kaschin“ (OnmcaHnie KammHcKkaro JIMiTpoBckaro 
MOHACTHPA) von Archimandrit Arsseny für dieselbe Kommission 
herausgegeben worden. 

In den „Arbeiten der Rjasaner wissenschaftlichen Archiv-Kommission 
Bd. XVL, I. Lief., hat N. P. TSCHEREPNIN das Ausgabebuch des Bogos- 
lowschen Klosters aus dem Ende des XVII. Jahrhunderts abgedruckt. 
In der IL Lieferung desselben Bandes hat TSCHEREPNIN nach privaten 
Familiendokumenten die Preise verschiedener Produkte im XVIIL Jahr- 
hundert veröffentlicht. In der XLV. Lieferung der „Mitteilungen der 
Tambowschen wissenschaftlichen Archiv-Kommission“ hat W. S. CHoL- 
MOGOROW einen Teil des Registerbuches des Tambowschen Ujesd !) vom 
Jahre 1671 veröffentlicht. Hier finden sich außerdem: Auszüge aus den 
Erbregistern des XVII. Jahrhunderts aus den Ujesden Temnikow, Schazk 
und Tambow, das Verzeichnis der Erbgüter des Grafen K. G. Rasvu- 
MOWSKY im Schazker Ujesd vom Jahre 1779 und die offiziellen Daten 
über die Ernte im Tambower Gouvernement im Jahre 1782. 

Sehr viel Material ist im II. Band der „Altertümer“ — der Arbeiten 
der archäographischen Kommission der Kaiserl. Moskauer archäologischen 
Gesellschaft — zu finden. In der I. Lieferung dieses Bandes hat 
P. J. Iwanow das dem Fürsten Dawid Iwanowitsch im Jahre 1493 
verliehene Privilegiendokument veröffentlicht. Weiters finden sich dort: 
Material zur Geschichte des Budgets des „Rasrjadnoj Prykas“ von 
M. W. DOWNAR-SAPOLSKIJ, zwei Privilegien, welche Johann der Schreck- 
liche dem Wyssockschen Kloster in der Stadt Sserpuchow (jetzt Mos- 
kauer Gouvernement) erteilt hat und welche uns Aufschluss über 
das Grundeigentum dieses Klosters und die Steuerexemtionen, die e3 
genossen hat, geben — von L. D. WORONZowA und ein Privileg vom 
Jabre 1524, aus welchem hervorgeht, daß schon damals bei Wilno. 
eine Papierfabrik existiert hat — von M. W. DOWNAR-SAPOLSKI. Die 
I. Lieferung enthält ein sehr wichtiges Dokument mit der Beschrei- 
bung des Grundeigentums des Wyssockschen Klosters in Serpuchow, 
veröffentlicht von L. D. WORONZoWwAa. 

In dem XV. Buch der „Vorträge der historischen Gesellschaft 
Nestor Letopissez“ (Nestor der Chronist) — die Gesellschaft hat ihren 


1) Ujesd heißt Kreis oder Distrikt. 


158 Referate. 


Sitz in Kiew — batJ. W. LUTSCHIZKY einige Privilegien aus dem XVIL Jahr- 
hundert aus der sogenannten „Rumjanzewskaja Opis“ (PyMAIHNeBCKas 
oNNMCb) veröffentlicht, d. h. aus dem Bericht über die ökonomische 
Lage Kleinrußlands, welcher zur Regierungszeit Katharinas II. unter 
dem Generalgouverneur von Kleinrußland Grafen Rumjanzew verfaßt 
wurde. Weiter hat LUTSCHIZKY in demselben Buch eine Urkunde des 
Hetmans Mazepa aus dem Jahre 1690 veröffentlicht, welche ein Streif- 
licht auf die Finanzen und die Finanzwirtschaft KleinruBlands am Ende 
des XVII. Jahrhunderts wirft. In demselben Buch hat A. M. LASAREWSKY 
drei Briefe aus dem Anfange des XVIII. Jahrhunderts veröffentlicht, _ 
welche einen Einblick in den ausländischen Handel Kleinrußlands mit 
Hanf in jener Zeit gewähren. 

Endlich sind mehrere separate, für die Wirtschafisgeschichte Ruß- 
lands wertvolle Dokumente in den „Verhandlungen der Gesellschaft für 
Geschichte und Altertümer Rußlands“ — die Gesellschaft hat ihren 
Sitz an der Universität Moskau — abgedruckt. Im li. Buche der 
„Verhandlungen“ vom Jahre 1900 hat J. KUNKIN einen Auszug aus.den 
Büchern der Stadt Kaschin samt Umgebung vom Jahre 1629, mr 
sich auf die Kirchengrtinde bezieht, und nebst dem die Gesamtangabe . 
des kirchlichen und Klostervermögens im Kaschiner Ujesd (jetzt Gou- 
vernement Twjer) vom Jahre 1755 veröffentlicht. Im III. Buche hat 
A. A. TscHUMIKOW den von ihm im Revaler Stadtarchiv gefundenen 
Friedensvertrag zwischen Nowgorod und Pskow einerseits und den 
Livländischen Städten andererseits für den Zeitraum 1448—-1449 ver- 
öffentlicht, welcher die Handelsbeziehungen Rußlands zu Livland im 
XV. Jahrhundert charakterisiert. Im L Buch vom Jahre 1901 hat 
J. W. ARSSENJEW einige Urkunden der Ufaer Baschkiren aus dem Ende 
des XVII. Jahrhunderts abgedruckt, welche für die Kenntnis der wirt- 
svhaftlichen Lage der Wotjaken und Baschkiren zu Beginn der rus- 
nischen Kolonisation des mittleren Uralgebietes von Bedeutung sind. 
tm Il. Buche finden sich einige Dokumente, welche sehr lebhaft die 
Haudelaverhältnigse zwischen Nowgorod und Narva zu Ende des 
XV. Jahrhunderts schildern. — 


IL. 


Archäologisches Material und archäologische Forschungen. 


Im engaten Zusammenhange mit den Quellenausgaben stehen die 
Sohilderungen des archäologischen Materials und der archäologischen 
Wurachungen. Die Ergebnisse der Archäologie sind nattrlich für die 
Wirtschaftageschichte von großer Wichtigkeit. Der unten mitgeteilte 
Bericht über die archäologischen Ausgaben in den Jahren 1900, 1901 
und 1902 handelt nicht von den prähistorischen, skythischen und orlen- 
tulisvheu, aundern nur von russischen Altertümern der historischen Zeit. 

[u orater Linie kommt hier — nach der Vollständigkeit des In- 
kaltes au urteilen — der „Archäologische Jahresbericht“ (ApxeoJlo- 
VGA UBTOIMC) von N. Th. BELJASCHEWSK1 in Betracht, welcher 
«uwat in der „Kiowskaja Staryna“ und später separat zu erscheinen 
uikyt. Wiener Jahresbericht gibt eine vollständige und erschöpfende Über- 


Referate. 159 


sicht der archäologischen Erwerbungen, welche jährlich in Rußland 
gemacht werden. Ferner sind von großer Wichtigkeit die „Berichte 
ve kaiserlichen archäologischen Kommission“, die aber mit einiger 

erspätung zu erscheinen ptlegen. So sind im Jahre 1900 die Berichte 
vom Jahre 1897, im Jahre 1901 die Berichte vom Jahre 1898 erschienen. 
In engster Beziehung zu diesen Berichten stehen die „Mitteilungen der 
kaiserlichen archäologischen Kommission“. 

Die hier genannten Ausgaben haben größtenteils den Charakter von 
Nachschlagwerken und bieten die Möglichkeit, den allgemeinen Fort- 
schritt der Archäologie in ganz Rußland zu beobachten. Die Schilde- 
rung des Materials und der Forschungen über einzelne archäologische 
Fragen findet Platz in den Veröffentlichungen der Petersburger und 
der Moskauer archäologischen Gesellschaften, wie z. B.in den „Mitteilungen 
der kaiserlich russischen archäologischen Gesellschaft“ Bd. XII, I. und 
II. Lieferung, oder dem „Altertümer-Berichte der kaiserlichen Moskauer 
archäologischen Gesellschaft“ Bd. XVI, XVII, XVIII und XIX. Dazu 
gehören auch die „Berichte des X. archäologischen Kongresses in Riga“ 
und die „Berichte des XI. archäologischen Kongresses in Kijew“. Ohne 
alle in diesen Publikationen veröffentlichten und auf die russische 
Archäologie beztiglichen Arbeiten aufzuzählen, nennen wir nur die ihrem 
Inhalt nach besonders wichtigen. In Betracht kommt hier zunächst 
die im XVI Band der „Altertümer“ von N. Th. BELJASCHEWSKU ver- 
öffentlichte Arbeit über die Ausgrabungen in der Knjazja Gora (Fürsten- 
berg) im Kijewer Gouvernement, 7 Werst von der Stadt Kanew, weiter die 
Arbeiten von P. N. MiLJUKow und A. J. TSCHEREPNIN über die Rjasaner 
Grabhügel (KYPraHB) und Gräber, veröffentlicht im „Berichte des 
X. archäologischen Kongresses“. Für den XI. archäologischen Kongress 
hat W. B. ANTONOWITSCH eine vorzügliche archäologische Karte des 
Kijewer Gouvernements angefertigt, wie er seinerzeit eine archäologische 
Karte des Wolynjer Gouvernements angefertigt hat. Filr das Charkower 
Gouvernement hat eine ähnliche archäologische Karte für den XII. archäo- 
logischen Kongress in Charkow D. J. BAGALET hergestellt. 

Schließlich sind in vielen anderen Zeitschriften von Zeit zu Zeit mehrere 
für die Wirtschaftsgeschichte wichtige archäologische Arbeiten erschienen. 
Hier bringen wir nur in Erinnerung die Arbeit von N. Th. BELJASCHEWSKIJ, 
welche unter dem Titel „Ein merkwürdiger Fund aus der Epoche der 
zroßfürsten“ (3aMB4yATenpAbll KIAAB HHOXIH be.INKaTO KHA34) 
in der „Kijewskaja Staryna“ 1901, Nr. 10 erschienen ist, sowie die 
Mitteilungen PLETNEws über die Grabhügelfunde im Nowotorzsker 
Ujesd, Gouvernement Twjer, veröffentlicht im „Journal der 78!@ Sitzung 
der wissenschaftlichen Archivkommission in Twjer*. 


II. 
Forschungen über die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 


Rußlands. 


In der vorliegenden Übersicht der Literatur über die Sozial- und 
Wirtschaftsgeschichte Rußlands werden wir unsere Aufmerksamkeit 
vorzüglich den Forschungen, welche dieser Geschichte cewidmet 


160 Referate. 


sind, zuwenden. Diese lassen sich ihrem Inhalte nach in 5 Haupt- 
gruppen teilen: 1. Quellenstudien, 2. Arbeiten über die Geschichte der 
Kolonisation und der Bevölkerung, 3. Beiträge zur Geschichte der 
Volkswirtschaft, &. Werke über die sozialen Verhältnisse, 5. Forschungen 
über die Staatswirtschaft. 


Umfangreiche Studien aus dem Gebiet der Quellenkunde sind in den 
Jahren 1900, 1901 und 1902 nicht erschienen. Hingegen sind mehrere 
kleinere, auf diese Frage beztigliche Arbeiten veröffentlicht worden. 
W. J. CHOLMOGOROW brachte in der I. Lieferung des II. Bandes der 
„Alterttiimer-Arbeiten der archäologischen Kommission der kaiserlichen 
Moskauer archäologischen Gesellschaft“ eine Arbeit unter dem Titel 
„Über die Auflassungsregister des XVII. und XVIIL Jahrhunderts“ 
(066 OTKka3HbIXb KHUTAX’b), d. h. über die zur Sicherung des Eigen- 
tums an unbeweglichem Vermögen bestimmten Handlungen. Der Verfasser 
bespricht hier den Prozeß der Einführung in das Eigentum und der 
Besitzergreifung des Grundstückes, wobei er auf die außerordentliche 
Wichtigkeit dieser Auflassungsregister für das Studium der Wirtschafts- 
geschichte hinweist. Die Auflassungsregister sind sehr oft vollständiger 
als die Erbregister, denn sie enthalten Mitteilungen, welche in den 
letzteren fehlen, z. B. über die Höhe des Viehstandes, über die Menge 
des ungedroschenen Getreides in den Speichern u. 8. w. Der Hinweis 
auf diese Quellen und deren Charakteristik, die CHOLMOGOROW gibt, ist 
von um so größerer Wichtigkeit, als die Auflassungsregister bis jetzt 
von den Forschern fast nie benützt worden sind. J. W. GAUTHIER hat in 
der „Zeitschrift des Ministeriums für Volksaufklärung“ 1902, Nr. 3, eine 
Arbeit unter dem Titel: „Aus der wirtschaftlichen Quellengeschichte 
des Moskauer Ujesd im XVI.—XVII. Jahrhundert“ veröffentlicht. 
(MH3B ncropin X034HCTBeHHHXR O1HCaHiti MockoBckaro  yb31a 
BB XVI.—XVII. B'hKkax'B). Abgesehen von der Aufzählung aller Eingzel- 
heiten, welche bei der Zusammenstellung der Erbregister, der Verzeich- 
nisse und anderer Bücher mitgewirkt haben, erklärt uns der Autor 
einige in den Quellen vorkommende technische Ausdrücke und stellt 
deren wahre Bedeutung fest; er erklärt weiter die Entstehung einiger 
Beschreibungen, bespricht die technischen Vorgänge bei der Her- 
stellung der Erbregister u. s. w. Die Arbeit P. M. GOLOWATSCHOWB: 
„Die nächsten Aufgaben der geschichtlichen Erforschung Sibiriens“ 
(Baurskaltıisı 3alayH MCTOpHYecKaTo OIHCAaHIA CHÔHPH), — er- 
schienen in der „Zeitschrift des Ministeriums für Volksaufklärung“ 1902, 
Nr. 9 — ist eine Zusammenfassung der vorherigen kritischen Arbeiten 
über die Chronisten Sibirieus. Sie enthält Mitteilungen über das ver- 
schiedenartigste, unbearbeitete, in den Archiven befindliche Material, 
weist auf die Wichtigkeit dieses Materials für die Geschichte der Be- 
völkerung, der Kolonisation und der wirtschaftlichen Lage hin und 
bringt einen Entwurf zur Ausgabe der wichtigsten Archivdokumente. 
N. N. FIRSSOW verneint in seiner in den „Wissenschaftlichen Memoiren 
der Kasaner Universität“ 1904, Nr. 4, veröffentlichten Arbeit „Russische 
Bilanzregister des XVIII. Jahrhunderts, als geschichtlich-statistisches 
Quellenmaterial“ (Pyceris GataHCoBHA4 BB.IOMOCTH XVIII. BBKa. 


Referate. 161 


KARKBb HCTOPHRO-CTATHCTHYECKIH HCTOYHUKB) die Richtigkeit des 
Inhaltes der Register tiber die Ein- und Ausfuhr von Waren im 
XVIH. Jahrhundert. 

Viel mehr Aufmerksamkeit als den @Quellenforsehungen wurde 
der Geschichte der Kolonisation und der Bevölkerung gewidmet. 
Hier kommt in Betracht die Arbeit von W. v. DEHN: „Die Be- 
völkerung Rußlands nach der V. Revision!) Die Kopisteuer im 
XVlll. Jahrhundert und die Bevölkerungsstatistik am kunde des 
XVIIL. Jahrhunderts (Hace.ıenie Poccin no naroû pesusin. Iloa- 
ymHası TI01ATb BB XVII. B. H CTATHCTHKA HACEJIEHIA BB KOHU 
XVELL B.). Dieses Buch bildet den Anfang eines umfangreich angelegten 
Werkes, welches auf die Erforschung der Bevölkerungsstatistik in den 
35 Gouvernemehts des europäischen Rußland (Groß- und NeuruBland) 
am Ende des XVIII Jahrhunderts abzielt. Bis jetzt ist davon der 
L Band und der zweite Teil des II. Bandes erschienen. Der I. Band 
besteht aus zwei Kapiteln: Im ersten behandelt der Verfasser die Ge- 
schichte der Revisionen in Rußland, im zweiten die administrative 
Einteilung Rußlands am Ende des XVIII. Jahrhunderts und die be- 
zäglichen Veränderungen, welche seit jener Zeit bis zur ersten all- 
gemeinen Volkszählung in Rußland (1897) vorgekommen sind. Das 
letstgenannte Kapitel bezweckt die Vergleichung der Ergebnisse der 
V. Revision (1795— 1796) mit den Ergebnissen der fast genau 100 Jahre 
später stattgehabten I. allgemeinen Volkszählung (1897). In einer um- 
fangreichen Beilage bringt der Autor in chronologischer Reihenfolge 
die in diesem Zeitraume vorgenommenen administrativen Veränderungen 
in den hier behandelten Gebieten, separat nach Gouvernements ge- 
ordnet. Im II. und III. Band hat sich der Autor vorgenommen, das 
faktische Zahlenmaterial aller Gruppen, in welche die steuerpflichtige 
and nichtsteuerpflichtige Bevölkerung in der Zeit der V. Revision 
zerfiel, zu veröffentlichen. Diese Zahlen sind den Steuerbüchern aus 
den Jahren 1797— 1806 entnommen, welche im Departement der direkten 
Steuern des Finanzministeriums sich befinden. In diesen, nach einzelnen 
Gouvernements geordneten Büchern finden sich Zahlenangaben über 
jede Bevölkerungsgruppe und die Steuern, welche dieselbe zu entrichten 
hatte. Die Zahl der Gruppen ist eine ungemein große, und die Klassi- 
fikation in jedem Gouvernement eine eigentümliche. Dazu hat seit der 
Einführung der Kopfsteuer (1724) die Stellung jeder einzelnen Gruppe durch 
die Gesetzgebung langsam eine Klärung erfahren. Deswegen hat es der 
Verfasser ftir notwendig gefunden, die Geschichte jeder einzelnen Gruppe 
von jenem Zeitpunkte (1724) bis zur V. Revision zu studieren, um 
die Möglichkeit zu haben, die Ergebnisse der Steuerbücher kritisch 
za behandeln. Der II. Band wird jenen Bevölkerungsgruppen gewidmet 
sein, welche von der Kopfsteuer eximiert waren, der III. Band den 
stenerpflichtigen Gruppen. Im letzten Band endlich, hat sich der Autor 
vorgenommen, alle diese Ergebnisse in ein Ganzes zusammenzufassen, 
um sie später mit den Ergebnissen der Volkszählung vom Jahre 1897 


| 1) Revisionen hiessen die 10 Volkszählungen, die in dem Zeitraum 1718 
bis 1857 für die Zwecke der Kopfsteuer vollzogen wurden. 
Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 11 


162 Referate. 


zu vergleichen. In den bereits erschienenen zweiten Teile des LI. Baudes 
behandelt der Verfasser einige der steuerfreien Bevölkerungsgruppen: 
die aus dem Dienst entlassenen Soldaten, die Frauen und Kinder von 
Soldaten und einen Teil der Bevölkerung des im Osten gelegenen Gebiets 
von Orenburg. Diese 3 Gruppen zerfallen wieder für sich in eine ganze 
von Unterabteilungen. Der Verfasser hofft, den übrigen Teil des Menge 
II. Bandes bald veröffentlichen zu können. 

Ferner kommt das von der russischen Regierung herausgegebene 
Buch in Betracht, welches den Titel führt: „Die Kolonisation Sibiriens 
im Anschluß an die allgemeine Ansiedlungsfrage.“ (RO:10HH3ania 
CHöHpH BB CBASM CB OÖIMHMB TIepeceJieHYecKIIMb BONPOCOMP). 
Dieses Buch ist aus Anlaß der Pariser Ausstellung 1900 erschienen. 
(Ein Auszug aus diesem Buch ist in französischer Sprache unter dem 
Titel: „Essai sur l’histoire de la colonisation en Sibérie“ erschienen.) Dieses 
Buch bringt ein sehr interessantes geschichtliches Material über die 
Verschiebung der Bevölkerung des europäischen Rußland über den 
Ural hinaus und zwar nicht nur im XIX. Jahrhundert, sondern seit 
den ersten Anfängen der Kolonisation Sibiriens. Ein Mangel dieses 
Buches ist der zu optimistische Ton, der darin vorherrscht — ein 
Mangel, dem man in den offiziellen Ausgaben oft begegnet. 

Eine Reihe statistischer Daten, welche sich auf Archivmaterial 
stützen und von einigen Erläuterungen allgemeinen Charakters be- 
gleitet sind, bringt A. A. KIESEWETTER in seiner Arbeit: „Die Städte- 
bevôülkerung Ruflands in der Epoche der ersten zwei Volks- 
zählungen“ (Ilocanckoe Hace.IeHie PocciH Bb 9NOXy ABYX'P IIePBhIX» 
peBmt3ift), erschienen in der „Zeitschrift des Ministeriums für Volksauf- 
klärung“ 1903, I. Diese Arbeit hat auch in dem im September 1903 
erschienenen Buche desselben Autors „Die Stadtgemeinden Ruß- 
lands im XVIII. Jahrhundert“ (Ilocarckas ouuina Bp Pocciä 
XVIII. CT.) Platz gefunden. 

Eine Sammlung von Tatsachen, systematisch geordnet, findet sich 
auch in dem von LITSCHKOW veröftentlichten Werke: „Die Kolonisation 
des Kaukasus am Schwarzen Meer“ (RonoHnsamist KAaBKa3CKaro 
\[epHoMOpba). 

Ein interessantes Tatsachenmaterial über die Geschichte der Be- 
siedlung Rußlands mit Ausländern, entnommen den Archiven und vor 
allem dem Moskauer Hauptarchiv des Ministeriums des Auswärtigen, 
findet sich in folgenden Arbeiten von G. PISSAREwSKIJ: „Skizzen über 
die Geschichte der Fremdenkolonisation in Rußland im XVIIL Jahr- 
hundert. Die Berufung der ausländischen Kolonisten nach Rußland 
in der Regierungszeit Katharina II.“ („Russky Westnik“ 1900, IID; 
„Die Berufung von Kolonisten aus Südeuropa. Skizzen tiber die Ge- 
schichte der Fremdenkolonisation in Rußland‘ („Russky Westnik“ 1900) 
und „Die Berufung von Kolonisten nach Rußland aus Danzig. Eine 
Episode aus der Geschichte der Fremdenkolonisation Rußlands“ (,,Russ- 
kaja Myssl“ 1902, IX). 

Quellenzeugnisse über den Anfang der russischen Kolonisation an 
der oberen Kama und ihren Nebenflüssen im XV. und in der ersten 


Referate. 163 


Hälfte des XVI. Jahrhunderts sind gesammelt in der Arbeit von 
A. A. DMITRYEWw: „Spuren der russischen Ansiedlungen in Groß-Perm 
bis zum Auftauchen der Stroganows“ (CJI'BZIH PYCCKHX'B NoceJteHiti 
Bb [lepwuu BexmKkoëü 10 TIOsIBJIeHIA CTporaHoBHx'B), erschienen in den 
„Arbeiten der Permer wissenschaftlichen Archivkommission“, 4. Lieferung. 

Aus den Arbeiten zur Geschichte der Volkswirtschaft 
im engeren Sinne des Wortes nennen wir vor allem die Arbeit von 
P. J. Iwaxow: „Die Ackerbaugenossenschaften und der Bodenauf- 
teilungen bei den freien und leibeigenen Bauern im XVII. Jahrhundert“ 
(Iosemeiibuble COWahl 11 Hepe]BTH y CBO60AHBHKXB H BAaNb- 
IbJecKHXb KPeCTEAHB BB XVII. B.), erschienen in der Zeitschrift 
„Alterttimer. Arbeiten der archäographischen Kommission der Moskauer 
archäologischen Gesellschaft“, II. Bd., 2. Lief. Nach einem kurzen 
Überblick tiber Literatur dieser Frage gibt der Autor eine Charakte- 
ristik des gewöhnlichen Typus des nordrussischen Dorfes im XVII. Jahr- 
hundert. Sodann schildert er die Geschichte des Grundeigentums der 
ländliehen „Skladniki“, d. h. der Teilhaber am gemeinen Grund- 
besitz, wobei er auf den im XVIL Jahrhundert beginnenden und fort- 
schreitenden Verfall des gemeinsamen Grundeigentums hinweist. An 
Stelle der gemeinsamen Bewirtschaftung des Bodens trat immer öfter 
die für eine gewisse Zeit vorgenommene Verteilung der Grundstücke, 
welche sich sodann in gewissen Zeiträumen wiederholte. Der Verfasser 
charakterisiert die Beziehungen der einzelnen Dorfgemeinden zueinander, 
die Art und Weise der Grenzmessungen n. s. w. Die Arbeit stützt sich 
durchgehend auf ein reiches Archivmaterial, welches dem Autor die 
Möglichkeit gab, zu wichtigen neuen Schlüssen zu gelangen. Als Bei- 
lage zu dieser Arbeit können die von demselben Verfasser in der Zeit- 
schrift , Alterttimer. Arbeiten der archäographischen Kommission der 
Moskauer archäologischen Gesellschaft“, Bd. IL, 1. Lief., veröffentlichten 
„Skizzen tiber Umfang des steuerbaren Ackerlandes und der Zahl der Haus- 
bewohner im Kewrolsky Ujesd im XVII. Jahrhundert (3aMBTKA 0 

“&pb OKNaïHOË HAIIHH H HAcesIeHHOCTH AIBOPOBB Bb 

eBPO:IRCKOMP VB31B BB XVII. B.) angesehen werden. 

Ihrem Inhalte nach steht in engerem Zusammenhange mit der vor- 
erwähnten Arbeit Iwanows, die in der „Zeitschrift des Ministeriums für 
Volksaufklärung“ 1901, Nr. 11, erschienene Studie von KLOTSCHKOW 
„Zur Frage des Skladnitschestwo“ (KB BONPocy 0 CKIAAHIIKAXB). 
Der Autor kommt zu folgenden allgemeinen Schlüssen: Die „Sklad- 
nitschestwo“ au Grund und Boden ist entstanden: erstens durch das 
Verhältnis der Familienzugehörigkeit, zweitens durch die zwischen 
nicht Familienzugehörigen geschlossene Vereinbarungen, zusammen zu 
leben und zu wirtschaften, drittens durch gemeinsame Arbeit (Artel) 
und viertens durch gemeinsamen Besitz von Grund und Boden. 

Auf die Überbleibsel der „Skladnitschestwo“ (Miteigentum) an Grund 
und Boden) konnte man noch im XVIII. Jahrhundert in Kleinrußland 
stoßen, wie dies zu ersehen ist aus dem III. Bande des wertvollen 
Werkes von A. M. LasarEwsku: „Die Beschreibung des alten Klein- 
rußland“ (Orracaxie crapoit Ma.sopoceim). Diese Arbeit war zum 


164 _ Referate. 


erstenmal in der „Kijewskaja Staryna“ erschienen, die ersten zwei 
Bände schon früher. Dieses Werk ist nicht bloß eine Forschung — 
als solche kann es nur teilweise gelten —, sondern auch eine Syste- 
matisierung des unbearbeiteten Materials, welches aus nicht heraus- 
gegebenen Quellen entnommen ist (wie z. B. aus der ,Rumjanzewskaja 
Opis“ und drgl.). Für die Wirtschaftsgeschichte Kleinrußlands hat das. 
Werk LAsAREWSKIJs eine hervorragende Bedeutung. 

Zur Literatur über die Wirtschaftsgesehichte Westrußlands im 
XVI. und XVII. Jahrhundert gehören: Die Arbeit von M. W. Downar- 
SAPOLSKIJ „Zur Geschichte der Bodenreform in Livland in den Jahren 1580 
bis 1592 (KR HCcTopin NoseMeibHOoM pedopMH BB JIrBonin 
BB 1580— 1592 u), erschienen in den „Berichten des X. archäologischen 
Kongresses in Riga“, Band III, sowie das Werk von J. J. POBOJNIN 
„Das alte Toropez* (Toponemkası CTapaHa), welches Skizzen zur Ge- 
schichte der Stadt Toropez und ihres Gebietes enthält. Beide Werke sind 
auf Archivmaterial gestützt. Einige wichtige Angaben zur Geschichte 
des Grundeigentums in Westrußland bietet nebenbei M. K. LJUBAwSKIJ 
in seinem Buche: „Der Litauisch-russische Sejm“ (Landtag) (JIiTOBcko- 
pycckift CeÂMD). 

Eine Zusammenfassung statistischer Daten aus dem Nowgoroder 
Erbregister aus dem Ende des XV. Jahrhunderts gibt uns Archimandrit 
SERGIUS (TICHOMIROW) in seinem Werke „Nowgoroder Ujesd der Wot- 
skaja Pjatyna nach dem Erbregister des Jahres 1500“ (HoBropolckid 
yb3rb BOoTCKOË TATIHH HO HHCHOBOB KHHIB 1500 r.), zu- 
nächst erschienen in den „Verhandlungen der Gesellschaft für Geschichte 
und Altertiimer Rußlands“ 1899. Wenig neues bringt die 8. Lieferung 
des Werkes A. A. DMITRUEWS „Das alte Perm“ ([lepMckaa cTapuna), 
welches die Handelsgeschichte des Trans-Uralischen Gebietes behandelt. 
Ferner sind zu nennen: der kleine Beitrag von N. Th. BELJAWSKD: 
„Zur Geschichte der Handelsbeziehungen des Moskowischen Reiches 
im XVII. Jahrhundert“ (KB HCTOPiH TOPTOBHXb CHOIEHIË Bb 
MOCKOBCKOMB TOCYAaPCTBB BB XVIL B'BKB) und die Arbeit 
W. W. SWJATLOWSKIJ8 junior „Das primitive Geld und die Evo- 
lution des altrussischen Geldsystems“ ([IPHMHTHBHHA NeHbIM H 
3BOIWIIA APEBHEPYCCKHXP JACHEXKHHXE CHCTEMB), erschienen in 
dem „Narodnoje Chosjajstwo“ 1900, Nr. 1, 2, 6. Diese Arbeit enthält 
zunächst eine historisch vergleichende Studie zur Geschichte des primi- 
tiven Geldes und gibt sodann eine Schilderung der Geschichte des 
primitiven Geldes in Rußland. 

Um die Übersicht der Literatur zur Geschichte der altrussischen 
Wirtschaft zu schließen, erübrigt uns noch auf den III. Band der 
„Altertümer des russischen Rechtes“ (JIpeBHoCTu pyccKkoro IIpaBa) 
von W. J. SSERGEJEWITSCH hinzuweisen, welcher zunächst unter dem 
Titel „Altertümer des russischen Grundeigentums“ in der „Zeitschrift des 
Ministeriums für Volksaufklärung“ 1900, 1901 und 1902 erschienen ist. 
Der Verfasser behandelt hier Fragen, welche sich auf den Grundbesitz, 
die Wirtschaft und das Steuersystem des alten Rußlands beziehen. 


Referate. 165 


Zum Schluß gibt er eine kritische Übersicht der Literatur. Die Arbeit 
stützt sich bloß auf veröffentlichtes Material; zugleich kennzeichnet sie 
sich hauptsächlich durch die scharfe Kritik der Ansichten anderer 
Forseher und durch einige unerwartete Sehltisse, die jedoch einer näheren, 
auf das nicht veröffentlichte Material sich stützenden Prüfung nicht 
standhalten. ‚Richtig sind nur einige Einzelheiten über das wirtschaft- 
liehe Leben und das Grundeigentum im alten Rußland, doch sind die 
diesbezüglichen Erklärungen des Verfassers größtenteils nicht neu. 

‚Einige interessante Angaben tiber die Geschichte des russischen 
Exporthandels im XVIII. Jahrhundert finden sich im Buche von 
W. A. ULsanıtzKky „Russische Konsulate und Konsuln im Auslande im 
XVIOIL Jahrhundert“ (Pycckig KOHCYHIECTBA H KOHCYJIh 3aTpannıeti 
Bb XVIII. B.) Auf Grund dieses Buches hat J. Ch. OSEROw in 
seiner in der ,Russkaja Myssi“ 1900, Nr. 6, veröffentlichten Arbeit 
„Der russische Kaufmann und Industrielle im XVII. Jahrhundert“ 
(Pyeckii KYIeUWB-TPOMAILIEHHHKR BR XVIIL B.) den Versuch 
anternommen, die Schilderung des Typus des russischen Unternehmers auf 
dem Gebiete des Handels und der Industrie im XVII. Jahrhundert zu geben. 

Bei der Übersicht der Literatur zur Handelsgeschichte ist es noch 
notwendig, auf folgendes vorzügliche und inhaltsreiche Werk zu ver- 
weisen: „Beiträge zur Geschichte und Statistik des Ausfuhrhandels in 
Rußland. Redigiert von W. J. POKROwsKyY. I. Bd.: Beitrag zur Ge- 
schichte des Ausfuhrhandels in Rußland. — Export und Import im 
XIX. Jahrhundert. — Tabellen zum Im- und Export und Zolltarif- 
tabellen. Verlag des Zollgebührendepartements.“ (CÖOPHHKB cRBABHIli 
No HCTOPiH H CTATHCTHKB BH'bImHeË TOPrOBJH Pocein). Dieser 
umfangreiche Band enthält einen Beitrag zur Geschichte des Ausfuhr- 
handels in Rußland von den ältesten Zeiten, vom Redakteur verfaßt; 
ferner 76 Monographien tiber jeden Handelszweig, Mitteilungen über 
die Ein- und Ausfuhr der Warensorten im XIX. Jahrhundert nebst 
Daten tiber deren Erzeugung und Verbrauch enthaltend. Diese Arbeiten 
sind unter der Redaktion von POKROWSKY veröffentlicht, welcher das 
Amt des Chefs der statistischen Abteilung des Zollgebührendepartements 
bekleidet. Zum Schluß folgen Tabellen, welche ein sehr reiches Material 
zur Geschichte des internationalen Handels und der Zolltarife in Ruß- 
land enthalten. 

Im Jahre 1900 ist die zweite Auflage des Buches von M. J. TUsan- 
BARANOWSKLJ „Die russische Fabrik einst und jetzt. Historisch-öko- 
nomische Studie, I. Bd. Die geschichtliche Entwicklung der russischen 
Fabrik im XIX. Jahrhundert“ erschienen. Diese 2. Auflage ist um 
vieles vermehrt. Da dieses Buch auch in deutscher Sprache erschienen 
ist, halten wir es nicht für notwendig, uns dabei aufzuhalten. 

Eine Reihe von tatsächlichen Ergänzungen zu der im Buche ‘TUGaN- 
BaARANOWSKUS behandelten Geschichte des allmähligen Verfalls der 
Hausindustrie in Rußland findet sich in der Arbeit von M. KURTSCHINSKII 
„Die russische Hausindustrie (nach den Ergebnissen der letzten 5 Jahre: 
1894-1899)“ [Pycckası KYCTAPHAA IIPOMHTILTEAHOCTR], erschienen 


in der Zeitschrift „Zisn“ 1901, Nr. 1 und 3. 


166 Referate. 


In dem Buche „Der bäuerliche Futtergrasbau im europäischen 
Rußland außerhalb des schwarzen Ackerlandstriches“ (Moskau 1900) 
(KpecTbsitickoe TPABOINOJIbHOe XO84ËCTBO BB HeYePHO3eMHOï 
noxocb EBporeïckoït Poccin) stellt sich W. G. BAZAIEW die Auf- 
gabe, die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grasbaues auf 
den Bauerngründen in der nördlichen Hälfte des europäischen Rußland 
zu schildern. Angesichts der großen Wichtigkeit, welche gegenwärtig 
für Rußland die Frage des dem Bauernstande dringend nottuenden 
Überganges zu einem intensiveren und vollkommeneren Feldbausystem 
in sich birgt, ist das Buch von sehr großem Interesse. Selbstverständ- 
lich wird die Schilderung, je mehr sie sich dem XIX. Jahrhundert 
nähert, ausführlicher. Sehr nahe verwandt mit diesem Thema sind 
die Beiträge des im vorigen Jahre allzufrüh verstorbenen Professors 
des Moskauer landwirtschaftlichen Instituts K. A. WERNER, welche in 
der Zeitschrift „Chosjain“ 1901 unter dem Titel „Zur Geschichte des 
bäuerlichen Futtergrasbaues“ (KB IICTOPiH KPeCTbAHCKATO TPaBo- 
OJIBHATO XO3ÆHCTBA) erschienen sind. In einer separaten Broschüre 
hat derselbe Autor eine Rede veröffentlicht, die er anläßlich eines 
Kongresses in Moskau gehalten hat. Die Broschüre ist unter dem 
Titel „Die agronomische Unterstützung der Bevölkerung am Ende des 
XVIII. und in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts“ (Moskau 1901) 
(ATpoHoMITgeckaa TIOMOINB HaceTeHim BB KOHUB XVII. H Bb 
TTepBOH IIOAOBHHB XIX. CT.) erschienen. 


In seiner interessanten Broschüre „Die Leibeigenschaftsstatistik. 
Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte in der Zeit der Leibeigen- 
schaft“ (KpbnoctHnas cTarıcTııka. Mab 3TWI0BB 0 KpBrio- 
CTHOMB Xo3alictBb), St. Petersburg 1901, bringt P. von STRUVE eine 
Reihe von Beispielen aus dem XVII. und XVIII. Jahrhundert, welche 
zeigen, daß es den russischen Gutsbesitzern zur Zeit der Leibeigen- 
schaft an den richtigen Mitteln zur genauen Berechnung ihres Ver- 
mögens gebrach und daß sie sich durch besondere Verzeichnisse ihrer 
Bauern und aller anderen Vermögensobjekte nebst einer Menge von 
Einzelheiten zu behelfen pflegten. 


J. ILLINITSCH bringt in seinem „Beitrag zur Entwicklungsgeschichte 
der polnischen Industrie“ (ÜVepkb Pa3BATiA NOABCKON IIPOMbIN- 
JIEHHOCTH) — erschienen im „Nautschnoje Obosrenje“ 1902, Nr. 4, 
5, 6, — eine sehr interessante Skizze zur Geschichte des Wirtschafts- 
lebens in Russisch-Polen in dem Zeitraume 1780—1900. Er be- 
mtiht sich, hier zu zeigen, wie sich Polen aus einem Land mit kleiner 
Gewerbeindustrie zu einem Gebiete der Großindustrie entwickelt hat. 


In einer ganzen Reihe von Artikeln hat sich N. A. ROSCHKOW zur Auf- 
gabe gemacht, den allgemeinen Lauf der wirtschaftlichen Entwicklung Ruß- 
lands zu beleuchten und einigen in dieses Gebiet des geschichtlichen Wissens 
gehörende Fragen die ihnen gebührende Stelle anzuweisen. Wir erwähnen 
hier nur jene Arbeiten dieses Verfassers, welche hauptsächlich wissensehaft- 
liche und nicht nur populäre Zwecke verfolgen. Dazu gehören: „Die Natu- 
ralwirtschaft und die Formen des Grundeigentums im alten Rußland“ 


Referate. 167 


(Hatypa-ıbHoe xo3AHicTBo II PopMH 3eMJIeB Ia] bHiA BR ApeBHeï 


Poccift) —, erschienen in der „Zysn“ 1900, Nr. 9 —, „Die Geld- 
wirtschaft und die Formen des Grundeigentums im modernen Rußland“ 
(enezHoe xo84HCTB0 H OopMH 3eMJIeBJalBHIA BB HOBOÏ 
Poceiu) —, erschienen im „Nautschnoje Obosrenje“ 1902, Nr. 2 und 3—, 
und „Zur Frage über die ökonomischen Ursachen der Abschaffung der Leib- 
eigenschaft in Rußland“ (KE Bonpocy 065 3KOHOMHYECKHXB NIPH- 
UAHAXB IIANeHiA KPBIOCTHOIO IIpaBa BB POCCi) —, erschienen 
im „Mir Boëy“ 1902, Nr. 2. In den ersten zwei Beiträgen unternimmt 
es der Autor, nicht nur den schrittweisen Entwicklungsgang der Formen 
des Grundeigentums in Rußland, sondern auch den Zusammenhang 
dieser Entwicklung mit der Geschichte der Wirtschaftsverhältnisse zu 
zeigen. Der dritte Beitrag bringt ein bisher unbekanntes Zeugnis dafür, 
daß schon in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts in dem Gebiete 
des schwarzen Ackerlandes in Rußland das Institut der freien Lohn- 
arbeit sehr verbreitet war, welcher Umstand auf die ökonnmische Not- 
wendigkeit der Abschaffung der Leibeigenschaft hinweist. Dieser 
Beitrag hat eine PRO Ne seitens W. J. SSEMEWSKUS in dem in der 
„Russkaja Myssl“ 1902, Nr. 4, erschienenen Beitrag „Anläßlich der 
Publikation RoscHKows über die ökonomischen Ursachen der Ab- 
schaffung der Leibeigenschaft in Rußland“ hervorgerufen. Im „Mir 
Boiy“ 1 Nr. 9, gibt ROSCHKOW eine Gegenantwort unter dem Titel: 
„Ueber die freie landwirtschaftliche Lohnarbeit zur Zeit der Leib- 
eigenschaft“ (0 BO:1BHOHAEMHOMB 3eMJIeMBIIBYECKOMB TPYAB PH 
KPBTIOCTHOM®B IIPaBB). SSEMEWSKY behauptet in seiner Erwide- 
rung, daß sich das von ROSCHKOW angeführte Zeugnis über die freie 
Lohnarbeit zur Zeit der Leibeigenschaft bloß auf Neurußland bezieht 
und daß ein etwaiges Hintibergreifen der freien Lohnarbeit in das 
südlich vom Flusse Oka liegende Gebiet ausgeschlossen sei. Darauf 
antwortet ROSCHKOW, daß es bei dieser Frage der Heranziehung des 
reichlichen Materials aus den noch erhaltenen Hausregistern und Doku- 
menten aus der Zeit der Leibeigenschaft bedtirfe und illustriert seine 
Behauptung mit Zitaten aus ebensolchen Dokumenten, welche bis jetzt 
nieht veröffentlicht worden sind. 

Dem Inhalte nach steht mit den genannten Arbeiten im Zusammen- 
hange die in den „Arbeiten der Rjasaner wissenschaftlichen Archiv- 
kommission“ 1902, Bd. XVII. 2. Lief. erschienene Arbeit: „Einige Daten 
über die Gutsherrnwirtschaft der Familie Polonsky in der ersten Hälfte des 
XVIIL Jahrhunderts“ (H'BCKOJIBKO NAHHHXB O0 HOM'BILHULEMPB X03- 
aActBb IlonoHckuxb BR riePBo“ no10BAHB XVIIL CTOMÉTIA) 
von J. J. PROCHODZOW. Der Autor bentitzte die nicht veröffentlichten 
Dokumente des genannten Hauses aus jener Zeit. 

Erwähnenswert sind endlich einige Arbeiten, die zwar in bezug auf 
die Social- und Wirtschaftsgeschichte keinen wissenschaftlichen Zweck 
verfolgen, die aber einige interessante, in dieses Gebiet hinüberspielende 
Mitteilungen bringen. Dazu gehört die Broschtire von J. F. TOKMAKOW: 

„Die Stadt Egorjewsk samt Gebiet im Rjazaner Gouvernement in 
historisch-statistischer Beleuchtung“, I. Teil, Moskau 1901 (Hcroprko- 


168 Referate. 


CTATHCTHUHECKOE Oliscanie TOPONa Bropbebcka, Pasanckoii 
ry6epHiH CR YB3A10MB). Die Broschüre enthält eine interessante 
Sehilderung der Geschichte der im Jahre 1845 gegrtindeten Baumwoll- 
spinnerei der Gebrüder Ohludow. Ferner kommt in ‚Betracht das Buch 
von W. W. SOHANGIN: „Die Stadt Uglitsch in der zweiten Hälfte des 
XVIIL Jahrhunderts samt Plan des alten Uglitsch* (T’opoa® Ÿ Tan wTE 
BO BTOPOË NONIOBAHB XVIII CT.) Kaluga 1901. ‘In diesem ‚Buche 
findet sich der Inhalt eines interessanten Registers, welches sich auf 
das Jahr 1767 bezieht und in der Uglitscher Provinzialkanzlei her- 
gestellt worden ist. Der Autor hat dieses Register in der Bibliothek 
eines Kalugaer Liebhabersammiers von Büchern gefunden. Dieses 
Register enthält Daten tiber die steuerpflichtige Bevölkerung der Stadt 
Uglitsch, der Ortschaft Mologa und des Uglitscher Ujesd, über die der 
‚Bevölkerung obliegenden Abgaben und eine kurze geographische Schilde- 
rung der Stadt und ihres Ujesd. Weiter nennen wir das Buch des 
Pfarrers N. J. ScHIscHkIN „Die Geschichte der Stadt Jelabuga seit 
ältesten Zeiten“ (Fcropia ropora Ena6vım CR ApeBHbilIAX» 
BpeMeHr%) Jelabuga 1901. In diesem Buche unternimmt es der Verfasser, 
die Geschichte der genannten, im Gouvernement Wjatka liegenden 
Stadt seit ältesten Zeiten zu schildern. Es ist dies keine Geschichte, 
sondern vielmehr eine chronologische Aufzeichnung von’ Begebnissen ohne 
jedwede Verbindung. Jedoch finden wir auf den ersten Seiten inter- 
essante, größtenteils noch nicht veröffentlichte Daten über die Ge- 
schichte der ersten Ansiedlung dieser Stadt und deren Wachstum im 
Laufe des XVII. Jahrhunderts. Endlich nennen wir noch das ‚Buch 
von M. P. STEPANOW „Das Dorf Iljinskoje. Historiseher Beitrag“ 
(Cexo HaprHeroe, IICTOpHYecKifi OUepKb) Moskau 1900. Dieses 
Buch enthält eine historische Schilderung des genannten, in der Nähe 
von Moskau liegenden Dorfes. Im Jahre 1864 hat die Kaiserin Marie 
Theodorowna dieses Dorf erworben und seit dem Jahre 1882 ist es 
Eigentum des Großfürsten Sergej Alexandrowitsch. Das Buch enthält 
aus Archivquellen entnommene Mitteilungen über die Wirtschafts- 
geschichte des Dorfes im XVIL, XVIII und XIX. Jahrhundert. 
Indem wir von der Geschichte der Volkswirtschaft zur Geschichte 
der sozialen Verhältnisse übergehen, müssen wir in erster Reihe die 
Literatur zur Frage tiber die Existenz feudaler Verhältnisse in Rußland 
erwähnen, einer Frage, welche für die Fachgelehrten von besonderem 
Interesse ist. Das Verdienst, diese schon früher in der russischen 
Geschichtsliteratur behandelte Frage neuerdings aufgenommen und die 
Lösung derselben versucht zu haben, gebührt N. "P. PawLow- SSILWANSKY. 
Noch im Jahre 1898 führte PAWLOW-SSILWANSKY in scinem in den „Mit- 
teilungen der kaiserlichen russischen archäologischen Gesellschaft“ 
Bd. IX, 1. und 2. Lief., erschienenen Beitrag ,Sakladnitschestwo-Patronat“ 
(BaRIIa AHHYECTBO-UATPOHAT) eine Parallele zwischen dem russischen 
Sakladnitschestwo und der westeuropäischen Kommendation durch. 
In seinen neuen Arbeiten „Die Immunitäten in Rußland zur Zeit des 
Teilfürstentums“ (HMMyHHTeTBb BB YABJHILHOÏË PYCIT) — erschienen in 
der „Zeitschrift des Ministeriums für Volksaufklärung“ 1900 und separat — 


Referate. 169 


und „Die Feudalverhältnisse in Rußland zur Zeit des Teilfürstentums“ 
(DeonaïBHHA OTHOIMEHIA BB YABIPHOÏ Pycı) — erschienen in der 
„Zeitsehrift des Ministeriums für Volksaufklärung“ 1901 und separat — 
telt der Autor die Ahnlichkeit der Steuer- und Gerichtsprivilegien 
der altrussischen Grundbesitzer und der Immunitäten in Westeuropa 
miteinander fest und findet auch in Rußland im XIIL, XIV. und 
XV. Jahrhundert den Vasallendienst, das Eigentum am Lehensgut und 
die Zersplitterung der souveränen Gewalt. Die Ansichten PAwLow- 
SSILWANSKYS sind seitens W. J. SSERGEJEWITSCHs und F. W. TARANOWSKYs 
«ner Kritik unterzogen worden. SSERGEJEWITSCH gibt zwar in seiner 
Arbeit „Sakladnitsehestwo im alten Rußland“ (Bak.-Ta1HHYecTBo BT 
SRE Pycu) — [„Zeitschrift des Ministeriums für Volksaufklärung*, 
1%1, Nr. 9] die Ähnlichkeit des Sakladnitschestwo und des Patronats 
zu, aber er sieht die Ursachen der Entstehung des Sakladnitschestwo 
in der Verschuldung. PAWLOW-SSILWANSKY hat darauf in seiner 
Arbeit „Neue Erklärung des Sakladnitschestwo“ (HoBoe 06’BAcHenie 
3aK1AA1HHUCCTBA) — erschienen in der „Zeitschrift des Ministeriums für 
Volksaufklärung“, 1901, Nr. 10 — erwidert. TARANOwSKY konstatiert 
in seinem in den „Warschauer Universitäts-Nachrichten‘“ (1902, IV. Buch) 
veröffentlichten Beitrag „Der Feudalismus in Russland“ (Deonamı3mn 
BB Poccifi), daß die Argumentation PAWLOW-SSILWANSKYS überzeugend 
sei, hält aber dessen Erklärung der Ursachen der unvollständigen Ent- 
wicklung des Bojarenfeudalismus für nicht stichhaltig. Bei voller 
Anerkennung der wertvollen Arbeiten PAWLOW-SSILWANSKYs müssen wir 
dennoch feststellen, daß sich der Verfasser in seinen Ausführungen tiber die 
Entwicklung der Feudalverhältnisse im alten Rußland, wo ein vollständig 
entwickelter Feudalismus nie existiert hat, einiger Übertreibung schuldig 
macht und daß er auch keine volle und richtige Aufklärung der Ursachen 
der hier obwaitenden Unterschiede zwischen Rußland und Westeuropa gibt. 
Hervorragenden Wert für die Sozial-Geschichte des alten Rußland 
hat ferner das Buch von A. S. Lappo-DANILEwSKLT: „Geschichts- 
forschungen über die Fesselung der gutsherrlichen Bauern an die Scholl: 
im Moskowischen Reiche im XVI.— XVII Jahrhundert“ (Paspfenanisı 
No HCTOpIN NPHKpBmIeHin BAIa1BAIHUCCcKUXB KpecTbAHB Bb 
MocKkoBCKOMB TOCYAapcTBb XVI. ıı XVII. B.), erschienen im „Bericht 
über die Erteilung des 41!rn Preises des Grafen Uwarow“ und separat. 
Diese „(eschichtsforschungen“ bilden einerseits eine Besprechung des 
von M. A. DJakoxow im Jahre 1898 veröffentlichten Buches „Beiträge 
zur Geschichte der Landbevölkerung im Moskowischen Reiche“ (Ouepki 
H3b HCTOPIH CesILCKAlo Hacesienisı BB MOCKOBCKOMb TOCyAa- 
pCTBB), haben aber, abgeselen von den vielen wichtigen kritischen 
Bemerkungen, den Wert einer selbständigen Studie, welche viele neue 
Gesichtspunkte über die Frage der Entstehung der Leibeigenschaft in 
Rußland eröffnet. Mit besonderer Gründlichkeit erklärt der Autor den 
Prozeß der Fesselung der Bauern an die Scholle auf Grund ihrer 
dauernden Seßhaftigkeit, desgleichen die verschiedenen Arten der 
wirtschaftlichen Hilfe, die der Grundbesitzer dem Bauern angedeihen 
ließ, das daraus enstandene Abhängigkeitsverhältnis n. s. w. 


110 Referate. 


G. N. SCHMELEW schildert in seiner Broschüre „Einige Bemerkungen 
über die Einhöfler“ (H'BCKOJIEKO 3ambuanifi 065 ONHOABOPLUAXB) 
[Charkow 1901] —, welche sich eigentlich als eine Rezension der von 
N. A. BLAGOWESCHENSKY herausgegebenen Studie „Das Viertteilrecht“ 
(HeTBepTHOE NpaBo) darstellt —, nach publizierten und nicht publi- 
zierten Quellen den Prozeß der Entstehung des Einhöflerstandes 
(Odnodworzy). So wurden die im XVII Jahrhundert an der stidlichen 
Grenze des Moskowischen Reiches wohnhaften Lelınsmänner genannt, 
welche keine Bauern hatten und mit eigenen Händen ihren Acker 
bauten. Im XVII. Jahrhundert bilden sie einen besonderen Teil der 
Domänenbauern. Auch schenkt der Verfasser viel Aufmerksamkeit den 
Formen des Eigentums dieser Einhöfler und er zeigt, wie sich dieses 
aus dem ursprünglichen Charakter des Skladnitschestwo nach und nach 
in erbliches Privateigentum verwandelt hat. 


Aus den Arbeiten zur Geschichte der Banernverhältnisse in späteren 
Zeiten heben wir in erster Reihe das hervorragende Werk von W.J. SsE- 
MEWSKIJ hervor: „Die Bauern in der Regierungszeit der Kaiserin 
Katharina IL“ (RpecTEAHe BB HaPCTBOBaHie ITMIePaTPAUH 
EKareprHH IL). Der erste Band dieses Werkes ist schon im Jahre 1881 
erschienen. Dieser Band ist der Geschichte der gutsherrlichen Leibeigenen 
und den „Possessionsbauern“ gewidmet. Unter derletztgenannten Bezeich- 
nung versteht man diejenigen Bauern, welche unveräußerliches Eigentum 
der Privatfabriken und Hüttenwerke waren. In: Jahre 1903 erschien dieser 
Band in zweiter Auflage. Im Jahre 1901 erschien der Il. Band, welcher, 
abgesehen von der umfangreichen Einleitung, die Geschichte der der 
kaiserlichen Gutsverwaltung unterstehenden Bauern, ferner die Ge- 
schichte der Bauern auf den kirchlichen Gütern (diese erhielten nach 
der Säkularisation im Jahre 1764 die Bezeichnung „Ekonomitscheskyje“), 
die Geschichte der Domänenbauern u. 8. w. enthält. Die Geschichte 
aller dieser Gruppen ist auf Grund eines umfangreichen, größten- 
teils aus einer ganzen Reihe von Archiven entnommenen Materials 
verfaßt. Der Verfasser bringt Daten über die Kopfzahl jeder Gruppe, er 
schildert die Verwaltungseinrichtungen und Verwaltungsorgane, denen 
die Bauern unterlagen, die Abgabepflichten der Bauern, ihre allgemeine 
Lage, die Bauernunruhen u. s. w. Mit großer Ausführlichkeit behandelt 
er die Frage des Grundbesitzes verschiedener Bauerngruppen, wobei 
er das Hauptaugenmerk der Frage des Überwiegens des gemeinsamen 
oder aufgeteilten Grundbesitzes zuwendet. Ein Teil dieses Bandes ist in 
einer ganzen Reihe von separaten Abhandlungen (seit dem Jahre 1879) 
erschienen. Einige von ihnen sind zu finden: in „Russkaja Myssl“ 1900, 
Nr. 1, 3, 4,5; 1901, Nr. 1 und 6; weiter in „Russkoje Bogatstwo“ 1901, 
Nr. 1 und 2. 

Die Frage des bäuerlichen Grundbesitzes behandelt das Buch von 
W. W. (WoRonzow) „Zur Geschichte des Gemeindebesitzes in Rußland“ 
(Kp HCTOpiH o6mmHH BB Poccifi), Moskau 1902. Die Frage tiber 
die Entstehung des Gemeindebesitzes beschäftigt schon lange die 
Gelehrtenwelt, doch ist die Frage bis hente nicht gelöst. Angesichts 
dessen ist die Ansammlung tatsächlicher, auf diese Frage beztiglicher 


Referate. 171 


Daten von großer Wichtigkeit, und es erscheint uns daher das genannte 
Buch, weil es eben diesen Anforderungen entspricht, von Bedeutung. 
Der Autor stützt sich auf sehr wichtige archivalische Quellen und 
bringt auf Grund dessen ein sehr interessantes tatsächliches Material 
zur Geschichte des Gemeindebesitzes in Rußland. Ein Teil dieses Buches 
war früher und teilweise in dem von uns in Betracht gezogenen Zeit- 
raum ein der „Russkaja Myssl“ 1900, Nr. 4, 1901, Nr. 12, erschienen. 


Aus den kleineren Arbeiten zur Geschichte der Bauernverhältnisse 
verweisen wir auf das vorzügliche Buch der Frau J. J. ISNATOWITSCH: 
„Die gutsherrlichen Bauern am Vorabend ihrer Befreiung“ (Ilo- 
MBINMYbH KpecTbine HAKAHYHB OCBOGOKIEHIA) St. Peters- 
burg 1902. Dieses Buch ist zunächst in separaten Abhandlungen in der 
Zeitschrift „Russkoje Bogatstwo“ 1900, Nr. 9—12, erschienen. Es 
kennzeichnet sich durch die populäre Darstellung, wobei es aber 
trotzdem wissenschaftlichen Wert behält, da das von der Verfasserin ge- 
sammelte, umfangreiche Material sehr geschickt verarbeitet ist. Die 
Verfasserin gibt hier Aufklärung über die Zahl der Leibeigenen am 
Vorabend ihrer Befreiung, über die Lage der Zinsbauern (Obrotschnye), 
Frohnarbeiter (Barstschinnye) und leibeigenen Dienerschaft (Dworowye), 
sodann über die Wirkung der Leibeigenschaft auf das Volksleben und 
die dadurch bewirkten Schäden. So hat der Leser die Möglichkeit, 
sich auf Grund einer kurzgefaßten Schilderung eine lebhafte Vorstel- 
lung von der Lage der Leibeigenen am Vorabend ihrer Befreiung zu 
machen. Dank den oben angedeuteten Vorztigen liest man das Buch 
vom Anfang bis zum Schlusse mit ungeschwächtem Interesse. 

Nicht dasselbe kann man von einem anderen Buch behaupten, 
welches derselben Frage gewidmet ist, sich aber eine weiterreichende 
Aufgabe gestellt hat. Wir denken an das Buch vou NossoWITScH „Wie 
die Bauern aus freien Leuten Leibeigene, und wie sie dann wieder frei 
wurden“ (kakb KpeCTLAHe 113B .IW,Iell BOJIBHHXB CTAIH KPB- 
IIOCTHbIMH, H 3aTbMBb CHOBA BOIBHHMH) Reval 1901. Das Buch 
stellt sich die Aufgabe — wie der Verfasser in der Einleitung selber sagt —, 
„eine kurze, womöglich genaue und zusammenfassende Schilderung der 
Entstehung, Entwicklung und Abschaffung der Leibeigenschaft“ zu 
geben. Man kann jedoch nicht behaupten, daß diese Aufgabe gelöst 
worden sei. Das Buch ist sehr oberflächlich gehalten, es verrät den 
Mangel an notwendiger Sachkenntnis und hat daher keinen wissen- 
schaftlichen Wert, um so mehr als auch tatsächliche Irrtümer darin 
zu finden sind. 

Zu erwähnen sind hier ferner die interessanten Arbeiten von 
Th. Th. Woropoxow: „Die Bauernreform im südwestlichen Gebiete“ 
(Kpectbancraa pedopMa BB MTO-3ANaAHOMBb KPaB) [„Westnik 
Ewropy“ 1900, Nr. 8 und 9] und „Die Bauernfrage im südwestlichen 
Gebiete“ (KpecTLAHCKOe A'B:10 BB |TO-3ANaAHOMB Kpab) [in der- 
selben Zeitschrift 1902, Nr. 1,2 und 9]. Der Verfasser hat sich im dienst- 
lichen Auftrage im Laufe von 8 Jahren im südwestlichen Rußland mit 
der Bauernfrage befaßt. In den genannten Untersuchungen schildert er 
teilweise auch auf Grund persönlicher Erfahrungen den Prozeß, der 


172 Referate. 


zur endgültigen Aufhebung der Leibeigenschaft geführt hat. ‘Der vom 
Autor in Betracht gezogene Zeitraum liegt zwischen den Jahren 1847 
und 1860, d. h. zwischen der Einführung der Inventargesetze, welche 
die Regulierung der Beziehungen zwischen Bauer und Gutsherr be- 
zweckten, und dem schließlichen Zustandekommen der Reformen. 


Denselben Wert, doch in bezug auf ein anderes Gebiet, hat der 
Beitrag von A. JEROPKIN: „Die Tendenzen der Rjasaner Adelschaft am 
Vorabend der Bauernbefreiung“ (TemneHnim PAsaHCKaro IBOPAH- 
CTBa HAKAHYVH'B kpectbancrof pePopMH), erschienen im „Obra- 
sowanye“ 1902, Nr. 7. 8. 

Zur Geschichte der städtischen Stände in Rußland ist der kleine 
Beitrag von A. A. KIESEWETTER nennenswert: „Wählerversammlungen 
in den Städten (Possad) im XVII. Jahrhundert“ (Ilocanıckie 
H30HPATEJIBHHC CXOAB BB XVIIL CT.), erschienen im „Russkoje 
Bogatstwo“ 1902. Dieser Beitrag ist in dem unlängst veröffentlichten 
und von uns schon erwähnten Buche desselben Autors: „Die 
Stadtgemeinden Rußlands im XVII. Jahrhundert“ enthalten. Auf 
‘Grund nicht publizierter Quellen werden in diesem Beitrag Fragen 
über die Organisation der Vorstadtversammlungen, deren Funktionen 
und Zusammensetzung und ihr Zusammenhang mit den sozialen Ver- 
hältnissen des russischen Städtelebens im XVIIT. Jahrhundert erörtert. 
Neues, bisher in der Literatur unbekanntes Material gibt dem Autor 
die Möglichkeit, viele neue Tatsachen ans Licht zu bringen und sie 
zu einem Ganzen zu verknüpfen. 

Um die Übersicht der Literatur über die Sozialgeschichte Rußlauds 
zu schließen, bedarf es noch des Hinweises auf das von A. TOBIEX ver- 
faßte Buch: „Die Livländische Agrargesetzgebung im XIX. Jahrhundert“ 
(JImpismackoe arpapHoe 3aKOHO1ATEIRCTBO BR XIX. CT.) I. Bd., 
Riga 1900. Der Autor erörtert hier die Geschichte der Bauerngesetz- 
gebung in Livland in den Jahren 1804 und 1819. Er hat ein sehr 
interessantes und reichhaltiges Tatsachenmaterial zusammengestellt, 
welches die (eschichte der Aufhebung der Leibeigenschaft in Livland 
sehr klar beleuchtet, doch hält seine Konstruiernng der abstrakten 
Schlüsse bei weitem der Kritik nicht stand. Denn er schenkt den 
wirtschaftlichen Grundbedingungen des von ilım erforschten (rebietes 
nicht genug Aufmerksamkeit, sondern sieht den Grund der Erschei- 
nungen hauptsächlich in der persönlichen Machtsphäre und den zu- 
fälligen Umständen. Das Buch ist ursprünglich in deutscher Sprache 
erschienen und erst später ins Russische übersetzt worden. 

Indem wir zur Literatur über die Finanzgeschichte Rußland: 
übergehen und zunächst die Literatur zur Finanzgeschichte des alten Ruß- 
land ins Auge fassen, nennen wir vor allem das Buch von M. W. DowNaRr- 
SAPOLSKIJ: „Die Staatswirtschaft des Großfürstntums Litauen in der 
Zeit der Jagellonen“ (POCV'IAPCTBEHHOC XO3AÏCTBO BE/IHKATO 
KHASKECTBA JIHTOBCKATO np ArenToHaxp) Kijew 1901. Es ist 
dies der Anfang eines umfangreichen, hauptsächlich auf Archivquellen 
beruhenden Werkes. In dem ersten Bande, gleich nach der Einleitung, 
wird die Frage jener Einnalımen des Großfürsten von Litanen erörtert, 


Referate. 173 


welche ihm aus seiner gerichtlich-administrativen Tätigkeit zuflossen. 
Ferner behandelt der Autor die Fragen des Staatsvermügens, der 
Konsumsteuer, des Miünzwesens, der Zinsen und Abgaben, der Dienst- 
leistungen, wie Militärdienst, Vorspannleistung, Quartierpflicht, die Ver- 
pfichtung zum Instandhalten der Straßen, Wächterdienste u. 8. w., der 
direkten Geldsteuer und drgl. In seinem Werke bringt DOWNAR- 
SAPOLSKU viele neue und wertvolle Tatsachen und gibt ihnen eine 
richtige Erklärung. Widerspruch ruft bloß die Erklärung der Ent- 
stehung des Steuersystems aus der politischen Geschichte des litauischen 
Rußland hervor. Richtiger wäre, sich zunächst mit der Wirtschafts- 
geschichte zu befassen und erst auf dieser Basis die Finanzgeschichte 
zu konstruieren. : 

Nicht wenig wichtige und neue Tatsachen finden sich in dem Buche 
von J. J. GURLAND: „Die staatliche Pferdepost (Jamskaja Gonba) im 
Moskowischen Reiche bis Ende des XVII. Jahrhunderts“ (JImckas 
TOHb6A BB MOCKOBCKOMB TOCYAApCTBb 10 KOHHà XVIE CT.) 
Jaroslawl 1900. Das Buch bringt die Geschichte der Staatspost im 
alten Rußland, nebst einer sehr ausführlichen Untersuchung ihrer Or- 
ganisation. Der Verfasser sucht die Ursachen ihrer Entstehung in tata- 
risehen Einfitissen und bemtiht sich auch, die Anderungen in ihrer 
Organisation zu erklären. Doch kann er in diesen beiden Punkten 
den Leser mieht befriedigen, denn er ignoriert den Boden, aus welchem 
diese Erscheinungen emporwuchsen, nämlich den Boden der volks- 
wirtschaftlichen Verhältnisse. Er tibersieht zum Beispiel, welchen Ein- 
fiaß auf die Organisation der staatlichen Pferdepost die Entstehung 
der Geldwirtschaft gehabt hat. 

Neues Tatsachenmaterial zur Finanzgeschichte des Moskowischen 
Reiches im XVII. Jahrhundert bringen folgende Beiträge: „Das Brüeken- 
und Mautengeld in Nowgorod und Moskau im XVIL Jahslundert“ 
(MoctoBaHAa H pBineToyHHA AeHbBIH BB Hogropon& Y MockBb 
Bb XVIL BEbKB) von A. 3. LAPPO-DANILEWSRIJ, erschienen in den 
„Mitteilungen der geschichtlich-philologischen Abteilung der Kaiserl. 
Akademie der Wissenschaften“, V. Bd., Nr. 4. „Die nordrussischen Erb- 
register als Quellenmaterial zur Geschichte der Besteuerung“ (C'BBeDHHA 
IINCHCBHA KHATH, KAKb MATePialB AA HeTopim 061o0sKkeHis) 
voa P. J. Iwanow und „Das Budget des Rasrjads“ (Bionskerp Paspsına) 
von W. P. ALEXEJEW. Beide letztgenannten Beiträge sind in der Zeit- 
schrift „Altertümer. Arbeiten der archäograpliischen Kommission der 
Moskauer archäologischen Gesellschaft“, II. Bd., 1. Lief., erschienen. 

Der Finanzgeschichte Rußlands im XVIII. Jahrhundert ist die von 
N. N. Fırssow in den „Wissenschaftlichen Memoiren der Universität 
Kasan“ 1901 und 1902 und separat erschienene Arbeit „Die Regierung 
und die Gesellschaft in ihren Beziehungen zum Ausfuhrbandel in der 
Regierungszeit der Kaiserin Katharina IL.“ (IIpaBmtTenbctBo 11 06- 
NeCTBO Bb HXb OTHONIEHIH Kb BHbINHeÏt TOPrOBIB Bb LAPC- 
TBOBAHIH HMIEPATPHUH EratepitHhl II.) gewidmet. Hier wird die 
Geschichte einer besonderen Institution, die den Namen „Kommerz- 
Kommission“ („KOMMHCEIA O KOMMEPINITI“) führte, geschildert. Diese 


174 Referate. 


Kommerz-Kommission hatte sich mit den Fragen des Ausfuhrhandels 
zu befassen. Der Autor behandelt einige Finanzprojekte, welche dieser 
Kommission vorgelegt wurden. Ferner findet sich in der’Arbeit die Lite- 
ratur zur Frage über die Handelspolitik Rußlands im XVII. Jahrhundert, 
und es werden außerdem jene Veränderungen auf dem Gebiete der 
Handelspolitik einer Erörterung unterzogen, welche zur Zeit Katharina Il. 
von der Regierung vorgenommen wurden. Hie und da bringt der Autor 
interessante, den Archivquellen entnommene Daten, doch ist sein Vorrat 
in dieser Beziehung nicht groß. Man kaun mit Bestimmtheit sagen, 
daß sich die Daten verhundertfachen ließen. Andererseits bringt er 
vieles, was schon längst bekannt ist. Deswegen kann dieses Buch als 
etwas wertvolles nicht betrachtet werden. Ein Teil dieses Buches ist 
auch in der Form einer separaten Abhandlung in der „Zeitschrift des 
Ministeriums für Volksaufklärung‘ 1901, Nr. 9, erschienen. 

Innerhalb des von ung in Betracht gezogenen Zeitraumes sind zwei 
Bände — II. und Ill. — des umfangreichen Werkes „Der russische 
Staatskredit (1769— 1899), Versuch einer historisch-kritischen Übersicht“ 
(Pyccxiä TocyAaperBeHnkli kpeamtp [1769 —1899]) von P. P. Mı- 
GULIN, Professor an der Universität Charkow, erschienen. Dieses 
Werk stellt sich die Aufgabe, eine vollständige Übersicht des russischen 
Staatskredits bis auf die Gegenwart zu geben und wird auch dieser 
Aufgabe vollständig gerecht. Der I. Band ist im Jahre 1899 erschienen. 
Er enthält eine geschichtliche Übersicht des russischen Staatskredits 
in der Regierungszeit Katharina IL. und in der darauf folgenden Epoche 
und schließt wit der Tätigkeit des Finanzministers N. Ch. Bunge in- 
klusive (d. h. bis zum Jahre 1886). Der II. Band ist im Jahre 1900 
erschienen. Er behandelt die Epoche der Tätigkeit des Finanzministers 
J. A. Wischnegradsky (1887—1892). Der Autor befaßt sich mit den 
Konversionen, welche der genannte Finanzminister vorgenommen hatte, 
sodann mit dem Eisenbahnkredit und der Eisenbahnpolitik, mit dem 
staatlichen Hypothekarkredit und resumiert die Finanztätigkeit Wischne- 
gradskys. Der II. Band ist in drei Lieferungen in den Jahren 1901 
bis 1902 erschienen. Dieser Band ist der Tätigkeit des Finanzministers 
S. J. Witte gewidmet (bis 1902). Die erste Lieferung behandelt die 
Konversionsoperationen, welche unter Witte vorgenommen wurden. 
Die zweite Lieferung behandelt die Valutareform und die mit ihr ver- 
bundenen Kreditoperationen. Die dritte Lieferung behandelt endlich 
die Eisenbahnanleihen und die Eisenbahnpolitik. Der höchste Wert 
dieses Werkes liegt in der erschöpfenden Vollständigkeit in der Be- 
handlung der Aufgabe, die sich der Autor gestellt hat. Der Verfasser 
hat nicht nur das auf dieses Thema bezügliche veröffentlichte Material 
verwertet, sondern auch das bis jetzt nirgends publizierte Archiv-Material 
ausgenützt, welchesihm das Finanzministerium zur Verfügung gestellt hat. 
Daher ist die Arbeit MIGULINS von großem Interesse, und dies um 80 
mehr als der Verfasser jede von ihm erwähnte Handlung der russischen 
Regierung auf dem Gebiete des Staatskredits einer kritischen Beleuch- 
tung unterzieht. 

In den „Kijewer Universitätsnachrichten“ 1900, Nr. 1, 3, 4, 5, 7, 8, 
9 und 12; 1901, Nr. 3 und 4, findet sich die Arbeit von P. L. KOowWANKoO 


Referate. 175 


„Die wichtigsten Bungeschen Reformen des Finanzsystems in Rußland“ 
(Tırasa&tinmia pedopMH, IIpoBeneuHua H. X. Byure BB dırman- 
coBoH cncreMB Poccin). Diese Arbeit stützt sich nicht auf ein ebenso 
reiches Archivmaterial, wie das Werk MıGuLms, doch enthält sie eine 
sehr ausführliche Schilderung der finanziellen Maßregeln Bunges. Der 
Autor hat für seine Arbeit, abgesehen von dem gedruckten Material, 
auch die Schriftstücke aus der Bungeschen Bibliothek benützt, welche 
jetst der Kijewer Universität einverleibt ist. 

Ein sehr reiches und wertvolles Tatsachenmaterial findet sich in 
dem dreibändigen Werke von N. A. KisszINsKy: „Unsere Eisenbahn- 
politik nach den Dokumenten des Archivs des Ministerkomitee“ 
{Hama teTb3H0A0POsKHaA IIO:TATHKA 110 AOKYMEHTAMPB APXHBA 
KOMHTETA MHHHCTPOBH). Dieses Werk ist in St. Petersburg im 
Jahre 1902 im Verlag der Kanzlei des Ministerkomitee erschienen. In 
sehr ausführlicher Weise schildert der Verfasser in strikter Reihenfolge 
die Wendungen der russischen Eisenbahnpolitik in der Regierungszeit der 
Kaiser Nikolaus I., Alexander II. und Alexander III. Damit ermöglicht 
KıssLinskıJ das Verständnis der Grundzüge der Entwicklung der Eisen- 
bahnpolitik und der Ursachen der hier vorgenommenen Veränderungen. 
Doeh, um zu richtigen Schlüssen zu gelangen, ist es unerläßlich, von der 
Darstellungsweise des Verfassers abzuselien, denn die Veränderungen 
in der Eisenbahnpolitik lassen sich nicht nach Regierungsperioden ein- 
teilen, sondern umgekehrt, jede Regierungszeit zerfällt, wie in vielen 
anderen, so auch in dieser Beziehung in verschiedene Perioden. Man 
sieht leicht, daß es dem Verfasser an den notwendigen allgemeinen und 
weiterreichenden Gesichtspunkten gebricht und es kommen auch des- 
wegen einige oberflächliche Erklärungen und sogar ganz unbegriindete 
Erläuterungen von Tatsachen vor. Da der Verfasser kein Gelehrter ist, 
sondern ein gewissenhafter Sammler und Ordner des Materials, so hat 
auch sein Werk nur als eine Schatzkammer für dieses Material eine 
große Bedeutung. 


IV. 
Die wichtigsten populär-wissenschaftlichen Arbeiten über 
die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Rußlands. 


Von den Arbeiten, welche einen populär-wissenschaftlichen Zweck 
verfolgen, trotzdem aber, dank der Originalität ihrer Schlüsse einen 
wissenschaftlichen Wert haben, nennen wir in erster Reihe den im 
Jahre 1900 in vierter Auflage erschienenen I. Teil des Buches „Bei- 
träge zur Geschichte der russischen Kultur“ (Üyvepkit 110 HCTOpin 
PYCCKOË KY:IBTYPH) von P.N. MiLstkow. Dieses mit großem Talent 
verfaßte Buch enthält unter anderem Beiträge zur Geschichte der Be- 
völkerung, der Kolonisation, der Volks- und Staatswirtschaft und der 
gesellschaftlichen Organisation und erfreut sich beim russischen Publi- 
kum eines großen Erfolges. 

P. M. GOLOWATSCHOW befaßt sich eindringlich in seinem Buche 
„Sibirien. Natur, Menschen und Teben“ (Unörttpn. Ffnipore, mu, 


176 Referate. 


SKH3Hb), Moskau 1902, mit der Geschichte der Kolonisation Sibiriens 
und mit der (xeschichte der wirtschaftlichen Verhältnisse dieses Reichs- 
teiles. 

In letzterer Zeit läßt sich in Rußland eine Vermehrung der Zahl der 
Handelsschulen beobachten, welche dem Ressort des Finanzministeriums 
unterstehen. Diese Vermehrung erklärt sich einerseits durch das An- 
wachsen des Handelsstandes — diese Schulen werden größtenteils auf 
Privatkosten betrieben und beziehen von der Regierung nur eine ge- 
ringe Subvention — und andererseits durch jene relative Freiheit in 
ihrer Organisation, welche diese Handelsschulen im Vergleiche mit den 
dem Ministerium für Volksaufklärung unterstehenden Mittelschulen ge- 
nießen. Zu den Lehrgegenständen der Handelsschulen gehört auch 
die Handelsgeschichte, doch ist die Geschichte des russischen Handels 
bis jetzt nicht weit vorgeschritten. Es existiert kein Buch, welches 
sich zur Aufgabe gemacht hätte, in knapper Form den russischen 
Handel im Rahmen der russischen Geschichte zu schildern. Zwar hat 
dies J. KosLOWSK1J in seinem Buch: „Kurze Übersicht der Geschichte 
des russischen Handels“ (Kpatkif OUepKB HCTopiu PYCCKoH TOp- 
l'OBJIH) — Kijew 1900, 2 Lieferungen — versucht. Der Autor ver- 
folgt hier zwei Ziele: sein Buch soll als Lehrmittel beim Unterricht 
der Handelsgeschichte in den Handelsschulen dienen und andererseits 
jedem durchschnittlichen Leser die Möglichkeit geben, sich mit diesem 
Thema vertraut zu machen. Allein das Buch trägt den Charakter 
einer bloßen Anhäufung von Tatsachen, welche weder zueinander noch 
zu den wirtschaftlichen Bedingungen der bezüglichen Epochen in irgend- 
welche Verbindung gebracht sind. Das ist ein Mangel, der den Ge- 
brauch des Buches erschwert. Allenfalls verdient es, als erster Ver- 
such einige Aufinerksamkeit. 

Denselben Zweck, den der populären und gleichzeitig für den 
Unterricht geeigneten Darstellung nämlich, verfolgt das Buch von 
N. A. RoscHKOW : „Lehrbuch der Geschichte Rußlands für Mittelschulen 
nnd Selbstunterricht“ (YuUeÖHHKB PYCCKOË HCTOpiH MIA CPEXHAXE 
V4YeÖHhIXb 3aBeleHif H AJIA CAMO06pa30BaHiA). Der Verfasser hat 
sich bemüht, eine allgemeine und populär-wissenschaftliche Schilderung 
des Prozesses der Entwicklung der russischen Geschichte auf öko- 
nomischer Basis zu geben. Das Buch enthält hauptsächlich allgemeine 
Schemen und Schlüsse bei einem Minimum faktischer, konkreter Tat- 
sachen. Denn der Verfasser ist der Meinung, daß die Darstellung des 
konkreten Inhaltes dem Vortrag des Lehrers überlassen werden muß 
und daß sie den Ausgangspunkt für jene gemeinschaftliche Arbeit 
des Lehrers und der Schüler in der Schule bilden soll, welche erst 
zu allgemeinen Ausführungen hinüberleitet. Diese allgemeinen Aus- 
führungen sollen dann die Schüler zu Hause im Lehrbuch nach- 
schlagen und wiederholen können. 

Populären Zweck verfolgen ferner folgende Arbeiten desselben 
Verfassers: „Stadt und Land in der russischen Geschichte Zur 
Wirtschaftsgeschichte Rußlands“ (T'opoap 1 AepeBHA BB PYCckoä 
IIcTopif). Es sind dies öffentliche Vorlesungen, welche der Verfasser 


Referate. 177 


in mehreren russischen Städten gehalten hat, welche sodann in 
der Zeitschrift „Mir Bozy‘ 1902, Nr. 4, 5 und 6 veröffentlicht und 
nachher als separates Buch erschienen sind. Weiter „Die Entwicklung 
der ökonomischen und sozialen Verhältnisse Rußlands im XIX. Jahr- 
hundert“ (PasBnTie 9KOHOMHYeCKHXBb H COMIAJIbHHXB OTHOIMeHIH 
BB Pocciät XIX. Bra), erschienen im „Obrasowanye“ 1901, Nr. 1, 
und schließlich „Die Landwirtschaft im Moskowischen Rußland im 
XVL Jahrhundert und ihre Wirkung auf die sozialpolitischen Verhält- 
nisse jener Zeit“ (ÜesIbckoe xo3aäcrBo MockoBckof PycH BE 
XVL BBKB), erschienen im „Mir Bozy” 1900, Nr. 12. Die letzt- 
genannte Arbeit bildet den Versuch einer populären Ausführung jener 
Schlüsse, zu welchen der Autor in seinem im Jahre 1899 erschienenen 
Buche: „Die Landwirtschaft des Moskowischen Rußland im XVI. Jahr- 
hundert‘ gelangt ist. W.v. Deun. N. ROSCHKOW. 


Dr. Wıru. v. MEDINGER. Wirtschaftsgeschichte der Domäne 
Lobositz. (Wien 1903, C. W. Stern, S. 203, h. 4°.) 

Das vorliegende Buch ist eine Dissertationsschrift aus dem staats- 
wissenschaftlich-statistischen Seminare zu Halle a. S., der Verfasser 
selbst ein Schüler des Altmeisters Prof. Joh. Conrad, der die Behand- 
lang dieser Frage auch angeregt hat. Das Werk gesellt sich zu ähn- 
lichen, die in diesem Seminare früher entstanden sind und die Geschichte 
der deutschen Landwirtschaft darstellen wollen, und „soll einen Beitrag 
zur Entwicklungsgeschichte der österreichischen Landwirtschaft bilden“ ; 
„das Aktenmaterial wurde jedoch mehr vom allgemein-wirtschaftlichen 
Standpunkte aus, als vom landwirtschaftlich-fachlichen durchforscht und 
verwertet“. Seine Aufgabe löst der Verfasser in 12 Kapiteln, von denen 
die 4 ersten (8. 14-59) das Vormaterial (klimatische und geologische 
Verhältnisse, Geschichte, das Maß- und Münzwesen, dann die Flächen- 
bewegung der Gegend) liefern, das 5. die gesamte vegetabilische Pro- 
duktion (S. 6097), das 6. die ganze animalische Produktion (8. 97 
bis 121) und das 7. die industrielle Erzeugung (8. 122—126) bietet. 
In den letzten 5 Kapiteln (8. 127—199) werden die Pachtformen, die 
Verwaltung, die Untertansverfassung und endlich die Arbeiter- und 
Preisverhältnisse besprochen. Es ist eine Erstlingsarbeit mit allen 
ihren Licht- und Schattenseiten. Bei dem ziemlich großen Mangel 
an einer ausschliesslich wirtschafts- und agrargeschichtlichen Literatur 
Böhmens, die von modernem, wenn auch allgemein gehaltenem 
astionalökonomischen Geiste getragen würde, können wir dieses Werk 
und die Anregung des Prof. Conrad hierzu nur mit Freuden begrüßen 
und die Arbeit selbst verdient eine längere Rezension. 

Böhmen ist ein wirtschafts- und agrarhistorisch interessantes Land, 
welehes im kleinen fast alles bietet, was im großen Maßstabe beinahe 
ganz Deutschland. Auch dadurch wird das Territorium beachtenswert, 
daß in Böhmen die alten slavischen agrarischen Traditionen des Volkes 
mit den deutschen und westeuropäischen Einflüssen in Berlihrung kommen 

Vierteljabrsebr. f. Soeial- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 12 


178 Referate. 


Lobositz selbst liegt an der Elbe im böhmischen Mittelgebirge, in 
einer äußerst anmutigen, schönen, klimatisch und geologisch günstigen 
Gegend — eine Rheingegend im kleinen — deren Boden demjenigen 
am Yang-tse in China gleicht. Bei fortwährendem Besitzwechsel und 
Einfluß der äußeren politischen Ereignisse sehen wir die einzelnen 
Stufen der wirtschaftlichen Entwicklung, wo die Domäne sich 
konzentriert, vergrößert, und als Hauptunternehmer des ganzen Ge- 
bietes auftritt. Besonders lehrreich ist das Kapitel von der pflanzlichen 
Produktion, das uns die ungeheuren Schäden der häufigen Kriege und 
namentlich des 30jährigen Krieges, dann den Übergang von der alt- 
geheiligten, vererbten Brach-, Dreifelder- und Körnerwirtschaft nebst 
verschiedenen Arbeitsformen der robot- und zinsungspflichtigen Unter- 
tanen (z. B. Flurzwang) zu einer mehr freien, energischen, rationellen 
und planvolleren Bewirtschaftungsart der josephinischen Zeit (eigentlich 
schon seit dem Jahre 1750) schildert. 

Diese neuen Wirtschaftsformen legen ein größeres Gewicht auf den 
Wert des Düngers, der Ackergeräte, des Futter- und Kartoffelbaues, 
sie haben mehr Verständnis für die Fruchtwechselwirtschaft, Vieh- 
haltung und Stallfütterung, sowie für neue Arbeitssysteme nach der 
Regulierung der Robot (freie Lohnarbeiter u. s. w.) und äußern sich 
endlich im Streben nach einer intensiveren Ausnützung der Fläche, in 
der Industrie und Pachtwirtschaft. 

Die Schafzucht hat fast denselben Prozeß durchgemacht wie in 
Deutschland: eine Steigerung bis zum Jahre 1799 und ein Herabsinken 
— infolge der Einschränkung der Hutweidenwirtschaft — bis zum 
heutigen Stande. Auch die Rindviehzucht wurde von den Verände- 
rungen auf dem Gebiete der vegetabilischen Produktion stark beein- 
flußt: im Jahre 1783 begegnen wir neben der alten Körner- und 
Brachwirtschaft der Einführung des Klees und um das Jahr 1850 der 
Rübe. Fast gleichzeitig erscheint auch hier wie in der Schafwirtschaft 
die Beobachtung der Vererbungsgesetze, die ktinstliche Zuchtwahl, kurz 
die ersten modernen Zuchtprinzipien, die daa Rindvieh rationell und 
planmäßig zu ihren bestimmten Zwecken heranbringen und „erziehen“ 
wollten. Die alte vegetarische Lebensweise der Bewohner Böhmens 
hat vor allem die pflanzliche Produktion berücksichtigt, die animalische 
dagegen vernachlässigt; das Rindvieh wurde hauptsächlich als Zug- 
und Melkobjekt betrachtet. Erst im 19. Jahrhundert erscheinen hier 
neue Nutzungsarten, besonders die Mastviehzucht; neben der Mastung 
sehen wir auch die Rücksicht auf die Düngerproduktion. Die Ver- 
edlungsversuche in betreff des heimischen Landschlages geschehen im 
Wege einer rationellen Ernährung und Fütterung (namentlich der voll- 
ständigen Stallfütterung) und in der Importierung von Tiroler und 
Schweizer Originalvieh (1805 ff... Mit dem vergrößerten Viehstande 
vermehren sich auch die Einnahmen. Aber zugleich tritt auch hier 
die Tuberkulose auf. Die Laktizinwirtschaft (nebst dem Kälberabsatze), 
sowie die Borsten- und Geflügelzucht wurde den Schaffern in Pacht 
gegeben. Die Pferdehaltung litt ungemein unter den häufigen Kriegen 
und wuchs wieder etwas nach der Aufhebung der Leibeigenschaft auf. 
Von der alten Fischzucht blieb nur die Elbefischereï, die infolge der 





Referate. . 179 


vielen Fabriken und ihrer Abfälle sehr herabgesunken ist. Zu den 
alten Industrialien — Brauerei und Branntweinbrennerei, die jedoch 
ans dem rein lokalen Absatze zu einem Großbetriebe nie tibergegangen 
sind — kam um das Jalır 1850 die Zuckerfabrik. 

Die josephinischen Reformen führten hier infolge des Verlustes der: 
ehemaligen billigen Arbeitskräfte (1781) und des anzuschaffenden eigenen 
fandus instructus (in betreff der Vermehrung des Zugviehstandes, der 
Ackergeräte, dann der Baureparaturen und des Arbeits- und Aufsichts- 
personales) zu einem ausgedehnten Pachtsystem (1790), denn der 
Betrieb ist jetzt größer und teurer geworden und erforderte überall 
neue große Kapitalinvestitionen, die man eben durch die Verpachtungen 
vermeiden wollte. Die Pachtformen waren verschiedenartig. Zuerst 
wurden die kleineren Meierhöfe parzellenweise und licitando an unter- 
tänige Bauern verpachtet, die einer strengen Überwachung unterlagen. 
Im Jahre 1812 erscheint die erste Gesamtverpachtung eines Meierhofes 
an einen Mann; der Meiereiparzellenpacht hört im Jahre 1829 auf. 
Die einzelnen Pächter sind jetzt freier und selbständiger, aber auch 
isolierter geworden; sie genießen mehr Vertrauen und werden als 
Kapitalisten geschäftsmäßig behandelt. Es ist eine Art Großpacht. 
Dies äußert sich in dem Gegenstande, in der Dauer der Verpachtungen!), 
in der Pachtszinshöhe und in der Bewirtschaftungsart der Pachtobjekte, 
die von denselben neuen Grundsätzen beherrscht wird. Schon seit dem 
Jahre 1830 wurde die Rücknahme einzelner Höfe in die Selbstverwaltung 
lebhaft erörtert, die dann bis zum Jahre 1876 vollständig durchgeführt 
wurde. In betreff der Administration war das alte Dominium eine 
kleine, in sich geschlossene Welt für sich. Der Verwaltungsapparat 
der friiheren Zeiten war recht einfach, der sich erst mit der Konzen- 
trierung des Herrschaftagebietes und mit der intensiveren .Bewirt- 
schaftangsart allmählich vergrößerte und differenzierte; die Pflichten, 
die Stellung und die Besoldungen der Beamten haben sich den Zeit- 
verhältnissen angepaßt. Die Untertanverfassung zeigt uns die ver- 
schiedenen Kategorien der Untertanen, deren Urbarial- (nicht Urbariat-) 
und Extraurbarialzinsen (in Geld und Natura) und sog. Grundgelder; 
daneben bestehen Steuern, Handwerks-, Grund- und Judenzinse, sowie 
Monopolverkaufsrechte der Domäne. Auch die (ordentliche und außer- 
ordentliche) Robot, deren Ursprung und Entwicklung bis zu deren 
Regulierung, Reluierung und Aufhebung in der josephinischen Epoche 
samt den Gegenleistungen der Herrschaft lernen wir kennen. Die 
Grandkerrschaft verwandelt sich in eine Gutswirtschait. Die alte Patri- 
monialgerichtsbarkeit der Obrigkeit tritt allmählich in Hintergrund, 
der Untertan wird frei und der Staat gewinnt an weiterer Macht. 
Gleichzeitig damit erscheint auch die Kategorie der freien Lohnarbeiter, 
deren verschiedene Stufen und wachsenden Löhne, die der modernen 
Industriezeit vorangehen. Mit der Darstellung der Preise der Produkte 
und des Bodens, sowie mit 2 geschichtlichen Beilagen vom Jahre 1248 
und 1801 endet das Buch. 


1) Zu denselben gehören auch die sog. Gereutergründe, nämlich Parzellen- 
grundstücke, die mit keiner Meierei im Zusammenhange stehen. 


180 Referate. 


Wir gelaugen zur Kritik, wollen aber zuerst einige Summar- 
betrachtungen vorausschicken. 

Durch die Wirtschafts- und Agrargeschichte hat die Lokalforschung 
ungemein viel an Bedeutung gewonnen; sind ja manche Fragen davon 
noch heute aktuell. So z. B. die Angelegenheit der Veredlung des 
heimischen Hornviehes. Der einfache Import von Tiroler und Schweizer 
Originalrindvieh führte nur zu einer furchtbar hier wütenden Tuberkulose, 
die eben diese Methode und ihre Erfolge recht problematisch erscheinen 
läßt und in Erinnerung bringt, „daß die Hochzucht durch Stallfütterung 
eine allgemeine Widerstandsschwäche und eine physische Hinfälligkeit 
zur Folge hat“. Diese Tuberkulose tritt nicht nur auf der Lobositzer 
Domäne (seit den 60er Jahren) auf, sondern leider auch in Südbühmen 
und wir müssen dem Verfasser diesbezüglich nur zustimmen. Fast 
gleichwichtig ist die Frage der Pacht- und Regiewirtschaft des Groß- 
grundbesitzes. Spricht die Vergangenheit mehr für das Pacht- oder 
für das Regiesystem? Böhmen unterscheidet sich in dieser Hinsicht 
recht bedeutend von Deutschland. Während in Deutschland das Pacht- 
wesen bis in das 16. (Hannover) und 15. Jahrhundert (Stollberg-Wernige- 
rodesche Domänen) zurückgeht, im 18. Jahrhundert seine größte Aus- 
dehnung quantitativ und qualitativ erreicht und heute wieder gewaltig 
wächst: sehen wir, daß der böhmische Adel bald nach den husitischen 
Kriegen das einfache Zinsungs- und Pachtsystem aufhebt und nicht 
nur den Boden, sondern auch die landwirtschaftliche Industrie in eigenen 
Regiebetrieb übernimmt, der sich noch heute kräftig hält!). Dieser 
Umstand ist übrigens nur günetig für Böhmen, weil einige der dortigen 
adeligen Archive (wie z. B. der Familie von Pernstein, Zierotin, dann 
des Hauses Rosenberg, Schwanberg und jetzt Schwarzenberg, die sowie 
der Zahl, als auch der Ordnung, Organisation und Systemisierung 
nach nur vorteilhaft hervorragen), eine reiche und noch unbenützte 
Fundgrube und einen wahren Schatz für die Sozial-, Wirtschafts- und 
Agrargeschichte bilden. 

Der Wert der einzelnen Abteilungen des vorliegenden Buches ist 
nicht gleich. Die Kapitel, die Flächenbewegung und die pflanzliche 
Produktion betreffend, sind ziemlich gelungen. Das Verhältnis zwischen 
dem Herren- und Bauernlande, der stete Grundbesitzwechsel und die 
dem bisher wachsenden Dominikalbesitze gegenüber geltend gemachten 
Besitzrechte des Volkes, das Verhältnis der Fläche zur Aussaat und 
besonders die josephinischen Kataster- und Steuerreformen, sowie die 
heutigen Arrondierungs- und Kommassationsideen finden hier Ausdruck. 
In betreff der vegetabilischen Produktion haben wir schon auf die 
alte vegetarische Lebensweise der Landbewohner hingewiesen. Wir 
möchten nur beifügen, daß die pflanzliche Produktion eben des- 
wegen hier mehr berücksichtigt, aber auch vervollkommnet wurde. 
Dies beweist nicht allein die Erzeugung selbst, sondern auch die Küche, 


1) Die Ansichten BERGHOrF-Isıngs beruhen jedenfalls in Unkenntnis der 
Unterschiede zwischen den Grundbedingungen von Deutschland und Böhmen 
(S. 150). Der Unterschied zwischen einst und jetzt in der Bewirtschaftungsart 
in Böhmen ist nicht überall so groß; man findet hier alte Traditionen. 


Referate. 181 


die Konsumtion und die Bedürfnisse!) des Landes im 16.) Jahrhundert. 
Die alten Kirchenrechnungen erzählen z. B. von einer großen Bienen- 
zucht (Wachsabgaben an die Geistlichkeïit). Die Einftihrung der Kar- 
toffeln war jedenfalls eine große Wohltat für das Volk, aber die Erbsen 
und Linsen, die von den heutigen Arzten so warm empfohlen werden, 
wurden fast gleichzeitig in den Hintergrund gedrängt. Ebenso auclı der 
einst blühende Hanf- und Flachsbau, der später vernachlässigt wurde. 
Die nicht unbedeutende Schafzucht, die auf heimischen Grund- 
bedingungen beruhte, mußte vor der importierten und siegreich vor- 
dringenden Hornviehzucht zurückweichen. Die alte, bis in das 15. Jahr- 
hundert zurückreichende Teichwirtschaft war früher sehr ausgedehnt, 
fortgeschritten und ertragsreich. Die Laktizinwirtschaft war hier längst 
bekannt; besonders die Butter- und Käseerzeugung (darunter auch 
Ziegen- und Schafkäse), die auch unter dem Naturalzehnt der Unter- 
tanen erwähnt wird. Die Eierabgaben derselben (sowie auch Hennen 
und Hiihner) sprechen von Geflügelzucht. Die Einktinfte der Lehrer 
bestanden auch in Kuchen u. s. w. Die Existenz einer größeren 
Borstenviehzucht beweisen die Waldweidezinse. Das alles betrifft natür- 
lieh auch die Untertanen und nicht nur die Obrigkeit. Aber die Unter- 
tanen bildeten früher einen integrierenden Bestandteil der Domäne, so 
daß ihre Wirtschaft auch die Wirtschaftsgeschichte der Herrschaft, 
die ja das ganze Gebiet konzentriert, verwaltet und als Hauptunter- 
nehmer in ihrem Namen auftritt, bedeutet. Das 16. Jahrhundert im 
Vergleiche mit dem 17. und 18. Jahrhundert zeigt, daß die Wirtschafts- 
stufe der fraglichen Gegend und des Landes infolge des über 120 Jahre 
andauernden Friedens ziemlich hoch und entwickelt war. Die folgenden 


1) Die Produktion ist von der Natur, von dem Rohmaterial und Konsum 
abhängig. Die Konsumption ist dagegen nur ein Ausdruck der Bedürfnisse, 
der höheren und niederen Kultur — siehe z. B. die wachsenden Reinlichkeits- 
mittel der Kultur — also etwas, was auch von der Psyche beherrscht und ge- 
regelt wird. Und in diesem Sinne (aber nur hier) kann man von einer gewissen 
Beseelung der Wirtschaftsstufen — mit dem LAMPRECHT dem BÜUHER gegen- 
über — sprechen. 

2) Die Bedeutung der neuen Erfahrungen und Errungenschaften des 
19. Jahrhunderts kann man nicht bestreiten. Es ist aber auch sicher, daß 
auch das 16. Jahrhundert, dessen erfreuliche Entwicklung durch die Schrecken 
der Kriege, durch die wachsende wirtschaftliche und soziale Macht des Hoch- 
adels und durch die sich befestigende Robot und Leibeigenschaft des alle 
Rührigkeit und Klastizität verlierenden Volkes auf lange unterbrochen wurde, 
viel fortgeschritten war. Es sind Reformen, oder auch nur neue Formen 
der Umgebung, denen sich die Zeit anpassen mußte. In den Urkunden, 
Rechnungen, Karten und Aktenstücken könnte man manchen Beweis dafür 
lefern. Die Verteilung des Bodens des 16. Jahrhunderts und die blockartige 
Form der Grundstücke entsprach gut den damaligen Ackergeräten und der 
bestehenden Art der Bearbeitung des Bodens und bildete ohne Arrondierung 
eine ziemlich kompakte Masse der einzelnen Bauerngründe. Auch die exten- 
sive Dreifelderwirtschaft entsprach der Zeit: es war beinahe kein Absatz, 
böchstens in naher Umgebung in einer größeren Stadt, die Bevölkerung war 
nicht so zahlreich, die Steuern und Zinse waren niedrig, die Bedürfnisse klein 
and infolgedessen war auch die Produktion kleiner und nur für den Haus- 
verbrauch bestimint. 


182 Referate. 


Perioden beweisen dagegen durch ihr Herabsinken, wie fürchterlich 
und in ihrem ganzen Umfange noch heute nicht ganz ausgemessen die 
Schäden des 30jährigen Krieges waren: nicht nur politisch und staat- 
lich nebst der gewalttätigen Einführung der katholischen Kirche und 
Religion, sondern auch moralisch und psychisch die angetretene Gebunden- 
heit der Geister, die Stupidität des Volkes, das Verschwinden der 
Intelligenz und die plötzliche Stille in der Kulturarbeit. In sozialer 
Hinsicht sehen wir den vollkommenen Niedergang des Bauernstandes, 
das Verschwinden des strebsamen und begabten Kleinadels zugunsten 
des Hochadels, der jetzt riesige Latifundien und eine gefährliche 
Wirtschaftsmacht auf Kosten der anderen Stände in seinen Händen 
konzentrierte; diese Konzentration des Bodens und Kapitals konnte 
der Forst- und Teichwirtschaft wohl sehr nützlich sein, die landwirt- 
schaftliche und industrielle Produktion mußte sie aber infolge der zu 
ausgedehnten und folglich nie gänzlich zu beherrschenden und kaum 
intensiv bewirtschafteten Fläche nur hemmen und schaden. Diese 
ungünstige und ungleichmäßige Verteilung des Bodens und Eigentums 
infolge der Konfiskationen des 30jährigen Krieges zog weiter nach 
sich auch die wirtschaftliche Stagnation und Stupidität, eine absolute 
Indolenz, einen Verlust der Produktionskraft, des Unternehmungsgeistes 
und Fortschrittbestrebens (infolge des Mangels!) an Mitteln) kurz: einen 
großen Rückschritt und ein großes Elend, das sich im Verluste von 
zwei Dritteln der Population, in augenblicklichen materiellen Ver- 
wüstungen und in dauernden wirtschaftlichen und moralischen Folgen 
kennzeichnet. Diese fürchterlichen Folgen des 30jährigen Krieges, durch 
welche man so manche Erscheinung in Böhmen erklären kann, leben 
dort fast noch heute frisch, wirtschaftlich, sozial und moralisch. In 
betreff der tierischen Produktion kann man noch beifligen, daß das 
16. Jahrhundert auch die Rindviehzucht schon berücksichtigte und gut 
zu unterscheiden wußte, welcher Hof mehr dem Jungvieh, dem Zug-, 
Galt- oder Melkvieh entsproche. Die Viehdispositionen und Über- 
treibungen — der Qualität des Futters auf den Hutweiden oder Wiesen 
der Gegend und der Fütterung nach — spielten schon damals, wie 
die alten Inventarien, Urbarien und Abschätzungen zeigen, eine gewisse 
Rolle. Auch die Bedeutung der wechselseitigen gtinstigen Wirkung 
der T'eichwirtschaft und Brauindustrie auf den Ackerbau und die Be- 
nützung des Teichschlammes und der Biertreber als Dünger war schon 
damals (vor dem 30jährigen Kriege) bekannt; wir lesen ja im 16. Jahr- 
hundert sogar von der Teichbesämung und Fütterung der Fische u. 8. w. 
Das alles hat uns der Verfasser ungenügend gesagt, wir erfahren vom 
16. Jahrhundert sehr wenig. 

Gelungener sind die Kapitel von den Verpachtungen, von der Ver- 
waltung, von den freien Lohnarbeitern und von den Preisen. Man 
muß nur bemerken, daß die Analogie mit dem Raabschen Domänen- 
zerstückelungs- und Robotablösungssystem sehr schwach und zufällig 
ist (S.132). Die Stellung des Oberamtmanns wurde nicht richtig dargelegt 

1) Der Bauer soll eine größere Viehzucht betreiben, er hat aber nicht 
so viel Fläche und kann folglich mehr Vieh nicht füttern. 


Referate. 183 


Der Passus von den Rentengütern ist hier unmöglich. Auch das 
Verhältnis der Administration zu der Öffentlichkeit sollte bertick- 
sichtigt werden. Über die Finanzierung der Domäne, über die Art 
der Verwaltung und ihr Verhältnis zu den Oberämtern konnte 
man mehr sagen. Man schreibt gewöhnlich Chaluppner und nicht 
Kaluppner (8. 166). Der Name der Georgi- und Gallizinse kommt 
schon im 15. und nicht erst im 18. Jahrhundert vor!) (S. 167). In 
den Kapiteln von dem Pachtsystem und von den Preisen spricht man 
gerne viel auf Grund der allgemeinen Literatur und nicht allein an 
der Hand der gegebenen Quellen. Besonders der Teil über die Preise 
konnte mehr bringen — der Hinweis auf die Vorgänger genügt nicht 
— und wäre rein lokalgeschichtlich zu verarbeiten gewesen, es besteht 
ja diesbezüglich überall ein buntes Mosaikbild von Ansichten. In dem 
Kapitel von den Lohnsätzen konnte man schon mit dem 16. Jahrhundert 
anfangen; im Stile spürt man die Hast der zum Ende eilenden Feder. 
Die Untertansverfassung zeigt uns in Lobositz noch mehrere Formen 
der Arbeit (z. B. auch die Fußrobot) sowie der außerordentlichen 
Abgaben (z. B. Devolutionsgelder) und der aus dem Titel der Patri- 
monialgerichtsbarkeit resultierenden Taxen (z. B. Laudemium) u. 8. w. 
Die Anmerkung auf S. 173 ist allgemein und gilt nicht für Lobositz. 
Das diesbezügliche Archivmaterial ist überhaupt dankbar und konnte 
viel mehr herangezogen werden (z. B. 6 Wy, auh6Gy,6G/f.u.a.) 

Man kann nur zustimmen, daß die Abteilung über die Jagd weniger 
berücksichtigt wurde, denn die dortige Forstwirtschaft war bald von 
minderer Wichtigkeit. Es ist aber sehr beachtenswert, daß der Name 
Lobosch-Lobositz eben von der Jagd herrührt; das zeigt, wie wildreich 
anst diese jetzt industrielle Gegend war. Dagegen müssen wir sehr 
bedauern, daß der Obst- und Weinbau, sowie der Elbe- 
handel und -Verkehr so stiefmütterlich behandelt er- 
scheint?), denn diese drei Gruppen sind eben das, was Lobositz 
charakterisiert und von anderen Gegenden unterscheidet; war ja 
später Lobositz und der dortige Hafen (nach Leitmeritz) für den nord- 
böhmischen Elbehandel und Verkehr mit Sachsen beinahe dasselbe, 
was jetzt Aussig ist. Das finden wir nicht genügend betont, der 
Anfang und die ältere Entwickelung dieser Wirtschaftszweige 
werden zu wenig berücksichtigt. Die Borstenvieh-, Geflügel- und 
Pferdezucht wird wenig und die Bienenzucht gar nicht berücksichtigt. 
Auch die Industrialien bieten nicht viel. Das Maß- und Münzwesen 
wird nach einer Arbeit vom Jahre 1873 geschildert, obgleich schon 


1) Das Wort „Ansässigkeit“ erscheint erst im 17. Jahrhundert und 
nicht früher. 

2) Zur Geschichte des Obstbaues finden wir manches in den Kataster- : 
karten — so z. B. topographische Namen der Dörfer und Grundstücke — 
«wie in der älteren Literatur (so z. B. Dorf Ruscholka = Birnbaum- 
garten u. s. w.) Zur älteren Weingeschichte liefert manches nicht nur 
VeseLy (1894), sondern auch das Urkundenmaterial. Die dortige Weinkultur 
«heint ihren Ursprung entweder dem Kloster Strahov (1148), oder Altzell 
11251) zu verdanken und wird schon im 13. Jahrhundert dokumentarisch 
erwähnt. 


184 Referate. 


viel neuere und bessere bestehen; infolgedessen erscheinen auch alle 
Überrechnungen problematisch und unsicher. Der Vorgang und die 
Entwicklung des Werkes ist nach bekannten Mustern logisch und gut. 
Der Umfang der einzelnen Kapitel läßt dagegen noch manches zu 
wünschen übrig; so z. B. auch in betreff der Untertanverfassung. 

Das Buch entstand auf Grund der Lobositzer Archivquellen; das 
ist sein großer Vorzug. Die Urkunden!) und Karten wurden aber wenig 
ausgentitzt (ebensowenig wie die alten Kirchenrechnungen, Stiftsbriefe 
und Inventarien), so daß die älteste und ältere Zeit ziemlich karg aus- 
geht. Von dem Ursprunge des Herrschaftsbetriebes erfahren wir fast 
gar nichts. Zu erwähnen wäre auch die Edition von EDUARD BEYER: 
Das Zisterzienserstift und Kloster Alt-Zelle in dem Bistum Meißen 
(Dresden 1855, 517—730). Die Rentrechnungen und tiberhaupt Rech- 
nungen (und mithin auch die eigentliche Darstellung) fangen erst vom | 
Jahre 1650 an, und gehen bis zum Jahre 1783; von den Nebenrech- 
nungen wurden auch neuere und ganz neue benützt. Auch die lokale 
Spezialliteratur wurde nicht genügend berücksichtigt. Es kämen noch 
in Betracht: J. LIPPERT, Sozialgeschichte Böhmens (I. u. II. Band, 1896 und 
1898) — zur Information; Mitteilungen des nordböhmischen Exkursions- 
klubs (besonders Av. KIRSCHNER: Geschichte der Schiffahrt auf der 
Elbe zwischen Leitmeritz und der Landesgrenze bis 1899, 1902, 25); 
die Schriften der K. K. Patriotisch-ökonomischen Gesellschaft in 
Böhmen, die Abhandlungen einer Privatgesellschaft (später Kgl. böhm. 
Gesellschaft der Wissenschaften zu Prag). Die Vorgänger der jetzigen 
wirtschafts- und agrargeschichtlichen Literatur?) nannten gern ihre 
Werke: Historisch-statistische Beschreibung, Historische Topographie etc. 
Hier wäre auch zu suchen. 

Der Hauptfehler dieser Arbeit besteht darin, daß der Statistiker den 
Geschichtsschreiber zuviel in Schatten gedrängt?) hat, sowie aus Mangel 
an der historischen und kartographischen Methode. Für ältere Zeiten, 
wo zifferische statistische Nachweise der Rechnungen fehlen, muß sich 
der Historiker mit der bloßen Sicherstellung der einfachen Tatsachen *) 
der Urkunden begnügen; die Ziffern sind übrigens nicht immer felsen- 
fest und richtig und manchmal sogar fingiert und unvoliständig. In- 
folgedessen bemerken wir hier eine häufige Vernachlässigung einer 
festen und bestimmten Chronologie. Die agrarisch-historische 
Lokalforschung erfordert außerdem eine strenge Induktion, und wo 
dies nicht möglich, oder wo breitere Vergleiche zur Schaffung eines 

1) Außer den im Archiv verwahrten Urkunden findet man solche: Regesta 
dipl. n. n. epist. Bohemiæ et Mor. I. (p. 562, Nov. 1215) bis IV.; Ces. Archiv 
(XVIII, 1900, 290) u. s. w. 

2) Auch z. B.: Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik (1902, 
XXIV, 177). 

ı ? Es geschieht oft; siehe z. B. diese „Vierteljahrschrift“, 1904, 1. Heft, 


4) Es ist bekannt, dass viele frühe und beachtenswerte Erscheinungen 
auf dem wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen Gebiete auch geographisch und 
kartographisch sichergestellt werden können. Das gilt besonders von der 
Kolonisationsgeschichte. 


Referate. 185 


reiteren Horizontes und zur | Aı gung gezogen werden 
ad allgemeinere Schilderungen s x n : dann muß das betont 
erden. Eben infolge dieses Many anıes 'ınduktiver Methode 
scheint oft eine irreführende Anaıogie, ja Anachronismus, oberfläch- 
the Verallgemeinerung!) oder Darstellung von fremden und 
ıtfernten Gebieten und Verhältnissen. Es fehlt eine strenge Unter- 
eheidung zwischen dem Allgemeinen und Speziellen. Das Mittel- 
ter ist ein wahres Mosaik, wo nur die Detail- und Spezialforschung 
olfen kann. Die Behauptungen des Autors sind nicht immer 
rehivalisch bestätigt. Das finden wir in der minder glücklichen Wahl 
er gedruckten Literatur, die wohl ftir Deutschland, aber weniger 
ir Österreich und Böhmen paßt, obwohl auch eine solche dort besteht. 
as bekannte Werk GRÜNBERGS schildert die Sache allgemein genug 
on oben herab; gilt das speziell für Lobositz, war es dort auch s0? 
iese methodischen Schattenseiten finden wir namentlich in dem ge- 
hichtlichen Überblick. So z. B. die Deduktionen auf 8. 21, 22 und 
3 sind nicht ganz richtig, weil die Urkunde vom Jahre 1248 von Lan 
nd micht von Hufen spricht und ungenügend?) übersetzt und ausgelegt 
urde. Auf 8. 22, 23 und 24 sehen wir einen zu kleinen kartographischen 
xkurs. Statt von Lobositz schreibt der Autor eigentlich mehr von 
eitmeritz (S. 36—39, 42, 44-—45), oder bringt ganz allgemeine (8. 25, 
3 und 30) und unbegrtindete Behauptungen vor und wird am Ende 
cht unwissenschaftlich unobjektiv, so daß er sich in spezialer 
orschung selbst dann widerlegen muß (S. 29 und 31, 33 und 34). 
as historische Bild Böhmens ist hier nicht ganz positiv und wird 
cht selten untibersichtlich, unorganisch und zerrissen. So z. B. auf 
‚34 und 35 (wir erfahren nur wenig von dem Lobositzer Elbehandel), 
gleich dieses Bild doch zusammenhängend verfolgt werden könnte. 
fir wollen in der Geschichte nicht nur statistische Tafeln, sondern 
ıch eine geschichtliche Entwicklung haben. Der Wirtschaftshistoriker 
il ebenso die statistische, als auch die geschichtliche und 
artographische Methode beherrschen. Kurz: so — mit einer 
lichen Vernachlässigung der historischen Kritik, Methode und Induktion 
- darf man eine Wirtschaftsgeschichte nicht schreiben. Doch — eine 
rstlingsarbeit. Wenn auch so manches unvollkommen ist, so bleibt 
e Wahl des Themas immerhin glücklich; der Stil ist hübsch, der 
ator viel belesen und mit manchen allgemeinen Literaturkenntnissen, 
e viel Anregendes bringen und einen hohen Standpunkt bezeugen, 
ısgestattet; auch viele Archivquellenstudien wurden an Ort und Stelle 
rgenommen?). Es ist ein schwieriges Thema, das nur wenige Vor- 

1) Diese gewisse Zuneigung zur phrasenbaften Verallgemeinerung finden 
ir fast in allen Teilen der Arbeit; ja auch in dem Kapitel von der vege- 
bilischen und animalischen Produktion (Obst- und Weinbau, Schweine-, Ge- 
igel- und Pferdezucht, von dem Grundbesitzwechsel und dem Maß- und 
ünzwesen, von den Handels- und Verkehrsbeziehungen mit Sachsen. (Von 
:itmeritz kann man das nachweisen; ob auch von Lobositz?) Am meisten 
it das von dem geschichtlichen Überblick. 

2) Die Wiedergabe von beiden Beilagen entspricht weniger den heutigen 
iitionsanforderungen. Die diplomatische Beschreibung der Urkunde vom 


186 Referate. 


r und Vorarbeiten aufw nkann; undankbar, weil sehr umfan 

und d nur von I« r ı d Detailbedeutung, dagegen se 

. W vi Fragen v btig und für das wirkliche Leb 
.1 


n AK G amtbild instruktiv, reich und sog 
t1 am u { mi en, sollte man das Werk vielme 
n D) zur ı „u te der Domäne Lobositz“ nenn 
(Loou— 1782 u it n sen wir auch eine Karte des t 
Û ı . Register und noch einige bess 

gewanite, or | 
Wit .( JOSEPH SALABA. 


Jahre 1248 fehlt; es ist nämlich ein einfaches Vidimus aus dem 16. Jal 
hundert. — Auch die Archivsignaturen vermissen wir ungern. 
1) In der Vorrede sagt er selbst, daß es unvollständig und nur e 
Voruntersuchung ist. Über die Notwendigkeit der Induktion siehe auf S. 5°— 
Daß in betreff der neuen Zeit (Raps-, Zuckerrüben-, Futter- und Hopfe 
bau u. 8. w.) auf die Vorarbeit hingewiesen wurde, kann man billigen; d 
Arbeit vom Jahre 1878 ist aber nicht besonders gelungen. 


Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren 
und Germanen und ihre sozialgeschichtliche Bedeutung. 
Von 
J. Peisker. 


Engere völkerschaftliche Beziehungen entstehen durch ein 
\ebeneinander- oder ein Miteinanderwohnen; naturgemäß ist das 
letztere so ziemlich immer, mit wenigen Ausnahmen, ein Über- 
einanderwohnen. Wir unterscheiden somit völkerschaftliche Be- 
ziehungen durch Nachbarschaft und Beziehungen durch Eroberung, 
durch Unterwerfung eines Volkes durch ein anderes Volk oder 
Gefolgschaft. 

Es ist kein Fall bekannt, daß ein germanisches Volk von 
einem slawischen dauernd unterjocht worden wäre, dagegen füllt 
ein geradezu ununterbrochener, fortschreitender und siegreicher 
Eroberungskampf des Germanentums auf slawischem Boden einen 
&rolen Teil, namentlich der mittelalterlichen Geschichte aus. 
Dai diese unaufhaltsame Sieghaftigkeit dem einen dieser beiden 
Völker so ausschließlich treu blieb, während dem andern Volke 
ein ebenso fortschreitendes Zurückweichen und eine hier mehr, 
dort weniger harte Unterwerfung und allmählicher Tod einzelner 
Teile beschieden war, kann gewiß nicht auf ein bloßes Kriegs- 
glück zurückgeführt werden, denn gar so fahnentreu ist bekanntlich 
die Kriegsgöttin nicht. Es müssen demnach noch andere, viel- 
£&taltige Vorbedingungen hier mitgewirkt haben, welche die 
Germanen so unwiderstehlich wehrhaft, die Slawen dagegen so 
ünsagbar widerstandsunfähig machten. Rein ethnischer Natur 
waren diese Vorbedingungen gewiß nicht, denn die Germanen 
find der Baltoslawen nahe Anverwandte; der Grund oder die 


Gründe müssen somit politischer Natur gewesen sein, die 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 13 


. 


188 J. Peisker 


Slawen müssen bereits vor ihrer ersten Unterwerfung durch Ge 
manen eine entsprechend lange Zeit unter derart ungünstig: 
politischen Verhältnissen gelebt haben, daß ihre Kräfte in sta: 
licher und gesellschaftlicher Beziehung ganz ausgesogen und : 
selbst geradezu mazeriert wurden, um schließlich zur Beute t: 
kräftiger, staatlich festgefügter Eroberer zu werden. Und au 
dort, wo sich einzelne Slawenvölker wieder aufrichteten, gesch: 
es, fast immer nachweislich, nicht durch eigene Aufraffung, sonde 
von außen her, durch Fremde. 

Welches sind nun die politischen Gründe, die dem Slawentu 
die Rolle, man könnte fast sagen von Parias aufzwangen, 1 
schließlich dessen Namen sogar zur Bezeichnung der härtest 
Knechtschaft zu erniedrigen ? 

Ein tieferer Blick in die älteste bekannte geographische La 
der Slawen und deren Nachbarschaft wird uns auf die Sp 
dieser politischen Gründe führen: 

Die ältesten bekannten Sitze der Slawen befanden sich : 
nähernd an beiden Seiten des mittleren Dniepr nach Westen u 
Nordwesten zu!); wie weit, ist für unsere Frage gleichgült 
Dort zählten sie in vorhistorischen Zeiten Kelten und Germar 
zu ihren westlichen Nachbarn, während im Südosten, am Pont 
unter anderen die eine iranische Sprache sprechenden Wand 
hirtenvölker der Skythen hausten. Dies beweisen die keltisch 
die altgermanischen und die medischen Lehnwörter in der : 
slawischen Sprache. 

Die bezeichneten Sitze der alten Slawen können eine z3 
reiche Bevölkerung reichlich nähren. Die zumeist langsam fließ 
den Gewässer dieser ausgedehnten Ländereien sind fischreich ı 
schiffbar, und auf dem festen Lande wechseln Sümpfe und Wies 
gründe mit trockenen, für den Ackerbau sehr geeigneten La; 
vielfach ab. Die Mannigfaltigkeit in der Bodenbeschaffen! 
bietet somit, trotz des rauheren Klimas, solche Vorbedingun; 
für einen lohnenden Feldbau einerseits und eine ertragrei 
Viehzucht andererseits, wie es in Germanien kaum günstiger sta 
Man sollte also glauben und glaubt es auch vielfach, daß 


1) L. NIEDERLE, Slovanské starozitnosti I., 1. V Praze 1902, S. 30, Ka 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 189 


wirtschaftliche Lage der alten Slawen nichts zu wünschen übrig 
ließ; denn je primitiver ein Volk, desto abhängiger ist es von 
den Eigenschaften seines Territoriums, und wenn dessen Klima 
und Bodenbeschaffenheit so günstig sind, wer sollte dann zweifeln, 
daß das Resultat in dem Volksdasein selbst ebenfalls günstig 
sein mußte. 

Und dennoch ist diese Schlußfolgerung falsch, denn sie ent- 
spricht den Tatsachen nicht. Welches sind diese Tatsachen ? 

Zunächst die, daß den Slawen für sehr alltägliche, ja, nach 
unseren Vorstellungen unentbehrliche Dinge teils ein eigener Aus- 
druck fehlt, teils der eigene nicht ausreicht. Bezeichnungen für 
Rind (skotz, n#uta), für Nutzmilch (m/e%o), für Pflug (Plugs) und 
neles andere sind aus dem Altgermanischen, für geronnene Milch 
(twarogs) aus dem Turkotatarischen entlehnt. Wäre dies denkbar, 
wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der alten Slawen von 
aulen unbehelligt, der günstigen Bodenbeschaffenheit gemäß ent- 
wickelt hätten? Gewiß nicht! Andererseits war jedoch die Boden- 
natur selbst so freigebig, daß es voreilig wäre, anzunehmen, die 
alten Slawen hätten nur deswegen, weil ihre Ausdrücke für Rind, 
für Nutzmilch, für Pflug und manches andere zum großen Teil 
germanische Lehnwörter sind, erst durch die Germanen Viehzucht 
ind Ackerbau kennen gelernt und bis dahin, von allem Anfange 
a, man weiß wirklich nicht, wovon gelebt. Kennt ja schon 
HERoDoT in jenen Gegenden Völker, die Ackerbau trieben, indem 
er im vierten Buche seiner Geschichte unter anderen die Zxu3a 
drises und Zxuder yewgyot anführt und hinzufügt, die ersteren 
bauen Getreide, nicht zur Nahrung, sondern zum Verkaufe!). 

Man sieht, das Rätsel wird durch Herodots Bericht noch 
schwieriger, und fast wäre man geneigt anzunehmen, die Übernahme 
der angeführten Lehnwörter sei rein zufällig und ohne wirtschafts- 
geschichtliche Bedeutung, wenn nicht eine, wenn auch viel spätere 
Nachricht vorläge, welche den fraglichen Lehnwörtern erst recht 





1) Hgropor IV, 17f. Daß sie von dem Getreide, welches sie selbst an- 
gebaut, nicht auch genossen hätten, ist wenig glaubhaft; daß sie jedoch 
damit Handel trieben, kann nicht bezweifelt werden, denn eben die griechischen 
Städte am Pontus und dem Asowschen Meere, die HERODOT besuchte, waren 
Abnehmer dieses Getreides. 


190 J. Peisker 


ein scharfes Relief verleiht. Es ist dies eine Nachricht des byzan- 
tinischen Kaisers Konstantin Porphyrogennetos, der in seiner im 
Jahre 952 verfaßten Schrift „über die Staatsverwaltung“ von den 
Russen folgendes sagt: 

Den Russen sind die Petschenegen Nachbarn und angrenzend, 
und oft, wenn sie miteinander nicht im Frieden leben, plündern 
sie Rußland und schädigen und verwüsten es gewaltig. Di 
Russen sind bestrebt, mit den Petschenegen im Frieden zu leben, 
denn sie kaufen von ihnen Rindvieh, Pferde und Schafe, und 
auf diese Weise leben sie leichter und üppiger, indem beı 
ihnen keines von diesen Tieren vorkommt\). 

Dieses hochbedeutsame Zeugnis darf nicht länger unbeachtet 
bleiben, wie es bis jetzt geschehen, und zwar auch dann nicht, 
wenn es sich, wie anzunehmen, nicht mehr auf das ganze slawische 
Russenvolk, sondern bloß auf die den Petschenegen benach- 
barten, südrussischen Gebietsteile beziehen sollte. Es auf die 
warägischen Beherrscher der russischen Slawen zu beziehen, 
geht nicht an, denn eine ausgedehnte Viehzucht der germanischen 
Skandinavier kann nicht angefochten werden. Diese den herrschen 
den Warägern abzusprechen, dagegen ihren unterworfenen Slawe! 
zuzugeben, wäre absurd. 

KONSTANTINS Angabe besagt ja genau dasselbe, was die be 


1) "Ort xal voiç "Püg ol Harkıvaxiar yeitoves xal önopor Kadtscthausı, %! 
route, Otay aM npös AANNAoug elpnvebouor, npardedoug: nv "Pootav x: 
lxavüç adthy napaßAdrtovucı al Aupalvovrat, 

Erı nal ol 'Püg dr anovdng Exovorv slpnvny Exerv nera Tüv MHarlıvaxıza 
&yopäatouar yap 2E abt@v Bdas al Inroug xal npößara, al dx Tobtov ehnap 
otepov Btalüar xal Tpupepwtspov, änsel unôëèv TÜV Tposıpnnevov Cowv dv 1 
"Poolg xadéotnxev. KONSTANTIN PORPHYROGENNETOS, De administrant 
imperio, cap. II. Ausgabe Bonn, 1840, S. 69 im Corpus scriptorum histori: 
Byzantinae. Koxsrt. PORPHYR. vol. II. 

Wie weit man KONSTANTINS Nachricht mißverstehen kann, zeigt d 
Erklärung von UspEnsKkıs: Der russische Norden komme mit seiner Vie 
zucht nicht aus und müsse seinen Mehrbedarf aus dem Süden beziehe 
Yenenckif, Pycp u BusanTis BB X. BBKB. S. 10, zitiert bei LASKIN : Counnen 
KoacrauTaxa BatpaHoponHaro: „O demaxp“ (de thematibus) m ,0 Haporax1 
(de administrando imperio). S. 66, Anm., in den YreHuisa Bp HMn. O6mectTE 
Hertopiu x IpesnocteA PocciAckixb npn MOCKOBCKOMB Y HHBepcHTert. 1899. 
(der ganzen Reihe CLXXXVIH). Mocksa, 1899. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 191 


wußten germanischen Lehnwörter kundgeben, und indem diese Lehn- 
wörter vielleicht tausend Jahre und darüber älter sind als die Nach- 
rieht KONSTANTINS, so erhellt daraus, daß zunächst der durch diese 
zwei so lapidaren Belege bezeugte Mangel an Viehzucht ein die 
alten Slawen charakterisierender Zustand gewesen ist, welcher 
entweder ungezählte Jahrhunderte anhielt oder aber — und dies 
liegt naher — nach kurzen oder langen Unterbrechungen immer 
von neuem aufkam. 

Ein so gänzlicher Mangel an Viehzucht entspricht indes den 
Bodenverhältnissen jener Gegenden nicht, denn sowohl die Skythen 
as auch die Goten, die Hunnen und alle die nachfolgenden 
Völker, welche diese Slawengebiete beherrschten und sich dort 
aufhielten, waren Viehzüchter. Wenn es nun bei den Slawen 
anders stand, so ist für diesen Zustand kein anderer als der 
Grund zu finden, daß die Slawen an einer Viehzucht durch 
andere Völker anhaltend gehindert wurden. 

Wer konnte nun ein Interesse daran haben, daß die Slawen 
keine Viehzucht besitzen? Wohl nur einer, welcher selbst in 
der Lage war, auf demselben Gebiete Viehzucht zu treiben, und 
zugleich genug Macht besaß, die Weiden ausschließlich für seine 
eigenen Herden in Beschlag zu nehmen, überdies jedes er- 
reichbare fremde Vieh zu rauben und so dem Unter- 
worfenen und auch dem durch Einfälle systematisch 
heimgesuchten Nachbarn jedwede Viehzucht unmög- 
lich zu machen. 

Solche Gelüste sind jedem Reiternomadenvolke eigen, 
nur das Maß seines Könnens bringt Unterschiede in dem Erfolge. 
Und Reiternomaden hausten mit seltenen Unterbrechungen seit 
jeher in den Steppen Südrußlands, von wo aus sie nicht nur die 
Slawen fortgesetzt brandschatzten und versklavten, sondern 
wiederholt auch viel weiter nach Westen und Südwesten, ja auch 
üach Südosten, Iran und Indien, vordrangen. 

Ein entsetzlicheres Schicksal kann man sich gar nicht denken, 
als das der Slawen war, welchen Sitze in der unmittelbaren Nach- 
harschaft der großen Steppe zuteil wurden, dem ständigen Tummel- 
platze wilder Nomadenhorden. Diesen waren sie auf Gnade und 
Ungnade ausgeliefert, aus deren Klauen keine Rettung winkte; 


192 J. Peisker 


und kaum hat sich ein Schwarm halbwegs abgenützt un 
ruhigt, als ein neuer Sturm aus Zentralasien losging und 
der Blitz einschlug, alles um sich her hinwegfegend, vernich 
Und man wird die uns so befremdenden sozialen 
wirtschaftlichen Zustände der alten Slawen n 
verstehen, solange man nicht deren Verhältniszu 
herrschenden Nomaden auf das allergenaueste 1 
gestellt hat. Anhaltspunkte sind reichlich vorhanden, 
die Slawen waren nicht die einzigen Nomadenknechte, sie h 
Leidensgenossen, namentlich unter den Iraniern, am Südr 
der zentralasiatischen Salzsteppe, dem Brutneste des R 
nomadentums überhaupt, durch welches so viel Elend über : 
und Europa gekommen ist. 

Dort, in Zentralasien, dauerten dieselben sozial- und 
schaftsgeschichtlichen, von Reiternomaden geschaffenen Zust 
bis zu unseren Zeiten, bis zu den Tagen Skobelevs, welche 
Gök-Tepe die letzten Schlupfwinkel dieses Weltunheils zers 

Mit der russischen Eroberung ging auch die wissenschaf 
Durchforschung Turkestans Hand in Hand; sie bildet b 
eine ganze Literatur. Die beste Darstellung verdanken wiı 
Arbeiten deslivländischen Naturforschers und Landwirts ALEXA 
v. MIDDENDORFF über Ferghana'), das einstige Chanat von Chol 
welches im Jahre 1876 dem russischen Reiche einverleibt w 
Am südlichen Rande der großen Horde der Kirgisen gel 
war dieses von iranischen Tadschiks bewohnte Gebiet sei 
denklichen Zeiten den benachbarten turkotatarischen Reiternon 
preisgegeben; hier war die Zweischichtung immer zü H 

„Der stets nur Feldbau treibende Tadschik — schreibt Mıı 
DORFF — steht... . als Ackerbauer immer dem Viehzucht 
benden Nomaden türkischen Stammes gegenüber, und deı 
hat eine, von höherem Gesichtspunkte dareinschauende S: 
wirtschaft diese beiden Gegensätze nur als zwei, zwar 
heterogene, aber nichtsdestoweniger sich mit unumgäng! 
Notwendigkeit ergänzende Bestandteile derselben Einheit, 


1) A.v. MIDDENDORFF, Einblikke in das Ferghana-Thal, in den Mém 
de l’Académie Imp. des Sciences de St.-P6tersbourg, VII" ser. Tome ! 
Nr. 1, 1881. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 193 


Landwirtschaftsbetriebes jener Gegenden aufzufassen. China, 
Japan, Persien, der Kaukasus, Italien, kurz alle durch Bewässe- 
rugen sich hervortuende Gegenden bieten uns übrigens dieselbe 
Eigentümlichkeit dar; denn sie ist durch die natürlichen Ver- 
hältnisse bedingt: Zentrale Depekoration und zentrale Vegetarianer, 
umgeben von Hirten, die fast ausschließlich Fleischnahrung ver- 
ehren . . .“)). 

Letzteres ist ein befremdlicher Irrtum, der Wanderhirt ist 
entschiedener Galaktophage, Milchesser. Er schlachtet, wenn 
er nicht besonders herdenreich ist, nur selten ohne Not?), sich 
mt dem begnügend, was umfällt. „Im Sommer haben die Kal- 
mücken — berichtet PALLAS — bei ihren zahlreichen Herden an 
Mich einen Überfluß, und selbige macht alsdenn auch einen 
Hauptteil ihrer Nahrung aus ... Im Sommer fehlt es ihnen zur 
Speise niemals an Fleisch, welches sie teils durch die Jagd, teils 
von ihrem verunglückten oder verreckten Vieh alsdenn im Über- 
fui bekommen. Eignes Vieh aber ohne Not zu schlachten, ist 
außer bei Reichen und Vornehmen oder bei großen Lustbarkeiten 
etwas Ungewöhnliches“ ?); ferner geht MIDDENDORFF zu weit, 
wenn er den ferghanischen Dualismus in der Lebensweise als 
wumgängliche Notwendigkeit darstellt, wie wir sie in Italien, 
China, Japan und anderwärts vorfinden; denn in China, Japan 
ist der Vegetarismus nicht durch Zwang seitens einer herrschen- 
den Nomadenschicht entstanden, sondern durch Übervölkerung 
der bäuerlichen Gebietsteile und den dadurch verursachten Mangel 
an Weide, welcher eine milchspendende Viehzucht ausschließt. 
Auf großen Gebieten Chinas z. B. sitzen die Menschen so dicht 
beisammen, daß sogar der Ackerbau aufhören und dem inten- 
sivsten Gartenbau weichen mußte; dies geht so weit, daß ein 
Exkrement zu einer Kostbarkeit und der Wanderer angebettelt 
wird, nicht weiter zu ziehen, bevor er Kot gelassen. Nutz- 
Milch ist sodann eine unbekannte Sache und auf den Märkten 





l)A. a. O. 3. 263. 

2) RICHARD HILDEBRAND, Recht und Sitte. Jena 1896, S.28 ff. — Über 
Milch als Speise siehe VAMBÉRY, Das Türkenvolk. Leipzig 1885, S. 208 ff. 

3) PALLAS, Reise durch verschiedene Provinzen des russischen Reichs. 
L St Petersburg 1771, S. 314, 319. 


194 J. Peisker 


höchstens nur Frauenmilch, als Ersatz für Mutter- oder Ammen- 
milch erhältlich!). Das einzige Schlachtvieh ist hier Schwein 
und Hund. Auch der Vegetarismus einzelner italienischen Gebiete 
kann nicht auf den Einfluß des Wanderhirtentums zurückgeführ 
werden, hier hängt er mit dem leidigen Kolonate zusammen: dit 
Pächter kleiner Hofstellen können hier kein Vieh halten, wei 
das spärliche Grasland dem Grundherrn vorbehalten ist. 

Der Dualismus Ferghanas kann somit mit den Zustände 
Chinas und Italiens nicht verglichen werden, und es ist anzu 
nehmen, daß, wenn die herrschende Hirtenschicht in Ferghan 
zu einer gewissen Bändigung gelangt wäre, sich die Verhältnis: 
etwa wie auf der Balkanhalbinsel entwickelt hätten, wo nebe 
der nichtherrschenden galaktophagen wlachischen Schafwande 
hirtenschicht, eine auch Hausvieh-, namentlich Rinderzuc 
treibende Bauernschicht besteht. Allein die schrecklichen Wüste 
Turkestans schütteten immer neue, frischwilde Nomadenhorde 
aus, die jedes sich etwa bildende friedliche Gleichgewic 
zwischen Hirt und Bauer gleich im Ansatze zerstörten. Und : 
paßt wörtlich auch auf Ferghana Konstantins des Purpurgeborene 
Bericht über die Russen, denn auch der Tadschik züchtet ke 
Vieh, und will er welches haben, dann muß er es von de 
Nomaden erwerben. 

„Sehr bezeichnend — berichtet weiter MIDDENDORFF — f 
die Ausschließlichkeit, mit welcher der Tadschik nur Ackerbau 
ist und seine Ergänzung im Nomaden sucht und findet, ist d 
Umstand, daß ich es nur als Sage anführen kann, es gäbe irgen 
wo einen Tadschik, der Herden weide, wobei aber sogleich hinz 
gefügt wurde, daß seine Viehzucht, gleichsam selbstverständlic 
sich auf Schafe beschränke“ *). 

„Eine der interessantesten Erscheinungen in Ferghana bie! 
die sonderbare Ineinanderzwickung der intensivsten Kultur u: 
des Primitivzustandes nomadischen Zelt- und Hirtenlebens. H 
man daheim an der Hand der Geschichte den Gang der Geschic! 


1) MARTIN, L’alimentation en Chine. BULLETIN de la Société d’acı 
matisation 1872, S. 609, zitiert bei RUDOLF Dvoräk, Z éinské domäcno: 
V Praze 1891, S. 26. 

2) MIDDENDORFF, a. a. OÖ. S. 268. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 195 


satttam verfolgt und in Erfahrung gebracht, wie seit langen 
Jahrhunderten mongolisch-türkische Völkerschaften in steter Auf- 
einanderfolge die iranischen Tadschik unterjocht; wie in letzter 
Instanz die indolenten, aber raublustigen Usbeken . . . ihr Joch 
den betriebsamen Iranern (Tadschik und Sarten) aufgezwängt und 
sie bis zur letzten Stunde gebrandschatzt, so vermag man es 
anfangs kaum zu fassen, daß die Scharen früherer Herrscher mit 
einem Schlage in Nichtigkeit dahingesunken sind und man nur 
zweierlei himmelweit voneinander abstehende Entwickelungs- 
zıstände des Hauswesens in kaum glaublicher Weise in- und 
durcheinander verschlungen vor sich sieht. Und das merk- 
wirdigste ist, daß der frühere Herrscher in entschieden unter- 
geordneter Stellung neben seinem früheren Sklaven, dem Iraner, 
erscheint.“ 

„Den Ausdruck Sklave mag man vielleicht an diesem Orte 
unpassend finden; er dürfte es aber wohl nur insofern sein, als 
die wirkliche Sklaverei mit Einschluß des Sklavenverkaufes auf 
offenem Markte, in Mittelasien mit dem Einzuge der Russen auf- 
hörte. Beachten wir aber, daß es ein nur zu wahres Wort ist, 
eg rege sich mit den Anfängen der Seßhaftigkeit und des Acker- 
baues auch das Verlangen nach Sklavenarbeit, welche in ihrem 
Gefolge stets Willkürherrschaft nach sich ziehe, so bleibt es Tat- 
sache, daß die Iraner Ferghanas, fort und fort aus einer Hand 
in die andere übergehend, im Schweiße ihres Angesichts Kanäle 
gegraben, Felder bebaut, hunderterlei Künste geübt, um ihren 
Uberwindern nach deren Belieben den Löwenanteil zu zollen. 
Diese setzten wohl Herrscher nebst Trabanten über die Üher- 
wundenen hin, aber das waren nur Einzelne, welche im Voll- 
gefühle ihrer unbeschränkten Gewalt den Schwelgereien und 
Simengelüsten sich ergaben, während die Masse der siegreichen 
\omaden dem gewohnten Treiben nicht zu entsagen vermochte. 
Unwiderstehlich zog sie der Drang der angeborenen Gewohn- 
heiten zu der freien Luft der Alpenmatten, der hochebenen Steppen 
hinauf, sobald die Boten des Frühjahrs sich einstellten. Ja nur 
tin Teil der Nomaden kehrte zum Winter in die Umgebungen 
der interworfenen besiedelten Orte zurück“ !). 


A. a. 0. 8. 827 f. 


196 J. Peisker 


Ebenso VAMBÉRY: „Dort, wo Nomaden auf unabsehbare 
wüsten Steppen in der unmittelbaren Nähe eines zivilisiert 
Landes sich befinden, dort ist Raub und Sklaverei immer me 
oder weniger unvermeidlich. Die wüste, arme und nackte Nat 
hat ihre Kinder mit einer unbändigen Lust zu Abenteuern u! 
überlegenen physischen Kräften ausgerüstet; was der dürre Bod 
ihrer Heimat ihnen versagt, das müssen sie bei ihren mehr g 
segneten Nachbarn suchen. Der Verkehr geschieht nur selt 
auf freundlichem Wege, und da der beraubte und hart m 
genommene friedliche Ackerbauer den gutberittenen Nomad 
über die Grenze der spurlosen Sandfelder nicht verfolgen ka 
und es auch nicht wagt, so kann letzterer, geschützt vom Bo 
werk seines heimatlichen Terrains, seinen räuberischen Vergn 
gungen ganz ungestraft nachhängen. In dieser unglücklichen La 
befanden sich früher die Städte am Rande der Sahara und d 
Wüste Arabiens; in letzterer sind noch heute die Karawanen d 
größten Gefahren ausgesetzt, und Persien muß dieses Elend ı 
um so größerer Wucht empfinden, da die an seiner Nordgren 
befindlichen Wüsten die ausgedehntesten und schrecklichst: 
deren Einwohner aber auch die wildesten aller Nomaden sind“ ?). 

Was ist das, ein Wanderhirt, ein Reiternomade? Was zwa 
den Nomaden, es zu werden? Wo und wovon lebt er, und warı 
lebt er so? Muß er so leben und nicht anders? 

Er ist der Sohn und Produkt der ganz eigentümlichen Sa 
steppen und Salzwüsten Zentralasiens. Diese bestehen aus eir 
Reihe von sehr flachen Senkungen, in denen die Wassernied: 
schläge entweder von dem Boden bald aufgesogen werden oc 
zu einem Sumpfe oder Salzsee zusammenfließen, welche im So 
mer austrocknen. Der Steppenboden ist nicht gleichmäßig: « 
Lößsteppe mit lockerer, sehr fruchtbarer Erde, die Sandwü: 
mit feinem, unfruchtbarem Sande, die Kiessteppe mit spärlich« 
Graswuchs und die Stein- oder Schuttsteppe, der Vegetati 
günstig?). Das Klima ist unausgeglichen. Im Winter weht ı 


1) VÄMBERY, Skizzen aus Mittelasien. Leipzig 1868, S. 162. 

2) Über die Entstehung und den Charakter der turkestanischen Wüst( 
region siehe FRANZ v. SCHWARZ, Sintfluth und Völkerwanderungen. Stu 
gart 1894, S. 492 ff. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 197 


wochenlang von Nordwesten her ein kaum erträglicher Sturm- 
wind, der den lockern Schnee aufwirbelt. Dieser bleibt ge- 
wöhnlich nicht lange liegen, fällt jedoch auch noch anfangs Juni, 
worauf plötzlich der heiße Sommer mit der großen Dürre eintritt. 
Ebenso schroff ist auch der Übergang zum Winter, denn einen 
Frühling und Herbst gibt es nicht. 

Irgendein Ackerbau ist hier, der sommerlichen Trockenheit 
wegen, ohne künstliche Bewässerung unmöglich, und auch die 
Tierwelt findet eine ganze Hälfte des Jahres, den Sommer über, 
keine Nahrung. Sobald das Gras anfängt zu verdorren, entsteht 
eine allgemeine Flucht von Tier und Mensch, und sie muß recht- 
zeitig ergriffen werden, um schnell genug Orte mit hinreichender 
Weide zu erreichen, zum größeren Teil in den weiten Norden, 
auf ungeheure Entfernungen. Hier liegen die Sommerweiden, 
und wenn diese im Herbst durch Verschneiung versagen, dann 
heißt es, den Rückzug in die Winterquartiere der Lößsteppe und 
der Salzwüste antreten. Die westturkestanische Steppe 
ınd Wüste bildet somit — im Gegensatze zu Ostturkestan — 
erstim Zusammenhange mit den angrenzenden nôrd- 
lichen, sibirischen Gebieten die nötige Verbindung 
zn einem, wenn auch überaus harten Dasein für 
Mensch und Tier und schafft mit Ostturkestan zu- 
sammen den Zustand des Wanderhirtentums, welches 
zugleich ein Reiternomadentum ist, denn ein Wagen 
wäre auf den pfadlosen Wanderungen über Berg und Tal, über 
Fluß und Sumpf ein Ding der Unmöglichkeit, und alles Hab und 
Gut kann nur auf dem Rücken von Saumtieren vorwärtsgebracht 
werden. 

Das strenge Reiternomadentum kennt keine Rinderzucht. Das 
Rind verdurstet bald, es ist nicht schnellfüßig und ausdauernd 
renug, um die ungeheuren Wanderungen mitmachen zu können; 
8 ginge an Erschöpfung zugrunde, bevor es im Frühjahr die 
Sonmerweiden und im Herbst die Winterquartiere erreicht haben 
Würde. Auch bietet ihm die Steppe für den Winter keine ent- 
‘prechende Nahrung, und der Hirt hätte keinen besonderen Nutzen, 
weil das wandernde Rind keine oder wenig Milch gibt und als 
Tragtier dem Pferd und Kamel an der unerläßlichen Schnelligkeit 


198 J. Peisker 


bedeutend nachsteht. Das eigentliche Zucht- und Nährtier d 
zentralasiatischen Nomaden ist das Schaf und neben ihm das Pfer 

Gleichwie das Kamel auf vereinzeltes, garstiges Dorne 
gesträuch der Salz- und Sandwüsten, das der Mensch nicht t 
rühren kann, ohne sich zu verwunden, angewiesen ist, so d 
Schaf auf die unscheinbaren Grashalme, auf die Salzkräut 
die Artemisien [Wermutpflanzen] und das Blattwerk des mind 
bewaffneten Krüppelgestrüppes auch dort, wo die Salzwüste ihr 
Wüstencharakter am ausgeprägtesten darbietet, und wo man | 
flüchtiger Umschau keine Vegetation auf der glitzernden Sa 
kruste sieht, sich wundern muß und es kaum begreifen kaı 
wie sich das Schaf zum Beispiel in der öden, wasserlos 
Karakumwüste [südöstlich vom Aralsee] nährt und gar fett wi 
wenn eben nicht überall das Salz sichtbar würde. Als Weid 
haben nämlich die Salzwüsten für die Viehzucht eine hervorragen 
Bedeutung, im Gegensatze zu den Kieswüsten. Selbst dort, ' 
sie nicht reicher mit Kräutern bestanden sind als diese, ze 
sich die unvergleichlich wirksamere Nährkraft ihrer Pflanzen 
dem Zustande des Viehes, welches, im ausgehungerten Zustan 
zur Frühjahrszeit auf die scheinbar von jeglicher Vegetation e 
blößten Salzflächen aufgetrieben, in wenigen Tagen auflebt. Oh 
Salz gibt es eben keine gedeihliche Schafzucht '). 

Dies alles gilt nur vom Herbst, Winter und Frühling, währe 
in der warmen Jahreszeit das Schafvieh auf den weitentfernt 
Sommerweiden des Salzes entbehren muß. Dieses Wechselleb 
zieht oft schwere Folgen nach sich, welchen vor allen andeı 
Gewerben das lebende Kapital des Hirten, zumal unter d: 
Einflusse kontinentaler klimatischer Gegensätze, unterworfen i 
Hiezu tritt die Sorglosigkeit, mit welcher der primitive Mens 
nur dem Augenblicke lebt, auf die unmittelbare Zukunft ; 


1) MIDDENDORFF, a. a. O. 8.27, 289. Daher steigen die Kirgisen Eı 
Juli von den Vorbergen des Alatau herab, um das inzwischen gereifte ( 
treide einzusammeln und das Vieh die auf dem Salzboden wachsenden Kräu 
abweiden zu lassen. Sie behaupten, daß die Gräser auf den Bergen w 
nahrhaft, aber allzu süßwasserhaltig seien, und daß das Vieh zum Gedeil 
der ergänzenden salzhaltigen Kräuter bedürfe. ALEX. PETZHOLDT, Umsct 
im russischen Turkestan. Leipzig 1877, S. 306. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 199 


nicht bedacht ist, weder sich selbst, noch seinem Vieh Vorräte 
sammelt. Sein Schaf, sein Pferd, sein Kamel müssen sich die 
Asung nötigenfalls aus dem Schnee selbst herausscharren, 
mag die Schneeschicht noch so hoch sein; bleibt der Schnee 
immer hinreichend schütter, dann frettet sich das Vieh immer 
noch den Winter durch, wenn auch erschöpft und bis an die 
Knochen abgemagert; aber wehe auch dem reichsten Herden- 
besitzer, wenn Glatteis eintritt und das Vieh sich das spärliche 
Futter nicht herausscharren kann; dann folgt ein massenhaftes 
Sterben, und der Wanderhirt erlebt noch unvergleichlich Schlim- 
meres, als ihm jemals die schrecklichen Geißeln: die Viehpest 
und die Beulenseuche, verursachen können. Gestern noch ein 
hochmögender Krösus, heute ein Bettler, dem Verhungern preis- 
gegeben, nicht einmal imstande, sich von der Stätte des Schreckens 
zu füchten, denn ohne zahlreiches Lastvieh kann er die weite 
Wanderung nicht antreten '). 

Was bleibt ihm dann übrig? Sich in die Knechtschaft eines 
glücklicheren Genossen zu begeben, den das Viehsterben nicht 
80 hart mitgenommen hat, und Hirtenknecht zu werden, oder 
auf Wucherzinsen von seinem Nachbar neues Vieh aufzunehmen, 
oder aber irgendwo am Rande der Steppe, an einem Wasserlaufe 
Ackerbau anzufangen, ein Comru, Elender, zu werden, verachtet 
von seinem Nachbar, den er vielleicht noch gestern an Reichtum 
ind Ansehen überragt hatte. Denn als das schwerste Unglück 
und Erniedrigung fühlt es der Sohn der freien Natur, wenn er 
im Schweiße seines Angesichtes den Boden bearbeiten soll, und 
Solange kein Unheil über seine Herden vernichtend hinweg 
geschritten und ihn nicht vollständig niedergeschmettert hat, ergibt 
er sich nicht in das schreckliche Schicksal, das Mohammed ge- 
ächtet und verflucht hat mit den Worten: ‚wo nur dieses Werk- 
ug [der Pflug] hindrang, hat es stets Knechtschaft und 
Schande mit sich geführt“. 

Die Züge der Reiternomaden von den Sommerweiden zu 
den Winterquartieren und umgekehrt pflegt man sich als eine 
imbervagierende Wanderung vorzustellen. Diese Vorstellung 


—__ 





1) MIDDENDORr, a. a. O. S. 263. 


200 J. Peisker 


— setzt MIDDENDORFF fort — ist durchaus unrichtig; denn nicht 
einmal der Urjäger paßt in die Kategorie der Vagierenden, weil 
selbst das Wild, auf das er angewiesen ist, nicht bewußtlos in 
der Urnatur umherirrt, sondern seine bestimmten Reviere kennt, 
innerhalb deren es seinen bestimmten Kreislauf zurücklegt, 
den ihm der Wechsel der Tages- und der Jahreszeiten anweist; 
er wandert wohl über unermeßliche Strecken hin und zurück, 
jedoch immer wieder, hüben wie drüben, zu den althergebrachten 
Standörtern strebend. 

Genau ebenso der Reiternomade, der Wanderhirt. Der 
europäische Landwirt darf dessen Treiben nicht anders als eine 
regelmäßige Wechselwirtschaft betrachten, eine Wechselwirtschaft, 
welche sich über unermeßliche Wanderungsfelder erstreckt. Die 
Kirgisen, welche MIDDENDORFF zu Ende des Winters am Aralsee, 
am unteren Laufe des Syrdarja traf, wo ihre Herden den Boden 
förmlich niedergetrampelt hatten, fand er wenige Monate später 
bei seiner Rückreise nicht mehr vor. Alles war öde, menscher- 
und tierleer. Die mißhandelte Natur suchte sich zu erholen, 
hie und da Pflanzen ansetzend oder aus alten Wurzelstöcken 
Schosse treibend.. Wo war das frühere Gewimmel geblieben? 
Das tummelte sich 10 Breitegrade, also mit Rücksicht auf die 
Zickzackbewegung mehr als anderthalbtausend Kilometer nörd- 
licher, in den Steppen von Troick und Omsk, brachte Monate 
zu auf der Wanderung dorthin, Monate auf der Wanderung zu- 
rück, macht im ganzen einen Weg von mehr als dreitausend 
Kilometern aus! Selten bleibt das Zelt über zwei Wochen, 
manchmal auch nur einen Tag oder einen halben auf demselben 
Platze. Zu jeder Jahreszeit will im Durchwandern derselbe, seit 
Urzeiten her bezogene Weidegrund aufgesucht sein. Sorgsam 
werden für den Winter besondere Weidegründe zu Scharr- 
futter unberührt erhalten. Nur große politische Erschütte- 
rungen reißen Lücken ein, drängen fort aus dem gewohnten Ge- 
leise oder eröffnen Breschen, in welche hineingerückt werden 
kann. So leer es oft auch aussieht, die Gegend ist dennoch 
besetzt, bloß zu einer anderen Zeit besucht und etwa unserem 
Brachacker vergleichbar. Wenn die einzelne Jägerfamilie des 
Nordens, um leben zu können, viele Quadratwerste umfassen 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotatoren etc. 201 


uß, so gehört in der Steppenwüste wohl auch eine Quadratwerst 
ar Lieferung des Jahresbedarfs für jedes Haupt Vieh, denn im 
lübenden Sommer verdorrt rasch alle Vegetation. Besser nährt 
er Winter, wenn es nicht Glatteis setzt. 

Wie in den Steppen der aralkaspischen Senkung, so auch ver- 
ält es sich mit den Kirgisen Ferghanas, nur daß diese außer 
ler horizontalen Verschiebung sich auch noch um 3000 Meter 
rheben oder senken. Diese haben den Vorteil dichtberaster 
Vorberge, immergrüner, saftiger Alpenmatten und endloser Hoch- 
teppen für sich ... Auch darin sind die südlichen Gebirgskirgisen 
in Vorteile, daß ihre Wintersitze sich mehr verteilen, denn die 
einen ziehen zum Winter talwärts, dem Schnee in die Vor- 
berge und endlich in die Schilfdickichte und Salzwüste weichend ; 
uterdessen die anderen hinaufrücken, in den schneearmen Hoch- 
ebenen des „Rückens der Welt“ das bessere Winterfutter suchend, 
dort, wo die massige Erhebung des Erdgerüstes die mächtigsten 
Grate Mittelasiens [Karakorum, Himalaya und Thien-Schan] zu- 
sammengeschmiedet hat. Oder sie ziehen zu den Steppen des 
Alaj-Tales hinauf, wo in der Höhe von 2600 Meter ausgedehnter 
Ackerbau von ihnen betrieben wird, hoch über den letzten 
Ansiedlungen, welche auf 1400 Meter stehen bleiben. Im Früh- 
jahr suchen sie in den schrofieren Gebirgsketten die steilen, 
sonnenbeschienenen Felsgehänge auf, zumal Tonschieferwände, 
welche sich am frühesten vom Schnee entblößen; das Vieh vor 
lem Hungertode errettend '). 

Dies ist der höchste Getreidebau der Welt, in 2600 Meter 
löhe. Angebaut wird Sommerweizen, Hirse und Gerste, und zwar 
lurch Arbeiter oder Sklaven, während der Nomade noch höhere 
tegionen beweidet. Erst nach seiner Rückkehr im Herbste wird 
bgeerntet‘). ' 

ALEXANDER V. MIDDENDORFF deckt hier die für das Auge 
ines Sprach- oder Geschichtsforschers kaum sichtbaren Zu- 
ammenhänge zwischen Salzwüste und dem berittenen Schafwander- 
irtentum mit dankenswerter Klarheit auf, und es ist noch der 
rage nachzugehen, ob auch irgendein Zusammenhang zwischen 


1) A. a. O. S. 329f. Näheres darüber bei ALEX. PETZHOLDT, 9. 317 ff. 
2) PETZHOLDT, a. a. O. S. 320. 


202 J. Peisker 


dem Schafwanderhirtentum und den turkotatarischen Völkern be- 
steht, ob nämlich die Turkotataren bereits als Schafwanderhirten 
in die Salzsteppe eingebrochen oder aber erst dort zu solchen 
geworden sind. 

Aufklärend für diese Frage sind die Forschungen VANMBERTE. 
Dieser merkwürdige Mann hat, als Bettelderwisch verkleidet 
und mit einem seltenen Sprachentalent ausgestattet, diese schreck- 
lichen Steppen und Wüsten noch vor der russischen Eroberung 
durchwandert und den turkotatarischen Sprachschatz kritisch 
zergliedert. Er fand, daß nicht das Schaf, sondern „das 
Pferd und das Rind als die ersten Haustiere des 
Türken im vorgeschichtlichen Zeitalter betrachtet 
werden müssen. ... In dieser Annahme bekräftigen uns 
[VAMBÉRY] besonders die geographischen Verhältnisse der tür- 
kischen Urheimat, auf welcher waldbedecktes Hügelland mit 
baumlosen, aber grasreichen Ebenen abwechselten und alle 
Bedingungen zur Pferde- und [Rind-]Viehzucht vorhanden waren, 
ebenso wie im entgegengesetzten Falle nach der richtigen An- 
nahme AHLQUISTS bei den uralaltaischen stammverwandten 
Finn-Ugriern, die in der unwirtbaren Heimat im hohen Norden 
nur auf Jagd und Fischfang angewiesen waren, das Renntier 
und der Hund als die ersten Haustiere angesehen werden müssen. 
Einen ferneren Beleg zu dieser Annahme finden wir noch heute 
in dem Umstande, daß die Rinderzucht trotz der verschwindend 
geringen Ausdehnung, in welcher sie bei den türkischen Nomadeı 
sich vorfindet, in den sumpfigen Waldgegenden noch immer ge 
pflegt wird; daher ihr Vorhandensein bei den Karakalpaken in 
Deltagebiete des Oxus und im vergangenen [18.] Jahrhunder 
an der Mündung des Syr-Darja, und daher denn auch ihr all 
mähliches Abhandenkommen und die Ersetzung durch Schafzuch 
dort, wo die türkischen Volkselemente vom baumreichen Landı 
in die Steppe gedrängt worden waren. Wo eine Sprache, wi 
dies im Turkotatarischen der Fall ist, sowohl in Bezeichnunge 
der verschiedenen Gattungen als auch in den einzelnen Alters 
stadien des Hornviehes einen so reichen Wortschatz aufweis 
und in solch genauer Detaillierung sich ergeht, wie wir dies im 
Abschnitt über Geschlecht und Altersstadien (S. 63) gesehen, dort 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 903 


muß die [Rind-]Viehzucht einen sehr bedeutenden Zweig des 
Lebensunterhaltes ausgemacht haben und mit der Existenz des 
betreffenden Volkes eng verbunden gewesen sein, obwohl heute 
und schon seit historischem Gedenken bei dem türkischen No- 
maden die Schafzucht die erste Rolle einnimmt und obwohl das 
Rindfleisch heute als Nahrungsstoff bei allen Türken, ja in ganz 
West- und Mittelasien nur höchst selten gebraucht wird“ °). 

VAMBERY bespricht sodann den überaus reichen turkotatarischen 
Wortschatz in bezug auf Pferde- und Rinderzucht, während das 
Schaf sehr geringe Anhaltspunkte für die Etymologie bietet. 

Die Turkotataren sind somit erst durch Zwang der turke- 
stanischen Salzsteppen und Salzwüsten, welche eine Rinderzucht 
ausschließen, zum reinen Schafwanderhirtentum veranlaßt worden, 
wie die oben vorgebrachte, wenn auch knappe Charakterisierung 
des Landes nichts anderes denken läßt. 

„so wie das Tier, vom Instinkt des Hungers und des Durstes getrieben, 
anf den Bergen und in den Tälern, in Wäldern und auf der Steppe die zu 
seinem Unterhalt nötige Nahrung suchend umherstreift, ebenso hat der Mensch 
im Urzustande seiner Existenz, als es ihm noch an Mitteln zur künstlichen 
Herbeischaffung seiner Nahrung mangelte, von einem Platz zum andern 
wandern, d. h. ein nomadisches Leben führen müssen. Zuerst allein 
nit seiner Familie und Angehörigen umherziehend, mußten im späteren Ver- 
anfe, als er Tiere gezähmt und Tierzüchter geworden, die Grenzen der 
engeren Heimat um so mehr erweitert werden, da die ihm folgende Herde 
das Gras der Triften bald abgeweidet und er, um seine eigene Nahrung zu 
üichern, auch für die Nahrung seiner Haustiere zu sorgen hatte. So ent- 
standen die Hirtenvölker[?)] ... ., deren Größe ebensosehr nach der Beschaffen- 
heit des Bodens und nach den Bedingungen des Klimas variierte, als die 
längere oder kürzere Dauer des primitiven oder nomadischen Zustandes von 


1) VAMBÉRY, Die primitive Cultur des turko-tatarischen Volkes. Leip- 
zig 1879, S. 186 f. Trotzdem die Turkotataren seit historischem Gedenken, 
mit geringen Ausnahmen keine Rinderzüchter mehr sind, haben sie dennoch 
dre einstige, so überaus reiche Nomenklatur für Aird bewahrt. Es ist dies 
ein für uns wichtiges Analogon zu den Slawen, welche ihren nicht unbe- 
deutenden eigenen Wortschatz für Horn- und Schmalvich aus jenen vor- 
historischen Zeiten herübergerettet haben, als sie noch, von Uralaltaiern unbe- 
einflußt, Viehzucht treiben konnten. 

2) Näheres über das Nomadentum als Produkt der Steppe siehe bei 
Ev. Hınx, Das Alter der wirtschaftlichen Kultur der Menschheit, Heidelberg 
105, S. 91 ff. 

Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftegeschichte. III. 14 


204 J. Peisker 


den im eigenen Kreise vorgefallenen oder in den Nachbarländern entstandenen 
politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen abhing. Mit Hinblick auf 
den ersterwähnten Umstand wird es klar, [von mir gesperrt:] warum die 
uralaltaische und speziell die turkotatarische Rasse der 
Mehrzahl nach nomadisch ist und warum sie trotz der ge 
waltigen Zeitstürme, die über den von ihr bewohnten Teil 
Asiens wegtobten, selbst bis in die Gegenwart hinein dem 
Wanderleben mehr treu geblieben als jedwedes Volk anf 
Erden; denn es ist heute allbekannt, daß solche einge 
fleischte Nomaden, wie die Türken, weder in Afrika und 
Amerika, noch auch in Australien sich vorfinden, noch vor 
gefunden wurden. Mit den weit ausgedehnten Stepper 
regionen der innerasiatischen Welt, die von der östlichen 
Mongolei... über Ostturkestan nach der Ostküste des Kaspi- 
sees sich hinziehen, hält keine uns bekannte Steppenregion 
den Vergleich aus... Diese Spezialität der Bodenverhält- 
nisse muß daher als Hauptursache der ethnischen Eigenheit 
der turkotatarischen Rasse hingestellt werden. Auf diesen 
unabsehbaren Flächen der besagten Teile Asiens haben sich 
von jeher die Hirtenvölker uralaltaischer Abkunft herum 
getummelt..., denn so wie die Mongolen z. B. von jeher in 
Süden des Sajangebirges und auf der großen Gobi- oder 
Schamosteppe zuHause waren, ebenso können die Türkenals 
AutochthonendesvomAltaibiszumKaukasussich erstrecken 
den Steppengebietes betrachtet werden.“ 


„Wenn wir ... die in den türkischen Kulturwörtern vorhandenen ein- 
zelnen Lichtfaden in eine Fackel zusammenfassen und beim Lichte derselben 
in die Dunkelheit des vorgeschichtlichen Zeitalters zurückblicken, so werden 
wir sehen, ‚daß wir es hier mit einem seinem innersten Wesen nach durch 
und durch nomadischen Volke zu tun haben, dessen überwiegende Mehrzahl 
seit undenklichen Zeiten auf den weiten, mit Gras und Schilf bedeckten Niede- 
rungen Asiens vom Altai bis zur Wolga mit seinen Pferde-, Schaf- und 
Kamelherden umherirrte, nur von Milch, Fleisch und Fett der Tiere sich 
nährte und nur mit den Häuten der Tiere sich kleidetet. Ja, wir haben in 
den Türken ein Volk vor uns, das, infolge der Bedingungen seiner UrexistenZ, 
von einer steten Wanderlust ergriffen ..., in der Sucht nach günstigere) 
klimatischen und territorialen Verhältnissen, schon sehr früh den Steppen- 
gürtel seiner Heimat zu durchbrechen sich bemüht, die benachbarten Völker 
mit ewigem Krieg heimgesucht hat; schließlich ein Volk, das im . .. Gedränge 
des ethnischen Chaos Hochasiens zuerst nach dem Süden, resp. Südwesten 
aufgebrochen war und hiernach als jener Zweig des uralaltaischen Stamme® 
betrachtet werden muß, der in die Geschicke der abendländischen Welt im 
Mittelalter sowohl als in der Neuzeit am kräftigsten eingegriffen hatte 
Dieser Vorteil wird nun allerdings den Türken von gewisser Seite streitig 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 205 


emacht, indem neuere Forscher dies den Ugriern vindizieren, und die ethnische 
iomenklatur eines HERODOT mit den heutigen Namen ugrischer Völkerschaften 
lentifizierend, Wogulen, Zürjänen, Mordwinen und Wotjaken im vorchrist- 
chen Zeitalter bis an den Ufern des Kaspisees wohnen lassen, ja die Exi- 
tenz der Ugrier in Persien und Assyrien nachweisen wollen. Mit dieser 
usgeburt einer zügellosen Einbildungskraft, die zumeist von solchen Gelehrten 
errührt, die weder das Volk, noch die Sprache der Ugrier und Türken 
ennen, wäre es in der Tat schade, sich eingehender zu befassen. Die heutige 
ithnologie braucht nicht und darf auch nicht mehr auf Hirngespinste bauen, 
ie kann in ihrem Dienste nur Tatsachen oder deren Stellvertreter, die Über- 
este der Kultur und die sprachlichen Monumente verwerten, und weil von 
ieser uralten geistigen und weltlichen Herrschaft der Ugrier im Süden kein 
terbenswörtchen, kein Atom der Erinnerung sich erhalten hat, so beharren 
rir bei unserer früheren Annahme, daß die geographische Verbrei- 
ung der Türken im hohen Altertum von der heutigen nur 
enig verändert war, sowie im allgemeinen die im Anfange des ge- 
xhichtlichen Zeitalters vorgefundenen ethnischen Gruppierungen der Ural- 
dtaier gewiß schon seit Jahrtausenden sich nur wenig verändert hatten. 
Wogulen, Ostjaken und Zürjänen haben seit Menschengedenken und gewiß 
wich im hohen Altertum schon in ihrer heutigen Heimat gewohnt und sind 
ücht vom Süden her dort eingewandert ... Hiermit soll nicht gesagt sein, 
iaß die an Zahl grösseren und mächtigeren Stämme, wie z. B. das Türken- 
rolk, ihre zeitweiligen Wanderungen nach dem Süden und nach dem Westen 
ticht schon früh begonnen hätten. Oh nein! Die Wanderungen der Türken 
iber die Wolga, die Pontusländer nach Pannonien oder über den Oxus und 
in Görgen nach den Kultursitzen der iranischen Menschheit müssen gewiß 
schon lange, lange vor Christi Geburt versucht worden und teilweise auch 
olführt worden sein ...“!). 

Man sieht, die Kontroverse unter den Orientalisten über 
lie ältesten erkennbaren Steppenbewohner Zentralasiens spitzt 
ich nicht in die Frage zu, ob Arier oder Uralaltaier, 
ondern ob Ugrier oder Turkotataren, welche beide Uralaltaier 
ind ! 

Wer war nun vor den Uralaltaiern in den Salzsteppen 
lentralasiens? Man behauptet, Arier, und zwar ostarische 
'ölkerschaften. Und worauf stützt man diese Behauptung? Auf 
ine andere Voraussetzung, daß nämlich Alexander der Große 
uf seinem Zuge nach Innerasien angeblich keine Uralaltaier 
wischen dem Oxus und dem Jaxartes vorgefunden habe, weil 


lie Griechen sonst eine Nachricht darüber hätten zurückbringen 


mn 


1) VAMBERY, Das Türkenvolk. Leipzig 1885. S. 171 f., 57 ff. 


206 J. Peisker 


müssen!). Dieser negative Beweis kann nicht gelten, denn die 
Nomaden Turkestans hatten und haben so häufige, ja stete, 
wenn auch immer feindselige Beziehungen zu den arischen Iraniern, 
daß durch den ewigen Menschenraub und Verpflanzung ganzer 
Völkerschaften notwendigerweise eine starke Blutmischung ent. 
stehen und fortschreiten mußte, wodurch die schärfsten Gegensätze 
in der äußeren Erscheinung schon frühzeitig verloren gingen. 

Bekanntlich ist ganz Zentralasien seit Jahrtausenden im fortschreitenden 
Vertrocknen begriffen; die Wüstenregion rückt infolgedessen immer weiter 
vor. Ein beständiger Rückgang aller turkestanischen Seen, Flüsse und 
Gletscher ist historisch nachweisbar und wird seit der russischen Eroberung 
sorgfältig registriert. Mit der Vertrocknung schreitet eine merkliche Ver- 
schlechterung des Klimas fort, die sich namentlich in einer Vergrößerung 
der Kontraste zwischen der Kälte des Winters und der Hitze des Sommers 
kundgibt. Die Folge ist eine allmähliche Umwälzung in der Flora und Fanns; 
so gab es zu Alexanders Zeiten in Ostturkestan Löwen und Tannen, von 
denen heute keine Spur mehr vorhanden ist?). „Zentralasien hat also seit 
dem Abfluß des Mongolischen Meeres, welcher die allmähliche Austrocknung 
oder wenigstens den beständigen Rückgang auch aller übrigen zentralasiati- 
schen Seebecken zur Folge hatte, sein Aussehen vollständig verändert und 
sich aus einem fruchtbaren Land mit einer, wie aus den spärlichen Überresten 
hervorgeht, außerordentlich reichen Vegetation in eine trostlose Wüste ver- 
wandelt. Eine solche radikale Veränderung des Klimas und Bodens konnte 
natürlich an den Bewohnern dieses so schwer heimgesuchten Gebietes nicht 
spurlos vorübergehen. Als auf den hohen Gebirgstälern die Winterkälte immer 
größer wurde und der Winter selbst immer früher und früher eintrat, blieb den 
ansässigen und ackerbautreibenden [arischen] Bewohnern derselben nichts 
übrig, als ihre Heimat zu verlassen und sich, wie der Zendavesta angibt, nach 
den tiefer gelegenen Tälern zurückzuziehen. In den niedrigen Tälern und in 
der Ebene waren aber die Verhältnisse nicht viel besser; denn hier wurde 
infolge der fortwährenden Verringerung der Niederschläge ein Stück Kultur 
land nach dem andern in eine Sand- und Kieswüste oder wenigstens in eine 
nur als Viehweide zu gebrauchende Steppe umgewandelt. [Von mir gesperrt:] 
Den von diesem Schicksal betroffenen Ackerbauern blieb 

1) F. A. UKERT, Geographie der Griechen und Römer von den frühesten 
Zeiten bis auf Ptolemäus. III. Teil, 2. Abteilung. Auch mit dem Titel: 
F. A. UKERT, Skythien und das Land der Geten oder Daker nach den Ansichten 
der Griechen und Römer. Weimar 1846, S.275. — Vgl. Franz v. Schwarz 
Turkestan. Freiburg i. Br. 1900 (Bibliothek der Länder- und Völker 
kunde XIV), S.8f£. 

9) Franz v. Schwarz, Sintfluth und Vülkerwanderungen. Stuttgart 189% 
S. 346, 489 ff. 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 207 


ıachdem Verlust ihrer Felder nichts anderes übrig, als sich 
edislich auf die Viehzucht zu beschränken, d.h. sich in 
\omaden zu verwandeln... Nomaden brauchen zu ihrer Ernährung 
inen viel größeren Raum als Ackerbauer; Zentralasien war also, als sich 
in Gebiet nach dem andern in Steppen oder Wüsten und die Bewohner sich 
us Ackerbauern in Nomaden verwandelten, nicht mehr imstande, seine ganze 
isherige Bevölkerung zu ernähren, und die unausbleibliche Folge war, daß 
ın Teil der Bewohner das Feld räumen und auswandern mußte“ '). 

Franz v. Schwarz hat durch seine Darstellung der Umwälzungen in den 
%denverhältnissen Turkestans unsere Kentnisse wesentlich gefördert; allein 
“ine Annahme, die einst ackerbauende Bevölkerung hätte infolge dieser, 
rohl sehr allmählichen Veränderungen zum Nomadentum schreiten müssen, 
st gewiß ganz verfehlt. Der Bauer wandert aus, oder er geht, wenn ihn 
win Boden nicht mehr nähren kann, zugrunde; zum Nomaden wird er 
ücht. Wo soll er die dazu nötigen Tiere geschwind hernehmen, sie be- 
bandeln und mit ihnen plötzlich wandern lernen, im Winter in die Wüste, 
im Sommer in weit entfernte Regionen, die er nicht einmal dem Namen 
nach kennt! Die bäuerliche Lebensweise ist von der wanderhirtlichen und 
noch dazu reiternomadischen so diametral verschieden, daß ein Übergang von 
der ersteren zu der letzteren durch keine eintretende Not erzwungen werden 
kann. Der Hirt kann Bauer werden, nachdem er es von einem andern Bauer 
gelernt hat; kann aber ein Bauernvolk zu Nomaden in die Lehre gehen? 
Würde der Nomade eine damit verbundene Schmälerung seiner eigenen Weide 
zulassen ? 

So können sich die Dinge nicht entwickelt haben! Eine Abnahme des 
Kulturbodens durch NaturkräftehattenichtdiesenWechselinder Lebens- 
form der bisherigen Einwohner zur Folge, sondern einen fort- 
schreitenden Rückgang in der Population. Nur in dieser 
Richtung konnte Luft gemacht werden. Der Ackerbauer wich einfach als 
solcher der Ungunst der neuen Verhältnisse, und seine verwüstete und 
‘on ihm verlassene Heimat blieb so lange leer, bis ein anderes Volk, das sie 
%, wie sie geworden ist, zu nutzen schon von Haus aus verstand, sie ein- 
am. Diese neue Bevölkerung muß eben schon reiternomadisch gewesen 
sein, als sie dorthin einbrach, und der Einbruch konnte nur von dem Norden 
her, ans Sibirien geschehen, also durch Uralaltaier! 


1) A. a. O. S. 496. — Der letzte Satz enthält einen Trugschluß, der 
ütrebliche Übergang vom Ackerbau zum Nomadentum hätte ja einen ge- 
“atigen und zwar gleichzeitigen Rückgang der Population zur Folge haben 
üüssen! Es kann somit nach diesem bereits vollbrachten angeblichen Über- 
fase keine Rede von der „ganzen bisherigen Bevölkerung“ sein; es hätte 
Yielmehr eine Auswanderung des größten Teiles der Einwohner diesem Über- 
Range vorangehen, die Auswanderer hätten nicht bereits als Nomaden, sondern 
ücch als Bauern den Platz räumen müssen und bloß der daheim gebliebene 
kleine Rest hätte — wenn überhaupt! — zum Nomadentum übergehen können. 





208 J. Peisker 


Die Konstruktion eines vorhistorischen arischen Reiternoma« 
ist somit FRANZ v. SCHWARZ nicht gelungen, und das turkotatarische 
nomadentum Turkestans ist vermutlich so alt wie die reiternomadische } 
der Salzsteppen selbst. 

In der arischen Völkerfamilie ist für ein Reiternomac 
kein Raum, das beweist schon der arische Sprachschatz. VW 
unter den Ariern ein Reiternomade vorfindet, ist er ein Zuge 
Von der Salzsteppe weggedrängt oder weggelockt durch A: 
auf Beute und Wohlleben, lagert er sich gierig als eine i 
abgeschlossene Schicht über ein ackerbauendes Volk, und 
einem, das er unterbekommt; das wird zum Parier und ble 
auch nachdem der Peiniger die Sprache des Unterjochte 
genommen, sich entnationalisiert hat. Der Turkotatare ma; 
auch dann noch eine Zeit lang ethnisch mehr oder wenige: 
altaier bleiben, sprachlich erscheint er jedoch fortan als Ar 

Das gilt in erster Reihe von den Skythen. 

*k X 
* 

Nach HEropoT') umfaßten die Skythen mehrere \ 
schaften von offenbar nicht derselben Rasse: Die königli 
Skythen, das waren die „Zapfersten und zahlreichsten (5. 
Skythen, die sehen auch die übrigen Skythen für ihre K 
an“; die Nomadenskythen, Wanderhirten der Steppe, 
jedweden Ackerbau; „die Kallipiden, die sind helle 
Skythen; über diesen ein anderes Volk, ... die Alaz 
diese und die Kallipiden haben sonst dieselben Sitten w 
Skythen, aber sie säen auch Korn“ [also den heutigen 
kirgisen gleichzustellen]; überdies zwei Völker, welche HE 
die Exudaı yenpyoi und die Zxudxt xporfipes nennt. Die Sp: 
der königlichen und wohl auch die der Nomadenskythe 
iranisch, aber ihre Lebensweise zeigt derart turkotatarisch 
men, daß sie bereits von B. G. NiEBUHR als , sibirisch-mongol 
erkannt wurden ’?). 


1) HERODOT IV. 17, 18, 19, 20. 

2) B. G. NIEBUHR, Kleine historische und philologische Sc 
1. Sammlung. Bonn 1828, S. 352 ff. Untersuchungen über die Ge: 
der Skythen, Geten und Sarmaten. Nach einem 1811 vorgelesenen 
neu gearbeitet 1828. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 209 


Dieselbe Ansicht vertritt auch Sarakik im Jahre 1837!) aus- 
ührlich, während Zeuss in demselben Jahre die Skythen — nach 
jöckH?) — den Medopersern, also Ariern, zuweist?).. Ihm 
chließt sich auch UKERT*) und MÜLLENHOFF°) an. 

Gegen eine nichtarisehe Herkunft der Skythen sprechen nach 
IÜLLENHOFF folgende Gründe, die ich zur leichteren Übersicht 
lumeriere : 

1. „Ein blick auf die werke der schönsten griechischen kunst, 
ie auf der Krim und in den gräbern der scythischen könige 
n dem von Herodot 4, 53. 50. 71 bezeichneten besirk an der 
Samara gefunden sind und scythische fürsten und leute mit 
illem detail ihrer erscheinung darstellen, genügt um sich zu 
überzeugen, daß dies keine Nordasiaten waren.“ 

Dagegen ist — auch wenn man statt „Nordasiaten“ Zentral- 
asiaten setzt — einzuwenden, daß so ziemlich bei allen Völkern, 
namentlich Eroberern, es gerade die Fürsten sind, welche Aus- 
länderinnen heiraten, wodurch die Nachkommenschaft den natio- 
nalen Typus gleich verlieren muß; ebensowenig, wie von dem 
Aussehen der türkischen Sultane auf die Rasse der Osmanen, 
kann von den Darstellungen der skythischen Könige auf die 
Abkunft der Skythen geschlossen werden. Und auch bei dem 
Sktbenvolke selbst, zur Zeit HERODoTs, kann sich die Frage 
nicht, ob arisch oder turkotatarisch, zuspitzen, sondern bloß nach 
im Ursprunge des Volkes ausgehen. Denn Nomadenhorden, 
welche nachweislich derart voneinander weit entfernte Völker unter- 
rorfen und beherrscht, müssen doch sehr viel fremdes, arisches, 
mitisches und anderes Blut aufgenommen und so ihre einstige 


1) P. J. Sarakık, Slowanské Starozitnosti, I. V Praze 1837, 8. 233 f. — 
°.J. SCHAFARIK, Slawische Alterthümer. Deutsch von Mosıc von AEHREN- 
ELb, herausgegeben von WUTTKE, I. Leipzig 1843, S. 279 f. 

. 2) Corpus inscriptionum Graecarum edidit A. BoECKHIVs, II. Berolini 1843, 
88, 

3) ZEUSS, Die Deutschen und die Nachbarstämme. München 1837, S. 286 ff. 

4) F. A. UKERT, a. a. 0. 

5) MCLLENHOFF, Über die herkunft und sprache der pontischen Scythen 
nd Sarmaten, in den Monatsberichten der Kgl. preuß. Akademie zu 
krlin, Jahrg. 1866, S. 549 ff. Mit Nachtrigen des Verfassers abgedruckt 
ı MÜLLENHOFF8 Deutscher Altertumskunde, 3. Bd. Berlin 1892, S. 101 ff. 


210 J. Peisker 


Rassenreinheit längst eingebüßt haben, wobei der ursprüngliche 
Typus immer mehr verblaßte. 


Über eine solche Blutmischung bei den Skythen selbst be- 
richtet HERODOT, IV 1—3: 


. in der Verfolgung der Kimerier fielen [die Skythen] 
in Asien ein und entrissen den Medern die Herrschaft ... Als 
aber die Skythen 28 Fahre fortgewesen aus ihrem Vaterland 
und nach So langer Zeit nun wieder heimzogen, so wartete ihrer 
ein neuer Kampf, ... denn sie fanden ein nicht unbedeutendes 
Heer, das sich ihnen entgegenstellte. Nämlich die Weiber der 
Skythen waren, als ihre Männer so lange wegblieben, zu ihren 
Knechten gegangen. Es blenden die Skythen aber alle ihre 
Knechte der Milch wegen, die ihr Getränk ist... Wenn sie 
die Milch gemolken, schütten sie sie in... Butten, und ringsum 
stellen sie ihre blinden Knechte, die rühren die Milch um [rühren 
Butter] ... Darum blenden die Skythen alle Gefangenen ... 
Von diesen Knechten nun und von ihren Weibern war ihnen 
ein Junges Volk aufgewachsen ... (nach FRIEDR. LANGE). 


Während also die Skythen in Medien 28 Jahre lang mit 
medischen Frauen Umgang pflogen und die mit diesen gezeugten 
Söhne offenbar mitnahmen, ließen sich in ihrer Abwesenheit ihre 
Frauen mit ihren Knechten ein. Ist eine radikalere Blut- 
mischung innerhalb einer einzigen Generationdenk- 
bar? 

Langjährige Abwesenheit sämtlicher waffenfähiger Männer, welche auf 
Raubzügen in weit entfernten Ländern festgehalten wurden und den Rückzug 
verlegt fanden, war die natürliche Folge der ganzen nomadischen Leben’ 
weise, und es braucht durchaus keine Fabel zu sein, daß inzwischen die 
daheim gebliebenen Weiber mit den nicht mehr kriegstüchtigen Greisen, die 
nach und nach wegstarben, die Herrschaft über die Sklaven führten und 
durch diesen Umstand sich veranlaßt sahen, selbst dem Kriegshandwerk — 
als Amazonen — obzuliegen. 

Von den Amazonen haben sich bei den Griechen folgende Vorstellunge? 
ausgebildet: Im Nordosten von Kleinasien, wohin auch schon Homer weist; 
bestand ein großer Staat aus kriegerischen Frauen, an deren Spitze eine 
Königin stand und in welchem entweder die Männer ganz ausgeschlossél 
oder bloß zum Behufe der Erhaltung des Geschlechtes geduldet waren, aber 
im Zustande der Knechtschaft und mit Beschäftigungen betraut, welche sonst 
die Frauen verrichten, verstümmelt an Armen und Schenkeln, damit sie, der 


Rs 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 211 


afenführang beraubt, der Herrschaft der Frauen nicht gefährlich würden. 
e Frauen allein führten die Waffen und machten auch Eroberungszüge bis 
ch Griechenland. Ihre männliche Nachkommenschaft töteten oder ver- 
immelten sie oder schickten sie über die Grenze zu ihren Vätern; denn 
ter der Voraussetzung, daß die Amazonen keine Männer unter sich im 
nde hätten, erzählte man, sie hätten mit einem benachbarten Männervolke 
r Fortpflanzung jährlich eine Zeitlang in dem Grenzgebirge ehelichen Um- 
ng gepflogen),, Diese Nachrichten haben die Griechen nicht erfunden, 
weis dessen HERODOT IV, 110: Die Amazonen werden von den Skythen 
paara genannt, das bedeutet in unserer Sprache Männertöter, denn olöp heißt bei 
im der Mann, raté töten, Was MÜLLENHOFF mit ZEUSS in Otpérata erklärt, 
der Bedeutung von Männerherrinnen, männerbeherrschenden Amazonen, 
ruxoxpatcüpevot, wie die Sauromaten von EPHOROS charakterisiert werden?). 
ch Justin, II. 4 waren die Amazonen die hinterbliebenen Frauen von 
ythen, welche an den Thermodon ausgewandert und dort im Kriege um- 
kommen waren. 

HiırpoKRATES (geb. um 460 v. Chr.) berichtet: /z Zuropa gibt es einen 
Yhenstamm, welcher um den Mäotischen See herum wohnt und sich von den 
rigen Stämmen erheblich unterscheidet; man nennt ihn die Sauromaten. Die 
‘auen aus jenem Volksstamme reiten, schießen mit dem Bogen, schleudern den 
urfsper vom Pferde herab und kämpfen, solange sie Jungfrauen sind, gegen 
' Fände., Sie werden nicht cher defloriert, als bis sie drei Feinde erlegt haben, 
d erdulden nicht cher den Coitus, als bis sie die gesetslich vorgeschriebenen Opfer 
rgebracht haben. Diejenige, welche sich einen Mann erwählt hat, gibt das Reiten 
f solange nicht die Notwendigkeit eines gemeinsamen Feldzuges eintritt. Die 
he Brust fehlt ihnen. Solange sie nämlich noch unmündige Kinder sind, lesen 
' Mitter den Mädchen ein zu diesem Zwecke hergestelltes glühendes Eisen an die 
‘he Brust, und diese wird so versengt, daß ihr Wachstum gestört ist, sie aber dafür 
le Araft und Fülle an die rechte Schulter und an den rechten Arm abgibt?). 

Auch das Mittelalter kennt Amazonen in Europa: IBRAHÎM IBN JAK(8B 
hielt von Kaiser Otto I. Nachricht von der westlich von den Rüs belegenen 
tt der Weiber“: ... sie werden von ihren Sklaven schwanger, und wenn 
K von ihnen einen Sohn gebiert, tötel sie ihn. Sie reiten und ziehen in eig.ner 
ron in den Kricg .. «*). 





li TOEPFFER in PAULY’s Real-Encyclopädie der klassischen Altertums- 
senschaft. Neue Bearbeitung herausgegeben von WissowA. I,2. Stutt- 
rt 1894, 8. v. Amazones, Spalte 1754 f. 

2) MÜLLENHOFF, a. a. O. S. 106. 

3) HrPPOKRATES, Sämtliche Werke, übersetzt von R. Fucus. I. München 
%,8.395f. Ilspi Gépov cap. 17 (24). 

4) IHRAHIM-IBN-JAK0rs Reisebericht über die Slawenlande aus dem 
bre 965. Von Fr. WESTBERG. St. Petersburg 1898, S.56 (Mémoires 
l'Acad. Imp. des Sciences de St.-Pötersbourg. VIII* ser. Classe hist.-philos. 
L II. No. 4). 





212 J. Peisker 


Eine Parallele dazu bieten vielleicht die Awaren nach FREDEGAR cap. #8: 

Jedes Jahr kamen die Chunen zu den [böhmischen] Slawen ...,; dann nahmen 
sie die Weber „.. der Slawen und schliefen bei ihnen, und zu den übrigen Mif- 
handlungen mußten die Slawen den Chunen noch Abgaben sahlen. Die Söhne dır 
Chunen aber, die diese mit den Weibern ... der Wenden erzeugt hatten, ertrugen 
endlich solchen Druck nicht mehr, verweigerten den Chunen den Gehorsam und 
begannen „.. eine Empörung... .'). 

So wie die Skythinnen nach HERODOT, mögen etwa auch die Awaren- 
weiber während der häufigen Abwesenheit ihrer Männer die Herrschaft als 
Amazonen geführt haben, so daß auch die böhmische Amazonensage 
— Kosmas I. 9 — durchaus nicht ganz aus der Luft gegriffen sein mud. 

SEVERCOV schildert die Frauen der Kara-Kirgisen so: Die Weiber 
zeichnen sich überhaupt durch eine freie Gesinnung aus und erkennen keine 
Gewalten über sich an, wenigstens nicht in ihrem alltäglichen häuslichen 
Leben, wo das Weib allerdings unausgesetzt in der Kibitke arbeitet, aber 
durchaus nicht Sklavin, sondern volle Hausfrau ist und den trägen Nomaden 
etwas hochfahrend behandelt; dieser ist ihr sogar gehorsam und macht oft 
ihren unterwürfigen Diener; sie verwendet ihn freilich nicht zu eigentlichen 
Arbeiten, aber manche gewandte Kirgisin weiß ihn auch dahin zu bringen. 
Nur bei den Festmahlzeiten erscheint die Frau als die demütige Dienerin des 
Mannes und ißt nicht mit den Männern, sondern nach ihnen von dem, wa 
übriggeblieben ist; dies geschieht aber deshalb, weil sie als Wirtin zuerst 
ihre Gäste bewirten muß. Im gewöhnlichen Familienleben fällt die Role 
des Demütigen nicht selten dem Manne zu... und deshalb waren die Kir 
gisen ... ganz demütig, als die Kosaken in ihren Kibitken zu [plündern].... 
begannen, während die Kirgisinnen ihnen [den Kosaken] scharf zu Leibe 
gingen. Wie dem aber auch sein mag, soviel ist gewiß, daß der Kirgist, 
wenn er tapfer ist, dies nur zu Pferde und außerhalb seiner Wobnung ist 
— die Kirgisinnen dagegen sind dies zu Hause, in ihrer Kibitke, wo der 
Mann gewissermaßen nur Gast ist, und zwar nach Möglichkeit gepflegt wird, 
aber nichts mitzureden hat und sich ganz passiv verhält, die Frau aber 
selbständige, unumschränkte Herrin ist. Bei Überfällen auf die Auls er- 
sreifen die Kirgisen ihre Gewehre und eilen zu ihrer Pferdeherde, die Frauen 
aber halten stand und verteidigen sich. Wenn sodann die Männer zu Pferd 
gestiegen sind, stürzen auch sie sich auf die Angreifer). PETZHoLpT meint, 
diese Schilderung dürfte nur für die östlich wohnenden Stämme gelten‘) 


1) Nach O. ABELS Übersetzung in den Geschichtschreibern der 
dentschen Vorzeit. VII. 3. Berlin 1849, 9. 32; in der zweiten Gesamtausgab® 
XI. Band. Leipzig 1888, S. 26. 

2) SEWERZOWS Erforschung des Thian-Schan: Ergänzungsheft \r. 43 
zu PETERMANNS Geograph. Mitteilungen 1875, S. 76. 

3) ALEX. PETZHOLDT, Umschau im russischen Turkestan. Leipzig 187 
S. 316. 


11, 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 213 


Angesichts dieser Tatsachen könnte den antiken Amazonensagen viel 
ihres innewohnen. Gingen die Männer auf einem Kriegszuge unter, dann 
:b den Frauen, wollten sie ihr Staatswesen unabhängig von außen erhalten, 
hts anderes als ein Konnubium mit ihren Sklaven übrig. Und ebenso, wie 
‘ Turkmene der Neuzeit den Sklaven, denen er seine Herden zum Hüten 
rertraut, die Sehnen an den Fersen durchschneidet, damit sie ihm mitsamt 
ı Herden nicht durchgehen '), so haben auch die antiken Amazonen ihre 
tten-Sklaven an Armen und Schenkeln verstümmelt. Sonst pflegten, nach 
RODOT IV, 2., die Skythen alle ihre Sklaven zu blenden?). 


Wie rasch ein Nomadenvolk zu einer ausgiebigen Blutmischung 
angt, sehen wir auch an den Magyaren. Als ihre Kriegs- 
rden einmal auf einem Plünderungszuge begriffen waren, nützten 
e Abwesenheit die mit Simeon von Bulgarien verbündeten 
tschenegen zu einem Überfall der daheimgebliebenen An- 
bôrigen aus. Die zurückgekehrte Kriegshorde fand ihr Heim 
sgemordet?) und mußte fremdrassige Weiber nehmen, das 
rauben, so daß, wenn sie bis dahin, was undenkbar ist, rein- 
sig war, schon ihre Söhne zu 50°/o nichtmagyarisches Blut 
fwiesen. Dieser Fall war gewiß nicht vereinzelt, er ist vielmehr 
r alle Nomaden typisch, welche, ihre Familien unter einer nicht 
nug starken Bedeckung daheimlassend, über fremdrassige Völker 
rfallen und zugleich einander bekämpfen; denn bei dem furcht- 
ren Getümmel, in dem die sibirisch-turanischen Reiterhirten 
ständig schwärmten und einer dem andern die Beute strittig 
ıchte, ist vorauszusetzen, daß geradezu ein jedes solches Volk 
mindest einmal auf ähnliche Art um Weib und Kind gekommen 
‚war ja die ganze Kriegsweise des gelben Mannes seit jeher 
fTücke, Hinterhalt und Umgehung des Feindes angelegt, und 
aaltaier konnten sich reinrassig nur dort erhalten, wo sie 
mer nur ihresgleichen gegenüberstanden. So kommt es, daß 
r gelbe Mann ziemlich rein bloß im Norden und Nordosten 


1) WENJUKOW, Die russisch-asiatischen Grenzlande. Leipzig 1874, S. 483. 
2) Über Blenden kriegsgefangener Aksakale (Volksältesten) in Chiwa 
. VAMBERY, Reise in Mittelasien, Leipzig 1865, S. 114. 2. Aufl. 1873, S. 119. 
3)... ol Hartıxaxttar.... tag adıav pautÂlag navrsAög dEnpdvıoav.. . 
NSTANTIN PORPHYROGENNETOS, De administrando imperio cap. 40. — 
v. TIMON (Ungarische Verfassungs- und Rechtsgeschichte, übersetzt von 
ILLER, Berlin 1904, S. 38, Anm. 45) hält die Nachricht für stark über- 
‘ben. 


214 J. Peisker 


Asiens vorzufinden ist, während er gegen Süden und Westen so 
unmerklich in das Ariertum übergeht, daß es nicht möglich ist, 
irgendeine Grenze zwischen ihm und der weißen Rasse wahr- 
zunehmen. 


Belege dafür liefert VAMBÉRYS uns schon bekanntes Werk über das 
Türkenvolk auf jeder Seite. Wollen wir einiges davon hervorheben: 


Das Aufstellen eines speziell türkischen Nationaltypus ist an- 
gesichts der vielartigen und vielfachen Beimischung fremden Blutes ... kein 
leichtes Ding; doch glauben wir der Wahrheit so ziemlich nahe zu kommen, 
wenn wir den Kirgisen als den eigentlichen typischen Türken hinstellen; den 
Kirgisen, der noch heute am supponierten Ursitze sich befindet, der in 
den Strom der weltgeschichtlichen Begebenheiten nicht so stark und nicht 50 
häufig hingerissen wurde und daher auch der primitiven türkischen Lebensweise 
viel treuer geblieben ist als seine tibrigen Stammesbrüder. Die vorherr- 
schenden Momente ... bilden... der kurzgedrungene Kürperbau mit 
breitenstarken Knochen, eingroßerKopfvonbrachycephaler 
Form, kleine Augen mit schrägem Zuschnitt, niedere Stirn, 
platte Nase, breites Kinn, spärlicher Bartwuchs, schwarze 
oderbraune Kopfhaareund dunkle, fastgelbliche Hautfarbe. 
Stellen wir nun einen solchen Türken dem Mongolen zur Seite, so werden 
wir finden, daß auch letzterer durch sämtliche erwähnte Merkmale sich her- 
vortut, mit dem Unterschiede, daß diese Charakteristik bei ihm schärfer 
hervortritt und demnach dem Türken gegenüber den eigentlichen Urtypus 
repräsentiert (S. 61 f.) 


Die Kara-Kalpaken [am Amu Darja] sind mit Nichttürken stark 
gemischt, zeichnen sich durch höhere Gestalt, durch kräftigen Knochenbau 
und namentlich durch reicheren Haarwuchs nicht nur vor den Kirgisen und 
Turkomanen, sondern auch vor dem durch arische Blutmischung stark im- 
prägnierten Özbegen aus. Sie haben einen großen Kopf mit flachen, 
vollem Gesichte, große Augen, Stumpfnase, wenig vorstehende 
Backenknochen, plattes, wenig gespitztes Kinn, auffallend lange Arme und 
breite Hände. Daher der Spottreim: „Der Kara-Kalpakhateinflaches 
Gesicht und ist selbst flach“ Im Gesichtsausdruck nähert er sich 
wohl am meisten dem Özbegen, doch nicht so, was die höhere Statur und 
namentlich den langen Bart und das reiche Kopfhaar anbelangt. 
und da letzterwähnte Eigenheit von den arabischen Geographen den Petsche- 
negen nachgerühmt wird (was ungarische Historiker auch bezüglich der 
Petschenegen in Ungarn bestätigen), so hat die Annahme wohl etwas für 
sich, daß die Kara-Kalpaken mit den letzteren verwandt oder gar identisch 
sind. Wie diese beiden Völker zu den dem türkischen Physi- 
kum fremden Eigenheiten gekommen sind, ist allerdings nicht 
so leicht erklärlich, doch Tatsache ist es, daß nicht nur Petschenegen und 
Kara-Kalpaken, sondern auch andere im 9. und 10. Jahrhundert in den Pontus- 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 215 


lindern hausende Türken als von hoher Statur und mit reichem Haarwuchs 
versehen geschildert werden. So werden die alten Magyaren von den Chro- 
nisten gezeichnet, und ähnlich ist auch das Bild, welches von den in Ungarn 
eingedrungenen Kumanen entworfen wird. Dieses ethnographische 
Rätselkann nurdadurch einigermaßen gelöst werden, wenn 
wirden intensiven Verkehr dieser Türken mit den benach- 
barten Ariern des Kaukasus und Irans in Erwägung ziehen, 
und so wie Turkomanen und Özbegen der Neuzeit durch 
persische Sklaven und Tadschiken so manche Charakteristik 
des Iraniertums erhalten, ebenso sind Petschenegen, Kara- 
Kalpaken, KumanenundMagyarenimAltertumentturkisiert, 
Lh teilweise iranisiert worden (S. 377f.). 

Das Physikum der in drei Gruppen zerfallenden Krimtataren ist: 
a) Die eigentlichen Steppenbewohner, irrtümlich Nogaier genannt, sind 
von mittlerer Statur und kräftigem Körperbau, dunkelgelber Gesichtsfarbe ; 
de Backenknochen ragen merklich hervor; ihr dunkles Auge hat einen 
schmalen und schräg hinlaufenden Schnitt; die Nasenflügel breit, Ohren groß 
und herabhängend, Kopfhaare schwarz, Bartwuchs äußerst schwach. — 
b)Die Gebirgstataren sind wesentlich anders: von hohem Wuchse, 
starker, leichter, zierlicher Gestalt; die Gesichtsfarbe nähert sich der der 
Kaukasier; große und dunkle Augen, dichtes, schwarzes Kopf- und 
Barthaar; sie stellen imallgemeineneinenschönen Menschen- 
schlag vor. — e) Die litoralen Tataren, wahrscheinlich ein Gemisch 
der schon früher dort eingedrungenen Türken mit den von alters her dort wohnen- 
den Griechen, Römern und den später infolge Sklaverei dahin gelangten 
Tscherkessen, Polen, Rumänen, Deutschen und Magyaren, das erdenklichst 
bunteste Bild physischer Merkmale; sie haben unter dem südlichen Himmel 
des nationalen Urtypus sich beinahe gänzlich entkleidet. Sie sind von hohem 
und starkem Körperbau, mit ovalem Gesicht, schönen, funkelnden 
Augen, glanzvollem, schwarzem Haar, und die längliche 
Nase tut sich bisweilen durch einen feinen römischen oder 
griechischen Schnitt hervor. Man begegnet namentlich in 
denzwei letzten Fraktionennichtselten vollkommenidealen 
Franenschönheiten, wie dies auch indereuropäischen Türkei 
der Fall ist. — Die südlichen Tataren, von brauner Gesichtsfarbe, 
langer Nase und großem Auge, lassen die stark griechische 
ündteilweiserömische Blutmischungleichterkennen (S.529f.). 

Und mit den Skythen soll es sich anders verhalten haben ? 
Man vergleiche nur „die Werke der schönsten griechischen Kunst“ 
Südraflands, welche MÜLLENHOFF heranzieht — herausgegeben 


von Graf J. ToLstos und N. KoNDAKOv — )); die sind übrigens 


bh l'papr H. Torcroñ ı H. KosnakopBTs, Pycerkia ApeBnocrin BR 
LAMATRHKAXE HCKYCCTBA. IL. C. Ierep6ypr® 1859. 





216 J. Peisker 


jünger als die Berichte HEROvVoTs und HIPPOKRATES’, und in 
der Zwischenzeit muß sich doch der einstige uralaltaische Typus 
der Skythen durch Blutmischung noch mehr abgeschwächt haben. 

Es kommen hier hauptsächlich folgende Skythenbilder in Be- 
tracht: 

1. Der Friesstreifen einer herrlichen griechischen Elektrumvase 
(Goldsilberlegierung mit 20°/ Silber) aus dem Kul-Obischen 
Kurgan bei Kertsch (Jenikale) in der Krim. [Plan des Kurgan 
a. à. O. S. 85.] Die Szenerie besteht aus einer Gruppe von sieben 
in der Steppe lagernden Skythen. Die erste Figur stellt, nach 
dem diademartigen Stirnband zu schließen, einen skythischen 
Machthaber dar, welcher, europäisch sitzend und auf eine Lanze 
gestützt, den Bericht eines auf orientalische Art hockenden Kriegers 
entgegennimmt. Daneben bespannt ein anderer Kriegsmann seinen 
Bogen mit der Sehne. Rechts von diesem untersucht der vierte 
Skythe die verletzte Kinnlade seines Genossen, während der 
siebente den verwundeten Fuß des sechsten verbindet. Alle sind 
in Ledergewänder (wahrscheinlich mit dem Fell nach innen) ge- 
kleidet, und die Füße stecken in weichen Lederschuhen ohne 
Sohle. Es sind offenkundige Reitergestalten'). 

2. Ein Goldplättchen, einen feisten Skythen darstellend; die 
rechte Hand hält ein Trinkgefäß, die linke einen Köcher. Aus 
demselben Kul-Obischen Funde’). 

3. Der Friesstreifen einer ebenso prächtigen griechischen Silber- 
vase aus dem tertomlyckischen Riesenkurgan bei Nikopol am 
Dniepr*) mit 8 Pferdebändigern, bei denen jedoch nur die Ge- 
stalten, nicht aber auch die Gesichter deutlich genug sind. 

Über diese Skythenbilder verdanke ich den Anatomen Prof. HoLL 
in Graz und Hofrat ZUCKERKANDL in Wien folgendes Gutachten: 

Prof. Hour: 


„Allgemeiner Charakter: Der ganze Körper ist gedrungen, klein, 
aber massig, in der unteren Körperhälfte fast plump. Das plumpe Aussehen 








1) Der Fries, zur Gänze abgewickelt (a. a. O.S. 143), bei uns Bild I mit 
Figuren a—g. Einzelne Figuren vergrößert (a. a. O.S. 1 und 142), bei uns 
Bild II, Fig. d—g, und III, Fig. ce. 

2) A. a. O0. S. 61, bei uns Bild IV. 

3) A. a. O. S. 136—138, bei uns Bild V. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 217 


ist vielleicht bedingt durch die Gewandung; wenn dies nicht der Fall, so 
würde der Unterkörper auf kräftiger Muskulatur eine ziemliche Fettansamm- 
lung aufweisen. Die bewegten Gestalten (Bild V), die denselben Körperbau 
wie die Gestalten I—-IIIl, b—g zeigen, lassen vermuten, daß die Plumpheit 
auf die schwere oder steife Gewandung|['] zurückzuführen ist. Sicher handelt 
es sich um starkknochige, muskulöse Gestaltungen. 

Die Köpfe erscheinen mit Rücksicht auf den gedrungenen Körperbau 
der Gestalten groß. Der Hirnschädel ist hoch und eher kurz als lang; die 
Stirngegend breit, eher hoch als nieder und prominent; ein Fall (f) zeigt 
eine niedere Stirne, was aber vielleicht durch den tiefen Haaransatz bedingt 
ist. Das Kopfhaar lang, schlicht und nicht reichlich. Nach den Figuren e 
(und f) zu urteilen, wäre das Kopfhaar nur in der vorderen Scheitelgegend 
erhalten, der übrige Teil geschoren; das in der bezeichneten Gegend erhaltene 
Kopfhaar ist ausnehmend lang, an der Wurzel zu einem Knoten verschlungen, 
und vom Knoten bedeckt es perückenartig den ganzen Hirnschädel und reicht 
über diesen in die Nackengegend. 

Der Gesichtsschädel weist mit Ausnahme einer Gestalt (a) durchgehends 
einen groben (jedoch nicht wilden) Typus auf, der auch fremdartig erscheint; 
das Gesicht der Gestalt a erinnert an griechische Typen. Die Grobheit der 
übrigen Gesichter wird bedingt durch den massigen Knochenbau, welcher, da die 
denselben deckenden Weichteile nicht mächtig entwickelt sind, das charak- 
teristische Aussehen des Gesichtes in voller Schärfe betont. Der Gesichts- 
schädel ist hoch und breit, fast viereckig; die große Breite erstreckt sich 
auch auf das Untergesicht (Unterkiefer), weshalb die Jochbeingegend, obwohl 
dieselbe sehr breit ist, dennoch nicht besonders ausladend erscheint. 

Auffallend hoch ist das Obergesicht (Nasen- und Oberkieferkörper- 
gegend), und besonders niedrig die Oberlippengegend, was an viele 
griechische Gestaltungen erinnert. Infolge der mächtigen Entwicklung des 
Unterkiefers ist die Kinngegend hoch und vorspringend. Ganz eigen- 
tümlich ist die hohe, steile, im Verhältnis nicht breite Nase, mit ihrer 
mächtig emporgehobenen, schmalen Wurzel, so daß die Profillinie des Nasen- 
daches mit dem Stirnprofil in einer Flucht zu liegen kommt. Das Stirn- 
\asenprofil ist steil und ganz hervorragend ausladend, so daß der innere 
Augenwinkel und durch die starke Ausladung des obern Augenhöhlenrandes 
das ganze Auge stark in die Tiefe verlegt ist. 

Eine nicht gewöhnliche Eigentümlichkeit zeigt der erwähnte Kontur, 
insofern derselbe nicht gerade verlaufend ist, sondern eine Wölbung und 
eine Einziehung aufweist; die letztere findet sich an der Stelle der gewöhn- 
lichen Einsenkung der Profillinie an der Nasenwurzel, die erstere knapp 
oberhalb der Einsenkung, also in der Stirngegend. Die Wölbung betrifft 
eıtweder nur den unteren Teil der Stirne (d), oder sie wölbt die ganze 
Stime (N). Eine scharfe Einsattelung zeigt die Profillinie in der Gegend 
der Nasenwurzel an der Gestaltung c, was wenigstens aus der vergrößerten 


1) Leder, wahrscheinlich mit dem Fell nach innen. 


218 J. Peisker 


Abbildung III hervorzugehen scheint; das Urteil kann jedoch kein sicheres 
sein, da der Gesichtskontur in der Zeichnung auffallend dick gehalten ist. 

Der Augenhöhleneingang ist groß, weit. Der obere Lidrand 
überschneidet den untern in der Gegend des äußeren Augenwinkels, und zwar 
in einem Falle (f) besonders stark, so daß die Länge der Lidspalte in diesem 
Falle auffallend kurz erscheint; in allen anderen Fällen erscheint die Länge 
normal. Mit Ausnahme des eben erwähnten Falles (f) erscheint die Lidspalte 
gerade verlaufend. Das obere Augenlid ist hoch. Trotz der durch die 
Bildung der Stirne und Nase bedingten Tieflagerung des Auges muß das 
selbe doch als prominent bezeichnet werden. Es erscheint auch groß; die 
Größe bezieht sich aber selbstverständlich nicht auf den Augapfel, sondern 
auf die denselben umgebenden, sichtbaren Weichteile. Die Augenbrauen 
(Haare) selbst scheinen nicht dargestellt zu sein; die Wulstung über den 
Augen scheint einzig und allein nur den knöchernen oberen Augenhöhlenrand 
zu betreffen. 

Die Nase ist lang, schmal, stark vorspringend und steil (vielleicht Aus 
nahme Figur e IH). 

- Der Mund ist in Anbetracht des breiten Gesichtes nicht auffallend breit; 
niedrig ist die Oberlippe, so daß die Höhe der Mundgegend namentlich von 
der Unterlippen-Kinngegend erzeugt wird. Die Lippen fleischig, jedoch nicht 
wulstig. Das Barthaar ist schlicht und nicht besonders reichlich ; es scheint 
wie das Kopfhaar geschmeidig und schwer zu sein und bei den verschiedenen 
Stellungen des Kopfes dem Gesetz der Schwere zu folgen (c, d, f). Die 
Oberkiefergegend und auch die Jochbeingegend sind frei von Barthaaren, 
so daß sich der Vollbart an der Seite des Gesichtes nur längs des aufsteigen- 
den Astes des Unterkiefers erstreckt. 

Wie schon erwähnt, sind die Weichteile des Gesichtes nicht massig, wes- 
halb die Grundzüge des Skelettbaues des Gesichtes durch die Weichteile nicht 
verwischt werden, und das Charakteristische der Gesichter, welche als fremd- 
artig bezeichnet werden müssen, nicht durch die Weichteile, sondern durch 
das Gesichtsskelett bedingt ist. 

Das hervorstechende Merkmal an allen Gesichtern ist die Ge 
staltung der Stirn-Nasengegend und die niedere Oberlippen- 
gesend. 

Während die Figuren d—g ein und denselben Typus aufweisen, welchen 
auch, von ganz geringen Abweichungen abgesehen, die Figuren b und e 
zeigen, unterscheidet sich Figur a in dem Gesichte ganz auffällig von den 
übrigen Gestaltungen. Das ganze Gesicht dieser Figur a weist einen feinen 
Gesichtstypus auf, welcher sehr erinnert an den klassischen Gesichtstypus 
der griechischen Kunstwerke.“ 


Hofrat ZUCKERKANDL: 
„Ich bin mit dem ausgezeichneten Gutachten Horrs, einen Punkt aus- 


genommen, ganz einverstanden. Dieser betrifft die Haarform. Hor.L meint, 
daß das Kopfhaar nur in der vordern Scheitelgegend erhalten, zu einem 


(EFT 'S "II Hsouaaıq Blıyseny ‘AOMVANOM D LOISIO I) 
"wiIy 19P ur YISUOM Ioq UBSINY UAYdBIgO-TNY WOP SNB ASBAWNINALT JIOUI9 UAFIIISSILIT 


"668 “HOIS'S oz ‘I pııq 











CIS IL AOMVONOM N lOLS'IOL) ‘H 918 's az 5—p ANG IL DPI 

















Bild III. Figur c, zu S. 216 ff. 
(ToLSTOJ & KOoNDAKOV 1., S. 142.) 





Bild IV, zu 8. 216 ff., 220 f. 
Goldplättchen aus dem Kul-Obischen Kurzgan. 
(Tozsros & KONDbAKOV IL, S. 61.) 























(GEL 'S "TI AOMVAXOM 9 LOLSIOL) 
ıdatug we [odoyIy 19q UVHINM UAYOSIYIKLMOI1I,) WP SNB IEBAIIAIIS IOUI9 UOFLIAEKILIT 


‘686 Y9Iz 's nz ‘A PIS 








Bild VI, zu S. 224. 


Junger Mongole (nach Photographie). 
(R\rZzEL, Völkerkunde III. Leipzig 1888, S. 332.) 





Bild VII. Kara-Kirgise, zu S. 224 f. 
(Nach einer Aufnahme von G. Merzbacher.) 
(v. SCHWARZ, Turkestan. Freiburg i. Br. 1900, S. 24.) 














m 2 — 





Bild VIII Kura-Kirgise, zu S. 224 f. 
(Nach einer Aufnahme von G. Merzbacher.) 
(v. SCHWARZ, 8. 24.) 





Bild IX. „Slawisch-samojedischer Mischling“, zu S. 225. 
(Nach Photographie.) 
(Mibpbexporrr, Reise in den äußersten Norden 
und Osten Sibiriens. St. Petersburg 1875, 8. 1615. 
Taf. 16, Fig. 9.) 














Bild X. Turkmenischer Ältester, zu S. 224. 
(Nach einer Aufnahme von G. Merzbacher.) 


(v. SCHWARZ, S. 25.) 





Bild XI, zu S. 224. 


Der magyarische Wanderhirt Josef Varga aus Zala. 
Jahre alt. Langschädel, Schmalgesicht. (HERMAX, Zur Frage 
s magyarischen Typus. In den Mitteilungen d. Anthropol. 

Ges. in Wien. 35. Bd. 1905. Taf. 8.) 




















Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 219 


Knoten verschlungen und, vom Knoten bedeckt, perückenartig nach hinten 
selegt sei, der ganze übrige Teil des Schädels soll dagegen geschoren sein. 
Ich habe trotz wiederholter Betrachtung der Bilder mich hievon nicht über- 
tungen können. Die Haare der vorderen Scheitelgegend sind vielmehr kurz 
zeschnitten und entweder schopfartig (d, f) oder in Form eines Knopfes (e) 
nach oben vorspringend, oder wie auf IV glatt nach vorn gelegt. Es ist 
m übrigen nicht ausgeschlossen, daß es sich auch auf Figur e um eine 
schopfartige Frisur handelt und der Haarknopf nur durch die Veränderung, 
lie der Schopf durch die Handhaltung der Figur d erlitten hat, vorgetäuscht 
wird. Das übrige Kopfhaar ist einfach nach hinten gekämmt und wurzelt, 
wie Figur f lehrt, am Scheitel seitlich und oben. Für das Geschorensein 
des Kopfes in der hinteren Scheitelgegend könnte nur auf Figur d verwiesen 
werden, der aber Figur f gegenüberzustellen ist, auf welcher ganz deutlich 
die hintere Scheitelgegend mit Haaren versehen ist.“ 

Die Skythengesichter werden hier wiederholt als fremdartig 
bezeichnet; sie sind nicht das, was man arisch zu nennen pflegt, 
aber ebensowenig weisen sie mongolischen Typus auf; etwas 


anderes läßt sich von einem solchen Mischvolk eben nicht erwarten. 


Nebst diesen Funden klassischer Kunstwerke birgt indes die 
Steppenregion eine Menge roh bearbeiteter Steinstatuen, auf 
denen der Uralaltaier deutlich erkennbar ist. 

So schreibt KLAPROTH: „Auf dem halben... Wege zwischen 
Bezopasnoj und . . . Donskaja fanden wir . . . die zwei Stein- 
bilder, die schon GÜLDENSTÄDT beschrieben hat, und wovon das 
erste männlichen und das andere weiblichen Geschlechtes ist. 
Diese unförmlichen Figuren, die oft nur auf der einen Seite und 
aıch da gewöhnlich nur vom Kopf bis zu den Knien ausgearbeitet 
... sind, finden sich in der ganzen Gegend häufig. Sie gleichen 
last unseren Halbstatuen in alten Gärten, die Faunen und Satyrn 
vorstellen . .. und haben eine rein mongolische Gesichtsbildung. 
Gewöhnlich sind sie sitzend [— äber auch stehend, wie bei 
ViuBÉRY, Fig. 5 —] vorgestellt, und die männlichen Figuren 
‘cheinen mit einem Brustharnisch und einem langen, engen, 
is zum Knie gehenden Rocke bekleidet zu sein. Die weib- 
ichen aber haben bloße, herunterhängende Brüste und einen viel 
ürzeren Rock oder auch nackte Schenkel. Sie unterscheiden 
ich durch einen breiten Halsschmuck und durch eine darüber- 
angende Korallenschnur. Ihr Kopfputz ist sonderbar und doppelt 


ufeinandergesetzt, dahingegen die Männer kleine, spitzige, den 
Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 15 


220 J. Peisker 


chinesischen ähnliche Mützen haben und hinten eine lange, herunter- 
hängende Haarflechte. AlleFigurenohne Ausnahme halten 
vorderSchameinlängliches Trinkgefäß, das aber oft nur 
einem Viereck gleicht. Solche Steinbilder sieht man häufig in dem 
westlichen Teil der Steppe im Norden des Kaukasus ....., sowie auch 
in Menge zwischen dem Don . .. und Dniepr. Ja, ich habe selbst 
eine ähnliche silberne Figur von der Länge eines Fingers erhalten, 
die... an der Kuma gefunden war, nur mit dem Unterschiede, daß 
sie... gar keine Hände hatte. Diese Statuen tragen das Gepräge 
eines hohen Alters an sich und es scheint, daß sie schon zur Zeit des 
AMMIANUS MARCELLINUS vorhanden waren, denn dieser sagt, als er die 
Hunnen beschreibt: Sze sind... so krumm, daß man sie für auf 
zwei Füßen gehende Tiere halten könnte, oder für solche grob gear. 
beitete Pfeiler in menschlicher Gestalt, wie man sie an den Ufern 
des Pontus sieht“ !). Das steht bei AmmıAn XX XI, 2 allerdings nicht, 
sondern: ... #4 bipedes existimes bestias vel quales in conmargt- 
nandis pontibus effigiati stipites dolantur incompte. Von Brücken 
(pontes) ist hier die Rede, nicht vom Schwarzen Meere (Pontus)! 

Die bei allen diesen Steinfiguren vorkommenden Trinkbecher sollen offen- 
bar die Toten, denen sie geweiht sind, besonders kennzeichnen und hängen 
vielleicht mit HERODOTS Bericht (IV. 65 f.) zusammen: 

Mit den Köpfen... der ürgsten Feinde thun [die Skythen] also: Ein jeglicher sägt 
alles ab, was unter den Augenbrauen ist, und reinigt es. Und wenn es ein armer Mann 
ist, so umzieht er es blos von außen mit Rindsleder und braucht es so; ist er aber 
reich, so übersicht er es auch mit Rindsleder, inwendig aber vergoldet er es, und st 
braucht er es als Trinkgefäß ... Einmal jährlich mischt der Oberste des Besirks ... 
einen Krug mit Wein, davon trinken alle Skythen, die da Feinde erschlagen haben: 
die aber dergleichen noch nicht getan, die kosten nicht von diesem Wein, sondern sitsen 
ungechrt beiseite... Die aber... recht sehr viele Feinde erschlagen, die haben gleich 
zwei Becher und trinken zugleich aus allen beiden. (Nach FRIEDR. LANGE.) 

Zu vergleichen die Skythenfigur mit dem Trinkgefäß auf Goldplättchen 


Bild IV, die sodann einen Helden darstellen würde, welcher bei solchen 
feierlichen Gelagen trinkberechtigt war?). 


1) JUL. v. KLAPROTH, Reise in den Kaukasus und nach Georgien, I. 
Halle und Berlin 1812, S. 2698f. — Von KLArroTHs Beschreibung einiger- 
maßen abweichende, viel rohere Steinbilder von turkestanischen Kurganen 
bringt A. PETZHOLDT, Umschau im russischen Turkestan. Leipzig 1877, 
S. 34 f. — Weitere acht bei VÄMBERY, Das Türkenvolk, Tafel zu S. 30. 

2) HEropor IV. 10: ... Und von dem Skythes, dem Sohne des Herakles, 
stammen alle Könige der Skythen von jeher; und von der Schale [die an dem 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 291 


2. „Auch Hippokrates (de aëre $ 91 f.), wo er die körper- 
rschaffenheit der Scythen bespricht und ihre besonderheit aus 
er lebensweise des volks und den einflüssen des klimas ableitet, 
bergeht gerade die auffallendsten merkmale des mongolischen 


pu $ Ye, 

HIPPOKRATES, Über Luft, Wasser und Örtlichkeit, Kap. 18 (25): Was 
er die Körperbeschaffenheit der übrigen [nämlich nichtsarmatischen] Skyther 
Hangt, daß sie nämlich nur untereinander, aber nicht mit 
sderen [dem HIPPOKRATES bekannten] verglichen werden können, 
ı wäre darüber genau dasselbe su sagen wie über die Ägypter, abgesehen davon, 
18 die cinen unter der Hitse, die andern unter der Kälte zu leiden haben... 
romalen nennt man sie, weil es bei ihnen keine Häuser gibt, sondern sie vielmehr 


sürtel hing, welchen Herakles der Mutter des Skythes übergeben hatte] 
rügen die Skythen noch bis auf den heutigen Tag Schalen an 
hren Gürteln... Dazu bemerkt FRANZ v. SCHWARZ (Sintfluth und 
Félkerwanderungen, Stuttgart 1894, S. 332), welcher 15 Jahre in Turkestan 
gelebt: „Diese Sitte ist bei den Sarten, Tadschiken und Galtschas im all- 
gemeinen Gebrauch, und Niemand begibt sich auf Reisen oder auch nur auf 
inen Ausflug, ohne seine Trinkschale mitzunehmen. Sie gebrauchen dazu 
tigene abgepaßte Futterale aus Leder, welche schon mit der Schale verkauft 
werden und entweder an den Gürtel oder den Sattel gehängt werden. Auch 
m Hause tragen sie gewöhnlich ihre Trinkschalen in das Gürteltuch gewickelt 
ei sich.“ 
Die mit Leder überzogenen Trinkschalen der Skythen dürften somit auf 
urkestanische Herkunft dieses Volkes hinweisen. Ebenso die mit Figuren 
ezierten Goldplättchen selbst: Fr. v. SCHWARZ sagt (a. a. O. S. 338): „In 
en Gallischen tumuli der Cöte d’or, sowie in denen am rechten Ufer der 
veren Donau hat man mannigfache Schmuckgegenstände gefunden, welche 
it geschlagenen Goldplättchen verziert waren. Ebensolche Goldplättchen 
it man in den Skythengräbern Südrußlands gefunden. So entdeckte vor 
ırzem... VESELOVSKLJ in einem Kurgan in der Nähe von Simferopol das 
rab eines skythischen Heerführers. Kleidung und Mütze der Leiche waren 
it Goldplättchen geschmückt, und ein sehr gut gearbeitetes ..., welches 
nen Adler darstellte, verzierte auch den Köcher... [Es] besteht auch 
ate noch die ganze Goldarbeiterkunst der Sarten und Tadschiken lediglich 
der Herstellung solcher getriebener Goldplättchen, welche sie hauptsäch- 
h zur Überkleidung von silbernen Schmucksachen verwenden. Gegenstände 
s massivem Golde, wie Fingerringe, Armspangen, Ohrgehänge u. dergl., 
be ich bei den Eingeborenen Turkestans nie zu Gesicht bekommen. Die 
den Gallischen und Skythischen Gräbern aufgefundenen Goldplättchen 
ammen daher offenbar ebenfalls aus Turkestan.“ 
1) UKERT a. a. 0. S. 278 f. 


222 J. Peisker 


auf Wagen wohnen... Die Wagen werden teils von 2, teils von z Foch hörnerloser 
Ochsen gesogen... In diesen Wagen halten sich die Frauen mit den 
Kindern auf, die Männer aber sitsen su Pferde. Es folgen ihnen die 
Schafe „.. die Rinder und die Pferde. Man pflegt aber so lange Zeit an demselben Orte 
zu bleiben, als das Futter für die Tiere ausreicht; geht es aus, so wandern sie nach 
einen andern Landstriche weiter. Sie essen gekochtes Fleiseh, trinken Stutenmilck 
und nühren sich von Pferdekäse... Kap. 19 (26): Was die Jahreszeiten und 
den Körperbau der Menschen angeht, so ist das Skythenvolkvon den übrigen 
Menschen sehr verschieden und gleicht nur sich selbst wie auck 
das Ägyptervolk... Der Wechsel der Jahreszeiten ist ja doch nicht so groß 
und nicht heftig, sondern gleichmäßig und ohne viel Veränderung. Daher kommt 
es, daß sie einander auch in bezug auf die Körperform ähnlich 
sehen. Sie genießen immer die gleiche Kost ... und halten sich von körper- 
lichen Übungen fern... Aus diesen zwingenden Gründen haben sie einen wohl. 
genährten, fleischigen, ungegliederten, feuchten und schlafen Körper (à 
sldean abtüv naxda dotl xal capxmdea xal ävavdpı xal byp& xal Grova) 
Ihr Unterleib ist von allerfeuchtester Konstitution (bypöraraı) . . . vielmehr 
gleichensieeinander wegen des Fettreichtumsundder Unbehaarl- 
heit (Bta miusAv Te nal duv nv odpxa Ta [te] Elder Eorxev Allo) 
die Männer den Männern, die Frauen den Frauen... Kap. 20 (27): ... Ba 
fast allen Skythen, soweit sie Nomaden sind, wird man finden, daß sie verbranai 
sind an den Schultern, Armen, Handwurzeln, der Brust, den Hüften und de 
Lenden, und zwar aus keinem andern Grunde als wegen der Feuchtigkeit und 
Schlaffheit ihrer Konstitution; denn sie können infolge ihrer Feuchtigkeit und 
Schwächlichkeit weder einen Bogen spannen, noch mit an der Schulter eingelsgiem 
Wurfspeere angreifen [wohl Begleiterscheinungen des Rheumatismus!]. Hrn 
sie aber von der Hitze versengt werden, trocknet die meiste Feuchtigkeit aus ihren 
Gelenken aus, und ihr Körper wird dadurch straffer, besser genährt und mehr St 
gliedert. Ihr Korper hat einen leichten Fluß und ist breitbrüstig (boinà D vivra: 
xat nÂatéa), zunächst weil man bei ihnen die Kinder nicht in Windeln einwickeli 
wie bei den Ägyptern und weil sie wegen des Reitens, um einen guten Sitz zu haben, 
diesen Brauch nicht kennen, in zweiter Linie aber wegen ihrer sitzenden Lebens 
weise. Denn solange die Männer noch nicht auf Pferden reiten können, silzth 
sie die meiste Zeit auf den Wagen und gehen wegen des Wohnungswechsels und 
des Herumwanderns nur wenig su Fuße; die Frauen aber haben einen erstaunlich 
leichten Fluß im Körper und sind von schwächlichem Körperbaue. Kap. 21 (8): 
Das Skythenvolk ist wegen der Kälte gelbrot [nubbéy] . .. Infolge de 
Kälte wird die weiße Farbe versengt und wird gelbrot. Bei einer solchen Korper 
beschaffenheit können sie nicht sehr fruchtbar sein, denn der Mann hat nur set 
den Trieb zum Coitus ... Zudem werden sie auch noch durch das fortwährend 
Schütteln auf dem Pferde zum Beischlaf untüchtig. Das ist bei den Männer 
der Grund der Impotenz. Bei den Frauen ist hingegen der Fettreichtum und dit 
Feuchtigkeit des Fleisches daran schuld... Sie selbst aber haben keine Körper- 
bewegung, sind feist, und ihr Leib ist kalt und schlaf. Aus diesen zwingenden 


A nn ee in mas ue 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 293 


ünden ist das Geschlecht der Skythen kinderarm. Einen treffenden Beweis dafür 
ern unsere skythischen Sklavinnen,; sobald sie sich nümlich mit einem Manne 
ainigen, empfangen sie, wel sie viel Körperbewegung haben... [Der letzte 
tz beweist, daß HIPPOKRATES mit der Körperbeschaffenheit der Skythen 
on von Haus aus vertraut war.] Kap. 22 (29): /m üdrigen sind aber auch die 
isten Leute im Skythenlande Eunuchen, gehen weiblichen Berufen 
ch, reden genau so wie die Weider‘. [Das Eunuchentum der „meisten“ 
\siotor] Skythen dürfte auf einer Verwechslung mit der tberwiegenden 
rtlosigkeit beruhen]. 

MÜLLENHOFF hat recht, HIPPOKRATES „übergeht gerade die 
ıffallendsten Merkmale des mongolischen Typus‘, nämlich 
hiefgeschlitzte Augen und stark hervorragende Backenknochen; 
ıch hatte er keine solchen Uralaltaier vor sich, auf welche 
ie Worte Rabbi Benjamins ben Jona von Tudela, eines 
«isenden des 12. Jahrhunderts, passen würden: sze haben keine 
Vasen, sondern atmen durch zwei kleine Lôücher*); dagegen be- 
ont HIPPOKRATES das vierte auffallende Merkmal: Unbehaartheit, 
'unuchisches Aussehen, teilweise im scheinbaren Widerspruche 
u den, allerdings jüngeren griechischen Skythenbildern°); in 
ler Zwischenzeit muß eben die fortgesetzte Blutmischung mit den 
Nachbarn die Skythen dem Uralaltaiertum noch mehr entfremdet 
haben. 

Auch ist MÜLLENHOFF beizupflichten, daß, indem HIPPOKRATES 
‚gerade die auffallendsten Merkmale des mongolischen Typus“ [näm- 





1) HıppoKRATES, Sämmtliche Werke. Ins Deutsche übersetzt von Ro». 
Frchs, München 1896, S. 396 ff. Diese Übersetzung ist nicht überall genau. 
HrPoKRATES sagt z. B.: nußßev d& 16 yévos ati to Exvtxév: Fuchs über- 
Kit: sicht... gelbrot aus; HIVPOKRATES: Tüg de Aydbas Eluovor Lebyea 
ir päv 200, Tag d& tpix Bowv, also 2—3 Joch, Paar (= 4—6) und nicht, 
me Ficns übersetzt, 2—3 Rinder! GrımM gibt beide Stellen ganz richtig 
nieder (HIPPOCRATES Werke tibersetzt von J. F. C. GRIMM, revidirt von 
/LIENHAIN. I. Glogau 1837, S. 208, 206). 

2) A. v. MIDDENDORFF, Einblikke, S. 383. 

3) Auf der Kul-Obischen Vase (Bild I) haben sämtliche Skythen [HoLL: 
schlichte, nicht besonders reichliche“] Bärte; allein es sind dies lauter ältere 
änner, offenbar Feldhauptleute, welche vor ihrem Könige zur Berichterstattung 
schienen sind. Dagegen weist die Certomlyckische Vase (Bild V) unter den 
ht Gestalten zwei bartlose und drei bartarme Gesichter auf. Bedenkt man, 
18 auch die bartärmsten Uralaltaier zwar erst in höherem Alter, aber dennoch 
nen, wenn auch spärlichen Bart erhalten, so besteht zwischen dem Berichte 
IPPOKRATES’ und den Vasenbildern kein wesentlicher Widerspruch. — 


994 J. Peisker 


lich schiefe Augen und sehr stark hervortretende Backenknochen] 
übergeht, sie ihm an den Skythen nicht aufgefallen sind. Allein 
sollte man aus der uralaltaischen Völkerfamilie alle Völker streichen, 
welche mit diesen zwei Merkmalen so wenig wie die Skythen 
behaftet sind, dann müßte gar vielen Turkotataren, ja auch 
Mongolen ihr uralaltaischer Ursprung überhaupt abgesprochen 
werden. Sind ja nicht einmal alle Mongolen [im engeren Sinne] 
schiefäugig, wie die Portraits eines jungen und eines alten Mannes 
bei RATZEL') zeigen. Die Kara-Kirgisen, nach VÄNMBERT 
die relativ reinsten Türken, weichen nach den Aufnahmen 
MIDDENDORFFS°), JADRINCEVS*), Dr. GOTTFRIED MERZBACHER®') 
und FUTTERERS°) von dem von MÜLLENHOFF geforderten „mongo- 
lischen Typus“, dem Ariertum zu, bedeutend ab. Und was soll 
man erst zu dem „turkmenischen Ältesten“ (Aksakal) MErz- 
BACHERS®) sagen mit dem prächtigen salisburyschen Vollbarte, 
oder zu dem ganz und gar nicht ,mongolisch“ aussehenden, 
dolichokephalen magyarischen Wanderhirten Varga und anderen 
Gesichtern bei HERMAN’)! Und dennoch sind sie alle Uralaltaier, 
freilich mit mehr oder weniger starker arischer®) Beimischung. 


1) RATZEı, Völkerkunde III., Leipzig 1888, S. 332f.; bei uns Bild Vl. 

2) A. v. MIDDENDORFF, Einblikke, S. 388, 398f., Taf. VII. 

3) Jadrinzew, Sibirien, Jena 1886, zu S. 113. 

4) Franz v. ScHWARZ, Turkestan. Freiburg i. Br. 1900 (bildet den 
14. Bd. der Bibliothek der Länder- und Völkerkunde) S. 24. Bei un 
Bild VII und VIII. 

5) K. FUTTERER, Durch Asien. I. Berlin 1901, S. 60, 82f., 517-519 
Taf. I. II. 

Ujfalvys (Expédition scientifique française en Russie, en Sibérie 
et dans le Turkestan. Paris 1878—1880) reiche Portraitsammlung uni 
anthropologische Messungen mit heranzuziehen, ist nach MInDENDORF'8 
(a. a. O. S. 384 ff.) Kritik nicht ratsam. 

6) Schwarz S. 25. Bei uns Bild X. 

7) HERMAN Orr6, A magyar nép arcza és jelleme. Budapest 1%%, 
S. 124 (bildet den 70. Band von Természettudoményi Könyvkiadö-väll« 
lat). — OTro HERMAN, Zur Frage desmagyarischen Typus, in den Mitteilungen 
der Anthropologischen Gesellschaft in Wien. 35. Bd. 1905 Taf. 8. Bei uns Bild XI. 

8) Die termini arisch, semitisch u. 8. w. stehen nicht mehr auf der Höhe 
der anthropologischen Wissenschaft; es soll hier darunter nur das verstanden 
werden, was man aus Mangel einer besseren Terminologie arisch, semitisch u. dgl. 
zu nennen pflegt. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 225 


Vergleichen wir nun die griechischen Skythenbilder mit 
[ERZBACHERS Portraits, dann können wir eine gewisse Ähnlich- 
eit mit dessen zwei Kara-Kirgisen (bei uns Bild VII und VII) 
icht von uns weisen, besonders wenn man sich zu dem Ober- 
esicht des ersteren das Untergesicht des zweiten hinzudenkt. 
ım auffallendsten ist aber die Behaarung der Skythen: Augen- 
rauen sind bei ihnen ebensowenig wahrzunehmen wie bei MERZ- 
ACHERS Kara-Kirgisen. „Das Barthaar ist schlicht und nicht 
wsonders reichlich ... Die Oberkieferkörpergegend und auch 
he Fochbeingegend sind frei von Barthaaren, so daß sich der 
Vollbart an der Seite des Gesichtes nur längs des aufsteigenden 
Astes des Unterkiefers erstreckt.‘ Diese Worte HoLzs über die 
Skythen gelten auch von den Kara-Kirgisen MERZBACHERS und 
FUTTERERS!). — Auch das Kopfhaar ist bei allen Skythen- 
fguren schlicht und nicht reichlich. Solche schlichte und schüttere 
Mähnen herrschen unter allen, auch den stark vermischten Ural- 
altaiern vor, und ein prächtiges Beispiel bietet der „slawisch- 
samojedische Mischling“ bei MiDDENDORFF?), dessen Haartypus 
uit dem skythischen identisch ist. Die von FUTTERER an 3 Kir- 
gisen, 1 Dunganen und 2 Sarten vorgenommenen anthropolo- 
“schen Aufnahmen ergaben ebenfalls ein schlichtes und nur bei 
dem dritten Sarten (Aufnahme Nr. 5) ein welliges, diekes, hartes 
Haar. MERZBACHER teilt mir mit: „Daß Kirgisen, Turkmenen, 
Narten straffe Haare haben, kann ich bestätigen, wenigstens in 
len einzelnen Fällen, wo ich Individuen zu sehen Gelegenheit 
atte, deren Schädel nicht rasiert war“. 

Andererseits weisen die Skythenbilder trotz ihrer Fremdartig- 


1) A. v. MIDDENDORFF a. a. O. S. 400: „Den Syr entlang... fand ich 
:i ihnen [Kirgis-Kaisaken] ... die eng, aber nur horizontal geschlitzte 
ugenspalte bei fast allen. Einige hatten bedeuteud mehr Bart, ais dem 
ongolen zukommt, aber stets war der Übergangsraum vom Barte zum 
‘hnauzbarte vollkommen haarlos. Das scheiut ein sehr beständiges Kenn- 
ichen zu sein. Am wenigsten mongolisch war... oft die Nase, nämlich: 
ch erhaben, scharfrückig und oft mit schöner Doppelkrümmung des Firstes, 
ı Profile.“ 

2) A. TH. v. MIDDENDORFF, Reise in den äußersten Norden und Osten 
biriens IV. 2, bearbeitet von A. v. MiDDENDORrr. St. Petersburg 1876, 
1615. Taf. XVI Fig. 9. Bei uns Bild IX. 


926 J. Peisker 


keit ebenso, wie die heutigen Krimtataren, auf starke arische, 
namentlich aber griechische Beimischung: 


Hour über dieSkythengesich- VAMBÉRY über die Gebirgs- und 
ter: Das Gesicht der Gestalt a auf der | litoralen Tataren der Krim: Grof 
Elektrumvase ist von einem feinen Typus, | Augen und die längliche Nase tut sich 
der an den klassischen der griechischen | bisweilen durch einen feinen römischen 
Kunstwerke erinnert. Be den übrigen | oder griechischen Schnitt hervor. Die 
Gestalten ist besonders niedrig die Ober- | südlichen Tataren mit langer Nase url 
lippengegend, was an viele griechische | großen Augen lassen die starke griechisch: 
Gestaltungen erinnert. Das Auge groß, | oder teilweise römische Blutmischunz 
die Nase lang, schmal, stark vorspringend | leicht erkennen. 
und steil. 


Auf dem Boden Südrußlands haben demnach die Skythen und 
später die Tataren dieselbe somatische Metamorphose von den 
Uralaltaiertum zum Halbariertum durchgemacht. 

Von den Gesichtern wenden wir uns jetzt den Gestalten zu: 

HozL über die Skythengestalten: VAMBÉRY über die Kirgisen: kur:- 
Gedrungen, klein, massig, starkknochig, | gedrungener Körperbau mit breite, 


Kopf groß. [HıPPOKRATES: Hautfarbe | starken Knochen, Kopf groß, dunkl, 
gelbrot.] fast gelbliche Hautfarbe. 


Somit zeigen sowohl die Gesichter als auch die Gestalten der 
Skythen deutliche Merkmale turkotatarischer Zusammengehörigkeit. 
Dahin weisen auch die skythischen Sitten und Bräuche: 

Im Anschluß an NIEBUHR, SAFARIR u. a. urteilt KIEPERT!): 
„Während manche, den Griechen auffallende Züge skythischer 
Lebensweise auch anderen Barbarenvölkern gemeinsam sind[?), 


1) HEINRICH KIEPERT, Lehrbuch der alten Geographie. Berlin 1878, 
S. 343 f. 

2) Zu solchen zähle ich auch die skythische Art des Wabrsagens durch 
Weidenruten, die aus Bündeln auseinandergelegt wurden, woraus man dann 
die Zukunft deutete (HERODOT IV., 67. Von den Alanen: AMMIAN XXXL, 2, 24). 
Dies wird mit Vorliebe mit einem ähnlichen Brauche der Germanen verglichen: 
... virgam frugiferae arbori decisam in surculos amputant...(TACITUS, Germania 
10) und wäre ein prächtiger Beleg für eine arische Herkunft der Skythen, 
wenn nicht Marco PoLo dasselbe von den Mongolen berichten würde: 
Dschengis-Chan ließ vor dem Kampfe mit Ong-Chan orakeln. Die Zauberer 
spalteten ein Rohr entzwei, benannten die eine Hälfte Dschengis, die andere 
Ong. Die des ersteren fiel obenan, als Vorzeichen seines Sieges. (MARCO POLO, 
im französischen Urtext cap. 67, in der lateinischen Übersetzung von Frä 
Pipino cap. 53, in der italienischen bei A. Bartoli cap. 55.). — Ähnliches bei 
VAMBÉRY, Ursprung der Magyaren, Leipzig 1882, S. 29. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 227 


auch das Haremsleben der stets in den Zeltwagen verschlossen 
gehaltenen Weiber nur allgemein asiatische Sitte ist, finden sich 
andere, gerade für die Skythen charakteristische Sitten in über- 
raschender Ähnlichkeit nur bei den turanischen Nomadenvölkern 
Inner- und Nordasiens, in äußerster Schärfe noch heute bei den 
Völkern speziell mongolischer Abkunft wieder: so die von frühester 
Jugend an geübte Gewöhnung an das Reiterleben und damit zu- 
sammenhängend die Vorliebe für den Genuß des Pferdefleisches, 
der gesäuerten Pferdemilch und des Pferdekäses, die Berauschung 
durch Dampfbäder von Hanfsamen, das Brennen der Weichteile des 
Körpers als Mittel gegen rheumatische Schmerzen, das Vergiften 
der Pfeilspitzen, endlich Züge äußerster, aller Sitte arischer Völker 
widerstrebender Roheit bei den mit massenhaften Menschen- 
opfern verbundenen Begräbnissen der Fürsten und anderen reli- 
giôsen Zeremonien. Schlachten der Lieblingsfrauen, der Diener- 
schaft u. s. w. auf dem Grabe, Aufstellung der ausgestopften 
Leichen gemordeter Krieger zu Pferde um das Grab war, wie 
bei den alten Skythen, Sitte bei den Mongolen des Mittel- 
alters...“ 1), 

„Diese Spuren nordasiatischer Verwandtschaft wer- 
den bestätigt durch das, was als schärfer blickender 
Naturforscher HipPoKRATES über die körperliche Er- 
scheinung der pontischen Skythen mitteilt, indem 
er die Grundverschiedenheit derselben von allen 
übrigen, damals den Griechen bekannten Völkern 
betont und als charakteristische Merkmale außer 
gelblicher Hautfarbe (rufiov) namentlich Fettleibig- 
keit, Bartlosigkeit und deshalb unmännliche Gestalt 
hervorhebt, Züge, die sich in solcher Schärfe be- 
kanntlichnurinnerhalbdersogenannten mongolischen 
Rasse wiederfinden, während sie den Eigenschaften 
derindoeuropäischen Völkerfamilie fremdartig gegen- 
überstehen“ ?). 

HippoKRATES betont, daß in Beziehung auf das Äußere der 





1) Vgl. die von NEUMANN, Die Hellenen im Skythenlande, Berlin 1855. 
angeführten Beispiele. 
2) Von mir gesperrt. 


2928 J. Peisker 


Skythen und auf die Jahreszeiten es sich so verhalte wie bei 
den Ägyptern, da das skythische Volk sich so sehr von den 
anderen Völkern unterscheide und sich nur selbst gleiche. Könnte 
H1PPOKRATES 80 etwas von einem arischen Volke sagen? Und 
wenn nun die Skythen von allen übrigen Völkern im Aussehen 
derart grundverschieden sind, welche andere Rasse ist hier denk- 
bar, als die uralaltaische? Keine, gar keine! 

3. „erodot verliert über jene [Körperbeschaffenheit der 
Skythen] nicht einmal ein wort, aber sobald er von den abge- 
fallenen königlichen Scythen zu den Argimpaeern am untern 
Ural gelangt, hebt er die abweichende gesichtsbildung, durch 
die sich diese auszeichnen und als Tataren zu erkennen geben, 
hervor; was allein schon genügt, um die Scythen zum arischen 
stamme zu rechnen. Denn keine andere wahl bleibt, zvenn 
nemlich die Budinen und ihre nachbarn an der Wolga zum 
finnischen gezählt werden müssen, da Ferodot diese wiederum 
von jenen bestimmt unterscheidet.“ 

Es ist nicht ganz richtig, daß in bezug auf die Skythen HERODOT 
„die abweichende Gesichtsbildung“ der Argippäer hervorhebt 
sondern er sagt!) ohne irgendeinen Zusammenhang mit den 
Skythen, sie „sollen Kahlköpfe sein von Kind an, Männer wie 
Weiber, und Stumpfnasen und ein langes Kinn haben, auch eine 
eigene Sprache sprechen, kleiden sich aber wie die Skytben ...“ 

,Kahlkôpfe“ gewiß nicht von Natur aus, sondern aus Mode, 
und das ist kein Rassenkriterium. — In der Plattheit der Nase 
gibt es bei den Turkotataren eine ganze Stufenleiter, und indem 
Herovor diese Eigenschaft bei den Argippäern hervorhebt und 
bei den Skythen nicht, so kann daraus höchstens der Schluß ge- 
zogen werden, daß die Nasen der Skythen nicht platt waren. — 
Die Verschiedenheit der Sprache ist unter Umständen auch kein 
Beweis für eine Verschiedenheit der Rasse, und es ist bekannt, 
daß eine Gleichheit der Tracht mitunter länger anhält als die 
Gleichheit der Sprache. 

MÜLLENHOFF führt aus HERODOT für das Ariertum der Skythen 
einen Beweis ex silentio. Kann HrroDoTs silentium HıpPo- 


1) HERODoT IV. 28. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 229 


KRATES’, ebenfalls eines Augenzeugen, deutliche Ausführungen in 
ihr Gegenteil umstoßen ? 

4. „Aus dem zustande, in dem die Arier oder Indogermanen 
sich vor ihrer trennung und im stadium derselben befanden, 
war der übergang in die lebensweise der steppenvölker immer 
leicht möglich, sobald die not und die natur des zum aufenthalt 
erwählten Landes dazu zwang.“ 

„Die Lebensweise der Steppenvölker“, was soll man sich 
darunter vorstellen? Doch nur Gewohnheiten und Bedürfnisse, 
welche mit dem Reiterhirtentum ursächlich verknüpft sind, 
nicht aber Bräuche, die damit in gar keinem Zusammenhange 
stehen und besonderen Völkern oder sogar Völkergruppen eigen 
sind. Und just derartige Bräuche der Skythen, die wir oben 
kennen gelernt haben, sind Uralaltaiern als solchen eigentümlich 
und den Ariern wildfremd. 

Aber auch nach einer solchen Einschränkung des Begriffes 
„Lebensweise der Steppenvölker“ muß jede Möglichkeit abgelehnt 
werden, als ob je Arier irgendwo sich hätten für ein Steppen- 
leben als Reitervolk ausbilden können; „leicht möglich“ ist leicht 
gesagt, jedoch mit Ausschluß von Beweisen. Wo ist es geschehen ? 
So viel bekannt, nirgends. Man kennt keine Steppe mit 
arischen Reiternomaden. Alle Steppen Osteuropas und 
Zentralasiens wurden, soweit unsere Nachrichten reichen, 
immer und immer nur von turkotatarischen Reiterhorden 
heimgesucht und behauptet. Ein Blick auf die Karte überzeugt 
uns, daß in den westturkestanischen Steppen arische Nomaden nie 
hausen konnten, denn diese Steppen sind, wirtschaftlich genom- 
men, ein Anhängsel nicht von Nordiran, sondern von Südsibirien. 
Der Südsibirier zieht, wenn seine Sommerweide einschneit, 
nach dem Süden in die Salzsteppe zum Wintern, dagegen 
wäre es von dem iranischen Arier Selbstmord, wollte er zum 
Wintern nach dem Norden ziehen. Wollte man annehmen, daß in 
den westturkestanischen Steppen und Wüsten vor den Uralaltaiern 
arische Reiterhirten, sogar noch zu Alexanders von Makedonien 
Zeiten, hausten, dann müßte man ihnen zu den westturkestanischen 
Winterquartieren auch noch die angrenzenden südsibirischen 
Sommerweiden anweisen. Und das kann niemandem beifallen. 


230 J. Peisker 


weil am unteren Ural schon zu HERODOTS Zeiten das Volk der 
Argippäer saß, welches unzweifelhaft uralaltaisch war, denn nach 
HERODOT Buch 4, cap. 23 hatten beide Geschlechter kahle Köpfe, 
Stumpfnasen und ein langes Kinn. 

Westturkestan bildet — dies kann nicht oft genug wieder- 
holt werden — eine unübersteigbare Völkerscheide nur für deu 
Südasiaten, nicht aber für den Sibirier, für den ist es ein offenes 
Land. Der Kirgis-Kaisak bedarf, wie alle seine Vorgänger, zur 
Winterweide der turanischen Salzsteppen so unumgänglich, daß 
er von ihnen nicht zu trennen ist, dagegen sind diese Salzsteppen 
und Wüsten für den Iranier nur Gegenstand des Schreckens; sie sind 
fürihn durchaus unwirtlich, er meidet sie, kann sie nicht brauchen, 
bedarf ihrer nicht einmal, denn er hat daheim bessere, warme 
Winterquartiere in der Nähe seiner Sommerweiden. Wird er seine 
Herden des Winters in die furchtbare Steppe, viele Breitegrade 
nach dem Norden treiben, wo Schnee fällt und Glatteis dem 
Vieh mit dem Hungertode droht, wenn es zu Hause sonnige, 
schneefreie Winterweiden hat? Eben dieser Unterschied in der Ent- 
fernung zwischen Sommer- und Winterweide macht einerseits den 
Südsibirier zu einem ewig wandernden Reiterhirten, anderer- 
seits den weidenden Teil der Arier zum einfachen, wenigstens 
einigermaßen fest angesiedelten Viehzüchter. Nichts zieht den 
Iranier nach dem Norden, es wäre denn das Bedürfnis, sich von 
dort aus Ruhe zu verschaffen, den Räuber zu züchtigen; allein 
er vermag nicht einmal ein solches Bedürfnis in Tat umzusetzen, 
er kann, wie wir von VÄMBERY gehört haben, den gut be- 
rittenen Nomaden über die Grenze der spurlosen Sandfelder 
nicht verfolgen; er wagt es auch nicht, und so darf letzterer, 
gestützt vom Bollwerk seines heimatlichen Terrains, seinen 
räuberischen Vergnügungen ganz ungestraft nachhängen. Die 
Sage von der Niederlage und dem Untergange Kyros des Älteren 
ist in dieser Hinsicht sehr belehrend, und ebensowenig konnten 
Dareios I. und Alexander der Große die Skythen fassen. 

Dagegen ist Iran Gegenstand höchster Sehnsucht der süd- 
sibirisch-turkestanischen Reiternomaden, da können sie plündern 
nach Herzenslust, und gelingt es ihnen, sich hier lang genug als 
Herren zu behaupten, dann lernen sie auch die Sprache der 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 231 


Unterjochten. Die nomadischen Herren teilen sich: die einen 
bleiben dem bisherigen Wanderhirtenleben treu und bewahren 
ihre Nationalität auch der Sprache nach; die anderen dagegen, 
welche in die Steppe nicht mehr zurückkehren und inmitten der 
unterjochten Bauernschaft Winterquartiere beziehen, die werden 
schnell zweisprachig und vergessen schließlich ihre eigene Sprache, 
werden arisch der Zunge nach. Gelingt es dann den Iraniern, 
das Joch abzuschütteln und den Eindringling zu vertreiben, dann 
sucht dieser, nun: iranisierte Turkotatare andere Länder heim. 
So die Skythen. 

MÜLLENHOFF will aber von arischen Steppenvölkern direkt 
wissen: 

d. „Selöst mehrere persische stämme lebten als nomaden 
(Herodot I. 125), zum teil auch die Parther (Plinius 6, $ 112, 
113), ja diese sollen ehemals Scythen gewesen sein..., auch die 
Sogder und Baktrer sich nicht viel von den nomaden unter- 
schieden haben (Strabo P. 517) und unter den turanischen 
völkern waren die Apuxxar bei Ptolemaeus an der mündung des 
Jaxartes wohl nicht die einzigen von arischer abkunft: die 
Ava, d.:. die nichtarischen Exidaı bei Ptolemaeus im norden 
Turans lassen auch auf ihren gegensatz in südlicheren strichen 
schließen.“ 

Die Heranziehung dieser Völkerschaften zur Lösung der 
Skythenfrage hätte nur dann ein Gewicht, wenn wenigstens bei 
einigen — soweit sie Reiterhirten waren! — die arische Abkunft 
zumindest wahrscheinlich wäre; von einer solchen kann jedoch 
keine Rede sein, wir haben es auch hier mit Turkotataren 
zu tun. „Die Sprache der Parther, in welcher dieser Name 
Vertriebene oder Ausgewanderte bedeuten soll, wird ein Ge- 

misch medischer und skythischer genannt, auch ihre herrschende 
Lebensweise als Reitervolk und ihre, durch den Philbellenismus 
der arsakidischen Könige bezeugte Toleranz, ja Indifferenz 
gegenüber dem religiösen Eifer der echten Perser und anderen 
Anhänger der zoroastrischen Lehre, bezeichnet sie als einen 
auf arischen Boden eingedrungenen turanischen [turkotata- 
rischen] Nomadenstamm, der auch in der nach ihm benann- 
ten, wenig ergiebigen, nur an Weideplätzen reichen Landschaft 





232 J. Peisker 


größtenteils sein Hirtenleben weiterführte“, bemerkt KiePerr' 
und führt nebstdem die ein korruptes Neupersisch reden- 
den, aber in ihren Gesichtszügen und ihrer gesamten Körper- 
bildung die mongolische Herkunft unverkennbar verratenden 
Aimâq oder Hezäre (= „Wanderstämme“) des inneren Afgha- 
nistans“ ?) mit als Beweis an, wie wenig man berechtigt ist, an 
der turkotatarischen Abkunft der Skythen nur deswegen zu 
zweifeln, weil ihre Sprache eine iranische war. 

MÜLLENHOFF setzt fort: 

6. „Der gegensatz in dem die ackerbauenden Iranier, dit 
anhänger der Ormusdreligion, schlechthin zu den reitervölkern 
Turans standen, läßt sich dem der Juden zu den ihnen stamm- 
verwandten Philistern und Phöntziern vergleichen. Ein zweifel 
an der arischen herkunft der Skoloten [Skythen] kann wenigstens 
von dieser seite nicht wegen mangelnder analogie erhoben werden.“ 

Es wird auch kaum jemandem einfallen, einen Zweifel von 
dieser Seite zu erheben, und es steht mit dem Ariertum der Skythen 
schlecht, nachdem es nur diese Analogie zur Stütze hat. Diese 
Analogie findet ihresgleichen nicht unter den Ariern, sondern 
bloß unter den Uralaltaiern. Nur die Uralaltaier und die 
Semiten bewohnten Länder mit eingeschlossenen Stepper, 
deren Natur und Größe zur Entstehung eines Reiternomadentums 
führen konnte; die arischen Ländergruppen enthalten jedoch 
solche Gebiete einmal nicht, daher konnte sich unter den Arien 
ein derartiger Gegensatz zwischen Reiterhirtentum und Ackerbau 

1) KIEPERT, à. a. 0. 8. 66 f. 

2) A. a. O. S. 345. Aimäg ist jedoch nicht, wie KIEPERT glaubt, ein 
Völkername: vergl. PALLAS, Reise durch verschiedene Provinzen des rus- 
sischen Reichs, I., St. Petersburg 1771, S. 328: „Die kalmückischen Stämme sind 
von je her gewissen Oberhäuptern untertan gewesen, deren Recht und Gewalt 
über die Unterworfenen erblich fortgepflanzt wird, und noch itzt ist die 
ganze Nation unter dergleichen kleinen Fürsten verteilet, welche sich den 
Titel Vojonn beilegen lassen und dem über sie ernennten Chan wenig gt- 
horchen. Die Haufen, über welchen sich die Herrschaft eines solchen Nojons 
erstreckt, wird eine U/zss genannt und ist in kleinere, nicht weit voneinander 
kampierende Haufen oder Aimaks abgeteilet, über welche gewisse Edle, 
deren Titul Saissang ist, gebieten. Jeder Aimak verteilt sich wegen der 


Viehweide wiederum in Gesellschaften von 10—12 Gezelten, die einen soge- 
nannten Chatun ausmachen.“ 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 933 


iicht entwickeln, wie er sich bei den Semiten und den Ural- 
ltaiern vorfindet und durch die letzteren auf dem Wege der 
iroberung in arische Gebiete erst hineingetragen wurde. Über- 
lies ist es keineswegs so ganz sicher, daß zwei Reiternomaden- 
atstehungsherde vorliegen, ein uralaltaischer in Zentralasien und 
in semitischer in Arabien, denn es ist leicht möglich, daß Ural- 
ltaier, die ja auch Mesopotamien beherrschten, Arabien, wo bis 
ahin keine Wanderhirten zu sein brauchten, in unvordenklichen 
‚iten einnahmen und sich dort allmählich semitisierten. 

Daß sich der Wanderhirte unter einer fremdsprachigen Be- 
ölkerung entnationalisiert, dafür könnten zahlreiche Beispiele 
bracht werden: 

HERODOT erwähnt — um bei den Skythen zu bleiben — 
berhalb des Emporiums der Borystheniter, zuerst der Kallipider, 
welche griechische Skythen seien, éôvres Ames Zxidar'). 
Diese wechselten somit zumindest zweimal die Sprache. — 
Von den korrupt neupersisch sprechenden turkotatarischen , Aimâq“ 
im Innern Afghanistans war oben die Rede. — Nach IBRÂHîM 
IBN JARÔB sprächen „mächtige Stämme aus dem Norden slawisch 
infolge ihrer Vermischung mit ihnen; so die Petschenegen, ... 
und Chasaren.“ — Die türkischen Bulgaren slawisierten sich unter 
den unterworfenen Balkanslawen gänzlich. — Und erst die 
romanisierten Schafwanderhirten der Balkanhalbinsel, die Wlachen, 
welche erst im Laufe des späten Mittelalters und der Neuzeit teils 
serbisch oder kroatisch, teils bulgarisch, teils neugriechisch wurden 
ind noch werden, je nachdem, wo sie eine hinreichend lange Zeit 
mit ihren Herden gewintert haben und wintern?). Das sind ganz 
andere Analogien, welche die uralaltaische Abkunft der Skythen 
uit deren iranischer Sprache harmonisch binden. 

‚ Somit ist nicht ZEuUSS-UKERT-MÜLLENHOFF, sondern NIEBUHR- 
SAFARIK-KIEPERT beizupflichten, und die Skythen sind für 





1) HERODOT IV., 17: ... die K'allipider haben sonst dieselben Sitten wie die 
Sythen, aber sie säen auch Korn und essen Zwiebeln und Knoblauch und Linsen 
md Hirse. Also Nomaden mit einigem eigenen Feldbau wie die heutigen 
Kara-Kirgisen. 

2) Über das wlachische Schafwanderhirtentum folgt eine besondere Ab- 
andlung. 


934 J. Peisker 


‘iranisierte Uralaltaier zu erklären. Wohl würdigte auch 
Sararik eingehend die Verwandtschaft der skythischen Sprache 
mit den iranischen'), war jedoch zu vorsichtig, um Abkunft und 
angenommene Sprache nicht auseinanderzuhalten. 

„Diese wunderliche Erscheinung — schließt er — erklärt sich 
teils durch das dereinstige Wohnen der Skythen tief in Asien, 
vielleicht in der Nachbarschaft der Meder und Perser, teils in 
dem mehr als 28 jährigen Aufenthalte in Medien (633— 605 v. Chr.), 
teils endlich durch die Nachbarschaft mit den Sarmaten, einem 
medischen Stamme, mit dem sie viele Jahrhunderte lang ver- 
kehrten und in Sitten und Sprache sich vermischten . . .“i). 
Von der letzteren Erklärung, der Nachbarschaft der „medischen® 
Sarmaten, kann man getrost gänzlich absehen ?), und der so kurze, 
etwa 28jährige Aufenthalt in Medien dürfte ebensowenig zur 
Iranisierung ausgereicht haben, eine viel längere vorhistorische 
Herrschaft der Skythen irgendwo in Iran anzunehmen sein. 

Auf ihren riesigen Wanderungen haben die Skythen gar viele, 
in ihrer Lebensweise grundverschiedene Völker heimgesucht, sie 
nach Belieben verpflanzt und sich mit ihnen vermischt; das süd- 
russische Skythien bildete ein dementsprechendes ethnographische 
Kaleidoskop, und die heutige ethnische Buntheit dieser Länder 
— über die Krimtataren siehe oben S. 215 — ist dessen bloße 
Fortsetzung. 

So findet VAMBÉRY, „dass der Bericht HERODOTS von den mit Zelten 
überspannten Wagen, von dem Gebrauch des Dampfbades, von der Toilette 
der Weiber mittelst Zerreibung von Cedern- und Weihrauchholz, welcher an 
den heutigen Gebrauch der Henna im Kaukasus und in Persien erinnert, sowie 
schließlich der Bericht von den Ackerbau treibenden Skythen ... streng ge 
nommen nicht in den Rahmen eines Sittenbildes der eigentlichen Nomaden 


passt, da die Verwendung von Holz durch den Aufenthalt in einer Wald- 
gegend bedingt ist, ebenso wie die ausschließliche Beschäftigung mit der 


1) SCHAFARIK, a. a. O. I. S. 282 ff. 
2) SCHAFARIK, a. a. O. S. 284 f., nach dem Originaltext berichtigt. 

_ 8) Ebensowenig begründet, wie die arische Abkunft der Skythen, ist die 
Annahme, auch die Sarmaten wären Arier gewesen und es blieb erst KIEPERT 
vorbehalten, „ihre dauernd nomadische Lebensweise“ hervorzuheben, „welche 
vielmehr auf die Vermutung eines Zusammenhanges mit den bekanntlich auch 
auf iranischem Boden von jeher weit verbreiteten turanischen [turkotatarischen] 
Reitervölkern führt“. KiEPERT S. 346, Anm. 1. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 235 


Scholle sich nicht auf das Leben in der nackten Steppe beziehen kann ... 
Wir erfahren ferner, daß gewisse Skythen sich auschließlich mit der Vieh- 
ııcht beschäftigen, daß sie Kumis trinken, daß sie mittelst Stäben wahr- 
agen, wie e8 AMMIANUS MARCELLINUS bei den Hunnen gewahrte, und wie 
liese Sitte noch heute in Zentralasien besteht ..., daß sie ihre Leichen nach 
lem Ritus der turkotatarischen Schamanen bestatten u. 8. w.... lauter solche 
\ndeutungen, die ebensosehr auf das Leben einer ganz nomadischen 
resellschaft passen, als die früheren Bemerkungen streng genommen 
ur die Lebensart einer halbnomadischen Gesellschaft darstellen 
öanen“. Daraufhin gelangt VAMBÉRY zu der Hypothese, „daß die eigent- 
chen Skythen, d. h. die drei königlichen Stämme ..., sowie die Ackerbau 
reibenden Stämme... ., vielleicht auch die Agathyrsen und Sauromaten [Sar- 
ıaten] nicht Uralaltaier, daher eventuell Arier waren, ebenso wie die ver- 
randten und fremden Grenzvölker teils für Mischlinge, teils für entschiedene 
ingehörige des uralaltaischen Stammes zu nehmen sind ... und 
ndem wir ... [diese Hypothese] aufstellen, müssen wir BRUUN und MÜLLEN- 
{or entschieden widersprechen, die der Meinung sind, daß die nomadische 
Existenz nicht als Argument gegen das Iraniertum der Skythen gelten könne, 
ia auch andere Iranier ohne feste Wohnsitze waren (?), und da der Mensch 
m allgemeinen, welchem Stamme er auch immer angehôre, von den lokalen 
Eigenheiten des ihm zur Wohnung dienenden Bodens abhängt... Einzelne 
Zweige der großen Türkenfamilie mögen wohl in die triftenreichen Täler 
der Alpenregionen zersprengt worden sein, ...2. B. ... Karakirgisen im 
Altei und in Pamir ..., doch das Gros dieses Volkes war ... von jeher mit 
der Natur der baumlosen Steppe engstens verbunden ..., so wie sich die 
wischen Völkerelemente von jeher durch die seßhafte Lebensweise ... aus- 
zeichneten (denn von arischen Nomaden hat die Geschichte 
keine Daten aufbewahrt, und die Gegenwart kann nur das 
talbnomadische Völkchen der Déeméidis am Murgab ver- 
ttichnen). Und da dem so ist, nehmen wir nicht Anstand, 
im südöstlichen Teile der uralaltaischen Rasse, d. h. bei 
len Türken, ein so geartetes Verhältnis, wenngleich nicht 
wfJahrtausende, sicherlich aber auf Jahrhunderte zurück- 
üsetzen, demnach die Annahme zu wagen, daß jener Teil 
les Herodotischen Skythiens, der sich vom mäotischen See... 
lordüstlich ... gegen die Wolga erstreckte, von Völkern 
tralaltaischer Rasse, sehr wahrscheinlich von Türken be- 
‚ohntwar, wobeijedochdie Möglichkeitnichtausgeschlossen 
st, daß sich einzelne Fraktionen dieser Rasse oder des 
etzterwähnten [d. i. Türken-] Volks schon inmitten der so- 
'enannten pontischen Skythen befunden haben“). 

So lebrreich VAMBÉRYS Ausführungen auch sind: der Versuch des großen 
(enners Zentralasiens, die königlichen Skythen in bezug auf die Abkunft von 


l) VAMBÉRY, Ursprung der Magyaren, S. 9 ff. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftegeschichte. III. 16 


236 Ä J. Peisker 


den Nomadenskythen zu trennen, scheint mir nicht geglückt zu sein. 
Die Königlichen waren ja Herren, Anführer der Nomaden '), mit denen sie 
halb Asien durchzogen, etappenweise unterwarfen, und die Geschichte der 
uralaltaischen Eroberer kennt kein Beispiel einer solchen arischen An- 
führerschaft, während gerade umgekehrt uralaltaische Machthaber es meister- 
haft verstanden, arische Völker zu mobilisieren und ihren Zwecken dienst- 
bar zu machen. Millionen von Germanen und Slawen waren Kriegsknechte 
der an Zahl viel geringeren Hunnen und Awaren, dagegen hat es, soviel 
bekannt, türkische Völker als Kriegsknechte arischer Eroberer — und noch 
dazu für so ungeheuere Wanderungen — nie gegeben. Noch weniger denkbar 
ist es, daß ein uralaltaisches Reiternomadenvolk inmitten seines ureigensten 
Elementes, der Steppe, einen von Haus aus arischen und derart isolierten 
Gebieter (wie die königlichen Skythen, wenn sie Arier gewesen wären) hätte 
dauernd ertragen mögen. Dazu ist nur ein äußerst flinkes Reitervolk ge- 
eignet, und von einem arischen Reitervolke hat man keine Kenntnis. Er- 
scheinen nun die königlichen Skythen VAMBÉRY nicht notwendig türkisch, 
so sind sie als Arier noch viel weniger denkbar. Bleibt die dritte Eventuali- 
tät: Die königlichen Skythen sind ebenfalls ein Mischvolk, ihr Grundstock 
kann jedoch nicht arisch, muß somit uralaltaisch sein. 

Wollen wir noch VAMBÉRYSs Unterscheidung zwischen den eigentlichen 
und den bloß nominellen Skythen, die leicht zu Mißverständnissen führen 
könnte, näher beleuchten: 

Der Hauptstock der ackerbauenden Skythen kann allerdings kaum zu 
den eigentlichen Skythen gezählt werden und wird zu diesem Namen suf 
dieselbe Art gekommen sein wie die slawischen Bulgaren, auf welche ihr 
heutiger Name von ihren uralaltaischen Unterjochern übergegangen ist 
Allein ein Teil der ackerbauenden Skythen kann immerhin echt skythischer 
Herkunft gewesen sein, denn auch andere Reiterhirten gelangten schließlich 
zum Ackerbau, sei es, daß sie um ihre Herden kamen und dadurch zu einer 
Bodenbestellung gezwungen wurden, sei es, daß sie in Gegenden vor 
drangen, in denen neben der Viehzucht auch ein Ackerbau leicht und er 
folgreich betrieben werden konnte. So die Gebirgskirgisen des Alaj-Talei 
in Ostturkestan, wo sie in der Höhe von 2600 Meter einen ausgedehnten 
Ackerbau, wenn auch durch Arbeiter oder Sklaven, betreiben (siehe oben S. 201} 

Die „eigentlichen Skythen, d.h. die drei königlichen Stämme“, ist VA- 
BERY geneigt, ebenfalls zu den Nichturalaltaiern zu zählen, mit Rücksicht 
auf den „Bericht HERODOTs von den mit Zelten überspannten Wagen, von 
dem Gebrauch des Dampfbades, von der Toilette der Weiber mittels 
Zerreibung von Cedern- und Weihrauchholz, ... [was] streng genommei 
nicht in den Rahmen eines Sittenbildes der eigentlichen Nomaden paßt, ds 


1) HrRoDoT IV, 20: Fenszits des Gerrhos aber kommt dann das sogenamn! 
Königsland, da wohnen die tapfersten und die meisten Skythen, die sehen auch 
die übrigen Skythen für ihre Knechtean. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 237 


:rwendung von Holz durch den Aufenthalt in einer Waldgegend be- 
ist“. 
agegen wäre einzuwenden: 
108 die Weiber und Kinder der Skythen lebten nach 
30T und HIPPOKRATES auf Wagen, die Männer dagegen 
n Reiter. Warum lebten auch die Männer nicht mit auf den Wagen, 
ısere Zigeuner und andere dnaföß.o:? Oder: Warum saßen auch die 
nnen nicht zu Pferde, wie (nach HIPPOKRATES, siehe oben S. 211) die 
tinnen ? 
ier liegt ein scharfer Dualismus in der Lebensweise eines und des- 
Nomadenvolkes vor. Das Reiterleben weist auf eine Heimat hin, 
s ungünstige Terrain jeden Wagengebrauch ausschließt, und setzt eine 
sweise voraus, die außerordentlich weite und rasche Wanderungen er- 
tk Durch beides wird die merkwürdige Fertigkeit gezeitigt, das trans- 
le Haus, das Zelt, mit all seinem Inhalt oft täglich, mitunter auch 
fter auseinanderzunehmen, auf Saumtiere zu verladen und anderswo im Nu 
‘ aufzuschlagen. Das Gegenteil davon ist das Wagenleben; dieses 
»in dazu besonders günstiges Terrain voraus und rechnet nicht mit so 
ı und raschen Wanderungen. Das ewige Abbrechen und Neuaufschlagen 
te entfällt hier gänzlich. 
an sieht, der Unterschied zwischen Reiterleben und Wagenleben ist 
valtig, daß es nicht glaubhaft erscheint, als ob diese beiden Lebens- 
ı bei einem und demselben Volke in einer und derselben Heimat hätten 
ch aufkommen können. Wäre ein Teil der Skythen-Nomaden, Mann 
Veib, beritten und der Rest zu Wagen gewesen, dann läge eine Er- 
g nahe: Ein Reitervolk habe sich über Hamaxobier geschoben. 
arf man dies auch von den Skythen vermuten, bei denen diese scharfe 
ang nach Mann und Weib ging? 
hne Zweifel! Man erinnere sich nur des Schicksales der Magyaren, 
bei der Rückkehr von einem Raubzuge ihr Heim ausgemordet fanden 
oben S. 213). Dasselbe muß auch den Skythen widerfahren sein und 
'eranlaßt haben, sich nach anderen Weibern umzuschauen. Wo konnten 
och geschwind solche hernehmen, als von einem ansässigen Volke, das 
ı Weges überfielen ! 
ie so geraubten Weiber verstanden sich jedoch auf das Reiten nicht, 
reniger auf das ihnen wildfremde Leben und Wirtschaften in abbrech- 
Zelten. So blieb den Skythen nichts anderes übrig, als sich der plötz- 
Not anzupassen und ihre Behausungen so einzurichten, daß das un- 
:he Wanderleben zwar aufrecht bleibe, aber die Zelte derart hergestellt 
ı, damit sie nicht in einem fort auseinandergelegt, verladen und wieder 
fgerichtet werden müßten, somit die Weiber ihre bisherige Lebens- 
so weit, als nur möglich, weiterführen könnten. Man stellte also die 
auf Räder, und so kam eine neue, bis dahin bei den Skythen un- 
te, durch das Terrain der grasreichen und ganz ebenen südrussischer 
» 


238 J. Peisker 


Steppe begünstigte Daseinsform zustande, das Leben auf Wagen bei den 
Weibern, während die Männer auch fernerhin dem Reiterleben treu blieben. 

Der so entstandene Dualismus in der Lebensweise von Mann und Weib 
beschränkte sich indes auf diesen Umstand allein keineswegs, er ist auch 
sonst deutlich wahrnehmbar, zunächst in einer recht charakteristischen Einzel- 
heit: 

Die Skythen badeten nämlich ganz anders als die Sky 
thinnen. Darüber berichtet HERODOT IV. 75: 

. Von diesem Hanf nun nehmen die Skythen die Körner und kriechen 
unter ihre Filszelte und werfen die Hanfkörner auf die glühenden Steine. Und 
wenn die Körner darauf fallen, so rauchen sie und verbreiten einen solchen 
Dampf, daß kein hellenisches Dampfbad darüber kommt. Die Skythen aber heulen 
vor Freude über den Dampf. Das gilt ihnen als Bad, denn im Wasser baden 
sie sich gar nicht. 

Ihre Weiber aber reiben auf einem rauhen Stein Zypressen- und Zedern- und 
Weihrauchholz und gießen Wasser dazu. Und sodann bestreichen sie sich damit, 
das nun ein dicker Brei geworden, den ganzen Leib und das Gesicht. Dadurch 
nun bekommen sie sowohl einen lieblichen Geruch, als auch, wenn sie am folgenden 
Tage den Überzug abnehmen, werden sie rein und glänzend. 

Die Männer badeten im Wasser gar nicht, und dies weist auf 
eine wasserlose Wüste hin, direkt nach Westturkestan als Urheimat der 
Skythen. Den Xarf werden sie jedoch erst auf ihren Raubzügen in Medo- 
persien oder Armenien kennen gelernt haben, denn dorthin deutet das sky- 
thische Wort xd&vvaßıg, persisch kanad, armenisch Aanaf. Auch die heutigen 
Turkotataren haben dafür kein eigenes Wort, ihr Ausdruck kendir ist eben- 
falls ein persisches Lehnwort'). In Medopersien oder in Armenien ist dem- 
nach der Ursprung des Hanfbades zu suchen, und die Skythen konnten diesem 
Genusse auch in Südrußland um so eher frönen, nachdem dort der Hanf wild 
wuchs und auch angebaut wurde”). 

Ganz anders badeten die Skythenweiber, welche keine derartige Scheu 
vor dem Wasser hatten: Sie mischten es mit geriebenem wohlriechenden 
Holz und bestrichen sich damit. Die dazu verwendeten Holzgattungen kommen 
indes weder in Turkestan noch in Südrußland vor und wurden wohl durch 
Handel oder Tribut von auswärts bezogen. Vielleicht sind sie ein Fingerzeig 
dafür, woher die geraubten Skythenweiber stammen: etwa aus Medopersien 
oder Armenien. 

Dadurch glaube ich VAmBErYs Bedenken gegen eine uralaltaische Ab- 
kunft „der eigentlichen Skythen, d. h. der drei königlichen Stämme“ einzeln 
behoben zu haben. 


Mit der Frage nach der Zugehörigkeit der Skythen ist nichts 


1) Näheres darüber werden wir weiter unten, bei der Besprechung der 
altgerm. Lehnwörter im Slawischen, Gruppe VII, 8. v. #onoplja vernehmen. 
2) HERODOT IV, 74: ... xal abtopätn xai onetponévn œüstas. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 239 


erreichen, solange sie dahin zugespitzt bleibt: ob arisch, ob ural- 
aisch. Die Kontroverse darüber dauert nun fast ein ganzes 
hrhundert, zeitigte bereits eine große Literatur — NIEDERLE 
t sie sehr sorgfältig zusammengestellt!) —, arbeitet jedoch 
rt nur mit einem und demselben Material: Einerseits mit der 
‘ugenschaft des HIPPOKRATES, eines so einwandfreien Fach- 
annes, zugunsten der uralaltaischen Herkunft der Skythen, 
ıdererseits zugunsten deren arischer Herkunft mit den ebenso 
nwandfreien Argumenten der Ikonographie und der skythischen 
prachenreste. Statt nun alle diese drei Quellen als gleich- 
ertig hinzunehmen, wägt man HipPOKRATES’ Zeugnis mit den 
brigen zweien gegenseitig ab, als ob das, was HIPPOKRATES 
it eigenen Augen gesehen und als kundiger Naturforscher erfaßt, 
ie übrigen zwei ebenso unanfechtbaren Zeugnisse aufwiegen oder 
'on ihnen aufgewogen werden könnte. Nein, so etwas gibt es 
infach nicht, HIPPOKRATES behält ebenso recht, wie die übrigen 
wei Quellen, und zwar jede für eine bestimmte Zeit, einen be- 
timmten Raum und ein bestimmtes Produkt der beiden: Die 
teiterskythen der Ikonographie sind nicht oder nicht mehr die 
artarmen Reiterskythen des HiPPOKRATES; auch die Reiterskythen, 
lie königlichen und die nomadischen, waren auf Südrußlands 
joden nie von einer gleichmäßigen Mischung, ebensowenig 
fie es die heutigen Krimtataren sind, und büßten von ihrem 
rprünglichen uralaltaischen Typus ein Merkmal nach dem andern 
IImählich ein. — 

MIDDENDORFF belebrte uns über das Verhältnis des herrschen- 
:n turkotatarischen Reiterhirten zu dem unterjochten arischen 
adschik in Ferghana. Dieser ist Vegetarier ohne Viehzucht, 
lglich auch ohne Milchnahrung. Es fragt sich, ob wir dasselbe 
ch in dem skythischen Staatswesen suchen können. Nach 
ERODOT standen den Nomadenskythen, vowadss Zx59o, ohne 
rendeinen Ackerbau, ackerbauende Skythen, Lxudar wootñoss 
d Ixudar Yewoyoi gegenüber?). Waren diese auch reine Acker- 
uer, Vegetarier, ohne Milchnahrung, wie die Tadschik ? 





1) L. NIEDERLE, Slovanské staroitnosti. I.2. V PRAZE 1904, S. 257 ff., 
1 ff. 
2) HERopDor IV. 17, 18. 


240 J. Peisker 


EpHoros — 4. Jahrhundert v. Chr. — sagt, die Sitten so- 
wohl der Skythen als auch der Sauromaten wären nach dm 
einzelnen Völkern sehr ungleich. Einige wären so roh, daß su 
auch Menschen essen, andere hingegen enthalten sich sogar 
aller Tiere ). 

Die Sage von einem skythischen oder einem sarmatischen 
Kannibalismus mag vielleicht eine andere Roheit zur Unterlage 
haben, wie etwa jene war, welche tausend Jahre nach EPrHoros 
den Sklawenen oder den PAysonitern an der unteren Donau von 
PsSEUDO-CAESARIUS von Nazianz zugeschrieben wird: ... d« 
einen essen mit Vorliebe Weiberbrüste, weil sie der Milch voll 
sind, ... die andern dagegen enthalten sich des gesetzlichen 
und unbedenklichen Fleischgenusses .. .“?). 

Also kannte schon EpnHoros im 4. Jahrhundert vor 
Christo, ebenso wie PsEUDO-CAESARIUS im 6. Jahrhundert 
nach Christo am Pontus eine vegetarische Volksschicht 
neben fleisch- und milchessenden Nomaden. 

* x 
x 

Wir haben gesehen, daß überall, wo sich der uralaltaische 
Reiterhirt [in einer genügenden Anzahl] über ein ackerbat- 
treibendes Volk schiebt, dieses Volk zum Vegetariertum, ohne 
Milchnahrung, verurteilt wird; die Berichte EpHoros’, PsEUD0- 
CAESARIUS’, KONSTANTINS des Purpurgeborenen, MIDDENDORFFS 
decken sich da vollständig. Dies gilt also auch von den alten 
Slawen, und die germanischen Lehnwörter für Rind, Milch und 
anderes sind ein weiterer Beleg dafür. Dieser Zustand war auch 
bei den Slawen eine unvermeidliche Folge der uralaltaischen 
Herrschaft, er währte so lange und wiederholte sich so oft, als 
der Wanderhirte seinen schweren Fuß auf den Nacken des g® 
knechteten Slawen gesetzt hielt, und dies war, periodisch, seit 
undenklichen Zeiten der Fall. 


1) EPHOROS, bei STRABO VII. 302. Fragmenta historicorum graecorul 
auxerunt C. et TH. MÜLLERI. I. Parisiis 1858, S. 256. 

2) MCLLENHOFF, Deutsche Altertumskunde. I. Berlin 1887, S. 367. — Der 
Genuß der Weiberbrüste dürfte sich etwa auf eine perverse Gier reduzierel 
stillenden Weibern die Milch auszusaugen, wobei die Brüste mitunter wund 
gebissen wnrden. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 241 


Eine ungünstigeregeographische Lage, mit Rück- 

cht auf die fürchterliche Nachbarschaft, hätten 
e Slawen auf dem ganzen Erdenrund nicht finden 
innen; in der nächsten Nähe der uralaltaischen 
auberhorden ansässig, mußten sie zu einem der 
ißhandeltsten Völker werden, welche die Welt- 
eschichte kennt; während die meisten der übrigen 
festarierauch anihrer geistigen Entwicklung bauen 
ndin der Zivilisation fortschreiten konnten, ächzte 
och ungezählte Jahrhunderte hindurch der Slawe, 
nter den Awaren zu einem Zugvieh erniedrigt, in 
ler unwürdigsten Knechtschaft, an der sogar sein 
igener Name schließlich haften blieb: Siuawe — 
Sklawe!). — 


D) G. Baisr schreibt: „Gustav KŒRTIN&G (Lateinisch-romanisches Wörter- 
juch, Paderborn 1891, 8. v. “sc/avus 7275) stimmt MACKEL bei, welcher 
‘[J]l als organische Lautentwicklung im Romanischen überhaupt betrachtet, 
md erklärt im selben Satz s/c]/- als besondere italienische, durch die zahl- 
reichen (?!) mit exc/- anlautenden Worte bestimmte Erscheinung: eine Variante, 
ie der von ihm abgewiesenen Auffassung viel näher steht als der gebilligten. 
MACKEL hatte in der Tat nichts erwiesen, sondern aus dem Material, das 
er bei mir fand, herausgenommen, was für die von mir bestrittene Ansicht 
sprechen konnte, übergangen, was ihr widerstritt. Eine materielle Berichti- 
gung wäre gerade bei sckiavo möglich gewesen. Nach der üblichen Auf- 
ssung, wie sie DrEz bietet und Mık1.osıch (Etym. Wtb. 1886) gelten 
läßt, nahm ich an, mlat. sc/avus in der übertragenen Bedeutung (als Volks- 
tame ja schon bei PROKoP und JORDANIS) sei von den Deutschen ver- 
nittelt worden. Schienen doch auch die Belege bei Ducange dem zu ent- 
sprechen, sagt es doch ausdrücklich MAkkArı I. 92. Trotzdem ist es ein 
isterischer Irrtum. Die Deutschen nannten ihre östlichen Gegner Wenden, 
md so steht auch im rechtlichen Sinn im Sachsenspiegel gegenüber sc/avus 
der lateinischen Redaktion. ZxAaßnvoi, Sc/aveni, Slovenen (gegen die Ableitung 
von siovv, Rede, und damit die Auffassung als allgemeiner Volksname MiıK1.o- 
‘In a a. O.) ist Name des südslawischen Stammes, der als der erste der 
Rasse im VI. Jahrhundert an der unteren Donau den Romaeern gegenüber- 
rat; sie werden von dort durch die Awaren bald zum Haemus und nach 
[yrien vorgedrängt, kamen hier mit den Bayern in Berührung, waren aber 
gleich unmittelbare (nur durch die Adria getrennte) Nachbarn Italiens. 
Als allgemeine Bezeichnung einer bestimmten Klasse der Eigenen (aus ge- 
kauften Kindern — das waren nicht nur Kriegsgefangene, auch hungernde 
Eltern verkauften die Söhne — gebildeter Truppen), erscheint die Benennung 


242 J. Peisker 


Die Germanen und die Slawen erscheinen bereits am Anfange 
der Geschichte in jeder Beziehung so grundverschieden, daß das 
Bestreben der Wissenschaft, die Ursachen dieser Erscheinung 
aufzudecken, nur zu begreiflich ist. Daß dies bisher nicht ge 
lungen, kann nicht befremden, denn man suchte sie in den beiden 
Völkern selbst: in ihren anscheinend angeborenen Charakteren, 
in ihren geistigen Eigenschaften und ich weiß nicht worin allem. 
Auch die Schädelbildung zog man heran: hie dolichokephale 
Germanen, da brachykephale Slawen. Heute weiß man, daß auch 


zuerst bei den spanischen Arabern in der ersten Hälfte des X. Jahrhunderts, 
in einem Zusammenhang, der Wort und Sache als erheblich älter erkennen 
läßt (s. Dozy, Gesch. der Mauren, II. 38). Damit werden wir ohne Fragt 
auf Italien hingewiesen, im Mittelalter zu jener Zeit das Emporium des 
Menschenhandels, der Venedig zur großen Stadt machte und die gefallen 
Roma ernähren half. Allerdings haben auch die Byzantiner die Epenthe: 
des c (vgl. dazu Ztschr. f. d. Ph. VI. 480), und JorpAanıs könnte von ihnen 
abhängig sein, aber gegenüber isckia u. s. w. werden wir nun allerdings zu 
dem Ergebnis kommen, daß sc/ für s/ italienisch (und provencalisch, nicht 
aber französisch und spanisch ...) in allen bekannten Fällen steht, das Wort 
als slawisch-italienisch bezeichnen dürfen, ohne uns allerdings die Kürzung 
der Endung erklären zu können“ (Zeitschrift für französische Sprache 
und Litteratur, herausgegeben von BEHRENS. Band XIII, 2. Hälfte. Oppelo 
und Leipzig 1891, S. 190 £.). 

Zusammenfassend sagt KLUGE, Etym. Wtbch. der deutschen Sprache® 
8. v. Sklave: „Zu Grunde liegt die byzantinische Bezeichnung der Südslawen 
als 'EoxAaßnvot, die in Italien im 8./9. Jahrhundert die Bedeutung ‚er 
(als Sc/avus) annahm, die dann über Italien nach Deutschland wanderte (die 
eigentliche Benennung der Slawen in Deutschland war im Mittelalter Wenden 
Winden); die Bezeichnung Sklaven kann nicht vom slawischen Osten aus 
gegangen sein, weil keine westliche slawische Völkerschaft sich je Sk/æ 
genannt hat (aslow. Slovenins)*. 

Die Entstehung des Wortes in dieser Bedeutung dürfte auf den Slawen“ 
raub und Handel der Uralaltaier zurückzuführen sein. So berichtet IB* 
Rosrex [vor 913 n. Chr.]: ... Die Magyaren [am Schwarzen Meere] Aerrsch# 
über sämtliche mit ihnen benachbarten Slawen, zwingen sie zur Erfüllung 
schwerer Pflichten und gehen mit ihnen wie mit Gefangenen um ... Sie bekrieg* 
die Slawen, machen Sie zu Gefangenen... Wenn die Magyaren mit ihren Ge- 
fangenen nach [der Stadt] Aerch kommen, ziehen die Römer [Griechen] #7 
entgegen, alsdann die Magyaren... die Gefangenen übergeben und dafür " 
Tausch... griechische Waren erhalten. VÄMBERY, Der Ursprung der Magyare?- 
Leipzig 1882, S. 116. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 243 


er Slawe ursprünglich relativ langschädlig war’) und erst seit 
istorischen Zeiten zur Kurzschädlichkeit fortschreitend hineilt. Wir 
aben somit keinen Grund zur Annahme, der in jeder Beziehung so 
roße Unterschied zwischen den Germanen und den Slawen wäre 
ranfänglich und in der Rasse gelegen; vielmehr erhellt aus allem, 
ras wir über das Reiternomadentum gehört haben, zur Genüge, daß 
iealten Slawen so, wiesie die Geschichte kennt, erst 
n der uralaltaischen Folterkammer geworden sind. 

Dadurch haben wir auch schon einen festen Boden für die sla- 
rische Vorzeit gewonnen und können mit einer größeren Aussicht auf 
Erfolgan die Prüfung derältesten erkennbaren Beziehungen zwischen 
den Slawen und den Germanen herantreten. Sie äußern sich uns, 
nachdem alle übrigen Quellen der Vergessenheit verfallen sind, 
einzig und allein in den germanischen Lehnwörtern im Altslawischen. 

Diesen so kostbaren kulturgeschichtlichen Born hat SAarAkik 
erschlossen und eine Reihe solcher Lehnwörter im ersten, 1837 
erschienenen Bande seines Werkes über die slawischen Altertümer 
veröffentlicht ?). Sodann folgten die Untersuchungen von MixLo- 
Sich vom Jahre 1867°), von MATZENAUER vom Jahre 1870“), 
von UHLENBECK vom Jahre 1893°), von Hırr vom Jahre 1898) 
und von RicH. LoEwE vom Jahre 1904°). Den ersten Ver- 





l) L. NIEDERLE, Slovanské staroZitnosti. I. 1. V Praze 1902, S. 108 f. 
9 SAFARJR, Slowanské Starozitnosti. I. W Praze 1837. In deutscher 
Übersetzung: SCHAFARIK, Slawische Altertümer I. Leipzig 1848. Die von 
ihm als gotisch angesehenen behandelt er auf S. 429 und die altnordischen 
auf 5. 440 der deutschen Ausgabe. In der Originalausgabe S. 347 und 356. 

3) MIKLOSICH, Die Fremdwörter in den slawischen Sprachen, in den 
Denkschriften der Kaiser. Akademie der Wissenschaften. Wien 1867, 
Phil-hist. Kl. Bd. 15. Ferner: MikLosicH, Etymologisches Wörterbuch der 
!lawischen Sprachen. Wien 1886. 

4) MATZENAUER, Cizi slova ve slovanskych reëech. V Brné 1870. 

5) UHLENBECK, Die germanischen Wörter im Altslavischen, im Archiv 
für slavische Philologie XV. Berlin 1893, S. 481 ff. 

6) H. Hırr, Zu den germanischen Lehnwörtern im Slavischen und 
Baltischen in PAUL und Brauxes Beiträgen zur Geschichte der deutschen 
Sprache und Literatur, XXIII. Band. Halle a. S. 1898, S. 330 ff. 

T) Rıch. LOEWE, Altgermanische Elemente der Balkansprachen. 
I. Slawisch, in Kuss Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung. 
Bd. 39, N. F. 19, Gütersloh 1904, S. 313 ff. 


i.. 
PR) 
. 





244 J. Peisker 


such, die germanischen in Verbindung mit den übrigen Lehn- 
wörtern im Altslawischen [und fortsetzend im Polnischen] in ihrer 
Gesamtheit kulturgeschichtlich zu gliedern, unternahm Bkück- 
NER im Jahre 18981) Dies wären nur die hauptsächlichsten 
Arbeiten über diesen so schwierigen Gegenstand voll Unsicher- 
heiten, Kontroversen und Zweifel. 

UBLENBECK, an welchen wir uns in erster Reihe zu halten 
haben, nahm in sein Verzeichnis nur solche Wörter auf, die er 
nach den lautlichen Kriterien für zweifellos entlehnt hält, und 
Hırr wird kaum unrecht haben, wenn er meint, es sage uns die 
Wahrscheinlichkeitsrechnung, „daß auch von den Wörtern die 
lautlich genau übereinstimmen, viele entlehnt sein können ...“)) 
Jedenfalls ist Hırr beizupflichten, daß bei solchen lautlich ge 
nauen Übereinstimmungen erst andere Gründe die Wagschale 
nach der einen oder andern Richtung werden sinken lassen. 
Dies hat Hırr an mehreren solchen Wörtern unternommen und 
vieles Wichtige zur Lautlehre der germanischen Lehnwörter im 
Slawischen hinzugefügt. 

Für die Fragen, die uns jetzt beschäftigen, sind diese Lehr- 
wörter nicht so vom sprachlichen, als vorwiegend vom sachlichen 
Standpunkte wertvoll, wir werden sie daher nicht alphabetisch, 
sondern nach realen Gruppen zusammengestellt vorführen und 
von den ganz offenkundig althochdeutschen, als für unsere Fragen 
viel zu späten, absehen. 

Was hier geboten wird, ist lediglich eine, wenn auch recht 
mühsame Kompilation, denn in philologieis bin ich Laie. Zur 
Vermeidung augenscheinlicher Fehler erbat ich mir von mehreren 
Fachmännern Rat, und BERNEKER, JaGié, MURKO, STREKEL) 
UHLENBECK, ZUBATY hatten die besondere Güte, die Korrektur- 
bögen zu lesen und mit reichen Anmerkungen und Warnungen 
zu versehen. Nach diesen berichtigte ich meine Kompilation, 
und jene füge ich, soweit es der beschränkte Raum zuläßt, als 
Nachträge jedem einzelnen Lehnworte bei. — Abkürzungen: 








1) A. BRÜCKNER, Cywilizacja i jezyk. Szkice z dziejöw obyezajowosd 
polskiej, in der Bibljoteka Warszawska, 1898, tom 3 und 4, und dan! 
selbständig mit Berichtigungen, Warschau 1901. 

2) HIRT, a. a. OÖ. S. 830. 


ie älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 


ehe aksl. kärnt. = kärntnerslowenisch 
altenglisch klruss. — kleinrussisch 
altfriesisch kroat. = kroatisch 

: altgermanisch lat. = lateinisch 
Ithochdeutsch lett. — lettisch 

\tindisch lit. = litauisch 

ärisch magy. = magyarisch 


ltkirchenslawisch, oder 


rarisch oder altslowenisch 


mhd. = mittelhochdeutsch 
mlat. = mittellateinisch 


altniederdeutsch mndd. = mittelniederdeutsch 
angelsächsisch mndl. = mittelniederländisch 
altnordisch ndd. = niederdeutsch 
altpersisch ndl. = niederländisch 
rmenisch nhd. = neuhochdeutsch 
altrussisch npers. = neupersisch 
= altsächsich nslow. = neuslowenisch 
altserbisch nsorb. = niedersorbisch oder 
altslawisch niederlausizisch 
aksl. osorb. = obersorbisch oder ober- 
avestisch lausizisch 
ulgarisch polab. = polabisch oder elbe- 


sechisch oder böhmisch 
änisch 


slawisch 
poln. = polnisch 


leutsch | rum. = rumänisch 
nglisch russ. — russisch 

nnisch schwed. = schwedisch 
germanisch serb. = serbisch 

tisch | skand. = skandinavisch 
- griechisch | skr. = sanskritisch 
»chdeutsch | slaw. = slawisch 
olländisch slow. = slowenisch 


indoeuropäisch oder indo- 





slowak. = slowakisch 


245 


nisch | urgerm. = urgermanisch 
siehe ideur. vorahd. = voralthochdeutsch 
ch weissruss. = weissrussisch 
saikawisch westgerm. = westgermanisch 
Gruppe I. 
Natur. 


»,in einzelnen slaw.Sprachen in der Bedeutung von Kiefer, 
te, Tanne, Kieferwald, Fichtenwald, Nadelwald. angls. 
a, Wald, Hain, nach Hırr entlehnt, nach UHLENBECK 
rwandt. — Nachtrag. BERNEKER: nicht zu entscheiden. 


246 


J. Peisker 


aksl. brög®, Ufer, got. bairgahe: = Gebirge, abgeleitet von germ. 


4 


*berga. Nach Ausweis von arm. darder = hoch, arett. 
ber&sant hatte das Wort palatal und ist deshalb nach Hm 
als entlehnt anzunehmen. Nach UHLENBECK (Etym. Wibeh 
d. got. Spr.) urverwandt oder vielleicht aus dem Gem 
entlehnt. — Nachtrag. UHLENBECK: gegen Entlehnung spräch 
etwa die abweichende Bedeutung. — BERNEKER: halte e 
für entlehnt; aksl. dr&gs übersetzt xoruvos; brégyni, fem 
heißt ‚Hügel‘; klruss. #14 auch ‚Hügel‘, ebenso bulg., serh. 
slow., Gech., slowak., poln. (dial.) und sorb. Also fas 
durchwegs ‚Hügel‘. 

brrdo, Hügel, in den jüngeren Mundarten auch Weber 
kamm. Das Russische hat dördo, wonach — nach UHLE* 
BECK — ein ursprüngliches slaw. *derdo anzusetzen ist 
Man dachte an das gotische daurd, germ. *borda (= Brett) 
aber, nach UHLENBECK, mit Unrecht, weil dieses in 
slawischen *dord-, aksl. *drad-, also nicht drado gegeben hätte 
Vielmehr könne man es für entlehnt halten aus gem 
*berd (bred): mndl. dert, ndl. derd, ahd. bret, angls. bre 
(= Brett). Die germanische Metathesis in derd (neben dred 
wäre also, meint UHLENBECK, sehr alt und nicht nur au 
das Niederländische beschränkt. — Hırr läßt jedoch UHLes 
BECK8 Einwendung nicht gelten und vertritt die Herleitun 
des slaw. Wortes aus got. dJaurd. — Nachtrag. STREKEL 
gegen Entlehnung aus got. daurd oder einer andern gel 
manischen Form spricht die Bedeutung des germanische 
Wortes (= Brett), die mit ‚Hügel‘ nicht vereinbar ist. BE! 
NEKER: Das Wort ist echt slawisch, hat aber mit daurd nich! 
zu tun. Vgl. Zupitza, Kuxxs Ztschr. 36, S. 65. 

buky, Buche, Buchstabe. Alte Entlehnung aus germ. *504 
(ahd. duohha, angls. dece, Buche, got. döka, Buchstabe). - 
Neben duky auch noch aslaw. *du%s (weil Gech., pol 
bulg., russ. 52), aus einem germ. Masculinum *döka (la 
fagus). So UHLEXBECK. Nach Lorwe (S. 330) dürfte ds 
Wort aus dem Balkangermanischen sein. Als Lehnwo 
schon bei MıkLosicı angeführt. 

dol®, Loch, Grube, Tal. got., asächs., ndl. dal, nach KırG 


v— 


8, 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 247 


(Etym. Wtbch. d. d. Spr.), UHLENBECK, BRUGMANN (Kurze 
vergl. Gramm. d. indogerm. Spr., Straßburg 1904, S. 344) 
urverwandt, nach Hırr entlehnt, weil die Bedeutung mit 
dem Germanischen übereinstimme, gegenüber dem griech. 
$0%05. Nachtrag. UHLENBECK: HiRTs Argument ist nicht 
zwingend. — BERNEKER: Entlehnung wahrscheinlich. 
chlad»#,Kühle, auchnochnach UnLEnBEcK (Arch. f.sl. Phil. 15) 
offenbar aus germ. *£a/da, obwohl das cz nicht erklärt sei; 
zu vergleichen aksl. cA/opots, Getöse, von *cklopat:, klappen, 
aus der Sippe von anord. #/appa. Fünf Jahre vor UHLEN- 
BECK (ebenfalls im Arch. f. sl. Phil., Bd. XI, S. 386) lehnt 
KozLovski mit JAGIC eine german. Herkunft dieses Wortes 
ab, eben von wegen des unerklärlichen y, und stellt es als 
urverwandt zu aind. Alad, sich erfrischen, kladuka, kühl, 
frisch. KozLovskıs leitet cAlads von einer slawischen 
Wurzel *cAold- her. UHLENBECK kam später noch einmal auf 
diesen Gegenstand zurück und macht im Arch. f. sl. Phil., 
Bd. 16, 1894, S. 381 gegen KozLovskıJ folgendes geltend: 
da slaw. chlads auf ein *cholds zurückgehe, sei seine auf- 
fällige Ähnlichkeit mit altindisch 4/44 jedenfalls nur zufällig. 
Deswegen wäre die Möglichkeit ihrer gegenseitigen Ver- 
wandtschaft freilich nicht ausgeschlossen, bewiesen aber 
wäre sie nur, wenn es sichere Fälle gäbe, in welchen slaw. 
ch dem skr. % gegenübersteht. Daher findet UHLENBECK 
auch jetzt die alte Annahme, c//ads sei ein germanisches 
Lehnwort, bei weitem wahrscheinlicher, und an dieser Wahr- 
scheinlichkeit hält er auch in der 2. Auflage seines Ety- 
mologischen Wörterbuches fest. Nachtrag. BERNEKER: wird 
wohl recht haben. — STREKELJ: wegen ck statt des er- 
warteten # (vgl. #/adezs) kann Entlehnung aus dem Ger- 
manischen doch nicht als erwiesen gelten und dürfte das 
germanische Wort von dem slawischen trotz Ähnlichkeit in 
Laut und Bedeutung zu trennen sein. CAlopots u. 8. w. 
beweist nichts, weil von einem Schallwort abgeleitet. 
chlem’, Hügel, aus germ. *.o/ma, anord. kolm, kleine 
Insel, angls. Aodr, Meer. Schon von MiKLosicx als wahr- 
scheinliches Lehnwort anerkannt. 


248 


J. Peisker 


aksl. chraëStr, Käfer; nach MixLosicx beruht es auf ( 


vedro, heiteres Wetter, 


hrenst-, hrensk- und bedeutet ursprünglich „den summe: 
nach UHLENBECK aus got. ramster, Heuschrecke. — Na 
UHLENBECK: Jetzt stimme ich mit MikLosicx i 
(PBB. 30, 316). — BERNEKER ebenso. — MURKO 
Wort ist mit regelrechtem slawischen Ablaut. 


chvost», Schwanz, nach UHLENBECK aus einer germ 
von mnd. gxast (= Knorren), dän. ost (Laubbi 
schwed. guast u. s. w., nach STREKELJ (Archiv f 
Philol. 27, S. 48f.) urverwandt. 


kladezs, Quelle, nach UHLENBECK aus einem gern 
dinga, eine Ableitung von #a/do-; vgl. MIKLOSICH 8. v. ko 


loky, Lacke, nach UHLENBECK aus germ. */akk5, ahd. 
mnd. /ake, nach LOEWE (S. 330 s. v. du%y) vielleic 
dem Balkangermanischen. 


ovosSts, Baumfrucht, serb. voce, &ech. und poln. 
klruss. ovoë, ein altbekanntes Lehnwort aus dem 
(MıkLosicH), Nach UHLENBECK aus einer germ. M 
obwohl es schwer zu sagen ist, aus welcher. Es is 
KLUGE ein westgermanisches Wort, ahd. odas, nd 
angls. ofet. — Nachtrag. BERNEKER: sehr unwahr: 
lich; ich halte beinahe eher das germanische Wo 
entlehnt. 


strekr, Storch, nach UHLENBECK für urslaw. szer4 
dem German.; anord. sZorkr, angls. storc, ahd. 
(griech. ropyoc, Geier). Auch MixLosicH hält das 
und das germ. Wort für unverwandt, ohne sich al 
entscheiden, von welchem der beiden Völker entlel 
Nachtrag. STREKELJ: Da das Wort russ. szerks (heute s 
lautet (nicht *s/orks), so ist Entlehnung aus dem ( 
nischen fraglich, wiewohl die germanische Wortform v 
die slawische beeinflusst hat. 
nach Hiırr aus dem Germ.; 
weder, ahd. wetar (= VW 
falls man dieses mit aksl 


vedr®, heiter, - (Wind) vergleicht. 


SL, 


nl 


Ced», Leute, 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 249 


Nachtrag. BERNEKER: Entlehnung möglich, aber nicht 
strikt beweisbar. — ÜHLENBECK: sehr unsicher, denn véfrs 
zur Wurzel *ze-, wehen, und aengl. weder, ahd. wetar 
passen nicht recht zusammen wegen des Vokalismus. — 
STREKELJ: vedro, vedrs ist wohl von vetrs zu scheiden ; 
bei Identität des germ. Wetter mit vetre würde man im 
Germanischen einen andern Wurzelvokal erwarten. Auch 
BRUGMANN (Kurze vergl. Gramm. S. 346 zu *wedhro) hält 
vedro und Wetter für urverwandt. 
zupel», Schwefel, nach UHLENBECK aus slaw. *ZvsPels, das 
auf got. swzbls zurückgehe. Schwierigkeit gäbe das 2 in 
Zupels, und wohl aus diesem Grunde läßt jetzt UHLENBECK 
in seinem Etym. Wtbch., 2. Aufl., 1900, die Herleitung aus 
dem Got. fallen, ohne sich zu entscheiden, aus welcher 
germ. Sprache das Wort entlehnt ist. Angls. swöfel, ahd. 
swebal. — Nachtrag. MurKko: Auf bajuwarischem Boden 
(wegen 2) in althochdeutscher Zeit nur von Südslawen ent- 
lehnt; die russischen Belege stammen aus dem Altkirchen- 
slawischen. 


Gruppe II. 
Mensch, Volk. 


nach UHLENBECK aus germ. *kında = ahd. 
chind, asächs. kind, mndl. kind. MiKLOSICH 
meint, daß, „wenn man Crdo mit d. kind 
als verwandt ansähe, würde man Cedo für 
entlehnt halten“. Nachtrag. BERNEKER: 
müßte uralte Entlehnung sein. 

kurbva, meretrix, nach UHLENBECK, Etym. Wtbch.?, s. v. 

hors entlehnt aus einem germ. Worte, etwa *%körwa, anord. 

hôra, angls. kôre. Hırr (PBBeiträge 23, S. 343): Aksl. 

kursva kann... nicht ohne Schwierigkeiten aus got. körs 

abgeleitet werden, denn woher stammt das 3 ? Nach 

JÜTHNER (Wiener Studien 26, S. 156f.) ist Zursva mit 

altgriech. xopfx urverwandt. 

navs, Leiche, nach UHLENBECK aus got. navi-, nom. naus. An dieser, 


noch im Arch. f. sl. Phil. Bd. 15 vertretenen Ansicht hält UHLENBECK 
im Etymologischen Wörterbuch nicht mehr fest und läßt die Möglich- 


tedo, Kind, 


250 


aksl. 


J. Peisker 


keit offen, daß das slawische Wort zu dem slawischen Verbum y; 
naviti, ermüden, gehört. So auch BRÜCKNER im A. f. sl. Phil. XXIII. 8.626. 
— Nachtrag. UHLENBECK: Jetzt halte ich mit GRIENBERGER narı 
für urverwandt mit »aus (s. PBBeiträge 30, S. 303). 


raka, Grab, aus *orka, nach UHLENBECK aus einem gem. 
*arka (got. arka); nach LOEWE (S. 322) werde man das 
der hochdeutschen Lautrerschiebung entbehrende aksl. raka 
neben dem folgenden *raky auf asächs. *arka zurück- 
führen. Nachtrag. MurKo: Speziell bei den Südslawen, 
wahrscheinlich romanisch (vgl. J. KonsT. JIRECEK, Denk- 
schriften d. Wiener Akad., phil.-hist. Kl. 48, S. 36). 
*raky, Sarg, aus “orky, rekonstruiert aus dem Gech. rakev, 
kroat. rakva, nach UHLENBECK aus einem noch älteren 
germ. *arkö entlehnt. 


Gruppe III. 
Kleidung. 


skute, Saum des Kleides, nach UHLENBECK aus gem. 
*skauta, got. skauts, anord. skaut, ahd. scôz, Rockschoß. 
sraka, sraky, Kleid, nach Hırr aus dem Germanischer; 
mlat. sarca, anord. serkr (st. *sarki-), angls. ser 
(st. *sarkjon-), got. *sarko. MıkLosicH, Etym. Wtbch. sagt 
darüber s. v. sorka: „Das Wort ist nur aslow., nslow. 
weißruss. und russ.“ „Aus dem slaw. sor2a soll anord. 
serkr, Hemd, angls. serce, Panzer, stammen: es sei aus 
Rußland nach Skandinavien und von da nach England gt- 
bracht worden ... Man beachte lat. *sarica, woraus ahl. 
serih.“ Man sieht, MıkLosıcH selbst erklärt sich für eine 
Entlehnung nicht. Vgl. MERINGER in den „Indogerm. 
Forschungen“ XVII, S. 158f.: zu lat. sarcio, griech. &%% 
opxos. Nachtrag. MurKo: Das Wort kam vom Süden, aus 
dem Lateinischen. 


Gruppe IV. 


Gerät. 


aradije, orondije, Apparat, Werkzeug, Sache, nach 
ÜHLENBECK aus andd. (anord. ist ein Druckfehler) arund:. 
Hırr führt es auf ahd. ärunti nach MıkLosıch zurück. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 251 


achtrag. UHLENBECK: Jedenfalls aus dem Niederdeutschen, 
enn es erklärt sich wohl aus ärunxdi, nicht aber aus ärunti. 


ljudo, neben d/jude, Schüssel. Nach MikLosicx geschah 
ie Entlehnung aus dem Deutschen in der ersten Periode: 
3; setze den Stamm dzxda voraus. Nach UHLENBECK ent- 
'hnt aus got. dzuda-, nom. dzu>s (Tisch). Slaw. #7 wurde 
utgesetzlich 4/7, serb. dljudo = irdene Schüssel, poln. 
luda = hölzerne Schüssel, osorb. und nsorb. #/#do = Tisch. 
achtrag. MurKo: Wahrscheinlich aus dem Gotischen. 
Über die Beziehungen zwischen Schüsse! und Tisch schreibt R. ME- 
INGER!): „In ältester Zeit gab es bei Germanen und Slawen keinen 
isch in unserm Sinne (wohl auch sonst nicht), sondern Bretter, von 
men man aß. Daher die vielfachen Schwankungen der Sprachen 
ı Bezug auf die Bedeutungen Schüssel und Tisch. Dann kommen 
rößere Bretter auf, für mehrere Personen, niedere Tische. ... In un- 
‘kannter Zeit erhält das Speisebrett ein höheres Untergestell, einen 
‘hragen. Erst durch das Zusammenwachsen beider entsteht unser 
isch. Die Entwicklung hängt mit der Vergrößerung der Räume 
ısammen, denn früher ist kein dauernder Platz für den Tisch im 
ause, und er wird nach dem Gebrauche entfernt, vgl. ‚Tisch aufheben‘. 
ie Slawen benannten den vierbeinigen Tisch, sowie den Einzelsitz s/o/e 
egen der Ähnlichkeit, da ja der alte Stuhl keine Lehne hatte. Im 
Itnordischen heißt 50/7 sowohl das Gestell der Bank als auch das 
s Tisches.“ 
»ska, Brett. Dieselbe Bedeutung hat das Wort auch heute 
n Slawischen; (polab. daisko = Tisch ist viel später ent- 
hnt aus ndd. disk, wie ai für 2 zeigt); griech. Ötoxog, lat. 
iscus, ahd. disk, tisc (Tisch, Schüssel. Mıkrtosıcn hält 
as slawische Wort für eine uralte Entlehnung, ohne er- 
lären zu können, auf welchem Wege, da das 3 in dsska 
em 3 gegenüber in dis£ Schwierigkeiten macht. — Nachtrag. 
uBATŸ: Das 3 dürfte heute nicht so schwierig sein. Es 
ängt mit der lautgesetzlichen Tendenz zusammen, welche 
or breiten Silben (Silben mit breiten Vokalen) auch noch 
anche andere 3 statt s am Gewissen hat, z. B. fenskz im 
188. /onkij u. A. 


t. MEKINGER, Die Stellung des bosnischen Hauses und Etymologien 
usrath, Sitzungsberichte der Wiener Akademie, phil.-hist. Kl. 


ınd 144, VI., S. 96. 
ljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 17 





252 


aksl. 


J. Peisker 


MERINGER sagt a. a. O. S. 84 f.: In den germanischen Sprache 
hat das aus lat. discus entlehnte Wort die Bedeutung Tisch, Shüss 
Speise angenommen. ... Die Entstehung des Wortes muß vor d 
zweiten Lautverschiebung stattgefunden haben, ... und man kann Kit 
(Etym. Wörterbuch s. v. 754) wohl zustimmen, wenn er sie etı 
gleichzeitig ansetzt wie die von Schüssel (lat. scutula, scwtella), Flasc 
(lat. etwa *vasculum), Kessel (catillus), Wo das Wort discus zuerst ( 
Bedeutung von Tisch angenommen habe, sei sehr schwer zu entscheide 
Die ganze Sachlage weise darauf hin, daß die Slawen das Wort v 
den Germanen auch schon vor der zweiten Lautverschiebung üb: 
nommen haben, denn hier war der Tisch im wesentlichen ein Bre 
und so mögen die Slawen eine gewisse Art wohlgeglätteter Brett 
danach bezeichnet haben. Dem Sinne nach sei, schließt MERINGr 
eine andere Herleitung des slawischen \Vortes vorläufig ausgeschlasse 
kotple, Kessel. Nach MikLosicH ein germanisches Leh 
wort. Die Entstehung falle in die erste Periode. Na 
UHLENBEcK entlehnt aus got. Zatils. Nachtrag. UHLENBEC 
kann doch vorgotisch sein, denn die ahd., anord. (u. s. w 
Formen beruhen auch auf *2atila-. Murko: Zu bedenke: 
daß das germ. Wort selbst auf lat. catinus, Schüssel, od 
dessen Diminutiv catillus zurückgeht. 


*kruk®#, “krjuk®#, Haken, nach UHLENBECK zu erschließt 
aus klruß., poln. Zru%, klruß., weißruss., russ. Zrjuk, we 
es schon in alter Zeit aus germ. *£röka (anord. Zrökr) en 
lehnt sein müsse. Nachtrag. Murko: Nur von den Russ 
und Polen entlehnt, augenscheinlich von Warägern, vie 
leicht in späterer Zeit. 

*kuka, Haken: bulg., serb. £u2a, Haken, aksl. Zukonos 
krummnasig, nach UHLENBECK aus einem agerm. *hökı 
mndd. %ö, angls. Aöc, ndl. koek. Nachtrag. STREKEL 
Aus agerm. köka, angls. Æôc u. s. w. könnte kaum uk: 
sondern nur ein *chuka cntlehnt werden. — UMHLENBECH 
Jetzt halte ich das Wort für echt slawisch (s. mein Et 
Wtbch. d. aind. Spr. 56). — Murko: nicht entlehnt. 
misa (Schüssel), slov. »zzza (Tisch, Nach Hirr ge 
manisches Lehnwort, got. »zes, ahd. meas, mias. Fi 
slov. »zisa (Tisch) nimmt auch MikLosicH wegen des 
deutschen Ursprung an, aber xzsa, mit s stammt nat 
MikLosicH, Etym. Wtbch., s. v. #2sa, vielleicht doch at 


sl. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 253 


dem Lateinischen, das auch in später Zeit ein tonloses s 
zwischen Vokalen zu kennen scheine. Eine Entlehnung 
des Wortes #1sa unmittelbar aus dem Lateinischen und 
nicht aus dem Germanischen dünkt jedoch MERINGER !) 
als unwahrscheinlich. Nachtrag. MURKO: Entlehnt erst aus 
einem ahd. mias, mies. 

pila, Feile, Säge, nach UHLENBECK aus einem germ. */z/a. 
'plosky, 2/oskva, Flasche, nach UHLENBECK aus einem 
germ. *flaskö, ahd. ffasca, anord. faska, ein nach KLUGE 
früh unter den Germanen heimisches Wort, das aber bei 
der Übereinstimmung mit romanischen Worten für ‚Flasche‘ 
der Entlehnung verdächtig ist. Nach LoEweE (S. 330 8. v. 
buky) dürfte 2/osky aus dem Balkangermanischen entlehnt sein. 
sak» (Sack), nach UHLENBECK aus got. sakkus. MIKLOSICH 
nimmt eine lateinische Entlehnung an, wegen des tonlosen s. 
Nachtrag. UHLENBECK: Aber das s von got. sakkus war 
auch tonlos! Jedenfalls ist sa&s erst in das Slawische 
aufgenommen, als das kurze & schon zu à geworden war, 
denn sonst hätten wir *so%&. — BERNEKER und MURKO: 
MiıkLosıcH scheint recht zu haben. — STREKELJ: Wäre es 
aus germ. sakkus entlehnt, müsste es *so2s lauten. Die 
Slawen haben das Wort wohl von den Romanen, bezw. 
Griechen. 

stapa, Mörser, nach UHLENBECK aus einem germ. *siampa, 
und nicht aus *szampö, das im Slaw. *szqPy gegeben hätte; 
es sei also eine Jüngere Entlehnung als brady, buky, loky 
u.8. w. Szgfpa ist schon von MiKLosicx als Lehnwort an- 
erkannt. 

*vréteg®r, Kette, poln. wrseciqgds, klruss. veretjaz. Da- 
neben *rdiege in poln. rzeciqdz, russ. retjaz). Das Wort 
ist gebildet durch das Suffix Zengjs, nach diesem Suffix 
meint MIKLOSICH in seinem Etym. Wtbch. s. v. vertengjü, 
es könnte slawisch sein. Dagegen sagt UHLENBECK, daß 
wir es hier gewiß mit einem germanischen Worte zu 
tun haben, und zwar eben wegen des Suffixes -£g3, aus germ. 





l) MERINGER, a. a. O. S. 89. 


aksl. 


1) Von mir gesperrt. 





J. Peisker 


-inga, und nämlich mit einem mit w anlautenden Worte, 
etwa gern. *werlinga. Analogien gibt es im Überflusse: 
aus germ. Penninga (Pfennig), slaw. Pénegs, aus kuninga 
(König): #sregs u.8.w. Nachtrag, BERNEKER: Ein *wertinge 
gibt’s nicht. Das æ des poln. ist sekundär; es heißt noch 
apoln. rzeciqdz, woraus apreuf. ratınsis stammt; zerzecigds 


‘ durch volksetymologische Angleichung an zwrsec, 7. B. in 


za-wrzed, ‚schließen‘; das kleinrussische ist aus dem Pol- 
nischen entlehnt. 

vrp&p, Krug, nslow., serb. vrd, beruht nach MikLosich 
wohl auf #rceolus, lat. urceus; nach UHLENBECK aus “à, 
*arkjs, aus got. alrkeis, ahd. urzol. Nachtrag. Murko: 
Ein spezifisch südslawisches Wort aus dem Romanischen, 
nur slow. und kroatoserb. Die aksl. Belege stammen von den 
Kroaten. Auch lautlich ist die Entlehnung aus dem Romanischen 
sehr gut erklärbar (vgl. SrkekeLs in den Denkschriften 
der Wiener Akad., phil.-hist. Kl. 50, S. 73 s. v. vrraia). 


Gruppe V. 
Behausung. 


grade, Mauer, nach UHLENBECK wahrscheinlich aus got. 
gards, Haus, anord. gardr, Zaun, eingehegter Hof, angls- 
geard, Umfriedigung, Garten, Wohnung, asächs. gard, Um- 
zäunung, Wohnung, ahd. gart, Kreis. Für diese häufig 
bestrittene Entlehnung sprechen nach Hırr vor allem die 
Komposita akel. vinograds, got. weinagards und aksl. 
vrstograds, got. atrtigards; gotisch a#rti stamme ja selbst 
erst aus lat. Lorti-, so daß in diesem Falle die Entlehnung 
zweifellos sei. LOEWE (8. 317) meint: „Aus dem Balkan- 
germanischen entlehnt sein müssen auch abulg. virograds 
und vrstograds [vgl. Gruppe VIII, =. v. vrsts], da hier die 
russischen Formen vinograds und vertograds wieder nur 
durch Entlehnung aus dem Altbulgarischen erklärt werden 
können; das epricht freilich nicht für, sondern 
eher gegen Entlehnung auch von abulg. grads... 
aus dem (termanischen*!). Nachtrag. STREKEW: 





kl. 


—, 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 255 


Gegen Entlehnung spricht der Umstand, daß das Slawische 
auf einer anderen Ablautstufe Z7sds, ‚Stange‘, ‚Stakete zu 
Zäunen‘, besitzt, welches im Altpreußischen als serdis 
geradezu in der Bedeutung Zaun entlehnt ward; grads 
ist also das aus Stäben, Staketen, Gerten gemachte, die 
geflochtene Mauer, Zaun; es ward zur Stadt wie 
town, Zaun u. 8. w. — vgl. MuRKo, unten Gruppe VIII. 
8. V. vrale. 

chlévr, Stall, cAl&vina, Haus, nach UHLENBECK (Etym. 
Wtbch. aus einem mit got. k/ija, vielleicht verschrieben 
für *%/iwa, Zelt, Hütte, verwandten Worte. 

Eine andere Erklärung gibt MERINGER: „Die Sippe von aksl. «4/2, 
stabulum, cAldvina, domus, ... hat MIKLOSICH ... mit got. #/ija, Zelt, 
Hütte, zusammengestellt, und seit der Zeit blieb bei den Slawisten 
diese Zusammenstellung ... Niemand hat dabei erklärt, wie der Slawe 
imstande gewesen ist, aus got. Alija sein cA/vs zu entlehnen. Hätte 
man den Sachen [und nicht allein den Wörtern] einiges Studium 
zugewendet, 80 hätte jedermann gesehen, daß aksl. chldvs, Stall, ent- 
lehnt ist aus dem lautlich identischen got. Alasw[')], t&poç [Grabhügel], 
kynpetov, trotz der anscheinend so verschiedenen Bedeutung... Der 
Totenkult geht überall von der Grundidee aus, den ins andere Leben, 
das man sich doch nur wieder so wie dieses vorstellen konnte, 
Reisenden dazu möglichst gut auszurüsten. So erklären sich alle 
Beigaben der ältesten Zeit bis zu unseren Tagen, von Wehr und 
Waffen, Speisen, Handgeräten bis zu den Gummischuhen herab. Der 
Seefahrer bekam sein Schiff mit, der Ansässige sein Haus. 80 erklärt 
sich der ursprüngliche volle Sinn des got. kaiw. Es ist das altertüm- 
liche Haus, das man noch dem Toten mitgab, auch zu der Zeit, wo 
der Lebende schon ein besseres Wohnhaus hatte.“ — Nachtrag. 
BERNFKER: Scheint mir unwahrscheinlich. Persönlich glaube ich so: 
got. klaiw war „Grabhügel® und auch „gehöhltes Grab“; vgl. z. B. 
Ulfilas, Matth. 27, 60. Die Höhlen aber waren dooh wohl die ältesten 
Ställe! 

„Die Slawen — setzt MERINGER fort — haben also das Wort *#/aiwa- 
entlehnt, als es bei den Goten noch Wohnhaus, Hütte bedeutete. Als 
ihre Baukunst sich selbst entwickelte, wurde nur mehr der Sal/ in 
der alten, primitiven Weise hergestellt und behielt den Namen, während 
das Wohnhaus mit einem neuen Lehnwort aus dem Germanischen, 
chyzs (= got. hüs) bezeichnet wurde. Bo reimt sich alles, sprachlich 


mr 


1) Schon HirT führt chl&v» auf got. “hlaiws, *hlaiwa zurück, 


0 3. Bande der PBBeiträge S. 338, 340 f. 


256 


aksl. 


J. Peisker 


und sachlich, auf das einfachste zusammen“ 1). — Dagegen UHLEXBEUK, 
PBBeiträge 80, S. 291: „MERINGER meint, die Slawen hätten ihr 
chlevs, Stall, aus got. #/aiw entlehnt; und das zu einer Zeit, wo das 
germanische Wort noch ‚Wohnhaus, Hütte‘ bedeutete. Aber ist Alam, 
das in keinem Dialekte etwas anderes als (Grab)hügel‘ oder ‚Grab‘ be 
deutet, jemals eine Bezeichnung des Wohnhauses gewesen? Es liegt 
doch viel näher, die Bedeutung von #/aiw unmittelbar mit der von 
lat. c/?vus zu verbinden. Auch GRIENBERGERS Auffassung von klei 
als ‚Lager (der Toten)‘ (S. 37) trägt dem engen Zusammenhang von 
hlaiw und c/ivus keine Rechnung.“ 

chyz’», Haus, nach MıkLosıcH aus dem Germanischen, nacı 
UHLENBECK aus germ. **#za mit tönendem s, got. und ahl. 
hüs. Wenn nun MERINGERS Erklärung von clés, aus 
got. Ælaiw, Grabhügel, zutrifft, dann wäre zu bedenken, 
der sachliche Fortschritt von Alasv zu äs, von einer 
elenden Grubenhütte zu einem bequemeren Haus hätte 
bei den Germanen vielleicht so viel Zeit beansprucht, 
daß die slawogotischen Beziehungen dazu nicht au 
gereicht haben würden. In diesem Falle könnten dann die 


beiden Lehnwörter cAl&vs und cAyzs nicht von einem und 


demselben germanischen Volke her sein: Ist cAJeva gotisch, 
dann dürfte ckyzs ein nachgotisches Lehnwort sein; ist 
jedoch cAyzs aus dem Gotischen, dann wäre cAl&vs vor 
gotisch. — Nach LoEwE (S. 334) dürfte ckyzs am ehesten 
aus dem Balkangermanischen stammen. Nachtrag. UHLEN- 
BECK: Auf ziemlich späte Entlehnung weist das tönende 5. 
Im Gotischen war das s tonlos. Darum ist cAyzs sicher 
ein nachgotisches Lehnwort. — Murko: Das Wort wanderte 
erst vom oberdeutschen Boden zu den Süd- und Nordslawet. 
Für die späte Entlehnung spricht auch der Wechsel von s (nslow- 
his, hisek, kroat. is) und z, sowie von $ und 2 (z. B. nsloW. 
hisa und AiZa) in verschiedenen slawischen Sprachen. 

*kotp, zu erschließen aus serb. £ot, Schweinestall, tech. 
kot, Hütte, wie auch aus der Ableitung aksl. £ofsce (Keller), 
serb. Æotac, kleiner Stall. Nach UHLENBECK aus einer 
germanischen Mundart; mndd. #of, nord. kot u. 8. w. 


1) MERINGER, Wörter und Sachen, im 16. Bande der Indogerma. 
Forschungen, 1904, S. 117 ff. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 257 


«sl. stöna, Mauer, nach UHLENBECK, Etym. Wtbch., urverwandt 
mit got. sZains (Stein), nach Hırr entlehnt, weil aksl. 
stenens, steinig, felsig, auf got. szaineins hinweist, was auch 
UHLENBECK, Etym. Wtbch.?, anführt. Nachtrag. STREKELJ: 
aksl. s/dnons, steinig, felsig, ist bei Existenz eines nslow. 
stena, Fels, großer Stein, ebensowenig auffallend, wie 
kamensns, lapideus. Weder Bedeutung, noch Bildung spricht 
demnach für Entlehnung. 

»„ tyn’», Mauer, nach UHLENBECK aus einer altgermanischen 
Mundart, anord. för, ahd. z##. Für das y in Zyns ver- 
gleiche das soeben genannte ckyzz aus germ. *hüza. 


Gruppe VI. 
Waffe und Krieg. 


» brady, Axt, wird nach UHLENBECK wegen des y für ger- 
manisch gehalten. Ursprünglich slaw. *dordy aus “bord, 
*bordö, das auf germ. *bardö, Streitaxt zurückgehe. Für 
das y ist zu vergleichen du£y, creky, chorqgy U. 8. w. 
Man findet das germanische Wort in anord. barda, ahd. 
barta, andd. barda, mndl. daerde, Streitaxt. Nach LOEWE 
(S. 330 8. v. duky) dürfte das slawische Wort balkan- 
germanisch sein. — Nachtrag. STREKELI: Das Suffix y 
für a hat sich im Slawischen nach wirklichen Entlehnungen 
aus dem Germanischen auch in einheimischen Wörtern ein- 
gebürgert, weswegen es mißlich wäre, in jeder derartigen 
Bildung a priori eine Entlehnung zu sehen, (vgl. meine 
Bemerkungen i. d. Denkschr. d. Wiener Ak. ph.-h. Kl. 50 
S. 4); daher kann auch drady ganz gut einheimisch sein. 

» brenja, Panzer. Nachtrag. UHLENBECK: Kann ebenso 
aus anord. drynja wie aus ahd. drunja entlehnt sein; got. 
drunjo hätte *dranjy, *branji gegeben. 

» -chlastati, zäumen, nach UHLENBECK von germ. *Alasta, 
ahd. Alast, angls. Alaest. Nachtrag. Murko: Nur alt- 
kirchenslawisch. 

+ Choragy, Fahne, nach UHLENBECK aus einem älteren 
*chragy, das auf ein noch älteres *cArungü zurückgehe. 
Früher führte man das Wort auf got. Arunga (hrugga), 


258 


akls. 


J. Peisker 


‚Stange‘ zurück, womit auch MıkLosıch übereinst 
UHLENBECK erklärt es aus germ. *Arungö, angls. A 
‚Balken‘, mhd. runge. Nach LoEwE (8. 830, s. v. 
dürfte es balkangermanisch sein. Das germanische 
ist nach UHLENBECK, Etym. Wtbch., unbekannten Urspi 
MBCE, ec, nach ÜHLENBECK aus got. mekeis, : 
miäker, asächs. mak:, angla. mece. — Nach Loewe (8 
stammt 200» wohl aus dem Balkangermanischen. Nac 
UHLENBECK: Sehwierigkeit macht der Vokal. Man er 
slaw. # Doch ist Entlehnung nicht zu bezweifeln. 
plnkr, Menge, Heer. Nachtrag. UHLENBECK: uns 
aus welcher altgermanischeu Mundart. Nicht nur a 
folk (älter fo/k!), sondern auch angls. folc, afries. 
kämen außer ahd. jofc in Betracht. Germ. *fo/ka aus * 
wie *kolma aus *Aulmna, Aus den älteren Formen * 
und *Aulma ließen sich Z/sks und chlams am beste 
klären, aber chronologisch macht das Schwierigkeiten 
ströla, Pfeil. Nachtrag. UHLENBECK: Kann nich! 
ahd. szrala, das *strala ergeben würde, entlehnt sein, 
aber aus einer westgerm. Form *s#ré/a (sowohl ahd. s 
wie angls. s#æ/ hatten ursprünglich ein €). Im 
nordischen fehlt das Wort. 

slömw, Helm, aus *se/ms, *chelms, allgemein als 
manisches Lehnwort anerkannt. Nach UHLENBECK 
aus got. hzlms, das slaw. *cholms, "Solms, gegeben 
sondern aus einem ‘germ. *Aelma, anord. Ajalmr, a 
afries., asächs., ahd, Æé/#. Hırr, welcher in den m 
altgermanischen Lehnwörtern gotische sieht, verharrt 
hier bei einer gotischen Entlehnung. 

vitez», Krieger, Held, aus einem älteren v:#ege. MıKLo 
„Das Wort ist deutsch: man darf an die Vrfhungt [Futkh: 
denken.“ Nach UHLENBECK aus anord. vikingr, Plün 


Gruppe VII. 
Viehzucht, Haustiere, animale Nahrung. 


bravr, animal, aus einem älteren *dorvs; slow. 
Schafvieh, Schöps, serb. drav, tech. drav, Schmalvieh, 


il. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 259 


borovs, geschnittener Eber, nach HırT aus einem germ. 
*barw. Zu vergleichen angls. deark, bearg, engl. barrow, 
geschnittenes Schwein, ndl. darg, berg, anord. borgr, got. 
*bargws (*bargus), ahd. darug und dark, mhd. darc, nhd. 
harch (verschnittenes Schwein). Nachtrag. BERNEKER: Laut- 
lich ist die Annahme ungemein schwierig zu rechtfertigen. 
— Murko: fraglich. 

tröda in der Bedeutung vices, grex, aus einem älteren ‘*éerau. 
slow.: éréda, löda, Herde, Ordnung, Reihenfolge; daneben £rdilo, aus 
kerdèlo, Herde, Schar, Truppe; bulg. érsde, Herde, serb. rd, Herde, 


cech. #ida, Wechsel, Ordnung, slowak. érieda, kradl, Herde, poln. 
trzoda, Herde, russ. cereda, Cereds (series), cereda dialektisch ‚Herde‘. 


Die Formen wie Ard, kradl, beruhen auf dem älteren kerd, got. 
hairdha, Herde, ahd. Aerta. Nach MiKLosicH und UHLENBECK ur- 
verwandt, nach Hınrr entlehnt aus dem Germanischen. Dagegen äußert 
mir Prof. STREKELJI cin schwerwiegendes Bedenken, weil got. 
hairda oder ahd. Aerta im Slawischen nicht */erda, £röda, sondern 
*Jerda, *Sröda ergeben würde. Solches Bedenken hindert jedoch Hırr 
an seiner Ansicht nicht, er läßt in diesem Falle eine Wandlung in 
den Zischlanten gelten, wie in aksl. «3 (integer, ganz), das er als 
aus got. Aasls (heil, gesund) entlehnt ansieht, während UHLENBECK 
und BRUGMANN es für urverwandt halten (PBBeiträge 23.3.332.343). 
Nachtrag. Unt.renpeck: Jetzt halte ich Entlehnung von /r/da wohl 
für möglich (PBB. 80, 286). Die Entlehnungen mit c4 (7) aus % 
wären nieht gleichzeitig mit denen, welche  (£) ans A zeigen. — 
BERNEKER: Mir ist alte Entlehnung aus einer cenium-Sprache seitens 
der satzm-Sprachen wahrscheinlich. — STREKELJ: Wechsel von # und 
“ist unmöglich anzunehmen; Æ£ai/- ergibt cd’; ganz regelrecht und ist 
gerade wegen - nicht aus got. hais entlehnt (lit. Zailastikan). Das 
Wort créda, krd- ist, wenn fremd, zu den Slawen eher aus dem Osten 
gekommen, vgl. zend. £aredha, Herde, und ist mit MiKLosiCH von 
aind. gardhas, Schar (mit 4’) zu trennen. — ZUBATY: „karcdha dürfte 
in der Avesta nicht vorkommen. BARTHOLOMAE (Altiranisches Wörter- 
buch, Straßburg 1904) 348 liest an jener Stelle anders (?vitö-xradayd 
statt -rarsdayd),; irgendein #ar2da- neben den bestehenden sar»da- ‚Art‘, 
‚(rattung‘, ist a priori unwahrscheinlich“. 

Die Kontroverse dürfte somit dahin auslaufen, ob ér4da und kradio 
aus dem Germanischen oder aus dem /ranischen entlehnt sei. Für den 
Sozialhistoriker ist jede von den beiden Erklärungen annehmbar, die 
letztere unter Hinweis auf die, eine iranische Sprache sprechenden 
Skythen, bezw. Sarmaten. 


+ ehr»st», Hund, nach Hırr ein germ. Lehnwort, got. *Arupja, 


260 


aksl. 


J. Peisker 


angls. 4rydda, ahd. rudo aus *Arudio, Rüde. Das anlat 
Ar ist für das Germanische nicht gesichert, werde jedoch 
das Slawische festgelegt. Nachtrag. MURKO: Ungewil 
-t zu erklären? — STREKELJ: chrets kann nicht *%: 
hrydda sein; außer #{ widersteht dem die Lautfolge des 
Wortes: russ. cAorts weist auf ein ursprüngl. *cAer!i 


‚während *Aru>ja im Russ. *cArots ergäbe. 


meso, Fleisch, got. mimz, krimgot. menus (nach ÜHLENDEK, 
Wtbch. d. got. Spr.?, sei dieses merus wohl *mems zu lesen). 


. HmRT ein germanisches Lehnwort „wegen der Betonung in ser 


und weil auch Wörter wie got. #/aifs, miluks, biuds entlehnt si 

Nachtrag. UHLENBECK: Ich halte <so bestimmt für ei 
slawisches Wort (= skr. mänısa- u. 8. w.). 
mléko (neutrum), Milch, aus einem älteren *ze/k 
germanisches Lehnwort längst bekannt. MiKLosIcH: 
Wort weicht vom slaw. »ze/z- und vom lit. #e/2- ab: 
vielleicht in der ersten Periode aus dem Germani 
entlehnt worden: got. #:/4k#5s (feminin.) aus »z2/%s, ahd. r. 
anord. mjolkr“, angls. meoloc, milc, engl. milk, ndl. 
asächs. miluk. — 

KLUGE, Etym. Wtbch. s. v. Milch: „Unmittelbare 
sammenhang der germanischen Sippe mit der Wurzel 
in melken kann nicht zweifelhaft sein. Auffällig is! 
eine gemeinindogermanische oder wenigstens eine wes 
germanische Bezeichnung für Milch fehlt, während V 
idg. »zelg-, germ. melk- ‚melken‘ in allen westindogermani 
Sprachen auftritt. Griech. ÿaAx (statt yadaxr-), la 
(statt Zact-) können nicht zu Wurzel ze/g- gehören. 
aksl. #:/2k0o (aus *melko) mit seiner slawischen Sippe 
aus dem altgermanischen Worte entlehnt sein, da für 
bei einem urverwandten Worte g zu erwarten wäre 

MiKkLOSICH hält gerade die gotischen Lehnwörter für die äl 
hier hat er mit seiner „ersten Periode“ recht, aber ein goti 
Lehnwort ist es eben nicht. Das letztere erkannte als erster JAC 
Arch. f. sl. Phil., XI. Bd, 1888, S. 308, denn die got. Form iluss ı 
ahd. miluA wollen zum slaw. #/#k0 als einem germanischen Lehnwoı 
gut stimmen, man müsse sie erst auf *:/4- zurückführen, um da 


mi?ko davon ableiten zu können, was allerdings nicht ui 
lich sei, da man ja im anord. mjö/kr habe. Allein die Übereinstiı 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 261 


des Althochdeutschen mit dem Gotischen sichere dem germanischen 
Worte die Form mil/uk für ein so hohes Alter, daß es immerhin be- 
denklich sei, diese Operation an dem Worte vorzunehmen, um das 
slaw. ko davon herzuleiten. Schwierigkeiten mache auch die 
Verschiedenheit des Geschlechtes. In allen germanischen Sprachen ist 
nämlich das Wort ein Femininum, dagegen in allen slawischen ein 
Neutrum. Man werde schwerlich in Abrede stellen können, daß bei 
der Entlehnung aus dem Femininum *milks im slaw. "midi, ein 
Femininum, zu erwarten wäre. Diese Tatsache, sowie auch das Vor- 
handensein eines andern Wortes im Slawischen, nämlich z/eivo (Biest- 
milch) in allen slawischen Sprachen und die Abwesenheit eines Lehn- 
wortes von miluks im Litauischen, alles das zusammen veranlaßte 
JAGIC die Frage aufzuwerfen, ob nicht das Wort dennoch nach der 
Wortbildung echt slawisch sein könnte. JAGIC sieht in midko eine 
Weiterbildung eines konsonantischen Stammes Nominativ "mid, aus 
*milz, Genetiv midze, wovon auch das erwähnte midzivo her wäre. 
„Es kommt darauf an, ob es irgendwie wahrscheinlich ist, einen neu- 
tralen konsonantischen Stamm *mid- *midse anzusetzen — das muß 
ich allerdings der Beurteilung der vergleichenden Sprachforscher über- 
lassen. Briefliche Mitteilungen ... B. Lsarunovs lauten dahin, daß 
die Petersburger Freunde (Prof. FORTUNATOvV, KORSCH, AL. SACH- 
MATOV u. 8.) eine solche Ansetzung nicht wahrscheinlich finden, folg- 
lich vorziehen, an der Entlehnung festzuhalten. Was das Genus an- 
belangt, so meinen sie, es habe sich das ‚Lehnwort‘ idko an das 
früher vorhandene //zivo, welches wahrscheinlich einmal die allgemeine 
Bedeutung ‚Milch‘ hatte, angelehnt. Eine derartige Zurechtlegung läßt 
sich ganz gut hören, doch ... kann ich auch nicht recht einsehen, 
warum bei dem Vorhandensein des Wortes izivo in der allgemeinen 
Bedeutung, diese später eingeschränkt worden wäre, da ja in der Regel 
gerade das Gegenteil davon stattzufinden pflegt“. 

Dennoch ist diese Einschränkung eingetreten und ist 
ganz natürlich, wie wir weiter unten, S. 308 ff., sehen werden. 


UHLENBECK, Etym. Wtbch. der got. Spı.?, hätte gegen JAGIC’ Aus- 
führungen nicht viel einzuwenden, findet jedoch das Ansetzen eines 
solchen Stammes wie *midz- zu hypothetisch. — Auch KIRSTE, Archiv 
f. slaw. Philol., Bd. XH, 1890, S. 307, hält das Wort ms/dko für slawisch, 
stellt es jedoch zunächst zu griech. pnäprtw, ich fasse, lat. muw/cco, indem 
er von einer Wurzel *me/k- ausgeht, als einer Nebenform von *meis-, 
lat. mulgeo. 

Die Annahme, »1/%0 wäre kein germanisches Lehnwort, hat indes 
keinen Anklang gefunden und auch ALEX. BRÜCKNER, der sonst gar 
manches ablehnt, was UHLENBECK und HirT zu den germanischen 
Lehnwörtern zählen, führt in seinem schon genannten Werke: Cywili- 
zacja i Jezyk S. 27 auch /ko unter den Lehnwörtern an. 


262 


J. Peisker 


Lorwe (S. 317 und 333) denkt an eine balkangermanische Herkunft. 
etwa von den Gothi minores, von denen Jordanis 51 sagt: ... gens multa, 
sed paupera et imbellis, nihil abundans nisi armento diversi generis pecorum el 
pascua ... parum habens tritici... Vineas veronec...nam lacte aluntnr plerigue. 


UHLENHECK entscheidet sich in seinem Verzeichnis (Arch. f. sl 
Phil, Bd. 15) auch nicht für eine Entlehnung des Wortes aus den 
gotischen oder althochdeutschen, sondern aus einem ‘ri. 
Diese Zurückhaltung wird von Hırr im 23. Bande der PBBeiträge 
S. 341 abgelehnt mit den Worten: 


„Auffällig sind einige Formen. Abulg. #ems ist nach UnrF\- 
BECK nicht aus got. #i/ms [das wie wir schon gehört haben, im Sl- 
wischen nicht Xms, sondern sms gegeben hätte], sondern aus einem 
*helma entlehnt, und &ddg [K2sti, zahlen] stammt nicht aus got. zulden, 
sondern aus einem *geldan. Letzteres halte ich — nämlich Hut — 
indessen nicht für entlehnt. Diese Voraussetzung würde keine 
Schwierigkeiten bereiten, nur müßte bemerkt werden, daß sie nicht 
bewiesen ist. Über abulg. »/22o aus *melko hat sich UHLENBECK nicht 
geäussert. Got. heißt es miluss, ahd. miluk. Aus beiden könnte die Form 
nicht stammen. Aber es fehlt jedes Beispiel für die Behandlung 
des aus germ. e/ en'standenen gotischen #. Wir dürfen nicht 
ohne weiteres das von der Lautgruppe #/ gewonnene auf 57 übertragen, 
denn ist ja aus e/ hervorgegangen. Schon SCHERER hat vermute, 
daß got. 5 für zwei verschiedene Laute geschrieben werde, ZGDS 
51 Anm., vgl. dazu Braune, Beiträge, 9. 548 und WREDE hat 
dies QF. 68, 162 weiter begründet, und das Slawische unterstützt seine 
Annahme entschieden. Denn weßhalb sollten — schließt Hırr senc 
Polemik — gerade diese zwei oder drei Wörter aus einem nicht 
gotischen Dialekt entlehnt sein ?“ 

Das ist der springende Punkt: warum gerade "lie 
nicht gotischen Ursprungs sein sollte. Eben weil Hırr meint, daß 
die Goten den ausschlaggebendsten Einfluß auf die Slawen geübt 
haben. Hirr läßt sich hier also nicht von philologischen Gründe, 
sondern von historischen Rücksichten leiten: 

„Leider lässt sich nicht feststellen, in welche Zeit die frühesten Ent- 
lehnungen fallen. Aber mit grosser Wahrscheinlichkeit dürfen wir doch 
die Goten als die ersten anschen, die einen nachhaltigen Einfluss auf die 
slawischen Sprachen ausgeübt haben“ (a. a. O. S. 344). 

Auch wenn dies richtig wäre, so müßte doch der früheste von 
dem ersten nachhaltigen Einflusse genau auseinandergehalten und ja 
nicht verwechselt werden, denn sonst bleiben wir für immer in der 
bisherigen Konfusion stecken, aus welcher uns UHLENRECK mit seiner 
voraussetzungslosen Analyse germanischer Lehnwörter im Slawischen 
(Arch. f. sl. Phil. Bd. 15) herauszuhelfen trachtet, indem er sich um 
die uns geläufige politisch-histurische angebliche Reihenfolge des 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 263 


germanischen Einflusses einfach nicht kümmert und nur die Laut- 
gesetze sprechen läßt. Seine Ausführungen stimmen nicht immer mit 
dieser politisch-historischen Reihenfolge und werden deswegen von HırT 
bekämpft, weil HIRT von dieser Reihenfolge ausgeht und über- 
sieht, daß, wenn diese zwei Faktoren in Widerspruch geraten, nicht 
gerade die Geschichte, eigentlich unsere Geschichtskenntnis recht 
haben muß, sondern eher diese Reihenfolge unrichtig sein dürfte. 
In dieser Richtung aber ist die Sache zu prüfen. Zu einer solchen 
Prüfung fehlen jedoch dem historisierenden Philologen die nötigen Quellen 
und Daten, denn von älteren, vorgotischen slawo-germanischen 
Beziehungen berichten die Griechen und Römer bekanntlich nicht. 
Diese Frage wird also weder die Philologie, noch die Geschichte 
lösen, sondern die Sozialgeschichte, und die wird sich hüten, nach dem 
Grundsatze vorzugehen: Quod non est in actis, non est in mundo, 
denn die Sozialgeschichte ist schon gewöhnt, mit einem Material zu 
arbeiten, welches quellenmäßig gar nicht überliefert ist und höchstens 
zwischen den Zeilen herausgelesen werden kann. Die Sozialgeschichte 
hat es gelernt, vor einzelnen Überlieferungen gar keinen Respekt zu 
haben, dagegen ist sie sehr empfänglich für die Normen und Gesetze, 
nach welchen die Entwicklung der Dinge vor sich geht. Diese Ent- 
wicklung der Dinge ist jedoch oft nur an der Entwicklung von deren 
hörbaren Bezeichnungen, also durch die Terminologie, wahr- 
nehmbar, und dadurch erklärt sich auch die viel größere Abhängigkeit 
der Sozialgeschichte von der reinen Philologie als von der Geschichte 
selbst. Ein nüchterner Sozialhistoriker wird somit nie etwas be- 
haupten wollen, was die Sprachforschung als mit den Lautgesetzen 
unvereinbar nachweist, er wird höchstens nur Einwendungen 
machen und eine neue, genauere sprachwissenschaftliche Untersuchung 
empfehlen, aber nie in solchen Fällen apodiktisch auftreten. 


Daher möchte ich auch nicht ganz mit Prof. BRÜCKNRR überein- 
stimmen, der im Archiv f. slaw. Phil. Bd. 28 vom Jahre 1901, 
8. 623 sagt: 

„Wir wissen, wie bei sprachlichen Zeugnissen allein 
das Kulturbild verschwommenansfällt, wieeineinziger 
Satz eines Historikers oft mehr gewährt als hundert 
sprachliche Gleichungen...“ 

Ein einziger Satz eines Historikers, der mehr gewähren würde 
als hundert sprachliche Gleichungen, ist meines Wissens noch nicht 
geschrieben worden, dagegen ist es mehr als einmal geschehen, daß 
eine einfache sprachliche Gleichung gar viele Geschichtswerke gegen- 
standslos machte. 

Also kann man nicht oft genug betonen, dass in diesen Dingen 
sich nichts halten kann, was von der Sprachforschung nicht 
anerkannt wird. Nur das wird aufrecht bleiben, was sowohl vor 


264 


aksl. 


J. Peisker 


der Philologie als auch vor der Geschichte die Probe bestanden hat. 
— Nun zu mi’ko zurück: 

milko ist auf ein älteres *me/ko zurückzuführen und das kann nicht 
leicht auf got. miüuss oder ahd. miluh zurückgehen. Diese Schwierig- 
keit ist allgemein anerkannt und durch Scherers Vermutung, dab 
got. : für zwei verschiedene Laute geschrieben werde, gewiß nicht 
behoben. 

Übrigens: Warum in die Ferne schweifen! Ist ja ein westgerms- 
nisches, voralthochdeutsches Wort »se/%a in der Bedeutung einer Milch- 
speise schon aus dem 2. Jahrhundert nach Christo bei GALEN U süber- 
liefert’), tatsächlich ist es selbstverständlich noch viel älter. Nachdem 
wir also ein nachweisbares westgermanisches, voralthochdeutsches 
melka kennen, aus welchem sich ein slawisches *wme/ko, später midko, von 
selbst ergibt, können wir getrost jedes Philosophieren über gt. 
miluks und ahd. miuh einstellen und sagen: das slawische midkoist 
ein westgermanisches, und zwar voralthochdeutsches 
Lehnwort. 

Nachtrag. UHLENBECK: „Ich halte »zJe2o für entlehnt aus 
einer Form *#e/ka (etwa niederdeutsch). Ihre Ausführungen 
sind m. E. ganz richtig.“ 

nuta, bos, boves; russ. dialektisch ist zu/2 für verenia 
in der Bedeutung von ‚lange Reihe‘, während russ. dialek- 
tisch Cereda, wie wir schon unter diesem Worte bemerkt 
haben, Herde bedeutet. Polab. »öta, Herde, Vieh, zötar, 
Hirt; slow. #z£a, für Rinderherde dialektisch noch gebräuch- 
lich um Kameno am Isonzo, nach WOoLF-PLETERSNIKS 
Wörterbuch. Ahd. #05, Vieh, angls. zedt, anord. nauf. 
finn. zauta, Vieh. Nach UHLENBECK aus einer altgerma- 
nischen Mundart entlehnt. Für das x in ##7a ist zu ver- 
gleichen aksl. ugs, Armband, aus einem germ. *daugs, 
aksl. ups, Kauf, aus germ. *kaupa u. 8. w. — Nachtrag- 
STREKELJ: Bei #ufa ist zwar die unerwartete Nasalierung 


1) ... &$edow yodv xai où Tıvag pèv Anäpg m4, närdov da pq, Yuxpo? 
nöosı Jsparsudévras y &vioıg Ev où Övov TÔ rpéçpatov Edwxa nnyaivs 
AIG xal To Bra xıövog Epuvuévoy, de Ev ‘Pouyg oxsudEstv Edoç Exousr, rpoŸss- 
palvovreg TV xatacxsuÿy Tv adtol rposayopeboust Erxéxtav: EBéauaté vs 7% 
oùtwg &hurneva roÂkdxte dedsuw ovyxwpoÏvTé pe Aauñéverv aûtoic' dv cl; 277! 


Kar À 


péAxa, T@v &v 'Ponm xai toto Ev eddoxtnodvtov 808 


HATWv, Worep xai 76 Gppéyala (GAILENI Methodi medendi VII, c. 4 
(in der Gesamtausgabe von KÜHN, 10. Bd., Lipsiae 1825, S. 467 £.). 


SL. 


bus 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 265 


des Wurzelvokales im Polabischen: #ôfa, nôtar zu beachten, 
indes scheint sie sekundär zu sein, weil das Slowenische 
ein z statt des aus einem Nasalvokal a erwarteten o bietet: 
kärntn. zuinjak, Stier. Das Wort kennt auch das Osorb.: 
nutnica, nuknica, Viehhof, Erblehensgut, Vorwerk, #ufnicaf, 
Gutsverwalter. 


skotr, pecus, Vieh, aber auch pecunia, Geld. Bulg., 
serb., éech., poln. ober- und niedersorb., polab. in der Be- 


"deutung von pecus, Vieh. Russ. heute ebenfalls Vieh, 


früher auch Geld. Ähnlich wohl auch im älteren Klein- 
russischen, nach dem Worte skofnyca, Schatzkammer, zu 
schließen. 

Skote in der Bedeutung von Vieh kommt somit 
in allen slawischen Sprachen vor, daneben in 
der Bedeutung von Geld jedoch nicht. 


MikLOSICH sagt in seinem Etym. Wtbch. S. 303: „Zusammenhang 
von séots mit got. skatis, Geldstück, Geld, ahd. scaz läßt sich nicht in 
Abrede stellen: ob Entlehnung stattgefunden und wer entlehnt hat, 
ist dunkel“. 

Uns wird wohl die Frage nicht dunkel erscheinen, nachdem wir 
wissen, daß die alten Slawen, solange und so oft sie sich in turko- 
tatarischer Knechtschaft befanden, keine Viehzüchter waren, folglich 
kann das Wort nur ein germanisches Lehnwort sein. 

Aber aus welcher germanischen Sprache? Hırr im Einklange 
mit BRÜCKNER (Cywilizacja i Jezyk, S. 25 f.) leitet es von got. skatts, 
Geldstück, Geld, her. UHLENBECK dagegen aus germ. *skatta. 

In den einzelnen germanischen Sprachen gestaltet sich die Be- 
deutung des Wortes so: got. skatts, Geldstück, Geld, sZattja, Geld- 
wechsler, anord. sAafr, Steuer, Tribut, angls. sceatt, kleine Münze, 
Geld, Vermögen, afries. ske‘, Geld, Vieh, asächs. scas, Geldstück, 
Geld, Vermögen; ahd. scaz, bedeutet nur Geld, ein bestimmtes Geld- 
stück, also genau dasselbe, wie im Gotischen. 

Der Bedeutungswandel von Vieh und Geld kommt in vielen 
Sprachen vor, der bekannteste ist lat. /ec«s und Pecunia, ähnlich eng]. 
fee (Honorar, Trinkgeld), zu angls. /eok, (Vieh), poln. dydlo, Vieh, 
Vermögen; russ. s/afoks, Gut, dialektisch auch Herde u. s. w. „Doch 
läßt sich — nach KLUGE, Etym. Wtbch., s. v. Schatz — für das 
agerm. *"szalta-, Geld, Geldstück, die Grundbedeutung 
Viek durch nichts erweisen.“ 

Nachtrag. BERNEKER: „Da es etymologisch nicht mit einem Wort 
für ‚Vieh‘ zu verbinden ist, so mußte es doch von Hause aus einen 


268 


J. Peisker 


Lehnwort, wahrscheinlich aus got. *anaps, unhaltbar 
ist. Hırr selbst nimmt es übrigens nur hypothetisch an: „Man würde 
hier ja gern die Annahme von Entlehnung ablehnen, da der Hanf doch 
vermutlich eher zu den östlicher wohnenden Slawen als zu den Ger- 
manen gekommen ist. Aber das / [in dem slawischen Worte] gegen- 
über dem # in griech. xdvvaßıs, lat. cannabis bereitet vorläufig un- 
überwindbare Schwierigkeiten. Der einzige Ausweg bliebe, slaw. konoflje 
aus einer Sprache stammen zu lassen, die wie das Germanische die 
Medien zu Tenues verschoben hätte. Aber bis jetzt ist eine solche 
nicht nachgewiesen“ [Nachtrag. UHLENBECK : Das Armenische!]. Soweit 
Hırr, PBBeiträge, 23, 343. 


Woher und wie kam jedoch das Wort zu den Griechen, Slawen 
und Germanen? Vielleicht finden sich doch Fingerzeige, die auf die 
Spur führen werden. 

Man bedenke: 1. Das Wort ist auch den Persern bekannt. 2. Die 
Skythen sprachen eine dem Persischen nahe verwandte Sprache. 3. Die 
Skythen kannten den Hanf. 

Versuchen wir es also mit der Annahme, die Skythen bätten 
Sache und Wort nach Europa gebracht und die Griechen, Slawen 
und Germanen damit bekannt gemacht. 

Von den Skythen weiß man, daß sie den Hanf nicht zu einer Ver- 
arbeitung der Fasern nutzten, sondern daß sie Hanfsamen an- 
wendeten. HERODOT berichtet darüber im 4. Buche Kap. 73 bis 75 
nach Fr. LANGES Übersetzung: 

... Und wenn sie ihn [ihren Verstorbenen] degraden, reinigen sich dit 
Skythen auf folgende Art: Nachdem sie sich den Kopf gerieben und gt 
waschen, tun sie mit dem übrigen Leibe also: Sie stellen drei Stangen auf, 
mit den Spitzen gegeneinander gekehrt, und darüber breiten sie eine Filsdeekt. 
die spannen sie recht an und sodann werfen sie glühende Steine in um 
Wanne, die in der Mitte zwischen den Stangen und dem Fils steht. 

Es wächst auch in ihrem Lande Hanf (x&vvaBiç); der ist dem Lun 
sehr ähnlich, abgesehen von der Dicke und der Größe, darin übertrift ihn 
der Hanf bei weitem. Er wächst von selber und auch gesät (nat adropätl 
xal onstpouévn pÜüstæy). Und von diesem machen sich die Thraker soga' 
AÄleider, die sind den linnenen sehr ähnlich, und wer es nicht genau kanrlı 
der kann gar nicht unterscheiden, ob es von Lein oder von Hanf ist, und 
wer noch in seinem Leben keinen Hanf geschen hat, der wird denken, t 
sei ein linnen Aleid. 

Aus dieser Stelle ersieht man, daß HERODOT von einer den Grieche? 
unbekannten Pflanze spricht und augenscheinlich sie so benennt, wie 
er es an Ort und Stelle von den Skythen gehört hatte. Die Skythes 
werden somit den Hauf mit demselben Worte benannt haben, wie 
später nebst den Griechen auch die Slawen und die Germanen. 

HERODVT Setzt fort: 


bus 


SL. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 269 


Von diesem Hanf nun nehmen die Skythen die Körner und kriechen 
unter ihre Filsselte und werfen die Hanfkörner auf [die] glükende[n] Steine. 
Und wenn die Körner darauf fallen, so rauchen sie und verbreiten einen 
solchen Dampf, daß kein hellenisches Dampfbad darüber kommt. Die 
Skythen aber heulen vor Freude über den Dampf. Das gilt ihnen als Bad, 
denn im Wasser baden sie sich gar nicht. 

Die Skythen benützten somit Hanf nicht zum Weben, sondern zu 
Bädern, Hanfbädern. Und das haben auch die Slawen wohl vonihnen 
gelernt, denn das slawische Wort für Paz und daden hängt allem 
Anscheine nach mit dem Worte für #anf zusammen: aksl. 452%, Bad, 
slow. Aöpel, Gech. koupel, poln. kgpiel, osorb. kupiel, klruss. kupi?, russ. 
kupöle. 

Auf die Möglichkeit einer sprachlichen Verwandtschaft zwischen 
Hanf und Bad im Slawischen hat bereits MERINGER in seiner Be- 
sprechung von SCHRADERS Reallexikon in der Zeitschrift für österr. 
Gymn. 1903, 8. 388 hingewiesen. HERODOTs Bericht tritt nun als eine 
neue Stütze hinzu, und es dürften die Skythen das Wort für Hanf 
an die Griechen, Slawen und Germanen abgegeben haben. 
luk»%, Zwiebel, als germanisches Lehnwort längst bekannt. 
Nach UHLENBECK aus germ. *lauka, anord. /aukr, ahd. lou 
(Lauch), ndl. /0oo2£, nach KLUGE ein urgermanisches Wort, 
vielleicht mit air. /4ss (Kraut, Pflanze) [aus *u2sz] ur- 
verwandt. Danach wäre die Pflanze westeuropäisch. 
*mrrky, gelbe Rübe, Möhre, aus einem älteren merky, 
nach UHLENBECK entlehnt aus einer älteren Form von 
ahd. »moraha, morha, das dunklen Ursprungs sei; nach 
LoEwE aus einem balkangerm. *»orhö. Danach wäre es 
ein spätes Lehnwort. Nach Mıkrosıch fällt die Entlehnung 
in die erste Periode. 
rsdrky, Rettich, nach UHLENBECK aus einem altgerm. 
Feminin *redikö, aus lat. radix, nach LoEwE (S. 326) 
entweder aus dem Westgermanischen oder aus dem Balkan- 
germanischen. Die Pflanze kam nach MıKtosich (Et. 
Wtbch. s. v. r#däky) unter den ersten Kaisern aus Syrien 
nach Italien, zu den Slawen also sehr spät. 
vrte, hortus, vreiograds. vrets ist nach HırrT wohl 
aus vreiograds abstrahiert, das auf got. aürtigards, 
Baumgarten, zurückgeht, oder eine ähnliche altgermanische 
Form; aürtigards zusammengesetzt aus aérti und gards. 
ÜHLENBECK, Etym. Wtbch., s. v. a#rtja, gibt einer Be- 


270 


aksl. 


J. Peisker 


ziehung des aurt:, Kraut, zu wauris den Vorzug vor der 
Annahme, daß aürti aus lat. Aortus entlehnt wäre. Nach 
LoEwe (S. 317, 333) ist vretograds balkangermanischer 
Herkunft (vgl. oben S. 254f. s. v. grads). Nachtrag. Ber- 
NEKER: a#rti- halte ich für Entlehnung aus %Aortus, denn 
warum sollte v geschwunden sein? Vgl. waurts! Vrst 
erkläre ich aus urslaw. “verts, zu “vera, verti, ‚schließen‘. 
Vgl. zur selben Wurzel ver- auch ëech. odora aus ob-vora. 
— MurKko: vrets ist ein spezifisch slowenisches und kroato- 
serbisches Wort aus dem Romanischen, südslaw. vrstograds 
in altkirchenslawischen Quellen ist jünger (vgl. Jacıc in den 
Denkschriften d. Wiener Akad., phil.-hist. Kl. 47, S. 63). 


Gruppe IX. 


Ackerbau und die übrige vegetabile Nahrung. 


braësno, Speise, nach MIKLOSICH aus einem ältern *dorfsmo, bulg. 
und serb. drasno, Mehl, klr. dorofno, Mehl, russ. éoroïne, Boggenmehl, 
dialektisch. Nach UHLENBECK urverwandt mit got. darizeins (= von 
Gerste bereitet), von *daris, Gerste, nach Hırr aus dem Gotischen ent- 
lehnt. HrrTs Ansicht dürfte sich nicht halten, wenigstens ist bis jetzt 
unter den slaw. Getreidenamen kein altgermanisches Lehnwort wahr- 
genommen worden, und auch aksl. ders, eine Hirseart, gilt als ur- 
verwandt mit got. daris, Gerste, schon wegen Verschiedenheit in der 
Bedeutung. — Nachtrag. BERNEKER: HırTs Ansicht ist unwahrschein- 
lich, weil meines Wissens kein germanisches Lehnwort im Slawischen 
den Übergang von s in cA mitmacht. 

chl&öbr», Brot; für germanisches Lehnwort längst gehalten; nach 
MiKLOSICH stammt die Entlehnung aus der ersten Periode. Got. 
hlaifs (gen. hlaibis), anord. Aleifr, angle. k/éf, ahd. kleid. Dazu noch got. 
gahlaiba, ahd. galeipo, Genosse, dem Sinne nach ebenso gebildet, wie 
compagnon (aus con und fanis, d. i. von demselben Brote essend, Janis 
comestor). Auch engl. /ord aus angls. 4d/ford (got. "Alaidbwards), Herr, 
eigentlich wörtlich Brotwart, sowie engl. /ady aus angls. Alae/digt, 
domina (eigentlich Brotverteilerin?) [Nachtrag. BERNEKER: nicht Frr- 
teilerin, sondern Aneterin, vgl. d@ge, Brotmacherin], enthalten unser hd. Za:? 
in der Zusammensetzung. Diese uralten Zusammensetzungen beweisen — 
nach KLUGE — das hohe Alter des Wortes /i6 und den jüngern Ursprung‘ 
des Wortes droi, welches dem Gotischen noch ganz und dem Angel- 
sächsischen fast ganz fehle. Dem widerspricht UHLENBECR, Etyn- 
Wtbch., welcher s. v. klaifs auch für gotisch ein *dreu) annimmt, zu 
erschließen aus krimgot. öroe, anord. draud, angls. éréad, afries. dräd- 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 271 


Das slawische c4/2s führt UHLENBECK (A. f. sl. Ph. 15) auf germ. 
*hlaiba zurück, Auch KLUGE läßt es aus „einem altgermanischen 
Dialekte“ entlehnt sein, wie denn das altgermanische Wort auch in 
das Finnisch-esthnische drang: finn. /eipä, esth. /eis, Brot. Hırr hält 
dagegen an der älteren Annahme fest, slawisch cAldds sei direkt auf 
gotisch Aai/s zurückzuführen, in der von uns schon besprochenen 
Meinung, daß wir mit großer Wahrscheinlichkeit die Goten als die 
ersten ansehen dürfen, die einen nachhaltigen Einfluß auf die slawi- 
schen Sprachen ausgeübt haben. — Nach LOEWE (8. 834) dürfte chl2dz 
am ehesten aus dem Balkangermanischen stammen. 


Gegen eine Entlebnung aus dem Germanischen überhaupt und” 
für eine Urverwandtschaft erklärt sich KozLovskıJ im Arch. f. sl. 
Phil. XI, S. 886 und stellt Aai/s und chleds zu lat. Ziöus, libum, Kuchen, 
Fladen, unter Annahme einer Grundform *Xloiöko-. Dagegen wendet 
UHLENBECK, Etym. Wtbch.*®, s. v. aifs ein, daß die Existenz eines ur- 
sprachlichen tonlosen velaren oder gutturalen Spiranten keineswegs für 
bewiesen gelten darf (Arch. f. sl. Phil. 16, S. 380 f.). — Es würde uns hier zu 
weit führen, auch alle übrigen Erklärungsversuche zu erörtern, man 
findet sie in UHLENBECKS Etym. Wtbch., 2. Aufl., und es sei nur noch 
erwähnt, was O. SCHRADER in seinem Reallexikon der indogerm. Alter« 
tumskunde, Straßburg 1901, s. v. Brot, S. 111 ff. ausführt: 

„Die Prähistorie weist auf ein hohes Alter des Brotes in Europa 
hin. In den Schweizer Pfahlbauten sind verschiedene Brotarten, und 
zwar schon in den ältesten Stationen zutage getreten, die von 
0. HEER, Die Pflanzen der Pfahlbauten, S. 9, ausführlich beschrieben 
werden. Sie bestehen teils aus Weizen, teils aus Hirse. ‚Bei dem 
gewöhnlichen Weizenbrot wurden die Körner stark gerieben, dann mit 
Wasser ein Teig angemacht und dieser auf einen heißen Stein gelegt 
und wahrscheinlich mit Asche zugedeckt . . . Es waren diese Brote 
rundlich, aber ganz nieder; sie hatten nur eine Höhe von 15—25 mm, 
bekamen also mehr die Form von Kuchen oder Zelten, wie man in 
manchen Gegenden solche flache Brote nennt.‘ 

Schwieriger ist es — setzt SCHRADER fort —, das Alter des Brotes 
in Europa auf sprachlichem Wege festzustellen. Es handelt sich 
dabei namentlich um die Reihe: lat. Jöum, gemeingerm. got. Aaifs, 
gemeinslaw. aksl. cAldds. Trutz allem, was in neuerer Zeit über das 
Verhältnis dieser Wörter zu einander gesagt worden ist..., ist ein sicheres 
Ergebnis noch nicht erzielt. Am wahrscheinlichsten dürfte immerhin 
die Ansetzung eines ureuropäischen Stammes *4Aloisho- (got. Aldifs), 
*kAleibho- (lat. Zibum, aksl. chl2bs), *khlibho- (mhd. /öde—kuoche) im Sinne 
von ‚Brotkuchen‘ sein . . .“ 

Eine charakteristische Eigentümlichkeit der ältesten Brote der 
Schweizer Pfahlbauten war ihre Niedrigkeit, sie mochten somit ohne 
Hefe bergestellt worden sein. Sicher ist es der Fall bei den dem 


Bin. 





270 


aksl. 


J. Peisker 


ziehung des a#rt:, Kraut, zu waurts den Vorzug vor d 
Annahme, daß aurti aus lat. hortus entlehnt wäre. Na 
LoEweE (S. 317, 333) ist vrstograds balkangermaniscl 
Herkunft (vgl. oben S. 254f. s. v. grads). Nachtrag. Bi 
NEKER: a#rti- halte ich für Entlehnung aus orfus, de 
warum sollte # geschwunden sein? Vgl. waurts! Ir 
erkläre ich aus urslaw. “verts, zu “vera, verts, ‚schließe 
Vgl. zur selben Wurzel ver- auch ech. odora aus ob-voi 
— MurKo: vrefs ist ein spezifisch slowenisches und kroa 
serbisches Wort aus dem Romanischen, südslaw. vretogre 
in altkirchenslawischen Quellen ist jünger (vgl. Jacıc in d 
Denkschriften d. Wiener Akad., phil.-hist. Kl. 47, S. 6 


Gruppe IX. 


Ackerbau und die übrige vegetabile Nahrung. 


braisne, Speise, nach MIKLOSICH aus einem ältern *dor!eno, bi 
und serb. drasino, Mehl, klr. #orofno, Mehl, russ. éoroïno, Roggenm 
dialektisch. Nach UHLENBECK urverwandt mit got. darizeins (= 

Gerste bereitet), von *daris, Gerste, nach Hırr aus dem Gotischen : 
lehnt. Hırrs Ansicht dürfte sich nicht halten, wenigstens ist bis j 
unter den slaw. Getreidenamen kein altgermanisches Lehnwort wi 
genommen worden, und auch aksl. ders, eine Hirseart, gilt als 
verwandt mit got. daris, Gerste, schon wegen Verschiedenheit in 

Bedeutung. — Nachtrag. BERNEKER: HIRTS Ansicht ist unwahrsch 
lich, weil meines Wissens kein germanisches Lehnwort im Slawisc 
den Übergang von s in cA mitmacht. 

ch18b#, Brot; für germanisches Lehnwort längst gehalten; ı 
MikLOSICH stammt die Entlehnung aus der ersten Periode. : 
hlaifs (gen. hlaibis), anord. 4/i/r, angle. #/éf, ahd. 4/eié. Dazu noch 
gahlaiba, ahd. galeipo, Genosse, dem Sinne nach ebenso gebildet, 

compagnon (aus con und panis, d. i. von demselben Brote essend, / 
comestor). Auch engl. /ord aus angls. Aldford (got. “klaibwaras), F 
eigentlich wörtlich Brotwart, sowie engl. /ady aus angls. Alaef 
domina (eigentlich Brotverteilerin?) [Nachtrag. BERNEKER: nicht 

teilerin, sondern Aneterin, vgl. dëge, Brotmacherin], enthalten unser hd. 
in der Zusammensetzung. Diese uralten Zusammensetzungen beweise 
nach KLUGE — das hohe Alter des Wortes /a:d und den jüngern Urspi 
des Wortes drot, welches dem Gotischen noch ganz und dem An 
sächsischen fast ganz fehle. Dem widerspricht UHI.ENBECK, Ei 
Wtbch., welcher 8. v. Alaifs auch für gotisch ein *rau) annimmt, 
erschließen aus krimgot. droe, anord. éraud, angls. dread, afries. Ö. 


u“ 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 271 


Das slawische «4/3: führt UHLENBECK (A. f. sl. Ph. 15) auf germ. 
*Alaiba zurück. Auch KLUGE läßt es aus „einem altgermanischen 
Dialekte“ entlehnt sein, wie denn das altgermanische Wort auch in 
das Finnisch-esthnische drang: finn. /eipd, esth. /eis, Brot. Hırr hält 
dagegen an der älteren Annahme fest, slawisch cAldds sei direkt auf 
gotisch Aai/s zurückzuführen, in der von uns schon besprochenen 
Meinung, daß wir mit großer Wahrscheinlichkeit die Goten als die 
ersten ansehen dürfen, die einen nachhaltigen Einfluß auf die slawi- 
schen Sprachen ausgeübt haben. — Nach Lowe (8. 834) dürfte ck/6s 
am ehesten aus dem Balkangermanischen stammen. 


Gegen eine Entlehnung aus dem Germanischen überhaupt und” 
für eine Urverwandtschaft erklärt sich KozLovski im Arch. f. sl. 
Phil. XI, S. 386 und stellt #/aifs und ck/2b zu lat. libus, libum, Kuchen, 
Fladen, unter Annahme einer Grundform *xloidko-. Dagegen wendet 
UHLENBECK, Etym. Wtbch.®, s. v. %ai/s ein, daß die Existenz eines ur- 
sprachlichen tonlosen velaren oder gutturalen Spiranten keineswegs für 
bewiesen gelten darf (Arch. f. sl. Phil. 16, S. 380 £.). — Es würde uns hier zu 
weit führen, auch alle übrigen Erklärungsversuche zu erörtern, man 
findet sie in UHLENBECKs Etym. Wtbch., 2. Aufl., und es sei nur noch 
erwähnt, was O. SCHRADER in seinem Reallexikon der indogerm. Altere 
tumskunde, Straßburg 1901, s. v. Brot, S. 111 ff. ausführt: 

„Die Prähistorie weist auf ein hohes Alter des Brotes in Europa 
hin. In den Schweizer Pfahlbauten sind verschiedene Brotarten, und 
zwar schon in den ältesten Stationen zutage getreten, die von 
0. HEER, Die Pflanzen der Pfahlbauten, S. 9, ausführlich beschrieben 
werden. Sie bestehen teils aus Weizen, teils aus Hirse. ‚Bei dem 
gewöhnlichen Weizenbrot wurden die Körner stark gerieben, dann mit 
Wasser ein Teig angemacht und dieser auf einen heißen Stein gelegt 
und wahrscheinlich mit Asche zugedeckt... Es waren diese Brote 
rundlich, aber ganz nieder; sie hatten nur eine Höhe von 15—25 mm, 
bekamen also mehr die Form von Kuchen oder Zelten, wie man in 
manchen Gegenden solche flache Brote nennt.‘ 

Schwieriger ist es — setzt SCHRADER fort —, das Alter des Brotes 
in Europa auf sprachlichem Wege festzustellen. Es handelt sich 
dabei namentlich um die Reihe: lat. /iöum, gemeingerm. got. Aaifs, 
gemeinslaw. akel. c4/263. Trotz allem, was in neuerer Zeit über das 
Verhältnis dieser Wörter zu einander gesagt worden ist..., ist ein sicheres 
Ergebnis noch nicht erzielt. Am wahrscheinlichsten dürfte immerhin 
die Ansetzung eines ureuropäischen Stammes “*#£//oibho- (got. Aldifs), 
*khleibho- (lat. libum, aksl. chlöbe), *khlibho- (mhd. /ödse—kuoche) im Sinne 
von ‚Brotkuchen‘ sein... .* 

Eine charakteristische Eigentümlichkeit der ältesten Brote der 
Schweizer Pfahlbauten war ihre Niedrigkeit, sie mochten somit ohne 
Hefe hergestellt worden sein. Sicher ist es der Fall bei den dem 


272 


aksl. 


J. Peisker 


Pfahlbau des Mondsees entnommenen und im Privatbesitz des Dr. Mat- 
thäus Much, Konservators in Wien, befindlichen Brote. 

Und in der Tat scheint es, dass sich die Kunst, dem Teige durch 
Zusatz von Hefe oder Sauerteig leichtere Verdaulichkeit und größeren 
Wohlgeschmack zu geben, in Europa erst verhältnismäßig spät ver- 
breitet hat. BENNDORF nimmt in seinem Aufsatze: „Altgriech. Brot“ 
(erschienen im Eranos Vindobonensis) an, daß die Bekanntschaft mit 
dem Sauerteig in Ägypten aufkam und erst in historischer Zeit von 
dort zu den Griechen gelangte. In Italien ward der Flamen Dialis 
angehalten, farinam fermento imbutam, also mit Sauerteig angemachtes 
Mehl, zu vermeiden, eine unzweifelhafte Erinnerung an eine Zeit, in 
welcher es noch kein gesäuertes Brot gab. Am thrakischen Fürsten- 
hof des Seuthes finden wir nach XENOPHOXS Anabasis VII, 21 aller- 
dings bereits grosse gesäuerte Brote (&prot Tupirar), die an die 
Fleischstücke angeheftet waren, im Gebrauch; doch mag dies nach der 
Ansicht von SCHRADER auf griechischem Einfluss beruhen. 

Nachdem die Säuerung des Brotes in Europs bekannt geworden 
war, bedienten sich Griechen und Römer zur Herstellung des Sauer- 
teigs, wie es bei weinbauenden Völkern zu erwarten ist, vorwiegend 
des Mostes, der mit Hirse zusammengeknetet wurde. Es musste daher 
— berichtet SCHRADER weiter — den Alten auffallen, wenn sie es 
anderswo, wie in Gallien und Spanien, anders fanden. Prixivs (Hist. 
nat. XVIII, 68) erzählt, daß man sich in den bierbrauenden Ländern 
Gallien und Spanien der Hefe des Bieres zur Anfertigung des Sauer- 
teigs bediente, eine Kunst, die den cezeri, worunter nur die übrigen Bar- 
baren des Nordens, also auch die Germanen verstanden werden können, 
damals noch nicht geläufig war. Deren Brot war demnach damals noch 
ungesäuert, schwer und unverdaulich ... Von dem gallisch-romanischen 
Westen ging dann in der germanischen Welt die Festsetzung des 
Stammes *örauda in der Bedeutung ‚Brot, gesäuertes Brot‘ aus. 

Diese Zusammenstellung SCHRADERs von Daten über Laib und 
Brot ist lehrreich und ladet zur Vorsicht ein, dem etwaigen 
Lehnworte c#/b im Slawischen eine besondere kulturgeschichtliche 
Bedeutung zuzuschreiben; wir wissen eben vorderhand nicht, was 
dieses Lehnwort, falls es eines ist, überhaupt zu bedeuten hat. Aber 
ganz bestimmt können wir annehmen, dass die Slawen schon vor 
der behaupteten Entlehnung des Wortes irgend ein Brot haben mussten, 
denn ungesäuertes, in der Asche von Kamelmist gebackenes Brot 
kennt auch der turkotatarische Wanderhirt Zentralasiens. Wenn das 
Wort cklebe überhaupt germanischen Ursprungs ist, so wurde mit ihm 
höchstens irgendeine besondere Art des Brotes, vielleicht sogar nur 
eine besondere Form übernommen. — Vielleicht hängt das fragliche 
Lehnwort mit der Auflage eines bestimmten Brottributes zusammen. 


ol», sicera, berauschendes Getränk aus Getreide oder Obst, slow. oe, 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 273 


olej, vol, Bier, russ. o/s (oleum), preuss. e/w, lit. alus, lett. allus, Bier. 
Nach HrRT aus dem germ., anord. o/, angls. ealu. — Nachtrag. BERNFKER: 
Möglich, aber lautlich nicht zu erweisen. — STREKELJ: Nach E. KUHN 
(K. Zs. 35, S. 314) ist auch das ungehopfte Bier (lit. «as, finn. «/«t) 
durchaus nicht erwiesen als germanisch, noch weniger gilt dies vom 
gehopften (fivo, pyvas, beor). Das kärnt. olej ist verführerisch für die 
Ableitung des ersteren aus oleum (HEHN° 149); indes ist es eine erst 
ganz junge Deminutivbildung mit Dialektsuffix + von od, gesprochen wow. 
aksl. plug», Pflug, in allen slawischen Sprachen gleichlautend. 
Nach UHLENBECK aus germ. *plöga, anord. plögr'), ahd. 
pfluog, ndl. ploeg, angls. plöh. Vgl. LoEwE S. 316. — 
Nach MERINGER?) gehört das Wort Zfug zum Verbum 
pflegen, daher echt germanisch. „Wenn aber, führt MERINGER 
aus, Pflug formell unweigerlich ‚das ist, womit man Zfegt, 
wie /uoc ‚das, wo man liegt‘, dann ist die Grundbedeutung 
von Pflegen 80 viel als ackern (und weiter, den Acker be- 
stellen) gewesen ... Im deutschen Worte Pflege = ‚Ver- 
waltung eines Gutes, eines Landbezirks‘ (SCHMELLER L. 
Sp. 448) sind wir der alten Bedeutung noch recht nahe“ 





1) P. v. MÖLLER, Strödda Utkast rörande Svenska Jordbrukets Historia, 
Stockholm 1881, S. 134, sagt zur Geschichte des Wortes /ogr: „In den Edda- 
liedern wird drdr und flögr gleichzeitig gebraucht, z. B. im Rigsmäl, wo es 
von dem ‚Karl‘, oder dem freien Bauer heisst: daß er drder machte, Häuser 
und hohe Scheunen zimmerte, Karren machte und den plog fuhr (körde 
flog).* Hieraus dürfte jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß der 
arder und der heutige plog schon damals in Skandinavien angewendet wurden, 
selbst wenn man das genannte Eddalied weit jünger ansetzt, als bisher an- 
genommen wird. In den schwedischen Landschaftsgesetzen wird der plog 
nicht genannt, sondern erst in Kristoffers landslag von 1442. Wohl kommt 
an einer Stelle des jüngeren westgötischen Gesetzes «plöghia vor, für pflügen 
über die Grenzscheide in eines andern Bereich, und ebenso in einer jüngern 
Abschrift des Skänelag das Wort Zlögkia, welches jedoch in einer älteren 
und von SCHLYTER benutzten Handschrift mit ærie, ärja, wiedergegeben 
wird. Sollte man deshalb nicht aus den Worten im Rigsmäl: „machte Karren 
und fuhr den Pflug“ schließen können, daß dieser plog ein Karrenärder gewesen ? 

In Schweden werden die Benennungen stäng-ärder und kärrärder nicht mit 
dem des plog verwechselt, aber in Deutschland... wenden Autoren, z. B. 
Rat, das Wort /fug sowohl für ärder oder Haken (krok) wie auch für 
Pfiug an.“ Die Stelle verdanke ich Kar RHAMy». 

2) MERINGER, Wörter und Sachen, in den Indogermanischen 
Forschungen, 1904 Bd. 16, S. 184 ff., Bd. 17 S. 100 ff. 


274 


aksl. 


J. Peisker 


(JF. 16, S. 186). „Von Pfegen, Pflug, kann man, 
RINGER S. 187 weiter fort, unmöglich Pfloc# tre 
ndl. plug (Propf), engl. flug (Pflock). Die Be 
sind überall ‚zugespitztes Holz‘, ‚Stöpsel‘ ... 
Holzpflug paßt es sehr gut').“ 

Über Wort und Gerät Pfug bei den Slawen 


besondere Abhandlung. 


Gruppe X. 
Verkehr, Handelsartikel, Geld. 


bug», Armband, nur in glagolitischen 

(MıkrosicH), ein altbekanntes Lehnwort, nach U 
aus germ. *dauga, andd. baugr, ahd. Boug, ar 
ceta, Münze, nach UHLENBECK aus einem germ. *#: 
zu vergl. got. Zintus, Pfennig, auch im German 
Fremdwort. Vgl. Kossmann, PBBeiträge 30, 
godovable, Seide, nach UHLENBECK aus einem 
deutschen *godawebbi, ahd. gotawebbi, angls. god 
gewebe, Gewebe zu gottesdienstlichen Zwecken). — 
Murko: Wahrscheinlich auch nur nordslawisch, 
altkirchenslawischen Beispiele (MixLosicH, Lex. ] 
8. v. godovabl:) sind wohl russischer Herkunft. 

christlicher Zeit entlehnt. — STREKELS: Dürfte wi 
sein, weil es im ersten Teil zu got. gwpa- besse 
zu goda-; wenigstens weist tech. zedvab, poln. 7e 
altes *gzdsvabls hin. In godovadls haben wir ir 
für 3 wohl russischen Einfluß, das zweite o berul 
Einwirkung des Kompositionsvokals o. 

kupt, kuplja, Kauf, nach MikLosıch aus dem 

in der ersten Periode entlehnt. Nach UHLENBECK 
*kaupa, *kaupja, “kaupjan (kaufen) [neben got 
lichva, Wucher, nach UHLENBECK abgeleitet 
lethwan, leihen. Es setze ein germanisches fen 
(aus *erhwö) voraus. 


1) Anders K. RHAMM, Ethnograph. Beiträge zur germanisc 
Altertumskunde. I. Die Großhufen der Nordgermanen. Braunsc 
S. 549 f. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 275 


akel. myto, Lohn, Gewinn, in einzelnen slawischen Sprachen 
auch in der Bedeutung Zoll, Maut, ein altbekanntes 
Lehnwort. Nach UHLENBECK entweder aus ahd. #4#/a oder 
got. möta. Nach Lowe (S. 323) wird man yo am besten 
wohl aus demjenigen germanischen Dialekte herleiten, in 
dem es selbst bezeugt ist, ohne dort Lehnwort zu sein, aus 
dem Altnordischen. 

» Péneg®e, péneds, denarius, ein altbekanntes Lehnwort, 
nach ÜHLENBECK aus einem germ. *denninga (anord. penningr, 
ahd. pfennig). 

» skplezp, aus einem älteren *s2/engs, Münze, nach MiKLo- 
sicH germanisches Lehnwort aus der ersten Periode, nach 
UHLENBECK aus got. skilliggs, Schilling. — Nachtrag. UHLEN- 
BECK: Kann ebensogut aus einer anderen altgermanischen 
Mundart entlehnt sein. 

„ usereg#, Obrring, nach MikLosicH ein germanisches 
Lehnwort aus der ersten Periode, nach UHLENBECK aus 
got. *ausa-hrigga. — Nachtrag. Murko: Wahrscheinlich 
nur südslawisch, erst von den Goten am Balkan; russ. 
serega ist fernzuhalten. — UHLENBECK: Das s von wseregs 
weist bestimmt auf das Gotische, denn die übrigen ger- 
manischen Mundarten haben > aus z/ Aus germ. z wäre 
bei Entlehnung in das Slawische kein s geworden, sondern 
das z wäre unverändert geblieben. 

-» “Yareg®, zu ermitteln aus russ. varjag, dial. fremder 
Krämer, varjaga, Dieb, klruss. varjah, starker, großer Mann, 
nach UHLENBECK aus anord. vaeringi. Die nordischen Eroberer 
Rußlands hießen Vaeringjar. — Nachtrag. STREKELJ: Das 
Wort ist doch erst altrussisch, wie Korljage, Karlingr, Kolb- 
jage, Kylfingr und ähnliche spätere Entlehnungen des 
9. Jahrhunderts, beweist also nichts für die älteren slawo- 
germanischen Beziehungen. 

» 2lödg, 2/2stı, zahlen, büssen, aus dem Stamme Ze/d, nach 
MikLosicx in der ersten Periode entlehnt, nach UHLENBECK 
nicht aus got. gz/dan, das im Slawischen “2/44, *Zlesti 
ergeben hätte, sondern aus einem germ. *geldan (gelten). 
Der gemeingermanische Stamm ge/p- ist nach KLuar 


276 


aksl. 


J. Peisker 


(8. v. gelten) auf vorgermanisch gsel-t zurückzu 
verlange, daß aksl. 2/£dq ein germanisches Le! 
Dagegen hält es Hırr (S. 341) und LoEwE (S. & 
für entlehnt. 


Gruppe XI. 
Staat, öffentliche Gewalten, Volk. 


c&sarb, Kaiser. ÜHLENBECK leitete es im Arch. f. sl. 
got. kaisar her, jetzt, in seinem Etym. Wtbch.?, aus ahd. # 
KLUGE. Nach LOEWE (S. 831 f.) ist es balkangermanischer 
Nachtrag. STREKELJ: Ist: entweder gotisch oder griec 
scheinlicher das erstere; aus ahd. keisar würde man für 
3 erwarten. 

*jebeda, Schikane, *jebedsniks, Beamter, Verl: 
erschließen aus russ. jabedniks, eine Art Bea 
leumder, ein altbekanntes Lehnwort, nach UHLE 
einer altgermanischen Mundart, ahd. ambahti, got 
ein gemeingermanisches Wort, welches nach K 
Amt wieder aus dem gallischen ambactus er 
Daß slaw. *jededa schon in altslawischer Zeit eı 
muß, lehrt nach UHLENBECK das anlautende 7a im] 
aus älterem ge oder je, denn sonst wäre der A 
bewahrt geblieben. — Nachtrag. UHLENBECK: Ai 
steht gewiß anord. embaetti! — Murko: Das W 
im Russischen. 

kenegr, konedze, Fürst, slow., serb. Ares, ein al 
Lehnwort aus germ. *kuninga. 

ljud®#, nach Hırr entlehnt; ahd. ut (Leute), nach Kı.ı 
BECK und sonst allen urverwandt. — Nachtrag. Zus 
einheimisch sein: lett. Zaudis (plur! ‚Leute‘), lit. audi. 
meines Volk‘), und zwar in der lautgesetzlich erwarteten 
sok®, Ankläger, nach UHLENBECK aus der Sipy 
sakan. Nachtrag. BERNEKER: sokz, sociti kann 
mit got. salhkwan, lit. sakyti urverwandt sein. — 
Dürfte einheimisch sein, eher zur Wurzel seg- in 
(ist im lit. durch se£x ‚folge‘ vertreten); die sp 
deutung im Slawischen weist darauf hin. 
*vira, zu erschließen aus dem altrussischen VW 
Wehrgeld, altbekanntes Lehnwort, nach UHLEN 


— 


SL. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 277 


Verballhornung einer altgermanischen Form von hd. Wekr- 
geld. — Nachtrag. UHLENBECK: Jetzt halte ich es, durch 
L. v. SCHROEDER (in dem Festgr. an KR. v. RoTH 49 ff.) 
überzeugt, für ein echt slawisches Wort, urverwandt mit 
aind. varra-. 

vlada, ich walte, herrsche, nach Kruse, Etym. Wtbch. 
s. v. walten, scheint dem Germanischen früh entlehnt zu 
sein, was UHLENBECK, Etym. Wtbch. d. got. Spr., 2. Aufl., 
8. v. waldan, bezweifelt hat, aber jetzt (PBBeiträge 30, 
S. 323f.) anerkennt; got. und asächs. wa/dan, afries. 
walda. HırT (Beiträge 23, S. 337) entscheidet sich nach 
seiner ganzen Disposition für die gotische Quelle, aber nach- 
dem das Wort auch im Altsächsischen und Altfriesischen 
ebenso lautet, so ist Hırrs Herleitung zu mindest nicht 
zwingend. MiKLoSIcH weist eine Entlehnung überhaupt ab. 
Nachtrag. BERNEKER: Vgl. PBB. 30, 324. anord. o/l: setzt 
idg. £ voraus; daher dürfte das slawische Wort doch ent- 
lehnt sein. — STREKELI: Bei Vorhandensein eines anders- 
stufigen, bezüglich der Konsonanten mit dem slawischen 
Wort aber vollständig übereinstimmenden lit. ve/d£ti, regieren, 
besitzen, paveldeti, ererben, apreuß. weldisnan, Erbe, ist 
Entlehnung von v/adg nicht annehmbar. 


Gruppe XII. 
Religion. 


erpky, Kirche, ein altbekanntes Lehnwort, nach UHLENBEUK aus 
germ. *kirkö. Dem Gotischen ist das Wort fremd. Und dennoch 
müssen es die westgermanischen Stämme nach KLUGE durch gotische 
Vermittlung aus dem Griechischen übernommen haben, da in der 
römischen Kirche das Wort nie zur Geltung kam. Gotisch wäre 
nach KLUGE ‘éyreikô vorauszusetzen. Slawisch crs%y, früher creky, 
ist jedenfalls ein spätes Lehnwort. — Nachtrag. UHLENBECK: ob- 
wohl älter als die zweite Palatalisierung. — LoEwE (S. 327) denkt 
an die Ostgoten in Rußland. 

pop», Priester, Pfaffe, nach UHLENBECK aus einer germanischen 
Mundart. In das Germanische kam es aus dem Griechischen: ranûç, 
clericus minor, zum Unterschiede von rarag, Papst. In Deutschland 
mag es schon im 6. Jahrhundert verbreitet gewesen sein. Im Slawi- 
schen also ein sehr spätes Lehnwort. 


278 


J. Peisker 


sgbota, Samstag, nach MIKLOBICH und UHLENBECK aus germ. *sambat. 
Offenbar ist, nach KLUGE 8. v. Samstag, ein etwa im 6. Jahrhundert 
bestehendes orientalisches sawmdato durch das Griechische, mit dem 
Arianismus, zu den Oberdeutschen und Slawen gekommen; doch falle 
es auf, daß Ulfilas saödatö dags ohne Nasalierung sagt. Wenn überhaupt 
aus dem Germanischen, ist slaw. sgéota ein sehr spätes, deutsches 
Lehnwort. — Nachtrag. BERNEKER: Vgl. G. MEYER in den Idg. 
Forsch. 4, 8. 326 ff. 

Wahrscheinlich sind alle die drei Lehnwörter dieser XII. Gruppe, 
croky, pops, sgbote, nachgotisch und würden dann für unsere Fragen 
gänzlich entfallen. 


Gruppe XII. 
Exotika. 


lev», Löwe, nach Hırr aus got. */zwa. 
*opica, Ableitung von *opa, Affe, nach UHLENBECK aus 
einer germanischen Mundart, got. *apa. 
ospl%, Esel, beruht nach MiıkLosıch wohl auf dem Ger- 
manischen. Nach UHLENBECK, Etym. Wtbch.?, aus germ. 
*asilu oder *asila, got. asilus, ahd. und asächs. esz/. Nach 
KLUGE stammt die germanische Sippe — etwa im 1. 
oder 2. nachchristl. Jahrh. — aus Italien. 
*pigy, Feige, nach UHLENBEcK alte Entlehnung aus einem 
germ. *figö; Nach LoEwe (S. 325) wahrscheinlich aus dem 
Westgermanischen. 
smoky, Feige, nach UHLENBECK sicher ein germanisches 
Lehnwort, weil sonst das y unerklärbar wäre, aber nicht aus 
got. smakka, sondern aus einem germ. *smakkö. Nach 
LoEwE (S. 325, 330 s. v. 5u%y) wahrscheinlich aus dem 
Balkangotischen. 
velsbadr, Kamel, alte Entlehnung aus got. #/bandus, 
nach MIKLoSICH und UÜHLENBECK. 
vino, Wein, nach UHLENBECK aus germ. *vina, got. wein. 

Nachtrag. MURKO: Aus sachlichen Gründen können die Entleb- 
nungen dieser Gruppe nicht alt sein. 

Gruppe XIV. 
Abstrakta und übriges. 


brögg, bewahre, behüte, nach HırrT aus got. dairgen, 
bergen. Nach UHLENBECK und anderen urverwandt, 3 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 279 


auch Murxo in der D. Lit.-Zeitg. 1904, Spalte 3145 (dazu 
noch: Örzern in MaruLics Judita, Akad. Rjeënik I. 647). — 
Nachtrag. BERNEKER: urverwandt wegen des alten Ablauts 
(part. praet. act. drsg3Je). 


L dumati, denken, duma, Rat, consilium, nach MikLosicx 


in der ersten Periode entlehnt. Nach UHLENBECK, Etym. 
Wtbch., aus dem Germanischen. Got. doms, Urteil. Vgl. 
LOEWE, S. 316. — Nachtrag. Murko: Für alle Slawen 
wenig beweisend, weil nur russisch und bulgarisch. 
glum'e, scena, g/uma, Unverschämtheit, nach UHLENBECK 
aus dem Skandinavischen. Anord. g/aumr, Getöse. 
goberdzr, reichlich, fruchtbar, schon von MiKLosıcH als 
wahrscheinlich aus got. gabeigs, reich. ÜHLENBECK hält 
es für sicher. 

’gomonv, Lärm, nach UHLENBECK aus dem Skandi- 
navischen. Anord. gaman. — Nachtrag. ÜHLENBECK: 
Könnte auch westgermanisch sein. — Murko: Entlehnung 
zweifelhaft; nur nordslawisch. 

gonesti, gonszngti, errettet werden, nach MIiKLOSICH in 
der ersten Periode entlehnt. Nach UHLENBEcK, Etym. 
Wtbch. s. v. ganisan, genesen, ist das slawische Wort eine 
alte Entlehnung aus dem Germanischen. — Nachtrag. ÜHLEN- 
BECK: Gewiß nicht gotisch, denn das Gotische hat hier 
stimmloses s. 

gonoziti, erretten, nach UHLENBECK, Etym. Wtbch. s. v. 
ganasjan, ist das slawische Wort aus germ. ganazjan schon 
früh entlehnt worden. | 

gorazd®e, erfahren, machte MIKLOsSICH Schwierigkeiten, und 
er gab seine frühere Annahme einer Entstehung aus got. 
ga + razda, Sprache, in seinem Etym. Wtbch. wieder auf. 
UHLENBECK, Etym. Wtbch. s. v. zasda, hält an dieser Her- 
kunft aus einem nicht belegten got. *garazds= ga +rasda fest. 
gotov®%, fertig, nach UHLENBECK aus einem got. *gafaws, 
von gataujan, machen. — Nachtrag. BERNEKER: Ich halte 
es nach G. MEYER, Alban. Wtbch. 121 (gas) für zum 
mindesten zweifelhaft. 

chabiti se, abstinere, nach UHLENBECK aus got. gahaban 


280 


aksl. 


J. Peisker 


stk, davon auch aksl. ochaba, volles Eigentum. — Nachtrag. 
STREKELJ: Die Wörter können neben slow. osaben, aksl. 
oSajati, osavatı, chabiti u.s. w ‚abstinere‘ nicht entlehnt 
sein (vgl. Archiv f. sl. Phil. 27, S. 43f.). 

chapati | beißen, nach UHLENBECK aus einer altgerma- 
chopiti,}) nischen Form von niederl. Aappen, etwa *happon. 
— Nachtrag. UHLENBECK: Sehr unsicher. — Murko: Nicht 
entlehnt, vgl. STREKELS im Archiv f. slaw. Philol. 27 S. 68. 
chadog%, peritus, erfahren, altbekanntes Lehnwort, nach 
MIKLOSICH und UHLENBECK aus got. kandugs, weise. 
chlakr, ehelos, nach UHLENBECK, Etym. Wtbch., aus 
*cholks, kann aus got. kalks, arm, dürftig, gering, entlehnt 
sein. Anders Prusik, KUHNS Zeitschr. 33, 157. PEDERSEN, 
IGF. 5,64. Nach MiKLosıcH 8. v. cho/sts ist die Zusammer- 
stellung zu got. 4a/ks unsicher. — Nachtrag. Murko: Un- 
sicher, vgl. STREKELJ, Arch. f. sl. Ph. 27, S. 45. 
chlopot®r, Getöse, *cAlopati, klappen, nach UHLENBECK 
aus der Sippe von anord. #/appa, ahd. chlaphön. — Nachtrag. 
UHLENBECK: Unsicher. — STREKELJ: Neben südslaw. #/opot 
klopotati, klepati u. s. w. ist es nur als onomatopoetische 
Bildung aufzufassen (vgl. Archiv f. sl. Phil. 25. S. 413f.). 
chlujati, fließen, nach UHLENBECK aus germ. *flöjan. — 
Nachtrag. ÜHLENBECK: Unsicher. — BERNEKER: Sehr 
zweifelhaft. 

*chvat®?, dreist, zu an. Avatr, scharf gestellt. — Nachtrag 
STREKELJ: russ. chvats, dreister Mensch, gehört zur slav. 
Wurzel chst: chytati, chvatiti, chytre: ‚der dreist, schnell 
Zugreifende‘ und ist von anord. Avatr zu trennen, welche 
übrigens wohl *chvots gäbe. 

*chvilja, tech. cAväle, Zeit, nach UHLENBECK, Etym. Wtbcb. 
aus dem Germanischen, got. Awezla. 

jetati, seufzen, aus einem älteren *jekdti, nach UHLEN- 
BECK wahrscheinlich aus einer altgermanischen Form vo 
mnd., nhd., ndl. jarnken. — Nachtrag. UHLENBEOK: Ur 
sicher. — BERNEKER: unwahrscheinlich. — Murko: Ei 
Wort mit regelrechtem slawischen Ablaut: jenk-, jonk-! Kei 
Lehnwort. — STREKEIW: Das Verbum ist im Slawischer 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 281 


primär, was sehr gegen Entlehnung spricht. Doch ist es 
von slow. jokatz, weinen, zu trennen, weil dieses wie javkati 
von Jo mit Suffix £a gebildet ist, wie kajk. jo2ati (nicht 
*jukati) beweist. 


. kusiti, kosten, nach UHLENBECK aus got. kausjan. 


18k», Medizin, als Lehnwort altbekannt, nach UHLENBECK 
aus dem Germanischen. Got. /ökeis, Arzt. 

lest», Betrug, kann nach UHLENBECK, Etym. Wtbch., aus dem 
Germanischen entlehnt sein, got. /zsZs, anord., angls., asächs., 
ahd. /st. 

moga, ich mag, nach Hırr entlehnt, got. mag. Nach 
UHLENBECK und anderen urverwandt. — Nachtrag. BER- 
NEKER: Vgl. UHLENBECK PBB. 30, S. 299. 

mozols, vibex, nach ÜHLENBECK aus einer altgermanischen 
Form von mhd. ##asele, Blatter, Geschwür. Nach MiIKkLo- 
SICH urverwandt. — Nachtrag. UHLENBECK: Jetzt halte ich 
es für urverwandt; vgl. ZUPITZA in Kunss Zs. 37, S. 396 ff. 
ockt®, Essig, altbekanntes Lehnwort, nach ÜHLENBECK 
aus got. akest (aket). 
syt®%, satt. UHLENBECK, Etym. Wtbch. s. v. saps: man 
vermutet Entlehnung aus dem Germanischen (oder Lit.?). — 
Nachtrag. BERNEKER: Ganz ausgeschlossen! y ist allenfalls bei 
Urverwandtschaft, nie und nimmer aber bei Entlehnung zu er- 
klären. — Es gibt kein litauisches Lehnwort im Urslawischen. 
$tir®, lauter, rein, nach UHLENBECK, Etym. Wtbch., scheint 
es aus got. sZeirs, klar, deutlich, entlehnt zu sein. — Nachtrag. 
UHLENBECK: Könnte auch einer andern altgermanischen 
Mundart entstammen. — Murko: Nur nordslawisch! 


\un wären wir mit der Herzählung der mit mehr oder weniger 


ht für altgermanisch geltenden Lehnwörter im Slawischen zu 
ıde. Ist dies bei der noch immer herrschenden Unsicherheit schon 
reinen Slawisten heiklich, so ist es für einen Nichtphilologen ein 
fährliches Wagnis; für ein „frisch gewagt, halb gewonnen“ ist 
nig Aussicht, hier entscheiden einzig und allein, wenn richtig 
handhabt, die Lautgesetze, und mit diesen läßt sich nicht feil- 


hen, 


Dennoch mußte ich das Wagnis auf mich nehmen, denn 


in Problem kann nicht warten, bis sich die Sprachforscher 


282 J. Peisker 


geeinigt haben, und überdies ist auch die Provokation einer der 
Wege, die zur Erschließung der Wahrheit führen. Es war nötig, 
die Lehnwörter, wenn auch nicht vollständig — denn wer ver- 
möchte es! —, so doch in einer größeren Anzahl vorzuführen, 
nicht etwa, weil sie alle sachlich, den Gegenständen nach, für 
uns von Belang wären, sondern damit man den Einfluß der ein- 
zelnen germanischen Mundarten einigermaßen abwägen kanı. 

Und da bringt uns schon eine oberflächliche Abwägung eine 
nicht geringe Enttäuschung: Die Größe des gotischen Ein- 
flusses wurde bisher gewaltig überschätzt. Am zahlreichsten sind 
die gotischen Lehnwörter noch in Gruppe XIV, Abstrakta und 
übriges, vertreten, und das ist leicht erklärlich, wenn man er- 
wägt, daß frühzeitige Christianisierungsversuche in den Slawen- 
läandern von den Goten ausgingen und das Verkünden des 
Evangeliums den besten Anlaß gab, für gewisse Abstrakta, für 
welche das Slawische nicht reichte, gotische Wörter zu entlehnen. 
Sonst kämen etwa nur noch folgende gotischen Lehnwörter in Be 
tracht: Aus Gruppe IV: d/judo (Schüssel), ? kotels (Kessel), ? sat 
(Sack); Gruppe V: cAl&vs (Stall), ?stöna (Mauer); Gruppe Vl: 
?choragy (Fahne), ? msce (Schwert); Gruppe X: ? godovabls (Seide), 
lichva (Wucher), ? myto (Gewinn), ?sko/eze (Münze), ? useregs 
(Ohrring) ; Gruppe XI: ? so&s (Ankläger) ; Gruppe XIII: /svs (Löwe), 
velsbads (Kamel). Alles Lehnwörter, aus denen man keine weit 
gehenden sozialgeschichtlichen Schlüsse ziehen kann. 

Die soziologisch allergewichtigsten Lehnwörter im Slawischen 
sind jedoch weder gotisch, noch altnordisch, sondern west- 
germanisch, und zwar nicht althochdeutsch: Z/ugs (Pflug), #/4#0 
(Milch), »a2a (Rind), wahrscheinlich auch s£02s (Vieh, Schatz). Davon 
ist »s/dko für uns ein wertvoller Wegweiser. Es setzt, wie schon 
oben S. 264 dargestellt worden, ein germ. melka voraus. Dies 
Form ist bereits für das zweite Jahrhundert n. Chr. direkt be 
zeugt, tatsächlich aber viel älter. Gotisch lautete es zmaluks, 
uékxx kann somit nach Rom nur aus Westgermanien gelangt seid; 
und zwar von da nur aus einer von jenen Mundarten, in dene 
es mit e und nicht mit 7 lautete. Dies trifft bloß im ndl. (meik) 
und angls. (»zeoloc) zu, während das Wort im Hochdeutsche 
seit jeher, so wie im Gotischen, ; hatte. Die Mundart, aus welcher 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 283 


8 Galenische ueAsx herrührt, war demnach entschieden eine der 
ederdeutschen. 

Weiter hörten wir, daß auch germ. *sZatta-, woraus slaw. 
ot» (pecu, pecunia) wurde, nur in einer niederdeutschen Mund- 
t, nämlich der altfriesischen, in derselben Doppelbedeutung be- 
ugt ist. An sich allein würde dies freilich nichts beweisen, 
dem das Wort auch in anderen germanischen, nord- und ost- 
ermanischen, ja auch hochdeutschen Mundarten dereinst dieselbe 
oppelbedeutung haben konnte; allein im Zusammenhange mit 
er niederdeutschen Herkunft des Wortes z/2ko darf man die 
löglichkeit nicht a priori abweisen, daß skote ebenfalls aus 
iner niederdeutschen Mundart abstammt, denn sachlich läßt sich 
Milch“ von dem in Germanien hauptsächlich milchspendenden 
'iere, dem Rind, nicht ohne weiteres trennen'). Allerdings dürfte. 
skatta im Urgermanischen in erster Reihe ‚Vieh‘ bedeutet haben, 
ber in einer gar zu weit vergangenen Zeit, aus welcher kein 
Æhnwort in das Slawische gelangen konnte. S%ots ist demnach 
rahrscheinlich, #7/240 dagegen sicher ein westgermanisches, und 
war nicht althochdeutsches Lehnwort. 

Westgermanen waren es somit, welche in vorhistorischer Zeit an 
lie Slawen grenzten und sie ab und zu beherrschten, schon lange 
kvor vom Norden her aus Skandinavien die Goten nach dem Süden 
ingebrochen sind und sich zwischen die Westgermanen und die 
lurch westgermanische Gefolgschaften beherrschten Slawen ein- 
keilt haben. 

Für diese Annahme spricht vielleicht auch die slawische Be- 
iennung der Deutschen: aksl. zdmace, nslow. nemec, bulg. nemec, 
erb. nijemac, tech. nômec u. 8. w. polabisch zemac, vornehmer 
unger Bursche —; rum. nernc, magy. nemet, zig. Namco, ninco. 
\ach MiKkLosicH (Etym. Wtbch.) „von 26% ‚mutus‘, bei NESTOR 
tuch ‚fremd‘: nemocs ist ein ‚Fremder‘?), dann ein ‚Deutscher‘ “. 





1) Das Rind der Wanderhirten Asiens gibt allerdings keine oder wenig 
Ülch und wird nur als Lasttier verwendet. Auch das chinesische Rind wird 
ücht gemolken, aber aus einem ganz anderen Grunde: Der Chinese verabscheut 
eden Milchgenuß. Bei den Germanen war dies jedoch nicht der Fall. 

2) Nachtrag. BERNEKER: Diese Bedeutung ist mir bei NESTOR nie 


tgegnet, möchte sie auch ohne Beleg unbedingt bezweifeln. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschafirgeschichte. III. 19 


284 J. Peisker 


Die Etymologie von zes, stumm, vertrat bekanntlich auch 
Zeuss'). Anders äußert sich Sarakik: „Bei den Slawen 
hießen die Deutschen seit undenklichen Zeiten Mémci. Einige 
leiten diesen Namen von dem deutschen Volke der Vemetes’), 
andere von #é»ÿ, d.h. Fremdsprachiger, ab, ohne daß man bis 
jetzt bestimmen könnte, welche von diesen Erklärungen richtiger 
sei. Die Nemetes, ein germanischer Volksstamm, wohnten auf 
dem linken Rheinufer in der Gegend von Worms und Speier, 
in der Nachbarschaft der Wangionen und Triboker. CAESAR und 
Tacırus erwähnten sie’)... Auch in Gallien gibt es indessen 
Städtenamen Nemetum, Nemetacum, Nemetocenna, und in der 
keltischen Sprache soll das Wort zemet Heiligtum, Tempel be 
deuten‘). Dennoch würde ich nicht zögern, diese Erklärung 
als richtig anzuerkennen, wenn erwiesen werden könnte, daß die 
Nemeter einmal in der Nachbarschaft der Slawen gewohnt haben. 
Die, welche x&2y für die Wurzel dieses Namens halten, berufen 
sich auf den Namen der Slawen, als ob von s/ovo herrührend; 
jedoch mit viel besserem Grunde könnten sie sich auf Nestor 
berufen, der schreibt: Das jugrische Volk ist ein fremder Stamm 
(jazyk jest njem) [Nachtrag. BERNEKER: Kann hier auch nver- 
ständlich bedeuten] and wohnt mit den Samojeden nordseits'). 








1) Zevss, Die Deutschen und die Nachbarstämme, München 1837, 5. 68, 
Anm. 1. 

2) CHR. GUTTL. ARNDT, Über den Ursprung und die verschiedenartigt 
Verwandtschaft der europäischen Sprachen. Nach Anleitung des russischen 
allgem. vergl. Wôrterbuchs. Hg. v. KLÜBER. Frankfurt a. M. 1818, S. 251 u.& 

8) CAESAR I, 51; Tacrrus, Annal. XII. 27. Germ. c. 28. 

4) ,ADELUNGS Mithridates II. Berlin 1809, S. 65. — Die Nemeter erklärt 
auch UKurT, A. Geogr. IV. S. 356 f. für Germanen, nicht für Gallier. — 
W. v. Hussorvr, Prüfung der Untersuchungen über die Urbewohner voß 
Hispanien vermittelst der baskischen Sprache. Berlin 1821, S. 103 sagt, da 
Wort Nemet sei ein keltisches, das Volk der Nemeter sei aber ein deutsches; 
in Gallien angesessenes. — Möglich, daß die Teutonen den Namen Nemete 
von den Kelten erhalten haben. Wie, wenn mit der Ankunft der Kelten je 
seits der Karpathen auch der Name Nemeti, Nemci, zu den Slawen gekommen 
wäre, bei denen vordem nur der Ausdruck Zjudi, Tuëdi, Cuzi (= Teutonti 
Thiudisci) im Gebrauch war? 

5) „Kananzın, Istor. gosud. ross. II. 38. Anm. 64. Karanızın erklärt 
‘em = inoplemennyj [= von fremden Stamme].* 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 285 


‘ Ableitung ist auch das £ in dem Namen Nemec gün- 
“1 

in sieht, Sarakik neigt eigentlich denn doch Arnprs Er- 
ıg des Wortes zdmsce von dem Volksnamen der Nemeter 
ır macht er die Annahme dieser Erklärung von dem Nach- 
abhängig, daß die Nemeter einmal in der Nachbarschaft 
lawen gewohnt haben. 

ute kann man Sarakiks Forderung schon einigermaßen 
ommen und den, wenn auch nicht urkundlichen, so doch 
geschichtlichen und jedenfalls gleich gewichtigen Nachweis 
gen, daß den Slawen dereinst die Westgermanen, und 
die später westlichsten, benachbart gewesen sind, weil ge- 
lie soziologisch bedeutendsten altgermanischen Lehnwörter 
rmanisch sind. Ist — von anderen Wörtern abgesehen — 
sicher und s2o#s (Rind, Schatz) wahrscheinlich aus einer 
deutschen Mundart entlehnt, warum soll die Herkunft 
'ortes zdnc# (‚der Deutsche‘) von dem Namen der Nemeter 
kbar sein? Sind ja die Sitze der Nemeter (bei Worms) 
lie der Niederdeutschen überhaupt gleich weit von den 
ten der alten Slawen entfernt; durchzogen ja die Goten 
Europa, von Skandinavien nach der Krim und von dort 
ach Spanien, so daß diese Ostgermanen schließlich von 
Germanen am westlichsten zu wohnen kamen. Krim— 
en, das sind also ungleich größere Entfernungen. Somit 
ıdet zwar Sarakiks Hauptbedenken gegen die Herkunft 
fortes #émece von dem Namen der Nemeter, sicher ist 
ı diese Ableitung dadurch nicht geworden, weil das sprach- 
Bedenken SaraRiks— das 2 spricht direkt für #2»3! — auf- 
bleibt?); überdies gibt es für die z&s-Ableitung auch 


SCHAFARIK, à. &. O. I. S. 443 ff. nach der Originalausgabe berichtigt. 
Nachtrag. Ein zweites Bedenken äußert mir BERNEKER: „Gegen 
rleitung [aus dem Namen der Nemeter] spricht vor allem das slaw. 
-&s,; doch halte ich sie im ganzen nicht für unmöglich.“ — ÜHLENBECK: 
+ könnte aber ursprünglich alle Nichtslaven bezeichnet und später 
3edeutung eingeschränkt haben. (Nicht daß ich die ###5-Ableitung 
meter-Etymologie gegenüber verteidigen will). — MIKKoLA (in KLUGEs 
chrift für deutsche Wortforschung. VI. Straßburg 1905, S. 372): 
h ist es sehr verlockend, sémsce von dns herzuleiten, dessen ursprüng- 


286 | J. Peisker 


noch ein sachliches Analogon, das ich Murko verdanke: Die 
makedonischen Türken nennen nämlich, wie KaxCov berichtet, 
die slawischen Muhamedaner di/sezi, ‚die Zungenlosen‘’). Bleibt 
somit die 7ss-Ableitung bei ihrem Gewicht, so ist anderer- 
seits auch die Memeter-Etymologie sprachlich nicht unmöglich 
und sachlich nicht unbegründet. Allein, von der Herkunft des 
Wortes Vémecs ganz abgesehen, genügen schon die übrigen west- 
germanischen Lehnwörter zum Beweise, daß in vorgeschichtlichen 
Zeiten, vielleicht irgendwo an der unteren Weichsel oder nordöst- 
licher, niederdeutsche Völkerschaften gewohnt und von dort aus 
Finnen und Slawen unterworfen haben. 


Die auf diesem Wege in das Slawische geflossenen west- 
germanischen Lehnwörter sind vorgotisch, aus vorchristlichen 


liche Bedeutung nicht ‚mutus‘, sondern ‚nicht verstehend' ist: #2» = n° (vgl. 
avest. »a2)- ims, vgl. fo-jirng, ‚ich verstehe‘, aber trotzdem ist diese Etymologie 
sehr wenig überzeugend, insbesondere weil man bei der Erklärung des Wortes 
nemeco von nem» seine Zuflucht zu der durch nichts begründeten Voraur 
setzung nehmen muß, daß jeder Fremde und Ausländer ndmecs (Deutscher) 
benannt worden wäre. [— MurKo: Das ist in Rußland allgemein noch heute 
der Fall, wo dem Volke speziell auch die österreichischen Slawen als Nimy 
gelten; man kann aber schon in der Umgebung von Krakau über Fremde 
die Bemerkung hören, sie „sprechen irgendeine ‚deutsche‘ Sprache" (njejakin 
niemeckim jezykem); in Bosnien und Hercegovina ist jeder Ankömmling auf 
Österreich ein Svads. —] Nemsc» (Deutscher) — setzt MIKKOLA fort — wa 
bloß die Benennung der germanischen Nachbarn. Der Ursprung diew® 
Namens dürfte... eher in der Benennung Nemetes zu suchen sein. — Gegen 
die Zusammenstellung von slaw. #émece mit Nemetes könne freilich eingewendtt 
werden, daß 2 in némsce auf langes 2 hinwiese, während + in NVemetes kurz ist. 
Es sei aber zu bemerken, daß kurzes kelt. e auch im got. A2likn gegenüber 
gall. celicnon durch langes 2 ersetzt worden ist. Slaw. ###s#ce sei auch über dis 
Germanische entlehnt —. Zur Zeit Caesars lebte dieser germanische Stamm a 
Rhein. Das war wehrscheinlich ein germanisierter keltischer Stamm, der sich 
einst in der Nachbarschaft der Slawen befand. In der Weise bezeichnete nmx® 
(Deutscher) ursprünglich die keltischen Nachbarn der Slawen, deren Wohn- 
sitze später von den Germanen eingenommen wurden. Von der alten Nach- 
barschaft der Kelten zeugen die bisher wenig untersuchten keltischen Worte 
in den slawischen Sprachen. Die Übertragung eines Namens von eine 
Stamme auf den andern sei eine nicht seltene Erscheinung ... [Der Einheit- 
lichkeit halber ersetzte ich die von MIKKOLA angewendeten russischen Formel 
mit altkirchenslawischen]. — 
1) KnuyogıL, Makenouns. Cora, 1900, S. 49. 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 287 


siten; die gewichtigste germanische Beeinflussung der Slawen 
t somit viel, viel älter, als angenommen wird. 

Außer diesen uralten germanischen, waren die Slawen auch 
rkotatarischen, teils noch weitaus älteren Einflüssen abwechselnd 
aterworfen, wie oben ausführlich dargestellt worden ist. Die 
ırkotatarischen Einflüsse, hörten wir, liefen dahin aus, daß die 
lawen keine Viehzucht treiben konnten, ohne Milchnahrung 
ben mußten. Ihr Fleischgenuß beschränkte sich darauf, was 
er Fischfang ergab und die Jagd. Diese dürfte nicht besonders 
rgiebig gewesen sein, wenn der herrschende Nomade dabei Vor- 
echte beanspruchte, und was nach ihm übrig blieb, verfiel zu- 
neist dem Wolfe'). Dagegen kann dem Fischfang einige Bedeutung 
‚ugemessen werden. 

Zu Vegetariern ohne Milchnahrung wurden indes die Slawen 
erst durch die turkotatarische Knechtschaft, zuvor waren sie 
Viehzüchter, namentlich Rinderzüchter ebenso wie die Germanen 
des CAEsar und TaciTus. Beweis dessen ist ihre ansehnliche ein- 
heimische Nomenklatur für Groß- und Schmalvieh, die sie aus alters- 
grauen Zeiten über die lange Periode ihres Vegetarismus bis zur 
Gegenwart herübergerettet haben, denn es konnte ihnen die Vor- 
stellung von diesen Tieren, welche sie ja bei ihren uralaltaischen 
Peinigern immerfort sahen, nicht entschwinden ?). Es sind dies 
unter anderen: aksl. govedo, Rind, £rava, Kulı (daneben poln. 
karw, fauler Ochse), 6y%s, Stier, tele, Kalb, vol, Ochse; ovsca, 
Schaf, ovens, Widder, agnecs, jagnecs, Lamm; koza, Ziege, 
Rozble, Ziegenbock ; Zrede, Füllen; nebstdem pasq, pasti, weiden, 
eigentlich hüten, Jas£uchs, Hirt, Pastva, Herde, fasa, pascuunm, 
Slado, Herde. Das wichtigste Zeugnis für eine altslawische Vieh- 
zucht ist jedoch das Wort Zufa. BRUGMAnN erklärt es wie folgt: 





l) Dort, wo Pseudo-CAESARIUS von Nazianz von den Sklawenen und 
Physonitern spricht, berichtet er von den einen, daß sie Füchse, wilde Katzen 
und Schweine essen [siehe unten S. 311], wohl aus Mangel an anderem Wild, 
welches gegen das viele Raubzeug nicht aufkommen konnte. 

2) Auch die turkotatarischen Schafwanderhirten Zentralasiens, welche 
sit alteraher kein Rindvieh mehr züchten, noch züchten können, behielten 
trotzdem ihre, aus der alten Heimat hergebrachte, noch viel reichere Rinder- 
Romenklatur (s. oben S. 208, Anm. 1), weil sie bei ihren Raubzügen in weit 
entfernte Gebiete, sogar nach Indien, das Rind überall vorfanden. 





LUN 


288 J. Peisker 


„Dieses allgemeinslawische Wort ist nach seinem ältesten 
Gebrauch ‚ein Bezirk, der verwaltet wird‘, und hat in einigen 
Gegenden des slawischen Gebiets seinen Sinn spezialisiert, z. B. 
poln. Zufa ‚Salzwerkgenossenschaft, Salzbergwerk‘. Dazu das 
ebenfalls gemeinslawische 2uPare, ‚Vorsteher einer Zu2a«‘. 

Ich verbinde das Wort mit aind. gopé-, ‚Hüter, Wächter‘, 
gopäyé-ti ‚er behütet, bewahrt‘ ... £xpa war ursprünglich 
‚die Hut‘, dann ‚das, was in Hut und Pflege genommen ist‘, 
auch vom Ort, ähnlich wie die ku? für den Platz, wo ge- 
hütet wird, die Weide, und die p#ege für den Bezirk, der der 
Pflege von jemand anvertraut ist, üblich sind ... Die urslawisché 
Form war *geupä, und Zupa ist ein neues Beispiel für das von 
J. SCHMIDT gefundene, von E. ZuriTzA, Die german. Gutturale 
S. 145, und von BERNERER, Indog. Forschungen X, 117 ff. näher 
begründete Gesetz, daß uridg. ez im urslawischen zu # mit Er- 
weichung des vorangehenden Konsonanten geworden ist?).“ 

Neben Z£xpanz steht, auf die Nordslawen beschränkt, far; 
tech. pén, Herr, panose, poln. fan, panosza, osorb. pan, panı, 
weißruss. fariluha, panSiisna, russ. Panscina, dial. neben 
barscina, lit. ponas, lett. pônis, rum. far. Man dachte bisher an 
altindisch /@ tueri?), und erst J. GEBAUER kam auf Eigen- 
tümlichkeiten, die die Frage einer befriedigenden Lösung zu 
führen; er hatte die Freundlichkeit, mir folgendes mitzuteilen: 

„Das Wort /dn (und ebenso panne und fani) besitzt im 
böhmischen zwei Eigentümlichkeiten: 1. wird es zuweilen Afar 
geschrieben und 2. pflegt es eine vokalisierte Präposition 21 
haben, z. B. se panem (cum domino, statt s Panem), ode päna 
(de domino, statt od fdna) u. dgl. Dies weist auf eine gewiß 
andere Lautung hin, als das heutige Zar ist. Vielleicht war der- 
einst *gzdan; daraus würden wir sowohl 1. Apar, als auch 2. 5 
panem u. dgl. erhalten.“ Hiezu bemerkt HusEr: Aus gsfans ent- 
stand nach Verlust des 5: *g2ans, welches sich im altböhm. Apan 


1) BRUGMANN, Aksl. 2090 „Bezirk“, in den Indogerm. Forschungeb 
XI. 1900, S. 111f. — Auf die Wurzel gexp- hat schon UHLEXBECK (Kurs 
gefaßtes etymologisches Wörterbuch der altindischen Sprache, Amsterdam 
1899, S. 182) das slawische Wort 2u/a zurückgeführt. 

2) MikLosıcn, Etym. Wörterbuch, s. v. fans. 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 289 


erhalten hat. Dadurch gelangt das Wort fans in nahe Verwandt- 
schaft mit Zxpa, Zupans ... Somit haben wir in Zzpans und 
pans zwei Wörter von derselben Wurzel mit demselben Suffix 
gebildet, nur daß pans ein primäres (ursprünglich *gupänas), 
Zwpans dagegen ein sekundäres, von 2a (ursprünglich *geupa) 
gebildetes Wort ist". — Die von BRUGMANN auf linguistischem 
Wege ermittelte Bedeutung des Wortes 2292 als regio pastoria?), 
und dann, im übertragenen Sinne, als die Gesamtheit der regio- 
nales, der compastores, ist noch im Altserbischen nachweisbar. 
So bestimmt das Gesetzbuch Kaiser Dusans: 

„Dorf mit Dorf soll weiden; wo das eine Dorf, dort auch 
das andere, ausgenommen die gesetzmässigen Einhegungen und 
dte gesetzmässigen Wiesen, (dort) soll niemand weiden.“ 

„Eine Zupa soll der (andern) Zupa nichts mit Vieh abweiden; 
findet sich ein Dorf in derselben Zupa, welches Grundherrn 
immer ...: diesem Dorfe soll niemand das Weiden verwehren, 
es soll weiden, wo auch die Zupa‘“?). 

Ist also £xp9a = regio pastoria, compascua, was ist dann ein 
Zupan? In Böhmen ist er ein hoher Würdenträger, in Serbien, 
vor Entstehung des Königtums, das Oberhaupt eines großen Ge- 
bietes, GrossZupan sogar Staatsoberhaupt. Das alles kann jedoch 
nicht die ursprüngliche Bedeutung sein, denn in der turkotata- 
rischen, zuletzt der awarischen Hölle schmolz jede einheimische 





1) Huser, K etymologii slova fans in den List y filologické, 31. Jg. 1904, 
S. 106. 

2) Der Reiternomade kennt, solange er die ungeheueren, oft viele Breite- 
Grade weiten Entfernungen zwischen Sommer- und Winterweide durchmessen 
muß, den Begriff Gau, Zupa, regio pastoria überhaupt nicht, dieser 
ütsteht bei ihm erst, wenn er sich über ein anderes, ansässiges Volk lagert, 
auf dessen Territorium er hinreichende Sommer- und Winterweiden näher 
beigammenfindet und seine angeborene Wanderlust durch Wohlleben und die 
Möglichkeit, nicht so weit herumziehen zu wüssen, allmählich ged'mptt ist. 
Zum Aufgeben weiter \anderungen kann er auch, wie es bei den Balkan- 
omaden, den Wlachen, der Fall ist, durch Umstände gezwungen werden. 
% gelangt er zu Weiderevieren mit festen Grenzen, die er nie mehr 
überschreitet, und zu diesem, für ihn neuen Begriff entlehnt er jenen Aus- 
druck, den er an Ort und Stelle vorfindet. 

3) 3aKoHHK Creœana IymanHa, HA HOBO H3140 H oÖjacnno 
(r'HosakoBuh. Y Beorpaiy 1898, S. 191. ‘Tran 74, 75. 


290 J. Peisker 


Organisation restlos; nur die Wanderhirten geboten im Lande 
und als solche waren sie die Zupane, als eine besondere 
herrschende Volksschicht. Eine derartige, sehr zahlreiche Zu. 
panenschicht werden wir noch in Daleminzien (im heutigen König 
reich Sachsen) und in Untersteiermark kennen lernen. 

Wir sehen, daß die etymologische Bedeutung des Worte: 
Zupa, Zupans sich mit der Lebensweise der turkotatarischeı 
Wanderhirten vollständig deckt: Die Zxpane = Herren der Zupa 
regio pastoria, Weiderevier; der einzelne Zupan = Mitherr in de 
Zupa und compastor, Weidegenosse. Und nachdem die Wander 
hirten einerseits die ganze Weide ausschließlich für ihre Herdeı 
in Anspruch nahmen, andererseits alles Vieh, auf das sie trafen 
raubten (darantaD, konnte die geknechtete Slawenschicht gar 
keine Viehzucht treiben '). 





1) Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf einen störenden Irrtum aufmerk- 
sam machen: zæpanos bedeute im Neugriechischen auch den Zirt, und Zufe sei 
bei den Südslawen überhaupt im Sinne von Weideplats (RACHFAHL in den 
Jahrbüchern f. Nationalök. u. Statist. 3. F. 19. (74.) Bd. 1900, S. 211). 

Zupa kommt in diesem Sinne weder bei den Südslawen, noch sonst vor 
und :wpanos ist im Neugriechischen gänzlich unbekannt. Gustav MEYER 
führt allerdings unter den slawischen, albanischen und rumänischen Lehnworten 
im Neugriechischen (Sitzungsberichte der phil.-hist. Kl. der Wiener Aks- 
demie 1894, Bd. 130, S. 29) ein slawisches Lehnwort Louravog, praefectus pr« 
vinciac, vel civitatis an, aber mit Unrecht, denn in seinen Quellen handelt es sich 
dabei ausschließlich um Slawen und nicht um Griechen, es ist eben bloß ein 
in byzantinischen, Slawen betreffenden Quellen häufig vorkommendes slawisches 
Wort und kein Lehnwort im Neugriechischen. Das längst bekannte net 
griechische Wort toopnävng, toondvnç (lies /sodanis), toon&vog, Hirt, Schäfer, 
führt G. MEYER seltsamerweise gar nicht an. PAssow, Popularia Carmins 
Graeciae Recentioris, Leipzig 1860, S. 637 bemerkt: toondvng = pastor und 
leitet es von einem albanesischen Worte ab: tooßdkw. — Die Literatur 
verdanke ich Prof. K. KRUMBACHER. 

Toourévne, toondvns, taoßavı hat mit slaw. Zupan gar nichts zu schaftn, 
es ist das rum. clodan, Schafhirt, türk. (osman.) éoéan (G. MEYER, Elu 
Wtbch. der albanesischen Sprache, Straßburg 1891, s. v. /foddn), nach VAX- 
BERYS gütiger Mitteilung aus alttürk. &kojsan, Schafhirt; das Wort sei 30° 
dem Persischen in das Alttürkische übergegangen. 

Prof. Maxım. BrTrxER hatte die Freundlichkeit, sich zu äußern: ,#" 
Hirt, wird im Osmanischen nicht gebraucht, dafür hat der Osmane #4" 
das aber persischen Ursprunges, nämlich aus persisch *448» (pehl. 444») hervol” 
regangen sein soll, mit «statt ; vgl. Zadus, Pantoffel (= neupers. 22-787). Die 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 291 


Ein Dasein ohne Viehzucht kannte bei russischen Slawen, wie 
h on erwähnt worden, noch KONSTANTIN VII. PORPHYROGENNETOS 

zehnten Jahrhundert nach Christo, also nachdem die Slawen 
zwischen bereits vielemal auch durch das germanische Joch 
gangen sind und während dieser germanischen Beherrschungen 
ınz gewiss wenigstens einige Viehzucht treiben konnten; denn 
e Germanen waren überhaupt nie Reiternomaden, unbegrenzte 
ebiete in einemfort durchwandernd, sondern Viehzüchter, die 
ch in Weiderevieren, Gauen, mit einigermaßen bestimmten Kon- 
nien abschlossen, innerhalb welcher sie — nach CAESAR, B. G. 
V,1; VI,22 — immer neuen Rodungen folgend, Jahr für Jahr 
hre Wohnsitze weiterrückten. Die Lebensweise der alten Ger- 
nanen ist uns hinreichend bekannt; wir wissen, daß sie den 
anterworfenen Völkern nirgends Viehzucht oder Ackerbau ver- 
wehrten; sie pflegten ihnen die Lebensbedingungen nur einzu- 
schränken, indem sie für sich so viel vorbehielten, als sie und 
ihre Herden beanspruchten. So verlangte Ariovist für seine 
Sueven von den Äduern das Dritteil des Landes und wollte es 
nachträglich um ein weiteres Dritteil erhöhen. Der Westgote 
behielt zwei Drittel und beließ dem Römer den Rest. Die mit 
den Langobarden nach Italien gezogenen, 575 zurückkehrenden 
Sachsen beanspruchten von den Nordschwaben zwei Drittel. Die 
Burgunder erhielten in Savoyen zwei Drittel vom Acker!). 
„Aber dies geschah nicht unter Räumung jener abgetretenen 





Form mit &, d. i. also 2644» oder cp», kommt aber auch im Neupersischen vor. 
Sollte dieses etwa mit £ojéan zusammenhängen, indem es ein altes turanisches 
Lehnwort wäre — mit Übergaug von # in 4 resp. in 5? Doch vgl. pehlevi 
an, Hirt! Horx hält die Formen mit 4 wenn ich ihn recht verstehe, für 
dialektisch. Wenn #64» turanisches Lehnwort wäre, müßte es zu den Os- 
Manen über Persien gekommen sein, wo die Endung -5a», die an das neu- 
Pers. 4än erinnert, dem Worte um so leichter Eingang verschafft haben 
konnte; denn es ist wohl nicht anzunehmen, daß die Endung en im alt- 
Ürk. koj-san die persische Endung sei, ich meine, daß in #oj-ban eine türkisch- 
persische Mißbildung vorliege, wie solche im Osmanischen dort vereinzelt 
Yorkommen, wo ein entlehntes persisches Suffix an türkische Elemente an- 
gefügt wird!“ 

1) Mertzex, Siedelung und Agrarwesen der \Vestgermanen und Ost- 
Sermanen, der Kelten, Römer, Finnen und Slawen. I. Berlin 1895, S. 526 r. 


292 J. Peisker 


Länder, sondern durch Aufnahme der einzelnen deutschen Familie 
in die ihr amtlich zugewiesene Wirtschaft eines der Provinzialen 
der dadurch gezwungen war, eine Teilung seiner Besitzung übe 
sich ergehen zu lassen“ ?). 

Wohl war der wirtschaftliche Unterschied zwischen demrômischer 
Provinzialen des Westens und dem Slawen des Ostens so un- 
geheuer, daß wir die germanischen Einquartierungen in den 
römischen Provinzen nicht so ohneweiters auf die Slawenländer 
übertragen können, und nur das ist als gemeinsam anzunehmen, 
daß sich die Germanen auch in den Slawenländern nicht von 
der unterworfenen Bevölkerung auf abgesonderten Gebieten ab- 
schlossen, sondern mitten unter den Slawen zerstreut niederließen 
und diesen in dem ihnen belassenen Bereiche eine solche Eigen- 
wirtschaft gestatteten, wie sie etwa ihre servi zu Tacırus’ Zeiten 
führten. 

Darüber berichtet Tacırtus?) im Anschlusse auf die Würfel 
spielwut der Germanen: ist alles verspielt, dann setzt der Ver 
lierende die eigene Freiheit und Person auf den letzten Wurf 
und mißlingt auch dieser, dann begibt er sich ohne Widerstreben 
in die servitus. 

Servos condicionis huius per commercia tradunt, die ser 
dieser Art verhandeln die Germanen nach auswärts, um sich 
selbst der Schande des Gewinns zu entledigen. Ceteris serus 
non in nostrum morem discriptis per Jamiliam ministertis 
utuntur, die übrigen servi gebrauchen sie nicht nach römischer 
Weise, so daß die verschiedenen Dienstleistungen unter die ein- 
zelnen servi partienweise verteilt wären?). Anders bei den 
Germanen, deren servi alle Arbeiten gewissermaßen selbständig 
auf den ihnen eingeräumten Anwesen verrichteten; zu einer Dife- 
renzierung landwirtschaftlichen Betriebes ist es noch nicht ge 
kommen, die ja erst bei Großwirtschaften, welche dort nod 
nicht bestanden, nötig wird. 

suam quisque sedem, Suos penates regit, der germanische 
servus hat sein besonderes Heim, seinen besonderen Herd, im 


1) A. a. 0.1. S. 521. 
2) TACITUS, Germania c. 24, 26. 
3) RICHARD Hii.DEBRAND, Recht und Sitte. Jena 1896, S. 102. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 293 


satze zu dem römischen, kasernierten Sklaven. Der ger- 
‘he servus wirtschaftete also einzeln für sich; er war auf 
ı Anwesen eine besondere und abgesonderte Wirtschafts- 
{. 
umenti modum dominus aut Pecoris aut vestis ut colono 
it et servus hactenus paret, der germanische Herr legt 
ı servus so, wie der Römer seinem colonus, dem kleinen 
ter, der kein Sklave ist, Abgaben an Getreide oder Vieh. 
Jleiderstoffen auf, und nur so weit steht der germanische 
in Pflicht, weiter gehen seine Verpflichtungen nicht. 
r servus der Germanen zinst ein Gewisses an Getreide 
ieh oder Gewebe, und was er darüber erzeugt, behält er 
h, während der kasernierte römische Sklave alles und wo 
n aufgetragen wird, verrichten ımuß, ohne etwas zurück- 
en zu dürfen. 
tera domus officia uxor ac liberi exsequuntur, der Ger- 
hat keine Haussklaven, die in seinem Hause Arbeiten zu 
ıten hätten, denn seine servi besitzen ihre besonderen und 
nderten Anwesen, und die häuslichen Arbeiten im Hause 
rermanen besorgt seine eigene Frau und seine eigenen 
r. Der Germane kannte eben keinen Luxus, sein Haus war 
1, so auch seine Bedürfnisse, und dazu reichte die Arbeit 
rau mit Kindern aus. 
rberare servum ac vinculis et opere coercere rarum, den 
zu geißeln oder mit Fesseln und Zwangsarbeit zu strafen 
ten, zum Unterschiede zu dem römischen Sklaven, dessen 
Arbeit dem Herrn gehörte, folglich widerwillig geleistet 
Der römische Herr brachte die überschüssigen Erzeug- 
seiner Sklaven zum Verkaufe auf den Markt; solche Märkte 
jedoch in Germanien unbekannt, dort wurde nur so viel 
t, ala der Hausbedarf erforderte, und dieser war leicht 
ald befriedigt. Der servus des Germanen hatte bestimmte 
en zu entrichten und sonst nur für seine Lebensbedürfnisse 
gen; es lag demnach kein Anlaß vor, ihn durch Zwang 
rbeit anzutreiben, seine Kraft auszupressen wie bei den 
Itreibenden römischen Sklavenhältern. 
cidere solent, non disciplina et severitate, sed impetu et 


294 J. Peisker 


ira, ul inimicum, nisi quod impune est, der Germane mag seinen 
Sklaven wohl töten, nicht um zu züchtigen, aus Strenge, sondern 
aus Ungestüm und Zorn, wie einen Feind; das war nicht straf 
bar, denn der servus war des Herrn Sache, Eigentum, wie Pfer 
und Ochse; die Tötung eines servus, der nicht ihm gehört 
mußte er wohl durch Zahlung des bestimmten Wergeldes büßen 

Der servus des Germanen war somit zwar ein freies Eigentun 
des Herrn, wirtschaftete jedoch auf seinem abgesonderten Anweser 
und blieb nach Ableistung gewisser Giebigkeiten sonst so ziemlie 
ungeschoren, solange er es verstand, Zorn und Argwohn des Hem. 
an dessen Belieben sein Leben hing, von sich fernzuhalten. 

Indes darf ein wichtiges Moment nicht übersehen werden. 
welches zwar von TaciTus nicht ausdrücklich bezeugt wird, sich 
jedoch von sich selbst ergibt: Ist nämlich der servus trotz seinel 
wirtschaftlichen, sit venia verbo, Selbständigkeit ein unbedingte: 
Eigentum des Herrn, das dieser ganz nach Belieben auch ver- 
nichten kann, so gilt dasselbe auch von allem, was der servi 
besitzt; das wurde ihm nur zu seinem Lebensunterhalt belassen. 
ein Recht und namentlich ein Erbrecht darauf hat er nicht. Und 
nachdem die altgermanischen Lehnwörter im Slawischen eine 
westgermanische, vorgotische als die älteste erkennbare ger 
manische Knechtschaft der Slawen unwiderleglich bekunden, # 
ergibt sich daraus sogar die Möglichkeit, daß sich unter den serr 
der Germanen bei Tacırus Nachkommen von aus Osteuropa mit 
gebrachten slawischen Knechten befanden, denn das auswan 
dernde Herrenvolk wird nicht seine kostbarste Habe, seine semi 
gänzlich im Stiche gelassen haben. Ist dies richtig, dann wa 
auch das taciteische Staatswesen zweischichtig: eine stammfremd 
germanisierte Bauernschicht, von einer germanischen Herren 
schicht beherrscht. 

Nun haben wir erfahren, wie der turkotatarische Reiterbir 
und wie der germanische Vichzüchter knechtet, und sind in de 
Lage, diese zwei Formen der Knechtschaft gegenseitig abzu 
schätzen. Die germanische Knechtschaft äußerte sich in einer aD 
haltenden, einigermaßen geregelten, wenn auch harten Beherrschuß} 
durch im Lande selbst, inmitten der Unterworfenen, dauer‘ 
weilende Herren; die turkotatarische dagegen in steter Todes 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 295 


mgst vor dem Einbruche der auswärts hausenden oder im 
Slawenlande bloß winternden Horden, die, so oft es ihnen einfiel, 
len Unterworfenen plünderten und das Land mit Mord und Brand 
iberzogen, wogegen die, jeder Organisation durch die ewige 
Knechtschaft beraubten Slawen wehrlos waren. Und so kann 
es nicht wundernehmen, wenn Slawen die germanische Knecht- 
schaft denn doch vorzogen und zu Germanen sogar Gesandt- 
schaften schickten mit der flehentlichen Bitte, die Herrschaft über 
ie zu ergreifen, wie dies von den Russen der Chronist NESTOR 
ausführlich berichtet: 

Im Fahre 6367 (= 859) nahmen die Waräger, die von jen- 
sets des Meeres eingebrochen sind, von den Tschuden und Slo- 
onen und Meriern und Vesen und Krivicen Tribut; und die 
Chasaren (ein uralaltaischer Volksstamm) zakmen von den Pol- 
janen und den Sjeveranen und Vjaticen: je ein weisses Eich- 
hörnchenfell von jeder Herdstelle (dym) . . . Im Jahre 6368, 
6369, 6370 (= 860—862) vertrieben sie die Waräger über das 
Meer und entrichteten ihnen den Tribut nicht. Und sie fingen 
an, sich selbst zu regieren, aber es war kein Rechtssustand 
unter ihnen, und es stellte sich Geschlecht gegen Geschlecht, und 
Hader war unter ihnen, und sie fingen an, einander zu bekriegen. 
Und sie sagten: Lasset uns einen Knjaz aufsuchen, der 
uns beherrsche und rechtlich richte. Und sie gingen über 
das Meer zu den Warägern, den Russen, denn so hiessen diese 
Waräger: Russen, so wie die einen sich Svejen (Schweden), 
die anderen Nurmanen, Angljanen und die anderen Goten 
nennen, so auch diese. Es sagten den Russen die Tschuden, 
Slovinen, Krivicen und Vesen: Unser Land ist gross und 
Sruchtbar, aber keine Ordnung ist darin; kommet, 
über uns zu herrschen und uns zuverwalten. Und es 
Drachen drei Brüder auf mit ihren Geschlechtern, nahmen alle 
Russen mit und kamen. Und es liess sich der älteste in Ladoga 
(wohl Novgorod) nieder, Rurik, und der zweite, Sineus, in Belo- 
“tro, und der dritte, Truvor, in Izborsk. Und von diesen 
Warägern erhielt seinen Namen das russische Land ...'). 





u) HECTOPL. Russische Annalen in ihrer Slavonischen Grundsprache ver- 
glichen, übersetzt und erklärt von A. L. ScnLözer, 2. Teil, Göttingen 1802. 


296 J. Peisker 


Nicht, als ob die germanische Herrschaft besonders mild ge- 
wesen wäre; dies war sie, wie wir gesehen, wahrlich nicht, aber die 
uralaltaische war noch viel schrecklicher und durchaus bestialiseh. 
Dem Germanen war der slawische Bauer, der Smerd, etwa wie 
ein Haustier, mit einer gewissen Pflege, dagegen dem Uralaltaier 
ein Jagdtier, das man zu Tode hetzt oder zum Verkaufe einfängt. 

So berichtet NESTOR: 

Als das Slovenenvolk an der Donau wohnte, brachen von 
Skythien, das ist dem Chasarenlande, die sogenannten Bulgare 
ein und liessen sich an der Donau nieder. Und sie waren be- 
dränger der Slovenen. Hierauf kamen die Weissen Ungarn und 
erbten das Slovénenland . . . Um diese Zeit waren auch die 


S. 153 ff. — SCHAFARIK, a, a. O. II. S. 68 f. — Chronica NEsTorıs. Textum 
russico-slovenicum edidit MIKLOSICH. Vindobona 1860 S. 9 f. 

Ähnliches trug sich etwa 238 Jahre zuvor bei den böhmischen Slave 
zu, nach FREDEGAR, Historia Francorum (geschrieben um das Jahr 660) cap. #8: 
Anno XL regni Chlothariae (also 623—624) homo nomen Samo, nalione Franc 
de pago Senonago, plures secum negutiantes adciuit, exercendum negucum 8 
Sclauos coinomento Vuinedos perrexit. Sclauiiam contra Auaris coinomento Chunis 
et regem eorum Gagano ceperant reuellare. Vuinidi Befulci Chunis fuerant ion 
ab antiquitout cum Chuni in exercitum contra gentem qualibet adgrediebant, Chuni 
pro castra adunatum illorum stabant exercitum, Vuinidi wero pugnabant. S « 
uincendum preualebant, tunc Chuni predas capiendum adgrediebant; sin aultm 
Vuinidi superabantur Chunorum auxilio fulti uirebus resumebant ; ideo Befulti 
uocabantur a Chunis eo quod dublicem in congressione certamine westila priliet 
facientes ante Chunis precederint. Chuni aemandum [hiemandum] orr': 
singulis in Esclauos ueniebant, uxores Sclauorum et filie 
corum strato sumebant, tributa super alias oppressiones Scluni 
Chunis soluebant. Filii Chunorum quos in uxores Vuinodorum et ji 
generauerunt tandem non subferentes maliciam ferre et oppressione Chunori® 
dominacione negantes ut supra memine ceperant reuellare. Cum in exercito Vuinidi 
contra Chunus fuissent adgressi Samo negucians quo memoraui superius (UM 
ipsos in exercito perrexit, ibique tanta ei fuit utiletas de Chunis facta u[t] mirs" 
fuisset et nimia multitudo ex eis gladio Vuinidorum trucidata fuisset. Vuinid 
cernentes utilitatem Samones eum super se elisrunt regem, ubi XXX et V ani 
regnauit feliciter .., G. MONOD, Études critiques sur les sources de l'histoirt 
Mérovingienne. II. La compilation dite de ,Fredegaire“. Texte. Paris 158, 
S. 138 f. — Monumenta Germ. hist., Scriptores rer. Meroving. II. FREE 
GAR C. 48. 

Wie später die Waräger Russen, wurde Samo von den aufständische! 
Slawen gebeten, sich mit seiner Gefolgschaft an ihre Spitze zu stele. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 297 


waren (Obre), die mit Kaiser Heraklius Krieg führten, und 
fehlte wenig, dass sie ihn gefangen hätten. Die Awaren 
kriegten die Slovènen und marterten die Duljeber, ein 
ovénenvolk, und taten Duljeberfrauen Gewalt an. Und wenn 
n Aware eine Fahrt zu unternehmen hatte, so liess er weder 
n Pferd, noch einen Ochsen vorspannen, sondern befahl, drei 
ler vier oder fünf Frauen an den Wagen zu spannen und den 
waren zu fahren; und so marterten sie die Duljeber'). 
Eingehender schildert die awarische Knechtschaft FREDEGAR: 
Schon von alten Zeiten her wurden die (böhmischen) Wenden 
n den Chunen (Awaren) als „Befulcı“ gebraucht, so dass, 
enn die Chunen gegen irgendein Volk ins Feld zogen, sie 
löst sich vor dem Lager aufstellten, die Wenden aber kämpfen 
ussten. Siegten nun diese, so rückten die Chunen vor, um 
eute zu machen; unterlagen jedoch die Wenden, so sammelten 
e, auf der Chunen Hilfe gestützt, neue Kräfte. Darum wur- 
m sie Befulci von den Chunen genannt, weil sie vor ihnen 
nherzogen und im Treffen einen doppelten Kampf bestanden. 
edes Fahr kamen die Chunen zu den Slawen, um bei ihnen 
überwintern; dann nahmen sie die Weiber und Töchter der 
lawen und schliefen bei ihnen, und zu den übrigen Misshand- 
mgen mussten die Slawen den Chunen noch Abgaben zahlen. 
he Söhne der Chunen aber, die diese mit den Weibern und 
öchtern der Wenden erzeugt hatten, ertrugen endlich diesen 
ruck nicht mehr, verweigerten den Chunen den Gehorsam und 
gannen . . . eine Empörung). 





l) HEcror® a. a. O. S. 112 ff. — SCHAFARIK, a. a. O. U.S 58 f. — 
üsgabe MikLosICH S. 5 f. 

2) Nach O. ABELs Übersetzung in den Geschichtschreibern der 
ltechen Vorzeit VII 3, Berlin 1849, S. 32; in der 2. Gesamtausgabe XI. Bd., 
äpzig 1888. S. 26. Text siehe oben S. 296 Anm. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich den Bericht in der „Kirchengeschichte“ 
# syrischen Monophysiten JOHANNES, Bischofs von Ephesus oder Asia, 
er die in das oströmische Reich im Jahre 581, also 42 Jahre früher, ein- 
!brochenen Slawen besprechen, weil er sich ohne Heranziehung der An- 
ben Fredegars nicht leicht verstehen lässt: VI. Buch, 24. Geschichte, von dem 
hindlichen (e. garstigen) Volke der sogenannien Awaren: Dieses Volknun, das nach 
ins Haaren Awaren heisst, kam in den Tagen des Kaisers Justinianus und 


298 J. Peisker 


FREDEGARS Bericht darf gewiß nicht dahin verstanden werden, als ob 
die Slawen den Sommer über von den Awaren ganz frei gewesen wären. Soun- 
klug waren die Awaren wohl nicht, denn sonst hätten sich die Slawen 
immer wieder zusammenschließen können und von den Awaren von neuen 


liess sich im römischen Lande sehen ... [Zu Zeiten Kaiser Tiberius’], ; dritten 
Jahre seiner Regierung nach Justins Tode [581], ließen sie eine Brücke über 
die Donau schlagen und verlangten, er solle ihnen entweder die Stadt Syrmium 
am Übergange jenes Flusses geben . . ., oder sie wollten mit ihm kriegen „. . Er ar 
liess sich durchaus nicht dazu bewegen . . . sie versammelten sich . . . und baulın 
eine zweite Brücke ... 25. Geschichte: /m dritten Jahre ... der Regierung des sit 
reichen Tiberius [681] zog das verwünschte Volk der Slawen aus, durchzog gans Hellas, 
die thessalischen und thrakischen Provinzen, nahm viele Städte... . ein, verheerle..- 
und beherrschte das Land und wohnte darin ganz frei und ohne Furcht, wie ın 
seinem eigenen. Das dauerte vier Jahre lang und so lange als der Kaiser mit dım 
Perserkrieg beschäftigt war und alle seine Heere nach dem Orient schickte, De- 
durch hatten sie im Lande freies Spiel, bewohnten es und breiteten sich bald darin 
aus, bis Gott sie [hinaus] warf, Sie . . . Plünderten aber bis sur äussern 
Aauer [die Kaiser Anastasius zum Schutze Konstantinopels hat errichten 
lassen], so dass sie alle kaiserlichen Herden . . . und die der übrigen erbeutdin. 
Und siehe! bis auf den heutigen Tag, welches das Jahr 895 [d. i. 584] + 
wohnen .. . sie in den römischen Provinsen, ohne Sorge und Furcht, plündernd, 
mordend und brennend, sind reich geworden und besitzen Gold und Silber, Pft rdı- 
herden und viele Waffen und haben gelernt, Krieg su führen, mehr als die Römer. 
[Und doch sind es] einfältige Leute, die sich ausserhalb der Wälder und kei: 
freien [Gegenden] nicht sehen zu lassen wagen und nicht wissen, was eine Wüft 
sei, ausgenommen zwei oder drei Lonchadien, d. h. Wurfspiesse. JOHANNE 
von Ephesus, Kirchengeschichte. Aus dem Syrischen übersetzt von SCHÖöX- 
FELDER. München 1862, S. 253 ff. 

Die Slawen erschienen auf dem Balkan mit den Awaren gleichzeitig, 
als ihre Knechte, befulci nach Fredegar, als Vortruppen, die zu kämpfen 
und zu siegen hatten, wonach erst die Awaren losbrachen und Beute 
machten. Diese hatten es als Reiternomaden besonders anf die Herden, 
namentlich Pferde, abgesehen, auf Viehraub, die berüchtigte baranta, de 
den turkestanischen Wanderhirten bis zu ihrer Niederwerfung durch die 
Russen ein Hauptvergnügen war (VAMBÉRY, Das Türkenvolk. Leipzig 188; 
Ss. 306). Als Wanderhirten hielten sich die Awaren im Sommer, der Weide 
wegen in den Bergen und Waldregionen auf, in kleine Horden voß 
wenigen Jurten zerstreut, und viele Slawen mussten mitziehen, u8 
die erbeuteten Herden hüten zu helfen. Dadurch erklärt sich die Angabe 
JOHANNES’, daß sie sich außerhalb der Wälder und holzfreien Gegende® 
nicht sehen zu lassen wagen, was an sich eine alberne Bemerkung wär 
Die Angabe von ihrer Kriegsuntüchtigkeit stimmt im allgemeinen, 44 
brachte ihre endlose Knechtschaft mit sich. — In Übereinstimmmg 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 299 


orfen werden müssen. Vielmehr ist anzunehmen, daß die Awaren 
'e Garnisonen und eine besondere Verwaltung unter den Slawen auf- 
rielten, um die Geknechteten im Zaume zu halten, die auferlegten 
keiten einzutreiben und die nötigen „Befulci“ auszuheben, indes der 
tock der Awarenhorden jedes Frühjahr die Slawendörfer verließ, um 
nen Herden den Sommer über die Gebirge zu beweiden. 


HANNES von Ephesus sagt auch der wenig ältere PROKOPIOS (+ 558), 
lo Got. II. 14], die Slawen kämpften zu Fuß mit kleinen Schilden 
urfspießen, ohne Panzer, einige sogar ohne Leibrock und Mantel, 
t einer Bruch um Hüfte und Lenden . . . aber sie wären nicht bös- 
der schurkisch, vielmehr arglos und einfältiger Sinne. Daßhier JOHANNES 
hesus Awaren von Slawen nicht unterscheidet, ist erklärlich, nicht nurdurch 
schung zwischen uralaltaischen Herren und slawischen Knechten, sondern 
lurch die mehrfach beobachtete Tatsache, daß der Wanderhirt die 
e des Volkes lernt, in dessen Mitte er Winterquartiere nimmt. So sind 
then medisch, Millionen von Rumänen slawisch, griechisch, albanesisch 
len, und IBRAHIM IBN JAKÜB sagt XI.: Mächtige Stämme aus dem 
[welche sich einiger der Slawenländer bemächtigt haben und zwischen 
wohnen], sprechen slawisch infolge ihrer Vermischung mit ihnen. Die 
nsten von diesen sind Trsjkin, die Ongliin, die Petschenegen, die Russen 
e Khazaren (Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit. X. 6. 
{IND und ABRAHAM JAKOBSEN. 2. Aufl. Leipzig [1891], S. 144). 


lawen“ haben auch den Peloponnes überschwemmt und ihm, wie einige 
a, den heutigen Namen Morea gegeben. Sie sind als Volk spurlos 
wunden; dies wäre nicht leicht denkbar, wären sie Bauern gewesen, 
m erklärlich, wenn man annimmt, sie waren vorwiegend Hirten, slawi- 
Uralaltaier, welche dann in der übrigen Bevölkerung aufgegangen 
wie später so viele rumänische einstige Wanderhirten Griechenlands. 
ı wäre das Gegenteil dessen richtig, was SaraRik meint: „Wer weiß, ob 
raren, welche sich im Jahre 589 im nördlichen Peloponnes ansiedelten 
rt 218 Jahre verblieben, nicht ganz oder wenigstens zum Teil Slawen 
m sind, zumal diese, die Kampfgenossen jener, so häufig Awaren ge- 
werden“ (SCHAFARIK, &. a. 0. II. S. 191), Slawische „befulci“ werden 
ils dabei gewesen sein. 


itreffend urteilt KRUMBACHER: „Die Awaren bilden den Slawen gegen- 
ur eine wenig zahlreiche Adelskaste. Es ist übrigens bemerkenswert, 
. diesem Jahrhundert meist numerisch schwache uralaltaische Stämme 
nen und Slawen unterjochen; sie müssen also eine militärische, politische 
eistige Superiorität besessen haben; man denke an die Hunnen (als 
rren der Goten und anderer Germanenstämme, die Awaren, die Bul- 
* — KRUMBACHER, Geschichte der Byzantinischen Literatur. 2. Aufl. 


en 1897, S. 944 Anm. 
tteljahrsehr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 20 


300 J. Peisker 


Und der arabisch schreibende Perser Igx RosTEH [Is Dasri] 
berichtet (vor dem Jahre 913): 

Sie [die Magyaren] /eben in Zelten und ziehen auf Futter- 
und Weideplätzen herum. Ihr Land ist ausgedehnt. An einer 
Seite grenzt es an das Römische (= Schwarzse) Meer, in welches 
zwei Flüsse münden ... Beim Herannahen der Winterzat 
ziehen die näher wohnenden an einen dieser Flüsse, bleiben dort 
solange der Winter dauert, indem sie sich mit Fischfang br- 
schäftigen . . . Das Land der Magyaren ist reich an Bäumen 
und Wasser, der Boden ist feucht, und es gibt auch viel Acker- 
land. Die Magyaren herrschen über sämtliche mit ihnen br 
nachbarten Slawen, zwingen dieselben zur Erfüllung schwerer 
Pflichten und gehen mit ihnen wie mit Gefangenen um. Di 
Magyaren sind Feueranbeter. Sie bekriegen die Slawen, machtn 
dieselben zu Gefangenen und führen sie längs dem Meeresuftr 
nach einer zu dem Römerlande gehörigen Stadt, namens Kerch 

Wenn die Magyaren mit ihren Gefangenen nach Kıerch 
kommen, ziehen die Römer [Griechen] zAnen entgegen; alsdann 
die Magyaren sich mit ihnen in Handel einlassen, die Gt 
fangenen übergeben und dafür im Tausch griechische Brokat, 
Teppiche und sonstige griechische Waren erhalten‘). 

Genau so verfuhren bis zu ihrer Unschädlichmachung durch 
die Russen die Reiterhirten Zentralasiens mit den Persern. Sie 
überzogen das unglückliche Land mit ununterbrochenen Raub- 
zügen, machten dabei alles, was sich zur Wehr setzte oder nicht 
fortgeschleppt werden konnte, nieder, und was arbeitsfähig war, 
verkauften sie in die Sklaverei. „Man rechnet — erzählt Vir- 
BERY —, daß unter den Tekketurkmanen gegenwärtig [nämlich 1865] 
mehr als, 15000 Reiter Tag und Nacht auf räuberische Exkur- 
sionen sinnen, und man kann sich leicht eine Vorstellung davon 
machen, wie viele Häuser und Dörfer, wieviel Familienglück von 
diesen habsüchtigen Räubern zerstört wird.“ 

„Die Hauptfrage im Leben des Turkmanen ist die alaman, d. h. Raub- 
gesellschaft ... Er ist sogleich bereit, sich zu bewaffnen und sein Pferd st 


besteigen, sobald er eine Einladung ... erhält. Der Plan zu einem solche? 
Unternehmen wird immer selbst vor den nächsten Anverwandten geheimgt” 


1) VÄnserv, Der Ursprung der Magyaren. Leipzig 1882, S. 116. 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 301 


ten, und nachdem der Serdar (Anführer) gewählt, von einem Mollah der 
gen gespendet ist, begibt sich nach Anbruch des Abends jeder auf ver- 
iedenem Wege nach dem früher zum Sammelplatz bestimmten Ort. Der 
griff geschieht immer entweder zur Mitternachtsstunde, wenn man gegen 
wohnte Orte rückt, oder bei Sonnenaufgang, wenn eine Karawane oder 
ndliche Truppe angegriffen werden soll. Der Angriff der Turkmanen ist 
e bei den Hunnen und Tataren, eher ein Überfall zu nennen; die At- 
'kierenden teilen sich ... und stürzen von mehreren Seiten auf den nichts- 
nenden Raub zwei-, selten dreimal, denn ein turkmanisches Sprichwort 
gt: Versuche zweimal, aber kehr das drittemal um. Der Angegriffene muß 
ır entschlossen sein oder sich sehr stark fühlen, um einer derartigen Über- 
mpelung Widerstand zu leisten; bei den Persern ist dies nur selten der 
ll, und sehr häufig ereignet es sich, daß ein Turkman gegen fünf, oft 
ch mehr Perser mit Erfolg den Kampf aufnimmt ... ‚Oft geschieht es‘, 
gte mir ein Nomade, ‚daß die Perser aus Furcht die Waffen wegwerfen, 
ricke verlangen und sich gegenseitig binden. Wir brauchen nur vom Pferde 
‚steigen und den letzten zu binden‘ ... ich bin fast geneigt, zu glauben, 
ß es der alte, in der Geschichte bekannte Schrecken vor den Tataren des 
rdens ist, der sogar den Kühnsten seines Mutes beraubt. Und doch wie 
uer muß die Feigheit gebüßt werden! Wer beim Überfall niedergehauen 
rd, ist glücklich zu schätzen. Dem Mutlosen aber, der sich auf Gnade und 
ıgnade ergibt, werden die Hände gebunden, und entweder nimmt ihn der 
iter auf den Sattel, wobei ihm die Füße unter dem Bauch des Pferdes 
sammengebunden werden, oder er treibt ihn vor sich her oder bindet ihn... 
| den Schweif des Pferdes. Auf ... tagelangem Wege muß er dem Räuber 
die öde Heimat folgen.“ 

Die Gefangenen, welche von ihren Angehörigen nicht losgekauft werden 
mnten, wurden nach Chiwa, Buchara u. s. w. in die Sklaverei verkauft, und 
!iche man zum Viehhüten zurückbehielt, denen wurden die Sehnen au den 
sen durchgeschnitten, damit sie nicht fliehen können). 

Die Berichte FREDEGARS, IBN RosTEHs und NESToRs bilden 
n Ganzes, sie stellen dar die Skylla und die Charybdis, die 
sei voneinander so verschiedenen Formen der Knechtschaft, 
sischen denen das Slawentum ungezählte Jahrhunderte lang 
in und her pendelte. Namentlich ist Nzstors Bericht von einer 
greifenden Lebenswahrheit: Die Slawenvölker schmachten in 
sei getrennten Knechtschaften. Gegen die eine, die uralaltaische, 
bt es am Rande der Steppe überhaupt kein Aufkommen von 


nen aus, denn der Räuberhirt ist nicht verdrängbar, er hält 





1) VAMBÉRY, Reise in Mittelasien. Leipzig 1865, S. 254 f., 62—69, 1% f. 
‚Aufl. Leipzig 1878, 8. 298 f., 65—71, 211]. — Wensukow, Die russisch- 
tischen Grenzlande, Leipzig 1874, S. 488. 


302 J. Peisker 


nicht Stand und kann nicht in seinen Steppen erfolgreich 
griffen werden; er verschwindet wie der Blitz, um bald w 
von einer andern Seite einzuschwärmen. Dagegen ist deı 
manische Unterdrücker wohl verdrängbar und wurde wied 
verdrängt; allein was nützt dies dem sodann freigewor: 
Slawen, nachdem er die erkämpfte Freiheit zu genießen 
gelernt hat, sich staatlich aus sich selbst nicht organisieren | 
Dies letztere gilt übrigens von jedem solchen Knechtenvolke; 
die taciteischen servi der Germanen hätten sich, wenn ihne 
Vertreibung ihrer Herren gelungen wäre, kaum aus sich selbs 
richten können. Der Slawe konnte wohl ab und zu da 
manische Joch abschütteln; was tauschte er aber dafür 
Freiheit? Nein, sondern Anarchie, das dritte, nicht we 
schwere Unglück, und mußte schließlich die Wiederkehr 
germanischen Herrschaft erbitten, die ihn ja unmittelba 
vor zur Empörung trieb. 

Über eine der germanischen, nämlich die altnordische 
schaft gibt uns der Lehnwörterschatz einigen Aufschluß, und 
das Wort aksl. vifeze, welches UHLENBECK wohl richtig aus a 
vikingr ableitet (siehe oben S. 258). Die Schrecken der Wiki 
züge hat auch Westeuropa verkosten müssen, und sie sin 
aus der Geschichte wohlbekannt. Die Skandinavier unterw 
wiederholt die nördlichen Slawen schon seit alters her! 
ließen sich dort als ViZingr nieder. Das Wort wurde in 
wischen Munde zu vifeze und bedeutete noch zur Zeit 
deutschen Herrschaft bei den Daleminziern die Schich! 
Krieger, Kriegsknappen zu Roß. Die deutschen Urkunden nt 
sie Withasen?). Hier waren sie eine Art milites a; 


1) SCHAFARIK a. a. O. I. S. 66 ff. 

2) 1122 wird bestätigt, daß der edle Wigmann alle seine Güte 
Kloster Kaltenbrunn vermacht hatte, cum eo iure hominum et pracdioru: 
sui anlecessores ipsis fruebantur, homines scilicet in quingue iustitiis, ul ei 
knechte, zmurde, lazze, heyen, horum quemcumque secundum genus suum. 

1181 wird in den Vogteirechten des Petersklosters auf dem Laute 
bestimmt, dass s/atutis tantum temporibus seniores villarum, quos lingu 
supanos vocant [das sind die „eldesten“ der vorigen Urkunde], ei in egu 
vientes, id est withasii [vicazi, die ,knechte“ der vorigen Urkunde], ad« 
vinciale jus, quod lantdinc dicitur, veniant, qui, quac dicuntur, jubentur, a; 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 303 


üher wohl mit leibeigenen Hintersassen; unter den 210 Dörfern, 
ie bis in das 14. Jahrhundert unmittelbar unter dem Amte 
‘eifen standen, waren nach dem Bedeverzeichnis des Amtes 
rom Jahre 1334) 60 sub rusticis qui dicuntur Witsezen, die 
brigen unter Zupanen als Ortsvorstehern !). Unstreitig waren 
owohl die Zupane als auch diese Withasen Nachkommen von, 
len Slawen volksfremden, mit der Zeit slawisierten Machthabern, 
ınd zwar die Withasen direkte Nachkommen von nordischen 
Wikingern. Das Leben und Treiben der Wikinger in den 
Slawenländern wird von der Saga von den Jomswikingern 
deutlich beleuchtet: 


Palnatoki war der waffengewaltigste Wikinger unter seinen Zeitgenossen. 
Nachdem er in Irland erfolgreich geplündert, gedachte er im Wendenlande zu 
heeren. Damals herrschte über Wendenland der heidnische König Burisleif, 
dem Dänenkönig zinspflichtig. Der slawische Name soll uns nicht täuschen, 
er war wohl entweder turkotatarischer oder, wie die russischen Rurikiden, 
nordischer Herkunft. Mit dem Eindringling ließ er sich in einen Kampf gar 
nicht ein, sondern bot ihm die Herrschaft über das Land, das Jom hieß, an, 
auf daß er das Reich mit ihm gemeinsam verteidige, wenn Krieg entstünde. 
Palnatoki nahm an und baute eine starke Seeburg mit einem trefflichen Hafen, 
die Jomsburg. Dann gab er seinen Wikingern Gesetze, welche die Zucht 
aufs höchste steigerten und die Besatzung unüberwindlich machten. So saßen 
sie zu Jomsburg in gutem Frieden und beobachteten die Satzungen. Jeden 
Sommer fuhren sie aus der Feste und heerten weit herum in den Landen. 
Am Sterbebette empfahl Palnatoki Sigwald zu seinem Nachfolger. Burisleif 
entgegnete: „Oft waren eure Ratschläge trefflich, und es soll auch der, den 
ihr jetzt gebt, befolgt werden... Wenn wir zu fürchten haben, nicht 
länger deines Rates zu genießen, so sind wir um so mehr verpflichtet, deinen 
letzten zu erfüllen. Bei dir war unsere größte Stärke gelegen, und unser 
Reich haben seit deiner Herkunft fremde Völker weniger beängstigt.“ So 
wurde Sigwald Anführer der Jomswikinger, verstand es aber nicht, die Zucht 
aufrechtzuerhalten. Den König Burisleif stellte er vor die Wahl: entweder 


—_ 


Saluuntur, suis referant, ceteri liti, videlicet hoc est zmurdi, qui quolidiano 
rzirio imperata faciunt, et hi, qui censuales [—1azze] ecclesiæ, vel proprii 
[= heyen] sunt, apud se domi mancant. — KNO'THF, Die verschiedenen Klassen 
äawischer Höriger in den wettinischen Landen während der Zeit vom 
IL bis zum 14. Jahrhundert, im Neuen Archiv für sächsische Geschichte 
N Altertumskunde. IV. Band. Dresden 1883, S. 3 f. — MEITZEN, a. a. 0. 
Sl. 

 hB. v. SCHÖNBERG, Geschichte des Geschlechts von Schönberg. (Leip- 
218 1878) Band II, S. 253. — MEıTzen, a. a. O. II. S. 241. 492. 


4 J. Peisker 


side er E> Jınsswrg aar oder erhalte Burisleifs Tochter Astrid zur Frau. Der 
KSnig antuwor'ete: „ich habe sie einem höherstehenden Manne zu vermählen 
gedacht. ais du bist. Aber ich habe es nötig, daß du in der Jom:burg 
bieidet, ind wir wollen nom Rat halten...“ Hierauf sagte er zur Tochter: „Ich 
“insehle, dab wir diese Angelegenheit in Klugheit schlichteten und doch s, 
dad NMrwaid nicht vou Jomsburg fortführe, denn ich bedarf seiner sehr zur 
Landesverteidigung meines Reiches. Astrid entgegnete: „Ich will Sigwald mit 
richten zum Gemabl ... \Will er durchaus die Heirat, so soll er nichts 
«erinces erfüllen: er soll Windland von dem Zinse befreien, so daß es den 
Dinenkönige nichts mehr zu entrichten hat, und dann muß er machen, daß 
Dinemarks König Iwein hierherkomme mit nicht mehr Begleitern, als As 
ir ihn in voller Gewalt habt . . .“) 

Die Erzählung ist die beste Illustration zu der Botschaft der 
Slawen an die Waräger Russen in der Chronik NESTOoRs: Der 
wehrlose Slawe fügt sich den Wikingern freiwillig, denn er weil, 
dab sie sonst gewaltsam vorgehen würden. Für den alten Slawen 
“ab es nur drei Möglichkeiten: entweder eine uralaltaische oder 
eine germanische Herrschaft oder Anarchie, und diese drei Zr 
stände machen so ziemlich seine ganze Vorgeschichte aus. Dakei 
ist wahrzunehmen, daß es in der Regel nicht ein ganzes Ger 
manenvolk, sondern nur eine wenig zahlreiche, aber waffengewandte 
Gefolgschaft war, die sich großer Slawenländer zu bemächtige 
verstand. In wenigen Generationen hörte sie jedoch auf, en 
fremdes Element zu bilden, sie ging unter den Unterworfene 
sprachlich unter. Dieser sprachlichen Assimilierung verfielen sud 
die Waräger Russen, die das ganze Slawenland von den 
äußersten Norden bis zu dem Schwarzen Meere unterworfe 
hatten, und schon der vierte warägische Beherrscher Rußland, 
Svjatoslav, war der Sprache nach slawisch. Man muß sich dem 
nach einen solchen germanoslawischen Staat so vorstellen, da 
einer an Zahl verschwindend kleinen Herrenschicht germanische 
Herkunft und Kriegstüchtigkeit eine sehr zahlreiche, unbewehrt 
«lawische Bauernschicht unterstand. Die den Warägern unter 
tänige Slawenschicht hieß Smerden. Dieser Name ist ol 
Zweifel älter als die älteste germanische Beherrschung der Slartl 





1) F. KuuLr, Die Geschichte Palnatokis und der Jomsburger nach &# 
jüngsten altnordischeu Bearbeitung erzählt. Graz 1891—1892, im xl 
und XXII Jahresbericht des Zweiten Staats-Gymnasiums in Gr 
Zeile 489—543, 839—887, 994. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 305 


I dürfte mit einer der turkotatarischen Knechtschaften zusammen- 
ıgen, wenn er sich auch aus dem Turkotatarischen ebensowenig 
lären läßt wie aus dem Germanischen. „Man denkt — sagt 
{LOSICH — an smerd- (= stinken) und an pers. »zard, Mann: 
das erstere wahrscheinlich, an das letztere sicher mit Un- 
ht“'). Die Ableitung von persisch »erd rührt von Sarakik 
, der es unter den von ihm für sarmatisch gehaltenen Lehn- 
rtern anführt*). „Man bedenke aber — schreibt mir UHLEN- 
UK —, daß npers. #ärd im altiran. *marta- lautete! Wäre 
raus nicht cher russ. (statt des heutigen smerds) morot, poln. 
att smard) mrot entstanden?“ Es ist somit wahrscheinlicher, 
ß schon die ersten turkotatarischen Bezwinger der Slawen das 
ort smerdso — welches sodann denn doch auf aksl. smrad£ti, stinken, 
rückginge — entweder bereits vorfanden oder aber, selbst rasch 
wisiert, bildeten, indem ihnen als Galaktophagen und Bewohnern 
8 luftigen Zeltes, insbesondere aber als Angehörigen der gelben 
sse, der slawische Bauer als Vegetarier mit seiner elenden dumpfen 
'hausung, namentlich aber als Arier, gar widerlich stinken mußte. 
Der Japaner Dr. ADACHI®) schreibt: „... Für die Japaner ist der 
ruch der Europäer sehr auffallend, besonders der der Europäerinnen. 
ist stechend und ranzig, ... bald süßlich, bald bitter. Oft... so 
rk, daß er das ganze Zimmer erfüllt... Man könnte glauben, dab 
: Europäer von ihrem eigenen Geruch nichts wissen oder ihn doci 
uiger empfinden als die Japaner. Soviel aber ist gewiß, daß die Euro- 
?r nicht wissen, daß ihr Geruch ihnen eigentümlich ist ... Die meisten 
paner... finden den Geruch der Europäerinnen anfangs sehr widerlich, nach 
maten aber nicht mehr, endlich oft sogar mehr angenehm und wollüstige 
rstellungen hervorrufend ... Der Geruch steht zweifellos mit der Ge- 
lechtstätigkeit in Zusammenhang ... Was für Geruch die gelben Rasseu 
ven, ist diesen selbst nicht bekannt, und auch ich konnte bei ihnen nicht 
en allgemeinen Geruch finden *), wie bei Europäern oder Negern. Aller- 
gs kommt auch bei Japanern, aber nur höchst selten?) und meist bei 


I) MıkLosıch, Etymologisches Wörterbuch, s. v. swerda, 

2) SCHAFARIK, a. a. O. I, S. 359. 

3) ADACHI, Geruch der Europäer. GLosus, 83, Band, 1908, S. 14 f. 
4) „Man sagt, Chinesen riechen. Dieser Geruch ist aber nicht Körper- 
uch, sondern rührt mehr von der Unreinlichkeit her.“ 

5) „An einen so hochgradigen Geruch, wie ich in Europa jeden Tag zu 
bachten Gelegenheit habe, kann ich mich bei Japanern nur in einigen 
len erinnern.“ 








306 | J. Peisker 

Frauen „Yeki-shiu“ vor, der dem Europäergeruch gleich ist. Nach chinesischen 
medizinischen Büchern kommt dieser Geruch auch bei Chinesen selten vor. Ein 
Japaner, der ‚Yeki-shiu‘ [Achselgrubengestank] an sich hat, ist militärfrei. Und 
eine mit diesem Geruch behaftete Japanerin ist wegen der Schwierigkeit der 
Heirat häufig unglücklich ... Für gewöhnlich riecht die Achselgrube des Japaners 
gar nicht, weder für Japaner, noch für Europäer, selbst bei lang vernachlässigter 
Reinigung nicht ... Jedenfalls ist es eine unbestreitbare und anffallende Tat- 
sache, daß die Schweißdrüsen der Europäer viel größer sind als die der Japaner, 
bei denen man die Drüsen makroskopisch nicht finden kann. Man darf aber nicht 
allein von stärkerem Schwitzen den Geruch des Europäers ableiten wollen; 
stark schwitzende Japaner haben gewöhnlich auch keine riechende Grabe. 
Bezüglich mikroskopischer Untersuchungen der Achseldrüsen muß ich einst 
weilen auf später verweisen. Worauf es mir hier ankam, war — al im 
Gegensatz zu den Japanern — hervorzuheben, daß die Schweißdrüsen der 
Achselhöhle bei den Europäern größer sind und daß die Grube riecht“ 


Es meidet auch der Beduine geschlossene Ortschaften wie die Pest. — Der 
turkotatarische Häuptling stellt in das ihm von den Russen gebaute und ge 
schenkte Haus sein krankes Vieh ein und schlägt für sich auf dem Hofe sein 
Zelt auf. „Der Oezbege gebraucht... noch heute das . . . Steingebäude seins 
Gehôftes zur Kornkammer und Stallungen, während er selbst mit Vorliebe 
das mitten im Hofe aufgeschlagene Zelt bewohnt. Ja wir haben es mit eir- 
gefleischten Nomaden zu tun, weshalb es uns gar nicht wundern soll, Aaw, 
Gefängnis und Hölle von ein und derselben Wurzel abgeleitet zu sehen“ !} - 
Der alte Germane ließ die schönste eingenommene römische Villa verfallea 
und flocht sich daneben seine Hütte. — Nach Eıcır.ıs Vita S. Sturmi abbatis 
cap. 7 kam der Heilige, einen Esel reitend, zum Fuldaflusse, ;45 magnen 
Sclavorum mullitudinem reperit ... lavandis corporibus se immersisse, quorum 
nuda corpora animal... pertimescens, tremere coepil, el ipse vir Dei eorum 
foetoremexkorruil...‘) 

Während so der turkotatarische, slawisierte Bezwinger der 
Slawen die Bauernschaft swrodi, ‚die Stinkenden‘ nannte, nahm 
er als ausschließlicher Nutzer der Zzpa, des Weiderevieres, de 
Namen £zpan an, welches Wort wir oben S. 289 f. in der Grund- 
bedeutung compastor, Weidegenosse, kennen gelernt haben. Und 
es ist bezeichnend, daß bei den, von den Waräger Russen unter- 
worfenen Slawen zwar die Smerden, nicht aber die Zupane vor- 
kommen; diese einstige turkotatarische Herrenschicht unterlag ebe 
den Warägern und wurde ausgerottet. Bei einigen Slawenvölken 
erhielt sich jedoch diese alte, vorgermanische Herrenschicht der 


1) VAMBÉRY, Die primitive Cultur, S. 76. 
2) Monumenta Germ. hist. Scriptores II. S. 369. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 307 


ıe, so bei einem Teile der Alpenslawen, den Slowenen, 
tersteiermark, während sie bei einem anderen Teile von 
im heutigen Kärnten, ebenfalls unterging. Bei den Dale- 
rn in Meißen finden wir zwischen der Schicht der Zu- 
und der Schicht der Smerden die Schicht der Withasen, 
‚ ein nordisches Einschiebsel, welches sich etwa so, wie 
aga von den Jomswikingern erzählt, in die bestehenden 
Itnisse, im Einvernehmen mit den Zupanen oder vielmehr 
staatsoberhaupte, als Kriegerkaste einfügte. 

ıf diese Art fänden die termini ZuPans, vitese, smerds ihre 
iche Erklärung. Es könnte jedoch auffallen, daß die turko- 
chen Gewalthaber einen slawischen Titel, Zxpa#, ange- 
en hätten, wenn nicht Analoga vorlägen: 

is speziell türkisch und aus dem grauen Altertume stammend dünkt 
r Titel CAunkiar, osm. Hünkar, Hünkiar, [von mir gesperrt:] nicht 
das Wort, das rein persischen Ursprungs ist, sondern 
Bedeutung, die tief im Leben der türkischen Nomaden wurzelt und 
m Verhältnisse der Familie auf das des Staates übergegangen ist. 
nadischen Familienleben wird nämlich das älteste, stärkste und er- 
te Mitglied mit dem heiligen Amte der Blutrache betraut und bei 
Stämmen als kan güzler (Blutspäher), bei anderen als chunkiar (wört- 
essen Angelegenheit das Blut ist) bezeichnet, und in der Tat wird die 
Vichtigkeit dieser Pflicht durch nichts so sehr in Relief gebracht, 
ch den Umstand, daß die Obliegenheit desselben zum Ehrentitel des 
n- oder Stammeshauptes und später ein Attribut der Fürstenwürde 
en ist“!). 

a anderes Beispiel: „... und es bestanden bei den Türken [= Magyaren] 
Stämme, und sie erhoben Niemanden zum Archon über sich, weder einen 
sischen, noch einen Fremden, sondern es waren unter ihnen gewisse 
#2), Es ist das slawische vojevoda, ‚Herzog‘, daraus magy. vayda, 
, vapvoda. MIKLOSICH, Etym. Wtbch. 8. v. vo). 

renso können slawisierte Turkotataren von den Slawen das 
Zupans angenommen haben. 

ir die Wechselfälle in den wirtschaftlichen Verhält- 
ı der alten Slawen ist nichts so bezeichnend wie die Nomen- 
für Milch. Der Slawe hat für diesen Begriff drei Ausdrücke: 


VÄMBERY, Die primitive Cultur des turkotatarischen Volkes, Leipzig 
S. 136 f. 

:KOXSTANTIN PORPHYROGENNETOS, de administrando imperio cap. 38. 
be Bonn S. 168. 


308 J. Peisker 


1. aksl. *mlözp, gen. /dze, Biestmilch, aus dem S 
mels-, dazu das Verbum wilseq, ımlesti, aus snelsti, n 
*milése ist zu erschließen aus nslow. »ulezva, mlezivo, miles 
mlezivo, slowak. mledzivo, klruss. molozyvo, russ. molozivo, 
milch; poln. #/odsivo, Biestmilch, scheint nach MıKLosich, 
Wtbch., s. v. mels-, auf russisch »20/ogzvo beruhend, mit 
zusammenzuhangen. Durch Steig. mo/zs: serb. m/az, die 
die beim Melken auf einmal hervorschießt, bulg. »z/asnica, 
bare Kuh. Das slawische z in »ze/s- ist ein palatales £, 
ausiyo, lat. mulgeo, irisch #elg, ahd. mölchan, melken 
märj, zend. marz, streifen. Der Stamm »e/g-, slaw. mels-, 
auf einen näheren Zusammenhang der westidg. Völker geg 
den ostidg. (KLUGr, Etym. Wtbch., s. v. me/ken). 

Das Wort *#»/#: ist echt slawisch. 

2. aksl. und gemeinslawisch tvarog», geronnene 
Topfen, nach VÂMBÉRY ein turkotatarisches Lehnwort; dzag 
turak, Käse'!); türk. Zorak, Käse (MIKLOSICH); osm. Zurus 
gesäuert; jakut. Zur, gesäuerte Milch”). — Griech. rx: 
dann ebenfalls ein turkotatarisches Lehnwort. 

3. aksl. ml8ko, Milch im allgemeinen, ein westgerman 
voralthochdeutsches Lehnwort. Siehe oben S. 260 ff. 

Von allen diesen drei Wörtern ist nur eines echt si: 
nämlich »z/dzs. Und merkwürdig! Während, etymologis 
nommen, es „Milch“ im allgemeinen bezeichnen sollte, 
tatsächlich nur an einem Spezialbegriff haften geblieben: | 
milch, das ist jene Milch, die vor und gleich nach dem 
des Jungen aus dem Euter hervorsprießt, also Säugemilch. 
dem wir nun wissen, daß infolge der Nomadenknechtsch 
Slawen keine Viehzucht trieben, demnach auch keine Nut: 
die gemolken aufgefangen und aufbewahrt wird, kannten 
uns die Spezialisierung des altslawischen Ausdruckes für 
nicht mehr befremden. Die Slawen kannten eben währen! 


1) Vimséry, Cagataische Sprachstudien, Leipzig 1867, S. 260. - 
BERY, Die primitive Cultur des turkotatarischen Volkes, Leipzig 187: 
— VAMBERY, Der Ursprung der Magyaren, Leipzig 1882, S. 268. 

2) VAMBÉRY, Etym. Wtbch. der turkotatarischen Sprachen, 
1878, S. 185 f. & 198. 








Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 309 


ch langen Zeit nur jene Milch, welche aus der Mutter- 
nd dem tierischen Euter, zum Säugen bestimmt, hervor- 
die Biestmilch, und auf diese bezogen sie dann den 
ck *mleze, welcher zuvor ohne Zweifel Milch im all- 
»n bedeutete, die gemolkene miteinbegriffen. 
aber bei ihren nomadischen Herren, die doch Galakto- 
waren, mußten sie auch Nutzmilch gesehen haben, so 
en der Begriff nicht hätte abhanden kommen können? Um 
ı Sachverhalt zu ermitteln, müssen wir früher feststellen, in 
n Zustande die Nomaden ihre Milch aufbewahren und ge- 
nach VAMBÉRYS gütiger Mitteilung verschmähen sie die 
ilch überhaupt, denn sie halten sie für ungesund; sie 
ie, frisch gemolken, in Lederschläuche, deren gesäuerte 
and sie sofort zum Gerinnen bringt und zu Topfen macht. 
können die Nomaden gar nicht verfahren, denn für sie 
dene Gefäße ob ihrer Schwere und Gebrechlichkeit und 
ene Holzgefäße, die nach dem Austrocknen zerfallen, 
endbar, da sie alle üherdies schwer verschließbar sind. 
mfang, ob voll, ob leer, beibehalten und das nur auf dem 
von Lasttieren transportable Wandergepäck überflüssig 
ern würden; daher können sie zur Milchbewahrung nur 
'hläuche verwenden, das unverwüstlichste Gefäß, leicht ver- 
ar und unschwer zu befördern; davon können sie sogar 
aufstapeln, die, im leeren Zustande zusammengerollt, 
ringsten Raum einnehmen, denn Ersparnis an Umfang 
wicht ist für den Nomaden ein wichtiger Vorteil. Somit 
hnen den Lederschlauch nichts ersetzen; dabei brauchen 
ne Töpferei und Böttcherei zu lernen, auf den ewigen 
"ungen, besonders in der baumlosen Steppe, ohnehin nn- 
e Geschäfte. Die Slawen sahen somit bei ihren Nomaden- 
nur geronnene Nutzmilch, Topfen, Käse, und nahmen 
en bei den Nomaden gebräuchlichen Ausdruck auf: turak, 
‘im slawischen Munde zu Zvarog wurde. 
ı wurden Germanen Herren im Slawenland, und die führten 
nz andere Milchwirtschaft, denn sie zogen nicht in einem- 
rum, wohnten nicht unter Zelten, Jurten, sondern in 
ein Jahr lang auf einer und derselben Stelle. Sie 


310 J. Peisker 


übten schon Töpferei, verfertigten irdene Schüsseln und Näpfe 
mit glatten Wänden, die gewaschen, reingehalten werden konnten, 
in denen also die Milch längere Zeit hindurch im süßen Zustande 
haltbar war. 


Die Slawen kannten die Milch in diesem Zustande als Volks- 
nahrung bis dahin nicht, und da sie dafür keinen eigenen Aus 
druck besaßen, nahmen sie die germanische Bezeichnung ab 
Lehnwort auf. 


Mieze — tuarogs — mieko, diese Trias ist der so lange 
entbehrte Wegweiser in das fernste, dunkelste Altertum der 
Slawen; sie ersetzt diesen teilweise das, was die Germanen a 
Tacırus’ Germania besitzen; sie ist sogar älter und läßt nur eine 
Deutung zu. 


Alles, was uns Reisende des Altertums, des Mittelalters und 
der Neuzeit bis zur Gegenwart über das Vorgehen der Reiter- 
nomaden gegen die unterworfenen Bauernvölker in vollster Über 
einstimmung erzählen; was FREDEGAR über die Cechoslawen, 
IBN RosTEH und KONSTANTIN VII. PORPHYROGENNETOS über die 
[Südjrussen berichten, alles, was die älteste Schicht der germa- 
nischen Lehnwörter im Slawischen in Verbindung mit dem einen 
turkotatarischen Lehnworte bezeugen; alles das gestaltet sich har- 
monisch zu einem klaren Bilde des abwechselnd von Turkotataren 
und Germanen maßgebend beeinflußten altslawischen Daseins voller 
Gegensätze, die erst in überaus hartnäckigen Kämpfen zu einigen 
sehr labilen Gleichgewicht sich abschleiften. 

Das unterjochte Slawentum als Bauernschicht wird von eier 
Hirtenschicht beherrscht, die entweder turkotatarisch, reiter- 
nomadisch, oder germanisch, viehzüchterisch und kaum selbst mit 
eigenem Ackerbau ist. Und eine solche Zweischichtung mil 
mehr oder weniger gemilderten Gegensätzen hat sich bei mehrere 
slawischen Völkern bis tief in die historische Zeit erhalten, bei 
anderen wieder infolge hergebrachter Disposition sogar vol 
neuem gebildet. 

Dazu stimmen alle übrigen Nachrichten über die alten Slawen: 

Den ältesten Bericht entdeckte MÜLLENHOorF in den theologische? 


„Fragen und Antworten“, welche vom Patriarchen Photios (+ um 8%) 
dem Bruder Gregors von Nazianz, Caesarius von Nazianz (+ 368), zuge” 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 311 


ieben, jedoch nach MÜLLENHOFF (Deutsche Altertumskunde, 2. Bd., Berlin 
7,8. 368) erst um das Jahr 580 oder wenig später, nach SEECK (PAULY’s 
l-Encycl. d. klass. Altertumswissenschaft, neue Bearb. v. WıssowA. 6. Halb- 
d, Stuttgart 1897, col. 1800) dagegen vielleicht schon Ende des 4. oder 
ang des 5. Jahrhunderts abgefasst worden sind. 

Pseudo-CAESARIUS von Nazianz cap. 110: Dög d3 ol &v Bafulüvyt, Erxcı 
iv yivavrar, Tÿ puaryanlg tüv önalpmv rraporvodar; ns 8’ dv étépy Tuhpatı 
16 ol Zxlaunvot xal Duowvitaı, ol xal AavobBrot npogayopsuöpevor, ol Ev 
smonactoßopoücv hôéme, Bra To nenInpacdar Tod Yalaxrog, pu@v dixnv 
s brorithoug Talg nétpaic änapdrroviss, ol di nai 176 voplung xal AdraSır- 
xpswßoplag Ansyovrar; «al ol pèv bndpxouarv addddetc, aurövonor, àvnyenc- 
to, OUvaXüG Avanpoüvisc, auvschrönsvor À ouvoËebovtec, Töv apüv Ayapova 
äpyovia, dImnexas xal tag Evdpüpoug xdrrag xal povobs éodiovtes al 
Ixov opuyÿ opäs rpooxalobpevor ol di xal ddöngaylas Andixovrar ai 
wire. brorattönsvor xal breixovreg !). 

Der ungewöhnlichen Ausdrucksweise halber sei hier eine Übersetzung 
refügt: 

Wie kommt es, daß die Babylonier, wo immer sie sich einfinden, das Laster der 
Hschande mit Blutsverwandten begehen? Warum die am andern Ende der Welt 
Inenden Sklawenen und Physoniter, die auch Danubier genannt werden, 
‘einen mil Vorliebe Weiberbrüste essen, weil sie der Milch voll sind, und die 
ıglinge wie Ratten an Felsen zerschmettern, die andern dagegen sich des 
lichen und unbedenklichen Fleischgenusses enthalten? Und die einen sind 
mn, selbständig, sich keinem Hegemon fügend, häufig ihren Hegemon und Archon 
n gemeinsamen Mahle oder Marsche tötend und Füchse und wilde Katzen 
! Schweine essend und als Verständigungsruf das Wolfsgeheul anwendend; die 
deren enthalten sich dagegen der Gefräßigkeit und ergeben und fügen sich 
ı ersten besten. 

So befremdlich dieser Bericht auch scheinen mag, enthält er dennoch 
| Wahrscheinliches. Zwei denkbar schroffste Gegensätze bestehen da hart 
kneinander: Die einen sind Galaktophagen, bisweilen mit 
r, sonst allerdings nicht bezeugten, perversen Gier, 
illende Weiber zu überfallen und ihnen die Milch auszu- 
ugen. Diese Gier ist mit Roheiten verbunden; der Säugling wird von 
a Wüterich umgebracht, die Mammilla mitunter weggebissen, und so mag 
Übertreibung entstanden sein, daß die Brüste selbst gegessen wurden. Die 
deren sind Vegetarier, weil sie keine Viehzucht haben und die Jagd 
einem halbwegs regelmäßigen Fleischgenuß nicht ausreicht. 

Die einen sind kriegerisch, autonom, fügen sich keinem 
trrscher, sondern töten häufig ihren Hegemon, sobald sie 


1) MÜLLENHOoFF, Deutsche Altertamskunde 1I. S. 867 aus DucAEuSs’ 
ibliotheca veterum patrum, Paris 1624, S.588. — Patrologiae cursus 
Mpletus. Accurante J.-P. MIGNE. Patrologiae graecae tom. XXXVIII. 
iris 1862, col. 985. 





312 J. Peisker 


seiner überdrüssig werden; sie essen allerlei Raubzeug, weil sie ihre 
Herden schonen und ihr Vieh nicht gern schlachten; durch nachgeahmte 
Wolfsgeheul geben sie einander Signale'.. Die anderen frönen, wie 
alle Vegetarier, der den Karnivoren eigenen Gefräßigkeit nicht, sie 
sind überdies wehrlos und fügen sich einem jeden, der über sie her 
fällt, T@ Tuxévr.. 

Ein kriegerisches Volk hat hier ein unkriegerisches, das 
sich dem ersten besten fügt, zum Nachbarn und wird es jeden 
falls auch geknechtet haben; dies ergibt dann eine Zwei- 
schichtung, wie sie schroffer garnicht gedacht werdenkann: 
Die herrschende Schicht sind Milchesser, demnach Viel 
züchter, mit Fleischgenuß, während die geknechtete Schicht 
Vegetarier, also Bauern, sind. 

ProKkopios von Caesarea (+ 558), de bello Gothico III. 14: "Ernst & ? 
Adyog nepipepöusvog ds Änavras HAYev nyelpovro ev rt tobt "Avcar sys 
äravtec, xotvhv di elvar mv npäEtv MElouv.... Ta yap ähun tadta, Zxdaßıri 
ze xal "Avtat, oùx Äpxovrar npös Avdpüös Evöc, AAN Ev Bnpoxparig ir 
raatoù Brorebovar' xal Ota Toto adrols Ty npayparov dsl té Te Ebuyope 
xal ra BüoxoAa ds xorvöv Ayeraı. “Ouolws dE xal Ta Aida (ds sirsiv) Aravız 
éxatéporc éatl Ts xal vevöpnorar toûtots Avwtev toi BapBéporg . . . oluoïct Li 
ëv xaAdBargc olxtpate Brssanvnnävor oA uèv Ar’ dAAñAwv, duslBovrec Dè dig té 
roÂAÀd Tôv The évorxhoews Exagtor x@pov. Die große Zerstreutheit und der 
sehr häufige Wechsel des Wohnsitzes kann sich nur auf die Hirtenschicht 
der Zupane beziehen, weil der Bauer höchstens nur einmal im Jahre de 
jeweiligen Platz aufgeben kann, seinen [Brand]acker verlassend, um einen 


1) VAMBÉRY, Primitive Cultur des turkotatarischen Volkes, S. 1% 
schreibt: „... die Parole im Krieg, wran, oran oder ören genannt, welche 
nach BABERS Aussage zu Kriegszeiten aus zwei Worten bestand, von welchen 
das eine auf den einzelnen Stamm, beide auf die Armee Bezug. hatten: 
Dieses dünkt mir jedoch eine Sitte spätern Ursprunges, denn in der ältesten 
Zeit war die Parole eine einfache, auf die einzelnen Stämme bezügliche, 
mittels welcher im Schlachtengetümmel oder in der Dunkelheit der Nacht 
das vom Stamme getrennte Individuum seine Angehörigen zu erkennen und 
aufzufinden imstande war. Ich habe diese sonderbare Sitte selbst in Er- 
fahrung gebracht, und das Schauerliche der Szene, als auf einem nächtliche 
Marsche durch die Hyrkanische Steppe das verzweiflungsvolle #ran eines D 
stockfinsterer Nacht verirrten Turkomanen zu unsern Ohren drang, ist nÿ 
ewig unvergeBlich. Der Mann schrie aus Leibeskräften ein mir unbekannte! 
Wort, die turkomanische Reisegesellschaft lauschte lange beklommenen Herzt®®: 
doch der Ruf blieb unerwidert. ‚Zs ist cin Tekke-Uran‘, hörte ich sagen, mal 
ging seines Weges, und der Verirrte setzte sein Angstgeschrei noch ei® 
Zeitlang fort.“ Jeder Stamm hat seine eigene, uralte Parole: urasan, ti} 
‘auli, U. 8. W. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 313 


ıen anzulegen. Seiustverständlich bezieht sich auch die dnpoxparia nicht auf 
unterworfenen Slawen, die Smerden — die hatten als rechtlose Knechte nichts 
zureden —, sondern ebenfalls auf die slawisierten Zupane; die lebten 
nokratisch, keinen Herrscher, &pxwv, kennend, wie alle Wanderhirten, deren 
sit venia verbo — Verfassung patriarchalisch, der Familie entlehnt ist: 
kalar = die Grauen, und Afa/ar — die Väter, galten von jeher als 
zeichnung für Vorgesetzte und Männer höherer Stellung und höhern Ranges, 
s denen mit der Zeit ein besonderes Geschlecht von aristokratischer Färbung 
h herausgebildet hat, das ebenso sehr des Ansehens... des gesamten 
lkes sich erfreute, als das Oberhaupt im engen Kreise seiner Familie, 
d der Aksakal = Graubart, im weitern Kreise seines Geschlechte3")“. 

„Während meines Aufenthalts unter den Turkmanen hat mich am meisten 
ıppiert, daß ich keinen entdecken konnte, der befehlen, aber auch keinen 
ızigen, der gehorchen wollte. Der Turkman selbst pflegt von sich zu sagen: 
irsind einVolk ohne Kopf, wir wollen auchkeinenhaben, wir 
nd alle gleich, bei uns ist jeder ein König. Bei den politischen 
sütutiouen aller übrigen Nomaden findet man mitunter einen Schatten 
n Regierung, in der Person der Aksakale bei den Türken... und der 
'heich bei den Arabern; bei den Turkmanen ist von diesen allen keine 
ur. Die Stämme haben wohl ihre Aksakale, doch genießen diese nur bis 
einem gewissen Grade Ehren; man liebt und duldet sie so lange, als sie 
re Suprematie nicht durch besondere Befehle oder durch Großtun zu er- 
anen geben [ein prächtiges Gegenstück zu dem soeben vernommenen Be- 
‘hte des Pseudo-CAEsARıUS über die ihre Häuptlinge häufig tötenden 
lawenen oder Physoniter!]. Der Leser wird nun fragen, wie denn diese 
rüchtigten Räuber, deren Robeit wirklich grenzenlos ist, miteinander leben 
innen, obne sich gegenseitig zu vertilgen. Dies ist auffallend; aber noch 
it auffallender wird es scheinen, wenn ich sage, daß trotz dieser schein- 
ren Anarchie, trotz aller Wildheit unter ihnen, solange sie sich nicht 
fentlicbe Feindschaft erklärt haben, weniger Raub und Mord, weniger Un- 
rechtigkeit und Unsittlichkeit vorkommt, als unter den übrigen Völkern 
siens, deren soziale Verhältnisse auf der Basis islamitischer Zivilisation ruhen. 
ie Bewohner der Wüste werden von einem alten und mächtigen Könige 
‚herrscht, ja oft tyrannisiert, der ihnen selbst unsichtbar ist, den wir aber 
dem Worte deö (bei den Kirgisen £öre), Sitte, Gebrauch, deutlich erkennen. 
ti den Turkmanen wird strengstens befolgt, was der Deb befiehlt, und ver- 
scheut, was er verbietet... Auf den Einfluß der Aksakale zurückkommend, 
olen wir bemerken, daß diese zwar in den Berührungen mit Fremden, 
B. wenn man mit Persien, Rußland oder fremden turkmanischen Stämmen 
1 tun hat, im allgemeinen den betreffenden Stamm vertreten, daß sie aber 
icht bevollmächtigte Gesandte sind. Wie machtlos sie sind, haben Rußland 
nd Persien am meisten erfahren können, da diese mit großen Kosten die 
ksakale an sich zu ziehen suchten, um den Räubereien Einhalt zu tun, aber 


1) VAMBÉRY, Primitive Cultur, S. 132. 


314 J. Peisker 


bis heute nur wenig Erfolg hatten. ... Eine Hauptstütze des sozialen Bandes 
ist das feste Zusammenhalten sowohl der einzelnen Abteilungen als auch des 
ganzen Stammes. Jeder Turkman, selbst das Kind im vierten Jahre, weiß 
schon, welcher Taife und Tire es angehört, und er weist immer mit einem 
gewissen Stolz auf die Macht oder Zahl seines Clans hin, da dieser eigent- 
lich die Waffe ist, die ihn gegen Willkür anderer schützt, und im Fall einen 
einzelnen Gliede etwas zuleide getan wird, der ganze Stamm Genugtunng 
fordern muß“ !) [vgl. oben S. 307 über den Chunkiar). 

„In der mir gegenüber gemachten Äußerung eines turkomanischen Grar- 
bartes: ‚Wir sind ein kopfloses Volk, bei uns ist jeder ein Padischah‘ liegt der 
eigentliche Grundgedanke der Verfassung der... . Steppenbewohner türkischer 
Zunge, und von demselben ist nur dort und dann abgegangen worden, wenn 
irgendein Nomadenvolk, durch eine geschichtliche Begebenheit oder durch 
sonstige Motive im gewöhnlichen Gange des Alltagslebens gestört, sich zu 
einer außerordentlichen Tat gedrängt sah. Sowie der Stamm der Karlık in 
Nordosten ... und der Stamm der Turkomanen im Süden des heutigen Zentral- 
asiens nur durch das Auftreten der Mongolen unter Déengiz von der ruhigen 
Existenz eines Hirtenvolkes auf die Bahn der weltstürmenden Begebenheiten 
gedrängt, sich auf eine Zeitlang einem Führer unterwarf und auf dessen 
Befehl sich in Bewegung setzte, ebenso haben die 7 oder 8 Stämme der 
Magyaren nur dann erst dem Oberbefehle Ärpäds sich untergeordnet, nach 
dem sie... von den Petschenegen zum Aufsuchen einer neuen Heimat tei- 
weise gezwungen, auf ihren Wanderungen in fremden Landen ... die leitende 
Suprematie eines einzelnen anzuerkennen sich genötigt sahen... Die Frage 
daher, ob die Regierungsform unter Ärpäd monarchisch oder streng despotisch 
gewesen sei, muß auch schon deshalb als eine müßige betrachtet werden, 
weil bei Nomaden, nach den Grundbedingungen der Gesellschaft zu urteilen, 
nur das Föderativsystem als einzige Regierungsform möglich ist, ‚dies aber 
auch nur dort und dann, wo die Interessengemeinsamkeit stark genug it 
das im Naturell der Nomaden liegende Gefühl einer unbändigen Willens 
freiheit wenigstens einige Zeitlang zu unterdrücken. In solchen Fällen, die 
in der Geschichte durch das Erscheinen glücklicher und begabter Heerführer 
hervorgerufen wurden, hat es auch unter Vorsitz des siegreichen Helden 
wemeinsame Beratungen in Angelegenheiten der zu unternehmenden Schrit® 
gegeben, folglich eine Volksversammlung oder Versammlung, 
türkisch . . . 7728 oder auch Rat,... türkisch ‘anff..., wie dies in den 
Auriltai der Mongolen unter Déengiz geschah, oder in den Aüren der Türke), 
ein Wort, das seiner heutigen Bedeutung nach = Gesellschaft, Versammlung 
ist, ehedem aber auch 7rsppenabteilung ... bedeutete und in gewissen Teile 
des türkischen Sprachgebietes noch den Begriff Gespräch, Beratung ausdrückt 
Nun wäre es allerdings eine viel zu kühne Hypothese, wenn wir in diesen 
Versammlungen eine Art gesetzgebenden Körpers entdecken sollten... D® 


1) VintEry, Reise in Mittelasien, Leipzig 1865, S. 249251. 2. Aufl. 
1875, S. 288-290. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 315 


‚setz war... nur ein Gewohnheitsgesetz, denn die Grundbedeutung des hiefür 
... Türkischen existierenden Wortes ... /öre ist eigentlich das Au/ge- 
nmene . . .“1), . 

VAMBERY’s Ausführungen über die Turkotataren der Neu- 
it decken sich auffallend mit den Nachrichten über die 
ten Slawen; ganz natürlich, denn diese „Slawen“, denen die 
achrichten gelten, waren nichts anderes als slawisierte 
ırkotatarische Herren der Slawen, die Zupanenschicht. — 

Nur die Turkotataren der Steppe erfreuen sich dieser, am meisten bei 
en Turkmanen auffallenden Ungebundenheit. Anders die Nomaden der 
entralasiatischen Gebirge, z. B. die Kara-Kirgisen. Diese zerfallen in Ge- 
'hlechter und Stämme, welche von selbstgewählten Ältesten, maraps genannt, 
ı ziemlich despotischer Weise regiert werden. Venjukov versichert, daß 
ir die am meisten zu schätzenden Manaps diejenigen gelten, die bei ihren 
urten einen Galgen haben und sich nichts daraus machen, grösserer Ver- 
ebenSchuldige, wozu übrigens ein Räuber nicht gerechnet wird, aufzuhängen *). 
Sie sind überhaupt ein sehr unruhiges Volk, mit welchem die früheren chine- 
ischen und chokandschen Regierungen schwer fertig werden konnten, und 
ur dem Umstande, daß sie sich in eine Menge kleiner Stämme und Ge- 
chlechter teilen, die noch obendrein in Feindschaft miteinander leben und 
ich gegenseitig bekämpfen und berauben, ist es zu danken, daß sie sich 
icht zu einem Ganzen vereinigten, welches leicht der Schrecken der Nachbar- 
inder hätte werden können“ ?). — 

Der sogenannte MAURIKIOS, Ztparnyıx®v (eine Kompilation, verfaßt wahr- 
theinlich knapp vor der Thronbesteigung Kaiser Maurikios’, also vor dem 
ahre 582. Vgl. ZACHARIA VON LINGENTHAL, Byzantinische Zeitschrift III. 
894, 8. 441) XI. c. 5: Ta Edvyn tüv ZxldBov xal ‘Avtüv époëlaté te xal 
Métpond slot anal &Asüdspa, pnôaude douloïodar 7) &pxscdar nsıdöneva [kann 
ih nur auf die Zupane beziehen] . . . Eloi dè tolg äntfsvounsvors adroic 
mar, al Yiloppovoünsvor adroüg Bracmkovarv &x ténou sl; Tönov où &v dkwvrat, 
K sys 81° duéAstav tod bnoëexopévou ouußü tév Eévov BlaBñvar, röAspov 
avi xar’ abröv 6 toütov rapadéusvog, oéBag hyobusvoc thv Tod Eévou éxdixnotv. 
\uch dieser hohe Grad der Gastfreundschaft ist besonders den turanischen 
\omaden eigen: „Nichts kann die Liebe und Anhänglichkeit des primitiven 
Menschen zu seinem Heimatsort besser schildern als eben jener Sprachgebrauch, 
ach welchem der von der Heimat in die Fremde Geratene als arm und elend 
bezeichnet wird, indem das Wort ‚Fremde‘ identisch mit ‚Elend‘ und ‚Ver- 
Iassenheit‘ ist. In diesem Sinne ist auch jener außerordentliche Grad von 
Freundschaft und Liebe aufzufassen, mit welcher der türkische Nomade zu 


1) VAMBÉRY, Ursprung der Magyaren, S. 316, 322 f. 
s 2 WExSUKoOw, Die russisch-asiatischen Grenzlande. Leip ig 1874, 
If, 


i 8) ALEx. PETZOLDT, Umschau im Russischen Turkestan. Leipzig 1877, 
. 814 f, 


Vierteljahrschr, f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 21 


316 J. Peisker 


allen Zeiten den Gast, den Mann aus fremden Gegenden aufnahm. Der 
Araber nennt den Gast ganz einfach wzsafr, d. h. der Zugereiste; ... wird 
aber in Hinsicht der Zärtlichkeit weit übertroffen vom türkischen züsün oder 
dücün — Gast, der Grundbedeutung nach der Süße, der Herzige...“'). - 
MAURIKIOS setzt fort: Toüg C8 Övrag &v tais alypalwaiarc rap" abrois, oùx 
dopiaty Xpövw, Ws TA Aoına Edvn, Ev DouAsig xatézouotv, &AÂG ÉnTÔv Öpllori; 
adrorg Ypövov, Ev Th Yvoug adrav norodvrar elts YEAlovoıv dv Toig Liors dva- 
Xwp7joat, nerd tivos todo, 7) pévouatv Exelce &Aeddspor xai pilou. Diese Idylie 
ist natürlich ein Phantasiegebilde und mit der weiteren Charakterschilderung 
desselben Gewährsmannes unvereinbar; in der Wirklichkeit werden es auf denbe- 
rüchtigten turkotatarischen a/aman» — siehe oben S. 300f. — gemachte Gefangene 
gewesen sein, die man eben in der Absicht raubte, um entweder ein hohe 
Lösegeld zu erpressen, oder sie in die Sklaverei zu verkaufen; daß man die, 
welche man so nicht verwerten konnte, nach Ablauf bestimmter Jahre al: 
Freie und Freunde behandelte, widerspricht allem, was die Völkerkunde lehrt. 
Ein Analogon dazu gibt es überhaupt nicht und unter den Turkotataren 
am allerwenigsten. 

MAURIKIOSs setzt fort: ‘Vréotn 88 adtoïs nAñ dos AAöywv ravroiwv [Zupane!] 
xal yevnpätuv &v Impwviaıg Anoxsinevov [Bauern!], xal naliota xéyypcs wi 
&ôpou. [Das Wort né&ltota besagt, daß sie nebst xéyxpos und ZAvupog auch 
noch andere Getreidearten bauten] ... œuloïotv dv Tols Bagéor xai arevk 
xai xpnuvhËeot TOROL TüG Hata TÜV ÉxdpOY adtY éyxstpnostc dpydlscke. 
Keypnvrar dè Anırndeiwg taig évédpatc nai Toig alpvıdıdanacı xal Ace; D 
te vuËt xai uépars Tolläg psŸéèous oxnnarıböpnseve. [Ebenso beschreit 
VAMBÉRY die turkmanischen Alamane] ... Kéypnvrar da xat vtéEoig Evlivx 
na oayitats pixpals KSXPNLÉVEG Tobi vpapuaxwv [das tun die Turk- 
tataren!]... "Avapya 88 xal mamlAnAx övra [die Zupane!] obdE TELv Yındı- 
xovatv, oDdE Kara Tv SvoTddönv éxnv Enırmdebouc. naxscyat, obdE &v yuyvok 
xal Opaloïs tönoıg yalvscdar... ”Antotot dé slot navrolwg xal dabpupwvor rap 
tas ouvdmxac, péBy n&lloy 7 dwporg sluovtec.  Atapépou Yäp rem 
xpatodonç dv abrois, N où ouufaivouatv, 7) al oupfarvévtov abrèv % 
Boxouvra ouvtépus Étepot rapaBaivouot, révrwy évavtimv AAANAOıG œpovoivim 
xal pnésvôs TO Etépp rapaxwpsiv Boukouévou® [Geradeso schildert, wie wi 
eben gehört, VÄMBERY die Unzuverlässigkeit der bloß ihren 46 beobachtenden, 
sonst anarchischen Turkmanen und die Machtlosigkeit ihrer Aksakale] . -- 
Holüv 2 Evrwv Ény®y [Aksakale] xal douupoves éxévrowv rrpög dla 
obx Arondv Tivag abtüv petayxatpiisodar 7 Adyors à dwpotc?) [Russland und 
Persien wendeten dieselbe Methode gegen die Turkmanen an]. 


1) VAMBÉRY, Primitive Cultur, S. 78. PETZHOLDT rühmt a. a. O. 3. 304, 
315 die große Gastfreundschaft namentlich der sonst auf Gelegenheit A 
Plünderung und Raub wartenden Kirgis-Kaisaken. Vgl. auch VAuBER! 
Reise, S. 66£., 2. Aufl. S. 69. 

2) ARRIANI Tactica et MArrıcı Ars militaris, ed. J. SCHEFFEBU® 
Upsaliae 1664. — SCHAFARIK, II. S. 662 ff. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 317 


Es ist merkwürdig, wie sich der Bericht des MAurikıos über die 
awen® mit dem VÄMBERYs über die Turkmanen deckt! 


Kaiser LEO (wahrscheinlich Leo HI. der „Isaurier“, 714—741, und nicht 
o der Weise, 886—911, nach ZACHARIÄ VON LINGENTHAL, Byzantinische 
itschrift, III. 1894, S. 489. — SCHENK, Byzentinische Zeitschrift V. 1896, 
298), Taxrıxöv XVIII. $ 79: xai Yüap xal Zxidßor MV note Öte repav 
txouv Tod "Iotpov, Ov xai Auvobßıov xadoönev, olg nal npoçsnolëpouv "Popaiot, 
Ubépevor vopnadın ac xal abrav töre Sabmvrwv rplv À rspatwdñvar Tév 
tpoy al dd Töv Luyöv The Bupatxfic 2Eouolag röv abrwv abytva Droxilvar... 
102. ”Hoav 22... 15 gulofsvia xataxdpmg Xpwpeva td ZxAdBwv Yüia, Tv 
s vv waradıreiv édixalwauv, AAN” Exoucıv éuotws. 103. Toic Yap drıksvon- 
ns dv adrois Nor Kal npäot Eyivovro ptlaompovobpevot . ..1). 

Bevor also die Slawen in das byzantinische Reich eingebrochen sind, 
madisierten sie in den Gegenden am linken Ufer der unteren Donau. Das 
madisieren kann sich jedoch bloß auf die Zupane — damals waren es 
raren — beziehen, welche, längst slawisiert, hier zu den von ihnen be- 
schten Slawen gezählt werden. Die von LEO so hoch gerühmte slawische 
stfreundschaft betrifft — wie schon oben betont — ebenfalls die slawi- 
ren Zupane, denn wie konnte der geknechtete slawische Bauer gast- 
andlich sein! Auch dem Kara-Kirgisen der Neuzeit ist das Gastrecht heilig, 
d niemals wird er einen Gast berauben?®). 

Den Bericht JOHAxNES’, Bischofs von Ephesus, 6. Jahrhundert, siehe 
en S. 297 Anm. 2 und den IBN RosTEH’s 8. 800. . 

Kaiser KONSTANTIN VO. Porphyrogennetos, de admin. imp. (geschrieben 
‚Jahr 952) cap. 29: . .. Ma xal ta éxsîos Edvn, oi te XpwBétotr xai 
IpBlot xal ZaxAoüpoı xat Tepßouvıntar xai Kavaleïtat xal AtoxAntravoi 
À cl Hayavot, ris Tüv “Poualoy BaotAsias épnviécavtes yeyévaorv ltépuduor 
À airoxépador, tivi ph dnoxsluevor. äprxovtac BE, Ge Paoı, Tata té 
Ivy ph Exsı, rnAhy Courévoucs Yépovtac, xabbçe xai al Acıral 
AaBiviar Exouor Tünov.. .S). 

KONSTANTINS yépovtec sind nichts anderes als die turko- 
tarischen Aksakale („Graubärte®). 

JBRAHfM IBN JAKÜB schreibt im Jahre 973: 

Cap. 1. Die Lande der Slawen ziehen sich hin vom Syrischen Meere bis 
n Ozean nach Norden. Und Stämme des Nordens haben sich eines Teiles be- 
Ichtigt und wohnen bis zu dieser Zeit zwischen ihnen [den Slawen]. Sie (be- 
hen aus) vielzähligen, verschiedenartigen Stämmen ... 


ee 


1) Jo. MEURsII operum vol. VI. ex recensione Jo. Lami. Florentiae 
BG. SCHAFARIK a. a. O. II. S. 665. 

2) PETZHOLDT, a. a. O. S. 316. 

8) Corpus scriptorum hist. Byz. Const. Porph. II. recogn. Bekker. 
nnae 1840, 8. 128. — MIGNE, Patrologiae Cursus completus. Series 
keca posterior, t. CXIII, Parisiis 1864, col. 251. 


318 J. Peisker 


2. Der Kornpreis ist dort [im Reiche Nâkûrs, wohl des Obotridenfürsten 
Nakon, HELMOLD, I. 13] niedrig und das Land ist reich an Pferden, so daß 
davon nach anderen Ländern ausgeführt wird... 

3.... [Das Land Bwjsläws von Frêga, Prag] ist von allen Landen des 
Nordens das beste und an Nahrungsmitteln veichste,; für einen Dinar kaufi 
man soviel Weizen, als ein Mann für einen Monat nötig hat, und um dm 
selben Preis so viel Gerste, als man braucht, um ein Pferd go Tage lang :s 
füttern... Eine bemerkenswerte Erscheinung ist, daß die Bewohner von Böhmen 
von dunkler Hautfarbe sind und schwarze Haare haben. Der blonde Typus kommt 
unter ihnen nur wenig vor. 

Nach ProKoPIıos, Bellum Got. IH. 14 waren die Slawen alle sebr 
groß und stark; ihre Haut- und Haarfarbe weder weiß noch 
blond, auch nicht gerade schwarz, sondern ganz und garröt 
lich: & 88 gopata xal rag xöpas odrs Asuxol dc &yav N Eavdol sloiv obs 
nn dc Tö pélay abrois navisilc tétpantar, AAN brépudpol slorv &ravıs'') 

Die von IBRÂHÎM bezeugte dunkle Hautfarbe und die schwarzen Haare 
der böhmischen Slawen lassen sich leicht aus FREDEGARS Nachricht, cap. 8 
erklären: Die Chunen [Awaren] kamen alljährlich sum Überwintern unir 
die Slawen; sie schliefen bei den Frauen der Slawen und ihren Töchtern, und 
zu den übrigen Mißhandlungen mußten die Slawen den Chunen noch Tri 
zahlen. Die Söhne der Hunnen aber, die diese mit den Weibern und Töckern 
der Wenden erzeugt hatten, crirugen endlich solchen Druck nicht mehr .. und 
begannen... eine Empörung. Der dunkle turkotatarische Einschlag war hie! 
so stark, daß er noch 300 Jahre später dem IBRÂHÎM besonders auffel. 

7. Und im Westen von den Rüs [ist] die Stadt der Weiber. Sie besitzen Länderriet 
und Sklaven. Und sie werden von ihren Sklaven schwanger, und wenn eine vM 
ihnen einen Sohn gebiert, tötet sie ihn. Sie reiten und ziehen in eigener Pers 
in den Krieg und besitsen Mut und Tapferkeit. Es sagt IBRÂHÎM 1BX JAN 
der Jude: Die Nachricht über diese Stadt ist wahr. Ersählt hat sie mir Hua 
der König der Rüm [Kaiser Otto I.]°). 

8. ... /hr [der Awbäba, gemeint wohl die Wolliner] Gebiet ist morastig und 
liegt gegen Nordwesten vom Reich des Mschka [von Polen]. Sie besitzen eine groft 
Stadt am Alter mit zwölf Toren und einem Hafen. Für diesen Hafen haben 5 
treffliche Ordnungen [vgl. die Saga von den Jomswikingern oben, S. 308] .:- 
Ihre Macht ist groß, sie haben keinen König und gehorsamen nicht 
einer einzelnen Person, sondern ihre Machthaber sind ihr! 
Ältesten [= Zupane, Graubärte]. Dies erfuhr IBRÂHÎM in der unmittelbare 
Nachbarschaft, am Hofe Kaiser Ottos I. zu Merseburg und seine Worte deck®® 
sich genau mit denen KONSTAXTINS PorPH. über die Südslawen und VA* 
HÉRYS über die Turkmanen. 


'1) Auch die Germanen waren nicht blond, ExvSoi, flavi, sondern CT TL 
(GALENUS), natili (Tacıtus). Vgl. MÜLLENHOFF, Deutsche Altertumskunde I. 
Die Germania des TACITUS. Berlin 1900, S. 144. 

2) Über die Amazonen siehe oben S. 210 ff. 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 319 


. Im allgemeinen sind die Slawen unverzagt und kriegslustig, und wenn sie nicht 
nander uneinig wären infolge der mannigfaltigen Verzweigung ihrer Stämme 
rsplitterung ihrer Geschlechter, würde kein Volk auf Erden sich an Macht 
ren messen können [bezieht sich doch nur auf die slawisierte Herren- 
, die Zupane]. Die von ihnen bewohnten Länder sind die fruchtbarsten 
ichsten von allen, und sie verlegen sich mit Eifer auf den Ackerbau und 
uf andere Arten von Betriebsamkeit und übertreffen darin alle nordischen 
[bezieht sich auf die slawische Bauernschicht] ... 
„ «Mächtige Stämme aus dem Norden sprechen slawisch infolge ihrer Ver- 
ng mit ihnen. Es sind von diesen die Stämme: die Trikin, die Ankliin, 
schenegen, die Russen und die Khasaren. Welche Völker mit den Trékin 
nkliin gemeint sind, ist noch nicht ermittelt worden; DE GOEJE ver- 
unter den letzteren die Magyaren. 
, Im ganzen Norden ist Hungersnot nicht die Folge des ausbleibenden 
und anhaltender Dürre, sondern des Überflusses an Regen und anhaltenden 
assers. Regenmangel gilt bei ihnen nicht für schädlich, da sie wegen der 
igkeit des Bodens und der großen Kälte davon keine Sorge empfinden, Sie 
n zwei Jahreszeiten, im Sommer und im Frühjahr, und ernten zweimal 
le bauen Sommer- und Winterfrucht an]. Und der grösste Teil 
Ernte besteht aus Hirse... .'). 
HIETMAR, Bischof von Merseburg, + 1019: Ziüs autem omnibus, qui 
miter Liutici vocantur, dominus specialiter non presidet ullus. Unanimi 
» ad placitum suimet necessaria discutientes, in rebus efficiendis omnes 
lant. Si quis vero ex comprovincialibus in placito hiis contradicit, fustibus 
zur et si forinsecus palam resistit, aut omnia incendio et continua depra- 
' perdit, aut in corum presentia pro qualitate sua pecuniae persolvit quanti- 
debitae?). Vgl. dazu die Berichte des Pseudo-CAESARIUS von Nazianz 
AURIKIOS”, und was VAMBÉRY über die Steppenvölker Zentralasiens sagt. 
je Berichte des Pseudo-CAESARIUS, PROKOPIOS’, MAURIKIOS’, Kaiser 
KonsTAnTINn des VII. Porphyrogennetos, IrrÄHuims und THIETMARS, 
h auf ein halbes Jahrtausend erstrecken, nennen hier zwar überall 
Slawen, schildern aber dabei turkotatarische Verhält- 
», und es kostet Mühe zur Feststellung, wo der Türke 
ört und der Slawe anfängt. Es sind eben ethnisch und 
llschaftlich turkoslawische Mischvölker. 


) ABRAHAM JAKOBSENS Bericht über die Slawenländer: Die Geschicht- 
eiber der deutschen Vorzeit. 2. Gesamtausgabe. X. Jahrhundert, 6. Bd. 
kinds Sächsische Geschichten, übersetzt von Schottin. 2. Aufl. Neu 
eitet von WATTENBACH. Leipzig [1891], S. 142 ff.; berichtigt nach IBRA- 
Iex JaAkOBs Reisebericht ü. d. Slawenlande aus dem Jahre 965 von 
VESTBERG in den Mémoires de l’Acad. Imp. des sciences de St.-Péters- 
. VII: ser. Classe hist.-philol. Vol. 3, Nr. 4. 1898. 

2) THIETMAR, Chronicon, VI. 18. 


320 J. Peisker 


Nun haben wir eine stattliche Reihe von Berichten g 
die sämtlich auf eine ausgesprochene Zweischichtung der SI 
mit turkotatarischer Oberschicht hinauslaufen. Dieser Zu 
lebte sich derart ein, daß, wenn er mitunter aufgehört hat 
sich infolge hergebrachter Disposition sogar von neuem bi 

Das letztere war bei allen Balkanslawen der Fall, w 
auf der Halbinsel ein zahlreiches Schafnomadentum, die WI: 
— ohne Zweifel romanisierte Turkotataren —, bereits 
gefunden haben und mit ihnen in einer merkwürdigen Sym 
lebten, worüber eine besondere Abhandlung folgen wird. 

Eine Zweischichtung mit germanischer Oberseh 
haben zuletzt die Waräger Russen behauptet; die slaw 
Bauernschaft war die Smerdenschicht'). 

* * 
x 

Eine uralte, augenscheinlich vorgermanische Zweischiel 
erhielt sich bis in das späte Mittelalter bei den Daleminzie 
Meißen, sowie auch bei einem Teile der Slowenen in Unters 
mark, und was ich darüber vor acht Jahren geschrieben ?), { 
jetzt, aus noch viel älteren Zuständen, die wir soeben ke 
gelernt haben, abgeleitet, volle Bestätigung. 

Bei den Daleminziern sind unter der deutschen Herr 
folgende Volksgruppen wahrnehmbar*): 


1122. homines in quinque | 1181. 1. seniores villarum, 


iustitiis: 1. eldesten lingua sua sup: 
vocant 
2. knechte 2. in equis serviente 
est withasii 
3. zmurde 3. zmurdi 
4, lazze 4. censuales ji 
5. heyen 5. proprii | 


Beide Urkunden halten eine und dieselbe Reihenfolge ein, 


1) PEISKER, Zur Sozialgeschichte Böhmens. Die altslowenische Zu] 
in der Zeitschrift für Sozial-und Wirtschaftsgeschichte V. 1897 3. 3 
im Sonderabdruck 8. 106 ff. 

2) A. a. O. S. 885 (Sonderabdruck S. 99) ff. 

3) Die Belege siehe oben S. 802, Anm. 2. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 321 


diese Übereinstimmung muß einen gewichtigen Grund haben: Es 
liegt hier eine ständige Gliederung der Landbevölkerung vor, bei 
welcher nicht übersehen werden darf, daß nur die ersten drei 
Klassen slawische, auch sonst in ungezählten Urkunden und 
Akten wiederkehrende Bezeichnungen (supani, withasii, smurdi) 
führen, während die Klassen 4 und 5 nirgends slawisch benannt 
werden. 

Nun waren die Smurden, Klasse 3, so vollständig unfrei, 
aller persönlichen und dinglichen Rechte so gänzlich bar, daß 
sie sogar einzeln frei veräußert und ihre Ehen und Familien be- 
liebig gelöst werden konnten. Sie hatten auch gar kein Erb- 
recht‘). An Unfreiheit konnte ihnen somit weder Klasse 4 


1) 1040 schenkt Kaiser Heinrich III. dem Bistum Naumburg mebrere 
Dörfer cum omnibus pertinenciis, appendiciis et utilitatibus suis, videlicet cum 
terris cultis et incultis sive etiam utriusque sexus familiis aldionibus vel smurdis. 
Er versteht also hier unter den Smurden die älteren, im Besitz gelassenen 
slawischen Bewohner. In demselben Jahre verlieh der Kaiser das Dorf Kösen 
um omni Perlinenlia, mancipiis utriusque sexus el colonis, qui vulgo vocantur 
smurdi. 1043 fügte er das fredium Rogas cum omnibus casis, campis, pascuis, 
lois cultis et incullis, mancipiis, zmurdis, lascis, undecunque illuc confluxerint, 
cum omnibus suis pertinentiis et utilitate hinzu, und 1041 schenkte er einem 
Marquard 10 Königshufen in Taucha cum X smurdis et illorum uxoribus filiis- 
Que suis et filiabus, immo cum omnibus suis possessionibus. Im Jahre 1066 
werden dem Bistum Naumburg Güter cum omnibus suis pertinentiis, hoc est 
“riusgue sexus mancipiis: zmurdis videlicet propriisque hominibus, vineis, agris... 
Jorestis, forestariis . . . bestätigt. Nach dem Vergleich Markgraf Konrads 
von Meißen mit dem Bischofe von Naumburg vom Jahre 1144 de singulis 
Mansıs smurdonum quatuor denarii, et de mansis hospilum duo denarii ad usum 
Predicti marchionis persolvantur. Es war dies, nach MEITZEN, die Umwand- 
lung einer von allen Untertanen des Stifts an den Markgrafen bisher in Ge- 
treide entrichteten Abgabe in Geld. Wie hart aber gleichwohl die Lage der 
Smurden sein konnte und ursprünglich zweifellos allgemeiner gewesen war, 
2tigt eine Urkunde von 1174, in welcher der Halberstädter Dompropst Rein- 
hard über den zur Villikation Hecklingen gehörenden Zehnten in Amersleben 

immungen trifft: ... Res litonum, que post mortem ipsorum 
@d usus ecclesie spectare debent, si tantum uno talento appense fuerint, 
fratres ad supplementum prebendarum cas accipiant, si vero amplioris preci 
fuerint, dimidia Pars fratribus, altera pars preposito remaneat.... Mansi et alia 
TUE vacaverint, que discreta dispensacione locanda sint, ad potestatem fratrum 
"es Piciant, cui vel quomodo aut quare ea locare velint. Folgt der Census. He 
‘Mnia dant Sclavi ad reditus prepositi, insuper dantur de banno xxilij sexa- 


322 J. Peisker 


noch Klasse 5 irgendwie nachstehen. Ein Erbrecht erhielten sie 
erst im Jahre 1197 zugleich mit den hien (Klasse 5), wobei 
der Klasse 4, der lazze, censuales, nicht einmal gedacht wird, 
zum Beweise, daß das Erbrecht dieser Klasse 4 gar nicht frag- 
lich gewesen ist, die lazze somit ungleich besser gestellt waren 
als die Smurden, Klasse 3, trotzdem beide, sowohl die Smur- 
den als auch die lazze, in den Urkunden als coloni, liti 
bezeichnet werden, also bestiftet waren. Urkunde 1144 kemnt 
zwei Klassen von Bestifteten, sie spricht von mansis smur- 
donum und von mansis hospitum und belegt einen Smurder- 
mansus mit einer doppelt so hohen Abgabe als den eines hospes. 
Weil aber unter diesen hospites nur Klasse 4, die der lazze, 
censuales, gemeint sein kann so ergibt sich für sie auch in 
dieser Beziehung eine ungleich günstigere Lage als die der 
Smurden war. 

Am deutlichsten wird aber die Lage der iustitia 3, die der 


genaria annone et de vj villis nummus de quolibet hospicio . . . (Codex diplo- 
maticus Anhaltinus hg. v. HEINEMANN I. Dessau 1867—1873, S. 408 f.). 

Unter diesen slawischen litones können nur dieSmurden gemeint sein. 
Dies zur Beleuchtung der Urkunde vom Jahre 1197, in welcher Heinrich VL 
bestätigt, daß er auf Bitten seines Getreuen Rüdiger de Lewenberc: smw- 
lonum [= smurdorum] ef corum, qui dicuntur hien de officio de Waldeck tt à 
officio Hescelini et de offcio Friederici de Frose [also auf kaiserlichen Gütern] 
rigorem iuris relaxavimus, statuentes eis talem iustitiam, qualem habent sims 
et illi, qui dicuntur hien de Fhezere, scilicet ut, quicungue moreretur, heres persohal 
villico iv solidos. Prius enim villici omnem substantiam cor" 
accipiebant, quod nobis videbatur miserabile, unde compacienter talem imptr 
dimus humanitatem eis et posteris corum, ut heres persolvat predicto villio & 
sol. et cum ceteris bonis in pace permaneat. Die ausdrückliche Erwähnung der 
Ehefrauen, Söhne und Töchter als Mitgeschenkten in der Urkunde vom 
Jahre 1041 besagt implicite, daß diese auch zurückbehalten, somit die 
Smurdenehen beliebig gelöst und alle Familienbande gänzlich zerstört werdet 
konnten. Vgl. THIETMAR, Chron. II. cap. 9: ... Schavonicae ritu fomilet 
quae accusata venundando dispergitur. Monumenta Germ. hist. SS. IH. 3.76 
Z. 44 — MEITZEn, a. a. O. II. S. 452 f. — EDUARD OTTO SCHULZE, Die 
Kolonisierung und Germanisierung der Gebiete zwischen Saale und Ele, 
Leipzig 1896, S. 107 (Preisschriften der Jablonowskischen Gesellschaft 
XXXIIT). — PEISKER in der Zeitschrift f. Soz.- und Wirtschaftsgesch. '. 
S. 341 f., im SAbdr. S. 105 f. Die Urkunden abgedruckt in Lersıs, 68 
schichte der Bischöfe von Naumburg I. 201. 203. 205. 207. 221. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 323 


>, censuales, durch die Urkunde vom Jahre 1043 charak- 
rt: predium Rogaz, cum ... mancipiis, zmurdis, lascis, 
unque illud confluxerint. Es fällt auf, daß hier die Reihen- 
der Justitien eine andere ist als in den obigen Urkunden, 
ch 5, 3, 4. Der Grund ist in der Beifügung: undecungue 
confluxerint zu suchen. Diese Bemerkung kann sich näm- 
reder auf Klasse 3, die Smurden, noch auf Klasse 5, die 
, proprii, mancipia beziehen, denn beide sind leibeigen, 
unfähig, die Scholle, an die sie geheftet sind, zu verlassen 
nderswohin confluere,; dies vermögen nur die Hergelaufenen, 
1e Scholle nicht Gebundenen, und dies kann nur die Klasse 
ze, censuales, die iustitia 4 sein‘). Die Verstellung der 
nfolge ist also hier stilistisch begründet. 

mit hätten wir jene Momente beisammen, welche die Lage 
stitia 4, die der lazze, censuales, deutlich kennzeichnen 
ie von den Klassen 3 und 5 scharf abgrenzen: Die lazze, 
ıales, sind hergelaufen, einstweilen persönlich frei; sie ge- 
ı seit jeher ein Erbrecht, welches den Klassen 3 und 5 
pät verliehen wurde, und sind weniger belastet, da sie über- 
icht, wie die Smurden, guotidiano servitio imperata faciunt. 
ie Stufenleiter der fünf Justitien ist also keine Rangstufen- 
. lustitia bedeutet hier keine Rangstufe, sondern Kompetenz, 
lie Leiter ist eine Kompetenzleiter. Klasse 3 (smurdi) ge- 
nit Klasse 1 (supani) und 2 (withasii) vor andere Kompe- 
ı als Klasse 4 (lazze, censuales) und 5 (heyen, proprii), 
wird die ungleich höher stehende Klasse 4 (lazze, censuales) 
efer stehenden Klasse 3 (smurdi) in der Leiter nachgesetzt. 


„Es ist dies die früheste Nachricht, die sich auf das Einströmen vou Ele- 
ı der ackerbauenden Masse im alten Reich deuten ließe, wenn man 
ers die Lassen als Flüchtlinge auffaßt“, bemerkt E. O. SCHULZE 
' Anm 3. Sagt ja HELMOLD, Chronica, I. c. 87 in fine: Zi aucte sunt 
liones in terra Slavorum, eo quod confluerent de terris suis 
nes Teutonici ad incollendam terram spaciosam, fertilem frumento, com- 
! pascuorum ubertate, abundantem pisce et carne et omnibus bonis. Und 
im Jahre 961 schenkt Otto I. dem Erzbistum Magdeburg omnem regionem 
'mgue vocalum Noeletice . .. cum omnibus ad eas pertinentibus ... mancipiis 
onicis et Selavanicis... Monumenta Germ. hist. DD. I. Hanno- 
1884, 4° S. 318, Nr. 232. 


324 J. Peisker 


Man darf eben nicht übersehen, daß die fünf iustitiae die ge- 
samte Landbevölkerung umfaßt haben müssen und die Fremden, 
nämlich dielazze, welche illuc confluxerunt, sowie dieheyen, 
die hergeschleppt wurden, einen ganz anderen Rechtsgang hatten 
als die einheimischen supani, withasii und smurdi. Die heyen 
standen ja auch in Westfalen und Osnabrück unter eigenen 
Scholzen mit einer besonderen, Azensprake genannten Gerichts 
barkeit!), während hier die Smurden mit ihrem zus smurdonum‘) 
der Supanengerichtsbarkeit unterstanden °), dem Grundsatze ge- 





1) KNOTHE a. a. O. S. 33 f. MEITZEN, IL. 451. 

2) 1279 entläßt Burggraf Otto von Kirchberg /ratres de Condixe «x 
ipsorum servitute nobis in iure smurdonum ab anliquo adstrictos ... datwris 
ipsos singulis annis solidum denariorum. MEITZEM, II. 453. 

3) 1276 behält sich Graf Konrad von Brehna beim Verkauf der Ober- 
gerichtsbarkeit von fünf Dörfern vor, guod tres seniores [= supani] corum 
villarum ad iudicium ipsius comilis Vicin ter in anno eant, eiusque iudicii sententies 
dictent. Bei dem Landgerichte zu Bautzen aber bestand eine besondere At 
teilung für Bauersachen, das „wendische Landgericht“. Seine Schöppen, vol 
denen nur zwei Bauern, und zwar wendische, waren, werden in einer Urkunde 
von 1436 als Starosten bezeichnet (KNOTHE a. a. 0. 8.10 f.). Der Ausdruck 
entspricht — wie MEITZEN II. S. 242 hervorhebt — dem Sinne nach de 
seniores, eldesten [= supani]. 

In der Gerichtssprache für Anhalt und Nienburg a. S. wurde das Wer 
dische erst im Jahre 1293 abgeschafft: 

1293 ... Nachdem durch Verenderung der Sprachen der Baw zu Bab 
verhindert worden und große Ungelegenheit gibt sweyerley Sprachen unter 4 
Unterthanen, daher auch viel Dörfer ledig liegen bleiben und wüste werden, & 
vergleichen sich hochgedachte Fürsten [Graf Albert I. und Bernhard II. von Ar 
halt] mit Conrado dem Apte zu Nienburgk und geben ihm für die verwästlt 
Dörfer zu Wiedererbauung deroselbigen go Mark ... mit dem Beschcidt, dp 
die Wendische Sprach gentzlich sol ausgelassen und nicht mehr, sondern allein die 
Teutsche Sprache in den Gerichten... gebraucht werden. .. Der Text die! 
Urkunde ist nicht zu ermitteln. — Codex diplomaticus Anhaltinus. Hers’* 
gegeben von Heinemann. II. Dessau 1875, S. 528. 

Dasselbe soll für Leipzig 1327 geschehen sein (MEITZEN, IL $. 22). 
Der Mitherausgeber des Codex dipl. Saxoniae Regiae, H. ERMISCH, teit 
mir gütigst mit: ,Eine Urkunde von 1327, die die oft wiederholte Angie 
über die Abschaffung der wendischen Sprache bestätigte, gibt es allem Ar 
scheine nach nicht; die Angabe schreibt ein Autor dem andern nach — ® 
wäre interessant, ihrer Quelle nachzugehen ...“ Ich konnte sie nur bis zU® 
Jahre 1820 verfolgen: „Landgraf Friedrich mit der gebissenen Wangt zerbel 
[seinen Altenburger Wenden] 1727 dei Lebensstrafe wendisch su sprechen odır ”" 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 325 


Aÿ, daß außer bei handhafter Tat der Sachse nicht über den 
enden, der Wende nicht über den Sachsen Urteil finden durfte’). 
» mußte also — sagt E. O. SCHULZE — über deutsche und 
endische Sachen getrennt, vor besonderer Schöffenbank, ver- 
andelt werden, so daß es nicht überraschen kann, wenn von 
legitima iura Slavorum“, „placita Slavorum“, „advocati Slavorum“ 
ie Rede ist, und wenn dort, wo die Wenden zahlreich und lange 
ch behaupteten, der Gebrauch der wendischen Sprache vor Ge- 
cht sich bis in das 15. Jahrhundert erhielt ?). 

Die fünf iustitiae sind somit zu trennen, und dies geht nicht 
nders, als daß wir bloß die ersten drei, die der supani, withasii, 
murdi, als in der Kompetenz des wendischen Rechtes, des ius 
‘lauonicum, dagegen die ungleich höher als die Smurden stehen- 
en lazze, censuales, und die den Smurden gleich tief stehenden 
eyen, proprii, mancipia als außerhalb dieser Kompetenz stehend 
nnehmen. 

Wir sehen, die einheimischen Quellen reichen zu einiger Auf- 
ellung der sozialen Gliederung hin, und es ist nicht nötig, dazu 
uswärtige Zustände zum Vergleiche heranzuziehen; so etwas ist 
ekanntlich immet sehr mißlich und so viel als nur möglich zu 





richte sich dieser Sprache zu bedienen. Auch wurden alle Wenden für unfähig 
rklärt, öffentliche Ämter und Ehrenstellen zu verwalten, ja sie durften nicht ein- 
ul ein Handwerk erlernen.“ SCHMALZ, Erfahrungen im Gebiete der Land- 
irthechaft. IV. Die altenburgsche Landwirthschaft, Leipzig 1820, S. 16. 

Viel später in Schlesien: 1495 befahl Bischof Johann von Breslau seinen 
och slawisch redenden Bauern, binnen 5 Jahren deutsch zu lernen, widrigen- 
als er sie fortjagen wollte: Do durch sy sich mit Deutschenn undsern Amacht- 
fulenn nicht anders, den durch Tolmetschen beredenn und yre Notdorf vorbrengen 
Onnen, hot seine fürstliche Gnade mit denselben Woitzern dy do von Polnischer 
unge sein und der bisher gebraucht habenn, vorschafft, das sy innerhalb fünf 
Foren, itzt noch enander erfoigend, deutscher Sproch üben, reden und der forter 
Under kabenn würdenn, dy sollen durch yre Eldern angehaltenn werdenn, das 
Je zum ersten Deutsch wol lernen. So aber ir keiner aufs gemelten Woitzitzern 
uch seiner Gnoden Gebot unnd deutsche Spruch zu lernen vorachten würde, den 
ol seine Gnade aldo unnd anderswo unnder am nicht doldenn, sunder von dann 
nn LANGETHAL, Gesch. d. teutschen Landwirthschaft, II. Jena 1850, 
. 179, 

1) Sachsenspiegel, Landrecht ID. 70, $$ 1—2. Auch Richtsteig 
“Andrechts 50 $ 10. 

2) EDUARD OTTO SCHULZE a. a. O. S. 99 f. 


326 J. Peisker 


vermeiden, weil sich derlei Verhältnisse in verschiedenen Staats- 
wesen fast nie gleichmäßig gestalten; um so verfehlter wirkt noch 
die Parallele, wenn man zur Erklärung eine auswärtige Institution 
heranzieht, welche selbst noch unerforscht, sogar viel dunkler 
ist als das zu Erklärende. Und es kann nicht oft und laut 
genug betont werden, daß zur Erschließung der elbeslawischen, 
polabischen Volkszustände namentlich die polnischen, schlesischen 
und böhmischen Einrichtungen ganz unverwendbar sind. Einmal, 
in vorhistorischer, nicht ergründbarer Zeit, standen sie gewiß 
einander nahe; die deutsche Eroberung unterband aber die Ent- 
wicklung der Elbeslawen vollständig, während sich die polnischen, 
schlesischen und böhmischen Slawen von dieser Seite ungehinderter 
entwickeln konnten und gerade um diese Zeit ungeheuer ent- 
wickelt haben. Die Supane, Withasen und Smurden kommen 
dort in dieser Form gar nicht vor, die einstige Supano-Smurder- 
verfassung dieser Länder gehört in vorgeschichtliche Zeiten; 
sie war damals bereits gänzlich ausgelebt, geradezu spurlos 
verschwunden. Und was aus ihr in mehr oder weniger orga- 
nischer Entwicklung sich herangebildet hat, das steht den pola- 
bischen Zuständen wildfremd gegenüber. Man lasse daher bei 
Besprechung der elbeslawischen gesellschaftlichen Verhältnis 
die polnischen, schlesischen und böhmischen Quasianalogien 
hübsch beiseite, denn man weiß von dem Wesen der Opolebauern, 
smardi, heredes censuarii, Kmeten, decimi, narocznici, milites medil 
u. 8. w.u.8. w. noch herzlich wenig, jedenfalls viel weniger als von 
den fünf iustitiae in Polabien zur Zeit der deutschen Herrschaft. 
Und wenn man schon Analogien zu den polabischen Verbält- 
nissen nicht entbehren will, so suche man sie wenigstens dor, 
wo solche Volksklassen tatsächlich auch vorkommen. Die Smer- 
den z. B. sind im alten Rußland die Gesamtheit der [persönlich 
freien] slawischen Bauernschaft ‘) und fordern weit eher einen Ver- 
gleich mit den Smurden der Daleminzier heraus, als irgendeine 
schlesisch-polnische oder böhmische Volksklasse. 


1) CeprteBu4», Pycckia mpuumueckia npesaocrtn. I. C.-IIerepöyp!> 
1890, S. 165, in der 2. Aufl. 1902, S. 178 ff.; im Auszuge bei Pkiısker, Zeit 
schrift f. Soz.- und Wirtschaftsgesch. V. 1897, S. 842 ff., im Sondersbärack 
S. 106 ff. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 327 


ısere Analyse der fünf iustitiae führte zur Annahme, 
lie Smurden als die breite Masse der daleminzischen 
nschaft anzusehen!), während die lazze, censuales, erst 
nd der deutschen Herrschaft Hergekommene sind, infolge- 
ı keinen slawischen Namen haben können. Dazu ist dann 
be Verhältnis der russischen Smerden ein vollgewichtiges 
gon. Daß aber die daleminzischen Smurden leibeigen, da- 
die russischen Smerden persönlich frei sind, erklärt sich 
die Niederwerfung der Daleminzier durch die Deutschen 
lie freiwillige, vielleicht sogar vertragsmäßige Unterwerfung 
ıssischen Slawen unter die Waräger Russen, deren früheres 
ie soeben abgeschüttelt haben (siehe oben S. 295). Die volk- 
n russischen Slawen nahmen die Herrschaft einer ver- 
ndend kleinen Herrenschar auf sich, während die geringen 
hen der Elbeslawen einzeln, infolge ihrer verzweifelten Auf- 
> unter der ungeheuren Wucht der deutschen Weltherrschaft 
immer tiefer sanken. Ob jedoch die polabischen Smurden 


1057 bekundet Erzbischof Anno II. von Köln, daß Königin Richeza 
hloB Salfeld und was sie zu Orla besessen, der Kölnischen Kirche ge- 
thabe. Tradidit guogue domina Regina... seruientes .... omnes utriusque 

ad hec predia pertinentia ... sub censu duorum denariorum annis singulis 
us ipsi et omnis posterilas ecorum sub ea lege permancant, que omnes similem 
: ad altare soluunt. Illud quoque firma ratione constituens, ut liberis 
mordis, uenatoribus siue cuiuscumque generis hominibus ad hanc 
tionem pertinentibus [permaneant], que suis temporibus iura et optimas 
udines habuisse probare poterint (Urkundenbuch für die Geschichte 
ederrheins, herausgegeben von LACOMBLET, I. Düsseldorf 1840, S. 124, 
2). Oben lernten wir schon den Vergleich Markgraf Konrads von 
ı mit dem Bischofe von Naumburg vom Jahre 1144 kennen: de singulis 
smurdonum quatuor denarii et de mansis hospitum duo denarii ad usum ... 
onis persoluantur (Codex dipl. Saxoniae Regiae I. 2. S. 118 Nr. 167). 
iesen und auch mehreren anderen Urkunden schließt auch HEINR. LEO 
suchungen zur Besiedlung und Wirtschaftsgeschichte des Thüringischen 
indes, Leipzig 1900, S. 42, bildet das 3. Heft des VI. Bandes der Leip- 
' Studien aus dem Gebiete der Geschichte), daß der Name Smurden 
ilen als Bezeichnung für den Gesamtteil der slawischen Untertanen ge- 
t wird, während nirgends noch außerdem eine breite Schicht acker- 
ler höriger Bevölkerung nachzuweisen ist“. Daß auch in Rußland die 
theit der [persönlich freien] slawischen Bauernschaft Smerden genannt 
‚ haben wir bereits gehört. 


328 J. Peisker 


vor der deutschen Unterjochung cbenso oder weniger frei, wie die 
russischen Smerden, gewesen sind, bleibt eine offene Frage. 

Nun glauben wir die Annahme hinreichend begründet zu 
haben, daß die Deutschen bei den Daleminziern drei Volks 
klassen vorgefunden haben: die Supane, die Withasen und die 
Smurden. Davon scheiden die Withasen, der Berufskriegerstand, 
als ein späteres Einschiebsel ’) aus, so daß wir dann nur die 
zwei Klassen: die Supane und die Smurden, als die erkennbar 
einzigen ältesten Bestände der Daleminzier vor uns hätten. Da- 
durch wären wir aber auch in die Vorzeit so weit vorgedrungen, 
daß wir organische Zusammenhänge der Gliederung der Dale- 
minzier in Supane und Smurden mit den altslawischen Zuständen 
erwarten können, wie diese aus den vielfachen und abwechselnden 
Knechtungen durch turkotatarische Reiterhirten- und germ- 
nische Viehzüchtervölker herausgewachsen sind. 

Das Ergebnis für die altslawische Vorzeit lautet kurz: die 
slawische Bauernschicht wird von einer nichtslawischen Schicht 
von Reiterhirten oder von einfachen Viehzüchtern als Herrenschicht 
beherrscht. Läßt sich diese Herrenschicht mitten unter den unter 
worfenen Slawen nieder, dann entstehen Weidereviere, und 
die heißen Zupen (sing. #vpa). Zupan, supanus, ist jeder 
Angehörige der Herrenschicht einer Zupa°). Das Weiderevier, 
die Zupa, liegt in bestimmten Konfinien, ist somit zugleich Ver- 
waltungsbezirk, Gau. 

Das Verhältnis der Herrenschicht zu der Bauernschicht kam 
in zwei Formen gedacht werden: Entweder steht Schicht gegen 
Schicht, so daß nicht der einzelne Bauer einem einzelnen Hem 
hörig ist, sondern die Gesamtheit der Gesamtheit. Oder jeder 
Bauer hat einen bestimmten Herrn. Die letztere Form wohn! 
ganz gewiß der germanischen Herrschaft inne, während die 
erstere der Lebensweise der turkotatarischen Nomadenhorden 
entspricht, welche immerfort wandern, heute die, morgen eint 
andere bäuerliche Ansiedlung heimsuchend. Und hat eine Horde 
eine Ansiedlung verlassen, rückt eine zweite nach, sobald sich 
der abgeweidete Platz einigermaßen erholt hat. Bei einem soleben 


1) Siehe oben S. 302. 
2) Siehe oben S. 290. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 329 


echsel und Tausch der Weideplätze konnte sich eine Abhängig- 
it von Person zu Person gar nicht entwickeln, es blieb bei der 
hängigkeit von Schicht zu Schicht. 


Ob diese Form, Schicht gegen Schicht, dereinst auch bei den 
leminziern bestanden hat, läßt sich mangels an Quellen nicht 
‘hweisen, ist aber wahrscheinlich, weil sie, wie wir sehen 
rden, bei den Slowenen Untersteiermarks — bei denen ähn- 
ıe Verhältnisse offenkundig sind — nachweislich vorhanden 
r. Über die Stellung der daleminzischen Zupane selbst 
an jedoch kein Zweifel bestehen. Sie waren zur Slawenzeit 
'undherren, denn sie werden auch noch in der spätesten 
it, als sie schon längst unter der deutschen Herrschaft hörig 
worden sind, seniores genannt, und das kann eben nichts 
deres bedeuten als Grund-, Lehensherren'). Nach der Unter- 
rfung durch das Deutsche Reich verloren sie wohl den größten 
il ihrer Herrschaft, qualitativ und quantitativ, nicht aber alles, 
d es ist gewiß ganz verfehlt, sie schon für die ersten Zeiten 
t deutschen Herrschaft für bloße Dorfvorsteher mit richterlichen 
d administrativen Befugnissen zu erklären; denn sie sind so 
ilreich und die Dörfer so klein, daß es von seiten der Deutschen 
; reinste Verschwendung gewesen wäre, so viele „Vorsteher“ 
zustellen, so viele Supanenhuben unverzinst oder wenig ver- 
st zu lassen; es ist vielmehr anzunehmen, daß die Zupane, 
nigstens in der ersten Zeit der deutschen Herrschaft, gewisse 
istungen von den ihnen unterstehenden Smurden weiterbezogen 
ben. 
* * 
x 

Viel deutlicher als in Daleminzien liegen die Verhältnisse in 
tersteiermark ?); diesen kann man dank dem reichen Material 
rar statistisch beikommen: 


mm 





1) Noch THIETMAR von Merseburg II. 24 bezeichnet den Häuptling der 
nden in Zwenkau zur Zeit Ottos des Großen als senior, also mit einem 
sdruck, der bei ihm fast stets synonym ist mit dominus oder princeps. 
0. SCHULZE, S. 106. 

2) Ausführlich behandelte ich den Gegenstand in der Zeitschrift für 
dal. und Wirtschaftsgeschichte V. 1897, S. 851 (im Sonderabdruck 115) ff. 


330 J. Peisker 


Nach dem Rationarium Stirie v. J. 1265—1267 !) ge- 
hörte zu den landesfürstlichen Gütern auch das geschlossene 
officium de Tyuer (heute Alt-Tüffer, slowen. Debro, südlich 
von Cilli). Es bestand aus vier Verwaltungsbezirken, provinciae, 
schephonatus, mit je einem schepho an der Spitze, und innerhalb 
jeder provincia werden die einzelnen Ortschaften mit der Zall 
ihrer praedia (Huben) angeführt. Mit wenigen Ausnahmen steht 
an der Spitze einer jeden, auch der kleinsten Ortschaft ein Zupan, 
supanus; wie viele praedia er selbst besitzt, wird jedoch nirgends 
im officium Tyuer ausdrücklich angegeben, denn es ist selbstver- 
ständlich, daß er immer und überall je ein Zweihübner ist, wie 
auf den übrigen, im Rationarium verzeichneten Herrschaften‘). 
Auch der Zupan ist zinspflichtig, und nur jene vier Zupane, 
welche ad personam mit dem Amte eines schepho betraut sind, 
zinsen nicht. Bei dieser Gelegenheit erfahren wir nun indirekt, 
daß das Gut eines Zupan tatsächlich zweihubig war”). 

Die Zinsungen sind nicht in allen, sondern immer nur in 
mehreren Ortschaften gleich hoch und werden infolgedessen bei 
jeder solchen Gruppe von gleichzinsenden Ortschaften summarisch 
angeführt, abgesondert für die Bauern- und für die Zupaner- 
wirtschaften, weil der Zupan nach einem ganz anderen Schlüsse 
zinst. 

Die erste Gruppe der ersten provincia, der sub regimine 
schephonis Gyrredei*), umfaßt 7 Ortschaften (Chreinen-Scheyr) 
mit 2,2,2,3,2,2,3 praedia und mit je einem Zupan. Der Zupar 
von Scheyr ist zugleich der schepho der provincia. Zusamme 
umfassen die 7 Ortschaften 30 praedia (16 bäuerliche und 14 


1) Fehlerhaft abgedruckt in Rerum Austriacarum Scriptores, edidi 
A. RaucH, vol. U. Vindobonae 1793, S. 114 ff.; ich folge dem von Archit* 
direktor v. ZAHN kollationierten Exemplar der Grazer Landesbibliothek an 
Joanneum. 

2) Die ständige Formel lautet: In villa x sunt y predia, de quibus st 
panus habet jj. 

3) Damals waren mit dem Amte eines schepho die Zupane von Scheff, 
Weidiz, Pirch betraut, und bei jeder dieser Ortschaften steht die Bemerkun' 
Jbidem habet schepho ij predia, de quibus nichil solvit. Der Sitz des vierte 
schepho ist nicht angegeben. RAUCH, a. a. O. S. 128. 181. 132. 

4) RAUCH, II. S. 127—129. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 331 


\ der 7 Zupane), und weil das praedium eines colonus 
ıglich nur einer Bauernfamilie zugewiesen war, so muß 
> Zeit gegeben haben, in welcher hier annähernd jede 
Familie eine Zupanenfamilie gewesen ist. In 5 von den 
chaften ist eine ganze Hälfte des ausgetanen Bodens 


ngut. 
- Zupane sind hier so zahlreich und im Vergleich zu den 
unterstehenden Bauern so außerordentlich stark begütert, 
unzulässig ist, in ihnen lediglich Dorfschulzen oder gar 
ıaftsbeamte zu erblicken. Kann man ja bei diesen Ort- 
n ob ihrer Kleinheit von Dörfern gar nicht sprechen, 
inmal recht von Weilern, sondern von einer Art Ortsver- 
en, deren Wesen keinesfalls verwaltlicher, vielmehr wirt- 
cher Natur sein konnte, weil eine Dreifamilienortschaft 
Zupan eingerechnet! — einer besonderen und noch dazu 
h dotierten Verwaltung gar nicht bedarf. Und wie erst 
m Orte, wo der Zupan bloß einen einzigen!) oder gar 
Bauer?) unter sich hatte, ganz allein im Orte saß! Über- 


tem iuxta aquam, que dicitur Trevol i predium et supanus (in der zweiten 
ı, de Trevül, ex regimine Livtoldi schephonis). RAUCH, I. 180. 
Polsenperg i predium et supanus (in der vierten provincia, de regimine 
is Zaschirz). RAUCH, IL S. 132. 
tem in Zeltz tantummodo supanus (in der dritten provincia, ex regimine 
is Jurizla. Rauch, IL S. 131. 
dieser Gelegenheit möchte ich auf ein Mißverständnis eingehen, welches 
ine unklare Fassung im Rationarium verursacht worden ist. Dieses 
‚nämlich über die Praedia im Bachergebirge und im Marburger Felde 
n Seiten der Drau: 
‘anus Pocher aput Hermannum xij mansi. Quilibet v metretas 
num modium [= 6 metretae] avene et xii denarios. Computale denarii 
s [d. i. von den 12 mansi zusammen 12 Denare]. — Janso xij mansi 
su. — Adelper xuiij mansi simili censu. — In Vogtwin Wichar- 
j mansi simili censu. — Aput supanum leben xiij [= 12'J,] mansi 
nsu. — Zrala xj mansi. Quilibet iijer metretas tritici el unum 
avene, el xij denarios. — Perhtoldus institor xvii mansi simili censu. 
'vicus suppanus xvj mansi simili censu. — Ad Perhtoldum altera 
msnitz xviiij mansi simili censu. — Aput Jurisse vj mansi. Ilqui- 
[= /+] modium tritici et unum modium avene et xii denarios. — Aput 
tv) mansi simili censu. — Ad Laurentium vj mansi simili censu. — 
)emasen v mansi simili censu. — Aput Domamer viij mansi. Quili- 


jabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 2 
pa 


332 J. Peisker 


dies gibt es auch Ortschaften mit je zwei Zupanen. So in Prume 
mit 7 Huben, davon 6 besetzt. Von diesen sechs duo suppani 


bet ij metretas tritici et j modium avene et vj denarios. — Aput Batsen ti 
mansi simili censu. — In Chestenpach xij mansi simili censu, exceptis denariis. 
— Supanus Ulricus habet v mansos, serviunt sicut Domamer. — Supansı 
Stoyn iüij mansos, serviunt sicut Domamer . .. 

Summa Pocher. Summa Urbarum [= hubarum] cxcij [h]uöe. 

Supra Pocher. Summa tritici cxxvj modii. Summa avene clxxe [= 114") 
modii. Summa denariorum xij marce et iij solidi et xv denarii. RAUCH, IL 
S. 172 f.) 

Fr. v. KROKES, Verfassung und Verwaltung der Mark und des Herzogthuns 
Steier, Graz 1897, S. 442, sieht „da Supane von bedeutendem Grundbesits 
und entsprechenden Zinsen“. Und S. 448: „Die besonders in der Marburger 
Gegend am Bacher angeführten Supane von bedeutendem Grundbesitz bilden 
eine besondere Gruppe, die somit als zinsende Großbauern erscheinen.® 

Das ist ein MiBverständnis. Sufanus Pocher aput Hermannum x 
mansi bedeutet nicht: 12 Huben des Zupan „am Bacher bei Herman‘, 
denn aput Hermannum und die weiteren Personennamen sind hier zugleich als 
Ortsnamen zu verstehen; bei jeder Ortschaft wird hier eben der Zupan, oder 
der magister villae, iudex angeführt, und daneben die Zahl der bestifteten 
Huben genannt. Solche Fälle sind im Rationarium ungezählt, und gleich 
drei Seiten zuvor lesen wir: /Lem apud Welygoy xix mansus.... apud Lamkr- 
lum xxiij mansus 0.8. w. Aus solchen af“d xy entstehen dann mit der Zeit 
regelrechte Ortsnamen, hier und auch sonst in den Slawenländern. So er- 
hielt 1268 das Zisterzienserstift Goldenkron mehrere Dörfer im Böhmerwalde, 
darunter ©’ Gerc, U Mladone, U Yanka, U Dirka, U Mita, also apud Jirek 
apud Mladon, apud Janek, apud Jurik, ad theloneum, welce 
im Jahre 1284 $ercenzlag, Budeczlag (Plattetschlag), Senkezlag (Janketschlag) 
Jurizlag, Muczstat (Mautstatt) genannt werden (EMLER, Regesta Bohemist 
II. Nr. 608 und 1309). Die Ortsnamen der zweiten Urkunde sind Kanzler 
namen, die großenteils auf dem Papier blieben, während das Volk selbständig 
vorging und manche seiner eigenen Wortbildungen schließlich durchsetstt. 
So führt die zweite Urkunde auch den Ortsnamen ZDietohslag, welcher sich 
unter den Dörfern der ersten Urkunde nicht ermitteln lässt und U Dictohe 
apud Dietoch lauten würde. Das Volk nahm aber den Kanzleiname 
Dietohzlag nicht an, sondern bildete aus Ditochov, wie der Ort später genan! 
wurde, die Form Zichtihöfen und so heißt das Dorf (wsw. von Krumail 
bis zum heutigen Tage. 

Solange ein Ortsname schriftlich nicht fest genug fixiert ist und dem 
Volke amtlich nicht oft genug vorgesagt wird, ist er vor Änderungen, jt 
auch vor gänzlichem Untergang nicht gesichert. Dies gilt besonders vt 
jenen, welche von Personennamen abgeleitet sind, auch von den sogenannte 
Patronymicis, die man ganz willkürlich und fälschlich auf Sippennamt 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 333 


abent kubas iiij, also */s (siehe unten S. 348). — In einer Krainer 
Irkunde von 1274 lesen wir: ... suppanus ... Petrus et Ekke- 
tardus suppanus eciam de Holaren, item Waltherus suppanus 
..de villa Vitigos ... item suppanus Merti ibidem ... Dazu 
jemerkt LEvEC: „In zwei Dörfern (Holaren und villa Vitigos) 


mrückführt. Die aus Personennamen entstandenen gehen auf den Gründer 
»ler einen dereinstigen Besitzer oder Ortsvorsteher zurück und nicht selten 
nit diesem gleichzeitig ein, dem Namen des Nachfolgers weichend, z. B.: 

1306 ... Boleslaus dux Slesie ... quod ... Lucas, filius quondam Dom i- 
Hai et uxor ...de hereditate ipsorum Lukaschowicz dicta, que olim Dom- 
Hawics vocabatur...decem mansos ... vendiderunt . .. (MEITZEN, Urkunden 
schlesischer Dörfer, Breslau 1863, S. 5; im Codex diplomatious Silesiae IV). 
Solange hier Domislaw Grundherr war, hieß das Dorf Domslawice, 
unter seinem Sohne Lukasz, mutato nomine, Lukaszowice, und, von Ur- 
barbüchern fixiert, verblieb dieser Name bis heute (Luggwitz, nicht Domslau!). 

Und so kommt es, daß man von den alten Ortschaften viele gar nicht 
mehr finden kann und glaubt, sie wären verschwunden. In vielen Fällen 
ist es jedoch nicht richtig, sie haben bloß den Namen gewechselt, manche 
Ortschaft sogar mehrmals. Der Besitzer oder der Vorsteher nahm einfach 
ıuch den von ihm abgeleiteten Ortsnamen mit ins Grab. Daher lassen sich 
such die Ortschaften ... aput Hermannum xii mansi, ... aput supa- 
oum Jeben heute nicht mehr ermitteln, und obzwar hier nur Personen ge- 
nannt werden, sind es dennoch echte Ortsnamen. [Nachtrag. Hofrat v. 
Luscxix : Ist noch heutzutage in der Umgebung von Graz der Fall: Sparbers- 
dach heilt Hallerschlössel, Kroisbach im Volksmunde das Baier- 
schlössel u. s. w.] Der Supanus Pocher aput Hermannum, Supanus 
leben u. 8. w. sind keine „Großbauern“, sondern einfache, zweihubige Zupane 
wie die sonstigen im Rationarium. 

Dabei ist noch zu bemerken, daß die großen Dörfer des Marburger 
geradeso wie die des Pettauer Feldes erst unter der deutschen Herrschaft 
entstanden sind. Dies zeigt schon die Anlage der Dorfmarken, und bei ein- 
zelnen kann es auch urkundlich nachgewiesen werden. 

Jetzt noch einiges über fünf Zupane im Officium Ratkerspurg: Supanus 
Grincho. Supanus Waltschin. Supanus Cursay. Supanus Iwanz. Supanus Zlaton. 
Supanus Droget. quarum villarum redditus denariorum tamen solventes ignoro ... 

Summa totalis prediorum de officio Katgerspurch ccchv et supani xxxili preter 

Hos sex supanos antescriptos Chrinko et ceteros. RAUCH, IL. S. 126. 
Es sind dies keineswegs Zupane ohne irgendeine Bauernschaft, wie wir 
M Zeitz, tantummodo supanus [am Anfange dieser Anmerkung], einen wahr- 
senommen haben, sondern Ortschaften, von denen dem inventierenden Nota- 
Aus bloB die Zupane, nicht aber die diesen unterstehenden Bauern und 
die Zinsungen zur Kenntnis gelangten. Auch hier sind die Personennamen 
Ührincho, Waltschin u. s. w. zugleich Ortsnamen! 


334 J. Peisker 


werden hier je zwei Supanen angeführt; sie können also keines 
wegs etwa richterliche oder wirtschaftliche Beamte gewesen sein 
denn was hätten zwei solche in einem Dorfe, wie Holaren, da 
nur 11 Hufen zählte, zu richten gehabt!“ }). 

Nicht jede Ortschaft des officium Tüffer steht unter einem 
Zupan. So gleich in der ersten provincia, der sub regimine 
schephonis Gyrredei: 

Item in Zuchdol iii] predia carent supano ... Item in Slage v 
predia ... Item in Lokke inferiori itij predia. Item in Lokke 
superiori vj predia. Census vero tllorum iii] mensure tritii 
et avene vj. Alia non solvunt, quia sunt de proprietate prix- 
cipis et serviunt alia servitia. Item in Gelowe superiori tt 
inferiori x1 predia supano carentia ... Item in Hinderberge sin 
predia ...?). 

Diese predia sxpano carentia der Provinz des schepho Gyrredei 
unterstanden ebensowenig wie die de proprietate principis irgend- 
einem Zupan, denn sonst müßte im Rationarium irgendeine ent 
sprechende Andeutung, etwa „spectant ad supanum in...“ oder 
dergleichen vorkommen. Und dennoch müssen diese 6 Ortschaften 
mit 44 Huben irgendeine Vorstehung gehabt haben. Welche, 
sagt die Summa (Rauch Il. S. 129): 

Hec predicta sunt sub regimine schephonis Gyrredei, quorum 
summa est lxxzzüij [falsch gezählt!), de guidus xzlii 
respiciunt in Sibenekke... Dal hier statt 44 nur 43 Huber 
gezählt werden, ist einer der vielen Rechenfehler des Rati- 
nariums. 

1) WI. LEVEC, Pettauer Studien, in den Mitteilungen d. Anthropol 
Gesellschaft in Wien. Bd. XXXV, 1905, 8. 72. 

2) Rauch, D. S. 128f. — Ebenso in der dritten provincia des Offciun 
Tüffer, apud aquam, que dicitur Schoma, ex regimine schephonis Juris: 
... Item in Toplits iij predia sine supano, quem non habet. Item in Wis 
ij predia et non habent supanum... Item in Swarsenprunne ij predis « 
non habent supanum... Item in Dornberch viij predia preter supanum. (S. 131.} 

Dasselbe in der vierten provincia, de regimine schephonis Zaschift: 
„.. Item in Haslach v predia et non habent supanum. Item in Dahsenperi“ 
superiori vij predia et non habent supanum. Item in Dahsenperge inferieri if 
Predia et non habent supanum... Item in Torischendorf unum predium si 
supano, guem non habet. Desgleichen in Tal maior und minor, Sleife und 
Markowitz. (S. 132.) 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 335 


Die sieben Ortschaften, in denen kein Zupan war, hatten 
omit eine abgesonderte Verwaltung von der Burg Sibenekke 
us. Die Bemerkung: guia sunt de proprietate principtis besagt, 
laß die Ortschaften mit Zupanen nicht so ohne weiteres de pro- 
rietate principis sind; demnach besaß der Zupan irgendwelche, 
venn auch beschränkte Proprietätstitel an der Ortschaft, der 
:r vorstand. 


Wollen wir diesem Proprietätstitel nachgehen, zuvor aber im 
Auge behalten, daß hier der Zupan schon aus dem Grunde 
xeineswegs als bloßer grundherrlicher Ortsvorstand, Richter, 
Schulze ist, weil er, wie wir bereits vernommen haben, in zahl- 
reichen Fällen nur zwei, in zwei Fällen nur Einen colonus unter 
sich hat, in einem Fall sogar ganz allein, ohne irgendeinen colonus 
im Orte sitzt, und so gab es dort herzlich wenig, hier gar nichts 
zu richten. 

Das officium Tüffer ist ein sehr bewaldetes Hügelland. Laub- 
holz (Buche und Eiche) überwiegt im Osten, Nadelholz im Westen. 
Das Klima ist rauh, in den Tälern mehr feucht, auf den Bergen 
trocken. Tau ist reichlich, Hagel und Überschwemmung nicht 
selten. So wurde das nahe hochstiftlich salzburgische officium 
Rann anfangs des 14. Jahrhunderts durch Wasserfluten so furcht- 
bar verheert, daß von den 448 ausgetanen Huben im Jahre 1309 
bloß 129 besetzt waren und 319, somit 71°/, wüst lagen !). 

Wie so ein Wolkenbruch so viele Huben derart zerstören 
kann, daß die Bauernschaft gar nicht zurückkehrt, läßt sich nach 
unseren heutigen Begriffen schwer vorstellen, denn wenn auch 
die Gebäude mitsamt den Vorräten weggeschwemmt werden, 
Können doch die Felder nicht so gänzlich zugrunde gerichtet 
sein. Oder waren die Häuser mit Vorräten die Haupt- und die 
Felder eine Nebensache? So undenkbar wäre dies nicht, denn 


— 





li Liber predialis vrborie ecclesie Salzburgensis in Rayn et Lihten- 
walde conscriptus ... anno... 1809. Original im Staatsarchiv zu Wien 
(Hs. 862). Nach einer Abschrift des Landesarchivs zu Graz (Sign. 3794) zum 
Teil abgedruckt bei PEISKER, a. a. O. S. 361 (128) und 363 (125). — Daß 
die Verwüstung durch einen ungeheuren Wolkenbruch geschah, ergibt die 
Stelle: In Potatschach sunt hube xiiij, quarum vj iacent in monte. Harum due 
Sun possesse. ., 


336 J. Peisker 


an permanenten Äckern gab es überhaupt sehr wenig in der 
Gegend um das Jahr 1309: 

In Stanonik sunt hube viiij iure dimidio, quarum 111] sun 
possesse, harum suppanus habet ij. Folgt das Schema der 
Zinsungen für das ganze officium Rayn ... ef villa, que habe 
aratrum, tenetur arare officiali dies tres, unam in vere et duos 
in autumpno, et tota villa tenetur ad prandia 1tij official... 

In superiori Pyrch sunt hube iij iure medio, quarum suppanus 
habet ij ... Folgt das Schema der Zinsungen für alle Ort- 
schaften des officium in Lihtenwalde ... ef omnes coloni cum 
suppano tenentur officiali ad prandia iiij et si villa habet ix 
tegrum aratrum, tenetur officiali in autumpno arare dies duos 
et in vere diem unum; vini urne ti] ... 

Auf der ganzen Herrschaft Rann und Lichtenwald hat somit 
kein einziger Bauer, kein einziger Zupan, der doch immer zwei- 
hubig ist, einen Pflug, und erst eine ganze Ortschaft — der Zı- 
pan mit seinen Bauern zusammen — wird bestenfalls als Eigen- 
tümer dieses Gerätes genannt. Die Bedeutung: et villa, que 
habet aratrum; et si villa habet integrum aratrum setzt Ortschaften 
voraus, quae non habent aratrum, und Ortschaften, que non 
habent integrum aratrum, so daß erst mehrere Ortschaften ar 
sammen ein integrum aratrum hatten. An einen Zusammel- 
hang mit den Wasserschäden ist hier nicht zu denken, denn sons 
müßte es statt „wenn das Dorf ein integrum aratrum hat .. 
heißen: „bis das Dorf ein integrum aratrum haben wird .... 

Wo kein Pflug ist, dort gibt es auch keine permanenten Äcker, 
sondern bloß Schwendäcker. Und gerade in Steiermark wird 
nicht nur auf hohen Alpen, sondern auch in niederen Lagen 
mit seichtem Humus bis zum heutigen Tage Brandwirtschaft be 
trieben: Ein Stück Waldes wird im Hochsommer niedergelegt, 
das Dünnholz gleichmäßig ausgebreitet, nach dem Austrocknen a 
Ort und Stelle verbrannt, der Boden mit der Haue gelockert und 
in die Asche ein- oder zweimal mit Roggen oder Hafer bestellt 
Darauf dient er so lange zur Weide, bis er von neuem Wald 
angesetzt hat!) Ein Pflug wird und kann dabei gar nicht ar 


1) HLUBEK, Die Landwirthschaft des Herzogthumes Steiermark. Gratz 1846 
SS 29, 31. — PEISKER, S. 868 (130) ff. 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. ’ 337 


gewendet werden, weil er ob der vielen festsitzenden Steine und 
nichtverbrannten Wurzeln gar nicht vorwärtskäme; er ist hier 
überdies ganz überflüssig'), denn auch ohne ihn erreicht man 
großartige Ernten, und das Brandgetreide wird wegen seiner Rein- 
heit — alles Unkraut ist ja mitverbrannt worden und neues noch 
nicht aufgekommen — zur Aussaat selır gesucht. 

Was heute nur auf mageren oder wenig zugänglichen Böden 
geschieht, das war dereinst die herrschende Wirtschaftsform über- 
haupt, in Untersteiermark an vielen Orten noch im 14. Jahr- 
hundert und gewiß auch noch viel später. Die Zustände in Rann 
und Lichtenwald sind ein Beleg dafür. 

Durch die Brandwirtschaft werden ganz andere bäuerlich- 
soziale Verhältnisse vorausgesetzt und gezeitigt, als die unsrigen 
sind. Unser Bauer wirtschaftet ganz selbständig, die Brand- 
wirtschaft dagegen bindet den Bauer sehr bedeutend an die Nachbar- 
schaft, denn sie kann nicht von einem einzelnen auf eigene Faust 
ohne Gefährdung des weitesten Umkreises betrieben werden. Sehr 
bittere Erfahrungen veranlaßten den Menschen, vorsichtig beim 

Schwenden vorzugehen ?); hat der Brand die vorgesteckte Grenze 


1) Es ist mir kein Fall bekannt und kommt gewiss nirgends vor, dasa 
man eine Schwende, sei es mit dem Pfluge, sei es mit einem Haken bearbeiten 
würde, überall wird unmittelbar in die Asche gesät und höchstens mit einer 
Haue vorgearbeitet. 

2) In Skandinavien: Vetusto tempore unicuique in funiculo distri- 
bationis ager proprius divisus et deputatus erat, censusque descriptus, ut 
Potsessio sua nulli haberetur incerta, quam pro tributorum susceperat quanti- 
tate solvendam. Attamen oborto per occasionem latiore terrarum spatio et 
fertiliori, nulli violentiam faciens, quisque contendit pro ingenio et viribus 
aliquid superaddere solo quaesito. Et hinc est, quod virgulta noxia impor- 
fünitate in vicinioribus silvis nascentia, evulsis cespitibus pro fertiliore agro 
formando, igne supposito, conatur auferre, ne radicum quidem capilli et 
silvestres asperitates paulatim surgentes, agrorum visceribus inserantur, et 
More yiperino prolem sibi foecunditate contraria nutriat, unde se propago 
Ventura corrumpat. Cineribus itaque ex cespitum, virgarumque et sarmentorum 
ombustione super faciem terrae relictis, mira foecunditas exsurgit, ut siligine 
Praesertim, rapisque, et papavere, lino et canapo seminatis, multiplicatus 
nascitur fructus. Cavent tamen, ne sit solutus ignis, obvias 
Populetur incendio silvas: Et hoc circa rupes et aquas: quarum 
obieetu, ne amplius coalescat, metas impermeabiles ponunt. Alioquin evenit, 
üt viritim singuli domos exeant a toto territorio, pro restinguendis flammis, 


338 J. Peisker 


überschritten, dann ist, von der Vernichtung anderer Güter ab- 
gesehen, die über den Bedarf geschwendete Strecke auf Jahr- 


veluti contra hostes, omnia incendiis et rapinis crudeliter devastantes. OLArs 
MAGxuUS, Historia de gentibus sept. Romae 1555, liber XIII, caput V, de 
cinericiis et silvestribus agris. Cap. VI spricht de fertilitate talium agrorum. 

So schwendet man Hochwälder mit nutzbarem Bauholze. Dort aber, wo 
die Brandwirtschaft das ganze Territorium ausschließlich beherrscht, können 
keine Hochwälder aufkommen, weil schon viel früher der Platz zum Schwenden 
an die Reihe gelangt; da braucht man auch keine Stöcke auszugraben, w 
dass die Brandwirtschaft desto müheloser wird, je länger man sie übt. 

In Großrußland und Litauen: Agros hoc modo ad sementem praeparant: 
Circa festum divorum Petri et Pauli (29. Juni) in aestate, ad festum usque 
Assumptionis Mariae (15. Aug.), nemora miricesque exscindere solent, quan 
excisionem arbustorum vulgariter Zada appellant. Nam si nemus densım 
fuerit, stramine supersternunt, per hyememque sic durare patiuntur. Ver 
autem postea redeunte, post Paschatis festum, sole torrido aliquot diebus 
ingruente, illam prostrationem praedictam arbustorum, stramine supposito super- 
stratoque, succendunt, et in cinerem comburunt; ubi vero terra combureretur, 
illic nihil fere nasceretur, ideo ligna incombusta congerunt, in struemgut 
composita, denuo succendunt, sicque in illa terra combusta et ir 
culta, collectis duntaxat carbonibus ettitionibus superfluis 
triticum seminant primo, et supra sementem uno equo juncto 
aratro arant et occant, in Russia videlicet. [Der Same wird hier 
mit der Zoche (socka, einem zweizinkigen Haken ohne Sohle) eingehakt, 
richtiger gesagt, sehr seicht bloß eingescharrt, denn sonst müßte das Saatgetreide 
ersticken.] Lituanienim bobus cornibus aratrum [= dieselbe Zoche] trahentibus 
arare [= ebenfalls sehr seicht einscharren] solent, tantaque ibi fecunditss 
dictu incredibilis subsequitur, ut Cererem in illis regionibus natam affirmares 
Eodem modo et hordeum seminatur, metitur et colligitur; nisi quod crassiors 
nemora pro hordeo exscinduntur, et pinguiorem terram triticum exigit M 
hujusmodi autem agris, per annos sex vel octo fimo stercoreque non super 
posito, seminare solent. Quod si arbores nimis altae et crassae, in ea aylva, 
ubi seminaturi sint, essent: utpote pinus, fraxini, robora, et id genus aliae: 
eas non succidunt: nisi frondes ramosque circumsecant, ne solem agro praef- 
piant. Rusticus vero unus, omnes arbores una semel adscensa circumsecabit 
non descendendo; instrumentum enim ad id factum, quasi sedile, ad stapedst 
similitudinem, secundum proportionem hominis sedentis factum arbori fun 
longo appendet; sicque sedens, a puero, fune alia ab arbore ad arborem facile 
transfertur: habetque ad latus alligatum lignum curvum, ad id studio praeps 
ratum, quo arbori appropinquans firmiter eam apprehendit, quam a verti® 
ad radicem usque circumsecat, et frondes illas eodem modo supradicto aestale 
redeunte succendit et seminat. Siliginem postea seminant hyemalem, supe! 
haec culta novalia, tritico vel hordeo collecto: sed duabus vicibus ad siliginen 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 339 


ehnte für jedweden Getreidebau verloren, weil sie schon im Laufe 
ines Jahres vergrast und in diesem Zustande brandwirtschaftlich 


rare coguntar, quam seminare incipiunt circa festum Assumptionis Mariae 
ıV. Augusti. Quod si segnis agricola non absolverit seminationem ad alterum 
sstum nativitatis Mariae, quatuor hebdomadis, ad sequentem VIII. diem Sep- 
embris, tunc fructifero proventu consueto frustratur. Hanc seminationem 
iiginis hyemalem vocant. Vere enim redeunte, aliam, aestivalem vocatam 
eminant. 

Hier handelt es sich nicht um ständige Brandwirtschaft, sondern um 
Rodungen zu permanenten Äckern, welche 6—8 Jahre tragen, ohne gedüngt 
ra werden. Das erste Jahr wird, ohne zu pflügen, Weizen und Gerste ge- 
säet, und erst nach deren Aberntung wird das Feld zweimal gepflügt und 
Mitte August mit Roggen bestellt. Sodann folgt eine Sommerfrucht. 

Est quoque alius seminandi mos nuper adinventus, in praedicta prostra- 
tione succisioneque nemorum superius descriptorum, hoc modo: Duabus partibus 
hordei, tertiam siliginis intermiscere solent, quam commixtionem vere instante, 
tempore consueto seminant; eadem aestate hordeum solummodo demetunt, 
siliginem vero subter hordeum ad modum graminis paulatim densissime cre- 

scentem per hyemem durare sinunt; quae sequente aestate, adeo fecundissime 
densissimeque excrescit, ut equo vix eam densitatem penetrare possis, et ex uno 
grano 30 pluresve spicae pullulare in tantam altitudinem solent, ut vir equo 
insidens vix ex ea appareat. Omnes vero agros Ruteni uno equo proscindere 
solent, adeo enim facile aratro terra cedit. 

Hic autem ordo in seminandis frumentariis in tota fere Sarmatia obser- 
vatur: Primo post festum Paschae triticum seminant, postea siliginem aesti- 
valem dictam: ab aestivali seminatione vulgariter ?arzycsa appellatur, ad 
differentiam hyemalis siliginis, quae, ut diximus, pro festo Assumptionis 
Mare seminatur ad hyemem futuram: unde vulgariter Osimina dicitur. Ex 
hac, si aestate seminaretur, nihil prorsus nasceretur, et & contra si aestivalis 
ad hyemem pro hyemali seminaretur (quamvis sibi grano similes essent, et 
eitndem naturae viderentur), nulli usui esset, sed in gramen inutile verteretur. 
[Das ist unrichtig: „Die unzähligen Varietäten... sind bloß Ab- oder Spiel- 
arten, die sich verändern und durch Einwirkung äußerer Umstände in einander 
übergehen. Dies ist — gegen die gewöhnliche Meinung, selbst der Botaniker, 
die überhaupt in der Unterscheidung der Arten und Abarten (species und 
Yarietas) bei den unter der Einwirkung der Kunst stehenden landwirtschaft- 
lichen Pflanzen noch nicht aufs reine gekommen sind — auch bei dem Sommer- 
un Winterweizen der Fall. Wenngleich beide, besonders einige Abarten, 
ih'er Natur nach sehr verschieden zu sein scheinen, so kann man doch will- 
Fürlich den einen in den andern umwandeln. Indem man den entschiedensten 
Winterweizen spät im Winter im Februar oder anfangs März sät, wird er 
mit einem Teile seiner Sprossen aufschießen und reifen Samen in demselben 
Jahre machen, aber freilich nur einen schwachen Ertrag geben. Sät man 


340 J. Peisker 


unbestellbar ist. Verzehrt das Feuer ein ganzes großes Wald- 
gebiet, welches ganzen Dorfschaften zur alljährigen Schwendung 
bisher genügt hatte und auch fernerhin genügen würde, dann 
bleibt diesen nichts übrig, als auszuwandern, wenn sie es nicht 
vermögen, ihre ganze Wirtschaftsform von Grund aus zu ändern, 
und dies geschieht wohl äußerst selten, nur wenn alle Auswege 
versagen. Damit erklärt sich auch die auffallende Beweglichkeit 
primitiver, nur Brandwirtschaft treibender Völker. 

Die Brandwirtschaft erfordert somit gegenseitige Rücksichten, 
und diese werden auch ohne Eingreifen einer Obrigkeit geübt, 
weil sie zunächst der eigenen Person nützen. Das Bedürfnis 
nach Regelung des Vorganges ist so zwingend, daß es gewiß das 


den hiervon genommenen Samen im nächsten Frühjahre, so wird er schon 
mehr die Natur des Sommerweizens angenommen haben ... und im folgenden 
Jahre wird er vollkommener Sommerweizen sein. Dagegen ske man ent 
schiedenen Sommerweizen zu Ende Oktobers: kommt ein harter Winter ohne 
genugsame Schneedecke, so wird er freilich sämtlich erfrieren, bei günstiger 
Witterung aber ziemlich durchkommen, dann früher wie der Winterweisen 
in Ähren gehen und reifen. Die hiervon gewonnene Saat wird den Winter 
schon besser aushalten ... und im darauffolgenden Jahre wird er gas 
Winterweizen sein und später, z. B. zu Ende des Mai gesät, in demselben 
Jahre überall nicht in Ähren gehen. Denn der entschiedene Winterweizen 
kann so früh gesät werden, ohne emporzuschießen, was der entschiedene 
Sommerweizen noch tut, wenn man ihn auch zu Johannis säte“. — „Der 
Sommer- und Winterroggen geht auf eben diese Weise, wie der Weizen, ir 
einander über.“ A. THAER, Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Vl. 
Wien 1813, S. 58f., 79.] Hanc itaque aestivalem circa festum Paschs 
seminant. Secundum agri possibilitatem praeperationemque Poloni, Lituati 
et Ruteni nigri, cum Masovitis et Prutenis et propter solis beneficium # 
regiones temperatiores, priori seminatione longe antecedunt Rutenos albos tt 
Moschovitas in Septentrionem vergentes, qui ob intemperiem aëris posterius 
his omnibus seminare coguntur; attamen interdum eodem tempore agri 
demetunt. Hoc autem mirum est, quod siliginem seminantes aestivalen, 
post Paschatis festum interdum, aliquot elapsis hebdomadis, tamen eaden 
aestate, ut decet, maturam quasi per octo duntaxat hebdomadas, demetanl, 
colligunt et recondunt. Pisa circa ferias D. Adelberti (28. April) ... avens® 
et hordeum post Pentecostes festum seminant .. .* 

Theatrum orbis terrarum, sive Atlas novus et descriptiones omnius 
Regionum. Editae a GviL. et Jo. BLAEU. Amsterdami 1641. I. fol. 19b, %. 
— Jo. Janssontr Atlas major I. Amstelaedami 1675. Litvania. — THE. 
Prevsz, Litauen vor 300 Jahren. Progr. d. Kgl. Gymn. zu Tilsit 1897/%. 





Die älteren Beziehungen der Siawen zu Turkotataren etc. 341 


stärkste Band abgibt, welches je den Menschen, auch den sonst 
ungefügigsten, an seine unmittelbare Nachbarschaft gefesselt hat. 
Das sieht man deutlich auch an den alten Germanen, von 
denen gar manche Gelehrte nicht begreifen können, was Cäsar 
berichtet: 

Niemand hat bestimmte Grundstücke zu Sondereigen, viel- 
mehr weisen die magistratus ac principes den einzelnen gentes 
cognationesque hominum, qui una coierunt, nur immer auf ein 
Jahr Land zur Bebauung an, wo und in welcher Ausdehnung 
es ihnen passend erscheint, und zwingen sie, das nächste Jahr 
anderswohin zu übersiedeln'). 

Und doch gibt es nichts Natürlicheres, Zwingenderes. Der einzelne „homo* 
könnte ja allein das Schwenden nicht verrichten, es müssen daher alle Mit- 
interessenten, die bei den Germanen nach gentes und cognationes neben- 
einander leben, sich zusammentun, coire, und die magistratus ac principes 
weisen denen, qui una coierunt, so viel an geeignetem Land an, als zur Er- 
nährung nötig, also pro numero cultorum, wie TACITUS, Germ. XXVI, be- 
richtet; nicht mehr, weil das danebenliegende Wildland für das kommende 


1) Agriculturae non student maiorque pars eorum victus in lacte caseo carne 
consistit. Neque quisquam agri modum certum aut fines habet proprios; sed 
mopis{ratus ac principes in annos singulos gentibus cognationibusque hominum qui 
una coierunt, quantum el quo loco visum est agri attribuunt atque anno post alio 
transire cogunt. Und von den Sueben: ... Sed privati ac separati agri apud 
cos nikil est neque longius anno remanere uno in loco incolendi causa licet. 
Neque multum frumento, sed maximam partem lacte atque pecore vivunt multumque 
surf in venationibus. CAESAR, Bell. Gall. VI, 22. IV, 1. — RicH. HILDEBRAND, 
Recht und Sitte. Jena 1896, S. 57 ff. — Vergl. JoRDANIS 61 (oben S. 262). 

Richtig bemerkt J. Hoops, Waldbäume und Kulturpflanzen im germa- 
nischen Altertum. Straßburg 1905, S. 485: „Das agriculturae non student .. ., 
das wiederholt fälschlich durch mit Ackerbau beschäftigten sich die Ger- 
manen nicht übersetzt wurde, bedeutet vielmehr: auf den Ackerbau legen sie 
keinen Wert. Dies wird bewiesen durch die Parallelstelle VI, 29, wo es 
mter Bezugnahme auf die eben zitierte Angabe heißt: guod, ut supra demon- 
sravimus, minime omnes Germani agriculturae student. Ob MAx WEBER 
(Der Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung, in 
Conrads Jahrbüchern f. Nationalök. u. Stat. 83 [3. F. 28] 1904 S. 444) 
echt hat, wenn er minime mit omnes verbindet und die beiden Wörter durch 
keinerwegs alle übersetzt, ist mir doch zweifelhaft. Die offenbare Beziehung 
af die Stelle agricwturae non student (VI, 22), die in den Worten # supra 
Kmonstravimus liegt, spricht mehr für die Richtigkeit der üblichen Verbindung 
des minime mit student.“ 


342 J. Peisker 


Jahr vonnöten und deswegen zu wertvoll ist, um heuer durch sinnlose 
Schwendung auf Jahrzehnte unverwendbar gemacht zu werden; dies würde 
ja die Gesamtheit der gentes cognationesque schädigen. 

Warum zwingen — cogunt — aber die magistratus ac principes die 
Leute, gleich schon das Jahr darauf die Äcker aufzugeben, weiterzuziehen 
und Neuland zu schwenden ? Zu wessen Nutz und Frommen ? 

Erstens liegt der Zwang in der Bodennatur selbst, welche bei dieser 
Wirtschaftsform nur eine Saat ohne besondere Mühe gewährt’). 

Zweitens liegt der Zwang in der Lebensweise der Germanen. Dies 
nährten sich zu Cäsars Zeiten weniger vom Ackerbau als von Jagd und 
Viehzucht: Milch, Käse, Fleisch. Dies gilt allerdings mehr von der Herre- 
schicht, weniger von den servi, dem zahlreicheren, großenteils wohl fremd- 
rassigen Teil der Bevölkerung, welchem gewiss nur eine beschränkte Vieh- 
zucht eingeräumt war’). Die Hauptsorge der germanischen Machthaber 
ging also dahin, dass es an dem nötigen Weideland nicht fehle, die Vieh- 
zucht vom Getreidebau nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern möglichst 
gefördert werde. Und gefördert wird die Viehzucht ebenso wie der Getreide 
bau am besten durch einjährige Brandwirtschaft. 

Der heurige Schwendacker hat die Mühe des Bauers reichlich gelohnt 
und ihm ein Getreide gespendet, das unserem besten nicht nachsteht. Dss 
künftige Jahr würde er jedoch erlahmen und üppiges Unkraut mit ansetzen 
Dies kann der Bauer gar nicht, der Viehztichter dagegen vorzüglich braucheı. 
So zieht der Bauer willig von dannen und der Viehgüchter an seine Stelk. 
Daher cogunt auch die magistratus ac principes die feldbauenden homine, 
die minderen, ärmeren Leute°), nicht länger, als unbedingt nötig, zuric- 
zubleiben und den Platz, auf welchem sie nichts mehr zu suchen haben, # 
räumen. Wer von den homines wäre auch so albern, auf einer zweiten Be 
stellung derselben Schwende zu bestehen, die nur noch unreines Getreide 
liefert, während daneben die beste Ernte winkt; wie könnte er eine zweit? 
Saat vor Abweiden schützen, nachdem ringsum alles unbestellt geblieben ist 

Den durch Cäsar geschilderten Vorgang erzwang jedoch nicht allein 
der wirtschaftliche Vorteil, sondern auch die, das ganze germanische Dasei 
durchdringende Notwendigkeit, daß gens an gens, cognatio an cognati, 
so wie sie in der Schlachtordnung gegliedert waren, auch daheim immer und 
überall nebeneinander wohnen und wirtschaften. Daher wiesen die magi 
stratus ac prineipes zuerst den gentes und innerhalb dieser fortgesetzt deu 
einzelnen cognationes, nach der Zusammengehörigkeit, der Stufe der Parentel 
— so ist nämlich auch das vielbesprochene Taciteische secundum dignationt® 
(Germ. c. 26) zu verstehen —, Land an, auf daß Bruder an Bruder, Vatersippe #8 


1) HILDEBRAND, S. 66. 

2) Daß sie eingeräumt war, lehrt die Zinsung: /rumenti modum dominss 
aut pecoris aut veslis ut colono iniungit, et servus hactenus paret. TAC 
(rermania, c. 25. 

3) HiLDEBRAND, $. 93. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 343 


:imsippe und so fortgesetzt bis zur Grenze der ganzen cognatio, tatsächlich 
eneinander, zu gegenseitigem Beistand, wohnen könne. Und nachdem 
ser Modus Jahr für Jahr geübt worden, ist die Einwendung nichtig, als 
die Germanen sich ihre Genealogien nicht immer hätten merken können. 
* Stammbaum einer cognatio war doch nicht gar so lang, und wo er ver- 
te, wurde das Fehlende fingiert. In der Bibel stehen ja ungleich längere 
1ealogien, und wie sehr weit das Gedächtnis einer Sippe gehen kann, er- 
sen zum Beispiel die Stammtafeln südslawischer Hausgemeinschaften '), 
rie auch die Sippe der sieben Vorväter im turkotatarischen wru£?). 

Und indem die Germanen die Schwendwirtschaft nicht der Willkür der 
zelnen homines beließen, sondern nach Erfahrungsnormen behördlich hand- 
ten, zeigten sie, wie man auch auf einer primitiven Wirtschaftsstufe 
'chaus zweckmäßig und geregelt leben, dabei alljährlich wandern und 
ınoch alle Blutsbande festgefügt und unversehrt bewahren kann. 

Im Gegensatze zu den servi der Germanen konnten die Slawen 
der turkotatarischen Knechtschaft keine Viehzucht treiben, das 
‚ben wir schon dargelegt. Und daß sie, darin den homines der 
ermanen gleich, auch nicht willkürlich schwenden durften, liegt 
. der Natur des herrschenden Nomaden, welcher jeden Feldbau 
:rachtet, nicht weil dieser seine Macht oder Herrschaft gefährdet, 
mdern seiner Natur nach immer die Tendenz hat, der Jagd 
der Weide mehr oder weniger Boden zu entziehen). Der Nomade 
it den Feldbau nur dort zu, wo dieser ihn nicht stört oder dessen 
lerden direkt fördert. Dies gilt besonders von jenen Nomaden, 
telche das Herumziehen auf weite Entfernungen allmählich auf- 
aben, aufgeben mußten, und sich in bestimmten Weiderevieren, 





1) FRIEDRICH 8. KrAuss, Sitte und Brauch der Südslaven. Wien 1885, 
“121 f. In Magud’s Hausgemeinschaft ging man bei der Teilung bis auf 
len Großvater des Urgroßvaters zurück und erinnerte sich dabei noch dessen 
sroßvaters. 

2) „Nach nomadischer Auffassung der Affinitätsgrade wird ... die 
3renze des ruk durch sieben Vorväter definiert, daher man unter dem Ausdrucke 
li ata (wörtl. sieden Väter) Ahnen, Voreltern im allgemeinen versteht; was 
iber diese Zahl hinaus sich erstreckt, wird als der weite Verwandtschaftskreis, 
Lh. als der Stamm betrachtet. Für die Zusammengehörigkeit der verschie- 
ienen tirs (Stämme) hat der Nomade ein schon verhältnismäßig geringeres 
Verständnis, und der Begriff Volk, Nation, was er unter z/ versteht, kann 
bn schon weniger erwärmen, als die auf Grundlage einer engern Verwandt- 
haft ruhende Einteilung der Zre's und der urufs.“ VÄMBERY, Primitive 
Cultur, S. 134. 

3) HILDEBRAND, S. 92. 


344 J. Peisker 


Zupen, zurechtfanden. Und auf solche Hirten kann man un- 
bedenklich Cäsars Angaben über die Schwendwirtschaft der Ger- 
manen paraphrasieren und sagen: 

Bei den alten Slawen hatte niemand bestimmte Grundstücke 
zu Sondereigen, vielmehr wiesen die Zupane den Bauern, die zu 
diesem Zwecke zusammentraten, nur immer auf ein Jahr Land zum 
Schwenden an, wo und in welcher Ausdehnung es ihnen passend er- 
schien, und zwangen sie, das nächste Jahr anderswohin zu übersiedeln. 

Ja, wo steht es geschrieben, daß es gerade die Zupane waren, 
welche, wie bei den Germanen die magistratus ac principes, die 
altslawische Brandwirtschaft befehligten? Nun, die Zupane waren 
eben die einzige Obrigkeit der Slawen), und sonst war niemand 
da, welchem an den Schwendungen was gelegen wäre. Sie 
kehrten sie selbstverständlich zu ihrem eigenen Nutzen, mit allei- 
niger Rücksicht auf die Viehzucht, welche sie auch in Unter- 
steiermark, zu Zeiten vor der deutschen Eroberung, den Slaweı, 
wie wir noch hören werden, wahrscheinlich noch immer verwebrten. 
Nach der deutschen Eroberung bestand aber eine solche Ver 
wehrung jedenfalls nicht, denn man findet in Untersteiermark 
auch die Bauernschaft zumeist mit viehzinspflichtig. 

Die Handhabung der Schwendwirtschaft zu eigenen 
Nutzen ist die Grundherrlichkeit selbst, die Zupane 
Untersteiermarks waren somit vor der deutschen 
Landnahme GrundherrenimvollstenSinne des Worte. 

Hob der deutsche Machthaber diese Zupanenrechte vollständig 
auf? Mit nichten. Er entzog den Unterworfenen möglichst viel 
vom Territorium, um Platz für sich zu schaffen und seine ar- 

zulegenden Kolonien. Die Brandwirtschaft selbst und ihre Hand- 
habung ließ ‘er jedoch bestehen, und indem er Zupan und Bauer 
besteuerte, löste er dadurch die bisherigen sozialen Verhältnisse 
noch lange nicht. Unbedenklich kann man annehmen, daß die 
Zupane auch fernerhin zu ihrem eigenen Nutzen die 


1) Von KONSTANTIN PORPHYROGENNETOS hörten wir oben S. 317, dad 
die Slawen außer Zxpanen-Geronten keine sonstigen &pxovtec hatten. Es ware? 
das Zupanische Graubärte, Aksakale, seniores, Familienälteste der turko- 
tatarischen Herrenschicht. — So auch IsrÄHim 8 und THıETYAR 
VI, 18 (oben S. 318 £.). 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 345 


hwendwirtschaft handhabten und dadurch gewisse 
ste ihrer einstigen Grundherrlichkeit, also ge- 
sse Proprietätstitelbehielten. Die altslawische, eigent- 
ı turkoslawische Verwaltung und Wirtschaft blieb aufrecht, 
daß die bisherige Zupanenwillkür einem gewissen Rechts- 
utze weichen mußte. Dadurch wäre die auf S. 335 aufgeworfene 
ge nach den, den Zupanen an den Ortsmarken als Weide- 
ieren belassenen Proprietätstiteln beantwortet '). 
Die absolute, einjährige Brandwirtschaft ohne Pflugarbeit be- 
nd in Untersteiermark noch im 14. Jahrhundert, wohl auch 


1) Dementsprechend war auch noch nach der deutschen Landnahme 
gesellschaftliche Rang der Zupane bedeutend höher als der der Bauern. 
vEc fand: „Supanen werden vielfach als Zeugen in Urkunden des Klosters 
‚udental in Krain genannt, so z. B. ... 1274: stem suppanus dicte domus 
h. Freudental) #ominatus Petrus et Ekkehardus suppanus eciam de Holaren, 
n Waltherus suppanus Wolkeri de Reyfenberch de villa Witigos, item filius 
sdem suppani, item suppanus Merti ibidem, item Nedel suppanus meus 
h. des Urkundenausstellers ...) «{ Zertvicus frater ipsius de Wippach 
itteilungen d. Musealvereines f. Krain XIII. 1900, S. 44, Nr. 4)... 
teressant ist die Zeugenreihe einer Urkunde von 1322 (a. a. O. S. 53, No. 27): 
minus Fridericus sacerdos vicarius de Stein, dominus Hermanus de Gutenveld, 
les Rudgerus de Ige, Leonhardus officialis de Vreuncz, Georius suppanus 
'Vegaun, Jacobus frater ipsius, Cunradus civis de Laybaco, Fridericus 
tarius ibidem, N'ycolaus de Lapide. Wir haben keinen Grund, anzunehmen, 
8 die Reihenfolge der Zeugen hier eine willkürliche sei, sondern können 
ı zum Beweise des Gegenteiles präsumieren, daß die Zeugen hier, wie es 
ist im Mittelalter üblich war, nach gesellschaftlichen Unterschieden gruppiert 
erden. Da ist es nun jedenfalls befremdend, daß der Georius suppanus de 
tgeun zwischen einem Einschildritter und einem Laibacher Bürger steht. Daß 
ein Rittermäßiger gewesen wäre, ist undenkbar, weil die Supanen im 
IV. Jahrhundert überall, wo sie sich nachweisen lassen, dem bäuerlichen 
erufe obliegen. Trotzdem aber wird er nicht unter den Zeugen bäuerlicher 
bkunft angeführt — zu diesen gehört wohl ziemlich sicher der am Schlusse 
7 Zeugenreihe genannte Nicolaus de Lapide. Man beachte, daß die Urkunde 
loco, qui dicitur Stein, iuxta fluvium qui dicitur Laybach ausgestellt wurde. 
8 ist das Dorf Aamnik (Stein), OG. Preser, GBez. Oberlaibach —, sondern 
0 Bürgern vorangestellt. Das deutet darauf hin, daß er einen hervor- 
genden gesellschaftlichen Rang eingenommen hat, sozial höher als diese 
estanden ist. Man wird daraus mit Recht auf eine privilegierte Stel- 
ınz der Supanen schließen dürfen.“ VW. LEvEc, Pettauer Studien III. : 
Ai Mitteilungen der Anthropol. Gesellschaft in Wien, Bd. XXXV. 

‚8. 72. 


346 J. Peisker 


noch später an vielen Orten, wo eine intensivere Wirtschaftsform 
ob der Sterilität des Bodens noch nicht an der Zeit war. Da- 
neben und darunter gab es — gewiß nicht erst seit 1309 — 
Ortschaften mit je einem Pfluge. Dies lehren die Stellen: 71/4, 
que habet aratrum; si villa habet integrum aratrum. Dass 
setzt indes permanente Äcker noch lange nicht voraus, sondem 
bloß mehrjährige, wohl zumeist zweijährige Schwendäcker: im 
ersten Jahre ungepflügt mit Winterfrucht, hier Weizen, bestellt, 
sodann im folgenden Frühjahr zur Sommersaat, hier Hafer, ge 
pflügt, wohl nicht mit Pflug, sondern mit Haken. Nebstdem gab 
es hier gewiß schon frühzeitig Ortschaften, deren Mark teils in 
permanenten Äckern (in besonders günstigen Lagen) bestand, 
während der übrige Teil noch fernerhin brandwirtschaftlich 
genutzt wurde. Dagegen waren die, erst während der deutschen 
Herrschaft gegründeten Kolonien wohl von allem Anfang an in 
Huben als Wirtschaftseinheiten mit permanenten Äckern ver 
messen und rein gerodet. Es sind dies die villae suppano 
carentes, die de proprietate principis, in denen kein Zupan‘) 


1) Nämlich Zupan imalten Sinne des Wortes. Die deutsche 
Kolonisation des den Unterworfenen entzogenen Bodens 
teils mitslawischen, teilsmitdeutschen, später slawisiertes 
Kolonisten, brachte eine Verschiebung in der Bedeutungdes 
Wortes Zufan, indem der Gemeindevorsteher jedes solcher 
neuen Dorfes — einer in der Regel vielgrößeren Anlage, als 
die alten Ortschaften waren — slawisch ebenfalls den Titel 
Zupan führte, obzwar erhier ausschließlich Amtspersonwal, 
ohne irgendwelche Privatrechte, wie sie der Zupan einer 
alten Ortschaft als einstiger Grundherr besaß. Fortan be 
standen also zweierlei villae undsweserlei Zupane, die scharf 
zu unterscheiden sind, weil ihr Ursprung und Charskter 
grundverschieden war: 

1. Altslawische villae, meist kleine Weiler, deren Zups? 
gewisse grundherrliche Rechte auf dem ganzen Territoriua 
ausübte und — um uns des daleminzischen prägnanten Aur 
druckes zu bedienen — der senior [princeps] villae ursprünf 
lich war, implicite mit auch Gemeindevorstand (magister 
villae), Dorfschulze. 

2. Neue Kolonistendôrfer,in der Regel größere Gewanndorf 
anlagen, miteinem Dorfmeister (magister villae) an der Spitss 
einem einfachen administrativen und richterlichen Dorf 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 347 


ı suchen hatte, und in denen jeder Hübner, sei es mit 
n, sei es mit gemeinsamem Pfluge seine Hube bestellte. 
die Dienstgüter der Officiales, der Amtmänner, lagen in 
ıenten Äckern, und der Liber predialis vom Jahre 1309 
mt — wie wir schon vernommen —, daß jede Zupanenvilla, 
ıbet (integrum) aratrum, dem Amtmanne zu pflügen habe 
‘age im Herbst — zweimaliges Pflügen zur Wintersaat — 
nen Tag im Frühjahr — einmaliges Pflügen zur Sommer- 
-, gerade so wie in den bestbewirtschafteten Gegenden 
hlands. 

dem Liber predialis vom Jahre 1309 werden die einzelnen 
mit einer stereotypen Formel angeführt, so gleich die 
1lla : 

Stanonik sunt hube viiij (= 8!1:) ... quarum ti] sunt 
e (4'/2 waren vom Wolkenbruch zerstört), karum suppanus 
ij et servit (folgt der Zins)'). 

ist die Ortschaft Stolounig ö. von Lichtenwald, n. von 
nburg. Die Dorfmark ist 314466 Hektar groß, und war 
auch im Jahre 1309, dann kämen auf eine huba genau 
ktar, das ist zwei Drittel einer Königshufe. 

ist die Frage: Waren alle die einzelnen Huben in festen Rainen, 
jeder einzelne Hübner auf seinem eigenen Grundkomplex 
aftete, oder waren es in der Regel bloße unberainte Rech- 
uben, durch deren Gesamtheit die Brandwirtschaft betrie- 
nd vom Zupan jedem Insassen jährlich ein Bestimmtes 
'hwenden zugewiesen wurde, während der unbestellte Teil 


nde, Schulzen, den man mit demselben Titel, Zupan, 
ite und jederzeit absetzen konnte: gidt nichts alf lang 
an ist (Puntschart, Herzogseinsetzung und Huldigung in Kärnten, 
1899, S. 228). 

a muß sich somit jeden Zupan früher genau ansehen, um nicht einen 
n Dorfschulzen, magister ville, für einen einstigen Grundherrn, senior 
Kauf zu nehmen. Diesen gewaltigen Unterschied zwischen den zwei 
ngen eines und desselben Wortes nahm man bisher nicht wahr und 
e dadurch die an sich schon komplizierte Zupanenfrage noch mehr. 
ird nun durch reine Scheidung der zwei, mit einem Namen belegten 
onen leicht lösbar. 


PEISKER, a. a. O. S. 361 [123]. 
eljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 23 


348 J. Peisker 


zur Weide gemeinsam diente, und zwar zu einer bestimmten An- 
zahl von Viehhäuptern für einen jeden Insassen? Nach allem, 
was wir bisher von der Brandwirtschaft gehört haben, ist das 
zweite als ziemlich sicher anzunehmen. Berainungen der einzelnen 
Huben hätten nur dann einen Sinn, wenn die Sondernutzung nur 
innerhalb derselben stattgefunden hätte, dadurch wäre aber einem 
Eingreifen des Zupan der Boden entzogen. 

Die Formel wäre somit aufzulösen: Stanonik umfaßt 8'/s Huben 
Landes, d. i. für 8'/2 Anwesen; davon sind 4 besetzt und von 
diesen hat 2 der Zupan. 

Der Zupan hat immer zwei Huben, bloß in drei, von den 
Fluten besonders hart mitgenommenen Ortschaften hat er nur je 
1 Hube!). Dagegen: 

In Prunne sunt hube vij, quarum sex sunt possesse. Harum 
duo suppani habent hubas 1117 et serviunt de duabus suppis iurt 
medio (= halben Zins), reliquarum una serviet iure medio anne 
Dnt millo CCC. X. Item alıa huba serviet anno Dni M. CCC Xl 
sed recessit, et alter serviet anno Dni M. CCC. XII...) 

In dieser Ortschaft sind gleich auf einmal zwei Zupane und 
dienen von zwei Zupen. 

In inferiori Schriemcz sunt hube vj, omnes possesse, iurt 
medio, quarum suppant habent ij. Iidem habent hubam i quan 
servient anno Domini millesimo CCC. Xle. Item reliquarum 
trium hubarum una servit iure medio. Item alie due servint 
anno Dnt mille CCC. X. Einschub anderer Tinte: em institui ibiden 
swaigam unam cum ovibus lactariis xx que serviet anno Dni M. CCC. X.... 


1) /n villa Ansachè sunt hube vij iure pleno, quarum suppanuws habe hr 
bam i, et serviet de suppa dimidia iure pleno anno Dni M. CU. X. 

Îtem huba i servit iure pleno. 

Et nota quod predicta villa servire primo incepit anno Dni mille oc. x, M 
war eben vollständig zerstört. — pleno iure = im vollen Zinse... 

In Zdol sunt hube xij pleno iure, quarum ii] sunt possesse, harum sf 
panus habet i et servit de suppa dimidia pleno iure... 

In villa Obres sunt hube xvj, quarum ij sunt possesse, harum suppanni 
habet jet servit de suppa dimidia iure pleno. Reliqua huba j servit inf 
Dieno... PEISKER, S. 361—363 [123—125). 

2) PEISKER, S. 363 [125]. 
3) PEISKER, 8. 361 [123]. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 349 


Hier sind wohl ebenfalls zwei Zupane, sitzen gemeinschaft- 
h auf der üblichen Doppelhube und haben nebstdem eine dritte 
enfalls gemeinschaftlich inne. Es scheint, daß die Schwaige, 
> Schäferei, als die vierte, zu der zweiten vollen „Zupa“ 
alende Hube zu zählen ist. | 


In jeder dieser zwei Ortschaften stehen zwei undifferenzierte 
ıpane einer verschwindend kleinen Bauerngruppe gegenüber. 
iese Erscheinung dürfte jedoch gar nicht vereinzelt in Unter- 
eiermark dastehen, denn das schon genannte Rationarium Stirie 
om Jahre 1265—1267 meldet aus der ersten provincia offcii 
üffer: 

Item in loco, qui dicitur Cvom, sunt v supani, quorum 
uilibet solvit ovem cum agno, pro porco iij den. pro agno tit], 
ro lino iii). Sub eisdem supanıs sunt zuvii] predia, quorum 
uodlibet solvit ovem cum agno et quelibet villa illarum solvit 
den: pro porco tif, pro lino 17"). 

„Die Vermutung liegt da nahe, daß die Bewohner des ,locus 
ui dicitur Cvom‘ nach Ortschaften und Zupanen noch nicht 
lifferenziert waren *), sondern daß hier eine Gruppe von 18 Bauern- 
anilien einer Gruppe von 5 Zupanenfamilien unterstanden hat. 
Jas Verhältnis der beiderseitigen Zinsungen — kein Getreide! 
— verrät, daß auch hier in „Cvom“ das Zupanengut mit zwei 
Bauernhuben bewertet war; wir erhalten somit einen Komplex 
‚on 28 Huben; davon sind 35-71 °/o Zupanengut, und auf je einen 
Éupan kommen durchschnittlich 3°6 Bauernhuben. 

Genau so verhielt es sich in einem Orte des Amtes Marburg: 

Item in Pechsen xl predia et xj supani, quorum supanorum 
quilibet habet ij, tllorum vero xl cuiuslibet census solvit x den). 

Pechsen war also im ganzen mit 62 Huben bewertet und 
war augenscheinlich ebenso wie ,Cvom“ keine Ortschaft, sondern 





1) Rauch, IL S. 129. 

2) Es ist bezeichnend, daß auch in der Summa diese 5 Zupane abgesondert 
gezählt werden: Zec predicta predia sunt sub regimine schephonis Gyrredei, 
Phorum summa est Ixxxxiiij [sic!]. De quibus xliij [xliiij?] respiciunt in Siben- 
ek, dy Supani. Aliorum Supanorum est numerus xj [soll heißen viij; 
der neunte, als schepho, zinst nicht, ist daher nicht zu zählen]. 

8) Rauch, II. S. 142. 


350 J. Peisker 


eine Gegend; wie dort, werden auch hier die den einzelnen Zu- 
panen unterstehenden Bauernhuben nicht auseinandergehalten, 
auch hier scheint einer nicht differenzierten Gruppe von 11 %r- 
panen eine ebensowenig differenzierte Gruppe von 40 Bauen 
gegenübergestanden zu sein; 35'48°/o des ausgetanen Bodens 
war Zupanengut, und auf einen Zupan kamen im Durchschnitt 
3:64 Bauernhuben“ '). 

Ich glaube, diese hier geäußerte Vermutung ist hin- 
reichend durch die Angaben des Liber predialis über Prunne 
und Schriemez inferior gestützt. Hier standen tatsächlich (je zwei) 
undifferenzierte Zupane der Bauernschaft gegenüber, daher ist 
es möglich, daß auch in Cvom und in Pechsen dasselbe der 
Fall war. 

Die zwei Zupane in Prunne serviunt de duabus suppis 
Was ist hier Zupa? Zupa, einfach = 2 hubae, hätte keinen 
Sinn. Zupa = Gemeindeamt, noch weniger, denn in einem 
Sieben- oder gar Sechshubenweiler — die vier Zupanenhuben nit 
einbegriffen! — wären zwei Gemeindeämter denn doch zu viel. 
Eine nähere Erklärung finden wir über das Rätsel im Liber 
predialis nicht, müssen sie somit anderswo suchen, freilich dort, 
wo dieselben wirtschaftlichen Verhältnisse bestanden haben. 

Im Stockurbar der Pettauer Herrschaft v. J. 1495 lesen wir: 

Dy Sup Oberhart hat zwelf huebm, das dorff dint aim 
ambimann drey phlueg, so es gestifft ist (= wenn es besetit ist). 

Stefan Supan hat zwo huebm, Michel... hat I h., Andre... 
1 h., die anderen 8 sind öd?). 

Und so heißt jedes weitere Dorf als Ganzes eine Sup, mi 
je einem Zupan auf einer Doppelhube. Oberhart dient dem Ant- 
mann gleich wie das 12hubige Mitterhart drei Pflug, d. i. 3 Tagt 
mit dem Pfluge, so wie es auf den Herrschaften Rann und 
Lichtenwald 1309 beglaubigt ist. 

Dy Sup Niderhart hat achthalb huebm ... und dienn dem 
ambtmann zwen phlueg, so das dorff besetzt ist ... Die SW 
Grüntl hat achthalb huebm ... und dienn ainen phlueg ..- 
1) PEIsKER, S. 356 [118] ff. 

2) Landesarchiv zu Graz, Fasc. 50 Nr. 126. 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 351 


y Sup Gertnitzen hat zwelf huebm ... dint...zwen phlueg 
ıd vier tagwerch u. 8. w.'). 

Wir sehen, auch auf der Pettauer Herrschaft war noch 1495 
e altertümliche Pflugrobot nicht von dem einzelnen Bauer, 
ndern von der ganzen „Sup“, dem ganzen Dorfe, zu verrichten, 
n Beweis, daß auch hier dereinst die Brandwirtschaft die maß- 
:bende Wirtschaftsform bildete, geradeso wie in Rann und 
ichtenwald, wenn schon vielleicht inzwischen eine intensivere 
odenbestellung Platz gegriffen und der einzelne Bauer bereits 
it eigenem Pfluge ackerte, denn man vergesse nicht, daß das 
ettauer Urbar um rund 200 Jahre jünger ist als der Liber 
redialis. 

Nun wissen wir, was eine Sup, Zupa ist: eine Dorfmark, 
Li. villa cum terris cultis et incultis, cum agris, pascuis, silvis, 
quis. Es ist das ein Territorium, dessen teils gemeinsame, teils 
Sondernutzung, durch Weide und Saat, nur den Insassen zusteht, 
welche außerhalb dieses Territoriums keine geschlossenen Nutzungs- 
rechte haben. Hier, auf dem Boden der Brandwirtschaft, ist Zupa mit 
auch, ja vornehmlich Weiderevier, durch welches der Schwende- 
tumus läuft. In Untersteiermark hat somit das Wort Zupa noch 
die altslawische, der altindischen gleiche Bedeutung: Weide- 
revier, wie es auch im Altserbischen der Fall war”), und es 
ist dabei ganz gleichgültig, daß die altserbische Zupa, als Weide- 
revier, den ganzen Gau mit allen darin vorhandenen Ortschaften 
ümfaßte, während in Untersteiermark eine jede villa, auch jene, 
in welcher ein Zupan ganz allein, ohne irgendeinen „colonus*, 
„Vieinus“ saß, eine Zupa für sich ausmachte, eine Folge der 
deutschen Herrschaft, welche die alten, großen Zupen auflöste. 

Aber in Prunne sind ja zwei Zupane und serviunt de duabus 
Suppis! Wie ist dann das zu erklären, etwa dadurch, daß die 
an sich schon kleine Ortschaft in zwei Weidereviere tatsächlich 
zerfil? Kaum, denn während die vermutlich zwei Zupane in 
Schriemez inferior sogar ihre eigenen drei Huben ungeteilt „Aadent“, 


lie Zupane zu Prunne noch viel weniger die Weide geteilt haben 
a EEE 

1) Über supania, supanatus, Zupnica u. dgl. siehe PEISKER, 
“2.0. S. 365 [127] Anm. 47. 

2) Siehe oben, S. 289. 


352 J. Peisker 


dürften. Dies ist auch durch die Formel: serviunt de duabus : 
suppis gewiß nicht gemeint; jeder Zupan repräsentiert auch hier | 
eine Zupa, nur bilden hier die zwei Zupen einen, ungeteilten 
Komplex. Die zwei Zupane wirtschafteten mit ihren 2 Bauern 
wohl auf einer ungeteilten Siebenhubenmark, zugleich Weiderevier, 
Zupa, zinsten jedoch de duabus suppis, von zwei Rechnung 
zupen, denn sie galten dem Fiskus ebensoviel, als wenn sie ge- 
trennt wären. Prunne war in der Wirklichkeit eine villa, eine 
suppa, eine Verwaltungs- und Wirtschaftseinheit, nur 
fiskalisch galt sie für zwei villae, zwei suppae, weil sie 
unter zwei Zupanen stand. 


So auch vielleicht in loco Cvom, mit 5 Zupanen, quorum 
quilibet solvit ... Sub eisdem supanis sunt 18 predia, quorum 
quodlibet solvit ... et quelibet villa illarum solvit V denarios. 
Auch hier dürfte jeder Zupan eine [Rechnungs]villa repräsentiert 
haben, die aus ihm und der auf ihn von den 18 Bauern ent- 
fallenden Quote bestehen würde, falls es zur Teilung der Bauen 
unter die 5 Zupane käme. — 

Unterschied sich der Zupan auch in seiner Lebensweise 
von dem ihm unterstehenden Bauern? Darüber läßt sich viel- 
leicht einiges zwischen folgenden Zeilen des Liber predialis vom 
Jahre 1309!) herauslesen: 

Amlawicz umfaßt 5 Huben, von denen 2 besetzt sind; davon hat der Zupan à 


Lok „5 „ ” »n 3 » n n »n „2 
Zdol » 12 » » „ 22 n 2) n nn „ 1 
Ponikel „9. n „232 » n n 7 n 2 
Suschitze » 8 » » » 3 , n n nn > 
Obres » 16 „ » n l'h , „ n nn »+ 
Prukke » 10 „ 2) „2 » n » »n » À 
Poklek n 6 » n » 3  » » ” nn» » À 


Diese acht von der Wassersnot furchtbar heimgesuchten Ort- 
schaften umfaßten ursprünglich 71 Huben, und von diesen wur 
den so viele zerstört, daß noch im Jahre 1309 ihrer 52, als 
mehr als 73°/o, wüst lagen. Von den 19 besetzten Huben hatten 
die acht Supane 14 Huben, also 74°/o; es wird da in drei Fällen 
nur der Zupan als der einzige Insasse angeführt; in einem Falle 


1) PEISKER, S. 366 [128] f. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 353 


ußer ihm noch ein Halbhübner, in drei Fällen ein Hübner, in 
inem Falle 1’/s Hübner. 

Ja, hat denn das entfesselte Element just immer vor dem 
‚upan Halt gemacht, nur seine „Huben“ verschont, die anderen 
erstöürt? Undenkbar! Das Wasser zerstörte das Anwesen des 
‚upan ebenso, wie das der Bauern, mitsamt den Vorräten an 
setreide zur Nahrung und Aussaat. Während aber der von 
uübsistenzmitteln entblößte Bauer an der Unglücksstätte nicht 
reiterleben konnte und von dannen ziehen mußte, blieb der 
‚upan!); er muß somit noch andere Subsistenzmittel gehabt 
aben, die der einfache Bauer nicht besaß. Und worin können 
iese besonderen Subsistenzmittel bestanden haben, als in einer 
iel stärkeren Viehzucht? Herden lassen sich nicht so gründ- 
ich fortschwemmen wie Getreide! Und so drängt diese Unver- 
rüstlichkeit der Zupane schon an sich zur Annahme, daß der 
üdsteierische Zupan stellenweise auch noch unter der deutschen 
lerrschaft mehr Viehzüchter als Feldbebauer war, während bei 
en ihm unterstehenden Bauern es umgekehrt stand. Dafür 
pricht auch eine andere Erscheinung: 

Wollen wir uns zu diesem Zwecke der ersten Gruppe der 
rsten provincia des oflicium Tüffer zuwenden, von welcher 
uf S. 330 die Rede war. Sie umfaßt 7 Ortschaften (Chreinen- 
cheyr) mit 2,2,2,3,2,2,8 Prädien und mit je einem Zupan. 

Jeder Zupan dieser Gruppe, mit zwei Huben bestiftet, zinst: 

unum porcum vel xij den. el ovem cum agno vel xvj den. 

Jede Bauernhube dieser Gruppe zinst: 

itij metrelas trilici et avene iiij metretas. Et de eisdem (Bauernhuben) ij 
L i.: je drei) so/vunt unum porcum aut xv den, et quodlibet istorum [d. i. jede 
la] so/vit unam ovem vel xzuj den. 

Der Bauer zinst Getreide (Sommer- und Winterfrucht gleich- 
äßig, da es sich hier schon um Winterweizen handelt) und je drei 
[uben zusammen ein Schwein und (jede villa) ein [säugendes Mutter-] 
chaf. Dagegen zinst der Zupan kein Getreide, sondern ein etwas 
eringeres Schwein und ein säugendes Mutterschaf. Wenn es ge- 


1) Meine in der Zeitschrift f. Sozial- u. Wirtschaftsgesch. V. S. 367 
SAbdr. 129] versuchte, andere Erklärung, die auch von LEVEC a. a. 0. S. 71 
ngenommen wurde, entfällt. 


354 J. Peisker 


stattet ist, aus den Zinsungen Rückschlüsse auf die Erwerbs- 
quellen zu machen, dann war zurzeit, als diese Abgaben auferlegt 
worden sind‘), der Zupan zumindest mehr Hirt als der ihm 
unterstehende "Bauer. 

Die zweite Gruppe umfaßt bloß 2 Ortschaften (Char, Poltz) 
mit 5 + 2 Bauernhuben und je einem Zupan. 

Jeder Hübner zinst: 

siij metretas tritici, item iiij metretas avene,; et tria predia solvunt i porcum 
vel xv den. et tota villa ovem cum agno vel xvj den. 

Jeder Zupan zinst: 

ij metretas tritici et iiij metretas avene, porcum vel xij den, agnum vel iij den. 

Die zweite provincia des officium Tüffer, die ex regimine 
Livtoldi schephonis, umfaßt 26 Ortschaften unter ebensoviel Zu- 
panen, mit 89 Hübnern. 

Jeder Hübner zinst: 

iiij metrelas tritici et iiij metrelas avene. Item tria redia solvunt porcum 
vel xv denarios et iiij predia solvunt ovem cum agno [hinzuzufügen: ve/ xvj dan), 

Jeder Zupan zinst: 

ij metretas tritici et iiij metretas avene et agnum vel iii] denarios et porcum 
vel xij denarios ?). 

„Hier zinst der Bauer, so wie dort, Winter- und Sommerfrucht 
gleichmäßig; der Zupan dagegen zinst hier auch Getreide, jedoch 
ungleichmäßig: ebensoviel Sommerfrucht als der Bauer, aber un 
die Hälfte weniger Winterfrucht als dieser. Hier nähert sich, 
was Gegenstände der Zinsung betrifft, der Zupan dem Bauer, 
aber die Tendenz — vielleicht richtiger noch deren Residuum — 
seiner Erwerbsquellen entspricht noch immer der Lebensweis 
des Hirten, da erst die Winterfrucht es ist, welche wir als das 
maßgebendste Kriterium zwischen dem überwiegenden Hirtenleben, 
dem sogenannten Halbnomadentum und der überwiegenden Land 
wirtschaft in unserem Himmelsstriche wahrzunehmen haben‘ ') 


1) Und diese Abgaben, nämlich die von der ersten Gruppe der erste 
provincia, können um Jahrhunderte älter sein als das Rationarium vom 
Jahre 1265! 

2) Raucs, IL. S. 130. 

3) PEISKER, a. a. O. S. 852 [SAbdr. 116] f. — Die Zinsungen sind nicht 
in allen Provinzen gleich, oft bloß für gewisse Gruppen von Ortschaften. 
Will man nun aus diesen Zinsungen etwas für die Lebensweise des Zupan 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 355 


n dieser Darstellung läßt sich nichts hinwegdisputieren. 
18 bestätigt Erzbischof Philipp von Salzburg donationem 
am loci, ubi suppanus Weschemerresidebat, cum 


ıuer gegenüber ermitteln, dann darf man die Zinsung des Zupan 
it der des Bauers eines und desselben Ortes vergleichen. Ergeben 
»ei Unterschiede, die sich am einfachsten durch einen Unterschied in 
vensweise erklären lassen, dann ist man berechtigt, einer solchen Er- 
auch Ausdruck zu geben. Die Zinsung eines Zupan mit der Zinsung 
‚auers nicht derselben Ortschaft, nicht derselben Zinsungsgruppe zu 
hen, ist unzulässig, weil sich die wirtschaftlichen Verhältnisse auf 
denen Plätzen denn doch nicht so gleichmässig entwickeln konnten 
e die Verschiedenheit der Zinsungen lehrt, tatsächlich auch nicht ent- 
haben. Ein derartiges Bergland, wie das officium Tüffer, bietet ja 
| Tälern einen anderen Kulturboden als in den höheren Lagen, ein 
ist hier dem Ackerbau oder der Viehzucht günstiger oder weniger 
als das benachbarte. Stellenweise verschlechtert sich sogar der 
mit der Zeit durch Raubbau derart, daß er schließlich eine fernere 
ıng nicht mehr lohnt. So lesen wir im Rationarium von einer Ort- 
der vierten Provinz officii Tüffer: in Wierst . . . vj predia sunt 
inculta et sine spe colendi (RAUCH II. S. 183). 
; Zinsung von Weizen (triticum) und von Hafer (avena) bezeichnete 
eine Zinsung von Winter- und Sommerfrucht. Diese Bezeichnung 
t etwa eine Kombination von mir, sondern eine Tatsache: 
‚fer, avena, ist eine einjährige Getreideart, die zur Frucht nur im 
x angebaut werden kann, sie ist eine Sommerfrucht überall und zu 
>iten. 
eizen, triticum, wird in allen Kulturländern sowohl als Sommer- 
h als Winterfrucht gebaut, aber man gibt, wo nur möglich, dem 
n den Vorzug. Sommerweizen zu bauen, wo Winterweizen gedeiht, 
gen jede Erfahrung, denn er ist dem Mißwachs und dem Staubbrand 
asgesetzt, und seine Körner sind kleiner und von geringerem Gewicht 
ER, Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Für die österreichischen 
bearbeitete Ausgabe. VII. Teil Wien 1813, S. 70f.). Der Winter- 
war zur Zeit des späten Mittelalters in Deutschland auf tonigem 
illgemein bekannt; bei den Nordslawen bezeugt ihn in der zweiten 
des 10. Jahrhunderts implicite der Augenzeuge IBRAHIM IBN JAKÜB: 
n in zwei Jahrzeiten, im Sommer und im Frühjahr, und ernten zwei- 
nd der größte Teil ihrer Ernte besteht aus Hirse“‘ (siehe oben S. 319). 
irse wird im Mai gesät, also im Frühjahr, dagegen im Sommer, und 
ı manchen Gegenden vorteilhaft schon im August, also im Hochsommer, 
nterweizen (THAER, VIL S. 62 $ 54). 
ist somit möglich, daß die untersteierischen Slawen den Winterweizen 
‘on ihrer früheren Heimat aus kannten, wo nicht, dann haben ihn die 


22e 3. Poker 

cmriu: Qfisnentsss 22 fermes ques idem Weschemer temit, 
fac'am comscatui 12 Cire ad Jasıza ci dem Conuentu 
nece:IATIAM fer GRLEESSETER NOSÈTUME ... archieptscopum 
Licrhardu:r, prout pr:uilegium fer eundem ... eis tradılum 
conlinel . . .”). 

-Loeus*, ubi : LI mer residebat ist nicht etwa 
die bloße übliche | - ı Zupam. sondern eine gan 
Ortschaft, welche Naı des derzeitigen Zupan als On 
namen trug (vgl o N. 332 ‚und ein Weiderevier war, 
das, dem Kloster ad ] © arium, dem Zupan und seinen 
Bauen — wenn überh: t dagewesen sind — abgenon- 
men und in das | einve: ibt wurde. Diese Angabe is 
für unsere Frage u so w r, als es sich um das Kloster 
(seirach handelt,  :lehes ı n dem oflicium Tüffer und den 


von Lichtenwald liegt ?). 

Deutschen frühzeitig eingeführt. Und der slawische Bauer, einmal mit in 
vertraut, wird den ungeheuren Vorteil, den diese Getreideart gerade ais 
Winterfrucht bietet, doch nicht von sich gewiesen haben. Der Vorteil ®* 
steht unter anderem darin, daß die Sa tarbeit geteilt werden kann: Die 
Wintersaat, Weizen, im Hochsommer oder im Herbst, die Sommersaat, Hafer, 
Flachs, im Frühjahr. Auch dem Schafl :n nutzt der Winterweizen, weile, 
namentlich auf Neubruch, zu einem g n Wuchse neigt und in diesem Falle in 
Frühjahr, bis Ende April, also gerade zur Zeit anderweitigen Weidemangels, mit 
Schafen abgehfitet werden kann (THAER, VII. S. 65) und dann um so besser 
gedeiht. Und daß der Winterweizen im 13. Jahrhundert in Untersteiermark 
auch tatsächlich gebaut wurde, beweist der oftgenannte Liber predialis vom 
Jahre 1309: ef si villa habet integrum aratrum, tenctur offciali in eutunÿn 
arare dies duos et in vere diem unum (siehe oben S. 336), das ist: zwei Tage 
zur Winterfrucht (Weizen) und einen Tag zur Sommerfrucht (Hafer). Wurde 
ja, nach den Zinsungen im Rationarium vom Jahre 1265 und im Liber prediabs 
vom Jahre 1309 zu schließen, im südlichen Steiermark (in den Ämtern Tüfer, 
Lichtenwald, Rann) vom Getreide nur Weizen und Hafer gebaut! Des 
Roggen (siligo) begegnet man, dem Norden zu, erst vom officium Windisc- 
Feistritz an. Rauch, II. S. 135 f.). 

1) Urkundenbuch des Hzts. Steiermark. Bearbeitet von J. v. ZAE*. 
HI, Graz 1908, S. 83. 

2) Levee, a. a. O. S. 73: „Der gesamte Besitz eines Supans wi 
hier an das Kloster vergabt. Dieser gesamte Besitz aber besteht durchset 
nur in Weideland! Mit anderen Worten: War der Supan noch um dis 
Mitte des XIII. Jahrhunderts vorwiegend Viehzüchter und Hirt, so "# 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 357 


In der ersten provincia officii Tüffer, der sub regimine schephonis 
yrredei, lernten wir bereits die Stelle kennen: 

Item in loco, qui dicitur (vom, sunt v supani, quorum 
welibet solvit ovem cum agno, pro porco ilj denar., pro agno 
‘27, pro lıno itig. Sub eisdem supanis sunt xviij predia, quo- 
um quodlibet solvit ovem cum agno et quelibet villa illarum 
Hvit v denarios: pro porco ii], pro lino tj. 

Locus Cvom zinst überhaupt kein Getreide und ist, auch an- 
esichts der Urkunde vom Jahre 1248, wohl ebenfalls Weide- 
»vier, in welchem nicht nur die Zupane, sondern auch die Bauern 
orwiegend Viehzucht trieben; der Boden wird eben für Getreide- 
au nicht günstig gewesen sein. 

Wollen wir jetzt die ziffernmäßige Höhe der Belastung ins 
uge fassen und zu diesem Zwecke an einem beliebigen Beispiele 
lie zweite provincia, siehe oben S. 354) berechnen, wieviel der 
‚upan zinsen müßte, wenn er dem Bauer darin gleichgestellt, sein Zins 
einer Bodenzins und nicht ein bevorzugender Personalzins wäre. 

Der Bauer zinst dort: .. 

- 4 M. Weizen, 4 M. Hafer, !/s Schwein =5 4, ‘/a Schaf mit 
amm = 4 ef. 

Gleichgestellt, müßte der zweihubige Zupan zinsen: 

8 M. Weizen, 8 M. Hafer, ?/s Schwein = 10 4, ‘/1 Schaf 
it Lamm = 8 4. 

Er zinst aber: 

2 M. Weizen, 4 M. Hafer, 1 Schwein = 12 4, 1 Lamm = 4 4. 

An Weizen zinst er somit bloß ‘/4, an Hafer und an Schafzins 
ie Hälfte, dagegen an Schweinezins nur zwei Denare, also um 
in Unbedeutendes, um den Wert eines Sechstels eines Schweines 
ehr, denn er war Gebieter auch der Eichel- und Eckerweide 
nd zu einem größeren Auftriebe befugt. Es dürften politische 
tücksichten gewesen sein, die den deutschen Machthaber veran- 
ten, ihn durch eine recht geringe Belastung günstig zu stim- 
en. — 


r es stellenweise zu Beginn des XIII. Jahrhunderts — etwa 40 Jahre früher 
- noch ganz ausschließlich. Er besitzt kein Ackerland, sondern nur 
Veide, und das weist mit Notwendigkeit darauf hin, daß er ein Hirtenleben 
ührte.“ 


358 J. Peisker 


Im 13. Jahrhundert wurden in der Südspitze Steiermarks an 
Vieh nur Schafe und Schweine gezinst. Auch besondere 
Schäfereien werden genannt als Neuanlagen'). Was veranlaßte 
diese Neuanlagen?: 

Die den Slawen belassenen Gebiete erwiesen sich mit der 
Zeit für die Brandwirtschaft an manchen Orten als viel zu klein. 
Eine Hube Landes mußte eine Bauernfamilie ernähren, und weil 
sie zu knapp bemessen war, konnte dem Boden hinreichend lange 
Ruhe zur Erholung nicht belassen werden. Ihre Ertragsfähigkeit 
sank durch eine solche Raubwirtschaft immer mehr und versagte 
schließlich vollends?). Ganze Ortsmarken wurden nicht mehr 
anbaufähig, zur Weide waren sie jedoch immerhin verwendbar. 
Man legte also Schäfereien an und kehrte dadurch zu jener 
Bodennutzung zurück, welche dereinst die Zupane als reine Schaf- 
wanderhirten geübt hatten, denn auch die Gewalt, die man dem 
Boden antut, hat ihre Grenzen, über welche hinaus sie selbst 
zusammenbricht; und weil der Zupan zum Betriebe einer Schäferei 
geeigneter war als ein Bauer, so fielen diese Neuanlagen ver- 
mutlich zu seinem Vorteil aus. — 

Schweinezucht kann wanderhirtlich nicht betrieben werden, 
denn das Schwein ist kein eigentliches Herden- und Weidetier. 
Während das Schaf, ja auch das Pferd auch im Winter herden- 
weise Nahrung findet, die es unter dem Schnee herausschart, 
will das Schwein im Winter gefüttert und eingehegt sein, 
sonst verläuft es sich einzeln. Der Nomade führt infolgedessen 
keine Schweinezucht. Zu einer solchen ist, nebst reichlicher 
Eichel- und Bucheckermast, ein gewisser Grad von Ansässigkeit 
des Züchters unerläßlich, wie sie nicht dem Wanderhirten, son- 
dern dem Bauer eigen ist. Aber auch für diesen ist eine 
Schweinezucht mühsam, weil er das nötige Winterfutter sammeln 
oder gar anbauen, und davon ganze Vorräte anlegen muß und 


1) Summa vero totalis prediorum officii in Tyuer: Quingenti et xix dj 
de quibus xj redacta sunt in octo sweigas. — RAUCH, II. S. 13. 


Item institui ibidem swaigam unam cum ovibus lactariis xx. — PEISKER 
a. a. O. S. 861 (123). 
2) Item in Vierst...vj predia sunt penitus inculta et sine spe coli. 


RAUCH, II. S. 133. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 359 


ı die Herbstweide an Eicheln und Bucheckern oft jahrelang 
leibt. Er kann somit die Schweinezucht nur unregelmäßig 
eiben, solange er nicht zu einer regelrechten Stallfütterung 
schreiten vermag. In den Eichel- und Eckerjahren hat er 
gewaltigen Überfluß, er kann in dieser günstigen Zeit sogar 
ıdes Vieh zur Weide aufnehmen, worauf dann oft ein sehr 
‘er Futtermangel eintritt. 
Man darf demnach als sicher annehmen, daß auch in | Unter- 
mark vor der deutschen Landnahme die Zupanenschicht 
afzucht und damit Milchwirtschaft trieb, während dem Bauer, 
keine Milchnahrung kannte, höchstens das fettspendende 
wein, und zwar in einer sehr beschränkten Zahl zur Ver- 
ing stand!) Nach der deutschen Landnahme wurde auch 
Zupan durch Auflösung der großen Zupen, als Weidereviere, 
:nzelne Ortsmarken, OrtsZupen, das bisherige Wanderleben 
‚öglich gemacht, auch er wurde allmählich ansässig und kam 
lie Lage, ebenfalls Schweinezucht mit zu treiben, wo aus- 
hnte Eichen- und Buchenwälder ihn förderten. Dadurch er- 
te in gewissen Gegenden die Lebensweise des Zupan und 
der Bauern eine weitere Ausgleichung?). Ja, es konnte so 
: kommen, daß hie und da, wo der durch Raubbau aus- 
gene Boden die Saat nicht mehr lohnte, dafür aber einige 
t gewährte, auch der Bauer überwiegend Viehzüchter 
de, so, wie sein Zupan einer war, denn wir lesen im Ratio- 
um: 

.. in loco qui dicitur Cvom sunt v supani, quorum quilibet 
Ut ovem cum agno, pro porco tij denar., pro agno ti), 
lino itig. Sub eisdem supanis suut xviij predia, quorum 
Tibet solvit ovem cum agno et quelibet villa illarum solvit 
enarios: pro porco iij, pro lino ij. Hier zinste weder Zupan 


1) Über die Rinderzucht läßt sich nichts Bestimmtes sagen und nur 
mit einiger Sicherheit annehmen, daß das Rind nicht gänzlich fehlte, 
die Awaren ebenso wie die Petschenegen und früher die Nomadenskythen 
ler hatten, und zwar als Zug-, kaum als Milchtiere. 

2) Die uns schon bekannte Stelle: si villa habet integrum aratrum setzt 
)chsengespann voraus, und das würde für das 13. Jahrhundert und wohl 
schon für früher auf eine bäuerliche Rinderzucht hinweisen. 


360 J. Peisker, Die älter. Bez. d. Slawen z. Turkotataren etc. 


noch Bauer irgendein Getreide, sondern nebst Flachs bloß 
Vieh!). — 

1) Raucx, IL. S. 129. Der Fall ist keineswegs vereinzelt: sin Chrisant;- 
torf sunt x predia, de quibus supanus habet ij. Census vero aliorum viij pre 
guolibet: mellis i quartale, item tota villa dat i porcum vel x den., agnum vel vi 
denarios .., folgen weitere drei Dörfer mit dem gleichen oder fast gleichen 
Census. — /n Warissen viij mansus,; solvunt mel et tota villa i porcum. Suppr 
dragen x mansi simili censu, Afut Heinricum x mansi simili censu. Apıl 
Xvneten viiij mansi; solvunt mel et quilibet i porcum et tota villa à agnum, 
Folgen weitere drei Dörfer mit zusammen 22 Huben simili censu. A... (. 
S. 141 f., 170. 


(Schluß folgt in Heft 4.) 


as Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter 
und zu Beginn der Neuzeit. 
Von 
Johannes Müller (Nürnberg). 





Inhaltsverzeichnis. 
Seite 
Einleitung. 
Die geographische Grundlage . . . 0. 362—868 
Übersicht über die Rodstationen der beiden groben 1 Tiroler Rod- 
straßen . . . 2 2 . . . . . + + + 367—372 
Erster Teil. 


le Entstehnng und Organisation des Rodwesens Bayerns und Tirols 
im Spätmittelalter. 


1 Ursprung der Transportverbände Bayerns und Tirols 
und Verkehrsentwicklung in den Ostalpen während des 
Spätmittelalters. 
Der Ursprung der Transportverbände Bayerns und Tirols im 
13. Jahrhundert. . . 2... 372—382 
Die rapide Entwicklung des "deutsch-italienischen Verkehrs im 
Bereich der Ostalpen während des 14. Jahrhunderts. . . 382-388 


I. Die Organisation des Rodwesens Bayerns und Tirols 
im Spätmittelalter. 


Die Voraussetzungen der Mitgliedschaft an der Rod . . . . 388—392 
Die Organe des Rodwesens Bayerns und Tirols. . . . . . 393-397 
Rechte und Pflichten der Rodleute . . . 2 . . . . . . 897—404 

HI. Der Transportbetrieb. | | 
Die Arten des Transportbetriebes . . . . . 2 . . . . . 404-413 
Die Niederlagshäuser und Gutfertiger . . . . + . + + 414—420 


(Schluß folgt in Heft 4) 


Einleitung. 
1. Die geographische Grundlage‘). 
Dem Verkehre Mitteleuropas mit Italien standen im Mittel- 
alter drei Straßengruppen zur Verfügung, von denen jede nach 


Hauptrichtung, Einzelverlauf und nach der Anzahl sowie den 
Grad der dabei zu besiegenden Terrainschwierigkeiten ihre Eigen 


tümlichkeiten hatte. Die Schweizer Alpenstraßen, durch ds 
System der Rhonepässe und der Rheinpässe sowie des erst späte 
erschlossenen Gotthardpasses vertreten, stellten die Verbindung | 


zwischen Ostfrankreich und Südwestdeutschland einerseits, der 
westlichen Hälfte der Po-Ebene andererseits her und konvergierten 
nach dem Mittelpunkt dieser Ebene, nach Mailand, das die von de 


drei großen Schweizer Seen, dem Genfer, Vierwaldstätter und Bode 


see, ausgehenden, bedeutende Paßhöhen (Simplon 2009 m, St 
Gotthard 2114 m, Splügen 2117 m) und tief eingerissene Schluchten 
durchschreitenden Verkehrswege vollkommen symmetrisch wie i 
einem Strahlenbündel zusammenfaßte. 

Die Tiroler Alpenstraßen, die im Süden des Gebirgswalle 
zwar auch einem Hauptziele, nämlich der Lagunenstadt, zustreb- 
ten, unterschieden sich trotz dieser Ähnlichkeit von den Schweizer 
Straßen in jeder Richtung. Schon an Zahl — zwei gegen sechs 
— hinter diesen bedeutend zurückstehend, kennzeichnete die zwä 
von Norden nach Süden führenden Tiroler Straßen, die untere 
Straße über den Brenner und die obere Straße über das Rescher- 
scheideck, ein eigentümlicher intermittierender Parallelismus, der 
durch das Einschieben der breiten krystallinischen Masse der 


1) Vgl. hierfür des Verf. Aufsatz „Das spätmittelalterliche Straßen- und 
Transportwesen der Schweiz und Tirols“. (Eine geographische Parallele) 
Geographische Zeitschrift B. 10 S. Sö fl. 





J. Müller, Das Rodw. Bayerns u. Tirols i. Spätmittelalter etc. 363 


taler Alpen und der Südtiroler Dolomiten zwischen den mitt- 
n Teil der beiden großen Fahrstraßen hervorgebracht wurde. 
diese zwei nordsüdlich ziehenden Hauptverkehrsstraßen Tirols, 
zum Unterschied von den nur die zentrale Alpenzone traver- 
renden Schweizer Alpenstraßen die drei Parallelzonen der Ost- 
en in allerdings niedrigen Pässen überschritten !), mündeten 
ı Westen vier und von Osten zwei Transversallinien, die 
chtpaß-, die Arlberg-, die obere Inntal- und die Stilfserjoch- 
aße, die untere Inntal- und Pustertalstrasse ein, die die Ver- 
ıdung Tirols mit der Schweizer Rheintalstraße einerseits, mit 
r Salzburger-Kärntnerstraße andererseits herstellten. 


Die dritte Gruppe der deutsch-italienischen Alpenstraßen des 

ttelalters, die kärntnerisch-steierischen Straßen um- 
send, nahm ihren Ausgangshauptpunkt im Süden von Venedig, 
eich den beiden Hauptverkehrswegen Tirols. Von Venedig über 
ntafel bis Villach in einer Linie ziehend, teilte sich von diesem 
ehtigen Straßenkreuzungspunkt Kärntens an die Straße zunächst 
zwei divergierende Äste, die nordwestlich ziehende Salzburger 
d die nordöstlich verlaufende steierische Straße mit dem End- 
nkt Wien. Von der letzteren zweigte in Unzmarkt an der 
ir wiederum eine direkt nach Norden gerichtete Straße ab, die 
er Rottenmann nach Steyer in das untere Ennstal führte und 
i Linz an der Donau endete. 


Von den drei Straßengruppen soll hier nur die mittlere, die 
n Verkehr zwischen der schwäbisch-bayerischen Hochebene 
d Venedig vermittelte, betrachtet werden, da einesteils diese 
raßen für den mittelalterlichen Handel von ganz hervorragen- 
T Bedeutung waren, andernteils dem Verfasser dieser Abhand- 
ng ein ziemlich reiches Quellenmaterial für die Geschichte des 
rkehrs in diesem Gebiete zur Verfügung stand. 


Die obenerwähnten beiden großen Verkehrsstraßen Tirols, 
e obere und die untere Straße, hatten nicht von je als Kon- 


_ 


efelder Paß 1176 m, Brennerpaß 1372 m, Peutelsteinpaß 1544 m. 
Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 24 


364 Johannes Müller 


kurrenzwege für den deutsch-italienischen Handel und Verkehr 
bestanden, sondern hatten sich als solche erst im Laufe des spä- 
teren Mittelalters unter der Einwirkung des stetig wachsenden 
Verkehrs von Südwestdeutschland nach Venedig entwickelt. Im 
früheren Mittelalter, also etwa bis zum Untergang der Hohen- 
staufen, wo das Bedürfnis der raschen Heranführung einer be- 
deutenden Truppenmacht aus Deutschland nach Ober- bezw. 
Mittelitalien auf die Benützung einer möglichst meridional ver- 
laufenden Heeresstraße hinwies, war der Weg von Augsburg über 
das Seefeld und den Brenner, sodann durch das Eisack- und 
Etschtal die fast ausschließlich von den deutschen Kaisern bei 
ihren Römerzügen benützte Heeresstraße, die wir uns in jener 
Zeit auch als die Haupthandelsstraße zwischen Süddeutschland 
und Oberitalien vorstellen müssen). 

Als aber im 13. Jahrhundert der Handel zwischen dem see 
beherrschenden Venedig und den mitteleuropäischen Ländern sich 
immer mehr entfaltete, als die süddeutschen Handelsemporien, 
vor allem Augsburg und Ulm, die wichtigsten Zwischenstatione 
zwischen der Lagunenstadt, dem Stapelplatz der orientalische 
Waren, und den Rheinlanden, dem fruchtbarsten und dichtes 


à dm ue 


na à 


de hr nr 


bevölkerten Gebiete Mitteleuropas, wurden, da wurde nicht nur | 


das Bedürfnis nach einem zweiten grossen Verkehrsweg nebei 
der Brennerstraße fühlbar, sondern es mußte auch die in der 
Brennerstraße bisher eingehaltene meridionale Richtung in die süd- 
südöstliche Richtung umschlagen, da der Verkehr nach Venedig 
gleichsam alle übrigen Verkehrsadern von Süddeutschland nach 
der Osthälfte der Po-Ebene aufsog. 

Betrachtet man nun den Verlauf der oberen und der untere 
Straße Tirols im einzelnen, so wird man die Abhängigkeit derselbe 
einesteils von den großen Faltenlinien der Ostalpen, andernteil 
von den die Falten quer durchsetzenden Bruchlinien gewalr. 
Durch dieses abwechselnde Einschwenken der beiden große 
Verkehrslinien einmal in die Längsfalten, dann wieder in die 
Querspalten des Gebirges entstehen jene zahlreichen rechtwink- 





1) Vgl. E. OHLMANN, Die Alpenpässe im Mittelalter (Jahrbücher für | 


schweizerische Geschichte, 3. und 4. Bd.). 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 365 


sen Knickungen, die für die deutsch-venezianischen Handels- 
raßen Tirols so charakteristisch sind. 

Die obere Straße, die von Ulm bis Kempten das Illertal 
nützte, bog bei der letztgenannten Stadt aus der bisher ein- 
haltenen Südrichtung in die Südostrichtung ab und behielt 
ieselbe mit Benützung der Querspalte von Nesselwang, des un- 
ren Vilstales und der Furche von Heiterwang bis Lermoos bei. 
ei Lermoos erfuhr die obere Straße Tirols den ersten recht- 
inkligen Knick; denn die Wegstrecke von Lermoos über den 
ern und Imst bis Landeck verlief in. der nordöstlich gerich- 
ten Inn-Gurgl-Talung, die ein Glied der großen, vom Patznaun 
is zur Vorderriß reichenden Längsfurche bildet. Die scharfe recht- 
rinklige Umknickung wiederholte sich in der oberen Straße noch 
ünfmal und zwar jedesmal da, wo ein wichtiges Seitental in die 
Hauptstraße einmündete. So traf am Innknie bei Landeck die 
Arlbergstraße auf die große, über das Reschenscheideck ziehende 
Verkehrsstraße, am Etschknie bei Meran das vom Jaufenpaß 
abzweigende Passeyertal, am Etschknie bei Bozen das zum 
Brenner führende Eisacktal. Bei Trient verließ die obere Straße 
die Etschlinie, schwenkte im rechten Winkel in die Val Sugana 
ein und behielt die damit eingeschlagene Westostrichtung bis 
Primolano bei. Am letztgenannten Orte, geschichtlich bekannt 
durch die Talenge von Kofel (Canale di Brenta), war die letzte 
rechtwinklige Ablenkung der oberen Straße, indem die Straße, 
anstatt der nach Osten weiterführenden Belluneser-Linie zu folgen, 
in dem südlich verlaufenden Brentatal über Bassano und Castel- 
franco nach Westen zog und sich bei letztgenanntem Orte, also 
ümittelbar vor Venedig, mit der von Treviso kommenden un- 
teren Straße vereinigte. 

Die untere Straße nahm ihren Ausgang von Augsburg, 
folgte dem Lech bis Schongau und zog, die Ammer bei Echels- 
bach unweit des Klosters Rothenbuch überschreitend, über Ammer- 
sau und Ettal in südöstlicher Richtung bis Oberau, wo sich 
uit ihr eine zweite von Augsburg ausgehende, jedoch wenig be- 
lützte Straße, die über Mering, Inning am Ammersee, Weilheim 
nd Murnau dem Gebirge zustrebte, vereinigte. Von Oberau 
ing die Straße über Partenkirchen, Mittenwald und Zir! 


366 Johannes Müller 


nach Innsbruck, an jedem der vier genannten Orte in einem 
scharfen rechten Winkel abbiegend ')., Von Innsbruck bis Oberau 
in Tirol oder Franzensfeste, an der Einmündung des Puster- 
tales, verlief die Straße wie die heutige Brennerbahn in direkt 
südlicher Richtung; von dem letztgenannten Orte an aber schwenkte | 
die Hauptstraße, im späteren Mittelalter wenigstens, aus der Süd- 
richtung in die ÖOstrichtung um, zog in dieser Richtung dur | 
das Pustertal bis Toblach, bog hier in scharfem rechten Winkel | 
wieder nach Süden zum Paß von Peutelstein ab und behielt nu | 
die Südrichtung auf ihrem ganzen weiteren Verlauf, über Cortms | 
d’Ampezzo (Haïden), Pieve die Cadore, Serravalle und Trerie | 
ziehend, bis Venedig bei. | 


Zwischen den beiden großen, im ganzen parallel verlaufenden | 
Hauptrouten Tirols gab es nun im späteren Mittelalter vier Ver- | 
bindungsstraßen, von denen zwei am Alpenrand, zwei innerhalb 
der Alpen verliefen. Die Verbindungsstraße am Nordrand ging | 
von Schongau nach Füssen, dem Lech entlang oder, da schen i 
im 14. Jahrhundert eine Wasserrod auf dem Lech von Füsse | 
bis Augsburg bestand, auf dem Lech selbst. Die am Südrand 
der Palagruppe dahinziehende Querstraße verband Primolano a | 
der Brenta mit Capo di Ponte an der Piave. Von den beiden 
inneren Verbindungsstraßen endlich verlief die eine, die sog. 
mittlere Straße, im mittleren Inntal von Nassereit über Telfs nach 
Zirl, die andere im unteren Eisacktal von Franzensfeste bis | 
Bozen. Von diesen vier Verbindungsstraßen war die untere Eisack- 
straße im späteren Mittelalter die am wenigsten frequentierte; | 
denn auf derselben wurde erst in der zweiten Hälfte des 16. : 
Jahrhunderts die Rod eingeführt, die auf den drei übrigen, der 
Füssen-Schongauer, der Telfser und der Belluneser Straße, schon 
lange zuvor im Gebrauch war. 


1) Bei Mittenwald stieß die von München herführende bayerische Straße | 
auf den Hauptverkehrsweg zwischen Schwaben und Venedig; dieselbe be | 
nützte ursprünglich in ihrem ganzen Verlauf das Isartal von München bis | 
Mittenwald, führte aber seit Erbauung der Kesselbergstraße unter Hersg | 
Albrecht IV. von Wolfratshausen über Benediktbeuren und den Walchenste | 
in gerader südlicher Richtung nach Mittenwald. 





Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. | 367 


Übersichtüber die Rodstationen der beiden großen 
Tiroler Rodstraßen. 


Im Mittelalter bestand für Kaufleute, die mit ihren Waren- 
igen ein bestimmtes Gebiet kreuzten, nicht nur ein oft sehr 
reitgehender Routenzwang sondern es unterlagen die Kaufmanns- 
üter auf einer von ihnen benützten Verkehrsstraße auch dem 
liederlagsrecht derjenigen Ortschaften, deren Gemeindegenossen 
en Transport der Güter zu besorgen oder, nach dem mittelalter- 
chen Ausdruck, „auf der Rod zu fertigen“ hatten. Da die 
taschheit des Transportes in umgekehrtem Verhältniss zu der 
‚ahl der mit Niederlagsrecht ausgestatteten Zwischenstationen, 
er sog. Rodstationen, stand, die Höhe der Transportkosten aber 
n dem gleichen Maße wuchs, wie sich diese Zahl vermehrte, 
o ist es für die Abschätzung des kommerziellen Wertes der 
eiden großen Tiroler Rodstraßen zunächst von Bedeutung, die 
‚ahl der Rodstätten sowie die Entfernungen derselben voneinander 
uf beiden Straßen festzustellen. Aus den bei den einzelnen 
todorten angegebenen Höhenzahlen läßt sich zugleich ein un- 
efahres Bild von den Steigungsverhältnissen der beiden Routen, 
ie trotz der geringen Verschiedenheiten in der Länge und in 
er Höhe der Pässe durchaus nicht die gleichen gewesen sind, 
ewinnen. Als Ausgangspunkte im Norden seien Schongau und 
‘üssen gewählt, da erst von diesen beiden Orten an den beiden 
’erkehrswegen der Charakter einer Gebirgsstraße zukommt. 


Rodstationen der oberen Straße von Füssen bis Venedig um 1500. 












kintfer- 


ed Pallhaus und Wage. 
Meilen. 


Namen, politische Zugehörigkeit 
und Meereshöhe der Stationen. 








. *Füssen oder Vils, Bistum 
Augsburg 797 m. . . 

2. Heiterwang, Grafschaft Tirol, 

991 m . 

3. Lermoos, Grafsch. Tirol, 987 m, 
*Fern 1203 m. . . . 

. Imst, Grafsch. Tirol, 672 ı m. 

. Zams, Grafsch. Tirol, 773 m 


Pallhaus und Wage. 
Kein Pallhaus und keine Wage. 
Pallhaus und Wage. 


Pallhaus und Wage. 
Pallhaus und Wage. 


Où À 


368 Jobannes Müller 


Rodstationen der oberen Straße von Füssen bis Venedig um 15 


tfer- 
nun gen 


Namen, politische Zugehörigkeit Pallhaus und Wage. 


und Meereshöhe der Stationen. Men. 





6. Prutz, Grafsch. Tirol, 861 m, Wage, aber nur ein verfa 
*Finstermünz 1106 m . 2 Pallhaus. 
7. Nauders, Grafsch.Tirol, 1362 m, Kein Pallhaus, aber eine W 
Reschenscheideck 1494 m . 8 
8. Glurns, Grafsch. Tirol, 915 m 8 Kein Pallhaus, aber eine W 
9. Lätsch, Grafsch. Tirol, 648 m 8 Pallhaus und Wage. 
*T611 . . Kein Pallhaus, aber eine W 
10. Meran oder Ober- und Nieder- 
mais, 320 m . . 3 Kein Pallhaus, aber eine W: 
11. Terlan, Grafsch. Tirol, 248 m 2 Kein Pallhaus, aber eine Wi 
*Bozen 
12. Neumarkt, Bistum. Tant | 
211 m . 8 Pallbaus und Wage. 
13. *Trient, Bistum Trient, 198 m | 4 Kein Pallhaus, aber eine Wa 
14. Persen, Bistum Trient, 480 m |; 1'}, | Kein Pallhaus, aber eine Wa 
15. Levico, Bistum Trient, 507 m | 1f/, | Offenes Pallhaus und Wage. 
16. Castelnuovo (Castelneuf), Graf- 
schaft Tirol, 370 m. . . . | 24, | Kein Pallhaus, aber eine Wa 
17. Grigno (Grimb), Grafsch. Tirol, 
250 m 2 
18. *Primolano, Herrschaft Vene- 
dig, 217 m . . . 1’, 
19. Cismone, Herrschaft Venedig, 
205 m . . . 1 
20. Carpane, Herrschaft Venedig 
148 m . . . | 1'/, 
21. Salagna, Herrschaft Venedig 1 
22. Bassano, Herrschaft Venedig, | 
129 m la 
23. Castelfranco . | 8 
24. Mestre . | 4 


Se € 


s Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 369 


n der unteren Straße von Schongau bis Venedig um 1500. 
tische Zugehörigkeit |nungen 
höhe der Stationen. ee | 


_ — 


u,Hzgt. Bayern, 668 m | 


Pallhaus und Wage. 














Pallhans und Wage. 


d’Ampezzo (Haiden), | Pallhaus und Wage. 
Venedie 1224 m . 


S, Vito), Venedig, 


u, Hzgt. Bayern, | # | Pallhaus und Wage. 
‘chen, Bist, Freysing, | Pallhaus und Wage, 
te 
ald, Bist. Freysing, | | Pallhaus und Wage. 
L) ® = =" “ 0] L] [> 2 
trafseh. Tirol, 1176 m | 9 Kein Pallhaus und keine Wage. 
afsch. Tirol, 620 m. | 2 Kein Pallhaus, eine Wage. 
k,Grafsch.Tirol,574m | 8 | Ar ser li 
iraf: Tirol | | Pallhaus un , 
rafsch. Tirol, 993 m | 11}, Se u = 
rafsch. Tirol, 1370 m | 31}, ein ans, eine Wage. 
Grafsch. Tirol, 998m | 4 | Pallhaus und Wage. 
h,Grafsch. Tirol, 777m | g | Pallhaus und Wage. 
, Bist. Brixen, 835 m | 9 Pallhaus und Wage. 
Grafsch. Tirol,1209m | Q | Pallhaus, keine Wage. 
oder Ospetale . „| 2 Kein Pallhaus und keine Wage. 
ein, 1544 m 
| 
| 


to 


Pallhaus und Wage, 


in (Valle), Venedig, | 


Venedig, 490 m. . 3 

'onte, Venedig, 395 m | 9 

Venedig, 875 m. . 31e | 
e, Venedig, 144 m .| 9 
10, Venedig, 62 m . 9 
‚ Venedig . . . . 2 
‘enedig 


einem Stern versehenen Stationen waren Zollstätten; demnach 

eiden Straßen von Schongau bis zur venezianischen Grenze 
-9) Zollstätten, eine im Verhältnis zu andern mittelalterlichen 
3en auffallend geringe Zahl. 


370 Johannes Müller 


Rodstationen der vier Verbindungswege zwischen der oberen und der 
unteren Straße um das Jahr 1500. 





Namen und politische Zugehörig- 


keit der Stationen. Pallhaus und Wage. 


a) Füssen-Schongauer Straße. 
. | 4 Pallhaus und Wage. 


Pallhaus und Wage. 
b) Telfser oder mittlere Straße. 


. Nassereit, Grafsch. Tirol 
. Telfs, Grafsch. Tirol . 
8. Zirl, Grafsch. Tirol 


pond 


. Füssen, Bist. Augsburg . 
2. Schongau, Hrzgt. Bayern 








pond 


21/3 
2 


D 


Pallhaus und Wage. 
Kein Pallhaus, aber eine Wage. 








c) Untere Eisackstraße (Franzensfeste-Bozen). 


. Bozen, Grafsch. Tirol . . . | x Pallhaus und Wage. 


2. Brixen, Bist. Brixen . . . .| Pallhaus und Wage. 


pi 


d) Belluneser Straße. 
. Primolano Herrsch. Venedig .| _, 
. Feltre, „ „ . 2: 
3. Belluno . „ . 4 


DD We 





Aus dieser kurzen Übersicht ergibt sich zunächst eine fat 
vollkommene Übereinstimmung der beiden Hauptrodstraßen wie an 
Länge so auch hinsichtlich der Anzahl der Rodstationen, ferner 
die gleichfalls sehr bemerkenswerte Tatsache, daß die unter 
Straße mit weit mehr Pall- oder Niederlagshäusern ausgestattl 
war als die obere Straße, die eben zu jener Zeit an kommer 
zieller Bedeutung schon weit hinter der geringere Terrainschwie- 
rigkeiten und günstigere Witterungsverhältnisse aufweisenden 
Brennerstraße zurückstand. Auf der unteren Straße entbehrten 
nur die mit den Paßübergängen von Bayern nach Nordtirol und 
von Südtirol nach Venetien zusammenfallenden Stationen Seefell 
und Peutelstein eines Pallhauses wie einer Wage und außer 
dem besaß auch Toblach keine Wage. Der Mangel solcher Rod- 
stationsattribute bei Seefeld und Peutelstein erklärt sich daraus, 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 371 


ß diese beiden Stationen ursprünglich sog. Unterrodstätten, 
s heißt Stationen waren, die zwar keine eigene Rod besaßen, 
er durch Gewohnheit zu dem Recht gekommen waren, daß an 
ıen der Transportwechsel zwischen den Mittenwalder und Inns- 
ucker Rodleuten beziehungsweise den Toblacher und Haidener 
ıhrleuten stattfand. Solche Unterrodstätten gab es auf den 
iden großen Rodstraßen noch je eine, nämlich Leyfers zwischen 
>rlan und Neumarkt und Mauls zwischen Sterzing und Mühl- 
ıch, von denen jedoch nur die eine, nämlich Leyfers, in dem 
er in Betracht kommenden Zeitraum als offizielle Unterrod- 
ätte anerkannt wurde, d. h. eine eigene Rodordnung besaß, 
ährend die Maulser Fuhrleute mit den Mühlbachern ein Privat- 
bkommen getroffen hatten, wonach sie gegen eine entsprechende 
‚bfindung die zu Mauls abgeworfenen Güter von ihrem Ort bis 
ach Sterzing zu führen hatten. Dieser Pakt hinderte aber die 
faulser nicht, von den Kaufleuten noch einen eigenen Überlohn 
owie Niederlagsgeld für die zu Mauls durchgehenden Güter zu 
ordern. 

Abgesehen von diesen offiziellen und halboffiziellen Unterrod- 
tätten auf beiden Straßen gab es auf außergewöhnlich langen 
strecken noch mehrere, von den Rodleuten nach eigenem Ge- 
allen ausgewählte Zwischenstationen, auf denen die Umladung 
ler Kaufmannsgüter nach gegenseitigem Übereinkommen zweier 
enachbarter Rodstationen per nefas stattfand. Solche wider 
todrecht gebrauchte Zwischenstationen waren z. B, zwischen 
'chongau und Füssen der Sammeister, ein Wirtshaus oberhalb 
«echbruck, zwischen Schongau und Oberammergau Echelsbach 
n der Ammer, zwischen Schongau und Spöttingen Asch, zwischen 
'eumarkt und Trient St. Michele. An diesen Orten übernahmen 
auern bezw. Wirte, die nicht in der Rod waren, die Beförde- 
ing der Güter bis zur nächsten Rodstation, selbstverständlich 
ieder nur gegen eine entsprechende Entlohnung durch die Kauf- 
ate oder deren Faktoren, wodurch die an und für sich hohen 
ransportkosten abermals erhöht und die Handelsleute zu stets 
euen Klagen über Verletzungen der aufgerichteten Rodordnungen 
eranlaßt wurden. Die einfachste Abhilfe dieser Beschwerden, so 
lite man glauben, wäre die gewesen, daß die genannten Ort: 


372 Johannes Müller 


zu Unterrodstätten erhoben und mit Pallhäusern versehen wor- 
den wären. Der Versuch hierzu ist bei zweien dieser Orte, näm- 
lich bei Asch seitens der Schongauer und bei St. Michele seitens 
der Rodleute von Trient, auch mehrmals gemacht worden, aber 
jedesmal an dem Widerstand der Kaufleute und Gutfertiger ge- 
scheitert!). Die letzteren fürchteten eben nicht bloß eine weitere 
Verzögerung des schon jetzt sehr langsamen Transportes ihrer 
Güter sondern scheuten vor allem vor der Mehrung der Unkosten 
zurück, die sich notwendigerweise bei der Errichtung neuer Rod- 
orte durch Fuhrlöhne und Niederlagsgelder ergeben mußten. Wie 
hoch sich aber die Kosten für den Transport der Kaufmanns 
güter samt den Zöllen, Niederlags-, Wacht- und Faktorengelder 
in jener Zeit beliefen, das läßt eine Mitte des 17. Jahrhunderts 
angestellte Berechnung der Transportspesen von Venedig nach 
Augsburg erkennen. Nach dieser Berechnnng betrugen die Trans 
portkosten eines Saumes oder eines Ballens von vier Zentnem 
inkl. der Zölle von Venedig nach Augsburg via Trient-Bozer- 
Brenner-Seefeld-Schongau 22 fl. 15 kr.?). 


Erster Teil. 


Die Entstehung und Organisation des Rodwesens Bayerns 
und Tirols im Spätmittelalter. 
I. Ursprung der Transportverbände Bayerns und Tirol 


und Verkehrsentwicklang in den Ostalpen während de 
Spätmittelalters. 


1. Der Ursprung der Transportverbände Bayerns 
und Tirols im 13. Jahrhundert. 


Die Benützung der öffentlichen Straßen und schiffbaren Flüsse 
für den Transport war ursprünglich ein königliches Regal und 








1) Vgl. die Unterhandlungen zwischen der Stadt Augsburg und der Inu 
brucker Regierung über die Errichtung einer Unterrod zu St. Michele im Jahre 
1533, Augsb. Handelsv.-Archiv LXXXX. Nr. 50 und 56 Fasc., sodann dit 
Unterhandlungen zwischen Schongau und den Augsburger Kaufleuten übe 
die Errichtung einer Unterrod zu Asch vom Jahre 1548, Augsb. Handelt. 
Archiv Fasc. LXXXX. Nr. 112, 113 und 114. 

2) Vgl. Beilage I. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 373 


konnte als ein Recht an einzelne Personen oder Korporationen 
verliehen werden. Solche Verleihungen fanden wie in anderen 
Teilen des Deutschen Reiches schon früh auch in den Alpen- 
gebieten Tirols und Bayerns statt, wie z. B. die Venezianer durch 
die Kaiser Otto I., Otto I. und Otto III. Freiheitsbriefe für die 
Benützung der Flüsse und Landstraßen in ihrem Alpenhinterlande 
erhielten’). 

Als nun im Laufe des 13. Jahrhunderts die Mehrzahl der 
königlichen Hoheitsrechte in die Hände der Territorialherren 
überging, war es das Bestreben der letzteren, vor allem die Ver- 
kehrshoheiten (Markt-, Münz-, Zoll- und Straßenregal) ganz in 
ihre Gewalt zu bekommen, da die daraus fließenden Einkünfte 
mit der fortschreitenden Entwicklung der Gewerbe und des Han- 
dels im Spätmittelalter als die ergiebigsten Geldquellen der Lan- 
desfürsten sich erwiesen?). Der Zeitpunkt für den Übergang der 
Verkehrshoheiten aus der königlichen Gewalt in die Hände der 
Territorialherren war für die verschiedenen Gebiete des Reiches 
verschieden; doch kann man im allgemeinen soviel sagen, daß 
die deutschen Territorialherren am Ende des 13. Jahrhunderts 
fast durchgehends in den tatsächlichen Besitz der meisten Verkehrs- 
hoheiten gelangt waren und im Anfang des 14. Jahrhunderts dieser 
Besitz als ein durch Herkommen erworbenes Recht betrachtet wurde. 
Was nun das Straßenregal betrifft, so kann wenigstens für Tirol 
dieser Zustand im 14. Jahrhundert als rechtlich begründet durch 
mehrere Urkunden nachgewiesen werden. In einem von dem 
Richter von Aufenstein, Seybold von Colfoß, unter dem 27. März 
1337 erlassenen Spruch an die Bauleute von Vinaders, ob dem 
Ritten und von Steinach behufs Schlichtung der zwischen den- 
selben entstandenen Streitigkeiten über das Recht, die Kaufmanns- 
güter von Lueg einerseits gegen Matray, andererseits gegen Ster- 
zing zu fahren, wird eingangs erwähnt, daß die von Vinaders 
und ob dem Ritten gemeinlich und etliche Bauleute von Steinach 


1) Heyp, Levantehandel I. S. 128. 

2) Siehe die Verleihung des Wegzolles zu Pöttmes an Heinrich von Gumpen- 
derg durch Herzog Ludwig von Bayern vom 24. August 1810 zur Erhaltung 
und Ausbesserung der Straßen. Lori, Urkunden zur Geschichte des Lech- 
rains, Nr. XXIV, 


374 Johannes Müller 


einen Hauptbrief der Herrschaft von Tirol vorgezeigt, worin ihnen 
das trockene Gut vom Brenner nach den zwei genannten Nach- 
barorten „durch Recht und alte Gewohnheit zu führen“ zugestan- 
den sei. Die von den Vinadersern und einem Teil der Steinacher 
ausgesprochene Bitte um Bestätigung des ausschließlichen Trans- 
portrechts wurde von dem Aufensteiner Richter nebst sieben 
Thädingern dahin entschieden, daß das Rodrecht am Lueg nicht 
den Bittstellern allein, sondern durch Recht und von alter Ge- 
wohnheit den Besitzern von 66 Wägen, die in der Urkunde 
namentlich aufgeführt werden, zustehe, und daß mit dieser Ent- 
scheidung aller weiterer Streit darüber, wer das trockene Gut 
fürbaß von Lueg nach Matray und Sterzing führen solle, abgetan 
sei!). Der in dieser Urkunde gebrauchte Ausdruck „durch Recht 
und alte Gewohnheit“ beweist, daß die Warenbeförderung in 
Tirol zu Anfang des 14. Jahrhunderts kein freies Gewerbe mehr 
war, das jeder Bauer oder Bürger nach Belieben ausüben konnte, 
sondern bereits durch die Landesregierung an bestimmte Be- 
dingungen geknüpft war. 

Welches waren nun wohl die ursprünglichen Voraussetzungen 
zur Erlangung des Rechtes, das Fuhrmannsgewerbe in den Ost- 
alpengebieten ausüben zu dürfen? Darauf läßt sich eine durch 
gleichzeitige, d. h. mit der Entstehung der Rod zusammenfallende 
Urkunden belegte Antwort zwar nicht geben, aber durch Ver- 
gleich mit anderweitigen Verhältnissen, z. B. mit denjenigen Grau 
bündens, und durch Rückschlüsse von der späteren Organisation 
auf die früheren Einrichtungen läßt sich immerhin ein im ganzen 
richtiges Bild von dem Rodwesen Bayerns und Tirols in seinem 
Anfangsstadium gewinnen. 

In den Ostalpen war wie in der Schweiz der Warentranspor 
wegen der damit verbundenen großen Gefahren und bedeutenden 
Kosten für den Straßenbau von vornherein nicht das Unternehmen 
einzelner, sondern ganzer Verbände, die sich entweder innerhalb 
einer Stadt, wie Schongau in Bayern oder Innsbruck in Tire, 
oderinnerhalb einer größeren Landgemeinde bezw. mehrerer kleinerer 
Dörfer und Höfe bildeten. Den Anstoß zur Bildung solcher Trans 


1) Vgl. Beilage II. 


nm in nn mn m 0 ot GR 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 375 


rtverbände erhielten die Bürger der Landstädte und die Bauern 
r Dorfgemeinden Tirols und Bayerns, die an den durch das 
ebirge ziehenden großen Heerstraßen und Flüssen lagen, zunächst 
ohl dadurch, daß sie, als Grundholden einer Herrschaft zu Spann- 
ıd Wagendienst verpfliehtet, diese Dienste innerhalb einer Gemeinde 
einer gewissen Ordnung verrichteten !). Es lag für die Grundherren, 
e innerhalb ihres Bezirks das Straßenregal besaßen, nahe, den 
it Spanndiensten belasteten Grundholden als Entschädigung für 
ese Last das Recht des Warentransportes zu verleihen“). Die 
n Warentransport besorgenden Bauern und Kleinbürger bilde- 
n keine in sich geschlossene Zünfte, denn sie betrieben das 
ıhrmannsgewerbe neben ihren sonstigen bäuerlichen Beschäfti- 
ıngen gleichsam nur als Nebengewerbe*) und entbehrten trotz 
hireicher Ordnungen, die von der Obrigkeit zum Teil aufgestellt, 
f jeden Fall aber streng kontrolliert wurden, einer eigentlichen 
ınftverfassung. Eine solche Verfassung war bei den bayerischen 
id Tiroler Rodleuten schon darum ausgeschlossen, weil sich 
ren Rodrecht zum Teil — nämlich in den Orten Mittenwald, 
ırtenkirchen, Heiterwang, Lermoos, Allgund, Meran, Terlan, Zirl, 
ıeg, Sterzing, Mühlbach und Bruneck — auf den Besitz von Lehens- 
tern gründete, die ihnen von ihren Herrschaften, den Herzögen von 
ıyern, den Grafen von Tirol, den Bischöfen von Freising, von 
ixen und von Trient, zu „desto stattlicher Verführung der Kauf- 
annsgüter“ verliehen worden waren, die im Laufe der Jahr- 
ınderte vielfach zum Eigentum der Rodleute wurden und auf 
e bei unverhüteten Beschädigungen von Rodgütern die geschä- 
gten Kaufleute ein Pfandrecht hatten). Briefe über solche 


1) Vgl. über die Spanndienste der im Gericht Neuhaus (Terlan) gesessenen 
üleute König Heinrichs und Grafen von Tirol A. JÄGER, Landständ. 
rfassung Tirols I. S. 560, Anm. 4. 

2) So belehnte Bischof Konrad von Trient 1192 die Gemeinde Riva mit 
m Recht der Schiffahrt nach Ponale und Torbole. Cod. Wanng. S. 116. 

3) Vgl. hierüber die von den Kaufleuten in allen ihren Beschwerdeschriften, 
B. vom Jahre 1545, über die Rodmängel hervorgehobene Tatsache, daß die 
ydleute ihre Gemen (Vieh) nicht allein wegen der Kaufmannsgüter sondern 
ch zu ihrer Feldarbeit und anderer Notdurft halten. 

4) Vgl. hierzu außer dem obenangeführten Spruch des Aufensteiner 
ichters vom Jahre 1337 und anderen Schiedssprüchen des 14. Jahrhunderts 


376 Johannes Müller 


Lehensverleihungen sind uns namentlich aus der Zeit der Her- 
zoge Friedrich IV. und Sigmund von Tirol, die an Brixener 
Bürger und Mühlbacher Bauern teils ererbte, teils neu erworbene 
Rodlehen vergaben, in großer Zahl überliefert'). Aus diesen 
Lehensbriefen geht nun noch deutlicher wie aus den erst später 
entstandenen Rodordnungen die Tatsache hervor, daß zwischen 
den verschiedenen Rod- oder Pallwägen einer Rod ein scharf 
ausgesprochener Rangunterschied bestand, indem man zwischen 
einem ersten, zweiten, dritten ete. Pallwagen unterschied und den 
Besitzern der ersten Wägen einen gewissen Vorrang unter den 
Rodleuten eines Rodbezirkes einräumte. Aus der bevorzugten 
Stellung der ersten Rodwägenbesitzer ergab sich bald in ver- 
schiedenen Rodbezirken, wie am Lueg (Brenner) und in Sterzing, 
die weitere Folge, daß die sog. Vorwägen, deren Besitzer jeden- 
falls vermöglichere und darum auch im Fuhrwesen leistung- 
fähigere Bauern waren, die Nachwägen beim Warentransport 
nahezu ganz verdrängten, so daß das an und für sich für eine 
geringe Anzahl von Personen geltende Monopol des Transport- 


über die 66 Lehenhöfe von Lueg bis Steinach (z. B. den Spruch des Markgrafe 
Ludwig des Brandenburgers vom Jahre 1852, des Herzogs Leopold vom Jahr 
1380) vor allem: Ein Anzeigen, wie die beschwärd, so die kaufleut und gtt 
fertiger ob der rod und derselben rodleuten in der fürstlichen Grafschaft 
Tyroll haben, herkomen sey 1526. Z. B. Folio 11.: „K. M. in Hungan 
und Behem oder derselben statthalter, hof- und camerrät der oberüsterreichi 
schen lande zu Innsprugg wollen gnediglich und dannocht des ernsts dar 
sehen, das die rod, laut herzog Sigmundts herkomen ordnung, mit der an 
wägen, darumb sy dann an vil orten guete gueter und anders 
haben, stattlich gehalten, dero gelebt und gewart werde. Augsb. Handelst- 
Archiv. — Ähnliche Verhältnisse wie in Bayern und Tirol herrschten i 
Wallis und Graubünden, wo die Bischöfe von Sitten und von Chur ds 
Straßenregal besaßen und die Rodrechte an Bauern und Bürger verliebez 
BörLın, Die Transportverbände der Schweitz ff., SCHULTE, Geschichte des 
mittelalterlichen Handels I. S. 212. 


1) Siehe den Lehensbrief Herzog Friedrichs IV. v. heil. Osterabend 1424 
gegeben dem Gerhard zu Brixen um den 3. und 5. Rodwagen zu Mühlbach 
und andere Lehenstücke, so denselben anhängig. Bischof Georg v. Brise 
bestätigt den Bürgern von Matrei das Recht des Pallwagens, der vor ander‘! 
der 1. sei, 30. Dez. 1438. Archivberichte v. Tirol, II. S. 316. — Innsbruck® 
Statthaltereiarchiv, Abt. Pestarchiv IX. 159. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 377 


etriebs innerhalb einer Gemeinde oft auf einen noch kleineren 
reis, nämlich auf fünf bis sechs Fuhrwerksbesitzer, eingeschränkt 
rurde *). 

Eine Ausnahme von den sonst üblichen Einrichtungen der 
‚od in Bayern und Tirol machten die Rodbezirke von Nau- 
ers und Neumarkt bezw. der drei Viertel Neumarkt, Auer und 
[ontani im Gericht Enn und Caldif. In Nauders waren nämlich 
nter den 234 vorhandenen Feuerstätten ungefähr die Hälfte 
rotteshausleute des Hochstiftes Chur, mit etlichen Freisassen 
arunter, die weder zu Gericht.noch zur Führung der Rodgüter 
ebraucht werden konnten. Aus der andern Hälfte der Nauderser 
jauern, die Herrschaftsleute und als solche zum Warentransport 
erpflichtet waren, wurde mit Rat und im Beisein des Pflegers und 
üchters von Nauders alljährlich eine Anzahl Bauern ausgewählt, 
lie für das laufende Jahr der Rod gewärtig zu sein hatten ?). 
m Gericht Enn und Caldif, wo die drei Viertel Neumarkt, 
Auer und Montani alle Kaufmannsgüter von Neumarkt nach Ter- 
lan einerseits, von Neumarkt nach Trient andererseits zu führen 
hatten, mußten alle in den genannten drei Vierteln eingesessenen 
Bauern, die Ochsengemen hatten, der Rod gewärtig sein. Die 
Rodpflicht traf aber auf jedes Viertel nur alle drei Wochen je 
eine Woche lang, so daß also für die Rodleute dieses Bezirkes 
ein dreiwöchiger Turnus durchgeführt war. 


Mit dem Bau der Straßen hatten die Rodleute Bayerns und 
Tirols im großen und ganzen nichts zu tun, es besorgten das 
vielmehr die Gemeinden mit Unterstützung der Landesregierung, 
die für den Bau und die Erhaltung einzelner Strecken gewisse 
Teile der Zollerträgnisse anwies oder auch die Erhebung eigener 
Weglöhne gestattete®). In einzelnen Rodbezirken, wie in dem 
Schonganer und Lermooser, waren die Rodleute zur Wiederher- 
stellung der durch Wasserflüsse, Schneelawinen und andere Na- 





l) Vgl. hierzu die Einleitungssätze zu den Rodordnungen von Lueg und 
Von Sterzing vom Jahre 1530. Augsb. Handelsv.-Archiv Fasc. XVI. 

2) Vgl. die Rodordnung von Nauders vom Jahre 1530. Augsb. Handels- 
Ver.-Archiv Fasc. XVI. 

3) So wurden die Wegbaukosten im Gerichte Castelbell und Meran 
Aus den Erträgnissen des Zolles an der Töll bestritten. 


378 | Johannes Müller 


turgewalten zerstörten Wege und Brücken sowie zur Aufstellung 
eines Wegmachers verpflichtet, wofür dieselben aber auch einen 
Weglohn von allem in ihrem Bezirk durchgehenden Zugvieh, die 
Rosse der Rodleute selbstverständlich ausgeschlossen, erheben 
durften’). 

Das Eigentümlichste an dem spätmittelalterlichen Rodwesen 
Bayerns und Tirols war also im Gegensatz zu dem Transport- 
wesen der Schweiz das, daß dort nicht die Gemeinden als solche, 
sondern meist nur eine beschränkte Anzahl von Gemeinde- 
genossen eine Rod bildeten, die die Beförderung der Kaufmanns- 
güter sowie der Kammergüter innerhalb ihres Bezirkes gegen 
einen bestimmten Lohn übernahmen. Den Straßenbau überließen 
diese Roden im großen und ganzen den Gemeinden bem. 
der Landesregierung; nur zur Aufbewahrung und zum Schutz 
der niedergelegten Güter vor Nässe wurden von den Rodleuten 
fast an allen Stationen, aber erst ganz am Ende des Mittelalters, 
sog. Pallhäuser errichtet, die aber erst mit Beginn der Neuzeit 
als charakteristische Attribute der Rodstationen Bayerns und 
Tirols betrachtet werden können. 

Nach diesen Grundformen hatte sich die Landrod Bayerns 
und Tirols in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters heraus 
gebildet. Etwas anders war die Entwicklung der sog. Wasser- 
rod, die in beiden Gebieten mindestens seit dem Beginn de 
15. Jahrhunderts eingerichtet war und insbesondere auf dem Lecb 
von Füssen bis Augsburg, auf der Isar von Mittenwald bis Münchet, 
auf dem Inn von Telfs bis Innsbruck und auf der Etsch von 
Terlan bis Neumarkt betrieben wurde. 

Schon im 12. Jahrhundert wurde auf der Etsch zwischen 
Bozen und Mori Schiffahrt zu Handelszwecken betrieben, wie ei 
von dem Bischof Albrecht von Trient an eine Schiffahrtsgesel- 
schaft zu Mori erteiltes Privileg vom Jahre 1188 bezeugt’). Ds 
das „Ripaticum“, d. h. der von allen Flößen und Schiffen auf 


1) Vgl. hierzu den 10. Artikel der Rodordnung von Lermoos vom Jahrt 
1530, Augsb. Handelsver.-Archiv Fasc. XVI. 

2) HORMAYR, Geschichte Tirols II. Nr. 41. Danach hatte jedes vi 
Mori nach Bozen gehende Schiff 10 & Berner, jedes mit Getreide beladen® 
Schiff, das in Trient ausgeladen wurde, 5 ® Berner Zoll zu zahlen. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 379 


er Etsch zu entrichtende Zoll, von den Trientiner Bischöfen um 
800 ® Berner jährlich verpachtet wurde, so muß der Güterver- 
ehr auf der Etsch zu jener Zeit schon eine ziemlich bedeutende 
[öhe erreicht haben’). Auf den den Nordrand der Alpen durch- 
rechenden Flüssen hat der Verkehr, entsprechend der lang- 
ameren Entwicklung des Handels der nördlichen Alpenländer, 
edeutend später als auf der Etsch und dem Gardasee eingesetzt. 

Erst mit Beginn des 15. Jahrhunderts, als der Andrang der 
‚aufmannsgüter auf den beiden Tiroler Rodstraßen so stark 
rurde, daß die Rodfuhren zu Land für die Weiterbeförderung 
erselben nicht mehr ausreichten, wurde auch auf dem Inn, dem 
ech und der Isar die Wasserrod eingeführt. Schon im Jahre 
407 hatten bayerische Kaufleute, insbesondere jene von Mün- 
hen, mit einigen Flößern von Mittenwald ein Abkommen ge- 
offen, wodurch sich diese verbindlich machten, die aus Welsch- 
and kommenden Güter der bayerischen Handelsleute nach einer 
ewissen Ordnung auf der Isar nach München zu führen”). 
ls nun auch andere deutsche Kaufleute, vor allem die Nürn- 
erger, für ihre Güter aus Venedig sich dieser Wasserstraße zu 
edienen suchten, stellten die Mittenwalder Floßleute so harte 
edingungen bezw. so hohe Frachtforderungen, daß sich die 
lerzoge Ernst und Wilhelm von Bayern 1431 ins Mittel legen 
außten, um die Mittenwalder zu einem für die Kaufmannschaft 
llgemein gültigen Abkommen zu bewegen. Im Jahre 1436 wurde 
a Mittenwald die erste Wasserrodordnung aufgerichtet und die- 
elbe im Jahr 1450 von dem Bischof Johann von Freising mit 
‚em Zusatz bestätigt, daß die in die Rod aufgenommenen Flößer 
ei der Stallung der Flöße kein Versäumnis sich zuschulden 
‚ommen lassen dürften; widrigenfalls hätten sie dem Kaufmann 
len aus ihrer Saumsal entstandenen Schaden zu ersetzen und 
außerdem in die bischöfliche Kammer einen ungarischen Gulden 
ur Strafe zu zahlen. Diese erste Mittenwalder Wasserrodordnung 
vurde im Jahr 1462, als zwischen der Gemeinde und dem Hand- 
verk der Floßleute Zwistigkeiten wegen des Gütertransportes 


1) A. JAGER, Landständische Verfassung Tirols I. S. 237, Anm. 5. 

2) Vgl. J. BAADER, Mittenwalder Wasserrodordnungen des 16. Jahr- 
underts. Oberbayerisches Archiv Bd. 37, S. 827. 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 25 


380 Jobannes Müller 


auf dem Wasser entstanden, durch den Bischof von Freising 
nach Einholung des Rates der bayerischen Herzoge Johann und 
Sigmund ergänzt und diese ergänzte Ordnung im Jahr 1489 von 
dem Freisinger Bischof erneuert und bestätigt. 

Auf dem Lech hat wohl wie auf der Wertach schon um die 
Mitte des 14. Jahrhunderts eine regelrechte Floßfahrt zur Befor- 
derung der Kaufmannsgüter bestanden '), doch scheint der Ver- 
kehr auf diesem Fluß wie auf der Isar erst zu Anfang de 
15. Jahrhunderts größeren Umfang angenommen zu haben. An 
26. August 1415 richtete der Rat von Augsburg an den Rat der 
Stadt Füssen das Ersuchen, daß dieser ihren Bürger Hans Bal- 
mair sowohl zu Land als zu Wasser die Straße wandeln lassen 
möge’). In einem am 19. Februar 1446 von dem Flößer- 
handwerk festgesetzten Floßlohntarif für die Fahrt von Augsburg 
bis Regensburg heißt es eingangs: Es ist zu wissen, daß vor 
zeiten eine rod hie zu Augsburg gewesen und das den alten 
Leuten kund und wissent ist*). Am 9. Oktober 1418 verlieh 
Kaiser Siegmund, der sich eben damals auf der Rückreise vom 
Konstanzer Konzil zu Augsburg aufhielt, der durch die bayer- 
schen Herzoge Ernst und Wilhelm in der Lechfloßfahrt behin- 
derten Stadt die Freiheit, daß niemand befugt sein solle, ihr den 
Lechstrom zu verbauen, daß hingegen die Augsburger, wen 
ihnen solches widerführe, den Fluß gleichfalls zu verschlage 
das Recht hätten‘). Als nun die bayerischen Herzoge unter 
dem Vorwand, daß Augsburg von dem durch den Bischof Ner- 
ninger über die Stadt verhängten Bann noch nicht ordentlicher- 
weise losgesprochen sei, nachmals die Reichsstraße und den Lech- 
strom sperrten, befahl der Kaiser am 15. Januar 1419 den Aug 
burgern, daß sie den Lech gleichfalls gegen Bayern schützen 
schirmen und verschlagen sollten. Dieser kaiserliche Befehl 
ist dann wohl wieder der Anlaß dazu gewesen, daß Herzog En# 
von Bayern am 29. März 1419 den Landsbergern das Recht 
verlieh, von jedem Floß, das bei Landsberg den Lech hinab 


1) Stetten, Augsburg. Chronik S. 94 u. 98. 
2) Augsburger Briefbuch Ib, Nr. 523. 

3) Augsburger Ratsdekrete II. Bd., S. 190. 
4) Stetten, Augsb. Chronik S. 148. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 381 


ihrt ward, einen Zoll von drei Pfennigen zu dem Strombau 
nehmen, „daß allermeniglich, die das Wasser arbeiten und 
ıdeln, mit Leib und Gut desto sicherer gefahren mögen und 
erdorben bleiben“'). Die sichere Fahrt auf dem Lech scheint 
r seitens der bayerischen Herzoge noch des öfteren gehindert 
den zu sein; denn im Jahr 1450 z. B. muß der Pfleger von 
sen an die Landsberger die Bitte richten, daß dieselben die 
sener Floßleut mit ihrem Holz und Wein auf dem Lech sicher 
ungehindert, wie von alter Gewohnheit, fahren lassen möchten ?). 
Was nun die wesentlichen Einrichtungen der Wasserrod auf 

südbayerischen Flüssen betrifft, so waren diese, dem von 
Schweizer Gewässern durchaus verschiedenen Charakter dieser 
sse entsprechend, von denjenigen der Schweizer Schiffergesell- 
aften ziemlich verschieden. Auf den Schweizer Seen und den 
iten, ruhiger dahinfließenden Gewässern der Schweiz, wie der 
ımat etc., gab es eine wirkliche Schiffahrt mit kleineren oder 
Beren Schiffen und von mehreren Gesellschaften auf einem und 
nselben Wasser zugleich in ziemlich freier Konkurrenz betrieben. 
f dem Lech, der Isar und dem Inn dagegen, reißenden 
jengewässern mit stark wechselndem Fahrwasser, konnte nur 
‘ Flößerei betrieben werden und diese war naturgemäß wie 
: Landrod auf einer bestimmten Strecke des Flusses entweder 
den Händen einer ganzen Gemeinde, wie in Mittenwald, oder 
den Händen der Flößerzunft, wie in Füssen und Schongau. 
f der Isar wechselte die Stallung der Flöße unter den Bürgern 
d Inwohnern des Marktes Mittenwald, die in die Wasserrod 
standen waren, auf dem Lech lag die Kauffahrteiflößerei in 
n Händen bestimmter Floßmeister, also Angehöriger der Flößer- 
afte zu Füssen und Schongau, die von den Gemeinden ge- 
nnter Städte zur Beförderung der Kaufmannswaren von Füssen 
' Schongau und von Schongau bis Augsburg verpflichtet waren. 
te Beaufsichtigung der sog. Floßsteller in Mittenwald sowie 
* Floßmeister zu Füssen und Schongau fand seitens der be- 


mm 


1) Lorr, Geschichte des Lechrains II., Nr. 111. 
2) 4. Bd. der Akten des Augsburger Hochstiftes im Münchener Reichs- 
hir. 


382 Johannes Müller 


treffenden Gemeinden insofern statt, als die von den Flofstellem 
angenommenen Knechte vom Handwerk bestätigt sein mußten 
und als der Rat der genannten Städte — in Mittenwald durch 
zwei sog. Geschworene der Wasserrod, in Füssen und Schongau 
durch sog. Geschaumeister — die Flöß und, was dazu Notdurft 
war, auf ihre Brauchbarkeit beschauen ließ, Im übrigen waren 
die Wasserrodordnungen, vor allem die Festsetzung der Rodlöhne 
auf dem Wasser, an die Zustimmung zunächst der Gemeinden, 
sodann der betreffenden Landesregierungen (Herzog von Bayern, 
Bischöfe von Augsburg und Freising) gebunden }). 


2.. Die rapide Entwicklung des deutsch-italienischen 
Verkehrs im Bereich der Ostalpen während des 
14. Jahrhunderts. 


Um die Wende des 13. und 14. Jahrhunderts nahm der 
deutsch-venezianische Handel und Verkehr jenen mächtigen Auf- 
schwung, der durch das ganze spätere Mittelalter dauern und 
eine der Hauptgrundlagen des materiellen Wohlstandes wie der 
hohen geistigen Kultur vor allem der deutschen Reichsstädte 
werden sollte. Dieser durch verschiedene Ursachen bedingte 
Aufschwung des Handels zwischen Deutschland und Italien am 
Anfang des 14. Jahrhunderts machte seinen Einfluß auch auf das 
Straßen- und Transportwesen Tirols und Südbayerns, der Haupt- 
durchgangsländer von Venedig nach Deutschland, geltend; die Re- 
gierungen von Venedig und Tirol sowie die bürgerfreundlichen 
deutschen Kaiser Albrecht I. und Ludwig der Bayer suchten 
durch entsprechende Maßnahmen den Bedürfnissen des stets 
wachsenden Handels und Verkehrs ihrer Länder auf alle môgliche 
Weise entgegenzukommen. So erwirkte Albrecht I. durch Unter- 
handlungen mit der Signoria in den Jahren 1298, 1305 und 1307 
den deutschen Kaufleuten in Venedig bedeutende Zollerleichte- 


1) Vgl. außer den Mittenwalder Wasserrodordnungen v. J. BAADER (Über 
bayer. Archiv Bd. 37, S. 824 ff.) die auf die Rod auf dem Lech bezüg- 
lichen Korrespondenzen zwischen Schongau und den Schongauer Rodfloßleuten 
einerseits, der Augsburger Kaufmannschaft andererseits aus der 1. Hälfte 
des 16. Jahrhunderts. Augsb. Handelsver.-Archiv LXXXX. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 383 


ingen')}. Ludwig der Bayer sicherte im Jahre 1315 allen frem- 
en Kaufleuten Schutz und Sicherheit an Leib und Gut, sodann 
ie Befugnis zu, sofern sie jemand beleidige, Gewalt mit Ge- 
alt abtreiben zu dürfen*). Die Verleihung des Stadtrechtes 
n die am Rande des Gebirges liegenden Orte Weilheim, Wasser- 
urg (1312), Landsberg (1315) durch Ludwig den Bayer steht 
weifellos mit dem damals stark zunehmenden Verkehr durch das 
ebirge ebenso im Zusammenhang wie die Verleihung des 
iederlagsrechts an die Oberammergauer durch denselben Herr- 
:her im Jahre 1332. Die Signoria, die schon im Jahre 1314 
ie Zahl der für den deutsch-venezianischen Handel so wichtigen 
ensale des deutschen Fondaco in Venedig von zwanzig auf 
reißig erhöht hatte?), baute das im Jahre 1318 niedergebrannte 
eutsche Kaufhaus am Rialto in vergrößertem Umfange wieder 
uf und erließ für die Beamten des Kaufhauses, wie den Haus- 
ıeister etc., genauere Verordnungen‘, Am meisten ließen es 
ich aber die Grafen Otto und Heinrich von Tirol, die Söhne 
feinhards IL, angelegen sein, sowohl durch Begünstigungen der 
‘emden Kaufleute als durch Verleihung von Privilegien an ihre 
Intertanen und durch Straßenbauten den Warentransport von 
nd nach Venedig durch Tirol zu leiten. Im Jahre 1309 (7. Sep- 
ember) verlieh Otto, Herzog von Kärnten und Graf von Tirol, 
em Regensburger und dem Ulmer Handelsstand einen Freipaß, 
ronach jeder Regensburger und Ulmer Kaufmann ungeniert in 
nd durch Kärnten und Tirol mit seiner Kaufmannschaft handeln 
onnte*) Das den Regensburgern von dem Grafen Otto erteilte 
rivileg wurde im Jahre 1312 von dessen Bruder Heinrich, 
rafen von Tirol und Titularkönig von Böhmen, bestätigt und 
rweitert. Derselbe Fürst schloß in demselben Jahre 1312 mit 


1) K. JÄGER, Ulms kommerzielles Leben im Mittelalter S. 699 ff. 

2) Nr. 80 des Urkundenbuches der beurkundeten Geschichte Münchens. 

3) H. SIMONSFELD, Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig I. Nr. 41. 

4) H. SIMONSFELD, Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig I. Nr. 51, 
2 und 71. 

5) Regensburger Stadtarchiv, außerdem K. JÄGER, Ulms kommerzielles 
‚eben im Mittelalter S. 697.-. Den Regensburgern wurde ihr Privileg im 
Jahre 1335 durch die Gräfin Margarete Maultasch erneuert. 


384 Johannes Müller 


dem bayerischen Herzog Rudolf einen Vertrag ab, durch welchen 
den Kaufleuten beider Gebiete gegenseitig Schutz zugesichert 
und den bayerischen Handelsleuten insbesondere Begünstigungen 
bei der Ausfuhr von Wein und Öl aus Tirol eingeräumt wur- 
den'). Diese Begünstigungen wurden im Jahre 1329 von dem 
Grafen Heinrich, sodann 1344 von dem Wittelsbacher Ludwig, 
dem Gemahl der Gräfin Margarete Maultasch, bestätigt und zum 
Teil erweitert‘?). 

Wie auf diese Weise die Grafen von Tirol zu jener Zeit durch 
Verträge mit Nachbargebieten den Handel ihres Landes zu fr- 
dern suchten, so auch durch Verleihung von Stadt- und Stapel- 
rechten an besonders wichtige Orte und durch die Inangriffnahme 
von Straßenbauten sowohl auf den beiden Hauptverkehralinien 
Tirols wie auf den Zufuhrstraßen zu denselben. So verlieh Herzog 
Otto dem am Ende des 13. Jahrhunderts durch seine Salzberg- 
werke rasch emporgekommenen Hall im Jahre 1303 das Stadt- 
recht und Herzog Heinrich erhob Meran 1317 zum Rang einer 
Stadt®). Sterzing erhielt von Herzog Otto im Jahre 1304 das 
- ausschließliche Niederlagsrecht zwischen den beiden Mittenwalde 
im Wipptal zugesprochen, nachdem sich die Sterzinger bei ihrem 
Landesherrn darüber beschwert hatten, daß etliche Bauleute von 
Auterwang, Gossensaß, Mauls und Kalch in ihren Häusern Kauf- 
leute, Fuhrleute, Pilger und andere das Wipptal Durchziehende 
mit Essen und Trinken versorgten ‘). 

Noch bedeutsamer als diese Verleihung von Stadt- und Stapel- 
rechten durch die eben genannten Tiroler Grafen war der unter 
dem Grafen Heinrich in Angriff genommene Bau der Arlberg- 
straße, der Eisackstraße zwischen Bozen und Trostburg und des 
Weges durch die Ehrenberger Klause. Mit dem Bau des letzt- 
genannten Weges und der Straße über den Arlberg wurde 1309 
begonnen und der Bau der Arlbergstraße bis zum Jahre 1335 


1) RIEZLER, Geschichte Bayerns II. S. 526. 

2) Münchner Urkundenbuch Nr. 69 und 71. 

3) JÄGER, Geschichte der landständischen Verfassung Tirols I. 8. 649 
und 679. 

4) JÄGER, Geschichte der landständischen Verfassung Tirols I. S. 683 
und 653. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 385 


fortgesetzt'). Ein von dem Grafen Heinrich von Tirol im 
Jahre 1330 gemachter Versuch, die bei dem Dorfe Grins steil 
an dem Talhang emporsteigende Straße durch Verlegung in die 
Tiefe des Stanzer Tales für Fuhrwerke praktikabler zu machen, 
scheiterte an dem Widerstand der Grinser, die den Grafen durch 
ihre Beschwerde zur Einhaltung des alten Straßenzuges be- 
wogen?). Die hervorragendste Leistung auf dem Gebiet des 
Tiroler Straßenbaues zu jener Zeit war aber die Eröffnung des 
anteren Eisacktales für den Verkehr durch den Bozener Bürger 
Heinrich Kunter in den Jahren 1314—1317°?). Wegen der Un- 
sangbarkeit der Talengen des unteren Eisack war nämlich bis 
cu dieser Zeit die Straße von Bozen nach Klausen über das 
Rittenplateau gegangen und zwar in der Weise, daß der Weg 
bei Rentsch, gleich hinter Bozen, die Hochfläche hinauf- und bei 
Trostburg unweit Weidbruck wieder in das Eisacktal herabführte. 
Um nun den langen Umweg über den Ritten zu vermeiden, schloß 
der erwähnte Kunter mit dem Tiroler Grafen Heinrich im Jahre 
1314 (Sonntag vor Michaeli) einen Vertrag, wodurch sich der 
Bozener Bürger verpflichtete, gegen Überlassung bestimmter Zoll- 
zefälle auf alle durchgehenden Waren die genannte Wegstrecke 
für Saumtiere herzustellen. In einigen Jahren war der Bau der 
Straße so weit gefördert, daß sie dem Verkehr von Bozen nach 
Klausen dienen konnte. Da dieser nach seinem Erbauer ge- 
nannte Kuntersweg aber in der ersten Zeit noch eine recht un- 
vollkommene Verkehrsstraße war, für Wagenfuhren unpassier- 
bar, so ließ der Markgraf Ludwig, der Gemahl der Margarete 
Maultasch, im Jahre 1350 durch seinen Landeshauptmann, Kon- 
rad von Teck, über den Ritten eine Wagenstraße bauen, die bei 
Rentsch unweit Bozen das Rittenplateau in vielfachen Windungen 
erstieg und bei Kollmann wieder auf den Talboden sich herab- 


— —— 





1) Historisch-statistisches Archiv für Süddeutschland I. S. 225 (Historische 
Bruchstücke über das Tiroler Straßenwesen) und Bruchstücke über Tirols 
Straßenwesen im Archiv für Geographie und Historie, Jahrg. 1818, S. 361. 

2) Verkehrsgeschichte des Arlbergs von H. Biedermann, Zeitschrift des 
D.-Ö. Alpenvereins, 16. Bd., S. 418 ff. 

3) Vgl. für das Folgende: Die Brennerstraße von O0. WANKA v. RODLOW, 
Ss. 124 ff. Prager Geschichtsstudien, 7. Heft. 


386 Johannes Müller 


senkte. Diese neue Weganlage über den Ritten zur Zeit des 
Markgrafen Ludwig dürfte zum Teil durch die damals hervor- 
tretenden Bemühungen der Venezianer veranlaßt worden sein, 
sich statt des Gotthardweges, der sowohl durch viele Geleits- 
herrschaften wie durch den eben ausgebrochenen schweizerisch- 
österreichischen Krieg unsicher geworden war, den Brennerweg 
neben der oberen oder Reschenscheideckstraße für ihren Waren- 
zug von und nach Flandern offen zu halten !). 

Ob die Rittener Straße die Erwartungen auf Verkehrsmehrung, 
die Markgraf Ludwig bei ihrem Bau auf sie gesetzt haben wird, 
erfüllt hat, scheint mehr als zweifelhaft. Kurz vor der Inangrif- 
nahme der Rittener Straßenanlage, im Jahre 1339 nämlich, hatte 
die Signoria ihre Herrschaft über das Gebiet von Treviso aus 
gedehnt und dadurch einen bequemen Zugang zu der bei Serrs- 
valle das Gebirge verlassenden Ampezzaner Straße, die vom Piave- 
und Boitatal über den leicht passierbaren Peutelsteiner Pal in 
das Pustertal hinüberführte, gewonnen. Seit dieser Zeit waren 
die Venezianer bemüht, den Warenzug aus und nach Deutsch- 
land über die Ampezzaner Straße zu leiten, weil sie mittelst 
dieser die ihnen feindlichen Gebiete von Padua und Verona um- 
gehen konnten?). Der Verkehr auf der Ampezzaner Straße oder 
durch das „Cadober“, wie die Straße nach dem deutschen Namen 
des venezianischen Ortes Pieve di Cadore an der Piave von den 
Deutschen genannt wurde, ist in der zweiten Hälfte des 
14. Jahrhunderts nach mehreren unverwerflichen Zeugnissen jeden- 
falls ein ganz bedeutender gewesen. Im Jahre 1365 schickte 
die Signoria eine Gesandtschaft nach Deutschland, speziell nach 
Augsburg und nach München, um die beiden Wege nach Flar- 
dern durch Tirol, den Caminum Usporgi (Augsburger Weg), d.h. 
den Weg über das Reschenscheideck, und den Caminum Bavar#, 
d. h. den Brennerweg, zu sichern®). Aus den den venezisii 





1) Monk, Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, V. Bd., S. 20. Dansch 
schickte die Signoria 1351 an den Markgrafen Ludwig eine Gesandtschaft 
mit der Bitte, den venezianischen Handel durch Tirol sowie ultra monts, 
d. h. in Bayern, in Schutz zu nehmen. 

2) SIMONSFELD, Fondaco I. Nr. 230 und 231. 

3) SIMONSFELD, Fondaco I. Nr. 207, 208, 210, 211, 216. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 387 


Gesandten mitgegebenen Instruktionen ergibt sich, daß den 
ianern vor allem die Sicherung des Weges durch Bayern, 
iber den Peutelsteiner und Brennerpaß, am Herzen gelegen 
da eine Verzögerung in dieser Sache magni incommodi et 
. terrae et mercatorum nostrorum est. Im November des 
; 1375 traf der venezianische Senat Verfügungen, um den 
'henWarenzug, der infolge des seit 1373 mit den österreichischen 
gen Albrecht III. und Leopold III. ausgebrochenen Krieges 
er Ampezzaner Straße abgelenkt worden war, wieder über 
ianisches Gebiet, speziell über Serravalle und Treviso statt 
Padua, zu lenken'). Der Erfolg dieser Maßnahmen Vene- 
blieb denn auch nicht aus; denn nach einer über den 
>fefferzoll zu Bruneck ?) aus dem 14. Jahrhundert auf uns 
ımenen Nachricht erreichte die Zahl der sog. Adritura- 
Eilgutwägen, die von Michaeli 1378 bis Sonnenwend 1386 
ıeck passierten, allein die stattliche Zahl2066°), was auf einen 
tarken Güterverkehr auf der Ampezzaner Straße zu jener 
schließen läßt. Zu demselben Schluß gelangt man bei 
Betrachtung der bedeutenden Erträgnisse des Zolles am 
oder Brenner, die z. B. für die Zeit vom 9. September 1414 
September 1415 die stattliche Summe von 1126 Dukaten 
en‘). | 

if der oberen Straße scheint der Verkehr um die Wende 
4. und 15. Jahrhunderts nicht minder bedeutend gewesen 





SIMONSFELD, Fondaco I. Nr. 230 und 231. 

In dem zum Bistum Brixen gehörigen Bruneck gab jeder sog. Eigen- 
oder Adriturawagen, d. h. jeder von Treviso bezw. Schongau durch- 
le Wagen außer dem 14 Kreuzerzoll pro Saum nach altem Herkommen 

# Pfeffer oder Säcklein sonstiger Spezerei. 

SINNACHER, Geschichte des Bistums Brixen V. S. 522. 

Von dem Österreichischen Herzog Friedrich IV. war der Stadt Augs- 
ür die Augsburger Kaufleuten i. J. 1409 zugefügten Schäden im Wert von 
Jukaten 7 fl. Schadenersatz zuerkannt und zur Sicherung der Zoll am 
auf mehrere Jahre verpfändet worden. C. JÄGER, Ulms Verfassungs- 
ommerzielles Leben im Mittelalter S. 698, Anm. 268. Nach den Quit- 
ı Augsburgs an den Lueger Zoller betrug der Zoll vom 9. Sept. 1414 
. Febr. 1415: 300 Dukaten, vom 2. Febr. 1415 bis 3. Sept. 1415: 
hıkaten. Vgl. das Augsburger Briefbuch Ib, Nr. 390 und 503. 


388 Johannes Müller 


zu sein als auf der unteren Straße. Nach den in dem Im» 
brucker Stadtarchiv aufbewahrten Zollregistern der Zollstätte zu 
Pfunds, deren Errichtung den durch eine Feuersbrunst schwer 
geschädigten Innsbruckern im Jahre 1395 (2. März) von dem 
österreichischen Herzoge Albrecht III. gestattet worden war, pas- 
sierten in dem einen Halbjahre des Jahres 1434 (Ende Februar 
bis Anfang August) 573 Wägen die genannte Zollstätte'). Wenn 
man nun erwägt, daß unter diesen Wägen die zahlreichen Wein- 
fuhren der deutschen Klöster als Wägen, welche sich der Zoll- 
freiheit erfreuten, nicht einbegriffen sind, so ergibt sich für den 
Güterwagenverkehr auf der oberen Straße im Anfang des 
15. Jahrhunderts pro Jahr zum mindesten eine Anzahl von 1300 
bis 1400 Wägen, eine Wagenmenge, die auch für das 16. Jahrhundert 
noch Gültigkeit haben dürfte, da nach einer im Jahre 1560 vor- 
genommenen Schätzung des Güterverkehrs zwischen Terlan 
und Bozen die Masse der jährlich zwischen beiden Orten beför- 
derten Güter auf rund 15000 Ztr. geschätzt wurde”. Für die 
weitere Behauptung Chmels, der für die obere Straße im 15. Jahr- 
hundert eine stärkere Frequenz als für die untere Straße an- 
nimmt), lassen sich nach den bisher zugänglichen Queller- 
schriften jedoch keine Beweise beibringen. Der Verkehr auf 
beiden Straßen dürfte sich vielmehr in jenem Zeitraum so ziem- 
lich die Wage gehalten haben. Gegen das Ende des 15. Jahrhu- 
derts aber hat die Brennerstraße die Reschenscheideckstraße, wie 
schon oben angedeutet, in bezug auf Verkehrshöhe und Bequen- 
lichkeit des Reisens schon bedeutend überflügelt. 


II. Die Organisation des Rodwesens Bayerns und Tirols 
im Spätmittelalter. 


1. Die VoraussetzungenderMitgliedschaftanderRod. 


Zur Bewältigung des bedeutenden Verkehrs auf de 
beiden großen Tiroler Straßen und auf deren Abzweigung 


1) H. BIEDERMANN, Verkehrsgeschichte des Arlbergs, Zeitschr. des DA. 
Alpenvereins Jahrg. 1884, S. 418. 

2) Bericht des Ritters Simon Botsch (dat. Bozen, 3. Juni 18560) in der 
Sammlung älterer Originalurkunden in der Bibliothek des Ferdinandeuns ® 
Innsbruck (Bibl. Tirol.), Handschriften Nr. 1155, Stück III. BI. 169. 

3) J. CHMEL, Österreichischer Geschichtsforscher II. 2. Heft, LVL 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 389 


lurch Bayern war eine straffere Organisation des Transport- 
vesens, das wir uns bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts als 
ine ziemlich lockere Vereinigung der Bauleute in Tirol bezw. 
Æbensleute in Bayern an den großen Verkehrsstraßen vorzustellen 
aben, notwendig. 

Es ist schon oben, bei der Erörterung des Ursprungs des 
todwesens Bayerns und Tirols, darauf hingewiesen worden, daß 
ieses Rodwesen im innigsten Zusammenhang stand mit dem 
nittelalterlichen Lehenswesen oder mit der Verleihung von Bau- 
echten, wie diese Lehen in Tirol genannt wurden. Die Ver- 
eihung von Baurechten an unfreie oder hörige Bauern erfolgte 
n Tirol wie in Bayern nachweisbar erst im 13. Jahrhundert 
nd zwar sollen nach den Angaben des Innsbrucker Schatz- 
rchiv-Repertoriums die ersten Fälle von Baurechtverleihungen 
uf landesfürstlichen Besitzungen in Tirol unter dem Grafen Mein- 
ard Il., dem Zeitgenossen Kaiser Rudolfs I. vorgekommen sein !). 
Nährend nun im 13. Jahrhundert die Lehensgüter den Kolonen 
‚der Bauleuten nur auf eine Reihe von Jahren, allerhöchstens 
wf Lebenszeit, übertragen wurden, wurde es im 14. Jahr- 
wundert bald allgemeine Norm, die Baurechte mit dem Erbrechte 
‚a verleihen, höchstens mit der Einschränkung, daß die Über- 
ragung der Baurechte durch den Baumann auf Verwandte ohne 
ausdrückliche Bewilligung des Grundherrn verboten sei. Doch 
auch diese Beschränkung fiel im Laufe des 14. Jahrhunderts, 
so daß die Bauleute, die durch Generationen auf demselben Gute 
sefhaft waren, dieses schließlich als ihr freies Eigentum ansahen 
und dieses selbst wie die darauf ruhenden Zinsen und Giebig- 
keiten als einen veräußerlichen und verkäuflichen Gegenstand 
behandelten ?). 


—_—— m 





1) Vgl. über diese Verhältnisse A. JÄGER, Landständische Verfassung 
irols I. 8. 546 ff. 

2) MAIERHOFER, Das Urkundenbuch Neustifts, Nr. 470 erwähnt aus 
€m Jahre 1326 einen Fall, wonach einem Bauern dieses Klosters die Bau- 
echte eines Maierhofs nicht nur für sich und seine Erben, sondern auch für 
eine Brüder und deren Nachkommen verliehen wurden. — Nach Monum. 
'oica, Ettal VII. S. 282 verlieh Ludwig der Bayer im Jahre 1830 der ge- 
Atnten Bauernschaft von Ammergau das Erbrecht für ihre dem Kloster 
‘Ctal zinsbaren Lehensgüter. | 


390 Johannes Müller 


Die Verleihung von Lehensgütern, deren Besitz die belehnten 
Bauern zunächst zum Transport der Kammergüter der Lehens- 
herrschaften und erst in zweiter Linie zur Beförderung der Kauf- 
mannsgüter durch Bayern und Tirol verpflichtete, scheint nun 
allerdings bloß in den ländlichen Gemeinden Südbayerns und 
Tirols im Gebrauch gewesen zu sein; denn weder von Schon- 
gau in Bayern noch von Innsbruck, Imst, Glurns und Bozen in 
Tirol sind uns derartige Lehensbriefe überliefert, wie wir sie s0 
zahlreich von den Landgemeinden Bayerns und Tirols besitzen. 
Vielmehr stand bei diesen Städten die Rod auf der ganzen Gemeinde, 
die zur Stellung einer bestimmten Anzahl von Rodwägen ver- 
pflichtet war. Aber auch unter den Landgemeinden waren meb- 
rere, wie z. B. Zams und Prutz an der oberen Straße, Tob- 
lach im Pustertal, deren Rodfuhrleute der Lehensgüter ganz ent- 
rieten!), oder solche, wie die Sterzinger und Terlaner, von 
denen nur ein Teil Lehen genoß?). Die Zahl der mit Lehen 
begabten Rodleute in den einzelnen Rodstätten war anfangs des 
14. und 15. Jahrhunderts jedenfalls größer als in der späteren 
Zeit. So stellte Reutte-Heiterwang ursprünglich 82 Rodwägen. 
woran 33 Heiterwanger und 49 Reutter Bauern beteiligt waren; 
durch die Rodordnung vom Jahre 1530 wurde diese überans 
große Anzahl von Rodwägen auf 12 Wägen für ein Jahr in der 
Weise reduziert, daß die Heiterwanger aus ihren 33 Rodbauen 
alljährlich fünf, die Reutter aus ihren 49 Rodfuhrleuten sieben 
Rodleute wählten. Wie bei Reutte, so findet sich auch bei den 
meisten übrigen Rodstätten Tirols eine solche Reduktion von 
einer größeren Zahl von Rodwägen auf eine beschränkte Anzahl 
und zwar meist auf ein Dutzend, bei Innsbruck ausnahmsweise 
auf ein halbes Dutzend Rodwägen, die zum Transport der Kauf- 
mannsgüter allzeit bereitstehen sollten. 

In den Rodstätten Bayerns ist ein solches Zurückgehen der 
ursprünglichen Anzahl der Rodbauern eines Ortes im Laufe des 





1) Vgl. Schriften und Sachen, so anno 1545 zu Innsbruck gehandelt 
worden, insbesondere verantwortung auf der von Toblach beschwärden. Augsl 
Handelsvereins-Archiv, LXXXX. Nr. 83. 

2) Rodordnung im Gericht Terlan vom Jahre 1530, Augsb. Handel 
vereins-Archiv, Fasc. XVI. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 391 


päteren Mittelalters nicht wahrzunehmen; in Ammergau, Parten- 
irchen und Mittenwald ist die Zahl der Rodbauern (18, bezw. 36, 
ezw. 24) im 16. Jahrhundert dieselbe, wie sie im 14. und 15. Jahr- 
undert gewesen ist. Zu diesem einen Unterschied zwischen dem 
ayerischen und Tiroler Rodwesen kommen nun noch zwei weitere 
'erschiedenheiten, die als charakteristische Merkmale der ungleichen 
‚ntwicklung des Bauernstandes in Bayern und Tirol zu betrachten 
ind. In Bayern, wo die Bauern im großen und ganzen in dem 
irbzinsstand verblieben, also auch der Freizügigkeit entbehrten, 
lieben die Rodlehen im Besitz wirklicher, ortsansässiger Bauern ; 
n Tirol dagegen mit seiner am Ende des Mittelalters zum größ- 
en Teil freien Bauernschaft kamen die Rodlehen und damit die 
todwägen vielfach aus Bauernhänden in den Besitz von An- 
rehörigen anderer Stände, wie uns denn in den Rodordnungen 
‘on Sterzing und Mühlbach vom Jahre 1530 neben Bauern bezw. 
jürgern dieser Orte landesfürstliche Beamte, so in Sterzing ein 
jalzmaier von Hall, in Mühlbach der Pfleger von Steinach und 
ler Zöllner von der Mühlbacher Klause, als Rodwagenbesitzer 
egegnen |). 

Das, was dem Tiroler Rodwesen aber gegenüber dem Trans- 
yortwesen der übrigen Alpengebiete einen ganz besonderen Cha- 
akter verleiht, ist die Unterscheidung zwischen sog. Vor- und 
Nachwägen oder die Rangabstufung zwischen den einzelnen 
Wägen einer Rodstätte?). Dieser Rangunterschied findet sich 
war nicht bei allen Tiroler Rodstätten, sondern nach den Rod- 
rdnungen vom Jahre 1530 nur bei den sieben Orten: Matrei, Lueg, 
Sterzing, Mühlbach, Brunneck, Terlan und Allgund. Trotz dieser 
Einschränkung der hier erwähnten Einrichtung auf diese wenigen 
Tiroler Rodstätten muß dieselbe doch als das hervorstechendste 
Kennzeichen des Tiroler Rodwesens bezeichnet werden; denn sie 
dient als Beweis dafür, daß auf denjenigen Strecken der beiden 
großen Rodstrecken Tirols, auf denen der Verkehr am stärksten 


1) Ganz ähnlich lagen die Verhältnisse in Graubünden, wo nach SCHULTE 
(Mittel. Handel I. S. 362) Adelige an die Spitze der Porten traten. 

2) Tiroler Archivberichte II. 316: Bischof Georg von Brixen bestätigt 
den Bürgern von Matrei das Recht des Pallwagens, „der vor andern palwägen 
allzeit der erste sei“. Brixen 1488, Dez. 30. 


392 Johannes Müller 


war, sich eine besondere Klasse von Rodbauern herausbildete, 
die das Fuhrmannsgewerbe ex professo betrieben und dadurch 
ihre Genossen, die Nachwägenbesitzer, die das Roden neben 
ihren bäuerlichen Beschäftigungen nur im Nebengeschäft ans- 
übten, mit der Zeit tatsächlich ganz aus der Rod hinaus- 
drängten '). 

Neben dem Besitz von Rodlehen war in früherer Zeit der 
Besitz von mindestens zwei Pferden oder zwei Ochsen Voraus 
setzung für den Eintritt in eine Rodgemeinschaft; doch konnten 
auch zwei Bauern, von denen jeder nur ein Pferd oder einen 
Ochsen hatte, sich zusammentun und miteinander eine Rod neb- 
men?). In älteren Rodordnungen, wie in der von Landeck vom 
Jahre 1474, waren auch Vorschriften über das Alter des Zug- 
viehs enthalten; so durften nach der ebenerwähnten Landecker 
Rodordnung weder Strohrinder noch Pferde unter einem Jahr 
zum Ziehen der Rodwägen verwendet werden. Die Rodordnungen 
des 16. Jahrhunderts enthalten diese Bestimmungen bezüglich 
der Zahl und des Alters der Zugtiere nicht mehr; viele Rod- 
leute besaßen in dieser Periode, wie die Kaufleute und Gut- 
fertiger in ihren Beschwerden gar oft bitter bemerken, weder 
Roß noch Wagen, ließen darum die auf sie treffenden Rodfuhren 
durch andere Bauern fertigen?), ein Gebrauch, der nach den 
mittelalterlichen Rodordnungen Tirols und Bayerns absolut ver- 
boten war‘). 


1) Sterzinger Rodordnung vom Jahre 1530: „Und dann die ersten schi 
wagen sich bißher der verfuerung gebraucht, dadurch es wenig an die sect 
nachwagen gelanget, darob sy, dieweil sie nichts minder wie die vorwäge 
mit vieh und andern hiezu notturftig gewertig sein müssen, beschwert gehabt“ 
Augsb. Handelsvereins-Archiv. 

2) Landecker Rodordnung vom Jahre 1474, Imster Rodordnung Y0® 
Jahre 1485, Tiroler Weistümer III. 2. Jahrg., S. 296 und 163. 

8) Vgl. hierzu: Beschwerden, so die kaufleut und gutfertiger ob de 
Rod und derselben Rodleuten in der furstlichen Grafschaft Tirol haben. 
1529, Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. LXXXX. 

4) Siehe den 3. Artikel der Imster Rodordnung von 1485: „Ein jeden 
der in der rod sein will, soll die rod und das gut, so ihm gefellt, selber 
fueren und keinem fremden aufgeben.“ 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 393 


2. Die Organe des Rodwesens Bayerns und Tirols. 


Die Kontrolle sowohl über die Rodleute selbst als über die 
emen (Zugtiere) und Wägen nebst Geschirr wurde in der 
yätmittelalterlichen Periode des Rodwesens viel schärfer gehand- 
abt als im 16. Jahrhundert. Noch Ende des 15. Jahrhunderts 
egegnet uns in den Tiroler Rodordnungen die Bestimmung, 
aß ein Schätzer die Wägen und das Zeug der Rodleute vor 
em Aufladen zu prüfen hat; erst wenn jener diese Erforder- 
isse des Rodmannes für genügend erfunden hatte, durfte dieser 
it seinem Wagen abfahren. Das gleiche Verfahren fand statt 
ei den Floßleuten auf dem Lech und der Isar, deren Flöße 
urch Aufsichtsbeamte des Rates der betreffenden Stadt auf ihre 
'eschaffenheit geprüft wurden, ehe sie die Fahrt flußabwärts an- 
‘eten durften !). 

Die von den Gemeinden Mittenwald, Schongau, Füssen, Augs- 
urg geordneten Aufsichtsbeamtan hatten aber nicht nur die 
loge vor ihrer Stallung und Fertigung zu besehen sondern 
nußten auch darob sein, daß alle, die an die Rod kamen, d.h. 
lie Floßmeister und Floßknechte, dazu geschickt waren. Die 
Floßknechte sollten geschworene und vom Handwerk bestätigte 
Knechte sein; aber auch die Floßmeister, deren es im 15. Jahr- 
hundert in den Wasserrodstätten Bayerns vielleicht dreimal so viel 
gab als im 16. Jahrhundert?), waren von den Räten der be- 
treffenden Gemeinden zur Stallung der nötigen Flöße und zur 
fürderlichen Fertigung der Kaufmannsgüter verpflichtet. Diese 
Aufsichtsorgane, wie Schätzer, Verordnete zum Floßwesen, die 
dem Mittelalter zur Durchführung eines regelrechten Rodbetriebs 


1) Mittenwalder Wasserrodordnung vom Jahre 1450 (Oberbayr. Archiv, 
17. Bd., S. 328), außerdem Augsb. Ratsdekret vom 19. Febr. 1446 betreffs 
‘lößerei und Rodwesen auf dem Lech, (Augsb. Ratsdekrete II. S. 190). 
’gl. hiermit die ähnlichen Einrichtungen in Zürich, H. BöRLIN, Die Trans- 
’ortverbände und das Transportrecht der Schweiz im Mittelalter S. 31. 

2) Nach der Verantwortung der Augsburger Kaufleute auf der Floßleute 
U Schongau begeren vom Jahre 1543 betrug die Zahl der Schongauer FloßB- 
Meister, die Kaufmannsgüter beförderten, damals bloß noch 6 bis 7, während 
ich früher 24 Floßmeister von diesem Gewerbe ernährten. Augsb. Handels- 
€reins-Archiv, Fasc. LXXXX. Nr. 82. 


394 Johannes Müller 


notwendig schienen, kannte das Rodwesen im 16. Jahrhundert 
nicht mehr’). Dagegen finden wir diejenigen Organe, die auch 
im Schweizer Transportwesen, wenn auch teilweise unter anderen 
Namen, im Mittelalter anzutreffen sind, sowohl im späteren 
Mittelalter wie im Anfang der Neuzeit im bayerisch-tirolischen 
Rodwesen vertreten. 

Da ist zunächst der in der Schweiz unter dem Namen Teiler 
(partitor ballarum) bekannte „Aufgeber“ zu erwähnen, der in 
der allerersten Zeit den Namen Binder geführt zu haben scheint; 
in Reutte und Heiterwang erhielt sich die letzterwähnte 
Bezeichnung für dieses wichtige Amt bis in die Mitte des 
16. Jahrhunderts‘). Der Aufgeber hatte für die Aufrecht- 
erhaltung der vorgeschriebenen Reihenfolge unter den Rodleuten 
und für die Verteilung der zu befördernden Waren auf die Fubr- 
leute zu sorgen; in vielen Fällen war ihm auch das Amt de 
Wagmeisters oder Wägers und damit zugleich die Obhut über 
das Pall- oder Niederlaghaus anvertraut. Waren diese beiden 
Ämter nicht in einer Person vereinigt, so war ein eigener Wag- 
meister aufgestellt, dem das Nachwägen der Ballen und Fässer 
oblag, und der für die Genauigkeit der im Pallhaus aufgestellten 
Wage Sorge zu tragen hatte. In der zweiten Hälfte des 16. Jahr- 
hunderts wurden die Wagen durch die Pfleger der einzelnen 
Pflegschaften im Jahre mindestens einmal visitiert und die Wag- 
meister im Falle von Mängeln zur Nacheichung ihrer Wagen 
nach einer gerechten Wage angehalten’). 

Die Besoldung der Aufgeber bestand in den meisten Rod- 





1) Instruction, was von wegen eines erbaren raths der statt Augsburg 
irer kaufleut halber auf eines raths zu Schongau schreiben und der floBleut 
daselbst eingeschlossener supplication weiter gehandelt mögte werden, 
anno 1543: die Floß sind vormals, eh sy weggefahren, von raths wegen be 
sichtigt worden, geschieht jetzt auch nit mer. Augsb. Handelsvereins-Archir, 
Fasc. LXXXX. Nr. 111. 

2) Rodordnung von Reutte und Heiterwang vom Jahre 1530. Augst- 
Handelsvereins-Archiv, Beilage IV. In Telfs war der Aufgeber zugleich 
Fronbote, Telfser Rodordnung vom Jahre 1633. 

3) Vgl. hierzu die Rodordnungen Tirols vom Jahre 1572, z. B. die Bod- 
ordnung in der Herrschaft Ehrenberg (Reutte, Heiterwang, Lermoos). Auge. 
Handelsvereins-Archiv. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 395 


stätten in dem sog. Ansaggeld, das zu Anfang des 16. Jahr- 
hunderts für einen Lastwagen in der Regel 1 kr. betrug’). In 
Augsburg dagegen erhielt der Aufgeber schon im 15. Jahrhun- 
dert von jedem Wagen 6 .$ oder 1'/s kr.?). In Terlan, wo 
das Aufgeberamt mit dem des Wagmeisters vereinigt war, erhielt 
derselbe von jedem Rodführer für das ganze Jahr 14 kr. In 
Reutte und Heiterwang erhielten die Aufgeber oder Binder einen 
gewissen Anteil am sog. Niederlagsgeld. Die Höhe des Waggeldes 
scheint sehr verschieden gewesen zu sein, so daß über die Besoldung 
der Wagmeister keine bestimmten Angaben gemacht werden kön- 
nen; in mehreren Rodordnungen, wie in der von Allgund (bei Meran) 
vom Jahre 1530, heißt es bezüglich des Waggeldes, daß es mit dem 
Waggeld gebührlich gehalten werde, damit deshalb niemand klagbar 
werde. In der Landecker Rodordnung vom Jahre 1474 ist für zwei 
Säume, d. i. 8 Zentner, nur eine Waggebühr von 1 Kr. festgesetzt. 

Aufgeber und Wagmeister wurden von den Rodleuten mit 
Bewilligung der Obrigkeiten gewählt und von den letzteren beim 
Antritt ihres Amtes in Pflicht genommen °); in mehreren Rodstätten, 
z. B. in Lätsch und Terlan, wo der Bau und die Erhaltung des 
Niederlaghauses bestimmten Familien — selbstverständlich gegen 
Vereinnahmung des dort angesetzten Niederlagsgeldes — oblag, 
scheint das Aufgeberamt mehr oder weniger erblich gewesen zu 
sein‘). Der von der Innsbrucker Regierung im Jahre 1541 ge- 
machte Versuch, die Wahl des Aufgebers in Mühlbach durch die 
Rodführer und die Kaufleute vornehmen zu lassen, ist, soviel aus 
den Akten zu entnehmen ist, als unpraktisch wohl schon wieder im 
Jahre 1542 aufgegeben worden”). 


1) Vgl. hierzu die Rodordnungen von Innsbruck, Matrei, Zams vom Jahre1530. 

2) Vgl. die vom Augsburger Rat v. 14. Dez. 1420 erlassene Ballenbinder- 
ordnung nebst Ergänzung v. 18. Nov. 1438 (Augsb. Ratsdekrete, I. Bd., S. 87 ff. 
und 457) Beilage Il. 

3) Siehe die Tiroler Rodordnungen vom Jahre 1572. Augsb. Handels- 
vereins-Archiv. 

4) Vgl. die Rodordnungen von Lätsch und Terlan vom Jahre 1530. 
Augsb. Handelsvereins-Archiv. 

5) Vgl. die Rodordnung von Mühlbach vom Jahre 1541 und den Bericht 
des Pflegers von Rodeneck an die Innsbrucker Regierung v. 30. Januar 1542. 
Innsbrucker Statthaltereiarchiv, Abt. Pestarchiv IX. 67. 

Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 26 


396 | : Johannes Müller 


Neben diesen beiden in allen Rodstätten vorkommenden 
Beamten gab es in einzelnen Rodorten, jedoch nur in den 
größeren Städten, wie Augsburg, Innsbruck, Ballenbinder 
und Lader oder Aufleger. Die Ordnung der Augsburger 
Ballenbinder vom 14. Dezember 1420, die uns in den Rat 
dekreten Augsburgs aus dem 15. Jahrhundert überliefert ist, 
gestattet uns, sowohl in die Arbeitsweise wie in die Lohn- 
verhältnisse dieser für das mittelalterliche Transportwesen so 
wichtigen Handwerker einen genaueren Einblick zu gewinnen'). 
Nach der Augsburger Ballenbinderordnung vom Jahre 1420 und 
einer Ergänzung dazu vom Jahre 1438 unterschied man unter 
dem Gros der Ballenbinder oder Lader einen Aufgeber und 
einen Gastgeber oder Hauswirt, die außer dem letzteren all- 
jährlich bei Besetzung des Rates letzterem schwören mußten, 
alles getreulich zu halten, was ihnen nach ihrer Ordnung anf- 
getragen war. Diese Ordnung bestimmte nun zunächst, daß die 
Ballenbinder zwei Parteien oder Gruppen bilden sollten, die beim 
Binden der Ballen und Fässer regelmäßig wechseln sollten, beim 
Laden aber gemeinsam arbeiten durften. Mit den Kaufleuten 
oder Fuhrleuten Gemeinschaft zu haben, war den Ballenbindem 
streng verboten; nur die Güter derjenigen Rodleute sollten sie 
laden, die sich die obrigkeitliche Erlaubnis von einem der beiden 
Bürgermeister hierzu erholt hatten. Auch waren sie gehalten, 
alles böse Zeug an Löschen, Blahen und Seilen, das ihnen die 
Kaufleute allenfalls zum Binden darreichten, zurückzuweisen und 
allein mit Nadeln und Faden zu binden. 

Als Lohn erhielt der Aufgeber durch die Fuhrleute von jedem 
Wagen 6 „$, von jedem Karren 3 „4; die Ballenbinder erhielten 
von den Kaufleuten als Binderlohn für einen Zentner 2 4, als 
vom Saum oder Ballen 8 „$, als Laderlohn von jedem Fardel, 
d. i. einem Ballen zu 2 Zentnern, bezw. von jedem Lägel 2 4 von 
den Kaufleuten und Fuhrleuten zusammen. Übernahm der Haus- 
wirt oder Gastgeber die Ladung sog. Sammelgüter, so erhielt er 
für einen Karren 3 $ für einen Wagen 6 „$ Laderlohn. 

Neben Aufgebern oder Verteilern, Wagmeistern und Baller- 


1) Siehe Beilage III. Von Ballenbindern. Augsb. Ratsdekrete v0® 
14. Dez. 1420 und 18. Nov. 1438. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 397 


ın kam dann in Heiterwang noch ein von den dortigen 
:uten gewählter und durch den Richter zu Ehrenberg be- 
ter Einnehmer des Niederlaggeldes von Heiter- 
g vor, eine vollständig vereinzelte Erscheinung, da in den 
en Rodstätten dieses Geschäft von den Aufgebern besorgt 
erden pflegte. 

inen eigenen Wegmacher hatten die Rodleute von Ler- 
und Bichelbach angestellt, wofür aber auch den Lermoosern 
esonderer Weglohn, den Bichelbachern die Erhebung eines 
ıderen Roßzolles (von jedem Wagenpferd 1 kr., von jedem 
of 2 Vierer) zugestanden war. 

in bereits dem Rodwesen der Neuzeit angehörendes Organ 
das Institut der Gutbestätter in Augsburg, die nicht nur 
Ankunft der Fubrleute behufs richtiger Wiederabfertigung 
ben aufzuschreiben sondern auch Verzeichnisse über die 
ıtümer, Firmenzeichen und Nummern der Güter zu führen 
n'). 


3. Rechte und Pflichten der Rodleute. 


a der Schweiz war wie die Arbeitsleistung so auch die Ge- 
verteilung unter den Fuhrleuten bezw. Schiffern doppelter 
die Schiffergesellschaften betrieben den Transport auf ge- 
same Rechnung und dementsprechend wurde auch der An- 
ım Gewinn auf die einzelnen, Meister und Gesellen, verteilt. 
ler Warenbeförderung zu Land dagegen führte jeder Fuhr- 
ı die ihn nach der Reihenfolge treffende Arbeit aus und 
> dann direkt den von den Porten — 80 hießen in der Schweiz 
bäuerlichen Transportgemeinschaften — festgesetzten Lohn 
5. 
in Ansatz zu einer solchen zweifachen Art sowohl der Ar- 
leistung wie der Gewinnverteilung findet sich in dem Rod- 
n Bayerns und Tirols insofern, als bei der Rod auf der 
der von den Mittenwalder Floßleuten gewonnene Rodlohn 


) Vgl. außer der Instruktion der Gutbestätter in Beilage X P. v. STETTEN, 
reibung der Stadt Augsburg, S. 69. 

) G. BÔRLIN, Die Transportverbände und das Transportrecht der Schweiz 
ittelalter, S. 32 ff. 


398 Johannes Müller 


vom Rat der Gemeinde Mittenwald und vom Flößerhandwerk zu- 
sammen eingenommen und sodann unter die Floßsteller und die 
Floßknechte (Steuerer und Fergen) verteilt wurde). Bei der 
Mittenwalder Wasserrod, die also in der Art der Gewinnvertei- 
lung mit dem Verfahren der Schweizer Schiffergesellschaften 
einigermaßen übereinstimmte, fehlte aber vor allem das bei dem 
Schweizer Transportwesen zu Wasser hervortretende Moment des 
gemeinsamen Besitzes der Transportmittel; denn von den Mitten- 
walder Floßleuten, die in die Rod gestanden, stellte jeder die 
zwei Flöße, deren Stallung für den Eintritt in die Wasserrod 
vorgeschrieben war, für sich selbst und fertigte mit den von ihm 
geworbenen Fergen das ihm anvertraute Rodgut. Bei der Wa- 
serrod auf dem Lech und dem Inn betrieb jeder Floßmeister mit 


seinen Knechten die Floßfahrt auf eigene Rechnung, d. h. die 


Flößer erhielten von den Floßmeistern, deren Lohn durch Ver- 
träge mit den Augsburger Kaufleuten auf eine gewisse Reihe 
von Jahren (anfangs 5, später 10 Jahre) festgesetzt war, einen 
nach Übereinkommen bedungenen Lohn, der etwa die Hälfte 
des den Floßmeistern zu entrichtenden Fuhrlohnes betragen 
mochte *). 

Im übrigen herrschte in Bayern und Tirol beim Gütertrans- 
port zu Land derselbe Brauch wie in der Schweiz, daß nämlich 
jeder Fuhrmann in der durch das Los oder sonstwie bestimm- 
ten Reihenfolge innerhalb seines Rodbezirkes zu seiner Arbeit 
kam und diejenige Gütermenge, die ihm nach seinem Anteil an 
der Rod zukam — es gab nämlich halbe, ganze, doppelte Ro- 
den etc. —, auf seinem Wagen von der Niederlage seiner Rod- 
stätte bis zur nächsten Niederlage befôrderte. Das Wort Rod, 
die oberdeutsche Form für Rotte, hatte also in den Ostalpen 
(Bayern, Tirol, Kärnten etc.), gerade so wie in Graubünden zu- 
nächst die Bedeutung: Reihenfolge der Fuhrleute, sodann das 
Recht des Anteils an dem Transport der auf der Rodstraße be 


1) J. BAADER, Mittenwalder Wasserrodordnungen. Oberb. Archiv 37. Bd. 
S. 327. 

2) Vgl. die Supplikation der Schongauer Floßleute vom Febr. 1543 und 
Jan. 1548. Augsb. Handelsvereins-Archiv Fasc. LXXXX. Nr. 81 und 1%, 
Beilage V. 


un En 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 399 


förderten Güter. Der anfängliche Sinn des Wortes Rod ergibt 
sich, abgesehen von dem besonders in den Rodstätten der Brenner- 
straße herrschenden Gebrauch, die Rodwägen nach ihrer Reihen- 
folge zu numerieren, vor allem aus der in allen Rodordnungen 
Bayerns und Tirols vorkommenden Wendung: und soll eine 
umgehende Rod sein nnd bleiben }). 

In der Bedeutung „Recht“ tritt uns das Wort Rod schon in 
den ältesten Rodbriefen, wie in dem Schiedsspruch des Aufen- 
stainer Richters vom 27. März 1337 für die Steinacher Rodleute, 
entgegen; doch bezieht sich hier der Begriff Recht nicht auf 
einen einzelnen, sondern auf eine ganze Gruppe von Personen, 
die auf Grund der Verleihung von Lehensgütern durch die Tiroler 
Regierung das Recht der Warenbefôrderung vom Brenner bis 
nach Matrei einerseits, nach Sterzing andererseits beanspruchten. 
Aus diesem Kollektivrecht erwuchs aber bald ein für eine be- 
stimmte Person geltendes Recht, das sowohl vererblich als auch 
verkäuflich war. So erfahren wir aus einem von Herzog Fried- 
rich IV. im Jahre 1430 an den Thomas Stübel gegebenen Lehen- 
brief über einen Hof nebst daranhängenden Fisch- und Jagd- 
gerechtigkeiten und über den fünften Rodwagen, der trockenes 
Gut von Lueg gen Matrei und Sterzing zu fahren hat, daß der 
genannte Stübel den fünften Lueger Rodwagen von seiner Mutter 
Sabina von Kalb aus dem Passeyertal ererbt hatte. Aus einem 
Lehenbrief des Erzherzogs Siegmund vom Jahr 1483 ist zu er- 
sehen, daß die beiden Lehenträger, der Mühlbacher Pfleger Bene- 
dikt Gaßner und der Mühlbacher Bauer Eberhard Kaufmann, die 
ihnen verliehenen Rodwägen, den 2., 4., 8. und 9. Wagen nebst 
dem Pallhaus von Mühlbach, von einem Mühlbacher Bauern namens 
Frießinger gekauft haben ?). 


1) In der Heiterwanger Rodordnung vom Jahre 1530 heißt es im 3. Ar- 
tikel: Die pinder sollen nach der kaufmans diener ansagen die anzahl rod- 
fuerer, sovil zu laden werden haben, und an denen es jedesmals in seinem 
gebiet nach umbgehender rod irer ordnung nach sein würdet, ... u faren gebieten. 
Die Einleitung der Mittenwalder Wasserrodordnung vom Jahre 1436 lautet: 
Ferner soll die Stallung der Flöß zu Wein und Trockengut unter den Burgern 
und Inwohnern des Marktes ordenlich und fürderlich umgehen. Beilage IV. 

2) Rod-Lehenbriefe des Innsbrucker Statthaltereiarchivs. 


400 Johannes Müller 


Das für den einzelnen Fuhrmann einer Rodstätte geltende Rod- 
recht, dessen strenge Einhaltung in den Rodordnungen den Rodleuten 
‘ immer wieder eingeschärft wurde, war also nichts anderes als eine 
gesetzlich gewährleistete Anweisung auf den Transport eines Gutes 
von bestimmtem Gewicht in immer wiederkehrender Reihenfolge. 
Die Reihenfolge der Rodleute wurde nun teils durch das Los, 
wie z. B. in Imst oder in Landeck), teils durch eine jeden- 
falls schon sehr früh ausgebildete Rangabstufung der Wägen, 
wie in Matrei, Sterzing ete., festgesetzt. Die für einen Wagen 
mit einem Joch (2 Pferde oder 2 Ochsen) bestimmte Gewichts- 
einheit betrug, wie sich aus mehreren Rodordnungen ersehen 
läßt, 2—2'/a Säume oder 8—10 Zentner‘). Für ein Floß auf 
dem Lech sollte eine Ladung, ein sog. halbes Rodgut, ein Ge 
wicht von 16—18 Zentnern (4—4!/s Säume) haben°). Es ist 
anzunehmen, daß diese Gewichtseinheiten, die vom Ende des 
15. Jahrhunderts an als feststehend nachweisbar sind, schon von 
Beginn des Rodwesens an galten, da die Zugkraft der Tiere im 
Lauf der Zeit dieselbe geblieben ist. Der Rodlohn wurde jedoch 
nicht nach der Wagenladung, die ja von 8—10 Zentnern variierte, 
sondern nach der Zahl der Säume bemessen. An mehreren 
Stationen der oberen Straße, so in Heiterwang, Imst, Nauders, 


1) Siehe den 18. Artikel der Imster Rodordnung vom Jahre 1485: Wer 
in der Rod sein will, der soll der rod gewertig sein, und wann der auf- 
geber einem puitet, soll ain jeder gehorsam sein zu fueren, was im dann mit 
dem looß fellet etc. 

2) Der 8. Artikel der Landecker Rodordnung vom Jahre 1474 lautete: 
„Item mer ist gemacht, das ainer sol auflegen auf ain joch zween su 
guets oder dritthalben ungevarlich.“ Der 10. Artikel der Imster Rodordnung 
vom Jahre 1485 gebot: „Es soll auch keiner, der ainige rod hab zu fueren 
über den Fern oder gen Zambs, genöt sein, wo sich das an den pallen oder 
stucken geben mag, mer denn zween sôm.“ — Der 2. Artikel der Rod 
ordnung von Pieve di Cadore vom Jahre 1562 sagte: Besagte Gemeinde 
(Pieve und Valle) können auf keine Weise von den Kaufleuten gezwungt? 
werden, mehr als 24 Fuhren auf einmal zu fahren, wobei auch genannt‘ 
Fuhren von Ballen wegen der Bequemlichkeit des Fahrens 1000 # nicht über 
schreiten sollen. Augsb. Handelsvereins-Archiv. 

3) Vgl. hierzu die Beschwerde der Schongauer Floßleute vom Februs 
1543 über die Zunahme des Gewichts eines FloBrodgutes von 8—9 Säume? 
auf 11—12 Säume. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 401 


slurns und Meran, erhielten die Rodleute für jeden geladenen 
Nagen noch ein sog. Jochgeld, dessen Höhe von 6 bis zu 12 kr. 
chwankte. Außer dem für einen Wagensaum innerhalb eines 
todbezirkes festgesetzten Fuhrlohn, den jeder Rodmann von dem 
(aufmann oder dessen Agenten sofort nach erfolgter Arbeits- 
eistung empfing !), hatten die Rodleute eines Bezirkes noch Anteil 
ın dem sog. Niederlagsgeld ihres Rodortes. Dieses Nieder- 
agsgeld, das von sämtlichen Rodorten, auch von solchen, die 
ein Niederlag- oder Pallhaus hatten, erhoben wurde, war 
weierlei Art. Die eigentlichen Rodgüter, d. h. diejenigen Güter, 
velche an jeder Station niedergelegt, bezw. umgeladen wurden, 
rezahlten ein verhältnismäßig niedriges Niederlagsgeld, im all- 
remeinen 1 kr. pro Wagen am Ende des Mittelalters und im 
.6. Jahrhundert. Die auf eigener Achse oder mit den sog. Adri- 
urawägen durchgeführten und nicht niedergelegten Güter da- 
regen mußten ein ganz bedeutend höheres Niederlagsgeld, das 
ich bei manchen Stationen der unteren Straße, wie Innsbruck, 
loblach, auf 24—25 kr. pro Wagen belief, bezahlen. Dabei 
var noch in verschiedenen Rodstätten, wie in Matrei, am Bren- 
ıer etc., der feine Unterschied gemacht, daß die von Venedig 
1ach Deutschland herausfahrenden Terviswägen mit einem höheren 
Niederlagsgeld belastet waren als die von Deutschland nach 
/enedig fahrenden Wägen. 

Der Anteil der Rodleute eines Bezirkes an dem anfallenden 
liederlagsgeld war im allgemeinen ein gleichmässiger, sofern nicht 
las für Rodwägen zu zahlende Pallhausgeld einer bestimmten 
"amilie für die Pflicht des Baues und der Erhaltung des Pall- 
auses zufiel.e. Doch waren in solchen Rodstätten, wie z. B. in 
terzing, wo die Besitzer der Vorwägen zur Herbeiführung einer 
leichen umgehenden Rod auf ihre altererbten Vorrechte ver- 
ichtet hatten, diese Vorwägenbesitzer gegenüber den Nachwägen- 


1) In mehreren Rodstätten, wie in Schongau, war es um die Mitte des 
6. Jahrhunderts bereits Vorschrift, daß der Rodlohn noch vor der Befürde- 
ang der Güter, sobald dieselben verladen waren, an die Fuhrleute ausbezahlt 
rurde. Vgl. den Vertrag der in das Gebirg hantierenden Augsburger Kauf- 
:ute mit der Stadt Schongau und iren Rodverwandten vom 28. März 1549, 
ugsb. Handelsvereins-Archiv Fasc. LXXXX. Nr. 119. 


402 Johannes Müller 


besitzern durch einen größeren Anteil an dem Niederlagsgeld be- 
vorzugt. Trat ein Rodfuhrmann außerhalb seines Bezirkes ein 
Geding an, so verlor er von dem Tag seines Ausstandes an das 
Recht, an dem Niederlagsgeld seiner Rodstätte zu partizipieren'). 
Der Rodmann durfte das nach der Ordnung ihn treffende Gut 
einem Mitrodmann zur Beförderung aufgeben, dagegen einem 
Fremden Rodgut zum Transport zu übergeben, war ihm nicht 
erlaubt *). 

Im Falle der Aufgeber auf die Anzeige der Kaufleute hin 
zu viele Rodleute seines Bezirkes aufgeboten hatte, hatten die- 
jenigen Fuhrleute, die nichts zu laden bekamen, das Recht, für 
ihre Versäumnis den vollständigen Fuhrlohn, wie er ihren Mit- 
gespannen, die geladen hatten, bezahlt wurde, von den Kauf- 
leuten zu fordern. 

Diesen zum Teil recht wertvollen Rechten der Rodleute Bayerns 
und Tirols standen aber auch verschiedene Pflichten gegenüber. 
Vor allem hatten dieselben mit ihren Gemen, Wägen und not 
dürftiger Zugehörung Sommers wie Winters bereit zu sein und 
der Rod fleißig zu warten und, sobald sie der Aufgeber zur Rod- 
fuhr aufgeboten hatte, ohne Verzug an der Niederlage zu er- 
scheinen’). Erschienen sie auf das Ansagen nicht, so hatten 
sie den Kaufleuten so viel zu entrichten, als der Fuhrlohn für 
die betreffende Rodfuhr betrug‘), Die Rodleute hatten auf die 
von ihnen geladenen Güter gut obacht zu geben, daß dieselben 
beim Fahren nicht beschädigt und nichts davon verloren oder 
entwendet wurde. Einen durch Nachlässigkeit der Rodleute an 
den Gütern entstandenen Schaden hatten diese den Kaufleuten 
zu ersetzen). 


1) Vgl. den 21. Artikel der Imster Rodordnung vom Jahre 1485. 

2) Vgl. den 3. Artikel der Imster Rodordnung vom Jahre 1486. 

3) In den Rodstätten des Ampezzaner Tales waren die Rodleute an Georgü, 
St. Peter und Mariä Geburt wegen der zu dieser Zeit notwendigen Feldarbeiten 
von der Rodfuhrpflicht dispensiert. 

4) In St. Martino im Ampezzanertal war für eine solche Versäumnis ein 
für allemal eine Strafe von 12 Kr. angesetzt. Vgl. Art. 7 der Rodordnung 
von Venas vom Jahre 1562. Beilage VI. 

5) In Schongau war der Rat der Stadt zum Ersatz des durch Schongauer 
Rodleute verursachten Schadens an den Rodgütern verpflichtet, wenn die 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 403 


Kammergüter, alles zum Gejaid des Landesherrn Gehörige 
nd jeglichen Kriegsbedarf hatten die Rodleute vor allen anderen 
rütern zu fertigen. Für den Bau und die Erhaltung des Pall- 
auses hatten die Rodleute, wenn dieselben nicht einer bestimm- 
»n Familie oblagen, gemeinsam zu sorgen, desgleichen für die 
Viederherstellung von Straßen und Brücken, die nicht durch 
rottes Gewalt, sondern durch Fuhren und stetiges Hin- und 
Viederreisen Schaden gelitten hatten !). In einzelnen Rodbezirken, 
rie in Lermoos, Schongau, Mittenwald, waren die Rodleute gegen 
‚mpfang eines von der Landesherrschaft eigens ausgesetzten 
Veglohnes auch zur Wiederherstellung der durch Naturgewalt 
eschädigten Wege verpflichtet ?). 

Die Stellung einer Kaution oder Tröstung, wie sie in der 
chweiz für den Fuhrmann bei seinem Eintritt in die Rodge- 
(ossenschaft vielfach üblich war, ist im Rodwesen Bayerns und 
‘irols nicht nachweisbar. Nur bei der Mittenwalder Wasserrod 
indet sich der Gebrauch, daß derjenige Floßmann, der in die 
tod eintreten wollte, dem Rat von Mittenwald 3 f& Berner zu 
ahlen hatte, die der Rat zu keinem andern Zweck, denn zu 
emeinem Nutzen des Marktes, anlegen sollte?). 

Ausschluß aus der Rodgemeinschaft, und zwar stets nur 
ür ein Jahr, erfolgte, wenn ein Rodfuhrmann sich weigerte, 
las nach dem Los ihm zugefallene Gut zu fahren, oder wenn er 
ein Rodgut einem außerhalb der Rod stehenden Fuhrmann auf- 
ab. Der von der Rod Ausgeschlossene hatte, wenn er wieder 
n dieselbe stehen wollte, in Imst 10 % Berner zu entrichten ®). 

Der Kaufleute Pflicht war es, dem Aufgeber die Zahl der 
Nägen zu benennen, die zur Beförderung ihrer Güter notwendig 
varen. Begehrte ein Kaufmann von einem Aufgeber mehr Wägen, 


todleute solchen Schaden nicht gut tun konnten oder mochten. Vgl. den 
'ertrag zwifchen den Augsburger Kaufleuten und der Stadt Schongau samt 
eren Rodverwandten vom 28. März 1549. 

1) S. Geschichte des Dorfes Oberammergau im Oberb. Archiv, Bd. 20, S. 84. 

2) S. oben 8. 377 und 897. 

3) Mittenwalder Wasserrodordnungen, Oberb. Archiv, Bd. 37, S. 328. 

4) Vgl. die Imster Rodordnung vom Jahre 1485, und zwar Artikel 4, 
“und 17. 


404 Johannes Müller 


als zur Ladung seiner Güter notwendig waren, so hatte er den 
Inhabern der überzähligen Rodwägen denselben Fuhrlohn zu zahlen, 
den diejenigen Rodleute erhielten, die seine Güter geladen hatten. 

Die Bezahlung des Fuhrlohns erfolgte täglich, in den bayer- 
schen Rodstätten, wie Mittenwald, Schongau’ (in letzterem, wie 
schon oben erwähnt, erst seit 1549), pränumerando'). In man- 
ehen Rodstätten, wie in denjenigen des Ampezzaner Tales, hatten 
die Kaufleute das Anrecht auf eine bestimmte Anzahl von Fuhren 
pro Tag?). Im allgemeinen war jedoch in Bayern und Tirol 
bloß die Zahl der Rodwägen vorgeschrieben, die das Jahr über 
für die Rodfuhren in Bereitschaft stehen sollten. 


III. Der Transportbetrieb. 
1. Die Arten des Transportbetriebes. 


Da, wie oben mehrfach hervorgehoben, die mittelalterlichen 
Transportverbände Bayerns und Tirols entweder aus städt- 
scher Initiative hervorgegangen oder auf Grund lehensrechtlicher 
Verleihungen durch die Landesherrschaften an Dorfbewohner 
bezw. Hofbesitzer entstanden waren, so war der Wirkung» 
kreis jedes solchen Verbandes auf das Gebiet der betreffen- 
den Stadt- oder Dorfgemeinde beschränkt, d. h. es fand der s0g. 
Rodbetrieb oder die Beförderung der Waren durch die Fuhrlente 
jedes Rodbezirkes lediglich innerhalb dieses Bezirkes statt. Im 
Gegensatz zur Schweiz, wo die Waren von den Fuhrleuten der 
einen Port bis an die Grenze der nächsten Port geführt wurden, 
erfolgte die Beförderung in Bayern und Tirol von Rodort zu 
Rodort oder, da fast an jeder Rodstätte ein Pallhaus oder 
ein Niederlagstadel war, von Niederlage zu Niederlage. In den 
Niederlaghäusern wurden die Waren von den Rodleuten an die 
Aufgeber (Schreiber, Fronboten) überantwortet und von diesen 





1) Nach einer Beschwerde der Augsburger Kaufleute über die Rodleute 
Bayerns vom Jahre 1530 scheint die Vorauszahlung des Rodlohns zu Anfıng 
des 16. Jahrhunderts allgemein üblich gewesen zu sein: „Es ist unser begeret, 
daß man kein fuerlon zalen soll, denn man hat die gueter vorgeantworti" 

2) Vgl. die Rodordnungen von St. Martino und Pieve di Cadore v2 
Jahre 1562. Augsb. Handelsvereins-Archiv Fasc. XVI. 





Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 405 


wieder an die Rodleute des eigenen Bezirkes verteilt; war der 
Aufgeber hierin säumig, so war derselbe in gewissen Rodstätten, 
wie in St. Martino, einer Strafe und dem daraus erwachsenen 
Schaden verfallen’). 

In den meisten Pallhäusern war eine Wage aufgestellt, die 
zur Kontrolle des Gewichtes der Waren diente. Fehlte eine 
Pallhauswage, so geschah das Nachwägen auf der sog. Fron- 
wage des Ortes. Doch scheint letzteres nicht allgemein gebräuch- 
lich gewesen zu sein, da in der Rodordnung von Au und Leyfers, 
einem Rodort ohne Pallhaus, das Nachwägen der Güter auf der 
Fronwage, das auf Verlangen der Rodleute zu geschehen hatte, 
durch letztere bezahlt werden mußte, wenn sich die von den 
Kaufleuten gemachten Gewichtsangaben als richtig erwiesen ?). 

An den Wasserrodstätten, wie Schongau, Füssen, Mittenwald, 
Telfs, Terlan, Neumarkt, gab es neben den Pallhäusern noch 
eigene Lendstädel, die zur Aufbewahrung der auf dem Wasser- 
weg zu befördernden Güter dienten. 

Die Verwahrung der Güter in den Pallhäusern und Lend- 
städeln war Pflicht der Aufgeber, die in den allermeisten Fällen 
zugleich die Verwalter der Pallhäuser waren. Die Kaufleute 
hatten aber hierfür außer dem sog. Niederlagsgeld, das, wie oben 
erwähnt, am Anfang des 16. Jahrhunderts im allgemeinen 1 kr. 
für einen Wagen betrug, für solche Güter, die über Nacht im 
Pallhaus lagerten, dem Aufgeber für die von diesem bestellten Hüter 
noch ein sog. Wachtgeld oder einen Hüterlohn zu bezahlen. 
Dieser Hüterlohn betrug für die erste Nacht gewöhnlich das 
Doppelte wie für die folgenden Nächte, z. B. 1 kr. pro Wagen 
im Sterzinger Pallhaus, ‘/2 kr. für die folgenden Nächte?). Auch 
nach der Jahreszeit war der Hüterlohn in einzelnen Rodstätten 


1) S. Rodordnung von St. Valle vom Jahre 1562. 

2) Rodordnung von Au und Leyfers vom Jahre 1580. Augsb. Handels- 
vereins-Archiv Fasc. XVI. Nr. 1. 

8) Bericht des Landrichters von Sterzing vom 4. Juni 1541 an die Inns- 
drucker Regierung über die Höhe des Niederlags- und Wachtgeldes in Sterzing. 
Innsbruck. Stadthaltereiarchiv, Pestarchiv IX. Die gleiche Ermäßigung ge- 
nossen die Güter in Mittenwald, wenn sie länger als eine Nacht im dortigen 
Pallbaus lagen. Lagerhausordnung von Mittenwald. Münch. Reichsarchiv. 
Akten der Grafschaft Werdenfels. 


406 Johannes Müller 


verschieden; so zahlten die Kaufleute in Toblach im Sommer 
4 kr., im Winter 6 kr. Hüterlohn!). Sobald jedoch die Güter 
auf die Rodwägen verladen und aus den Niederlaghäusern ver- 
rückt waren, trat Haftung der Fuhrleute für etwa entstehende 
Schädigungen der Güter ein“). In den bayerischen Rodorten 
trat die Gemeinde bezw. die gesamte Rod subsidiär ein für den 
Schaden, den ein Fuhrmann nicht zu ersetzen imstande war). 
Für Tirol ist eine solche subsidiäre Haftung der Gemeinden für 
Schäden, die im Rodbetrieb entstanden und von den einzelnen 
Fuhrleuten nicht gut gemacht werden konnten, nicht nachweisbar. 


Um die rechtzeitige Beförderung der Rodgüter zu erreichen, 
konnte der Betrieb auf zweierlei Weise geregelt werden: ent- 








1) Anzaigen, wie die beschwärd, so die kaufleut und guetfertiger ob der 
rod und derselben rotleuten in der furstlichen grafschafft Tyroll haben, her- 
komen sey. Augsb. Handelsvereins-Archiv, LXXXX. Nr. 83. 

2) Telfser Rodordnung vom Jahre 1533: So den kaufleuten ainicher 
schaden an iren gütern, so die auf die rodwägen geladen und aus dem uieder- 
lagstadl verruckt sind, beschähe oder entstände, soll den oder dieselbe rod- 
leut dem kaufmann denselben schaden nach pillichkeit abthun. — Rodord- 
nung im Gericht Ehrenberg vom Jahre 1572: Wo sich aber eine oder mehr 
hierin (d. h. in der furdersamen fertigung der rodgüter) ungehorsamlich halten 
und sy die güter nit nach ordnung fertigen wurden, sollen Jr (d. h. die Richter 
und Pfleger von Ehrenberg) gegen denselben nit allein mit gebürlicher 
straff verfaren, sondern inen noch darzu auferlegen, den kaufleuten und gut- 
fertigern den schaden und nachtail, so inen in einen oder anderen durch in 
farlässigkeit und langsame fertigung entstehen würde, abzutragen. Augsb. 
Handelsvereins-Archiv Fasc. XVI. 

3) Vgl. hiezu ausser dem oben bezüglich Schongaus (Rodvertrag von 
28. März 1549) gemachten Bemerkungen folgende Stelle aus einer von den 
Partenkirchener Rodleuten gegen die Garmischer Rodleute gerichteten Be 
schwerdeschrift vom März 1523 wegen der Weigerung der letzteren, die 
Loisachbrücke ferner allein zu unterhalten: Es ist vor augen, daß eine 
sorgfeltigere pruckh auf der reichsstrass weit und breit nit zu finden, dem 
dieße lantpruckh, über die viel köstlich schwere kaufmansgüter übergees 
müssen. Passirt den gütern der kaufleut etwas darauf, so klagen sy nit die 
Garmischer, sondern die Partenkircher an; denn wan ainem kaufman ei 
schaden auf der pruckhen beschieht, so muß der Partenkircher rodman im 
den abtun, so vil das gut wert ist, und wann das ninder ist, so muß eine 
ganze rod den schaden gut machen. Münchener Kreisarchiv, Abten der (raf- 
schaft Werdenfels. Fasc. 44. Streit zwischen Partenkirchen und Garmisch 
wegen Unterhaltung der Loisachbruck 1523. Beilage C. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 407 


weder man begrenzte den Zeitraum, der zwischen dem Termin, 
da die Kaufleute die Güter ansagten, und der Abfahrtszeit 
liegen durfte, oder man bestimmte die Frist, innerhalb welcher 
die Güter von einer Rodstätte zur anderen gebracht werden sollten. 
Das letzterwähnte Verfahren war im großen und ganzen in den baye- 
rischen Rodorten gebräuchlich; denn nach den Rodordnungen von 
Schongau, Ammergau, Partenkirchen und Mittenwald war die Liefer- 
zeit in der Weise bestimmt, daß ein Wagen von Schongau nach 
Ammergau in einem Tag, von Ammergau nach Partenkirchen in 
einem halben Tag, von Partenkirchen nach Mittenwald und von 
Mittenwald nach Zirl in je einem halben Tag fahren sollte!). 

In den Rodorten Tirols wurde dieses bayerische Verfahren 
auch zum Teil eingehalten, doch wurde daneben das andere 
System, zwischen Ansage- und Abfahrtermin eine Präklusivfrist 
zu setzen noch vielfach in Anwendung gebracht. So war z. B. in 
den Rodordnungen von Matrei und Sterzing vom Jahre 1530 als 
Fahrzeit eines Wagens von Matrei nach Innsbruck, desgleichen 
von Sterzing nach Mühlbach ein Tag, von den beiden genannten 
Rodstätten an den Brenner als Fahrzeit ein halber Tag vor- 
geschrieben. Daneben enthielten die Sterzinger und Matreier 
Rodordnungen aber noch Bestimmungen über das Höchstmaß 
der Zeit, die vom Ansagetermin der Güter bis zur Abfahrt der- 
selben verstreichen durfte. Und ähnlich wie bei Sterzing und 
Matrei war auch in den andern Tiroler Rodordnungen auf dop- 
peltem Wege für die rechtzeitige Beförderung der Kaufmanns- 
güter Fürsorge getroffen ?). 


1) Vgl. außer den Rodordnungen von Tirol vom Jahre 1580 die Be- 
schwerden der Augsburger Kaufleute ob den bayerischen Rodleuten, Herrn 
Leonbart von Eck vom 27. September 1530 überantwortet. Auch im Vene- 
zianischen war die Fahrzeit von einer Rodstätte zur andern bestimmt, so war 
z. B. nach der Rodordnung von St. Martino vom Jahre 1562 für einen Wagen 
von Valle bis Termine ein Tag als Fahrzeit festgesetzt. Augsb. Handels- 
vereins-Archiv Fasc. LXXXX. Nr. 46. 

2) Diese Präklusivfrist betrug im allgemeinen 24 Stunden, für Pieve di 
Cadore 20 Stunden, für Telfs im Winter 12, im Sommer dagegen, wo die 
Rosse auf den Almen waren, 24 Stunden, für den Brenner 18 Stunden, für 
Imst ausnahmsweise 48 Stunden. Vgl. den 3. Artikel der Tiroler Rodord- 
nungen vom Jahre 1530. 


408 Johannes Müller 


Die Wasserrodordnungen von Füssen, Schongau und Mitten- 
wald enthielten keine derartigen genauen Bestimmungen über 
die Dauer der Fahrzeit der Flöße von diesen Orten nach Augs- 
burg bezw. nach München, sondern schrieben nur ganz allgemein 
fürderliche Fertigung der Rodgüter unter Androhung entsprechen- 
der Strafen seitens der Obrigkeiten und etwaigen Schadenersatzes 
seitens der Floßmeister an die Kaufleute vor. Die ungleichmäßige 
Wasserführung dieser Flüsse sowie die im Winter häufig auf- 
tretenden Eisgänge, die z. B. eine von Schongau nach Augsburg 
knapp zwei Tage dauernde Floßfahrt gleich um einen ganzen 
Tag verlängerten, lassen einen größeren Spielraum in der Fahrzeit 
der Flöße gegenüber der Fahrzeit der Landwägen durchaus ge- 
rechtfertigt erscheinen. 


Die Fertigung der Waren sollte im allgemeinen in der Reihen- 
folge vor sich gehen, in der dieselben angesagt wurden. Eines 
Vorrangs unter gleichzeitig eintreffenden Gütern erfreuten sich 
bei der Fertigung nur die sog. Kammergüter der Landesherr- 
schaften und in Kriegszeiten jede Art von Kriegsbedarf'). 

Die nach dem Los einem Fuhrmann zufallenden Güter hatte 
dieser selbst zu führen; nur für den Fall, daß einem Rodmann 
das Vieh erkrankt war, sollte der Aufgeber den nächsten in der 
Reihenfolge aufbieten?). Daß der Fuhrmann sein Fuhrwerk 
meist selbst leitete, selten durch einen Knecht leiten ließ, ist 
deshalb anzunehmen, weil die Rodordnungen Bayerns und Tirols 
hierüber auch nicht die leiseste Andeutung enthalten. Da- 
gegen bestand für die Wasserrod auf dem Lech die Vorschrift, 
daß zwei bis drei Rodgüter, also 16—24 Säume, von je einem 
Floßmeister in Person geleitet werden sollten*). Auch die 
Zahl der Floßknechte war genau vorgeschrieben. Für den Tran 
port eines Rodgutes, d. h. eines Gutes von 8—9 Säumen, das auf 
zwei Flößen befördert wurde, waren zwei Floßknechte erforderlich; 
waren jedoch 10 Säume, bezw. 3 Faß Wein von 42 Ymn auf 


1) Vgl. den 11. Artikel der Tiroler Rodordnungen vom Jahre 16590. 

2) Vgl. den 3. und 12. Artikel der Imster Rodordnung vom Jahre 14%. 

3) Die Information über das Rodwesen von Augsburg bis nach Seefeld 
vom 9. Oktober 1665. Handschriftensammlung (Kommerzwesen) der Augsb. 
Stadtbibliothek. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 409 


dem Wasser zu befördern, so war ein dritter Floßknecht oder 
ein dritter Ferge zu der Fahrt heranzuziehen ''). 

Neben diesem hier gekennzeichneten Rodbetrieb, der auf dem 
Monopol der Rodbauern beruhte, gab es aber schon sehr früh 
einen freieren Betrieb, der teils von Rodbauern, teils von son- 
stigen Fuhrwerksbesitzern einzelner Rodorte behufs schnellerer 
Beförderung gewisser Güter, wie Spezereien, Gewürze etc., auf 
Eigenachs- oder sog. Adriturawägen ausgeübt wurde. Gelegent- 
lich eines Streites der Partenkirchener mit den Mittenwalder 
Rodleuten vom Jahre 1381 erfahren wir, daß die letzteren Kauf- 
mannsgüter durch Partenkirchen ohne alle Irrung und Nieder- 
legung der Waren durchführten, eine Gewohnheit, die nach Aus- 
sagen von Zeugen aus Zirl damals mindestens schon vierzig 
Jahre im Gebrauch gewesen sei’). Dieser wie in Bayern so 
auch in Tirol seit Mitte des 14. Jahrhunderts bestehende Eil- 
gutbetrieb°) wird auch durch Urkunden aus späterer Zeit viel- 
fach bezeugt, nur daß statt der Bezeichnung Eigenachswägen der 
Name Nebenfuhren für die Sache gewählt wird‘) Diese 
Nebenfuhren unterschieden sich von den Rodfuhren nicht bloß 
dadurch, daß die durch sie beförderten Güter an den Rodorten 


1) J. BAADER, Mittenwalder Wasserrodordnungen vom Jahre 1450. 

2) Auf Verlangen des Kunz Vogl von Mittenwald sagte vor dem Unter- 
richter Khainz von Zirl wegen der stössen zwischen den Partenkirchern und 
Mittenwaldern von irer vertigung und niderlegung der waren Heinrich der 
Rainer folgendes aus: Was mir um die niderlegung und vertigung derer von 
Mittenwald kund war gegen den von Partenkirchen, das im gedacht wol auf 
40 jar, das alle zeit die von Mittenwald mit iren wägen on alle irrung und 
hinderung gefahren sind, durch Partenkirchen hin und her on alle niderlegung 
und on alle säumung. Werdenfelser Akten. Fasc. 34, Nr. 97 des Münchener 
Kreisarchivs. 

3) Vgl. oben S. 387 den Verkehr von Adriturawägen im Pustertal 
(Brunneck) am Ende des 14. Jahrhunderts. Ä 

4) Vgl. die Entscheidung Herzog Albrechts III. von Bayern vom Jahre 
1455 über den Streit zwischen den Mittenwalder Rodleuten und dem Abt 
von Benediktbeuern wegen des Rechtes des letzteren, den Tiroler Wein auf 
&ägener Achs durch Mittenwald gen Wallgau und Krien zu führen. Werden- 
felser Akten (Fasc. 34) des Münchener Kreisarchivs. — Vgl. außerdem des 
Christian Scheuchers, Pflegers von Ehrenberg, mengel und anbringen vom 
14. Mai 1508. Innsbrucker Statthaltereiarchiv, Abt. Pestarchiv IX. Nr. 14. 


410 Johannes Müller 


nicht abgeladen bezw. umgeladen wurden, sondern auch darin, 
daß die sich damit befassenden Fuhrleute Feiertags wie Werk- 
tags, Tag und Nacht dem Transportgeschäfte oblagen'. Be- 
günstigt wurden dieselben im Bayerischen und in Nordtirol be- 
sonders dadurch, daß viele Bauern aus der Murnauer und Weil- 
heimer Gegend ihre mit Getreide und Heu beladenen Wägen 
nach Nordtirol, insbesondere nach Innsbruck, fuhren und bei der 
Rückfahrt von Innsbruck Kaufmannsgüter, die mit sog. Tervis- 
wägen von Venedig nach Innsbruck kamen, als willkommene Rück- 
fracht nach Bayern herausbrachten, ebenso wie diejenigen Bauern 
Bayerns und Nordtirols, die zum Abholen des Südtiroler Weines leer 
nach Bozen fuhren, Güter der Augsburger Kaufleute bei der Hinfahrt 
als Eigenachsgüter nach Südtirol (Bozen, Lienz) befôrderten‘. 

Daß sich die Rodleute durch diese Nebenfuhren, die beson- 
ders im Sommer schwunghaft betrieben wurden, in ihrem Fahr- 
mannsgewerbe stark benachteiligt fühlen mußten, war unausbleib- 
lich. Es finden sich darum unter den anfangs des 16. Jahr- 
hunderts von den Augsburger Kaufleuten bei der herzoglichen 
Regierung über die bayerischen Rodleute eingereichten Beschwer- 
den gerade solche über Repressalien der bayerischen Rodleute gegen 
die Eigenachsfuhren. In der oben (Anmerk. 2) angeführten 
Beschwerde vom Jahre 1530 heißt es z. B. bezüglich der Ammer- 
gauer Rodleute: „Sie mögen auch da (d. i. in Ammergau) und 
fast an allen Roden nit leiden, so ein Fertiger, so gern eilends 
von statt führe, einen Fuhrmann von Murnau, Weilheim oder 
Wessobrunn, so herfährt und eilends fertig macht, überkomnt, 
daß er demselben auflade. Tut er es aber, so wollen sie ihm 
nit mehr fahren und strafen ihn, daß er mit ihnen abkommen 
muß vom Wagen 1 fl., und gehören doch Landstraß, Maut und 
Zoll dem löblichen Fürstentum Bayern zu; darum es eine rechte 
schatzung ist.“ In den Rodordnungen des 15. Jahrhundert, 
z. B. in der Imster Rodordnung vom Jahre 1485, war den ein 
heimischen Rodleuten gegenüber den fremden Fuhrleuten, die 


1) Vgl. die Beschwerden der Augsburger Kaufleute über die bayerischen 
Rodleute vom Jahre 1526. Augsb. Handelsvereinsarchiv, LXXXX, Nr. IA 
2) Vgl. die Beschwerden der Augsburger Kaufleute über die bayerisch® 
Rodleute vom Jahre 1530. Augsb. Handelsvereins-Archiv, LXXXX. Nr. & 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 411 


Güter auf eigener Achse durch einen Rodort führten, noch ein 
gewisses Vorrecht eingeräumt, indem darin (Artikel 26 der Imster 
Rodordnung) ausdrücklich bestimmt wurde, daß, wenn ein Nach- 
bar käme, daran die führende Rod stünde, und wollte davon (d.h. 
von einem auf eigener Achs gebrachten Gut) nehmen, was die 
Rod inhält an Lohn, der Kaufmann ihm dasselbe führen lassen 
sollte vor einem andern, der außerhalb der Imster Rod ist. Von 
einer solchen Begünstigung der ortsansässigen Rodleute gegen- 
über fremden Fuhrleuten bei der Fertigung durchgehender Güter 
war man im 16. Jahrhundert sowohl in Tirol wie in Bayern allem 
Anschein nach gänzlich abgekommen; ja die Rodleute Tirols sind 
zu jener Zeit sogar bemüht gewesen, der Verpflichtung, durch 
Terviswägen angefahrene Güter auf der Rod weiter zu befördern, 
sich zu entziehen. In dem von der Innsbrucker Regierung zwischen 
den schwäbischen Gutfertigern und den Mühlbacher Rodleuten 
errichteten Abschied vom 11. Dezember 1535 hieß es ausdrück- 
lich, daß die Fertiger der Kaufmannsgüter diejenigen Güter, 
welche auf Terviswägen durchs Land geführt worden sind, 
fernerhin noch darauf führen dürfen, aber die Rodleute „vor ires 
aigenen nutzens wegen“ damit nicht beschweren sollen‘). In 
dem von der herzoglich bayerischen Regierung vom 6. Februar 1542 
erlassenen Rezeß zwischen den in das Gebirge handelnden Augs- 
burger Kaufleuten und der Stadt Schongau lautete die Bestimmung 
bezüglich der Eigenachsfuhren folgendermaßen: Doch sollen die 
Kaufleute, wie von alters Herkommen, Macht haben, die Güter 
anf einer Achs von Augsburg aus gegen Bozen unabgeladen zu 
schicken oder wo die zu Schongau abgeladen würden, von dannen 
auf einer Achs gegen Bozen fahrenden Fuhrleuten, als denen von 
Mittenwald, Partenkirchen, Ammergau, Füssen oder so um Schon- 
gau gesessen, zu führen aufdingen, doch daß sie für die Nieder- 
lage das gewöhnliche Geld, wie unten gemeldet wird, bezahlen *). 


1) Abschied: Fertigung der kaufmannsgüter zu Mühlbach halber, vom 
11. Dezember 1535, geschehen zu Innsbruck. Innsbrucker Statthaltereiarchiv, 
Abt. Pestarchiv IX. Nr. 56. 

2) RezeB vom 6. Februar 1542, zwischen den Augsburgischen in das 
gebirg hantierenden kaufleuten und der statt Schongau aufgericht. Augsb. 


Handelsvereins-Archiv LXXXX. Nr. 28. 
Vierteljahrschr. f. Social- u, Wirtschaftsgeschichte. III. 27 


412 Johannes Müller 


Nur in den späteren Rodordnungen von Mittenwald, z.B. in 
der vom Jahre 1574, hatte sich eine Bestimmung zugunsten der 
ortsansässigen Rodleute beim Durchfahren sog. Eigenachswägen von 
Seefeld her erhalten. Der 8. Artikel der erwähnten Mittenwalder 
Rodordnung setzte nämlich fest, daß ein fremder Fuhrmann, der 
Futter oder anderes auf das Seefeld führte und von da bei der 
Rückfahrt Seidenballen nach Mittenwald brächte, mit demjenigen 
Mittenwalder Rodmann nach billigen Dingen abzukommen hätte, 
an dem die Ordnung zu führen sei’). 

Die Vorteile, die die Kaufleute von der Beförderung ihrer 
Waren durch Nebenfuhren hatten, mußten von denselben durch 
nicht geringe Spesen, vor allem durch Niederlagsgelder, die im 
Verhältnis zu den von den Rodfuhren bezahlten Niederlagsgeldern 
teilweise sehr bedeutend waren, erkauft werden. Die Höhe dieser 
Niederlagsgelder der Eigenachsfuhren war nun auf den beiden 
großen Rodstraßen Bayerns und Tirols wie auch auf den einzelnen 
Stationen der beiden Straßen außerordentlich verschieden. Durch- 
schnittlich war das Niederlagsgeld auf der unteren Straße doppelt 
so hoch wie auf der oberen Straße, was zweifellos mit dem viel 
stärkeren Verkehr auf der Brennerstraße zusammenhing. Als 
zweite Eigentümlichkeit der Niederlagsgelder für durchgehende 
Terviswägen kann dann noch der Umstand bezeichnet werden, 
daß dieselben in den Rodstätten Bayerns um das Drei- und 
Vierfache niedriger waren als in den Tiroler Rodorten. 

Zur deutlicheren Vergegenwärtigung der die Höhe der Trans- 
portkosten wesentlich beeinflussenden Niederlagsgelder sind die _ 
selben nach den Tiroler Rodordnungen des Jahres 1530 bezw. | 
nach Rodverträgen der bayerischen Rodorte mit den Augsburger 
Kaufleuten aus der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts in folgender 
Tabelle übersichtlich zusammengestellt. 










Höhe des Niederlagsgeldes für durchgehende Güter pro Wagen anno 15%. 
Obere Straße. Untere Straße. 

Rodort. Kr. Rodort. Ar. 

Füssen . . . . . . . . Schongau . . . . . . . . | 

Heiterwang . . . . . . 8 | Ammergau . . . . ‚| 


1) Mittenwalder Rodbrief vom 18. Juni 1574 Werdenfelser Aktea 
. des Münchener Kreisarchivs, Fasc. 34. 








Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 413 


es Niederlaggeldes für durchgehende Güter pro Wagen anno 1530. 


Obere Straße. Untere Straße. 
Rodort, Kr. Rodort. Kr. 
ne ee 10 | Partenkirchen . 1 
aus von Venedig . 6—7 | Mittenwald . ee. 8 
ein nach Venedig . 4-5 | Zil . 2. 2 2 2 . . . . . 4 
oo ee + + 4}, | Innsbruck . . 2 . . . . . 25 
1 . heraus von Venedig . . 22 
1 Matrei hinein nach Venedig . . 14 
12—15 Lue heraus von Venedig . . 25 
4 8 hinein nach Venedig . . 21 
en 2 | Sterzing . rn. 22 
ıeraus von Venedig 12 heraus von Venedig . 18 
ıinein nach Veneoig 8 Mühlbach hinein nach Venedig . 13 
Fe . . . . 4 | Bruneck . ... + + + + + 16 
Toblach . . . . . . . . . 24 


* Vereinigung mehrerer Rodorte zu einem Verband, wie 
i den Rodorten Graubündens der Fall war, ist es in Bayern 
rol nicht gekommen; es standen vielmehr die einzelnen Rod- 
‚yerns und Tirols das ganze Mittelalter hindurch und noch 

Jahrhundert ohne gemeinsame Organe und Einrichtungen 
inander, wenn man nicht die von den betreffenden Landes- 
ngen (Bayern, Bistum Augsburg, Bistum Freising, Grafschaft 
Herrschaft Venedig) zur Schlichtung von Streitigkeiten, die 
wischen den Kaufleuten und den Rodleuten ergaben, ein- 
en Kommissäre gewissermaßen als Aufsichtsbeamte der 
te je eines Landes betrachten will. Erst am Ende des 
ırhunderts wurde, wenigstens in Augsburg, eine Behörde 
Ten, die den Rodorten Bayerns und des Werdenfelser 
; als Aufsichtsorgan vorgesetzt war, nämlich die erst seit 
tändig aufgestellten Roddeputierten, die alle 10 Jahre für 
ıeuerung bezw. Bestätigung der alten Rodverträge zu sorgen 
ıßerdem die Visitation der Rodstätten von Augsburg bis zum 
| vorzunehmen hatten '). 


Vgl. des Verf. Abhandlung: Augsburger Warenhandel und Augs- 
Handelspolitik zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Archiv für 
eschichte I. S. 329. 


414 Johannes Müller 


2.Die Niederlagshäuser und Gutfertiger. 


Der an jeder Rodstätte stattfindende Wechsel der Fuhrleute 
und Wägen brachte es mit sich, daß die Waren jedesmal abge- 
laden und namentlich in der schlechten Jahreszeit unter Dach 
und Fach gebracht werden mußten. Zur Aufnahme der abge 
ladenen, an stärker frequentierten Plätzen oft wochenlang lagern- 
den Güter dienten besondere Häuser, die Niederlags- oder Gred- 
häuser, deren Errichtung an die Zustimmung der betreffenden 
Landesregierung gebunden war, da die Verleihung des Niederlags- 
rechts ein Vorrecht der Landesregierungen war. 

Wie oben dargetan, wurde das Niederlagsrecht sowohl in 
Bayern als auch in Tirol, besonders am Anfang des 14. Jahrhun- 
derts, zur Zeit des mächtigen Aufschwunges des deutsch-vene 
zianischen Handels, an verschiedene Orte verliehen. In Bayen 
entstanden nun im 14. Jahrhundert zwischen mehreren benachbarte 
Orten erbitterte Streitigkeiten über das Recht der Niederlegung 
der Waren. So begann die Gemeinde Garmisch im Jahr 1362 
mit den Partenkirchern eine förmliche Fehde wegen der Nieder- 
lage und des Transportes der Kaufmannsgüter, die erst im Jahr 
1408 durch einen Vergleich zugunsten Partenkirchens zum Ab 
schluß kam!). Zu ähnlichen Streitigkeiten muß es in jener 
Periode zwischen Schongau und Peitingau gekommen sein; den 
aus Kundschaftsbriefen des Rates von Nürnberg und von Angr 
burg an den Grafen Johann Truchseß zu Waldburg aus dem 
Jahre 1412 ist ersichtlich, daß sich die Schongauer damals an 
die Kaufleute der genannten Städte gewendet hatten, um sich 
von denselben gegenüber den Ansprüchen der Peitingauer be 
zeugen zu lassen, daß „die Niederlegung der Waren allweg zu 
Schongau und nicht zu Peitingau gewesen sei“ ?). 





1) Vgl. den Entscheid des Bischofs Berchtold von Freising vom 13. Mai 
1408. Werdenfelser Akten Nr. 25 des Münchner Reichsarchive. Die Parter- 
kircher erhielten die Niederlage und für das eine Jahr den Transport &et 
Hälfte, für das andere Jahr die Beförderung von zwei Dritteln der Güter 
zugesprochen. 

2) Schreiben des Rates von Nürnberg, desgl. des Rates von Augsburg 
an den Grafen Jobann Truchseß zu Waldburg vom 23. bezw. 24. Juli 1412. 
Augsb. Handelsvereins-Archiv, LXXXX. Nr. 7 und 8. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 415 


Es ist erklärlich, daß vor Beendigung solcher Streitigkeiten, 
rie der eben erwähnten, wenigstens in den Rodorten Bayerns 
eine Niederlagshäuser bestanden haben. Das erste derartige 
rebäude dürfte wohl das Schongauer Gredhaus gewesen sein, 
essen Bau im Jahre 1419 durch einen Freiheitsbrief des baye- 
ischen Herzogs Wilhelm vom 24. Dezember 1419 verbürgt ist). 
Jie Mehrzahl der bayerischen und Tiroler Niederlagshäuser scheint 
rst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gebaut worden 
u sein; denn von keinem der übrigen Niederlags- oder Pall- 
äuser, wie sie im Ostalpengebiet genannt wurden, wie z. B. von 
‘oblach, Mittenwald, geht die Entstehungszeit über das Jahr 
440 zurück”). Die verhältnismäßig späte Errichtung der Pall- 
Auser ergibt sich auch daraus, daß dieselben in den Rodord- 
wngen des 15. Jahrhunderts gar nicht erwähnt werden, während 
ich in den Ordnungen des 16. Jahrhunderts genaue Vorschriften 
owohl über den Bau wie über die Instandhaltung der Nieder- 
agshäuser finden. Trotz dieser Vorschriften entbehrte aber noch 
m Jahre 1530 die Hälfte der Rodstätten an der oberen Straße 
Tirols der Pallhäuser. Auf der unteren Straße war es in dieser 
Hinsicht zu Anfang des 16. Jahrhunderts besser bestellt; denn 
ın derselben hatten mit Ausnahme von Zirl und vom Brenner 
lamals alle Rodorte Niederlagshäuser. Aber der Zustand mancher 
lieser Pallhäuser scheint nach den vielfachen Klagen der Kauf- 
eute und Gutfertiger — geringe Größe, ungenügende Versperrung 
and Bedachung werden als die Hauptmängel angegeben — nicht 
der beste gewesen zu sein’). Der Bau und die Instandhaltung 
der Niederlagshäuser war in solchen Rodorten, in denen die Rod 
der ganzen Gemeinde zustand, Sache der Gemeinden, in den übri- 
xen Orten dagegen Pflicht der Rodleute oder einzelner Familien, 


1) Lort, Geschichte des Lechrains, II. Nr. 112. 

2) Nach H. J. BIEDERMANN, Das Hochpustertal, Deutschösterr. Alpen- 
vereinszeitschrift 1884 3. 40 wird um das Jahr 1440 ein Konrad Arnold als 
Lehensbesitzer des Toblacher Pallhauses genannt. — Das Mittenwalder Pall- 
haus wurde im Jahr 1471 mit Genehmigung des Freisinger Bischofs Johann 
errichtet. 

3) Hinsichtlich der Mängel der Pallhäuser vgl. insbesondere die Be- 
schwerden der Gutfertiger vom Jahre 1558. Augsb. Handelsvereins-Archiv, 
LXXXX. Nr. 188. 





416 Johannes Müller 


die Lehensbesitzer der betreffenden Pallhäuser waren. Letzteres 
war in zwei Rodstätten der oberen Straße, in Lätsch (Familie 
von Annaberg) und in Terlan (von Warburg), und in drei Rod- 
orten der unteren Straße, in Sterzing (von Firmian), Mühlbach 
(Kaufmann und Huber) und in Toblach (Arnold) der Fall 
Diese Pallhauslehensträger bezogen als Entgelt für die ihnen 
erwachsenden Bau- und Unterhaltungskosten das von jedem der 
Rodwägen zu entrichtende Pallhausgeld. Das Niederlagsgeld von 
den sog. Terviswägen dagegen, das nach den früher gemachten 
Darlegungen bedeutend höher war als das Pallhausgeld, gehörte 
den Rodleuten des betreffenden Rodortes. 

Wegen der nicht geringen Einnahmen, die die Rodore 
aus den Niederlagsgeldern bezogen, lag denselben selbstrer | 
ständlich außerordentlich viel an der Einhaltung der durch 
die Rod vorgeschriebenen Straßenzüge seitens der Kaufleute 
und diese suchten andererseits wieder dem Routenzwang x 
entgehen, wofern sie den Transport ihrer Güter auf anden 
Straßen oder Nebenwegen mit nur einiger Sicherheit und Koster- 
ersparnis bewerkstelligen konnten. Ein geradezu klassisches 
Zeugnis für die starre Durchführung des Routenzwanges aus fir 
kalischen Gründen bieten die Anordnungen der bayerischen 
Herzoge hinsichtlich des Niederlagsrechtes Schongaus. Diese 
bayerische Städtchen unweit des Austrittes des Lechs aus dem 
Gebirge hat wohl zunächst durch seine günstige Lage an der 
unteren Straße Tirols — es lag gerade inmitten der Strecke 
zwischen Augsburg, dem kommerziellen Mittelpunkt Oberschwabens, 
und Mittenwald, einem wichtigen Kreuzungspunkt zweier bedeuten- 
der Rodstraßen —, sodann aber auch durch die konsequente 
Behauptung seines Niederlagsrechtes seitens der bayerischen 
Herzoge gegenüber den Augsburger Bischöfen seine beiden 
Nebenbuhler, die Reichsstadt Kaufbeuren und die bayerische 
Landstadt Weilheim, in merkantiler Beziehung jahrhundertelang 
überflügelt. Die Bemühungen der bayerischen Herzoge, die Un- 
fahrung der Schongauer Niederlage, sei es von Füssen aus über 
Bernbeuern oder von Ammergau aus über Baiersoyen, mit allen 
Mitteln zu verhindern, begannen mit einem Schreiben des Herzogs 
Albrecht III. vom 8. März 1443 an den Bischof Peter von Aug* 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 417 


urg, in welchem der Herzog den Bischof in drohendem 
‘one aufforderte, die von ihm eingeführte Neuerung, die Kauf- 
ıannsgüter in Füssen und Bernbeuern niederlegen zu lassen, 
jeder abzuschaffen '. Albrechts III. Nachfolger, die Herzoge 
ohann und Siegmund, Albrecht IV., Wilhelm IV., Albrecht V., 
nd in der nachfolgenden Zeit mit der gleichen Energie und 
erselben Folgerichtigkeit wie ihr Ahnherr bemüht gewesen, das 
rivileg der Schongauer aufrecht zu erhalten, sowohl im Interesse 
er Stadt wie zu ihrem eigenem Vorteil, da durch das Umfahren 
er Schongauer Niederlage erstere nicht bloß um ihr Niederlagsgeld 
ekürzt sondern auch die Zolleinnahmen der bayerischen Fürsten 
edeutend vermindert worden wären ?). 

Wie ernstlich die Herzoge von Bayern die Schongauer bei ihren 
‚echten zu handhaben entschlossen waren, geht aus einem Streit- 
il der Schongauer mit einem Weilheimer Fuhrmann wegen 
Imfahrung der Niederlage zu Schongau hervor. Der Weilheimer 
ürger Gg. Dietmair hatte im Frühjahr 1553 von Spöttingen 
us Güter eines Augsburger Kaufmannes auf der Weilheim- 
[urnauer Straße nach Bozen geführt und war darum auf der 
‚ückfahrt, nachdem die Weilheimer die Auslieferung Dietmairs 
n die Schongauer verweigert hatten, auf offener Landstraße bei 
[urnau von den Schongauern gefangengenommen, nach Schongau 


1) Lori, Geschichte des Lechrains I. Nr. 156. 

2) Lort, Nr. 186: Albrecht III. an Herzog Sigmund von Österreich 
egen der Umfahrung der Schongauer Straß und Niederlage durch einen 
sterr. Untertanen im Jahre 1459. 

Lori, Nr. 192: Revers des Abtes von Steingaden wegen der neuerrichteten 
echbrücke vom Jahre 1466. 

SIMONSFELD, Fondaco, Nr. 508: Versicherung des Rates von Augsburg, 
ine Kaufleute zum Befahren der Schongauer Straße anzuhalten, vom Jahre 
166, desgl. vom Jahre 1467. Augsb. Handelsvereins-Archiv, LXXXX. Nr. 275. 

Lori, Nr. 216: Revers eines Kaufbeurers wegen erlaubter Fahrt durch 
ıs Teuffertal nach Kaufbeuren 1490. 

Lori, Nr. 255: Vertrag zwischen Bayern und dem Hochstift Augsburg 
egen Vermeidung der Straße tiber Büdingen seitens der Kaufleute 1511. 

Lori, Nr. 260: Herzog Wilhelm IV. an den Bischof von Augsburg wegen 
strafter Umfahrung der Niederlage zu Schongau. 

Lori, Nr. 317: Herzog Albrecht V. gestattet den Augsburger Kaufleuten 
ısnahmsweise für den Ägidimarkt die Straße über Weilheim. 


418 Johannes Müller 


gebracht und erst auf eine Bürgschaft hin aus der Gefangen- 
schaft zu Schongau entlassen worden. Auf die beiderseitige Klage 
bei dem Hofrat Herzog Albrechts V. entschied der letztere, daß 
die Weilheimer ihren Bürgern nicht mehr gestatten sollten, 
künftig also wider die Rodordnung zu handeln, und daß Dietmair 
den Schongauern außer dem Zoll und dem Niederlagsgeld für die 
von ihm verfahrenen Güter noch 12 fl. Fuhrstrafe zu zahlen 
habe). 

Ähnliche Differenzen, wie zwischen Schongau einerseits, Kanf- 
beuren und Weilheim anderseits, ergaben sich aus der schroffen 
Anwendung des mittelalterlichen Straßenzwanges und Nieder- 
lagsrechtes noch an manchen andern Punkten der beiden großen 
Rodstraßen Tirols, so zwischen Meran und Mais, zwischen Bozen 
und Tramin*'). Auch in diesen Fällen siegte der starre mittel- 
alterliche Straßenzwang über das Prinzip des freien Wettbewerbes, 
obwohl die Kaufleute, wenigstens diejenigen des 16. Jahrhunderts, 
von den Vorteilen des letzteren für den Handel und Verkehr durch- 
drungen, in öfter wiederholten, eindringlichen Vorstellungen für die 
Freigabe der verschiedenen Straßen für den Warenverkehr bei den 
betreffenden Landesregierungen energisch eintraten. In einer dieser 
Vorstellungen, von dem Augsburger Handelsherrn Hieronym. Kre$ 
vom 16. Oktober 1553 an die herzoglich bayerische Regierung 
gerichtet, heißt es nach Aufzählung der besonderen Vorteile, die 
sich aus der freien Wahl zwischen den beiden Straßen, der 
Schongauer und der Weilheimer, für die Augsburger Kauflente 
ergeben würden, am Schlusse sehr treffend: Daß aber die von 
Schongau gar ein alten privilegio, so ihnen geben worden ik, 
auflegen, lassen wir in ihrem Werth bleiben. Da aber ihnen 
dieselbige Privilegia geben worden sind, da ist es viel ein andere 
gewesen gegen jetztund wie Tag und Nacht, es sind nit soriel 
Güter gangen als jetztund, desgleichen nit soviel Wein. Al 
wo viel Fuhrleut fahren, da bedarf mau viel Straßen, darz # 


1) Rezeß des Herzogs Albrecht V. vom 2. März 1553, daß die GK 
der Rodstraß über Schongau nicht entführt werden sollen. Augsb. Handel 
vereins-Archiv, XIX. Nr. 5. 

2) A. JÄGER. Geschichte der landständischen Verfassung Tirols L S. 6% 
und 634. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 419 


n die von Schongau zu derselbigen Zeit die Rod selbst ver- 
st, so sie jetztund andern außerhalb Schongau mit ihrem 
heil jährlich einen Pakt machen und aufgeben, das im Ge- 
ch nit gewest ist, als sie ihre Privilegia empfangen haben‘. 
Jrsprünglich haben die Kaufleute bezw. deren Faktoren die 
r beim Transport auf den Rodstraßen selbst begleitet; aber 
der Zunahme des Großhandels in den süddeutschen Handels- 
orien gegen Ende des Mittelalters machte sich bei den 
schen Handelshäusern das Bedürfnis nach Spediteuren geltend, 
die Fertigung der Güter von und nach Venedig gewerbmälig 
eben und deshalb den Namen „Gutfertiger“ oder „Ballen- 
er“ erhielten. In den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts 
len die Gutfertiger neben den Rodleuten als eine in dem 
aligen Transportwesen durchaus eingebürgerte Erscheinung 
ihnt?). Es ist deshalb anzunehmen, daß es diese Hilfs- 
ne des neuzeitlichen Transportwesens mindestens schon zu 
ıng des 16. Jahrhunderts gegeben hat. Das erste Auftreten 
Gatfertigern in Bayern und Tirol gerade an der Wende vom 
zum 16. Jahrhundert würde auch damit übereinstimmen, daß 
ler Schweiz erst nach Ausgang des Mittelalters Spediteure 
mein vorkommen’). 

Bezeichnend für die etwas eigenartige Stellung, die die Gut- 
ger schon früh im Transportgewerbe in den Ostalpen ein- 
men, ist die Tatsache, daß schon im Jahre 1530 die baye- 
en Rodleute bei der bayerischen Regierung über die Miß- 
ung der Rodordnungen seitens der Spediteure sich zu beklagen 
aß fanden, indem sie denselben vorwarfen, daß sie die Güter 
it ordnungsgemäß auf der Rod fortfahren ließen, sondern 
ch Bauern aus der Umgegend von Augsburg nach Schongau 
ckten, daselbst mehrere Wochen liegen ließen und erst, nach- 
ı große Mengen von Gütern sich angesammelt, diese den Rod- 


— 





1) Berichtung des Hieronym. Kreß, aus was ursachen die straß auf 
lheim und Murnau eröffnet werden soll. Dat. Augsburg 16. Oktober 
, Augsb. Handelsvereins-Archiv, LXXXX. Nr. 151. 

2) Vgl. z.B. die Beschwerde der Augsburger Kaufleute über die baye- 
‘en Rodleute vom Jahre 1526. Augsb. Handelsvereins-Archiv LXXXX. Nr. 18. 
3) SPRECHER, Geschichte der Republik der drei Bünde II. S. 258. 


420 J. Müller, Das Rodw. Bayerns u. Tirols i. Spätmittelalter. 


bauern zur Weiterbeförderung übergäben'!). Dieses zur Verein- 
fachung des Speditionsgeschäftes eingeschlagene Verfahren, das 
im Laufe des 16. Jahrhunders wohl immer größere Dimensionen 
annahm, führte endlich am Ende dieser Periode zur Aufstellung 
einer eigenen Güterfertigerordnung seitens des Augsburger Rates, 
die dann im Laufe des 17. Jahrhunderts noch weiter ausgebildet 
und ergänzt wurde?). 








1) Vgl. hierzu folgende Stelle aus „Beschwerden der rodleut zu Schongaı, 
Ammergau, Partenkirchen, Garmisch und Mittenwald, von Leonh. von Egk dem 
Augsburger Ratskonsulenten Heymeran Edelmann am 26. September 15% 
überreicht: Darzu so wellen auch diejenigen, so der kaufleutt güter ferttigen, 
auf der rod ain guet oder wagen nit vor den andern fueren lassen, und be- 
gibt sich manigmals, das sy guetter von Augspurg aus bey den paure 
gen Schongau schicken, nach einander ettwa 14 tage oder 3 wochen und 
noch lenger die liegen lassen, so wir mit gueter und woll faren möchte, 
bis die all zusammen kommen, sollten dann die hauffenweyß hinfueren, das 
sich also mittlerweyll zutregt, das dißorts heraus auch gueter kommen, mit 
einander hinfueren sollten, welches uns nit wenig beschwerlich, weil die gueter 
so lang dagelegen und wir zeit genug gehabt, die rückllichen zu fueren. 
Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. LXXXX. Nr. 46. 

2) Vgl. des Verf. Abhandlung: Augsburgs Warenhandel mit Venedig 
und Augsburger Handelspolitik im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegt. 
Archiv für Kulturgeschichte I. S. 326. 


(Schluß folgt in Heft 4.) 





Die älteren Stadtrechte von Freiburg im Breisgau. 
Von 
Siegfried Rietschel (Tübingen). 


8 1. 

Das ältere, lateinisch geschriebene Stadtrecht von Freiburg im 
reisgau ist uns bekanntlich in zwei recht verschiedenen Fassungen 
halten. Die eine wird uns überliefert in einer aus zwei zu- 
ınnmengehefteten Pergamentblättern bestehenden Urkunde'), die 
»n alters her im Stadtarchiv von Freiburg i. B. aufbewahrt 
ird und lange Zeit als der echte Stiftungsbrief von 1120 ge- 
olten hat, bis im Jahre 1829 HEINRICH SCHREIBER die andere 
assung entdeckte. Sie fand sich abschriftlich in einem Lager- 
uche des Klosters Tennenbach und wurde von ihrem glück- 
chen Finder nicht nur veröffentlicht?), sondern auch als die 
rsprünglichere Gestalt des Stadtrechts nachgewiesen. SCHREIBER 
rklärte diese Tennenbacher Fassung für das zähringische Grün- 
lungsprivileg von 1120; die andere, im Stadtarchiv befindliche, 


1) Sie ist zuletzt von GAuPr, Deutsche Stadtrechte des Mittelalters II. 
Breslau 1852), S. 28 ff. herausgegeben und wird nach dieser Ausgabe zitiert. 
“ber ältere Ausgaben vgl. GAUPP, a. a. 0. IL, S.Bf.; GENGLER, Deutsche 
tadtrechte des Mittelalters (Erlangen 1852), S. 131 f. 

2) Zuerst gedruckt bei SCHREIBER, Die älteste Verfassungsurkunde der 
ladt Freiburg im Breisgau (Freiburg i. B. 1888), 8. 28 ff. Die beste Ausgabe 
'etet A. SCHULTE in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, N. F. I. 
886), S. 193 ff.; nur die von MAURER angebrachten, aus dem Stadtrecht von 
Enzingen (1283) entnommenen „Verbesserungen“ sind teilweise recht zweifel- 
fter Natur. Abdrücke dieses Textes finden sich bei ALTMANN und BER\- 
TM, Ausgewählte Urkunden, 3. Aufl., S. 388 ff. und bei KEUTGEN, Urkunden 
T städtischen Verfassungsgeschichte S. 117 ff. Beide haben den Text von 
AURERS Lesarten wieder gereinigt. Ich zitiere nach der Einteilung in den 
[ztgenannten Ausgaben. 


422 Siegfried Rietschel 


sei kein Stiftungsbrief, sondern ein sogenannter „Stadtrodel®, 
eine „unter Autorität der Stadt selbst verfaßte und daher au 
von ihr besiegelte Zusammenstellung der von den Herzogen von 
Zähringen erhaltenen Rechte und Freiheiten“’). Der Name „Rodel‘ 
ist seit SCHREIBER der Aufzeichnung im Stadtarchiv geblieben; 
geblieben ist aber auch der Nachweis, daß dieser Rodel au 
bürgerlichen Kreisen hervorgegangen ist und daß ihm gegenüber 
die Tennenbacher Abschrift zweifellos die ursprünglichere Text- 
form darstellt. Dagegen hat SCHREIBERS Ansicht, daß die Tennen- 
bacher Abschrift den ursprünglichen Stiftungsbrief darstelle, er- 
hebliche Modifikationen erfahren. Die Untersuchungen von Ka 
HEGEL?), EUGEN HUBER?), HEINRICH MAURER), EDUARD HEyct') 
und PAUL SCHweEizEr®) haben gezeigt, daß nur der Anfang 
und Schluß der Aufzeichnung das alte Gründungsprivileg vo 
1120 darstellen, daß dagegen die übrigen Teile spätere Bir 
schiebungen sind. Als communis opinio hat sich auf Hsezw 
Autorität hin folgende Ansicht herausgebildet’): 

Die Tennenbacher Urkunde ist aus drei Bestandteilen n- 
sammengesetzt. Teil I ist der bald nach der 1120 erfolgten 
Gründung ausgestellte Stiftungsbrief Konrads von Zähringen; er 
umfaßt die Einleitung, die & 1 bis 5 und den Schluß. Tell 
besteht aus den & 6 bis 15; er ist vor 1178 hinzugefügt worden. 





1) Vgl SCHREIBER, Verfassungsurkunde S. 21. 

2) Vgl. HEGEL in der Kieler Allg. Monatsschrift für Wissenschaft und 
Literatur 1854, S. 708 ff., in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrbeiss, 
N. F. XI. (1896), S. 277 ff. und in seiner Entstehung des deutschen Städte 
wesens (Leipzig 1898), S. 152. Wo HesEL schlechthin zitiert wird, if 
der Aufsatz in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins gemeist 

3) Vgl. HUBER in der Zeitschrift für schweizerisches Recht XXI. (18%, 
S. 8 ff., insbesondere S. 15 ff., 31 f., sowie in seiner Geschichte des schweise 
rischen Privatrechts (Basel 1898), S. 80 ff. 

4) Vgl MAURER in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrbeiss 
N. F. I. (1886), S. 170 ff., V. (1890), S. 476 Anm. 

5) Vgl. Hevck, Geschichte der Herzoge von Zähringen (Freiburg i B 
1891), S. 583 ff. 

6) Vgl. Schweizer, Habsburgische Stadtrechte und Städtepolitik à 
den Festgaben zu Ehren Max Büdingers (Innsbruck 1898), S. 2265 #. 

7) Sie findet sich bei SCHRÖDER, Rechtsgeschichte, 4. Auf, S. 681; 
KEUTGEN, Urkunden S. 177 ff. u. a. 


Die älteren Stadtrechte von Freiburg im Breisgau. 423 


eil III, der an Umfang die beiden ersten Teile um das doppelte 
yertrifft und die $$ 12 bis 55 enthält, ist am Ende des 12. Jahr- 
ınderts, spätestens in den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts, 
ıtstanden. Den Stadtrodel verlegte man bis in die jüngste Zeit 
Igemein vor das Jahr 1218. 

Wie weit diese Ansicht berechtigt ist, soll im folgenden näher 
ıtersucht werden. 


$ 2.. 

Daß Teil III tatsächlich von den beiden übrigen Teilen ge- 
ennt werden muß, und zwar sogar in höherem Maße, als es die 
sherige Theorie annimmt, werden wir weiter unten feststellen. 
n dieser Stelle sollen uns bloß Teil I und Teil II beschäf- 
gen, also die Einleitung, $ 1 bis 15 und der Schluß. Die Unter- 
heidung der beiden Teile gründet sich darauf, daß nur Einleitung, 
; 1 bis 5 und Schluß den Stadtgründer und Stadtherrn in der 
sten Person reden lassen, während er in der übrigen Urkunde 
. der dritten Person als dux genannt wird ($$ 8, 9, 11, 12, 
3, 15). Dem Sprachgebrauch eines Gründungsprivilegs, führt 
an aus, entspreche es aber, daß der Stadtgründer in der ersten 
erson rede, jedenfalls sei dieser Wechsel zwischen erster und 
ritter Person in einer einheitlichen Urkunde unwahrscheinlich 
id nur aus einer späteren Hinzufügung von Zusätzen erklär- 
»h!). Dieser Argumentation ist zuzustimmen, da auch ein an- 
res Moment den Gegensatz der beiden Teile bestätigt. Der 
ste Teil kennt nur ein forum (pr., $ 1) Freiburg, also offenbar, 
ie es der Gründungsperiode auch durchaus entspricht, eine un- 
sfestigte Marktansiedlung. Der zweite Teil aber erwähnt eine 
rbs ($$ 8, 11, 15) oder civitas ($ 13), also nach dem Sprach- 
ebrauche der Zeit eine ummauerte Stadt. Damit hängt es auch 
ısammen, daß die Bürger in Teil II nicht nur, wie in Teil I, 
argenses, sondern auch einmal urbani ($ 13) heißen. Ist somit 
ie Unterscheidung der beiden Teile durchaus gerechtfertigt, so 
nd doch hinsichtlich der Abgrenzung im einzelnen zwei 
orrekturen der herrschenden Meinung anzubringen. 


1) Vgl. die angeführten Aufsätze von HUBER, MAURER, HEYCK, HEGEL 
ıd SCHWEIZER, 


424 Siegfried Rietschel 


Einmal ist es zweifelhaft, ob 88 6, 7 zu Teil I oder, wie all- 
gemein angenommen wird, zu Teil II gehören. Eine Entscheidung 
läßt sich nicht fällen, da weder der Stadtherr in ihnen erwähnt 
wird, noch die Ausdrücke forum, urbs, civitas, urbani in ihnen 
vorkommen '). 

Ferner aber gehört von $ 2 der Satz 1, der den Stadtherrn in 
der ersten Person reden läßt (burgensium meorum), zwar 
sicher zu Teil I, aber ebenso sicher Satz 3 desselben Para- 
graphen, der den dux und die edificatio civitatis erwähnt, zu 
Teil I. Unsicher könnte höchstens sein, wohin wir Satz 2 zu 
rechnen haben, der besonders dadurch interessant ist, daß er die 
24 coniuratores fori als ständige Behörde nennt. Ziehen wir in 
Erwägung, daß in keiner Quelle der Freiburger Stadtrechtsfamilie 
Satz 2 und 3 getrennt werden, daß aber nicht nur im Stadtrodel, 
sondern auch in den Handfesten von Bremgarten, Colmar samt 
allen ihren Tochterrechten ?) allein Satz 2 und 3 zu finden sind, 
während Satz 1 fehlt, so dürfen wir wohl auch Satz 2 als Be- 
standteil des Zusatzes ansprechen’). 

Wenden wir uns jetzt der Datierung der einzelnen Teile 
zu, so trage ich nicht das geringste Bedenken, den so um $? 
Satz 2, 3 verminderten Teil I als das echte Gründungsprivileg 
Konrads von Zähringen anzusehen. Was die Datierung be 
trifft, so ist MAURERS Ansetzung ca. 1140 nur aus einem Miß- 
verständnis zu erklären '); das Privileg ist vielmehr gleich nach 
der Gründung im Jahre 1120, vielleicht noch in demselben Jahre, 
ausgestellt worden. 

Dagegen sind die Gründe, die für die Entstehung des Teiles Il 
vor dem Jahre 1178 angeführt werden, nicht stichhaltig. Die 
herrschende Lehre stützt diese Ansicht darauf, daß schon in den 
Gründungsprivilegien der 1178 gegründeten Städte Freiburg i. U. 

1) Übrigens rechnet auch HEGEL, Städtewesen S. 152 damit, daß mög- 
licherweise noch etwas mehr als die $$ 1—5 zur ursprünglichen Hand- 
feste gehört. 

2) Über diese Rechte vgl. unten 8.7 ff. 

3) Auch HEYCK, a. a. O. S. 584 meint, $ 2 enthalte schon eine Um- 
arbeitung, die der zweiten Periode der Freiburger Rechtsbildung angehört, 


begründet aber seine Ansicht nicht näher, 
4) Gegen MAURER, a. a. O. S. 187 vgl. HEGEL, a. a. O. S. 280. 


Die älteren Stadtrechte von Freiburg im Breisgau. 425 


und Dießenhofen — oder wenigstens in dem Gründungsprivileg 
der letzteren Stadt — Teil II benutzt worden sei’). 

Die Gründungsurkunde von Freiburg i. U. ist uns nicht 
erhalten. Wir besitzen bloß ein Privileg der beiden Grafen Hart- 
mann von Kiburg aus dem Jahre 1249), in welchem sie ihren 
Bürgern von Freiburg die in praesenti volumine verzeichneten 
Rechte bestätigen, die ihnen Herzog Berthold (IV.) von Zähringen 
in initio fundationis ville supradicte (also 1178) verliehen habe. 
Und nun folgt allerdings ein wahres „Volumen“ von Einzel- 
bestimmungen, das selbst bei dem großen Format der Fontes 
rerum Bernensium über 12 Druckseiten füllt und das gesamte 
alte Freiburger Stadtrecht um mehr als das Doppelte übertrifft. 
In dieser Fülle von Rechtsstoff finden sich ganz versprengt ($$ 6, 
31, 32, 40, 41, 50) einige Bestandteile von Teil II. Daß dies 
Volumen nicht das ursprüngliche Gründungsprivileg darstellt, wird 
heute wohl von niemandem bezweifelt. Es ist eine später, wahr- 
scheinlich erst im Jahre 1249, zusammengestellte Kompilation 
von Rechtssätzen, die meistens wohl schon vorher in Freiburg i. Ü. 
gegolten haben. Ob überhaupt etwas aus dem Gründungsprivileg 
Herzog Bertholds herrührt, ist nicht sicher. Am ehesten sind es 
die SS 1 bis 8, die den Stadtherrn in der ersten Person reden 
lassen, während er im weiteren Verlauf der Urkunde immer 
nur dominus heißt, und die auch sonst sichtlich einen gewissen 
einheitlichen Charakter tragen. Diese Paragraphen zeigen un- 
verkennbare Benützung des Teiles I, also der ursprünglichen 
Handfeste für Freiburg i. B. von 1120, enthalten dagegen (in $ 6) 
von Teil II nur den $ 9, der die Beitragsleistungen der bürger- 
lichen Gewerbe für die Romfahrt des Stadtherrn regelt. Ich 
glaube nicht, daß man deshalb eine direkte Benutzung von Teil II 
annehmen muß, sondern meine, daß hier sehr wohl eine alte, 
auch in Teil II verwertete herzoglich zähringische Einzelurkunde 
7 1) Vgl. Hevex, a. a. O. S. 584; HEGEL, a. a. 0. S. 284 f.; SCHWEIZER, 
a. a. 0. 3. 230 ff. 

2) Gedruckt bei GAurpp, Stadtrechte II. S. 82 ff., in den Fontes rer. 
Bern. I., 281 3. 298 ff. und am besten zugleich mit einer modernfranzösischen, 
«iner altfranzösischen und einer mittelhochdeutschen Übersetzung von E. LEHR, 


La Handfeste de Fribourg dans l’Uechtland (Lausanne 1880). Ich zitiere 
nach der letztgenannten Ausgabe. 


426 Siegfried Rietschel 


benutzt worden sein kann. Möglicherweise aber gehört der be- 
treffende Paragraph überhaupt nicht zum ursprünglichen Bestand 
des Gründungsprivilegs von 1178. 

Auch der Versuch, aus der Handfeste von Flumet von 1228!) 
das Gründungsprivileg von Freiburg i. Ü. zu erschließen, scheint 
mir nicht geglückt*). Gewiß zeigt die auffallende Überein- 
stimmung vieler Bestimmungen dieser Handfeste mit der späteren 
‘ Handfeste von Freiburg i. Ü., daß Aymon von Faucigny bei der 
Gründung der savoyischen Stadt Flumet alles das, was in seinem 
Gründungsprivileg zähringisches Recht ist — und dazu gehöre 
auch die Bestimmungen von Teil II mit Ausnahme der letzten 
vier Paragraphen, $$ 12 bis 15 —, aus Freiburg i. Ü. entlehnt 
hat. Aber wir können aus alledem nur schließen, daß im Jahre 
1228 diese Rechtssätze in Freiburg i. Ü. bekannt waren, nich 
aber, daß sie im Gründungsprivileg von 1178 gestanden haben. 

Nicht anders steht es meines Erachtens mit der Benutzung 
von Teil IT im Gründungsprivileg von Dießenhofen von 1178. 
Auch dies Gründungsprivileg ist nicht im Original erhalten; man 
nimmt aber allgemein an, daß es in die Dießenhofener Handfeste 
von 1260 wörtlich als erster Bestandteil aufgenommen worden 
ist. In dieser Handfeste von 1260°) erneuert und bestätigt Graf 
Hartmann d. À. von Kiburg den Bürgern von Dießenhofen quss 
dam constitutiones et iura subscripta, die sein Großvater Har- 
mann 1178 bei der Gründung ihnen verliehen hat. Und nun 
folgen (nach Genglers Einteilung) 21 Bestimmungen, die zım 
Teil Bearbeitungen von Rechtssätzen aus Teil I und II der Hand- 
feste von Freiburg i. B. sind. 

Prüft man aber dies angebliche Gründungsprivileg näher, ® 
erweist es sich mit absoluter Sicherheit als ein Konglomerat ver- 
‚schiedenartiger Bestimmungen, das seine letzte Redaktion wahr- 
scheinlich erst in der Mitte des 13. Jahrhunderts erfahren hat, 
jedenfalls im Jahre 1178 unmöglich entstanden sein kann. Schon 


1) Gedruckt von CH. Le FORT in den Mémoires et documents publié 
par la société d’histeire et d’arch&ologie de Genève XIX. (1877), p. 146 £ 

2) Über diese Benutzung vgl. LE FORT, a, a. O. p. 134 ff., ferner de 
angeführten Schriften von HUBER, HEYCK, HEGEL und SCHWEIZER. 

3) Gedruckt bei GENGLER, Codex iuris municipalis I. S. 762 f. 


Die älteren Stadtrechte von Freiburg im Breisgau. 497 


die Formulierung des Satzes „Stadtluft macht frei“, die $ 17 
bietet, ist im Jahre 1178 anderwärts noch durchaus unbekannt). 
Wo fände sich aber eine Quelle des 12. Jahrhunderts, die den 
Stadtrat als consilium bezeichnet, wie das tatsächlich in der 
Dießenhofener Handfeste $$ 2, 14 der Fall ist? Daß wir es hier 
nit keiner einheitlichen Urkunde zu tun haben, zeigt ferner der 
Wechsel im Ausdruck. In einer Reihe von Paragraphen spricht 
ler Stadtherr in der ersten Person (88 1, 3, 4, 6, 18), in an- 
leren heißt er comes (88 15, 16, 21), ja an einer weiteren Stelle 
vird er sogar vom Standpunkte der Bürger aus als dominus 
ıoster bezeichnet. In einigen Teilen heißen die Bürger cives, 
n anderen urbani; für die Stadt wechseln die Ausdrücke villa 
nd urbs. Allerdings ist es nun möglich und sogar wahrschein- 
ich, daß die 88 1, 3, 4, 6, 18, die den Stadtherrn in der ersten 
’erson sprechen lassen, die ferner die Ansiedlung ausschließlich 
illa und die Bürger ausschließlich cives nennen, aus dem Grün- 
ungsprivileg stammen. Aber diese Paragraphen verraten zwar 
eutlich die Anlehnung an Teil I der Freiburger Handfeste, haben 
edoch mit Teil II nicht die geringsten Berührungspunkte; da- 
egen stammt z. B. & 21, der den Stadtherrn comes und die 
ınsiedlung urbs nennt, aus Teil Il. 

Damit wird die Annahme, Teil II müsse vor 1178 entstanden 
ein, hinfällig. Dagegen läßt sich aus dem Inhalte von Teil I 
ntnehmen, daß er vor dem Jahr 1218, also vor dem Aussterben 
er zähringischen Herzogsfamilie, entstanden sein muß, da der 
tadtherr durchweg als dux bezeichnet wird”). Wir kämen also 
uf die Entstehungszeit 1120 bis 1218. Eine engere Zeitgrenze 
ieße sich nur gewinnen, wenn es gelänge, die Datierung von 
‘eil III weiter hinaufzurücken. Wir haben uns also im Folgen- 
en mit diesem Teil zu beschäftigen. 


8 3. 
Während wir Teil II als eine Erweiterung der ursprünglichen 
Iandfeste charakterisieren können, steht es anders mit Teil III. 
1) Vgl. die Belegstellen bei SCHÜTZE, Die Entstehung des Rechtssatzes: 
tadtluft macht frei (Berlin 1903), S. 76 ff. 
2) Darüber, daß mit dem dux bloß der zähringische Herzog gemeint 


ein kann, vgl. HEYCK, a. a. 0. S. 584 f. 
Vierteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte, III. 28 


128 Siegfried Rietschel 


Teil IH ist keine bloße Erweiterung, sondern eine selbständige, 
offenbar in bürgerlichen Kreisen entstandene Rechtsaufzeichnung, 
die nur äußerlich mit der erweiterten Handfeste verbunden ist. 
Das zeigen einerseits die mehrfachen Wiederholungen, die Teil II 
gegenüber den beiden ersten Teilen bietet, und auf die schon 
MAURER und HEGEL aufmerksam gemacht haben; die $$ 4, 8 Satz 1, 
10, 13, 15 der Handfeste (Teil I und ID) finden sich in etwa 
erweiterter und veränderter Form in den $$ 35, 20, 42, 16, 24 
von Teil III wieder. Diese Erscheinung läßt sich nur durch die 
Annahme erklären, daß Teil III isoliert redigiert und später erst 
mit den anderen Teilen verbunden ist. 

Zu genau demselben Resultate führt eine Vergleichung von 
Teil III mit dem Stadtrodel. Den Grundtext des Stadtrodel: 
bildet Teil III oder ein ihm nahe verwandter Text!) Ab 
gesehen von einer einzigen Umstellung zweier Paragraphen 
(Teil III, 88 44, 45 = Stadtrodel 88 31, 29) und der Au 
lassung von sieben Paragraphen ($$ 41, 50 bis 55) bietet der 
Stadtrodel die Bestimmungen von Teil III in genau derselben 
Reihenfolge. Nur hat der Verfasser des Stadtrodels den Teil MI 
in zwei Hälften geteilt und bringt dieselben in umgekehrter 
Anordnung (zuerst Teil III, $$ 34 bis 49, dann $$ 16 bis 33), 
was MAURER mit vollem Recht daraus erklärt hat, daß der 
Verfasser des Stadtrodels eine auf zwei Blättern geschriebene 
Vorlage benutzte und beide Blätter miteinander vertauschte. 
Diese Vorlage hat der Verfasser des Stadtrodels mit einer au 
dem Anfang des Gründungsprivilegs hergestellten Einleitung ver- 
sehen, in der fälschlich Herzog Berthold statt seines Bruder 
Konrad als der Gründer angeführt wird. Ferner hat er an ver 
schiedenen Stellen der Urkunde Sätze eingeschoben, die teils 
aus der erweiterten Handfeste entnommen sind, teils neue Be 
stimmungen enthalten; unter den letzteren befindet sich ein 
längerer Zolltarif. Am Schluß sind (nach der gebräuchlichen 
Zählung) 15 neue Paragraphen angehängt worden; dafür sind 
die $$ 41 und 50 bis 55 des Teiles III in Wegfall gekommen. 
Sowohl der als Grundtext dienende Teil III (bezw. ein ihm ver- 


1) Vgl. dazu MAURER, à. a. O. S. 184. 


Die älteren Stadtrechte von Freiburg im Breisgau. 499 


andter Text) wie die aus Teil I und II stammenden Einschiebsel 
ıben recht erhebliche textliche Änderungen erfahren. 

Auch diese ganze Art der Zusammenfügung von Teil III mit 
n beiden ersten Teilen der Handfeste wird nur dadurch ver- 
andlich, daß dem Bearbeiter Teil III oder eine diesem Teil III 
mliche Urkunde als selbständige Aufzeichnung, nicht als Teil 
:r Handfeste vorgelegen hat. 

Aber wir können noch mehr feststellen, nämlich daß nicht der 
ennenbacher Text von Teil III die unmittelbare Vorlage des Stadt- 
dels gebildet hat, sondern daß es einen Text gibt, der inhaltlich 
vischen beiden steht und entweder das Zwischenglied zwischen 
iden Texten darstellt oder vielleicht auch ihre gemeinsame 
orlage getreuer reproduziert. Es ist eine in Bremgarten im 
argau aufbewahrte, jeder urkundlichen Formeln entbehrende 
echtsaufzeichnung, die nach den neuesten Untersuchungen Paut, 
SHWEIZERS etwa in das Jahr 1258 gehört'). Dieser Brem- 
ırtener Text, der in seiner ursprünglichen Form auf Bremgarten 
ır nicht Bezug nimmt und erst in einer 1309 datierten Be- 
atigung in ein Privileg der habsburgischen Herzoge für Brem- 
ırten verwandelt worden ist, stellt die Verbindung zwischen 
ennenbacher Text und Stadtrodel her. Mit dem Tennenbacher 
ext des Teiles III stimmt der Bremgartener Text in der Reihen- 
lge der Paragraphen und, von verhältnismäßig kleinen Ab- 
eichungen abgesehen, auch in der Textgestaltung überein; er 
thält auch die im Stadtrodel fehlenden $$ 41, 50—55. Ferner 
hit die Einleitung des Stadtrodels nebst den meisten Zusätzen 
sselben. Aber — und das kann kein Zufall sein — an genau 
enselben Stellen, an denen sie im Stadtrodel stehen, sind 
ı Bremgartener Text die im Tennenbacher Text von Teil III 
hlenden 88 2 (ohne Satz 1), 5, 7, 8 (ohne Satz 1), 11, 12, 14 der 
sprünglichen Handfeste, sowie der Zolltarif mit seinen Neben- 


1) Vgl SCHWEIZER, a. a.0. S.236 ff. Der Bremgartener Text ist nur 
sofern gedruckt, als in dem sehr fehlerhaften Abdruck der Bestätigung von 
09 von PL. WEISSENBACH bei Kurz und WEISSENBACH, Beiträge zur 
schichte und Literatur I. (Aarau 1846), S. 239 ff. die Zusätze, die diese 
stätigung dem alten Text gegenüber enthält, eingeklammert sind. Eine 
ue Ausgabe wird vorbereitet. 


430 Siegfried Rietschel 


bestimmungen eingefügt, und zwar mit Ausnahme des $ 5 im 
wesentlichen in derselben Textgestaltung, die der Stadtrodel bietet. 

Ich weiß für diese Erscheinung nur zwei Erklärungen. Die 
eine, scheinbar nächstliegende ist die, daß der Bremgartener Test 
die Vorlage des Stadtrodels darstellt, aber selbst auf dem Tenner- 
bacher Text beruht, also das Mittelglied zwischen beiden bildet. 
Aber diese Erklärung stößt auf Schwierigkeiten, die m. E. die 
sanze Hypothese unannehmbar machen. Einerseits müßte man 
annehmen, der Redaktor des Bremgartener Textes habe zum 
zweiten Male aus derselben Urkunde, der alten Handfeste, ge 
schöpft, die schon sein Vorgänger, der Redaktor des Tenne- 
bacher Textes, ausgebeutet hat. Andererseits aber — und da 
ist noch wichtiger — müßte man annehmen, der Verfasser des 
Stadtrodels habe nicht nur eigene Zusätze gemacht, sondern auch 
aus seiner Vorlage sieben Paragraphen weggelassen, für deren 
Beseitigung auch nicht der geringste Grund ausfindig gemacht 
werden kann. 

So möchte ich eine andere Erklärung vorschlagen, die alle 
Schwierigkeiten auf die einfachste Weise löst. Ich nehme un- 
gekehrt an, daß der Tennenbacher Text, den wir ja nur in der 
Abschrift von 1341 besitzen, ein Auszug aus dem Bren- 
gartener Text ist!) Der Mann, der den Bremgartener Text mit 
der Handfeste zu einer einheitlichen Urkunde verband, merkte, 
daß sein Text gegenüber der älteren Handfeste Wiederholungen 
bot, und ließ dieselben deshalb, soweit sie ihm auffielen, weg, 
wobei ihm allerdings einige Wiederholungen doch entgingen. 
Ferner hat er die Zollbestimmungen weggelassen, die ja doch 
nur etwas Aktuelles, nicht bleibendes Recht darstellten. Der 
Bremgartener Text und der Stadtrodel aber stehen wahrscheinlich 
nicht im Verhältnis von Mutter und Tochter, sondern von Schwe- 
stern; sie gehen auf einen gemeinsamen Urtext zurück, der 
weder die Zusätze des Stadtrodels noch die im Stadtrodel 
fehlenden sieben Paragraphen der Bremgarten-Tennenbacher 
Texte enthielt. Der Bremgartener (und durch seine Vermittlung 


1) Dafür spricht auch die inhaltliche Vergleichung, die zeigt, daß in 
den meisten Fällen, in denen beide Texte auseinandergehen, der Bremgartener 
Text offenbar die ursprünglichere Lesart bietet. 


Die älteren Stadtrechte von Freiburg im Breisgau. 431 


ler Tennenbacher Text) hat den Wortlaut dieses Urtextes, wie 
»s scheint, treu bewahrt und nur sieben Paragraphen neu hinzu- 
sefügt, während der Stadtrodel sowohl in der Textgestaltung wie 
m der Anbringung von Zusätzen viel radikaler vorging'). | 

Für das Verhältnis der drei Texte ist es nun wichtig, 
zu erfahren, wie weit sie in späteren Rechtsaufzeich- 
nungen benutzt sind. Bei diesen Untersuchungen müssen wir 
allerdings einige Vorsicht walten lassen. Die Entlehnungen aus 
der älteren Handfeste, die Zusätze, die sich in ihnen finden, der 
unmotivierte Wechsel in den Ausdrücken?) zeigen uns, wofür ja 
auch von vornherein die Wahrscheinlichkeit spricht, daß alle diese 
Texte nichts völlig Neues darstellen, sondern manche ältere Einzel- 
bestimmung in sich aufgenommen haben. Wenn wir nun in einer 
anderen Rechtsaufzeichnung nur einen einzelnen Rechtssatz finden, 
der mit einem Paragraphen eines dieser Texte inhaltlich über- 
einstimmt, so können wir noch nicht auf eine Benutzung des 
betreffenden Textes schließen, sondern werden lieber annehmen, 
daß beide aus ein und derselben älteren Quelle geschöpft haben. 
So findet sich z. B. der ursprünglich sicherlich isoliert vorhandene 
Zolltarif in stark veränderter Fassung in den Handfesten von 
Flumet (1228 88 74, 75) und von Freiburg i. Ü. (1249 88 86, 
87); die wohl auf ein altes zähringisches Privileg zurückgehende 
Bestimmung über die Wiedergewinnung der Gnade des Stadt- 
herrn (Bremgarten $ 24, Tennenbach $ 32, Stadtrodel 8 62) tritt 
uns in der Bremgartener Formulierung auch in den älteren Be- 
standteilen der Handfeste von Dießenhofen (1260 $ 18) und in 
der Handfeste von Bern (Ende des 13. Jahrhunderts, $ 39) ent- 
gegen; endlich kehrt einer der selbständigen Zusätze des Stadt- 
rodels, der $ 76, in etwas verschiedener Form in den Handfesten 
von Flumet (1228 8 32) Freiburg i. Ü. (1249 8 107) und Dießen- 
hofen (1260 8 14) wieder. Sehen wir von diesen einzelnen Über- 
einstimmungen ab, so finden wir, daß die Handfesten von Flu- 








1) Der einzige, der sich mit dem Bremgartener Stadtrecht eingehender 
beschäftigt hat, ist PAUL SCHWEIZER. Aber auch er hat die Bedeutung 
dieser Urkunde nicht voll erkannt. 

2) Wir finden abwechselnd burgenses und cives, ferner civitas, urbs, 
villa als Synonyma gebraucht. 


439 Siegfried Rietschel 


met (1228), Dießenhofen (1260) und Kenzingen (1283): 
keinen der drei Texte kennen. Ob die Handfeste von Frei- 
burg i. Ü. (1249) einen der drei Texte benutzt hat und welchen 
von ihnen, ist bei der starken Umarbeitung, in der sie das ältere 
Recht bietet, nicht festzustellen. Im übrigen kommen wir zu 
folgendem Resultate: 

Der Stadtrodel bildet die Grundlage des Freiburger 
Stadtrechtsentwurfes von 1275?) und damit der späteren Stadt- 
rechtskodifikationen von Freiburg i. B. Außerhalb Freiburgs wird 
er zuerst zitiert und neben der Handfeste benutzt von der Hand- 
feste von Bern*), die nach den überzeugenden Untersuchungen 
Werris‘) eine Fälschung des ausgehenden 13. Jahrhunderts ist. 

Der Bremgartener Text liegt sämtlichen Rechten der 
Bremgartener Stadtrechtsfamilie zugrunde, so den Handfesten 
von Aarau (vor 1309)°), Brugg (vor 1309)°) und Sursee 
(14. Jahrhundert)’). Er liefert ferner den Grundstock der Zu- 
sätze, die in der Burgdorfer Handfeste (1273)°) zu dem ur- 
sprünglichen, aus Freiburg i. Ü. stammenden Bestand gemacht 
worden sind. Die 88 78, 134, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 
192, 193, 194, 195 der Burgdorfer Handfeste zeigen entschieden 
mit dem Bremgartener Text eine größere Verwandtschaft als mit dem 
Tennenbacher Text oder gar dem Stadtrodel. Der Bremgartener 
Text bildet aber endlich auch den Grundtext der Stadtrechts- 


1) Gedruckt in der Freiburger Zeitschrift der Gesellschaft für Geschichts- 
kunde V. S. 237 ff. und bei MAURER, a. a. O. S. 177 ff., wo auch die Ver 
wandtschaft mit der Freiburger Handfeste nachgewiesen wird. 

2) Gedruckt bei SCHREIBER, Urkundenbuch der Stadt Freiburg i B. L 
S. 74 ff. Über die Verwandtschaft mit dem Stadtrodel vgl. GENGLER, Deutsche 
Stadtrechte S. 133 ff. 

3) Gedruckt von WELTt in den Rechtsquellen des Kantons Bern, Erster 
Teil: Stadtrechte, Erster Band: Das Stadtrecht von Bern I. S. 8 ff. 

4) Vel. WELTI, a. a. O. S. IX ff. 

5) Gedruckt von W. MERZ in den Rechtsquellen des Kantons Aargat, 
Erster Teil: Stadtrechte I. S. 17 ff. 

6) Gedruckt von W. Merz, ebenda II. S. 16 ff. 

7) Gedrackt und besprochen von v. LIEBENAU in der Zeitschrift für 
schweizer. Recht, N. F. II. (1883), S. 328 ff. 

8) Gedruckt bei Gaurr, Deutsche Stadtrechte II. S. 120 ff. und Fontes 
rer. Bern. III. 58. 





Die älteren Stadtrechte von Freiburg im Breisgau. 433 


ımilie von Colmar, in der Breisacher und Freiburger Recht in 
igenartiger Weise miteinander verschmolzen sind, und zu der das 
eutsche Stadtrecht von Colmar (1278)') und die lateinischen 
tadtrechte von Schlettstadt?) und Neuenburg i. B.*) ge- 
ören. Das beweist einerseits die Textgestaltung, die am besten 
n Schlettstadter Stadtrecht erkennbar ist und die sich am meisten 
er des Bremgartener Textes annähert*); das beweist aber auch 
ie Anordnung der einzelnen Paragraphen, die in Übereinstim- 
ıung mit dem Bremgartener Text sowohl an den entsprechenden 
tellen die Einschiebsel zeigt, die im Tennenbacher Text fehlen, 
ie die Paragraphen, die dem Stadtrodel unbekannt sind). 
Und der Tennenbacher Text? Welche spätere Stadtrechts- 
ufzeichnung hat ihn benutzt? Die Antwort fällt vollkommen 
erneinend aus. Außer jener Abschrift im Tennenbacher Lager- 
uch von 1341 läßt uns keine Quelle eine Benutzung dieses 
'extes alınen; keine Spur davon, daß er je praktische Geltung 
ehabt habe, ist vorhanden. Da ist denn wohl die Vermutung 
m Platze, daß dieser Tennenbacher Text, der die 8$ 16—55 
er heutigen Ausgabe des Freiburger Stadtrechts umfaßt, über- 


1) Gedruckt von FRANZ GFRÔRER, Die Entstehung der Reichsstädte 
wischen Basel und Strassburg unter Friedrich H. Das Colmarer Recht 
’rogr. von Rappoltsweiler 1886), S. 12 ff. Bloße Kopien dieses deutschen 
tadtrechts sind das Colmarer Stadtrecht von 1293 und das Recht von 
ünster i. E. von 1354; vgl. GENGLER, Deutsche Stadtrechte S. 74 f., 304. 
as bei GaurPr, Deutsche Stadtrechte II. S. 175 ff. abgedruckte lateinische 
tadtrecht von Dattenried im Sundgau von 1858 beruht nicht, wie GAUPr, 
a. O. S. 172f. annimmt, auf dem ursprünglichen lateinischen Text des 
olmarer Stadtrechts, sondern ist, wie eine Vergleichung mit dem Freiburger 
tadtrecht und den Stadtrechten von Schlettstadt und Neuenburg zeigt, eine 
teinische Übersetzung der deutschen Handfeste. 

2) Gedruckt. von GÉNY, Schlettstadter Stadtrechte I. (Heidelberg 1902), 
9. 

3) Gedruckt von A. SCHULTE in der Zeitschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins, 
.F. I. S. 102 ff. 

4) Vgl. z. B. $ 8: altercaverint statt altercati fuerint, reversi statt 
gressi etc. Daß nicht der Stadtrodel zugrunde gelegen hat, lehrt fast 
der Paragraph. 

5) Vgl. dazu die Tabelle am Schluß, besonders in den ersten Paragraphen. 
29 des Colmarer Rechts ($ 50 des Schlettstadter Stadtrechte) entspricht 
remgarten $ 40, Tennenbach $ 41, fehlt aber im Stadtrodel. 


434 Siegfried Rietschel 


haupt nie praktische Bedeutung gehabt hat, sondern lediglich 
ein Werk des Klosterschreibers von 1341 ist, und daß dieser 
Klosterschreiber allein auch schuld ist an der eigentümlichen Ein- 
schiebung dieses Textes in die alte Handfeste, die das Tenner- 
bacher Lagerbuch bietet. Als Vorlagen hatte er eine Abschrift 
der erweiterten Handfeste (Teil I und II) und eine Abschrift des 
Bremgartener Textes. Er hat in seiner Kopie die beiden in der 
Weise vereinigt, daß er den Bremgartener Text in die Handfeste 
einschob ; dabei ließ er den zu seiner Zeit veralteten Zolltarif 
und diejenigen Bestimmungen des Bremgartener Textes weg, die 
er als bloße Wiederholungen von Bestimmungen der Handfeste 
erkannte. Die geringfügigen Varianten des Tennenbacher Textes 
gegenüber dem Bremgartener Text dürften meist auf Rechnung 
dieses Abschreibers kommen; teils sind es Schreibfehler, teils be- 
langlose Änderungen in Ausdruck und Stil. 


S 4. 

Können wir demnach den Tennenbacher Text als einen spä- 
teren Auszug aus dem Bremgartener Text aus unserer weiteren Be- 
trachtung ausscheiden, so haben wir uns doch noch näher mit dem 
Bremgartener Text und dem Stadtrodel zu beschäftigen. 
Wir müssen feststellen, wann und wie diese Texte entstanden sind. 

Zunächst besteht wohl darüber kein Zweifel, daß sie beide 
bürgerlicher Provenienz sind, und zwar sind sie offenbar 
in Freiburg i. B. selbst veranstaltete offizielle Zusammenstellungen 
des geltenden Rechtes. Für den Stadtrodel wird das allgemein 
angenommen; es gilt aber auch für den Bremgartener Text, der 
sonst schwerlich in so verschiedenartige Tochterrechte Eingang 
gefunden hätte. 

Was die Datierung betrifft, so kann ich mich hinsichtlich 
des Stadtrodels nur vollständig den Ausführungen Werris') 
anschließen, der nachgewiesen hat, daß der Stadtrodel unmöglich 
vor 1218 entstanden sein kann und frühestens in die Mitte des 
13. Jahrhunderts fällt?). Der einzige Grund, der bisher für die 


1) Vgl. WELT, a. a. O. S. ILff. 
2) Während des Druckes dieser Arbeit teilte mir Herr Stadtbibliothekar 
Dr. Albert in Freiburg i. Br. mit, daß nach seinen sowohl das paläographische 


Die älteren Stadtrechte von Freiburg im Breisgau. 435 


Entstehung vor 1218 angeführt wurde, die Benutzung in der 1218 
datierten Berner Handfeste, ist heute, nachdem WELT: die Berner 
Handfeste als Fälschung des ausgehenden 13. Jahrhunderts nach- 
gewiesen hat, hinfällig geworden. Den terminus ad quem für die 
Entstehung bietet die Benutzung im Stadtrechtsentwurf von 1275. 

Aber auch für den Bremgartener Text, sowie für den 
aus der Vergleichung beider zu erschließenden Urtext komme ich 
zu dem Ergebnis, daß sie zwar vor das Jahr 1258, aber erst in 
die Zeit nach 1218 fallen, wahrscheinlich in die 30er oder 40er 
Jahre des 13. Jahrhunderts. Ich will nicht einmal besonderen Wert 
darauf legen, daß sich Bestimmungen darin finden, die für den 
Anfang des 13. oder gar für das 12. Jahrhundert geradezu Unika 
wären, so z. B. gleich die erste Bestimmung $ 1 (Tennenbach 
$ 16), die das Vorhandensein des Ausbürgerinstituts voraussetzt, 
dessen sonst keine Quelle vor 1231 gedenkt'), ferner den be- 
rühmten Satz 8 38 (Tennenbach $ 40): Qui proprium non obli- 
gatum sed liberum valens marcham unam in civitate habuerit 
burgensis est“, der nach Untersuchungen, die ich bald veröffent- 
lichen zu können hoffe, in so früher Zeit ganz unmöglich ist. 
Entscheidend sind für mich zwei Gesichtspunkte. 

Einmal wird der Stadtherr in sämtlichen Texten ausnahms- 
los dominus oder dominus civitatis genannt. Wäre noch der 
zähringische Herzog Stadtherr gewesen, man hätte ihm sicher 
den Titel dux nicht vorenthalten. Dagegen ist dominus durchaus 
der entsprechende Titel für die Nachfolger der Zähringer aus 
dem Hause der Uracher Grafen, die sich ja zunächst meist nicht 
Grafen, sondern bloß Herren von Freiburg genannt haben”). 


wie das ortsgeschichtliche Material eingehend verwertenden Untersuchungen 
der Stadtrodel in engstem Zusammenhang mit den Verfassungsumwälzungen 
des Jahres 1248 steht. 

1) Der betreffende Paragraph setzt die Möglichkeit eines ius civile habere 
ohne habitare in civitate voraus. Über die Ausbürger vgl. W. G. ScHMipT, 
Die Pfalbürger in der Zeitschr. f. Kulturgeschichte IX. (1902), S. 241 ff. 

2) In den von ihnen ausgestellten Urkunden nennen sich bis 1239 die 
Uracher nur einmal comes von Freiburg (Fürstenberg. UB. I. 361), dagegen 
zweimal dominus castri Freiburg (ebenda I. 180, 192) und siebenmal dominus 
von Freiburg (ebenda I. 271, 362, 371, 385, 394, 396, 399). Erst später wird 
der Grafentitel häufiger. | 


436 Siegfried Rietschel 


Noch wichtiger ist eine Stelle in $ 21 (Tennenbach & 29). 
Dort heißt es, daß der mit der Anfangsklage Belangte nach seinen 
Gewähren per comitiam nostram suchen soll. Unter den Zäh- 
ringern wäre dieser Ausdruck absolut unmöglich; weder der Stadt- 
herr noch die Bürger konnten von comitia nostra sprechen. Dem 
Freiburg war nicht etwa ein Bestandteil einer Grafschaft der 
zähringischen Herzoge, sondern lag auf zähringischem Allod und 
war von der in anderen Händen befindlichen Breisgaugrafschaft 
eximiert!). Erst unter den Urachern hat sich im Laufe de 
13. Jahrhunderts der Name der Grafschaft Freiburg für das aus 
der zähringischen Erbschaft herrührende Gebiet ausgebildet. 


85. 

Fassen wir die Ergebnisse der vorangegangenen Uhnter- 
suchung noch einmal zusammen, so erhalten wir folgendes Bild 
der Freiburger Rechtsentwicklung: 

Freiburg i. B. hat im Jahre 1120 oder kurz darauf von seinem 
Gründer, dem Zähringer Konrad, eine Handfeste erhalten. die 
uns im Tennenbacher Lagerbuch überliefert ist (Einleitung, Schluß 
und 88 1—5, event. auch 6, 7, außer $ 2 Satz 2 und 3), und die, 
wie es scheint, in der Gründungsurkunde von Dießenhofen 1178, 
vielleicht auch im gleichzeitigen Stiftungsbrief für Freiburg i. L. 
benutzt wurde. 

In der Zeit bis 1218 hat diese Handfeste eine Reihe von 
Zusätzen erfahren ($ 2 Satz 2 und 3, $$ 6 bezw. 8—15). 
Die so erweiterte Handfeste hat in den Stadtrechten von Flumet 
(1228), Kenzingen (1249), Dießenhofen (1260) und Bern (Fäl- 
schung aus dem Ende des 13. Jahrhunderts) Verwertung gefur- 
den. Auch sie bietet der Tennenbacher Codex. 

In der Zeit nach 1218 entstand unter Verwertung einzelner 
Bestimmungen dieser erweiterten Handfeste, sowie sonstiger älterer 
Einzelrechtssätze in bürgerlichen Kreisen in Freiburg i. B. 
eine umfangreichere Rechtsaufzeichnung, die uns in der 


1) Vgl. RıEZLER, Geschichte des fürstlichen Hauses Fürstenberg und 
seiner Ahnen (Tübingen 1883), S. 41f.; HEYUK, a. a. O. S. 491 ff.; FEHR, 
Die Entstehung der Landeshoheit im Breisgau (Leipzig 1904), S. 121, 
17f., 55 ff. 


Die älteren Stadtrechte von Freiburg im Breisgau. 437 


ursprünglichen Fassung nicht erhalten ist, aber wohl aus den 
späteren Quellen erschlossen werden kann. Auf sie gehen die 
beiden offiziellen Bearbeitungen des Freiburger Stadtrechts zurück, 
die vor dem deutschen Stadtrechtsentwurf von 1275 in der Stadt 
Freiburg i. B. entstanden sind. 

Die eine ist uns erhalten in einer etwa 1258 entstandenen 
Abschrift, die das Bremgartener Stadtarchiv aufbewahrt (sogen. 
Bremgartener Text). Sie hat das Original im ganzen treu 
bewahrt und nur um einige Paragraphen vermehrt. Diese Fas- 
sung ist den meisten Tochterrechten zugrunde gelegt worden, 
nicht bloß denen der Bremgartener Stadtrechtsfamilie, sondern 
auch dem Stadtrecht von Colmar, das wieder für zahlreiche 
Rechte das Mutterrecht geworden ist, und der Handfeste von 
Burgdorf von 1273. Das im Tennenbacher Lagerbuch von 1341 
in die Handfeste eingeschobene umfangreiche Stück (Teil III) ist 
eine etwas gekürzte, rein private Abschrift dieser Bearbeitung. 

In Freiburg i. B. selbst ist sie offenbar bald, jedenfalls schon 
einige Zeit vor 1275, durch die andere Bearbeitung der ursprüng- 
lichen Rechtsaufzeichnung verdrängt worden, den sogen. Stadt- 
rodel. Dieser Stadtrodel hat auch Zusätze aufgenommen, aber 
andere als der Bremgartener Text, außerdem aber das Ganze durch 
eine aus der ältesten Handfeste hergerichtete Einleitung in die 
Form eines stadtherrlichen Privilegs gebracht. Er hat ferner, 
wohl infolge eines Versehens, die beiden Hälften des Textes um- 
gestellt, endlich hat er die einzelnen Bestimmungen einer starken 
Umarbeitung unterzogen. Erhalten ist er uns in der vom Frei- 
burger Stadtarchiv aufbewahrten Originalhandschrift. 

Dieser Stadtrodel ist die Grundlage für die späteren deutschen 
Stadtrechtskodifikationen Freiburgs geworden ; außerhalb Freiburgs 
scheint er zuerst am Ende des 13. Jahrhunderts in der Handfeste 
von Bern Verwendung gefunden zu haben. 

Das Bild, das wir auf diese Weise von der Freiburger 
Rechtsentwicklung gewonnen haben, läßt sich viel leichter 
in den geschichtlichen Rahmen einpassen als das der herrschen- 
den Lehre. Nach der letzteren hat sich in der Zeit von 1120 
bis 1218 in dem damals völlig unbedeutenden, kaum in den 
Quellen erwähnten Schwarzwaldörtchen eine Rechtsbildung und 


438 Siegfried Rietschel 


Rechtsaufzeichnung vollzogen, die alles hinter sich läßt, was uns 
sonst aus dieser Zeit bekannt ist. Und auf diese überproduk- 
tive Periode läßt dann die herrschende Lehre bis 1275 eine Zeit 
völliger Stagnation absoluter Sterilität folgen. Wir haben gezeigt, 
daß die Entwicklung eine andere gewesen ist, und daß auch in 
Freiburg i. B. das 13. Jahrhundert das eigentliche Jahrhundert 
bürgerlicher Rechtsbildung und Rechtsaufzeichnung ist. 

Unsere Untersuchungen aber geben uns auch neue Anhalts- 
punkte für die Kritik des überlieferten Textes. Daß 
wir im Tennenbacher Text für die Handfeste selbst, auch in ihrer 
erweiterten Gestalt, die ursprüngliche Textform haben, ist nicht 
zu bezweifeln. Anders steht es mit Teil II des Textes, der 
bürgerlichen Rechtsaufzeichnung. Hier gilt es nicht nur, die wohl 
allein durch einen Klosterschreiber des 14. Jahrhunderts vollzogene, 
jedenfalls absolut unorganische Verbindung der beiden Rechts- 
quellen zu lösen; auch dem Text des Tennenbacher Codes 
selbst können wir eine entscheidende Bedeutung nicht mehr bei- 
legen. Als textkritisches Material mag diese Abschrift eines sp3- 
teren Klosterschreibers neben den anderen abgeleiteten Quellen, 
insbesondere den Handfesten von Schlettstadt, Neuenburg und 
Burgdorf, Verwendung finden. Als Grundtext aber ist für eine 
Ausgabe des älteren Freiburger Rechtes die Bremgartener Auf- 
zeichnung von ca. 1258 zu verwenden, die bisher als einzige 
unter allen älteren Rechtsaufzeichnungen der Freiburger Stadt- 
rechtsfamilie eine kritische Ausgabe hat entbehren müssen !). 


1) Da demnächst eine neue Ausgabe des Bremgartener Textes zu er 
warten ist und dieselbe voraussichtlich auch statt der völlig sinnwidrigen 
Paragrapheneinteilung der bisherigen Ausgabe eine neue bringen wird, hal 
ich meinen Plan, eine neue kritische Ausgabe des Freiburger Stadtrechts als 
Anhang zu bringen, vorläufig verschoben. Da die Konkordanztabelle von 
PAUL SCHWEIZER, à. a. O. S. 250 ff. darunter leidet, daß sie den ungetrennten 
Tennenbacher Text zugrunde legt und auf das Recht von Burgdorf, sowk 
auf die Colmarer Stadtrechtsfamilie nicht eingeht, habe ich am Schluß einen Er- 
satz dafür zu bieten versucht. Soweit die ältere Handfeste und ihre Benutzung 
in den späteren Rechten in Frage kommt, reicht SCHWEIZERS Tabelle aus. 


Die älteren Stadtrechte von Freiburg im Breisgau. 439 


Vergleichende Übersicht der wichtigsten Rechte der 
Freiburger Stadtrechtsfamilie. 


Mediävalziffern (Spalte I und II außer I, 89, ferner IX, 35) bedeuten 
Zugehörigkeit zur Stadtrodelfamilie, die übrigen Ziffern (Spalte III bis X 
außer IX, 85, ferner I, 39) zur Bremgartener Textgruppe. 

Runde Klammern ( ) bedeuten, daß die betreffende Bestimmung der Vor- 
lage gegenüber stark verändert ist. 

Eckige Klammern [ ] bezeichnen in Spalte X die alte Freiburger Handfeste, 
in Spalte I, daß die betreffende Bestimmung (39) aus einer älteren Urkunde 
entlehnt ist. 

Die in Spalte IX in doppelte Klammern [( )] gesetzten Bestimmungen 
der Burgdorfer Handfeste stammen aus der Handfeste von Freiburg i. Ü. 


. II. IV. V. VI. 
Brem- Col- 
rodel ||garten Aarau | Sursee mar 














36 | 1 1 14 . . . 16 

(34b)| 37 | 2 2/8 15 4 9 |(28/80)| [(95)] | 17 
158 | 38 | 8 | 4 16 b 10 36 194 || [14a] 
15b | 39 | 4a| 5 6 | 11 | 87 | 196 | ty 
| (40) | a) 6 |. 1 7 |! 12 | 88 [5] 

| al 5 | 79 |1718|) 8 | 14717 40/44 | [(83) | 18 
Ur À 6 L10 : 19 | 9 18 | #& | . | m 

. | 4 j 7 lu | 2 | 10 | 19 | 46 PARK 19 
an) | a" Balızısi 21 . | . | 2 | . | 
. À 45 | 8b | 14 | 22 | | [8] 
(G4a)! 46 À 9 | 18 | 23 | 17 | 57 21 
gra 10 | 16 | 2 | . | . | . | . | æ 

. ‘ azbi 11 | 17 ‘25 | 18 | 28 | . Jay 8 
G5) "4849 | 12 | 18/19 : 26,27 | asım| . Aa 
so | 13 | 20 | 28 . 8 | . 24b 

si | 14 21 . 29 (14) | (59) |(51/52)| . [11] 
G3b) 52 | . : . | : . : : 
53 | 15 | 22/28 | 80/31 | 19 | 35/36 |(68)61| . | [12] 


| | 


Siegfried Rietschel 


Stadt- ||Brem- 


8 
(= 
& 
E 
& 
d 


rodel | garten 





189 
186 


66/68 |187/188 


27 
28 


29/80 |37b/38 


29h 
% 
31 


23b 


à 


43 


69 
73 


41 
43 
46/47 | 20/24 


24 
25 
26 


89 
40 


41/42 


81 


43 
44 


63 


9a 


19 


278 

















Die älteren Stadtrechte von Freiburg im Breisgau. 441 








09 | 
. 
sl | 
Il 32 | - . . . . . 
12 33 a | 2 . |(43) 
‚13. 30 33b | . . . 
14 33 c . 
15/19 | 34 | . . . . 36 
20 | 3% 28 | 45 | 76,78 |196(198)| 37 
21 36 | . . 38 
| 22 37  . . . ((182)) | 39 
23 | 8 : 41 | 60 | : . | 192 | 40 
24 39 | 42 51 . . . . [2] 
.|ojseı 52 |» | 0 | 7 |1e8 | 41 
: 25/26 | 41 | 44 53 34 . 85 . 42 
27/28 | 42a 45 | . . . 
31 42b | 46 | 35 60 86 . 4 
29 120 47, 54 . [66/57)j| 45 
33 | 48 : 48 | 65 | 36 | 63 | 87/89 | [(82)] | 46 
) | 33 44 | 49 | 56 31 61 82 . 47 
34 | 4 | 50 | 57 | 32 78 | 48 
35 48 ; 51 58 49 
47 : 52 | 8 6 | 91 50 
48 53 60 | 51 
| 49 | 54 | ei 90 | . | 5 
| 50 | 55 | 6 191 | 58 
| 51 | 56 63 79 | 54 
| 52 | 67 190 | 55a 
58 | 68 | 55b 


Miszellen. 


Le traité de commerce franco-anglais de 1786, à pr 
pos d’une publication r6cente‘). 
Par 
M. P. Muret, Agrégé d'histoire. 


M. F. Dumas vient d'extraire d'un ouvrage en préparation sur le 
relations commerciales de la France et de l’Angleterre aux XVII: @ 
XVIII: siècles, et de publier à part une étude consacrée au traité de 
commerce de 1786. La littérature historique française sur ce sujet 
était déjà abondante. Il intéresse en effet, à la fois, les historiens 
diplomatiques pour qui le rapprochement franco-anglais après la guerre 
d'Amérique constitue un des faits les plus importants et les moins 
expliqués de notre histoire du XVIIIe siècle, les historiens économiques 
qui considèrent avec raison que le traité de 1786 ouvrit une ère nouvelle 
dans l'industrie française et modifia radicalement ses conditions de 
production et de vente, ceux des doctrines et des idées qui ne sauraient 
se désintéresser de la première application pratique des idées libre- 
échangistes professées eu France et en Angleterre au XVIIIe siècle. 
Si l’on tient compte en outre des discussions qui eurent lieu sur les 
conséquences du traité entre les libre-échangistes et leurs adversaires, 
et de l’attrait que présentent pour les historiens les questions longuement 
débattues, on comprendra que M. Dumas ait eu d'assez nombreux 
prédécesseurs. Je voudrais brièvement marquer quel était l’état de la 
question avant la publication de son livre, ce qui me permettra de 
mieux dégager ce qu'il a trouvé de nouveau, et quels sont les points 
qui après son étude, restent encore iusuffisamment élucidés. 


* * 
* 


On sait quelles critiques passionnées accueillirent en France le 
traité de 1786. Jusqu'à la Révolution, les Français subirent trop 
vivement et trop directement le contre-coup des conditions écon- 
miques nouvelles qu'il établissait pour le juger avec équité. Il semble 
cependant, que dès la fin de l'Ancien régime, l'opinion publique sit 
revenue de ses préventions contre le traité. Si l’on en juge par le 
rapport de Goudard?) au nom du Comité d'agriculture et de commert, 

1) F. Dumas, Etude sur le traité de commerce de 1786 entre la Fraxt 
et l'Angleterre. Toulouse Privat 1904. In 8°. 197 p. 

2) Cf. Dumas, op. cit. p. 186 et 187. 








M. P. Muret: Le traité de commerce franco-anglais de 1786 etc. 443 


par le vote de l’Assemblée Constituante qui en fut la conséquence, 
n'était plus considéré à cette époque comme une œuvre néfaste aux 
-érêts du pays, où tout au moins on était capable d’en peser les 
antages à côté des inconvénients. Il fallut toutefois pour qu'on 
ppréciat avec impartialité et critique le recul du passé, et les douze 
nées de prohibition qui suivirent sa dénonciation et qui en firent aux 
ux même des hommes de la Restauration un évènement historique. 

En 1826 le chancelier Pasquier declara à la Chambre des pairs 
jue l'accord de 1786 avait été un des nombreux bienfaits dont la 
rance était redevable à Louis XVI, parcequ'avant lui, elle ne con- 
uüssait que le régime des prohibitions et qu'à partir de cette époque, 
le avait véritablement commencé à suivre la bonne route“). C'était 
une opinion un peu tranchante et dogmatique. Depuis les historiens 
1 traité ont fait des réserves. Ils se sont expliqués avec plus de 
ıances et de critique. Mais, en gros, ils ont presque tous souserit 
ı jugement de Pasquier. 

ANISSON DUPÉRON dans un court article paru dans le Journal des 
wnomistes en 1847?) et intitulé „Essai sur le traité de commerce de 
éthuen sur celui et de 1786 dans leurs rapports avec la liberté com- 
ciale“ présenta un véritable plaidoyer en faveur du traité, et conclut 
je les conséquences mauvaises qu'on lui avait attribuées à la fin de 
ncien Regime provenaient du défaut de prévoyance de ceux qui 
aient été chargés de l'appliquer. Mais son étude reste superficielle, 
ı n’y trouve aucune allusion aux documents des Affaires Etrangères, 

aux documents anglais. 

La première histoire critique du traité de 1786 documentée sur 
8 pièces diplomatiques et des témoignages contemporains est le 
récis hisiorique et économique du traité de commerce entre la France 
la Grande Bretagne signé à Versailles le 26 Septembre 1786“ de 
8 DE BUTENVAL publié en 18695). His DE BUTENVAL formulait des le 
but de son livre les quatre propositions suivantes qu'il se proposait 

démontrer: 1° Le traité de 1786 n’a été en réalité qu’un corollaire 

comme une annexe du traité de 1783. 2° Les traités de 1783 et 

1786 étaient l’un et l’autre conformes à la politique traditionnelle 

la France. 3° L'opinion en acceptant sans contrôle des assertions 
stées tantôt par des préjugés, tantôt par des intérêts privés, très différents 

l'intérêt public, s’est égarée et a exagéré ou méconnu les effets de 
traité soit sur le développement de notre industrie, soit sur le 
yuvement de notre commerce avec l'Angleterre. 4” Ces effets quels 
’ils soient, ont été dominés par des conjonctures ou des évènements 
mplètement indépendants des prévisions et de la responsabilité des 
goeiateurst). L'ouvrage de BUTENVAL conserve aujourd’hui de la 


1) Cf. Dumas, op. cit. p. 192. 

2) Journal des Economistes T. 17, p. 1 et sq. 

3) His DE BUTENVAL, Precis historique et économique du traité de com- 
rce entre la France et la grande Bretagne signé à Versailles le 26 Sep- 
ndre 1786. Paris 1869. In 8°. 

4) His DE BUTENVAL, op. cit. p. 10. 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III, 29 


444 M. P. Muret: Miszelle. 


valeur. Son exposé des négociations est clair et méthodique. Sa 
troisième et sa quatrième parties à côté d’assertions inexactes et 
reproduites d'ailleurs par les historiens postérieurs jusqu'à M. Dums, 
comme le mauvais accueil que reçut le traité en Angleterre!), oon- 
tiennent des analyses historiques assez pénétrantes. Pour la première 
fois il a étudié d'un peu près, les représentations des Chambres de 
commerce françaises contre le traité, et en particulier les observations 
de la Chambre de commerce de Normandie et la réponse qu’y fit Dupont 
de Nemours?). Il a dégagé non sans critique les circonstances défs- 
vorables qui faussèrent l'application du traité en France. Mais ses 
deux premières parties sur les origines de l'accord de 1786 sont in- 
suffisantes. Il ignore en outre complètement les documents anglais 
Enfin on sent d’un bout à l’autre de l’ouvrage une partialité trop évidente 
pour les idées libre — échangistes qui lui donne les allures d’un plaidoyer 
juridique, plutôt que d’une étude historique critique tenant compte de 
la complexité des questions *). 

Quelques années après BUTENVAL, en 1873, M. SEGUR-DUPEYRON reprit 
le sujet dans son , Histoire des négociations commerciales et maritime 
de la France aux XVIIe et XV Ille siècles, considérées dans leures rapports 
avec la politique générale“ 4), Il consacra presque tout son troisième 
volume au traité de 1786, l'étudiant d'abord sous forme de quatre 
dissertations séparées), puis dans un chapitre d’ensemble®). Son 
livre présente de la confusion. Il est trop charge de détails et de 
citations. Les idées générales se dégagent mal. L'opinion même de 
l’auteur sur le traité de 1786 n'apparait pas avec netteté. Il présente 
des critiques assez sévères — plusieurs justifiées — sur la façon dont furent 
conduites les négociations. Mais sur la valeur du traité une fois signé, 
et sur ses conséquences, il ne se prononce pas. On a l'impression 
qu'il ne lui est pas favorable. Ce n’est toutefois qu'une impression, 
l’auteur se défendant de porter un jugement et se proposant de nous 


1) Les conclusions exactes de His DE BUTENVAL sont: que le traité 
déplut de l’un et l’autre côté du détroit à peu près également, que les clameurs 
les plus vives partirent d’abord d'Angleterre, qu'un premier mouvement de 
joie s’y était bien un moment manifesté sur un vague espoir d’avoir dupé ls 
France, mais qu’il avait été de courte durée, la presse s'étant à peu pré 
unanimement prononcée en sens contraire, que dans les sphères parlemer- 
taires, les critiques n’étaient pas moins amères (op. cit. p. 84 et 85). 

2) Ch. XV et XVI. Cf. également ch. XVIL Opinion de la Chambre de 
commerce de Bordeaux sur le traité (1802). 

8) Il y a aussi chez BUTENVAL une sympathie non dissimulée pour l'accord 
avec l'Angleterre qui a pu influencer sa thèse. Cf. le chap. X intituk 
Digression, où il célèbre les bienfaits de l'alliance anglaise, et s’attendrit 
au souvenir de la guerre de Crimée. 

4) SÉGUR-DUPEYRON, Histoire des négociations commerciales et maritinés 
de la France aux XVII® et XVIII® siècles. Paris 1872—1873. 3 v. In®. 

5) Réunies à la fin du T. III sous le titre de Fragment historique: Le 
négociation du traité de commerce conclu en 1786 entre la Franc d 
l'Angleterre (p. 295 à 473). 

6) Histoire du traité de commerce conclu entre la France et P’ Angler 
en 1786. 


Le traité de commerce franco-anglais de 1786 etc. 445 


>nner un exposé rigoureusement objectif. Si son travail est encore 
es utile à consulter aujourd'hui, cela tient à ce qu'il a été composé 
‘après les documents du Quai d’Orsay!). Non seulement M. SÉGUR- 
UPEYRON a lu les dépêches conservées aux Archives du Ministère des 
ffaires Etrangères, mais il les cite copieusement, et ses dissertations 
‚nt presque des publications de textes. Sa connaissance plus appro- 
ındie des correspondances diplomatiques lui a permis de compléter 
ır un certain nombre de points l’ouvrage de son prédécesseur. Il 
'a pas exposé avec beaucoup de clarté les origines du traité de 1786, 
ais en retraçant dans ses premières dissertations les rapports de la 
rance et de l'Angleterre au moment du traité de Versailles, en 
‘unissant quelques documents sur la situation de l’industrie française 
t de l'industrie anglaise en 1786, il nous a laissé les éléments 
écessaires pour traiter la question?) Son récit des négociations 
st le plus complet de ceux que nous possédons aujourd'hui. En 
articulier il a insisté sur les concessions souvent excessives consenties 
ar le ministère français, et sur l'incapacité de RAYNEVAL®), et il a 
resenté à ce sujet des conclusions que les documents anglais con- 
rment entièrement. 


Après les deux ouvrages fondamentaux de BUTENVAL et de SÉGUR- 
\UPEYRON, les pages consacrées par M. STOURM au traité de 1786 dans 
on „Histoire des finances de l'Ancien Régime et de la Revolution“ #) 
e contiennent guère de renseignements nouveaux. On y trouve un 
ssume methodique et bien ordonné des travaux précédents écrit par 
n libre — échangiste convaincu, très partisan du traité. 

Tous les ouvrages que nous venons de citer avaient été composés 
niquement d'après des documents français. M. CAMILLE BLOCH est le 
remier historien qui ait publié quelques pièces anglaises sur la né- 
ociation de 1786. Dans son étude sur ,Le traité de commerce de 1786 
ntre la France et U’ Angleterre d’après les papiers du plenipotentiaire 
nglais“5) il cite quelques fragments de la correspondance de 
envoyé anglais Eden, tirés des archives du Foreign Office“). Leur 


1) Cités d’ailleurs sans références. 

2) Plus particulièrement dans la première négociation qui roule sur la 
gnature des préliminaires et la négociation jusqu'à la désignation d’Eden, 
t dans la seconde où l’auteur examine les dispositions du ministère français 
t du ministère anglais au début des négociations, ainsi que les raisons de 
opposition des envoyés français, d'Adhémar et Barthélemy. 

8) Il va jusqu’à dire en parlant d’une dissertation de ce dernier „Nous 
ésitons après avoir reproduit cette longue dissertation aussi creuse qu’elle 
st peu concluante, à nous livrer aux réflexions qu’elle est de nature à faire 
aître chez tout homme voué à l'études des choses commerciales“ (p. 469). 

4) R. STOURM, Les finances de l'Ancien Régime et de la Révolution. T. II, 
. 11 et sq. Paris 1885. In 8°. 

6) CAMILLE BLOCH, Etudes sur l'histoire économique de la France 
1760—1789). Paris 1900. In 8%. p. 242 et sq. 

6) Une partie des documents publiés par M. Br.ocH ne sont pas inédits et 
vaient paru dans le Journal and Correspondance of W. Lord Auckland (1861). 
£L BLOCH a tiré ceux de ses documents qui sont inédits des archives du 


446 M. P. Muret: Miszelle. 


intérêt principal est de confirmer les constatations de M. SÉGUR-DUPEYRON 
sur les avantages obtenus par les Anglais en cours de négociations. 
Mais M. BLOCH n’a pas poussé bien loin ses investigations en Angle- 
terre. Sur les raisons qui déterminèrent les Anglais à traiter, sur ls 
façon dont le traité fut accueilli à Londres, il ne nous apprend que 
peu de choses. Il accepte en particulier l'opinion de His DE BUTENVAL 
sur l’impopularit& du traité en Angleterre, et il ne peut s'empêcher 
de signaler la contradiction qui existe entre cette impopularité et les 
succès diplomatiques dont Eden tirait vanité: il laisse le soin de Is 
résoudre aux historiens futurs du traité!). 

Il résulte de ce court exposé qu'avant le livre de M. Duxas nous 
avions déjà une idée assez nette du traité de 1786. Nous connaissions 
ses origines par les études de M. SÉGUR-DUPEYRON, les négociations 
auxquelles il avait donné lieu par celles de MM. His DE BUTENVAL, SEGTR- 
DUPEYRON et CAMILLE BLOCH, quelques unes de ses conséquences en 
France par celle de M. His DE BUTENVAL. Nous possédions comme 
une sorte de mise au point des travaux précédents avec les résumés 
de MM. STOURM et CAMILLE BLOCH. Néanmoins l’histoire critique du 
traité de 1786 restait à écrire. D'abord nombre de détails étaient 
encore à préciser. Ensuite, et surtout, une histoire critique du traité 
de 1786 suppose un examen attentif des documents anglais, et l’enquöte 
de M. CAMILLE BLOCH, au seul dépôt du Foreign Office était à ce point 
de vue trop fragmentaire et trop rapide. (C'est par ses recherches 
dans les archives anglaises que M. F. Dumas a renouvelé son suje. 
Il y a fait des découvertes assez importantes et son apport personne 
est assez considérable pour justifier pleinement la publication de son 
livre après tant d'autres. 

* x * 

La correspondance d'Eden conservée au Foreign Office de Londres 
où M. CAMILLE BLOCH a été la consulter ne constitue qu'une des sourets 
anglaises de l’histoire du traité de 1786. M. DUMAS a depouille au 
British Museum une collection de documents autrement abondante et 


Foreign Office: Registres 6574 et 575. Il ne parait pas avoir consulté ceur 
du Record Office, car il indique à tort que les archives du Record Office pour 
les State Papers Foreign s'arrêtent à 1648 alors qu’en réalité elles s'étendest 
au XVIII* et même à la plus grande partie du XIX* siècle. On ne trourt 
non plus chez M. BLOCH aucune mention de l'important dossier du British 
Museum (34.419 et sq.) qui a été la source principale de M. Dumas. Um 
description des principaux fonds d'archives anglaises relatifs au traité de 1786 
s’imposerait. Nous ne la trouvons ni chez M. BLOCH, ni dans l'opuscuk 
actuel de M. Dumas. Souhaitons que M. DumAs nous la donne dans 8 
ouvrage d'ensemble sur les relations commerciales franco-anglaises. 

1) »L’analyse que nous venons de faire en suivant pas à pas la corre- 
spondance de W. Eden amène la conclusion que l’Angleterre parait avoir 
pris toutes précautions pour que le traité lui fut le plus profitable possible, 
que son dessein fut servi par un plénipotentiaire adroit et que la Frantt 
apposta dans la négociation des dispositions conciliantes jusqu'à la faiblésse. 
L’bistorien futur du traité aura le devoir d’etablir à plein pourquoi il st 
fut pas mieux accueilli en Angleterre que chez nous» (p. 268). 


Le traité de commerce franco-anglais de 1786 etc. 447 


56!). Elle comprendrait d'après les indications trop superficielles 
‘auteur à la fois la correspondance diplomatique d’Eden (qui se 
verait ainsi en partie double au Foreign Office et au British 
sum), sa Correspondance particulière, et les principales pièces de 
ngue enquete sur l’industrie anglaise et l’industrie française, pour- 
ie par le gouvernement anglais avant et pendant les négociations. 
DUMAS a complété l'étude de ce dossier par celle des documents 
ementaires conservés et groupés dans les collections de /’Annual 
ster et de la Parliamentary History. 

Je tous ces documents dont selon M. DUMAS aucun de ceux qui 
ient occupés du traité en France et en Angleterre, n’avait tiré tout 
arti possible, quelles conclusions nouvelles l’auteur a-t-il degages ? 
Nous passons rapidement sur l'appréciation du rôle de Rayneval, 
ur les concessions de Vergennes. M. Dumas estime que Rayneval 
quait des connaissances spéciales nécessaises pour un acte d’une 
; importance, et „qu’il ne fut pas à la hauteur de la mission qui 
était confiée“?). Il établit qu'à plusieurs reprises le négociateur 
ais aurait consenti à la France des conditions plus favorables *). 
SÉGUR-DUPEYRON avec les documents du Ministère des Affaires 
ngères, M. CAMILLE BLOCH avec ceux du Foreign Office étaient 
rés à une constatation analogue. 

Sur deux points, M. DUMAS, nous parait avoir fait œuvre nouvelle 
riginale: 1° Sur les dispositions du gouvernement britannique avant 
égociation de 1786. 2° Sur l'accueil réservé au traité en Angleterre. 
On admettait généralement avant M. Dumas que les industriels 
ais furent presque tous hostiles à l'ouverture des pourparlers avec 
‘rance. M. STOURM va même jusqu'à dire qu'ils ne pensaient pas 
voir lutter contre les industriels français et qu'ils craignaient que 
alance du commerce ne leur fut défavorable. Qu'il y ait eu au 
ıt dans le monde industriel anglais défiance contre un rapprochement 
mercial avec la France, hésitations à renoncer aux avantages de la 
ection et du monopole, on n’en saurait douter. Mais on retire du 
> de M. Dumas l'impression que l'hostilité des industriels anglais 
re les négociations avec la France ne fut ni aussi générale, ni aussi 
luctible qu'on l’a dit. M. Dumas nous présente un tableau de 
lustrie anglaise à cette époque qui met en évidence les progrès 
lle avait réalisést). Elle était devenue assez prospère pour avoir 
in de débouchés plus que de protection. Les industriels anglais ne 
vaient pas ne pas en avoir conscience, et leurs lettres à Eden 
ıvent en effet qu'ils en avaient conscience). Ils étaient convaincus, 
rairement à l'opinion de M. STOURM, qu'ils pourraient lutter contre 


1) Les manuscrits cités par M. DUMAS en note portent les numéros 

19, 420, 421, 422, 423, 424, 425, 427, 428, 462. 

2) DUMAS, op. cit. p. 21. 

3) Ib. p. 71 et 91. 

4) Ch. Ip. 12 À 15. 

5) Cf. le questionnaire adressé aux industriels par le Comité de commerce 
. Eden fut élu membre, et les réponses de ces derniers p. 40 et sq. 


448 M. P. Muret: Miszelle. 


les Français. Même Pitt aurait eu la quasi certitude en traitant, que 
sur presque tous les points les industriels anglais l’emporteraient, et il 
n’aurait négocié qu’en parfaite connaissance de cause, lorsqu'une enquête 
longue et minutieuse lui eut permis de comparer la force de production 
de l’industrie anglaise à celle de la France!). 

Si on a cru en France jusqu’à M. Dumas, à un mouvement de 
protestation générale des Anglais contre les pourparlers de 1786, la 
cause en est surtout aux lenteurs et aux hésitations du ministère 
britannique avant de les engager. M. SÉGUR-DUPEYRON les avait déjà 
constatées, mais sans les analyser avec une précision suffisante. „A 
mon avis, écrit M. DUMAS dans sa préface, les historiens du traité n'ont 
pas fait suffisamment ressortir la corrélation étroite qui existe entre la 
grande réforme financière de Pitt et le traité de 1786“). Cette corré- 
lation s’est surtout manifestée dans la période qui a précédé les négo- 
ciations. Pitt se proposait de transformer complètement le système 
d'impôts anglais, en réduisant les droits de douane, en supprimant ls 
plupart des prohibitions, et en augmentant en revanche les taxes de 
consommation. Il facilitait par cette réforme l’entrée des marchandises 
françaises, et il était naturel qu'il demandât en compensation à la 
France un abaissemeut de droits sur les produits anglais. Le rap 
prochement commercial a été comme la conséquence de la réforme 
financière. On comprend dès lors que Pitt ait tardé à conclure le 
premier, tant qu’il n'avait pas arrêté les grandes lignes de la seconde”). 
Il faut donc renoncer à l'idée que l'Angleterre fut poussée presque 
malgré elle au traité de 1786. Elle montra beaucoup de prudenes, 
elle accumula les enquêtes et les renseignements, elle chercha à ®# 
ménager tous les atouts, et à ne négocier qu’à coup sûr. Mais elle ne 
traita pas, parcequ'elle eut la main forcée. 

M. Dumas fait également justice de quelques idées fausses sur la 
façon dont les Anglais apprécièrent le traité. Depuis His DE BUTENTAL 
jusqu’à M. CAMILLE BLOCH tous les historiens français ont répété que 
le traité avait soulevé en Angleterre des protestations unanimet. 
M. Dumas estime et démontre que cette idée est erronée{). Il est 
inexact de dire que les industriels anglais multiplièrent les pétitions 
et les suppliques contre le traité. Toutes ces prétendues pétitions 8 
réduisent à une seule qui fut présentée par l’alderman Newnham au nom 
de la Chambre générale des manufactures de Londres, et encore ceti 
pétition est-elle conçue dans les termes les plus modérés et se borne 
t-elle à solliciter l’ajournement de la décision de la Chambre des Com- 
munes.. La vérité est que si l'opposition politique fit les plus grands 
efforts pour exciter parmi les industriels l'agitation qui aurait sem 
ses plans, elle n’y parvint pas. Loin de se rallier à elle, ils adresserent 
en grand nombre à Eden des remerciements et des félicitations pour 
le soin qu’il avait mis à défendre les manufactures de son pays. Lt 





1) p. 17. 

2) Introduction VII. 

8) Cf. p. 16 et 17. 

4) Cf. tout le chapitre VI. 





Le traité de commerce franco-anglais de 1786 etc. 449 


eul écrit de quelqu'importance que l’on puisse citer contre le traité 
st un article du „Morning-Herald“ qui ramasse tous les arguments qui 
urent invoqués contre lui. C'est en se basant sur cet article que les 
istoriens français ont pu soutenir que le traité déchaîna un mouvement 
‘énéral d'opposition. Il est vrai qu’il y eut une opposition violente 
ontre le traité dans le Parlement anglais. Mais elle eut beauconp 
noins un caractère économique qu'un caractère politique. M. Dumas 
a analysant d’après la Parliamentary history les discours que Fox, 
jurke et Charles Grey prononcèrent contre le traité n'a pas eu de 
reine à montrer qu'ils attaquaient non le traité lui-même, mais le 
rincipe d’un rapprochement avec la France. Et s’il était besoin d’une 
reuve en dehors des discours eux mêmes, le fait que Pitt fut appuyé 
jar les députés des régions industrielles suffirait à l’établir. 

L'étude de M. Dumas complète donc et rectifie sur deux points, 
u moins, et non des moindres, les travaux antérieurs. Est-ce à dire 
qu’elle soit définitive et qu'il n’y ait plus lieu de revenir sur un sujet 
que tant de livres paraissent avoir épuisé? Nous voudrions, en termi- 
ant, indiquer rapidement quelles questions relatives à ce traité ne 
ıous semblent pas avoir été encore suffisamment élucidées. 


+ + 
* 


Le traité de 1786 n'a pas eu seulement un caractère commercial 
t économique, Il a eu des raisons et une portée politiques. His DE 
3UTENVAL l'indiquait déjà quand il le rapprochait du traité de 1783. 
M. Dumas signale lui aussi en quelques mots son importance politique 
wu début de son ouvrage , L'une des raisons qui contribuerent le plus 
déterminer Vergennes, écrit-il, c’est la raison politique. Il était con- 
raincu que l'Angleterre chercherait à prendre sa revanche des défaites 
t des humiliations qu'elle avait subies dans la guerre d'Amérique, et 
ue le traité de Versailles n’était qu’un répit dans la lutte entre les 
leux nations. William Eden reviendra dans plusieurs de ses lettres 
ur le but politique que poursuivent les ministres français dans cette 
ıegociation commerciale: ils veulent que la France et l'Angleterre 
’unissent dans une paix solide et permanente. Vergennes espérait 
lonc avec juste raison, que les intérêts commerciaux diminueraient 
nsensiblement la haine qui séparait encore les deux nations et rattacherait 
"Angleterre au système de paix générale que le ministère francais 
’efforçait d'établir en Europe“!). C'est cette raison d’être politique 
la traité et la place qu'il occupe dans le système diplomatique de 
/ergennes qu'il est nécessaire à notre avis de préciser, si on veut 
omprendre l'attitude des négociateurs français. Il ne s’agit pas évi- 
lemment de faire à propos du traité une histoire de la politique de 
/ergennes, mai: un minimum d'explications est indispendable pour 
ous mettre à même d'apprécier une évolution politique singulièrement 
aractérisée puisque jusqu’en 1783 tous les ressorts de la politique 
rançaise étaient tendus contre l'Angleterre. Le rapprochement franco- 
nglais a eu des adversaires, nous l’avons vu, au Parlement anglais. 


1) p. 21. 





450 M. P. Muret: Miszelle. 


Plusieurs diplomates français, restés attachés aux traditions de Choiseul 
n’en étaient pas partisans. Nos représentants en Angleterre, le comte 
d’Adhemar et Barthélemy se montrèrent dès le début hostiles au prin- 
cipe même du traité. Nous voudrions être capables de peser les motifs 
des uns et des autres, et pour cela, une constatation d’ordre aussi général 
que celle de M. Dumas!) ne nous suffit pas. Nous ajouterons qu'il 
n’est pas sans intérêt de déterminer au juste quelle a été la part des 
raisons théoriques et les idées libre — échangistes dans la politique 
d'entente commerciale avec l’Angleterre, ce qui n’est possible que par 
la connaissance des intérêts diplomatiques en jeu dans la négociation, 
et de la plus ou moins grande valeur qui leur était attribuée les 
deux parties?). Il y aurait donc lieu aujourd'hui encore pour dlucider 
toutes ces questions de revenir aux documents des Affaires E 
que M. Dumas a trop négligés et que M. SÉGUR-DUPEYRON a consultés 
sans beaucoup d'ordre et avec une méthode critique insuffisante. 
Nous ne saurions non plus considérer comme définitivement close 
l'étude des conséquences économiques du traité de 1786 en France et 
en Angleterre. Pour l’Angleterre, M. Dumas s’est borné à des consi- 
dérations d’ordre général. Pour la France il a poussé son analyse 
beaucoup plus loin que ses prédécesseurs MM. His DE BUTENVAL et 
STOURM. Il a dépouillé avec méthode les archives de la Chambre de 
commerce de Rouen, et les documents du Bureau du commerce cos- 
servés aux Archives Nationales. Il a extrait des cahiers des Etats 
généraux publiés par les Archives parlementaires les textes les plus 
intéressants relatifs au traité de 1786 et les a commentés avec critique 
et mesure”). Mais il ne réussit malgré tout qu'à nous présenter um 
esquisse de la question et il ne saurait en être autrement. M. Dumas 
en effet distingue comme deux moments dans la répercussion du traité 
sur nos industries: d’abord un moment de crise , Beaucoup de nos 
industriels habitués à jouir tranquillement d’un monopole que leur con- 
ferait la loi, à suivre d’une façon routinière des règlements qui ne 
nécessitaient de leur part aucun effort, furent profondément secoués 
par la concurrence anglaise qui les obligea à sortir de leur quiétude 
et à modifier radicalement leurs conditions de production et de vente“). 
Le gouvernement français fut du reste, ainsi que l'avait signalé le 
premier BUTENVAL, en partie responsable de cette crise „n’ayant sup- 
primé ni les monopoles ni les privilèges qui plaçaient notre industrie 
dans des conditions inférieures par rapport à l'industrie anglaise, n'ayant 


1) M. Dumas présente en bloc une série d’arguments invoqués par 
d’Adhémar et Barthélemy mais sans les commenter et sans en discuter le 
plus ou moins de fondement, cf. 23 et 24. 

2) J’ajouterai qu'il serait nécessaire de rechercher si la Francc n'a ps 
engagé des négociations commerciales avec d'autres puissances (en particulier 
les puissances du Nord) quelles principes économiques elle appliquait vis à vis 
des autres nations, et en conséquence quelle place ses échanges avec l’Acgie- 
terre devaient occuper dans son système général de commerce. 

3) Cf. les chapitres VII et IX. 

4) p. 192. 


M. P. Muret, Le traité de commerce franco-anglais de 1786 etc. 451 


ı exigé l’application rigoureuse du traité aussi bien en France qu'en 
gleterre, enfin n'ayant pas consulté les principaux intéressés afin 
ils pussent se préparer à la lutte“1), A cette période de crise 
‘ait succédé d’après Mr. DUMAS une période de relèvement „Quand 
Constituante eut proclamé la liberté du travail, écrit-il, quand elle 
; supprimé les douanes intérieures et toutes les entraves qui gênaient 
ore notre industrie, la lutte devint possible et même facile, et il en 
ulta une activité générale dans tous les centres industriels“?). On 
t d'après ces conclusions, qu'il ne suffit pas, pour le juger avec 
partialité, de constater l'effet immédiat du traité de 1786, mais qu'il 
it suivre en réalité le développement de l'industrie française, pendant 
# de six ans jusqu’au 1er janvier 1793 date où il fut dénoncé par 
ngleterre. Or l’histoire de notre industrie pendant cette periode, 
nt donné l’état de dispersion des documents représente un labeur 
)rme, et quelle analyse minutieuse sera encore nécessaire pour dégager 
fluence du traité de 1786 parmi les causes si complexes et d'origines 
diverses qui ont pu en faciliter on en entraver le développement! 
us croyons que les conclusions de M. Dumas, qui sont celles de la 
part de ses prédécesseurs, sont exactes et dès maintenant vérifiées 
r un certain nombre de faits. Mais il ne reste pas moins que le 
nier chapitre d’une histoire critique du traité de commerce de 1786 
pourra être écrit que quand nous posséderons une histoire complète 
l’industrie française à la fin du XVIILe siècle, qui exigera elle même 
grand nombre de monographies de détail. Cette même observation 
pplique à l'Angleterre. Nous ne savons par nos historiens que bien 
a de choses sur les conséquences du traité en Angleterre, et il 
pparait pas que nos confrères d'Outre-Manche nous en apprennent 
wıconp d'avantage. 


e Gemeinfreien des Tacitus und das Ständeproblem 
der Karolingerzeit. 


Professor Max WEBER hat neuerdings in einer wertvollen Unter- 
‘hung die Streitfrage über die Lebensweise der germanischen Voll- 
ien einer zusammenfassenden Erörterung unterzogen?). Er tritt, 
> ich glaube, mit Recht für die herrschende Annahme bäuerlicher 


1) p- 192. Cette attitude du gouvernement français après le traité avait 
à été indiquée par His DE BUTENVAL (ch. XVIII). Il parlait en outre 
l'hostilité ou de l'indifférence adroite des contrôleurs Calonne, Loménie, 
cker, qui pe cherchèrent pas à soutenir le traité ou évitèrent de s’en occuper. 

2) p. 192. 

8) ,Der Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung 
der deutschen Literatur des letzten Jahrzehnts“ in Conrads J. III. F. B. 
(1904) S. 433 —470. 


452 Ph. Heck: Miszelle. 


Verhältnisse ein. Aber er geht in der Negation der grundherrlichen 
Theorie so weit, daß er die servi coloni im wesentlichen, die liberti 
ausschließlich den principes zuweist. Man kann diese Schattierung 
der berrschenden Lehre als die kleinbäuerliche Theorie der 
Gemeinfreien bezeichnen. Sie ist meines Erachtens nicht zutreffend. 
Doch will ich meinen Widerspruch nach dieser Richtung bei anderer 
Gelegenheit begründen und an dieser Stelle nur gegen eine weitere 
These WEBERS Einspruch erheben. 


WEBER hat in seiner Untersuchung die ständische Deutung der 
karolingischen Volksrechte nicht als Problem behandelt, sondern die 
Richtigkeit der bisher herrschenden, von mir angefochtenen Deutung!) 
vorausgesetzt und gelegentlich als Grundlage für weitere Schluß- 
folgerungen verwertet?). Dennoch glaubt er, einen Beitrag zur Wider 
legung meiner Ansicht gebracht zu haben. Er konstatiert am Schluss 
seiner Untersuchung): Für Sachsen und Thüringen „geht aus dem 
Gesagten in Verbindung mit den Argumenten der Germanisten mit 
boher Wahrscheinlichkeit hervor, daß die nobiles der Karolingerzeit 
als Nachfahren der principes und nobiles der taciteischen Zeit, also 
als ein Stand tiber den Gemeinfreien zu betrachten sind“. 


Diese Form der Darstellung erschwert die Nachprüfung. Es läßt 
sich nicht mit Sicherheit erkennen, welche Zusammenhänge nach WEBER 
die am Schlusse hervortretende Erkenntnis vermitteln sollen. Dennoch 
darf das entschieden formulierte Urteil eines so hervorragenden Wirt 
schaftshistorikers nicht unbeachtet bleiben. Ich will daher versuchen, 
die bestimmenden Momente zu finden. Und zwar glaube ich, daß 
diese Eigenschaft zwei Umständen zukommt. 


In erster Linie scheint es mir von Bedeutung zu sein, daß WEBER 
meine Ausführungen in einem wichtigen Punkte nicht ver 
standen hat. — WEBER bezeichnet es*), und zwar in erster Linie, 
als meine Ansicht, daß ebenso in Sachsen wie in Franken und überall 
sonst ein Volksadel von jeher gefehlt habe. Diese Behauptung habe 
ich niemals aufgestellt. Im Gegenteil! Ich habe sie in sorglicher 
Vorahnung kommender Auslegungen sowohl in der Gerichtsverfassung’) 


1) Vgl. Heck, Altfriesische Gerichtsverfassung 1894, S. 223—8309: „Die 
Gemeinfreien der karolingischen Volksrechte“, 1900, „Ständeproblem, Wergelder 
und Münzrechnung der Karolingerzeit“. Diese Zeitschr. II. S. 388 ff. S. Bil #. 
Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien 1905, S. 642—783. 

2) Vgl. die Verwertung der sächsischen Eheverbote (a. a. O. S. 454), 
des cap. 64 der lex Saxonum (a. a. O. S. 457, 468) und die Zusammenfassung 


(S. 469, 470). 
3) A. a. O. S. 470. 
4) S. 488, 439. 


5) Vgl. Altfriesische Gerichtsverfassung S. 368 Abs. 1: „Durch das Ge 
sagte soll für die vorfränkische Zeit die Existenz hervorragender Adelr- 
geschlechter, entsprechend den von TACITUS erwähnten nobiles, bei Friesen, 
Sachsen und Thüringern nicht verneint werden. Aber jedenfalls war dieser 
Adel, auch wenn er rechtliche Auszeichnung genossen haben sollte, von den 
Edelingen verschieden, deren Rechtsverhältnisse uns bezeugt sind.“ 


Die Gemeinfreien des Tacitus etc. 453 


wie nochmals in den Gemeinfreien!) ausdrücklich abgelehnt?). Ich 
vermute in den taciteischen nobileg ebenso wie z. B. BRUNNER Familien 
mit politischem Ansehen, vielleicht mit politischen Vorrechten, somit 
für Sachsen Geschlechter, aus denen die „satrapae“ gewählt wurden?). 
Es ist nun sicher, daß die fränkische Eroberung die Stellung dieser 
Geschlechter geändert hat, vermutlich unter Ersatz durch abgeleitete 
Rechte (Grafenamt, Lehen). Ich rechne diese Geschlechter natürlich 
auch zu den Edelingen. Aber ich sehe in ihrer Existenz keinen An- 
lass, den Stand der Edelinge auf diese Familien zu beschränken, 
auch wenn ich von den andern Gründen absehe, welche diese Ein- 
schränkung unmöglich machen. Ich sehe keinen Anlaß. Denn das 
einzige erkennbare Merkmal des taciteischen Volksadels (der Satrapen- 
geschlechter) ist politischer Vorrang, allenfalls politisches Vorrecht. 
Die quellenmäßigen Vorrechte der sächsischen Edelinge vor den Fri- 
lingen sind Vorzug in Wergeld, Buße und Ebenburt. Von einem poli- 
tischen Vorrechte findet sich keine Andeutung. Noch niemand hat die 
Behauptung aufgestellt, daß ein politisches Vorrecht als notwendiger 
Reflex Vorzug des Geschlechts in Wergeld, Buße und Ebenburt zur 
Folge haben mtisse. Ebensowenig hat jemand ausdrücklich erklärt, 


1) Gemeinfreie S. 6: „Daß die sächsischen Gaufürsten aus besonderen 
Geschlechtern gewählt wurden, ist möglich, ebenso, daß diese Geschlechter 
noch andere Vorrechte hatten. Aber davon wissen wir nichts. Weahrschein- 
lich ist es ferner, daß Geschlechter durch Besitz und Ansehen so hervorragten, 
daß wir sie als einen Volksadel oder als Fürstengeschlecht bezeichnen, den 
nobiles des TACITUS an die Seite stellen dürfen. Dafür spricht u. s. w.“ 
Vgl. ferner S. 8, 322. 

2) Vermutlich ist WEBER durch SCHRÖDER, Z.R.G.(G.) 24, S. 365, irre 
geführt worden. SCHRÖDER betont als ersten „Grundfehler“ meiner Unter- 
suchung über die Gemeinfreien „die merkwürdige Nichtbeachtung 
des altgermanischen Adels“. Tatsächlich kann sich jeder aus meinem 
Buche davon überzeugen, daß ich fortwährend das historisch mögliche Bild 
dieser Geschlechter mit den Angaben der Quellen, die sich auf die Edelinge 
beziehen, überall verglichen habe, wo immer irgend Veranlassung bestand 
(vgl Gemeinfreie S. 4, 6, 43 ff., 89, 93, 95, 101 ff., 234, 286, 287, 310, 312, 
314, 822, 332, 344, 345). SCHRÖDER hätte doch nur eine konkrete Stelle 
angeben sollen, an der die Heranziehung unterblieben ist, obgleich sie geboten 
war. An der Intensität der Berücksichtigung hat es nicht gefehlt. Wenn 
das Ergebnis bei mir ein anderes ist als bei SCHRÖDER, so hat dies andere 
Gründe. Vgl. HEck, „Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien“ S. 660 ff. 


3) Vgl. Gemeinfreie S. 6, 322. BRUNNER ist mit Recht der Ansicht, 
„daß sich das Merkmal des Standes, der Genuß erblicher Vorrechte für die 
nobiles der taciteischen Zeit, nicht nachweisen läßt“. Vgl. zuletzt Grundriß 
8. 8. Einen Adel als Stand im Rechtssinn findet auch BRUNNER für die 
streitigen Stämme zuerst in den karolingischen Volksrechten bezeugt. Dadurch 
rechtfertigt sich meine von SCHRÖDER a. a. O. S. 865 Anm. 2 beanstandete 
Bemerkung, daß der fragliche Volksadel nach der Gegenansicht „bald nach 
seinem Auftreten wieder verschwunden sei“. Gemeinfreie S. 4. Ich rede 
nur von dem Volksadel als Stand im Rechtssinn und habe selbstredend unter- 
dem Auftreten das „Erkennbarwerden für die geschichtliche Betrachtung“ ge- 
meint, nicht die Entstehung. 


456 Ph. Heck: Die Gemeinfreien des Tacitus etc. 


WEBER nicht zugeben, daß das von ihm Gesagte irgendwie zugunsten 
der herrschenden Lehre ins Gewicht fällt. Sollte ich Zusammenhänge 
übersehen haben, so würde eine nachträgliche Aufklärung bei der 
Wichtigkeit der Frage und der wissenschaftlichen Autorität WEBER3 
dankenswert sein. 


Die Gemeinfreien des Tacitus etc. 455 


daß er den Durchschnittsbesitz an Land auf 4 bis 5 Hufen!), den 
Durchschnittsbesitz an Hörigen auf einige Laten?) veranschlagt. Es 
handelt sich also nach ihm bei der Masse der Edelinge um 120—150 
Morgen, eine Besitzgröße, die wir heute bei ganz anders ins Gewicht 
fallender Bedeutung der Landfläche je nach der Gegend als bänerlich 
oder vielleicht als großbäuerlich bezeichnen würden. Ich meinerseits halte 
nur für gesichert, daß die Edelinge ein zahlreicher Stand gewesen sind 
mit Besitz der verschiedensten Größen unter Vorwiegen der kleineren °). 
Die Anhaltspunkte, aus denen WITTIcCH einen Durchschnittsbesitz be- 
rechnet, halte ich nicht für ausreichend. Das Bild ist mir in dieser 
Hinsicht zu verschwommen. Soweit sich ihm Züge überhaupt beilegen 
lassen, scheint es mir durchaus nicht, daß Wrrricx die Durchschnitts- 
größe des Besitzes überschätzt hat. Nur bezeichne ich denselben 
Kleinbesitzer von 4—5 Hufen, den WiTricH Grundherr nennt, als 
Bauern, weil ich mir seine Lebensweise anders denke*). KÖTZSCHKE°) 
und SCHRÖDER®) haben Wrirricxs Ausführungen über die wirtschaft- 
liche Stellung der Grundherren gebilligt. Es herrscht daher anscheinend 
Uebereinstimmung darüber, daß wir in den Edelingen nur zum Teil 
große Besitzer, tiberwiegend aber mittlere und kleine Besitzer vor uns 
haben. Ich vermag nicht einzusehen, inwiefern diese Besitzverhältnisse 
meiner Auffassung der Edelinge widersprechen sollten. Sie ordnen 
sich zu den beiden oben hervorgehobenen Elementen des Standes, der 
große Besitz zu den alten Satrapenfamilien, der kleine und mittlere zu 
den einfachen Vollfreien. Ja, dieses Bild fällt sehr bedeutsam gegen 
die Fürstentheorie ins Gewicht, sobald wir eine andere Generalisierung 
heranziehen, die in demselben Grade zuverlässig ist wie die von 
WEBER verwertete. Es ist Erfahrungssatz, daß bevorrechtete Ge- 
sehlechter, welche durch Konnubiumsgrenzen nach unten abgeschlossen 
sind, im Laufe der Zeit an Mitgliederzahl abnehmen und an Besitz 
wachsen. Die Anwendung dieses Obersatzes auf das quellenmäßige 
Bild der sächsischen Edelinge würde ergeben, daß die zalılreichen 
Edelinge der Karolingerzeit nicht auf die schon Jahrhunderte früher 
seltenen nobiles des Tacitus, sondern auf die früher noch zahlreicheren 
ingenui dieses Autors zurückzuführen sind ?). 

Wenn man von den beiden hervorgehobenen Fehlerquellen abstra- 
hiert, so ist nicht abzusehen, weshalb die kleinbäuerliche Theorie der 
taciteischen Gemeinfreien, auch wenn sie völlig richtig wäre, meiner 
Deutung der karolingischen Stände im Wege stehen sollte. Ich kann 


1) A. a. O. S. 120*. 

2) Freibauern S. 290. 

3) Ich habe für diese Auffassung zu den in meinen Gemeinfreien vor- 
gelegenen Gründen noch andere zuzufügen, namentlich auch wichtige Rück- 
schlüsse aus späteren Quellen. 

4) Die Konzession Gemeinfreie S. 321 gilt der Erkennbarkeit der Besitz- 
grösse, nicht der grundherrlichen Lebensweise. A. M. Wrrrich S. 212, 213. 

5) Deutsche Zeitschr. f. Geschichtswissenschaft N. F. II (1897/98) S. 313. 

6) Z.R.G.(G.) 24 S. 877. 

7) VgL Gemeinfreie S. 322. 


456 Ph. Heck: Die Gemeinfreien des Tacitus etc. 


WEBER nicht zugeben, daß das von ihm Gesagte irgendwie zugunsten | 
der herrschenden Lehre ins Gewicht fällt. Sollte ich Zusammenhänge 
übersehen haben, so würde eine nachträgliche Aufklärung bei der 
Wichtigkeit der Frage und der wissenschaftlichen Autorität WEBER: 
dankenswert sein. 


Literatur, 


ı neues Werk auf dem Gebiete der Geschichte des 
russischen Grundbesitzes. 


Prof. SERGEJEWITSCH. Altertümer des russischen Rechtes 
I. St. Petersburg 1903. IIpod. Ceprbepnrp. JIpeBHocrn 
<kaTO IIPABA T. II C. I. 1903. Die angeführte Arbeit muß 
ı zweifellos mit Rücksicht auf die Fragen, welche sie behandelt, 
den interessantesten zählen, die auf dem Gebiete der Sozial- und 
tschaftsgeschichte Rußlands in den letzten Jahren erschienen sind. 
ı größten Teil seiner Aufmerksamkeit schenkt der Autor jenem 
mn Problem, das in gleichem Maße sowohl die westeuropäischen als 
h die russischen Historiker beschäftigt und das gleichfalls weder 
t noch dort eine gleichartige Lösung gefunden hat, nämlich die 
ge über die Herkunft der russischen Landgemeinde (06H3HHa). 
h im Anfang der sechziger Jahre trat Prof. SERGEJEWITSCH mit 
er Kritik der Theorie MAURERS auf und sucht zu beweisen, daß die 
neindewirtschaft in Deutschland keine von alters her germanische 
cheinung war, daß sie erst sehr spät aufzutreten begann, indem sie 
ı in einer langdauernden Zeitperiode vom X. bis zum XVI. Jahr- 
ıdert entwickelte. So ist es zu erklären, daß die Lehre FUSTEL 
COULANGES über die spätere Herkunft der deutschen Gemeindeord- 
g, die den Anschauungen MAURERS, Waız’s und SOHMs entgegen- 
etzt war, in der Person des russischen Professors einen warmen An- 
ger fand. 

Im selben Jahre (1856), als MAURERs berühmte „Geschichte der 
'kenverfassung“ erschien, herrschte in Rußland zwischen den Ver- 
ern zweier Anschauungen eine lebhafte Polemik über den Ursprung 
Landgemeinde (Obschtschina), die die russische Gesellschaft jener 
in die Gruppen der Slavophilen und der „Westler“ schied, wobei 
Nähe der bevorstehenden Agrarreform diesem theoretischen Streite 
besonderes Interesse und eine besondere Leidenschaft verlieh. Für 
Slawophilen bildete das Uralter der Obschtschina eine Grundlage 
r historischen Weltanschauung. Die entgegengesetzte Ansicht tiber 
späten Ursprung dieser bäuerlichen Landgemeinde, wie wir sie gegen- 
tig in Rußland vorfinden, und über deren Entstehung unter der Ein- 
tung von Regierungsmaßnahmen war damals von dem glänzenden Ver- 


458 Referate. 


treter der westlichen Anschauung in Rußland, dem Professor der Moskauer 
Universität B. N. TCHITSCHERIN geäußert worden. Indem nun Prof. 
SERGEJEWITSCH auf jene Polemik zurückgreift und ihre Resultate 
ruhig abwägt, findet er, daß beide Seiten in vielem Recht hatten und 
in vielem auch irrten, infolge des mangelhaften historischen Materials, 
das ihnen damals zur Verfügung stand. Im allgemeinen erweckt die 
Lehre TTCHITSCHERIUS immerhin bei ihm viel Sympathie im Gegen- 
satz zu anderen Forschern zu Ende des XIX. Jahrhunderts, welche 
die Frage über den Ursprung der Obschtschina behandelten und ihn 
in die graueste Vorzeit versetzten. 

Nach der Meinung des Prof. SERGIJEWITSCH muß man in der Ge 
schichte der russischen bäuerlichen Gemeinde zwei aufeinander- 
folgende Momente unterscheiden: das Moment der kollektiven Ver- 
fügung über den Grund und Boden und das Moment der kollektiven 
Nutzung desselben. Das zweite Moment — die kollektive Nutzung 
. mit ihren charakteristischen Merkmalen, den gleichen Anteilen und der 
periodischen Zumessung, gehört erst in das XVIII. Jahrhundert, in 
die Zeit der Einführung der Kopfsteuer, infolge welcher es aufgekommen 
ist. Die in die Steuerliste aufgenommenen „Seelen“ werden mit gleich- 
großen Landanteilen beteilt, um ibnen die Zahlung der Abgabe zu er- 
möglichen. Mit den Aenderungen im Bestande der Seelenzahl, die 
durch periodisch wiederholte Zählungen (die sogenannte . Revision‘) 
festgestellt wird — kommen auch die periodischen Neuteilungen des 
Gemeindelandes unter die Seelen in Gebrauch. So muß man allem 
Anschein nach den Einfluß der Kopfsteuer auf die Entstehung der 
periodischen Landeszumessung auffassen. 

Die Erscheinung der Obschtschina jedoch als kollektives Ganzes, 
mit Besitz- und Verfügungsrecht am Gemeinlande, wird dagegen von dem 
Verfasser in eine bedeutend frühere Zeitperiode, in die Zeit der beginnen- 
den Vereinigung des russischen Territoriums unter der Herrschaft der 
moskauischen Herrscher, d. i. in das XIV. Jahrhundert, verlegt. Die Ver- 
hältnisse, welche diese Vereinigung begleiteten, waren auch nach seiner 
Meinung der Grund für das Entstehen der Obschtschina. Gelegentlich 
der Einverleibung der früher selbständigen Staaten in das Gebiet 
Moskaus konfiszierte der moskausche Herrscher innerhalb jener eine 
beträchtliche Menge privater Ländereien, die zum Teil als Lehen, 
d.h. als zeitlicher bedingter Besitz (eine Art beneficium des Westens); 
der Kriegerklasse tiberlassen wurden, zum Teil aber wurden sie der 
allgemeinen Masse der staatlichen oder, wie man damals sich auszu- 
drücken pflegte, der „schwarzen“ („4UePHbXB“) Ländereien suge- 
schlagen. Auf diesen Landgebieten entstand denn auch die bäuerliche 
Obschtschina. 

Zu einer solchen grundlegenden Auffassung gelangte der Autor 
durch Betrachtungen, die er über das Schicksal der ausgedehnten 
Landkomplexe Nowgorods anstellte, nachdem dieses seine Unabhängig- 
keit eingebüßt hatte. Die republikanischen Einrichtungen dieser freien 
Stadt ließen ihren mächtigen Nachbarn, den uneingeschränkt herrsche- 
den Großfürsten von Moskau, keine Ruhe, ähnlich wie die konstitutio- 
nellen Freiheiten Finnlands gegenwärtig die selbstherrschenden Kaiser 


Referate. 459 


irritieren. Dabei herrschte innerhalb der Republik selbst keine Einig- 
keit. Es tobte ein heftiger sozialer Kampf. Die republikanischen 
Einrichtungen wurden von der Aristokratie des Landadels und der 
Kaufmannschaft hochgehalten. Die Masse des Volkes jedoch, die der 
Volksversammlung keinen Nutzen abgewinnen konnte, wenn sie auch 
nicht gerade nach Moskau hinneigte, leistete wenigstens diesem 
gegenüber keinen Widerstand. Gestützt auf diese Zwietracht ftihrte 
Moskau bereits seit lange — seit dem XIV. Jahrhundert — Schlag auf 
Schlag gegen Nowgorod aus, bis dieses schließlich im letzten Viertel 
des XV. Jahrhunderts als Provinz dem Moskauer Staate einverleibt 
wurde. Diese Einverleibung war mit einer Belastung Nowgorods durch 
eine kolossale Geldkontribution und mit einer zwangsweisen Versetzung 
der hervorragendsten Vertreter der Nowgoroder Aristokratie- nach 
Moskau verbunden. Doch blieb es nicht bei der bloßen Vernichtung 
der politischen Selbständigkeit; auf die politische Vereinigung folgte 
die sozialökonomische. Bald nach der Eroberung in den 80er Jahren 
des XV. Jahrhunderts griff eine ausgiebige Konfiskation der Ländereien 
der einstigen Nowgoroder Landeigentümer Platz. Wenn es sich um 
das alte Nowgorod handelt, darf man sich darunter nicht bloß eine 
Freistadt vorstellen in der Art des heutigen Hamburg oder Lübeck. 
Man kann es eher mit Rom zur Zeit der Republik vergleichen. 
Das war eine Stadtrepublik, zu welcher ein ungeheures Terri- 
torium gehörte, das gegenwärtig die Gouvernements Nowgorod, 
Petersburg und Olonetz umfaßt. Diese Gebiete standen mit der 
Stadt Nowgorod in engster Beziehung und bildeten, wie man damals 
sagte, ihren Bezirk (YB31H). Ueberdies dehnte sich ihre Macht tiber 
den ganzen Norden des europäischen Rußlands, wo sie ihre Kolonien 
grlindete. Diese Ländergebiete Nowgorods befanden sich in privaten 
Händen und waren der Gegenstand eines unbeschränkten Privateigen- 
tums. Das Privateigentum blühte in Nowgorod, und die Aristokratie 
dieses Staates bestand nicht bloß aus Großkapitalisten und Kaufherren, 
sondern auch aus Großgrundbesitzern, in deren Mitte wir alle bedeu- 
tenderen Familien antreffen, die im politischen Leben der Republik eine 
hervorragende Rolle gespielt hatten. Ein bedeutender Teil des Grund 
und Bodens gehörte dem Erzbischof von Nowgorod und den. zahl- 
reiehen Klöstern. Endlich finden wir neben dem Großgrundbesitz auch 
den Kleinbesitz vertreten. 

Die Ländergebiete der Großgrundbesitzer, sowohl die der weltlichen 
als auch die der geistlichen Eigenttimer, wurden denn auch in den 
Ser Jahren des XV. Jahrhunderts von der Moskauer Regierungsgewalt 
konfisziert. Es ist ein interessantes Dokument, wenn auch nicht in 
seinem vollen Umfange, erhalten geblieben, welches das Studium der 
Bodenbesitzverhältnisse des nowgorodischen Gebietes gerade in der 
Epoche jener Uebergänge bis ins kleinste ermöglicht. Und zwar eine 
Landbesitzaufzeichnung, eine Art Kataster, die von der Moskauer Re- 
gierung zu Ende des XV. Jahrhunderts aufgenommen wurde, die 80- 
genannten „Pistzowyja Knigi“ („IIMCIHOBHA KHHTH“), ein Dokument 
derselben Kategorie, wie das bertihmte englische Domesdaybook. Ein 
solches Kataster beschreibt ein jedes Landgut, nennt seinen jeweiligen 

Vierteljahrschr, f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 30 


460 Referate. 


und einstigen Eigentümer, zählt die dazugehörigen Gehöfte, unfreien 
Diener und Bauern auf, führt die Ausdehnung der Wirtschaft eines 
jeden Gehöftes an, wobei als Maß die Menge des angebauten Getreides 
und des gemähten Heues gilt, dann die Höhe der Natural- und Geld- 
abgaben, die von den Bauern an den Besitzer geleistet werden, schlief- 
lich die Anzahl der Steuereinheiten, die auf jenes Gut kommen. An 
der Hand dieser Katastralbticher kann man ein genaues Bild sowohl 
tiber die Ausdehnung der Nowgoroder Konfiskation als auch über das 
weitere Schicksal jener konfiszierten Güter liefern. 

Die Landkomplexe, die derart in die Hände der Regierung gelangt 
waren, wurden in zwei Gruppen geteilt. Ein Teil wurde unter die 
angesiedelten moskauischen Kriegsleute als Lehen verteilt; der andere 
Teil wurde zum unmittelbaren Staatseigentum, dem sogenannte 
„schwarzen Lande“ (YePHHA 3eMJIH“). Auf dem Wege dieser tief- 
greifenden Umwälzung wurde die Selbständigkeit Nowgorods mit den 
Wurzeln ausgerottet. So mußten schließlich die Vertreter der Nor- 
goroder Aristokratie, losgerissen von ihrem heimatlichen Boden und 
in das Gebiet Moskaus versetzt, in ihrem Widerstande unbedingt er- 
lahmen. Die Moskauer Elemente ihrerseits, die in das Nowgoroder 
Gebiet verpflanzt wurden, standen den nowgorodschen politischen 
Ideen viel zu fremd gegentiber, als daß eine Wiedergeburt der Freiheit 
Nowgorods zu befürchten gewesen wäre. 

Die nowgorodschen Katastralbtüicher erlauben weiterhin, die wirt- 
schaftlichen Veränderungen, die sowohl in der einen als auch in der 
anderen Kategorie der konfiszierten Ländereien vor sich gingen, zu 
verfolgen. Es stellt sich heraus, daß innerhalb jener Güter, die als 
Lehen gegeben wurden, die alten oder jenen sehr verwandte Ver- 
hältnisse bestehen blieben. Die neuen Moskauer Grundherren hörten 
nicht auf, dieselbe Gattung und die gleiche Quantität von Abgaben 
von den Bauern einzuheben, wie es seinerzeit die Nowgoroder Eiges- 
tümer taten. Anders standen die Dinge auf jenen Gütern, die im 
Besitze des Staates verblieben waren. Diese Landgtiter wurden vom 
Herrscher als Zeitpachtgüter an die angesiedelten Bauern gegeben. 
An Stelle der gemischten Natural- und Barabgaben, die an den früheren 
Grundherrn gesteuert wurden, wurden die Bauern eines jeden Gutes 
mit einer Geldsteuer belastet, die an den Fiskus des Herrschers floß. 
In den Eigentümlichkeiten dieser Steueranflage sind eben die Gründe 
für die Entstehung der bäuerlichen ländlichen Kollektivgemeinde in 
der Fassung ihres ersten Momentes zu suchen. Früher wurde nämlich 
Jedes von den Dörfern, die in das Gebiet eines Gutes fielen, getrennt 
mit den Abgaben zugunsten des Grundherrn jenes Gutes belegt. 
Jetzt lastete in den Ländereien, die in den Besitz des Herrschers ge 
langt waren, der Bauernzins solidarisch auf dem ganzen Gute, welches 
zuweilen aus sehr vielen einzelnen Dörfern bestand. Diese Summe 
auf die einzelnen Dörfer und Gehöfte zu verteilen, lag bereits dea 
Bauern selbst ob. Einst hatte der Nowgoroder Eigentiümer beztiglich der 
Abgabenverpflichtung es mit jedem bäuerlichen Gehöftpächter getrennt 
zu tun, der einen Teil seines Bodens in Pacht hatte. Nun hat der fürst- 
liche Fiskus mit einer ganzen bäuerlichen Gesellschaft zu schaffen, 


Referate. 461 


die aus den Bauern sämtlicher Dörfer innerhalb des Landgutes zu- 
sammengesetzt war. So entsteht für die Bewohner mehrerer Dörfer 
eines und desselben Gutes eine ganze Reihe gemeinsamer Interessen, 
welche sie zu einem gewissen Ganzen zusammenschließt. Ihnen allen 
ist das Land gemeinsam als Zeitpachtgut tiberlassen worden. Auf sie 
fällt die gemeinsame Summe des Bauernzinses, welche sie unter sich 
nach dem Ausmaße ihrer Wirtschaft verteilen. Sie sorgen für die 
Ergänzung in der Zahl der Gemeindemitglieder, schauen darauf, daß 
Landstücke, die zum Anbau taugen, nicht brachliegen, da sonst der 
Zinsanteil, der auf jeder einzelnen Wirtschaft der Obschtschina lastet, 
größer wird. Ferner erscheinen diese Obschtschinen im Falle von 
Streitigkeiten bezüglich des Bodens dieser Gemeinschaften vor Gericht 
in der Eigenschaft als Kläger und Angeklagte. Endlich verteilen sie 
das Land auf die einzelnen Dörfer der Obschtschina und veräußern 
sie sogar (S. 362). So schildert uns der Verfasser die Tätigkeit der 
bäuerlichen Kollektivgemeinden, die auf dem „schwarzen Lande“ 
entstehen. Wie man sieht, unterscheiden sich diese Obschtschinen 
von unseren gegenwärtigen durch zwei Züge. Erstens verwirklichen 
sie bloß die Verfügung über den gemeinsamen Grund und Boden, eine 
kollektive Nutzung gibt es bei ihnen noch nicht. Zweitens ist ihr 
Bestand, verglichen mit der Obschtschina unserer Zeit, ein anderer. 
Unsere jetzige Obschtschina ist — eine Niederlassung; die altrussische 
Obschtschina — eine Vereinigung mehrerer Dörfer, die damals sehr 
schwach bevölkert waren: in der Mehrzahl der Fälle bestand das Dorf 
aus 2, 3, nicht selten aus bloß einem Gehöft. Die auf dem Wege 
eines detaillierten Studiums der Erscheinungen innerhalb des Nowgo- 
roder Gebietes am Ende des XV. Jahrhunderts erhaltenen Schluß- 
folgerungen überträgt Prof. SERGEJEWITSCH auch auf die vorhergehende 
Periode des moskauischen Reiches. Die weitgehende Konfiskation von 
Landesteilen unter Johann III. war nichts Nenes. Auch vor ihm ging 
Moskau gelegentlich der Eroberung der Fürstentümer so vor, und 
überall auf den koufiszierten Gütern entstehen die bäuerlichen Ob- 
schtschinen, welche bloß das Verfügungsrecht über das Gemeinland ver- 
wirklichen und die finanziellen Angelegenheiten administrativ verwalten. 

Vieles in dieser Darstellung bleibt nicht klar genug entworfen und 
nicht genügend bewiesen. Am besten sind die Vorgänge studiert, die 
sich innerhalb der Grenzen des Staates Nowgorod abspielten. Doch 
ist die Uebertragung der Nowgoroder Konfiskation auf die vorher- 
gehenden Perioden ziemlich willkürlich. Man kann es nicht als be- 
wiesen ansehen, daß überall, wie dies im Nowgoroder Gebiete der 
Fall war, das uneingeschränkte Privateigentum der Landobschtschina 
vorausging, daß überall die Krongüter auf dem Wege der Konfiskation 
jener Privatgüter entstanden und daß bloß auf solchen konfiszierten 
Landgebieten Kollektiveinrichtungen zum Vorschein kommen. Im all- 
gemeinen anerkennt Prof. SERGEJEWITSCH nicht jene Mannigfaltigkeit 
der lokaleu Eigentümlichkeiten innerhalb des ökonomischen Lebens, 
des Rechtes und der Verwaltung, welche das Rußland des XVI. und 
XVIL Jahrhunderts dem Frankreich des alten Regimes sehr ähnlich 
erscheinen läßt. Er ist im Gegenteil geneigt, eine allzugroße Ein- 


462 Referate. 


heitlichkeit zu sehen, und leugnet jedweden Wechsel der Erschei- 
nungen in zeitlicher Hinsicht als auch deren Verschiedenheit im 
Raume. „Das XI. und XVII. Jahrhundert — ruft er aus — Kiew, 
Moskau, das Kloster Solowetz — tiberall dieselben Einrichtungen!‘ 
(S. 175). Ferner hätte der Gedanke tiber das Auftreten der kollek- 
tiven Bodennutzung als Folgeerscheinung der Kopfsteuer einer bei 
weitem ausflihrlicheren Behandlung bedurft. Anzeichen einer solchen 
Bodennutzung in verschiedenen Gegenden sind auch vor Einführung 
der Kopfsteuer anzutreffen. Wir erlauben uns die Annahme auszu- 
sprechen, daß der Kollektivbesitz am Grund und Boden in Rußland 
nicht ausschließlich innerhalb der Bauernschaft auf dem „schwarzen 
Lande“ sich ausbildete, sondern auch auf den Lehengtitern unter dem 
Kleinadel, den die Regierung mit kleinen Landanteilen beteilt hatte. 
Aehnlich den gegenwärtigen bäuerlichen Parzellen werden diese Land- 
anteile des kleinen Adels, die durcheinander innerhalb dreier gemein- 
samer Felder gelegen sind, einem gemeinschaftlichen Saatwechsel und 
von Zeit zu Zeit einer eigenen Art von periodischer Neuteilung unter 
bodenbesitzrechtlicher Kontrolle der Regierung unterzogen. 

Der zweite Teil der dargelegten Untersuchung bleibt beztiglieh des 
Wertes der erlangten Resultate weit hinter dem ersten zurück. Er ist 
der Geschichte der finanziellen Einrichtungen in Rußland bis auf Peter, 
insbesondere der Geschichte der direkten Besteuerung, gewidmet. Vos 
den ihm vorausgehenden Forschern auf demselben Gebiete (Prof. Mır- 
JUKOw, dem Akademiker LAPpo-DANILEWSKIJ] ist die Evolution des Ab- 
gabensystems vom XVI. Jahrhundert an bis auf Peter mit viel Eifer 
untersucht worden. Die grundlegenden Erscheinungen dieser Evolution 
wurden aufgedeckt: sie bestanden darin, daß die Steuereinheit immer 
einfacher wurde und sich mehr und mehr dem einzelnen Steuerträger 
näherte. In der Mitte des XVI. Jahrhunderts war eine solche Einheit 
die ,Socha“ (,,C0xa“) — ein ungemein großes Gebiet (900-130 
Deßjatinen) von Ackerland; in der ersten Hälfte des XVIL Jahr 
hunderts die „Tschetwert“, ein bestimmter, lokal und nach der Gattung 
der Landbesitzungen unterschiedlicher Komplex von bäuerlichen Ge 
höften; in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts zerfällt dieser 
Komplex, und zur Abgabeneinheit wird jeder einzelne Hof, der wiederum 
seinerseits einen gewissen Komplex von „Seelen“ darstellte. Dieser 
Teilungsprozeß geht weiter, und zu Beginn des XVII. Jahrhunderts 
wird jede einzelne „Seele“ zur Steuereinheit. So bereitete sich stufen- 
weise die Kopfsteuer vor, die von Peter dem Großen eingeführt wurde. 
Prof. SERGEJEWITSCH anerkennt diese Art der Evolution ganz und gar 
nicht und behauptet, daß die aufgezählten Stenereinheiten in dem Zeit- 
raum vom XVI.—XVIH. Jahrhundert nebeneinander vorkommen, # 
daß die Kopfsteuer, dieser „große Mißgriff“ Peters, wie er sie nennt 
(S. 369), nach seiner Auffassung ganz unvermittelt sich etablierte. Es 
ist selbstverständlich keine Frage, wie antihistorisch eine solche Ar- 
schauung ist. Im allgemeinen merkt man in dem Werke stets den 
feinen Juristen, doch nicht selten ist ein Mangel an historischer Per 
spektive zu beobachten. M. BOGOSLOWSEN. 


Referate. 463 


. FERD. KOGLER (Privatdozent an der Universität Innsbruck), Die 
„egitimatio per rescriptum von Justinian bis zum Tode Karls IV. 
Weimar, Böhlau 1904. VIII und 120 Seiten. 3 M. 
RS., Beiträge zur Geschichte der Rezeption und der Symbolik der 
egitimatio per subsequens matrimonium. Weimar, Böhlau. 1904. 
.V und 78 Seiten. 2 M. (Sonderabdruck aus der Zeitschrift der 
javigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Band XXV, German. Abt.) 
Die Rezeption der beiden römischen Formen der Legitimation Un- 
jlicher hat sich in Deutschland unabhängig von der großen Rezeption 
‚, römischen Rechtes vollzogen; sie ist auch in Ländern erfolgt, die 
übrigen eine Rezeption des römischen Rechtes nicht erlebt haben, 
Nordfrankreich und, wenigstens teilweise, England. Gerade dieser 
jondere Weg, den beide Rechtsinstitute genommen haben, ermög- 
it für sie eine Feststellung des Rezeptionsvorganges im einzelnen, 
ıe zu dem Problem der Inkomplexu-Rezeption von vornherein Stel- 
g nehmen zu müssen. Unter diesen Umständen ist es beinahe ver- 
nderlich und wohl nur aus der Scheu vieler Germanisten vor der 
ıandlung von Rezeptionsproblemen, vielleicht auch aus dem Herein- 
elen von Fragen des kanonischen Rechtes erklärlich, daß bisher die 
reption der justinianischen Legitimationsformen noch keine völlig 
riedigende Darstellung gefunden hat. Um so freudiger ist es zu 
rüßen, daß der schon durch eine steuergeschichtliche Arbeit vor- 
haft bekannte Verfasser diese Lücken ausgefüllt und uns in den 
den obengenannten Schriften eine treffliche Darstellung der Rezep- 
ıwvorgänge geliefert hat. 
In beiden Abhandlungen schildert Verfasser den äußeren Verlauf 
Rezeption. Während die legitimatio per rescriptum, obwohl erst 
- der Mitte des 12. Jahrhunderts der Wissenschaft bekannt, schon 
t Innocenz IIL von den Päpsten gehandhabt wird und schon in der 
ten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Aragonien, Sizilien, endlich 
utschland als legitimatio per rescriptum regis ihren Einzug hält, 
. die auf dem dritten Lateranum 1179 von der Kirche anerkannte 
itimatio per subsequens matrimonium zwar in Italien und Frank- 
:h rasch Eingang gefunden, aber in Deutschland noch bis ins 
Jahrhundert hinein um ihre Anerkennung ringen müssen und in 
gland bis heute verschlossene Türen gefunden. 
Besondere Abschnitte widmet Verfasser der Übertragung der könig- 
en Legitimationsbefugnis, insbesondere in Verbindung mit dem 
lzgrafentitel, ferner dem Wegfall der Beschränkungen der legiti- 
tio per rescriptum, die das justinianische Recht kennt, weiter den 
rkungen der königlichen Legitimation. Dagegen nehmen in der 
handlung über die Legitimation durch nachfolgende Ehe die sym- 
ischen Formen, insbesondere die Verwendung des pallium in Eng- 
d, Frankreich und Italien und der Mantelsetzung in Deutschland, 
en besonders breiten Raum ein. Auf die einzelnen Ergebnisse hier 
zugehen, muß ich mir versagen. Nur soviel mag hervorgehoben 
rden, daß sie durchweg auf ein ausgebreitetes Quellenstudium sich 
inden und in klarer, sicherer und besonnener Weise gewonnen werden. 
Zu irgendwelchen erheblichen Ausstellungen habe ich keinen 


464 Referate. 


Anlaß gefunden. Die wichtigste Differenz betrifft die Stellung der 
Unehelichen im älteren deutschen Recht; da Verfasser aber in dieser 
Frage sich auf eine Wiedergabe der Ergebnisse BRUNNERS beschränkt 
und nicht eigene Forschung bieten will, verschiebe ich eine Erörterung 
dieses Punktes auf eine andere Gelegenheit. Andere Differenzen sind 
untergeordneter Natur. So möchte ich nicht wie Verfasser (legitimatio 
per rescriptum S. 46 f.) aus der Anfrage der sizilianischen Räte unter 
Friedrich II. darauf schließen, daß sich noch keine feste Legitimations- 
praxis herausgebildet habe. Über die Anwendbarkeit der legitimatio 
per rescriptum in den von Justinian zugelassenen Fällen besteht be 
den Räten kein Zweifel; nur dartiber wollen sie Auskunft haben, ob 
auch nach dem Tode des Erzeugers auf Antrag des Kindes legiti- 
miert werden darf. Nicht einverstanden bin ich mit dem, was Ver- 
fasser (ebenda S. 71 f.) über das Legitimationsrecht der deutschen 
Landesfürsten sagt. Gerade der österreichische Freiheitsbrief von 152, 
den Verfasser anführt, beweist, daß noch damals das Legitimations- 
recht kein allgemeines landesherrliches Recht war, sondern den öster- 
reichischen Erzherzögen nur kraft besonderer königlicher Gnade n- 
stand. Darum ist der einzige, nach Tirol gehörige Fall einer mitte- 
alterlichen Legitimation durch den Landesherrn wohl auf ein eber- 
solches besonderes, den Grafen von Tirol verliehenes königliche 
Privileg zurückzuführen, wie es 1327 die Hennegauer Grafen erhalten 
haben (vgl. ebenda 8. 65). Überhaupt können wir auch für die 
sonstigen aus dem römischen Recht stammenden oder von den italie 
nischen Juristen ausgebildeten königlichen Rechte die Beobachtung 
machen, daß sie, wenn überhaupt, dann erst in sehr später Zeit al: 
gemeine landesfürstliche Rechte geworden sind. Das gilt z. B. für die 
Volljährigkeitserklärung (vgl. Kraut, Vormundschaft II. 8. 86 f.), ferner 
für die Erteilung von Wappenbriefen (vgl. HAUPTMANN, Das Wappe- 
recht S. 164 ff., 167 ff., 180). 


Tübingen. SIEGFRIED RIETSCHEL. 





Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart. 


Jie älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren 
ınd Germanen und ihre sozialgeschichtliche Bedeutung. 
Von 
J. Peisker (Graz). 

(Schluß.) 


Wollen wir uns jetzt dem gegenseitigen Zahlenverhältnis der 
upane zu den Bauern zuwenden. Daß es im ganzen flüssig 
rar und durch fortgesetzte Kolonisierung immer mehr verschoben 
rurde, ist vorauszusetzen. Immerhin gab es jedoch ganze Gegenden, 
uf welchen für Neuanlagen kein Platz gewesen ist, jenes Zahlen- 
erhältnis somit konstant blieb: 

Das aus vier provinciae bestehende officium Tüffer weist 
ach dem Rationarium Stirie v. J. 1265 —1267 folgende Ziffern auf: 

I. Die provincia sub regimine schephonis Gyr- 
edei: | 

Die erste Gruppe umfaßt sieben Ortschaften mit 2,2,2,3,2,2,3 
‚auernhuben und mit je einem zweihubigen Zupan. Zusammen 
ählt die Gruppe 16 Bauernhuben nebst 14 Zupanenhuben, im 
anzen 30 Huben. Auf einen Zupan entfallen 2-29 Bauern, und 
6:66°/o des ausgetanen Bodens sind Zupanengut. 

Die zweite Gruppe umfaßt bloß zwei Ortschaften mit 5 und 2 
sauernhuben und mit je einem zweihubigen Zupan. Zusammen 
ählt die Gruppe 7 Bauernhuben nebst 4 Zupanenhuben, im 
anzen 11 Huben. Auf einen Zupan entfallen 3-5 Bauern, und 
636 °/o des ausgetanen Bodens sind Zupanengut. 

Die dritte Gruppe umfaßt sechs Ortschaften supano carentes, 
ind augenscheinlich spätere Kolonien und außerhalb der Zupen- 
erfassung, denn sie respzciunt (zur Burg) in Sibenekke!). 


1) Siehe oben S. 334. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 81 


466 J. Peisker 


Die vierte Gruppe umfaßt den ,locus“ Cvom mit 18 Bauen- 
huben und 5 zweihubigen Zupanen, zusammen 28 Huben. Auf 
einen Zupan entfallen 3-6 Bauern, und 35'71°/o des ausgetanen 
Bodens sind Zupanengut. 

II. Die provincia de Trevül, ex regimine Livtoldi 
schephonis umfaßt 26 Ortschaften, davon drei mit je 6, zwei 
mit je 5, sieben mit je 4, sechs mit je 3, sieben mit je 2 und 
eine mit 1 Bauernhube. In jeder der 26 Ortschaften saß en 
zweihubiger Zupan. Im ganzen zählt die provincia 89 Banen- 
huben nebst 52 Zupanenhuben, zusammen 141 Huben. Auf einen 
Zupan entfallen 3-42 Bauern, und 36:88 ‘/ des ausgetanen Bodens 
sind Zupanengaut !). 

Il. Die provincia apud aquam Schöma [ex regimine 
schephonis Jurizla] umfaßt 20 Ortschaften, von denen 6 
keinen Zupan hatten, außerhalb der Zupenverfassung standen. 
Von den übrigen Ortschaften umfaßte eine 10, zwei je 8, eine, 
drei je 6, drei je 5, drei je 4 und eine keine einzige Bauen- 
bube. In jeder der 14 Ortschaften saß ein zweihubiger 
Zupan?). Im ganzen zählt die provincia nach Abrechnung 
der Zupanlosen Ortschaften 78 Bauernhuben nebst 28 Zupaner- 
huben, zusammen 106 Huben. Auf einen Zupan entfallen 
557 Bauern, und 26°4°/o des ausgetanen Bodens sind Zı- 
panengut. 

IV. Die provincia deregimine schephonis Zaschiri 
umfaßt 29 Ortschaften, von denen 3 wüst lagen und weitere 8 
keinen Zupan hatten, außerhalb der Zupenverfassung standen. 


1) Rauce II. S. 129 (kollationiertes Exemplar der Grazer Landesbibli- 
thek). In schephonatu Livtoldi umfaßten die 26 Zupanendörfer richtig &, 
nicht 88 Bauernhuben, wie ich (Zeitschr. f. Soz.- u. Wirtschaftsgesch. Ÿ. 
S. 358, SAbdr. S. 120) irrtümlich berechnet habe. Dadurch verschiebt sic, 
wenn auch unmerklich, der Prozentsatz. Das Rationarium (Rauch IL 8. 1%) 
führt als Summa prescriptorum prediorum in Trevol Ixxxviij et j [= 88h] 4 
xxv supani. Wo bei der Praedienzahl der Fehler steckt, ist nicht zu € 
mitteln, dagegen ist die Berechnung der Zupane mit 25 richtig, nachdæ 
der 26. als sckepho nicht mitzählt, weil er als solcher nichts zinst. 

2) In der Summa prediorum iuxta Schomam (Rauch, S. 131) steht fälse- 
lich zviij Supani statt x, nachdem der 14. als schepho nicht zinst, daher 
nicht mitgezählt werden soll. | 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 467 


on den übrigen 18 Ortschaften umfaßte eine 8, drei je 6, eine 5, 
ei je 4, neun je 3, eine bloß 1 Bauernhube. In jeder der 18 
rtschaften saß ein zweihubiger Zupan'). Im ganzen zählt die 
ovincia nach Abrechnung der Zupanlosen Ortschaften 71 Bauern- 
ben nebst 36 Zupanenhuben, zusammen 107 Huben. Auf einen 
apan entfallen 3°94 Bauern, und 33°64°/o des ausgetanen Bodens 
ad Zupanengut. 

Im officium Marburg der Ort Pechsen (siehe oben 
349) umfaßte 40 Bauernhuben und 11 zweihubige Zupane, im 
ınzen 62 Huben. Auf einen Zupan entfallen 3:64 Bauern, und 
5-48°/o des ausgetanen Bodens sind Zupanengut. 

Die hier gewonnenen Ziffern geben folgende Übersicht: 





Amt | | 'Auf einen] Vom ausge- 
Tüffer. unane' Zupanen- Bauern- Im ganzeniZupan ent-|tanen Bnden 
pen huben huben Huben „allen ist Zupanen- 








Provinz auern gut 
2.29 46.66 °;n 
8.5 36.36 °% 
8.6 85.71 ‘, 
3.42 36.88 °/, 
557 | 264 % 
3.94 | 33.64 ° 
rt Pechsen | 11 22 40 62 | 3.64 85.48 °% 


Von diesen 7 Ortschaftsgruppen weisen drei annähernd, zwei 
ogar ganz gleichen Prozentsatz, 1:3°6, auf. Man sieht, es muß 
ier einmal eine zahlenmäßig gleiche Dislokation und Aufteilung 
er gesamten Bauernschaft unter die einzelnen Zupanenverbän de 
tattgefunden haben, denn von sich selbst hätte sich eine solche 
rleichmäßigkeit der Prozentsätze bei gleichzeitiger Ungleichmäßig- 


1) Trotzdem ist die Summe des schephonatus Zaschitz (RAuCH, S. 133) 
dt Supani xviiÿ unrichtig, weil einer davon, als schepho, nicht zinst, dem- 
ach abzuzählen is, — Rauch hat (S. 132) zwischen den Orten Sec. 
Voderis und Torischendorf ausgelassen: {em in quarto |!) Woderis iij predia 
f supanus. 


468 J. Peisker 


keit in den Einzelfällen nicht entwickeln können. Dieselbe 
Gleichmäßigkeit ist einmal gewiß bei allen Gruppen vorhanden 
gewesen, auch bei Gruppe 1 und 5; bei diesen hat sie sich jedoch 
mit der Zeit stärker als anderswo verschoben: bei Gruppe 1 durch 
Wüstungen, bei Gruppe 5 durch Neuanlagen. 

DieDislokation konnte daraufhin nur folgendermaßen stattfinden: 

Die deutsche Landnahme brachte die alte Zupanenherrlichkeit 
zu Falle, und der neue Machthaber schränkte, um so viel Land, als 
nur möglich, zu gewinnen, die Gebiete der vorgefundenen Be- 
völkerung hubenmäßig ein. Wie die slawische Bevölkerung bis 
dahin über das Land ausgebreitet war, darüber können wir auf 
dem Umwege über Böhmen Wesentliches ermitteln. Wir hörten 
nämlich von FREDEGAR: 

Chuni hiemandum annissingulisin Sclavos venie 
bant!), die Awaren nahmen alljährlich unter den Slawen ihr 
Winterquartiere. Den Sommer über waren sie demnach nicht 
unter den Slawen, das ist: dort, wo die Awaren mit ihren Herden 
den Sommer über weilten, befanden sich Slawen nicht. 

Der Nomade wintert mit seinen Herden in Niederungen und 
wandert im Frühjahr den Sommerweiden auf Gebirgen nach. Der 
Aware fand somit nur in den Niederungen slawische Bauern vor, 
während die Höhen seine ureigenste Domäne bildeten, wo er 
keinen Ackerbau zulief. Und richtig finden wir am Anfange 
der geschriebenen Geschichte bloß die niederen Gebiete Böhmens 
altbesiedelt, während der Gebirgskranz und auch die inneren Gt- 
birge eine Wildnis waren, die erst viel später und allmählich 
kolonisiert wurde. 

Die slawische Bauernschaft in den Niederungen Böhmen 
mußte sich nach den Bedürfnissen und Launen der awarischen 
Einleger einrichten, für sie wohl auch Wintervorräte an Ge 
treide und Heu den Sommer über aufspeichern, und richtig 
kommt gerade dort vielfach, wenn auch nicht so massenhaft, 
wie in Polabien, bei den Elbeslawen, das merkwürdige Runddorf, 
zugleich die einfachste, natürlichste Viehhürde?) vor. „In diesen 





1) FREDEGAR c. 48, siehe oben S. 296 f. 
2) Pläne und Bilder von Runddörfern bei MEITZEN I. S. 52, II. 466, 
Atlas, Übersichtskarte, III. 613 s. v. Runddörfer. 





| 
l 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 469 


tunddôrfern — erklärt MEITZEN I. 52 auf Grund seines reichen 
Materials — umgeben die Gehöfte stets einen runden oder ovalen, 
ırsprünglich nur durch einen einzigen Weg zugänglichen Platz, 
wf welchem das Vieh stehen und leicht abgeschlossen werden 
ann. Die Höfe und Giebelseiten der Wohnhäuser drängen sich 
ıach diesem Platze eng zusammen; hinter den Häusern aber breiten 
ich die nach außen mit hohen Bäumen bestandenen Gärten keil- 
Ormig aus und schließen mit einer das Ganze fast kreisförmig 
ımziehenden Hecke ab. Dieser Plan überwiegt im Westen, im 
ten Sorbenlande“ [wo gerade die Zupane am zahlreichsten vor- 
ommen|]. 

Auch das bis in die neueste Zeit reichende grundherrliche 
techt der Schaftrift im Altenburgischen, wie auch sonst in Ober- 
schsen und Schlesien, wonach die herrschaftlichen Herden die 
äuerlichen Brach- und Stoppelfelder beweideten, geht vielleicht 
ı seinen letzten Ursachen auf das einstige Kampieren der No- 
ıaden in den Bauerndörfern zurück. Damals nützte es den 
lätzen, die dadurch trefflich gedüngt, vielleicht zu permanenten, 
it dem Haken bearbeiteten Äckern wurden, während das neu- 
sitige Vorrecht der Schaftrift den abgeweideten Bauernfeldern 
en Pferch entzog und ihn den herrschaftlichen Grundstücken 
ausschließlich zuwandte !). 

Die Zupane Untersteiermarks können sich nicht anders ein- 
erichtet haben als die Awaren in Böhmen. Den Sommer über 
eweideten sie die Sulzbacher (Steiner oder Sanntaler) Alpen 
nd winterten inden Niederungen der Drau, wo, analog 
it Böhmen, die damaligen Wohnsitze der Bauern- 
chicht zu suchen sind. Diese Niederungen, besonders das 
raufeld, sind mit großen, nach Königshufen kunstvoll ver- 
ıessenen Kolonistendörfern bedeckt?) und wurden offenbar nach 


1) Vgl. LANGETHAL, Geschichte der teutschen Landwirthschaft. UI. Jena 
860, S. 317. — ScHMALZ, Erfahrungen im Gebiete der Landwirthschaft. III. 
ipzig 1817, 8. 288, 247. IV. 1820, S. 49. — KrüÜnrtz’ ökon.-techn. Ency- 
lopädie, 189. Teil. Berlin 1825, S. 252 f. 

2) Merrzen, II. S. 899, III. 416, Atlas, Anlage 198. — Levec, Pettauer 
tudien, in den Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien. 
3and 28 (1898), 2 (1899), 85 (19086). 


470 J. Peisker 


der deutschen Landnahme den Einheimischen entzogen!) die 
Zupane und die Bauern auf die höheren Lagen beschränkt und 
mit hubenmäßigen Landquoten abgefertigt. Dies war das Eir- 
fachste und auch das Richtigste, was der deutsche Machthaber tun 
konnte, um möglichst viel Boden für sich herauszuschlagen, ohne 
den Zupanen die bisherige und derzeit unersetzliche Wirtschafts 
form ganz unmöglich zu machen. Auf den Bergen und Hügeln 
konnte er sich nichts Zusammenhängendes holen, weil das Terrain 
zur Anlage von größeren Dörfern, wie sie damals den Deutschen 
geläufig war, nicht geeignet ist — hier sind bloß kleine Weile 
denkbar — und den Zupanen nicht so viel von der Sommerweide 
entzogen werden konnte. Relativ entbehrlicher waren dagegen den 
Zupanen nach Auflösung der großen Zupen (Weidereviere) in kleine 
Distrikte, Weiler, die Winterquartiere im Draufelde, welches zur 
Anlage größerer Dörfer förmlich einlud, trotzdem hier der Boden 
mit seiner Schotterunterlage weniger fruchtbar ist. Der Bauen- 
schaft war die Entziehung des Draufeldes noch weniger empfindlich, 
denn das Schwenden der Abhänge bot ihr ebensogute Brandäcker; 
ist ja jedes Geschwend, auch auf dem magersten Boden, für en- 
jahrigen Anbau gut genug; die Asche gewährt an sich allein eine 


1) Dasselbe hat LEVEC (a. a. O., Mitteilungen d. anthr. Ge. à 
Wien, XXV. S. 88) auch im Kremsmtinsterischen ermittelt: Herzog Tassib 
schenkte 777 dem Kloster decaniam Sclavorum [d. i. 10 hörige Slawenfamiben] 
cum opere fiscali seu tribulo iusto, quod nobis antea persolvi consueverant, ki 
omnes predictos Sclavos, quos sub illos actores sunt, qui vocantur Teliop d 
Sparuna, quos infrq ierminum manent, que coniuravit ille iopan, qui vost 
Physso, et conduxit per girum, illos nominantes Fater abbas et Arn presbytr d 
Chumperht iudex et Hleodro comes et Gaerperht iussi a summo principe Tassilm 
definire decreverunt et terminum posuerunt (Archiv für Heimatkunde wa 
FR. SCHUMI. I. Laibach 1883, S. 4). „Die Bestimmung — urteilt LEVEC -, 
daß die Dekanie fernerhin irfra terminum bleiben soll, ist ein deutlicher Hir- 
weis darauf, daß dies bisher nicht der Fall war, daß also eine Einengung 
ihres brennwirtschaftlichen Gebietes vorgenommen wurde. Man bediente sc 
dabei ganz offenbar der Form der Kundschaft und lieB durch den Supa 
eidlich bekräftigen, daß das der Dekanie angewiesene Land zu ihrem Unter 
halte vollauf genüge. Es scheint also, daß der Gesichtspunkt 
des unumgänglichen wirtschaftlichen Bedarfes für die Ord 
nung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der deutsches 
Landnahme maßgebend gewesen ist.“ 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 471 


treffliche Ernte, nur darf der Boden nicht naß und Überschwem- 
mungen gar zu ausgesetzt sein, und die Delogierung der Bauern- 
schaft aus dem Draufelde war auch mit keinen sonstigen Schwierig- 
keiten verbunden, weil eben der Bauer hier ohnedies keine 
ständigen, sondern bloß einjährige Äcker hatte und jährlich neue 
anlegen mußte’). Der frühere Anbau des Draufeldes zur Zeit 
der vollen Zupanenherrlichkeit war somit von der geringeren Boden- 
qualität ebenso unabhängig und unbeeinflußt wie die nachmalige 
Übertragung der Saaten in höhere Lagen infolge der deutschen 
Landnahme*). 


1) ,Um 1100 schenkt Graf Bernhard von Sponheim dem kärntnischen 
Kloster St. Paul in Marchia trans fluvium Dravva hoc sui iuris predium Ras- 
wei (= RoBwein), id est stabulariam curtim ... necnon et villam Huonoldisdorf 
(westl. v. Marburg) cum omnibus ad hec rite pertinentibus tam in prediis quam 
in mancipüs ... postmodum et his addendum [!], donec C hobae conpleantur non 
ed quantitatem dimensionis agrorum,sed pro numero curtilium 
atque degentium in villavirorum (Urkundenbuch des Herzogthums 
Steiermark, bearb. v. J. ZAHN, I. Graz 1875, S. 103). Eine höchst sonderbare 
Ausdrucksweise. Und ihre einfachste Erklärung ist durch die Annahme ge- 
geben, daß um diese Zeit die Betriebsform des Ackerbaues in diesen Gegen- 
den noch die einfache, ungemein primitive Brenn- oder Schwendwirtschaft 
war. Bei der Schwendwirtschaft, die ja in Untersteiermark stellenweise tief 
in unser [19.] Jahrhundert hinein betrieben wurde, ist von einer feststehenden 
und genau vermessenen Hufe, wie eine solche etwa bei der Dreifelderwirt- 
schaft zu konstatieren ist, keine Rede. Es gibt noch keine Hufe im tech- 
nischen Sinne des Wortes... Der Standort des Ackerlandes wechselt immer 
in bestimmten Zwischenräumen innerhalb eines einer Anzahl von Bauern- 
familien zugewiesenen Rodegebietes . ..“ LEVEC, a a. O. S. 189. 

Somit hat der deutsche Eroberer die nach der Landnahme den Slawen 
entsogenen Gebiete in den Ebenen und Flußtälern nicht sogleich fest 
besiedeln können, sondern noch jahrhundertelang in der althergebrachten, 
brennwirtschaftlichen Form nutzen lassen müssen. Die hufenmäßige 
Kolonisation erfolgte viel später, und zwar erst seit dem Jahre 985 (LEVEC, 
8. 163); dies darf uns jedoch nicht zu der Annahme verleiten, „daß diese 
Gegenden zur Zeit der [deutschen] Landnahme noch unbesiedelt waren‘ 
(LEvec, 8.85). Nein, sie waren besiedelt, wenn auch nicht fest, sondern mit 
fliegenden Dörfern, die den jeweiligen Schwenden Jahr für Jahr nachrückten. 

2) Daß Getreidebau auf Bergabhängen begonnen hat, nicht in [tiefen] 
Tälern, wird vielfach angenommen und mag am Ende richtig sein, nur soll 
man diese Hypothese nicht in historische Zeiten verpflanzen und mit der von 
Eouarp Hanx (Die Haustiere und ihre Beziehungen zur Wirtschaft des 


472 J. Peisker 


Zu diesem Zwecke zählte der Machthaber die vorhandenen 
Zupane einerseits und die Bauern andererseits ab, und es stellten 
sich dabei 3-6 mal so viele Bauern als Zupane heraus. Nach diesem 
Schlüssel verteilte er dann die Bauernschicht unter die einzelnes 
Zupanenverbände und wies jedem Verbande so viel Land za, 
daß auf jeden Bauer eine und auf jeden Zupan zwei Huben 
Landes entfielen. Es wurde dabei just der Schlüssel 1:3-6 an- 
gewendet, denn man findet dieses Verhältnis gerade bei den zwei 
so auffallenden, voneinander weit entfernten Zupanenverbänden vor: 

In loco Cvom sunt v supani ... Sub eisdem supanis sunt 
xvti] predia = 1:3'0. 

In Pechsen xl predia et xj supani = I:3°04. 

In loco Cvom teilte der deutsche Machthaber dem Verbande 


Menschen. Leipzig 1896, S. 884 f., 398 ff. 410 — Das Alter der wirt 
schaftlichen Kultur. Heidelberg 1905, S. 4f.) abgetanen Theorie von dem 
Hirtentum als angeblicher Vorstufe des Ackerbaues verknüpfen, denn die 
Entstehung des Ackerbaues ist von der vermeintlichen Hirtenstufe ah 
Entwicklungsstadiums der Menschheit gänzlich unabhängig; der Ackerbau 
entstand nicht dadurch, daß um ihre Herden gekommene Hirten sich der 
Bodenbestellung zuwenden mußten, sondern er entwickelte eich aus dem Hack- 
baue, und die ersten Bebauer waren keine gewesenen Hirten, sondern Früchte 
sammler. Daß verarmte Hirten zur Bodenbestellung Zuflucht nehmen, s 
die benachbarten oder unterjochten Bauern nachahmend, ist eine Tatsache 
für sich, die mit der Entstehung des Ackerbaues nichts zu schaffen hat 
Während nun der Ursprung des Ackerbaues allenfalls auf [mäßigen, Über 
schwemmungen nicht sehr ausgesetzten] Höhen zu suchen ist, so kann daraus 
nicht gefolgert werden, daß jedes Volk nach jeder Landnahme zuerst die 
Höhen zu bestellen anfing. Diese Folgerung wurde — auch von mir — de 
durch gestützt, daß namentlich in vielen Ländern Mitteleuropas auch hobe 
Gebirge bis zu den Gipfeln Spuren von Ackerbeeten zeigen. Diese Spurea 
hängen jedoch mit dem ersten Anbau nicht zusammen, besonders dort nicht, 
wo die felsige Unterlage unter der dünnen Humusschicht von der Pfug- 
schar angefurcht ist, denn die einjährige Brandwirtschaft kennt überhaupt 
keinen Pflug und auch keine Beete, welche Jabrtausende überdauern würden. 
Solche Beete mit pfluggefurchter Steinunterlage sind demnach Spuren nicht 
eines primitiven Ackerbaues, sondern einer intensiven, mit Düngung ver 
bundenen und durch ungeheure Übervölkerung hervorgerufenen vorgermaai 
schen, also vorhistorischen Bestellung permanenter Äcker, welche intensire 
Bestellung die Germanen der großen Völkerwanderung jedenfalls nicht fort 
setzten, weil sie bloß einjährige Saatfelder kannten und dazu weder st 
pflügen, noch zu düngen brauchten. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 473 


ler 5 Zupane und den ihnen zugewiesenen 18 Bauern eine Fläche 
m Ausmaße von 28 Huben ab und dementsprechend in Pechsen 
lem Verbande der 11 Zupane und den ihnen zugesprochenen 
O0 Bauern 62 Huben Landes. Dasselbe Verhältnis wurde auch 
ki jedem der übrigen Zupanenverbände eingehalten. Das Huben- 
naß war nicht allerorten gleich, wie die Berechnungen der ein- 
einen Ortsmarken ergeben, es wurde dabei augenscheinlich die 
3odengüte berücksichtigt. Weiter kümmerte sich der Machthaber 
im die Verbände nicht, es ihrer Willkür überlassend, wie sie 
ich auf den ihnen angewiesenen Gebieten einrichten, unter sich 
lie ihnen zugesprochene Bauernzahl teilen oder ungeteilt bleiben. 
m Amte Lichtenwald lernten wir zwei Ortschaften kennen, Prunne 
nd Schriemez inferior, wo je zwei Zupane auf einer ungeteilten 
‚upa wirtschafteten, und so war es möglicherweise auch in loco 
'vom mit den 5, in Pechsen mit den 11 Zupanen. 

Durch die Dislokation beabsichtigte jedoch der Machthaber 
eineswegs, die einzelnen Zupane untereinander gleichzustellen, 
enn tatsächlich bestand in ihrer Ausstattung mit Bauern die 
rößte Mannigfaltigkeit; der Deutsche hatte eben gar kein Inter- 
se daran, dem reicheren Zupan etwas zu nehmen, um es dem 
meren zu überweisen. Offenbar hatte der einzelne Zu- 
an zur Zeit der deutschen Eroberung überhaupt 
ein Sondereigen an Hörigen, denn wäre er für sich 
rundherr gewesen, dann hätte bei der Neuordnung das gleich- 
äßige Verhältnis von 1:3°6 nicht herauskommen können. Dies 
2ckt sich genau mit der Lebensweise der Nomaden, welche in 
leineren Familienverbänden, Horden, auf weiten Strecken mit 
ren Herden herumwandern, heute diesen, morgen jenen Bauern- 
eiler heimsuchend, so daß sich ein Abhängigkeitsverhältnis von 
erson zu Person gar nicht entwickeln kann. Weidet die Herde 
en Platz ab, dann zieht sie weiter. Sofort kann ihr eine zweite 
erde nicht nachrücken, denn der abgegraste Platz muß sich 
üher erholen. Die Natur selbst erzwingt sich hier eine gewisse 
:hlagmäßige Schonung, und eine Art Behörde, magistratus, muß 
arüber irgendwie wachen, daß die freien Nomaden rechtzeitig 
nd an den bestimmten Plätzen immer Weide finden, ohne ein- 
nder zu beeinträchtigen. Das Interesse der hörigen Bauernschaft 


474 J. Peisker 


kommt dabei erst in zweiter Reihe in Betracht und nur, soweit dadurch 
das Interesse der Nomaden nicht geschädigt, vielmehr gefördert 
wird. Wacht kein magistratus darüber, dann ist der Bauer 
schlecht daran, und die einzelnen Nomadenhorden liegen sich 
beständig in den Haaren’). 

Diese Lebensweise des Nomaden erklärt es, warum der unter- 
steirische Bauer vor der deutschen Landnahme keinen persön- 
lichen Grundherrn hatte, haben konnte: Die Gesamtheit der 
Bauernschaft hatte eben die Gesamtheit der Zupane zu ihrem 
Grundherrn. Dadurch erklärt sich auch, wieso der deutsche 
Machthaber die Bauernschaft nach einem und demselben, gemein- 
samen Schlüssel dislozieren konnte; hätte er persönliche 
Grundherren vorgefunden, dann hätte er nichts zu dislozierer 
brauchen, die Bestiftung des Zupan mit zwei und dessen Banen 
mit je einer Hube unmittelbar vornehmen können; dies ist jedoch 
nicht geschehen, denn der ermittelte Prozentsatz von 1 : 3°6 ergibt 
eine peinlich genaue Gleichmäßigkeit in der Verteilung der Bauen- 
schaft an die einzelnen Zupanenverbände. 

Nachdem nun diese Gleichmäßigkeit des Prozentsatzes 1:36 
über jeden Zweifel erhaben ist, wie kommt es, daß dann inner- 
halb eines jeden Zupanenverbandes die einzelnen Zupane gar 
so ungleichmäßig mit Bauern beteilt sind? 

Darauf ist nur Eine Antwort denkbar: 

Schafwanderhirten leben den Sommer über in kleinen Lagen, 
Horden*), oft nur zu 3—5, höchstens zu 10—12 Jurten, Zelten‘) 
weil größere Verbände mit dem vielen Vieh den Platz schneller 
abweiden würden, als man bei der Wanderung vorwärtskommer 


















1) Ein Teil der Balkanrumänen, Wlachen, führt bekanntlich bis heute 
ein reines Schafwanderhirtenleben, im Sommer auf den Bergen, im Winter 
auf slawischen oder griechischen Bauerndorfmarken. Das Gesetzbuch des 
serbischen Zaren Stephan Dusan vom Jahre 1849 bestimmt: Wo ein Wick 
oder Albaneser auf einer Dorfmark [selo] lagert, auf derselben Dorfmark sell cs 
zweiter, der nach ihnen wandert, nicht lagern. Kampiert er da gewaltsem, dam 
soll er zahlen die potka (Raufhandel, dann Buße dafür, im Betrage von 100 Per 
per) und was er abgeweidet hat. — 3aKolumxk Crebana ]ymana. Ha 50% 
nanao Cr. HoBakoBuh. Y Beorpary 1898 $ 82 S. 196. 

2) Turkotatarisch sr, Lager. VÄMBERY, Primitive Cultur, 8. 19. 

3) HILDEBRAND, 8. 80. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 475 


kann. Die Horden sind nicht beliebig zusammengewürfelt, son- 
dern blutsverwandt, es sind cognationes, nach Genealogien ver- 
zweigt. Den Vater beerben nur die Söhne, und zwar gleichmäßig. 
Soll etwas geteilt werden, was bisher der ganzen Horde gehört 
hatte oder ihr zugefallen ist, so kann bei der Teilung gar nichts 
anderes als die Stufe der Parentel maßgebend sein, und wenn 
ein Mann mehr Söhne hat als sein Bruder, dann entfällt von dem 
Großvatergut auf jeden seiner Söhne ein geringeres Erbe als auf 
jeden dieser Neffen. 

Demgemäß werden auch die unsteirischen Zupanenhorden 
nicht sehr volkreich gewesen sein, wie die oben S. 465 ff. ermittelte 
Prozentierung unter den einzelnen Verbänden zeigt. In loco Cvom 
sind es 5, in Pechsen 11 Zupane; dagegen ist der Verband von 
26 Zupanen der zweiten Provinz des Amtes Tüffer für Eine Horde 
viel zu hoch und dürfte mebrere einstige Horden umfaßt haben. 

Bei der Verteilung der gesamten Bauernschaft der ganzen 
einstigen, ungeteilten großen Zupa wurden, wie schon wiederholt 
bemerkt, alle Horden von dem deutschen Machthaber ganz gleich- 
mäßig bedacht, und einer jeden fielen dabei 3‘6mal so viele 
Bauern zu, als Zupane in der Horde derzeit waren, z. B. in loco 
Cvom den 5 Zupanen 18 Bauern, und diesen 23 Familien wur- 
den dann 28 Huben Landes zugemessen, wovon auf jeden Zupan 
eine Quote von zwei, auf jeden Bauer eine von einer Hube 
entfiel. Weiter kümmerte sich der Machthaber um die Leute 
nicht, und es stand den 5 Zupanen frei, diesen Komplex von 
28 Huben als ungeteiltes Weide- und Brandackerrevier more 
paterno zu nutzen oder ihn mitsamt der Bauernschaft unter sich 
zu teilen. Welche von den beiden Eventualitäten die 5 Zupane 
in loco Cvom ausführten, ist nicht sicher, aber bei den meisten 
übrigen Verbänden fand eine reine Teilung unter die einzelnen 
Zupane statt. Diese Teilung der den Zupanenverbänden gleich- 
mäßig zugewiesenen Bauern unter die einzelnen Zupane fiel derart 
ungleichmäßig aus, daß z. B. von den 26 Zupanen der zweiten, 
vermutlich mehrere einstige Horden bergenden provincia des 
officium Tüffer, jener ex regimine Livtoldi schephonis, drei Zupane 
je 6, zwei je 5, sieben je 4, sechs je 3, sieben je 2 und ein 
Zupan 1 Bauer erhielt. Man würde hier zwei Zupane mit je 


476 J. Peisker 


einem Bauer erwarten, als Erben eines ZweibauernZupan; der 
eine von den zweien konnte sich offenbar nicht halten, sein Aı- 
wesen verödete, wie viele andere, im Rationarium vermerkte 
Wüstungen. 

Nun wolle man nachdenken, ob hier ein anderer Teilungs- 
modus denkbar ist als der nach den Stufen der Parentel; ich 
weiß keinen. 

Dort, wo die Teilung der zugesprochenen Bauern und der 
hubenmäßig angewiesenen Bodenfläche unter die einzelnen Zu- 
pane rein durchgeführt worden ist, bildete jeder Zupan mit seinen 
Bauern zusammen eine wirtschaftliche Einheit, deren Gebiet eine 
selbständige Zupa als Weide- und Brandackerrevier ausmachte 
und ob der Beschränktheit des Raumes auf die Dauer nur be 
strengster Schlagmäligkeit mit Erfolg bewirtschaftet werden konnte. 

Die Brandackerwirtschaft haben wir bereits ausfülhr- 
lich besprochen. Ihr Erfolg ist bei der ersten Saat qualitatir 
glänzend, das Brandgetreide ist das denkbar beste, aber für 
einen weiteren Anbau quantitativ von der Bodengüte abhängig 
und auch auf einem und demselben Boden nicht dauernd gleich. 
Wird der Boden zu stark genützt, dann läßt seine Ertragr 
fähigkeit nach und versagt schließlich manchenorts gänzlich. 
Und wie diese steigt und wie sie sinkt, sinkt und steigt — im 
umgekehrten Verhältnis — die Viehzucht, welche sich die durch 
den Raubbau wüst gewordenen Plätze zugute macht. Es gedeiht 
somit auch die Viehzucht nicht allerorten gleich und schlägt über- 
dies an einem Orte zugunsten der Schafzucht, an einem andem 
zugunsten der Schweinezucht aus. Über die Rinderzucht ver- 
sagen die Quellen jede Auskunft, herdenweise wurde sie jeden- 
falls nicht betrieben. 

Die Bewirtschaftung der Zupa als Weide- und Brandacker- 
revier bildete den Rest der einstigen Zupanenherrlichkeit; hier 
waltete der OrtsZupan zu eigenem Nutzen und hatte dabei selbst 
verständlich auch gewisse politische und richterliche Funktionen: 
er war unter der deutschen Herrschaft zugleich grundherrlicher 
Schulze. 

Schon sein doppelter Anteil an Grund und Boden verschaffte 
ihm ein großes Übergewicht über seine wenig zahlreichen Hübner, 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 477 


nd die Gewalt, die er als Ordner des wirtschaftlichen Turnus 
a ganzen Ortsgebiete handhabte, dürfte unter Umständen noch 
rückender gewesen sein, als wir uns vorzustellen vermögen, 
enn es bildete hier nicht die Hube, sondern der ganze Ort die 
leinste wirtschaftliche Einheit: gemeinsam wurde gerodet, ge- 
‘bwendet und, wo es der Boden zuließ, mit gemeinsamem 
-atrum geackert, gemeinsam einerseits das Gereute gezäunt, 
ıdererseits die Schafherden geweidet. Hier war die Hube nicht 
as, was man unter einer solchen etwa bei der Dreifelderwirt- 
;haft versteht: keine Gewann-, keine Wald-, keine Marschhufe; 
ier war die Gesamtheit der Ortsäcker nichts anderes als ein 
lock fliegender Quoten, welche alljährlich auf der einen Seite 
ch in den Wald vorwärtsschoben und auf der anderen Schlag 
ir Schlag in ihm wieder aufgingen !). 

Dieses Walten des Zupan zu eigenem Nutzen war unter der 
eutschen Herrschaft nicht mehr willkürlich; wir sehen da je 
ine Anzahl von OrtsZupen in eine provincia vereinigt: die eine 
it 14, die zweite mit 26, die dritte mit 14, die vierte mit 18 
ırtszupen. An der Spitze jeder provincia war, ad personam, einer 
er Ortszupane als schepho, ein wirtschaftliches Verwaltungs- 
rgan, welchem ein preco zur Verfügung stand. Vier solche 
rovinciae bildeten die Herrschaft Tüffer unter der Verwaltung 
ines officialis, Amtmannes ?). 

Nach der in Krain üblichen Terminologie zu schließen, war 
er oflicialis der Herrschaft Tüffer zugleich Richter des ganzen 
tebietes, die vier schephones, Schaffer, zugleich seine sententiarii, 
frteiler, und die vier precones zugleich Schergen*). — 

Anders Levec: „Über die Dorfverwaltung im Draufelde [wozu die Herr- 


:haft Tüffer nicht gehört] besitzen wir aus dieser Zeit [XIII. Jahrhundert) 
ur wenig Nachrichten. An der Spitze der einzelnen Dörfer steht [auch hier] 


1) PEISKER, a. a. O. S. 370 [132] f. 

2) Ausführlicher: PEISKER, a. a. O. S. 378 [140] ff. 

3) 1266: Ulrich Herzog in Kärnten und Herr zu Krain... unsern lant- 
ichtern, marchtrichtern, schaffern und schergen . ... 

...sensern richtern, urteilern, schergen und ambtleuten ... 

... 3udicidbus, preconibus, sententiariis, officialibus . .. . 

Urkunden- und Regestenbuch des Herzogtums Krain. Heraus- 
regeben von SCHUMI, II. Laibach 1884 und 1887, Nr. 232, 220, 219. 


478 J. Peisker 


gewöhnlich ein Supan, der regelmäßig eine zinsfreie[‘)] Doppelhufe 
innehat... An drei Stellen wird uns iberdies ein Schepho erwähnt: 

In Chressendorf xix predia, de quibus Georius schepho habet iij antiqu 
sure et preco habet j. Aliorum vero xvj census cuiuslibet soluit ... 

Item in Maiori Prechpbhel xxvij predia, de quibus supanus habet ij à 
schepfoi. Alia ut supra. 

Item in Christantstorf sunt x predia, de quibus supanus habet ij. Census 
vero aliorum viij pro quolibet mellis i quartale. Item tota villa dat num porcum 
vel x denarios, agnum vel viij denarios, que tollit schepho, ut asserii, 
suo iure (RAUCH, a. a. O. 8. 140 f.).“ 

„Ich glaube nicht fehlzugehen — setzt LEVEC fort —, wenn ich zunächst 
feststelle, daß der Schepho Beamte ist und daß ihm als solchen gewisse 
Naturaleinkünfte zustehen. Er erscheint neben dem Supan, ist also mit 
diesem nicht zu identifizieren. Nur stellenweise scheint das Amt eines Schepho 
and des Supans in einer Hand vereinigt gewesen zu sein. Auf diese Weise 
sind wohl die drei zinsfreien Hufen des Georius Schepho in Chressendorf 
zu erklären; zur Doppelhufe des Supans ist hier als dritte die zinsfreie Hufe 
des Schepho dazugetreten. Als Regel wird also wohl anzunehmen sein, dad 
beide Ämter, wie in Prechbüchel und Christantstorf, getrennt warez 
und dem Schepho außer Naturaleinkünften als Entgelt für 
seine amtliche Mühewaltung auch der Besitzeiner zinsfreien 
Hufe zugewiesen war.“ 








1) Dies ist nicht richtig: Zi: sunt proventus prediorum in Marchgurch: 
Primo in Superiori Cirkents xij predia, de quibus supanus habet ij. Aliorum vere 
x cuiuslibet census solvit... Item supanuseiusdem ville dat de suo iure 
offieiali i modium tritici, agnum vel vj denarios, porcum vel xx denaries. 
Jtem magistro coquine solvit panem i et pullum et i gorz avene... Item 
in media Zurkents sunt viiij predia, de quibus supanus habet ij. Alia vero sotosat 
ut supra. Item in inferiori Zirkentz sunt xv predia, de quibus supanus habet ij... 
Census vero aliorum . .. cuiuslibet solvit in omni iure ut supra. Cuius sie vilk 
summa habebit...et de iure officialis... Hec autem predicta omnia preter 
ius supani, in quo specialiter servit officiali [offenbar so wie ia 
Superiori Cirkentz]. em in inferiori Wikoyn sunt xviij predia, de quibus supanus 
habet ij... Aliorum vero...eensus... Hec autem omnia preter ius supani, 
in quo specialiter servit officiali. Item in inferiori Gostyray sunt zii 
predia, de quibus habet supanus ij. Alia vero xij cuiuslibet census solvit ut supri... 
Hec omnia preter ius supani [in quo specialiter] solvit offr 
ciali (Rauch, D. S. 136 ff.). 

Dies galt offenbar für alle weiteren Dörfer des ganzen Amtes und wurde 
der Kürze wegen nicht mehr bei jedem einzelnen Orte angeführt, sonder 
bloß die Abweichung vermerkt: /em in Bobrisach x predia, de quibus supanus 
habet ij et servit principis coquine (a. a. O. S. 143). 

Der Zupan zinste somit tatsächlich, wenn auch sein Zins nicht 
dem Grundherrn, sondern dessen Officialis zugute kam. 


| 
| 
| 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren ete. 479 


„Es fragt sich nur, was für ein Amt der Schepho bekleidete. Die Be- 
zeichnung als solche weist auf einen richterlichen Beamten, und in der 
Tat hat auch WERUNSKY, Österreichische Reichs- und Rechtsgeschichte S. 287, 
ihn mit dem Vollstreckungsbeamten des Landrichters, dem Schergen (freco) 
identifiziert und den Titel Schepho aus einer Rügefunktion des Schergen zu 
erklären versucht... So bestechend auch diese Erklärung auf den ersten 
Blick erscheinen mag, so muß sie schon aus dem Grunde abgelehnt werden, 
weil Precones neben dem Schepho selbständig erscheinen (vgl. die Angabe 
über Chressendorf). Dabei ist nun zu beachten, daß dort, wo dies der Fall 
ist, der Scherge ein geringeres Maß an Grundbesitz erhält als der 
Schepho. Daraus läßt sich schließen, daß dieser im Beamtenorganismus des 
Landgerichtes einen höheren Rang eingenommen habe, d. h. wir haben 
im Schepho wohl den Nachrichter (subiudex), ein dem Landrichter 
untergeordnetes richterliches Organ, zu sehen (dazu v. LuscHın, Geschichte 
des älteren Gerichtswesens in Österreich S. 127).“ 

„Einen anderen Charakter scheint der Schepho im Amte Tüffer zu 
haben ... Das Amt eines Schepho wurde [hier] stets durch einen Supan 
bekleidet. PEISKER (a. a. O. S. 381, im SAbdr. 143) vermutet, daß Schepho 
hier ‚eine nicht ganz glückliche Übersetzung des slawischen Ausdruckes‘ für 
die leitende wirtschaftlich-administrative Würde (v/adika) im ehemaligen 
Weiderevier, der Zupa, sei... Meines Erachtens ist die Erklärung PEISKERS 
jedoch verfehlt. Deutet der Ausdruck selbst, wie auch PEISKER zugeben 
mu, auf einen richterlichen Beamten, so ist die enge stilistische Parallele 
von schephones et precones gewiß zu beachten. Sie läßt auch auf sachliche 
Zusammengehörigkeit beider Ämter schließen. Nicht auf der wirtschaftlichen, 
sondern auf der richterlichen Tätigkeit des Schepho liegt der Hauptton. 
Aus der Tatsache, daß in Tüffer regelmäßig die Schephones Supane waren, 
darf für den Charakter des Amtes nichts gefolgert werden, denn auch zum 
Amte der Precones werden — wenn auch nicht immer — Supane genommen. 
Ebenso ist es unrichtig, daß die Schephonate nur nach der Person des Schepho 
benannt werden (vgl. die Ausdrucksweise /rovincia de Trevül u. 8. w. bei 
PFISKER a. a. O. S. 379, im SAbdr. S. 141)... Auch ist es methodisch 
verfehlt, wenn PEISKER zur Erklärung des ‚Schepho‘ krainische Urkunden 
beranzieht, die Angaben des Rationariums über Schephones im Amte Marburg 
aber ganz außer acht läßt. So dürfte denn meines Erachtens auch der 
Tüfferer Schepho zunächst ein richterliches Organ, der sogenannte Nachrichter, 
gewesen sein. Ebenso, wie stellenweise dem Landrichter selbst, sind auch 
ihm daneben Funktionen der wirtschaftlichen Verwaltung übertragen worden. 
Daher, von der wirtschaftlichen Seite seines Amtes, stammt auch sein Amts- 
bezirk, dessen Vorhandensein PEISKER bewogen hat, ungerechtfertigterweise 
von ‚in der Rechtsgeschichte des deutschen Volkes ganz unerhörten Dingen‘ 
zu sprechen und den Schephonat für eine ‚dem dentschen Wesen wildfremde 
Institution‘ zu erklären“ '). 


1) Levxc, a. a. 0. S. 164 fl. 


480 J. Peisker 


Diesen Ausführungen kann ich nicht beitreten. 

Zunächst über das Amt Tüffer: LEVEC stimmt mir bei, daß der Schepho 
sowohl ein richterlicher als auch ein wirtschaftlicher Verwaltungsbeamter 
war, und nur in der Frage gehen wir auseinander, welche von den beiden 
die Hauptfunktion sei. 

Ich halte die wirtschaftliche Verwaltung als die Hauptfunktion 
des Schepho. Dazu führt mich schon der Wortlaut des Rationarium 
Stirie vom Jahre 1265 und des Liber predialis von Rann und Lichter- 
wald vom Jahre 1809. Im Rationarium lesen wir: 

Hic reperiuntur predia officii de Tyuer... 
[7.] [tem in Scheyr ij predia, ibidem schepho Tyrridei (1) ij predis, & 
quibus nichil solvit.., 

Hec predicta sunt sub regimine schephonis Gyrredei, quorum 
summa est Ixxxxiiij [1], de quibus xliij respiciunt in Sibenekke et v su- 
pani, aliarum supanorum est numerus xj [!]. 

Summa tritici de schephonatu Gyrdei xxxviijÿ mod... 
[1Z] Item de eodem officio in Tyuer ex regimine Livtoldi schephonis 
subscripta predia discernuntur, videlicet de provincia de Trees! 
(Bach Trifail sw. v. Steinbrück)... 
Summa prescriptorum prediorum in Trevol lzxxviij et xxv supani... 
[LIL] Item apud aguam que dicitur Schoma... 

Item in Weidiz vj predia. Ibidem habet schepho ij predia, de gwibus 
nichil solvit ... 

Summa prediorum iuxta Schôma cij predia et xviij [!] supani... 

Diese provincia war ex regimine schephonis Jurizla, laut einer. 
Urkunde vom J. 1279: „... Ztem in Tyuer redditus trecentarum marcarum à 
officio quatuor schepfonum, in officio schephonis Gerdei, in officio schephe 
nis Leutoldi, in officio schephonis Jurisla, in officio schephonit 
Zaschiz. In his vero quatuor officiis sunt nobis assignate quingente vigint dl 
quatuor huebae cum dimidia exceptis extractis, inter quas sunt supani 
centum et duo‘), 

[ZV.] Hec sunt predia de regimine schephonis Zaschirs... 

Item in Pirch vj predia. Ibidem habet schepho duo, de quibus nickl 
solvit ... 

Summa illorum prediorum c et vij [1], et supani xviij. 

Summa vero totalis prediorum officii in Tyuer quingenti et xxix (xx!) 
et À, de quibus xj redacta sunt in octo sweigas. 

Summa vero totalis istorum supanorum c et ij. 





1) Original im Wiener Staatsarchive. Nach der Abschrift des steier 
märkischen Landesarchives zu Graz. Schlecht abgedruckt bei Lambacher, 
Österr. Interregnum. Wien 1773. Anhang, S. 177, nach Herrgott, Num 
motheca principum Austriae, pars I. tomi IL Monumentorum Aug. Domus 
Austriacae. Friburgi Br. 1752, S. 252. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 481 


Summa vero totalis tritici ceclij mod. et iij mensur ..., de quibus sche- 
phones et precones recipiunt viij mod. tritici et avene ix mod. 
et ij mensur., de porcis viij, oves vii). 
er predialis urborie ecclesie Salzburgensis in Rayn et 
Lihtenwalde conscr. ... 1309: 
Et primo in officio Rayn... 
ossissowicz fuerunt hube x, que per aquam sunt destructe. Ibidem residet 
Adelpreht schepho. Item duo coloni ibidem de duabus hubis serviunt 
sure medio. 
ltenburch fuerunt quondam hube x, quarum magna pars destructa est per aquam. 
Harum suppanus Radona habet ij, qui est preco et nichil servit. 
Officium in Liehtenwalde. 
wperiori Welich sunt hube viij pleno iure, quarum schepho suppanus 
habet ij pro iure suo et nichil servit... 
Lapide sunt 'hube üiij... quarum suppanus habet ii... Item preco 
hatet hubam j itidem pro iure suo et nichil servit. 
Das officium Tüffer zerfällt in vier provinciae, an deren Spitze stets je ein 
zupan als Schepho steht. Nach ihm wird im Rationarium in drei Fällen 
e provincia benannt; in einem Falle steht zwar sein Name nicht, die provincia 
| bloß nach dem Flusse Sann angeführt; dies hat jedoch nichts zu be- 
en, es ist eine bloße Unterlassung des Schreibers, wie die von mir an- 
ihrte Urkunde vom Jahre 1279 beweist. Da nun im ganzen Amte Tüfier 
provincia nach dem Namen des jeweiligen Schepho — eines der Orts- 
ıne —- angeführt wird, so folgt daraus, daß das Amt eines Schepho nicht 
inen bestimmten Ort und ein bestimmtes Dienstgut gebunden ist, sondern nach 
Tode seines Trägers an einen beliebigen OrtsZupan der provincia über- 
en wird. Dasselbe ist auch für die Ämter Rann und Lichtenwald anzunehmen. 
Im Amte Tüffer heißt es: sudregimine schephonis Gyrredei ; ex regimine 
oldi schephonis; de regimine schephonis Zaschirz, wäre der Schepho vor- 
gend Richter, dann wäre statt de regimine wohl ein anderer Aus- 
k. z. B. de iudicionatu, zu erwarten. Der Ausdruck de regimine 
t schon allein auf einen wirtschaftlichen Verwaltungsbeamten hin, 
t aber auf einen, der vorwiegend Richter wäre; daß er auch das letztere 
gewesen ist, darüber sind wir alle einig. 
Sub regimine schephonis Gyrredei standen 94 Bauernhuben (predia) und 
fupane; sub regimine Livtoldi schephonis 88 predia und 25 Zupane; [sub 
mine] schephonis [Jurizla] 102 predia und 18 Zupane; sub regimine 
phonis Zaschirz 107 predia und 18 Zupane. Davon sind jedoch die 
ia der „upanlosen Ortschaften, der s#fano carentes, als später hinzu- 
etener Neuanlagen abzuzählen, und zwar in der I. Provinz 44, in der 
Provinz 24, in der IV. Provinz 39. Dies ergibt dann, nach Richtig- 
ung der fehlerhaften Schlußrechnung des Rationariums'): 


1) Siehe oben S. 480. 
ferteljabrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgoschichte. III. 82 


482 J. Peisker 


U: „ HH nn 89 » 
I:13 „ „MM. 5» 4» 3 rn n 
IV:17 „ Be à Hy 71 » 


Ich frage: Wäre für eine so geringe Bauernzahl einer provincia je ein 
besonderer Richter vonnöten? Gewiss nicht, wohl aber ein Organ, welches 
die den Zupanen und deren Bauern auferlegten Zinsungen eintrieb und an 
den officialis des ganzen Amtes Tüffer abführte. Somit bleibt meine ursprüng- 
liche Erklärung aufrecht: Der Schepho ist ein wirtschaftlicher 
Verwaltungsbeamter, zugleich mit richterlichen Funktionen 
als sententiarius. 

Die sozialen Zustände des Amtes Tüffer mit den vielen Zupanen stehen im 
Rationarium vereinzelt da; sie lassen sich mit den Zuständen gar nicht ver- 
gleichen, wie sie namentlich auf dem Marburger [und Pettauer] Draufelde vor- 
kommen, dessen durchwegs große Dörfer viel später, erst unter der deutschen 
Herrschaft (seit 985) '), angelegt worden sind. Von der Organisation des Amtes 
Marburg habe ich demnach bei meiner Analyse des Amtes Tüffer mit vollem 
Rechte abgesehen, ja absehen müssen. Dagegen erscheinen in gewissen 
Gegenden des benachbarten Krain die Zupane ebenso massenhaft; Levec 
führt ja selbst (siehe oben S. 833 f.) zwei Dörfer in Krain (Holaren und die 
villa Vitigos) an, in denen ebenso je zwei Zupane vorkommen, wie in Pranse 
und Schriemez inferior des Amtes Rann, in der unmittelbaren Nachbarschaft 
von Tüffer (siehe oben $. 348 f). Die Krainer Urkunden vom Jahre 1256, die 
ich heranziehe, betreffen das ganze damalige Land Krain, die Stellen: sas: 
lantrichtern, marchtrichtern, schaffern und schergen. — unsern richtern, 
urteilern, schergen und ambtleuten. — iudicibus, preconibus, sententiariis,off- 
cialibus beziehen sich demnach mit auch auf diese alten Zupanengebiete. Also 
habe ich mit demselben Rechte, mit welchem ich von den späten Kolonien 
auf dem Draufelde im Amte Marburg absah, diese Krainer Urkunden heran 
gezogen und auf die wahrscheinliche Gleichheit der Sckepkones in Tüffer und 
Rann-Lichtenwald mit den Krainer Schafern und Urteilern (sententiarü) hin 
gewiesen. 

Jetzt noch ein Wort über die schephones des Amtes Marburg selbst 
(Rauch II. 8. 136 ff... An der Spitze des Amtes stand auch hier ein offr 
cialis, und sein Amtsbezirk zerfiel in zwei Schephonate. Die Stelle 
des Rationariums, die sich darauf beziehen, lauten: 

Hii sunt proventus prediorum in Marchpurch: 

[Z.] Primo in superiori Cirkentz xij predia, de quibus supanus habel ij... 
[folgen die Zinsungen], ag %ec solvit [das Dorf] officiali i mensues 
tritici [und anderes]. em preconi solvit i gors tritici. Item supess 
eiusdem ville dat de swo iure officiali i modium tritici [und anderes} 
Item magistro coquine solvit panem unum. Folgen die übrigen Dörfer, 


1) LEVEC, S. 163, 167. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 483 


darunter: /tem in Ztrelkendorf xij predia, de quibus supanus habet 
ij, officialis ij. Alia ut supra. Item in Zammerkowe sunt xvij 
predia, de quibus supanus habet ij. Vrbanus schepho à. Alia ut 
supra...» 

Summa prediorum ex ista parte Trake [am linken Ufer des 
Drauflusses] cc minus iiij et xviij supani, qui habent xxxvÿ predia (a. a. O. 
S. 141). 


[I] Item ex altera parte Trahe: In Chressendorf [Kranichs- 
feld, südl. v. Marburg] xix predia, de quibus Georius schepho habet 
ij antiguo iure et preco habet }. Aliorum vero xv] census cuiuslibet 
solvit tritici i modium | und anderes]... Folgen die übrigen Dörfer, 
darunter: /em in Maiori Prechpdhel [Prepola, sö. v. Marburg, 
nw. v. Pettau] xzxv:j predia, de quibus supanus habet ij et schepho i. 
Alia ut supra... Item in Chrisantstorf [Kroisendorf, nördl. 
v. Studenitz] sur? x predia, de quibus supanus habet ij. Census vero 
aliorum viij pro guolibet mellis i quartale. Item tota villa dat unum porcum 
... agnum ... que toilit schepho ut asserit suo iure. In Pechsen- 
dorf xiij predia, de quibus supanus habet ij et precoi. Aliax in 
messe et in aliis ut supra in Chrisantzendorf... 

Summa prediorum ex altera parte Trakhe [am rechten Drau- 
ufer] ccce minus ij...et xxxvj supani, quorum quilibet habet ij predia. 

Summa prediorum totalis [in officio Marchpurch] cum supanis de, 
sed de eadem summa x sunt penitus inculta. 


Die Organisation des Amtes Marburg, namentlich die des Draufeldes, 
ammt, wie schon beinerkt worden, nicht aus der slawischen Zeit her, sie 
arde erst nach Durchführung einer starken Kolonisation nach der deutschen 
ndnahine — seit dem Jahre 985 — durch Vermessung in Königshufen 
ngerichtet. Von diesen neuen Zuständen ist ein Rückschluß auf die Tüfferer 
erhältnitse nicht zulässig, die Marburger Zustände müssen für sich besonders 
handelt werden. 

Und wenn LEVEC unter Berufung anf Maior Prechpthel und Christants- 
rf sagt: „... der Scheppo ... erscheint neben dem Supan, ist also mit 
esem nicht zu identifizieren. Nur stellenweise scheint das Amt eines 
hepho und des Supans in einer Hand vereinigt gewesen zu sein,“ so ist 
ein MiBverständnis; denn in Maiori Prechpthel saß ebensowenig wie in 
ıristantstorf je ein besonderer Schepho, und die Stellen beziehen sich auf 
n Georius schepho des [II.] schephonates, des ex altera parte Trahe. Somit 
ıtfällt auch LEvEcs Schlußfolgerung: „Auf diese Weise sind wohl die drei 
nsfreien Hufen des Georius Schepho in Chressendorf zu erklären; zur 
oppelhufe des Supans ist hier als dritte die zinsfreie Hufe des Schepho da- 
ıgetreten. Als Regel wird also wohl anzunehmen sein, daß beide Ämter, 
ie in Prechbüchel und Chrisantstorf, getrennt waren und dem Schepho außer 
sturaleinkünften als Entgelt für seine amtliche Mühewaltung auch der Besitz 
ner zinsfreien Hufe zugewiesen war.“ 


484 J. Peisker 


Eher hätte sich LEVEC auf Zammerkowe berufen können. Dort waren 
zvij predia, de quibus supanus habet ij, Urbanus schepho i!), Allein auch 
diese Stelle berechtigt nicht zu der Annahme, daß hier ein Schepho neben 
dem Zupan bestehe, sondern eher neben einem zweiten Zupan, denn zwei 
Zupane in einem Orte sind in Untersteiermark und Krain, wie wir bereits 
gehört haben, nicht vereinzelt, und wir haben auch vereinzelte ein hubige 2u- 
pane kennen gelernt (siehe oben S. 348 Anm. 1). 

Auffallender ist es, daß der Schepho des zweiten Schephonates, des ex 
altera parte Trahe, mit dem Sitze in Chressendorf, drei Huben daselbst und 
überdies in Maiori PrechpŸhel noch eine vierte besitzt. Das erstere ist offen- 
bar dem Verfasser des Rationarium (Helvicus notarius, der im Auftrage des 
Statthalters König Ottokars IL., Bischof Brunos von Olmütz, die Katastrierung 
der landesherrlichen Einkünfte in Steiermark vornahm) ebenfalls aufgefallen; 
er untersuchte diesen Fall und vermerkte: /n Chressendorf xix predi, à 
quibus Georius schepho habet iij antiquo iure (siehe oben S. 483). Zu ver- 
gleichen die Stelle: Zem tota villa [de Chrisantstorf] daf à porcum . .. agnum ... 
que tollit schepho ut asserit suo iure. Dies gab der Georius schepho dem 
Notarius selbst an, und niemand widersprach. Vielleicht ist die ungewöhn- 
lich reiche Bestiftung dieses einen Schepho auf dessen ausgedehnten Amts- 
bezirk (370 Huben, die Zupanengüter eingerechnet) zurückzuführen, allein 
der Vermerk antiguo iure ist nicht so zu verstehen, daß das Dienstgut seit 
jeher dreihubig war, es ist erst mit der Zeit, möglicherweise per nefas, s 
groß geworden —*). 

Die aus dem Rationarium Stirie v. J. 1265 statistisch er- 
mittelten altslowenischen Zustände vor der deutschen Landnahme 
lassen sich, wie wir ausführlich dargelegt haben, unmittelbar an die 
turko-altslawischen Verhältnisse als deren Fortsetzung anknüpfen. 
Waren ja auch die Slowenen von den Awaren geknechtet, und die 
awarische Knechtschaft schildert FREDEGAR in taciteischer Kürze 
und Deutlichkeit. Und indem wir annehmen, daß es auch bei den 
Daleminziern (siehe oben S. 320—329) nicht anders war, tun wir 
den geschriebenen Nachrichten, die wir über sie haben, nicht die 


geringste Gewalt an. Auch bei ihnen waren die Zupane sehr zabl- 


1) Er war schepho des [I.] schephonates, ex ista parte Trahe. 

2) Diese Arbeit, gegen die ich hier polemisieren muß, hat LEVEC zum Teil 
erst auf dem Totenbette geschrieben, hie und da nur flüchtig mit Bleistift 
hingeworfen. Sie wurde von Hofrat LUSCHIN v. ERENGREUTH nur mit Mühe 
zusammengestellt und trotz ihrer Unfertigkeit ob ihres seltenen Reichtuns 
an Daten und trefflichen Gedanken veröffentlicht. LEVEC selbst hätte sie 
wohl noch vielfach umgearbeitet. Dies muß man sich vor Augen halten, 
will man den der Wissenschaft so früh entrissenen Gelehrten -- er starb 
27jährig — auch nur annähernd nach Verdienst würdigen. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 485 


reich, und wenn die Urkunde v. J. 1181 sagt: seniores villarunı, 
quos lingua sua supanos vocant, dann setzt die Bezeichnung: 
seniores villarum je einen senior villae und nicht je einen 
senior villarum voraus. Ein senior villarum, mehrerer 
Dörfer, kommt wenigstens in den ersten Jahrhunderten der 
deutschen Herrschaft und vielleicht auch später überhaupt nicht vor. 

1196 beurkundet Bischof BERTHOLD von Naumburg die sämt- 
lichen Einkünfte des Kollegiatstiftes Zeitz mit seltener Ausführ- 
lichkeit’). Von den zwölf dabei genannten Dörfern stehen neun 
unter je einem sez:or, Zupan, und nur in dreien wird kein Senior 
genannt; diese waren vielleicht novae plantationes supano carentes, 
wie wir sie in officio Tüffer in Untersteiermark kennen gelernt 
haben, oder alte, wiederbesetzte Wüstungen, in denen man den 
Zupan zu ersparen die Gelegenheit wahrnahm und sie etwa je 
einem benachbarten Zupan angliederte. 

Leider läßt sich hier in Daleminzien das ursprüngliche zahlen- 
mäßige Verhältnis zwischen Zupanen und Smurden auf größeren 
Gebieten nicht mehr feststellen, denn wir besitzen darüber keine 
solche Quelle, wie das Rationarium Stirie v. J. 1265; in Dale- 
minzien war überdies der Boden ungleich besser, zur Aufnahme 
neuer Kolonisten günstiger, und das wird der deutsche Macht- 
haber wohl ausgenützt haben, indem er den vorgefundenen Smurden 
den Boden knapper zumal, um Platz für neue hospitia zu ge- 
winnen. Sagt ja die Urkunde vom Jahre 1174: 

Res litonum, que post mortem ipsorum ad usus ecclesie 
spectare debent ..., also bewegliches Gut, während die von 
ihnen besessenen manst et alia, que vacaverint, que discreta 
dispensacione locanda sint, ad potestatem fratrum respiciant, 
cui vel quomodo aut quare ea locare velint*),. 

Der Grundherr pflegte eben überall, wo es nur anging, durch 
Anlegung eines kleineren Maßstabes die mansi zu verkleinern. 
Die so gewonnenen superexcrescentiae waren eine namhafte 
Einnahmequelle, die bekanntlich König Johann von Böhmen 
meisterhaft zu erschließen verstand. Man kann somit von der 


1) Codex dipl. Saxoniae Regiae, herausgegeben von POssE und ERMISCH. 
L 8. Leipzig 1898, S. 8—11. 
2) Siehe oben S. 321 Anm. 


486 J. Peisker 


späteren Hufenzahl auf die ursprünglichen Wirtschaften im Dorfe 
in vielen Fällen nicht mehr schließen, und nur die Anlage jener 
Hofstätten, welche den eigentlichen Rundling ausmachen, laßt, 
wenn Urkunden und Urbare versagen, noch erkennen, wie klein 
die einstige Bauernzahl im Runddorfe gewesen sein mochte. 
Man sehe nur bei MEITZEN nach: I. 52, II. 485, III. 363 (8 Dziedzinen), 
450 (6 Hufen), 453 (8 Hufen), 456 (6 Hufen); Atlas, Anlage 128. 
* * 


> 

Hart an die Sorbenländer angrenzend, jenseits des Erz- 
gebirges, in Böhmen, finden wir am Anfang der geschriebenen 
Geschichte Verhältnisse, welche einer gänzlichen Negation der 
Zupanenverfassung, wie sie bei den Daleminziern bestanden 
hat, gleichkommen. Genau dasselbe gilt von der unmittelbaren 
Nachbarschaft der soeben besprochenen Zupanengebiete Unter- 
steiermarks, nordwestlich von den Steiner oder Sanntaler Alpen, 
im heutigen Kärnten. Und gerade so, wie sich die dalemin- 
zische Zupanenordnung mit der untersteirischen deckt, so deckt 
sich auch ihre Negation in Böhmen mit jener in Kärnten. Weder 
hier noch dort gab es in historischen Zeiten eine Zupanenschicht, 
hier und dort stand dem Staatswesen ein Bauernfürst vor. 
Dies bekunden die bei der Herzogseinsetzung auf dem Zollfelde 
bei Klagenfurt und der zu Vy3ehrad bei Prag üblich gewesenen 
Zeremonien. 

Eine herrschende Zupanenschicht wird einen Bauer zum 
Fürsten nicht nehmen, das ist klar, und nur die Bauernschaft 
kann es sein, welche einen ihresgleichen zum Staatsoberhaupt 
erhebt; zuvor muß sie jedoch selbst ihrer eigenen Geschicke 
alleiniger Herr werden, die Zupanenschicht muß früher verschwur- 
den sein. Von irgendeiner Unterwerfung der Zupane durch die 
Bauern in der Art, daß die ersteren auch weiterhin Wanderhirten 
blieben, ist nichts bekannt, der siegreiche Bauer möchte diese 
Landplage schwerlich dulden. Allerdings kennt die Geschichte 
auch abhängige, weidezinspflichtige Wanderhirten, und zwar auf 
dem ganzen Balkan im Mittelalter und in der Neuzeit, die Wlachen; 
aber diese Wlachen sind nicht der Bauernschaft, sondern ebenso, 
wie die Bauernschaft selbst, dem Landesfürsten oder einem 
anderen Grundherrn zinspflichtig, welchem der Landesfürst den 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 487 


wlachischen Weidezins und den bäuerlichen Grundzins abgetreten 
hat. Daß aber eine Bauernschaft Zupane beherrschen würde, 
kommt nirgends vor und ist an sich undenkbar. 

Was konnte nun die Bauernschaft gänzlich frei machen und 
einen Bauer auf den Fürstenstuhl bringen? Ein Einbruch von 
außen? Gewiß nicht, denn der siegreiche Eingebrochene würde 
sich selbst zum Herrscher aufschwingen, und die Bauernschaft 
hätte das Nachsehen, sie würde nur den Herrn wechseln, viel- 
leicht einen milderen eintauschen, aber ein Bauernfürst aus 
ihrer Mitte wäre es nicht. Und gerade ein Bauer hatte den 
Fürstenstuhl auf dem Zollfelde bei Klagenfurt inne, sowie auch 
die Dynastie der böhmischen Landesfürsten vom Bauer Pfemysl 
aus Stadice bei Bilin abstammte. Ein Bauer konnte somit nur 
durch eine durchschlagend siegreiche Revolution der Bauernschicht 
auf den Fürstenstuhl gelangen, nachdem die Herrenschicht der 
Zupane davongejagt oder vertilgt worden war. 

An dem Rande der großen Steppe in Rußland und Zentral- 
asien hat eine Revolution der Bauernschaft wenig, wenn nicht 
keine Aussicht auf Erfolg, denn der flinke Reiternomade ist auf 
dem pfadlosen, unermeßlichen Gras- und Wüstenkontinent auch 
für einen Kyros, Dareios, Alexander d. Gr. nicht faßbar ; eher noch in 
den Pußten Ungarns, besonders aber in den Niederungen der Mur 
und Drau, der Elbe, Moldau und Eger, der March und ihrer 
Nebenflüsse, wenn er gezwungen ist, dort mitten unter der Bauern- 
schaft zu wintern. Hier muß er sich in die einzelnen Bauern- 
dörfer verteilen, seine Kraft zersplittern, hier wird er schwächer. 
Dies nimmt er jedoch nicht ohne weiteres wahr, und seine 
Wildheit und Roheit bringt ihm schließlich Verderben. Und 
wie der Reiternomade die unterjochte Bauernschaft zur Ver- 
zweiflung treiben kann, das lehrt das Schicksal der Perser und 
berichtet FREDEGAR und NESTOR von den Slawen im Awarenjoche. 

Die Awaren legten, wie wir bereits S. 296 ff. gehört haben, der 
Bauernschaft, in deren Mitte sie seit lange her regelmäßig 
winterten, schwere Steuern, hauptsächlich wohl an Getreide und 
Heu, auf, weideten ihre Saaten ab und vergewaltigten ihre 
Frauen und Töchter. Im Frühjahr zog zwar der Hauptstock der 
Bedrücker in die Berge zur Sommerweide, gewiß blieben aber Be- 


488 - J. Peisker 


satzungen und Obrigkeiten zurück, um die slawische Bauernschaft 
im Zaume zu halten und zur Erfüllung der ihr auferlegten 
Pflichten anzutreiben. Von Recht und Gericht war da keine 
Rede, der Aware hauste nach Willkür und Übermut und alle 
staatlichen, gesellschaftlichen, ja sogar Familienbande der Unter- 
jochten waren aufgelöst, das Slawenvolk in Atome zerschmettert. 
Aufstände der Bauernschaft waren da an der Tagesordnung, und 
wie viele mögen im Blute erstickt worden sein, bevor einer ge- 
lang! Und auch die beiden siegreichen, auf welche die erwähn- 
ten Zeremonien hinweisen, wären längst in Vergessenheit geraten, 
wären sie nicht eben durch diese Zeremonien verewigt worden. 
Dabei ist es sehr bezeichnend, daß die beiden Orte, Bilin und 
Zollfeld, an der äußersten Peripherie der turkotatarischen Macht- 
sphäre liegen; dort waren die Wanderhirten eben am schwächsten, 
weil von ihrer Basis am entferntesten. 

Ist eine Bauernschaft der herrschenden Zupanenschicht los 
geworden, dann wird sie alles abstellen, was sie bisher gedrückt 
hat. Sie wird 

1. das Wanderhirtentum mit Putz und Stängel ausrotten, 

2. die Viehzucht, namentlich von Pferd und Rind als Zug- 
tieren, frei ausüben, 

3. den Feldbau nach bäuerlichen Bedürfnissen einrichten, 
eine Besteuerung des Feldbaues nicht dulden, wo nötig 
und möglich, permanente Äcker und bäuerliches Grund- 
eigentum schaffen, 

4. eine geordnete Rechtspflege einrichten, 

5. alle diese Errungenschaften für die Zukunft möglichst 
sichern, indem sie nach jedem einzelnen Abgang des 
Staatsoberhauptes den, welchen sie auf den Fürsten 
stuhl, zunächst als Richter, erhebt, zuvor durch eine 
regelrechte Wahlkapitulation auf ihre Forderungen 
verpflichtet. 

Alles das ergibt sich aus der Natur der Dinge von selbst 
und wäre auch dann anzunehmen, wenn nichts davon quellen- 
mäßig erweisbar wäre. 

Orrorars Österreichische Reimchronik, geschrieben 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 


489 


den ersten zwei Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts, erzählt 
mlich Vers 19983 ff.'): 


1) Orrokars Österreichische Reimchronik, herausgegeben von 
SEEMÜLLER, Hannover 1890, in den Monumenta Germaniae historica. 


utsche Chroniken. 5. Band, S. 266 f.: 


83 Sô dem lant werdent genomen 


90 


10 


von des tôdes getursten 

sin erbeherren unde fursten 

und daz daz selbe lant 

in des riches hant 

ledic gedihet, 

swem ez daz riche lihet, 

der selbe komen sol 

ûf ein velt, lit bi Zol, 

daz ist ze guoter mäze wit. 

darûf ein stein lit. 

an dem steine muoz man 
schouwen, 

daz darin ist gehouwen 

als ein gesidel gemezzen. 

dâbi ouch nähen ist gesezzen 

ein gebiurischez geslehte, 

die von altem rehte 

darzuo sint bel&ähent, 

swem die selben jehent, 

der under in der eltist si, 

swenn in diu zit wonet bi, 

als ich vor gesaget hân, 

sö sol der selbe man 

ûf den stein sitzen 

mit sö getänen witzen, 

daz er dävon iemen wiche. 

daz si habent von dem riche. 

swaz herren in dem lande ist, 

die sullen zuo der selben frist 

bi dem fursten wesen allesamt. 

unde swenne man daz amt 

des morgens begêt, 

darnäch an der stet 

sol man den selben fursten 
kleiden, 

als ich iu nû wil bescheiden: 


20020 


20030 


20040 


20050 


er sol sich bewegen 

an siniu bein ze legen 

zwö hosen von gräbem tuoche 

und zw£&n röte buntschuoche, 

die man mit riemen swinde 

im zuo den beinen binde. 

des selben tuochs sol erlegen an 

einen roc alsô getän, 

der vor und hinden offen si, 

kollier sol er wesen fri, 

mit vier gêren und niht m6, 

und daz er an der lenge gê 

ein lutzel für diu knie. 

ze hulle sol er tragen hie 

ein einvachen mantel gräben, 

der sol niht flentschieres haben. 

im ist ouch üf dem houbet 

ein huot ze tragen erloubet 

guphoht in gräber gestalt, 

daran vier schiben sint ge- 
mält — 

die selben hüete kluoc 

niulich man datz Kernden 
truoc — 

diu snuor sol sin einende. 

in einer siner hende 

sol der helt zier 

ziehen einen v&hen stier, 

in der andern hend sol er 

mit im ziehen her 

ein veltphert, daz niht darbe 

wiz und swarzer varbe. 

und swenn er wirt alsô bereit, 

80 sullen wesen sin geleit 

an den selben ziten 

zuo ietweder siten 

zwön herren von frier art, 


490 


J. Peisker 


Wenn dem Lande seine angeerbten Herren und Für 
durch die Verwegenheit des Todes entrissen worden sind 
dann dasselbe Land dem Deutschen Reiche erledigt anheimf 
so muß der, dem es vom deutschen Könige verliehen wird, 
ein Feld kommen, das bei Zol liegt, das ist sehr weit. Da 


20070 


20080 


an sinn und witzen wol bewart. 
die herren sullen füeren in 
für den gebüren hin, 

der dä sitzet üf dem stein. 
der selbe sol ein bein 

ûf daz ander legen, 
windischer rede sol er phlegen. 


swen si im koment sû nähen, 
sd sol er si enphähen 

und sol sprechen: ‚wer ist der, 
den ir mit iu füeret her?‘ 

sô sprechent dise zehant: 

‚in hät däher gesant, 

der des riches voget ist. 

dû solt im an diser frist 

än underläz und âne sümen 
disen stuol rûmen 


und läz in sitzen dä.‘ 

sô spricht diser sâ: 

‚des entuon ich niht, 

ich werd & beriht, 

ob er sin wert sj.‘ 

8sö sprechent dise dri: 

‚daz geheiz wir dir.‘ 

er sprichet: ,nû sagt mir, 
ob ez umb in alsô st, 

daz er kristenlicher & 

si geloubic unde ganz, 

daz dehein irsales schranz 
sinem herzen wone bi?‘ 
‚j&, des ist er fri‘, 
sprechent dise zehant. 

80 tuot mir mêr bekant 
von im solher mære. 

ist er ein guot rihteere, 
daz erdurch liebe noch durch haz 
an dem gerihte iht si laz ?* 


200% 


20100 


20110 


20120 


Jà, daz geheize wir dir ı 
‚noch mêr ich von im wizzeı 
spricht der gebür zehant. 
‚mac er ditze lant 
beschirmen vor freisen, 
sö daz er witiben unde wı 
geistlichen liuten unde ph 
guoten fride mac geschal 
sô di dri aber sprechent 
des müezen si im s& 


ieglicher swern einen eit, 
daz daz si diu wärheit, 
des er si gefräget hät. 
allerörst rûmt er die stat 
und underwint sich schieı 
des veltpherts und des st 
darnäch wirt niht vergezz 
swen der herzog ist gese 
dä der gebüre saz, 

sö muoz er âne underläz 


den selben eit tuon, 

das er frid schaff und su 
und rehtes gerihtes phleg 
und ab des gelouben weg 
weder strüch noch valle. 
alrêrst koment mit schalle 
die herren dar und gâher 
daz si von im enphâbent 
sunderlichen iriu löhen. 
swenne daz ist geschehen, 
s0 swernt si im alzehant. 
allez daz ich hän genant, 
daz dem fursten widervare 
herzog Meinharten dats Z 
an allen dingen widerfuor, 
dö man im hulde geswuor 
und er daz herzogtum bes 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 491 


egt ein „Stein“ [Fels]. An diesem ‚Steine‘ soll man sehen, 
aß darein etwas gehauen ist, was wie ein Gestühl [Doppelsits] 
wssieht. Nahe dabei ıst ein Geschlecht von Bauern ansässig, 
ie von dem alten Recht her [durch das alte Recht] dazu delehnt 
nd, daß der, von dem sie selbst aussagen, er ses der älteste 
ster ihnen, sobald die Zeit gekommen ist, wie ich vorher be- 
ichtet habe, dann muß?!) dieser selbe Mann sich auf den „Stein“ 
fsen, und swar in der Absicht, daß er davon niemandem 
eiche. Dieses [Recht] haben sie von dem Reich. Was es von 
erren im Lande gibt, die müssen su derselben Zeit. bei dem 
ürsten alle miteinander sein. Und sobald man das Hochamt 
w Morgen begangen hat, darnach eben dort muß man den- 
den Fürsten bekleiden in der Weise, wie ich es euch jetst 
zählen werde: Er muß sich dazu entschließen, zwei Strümpfe 
m grauem Tuch an seine Beine anszuzichen und zwei vote 
undschuhe, die man mit Riemen fest an die Beine bindet. 
on demselben Tuch muß er einen vorn und hinten offenen 
ock anziehen, der darf keinen Kragen haben, mit vier Schößen, 
wsß nicht mehr, und nur so lang, daß er etwas [vorm] über 
e Knie reiche. Als Hülle muß er hier einen grauen Mantel 
agen aus einem Stück, der darf keinen Besats haben. Ihm 
£ ferner gestattet, auf dem Haupte einen gewölbten grauen Hut 
: éragen, woran sich vier bemalte Kugeln [Bollen] Befinden. 
bensolche gute Hüte hat man noch jüngst in Kärnten [wirklich] 
fragen. Die Schnur darf nur ein Ende haben [keine Quaste|. 
"st der einen Hand muß der schmucke Held einen gescheckten 
ser führen, mit der andern ein ,,Feldpferd“*), das weiß 
dd schwarz gefleckt sein muß. Sobald er auf diese Weise 
gerüstet ist, müssen zur selben Zeit auf jeder Seite zwei?) 
erren von freier und edler Geburt, die verständige und er- 
Ærene [ältere| Männer sind, ıhn geleiten. Diese Herren 
üssen ihn zu dem Bauer hinführen, der auf dem „Steine“ 
tet. Dieser muß ein Bein über das andere legen und sich 


1) so ist die mhd. Konstruktion. nhd.: daß der — sich setzen muß. 

2) d. i. Stute, die bisher noch auf der Weide gegangen ist. 

3) darüber PAUL PUNTSCHART, Herzogseinsetzung und Huldiguug in 
irnten. Leipzig 1899, S. 42 ff. 


492 J. Peisker 


der windischen Sprache bedienen. Sobald sie ihm nahekommen, 
muß er sie begrüßen und muß sagen: ‚Wer ist der, den ihr 
mit euch herführet*“ Darauf sagen die Angekommenen sofort: 
‚Ihn hat hierhergeschickt, der des Reiches waltet. Du mußt 
ihm jetzt augenblicks und ohne Säumen diesen Stuhl räumen 
und laß ihn sich darauf setzen“ Dann spricht dieser sofort: 
‚Das tue ich keineswegs, außer wenn ich vorher darüber unter 
richtet werde, ob er dieses Platzes würdig ist Darauf sprechen 
die drei!): ‚Das sagen wir dir zu‘), Er spricht: ‚Jetzt 
sagt mir zuerst, ob es sich um ihn so verhalte, daß er gans 
und vollkommen christgläubig und sein Hers von keinem Glaubens- 
irrtum befleckt ist‘ ‚Fa, davon ist er frei‘, antworten diese 
sofort. ‚Nun müßt ihr mir noch mehr von solcher Kundschaft 
mitteilen: Ist er ein guter Richter, so daß er weder der Zu 
neigung noch der Abneigung halber sein Rechtsprechen vernack- 
JässigeY ‚Ja, das sagen wir dir gewiß zu‘ ‚Ich muß noch 
mehr über 1hn erfahren‘, spricht darauf sofort der Bauer: 
‚Ist er imstande [besitzt er die Macht], dieses Land vor Ge. 
fahren zu behüten, so daß er für Witwen und Waisen, Mönch 
und Priester sichern Frieden zu schaffen vermag” Wenn di 
drei wiederum ja sagen, dann sollen sie ihm sofort dar- 
über jeder von ihnen sogleich einen Eid schwören, daß es sich 
um die Dinge, nach denen er sie gefragt hat, wirklich so ver- 
halte. Darnach erst räumt er den Platz und nimmt sofort 
das ,,Feldpferd“ und den Stier in Besitz. Sobald sich der 
Herzog niedergelassen hat, da, wo der Bauer gesessen war, 50 
soll er sofort denselben Eid leisten, daß er nämlich Fried 
und Ausgleich schaffen wolle und gerechtes Gericht hegen und 
auf dem Wege des Glaubens weder straucheln noch fallen werd. 
Dann erst kommen mit Lärmen*) die Herren dorthin und 
beeilen sich, jeder von ihm ihre Lehen zu empfangen. Sobald 
das geschehen ist, dann schwören sie ihm sogleich. 

Alles, was ich erzählt habe, daß dem Fürsten geschehen 
muß, das ıst dem Herzog Meinhard zu Zol ganz genau so gt 


= m — 


1) darüber PUNTSCHART a. a. O. 
2) mit dem Begriffe der Verpflichtung. 
8) das kann auch den Festlärm, Prunk bezeichnen, z. B. Musik. 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 493 


n, als man ihm den Huldigungseid leistete und er das 
gtum ın Besitz nahm‘). 
e Übersetzung verdanke ich Hofrat SCHÖNBACH. 
t JOHANNES VON VIKTRING berichtet in seinem etwa 1341 
ten Liber certarum historiarum: 
„no ... 1280 ... Meinhardus ... tn sedem ducatus sui 
pniter collocatur, secundum consuetudinem a priscis tempori- 
bservatam. Porro sub monte Karinthiano prope ecclesiam 
tri lapıs est, super quem rusticus libertus ponitur per 
sionem stirpis ad hoc officium heredatus, tenens in una 
bovem discoloratum et in altera equam eiusdem dispo- 
15, indutus habitu Pileo calceis rusticalibus, inmobilis 
verat. Princeps cum pannerio terre, stipatus nobilibus 
litibus, vestibus exuitur pretiosis, et seorsum pallio pileo 
2 grisei staminis et calceis corrigiatis eodem modo quo 
us induitur per quendam, qui ex Successione hoc habet, 
s baculum in manibus: sic procedit. Comes autem Goricie, 
palatinus terre est, cum duodecim vexillulis lateri prin- 
adherebit; reliqui comites, scilicet Tyrolensis, qui terre 
ravius est cum aliis, officiales atque nobiles cum suis 
s quanto cultius poterunt principi se coniungunt. Rusticus 
x super lapidem sedens Sclavice proclamabit: ,Quts est 
mi progreditur sic incedens ® Etrespondetur a consedentibus : 
est princeps terre‘ Ad quod ille: ‚Estne iustus iudex, 
ns salutem patrie, conditionis libere, ut sit dignus? Estne 
tiane cultor fidei et defensor?‘ Respondetur ab omnibus: 
et erit At ille: ‚Ergo quo ture me ab hac sede amovere 
rt quero® Dicunt omnes: ‚Cum denariis sezaginta, iumentis 
discoloratis, et vestibus quibus princeps fuerit investitus; 
t quoque domum tuam [richtig statt suam der Hs.| /ideram 
isque tributo Et rusticus levi alapa data principi bonum 
em iubet esse, et surgens, iumentis predictis sibi attractıs, 
pi locum prebet. Princeps stans super lapidem, nudum 
sanu gladium habens, vertit se ad omnem partem, ensem 


) Dazu A. E. ScrröxgacH, Der steirische Reimchronist über die Herzogs- 
rung in Kärnten, in den Mitteilungen des Instituts für österreichische 
ichtsforschung XXI. Wien 1900, S. 518 ft. 


494 J. Peisker 


vibrans, ostendens iustum iudicem omnibus se futurum. El 
sicut fertur, spectat etiam ad hunc ritum: princeps ex pileo 
rusticali aque frigide potum facit ... Insuper Sclavica qua 
hic utitur prolocutione, in conspectu imperatoris cuilibet quers- 
lanti de se, et non in lingua alia tenebitur respondere. Sicque 
incendiarius quem dicunt ad hoc iure statutum, incensis aliquibus 
focis pro reverentia principis, quod de adversa ortum tt 
consuetudine, non de sure ...'). 

Wo es sich um miterlebte Begebenheiten und nicht um per- 
sönliche Anschauungen und Deutungen handelt, sind beide Autoren 
auch . dann von gleich hoher Glaubwürdigkeit, wenn sie von- 
einander abweichen, und es ist PUNTSCHARTS Ansicht beizupflich- 
ten, daß in solchen Fällen der eine Autor, OTTOKAr, den Eir- 
setzungsritus so darstellt, wie dieser beobachtet werden soll, 
während Abt JOHANNES den Vorgang bei einer bestimmten, 
späteren Einsetzung (Ottos) als Augenzeuge schildert ?). Dabei ist 


1) JOHANNES VICTORIENSIS ... herausgegeben von Boehmer. Stutt- 
gart 1843, S. 318f., bildet den 1. Bd. der Fontes rerum Germanicarum, 
herausgegeben v. Boehmer. — Viktring liegt südwestlich, Zollfeld nordöstlich 
von Klagenfurt. 

2) „Der Abt läßt den Bauer die Tiere halten ... Daß dies in seiner 
Zeit Rechtens ... gewesen, vermag ich nicht anzunehmen. Der Bauer sl 
ja die Tiere als Entgelt erhalten; er kann demnach nicht schon vorber ab 
ihr Besitzer auftreten. Im Einklange damit erzählen andere Berichte ... nicht, 
daß der Bauer die Tiere halte, sondern daß sie sich rechts und links vom 
Herzog in seinem Zuge befinden. Die Angabe des Abtes ist somit irrig..- 
Ich vermute, daß sich hier ein Abusus eingeschlichen hat... Insbesondere 
aber schließe ich auf einen Abusus daraus, daß zwei Schreiben von Herzog* 
bauern davon sprechen, daß der Bauer Pferd und Ochsen „fürstelle“. Des 
Bauer muß die Beistellung der Tiere übertragen worden sein, und da konnt 
sich wohl unschwer mit der Zeit der Abusus herausbilden, daß der ‚Bauer 
mit ihnen beim Steine den Herzog erwartete. Außerdem darf, wie id 
glaube, zur Erklärung herangezogen werden, daß die Herzoge zuweilen nicht 
mehr zwischen den Tieren einherschreiten wollten. Man mochte dies sh 
allzu unwürdig empfunden und daher abgelehnt haben. Ich möchte ar 
nehmen, daß JOHANNES selbst den Abusus sah und irrtümlich für Recht 
hielt“. P. PUNTSCHART a. a. O. S. 62 f. 

Dieser Abusus zog m. E. einen zweiten nach sich: Ottokar spricht ni» 
lich v. 20043 ff. und 20105 von einem Stier und einem ,Feldpferd“, ws 
der sehr dankenswerten Ermittlung SciiönBAcHs (a. a. O. 8. 526) zufolge et 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 495 


sonders zu berücksichtigen, was der letztere über die Einsetzung 
erzog Ottos des Freudigen (im Jahre 1335) bemerkt: Multa 
men in huius festi observatione sunt improvide pretermissa 
«za oblivioni tradita, et ideo quia ab intronisatione ducis 
feinhardi, avi huius Ottonis, anni quinquaginta sex circiler 
wpulantur'). 

Der Reimchronist behandelt den Gegenstand ausführlich, 
ıgegen befleißigt sich Abt JOHANNES in der ersten Hälfte seiner 
hilderung einer uns recht unerwünschten Kürze. Von dem 
ze an: Ergo quo ture.... bringt er indes das Allerwichtigste 
3r ganzen Zeremonie, wovon OTTOKAR gänzlich schweigt. Dieses 
shweigen fällt auf und drängt zur Vermutung, eine entsprechende 
telle der Reimchronik sei verloren gegangen oder übersehen 
orden, denn die Schilderung des Abtes ist so urwüchsig, so 
| das Ganze passend, daß gar nicht daran zu denken ist, als 
auch sie ein späterer Abusus wäre. Man wird somit kaum 
hlgehen, wenn man dem Reimchronisten bis zu Vers 20103 





tute bedeutet, die bisher noch auf der Weide gegangen ist; der 
bt bezeichnet dagegen die Tiere als i#menta, Arbeitstiere, und daß er dies 
örtlich meint, beweist sein naives Philosophieren: /umenta discolorata 
colas terre hiis animalibus terram laborantibus exprimunt, propter 
sparos mores à ccleris planis, laboriosam nichilominus et fetosam (JOHANNES 
ICT., S. 320). Gewiß gibt auch hier der Reimchronist an, was die Vorschrift 
ar, der Abt dagegen, was er gesehen hat. Und das letztere ist leicht er- 
ärlich: Seitdem nämlich der Bauer die Tiere selbst beizustellen hatte 
'UNTSCHART, 9. 62f.), konnte zwar ein Stier, nicht aber ein „Feldpferd“ 
ehr zur Stelle sein, weil über ein solches ein armseliges Bäuerlein nicht 
rfügt, eine Bauernstute zugleich Zug pferd ist. Und daß unter „Feldpferd“ 
tsächlich kein Zugtier gemeint sein kann, beweist sein Genosse, der Stier, 
stt dessen sonst ein Ochse genannt sein müßte. — Um der Einwendung 
rzubeugen, daß auch bei altitalischen Städtegründungen das pomoerium, 
e feierliche Umfurchung, mit einem von Stier und Kuh gezogenen Pfluge 
geführt wurde, somit auch bei der Herzogseinsetzung der Stier ein Zug- 
er sein könne, ist zu bemerken, daß der altitalische Umfurchungsritus offenbar 
m einer so altersgrauen Zeit herrührt, als die Kastration des Rindes in Italien 
seh unbekannt war, während die Slawen seit Anfang ihrer mehr als tausend- 
hrigen turkotatarischen Knechtschaft sie kennen mußten. Hatten ja schon 
s Skythen bekanntlich mit Ochsen bespannte Wagen! (UKERT, Geo- 
raphie der Griechen und Römer. III. 2. Skythien. Weimar 1846 S. 301, 316). 
1) JOHANNES Viıcr., S. 419. 


496 J. Peisker 


folgt, dann vom Berichte des Abtes die Stelle: Zrgo quo iure 
bis zuszum tiudicem omnibus se futurum anfügt und mit dem 
Inhalte von Vers 20103 ff. der Reimchronik ergänzt. — 
Bemerkenswert ist zunächst die Angabe des Reimchronisten 
Vers 19997—20008, das Recht, den Herzog auf den Fürstenstein 
zu setzen, stehe dem Ältesten des gewissen Bauerngeschlechtes, 
also nach dem Prinzipe des Seniorates, zu. Das Seniorat ist 
aber überhaupt kein eigentliches Erbrecht, sondern bloß eine, 
wenn auch genau bestimmte Nachfolgeordnung. Auch die Nach- 
folge in der Fürstenwürde selbst mag nach dem Seniorate be- 
stimmt gewesen sein (wie wir es z. B. von den Polen’) und 
den Böhmen ’?) wissen), denn der freigewordenen Bauernschaft 
handelte es sich vornehmlich darum, einen geordneten Recht» 
zustand zu schaffen und aufrecht zu erhalten, somit immer nur 
einen gereiften und erfahrenen Mann als Richter an ihrer Spitze 
zu sehen, und dies kann, wenn schon eine Nachfolgeordnung da 
sein muß, nur durch das Senioratsprinzip gesichert werden, nicht 
aber durch irgendein Erbrecht, welches mitunter auch einen 
Minderjährigen, ja sogar ein Kind auf den Fürstenstuhl bringt‘). 
Ursprünglich dürfte die Fürstenwürde nicht einmal auf ein be- 
stimmtes Geschlecht beschränkt und überhaupt der Älteste von 
allen Gaufürsten, wenn den Wählern genehm, zur Nachfolge be 
rufen gewesen zu sein‘). Eine regia stirps dürfte sich erst all- 


1) M. Kinteckı, Das Testament des Bolestaw Schiefmund. Seniorst 
und Primogenitur in Polen. Inaug.-Diss. d. Univers. Breslau. Posen 18%, 
S. 60 ff. — MAreEckı, Testament Bolestawa Krzywoustego, im Przewodnik 
naukowi iliteracki. Lwöw 1881. SmoiKa, Testament Bolestawa Krzywoustego 
in den Rozprawy Akad. Umiejetnoéci, wydz. hist.-filoz. tom. 13. W Kr 
kowie 1881. BaLzEn, O nastepstwie tronu w Polsce, in denselben Bor 
prawy, Ser. II., tom. 11 (36). Die Literatur verdanke ich Fr. BUJAK. 

2) LOSERTH, Das angebliche Senioratsgesetz des Herzogs Bietislaw L 
und die böhmische Succession in der Zeit des nationalen Herzogthums. Wies 
1882, im Archiv für österreichische Geschichte 64. Bd., 1. Hälfte. 

3) M. KANTECKI, $. 42. — PUNTSCHART, $S. 257 f. 

4) Treffend urteilt KaxTECKI: „Schon bei solchen Völkern, die noch nicht 
in größere Staatenkomplexe vereinigt, sondern in einzelne Stämme geteilt 
lebten, sehen wir die einzelnen Stammfürsten unter die Suprematie eines 
unter ihnen, des durch Alter und Ansehen ausgezeichnetsten sich beuges. 
Einen willkommenen Beleg hiefür liefert uns der Beschreiber des Lebens und 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 497 


äblich herangebildet haben, etwa so, daß greise Fürsten sich 
iederholt von ihren Gesippten vertreten ließen und diese Vertreter 
ınn ob ihrer besonderen Tüchtigkeit, vielleicht über Vorschlag 
8 Fürsten und sogar zu dessen Lebzeiten, von dem Volke zur 
schfolge berufen wurden. Das Senioratsprinzip blieb dabei, 
mmehr innerhalb einer besonderen stirps, auch weiter aufrecht, 
i. jedesmaliger Genehmigung des Anwärters durch die Volks- 
rtretung '). 
r Taten Karls des Grofen, der in seinen Annalen unter dem Jahre 789 
on. Germ. Hist. SS. I. Erxtanp, Annales. Cfr. Annales Laureshamenses, 
on. Germ. SS. 1.34: Zi venerunt reges terrac illius cum rege vorum Trag- 
fo. — Chron. Moissiacense, Mon. (ierm. I. 298) folgendes interessante 
eignis berichtet: Sed gens illa (Wiltzorum) yuasıvis bellicosa et in sua numero- 
ste confidens, impetum exercitus regii (Caroli Magni) dix sustinere non valuit, 
proinde, cum primum civitatem Dragawiti ventum est — nam is veteris 
£ltsorum regulis et nobilitate gencris et auctoritate senec- 
tis longe pracminebat — cxtemplo cum omnibus suis ad regen de 
ritate processit, obsides, qui imperabantur dedit, fidem se regi ac Francis serva- 
um iurciurando promisit. Quemceteri Sclavorumprimores acreguli 
mes secuti, se regis dicioni subdiderunt. So groß war daher die Ehr- 
rcht vor dem durch Alter und Ansehen hervorragenden Dragowit, daB unter 
n vielen Stammfürsten kein einziger sein Beispiel unbeachtet zu lassen 
gte, obgleich es sich um nichts Geringeres handelte, als um die Anerkennung 
ınder Herrschaft, ein Unglück, das für die freiheitsliebenden Slawen das 
BBte sein mußte. — Ebenso heißt es, um zu den Böhmen überzugehen, 
den Fuldaer Annalen zum Jahre 895 (Mon. Germ. 38. I. 411): 23 (d. i. 
ch Regensburg) de Selavania omnes duces Boemaniorum, quos Zuentibaldus 
x (von Mähren) a consertio et potestate Baioaricae gentis per vim dudum 
sellendo detraxerat — quorum primores erant Spitignewo, Witisla (Spytih- 
v und Vratislav, Söhne Boïivojs) — ad regem venientes...., per manus, 
mi mos est, regiac potestati reconciliatos se subdiderunt. KANTEUKI, S. 28 ff. 

1) InBöhmen bestand die Senioratsnachfolge seit jeher, „aberin einer, 
8 Wahlrecht der Großen nicht präjudizierlichen Weise“. 
ISEKTH, S. 29. 

„Nicht anders lagen die Dinge bei den Wilzen, wie wir aus EINHARDs 
nalen zum Jahre 823 erfahren. Kaiser Ludwig hielt... eine Reichsver- 
nmlung in Frankfurt ab... Duo fratres, reges videlicet Wiltsorum, contro- 
siam inter se de regno habentes al prarsentiam imperatoris venerunt, quorum 
nina sunt Milegastus et Cealadragus. Erant idem filii Liubi regis Wiltsorum, 
| dicet cum fratribus suis regnum divisum teneret, tamen, proptlerea quod 
s$or nalu erat, ad cum lolius regni summa pertinebat. Nach- 


m Liub in einer Schlacht gegen die östlichen Obotriten gefallen war, hatte 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 95 


498 . J. Peisker 


Auch die Kärnter Bauernschaft wußte sich ein Wahlrecht 


das Volk der Wilzen dessen Sohn Milegast... guia maior nmatu era, 
resem sibi constituit. Das Volk erklärte jedoch den Milegast der Herrschaft 
für unwürdig und übertrug dieselbe auf den jüngeren Bruder, worauf beide 
an die Entscheidung des Kaisers apellierten“ (LOSERTH, S.61f.). Sea cum is 
(Milegastus) secundum ritum gentis commissum sibi regnum forum 
digne administraret, illo abiecto, iuniori fratri regium honorem defermt; 
yuam ob causam ambo ad praesentiam imperatoris venerunt. Quos cum asdisstl, 
et sentis voluntatem proniorem in iunioris fratris honorem agnovisset, statuit, 
utis delatam sibi a populo suo potestatem haberet... Hier wird 
auch von einem besonderen Inthronisationsritus gesprochen! 

„Analog werden die Verhältnisse bei den übrigen wendischen 
Völkern gewesen sein. Bei den meisten gab cs landesfürstliche Geschlechter, 
in denen das Kôünigtum, Herzogtum oder Fürstentum erblich war, so daß 
alle männlichen Sprösslinge daran teilnahmen. Aber cinem blieb die oberste 
Leitung der Landesangelegenheiten vorbehalten. Dies war in der Regel unter 
mehreren Brüdern der älteste, doch mußte ihm die Nation ihre Zustimmung 
geben. Wurde dieselbe versagt oder späterhin zurückgenommen, so ging ds 
Recht des Älteren auf einen Jüngeren über, der dem Volke genehm war 
(GIESEBRECHT, Wendische Geschichten 1.46). Daß sich neben diesem Vorzugr- 
recht des Alters auch das Wahlrecht behaupten konnte, und die Wähler such 
hier an das regierende Haus sich gehalten haben, beweist auch die Stell 
der Fuldaer Annalen zum Jahre 871: Selavi.... Marahenses ducem suum (Svato- 
pluk) Periisse putantes, quendam presbyterum, cius ducis propinguum, 
nomine Sclagamarum sibi in principemconstituunt, ei minantes interitus, 
nisi ducatum super cos susciperet, — Sclagamar wird, wiewohl er ein Priester 
ist, als Verwandter des mährischen Fürstenhauses erhoben; wahrscheinlich 
war er unter den Sprossen desselben auch der älteste, da man sonst schwer- 
lich einen Priester, der sich den Drohungen zufolge lange geweigert haben 
muß, an die Spitze gestellt hätte. — Dieses Senioratsrecht bestand nicht 
bloß in Mähren und bei den Elbeslawen, sondern auch in Böhmen. Denn & 
steht fest, daß man in Böhmen bei den Herzogswahlen vor und nach 
Bretislav immer den Ältesten gewählt hat und daß, falls einmal von dem 
Rechte des Ältesten Umgang genommen wurde, diesalseine Verletzung 
hestehender Rechte, als eine Kränkung der Rechte anderer 
angeschen und von den Chronisten auch als eine solche be. 
zeichnet wurde...* Loserrtm, S. 62f. 

Anders bei den Russen; die wahrten sich die größte Freiheit, den 
Knjaz innerhalb der Dynastie der Rurikiden zu wählen und einen nicht 
genehmen abzusetzen. Mit der Wahl war ein ziverädenie, eine regelrechte 
Wahlkapitulation, verbunden, und was Sergejevic darüber in Verbindung mit 
der Senioratsnachfolge in der Großfürstenwürde an das Tageslicht gebracht. 
schlägt die bisherigen Vorstellungen nieder. CeprbeBuyp, Pyeckia 
IOPILLIITEEREST APeBROCTIIL. Tom I. Hananie 2. C.-Terep6y pre 1900, S. 7 ff. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 499 


nnerhalb einer stirps regia zu wahren'). Dafür spricht auch 
lie Institution des später sogenannten Herzogsbauers ?), welcher 
vohl als Verweser das Land während eines jeden Interregnums 
u verwalten hatte, damit keine Anarchie einreiße, bevor ein 
lachfolger gekürt worden war und die Zügel der Herrschaft er- 
riffen hatte. Dieser Verweser hatte gleich nach Erledigung des 
‘“ürstenstuhles die gesetzlichen Vertreter des Volkes zur Fürsten- 
ar einzuberufen und dem erkorenen Anwärter die von alters her 
orgeschriebene Wahlkapitulation nach dem uns in seinen Resten 





1 ff., 142 ff., 150 ff., 231 f. — Wie lange soll noch die nichtslawische Gelehrten- 
‚elt auf eine Übersetzung dieses für die Kenntnis der slawischen Rechts- 
eschichte grundlegenden, bereits in der 2. Auflage erschienenen Werkes 
rarten ? 

1)... coeperunt Huni [Awaren] cosdem Quarantanos hostili seditione graviter 
ffligere. Fuitque tunc dux corum Boruth nomine, qui Hunorum exercitum contra 
os iturum Bagoariis nunciari fecil rogavitque, cos sibi in auxilium venirc. 
Hi quoque festinando venientes, expugnaverunt Hunos et obfirmaverunt Quaran- 
3805, servilutigue eos regum subiccerunt, similiterque confines corum. Duxerunique 
nde secum obsides in Bagoariam. Inter quos erat filius Boruth nomine Cacatius, 
wem fater cius morc christiano nutrire rogavit et christianum facere... El 
e Cheitmaro filio fratris sui similiter postulavit. Mortuo autem Boruth, per 
wssionem Francorum Bagoarii Cacatium iam christianum factum petentibus 
isdem Sclavis remiserunt, et illieumducemfecerunt. Sedille postea tertio 
no defunctus est. Iterum autem permissione domni Pippini regis ipsis populis 
elentibus redditus est eis Cheitmar christianus factus... Quem 
uscipientes idem populi ducatum illi dederunt. Conversio 
3agoarıorum et Carantanorum c. 4 (Monumenta (rerm. hist. 
criptorum tom. XI, S.7.) Dazu LEVEC, Pettauer Studien III. in den Mit- 
eilungen d. Anthropol. Ges. in Wien. XXXV. Band, 1906, S. 81 f.: „Mit Bc- 
timmthceit läßt sich diesen Andeutungen nicht nur entnehmen, daß die Karautaner 
lawen ihre Fürsten wählten, sondern auch m. E., daß der Erwerb der 
‘ürstenwürde an einen Akt der Herrschaftsübertragung [dederunt!] geknüpft 
var. Hätte ein einfacher Wahlakt vorgelegen, so hätte der Verfasser der 
‚Conversio* wohl ungefähr von einem dacem eligere gesprochen und nicht 
len ganz außergewöhnlichen Ausdruck wvcatum dare angewendet. Diese Er- 
vägung bestimmt mich anzunehmen, daß damals bereits — also um die 
Mitte des 8. Jahrhunderts — ein ganz bestimmter Einsetzungsakt üblich ge- 
vesen sein muß, oder daß mit anderen Worten damals bereits die 
L«remonie am Fürstensteine in ihrer oben entwickelten ur- 
;prünglichen Fassung bestanden hat.“ 

2) Der Altkärntner Landesherr hieß gewiß Ar: [= kuning, siehe oben 
*. 276] und nicht vojerode [= Herzog). 


500 ‘|. Peisker 


bekannten Rituale abzunehmen. Die Würde des Verwexen, 
welche gewiß bis in die Anfünge des Bauernstaates zurückreicht, 
wurde immer von neuem in demselben Augenblick lebendig, iu 
welchem ein Interregnum eintrat; sie selbst konnte offenbar nicht 
von einer Wahl oder einer besonderen Anerkennung abhängir 
sein, sondern mußte im voraus feststehen, indem ein bestimmtes, 
natürlich ebenfalls bäuerliches Geschlecht damit betraut war, seinen 
Âltesten, an Jahren Ältesten, zu diesem Amt zu entbieten. Während 
des Interregnums war dieser Bauer der wirkliche Landesherr, 
und als solchen sehen wir ihn auch noch im 14. Jahrhunden, 
freilich nur noch formal, seines denkwürdigen Amtes walten. 

Das Ritual selbst ist ganz fremdartig, ja befremdlich. Einzel- 
heiten davon mögen deutschrechtlich scheinen, zum Teil vielleichtnur 
einen deutschrechtlichen Anstrich im Laufe der Jahrhunderte 
deutscher Herrschaft erhalten haben: das Ganze steht außerhalb 
aller deutschen Rechts- und Standesbegriffe. Sagt ja Aht Ju 
HANNES im Entwurfe zu seinem Liber certarum historiarum von 
der Inthronisation Herzog Orros im Jahre 1335: 

„Australes autem quidam cum duce existentes videntes suum 
principem sic circumduci et in loco tam humili statut et dign- 
tatis huius titulo taliter decorari, vestibus suis Preciosis exui 
et rusticalibus indui, plebeio habitu per omnia convestiri, mans 
rustica alapari, questiontbus et responsionibus examınarı tt 
principem vocibus rusticorum consonancium declarari, mirali 


sunt...“'). 
Es ist dieselbe Inthronisation, bei weleher, wie wir oben gr- 
hört, multa.... in huius festi observatione sunt improvide preier- 


missa quia oblivioni tradita, was wohl so viel heißen mag, als dafins- 
besondere vieles dem Herzog Anstößige teils unterlassen, teils gemil- 
dert worden ist. Und wenn trotzdem das österreichische Gefolge über 
eine solche Behandlung seines Herzogs, namentlich über den von 
Bauernhand verabreichten Backenstreich, so verblüfft war, wie 
muß erst dem ersten deutschen Fürsten Kärntens zu Mute gewesen 
sein, als er sich der damals noch viel peinlicheren Prozedur hat 
unterziehen müssen! War ja doch damals in einzelnen deutschen 


1) Pexrsenant, N, 49. 


m nn in nn m 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. , 501 


olksrechten die Maulschelle als Symbol bei der Besitzergreifung 
yn einem Sklaven noch durchaus rechtsüblich! So im langobar- 
schen Rechte zur Zeit Karls des Großen: ... dabat ille mox 
dafum dicens: tu, inquit, es meus servus‘), und noch im 
achsenspicgel: Svenne he ine vertücht hevet. so sal he sik sin 
sderwinden mit rechte, mit enem halslage of he wel?). Und 
à soll für einen deutschen Fürsten der Empfang eines Backen- 
reiches, noch dazu durch Bauernhand, nicht furchtbar gewesen 
in, der doch von der ursprünglichen Bedeutung der Zollfelder 
eremonie keine Ahnung haben konnte! ... 

Wie hat sich nun dieser Ritus, seitdem er dem Volke nichts 
ehr nutzte und dem Fürsten so peinlich war, so lange halten 
önnen? Wohl nur dadurch, daß er anfangs sehr häufig geübt wurde. 
ie vorauszusetzende Senioratsnachfolge brachte nämlich in der 
egel bejahrte Männer ans Ruder, so daß man für jede Gene- 
tion durchschnittlich mindestens zwei Fürsteneinsetzungen an- 
ehmen kann. Jede Einzelheit war somit der ganzen Landschaft 
ohlbekannt, und solange der Zweck im Volksbewußtsein lebte, 
achte die (resamtheit argwöhnisch über der genauesten Bei- 
ehaltung jedes Wörtchens, jeder Bewegung dem Herkommen 
emäß. Und diese Wachsamkeit hielt dann noch an, als sich 
er Sinu des Ritus längst verdunkelt, unklaren, mystischen Vor- 
ellungen Platz gemacht hatte. Auch das spätere Einfließen 
irchlicher und zugleich erziehlicher Elemente (v. 20079-—-20083, 
0096, 20113f.) muß die Zähigkeit der Zeremonie gegen die 
erzogliche Abneigung gestärkt und die Überzeugung lebendig er- 
alten haben, welche noch im Jahre 1335 mit den Worten zum 
usdruck kam: 

..nullum principem terre sue rite posse concedere feoda vel 
ıdicia exercere, nisi in eo priscarum consuetudinum lex servetur, 
t scilicet super sedem suam sollempniter collocetur?). 

Und mochten es auch die deutschen Landesherren schließlich 
urchgesetzt haben, «daß die althergebrachte Herzogseinsetzungs- 


1) Chronicon Novaliciense 111.14. Mon. Gern. hist. Scriptores VII. 
. 101. PUNTSCHART, 140, Anm. 4. 

2) Sachsenspiegel Buch 3, Art. 82, $ 9. 

3) JOHANNES VICTORIENSIS a. a. O. $S, 419. 


ae its 


502 J. Peisker 


norm nicht mehr bei jedem Regierungsantritt, sondern erst bei 
Jedem Dynastiewechsel zu beobachten sei (v. 19983 —19991.. 
alten Rechtens war es jedenfalls nicht, weil die Norm sonst 
längst in Vergessenheit geraten, kein Augen- und Ohrenzeuse 
mehr am Leben gewesen wäre. 

Nun zum ursprünglichen Kern des Ritus, soweit er sich aus 
den beiden Berichten mit einiger Wahrscheinlichkeit noch er- 
mitteln läßt: 

Den Fürstenstuhl hält während des Interregnums der an 
Jahren Älteste eines bestimmten Bauerngeschlechtes als Verweser 
inne. Während dieser Zeit ist er der wahre Knez. Er beruft die 
Vertreter des Volkes zur Wahl eines neuen Landesherrn ein, jedoch 
nicht zur Wahl nach unseren heutigen Begriffen, sondern zur 
Prüfung und schliefilichen Annahme eines bestimmten Anwärter. 
der dazu laut einer gewissen Nachfolgeordnung, wohl nach den 
Senioratsprinzip, prädestiniert ist. Fände man ihn nicht für ge- 
eignet oder genehm, dann käme der Zweitälteste in Betracht. 

Der Anwärter ist selbstverständlich immer ein schlichter Bauer, 
ursprünglich de facto, später fingiert; in Bauerntracht hat er zu 
erscheinen, und schon dadurch wird er zu einem Bauer, seitden 
er es nicht mehr von Haus aus ist. Er tritt als qualifizierter 
Bauer auf, denn indem er einen Stier und eine Zuehtstute mit- 
‚führt, erweist er sich als viehzüchtender Bauer, freilich zu 
Zwecken der Landwirtschaft, für Wagen und Pflug. „Stier und 
Stute repräsentieren da... schlechtweg die Viehzucht, das kenn- 
zeichnet schon der Geschlechtsunterschied“, urteilt treffend Scaox- 
BACH). 

Mit dem Anwärter erscheinen gleichzeitig gewisse Zeugen 
„von frier art“ (v. 20052), wohl keine Privatzeugen, sonder 
offizielle Vertrauenspersonen des ganzen Bauernvolks. Ihre Würde 
stand vermutlich ebenso bestimmten Bauerngeschlechtern nael 
dem Senioratsprinzip zu, wie die des Bauers-Verwesers, der auf 
dem Fürstensteine sitz. Nun nimmt dieser in Vertretung de 
Volkes eine Prüfung des Anwärters vor: 

Ob er der Fürstenwürde würdig (v. 20074), das ist son frier arı 


1) SCHÔNBACH a. a. 0. NS. 525. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Tuikotataren etc. 303 


sei (conditionts libère, ut sit dignus, sagt Abt JOHAXNES), nicht etwa 
ein Höriger oder Fremder, dessen Ahnen an der Bauernbefreiung 


nicht mitgewirkt haben. -- Oh er ein rechtgläubiger Christ sei, 
wohl eine spätere Zutat. -— Ist er cin guter Richter, sine ira et 
studio seines Amtes zu walten fähig? --- Ist er ein kriegs- 


erfahrener Manu, geeignet, Land und Volk zu schirmen? Die 
Zeugen haben jede dieser Fragen abgesondert zu bejahen und 
sodann jeder einzeln zu beschwören, die Wahrheit ausgesagt zu 
haben. 

Dadurch ist der Befähigungsnachweis erbracht, und nun folgt 
die symbolische Entgegennahme der Wahlkapitulation, der vertrags- 
mäßigen Garantien dafür, daß der Anwärter seinen Fürstenpflichten 
auch getreulich nachkommen werde. 

Ergo quo iure me ab hac sede amovere debeat quero? nicht 
ihn, den „Herzogs“bauer als Privatmann, sondern als Verweser, 
als welcher dieser nur dem rechtmäßigen und anerkannten An- 
wärter den Fürstenstein zu räumen hat. Der .\nwärter 

1. bietet ihm mit den 60 Pfennigen wohl ein Enteelt für die 
Erhebung '); 

2. gewährleistet ihm [ursprünglich wohl durch ihn der zanzen 
Baueruschaft] mit der Übergabe der zwei Zuchttiere symbolisch 
das Recht auf freie Viehzucht und Weide für Rind und Pferd; 
ursprünglich dürfte auch das Schaf, dessen Wolle der Bauer 
nicht leicht missen will, dabei sewesen sein; 

3. verbürgt ihm [ursprünglich wohl dureh ihn ebenfalls der 
ganzen Bauernschaft| Steuerfreiheit und dadurch auch Grund- 
eirentum, was allerdings dem Volke mit der Zeit verloren sing 
und dann wirklich nur dem Herzogshauer zugute kam; 

4. sibt seine Bauernkleider hin. Wozu? die waren ja wert- 
los! Wir werden bald hören, daß bei den Inthronisationen 
in Böhmen die auf dem Vysehrad bewahrten, sei es echten, sei 
es unechten Reste der Bauernkleider Premysis dem Anwärter 
angelegt wurden; ähnlich mag man es auch in Kärnten schalten, 
ja die dem „Herzogs“bauer übergebenen Bauernkleider bis zum 
Tode des betreffenden Knez als Unterpfand aufbewahrt haben. 


1) Vgl. PUXTSCHART, S. 143. 


Me tu; + æ 


504 J. Peisker 


in perpetuam rei memoriam, daß der Knez rechtlich nichts anderes 
als ein Bauer sei, nachdem er diese Bauernkleider tatsächlich 
und unter Zeugen getragen hatte: der Rock macht den Mann; 

5. empfängt vom „Herzogs“bauer, der ihm dabei (nach Abt 
JOHANNES) bonum iudicem iubet esse, einen leichten Backenstreich. 
Das Symbol paßt indes kaum in diesen Zusammenhang. 

6. Nachdem nun der „Herzogr“bauer den Fürstenstein geräumt 
und mit den zwei 'Tieren von dannen gezogen, nimmt der Anwärter 
dessen Sitz ein (v. 20107) und schwenkt, auf dem „Steine“ 
stehend, das gezückte Schwert nach allen Windrichtungen — wohl 
nicht, wie Abt JOHANNES philosophiert: osfendens, iustum zudicem 
omnibus se futurum, sondern als Schirmer des Landes vor 
äußeren (tefahren, von welcher Windrichtung her sie auch 
kommen mögen!) — und beschwört dann (oder zuvor?) alles das 
einzelu, wofür sich früher die Zeugen für ihn verbürgt haben 
(v. 20110— 20114). 

Erst von nun an ist er der Landesfürst. 

Das Übrige ist für unsere Frage weniger wichtig, dabei in 
seiner ursprünglichen Bedeutung dunkel und strittig. 

Kehren wir noch einmal zu dem Backenstreich zurück. In 


1) LEVEC nimmt a. a. O0. S. 76 mit GOLDMANN [siehe unten S. 503 Anm. 3] 
S. 19 ff. an, der Schwertritus sei als spätere Zutat auszuscheiden, da er sehr 
wahrscheinlicn auf eine ähnliche Zeremonie bei der mittelalterlichen Kaiser- 
krönung zurückgehe. 

Unmöglich. Der Kaiser, das weltliche Oberhaupt der ganzen Christen- 
heit, schwenkt bei seiner Krönung das Schwert als Schirmer des Reichs und 
des Glaubens gegen alle Feinde. Auch in allen übrigen Fällen, die GuL»- 
MANN anführt, sind es souveräne Landesherren. Ebenso schwang Cols di 
Rienzi das Schwert. als eingebildeter Augustus dreimal zur Bezeichnung der 
drei Weltteile mit den Worten: Das ist mein, das ist mein und das ist auch 
mein! Was aber dem Kaiser, dem Augustus zusteht, das wäre bei dem 
Herzog von Kirnten, einem einfachen Reichsfürsten und Lehensmann des 
Kaisers, eine unyehcuerliche Anmaßung, welche der Kaiser gar nicht hätte dulden 
können. Der Schwertritus auf dem Zollfelde paßt somit auf einen deutschen 
Herzog überhaupt nicht, am allerwenigsten schon für jene Windrichtungen, 
wo andere Reichslande angrenzen, folglich muß der Ritus älter sein als die 
Reichsangehörigkeit Kärntens, aus der Zeit der vollen Unabhängigkeit des 
Landes, also aus slawischen Zeiten herrühren und kann durchaus nicht als 
eine Nachahmung der Kaiserkrönung gelten. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 505 


ıbın ist nach Puntschart „die Versinnlichung der Ausübung 
der Gewalt des [Herzogs]bauers zu sehen, und zwar der letzten 
Ausübung. Der Bauer erscheint darin zugleich als der Be- 
rechtigte zur Übertragung der Gewalt an den Herzog, welche 
dadurch sinnenfällig als eine legitime dargestellt wird“), 

„Die Versinnlichung der Ausübung der Gewalt des [Herzogs]- 
bauers“ durch den Backenstreich ist. sowohl nach deutschen ?) 
als auch nach slawischen?) Rechtsgewohnheiten allerdings offen- 
bar, der Rest von PuNTSCHARTS Deutung ist dagegen m. E. aus 
folgenden Gründen abzulehnen: 

Wo immer die Verabreichung eines Backenstreiches stattfindet, 
geschieht es zum Zeichen, daß dadurch der Gestrichene in die 
Gewalt des Streichenden gelangt. Wäre jedoch dabei mit auch 
eine Übertragung der Gewalt gemeint, dann wäre vielleicht 
eine Quittierung des Empfanges dieser Gewalt zu erwarten, 
indem etwa der Anwärter, sobald er sich auf dem vom Bauer 
seräumten „Stein“ niedergelassen hat und dadurch Fürst ge- 
worden ist, den Backenstreich zurückgäbe zum Zeichen, daß 
der Bauer, der bisherige Verweser, sich fortan in der Gewalt 
des Fürsten befinde. So aber bleibt der Backenstreich 
auf dem Fürsten sitzen, vorausgesetzt, daß hier zwischen 
der Verabreichung der alapa und dem Nachsatze: bonum iudicem 
iubet esse nichts weggefallen ist. Hier sind eben zwei Möglich- 
keiten denkbar: Entweder ist dazwischen wirklich etwas weg- 
sefallen und jeder weitere Streit darüber fruchtlos, oder es ist nichts 
weggefallen und der Abt hat Heterogenes zusammengekoppelt : 
dann sitzt der Backenstreich. In diesem Falle wäre es jedoch 
durchaus nicht belanglos, daß die Verabreichung der alapa ganz 
am Schlusse der Tätigkeit des Bauers vor sich geht, und dies 
könnte dann bedeuten, daß der den „Stein“ räumende Bauer 
seine Rolle nicht nur noch nicht ausgespielt hat, sondern im 


1) PUNTSCHART, 8. 142. 

2) Zwei davon lernten wir oben, S. 500 f. kennen. 

3) PCNTSCHART, 8.141. — E. GOLDMANN, Die Einführung der deutschen 
Herzogsgeschlechter Kärntens in den slowenischen Stammesverband. Breslau 
1903, S. 166 f., bildet das 68. Heft der Untersuchungen zur deutschen 
Staats- und Rechtsgeschichte, herausgegeben v. GIERKE. 





506 J. Peisker 


Gegenteil ihm eine bestimmte Gewalt über dem Fürsten vorbehalten 
bleibt, die ihn etwa berechtigt, ja verpflichtet, gegen den Fürsten 
ipso iure vorzugehen, wenn dieser, den soeben eingegangenen 
Verpflichtungen zuwider, sich an den Rechten der Bauernschaft 
treulos vergreifen würde. Träfe diese Annahme zu, dann wäre 
durch die Verabreichung des Backenstreichs 

‘7. einer der Bauernfreiheit zefährlichen Fürstenwillkür ein 
weiterer Riegel vorgeschoben. 

Mag indes Punkt 7 stichhaltig sein oder nicht: schon der 
ganze Komplex von Punkt 1—6 zeigt zur Genüge, mit welcher 
Überlegung und Lebensklugheit, ja mit welchem raffinierten 
Mißtrauen die durch bittere Erfahrungen gewitzigte Bauernschaft 
es verstanden hat, ihre junge Freiheit möglichst sicherzustellen. 
Und in der Tat lassen sich stärkere (rarantien, als jene des Rituals 
waren, nicht leicht denken; mit ihnen waren die Hauptbedürtnisse 
des vom Zupanenjoche freigewordenen Bauerntums, wie wir sie 
oben S. 488, zunächst rein spekulativ, entwickelt haben, wewähr- 
leistet. 

Anders konstruiert LEvze. Auch er nimmt für die älteste Zeit au. 
„daß sich Viehzüchter als herrschende und Ackerbauer als be 
herrschte Schichte gegenübergestanden sind. Wenn nun die beiderseitizen 
wirtschaftlichen Interessen, wie gezeigt wurde, im Laufe der Entwickluns 
zu Konflikten führen müssen, so war es doch keineswegs notwendig — das 
heutige Kärnten und Böhmen beweisen es —, daß bei diesen Zusammet- 
stößen die Ackerbauernschicht, selbst wo sie die stärkere war und den Siex 
davontrug, die Viehzüchter- und Hirtenschicht vollkommen vernichtet! 


hätte, weil der primitive Ackerbauer auf die Hilfe und Unterstützung der 
Hirten noch angewiesen ist, selbst wenn dieser nicht sein Herr ist'. Es 


1) „Ein packendes Beispiel aus halbvergangener Zeit bietet der Balkai. 
Hier hat seit dem Mittelalter bis zum Berliner Kongreß eine scharf au- 
geprägte Zweischichtung bestanden, und sie besteht in reduziertem Mur 
noch heute. Die rumänischen Wanderhirten (Vlachen), die nie eine herrschentr 
Schicht gebildet haben, zogen auf dem ganzen Balkan mit ihren Herd 
herum; wenn sie im Frühjahre auf die Höhen oder im Herbste in die Niei« 
rungen zogen, weideten ihre Herden auf den Stoppelfeldern und Brachäcker 
der Bauern und versorgten diese mit Dünger. Als dann nach dem Jahre 19:3 
die innerhalb des Balkangebietes errichteten neuen Staatsgrenzen [Serbien 
und Bulgariens] dem unbeschräukten Nomadenleben der Vlachen ein En 
setzten, brach über die Ackerbauer eine wirtschaftliche Krise herein. Ne 
mußten sich entweder Vieh anschaffen, um Dünger zu haben, oder, wo die 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 507 


konnte daher der Sieg auch zu einer bloßen Beschränkung der früheren 
Herrscher führen; das geschah derart, daß man dem Supan, der, wie 
vielleicht zu vermuten ist, kraft eines einem bestimmten Supanengeschlechte 
zustehenden erblichen Rechtes zur Herrscherwürde im betreffeuden Staats- 
wesen gelangte, bei seiner Einsetzung zum Bewußtsein brachte, daß infolge 
jenes Bauernsieges seine Gewalt eine Gewalt von der Bauern 
Gnaden sei, er daher ihnen vielleicht ein freies Roderecht, bestimmt aber 
zumindest ein gewisses Recht auf Viehzucht — Rind, Pferd, Schwein — 
zu verbürgen hat. Hier ist m. E. der Ursprung der kärntnerischen Zere- 
monie zu suchen; durch diese Annahme wird es verständlich, warum der 
Bauernherzog von Symbolen der Viehzucht umgeben ist, und so wird es 
auch erklärlich, daß sich Supanen in gewissen Gegenden Karantaniens in be- 
deutender Zahl und in privilegierter Stellung wirklich erhalten haben“ '). 


Diese posthume Arbeit von LEvE« blieb unvollendet, und gerade die 
angeführte Stelle ist eine bloße Skizze, an welcher der Autor kaum fest- 
gehalten hätte, wenn er nicht der Wissenschaft so frühzeitig entrissen worden 
wäre, denn bei unserem letzten Gedankenaustausch äußerte er andere Ideen. 
Da nun die Skizze dennoch in seine Studie mit aufgenommen werden ınußte, 
so bleibt mir nur der Nachweis übrig, daß sein — ich kann wohl sagen: 
einstiger — Versuch mißlungen ist, die oben S. 329 ff. dargestellte unter- 
steirische Zupanen verfassung *) mit der kärntnerischen Bauern verfassung 
des Zollfeldes in Zusammenhang zu bringen, denn: 


1. ist in dem Zollfelder Bauernstaate nicht die geringste 
Spur von einer Zupanenschicht wahrnehmbar, eine solche 
hat dort überhaupt nicht bestanden; 


2. ist der Zollfelder Anwärter der Fürstenwürde ein Bauer, und als 
solcher erscheint er vor dem Fürstensteine. Die zwei Tiere kennzeichnen 
ihn nicht als Zupan von der Bauern Gnaden, sondern als viehzüchten- 
den Bauer; 


3. ist der primitive Ackerbau auf Hilfe und Unterstützung des Hirten 
nicht im geringsten angewiesen; er fulit auf Brennwirtschaft, Hackbau 


angeht, rufen sie noch heutzutage die vlachischen Wanderhirten und be- 
zahlen sie zu dem Zwecke, daß sie auf ihren Äckern mit den Herden über- 
nachten und so den notwendigen Dünger beschaffen. Vgl. Prisker, Slovo 
o zädruze, ‘SAbdr. aus Närodopisny Sbornik Ceskoslovanskr IV. 
u. V. VPraze 1899) S. 28 ff., vorzüglich auf Grund der Berichte von Jun. 
Konst. JIRECEK, Cesty po Bulharsku. VPraze 1888, S. 138...“ 

1) Levec S. 79 f. 

2) und diese meint LEvrC mit den Worten: „daß sich Supanen in 
gewissen Gegenden Karantaniens in bedeutender Zahl und in privilegierter 
Stellung wirklich erhalten haben“. Karantanien umfaßte nämlich einst auch 
den größten Teil Steiermarks. 


es 


. ir Fer ®, 
3 
« 





508 J. Peisker 


mit: ein-, höchstens zweijährigen Saatfeldern, und solche bedürfen keiner 
Düngung; 

4. trifft der Vergleich mit der Zweischichtung auf der Balkanhalbinsel 
nicht zu; hicr handelt es sich um keine primitive Bodenkultur, keinen Hack- 
bau, sondern um regelmäßigen Ackerbau mit Haken oder Pflug auf perm- 
nenten Äckern, mit Düngung von Stoppel und Brache; 

6. Ist nun die Düngung der Bauernfelder durch Zupanenherden gege- 
standslos, dann fehlt auch jedes Interesse der siegreichen Bauernschaft an 
dem Fortbestande der so verhaßten Zupanenschicht, und da diese gewiß nicht 
freiwillig das Feld räumte, so wurde sie entweder verdrängt oder vertilgt 
Das nötige Vieh konnte der Bauer fortan selbst halten; 


6. Der untersteirische Zupanenstaat und der Kärntner 
Bauernstaat sind zwei von einander ganz unabhängige, 
heterogene Gebilde, die sich gegenseitig unversöhnlich 
abstoßen. Jedes dieser zwei Staatsgebilde will demnach für sich ab- 
_æesondert behandelt werden und es ist jeder Rückschluß, welcher immer, 
von dem einen auf das andere ganz und gar unstatthaft. Erst die Deutschen 
dürften die beiden politisch vereinigt haben, aber unter Beibehaltung 
der bisherigen Volksgliederungen. „Quarantanis“ der ältesten Quellen ist 
kein politischer, sondern bloß ein ethnischer Begriff, welcher eine Ansabl 
- selbständiger Knezentümer ohne Rücksicht auf deren innere Struktur umfaßte. 
Dies ergibt schon cap. 7 der Conversio Bagoariorum et C'arantanorem: 
... Arn episcopus [Fuvavensis] successor Virgilii [dieser + 784] ... ordnen 
presbrteros el mittens in Sclaviniam, in partes videlicet Quarantanas atque inferior: 
Panonia: illis ducibus atgue comitibus, sicut pridem Virgilius fecit. Quorum 
unus Ingo vocabalur ... Vere servos credentes secum vocavil ad mensam, & 
qui corum dominabantur infidedes, foris quasi canes sedere fecit, ponende 
ante illos panes et carnem et fusca vasa cum vino, ut sic sumerent viclus. Servis 
aulem staupis deauratis propinare iussit ... Tunc interrogantes primi defori 
dixerunt: Cur facis nobis sic? At ille: Non estis digni, non ablutis corboribu:, 
“um sacro fonte renatis communicare,; sed foris domum ut canes sumerè victus. 
Joe facto fide sancta instructi certalim cucurrerunt baptizati. Et sic drinceps 
relisio christiana succrescit. Ingo war somit nicht dux oder comes Quarants- 
norum, sondern bloß unns ducum atque comitum, der Knez eines der 
vielen Karantanervölkchen und zwar eines von Zupanen beherrschten — 
servi...et qui eorum dominabantur! — vielleicht eben des untersteirisches 
Völkchens, nicht aber des Zollfelder Bauernvölkchens. Die Ingosage hat 
daher init der Entstehung des Zollfelder Einsetzungsrituals nichts zu schafes 
und wenn Abt Johannes, etwa 1341, bei der Erläuterung dieser Zeremonie 
meint: Zr ob hanc causam [d. i. Ingos Gastmahl] etiam investitura principis 
in simplices et non in nobiles est transducta'), 80 ist es bloß seine, recht naire 
Vermutung, die uns nicht beirren darf. 


1) JOHANNNES VICTORIENSIS, a. a. O. S. 320. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 509 


Der Bauernstaat umfalite nicht das Gesantgebiet des Slowenen- 
olkes, sondern bloß etwa das östlichere Kärnten von heute. 
'ohl zu beiden Seiten der Drau. Südöstlich davon, jenseits der 
teiner oder Sanntaler Alpen, in Untersteiermark und Nordkrain. 
lieb das Zupanentum ungebrochen, #ewifl als besonderer Zu- 
ancenstaat mit eigener Verfassung, deren Nachschimmer wir 
ach dem Rationarium Stirie vom Jahre 1256 oben dargestellt 
aben. Hier bot die wildzerklüftete und geradezu unzugäng- 
che, noch heute mit ungeheueren lrwäldern von riesigen 
uchen, Fichten und Tannen bedeckte Granitmasse des Bacher- 
ebirges, wo Bär und Luchs noch bis unlängst hausten, der be- 
'eglichen Hirtenschicht festen Halt; nicht zur Weide, denn dazu 
t sie ob ihrer schroffen Abhänge fast unverwendbar und der 
iehauftrieb auch heute noch gering'), sondern als sicherer 
chlupfwinkel in der Not, wohin sich der Nomade vor feindlichen 
inbrüchen zurückziehen und von da aus den Eindringling nach 
len Seiten bedrängen konnte. Ihre Winterquartiere nahm diese 
lirtenschicht mitten unter den unterworfenen Bauern auf dem 
ettauer Felde?), während ihr die Steiner oder Sanntaler Alpen 
ar Sommerweide dienten. 

Dagegen hausten dereinst die Hirten im heutigen Kärnten 
on Natur aus viel ungünstiger, denn hier ist das Klima zu rauh. 
m geeignete Winterweiden zu bieten, die in der Regel hohe 
chneedecke ließe das Vieh monatelang ohne das nötige Scharr- 
itter. Ein Wintern der Nomaden war hier nur möglich, wenn 
ie geknechteten Bauern verhalten wurden, um so viel mehr Heu- 
orräte den Sommer über aufzustapeln, je weniger an Scharr- 
itter zu Gebote stand. Dadurch hätte sich die Lage der Kärnter 
auern allerdings noch viel härter gestaltet, als die ihrer unter- 
æirischen Volksgenossen. Stand dagegen den Kärnter Nomaden 
ie milde, schneearme Sauebeue um Krainburg und Laibach 
ffen, dann dürften sie zur Herbstzeit eine Wanderung dorthin, 
ber den Loiblpaß — 1370 m - - vorgezogen und die Kärnter 
auern wenigstens mit Winterungen unbehelligt gelassen haben. 


| 1) JANISCH, Topographisch-statistisches Lexikon von Steiermark, 1. Band, 
raz 1878, S. 46. 
2) Siehe oben S. 469 ft. 


Pe; 1 “ 
Bee 


510 J. Peisker 


Dies ist einer wehrlosen Bauernschicht gewiß nicht gleichgültig. 
denn anders gestaltet sich ihr Geschick, wenn sie die ständigen 
Winterungen der Nomaden über sich ergehen lassen muß oder 
wenn sie davon verschont bleibt. Aber in beiden Fällen war die 
Begierde nach Befreiung von der Zupanenplage groß, und wurde 
der Druck unerträglich oder eine Erfolg verheißende Schwächung 
der Bedrücker durch äußere Feinde oder durch Viehseuchea 
merklich, dann gelang schließlich einer der Aufstände vollständig, 
die Zupane wurden vertrieben oder vertilgt, die Bauern frei. Wie 
sich dann die Bauernschaft aufrichtete und von Grund aus neu 
organisierte, das lehrt, trotz seiner Verblaßtheit, das Einsetzungs- 
ritual, und dieses ist, wie wir gleich hören werden, dem böh- 
mischen im wesentlichen so ähnlich, daß wir ein gemeinsames, 
erprobtes Vorbild annehmen dürfen, ein traditionelles Vorbild aus 
altersgrauer Zeit, zu welchem man zurückgriff, so oft und wo 
immer eine der zahlreichen Revolutionen glückte. So wäre die 
Ähnlichkeit der beiden Rituale am ehesten zu erklären. 


Die Organisation des Kärnter Bauernstaates bewährte sich 
allem Anscheine nach glänzend, die Bauernfreiheiten hielten lange 
Stand; wurde ja das Ritual sehr oft und Jahrhunderte hindurd 
geübt, sonst wäre es dem Volke nicht so tief in Fleisch und 
Blut übergegangen. 

Ein Bauernstaat ist seiner ganzen Natur nach gegen außen 
passiv, nicht angreifend, erobernd, dagegen äußerst zäh in der 
Verteidigung, wie die Dithmarschen und die afrikanischen Buren- 
staaten. Er ist entschieden kleinstaatlich !), so, was man, etwas 
ungenau, patriarchalisch zu nennen pflegt, nur so weit ausgedehnt, 
als der Knez-Richter in eigener Person überblieken kann. Macht- 
entfaltungen nach außen werden gar nicht angestrebt, der Klein- 
staat genügt sich selbst. Wohl sind zu Zwecken aussichtsvollerer 
Verteidigung in Kriegsgefahren föderative Zusammenschlüss 
mehrerer autonomen Knezentümer unter einem Großknezen, (irof 
fürsten von Vorteil ?), wie sie gerade bei den Slawen so vielfach 


1) PuntscHArTt, S. 269. 
2) Daß auch hier das Senioratsprinzip eine Rolle spielt, hat KAXNTRCKI 
— siche oben S. 496 Anm. 4 — gezeigt. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 511 


angetroffen werden. Ist die Gefahr vorüber, dann löst sich ein 
solcher Zusammenschluß gern auf und überdauert nur selten 
seinen Gründer. Erstarkt jedoch die Macht eines solchen Groß- 
fürsten zum Nachteile einzelner Föderierten, dann entstehen innere 
Gegensätze, die schließlich entweder ebenfalls zur Auflösung der 
Föderation oder aber zur direkten Unterwerfung einzelner, um 
Wiedergewinnung ihrer Unabhängigkeit ringenden Glieder führen; 
im letzteren Falle verschwinden die unterlegenen Knezen, es 
kommt zu einer Beamtenregierung der niedergeworfenen Depen- 
denzen, die dann wie ein erobertes Land zu Handen des Groß- 
fürsten verwaltet und von ihm als sein Privateigentum behandelt 
werden, das vererbt, unter seine Deszendenz verteilt werden kann. 
Solche durch Unterwerfung erworbenen Dependenzen sind m. E. 
der Boden, auf welchem die Entstehung der Paragien, Apanagen 
für die jüngeren Prinzen, zu suchen ist, von wo aus diese Insti- 
tation schließlich auch in das Stammland herübergreift, nachdem 
die Dependenzen in feste Hände, denen sie nicht mehr entwun- 
den werden können, gelangt sind und die Fürstenmacht auch in 
dem Stammlande maßgebend geworden ist, wie es in Böhmen 
der Fall war!) Diese Entwicklung ist in einstigen Bauern- 
staaten ebenso denkbar wie in Zupanenstaaten, sie setzt jedoch 
in beiden Gebilden eine entsprechende Stärkung der Herrscher- 
gewalt voraus. 


1) Eine Analyse der böhmischen Zustände führt Loserrn zu dem zu- 
treffenden Schlusse: „Anfänglich hatte jeder Stamm sein eigenes Oberhaupt. 
Wie aber die gemeinsame (iefahr von außen her die einzelnen Stämme zwang, 
nnter eine gemeinsame Leitung zu treten, so gewann jener Stamm, aus 
welchen der Herzog gewählt wurde, und dann in weiterer Linie das Gc- 
schlecht, welchem der gemeinsame Herzog angehörte, selbst cine weitaus 
höhere Bedeutung. Dem Stamme der Czechen, der weder der volkreichste, 
noch kriegerischeste war, kam die zentrale Lage seiner Sitze im Innern des 
Landes, von wo jedem der Nachbarstämme Hilfe geleistet werden konnte, 
dem (teschlecht der Pfemysliden vielleicht auch die nachweisbare Verbindung 
mit dem [mährischen] Moimaridenhause zu statten. In schweren Kämpfen, 
in einzelnen Fällen auch in friedlicher Weise — für beide Momente fehlt 
«s nicht an hinlänglichen Belegen — erfolgte das Aufgehen der Stammes- 
fürstentümer.* LOSERTH, S. 41. 

Über die Entwicklung des Paragiums siehe KANTECKI, 8. 25 ff. LosERTH, 
N. 20 fl. 


512 J. Peisker 


Solange der Bauernstaat sich nicht in dieser Richtung ver- 
schoben hat, ist er an sich ein eminenter Rechtsstaat’); er 
entstand nicht durch Eroberung, durch Unterjochung, sondern auf 
xrund einer wahlmäßigen Rechtsordnung, die sich das freigewordene 
Bauernvolk selbst gegeben hatte. Sicherheit der Person und de 
Eigentums ist sein höchster Grundsatz, und nichts wird so streng 
seahndet als Tötung, Diebstahl und Brandlegung, davor will der 
Bauer zu allererst gesichert sein. Daher bedarf er zunächk 
eines weisen, tatkräftigen Richters, und als soleher erscheint auch 
der Kärnter Bauernfürst im Lichte des Rituals. Richterliche 
Weisheit setzt Lebenserfahrung voraus, die erst in eineın höheren 
Alter erworben werden kann, daher ist eine Deszendentalerbfolge 
vom Fürstenstuhle ausgeschlossen, der an Jahren Älteste, oder 
wenn dieser nicht tauglich oder nicht genehm ist, der Zweitältest 
soll Fürst-Richter sein. 

Dennoch darf man sich die Einrichtungen eines solchen Bauen- 
staates nicht gar zu ideal vorstellen, denn nichts liegt dem Bauer 
ferner als abstrakte Selbstlosigkeit. Der Bauer an sich ist em 
derber, man kann fast sagen niedriger Egoist, nur für sich frei- 
heitsliebend und eines höheren Aufschwungs bar. Auch er wird 
seine Knechte gehabt haben, wo er ihrer nur habhaft wurde. 
neben ihm konnte nichts, was dem Städtewesen, einer differen- 
zierten Arbeit, einer (rliederung der Gesellschaft ähnlich wäre, 
so leicht entstehen; so etwas konnte nur gegen ihn aufkommen, 
solange jedoch er der Herr war, geschah es nicht. Von einem 
xeistigen Fortschritt war da keine Rede. Als abgesagter Feind 
jedes solehen haßte der Kärnter Bauer nichts so sehr als da 
Christentum, denn er fühlte es instinktiv heraus, daß mit den 
Predigern der Nächstenliebe und völligen Gleichheit der Menschet. 
die noch dazu erst im Jenseits zur Tat werden sollte, knechtende 
Gewalten ins Land kommen und die Bauernherrlichkeit vernic- 
ten würden. Daher die vielen Erhebungen gegen die Missionäre. 
die sich wiederholt flüchten mußten, trotz der vom Salzburger 
Bischof gebotenen Vorsicht: neAll sibi ursurpare, quod decrebs 
sanciorum palrum contratret*). -- Das Augenmerk des Frei- 

1) Puxsrschiwr, 8. 269 f. 

2) [Cheitmar dux Carantanorum] secum habens Maiorianum presbyterer 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 513 


bauerntums ist ausschließlich auf Behauptung seiner Freiheit und 
Befriedigung des zeitlichen Lebensunterhaltes in schwerer Land- 
arbeit gerichtet, höher reicht sein Bestreben nicht. Dabei mag 
der Kärnter ein tüchtiger Agrikultor gewesen sein, mit Viehzucht, 
sogar mit Stallfütterung im Winter, einer Folge mangelnden 
Seharrfutters. 

Eine Grundsteuer duldete er nicht und ließ sich diese Frei- 
beit bei jeder Fürstenkur in der Wahlkapitulation besonders ge- 
währleisten. Ja, nicht einmal einen Fürsten im deutschen Sinne 
wollte er haben: sein Ärez war kein König, sondern, wie schon 
erwähnt, Richter im Frieden, vojevoda (wörtlich %Aerizogo) im 
Kriege, daher auch die slawischen Knezen den Deutschen als 
duces erscheinen. 

Erst nach der deutschen Landnahme entwickelte sich eine 
gesellschaftliche Gliederung im Kärnterlande, die einstige Bauern- 
berrlichkeit schmolz allmählich zusammen, ihre Gewährleistung 
durch Wahlkapitulation wurde zu einer inhaltsleeren Formalität. Die 


in Juvavensi monasterio ordinatum ad presbylerum. Qui admonuil cum ad ipsum 
monasterium suum caput declinare in servitium Dei. Et ille ita fecit, ac promisit 
se ad ipsam sedem serviturum. Sicut et fecit atque annis singulis ibidem suum 
servitium persolvebat, el inde semper doctrinam et officium christiantiatis percepit 
usque dum vixit. 

Peractis aliquantis temporibus prenominatus dux Caruntanorum petiit Virgilium 
episcopum visilare populum gentis illius, cosque in fide firmiler confortare. Quod 
ile tunc minime adimplere valuit, sed sua vice misso suo episcopo nomine Modesto 
ed docendam illam plebem ... cum aliis clericis, dans ei licentiam ecclesias von- 
secrare et clericos ordinare iuxta canonum diffinitionem, nihilque sibi wusurpare 
guod decretis sanctorum patrum contrairet. Qui venientes Caranlanis dedieaverunt 
ibi ccelesiam S. Mariae... et in aliis quam Plurimis locis. Ibique permansit 
ssque ad vilae suac finem. Eo igitur defuneto episcoßo, postwlavit iterum idem 
Cheitmar dux Virgilium episcopum, si fieri posset, ut ud se veniret. Quod ille 
remnsil orla scditione, quod carmula dicimus. Sed inilo consilio misit 
ibidem Latinum presbyterum, et non multo post orta alia seditione exivitl 
inde ipse Latinus presbyler. Sedata autem carmula misit iterum Virgilius 
episcopus ibidem Maualhohum presbyt'rum ...  Mortuo autem Cheitmaro et orta 
seditione aliquot annis nullus presbyter ibierat, usque dum W'altunc 
dux corum misit iterum ad Virgilium cpiscopum et petiit ibidem presbyteres mittere. 
Qui tunc nisit eis Heimonem presbyterum . .. cum aliis clericis. 

— Conversio Bagoariorum et Carantanorum cap. 4 und 5. 


Mon. Germ. Hist. SS. XI. S. 7f. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 34 


514 J. Peisker 


altherzebrachte Steuerfreiheit wich anfangs vielleicht freiwilligen, 
nicht regelmäßigen Leistungen zu Verteidigungszwecken und 
schließlich einer ständigen Besteuerung. Dies dürfte sich dann 
auch im Rituale dahin ausgeprägt haben, daß der Landesfürst bei 
seiner Inthronisation nicht mehr der Bauernschaft, sondern blob 
dem ,Herzogs“bauer, als dem nunmehr einzigen Bevorzugten, 
Steuerfreiheit zusicherte. Nebstdem verlor auch der Ritus der 
Übergabe der zwei Zuchttiere als Symbol des verbürgten Bauen- 
rechts auf Viehzucht seine Bedeutung, man wußte nicht mehr, 
was damit gemeint sein sollte, nachdem es seit Jahrhunderten 
niemanden ab, welcher die Bauernschaft an ihrer Viehzucht ak 
solehen gehindert hätte. Das Symbol der Übergabe der Zucht- 
tiere wurde so zu einer leeren Auferlichkeit, die nicht einmal dem 
„Herzogs“bauer zugute kam, seitdem er Stier und Stute selbit 
„fürzustellen“ hatte). 

Für das Bauernvolk war fortan durch das Inthronisation:- 
zeremouiell nichts mehr zu holen, es wurde nun ein stummer Zu- 
schauer des unverständlich gewordenen Schaustückes, bei welchem 
bloß der Fürst und der Herzogsbauer als handelnde, eigentlich nur 
darstellende Personen auftraten. Und für dieses E n d stadium trifft 
zu, was M. PAPPENHEIM, gewiß unrichtig für die ganze Vergangen- 
heit generalisierend, gegen PUNTSCHART eingewendet haben will: 

„Das ‚demokratische Moment‘ der Herzogseinsetzung besteht nach der 
Ansicht des Verfassers ($$ 134 ff.) darin, daß der Herzogsbauer den Herzog 
in den Besitz des Landes und in die Herrschaft über dasselbe einsetzt. KR 
geschieht dies erst nach Eınpfang der geforderten Garantien betreffs der 
Persönlichkeit des Herzogs und nach Zusicherung der von ihm zu erbringenden 
Gegenleistung, und es geschieht durch die Räumung des den Besitz de 
Landes darstellenden Besitzes des Fürstensteins. Der Bauer verleihe das 
Land als Vertreter des Volks; er und durch ihn das Volk erscheine vor der 
Abtretung des Steines als der Besitzer des Landes; das Volk sei als der 
Souverain gedacht. Dieser Ansicht des Verfassers können wir uns in ihre@ 
letzten Teile nicht anschließen. In dem Formalismus der Einsetzung deutet 
nichts darauf hin, daß der Bauer sie als Vertreter des Volkes vornehme. 
nichts darauf, daß der Bauer vor ihr als Vertreter des Volks auf dem Stein 
sitze. Im Gegenteil. Die anwesende Volksmenge nimmt nur als Zuschavera 
an der Zeremonie teil; nicht cinmal von einer Beifallsäußerung, wie # 
sonst häufig als letzter Überrest einstiger materieller Mitwirkung begegmt. 


1) PUNTSCHART, S. 62 f. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 515 


ist hier die Rede’). Der Herzogsbauer tritt durchweg als aus eigenem 
Rechte handelnd auf. Dem Anspruch des Herzogs stellt er die Frage ent- 
gegen, mit welchem Rechte dieser ihn von seinem Sitze entfernen solle. Das 
hiefür zu leistende Entgelt wird ihm zugesichert und ausgehändigt. Er 
nimmt allein den Übertragungsakt vor. Täte er dies alles als Vertreter des 
Volkes, so müßte das doch in irgendeiner Weise erkennbar werden. Der 
Inhalt des Einsetzungsaktes spricht aber direkt dagegen. Die Herzogs- 
einsetzung kleidet sich in die Form einer entgeltlichen Übertragung des Land 
und Landesherrschaft repräsentierenden Fürstensteins unter alsbaldiger Besitz- 
emweisung. Die Belehnung des Herzogs durch den König erscheint in diesem 
Zusammenhange als die Tatsache, die ihm einen Anspruch auf die Übertragung 
verschafft hat. Auch in dem Formalismus der Herzogseinsetzung erscheint 
der Bauer insoweit an die königliche Belehnung gebunden, als durch sie die 
Person desjenigen bestimmt ist, an den die Übertragung bei dem Vorhanden- 
sein der sonstigen Voraussetzungen zu erfolgen hat. Die Übertragung kann 
daher nicht einen W ahlakt des Bauern, bez. der durch ihn vertretenen Bauern- . 
schaft darstellen; die durch die Wahl zu beantwortende Frage, wer Herzog 
werden solle, wird bei der Herzogseinsetzung als beantwortet vorausgesetzt. 
Diese dient nicht der wenn auch nur formalen Bestimmung der Person des 
künftigen Herzogs, sondern der formal freiwilligen Übertragung der Herr- 
schaft an die durch die königliche Belehnung bestimmte Persönlichkeit, deren 
Identität und Qualifikation allein durch die dahin gehenden Fragen und Ant- 
worten festgestellt und verbürgt werden. Die Übertragung der Herrschaft 
aber kann nur erfolgen durch deren zeitigen — wenn auch nur formalen 
— Inhaber. Als solcher erscheint der Herzogsbauer, der, kurz gesagt, als 
Bauernherzog zu betrachten ist. Als solcher sitzt er auf dem Fürstensteine, 
Bein über das andere geschlagen, d. h. in seiner äußeren Erscheinung 
das Nachdenken über Geschäfte seines Amtes zur Schau tragend. Aus eigenem 
Rechte überträgt er die Herrschaft dem vom Könige Belehnten. Er vertritt 
nicht: das Volk in der Wahl des Herzogs, sondern er überträgt die ihm 
formell als Bauernherzog zustehende Herrschaft dem vom Könige mit dem 
Herzogtum Belehnten. Darin, daß der Königsherzog dieser Übertragung der 
Herrschaft seitens des Bauernherzogs bedarf, um in den Besitz des ihm ver- 
iehenen Amtes zu gelangen, ist natürlich eine Erinnerung an die Zeit zu 
rblicken, wo lediglich ein Bauernfürst die Herrschaft ausübte“ ?). 

Nach PAPPENHEIM wäre somit, wenn ich ihn richtig verstehe, 


lax Ritual erst mit dem ersten nichtbänerlichen Fürsten aufge- 


1) „Die Angabe des Johannes von Viktring (S. 47), es sei auf die erste 
‘rage des Bauern von den „consedentes“, auf die zweite und dritte von 
‚allen“ geantwortet worden, kann, wie PUNTSCHART (S. 64 f.; vgl. S. 101, 
72) zeigt, keinesfalls dem ursprünglichen Sachverhalt entsprechen.“ 

2) PAPrENHEIM, in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Bechts- 
seschichte. 20. Bd., Germanistische Abteilung, Weimar 1899, S. 811 f. 


516 J. Peisker 


kommen. Ein einheimischer Nichtbauer hätte es nicht sein 
können, denn wo der Bauer Herr ist, dort gibt es keinen Edel- 
mann'), somit wäre das Ritual zum erstenmal erst bei der In- 
thronisation des ersten deutschen Fürsten geübt worden, welcher 
die Herrschaft aus der Hand des abtretenden letzten Bauern- 
fürsten empfangen haben würde. Aus eigenem Rechte hätte 
dieser — um uns der Worte PAPPENHEIMS zu bedienen — die Herr- 
schaft dem vom König Belehnten übertragen, das Volk in der Wahl 
des Herzogs nicht vertreten, sondern die ihm [damals noch nicht bloß) 
formell, [sondern tatsächlich] als Bauernherzog zustehende Her- 
schaft dem vom König mit dem Herzogtun: Belehnten übertragen. 

Wäre dies richtig, dann hätte eine Vereinbarung über da. 
und zwar nicht allein bei der Übertragung der Herrschaft auf den 
ersten deutschen Fürsten, sondern bei jeder folgenden Inthroni- 
sation zu beobachtende Ritual vorangehen müssen. Dadurch wär 
überdies ein für beide Teile, den Bauernherzog und den König- 
herzog, vollständiges, dem Volke, das nach PAPPENHEIM dazu gar 
nichts zu sagen hatte, gänzlich gleichgültiges Novum entstanden. 
Hätte man ein so rohes und dennoch bloß formales, den gleich- 
zeitigen Zuständen so ganz und gar nicht Rechnung tragende 
Ritual ausbrüten und sich darüber einigen können? Wäre ein 
deutscher, noch dazu siegreicher Fürst auf ein derartiges Novum 
eingegangen, das ihn zwang, unbewaffnet, im Bauerngewande. 
zwei Tiere nachziehend, vor dem Bauer zu erscheinen und von 
ihm eine Maulschelle zu empfangen? Hätte er dabei vergessen 
können, was eine solche in dentschen Volksrechten bedentet? 

Als ein Novum wäre das Ritual dem Kônigsherzog nor 
vic! peinlicher gewesen, als es schon an sich war, und seine 
Nachfolger hätten es ohne besondere Mühe ad acta legen könne. 
wenn cs im Volksbewußtsein nicht schon längst eingelebt gewesen 
wäre, das Volk dabei nichts zu sagen gehabt hätte, denn w 
hätte das armselige Herzogsbäuerlein die Macht hergenommen. 
das Ritual aufrecht zu erhalten, wäre es eben ein Novum gewesen. 
das dem Herrscher lästig, ihm, dem Herzogsbauer, zumindest 
verkäuflich war und das Volk nichts anging? 


1) Sie sechen ouch enkain adel noch gewalt an, wan biderbkait und zoarkail:. 
Schwabenspiegel, zitiert bei PUNTSscHART, S. 269. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 517 


So kann man sich den Ursprung des Rituals nicht denken. 
Es wurzelte vielmehr so tief im Volksbewußtsein, wie nur ein 
altersgraues Herkommen als Verkörperung der ganzen Volks- 
vergangenheit wurzeln kann, und der erste deutsche Herrscher 
fügte sich, seinen nur zu begründeten Ekel niederwürgend, dem 
ikm unbegreiflichen und auch dem Volke nicht mehr klaren, aber 
um so heiligeren, weil mysteriösen Zeremoniell, das unter den 
Fittiehen der Kirche eine höhere Weihe erhalten hatte. 


* x 
* 


Die bäuerliche Herkunft der Karantaner nationalen Dynastie 
konnte bloß ınittelbar aus dem Zollfelder Ritual erschlossen wer- 
den. Dagegen ist eine ebensolche Abstammung des böhmischen 
Fürstengeschlechtes der Premysliden direkt nachweisbar, und diese 
bekannten sich ganz offen zum Bauer Premysl als Stammvater: 

Der Teilfürst von Znaim, Lutold (+ 1112), Enkel Bretislavs I.!), 
ließ die von ihm daselbst erbaute Kapelle zu St. Katharina mit 
Wandgemälden schmücken, unter denen sich auch eine Ahnenreihe 
des (ründers befindet. Darüber, wie die Gemälde vor ihrer im 
Jahre 1892 durchgeführten Wiederherstellung ausgesehen haben, 
bestehen zwei Aufnahmen: die eine, in Kontur und Farbe vom 
Brünner Musealkustos M. Trapp 1859 ausgeführt und beschrieben, 
blieb unveröffentlicht?), die andere in Konturen und mit An- 
deutung der Farben bald darauf vom Maler A. D. VySek skizziert?). 
Beide Aufnahmen decken sich im ganzen, und man ist auf die un- 
genauc Restauration‘) nicht angewiesen. Diese Wandgemälde 
wurden, nach dem erhaltenen Datum AMCAI zu schließen, ent- 
weder im Jahre 1106 (Afnno] MCVD oder 1111 (MCXT, ausge- 

1) LosERTH, a. a. (). Stamintafel. 

2) Ist im Besitze der Stadtgemeinde Znaim. Die näheren Angaben dar- 
fiber verdanke ich dem Znaimer Gymnasialdirektor WisNARk. 

3) A. D. VSSEK, Malirstvi v Cechäch, veröffentlicht in der „Kritickä 
Priloha k Närodnim Listüm“. I. V Praze 1864, S. 279 f. 

4) Reproduziert und beschrieben von V. HOUDEK, Der „Heidenteinpel“ 
in Znaim. Mit 15 Abbildungen. Znaim 1900, im 1. Hefte der Beiträge 


zur Heimatskunde von Znaiın und Umgebung. — Sehr undeutlich bei A. ProKor, 


Die Markırrafschaft Mähren in kuntsgeschichtlicher Beziehung. I. Wien 1904, 
< 102 


518 J. Peisker 


führt und tragen entschieden den Charakter der ersten Hälfte 
des 12. Jahrhunderts '). 

Den Reigen der Ahnenreihe eröffnet der mit zwei bunten Ochsen 
ackernde Bauer Premysl, wie er Ljubosas Botschaft — drei Reiter. 
von einem auf einem reichgeschirrten Schimmel sitzenden, mit 
einem verbrämten Mantel gekleideten vierten angeführt — empfängt. 
Zu seinen beiden Seiten stehen zwei Männer, welche ihm viel- 
leicht den Fürstenmantel umgelegt hatten. Mit der Rechten 
scheint er auf den vordern stilisierten Baum hinzudeuten, der jene 
fabelhafte Haselstaude vorstellen dürfte, welche aus der von 
Premysl in die Erde gestoßenen Pflugreute sofort erwuchs und von 
deren drei Ästen zwei sogleich verdorrten, während der dritte Zweig 
fortgrünte. Hinter Premysl hängt auf einem ebenso stilisierten 
Baume eine gelbliche Tasche und darüber ein Paar plumpe. röt- 
liche Schuhe mit weißen Sohlen ?). 

In derselben Zeit, in welcher die Wandbilder zu Znaim ge 
malt worden sind, vielleicht sogar einige Jahre später (1110). 
schrieb Kosmas (f 1125) seine bekannte Chronik. Darin lesen wir: 

Die Seherin Ljubosa wurde nach ihres Vaters Krok Tode 
von dem Volke auf den Richterstuhl erhoben. Sie hatte einen 
Grenzstreit zwischen zwei Brüdern zu entscheiden und wurde 
von dem einen, der den kürzeren gezogen, beschimpft. Darauf 


legte sie ihre Würde nieder und forderte das versammelte Volk auf: 

(I, cap. 4) ...,, Ze nunc domum, ut quemvoscraseligatis in dominss, 
ego assumam mihi in maritum ...‘ (cap. 5) Postera die... convocant cotux. 
congregant populum ... femina residens in sublimi solio concionatur ad aegrti: 
viros: „O plebs miseranda nimis, quac libera vivere nescit . .. ei insuetac sercitst 
colla sponte submittilis... Aut si nescitis, quac sunt iura ducis, temptabe vi: 
ea verbis dicere paucis. Kolgt eine lange Schilderung der Herrscherwillkir. 
dem I. Buche der Könige, cap. 8, Vers 9—20 nachgedichtet. Ss Zersistitis ır 
incepto ct non jfallitis voto, iam vobis et nomen ducis ct locum, ubi est, indscabe..- 
en ultra illos montes . .. dinoscitur esse villa, nomine Stadici [bei Bilin]. Anis ı“ 
territorio est novale unum ... Ibi dux vester duobus variis bubus arat... Nun... 
meum accipite thalarium et clamidem [=chlamydem, Binde. Du Cange, Glossarium| 
ac mutatoria duce digna et pergite ac mandata populi atque mea referte viro ct addaık 
vobis ducem et mihi maritum. Viro nomen est Premisl‘“ ... (cap.6)... „Ste seen. 


1) HOUDLEXK, 8. 22f.; Prokop, S. 197. 
2) ViSer, S. 281 hält sie für Holzschuhe; seine Skizze siehe # 
Prager Sv&tozor, 32. Jahrg. S. 35. — HOoUDEK, 8. 17. 





Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 519 


CUM eguum sequimini, ipse vos ducet ... quia ab illo non semel illa via est 
ia“... Jam... appropinquabant villa, ad quam ibant, tum illis fuer unus 
viam curril, quem interrogantes ... „Ipsa est, inguit „... villa et ecce vir 
remisl prope in agro boves stimulat...“ Ad quem nuncii accedentcs inquiunt: 
Vir fortunate, dux nobis diis generatel“ IA sicut mos est rusticis, non 
fhicit semel dixisse ... „Salve dux, salve . .. te ducem, te iudicem, te rectorem 
protectorem, te solum nobis in dominum eligimus.“ Ad quam vocem vir prudens, 
sasi futurorum inscius\), substitit et stimulum, quem manu gestabat, in terram 
cit... Corilus [Haselstaude] awiem, qguam humi fixit, tres altas propagines . 
sm foliis et nucibus produxit. Viri autem illi... stabant obstupefacti. Quos 
le ... invitat ad prandium, et de pera subere contexta excutit mucidum panem ct 
rmatici partem?) ... Interca . .. duae propagines sive virgulla duo uruerunt 
ceciderunt, set tertia multo altius et latius accrescebat... Zt ille [Premiz]]|: 
..Sejalis, ex nostra progenie multos dominos nasci, set unum semper dominari ,. .“ 
ap. 7) Post hacc indutus veste principali et calciatus calciamento regali, acrem 
cendit equum arator,; lamen suae sortis non inmemor, Lollit secum suos 
rturnos cx omni parte subere consulos, quos fecit servari in 
ssterum et servantur Wissegrad in camera ducis usque hodie 
insempilernum...,„O domine, ...ad quid hos coturnos... ad nichilum, nisi ut 
oiciantur, aptos nos servare fecisti, non salis possumus admirari ..." „Adhoc 
.feciet faciam in aevum servari, ul nostri posteri sciant, 
„de sintorti et utscemper vivant pavidi elsuspecti, ne homines 
deo sibi commissos iniuste opprimant per superbiam „. .“ 
ap. 8)... Hic vir, qui vere ex virtutis merito dicendus est vir, hanc efferam gentem 
dus frenavit el indomitum populum imperio domuit, et serviluli, qua nunc 
emitur, subiugavit, alygue omnia iura, quibus haec terra utitur el rezritur, 
lus cum sola Lubossa dictavit?). 





1) In zwei Handschriften korrigiert in fraescius. 

2) Analog berichtet die St. Gallener und die (riessener Handschrift des 
hwabenspiegels von dem Zollfelder Herzogseinsetzungsritual: ... Man legt 
m cinen grauen Rock an, umgürte ihn mil einem roten Gürtel, an welchem 
Ah cine große rote Tasche befindet... Dahinein lege er seinen Käse, sein Brot 
rd sein Gerät... PUNTSCHART, a. a. O. S. 70. 

3) Cosmas, c. 4—8. Monum. (ierm. hist. Seriptores tom. IX. 1861, 
35f. — Fontes rerum Bohem. I. Pragae 1873, Ss. 10—15. Kosmax 
gt hier: Pfemysis Bastschuhe — ob echt oder unecht, ist Nebensache — 
rvantur in der Vysehrader Burg bei Prag. Die Richtigkeit dieser Angabe, 
elche ja unter der Kontrolle der Zeitgenossen stand, anzuzweifeln, geht 
cht an. Man bedenke nur: Kosımas hätte die ganze Geschichte vom Bauer 
Femysl erfunden, indem er sie nach klassischen Mustern zusammenflickte. Die 
olzen, gewalttätigen Pfemysliden hätten diese sie erniedrigende Herkunft 
fort anerkannt, die ersten besten Bauernbastschuhe in die Schatzkammer 
sschwind eingestellt und später die nachgedichtete Basttasche linzugefügt; 
lia indumenta in die Inthronisationszeremonie aufgenommen, in Stadice 


320 J. Peisker 


In diesem Berichte stimmt zunächst folgendes nicht: Ljubosa kann nän- 
lich nur Fürstin des Cechenvolkes im engeren Sinne gewesen sein, das ist 
jenes Slawenstammes, welcher die Umgebung des heutigen Prag bewohnte. 
Rings um die Cechen saßen andere Völkchen unter eigenen, selbständigen 
Knëézen, und Stadiee lag nicht im Gebiete der Cechen, sondern in einen 
andern, entfernten Knözentum unbekannten Namens. Wie wir nun, besonden 
von Schlesien aus wissen, war ein solcher slawischer Kleinstaat gegen außdes 
durch ein breites Konfinium sorgfältig abgeschlossen, einen durch Verhsw, 
preseka, Hag, eingesäumten (Grenzwald?, fJomesn:i Avosd, und 
der Verkehr mit den Nachbarstaaten geschah nur an jenen wenigen Stellen, 
an welchen ein Steig, semifa, steska, bloß für Saumtiere, nicht für 
Wagen eingerichtet, durch den Grenzhag führte. Die Einmündung der semita 
in den Grenzhag war durch besonders starke Verhaue (#reseka) hefestügt 
und mit einer stets bewachten Landespforte, Porta terrae, zemskä bréns. 
versehen. An der Ausmündung der semita stand dann die ebenso eingerichtete 
Landespforte des Nachbarstaates*). Der internationale Verkehr zwische 
Nachbarstanten war somit nicht so einfach, und es ist ausgeschlossen, dab 
die Cechenfürstin Ljubosa aus einer so beträchtlichen Entfernung, vielleicht 


drei Hufen Landes plötzlich eingehegt, sie dem Pfemysl, von dem die gutes 
Staditzer Bauern bis dahin nichts wußten, angedichtet und befohlen, sie 
fortan „Fürstenfeld“ zu nennen; darauf eine Haselstaude gepflanzt, von 
welcher die Früchte für die Prager Fürstentafel tributweise abzuliefern waren, 
kurz, sich vrandios hänseln lassen und unbewußt einen drolligen Ulk getriebe: 
Credat Judaeus Apella' Ich glaube, daß wenn KusmAs die ganze Geschichte. 
unbegreiflich warum, erfunden hätte, sie auf dem geduldigen Papier stehe 
geblieben wäre, dagegen ihrem Urheber für die unerhörte Schmähung de 
Herrschers den Hals gekostet hätte. 

1) Im Jahre 1240 erhielt das Heinrichauer Kloster von Herzog Heinrich I. 
ein Waldgebiet zwischen dem Bühmersteige und dem Grenzhage. Zur ir 
legung des Dorfer Sconewalde Martinus mensuravit silvas claustri a preseript 
semita Bokemic usgu ad prestcam, quod dicitur in teutonice hack 
Ista... preseca in diebus antiquis et etiam tunc temporis, cum hec agerenist. 
circuibat totam terram Zlesie Unde duces antigui nulli emminw i 
ac Preseca quieguam secare permisserunt, et hec est ratio, guare tunc temperi 
non est lonçgius mensuratum, nisi ad metas huius presece. Martins Vermesuf 
erwies sich ala ungenau und der Abt betraute den villicus Johannes mit der 
Anlegang. Cum autem ihitem agricultores et destructores silvarum multiplicar enter. 
Prhannes cillicus sussit eosdem rustices al durch den khach silvas ddat. 
eirenmächtig und nicht im Auftrage des Abtes, dicens, gmia milita ın 
crcvite Secant et delent ipsam fresccam. Herzog Heinrich III. war daräbe 
sehr ungehalten. (Grünhagen, Der schlesische Grenzwald, in der Zeit 
Schrift d. Vereins f. Gesch. u. Alterth. Schlesiens. XII. Breslau 1874, 8. 10. 

3) PRiskER, Pomezny hvozd. in Rezeks Sbornik historickÿ. HI 
VPrage 1886, S. 174 f. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 531 


ber mehrere Landeskonfinien hinaus, einen einfachen Bauer, den Untertan 
nes stammfremden Knëzen, herausgegriffen und zum Gemahl erkoren hätte. 
8 ist vielmehr anzunehmen, daß Pfemysl kein bloßer ausländischer Bauer, 
mdern der Bauernkn&z des benachbarten, oder auch nicht unmittelbar be- 
schbarten Staatchens war. 

Kossas selbst wußte zwar genau, daß Böhmen zuvor viele selbständige 
nésentümer umfaßt hatte — manche davon bespricht er sehr ausführlich —, 
ad wenn er diese Tatsache bei der Erzählung der Ljubosasage außer Acht 
St, so ist es meines Erachtens dahin zu deuten, daß er sich hier an die 
age hält, welche zu seinen Zeiten nichts mehr davon wußte, daß zwischen 
ysehrad, der Residenz Ljuboëas, und Stadice, dem Sitze Pfemysls, dereinst 
ne Staatengrenze, oder deren mehrere bestanden haben. — 

Die Znaimer Wandbilder entstanden im Jahre 1106 oder 1111, 
eineswegs aber nach 1112, dem Todesjahre Lutolds; der Maler 
onnte somit von der Chronik Kosmas’, deren erstes Buch erst um 
as Jahr 1110 vollendet sein dürfte), nicht beeinflußtsein. Anderer- 
Ate ist es sehr unwahrscheinlich, daß Kosmas, geboren 1045, 
anonikus zu St. Veit in Prag, im Jahre 1106 61 Jahre und 1111 
6 Jahre alt, das entlegene und unbedeutende Znaim besucht 
nd die Wandbilder besichtigt hätte; es ist somit anzunehmen, 
aß der Maler und der Chronist ihre Werke gegenseitig nicht 
annten. Um so auffallender ist die Übereinstimmung von Bild 
nd Wort; sie beweist, daß sich beide Autoren getreulich an die 
yadition gehalten haben, wie sie damals gestaltet war, und 
ORMAS ist jedenfalls von dem Vorwurfe freizusprechen, als ob 
in diesem Falle etwas Namhaftes hinzugedichtet hätte); 


1) LOSERTH, Stadien zu ('osmar von Prag, im Archiv f. österr. Ge- 
hichte, 61. Band, Wien 1880, S. 32. 

2) Der Vorwurf stützt sich besonders darauf, daß die oben angedeuteten, von 
m der Ljuboëa in den Mund gelegten Warnungen vor der Wahl eines dux schon 
der Bibel stehen. Sie haben jedoch mit der Sage selbst nichts zu tun, und 
»r Ähnliche Anlaß, welcher übrigens in das Ganze sehr gut paßt, mag den 
belfesten Mann zu dieser Einkleidung veranlaßt haben. Es ist augenschein- 
h ein verdeckter Seitenhieb auf die oft gar zu schreienden Gewalttätig- 
ten der böhmischen Landesfürsten, gegen die offen aufzutreten der Kano- 
kus nicht den Mut hatte. Ebenso verhält es sich offenbar mit den angeblichen 
Jecreta Bracizlai I.“ vom Jahre 1039 (Kosmas II. c. 4) an welche alle 
eschichtsforscher und Rechtshistoriker bis zum heutigen Tage «0 fest glauben 
BACHMANN, Geschichte Böhmens, I. Gotha 1899, S. 221 vergleicht sie 
«ar mit den Beschlüssen des fränkischen Maifeldes!), und die doch nichta 
ıderes sind als eine, von KosMAs selbst erdichtete, auf das ungezügelte 


522 J. Peisker 


im Gegenteil, er vergaß etwas, was an dem Wandgemälde deut- 
lich wahrzunehmen ist, nämlich die Basttasche Premysls, die 
sich zu seinen Zeiten nebst den Schuhen in der 
Vysehrader Burg tatsächlich befunden hat und von 
welcher auch noch PuLkAvA spricht: 

. Tulerat eciam secum ... [Premysl] calceos et coturnum de subere 
Jfactos ... „ea volo facere servari in perpetuum in castro Wyssegradensi . . .“ 
Que hodierna die in Wyssegradensi ecclesia diligencius conservantur. Nan 
in vigilia coronacionis regum Boemie processionaliter obviam dantes canomici e! 
prelati futuro regi calceamenta sibi ostendunt et colurnumhumt- 
ris suis imponunt, ut memoriam habeant, quod dc paupertate venerunt t 
nequaguam superbiant . . .*), 

PULKAvA spricht hier im praesens, nicht im perfectum und 
sollte schon dadurch vor dem Vorwurfe geschützt sein, gelogen 
zu haben; hätten ihm seine Zeitgenossen geglaubt, wenn die 
Gegenstände nicht tatsächlich an Ort und Stelle zu sehen gewesen 
wären? Hätte PULKAVA so etwas zu behaupten gewagt, wen 
Kaiser Karl IV., in dessen Auftrag PuLKAVA ja die Chronik &- 
schrieben, bei seiner eigenen Krönung die Zeremonie nicht mit- 
gemacht hätte? Gewiß wurde dabei auch diesem König die 
Tasche umgehängt und die Schuhe vorgezeigt ?). 

Es ist dies ein kümmerlicher Rest einer einst viel reich 
haltigeren Zeremonie, welche jedoch im Gegensatze zu der Zell 
felder dem Volke mit der Zeit offenbar ganz gleichgültig”. 
inzelnen Premysliden unbequem‘) und infolgedessen immer 


Gefolge des Herzogs gemünzte, aber auf cin ganzes Volk gar nicht passende 
Kapuzinade; um diese um so erfolgreicher und ungestraft vorbringeu zu 
können, kleidete sie KOSMAS in ein, von einem längst verstorbenen Herzog 
angeblich erlassenes Gesetz. Auch hier ist es kein bloßes Fabuliere, 
sondern eine versteckte, allzu begründete Kritik der gerade herrschende 
Zustände. 

1) PULKAWAE Cronica, abgedruckt in Monumenta historica Bormiar 
eollegit G. DoRXER. II. Pragae 1774, S. 76f. — Fontes rerum Bohen. 
V. 1893 S. 7. 

2) Vorgezeigt, nicht angelegt, weil nicht auf jeden Fuß passend, um 
wohl schon morsch. 

3) Leicht erklärlich; einem fremden, ihm aufgezwungenen Fürsten x 
wegnet das Volk mit mehr Mißtrauen als einem einheimischen. 

4) Namentlich von König Wenzel I. (1230—1253), dem Freunde dé 
deutschen Minnesangs, wird berichtet, er habe gleich nach seiner Thret- 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 523 


ehr zugestutzt wurde. Beweis dessen die Stelle bei THıETMAR 
ın Merseburg zum Jahre 1004: 


- 





steigung sich seiner Herkunft zu schämen begonnen, sein Geschlecht von 
aditz vertreiben lassen und das ganze Dorf an Deutsche verschenkt. 
ALIMILS Reimchronik, in den Fontes rerum Bohem. III. 1882, S. 171, 
:r8 25—28, deutsch Vers 43—49). Ist die Nachricht wahr, dann wurde — 
ch der folgenden Urkunde zu schließen — die Vertreibung »päter rück- 


ngig gemacht. 
1359. Karolus IV... quod... coheredes Ludolphus Zyrota et Cunzie [Ali] 


ıdoste, fratres germani de villa Stadiez ... supplicare curarunt, quatenus, cum 
ri et progenitores ipsorum sint el fuerint a primordiis incolatus terrac et regni 
stri Boemiae heredes liberi, diedici et incolae primi et novissimi villac dictac Stadicz, 
race ct praediorum suorum, quibus usi sunt hereditario jure inconcusse, in nullis 
orsus factionibus, censibus, seu aliis exactionibus, vel angariis yuibuscungue, 
alibus, personalibus atque mixtis, cuipiam obnoxii, prout hacc in gestis et libris 
ronicis terrac et regni B. a temporibus Prziemislai, primi ducis Boemorum inde 
post aratro assumpli et in ducem B....sublimali ... plenius continentur, 
ndem nuper non multis retroactis temporibus praefati heredes ct dicta villa cum 
is perlinentiis per injuriam et forte ignorantiam forsilan crassam et supinam 
... principe... Johanne B. rege..., olim Henrico de Lippa contra pracdictas 
ertates minus provide fuerint concessa, qui cl alii dictam villam sic usque mode 
wpantes pracdictis heredibus contra libertates ipsorum quam plurimas interim 
pressiones fecerunt — dignaremur .„..eos...restituere libertati pristinac ... 
os itagu: ... pracfatas libertates... quas ipsorum progenitores el ipsi cum 
atuor laneïs lerrac . .. ct pertinentits omnibus pristinis et primaevis... plenissime 
réituimus . .. ct donamus ...; reliquos vero tres terrae lancos ibidem in Stadicz, 
is fuerunt dicti Prasemisle, quosque propriis excoluit manibus, pro nobis et suc- 
soribus nostris, B. regibus, duximus reservandos. Eximentes eos ct ipsorum ... 
redes ab omnibus tributis... Decernimus tamen... ut pracfati heredes... 
rgam illam floridam coryli per ipsum Prsiemisl de stimulo suo in agro Stadic: 
opagato, continuo foveant ... in memoriam lantac ct talis rei... Volumus 
. ut pracfati heredes... omnes ... nuces, quas dictac virgac coryli produxerint, 
bis et successoribus nostris . . . tencantur annis singulis fideliter praesentare . .. — 
> de x juris Bohemici edidit Herm. JIRECEK, II. 1. Pragae-Lipsiae 1896, S. 464 ft. 

Alle Chroniken, mit Ausnahme einer einzigen, nennen Pfemysl rund heraus 
en Bauer. Diese Ausnahme bildet CHRisriAxs Legende vom h. Wenzel 
d der h. Ludmila, um deren Echtheit und Alter derzeit von neuem ge- 
ntten wird. Die vom Verfechter der Echtheit, Jos. PEKAR, als Original- 
rt ermittelte Version lautet:... 

At vero Sclavi Boemie ipso sub Arcturo positi, cultibus idolatrie dediti velut 
uus infrenis sine lege, sine ullo principe vel rectore, vel urbe uti bruta animalia 
grsim vagantes, terram solam incolebant. Tandem pestilencie cladibus attriti 
andam pithonissam, ut fama fertur, adeunt, postulantes spem consilii responsumque 


5924 J. Peisker 


Crastina autem die Jlaromirus adveniens populis iura veniam- 
que commissi poscentibus ante portam dedit, ilicoque intromissus. 
pristinis honoribus magna tocunditate ıinthronizatur, ac tun 
depositis vilibus indumentis, pretiosioribus ornatur ... 
Muneribus idem delectatus plurimis, ad Wissegradi introducitur, 
ibidemque in dominum exclamatur ...'). 

Unter den vılza indumenta ist nicht etwa gewöhnliche, eu- 
fache Gewandung, Alltagstracht zu verstehen, denn auch die Alltags- 
tracht eines Prinzen kann nicht als vz/:s bezeichnet werden; eine 
Inthronisation ist bei jedem Volke, auch bei den Wilden Afrikas, der 
wichtigste Staatsakt, bei dem auch die kleinste Einzelheit genau 
nach althergebrachtem Ritual auf das feierlichste vor sich gehen 
muß, und alles Gewöhnliche, Alltägliche ausgeschlossen ist. Nach- 
dem nun das altböhmische Ritual vorschreibt, daß dem Thron- 
anwärter die Basttasche des Bauers Premysl umzuhängen und 
dessen Schuhe vorzuzeigen sind, so müssen auch die vilia indu- 
menta denselben Charakter getragen haben, als Bauerntracht 
aufgefaßt werden, denn die Einzelheiten des Rituals können doch 
eines inneren Zusammenhangs nicht entbehrt haben*). Und das 


divinacsonis. Quo accepto civitaiem staluunt, nomenque imponunt Pragam. Pl 
Minc invento quodam sagacissimo atque prudentissimo wire, cui 
tantum agriculture officium erat, responsione phitonisse principem 
seu gubernatorem sibi statuunt, vocitalum cognomine Premizl, isncta a 
in malrimonio supramemorata phitonissa virgine. Sicque a clade et multiplici peste 
tandem cruti, dehinc a supra memorato principe ex sobole eius rectores sen durs 
preposuere sibi, servientes demoniorum simslacris el prophanis sacrificiorum ritibas 
bachantes, donec ad cxtremum dominatus eusdem regni pervenit ad unum ex cisdem 
principibus ortum, vocitatum Boriwoi. (CHRISTIANI monachi vita et pass 
»ancti Wenceslai et sancte Ludmile avie eius, herausgegeben von Jos. PExAX. 
Nejstarsi kronika Ceskâ. V Praze 1908, S. 184f. (Bibliotheka Histo 
rickä V.). 

... cui tantum agriculture officium erat — cin Euphemismus für rwsticus? — 
Zum Streite um die Echtheit der Legende siehe: B. BRETHOLZ, Cosmas und 
Christian. in der Zeitschrift des deutschen Vereines für die Geschichte 
Mährens und Schlesiens IX. Brünn 1906, S. 70 ff. und die Erwiderung vos 
PEKAï, Nejstarsi Kronika Gesk&, im Ceskÿ Casopis Historickÿ XI. V Pre 
1906, S. 267 ff. 

1) THŒTMARI, Chron. VI. 9. 

2) Daß auch die Karantaner Fürsten im Bauerngewand inthroniæert 
worden sind, haben wir bereits vernommen. Von den polnischen Piastes 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 525 


uch bei den altböhmischen Inthronisationen ein althergebrachtes 
itual eingehalten wurde, wissen wir aus KosmaAs über die Ein- 
etzung Bretislavs II. im Jahre 1092, guem advenientem in urbem 
yagam ...plebs laetabunda suscepit. Ipse autem . .. episcopus 
wm clero et magnifica Processione suscipiens eum in porta 
tvitatıs ante templum S. Mariae, deducit ad solium, et secun- 
um ritum hutus terrace ab universis comitibus et satrapis 
st intronizatus dux tunior Pracislaus'), 

Der böhmische Fürstenstuhl?), darin dem Zollfelder gleich, 
rar ein inmitten der Prager Burg unter freiem Himmel befind- 
cher Felshlock*) und galt als Symbol der fürstlichen Macht. 


erichtet der Chronist KADLUBEK (+ 1223) über Lestko II.: Ouoties namgu: 
‚galibus eum insigniri regia, ut assolet, poposcisset dignilas, originariae 
on immemor conditionis [originarius — Bauer!], in Aaditu sordido prius orchestram 
mescendit, regalem ornatum scabello pedum supprimens,; subinde regiis decusatus 
ssignibus, scabello insedit, illis extremae fpaupertatis panniculis in supremo 
rchestrae suggestu reverentissime collocatis. Magistri VINCENTIT [KADEUBEK|] 
hronicon Polonorum I. cap. 15 in den Monumenta Poloniae historica, 
ydai A. BŒLOWSKI. I. Lwöw 1872, S. 264 f. 

1) Kosmas II. cap. 50. 

2) „Der Fürstenstuhl, stol oten oder déden, d. i. solium paternum oder 
vitum“, sagt H. JIRECEK, Das Recht in Böhmen und Mähren. I. Prag 1866. 
. 68, und seitdem ist diese Unrichtigkeit nicht auszurotten. Stol oten ist 
ur durch die gefälschte Grüneberger Handschrift, stol déden überhaupt nicht 
elegt; beide Ausdrücke sind aus dem Altrussischen herbeigezogen und auch 
ort nicht etwa als irgendein terminus technicus der altrussischen Rechts- 
prache aufzufassen; denn wenn z. B. das Volk von Kijev 1112 nach dem 
‘ode Svjatoslav-Michails an dessen Vetter Vladimir [Monomach] die Bot- 
haft richtet: Betrete, o Fürst. den stol oten i deden (NESroR, Cod. Hypat. 1113), 
» ist es kein terminus der Rechts-, sondern einer poetischen Sprache und 
edeutet nichts mehr als: den Thron, den auch dein Vater [Véevolod] und 
ein Großvater [Jaroslav d. Gr.] innegehabt haben. So sind auch die Aus- 
rücke: solium paternum, solium avitum bei KosMAs und dessen Fortsetzern 
u verstehen; als termini technici hätten sie ja keinen Sinn in einem Staate 
ut Senioratsnachfolge, durch welche ab und zu cin Prinz zur Herrschaft 
elangte, dessen Vater, ja sogar auch Großvater auf dem Throne nicht 
esessen sind. So Svatopluk (+ 1109), dessen Vater Otto, Teilfürst von Ol- 
tz, zeitlebens nicht zur Herrschaft kam. Ebenso Konrad Otto (F 1191). 
‚uch Heinrich Bretislavs (+ 1197) Vater ist nicht zur Herrschaft. gelangt. 
Die Stammtafel der Pfemysliden siehe unten S. 528, Anm. 

8)... principali throno, quodam saxo, quod eliam nunc in medio civitatis [est]... 
'INCENTII Pragensis Chronicon in den Fontes rerum Austr. Österreichische 


526 J. Peisker 


Zur Erlangung derselben war eine Inthronisation auf diesem Fürsten- 
stuble unerläßlich, und zwar nach vorangegangener Wahl, welche, 
wie wir schon gehört haben, in der Regel den Ältesten der fürst- 
lichen Dynastie traf, der uralten Senioratsnachfolge gemäß. Un- 
zertrennlich mit dem Wadhlrechte des Volkes ist eine Wahlkapi- 
tnlation des Anwärters zu denken, welche sich überdies in der 
oben (S. 524) zitierten Stelle bei THIETMAR: ... /aromirus ... 
populis iura ventamque commissi poscentibus, ante portam dedit 
angedeutet findet. Die Richtigkeit dieser längst aufgestellten 
Deutung wird allerdings vielfach bezweifelt, weil nicht völlig aus- 
gemacht, indem bei den einheimischen Chronisten keine be- 
stätigende Angabe zu finden ist !); das Schweigen der einheimischen 
Chronisten ist m. E. nicht ausschlaggebend, denn diese berichten 
überhaupt nichts von dem durch KosmaAs nur so vorübergehend 
einmal gestreiften rztus hutus terre. Wäre auch diese mager 
Erwähnung ausgeblieben, so wüßten wir aus den älteren ein- 
heimischen Quellen nicht einmal, daß es überhaupt einen ritus 
buius terrae gegeben hat und könnten dann mit demselben U»- 
rechte auch die Angabe THIETMARS von den vzlibus indumentis 
als unrichtig erklären. 

Mehr ist von dem altböhmischen Inthronisationsritual nicht 
zu ermitteln; wir müssen uns mit dem Ergebnis begnügen, dab 
die Premysliden bäuerlicher Herkunft waren und jeder nach 
dem Senioratsprinzip berufene Thronanwärter aus der regia stirps, 
wenn von dem Volke gewählt, den Fürstenstein im Bauernkleide 
zu besteigen hatte. Dieses Resultat reicht jedoch vollständig zur 
Erkenntnis hin, daß wir es hier mit einem merkwürdigen Seiten- 
stück des Zollfelder Bildes zu tun und auch für den betreffenden 
Teil Böhmens ebenfalls eine siegreiche Bauernrevolution als Ur- 
erund anzunehmen haben. 

Die Ähnlichkeit der beiden Rituale ist gewiß nicht zufällig. 
es läßt sich aber befriedigend nicht erklären, ob sie auf ein 
gemeinsames Vorbild zurückgeht, welches man nachahmte, 
so oft und wo immer einer der vermutlich zahlreichen Banern- 


Geschichtsquellen, herausgegeben von der kais. Akad. d. W. I. Scriptons 
V. Wien 1863, S. 95. — Fontes rerum Bohem. II. S. 412. 
1) Losertu, Senioratsgesetz, S. 72. 


bien. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 597 


ufstände glückte, oder oh sie durch einfache Entlehnung von 
lem glücklicheren Nachbar entstand. Nur eines erscheint mir 
icher, daß nämlich der Bauer Premysl nicht aus dem fränkischen 
Kaufmanne Sanıo, nach FREDEGAR dem Befreier der böhmischen 
lawen vom Awarenjoche, umgedichtet werden konnte. SCHREUER !) 
tützt diese Idee mit der Stammtafel — sieben lose Fürsten- 
amen —, durch welche Kosmas den Fürsten Borivoj (} 894) 
ait Premysl verknüpft”): „Legt man an diese Stammtafel den 
blichen Generationenmaßstab an *), so fällt Neklan etwa in die Zeit 


1) SCHREUER, Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte der böhmischen 
agenzeit. Leipzig 1902, S. 11f., 4. Heft des 20. Bandes von SCHMOLLERS 
taats- und sozialwissenschaftlichen Forschungen. — SCHREUER, Zur alt 
öhmischen Verfassungsgeschichte, in den Mittheilungen des Institute 
ir österr. Geschichtsforschung, 25. Band. Wien 1901, S. 397f. Auch im 
onderabdruck. 

2) Kosmas 1, 9: Premizl... Cui Nezamizl successit in regrum. 
fan ubi mors rafuit, Menata principales obtinuit fasces. Quo descendente ab 
ge vita, Vogen suscipit rerum gubernacula. Huius post fatum Unezlau rexit 
walum. Cuius vilam dum rumpunt Parcae, Cresomisl locatur sedis in arce. 
loc sublato e medio, Neclan ducatus potitur solio. Hic ubi vita decessit, Go- 
tsvit throno successit... TI. 10: Gostivit autem genuit Borivoy... Dazu 
emerkt SCHREUER, Untersuchungen, S. 11 Anm. 1: „Die sagenhaften Fürsten 
ach Przemysl sind in der poetischen Ausführung (vgl. LOSERTH im 
‚rchiv f. österr. Geschichte 64 [1882] S. 37) bloß als dessen Nachfolger, 
icht auch als dessen Deszendenten erwähnt. Dies hindert nicht, daß sie 
as letztere tatsächlich sind.“ Dies hindert tatsächlich bloß SCHREUER nicht, 
'elcher in derselben Abhandlung LOSERTHS (Das angebliche Senioratsgesetz 
es Herzogs Bretislaw I.) das Gegenteil hätte ermitteln können. 

3) „Das ist — behauptet SCHREUER — im ganzen wohl zulässig. Von 
amo wissen wir, daß er 35 Jahre regiert hat. In das zehnte Jahrhundert 
Mlen die drei Generationen: Wratislaw I. (+ 920), Wenzel der Heil. — Bole- 
law I. (+ 967) und Boleslaw II. (+ 997). In das elfte Jahrhundert Boleslaw III. 
- Jaromir — Udalrich, Brzetislaw I. und Spitihnéw II. — Weratislaw Il. 
+ 1092). Ebenso drei Generationen in das zwölfte Jahrhundert. In das 
reizehnte Jahrhundert fallen Przemysi Ottokar I. (+ 1230), der stark noch 
ı das XI. Jahrhundert hineinreicht, ferner Wenzel I. (+ 1253), Przemysl 
ttokar II. (scfallen 1278) und Wenzel II. (beim Tode seines Vaters 
Jahre alt, + 1305). Auch J. LiPrErT, Sozialgeschichte Böhmens I. 128 f., 
ıt geneigt, hier ‚nach Art des Chronisten eine Generationszeit durchschnitt- 
ch zu 30 Jahren zu rechnen‘. Er zieht aber keine Konsequenzen daraus“. 

Solche Konsequenzen, wie sie SCHREUER zieht (daß nämlich die Fürsten- 
afel Nezamysl-Hostivit =: sieben Mann, mit auch sieben Generationen aus- 





528 J. Peisker 


Karls des Großen, Przemysl in die Zeit des geschichtlichen Samo ... 
Kin Trugschluß. Die sieben Fürstennamen können denn doch nicht 





machen dürfte), können überhaupt nicht gezogen werden. Daß durchschnitt- 
lich drei Generationen ein Jahrhundert auszufüllen pflegen, ist allerding 
richtig, aber keine böhmische Spezialität, sondern so ziemlich überall der 
Fall. Auf diese an sich heilige Wahrheit kommt es jedoch hier gar nicht 
an, sondern auf die, von SCHREUER bejahend beantwortete Frage, ob eben die 
Fürstentafel Nezamysl-Hostivit als eine Nachfolge von sieben Generationen 
mit verstanden werden darf. Den Beweis dazu soll per analogiam der Stamm- 
baum der späteren Premyslidenfürsten liefern. Hier der ganze Stammbam 
der zur Herrschaft gelangten Premysliden: 

1. Premysl. 2. Nezamysl. 3. Mnata. 4. Vojen. ». Unislav. 6. Kres- 
mysl 7. Neklan. 8. Hostivit. 

9. Bofivoj) I. + ca. 894 


SE NEE 
10. Spytihnev I. + ca. 912 11. Vratislav I..+ ca. 920 
À 
12. Wenzel I., der Heilige, + 935 18. Boleslav I. + 967 
pen. 
14. Boleslav II. + 999 


one. 
15. Boleslav III. 17. Jaromir 18. Udalrich 
+ 1037 + 1035 + 1034 


ms” Nommmnen. 
[der 16. war der polnische Piastide 19. Bretislav I. 
Vladivoj, + 1003] + 1055 


20. Spytihnév Il. 21. Vratislav II. 22. Konrad 

+ 1061 + 1092 + 1092 | 

pa ern mer ee 

33. Breti- 24. Bori- 26. Vladi- 37. Sobé- | 25. Srakr- 
slav Il. voj IL. slav I. slav I. plak 
+ 1100 + 1124 + 1125 + 1140 + 110 


— — 





Er mate mm‘ ummens— cm. 
38, Vladıslav II. | 29.Sobe- 32. Wen- 
+ 1174 | slav IT. zel D. | 

| +1180 +n.1192 > 


\ N —— ——— mm 
20. Fried- 33. Pie- 35. Vladi- 84. Hein- 31. Konrad Otto 
rich mysl- slav- rich- + 1191 
+ 1189 OttokarI. Heinrich Bretislav 

+ 1230 + 1222 + 1197 


meme, 
36. Wenzel I. + 1253 


ms mem En. 
37. Premysl Ottokar Il. + 1278 
on mens ne. 
38. Wenzel II. + 1306 
a ‚nn 
39. Wenzel IH. + 1306. 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 529 


uch sieben Generationen derart bezeichnen, daß jedem dieser 
‚eben Herrscher ein Sohn oder Neffe nachgefolgt wäre. KANTECKI') 
nd LOSERTH wiesen ja sonnenklar nach, es habe in Böhmen 
bensowenig wie bei anderen slawischen Völkern irgendein Erb- 
:cht auf den Thron gegeben, sondern bloß eine mit freier Wahl 
es Volkes verbundene Nachfolgeordnung nach dem Seniorats- 
rinzip. Dem scheidenden Fürsten folgte somit in der Regel sein 
ohn oder Neffe nicht, sondern sein an Jahren ältester Agnat der 
anzen stirpsregia, also zumeist ein alterMann, wenn nicht ein Greis, 
essen Regierungsdauer nur in außerordentlichen Fällen „dem 
blichen Generationenmaßstab“ SCHREUERS (S. 12, Anm. 2), einem 
ollen Viertel- bis Dritteljahrhundert, entsprochen haben kann. 
nd hier soll es siebenmal nacheinander geschehen sein? 

Samo hatte nach FREDEGAR?) von seinen 12 wendischen 
rauen 22 Söhne, und die werden sich auch wieder verzweigt 
aben. Wäre nun Samo (+ um das Jahr 658) = Premysl, wie 
önnte man dann bei dem geltenden Senioratsprinzip, welches 
ı der Regel Fürsten im vorgeschrittenen Mannesalter, ja auch 
reise auf den Thron brachte, mit den ersten sechs Männlein 
\ezamysl bis Neklan) die lange Zeitperiode bis zu Karl dem 
roßen ausfüllen! SCHREUERS Berechnung ist daher falsch und 





— 


Man sieht: Die Nachfolge von Boïivoj I. bis Premysl Ottokar I. umfaßt 
‘hn Generationen, und zwar: 


eneration I. (Bofivoj) = 1 Fürst. 
» II. dessen Söhne — 2 Fürsten. 
„ II. „  Enkel + … = 2 „ 
n IV. ,  Urenkel (Boleslav IL.) . = 1 Fürst. 
n V. Boleslavs II. Söhne . . .. — 8 Fürsten. 
n VI. „ „ Enkel (Bfetislav I.) — 1 Fürst. 
„ VII. Bfetislavs I. Söhne . — 8 Fürsten. 
„ VII. „ „ Enkel = 6 „ 
„ IX. „ „ Urenkel — 8 „ 
„ X. n » Ururenkel . . . . . 5 „ 


Somit umfassen die zehn Generationen 26, sage sechsundzwanzig Fürsten, 
ıd es ist über die gänzliche Haltlosigkeit der Schlußfolgerung SCHREUERS 
in Wort mehr zu verlieren nötig. 

1) KANTECKI, 8. a. O. 


2) FREDEGAR IV. 48. 
Vierteljahrschr, f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 35 


530 J. Peisker 


damit auch die Gleichung: Samo = Premysl. Mit der Fürsten- 
reihe Nezamysl-Hostivit ist in dieser Beziehung nichts anzı- 
fangen. 

Ob Premysl vor oder nach Samo oder mit ihm zugleich ge- 
lebt, wer kann das entscheiden! Samo war ein Großfürst, welchen 
im Augenblicke der äußersten, gemeinsamen Not eine Reihe von 
Slawenstämmen zum Anführer gegen die Awaren erkoren hatte. 
Nach seinem Tode zerfiel das riesige Reich. Premysls Bauerr- 
fürstentum war dagegen ein Kleinstaat, und noch lange nach ihm 
gab es mehrere Fürstentümer in Böhmen. Zunächst war er Fürs 
des Biliner Ländchens, in welchem das Dorf Stadice liegt, mit 
dem noch heute sogenannten „Königsfelde“, das er eigenhändig 
bestellt haben soll. Man beachte nun die so lebhaft an Kärnten 
erinnernde geographische Lage dieses Ländchens: Es liegt ein- 
gebettet zwischen dem Erzgebirge und den vielen freien Kegeln 
des Mittelgebirges (darunter der Mileschauer oder Donnersberg 
836 m), jeder Kegel eine schier uneinnehmbare Festung. Wenn 
die Biliner den Awaren überhaupt je unterworfen waren, % 
bildeten sie jedenfalls die äußerste Grenze des Awarenreiches, 
welches jenseits des Erzgebirges nach Daleminzien nicht reichte. 
Die zur Verteidigung so überaus geeignete Lage des Biliner 
Ländchens spricht jedoch dafür, daß es den Awaren in der von 
FREDEGAR geschilderten Weise nicht untertan, sondern eher nur 
tributpflichtig gewesen ist. Wahrscheinlich hatte es dereinst eine, 
der daleminzischen konforme Zupanenverfassung, und die 
dürfte ebenso, wie die daleminzische, auf eine viel ältere turko- 
tatarische Knechtschaft, als die awarische ist, zurückzuführen sein. 
Wie die Kärnter, wurden auch die Biliner Bauern durch einen 
Aufstand ihrer Zupanischen Peiniger los, während ihre unmittel- 
baren Nachbarn jenseits des Gebirges, die Daleminzier (eben® 
wie die Untersteirer), infolge ihrer mehr offenen Gebiete im Zr 
panenjoche stecken blieben. Wie die Kärnter, wählten auch die 
Biliner siegreichen Bauern einen aus ihrer Mitte zum Fürsten 
und stellten wahrscheinlich ebenfalls ein für alle Zukunft gelten 
sollendes Ritual mit Wahlkapitulation fest, durch welches die 
wichtigsten Bauernbedürfnisse von jedem Anwärter bei der Be 
steigung des Fürstensteines gewährleistet werden sollten. Premyel 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 531 


ß nicht gerade der erste Biliner Bauernfürst ge- 
sen sein. 
Südlich des Biliner Volksstammes, dessen Namen wir nicht 
nen, jenseits der unteren Eger und mittleren Elbe saß der 
henstamm (im engeren Sinne) in mehr offenen Gebieten und 
men, die nicht so leicht verteidigt werden konnten. Hier ist 
h der Kern der von FREDEGAR erwähnten awarischen Winter- 
rtiere zu suchen; und was diese Landplage der Bauernschaft 
tet, haben wir bereits gehört: seit alters her, „ab antiquito“, von 
Awaren geknechtet, hatte besonders der Volksstamm der Cechen 
fittelbühmen) eine furchtbare Behandlung zu erdulden: alljährlich 
en zum Wintern die Awaren, breiteten sich in kleinen Gruppen 
r alle Ortschaften der unterworfenen Bauernschaft aus und 
sten nach Willkür und Übermut. Sie nahmen die Weiber 
. Töchter der Slawen und schliefen bei ihnen, und zu den 
igen Mißhandlungen mußten die Slawen den Awaren noch 
‚aben zahlen (FREDEGAR). Im Frühjahr zogen zwar die Hor- 
zur Sommerweide in die Berge, ließen aber gewiß die 
gen Besatzungen und Obrigkeiten zurück, um die geknech- 
n Slawen im Zaume zu halten. Unter solchen Umständen 
3 jede slawische Rechtspflege, jeder gesellschaftliche Zusam- 
ıhang, ja jedes Familienleben längst verschwunden sein, denn 
diese Zeit gab es für die Unterworfenen nicht einmal eine 
, ein Zustand, der vielleicht zu metrarchischen (matriarcha- 
hen) Formen führte'). Infolge einer solchen Behandlung „ab 
quito“ mußten alle Keime gesellschaftlichen Lebens ersticken, 
Geknechteten von Tag zu Tag widerstandsunfähiger, geradezu 
tierter werden, und es ist bezeichnend, daß — nach FREDE- 
t — die schließliche Auflehnung gegen die Unholde nicht 
den eigentlichen „Slawen“, sondern von den eigenen, 
den vergewaltigten Slawenfrauen geborenen Söhnen der 
'aren ausging?). Hier, in Zentralböhmen, dürfte der Franke 


1) Dahin scheint die böhmische Amazonensage bei KosmAs I, 9 zu 
en. Vgl. oben S. 211 ff. 

2) Anders SCHREUER, Untersuchungen, S. 20: „Ist aber die Datierung 
IREUERS] der Przemysl- und der Neklansage auf Grund der CosMAsschen 
nmtafel richtig [siehe oben S. 527, Anm. 2 u.3], so legt sich auch die Vermutung 


532 J. Peisker 


Samo zum Fürsten gewählt worden sein und von da aus viele 
andere Slawenstämme gegen die Awaren vereinigt haben. So 
entstand ein föderativer Grofistaat, der bloß auf der persönlichen 
Autorität Samos aufgebaut war und mit dessen Tode auch einging. 

Man sieht, wie sehr es sich empfiehlt, unter den einzelnen 
Stämmen der böhmischen Slawen möglichst genau zu unterschei- 
den, denn anders gestaltete sich ihr Schicksal in der offenen 
Ebene als in einem durch Gebirge geschützten und leicht zu ver- 
teidigenden Tale. In dieser Beziehung ist namentlich zwischen 
den Biliner Slawen und den Cechen ein gewaltiger Unterschied 
wahrzunehmen; ihre politischen Geschicke konnten nicht gleich 
sein, und so kann auch ein Biliner Bauernfürst neben dem 
Großfürsten Samo, der zugleich Fürst der Cechen sein mochte, 
vor der Wissenschaft bestehen. Der Großstaat zerfiel, einzelne 


nahe, daß der Beginn des Zeitalters des Eigentums ... in das Ende des sechsten 
Jahrhunderts fällt ..., während das goldene Zeitalter [von mir gesperrt :] 
noch rein slavische Verhältnisse unter awarischem Drucke 
zeigt. Die Einwirkung der Awaren darf nicht überschätzt 
werden. Die dauerte nur während der Winterszeit. Außer 
dem konnte sie bei der schwachen Organisation der Unter 
drückten keine allzu schweren Spuren hinterlassen. Form 
lose Gebilde sind mit Gewalt nicht zu fassen..."“ 

Was soll man sich hier unter „formlosen Gebilden“ vorstellen? „Rein 
slavische Verhältnisse unter awarischem Drucke“, erinnern die nicht an die 
Republik mit dem Herrn Großherzog an der Spitze? Konnten „unter awarischen 
Drucke“ die Verhältnisse „rein slavisch“ bleiben? Ist nicht vielmehr die 
altslawische Desorganisation eben diesem awarischen und überhaupt dem 
turkotatarischen Drucke zuzuschreiben, jenen Zuständen ähnlich, denen wir 
bei den Tadschiken begegnen? „Transoxanien war den jahrhundertelang 
anhaltenden Brandungen des nahen turanischen Völkermeeres zuerst am 
meisten ausgesetzt, und die Erschütterung im staatlichen sowohl als im 
sozialen Leben war um so schrecklicher. Die tyrannische Willkür der 
Eroberer hat hier, so wie überall, nicht nur Fluren verwüstet, sondern jedt 
Spur der edleren Gefühle aus der Menschenseele ausgerottet. Das heutige 
Mittelasien ist der scheußliche Pfuhl aller jener Laster, die in den mohane 
danischen Ländern Westasiens vereinzelt anzutreffen sind“, berichtet au 
Autopsie VÄMBERY, Geschichte Bocharas I. Stuttgart 1872, S. XXxVII. 

Die Zerstörung jedes Familienlebens durch die Awaren muß ja au 
die Slawen in einen Zustand herabgedrückt haben, den wir nicht einmal 
recht fassen können. Und da will SCHREUER vor einer Ü'berschätzung ds 
awarischen Einflusses warnen! 


Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turkotataren etc. 533 


tämme wurden selbständig, und wenn die von Kosmas über- 
eferte Sage nicht täuscht, wurde auf den éechischen Fürsten- 
tuhl nach Absterben der eigenen regia stirps (der Samoniden ?) 
er Biliner Bauernfürst Premysl berufen und dadurch ein Staat 
eschaffen, der kaum ein Sechstel des heutigen Böhmen ausmachte. 
)ie zentrale Lage des Cechenstammes und die größere Frucht- 
arkeit des Bodens verschafften bald diesem Stamme das Über- 
ewicht; aber sein neuer Fürst war dennoch auch mit Fürst der 
jiliner Slawen und als solcher mit seinem ganzen Geschlechte 
n das Bauernritual gebunden, welches auch noch dann beobachtet 
verden mußte, als die Inthronisation fortan auf éechischem 
'olksgebiete, auf dem Vyéehrad und später in Prag, vor sich ging. 
lier, von den Cechen, wurde dieses Ritual nicht verstanden, war 
lem Volke gleichgültig; die einheimischen Chronisten gehen daran 
chweigend vorbei, es höchstens mit wenigen Worten ganz nach- 
ässig streifend, und erst bei dem letzten Fürsten, der sich dem 
titual in dessen Resten unterzogen hatte, dem späteren Kaiser 
Carl IV., erfahren wir darüber etwas Näheres?). Dagegen mußte 
las Ritual dem Chronisten THIETMAR, gerade, weil er ein Fremder 
var, auffallen. Daß es sich bei dieser Gleichgültigkeit der Ein- 
wimischen überhaupt so lange erhielt, ist dem Interesse der Kirche 
uzuschreiben, jedem antretenden Fürsten des im allgemeinen sehr 
rewalttätigen Premyslidengeschlechtes etwas Demut einzuprägen. 
* * 
* 

Die altslawischen Volkszustände sind das Produkt der ab- 
vechselnd uralaltaischen, speziell turkotatarischen und der ger- 
nanischen Knechtschaft. Diese in den einzelnen Phasen und 
vechselseitigen Verknüpfungen zu verfolgen, war Zweck der vor- 
iegenden Abhandlung. 

Der ganze Stoff wurde dabei nicht erschöpft, sondern vor- 
viegend nur das Kriterium der Viehzucht in Betracht gezogen. 
ie Analyse des slawischen Ackerbaues und dessen Beein- 
lussung durch die Germanen bleibt einer besonderen Unter- 
uchung vorbehalten. 


1) Siehe oben 9. 522. 


Zur Wergeldfrage. 
Von 


P. Vinogradoff (Oxford). 


Wenn ich in der vielfach erörterten Frage über die Be 
deutung der Wergeldsätze in den deutschen Volksrechten aber- 
mals die Feder ergreife!), so ist es wahrlich nicht, weil ich pr 
lemische Auseinandersetzungen für „Annehmlichkeiten der Lite 
ratur“ im Sinne des älteren Disraeli (Amenities of literature) ar 
sehe. Es scheint mir aber, daß der Verlauf des Streites in letster 
Zeit, trotz mancher Mißverständnisse, von wichtigen Errunger- 
schaften, und zwar in positiver wie in negativer Hinsicht — u 
bezug auf neugewonnene Resultate wie auf verworfene Hyp- 
thesen, zeuge. Ich möchte nun in der Kürze angeben, wie ich 
von diesem Gesichtspunkte aus die jüngsten Arbeiten von Het 
und von HILLIGER?), insofern sie eine Stellungnahme gegen die 
von mir verteidigten Ansichten enthalten, beurteile. 


1. Umgestaltung von Hecks Theorie. 


Es ist von vornherein erfreulich zu konstatieren, daß die au 
Hecks Aufstellungen geübte Kritik von seinem eigenen Stand | 
punkte aus eine berechtigte und fruchtbringende gewesen ist. Er 
hat nämlich in einer in dieser Zeitschrift veröffentlichten Ab 
handlung seinen Aufbau für die volksrechtliche Periode gründ- 


1) Vgl. meine Abhandlung über „Wergeld und Stand“ en der Zeitschrift 
der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. XXII (1902). 

2) Pr. Heck, Ständeproblem, Wergelder und Münzrechnung der Kar 
lingerzeit in der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirts 
II. (1904). B. HıLLıcer, Der Schilling der Volksrechte um das Wergeld, 
in der Historischen Vierteljahrschrift, 1903. DERSELBE, Der Schillingswer 
der Ewa Chamavorum und der Lex Frisionum, Hist. Vierteljahrschrift, 1904 


P. Vinogradoff: Zur Wergeldfrage. b3b 


ich verändert und einige der wichtigsten früheren Annahmen 
allen gelassen. Er glaubt nicht mehr an irgendeine Herabsetzung 
ler Bußen in Verbindung mit der Münzreform in karolingischer Zeit. 
ig heißt nicht mehr, daß die ursprünglich einheitliche merowingische 
ngenuusnorm des Wergelds (200 Solidi) infolge der Münz- 
'eränderungen sich spaltete, so daß von nun an den Gemeinfreien 
Vergelder und Bußen in großen und den Minderfreien in kleinen 
chillingen zugesprochen wurden, oder aber die entsprechenden 
‚ahlungen in Kleinschillingen im Verhältnisse von 3 zu 1 ver- 
echnet wurden (600 Solidi und 200 Solidi)?). 

Es ist nicht schwer einzusehen, daß die Wichtigkeit dieser 
‚ugeständnisse eine weit größere ist, als HECK geglaubt zu haben 
cheint. Er gleicht einem Seemann, der, um sein Schiff zu retten, 
inen Teil der Ladung über Bord wirft, aber bald gewahr wird, 
aß das verzweifelte Manöver den vollständigen Schiffbruch nur 
eschleunigt. Denn was bietet uns HECK statt der früheren 
[ypothese? Einerseits hält er an der Annahme einer Doppel- 
ıssung der Wergeldsätze für die Freien in den karolingischen 
'olksrechten doch fest, diese Doppelfassung wird als Doppelsinn 
uch in den Stellen entdeckt, welche einfach und einheitlich von 
‘olidi sprechen, und dieser Doppelsinn muß sich doch in den 
regensatz zwischen Vollsolidi und Drittelsolidi, großen Schillingen 
nd kleinen Schillingen auflösen?). Andererseits werden sämtliche 
'eduktionsstellen auf eine Überführung des Solidus von einem 
Verte von 40 Denaren zu einem solchen von 36 Denaren gedeutet 
nd ausdrücklich hervorgehoben, daß diese geringfügige Ver- 
ınderung keine nennenswerte Bußherabsetzung ausmache?). 
arin liegt jedenfalls ein bedenklicher Widerspruch: die zwei 
eiten der korrigierten Theorie passen nicht zueinander. 

Dann ist es kaum notwendig, daß die schon früher 
ervorgehobene Sinnwidrigkeit eines zweideutigen Sprach- 
ebrauchs der Rechtsquellen, bei welchem unter dem Ausdruck 
olidus allerhand verschiedene Einheiten verstanden werden 


1) So früher, z. B. Die Gemeinfreien der karolingischen Volksrechte, 
kl, 175, 176, 182, 189, 199, 200. 

2) Ständeproblem, 353, 857—863. 

8) Ib. 529 ff. 


536 P. Vinogradoff 


sollten, um so greller hervortritt. Heck bemerkt mit Genugtuung, 
daß man nicht einmal mit zwei, sondern mit vier möglichen Inter- 
pretationen zu rechnen habe’). Die von ihm angerufene Ana- 
logie der norwegischen Rechte verändert sich für diejenigen, 
welche ihre Kenntnis norwegischer Verhältnisse aus den Quellen 
und nicht aus Hecks Büchern schöpfen ?), in das direkte Gegen- 
teil: dort wird nämlich die Art der Zahlung in verschiedenen 
Wertzeichen je nach Maßgabe des Standes eben ausdrücklich her- 
vorgehoben und nicht doppelsinnigen Deutungen überlassen’). 
Außerdem käme es ja in den fränkischen Leges gar nicht mehr 
auf Verschiedenheit der Währung an, sondern auf den Gegensatz 
zwischen Vollschillingen und Drittelschillingen derselben Währung. 
Und, trotz der neugeschaffenen Ausdrücke „Äquivalente“ und 
„konträre Substitution“, wer wird Heck glauben, daß vernünftige 
Menschen von zwei Berechnungsweisen, die wie 40 und 36 
differieren, wie von einem Gegensatz zwischen 40 und 12 sprechen 
würden *)? Oder daß Kirchenväter und weltliche Obrigkeiten zur 
Zeit Karls des Großen und Ludwigs des Frommen bemüht waren, 
ein Münzsystem, welches unter Theudebert von Austrasien im 
VI. Jahrhundert schon eingebürgert war, durchzuführen®)? Die 
neue Hypothese stößt also in allen Richtungen an, und es gehört 
Hëcxs großartiges — Selbstvertrauen dazu, um sich an der ver- 
meintlichen Bestätigung seiner Theorie durch nachträgliche Ent- 

1) Ib. 528. 

2) Ib. 361: „Wenn übrigens VINOGRADOFF mein Buch vollständig gelesen 
hätte, so würde er gefunden haben, daß auch in Norwegen verschiedene 
Stände verschiedenes Geld erhalten“. 

3) Die Zusammenstellung der Stellen in HERTZBERGS und BUGGEs Glossar 
im V. Bande von Norges gamle love, s. v. eyrir. 

4) Die erste Fassung des Capitulare von 816 spricht ausdrücklich von 
der Größe der Solidi: Ut omnis solutio atque compositio que lege Salics 
continetur, in Francia per duodecim denariorum solidos componatur, excepto 
ubi contentio inter Saxones et Francos exorta fuerit: ibi volumus ut quadr= 
ginta denariorum quantitatem solidus habeat, quem vel Saxo, vel Frisio ad 
partem Salici Franci cum eo litigantis solvere debet. — Oder ist das auch ein 
gesetzgeberischer Fehltritt, durch den Mangel an Bildung bei den kaiserlichen 
Ratgebern und die Unkenntnis der geistlichen Protokollführer zu erklären? 


Vgl. Heck, Ständeproblem, 357. 
5) Daselbst, 526 ff. 


Zur Wergeldfrage. 537 


deckungen zu freuen. Jedenfalls sind wir nun alle darin einig, 
daß man bei der Annahme einer karolingischen Entwertung des 
Vollsolidus zum Trientsolidus eine entsprechende Bußherabsetzung 
postulieren muß, falls man nicht auf die Bahn der „äquivalenten 
Substitution“ geraten will’). 


2. Die karolingische Bußumrechnung. 


Wenn wir unter zwölf wirklich zwölf und nicht sechsund- 
dreißig verstehen wollen, so erübrigt es noch HıLLıgErs Hypothese, 
welche auf eine fortwährende Geltung der Goldwährung und der 
Großschillinge auch in der Karolingerzeit ausgeht, zu prüfen. Die 
Argumente gegen eine solche Auffassung sind von HECK in 
bündiger und überzeugender Weise vorgebracht worden und ich 
brauche sie nicht zu wiederholen?). Vom numismatischen Stand- 
punkte aus ist aber ein Teil der Ausführungen HILLIGERS 
jedenfalls von Wert, nämlich die Besprechung des Ausgangs- 
punktes unserer Berechnungen im salischen Münzsystem. Da ist es 
wohl HiLuiG:r im Anschluß an BABELON gelungen, endgültig die 
Tatsache festzustellen, daß die Berechnung des Denars zu vierzig 
Stück auf den Solidus mit seiner Bewertung als Halbsiliqua und 
einer Prägung des Goldsolidus zu 21 Siliquen zusammenhänge ). 


1) Heck, 529: „Die herrschende Auslegung des Konzilbeschlusses und 
des Salischen Münzkapitulars erscheint zwingend, solange man allein die 
beiden extremen Schillingawerte von 40 und von 12 Schillingen in Rechnung 
zieht und sie als isoliert nebeneinander stehende Größen behandelt. Bei 
beiden Gelegenheiten handelt es sich sicher um eine Herabsetzung der Bußen, 
aicht um Münzverruf oder um bloße Umrechnung. An beiden Stellen wird 
angenommen, daß diese Bußerniedrigung durch Beseitigung der Schillinge zu 
40 Denaren, beziehungsweise durch Einführung der Rechnung nach Schillingen 
su 12 Denaren bewirkt wurde. Unter den gedachten Voraussetzungen ist 
aber eine Bußerniedrigung durch Beseitigung der großen oder Einführung 
der kleinen Schillinge kaum anders als in der Weise denkbar, daß in den 
mveränderten BuGzahlen der große Schilling durch den kleinen ersetzt wird.“ 

2) Ständeproblem, 849 ff. 636 ff. 

8) Der Schilling der Volksrechte, 175 ff. Ich erlaube mir nur im Hin- 
blick auf dies abfällige Urteil HıLLısers über meine Annahmen darauf hin- 
zuweisen, daß ich, nach GrROTEs Vorgang, ausdrücklich! davon ausgegangen 
bin, daß der merowingische Denar der römischen Halbsiliqua entsprochen 
habe. Wergeld und Stand, 127, vgl. Heck, Ständeproblem, 522, Anm. 6. 


538 P. Vinogradoff 


Eine eigentümliche Schwierigkeit darf aber nicht übersehen wer- 
den. Falls der von der Lex Salica benützte Vierzigerdenar der Halb- 
siliqua der Theudebertischen Prägung (84 Solidi auf das Pfund 
Gold) entspricht, so ist es nicht leicht einzusehen, wie vor 
seinem Erscheinen, also vor der „Münzreform von 575“ (Hana) 
gerechnet wurde. Deshalb bleibt Heck bei der Zurückführung 
des Vierzigerdenars auf das schwerere Constantinische System 
(72 Solidi auf das Pfund Gold) und faßt denselben als das 
Silberäquivalent der Halbsiliqua, deren 48 auf den Solidus gingen, 
Um den Übergang von 48 auf 40 zu erklären, wird eine Ver- 
änderung der Relation zwischen Gold und Silber (12 zu 1 statt 
ungefähr 13!/s zu 1) angenommen. HiLLısGer und BaABElor 
gehen von der annähernden Äquivalenz der Halbsiliqua von 4 
und des Denars von 40 auf den Solidus aus, scheiden sich aber 
in ihrer Auffassung der älteren merowingischen Münzrechnung. 
HILLIGER scheut sich nicht, die Lex Salica in die Zeit nach der 
„Münzreform von 575“ — in das Ende des VI. Jahrhunderts su 
verlegen'). BABELON vermutet eine viel ältere Prägung de 
Solidi nach erleichtertem Münzfuße (84 auf das Pfund) und 
deutet auf eine solche bereits die Verwerfung der „gallischen 
Solidi“ unter Majorian *) (458). Wir haben zwischen diesen drei 
Auswegen, deren jeder eigentümliche Schwierigkeiten darbietet, 
zu entscheiden. HEcks Deutung paßt insofern nicht, als die meisten 

























Deshalb kann ich auch die numismatischen Ausführungen von BABELOX und 
Hır.ııGer benützen, ohne meine Grundanschauung und Argumentation auf 
zugeben. 

1) Der Schilling der Volksrechte, 455. 

2) BABELON, La silique romaine, le sou et le denier de la loi des Fran 
Saliens. Revue de Numismatique, I. 346. Vgl. DESSELBEN Traité de 
monnaies grecques et romaines, 5686—590. Neuerdings hat CAPOBIANEHL 
Archivio della Società Romana di Storia patria, XXVII. (1904), 89 ff. vel 
XXVI. (1903), 11, eine auffällige Hypothese vorgebracht. Er führt ds 
Reduktion der Solidi auf 40 Denare in der Lex Salica auf eine Münsrefors, 
um 700, welche die Denarprägung überhaupt eingeführt haben soll, zurück 
Ist es aber glaublich, daß die charakteristische Berechnung des Solidus # 
40 Denaren, welche in den meisten Handschriften der Lex vorherrscht, 38 
einem Übergangszustand der etwa 100 Jahre gedauert haben soll, entsprug® 
sei? Und meint der Verfasser wirklich, daß im VI. und VII. Jahrhundert 
keine Silbereinheiten im Gebrauch waren? 


Zur Wergeldfrage. 639: 


'exte der Lex Salica mit Einschluß der karolingischen Emendata 
ortwährend nach vierzig Denaren rechnen und auf einen kon- 
urrierenden erleichterten Münzfuß der späteren merowingischen 
‚eit gar keine Rücksicht nehmen, was doch höchst unwahrschein- 
ich wäre, wenn eine Varietät des Solidus, die sich in 36 Denare 
uflösen ließ, am Ende des VI. Jahrhunderts kursierte. Die 
fiizielle Anerkennung der leichteren Prägung wird denn auch 
on HECK bis zur Regierung Ludwigs des Frommen aufgeschoben. 
[ILLIGERS Ausweg führt zu einem vollständigen Umsturz unserer 
echtsgeschichtlichen Voraussetzungen und würde uns in eine 
[enge Schwierigkeiten bei der Interpretation der Lex Salica 
elbst verwickeln!). Somit scheint es am wahrscheinlichsten, 
aß wir in der Theudebertischen Prägung den Ausdruck eines 
gallischen“ Münzsystems zu sehen haben, welcher schon in 
er zweiten Hälfte des V. Jahrhunderts im Gebrauch war. Diese 
nnahme würde die eigentümliche Reduktion auf 40 bezw. 
31/3 Denare erklären, ohne die Lex Salica zu sehr chronologisch 
erabzudrücken. Die Münzfunde der merowingischen Zeit weisen 
war vorwiegend Solidi der schweren Prägung auf?) — das läßt 
ich aber durch die Praxis der kaiserlichen Münzstätten erklären, 
nd die Ausrechnung der Summen durch Hinzufügung eines 
echstels war nicht schwer. Wie dem auch sei, alle merowingi- 
chen Buß- und Wergeldtarife der Lex Salica sind sorgfältig nach 
em Verhältnis von einem Solidus zu 40 Halbsiliquadenaren be- 
schnet, und die etwas späteren Volksrechte der benach- 
arten Stämme, der Ripuarier, der Alemannen, der Baiern weisen 
uf Münzsysteme, die, obgleich nicht identisch, doch im großen 
nd ganzen auf entsprechenden Verhältnissen aufgebaut waren. 


1) Nicht nur die jedenfalls charakteristische Tradition über die Entstehung 
ır Lex und die bekannten Stellen, wie de filtortis, de chrenecruda u. dgl, 
mdern der ganze Bestand der Lex in ihrem Verhältnis zur Lex Visigothorum 
ad Lex Burgondionum einerseits, zur Lex Ripuariorum andererseits sprechen 
gegen. HILLIGERS rechtsgeschichtliche Methode ist überhaupt nicht auf 
er Höhe seiner numismatischen Kenntnisse. Die unkritische Behandlung 
sr „Bußreihen“, welche zu einer Reihe von Entdeckungen führen soll, 
Ut besonders auf. Was soll man aber auch z. B. zu den mehrmaligen 
nläufen, Stammeswergelder aus der compositio der Frauen abzuleiten, sagen? 

2) Darauf macht uns HECK aufmerksam. Ständeproblem, 523. 


540 P. Vinogradoff 


Demgegenüber tritt nun in karolingischer Zeit eine scharf 
‚abweichende Berechnung des Solidus zu 12 Denaren auf. In- 
wiefern sie in der Volksübung vorbereitet war, ehe sie in off- 
ziellen Akten berücksichtigt und in die Bußtarife der Gesetze 
eingeführt wurde, mag vorläufig dahingestellt bleiben. Jedenfalls 
ist es klar, daß am Anfange des IX. Jahrhunderts der Solidus 
„in argento ad 12 denarios adpretiatus“ in derselben Bedeutung 
erscheint, wie früher der Solidus zu 40 Denaren. 

Auch besitzen wir mehrere wichtige Nachrichten über die in 
der Übergangszeit geltenden Regeln. Namentlich erfahren wir 
ziemlich viel über die Eigentümlichkeiten und Schwierigkeiten, mit 
welchen die Überführung der Bufansätze in Drittelsolidi im Ge 
biete der Lex Salica, in welcher alle Summen ausdrücklich in 
Vierzigerdenaren ausgerechnet standen, zu begegnen hatte. Der 
Fiskus versuchte eine Zeitlang die freda immerfort nach dem 
Maßstabe von 40 Denaren auf den Solidus einzutreiben. Dann 
erfahren wir von Verordnungen, welche die Berechnung des 
Solidus zu 40 Denaren zugunsten der salischen Franken in ihren 
.‚Zusammenstößen mit Friesen und Sachsen aufrecht erhalten. 
Entsprechende Privilegien für den ripuarischen Stamm sind nicht 
überliefert, und es bleibt uns die Wahl zwischen zwei Vermt- 
tungen offen: entweder waren Salier und Ripuarier in dieser Be 
ziehung wie in anderen gleichgestellt, worauf möglicherweise das 
merkwürdige Wergeld des „Franken“ in der Lex Chamavorım 
hinweist. Oder es ist das salische Privileg als ein Ausfluß der 
speziellen Gleichung der Lex Salica anzusehen, was auf eine 
zeitweilige Ungleichheit zwischen den Hauptstämmen hinweise 
würde, eine Ungleichmäßigkeit der Behandlung, welche dadarch 
vermindert sein würde, daß die Zahlung der salischen Bußen in 
schlechten älteren Vierzigerdenaren geschehen konnte, solange 
dieselben im Umlauf blieben'). Eine bestimmte Auskunft laßt 


1) Vgl. Rheimser Konzil von 813: ut dominus imperator secundum statutus 
bonae memoriae domini Pippini misericordiam faciat, ne solidi qui in legt 
habentur per 40 denarios discurrant, quoniam propter eos multa periuns 
multa que falsa testimonia reperiuntur. Der Beschluß hatte offenbar sowohl 
die rechtliche Anwendung (qui in lege habentur) als auch den faktisches 
Umlauf (discurrant) im Auge. 





Zur Wergeldfrage. 541 


sich zwar aus den Quellen nicht gewinnen '), aber eines scheint 
sicher: die erwähnten Maßregeln stammen offenbar aus einer Zeit 
des Überganges von einem Münzsystem zum andern, welches mit 
der Beibehaltung der nominellen Beträge in Solidi verbunden 
war und also tatsächlich das Zusammenschmelzen der Denarsätze- 
bekundete. 


Die drei sächsischen Rechtsquellen, die Volksrechte der Cha- 
maven und der Thüringer sind nach der Einführung der Rech- 
nung in Drittelsolidi entstanden und ihre Tarife müssen einheit- 
lich in kleinen Schillingen aufgesetzt worden sein. Die sächsischen 
Quellen erwähnen zwar eine Schillingdifferenz, aber der Unter- 
schied, den sie zwischen dem Solidus zu drei und demjenigen 
zu zwei Tremissen machen, entstammt einem ganz anderen Ge- 
sichtspunkte, nämlich dem Versuche, das Verhältnis zwischen 
sâchsischer und fränkischer Währung zu ordnen. In der stän- 
dischen Steigerung der Wergelder und Bußen nach chamavischem 
und thüringischen Recht hatte Heck bekanntlich eine Hauptstütze- 
seiner Ansicht von der Spaltung des fränkischen Freienstandes 
in die zwei Gruppen der adeligen Gemeinfreien und der frei- 
gelassenen Minderfreien finden wollen. Die ständische Gliederung 
beider erwähnten Rechte (Francus-nobilis; ingenuus-liber; litus- 
lazzus) wäre auf die Geltung des ripuarischen Rechtssystems 
zurückzuführen, welches auf dem Wege der Usualinterpretation 
die Anwendung von Vollschillingen auf die Adeligen und der 
Drittelschillinge auf die unteren Stände ausgebildet hätte. Bei 
der neuen Wendung von Hecks Theorie ist es nun zwar nicht 
abzusehen, in welcher Weise die Ripuarier zu einer Schätzung 
ihrer minderen Freien zu Drittelschillingen kommen konnten: 
bei der „äquivalenten Substitution“ wäre das erst recht eine Buf- 
herabsetzung gewesen?). Dennoch hält HEck daran fest, daß 


1) Die Ungewißheit über diesen Punkt kann auf keinen Fall die be- 
stimmten Nachrichten über die Vorgänge im salischen Rechtsgebiet außer 
Kraft setzen, wie es HILLIGER annimmt, a. a. O., 214. | 

2) Nach einigen Andeutungen in HEUKs8 Abhandlung dürfen wir aller- 
dings erwarten, die Doppelspiegelung der solidi und der denarii auch auf die 
merowingische Redaktion der Lex Salica übertragen zu sehen. Die Vor- 
bereitungen zu dieser Ausführung sind aber noch nicht vollendet (a. a. O., 3621. 


549 P. Vinogradoff 


die erwähnten Rechte und namentlich die Ewa Chamavorum 
einen bündigen Beweis für die Drittelung der Beträge der 
Minderfreien abgäben. Freilich kommen dabei recht merkwürdige 
Kombinationen zustande. Die Lex gibt zwar dem „Francus“ ein 
Wergeld von 600 Solidi gegen ein Wergeld von 200 für den 
ingenuus, sie gliedert aber die Privatbußen für kleinere Vergehen 
wie folgt: 12 Sol. für den Franken, 8 für den ingenuus, 4 für 
den Liten, 2 für den Sklaven. Die Abstufung bei dem Wergelde 
und bei den Bußen war also eine verschiedene. Sie muß aber, 
statuiert HECK, dieselbe gewesen sein. So werden wir denn 
aufgefordert, in der Reihe von Bestimmungen, welche diese Bußen 
regelt, den Ausdruck Solidus als Vollsolidus, für den Franken 
in ec. 17, 18 und als Drittelsolidus für den ingenuus, den Liten 
und den Sklaven in cc. 21, 22, 23 zu verstehen. Wenn es c. 22 
heißt: „de lito in emendatione solidos 4, in fredo dominico soli- 
dos 4“, so dürfen wir ja nicht glauben, daß Buße und fredus in 
diesem Falle gleich sind — der fredus ist dreimal größer. „Diese 
Erklärung ist einwandfrei, sie ist aber auch die einzig mögliche 
und deshalb die einzig richtige“ (a. a. O. 360). „Die Zuver- 
lässigkeit der einzelnen mittelbaren Schlußfolgerungen wird da- 
durch bestätigt, daß sich der unmittelbare Beweis nachträglich 
gefunden hat“ (S. 361). Gegen eine Interpretationskunst, die 
sich von der Annalıme freigemacht hat, daß dieselben Ausdrücke 
in denselben Sätzen dasselbe bedeuten, läßt sich allerdings nicht 
streiten. Für diejenigen aber, die abergläubisch genug sind, an 
den ausdrücklichen Wortlaut der Quelle sich zu halten, wird es 
nicht ohne Interesse sein, zu konstatieren, daß bei der Abstufung 
der Bußen in der Lex Chamavorum dem Franken nur ein Vor 
sprung im Verhältnis von 12 zu 8 vor dem ingenuus eingeräunt 
wird, während sein Wergeld aufs dreifache veranschlagt wird. 
Das ist aber auch der einzige Fall, in welchem auf salischem 
Gebiete dem Franken ein entsprechendes Privilegium gegenüber 
dem Sachsen und Friesen in der zweiten Fassung des Kapituları 
von 816 eingeräumt wird !). 

1) Capit. ed. Boretius, I. 269, c. 2: de omnibus debitis solvendis, st 


antiquitas fuit constitutum, per duodecim denarios solidos solvatur per totss 
Salicam legem, excepto leudes, si Saxo aut Frisio Salicum occiderit, pr 


Zur Wergeldfrage. 543 


Mit der Lex Frisionum hat es eine eigentümliche Bewandtnis, 
a sie augenscheinlich an der Berechnung der Bußen in Voll- 
olidi festhält Ich habe einen merkwürdigen Ausdruck des 
fberganges zu Drittelbeträgen gerade in dieser Lex gesehen, da 
ie trotz der Rechnung in Vollsolidi die Summen der Bußen ver- 
ındert und zwar, wie ich glaube, durch drei dividiert. Heck 
agegen betrachtet die Verminderung der Grundbußen nicht als 
ine Drittelung, sondern als Resultat der Subtraktion eines Drittels 
er früheren Ansätze, wobei er den Grund zu dieser Umrechnung 
n Übergange von friesischen als zwei Tremissen geschätzten 
chillingen zu fränkischen Schillingen von drei Tremissen erblickt. 
ind also die friesischen Bußsätze als Drittel- oder als Zwei- 
rittelsummen aufzufassen ? 

In seiner Polemik gegen meine Ausführungen in dieser Frage 
acht HECK zu beweisen, erstens, daß ich seine Ansicht mißver- 
tanden habe, zweitens, daß meine Erklärung der Texte wider- 
pruchsvoll und fehlerhaft sei. In bezug auf das erstere verzichte 
h auf eine Erwiderung und will gerne zugeben, daß HEcK das 
iesische und das sächsische Wergeld des Edelings auf verschiedene 
Veise ausgerechnet habe'). Was aber die Deutung der Texte 
nbetrifft, so scheint mir der Vorwurf widersprechende und un- 
alängliche Erklärungen zu geben, auf das Haupt meines Gegners 


d denarios solidi solvantur. Infra Salicos vero ex utraque parte de omnibus 
ebitis sicut diximus 12 denarii per solidum solvantur, sive de homicidiis, 
ve de omnibus rebus. 

1) Mir sind übrigens auch jetzt Reduktionen, wie die folgende, verdächtig, 
emeinfreie, 259: „Die lex Frisionum gibt dem nobilis eine simpla compo- 
tio von 106?/, Solidi. Infolge des Sonderfriedens betrug das effektiv zu 
ıhlende Wergeld das Dreifache, also 3 >< 106?/, = 820 Solidi in fränkischer 
ünze. In die kleineren einheimischen Solidi nach der Relation 3:2 
mgerechnet, stellte sich der Betrag auf 480 Solidi. In beiden Zahlen 
nd nun die angegebenen Solidi Vollschillinge, nicht Trientwerte; deshalb 
üssen wir sie, wenn wir die Vergleichung mit den sächsischen Zahlen vor- 
ehmen wollen, in Triente umrechnen, also nochmals verdreifachen. Dann 
bträgt das Wergeld des friesischen Nobilis in karolingischen Trienten 960 
ad in leichteren Trienten genau 1440.“ Ist es richtig, in dieser 
erechnung die , Relation 3:2“ zweimal zu benützen? Und worauf würde 
as Litenwergeld von L. Sax. 16 bei derartigen Berechnungen zusammen- 
hmelzen ? 


544 P. Vinogradoff 


zurückzufallen. Oder ist es nicht etwa widersprechend bei der 
Interpretation von Tit. 10 von „neuen Solidi“ zu sprechen und 
bei derjenigen von Add. III, 71 von Umrechnung der alten Solid 
in neue denarii!)? In Wahrheit sind die Glossen zu beiden 
Titeln ganz in demselben Sinne aufgefaßt: in beiden Fällen 
handelt es sich um die Feststellung der provinziellen Abweichungen 
im Werte der Bußschillinge, und diese Abweichungen werden mit 
Hilfe der neuen denarii (denarii de noua moneta), i. e. der 
karolingischen Triente notiert. Die meisten Ansätze waren in 
ganz Friesland nominell dieselben, aber der Schilling galt nicht 
gleichviel in den drei Provinzen, und es wurde versucht, diese 
Verschiedenheiten in fränkischer neuen Münze anzugeben. Falls 
wir den Fingerzeigen folgen wollen, so stellen sich die Tarife m 
fränkischen Trienten folgendermaßen: in Mittelfriesland, welches als 
Hauptland angesehen wird, hatte der Adelige ein Wergeld von 240 
Trienten, der Freie — 160 Trienten, der Lite 80. In Westfriesland 
bekommen wir zweifache Notierungen — 250, 125 und 62!/s: Triente, 
oder aber 266°/s, 1331/: und 66?/s Triente. Für Ostfriesland 
stellen sich die Trientsummen auf 213°/s, 106°/s und 53'/s. In 
ähnlichen Verhältnissen sollten auch andere Bußen berechne 
werden. Diese provinziellen Differenzen wurzelten wahrscheinlich 
sowohl in lokalen Abweichungen im Gebrauch der Münzen wie 
in verschiedener Bewertung der Hauptgegenstände des Wirtschafts- 


1) L. Frisionum, I. $ 10: inter Fli et Sincfalam vueregildus nobilis C 
solidi, liberi L, liti XXV (solid. denarii III novae monetae). Add. HI. $ 73: 
Inter Flehi et Sincfalam solidus est duo denarii et demidius ad novam mone- 
tam. Inter Uuisaram et Lauhachi duo denarii solidus est. $ 78: Inter 
Laubachi et inter Flehi tres denarii novae monetae solidum faciunt. Ib 
allen drei Fällen sieht HECK etwas verschiedenes. Im Tit. I. 8 10 soll sobä 
novae monetae eine Umrechnungsnorm bezeichnen, Add. III. $ 73 Angabes 
über den Wert alter Schillinge, ausgedrückt in neuer Münze, geben, endlich 
Add. III. $ 78 eine dritte Bedeutung haben. „Auch in diesem Zusatze ist 
ein Bußschilling gemeint, aber nicht der Schilling für uns verlorener Buf- 
zahlen, sondern der Schilling der Lex Frisionum selbst“ (a. a. O. Böll. 
Diese Unterscheidungen sind vollständig willkürlich, und jeder Unbefangent 
wird einsehen, daß es sich in allen drei Fällen um dasselbe handelt, nämlich 
um eine Bewertung der Bußschillinge des friesischen Volksrechtes in neue 
karolingischer Münze. Diese Bewertung rechnet mit verschiedenen lokalen Ar 
sätzen, aber die Methode und die Terminologie sind einheitlich durchgeführt 


4 


Zur Wergeldfrage. 545 


lebens. Daß die Nachbarschaft dergleichen Unterschiede nicht 
ausschloß, beweist der im einzelnen beurkundete Fall der 
sächsischen Provinzdifferenzen in bezug auf Bußschillinge'). Die 
Einzelheiten für Friesland zu ermitteln ist gegenwärtig un- 
möglich. Wir können auch um so mehr darauf verzichten, als die 
Haupttatsachen klar genug vorliegen. 

Es wäre verkehrt, die vereinzelte ostfriesische Gleichung von 
zwei Trienten auf den Solidus und das ostfriesische Wergeld von 
106?/s Solidi für den Edeling zu Ausgangspunkten für die Be- 
rechnung der gemeinfriesischen Werte zu machen‘). Eher müßte 
man von den mittelfriesischen Bestimmungen, welche den Solidus 
drei Trienten gleichsetzen und dem Adeligen ein Wergeld von 
240 Trienten beimessen, ausgehen. Aber noch sicherer ist es, 
die für alle Gebiete gewährleistete Ziffer von 53'/s, also das Wer- 
geld des liber zum Ausgangspunkte weiterer Betrachtungen zu 
machen. Sie entspricht jedenfalls einem feststehenden volksrecht- 
lichen Betrage, der zwar dazu kam, verschiedene Werte je nach 
der Landschaft zu repräsentieren, aber ursprünglich als gemein- 
friesische Einheit gedacht war. Dasselbe gilt vom Litenwergeld, 
während in bezug auf das Adelswergeld, neben verschiedener 
Bewertung in neuer Münze, eine bedeutende nominelle Abweichung 
gerade im Bereiche von Mittelfriesland, dem Hauptgebiete der 
Lex, bezeugt ist’. In Berücksichtigung dieser Tatsachen ist 
es außerordentlich unwahrscheinlich, daß wir bei der Zurück- 
rechnung der Beträge in ältere volksrechtliche Ansätze mit 
einer Reduktion im Verhältnis von zwei zu drei zu tun hätten. 
Insofern der Gegensatz zwischen Schillingen im Werte von zwei 
und von drei Trienten sich geltend macht, ist er gerade in den 
provinziellen Differenzen berücksichtigt. Die Drittelbrüche erschei- 
nen aber in allen provinziellen Notierungen und sind daher 
durch das Wirken eines Umstandes bestimmt, der gleichmäßig in 


1) Vgl. die bekannten Stellen des Capit. Saxonicum, c. II. und der Lex 
Saxonum, 66, über den Wert der Solidi in den verschiedenen Teilen des 
Sachsenlandes. 

2) HECK, Ständeproblem, 553, legt allen Berechnungen grade das ost- 
friesische System und die Buße von 106’/s Schillingen zugrunde. 

3) 80 Solidi statt 106?/,. 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 36 


546 P. Vinogradoff 


allen Gebieten vorhanden war. In diesem Zusammenhange tritt 
der Gedanke einer Anpassung an die allgemeine karolingische 
Herabsetzung der Bußbeträge natürlich auf und scheint den 
Schlüssel für die sonst so auffallende Aufteilung der Summen zu 
bieten. Das Wergeld des liber entspricht als Drittelbetrag dem 
ripuarischen Ansatze für den Friesen, nämlich 160 Vollschillingen 
ganz genau. Im Verhältnis zu den Bußen des liber werden denn 
auch diejenigen der zwei anderen Stände bestimmt'). 


Il. Der wirtschaftliche Hintergrund. 


Sobald der rechtsgeschichtliche Tatbestand klargestellt worden 
ist, drängen sich dem Beobachter zwei Fragen unwillkürlich auf. 
Wie kam die karolingische Regierung dazu, eine so radikale 
Umänderung der Bußen und Wergelder vorzunehmen und darc- 
zuführen? Ist die Reihe der betreffenden Maßregeln und Gesetze 
als die Äußerung einer planmäßigen Politik oder als der recht- 
liche Ausdruck einer allgemeinen sozialen Bewegung aufzufassen? 
Dergleichen Fragen pflegen in ihrer Lösung von einer synthetischen 
Würdigung der Zusammenhänge des historischen Lebens abzu- 
hängen und lassen sich nicht lediglich durch Berufung auf direkte 
Zeugnisse erledigen. Das muß auch in unserem Falle berück- 
sichtigt werden,: es fehlen aber auch keineswegs bestimmte An- 
haltspunkte in den Quellen. 

Die Aufgaben welche sich die Karolinger bei ihren Reformen 
stellten, waren, wie bekannt, großartig genug: sie schraken nicht 
zurück vor der Einführung des Christentums und kirchlicher En- 
richtungen durch die Gewalt des Schwertes, vor massenweise 
Ausrottung und Verpflanzung von Völkerschaften, vor Versuches, 
alte volksrechtliche Ordnungen durch Anwendung der Todesstrafe, 
körperlicher Züchtigungen und hoher Bannbußen zu veränden, 
vor einem Eindringen in alle Verhältnisse des Volkslebens mittelt 
Regierungskommissionen und Inquisitionsprozedur. In allen diese 
Richtungen hätten sie bemerkenswerte Vorbilder in der Prasis 
der merowingischen Herrscher aufweisen können ?). Aber in be 

1) Add. III. 88 71, 72, 73. 

2) Vgl. z. B. CutLpeserti IL Decretio (Capit. regnum Franc. L li 
c. 5: de homicidiis vero ita iussimus observare, ut quicumque usu temersf 


Zur Wergeldfrage. 547 


z auf die Veränderung der Bußtaxen sind die Karolinger nicht 
liglich als aufgeklärte Despoten aufgetreten. Ihre Regierung hat 
r allmählich einen Weg eingeschlagen, der ihr durch den Gang 
r volkswirtschaftlichen Entwicklung gewiesen wurde. Ehe der 
hilling zu zwölf Denaren für die Entrichtung der Bußen akzep- 
rt wurde, war er schon, jedenfalls in Austrasien, in Geschäften 
gemein anerkannt')}. Und der ausdrücklichen Bußreform ist 
e Münzreform vorangegangen, das heißt — der Zwölferdenar 
ırde infolge der wirtschaftlichen Bedürfnisse verbessert und ge- 
stigt, che er an die Stelle des verkommenen Vierzigerdenars 
i gesetzlich geregelten Zahlungen hintrat. Es wäre ungerecht 
ıd tatsächlich unmöglich gewesen, Wergelder und Bußen, welche 
den alten, für Vierziger- bezw. Sechsunddreißigerdenaren auf- 
stellten Bußtaxen berechnet waren, in neuen Zwölferdenaren 
ı fordern, und wenn in der Übergangsperiode entsprechende 
ımmen gcfordert wurden, so halfen sich wohl die Beteiligten 
ıtweder durch Beschafiung alter Münze oder durch Entrichtung 
»n Naturalien zu Werten, welche nominell auf alte Denare be- 
‚gen werden mußten, wobei allerlei Mißverständnisse, Zerwürt- 
sse und Meineide vorkommen konnten. . 

Eine der ersten und wichtigsten Folgen der Einführung neuer 
ünze mußte notwendigerweise die Neuregulierung des Maßstabes, 
ach welchem Geldzeichen und Naturalien bei Entrichtung der 
ußen benützt werden durften, ausmachen. Diese Regulierung wurde 
eineswegs aufs Geratewohl durchgeführt. Da die in den ofü- 
iellen Tarifen enthaltenen Taxen offenbar in einem gewissen Zu- 
ammenhang mit landüblichen Werthen stehen mußten und direkt 
ie Größe gesetzlicher Teilzahlungen bestimmten, so können wir 
us ihnen im allgemeinen ersehen, inwiefern die karolingische 
fünzreform eine reelle Verminderung oder Aufrechterhaltung der 
rüheren Bußsätze herbeiführte. 


lium sine causa occiderit, vitae periculum feriatur: nam non de precio 
edemptionis se redimat aut componat. Forsitan convenit ut ad solutionem 
jmisque discendat, nullus de parentibus aut amicis ei quicquam adiuvet, nisi 
ini presumpserit ei aliquid adiurare, suum weregildum omnino componat; 
juis justum est, ut qui novit occidere, discat morire. Vgl. c. 7. 

1) Concil. Leptinense a. 748. 


548 P. Vinogradoff 


Die sächsischen Tarife, an der Scheide zwischen dem VII. 
und dem IX. Jahrhundert in Drittelsolidi aufgestellt, geben Ziffern 
für einige der hauptsächlichen Viehsorten, welche den in Vollsolidi 
berechneten Taxen der Lex Burgundionum aus dem VI. Jahr- 
hundert fast genau entsprechen "). Was die Getreidepreise an- 
betrifft, so sind wir leider nicht imstande, entsprechende Be- 
obachtungen zu machen, da wir nur in sächsischen Quellen einen 
Bußtarif, sonst aber schwankende Marktpreise und Teuerungs- 
maxima zur Verfügung haben *). 

Die Annahme der Stetigkeit der nominellen Bewertung wird 
durch die merkwürdige Tatsache bestätigt, daß bei einer Revision 
des ripuarischen volksrechtlichen Tarifs unter Ludwig dem From- 
men die alten Sätze für die meisten Gegenstände aufrecht erhalten 
wurden®). Was Heck über diese wichtige Nachricht sagt, ist 


1) L. Burgundionum (Mon. Germ. LL. II, 44), c. 4, $ 1: de occisi facul- 
tatibus is, qui perdidit superius comprehensa mancipia atque animalia, apud 
sollicitatorem aut furem si non potuerit invenire, in simplum recipiat, hoc 
est pro bove solidos duos, pro vacca solidum unum. Cf. c. 95. L. Saxonum, 
Tit. 66, $ 8 (Til, et Corb.) Quadrimus bos duo solidi, duo boves quibus aran 
potest quinque solidi, bos bonus tres solidi, vacca cum vitulo solidi duo et 
semis. Cf. $ 1. — Solidus tres tremisses id est bos 16 mensium. — Die 
Kuh wurde noch 829 auf 2 sol. geschätzt BORETIUS, Cap. IL 17. 

2) Korn eignete sich nicht für Entrichtung der Bußen, da die Preise 
natürlich höchst schwankend waren. Es wird daher nur im Capitulare Saxo- 
nicum und in der L. Saxonum der Wert der Solidi in Getreidemaßen ange 
geben. Die Taxen des Nimwegener (a. 806) und wohl auch des Frank- 
furter Kapitulars (a 794) sind Maximaltarife, welche Teuerungen vorbeugen 
sollten (Cap. reg. Franc., I. 74; 132). Wie bedeutend die lokalen Unter- 
schiede der Preise sein konnten, zeigt unter anderem die Vergleichung der 
zwei Taxen des Frankfurter Kapitulars, von denen die Markttaxe diejenige 
der Domänen um das Doppelte übersteigt. Das kann nicht durch Schwierig- 
keiten des Transports erklärt werden, sondern wohl durch den Entschlaf der 
Regierung, die Vorräte der Domänen möglichst wohlfeil zu verkaufen. Vgl 
die Zusammenstellung der Preise auf alamannischem Gebiete bei SOETBEER, 
Forschungen zur deutschen Geschichte, VI. 89 ff, und die Preisangaben aus 
dem Werdener Urbar bei HILLIGER, a. a. O. 465. 

3) L. Ripuar. 36, $ 11: Si quis weregeldum solvere coeperit, bovem 
cornutum videntem et sanum pro 2 solidis tribuat. Vaccam cornutam videntes 
et sanam pro 1 solido (Cod. B. per tres solidos Cod. A) tribuat. Eques 
videntem et sanum per duodecim solidos (Cod. A pro 7 solidis cod. A) tribust 





Zur Wergeldfrage. 549 


nicht überzeugend. Die Erwähnung eines Schätzungseides solle 
den Werttarif vollständig außer Kraft setzen und die angegebenen 
Werte zu bedeutungslosen Antiquitäten reduzieren. Es sollten 
nämlich alle genannten Gegenstände statt auf einseitige Forderung 
des Zahlers, der sie zu beliebig niedrigem Preise anschaffen 
durfte, aber zu gesetzlichem Werte bei der Entrichtung der Buße 
benützen konnte, fortan nur in der Höhe des durch Eid garan- 
tierten Wertes angenommen werden’). Diese Auffassung des 
Schätzungseides ist nichts weniger als zwingend; in Wirklich- 
keit war ein solcher Eid bei Taxen nicht ausgeschlossen, sondern 
gerade bestimmt die Empfänger der Zahlung vor einer Aufbür- 
dung minderwertiger Gegenstände unter dem Vorwande einer 
Lieferung von Äquivalenten zu beschützen. Die zahlende Partei 
mußte schwören, daß die dargebotenen Naturalien — Rinder, 
Schafe, Pferde u. s. w. — wirklich den angegebenen Werten 
entsprachen und in bezug auf allgemeine Merkmale war auch 
eine gewisse Kontrolle von seiten der Gegenpartei oder des 
Gerichts nicht ausgeschlossen ?). Jedenfalls bewegte sich die 
Schätzung innerhalb der festgestellten Tarifnormen, welche keines- 


Equam videntem et sanam pro 3 solidis tribuat. Spatam cum scogilo pro 
8 solidis tribuat. Spata absque scogilo per 3 solidos tribuat. Bruina bona 
pro 12 solidis tribuat. Helmo conderecto pro sex solidis tribuat. Scuto cum 
lantia pro 2 solidis tribuat. Aucceptorem non domito per 3 solidos tribuat. 
Commorsum gruarium pro sex solidos tribuat. Aucceptorem mutatum pro 
sex solidis tribuat. — Cap. Hludowici anno 818, 819 (Cap. I. 282), c. 8: in 
compositione wirgildi volumus ut ea dentur quae in lege continentur, excepto 
accipitre et spata, quia propter illa duo aliquoties periurium committitur, 
quando majoris pretii quam illa sint esse iurantur. 

1) Ständeproblem, 354. 

2) Der Vorgang ist namentlich bei Forderungen auf Schadenersatz 
klar. L. Alam. 62: si quis alicui caballum involarerit, adpretiat eum 
dominus eius cum sacramento usque ad sex solidos, si tantum valet — 
amplius non quaerat, non valet plus — aut minus. Quantum illi ad sacra- 
mentum inpraetiaverit, in caput tantum restituat fur. — Bei Schätzungs- 
eiden, welche den Wert von Naturalien feststellen sollten, mag sowohl die 
Partei als Dritte gehandelt haben. Vgl. L. Salica, 50, 1. Daß eine gewisse 
Kontrolle nicht ausgeschlossen war, ist aus den mitunter stark abgestuften 
Klassifikationen der bei Zahlungen vorkommenden Naturalien zu ersehen. 
Die Auslegung BRUNNERs, Reg. II. 442, scheint mir in diesem Falle nicht das 
Richtige zu treffen. 





550 P. Vinogradoff 


wegs ohne Belang waren. Es läßt sich auch leicht ersehen, 
warum bei der Erneuerung der ripuarischen Taxe gerade das 
Schwert und der Falke gestrichen wurden: ihr Wert hing von 
einer Anzahl Merkmale ab, die schwer zu ermitteln waren, und 
die Preise müssen gerade in diesen Fällen außerordentlich diffe- 
riert und geschwankt haben; es war nur zu leicht, ihre Vorzüglich- 
keit zu behaupten, um einen Abschlag von 7—12 Solidi zu erzielen 
und es wäre schwierig gewesen, solchem Mißbrauch abzuwehren. 
Die bescheideneren und minder abgestuften Werte des Viehstandes 
gaben weniger Anlaß zu Übertreibungen, und in bezug auf das 
Alter, die Gesundheit und die allgemeine Tauglichkeit eines Ochsen 
oder eines Pferdes ließen sich keine so auffallende Täuschungen 
vornehmen. 

Die Tatsache steht also fest, daß nach einer ausdrücklichen 
und ins einzelne gehenden Revision der ripuarischen Taxe der‘ 
ursprüngliche, in Vollsolidi aufgesetzte Maximaltarif auch für 
das Zeitalter der Kleinsolidi bestätigt wurde. Die auffallende 
Stetigkeit der nominellen Werte einiger Hauptgegenstände des 
Lebensbedarfes im VI. und im IX. Jahrhundert zeugt von einer 
bedeutenden Steigerung des relativen Wertes des Geldes und von 
einem entsprechenden Sinken des Wertes von Naturalien. 50 
viel wie eine Verdreifachung ist übrigens die Steigerung de 
Geldwertes nicht gewesen, denn es ist nicht nur die Zahl der 
auf den Solidus gerechneten Denare, sondern auch ihr vermehrtes 
Gewicht und bessere Beschaffenheit zu berücksichtigen. Übrigen: 
ist daran zu erinnern, daß wir nicht mit Marktpreisen, sondern, 
wie es v. INAMA-STERNEGG auseinandergesetzt hat'), mit Ge 
brauchswerten, und zwar gesetzlich ausgedrückten Gebrauchs 
werten, zu tun haben. Die Abweichungen der wirklichen 
Marktpreise konnten mitunter recht groß sein und andererseiß 
übten wohl bei der offiziellen Normierung derartiger Werte 
einen starken Einfluß volkstümliche Überlieferungen über .£e 
rechte“ und „gesetzliche“ Preise. Jedenfalls aber waren der 
artige Normen nicht aus der Luft gegriffen, kamen bei unzählige 





1) Wert und Preis in den deutschen Volksrechten, Jahrbücher für Nations 
ökonomie, XXX., 198 ff. DESSELBEN Dentsche Wirtschaftsgeschichte, I. 1%# 


Zur Wergeldfrage. 551 


elegenheiten des praktischen Lebens in Betracht und wurden, 
ie wir gesehen haben, zuweilen umgestaltet. Deßhalb ist denn 
ach ihre nominelle Konstanz ein unumstößliches Zeugnis für 
as reelle Sinken der Werte’). Ich brauche nicht mehr darauf 
ırückzukommen, daß mir ein solches Sinken in dem Zeitalter, 
as sich vom Untergange des römischen Reichs bis zum Aufbau 
es karolingischen erstreckt, nicht nur erklärlich, sondern un- 
mgänglich erscheint‘, Diese Annahme ist nicht der Grund 
ir die Interpretation der konkreten Nachrichten über Münz- 
nd Rechtsverhältnisse, wohl aber der Abschluß einer Kette von 
eobachtungen, welche schließlich zu einer Gesamtauffassung des 
eschichtlichen Zusammenhanges führen. 

Ehe ich diesen Gegenstand verlasse, möchte ich zweier Aus- 
ellungen, welche gegen die von mir verteidigte Ansicht gemacht 
'orden sind, gedenken, HEcK glaubt in der Lex Chamavorum 
en bestimmten Beweis gefunden zu haben, daß die im Chamover- 
ınde geltenden Preise im Anfange des IX. Jahrhunderts gerade 
ı dreimal größeren Ziffern wie die älteren Werte der Ripuaria 
usgedrückt waren, was damit zusammenhänge, daß Drittel- 
:hillinge in der Lex Chamavorum, Vollschillinge in der Ripuaria 
enützt worden seien?).. Laßt uns im Vorübergehen notieren, 
aß wir also mit Drittelschillingen und nicht mit Neunzehntel- 
hillingen zu tun haben und daß wir uns also um die „äqui- 
alente Substitution“ nicht zu kümmern brauchen. Den Beweis 


1) Heck, Ständeproblem, 519, spricht von der „Lehre Inama-Sterneggs 
on der großen Konstanz der Werte“ (nicht der Preiszahlen) in der fränki- 
ben Periode, gibt aber dieser Lehre eine sehr eigentümliche Wen- 
ang. Inama-Sternegg hat nämlich offenbar das Gegenteil von dem gemeint 
as ihm von HEck zugeschrieben wird. Vgl. Wert und Preis, 210: „Die... 
erhältnisse der Viehwerte ... würden im ganzen die Auffassung begtinstigen, 
aB die an sich auffallende Gleichwertigkeit bei den älteren und den jüngeren 
ges geradezu durch die inzwischen eingetretene Entwertung des Wert- 
‚aßstabes herbeigeführt wurde“. Siehe auch 211. Die Zusammenstellung 
er Preise in Inama-Sterneggs Tabellen gibt denn auch die beste Gelegenheit, 
ie Konstanz der Preiszahlen zu beobachten. 

2) „Mundus jam senescit“, wie sich der Fortsetzer des Fredegar aus- 
rückte. 

8) A. a. O., 856 ff. 


552 P. Vinogradoff 


sollen die Wirdirastellen der Lex Chamavorum abgeben'), da es 
in bezug auf Schweine, Ziegen und Kleinvieh daselbst heißt, 
daß bei ihrer Entwendung der Drittel des Preises als Wirdira 
erstattet werden müße. Nun beläuft sich aber die Wirdira bei der 
Entwendung eines Schwertes oder eines Pferdes auf 7 Solidi und 
eines Ochsen auf 2 Solidi, was im Lichte der „Generalklausel“ in 
bezug auf Kleinvieh verbürge, daß wir als den normalen Wert 
eines Pferdes oder Schwertes 21 Solidi, eines Ochsen 6 Solidi 
ansehen müssen. Das heißt, daß die früheren in der Lex Ripr- 
aria dokumentierten Preise infolge der Münzreform auf das Drei- 
fache gestiegen seien. Leider vergißt HECK zu sagen, warım 
die 7 Schillinge Buße nicht nur bei Diebstählen von Gegen- 
ständen, die 21 Solidi wert sein sollten, sondern bei jeder auch 
noch 8o unbedeutender Entwendung aus einem Hause vorkomme, 
was doch auf einen Strafsatz und nicht auf eine Quote hinweist, 
warum der Übereinstimmungen mit der Lex Ripuaria überhaupt 
so wenige sind”), warum wir in der Berechnung der Wirdira bei 
Kleinvieh an eine Generalklausel denken sollen und warum die 
der Wirdira entsprechende Dilatura bei minderen Vergehen 
gar nicht bezahlt wurde’). Wenn man alle diese von Heck 
vernachlässigten Umstände in Betracht zieht, so scheint es, daß 
wir bei der Wirdira oder Dilatura mit einer stufenmäßig jaber 
nicht quotenmälßig gesteigerten Strafe zu tun hätten, die sehr 
wohl bei wichtigen Gegenständen und in qualifizierten Fällen 
dem ganzen Werte der gestohlenen Sachen entsprechen oder ihn 
auch übersteigen konnte, während sie bei minderwertigen Objekten 
auf ein Drittel des Wertes herabsank oder auch ganz wegfiel. 

Eine andere Reihe von Tatsachen, welche gegen die Annahme 
einer nominellen Konstanz der Werte vorgebracht wird, hat mehr 


1) L. Chamavorum, 25: quidquid in casa furaverit, in wirdira solidos 7. 
De warnione in wirdira sol. 7. De spadato caballo solidos 7. De serro solidos 7. 
De spata 7. De jumenta solidos 4. De boue solidos 2. De vacca solidos 2. 
De porcis et vervecis et animalibus iuvenibus et de capris terciam partem, 
quantum valet, in wirdira. 

2) Eine Übereinstimmung existiert eigentlich nur in bezug auf Schwert 
und Ochs. Die Pferdepreise der Ripuaria sind sehr verschieden, und der 
7 Solidi-Preis für ein Pferd erscheint nur vereinzelt in einigen Handschriften. 

8) Vgl. BRUNNER, D. Re. II. 625, 626. 


Zur Wergeldfrage. 553 


euten. Ich meine die zuerst von GUERARD gesammelten 
gaben aus Neustrien, welche bedeutend höhere Preise als 
den Taxen der Volksrechte angegebenen gerade für den 
tand aufweisen '., Der Durchschnittspreis des Ochsen 
ı Gütern der Abtei St. Germain des Prés ist auf 8—9 Solidi 
schnen, der einer Kuh auf 6 Solidi, u. s. w. Ein paar 
nungen, welche an derartige hohe Preise erinnern, lassen 
ch in den Volksrechten auffinden*). Diese Preisangaben 
ichtig, aber sie heben den Eindruck der nominellen Stetig- 
r gesetzlichen Taxen nicht auf. Fürs erste haben wir es 
wertungen, welche direkt auf Marktpreise zurückgehen, 
und müssen daher die speziellen Umstände des wirtschaft- 
tebietes, dem sie entstammen, berücksichtigen. Die Nach- 
ft von Paris ist nun jedenfalls eine Gegend gewesen, 
in den günstigsten Bedingungen für Geldanhäufung und 
rkehr sich befand — hohe Preise dürfen gerade hier nicht 
dern’). Außerdem kommt auch eine andere Betrachtung 
welche den scharfen Kontrast zwischen diesen neustrischen 
und den Tarifen aus dem östlichen Frankreich und aus 
ıland abschwächt. Wir befinden uns in diesem Falle, 
‚gend je, auf einem Gebiete, wo die Tradition der Vierziger- 
sich gehalten haben muß. Aus dem Rheimser Beschluß 
wir, daß sie noch um 813 im Umlauf waren. Sind 
_ Polyptichum des Abtes Irmino erwähnten Zahlungen, 
jedenfalls auf altem Herkommenu beruhen, nicht in minder- 
n Vierzigerdenaren angegeben? Etwas ähnliches, näm- 
igaben in minderwertigen Geldsorten haben wir wohl in 
‘einzelten Summen der Lex Frisionum zu vermuten. Jeden- 
nd dergleichen Abweichungen leichter als Ausnahmen zu 
n, als die nominelle Konstanz der volksrechtlichen Tarife. 





>olyptique d’Irminon, I. 150, vgl. SyErTBEER, Forschungen, VI. 71 ff. 
2. B. Cap. de partibus Saxoniae, $ 27. 

Jieser Umstand wird von Inama-Sternegg ausdrücklich hervorgehoben, 
tschaftsg. I. 513. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter 
und zu Beginn der Neuzeit. 
Von 
Johannes Müller (Nürnberg). 
(Schluß.) 


Inhaltsverzeichnis. 


Seite 
Zweiter Teil. 


Die Entwicklung des bayerischen und Tiroler Rodwesens 
im 16. Jahrhundert. 


I. Die Ordnung des Rodwesens in Bayern und Tirolim 
ersten Drittel des 16. Jahrhunderts. 


1. Die Tiroler und bayerischen Rodordnungen vom Jahr 1526 . . 556-560 
2. Die Rodordnungen Tirols und Bayerns vom Jahr 1530 . . . 560-568 


HU. Die Veränderungen im bayerischen und Tiroler 
Rodwesen von 1535 bis 1572 . . . . . . . . . 564-577 


UL Die Reformen im Rodwesen Bayerns und Tirols 
von 1572-1612. 


1. Die Tiroler Rodordnungen vom Jahr 1572 und die bayerischen 

Rodverträge von 1571—1575 . . . . 20.0... 577-585 
2. Die Verbesserungsversuche im Rodwesen Bayerns “und Tirols 

von 1581—1597 . . . . . 585-591 
3. Augsburger Gutfertigerordnung : von à 1597/98 samt Annexen und 

die Ordnung der Gutbestetter vom Jahre 1612 . . . . . b91—599 
Beilagen IX. . . . . 2 2 . . . nn . . . . . . . 599-626 


Zweiter Teil. 


Die Entwicklung des bayerischen und Tiroler Rod- 
wesens im 16. Jahrhundert. 


I. Die Ordnung des Rodwesens in Bayern und Tirol im 
ersten Drittel des 16. Jahrhunderts. 


1. Die Tiroler und bayerischen Rodordnungen 
vom Jahr 1526. 


Die letzten Veränderungen im Tiroler Rodwesen des 15. Jahr- 
hunderts waren am Ende der Regierung Herzog Sigmunds, 
der für das Tiroler Straßenwesen sowohl durch Bauten wie durch 
Aufrichtung neuer Ordnungen viel getan hat, vorgenommen wor 
den, indem vor allem Strafen sowohl für die Rodleute ba 
säumiger Fertigung der Güter wie auch für die Kaufleute bei zu 
spätem Eintreffen der Güter an einer Niederlage festgesetzt wurden‘). 

Unter der Regierung Maximilians I, der bald nach seinem 
Regierungsantritt verschiedenen Rodorten Tirols, so Prutz 14%, 
Reutte 1499, Zams 1500, die Rodordnungen und Niederlagsgelder 
bestätigte?), fand zwar im Jahre 1508 anläßlich der Bezablnng 
der Rodfuhren, die im Frühjahr dieses Jahres wegen des Vene 
tianischen Krieges notwendig gewesen waren, seitens des Ehrer- 
berger Richters Christian Scheucher eine Visitation der Rodorte 
der oberen Straße von Ehrenberg bis Branzoll (halbwegs zwischen 
Bozen und Neumarkt) statt, die eine große Anzahl von Mängeln 
der Rod auf der oberen Straße zutage förderte?). Von eine 

1) Vgl. die Rodhandlung de anno 1526 zu Innsbruck. Augsb. Handel 
vereins-Archiv Fasc. LXXXX. Nr. 23. 

2) Archivberichte aus Tirol I. 346, II. 210 und I. 332. 

3) Christian Scheuchers underrichtung vom 27. April 1508, außerdes 


Ch. Scheuchers mengl und anbringen vom 14. Mai 1508. Innsbrucker Stadr 
haltereiarchiv Abt. Pestarchiv IX. Nr. 14. 


| 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 557 


Beseitigung dieser Mängel durch Maximilian I. wird uns jedoch 
nichts berichtet; aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich der viel- 
beschäftigte Monarch über anderen wichtigeren Dingen gar keine 
Zeit zur Abstellung der im Rodwesen eingeschlichenen Mißbräuche 
genommen; vielleicht haben ihn auch unliebsame Erfahrungen, 
wie er sie im Kriegsjahre 1511 bei dem Versuch, die Bergfeste 
Peutelstein wiederzuerobern, mit den Tiroler Fuhrleuten machte, 
von einem Eingreifen in diese Verkehrseinrichtungen Tirols ab- 
geschreckt !). 

Zu einer besseren Ordnung im Tiroler Rodwesen kam es erst 
unter der Regierung Ferdinands I., der im Jahr 1523 als Statt- 
halter Karls V. in Innsbruck seinen Einzug hielt und schon drei 
Jahre darnach, im Sommer des Jahres 1526, auf das Anrufen 
der nach Italien handelnden deutschen Kaufleute und der Rod- 
fuhrleute Tirols zum Eingreifen in das unter Maximilian I. ziem- 
lich verwahrloste Rodwesen veranlaßt wurde“). Die von Herzog 
Sigmund aufgerichtete Verordnung, daß der Fuhrmann, der durch 
sein Versäumen die Abfahrt der ihm durch den Aufgeber ange- 
sagten Güter verzôgere, für jeden Wagen 1 Gulden Strafe 
zu zahlen habe, war in den letzten Jahrzehnten ganz außer acht 
gelassen worden, die Zahl der Rodwägen in keiner Rodstätte 
komplett; die Rodleute fertigten vielmehr an fast allen Rodorten der 
unteren Straße die ihnen rechtzeitig angesagten Fuhren gerade, 
wann sie wollten, und taten auch dies vielfach nur gegen Be- 
zahlung eines bedeutenden Überlohnes seitens der Kaufleute 
bezw. der Gutfertiger. Weitere Beschwerden der letzteren rich- 
teten sich dann gegen das von den Fuhrleuten vielfach geübte 
Verfahren, die Güter unterwegs abzuwerfen und sie im Kot und 
in der Nässe liegen zu lassen, anstatt sie bis an die Niederlagshäuser 


1) Die Tiroler Fuhrleute, die im Jahre 1511 zur Herbeischaffnng der 
Geschtitze für die Belagerung Peutelsteins aufgeboten worden waren, ver- 
 weigerten Maximilian I. den Dienst, weil sie für ihre Dienstleistungen in 
den ersten Jahren des venezianischen Krieges (Belagerung von Padua) noch 
nicht bezahlt worden waren. A. JÄGER, Gesch. der landständischen Ver- 
fassung Tirols, II. 2 S. 471. 

2) Vgl. für das Folgende die Akten des Augsb. Handelsver.-Archivs. 
Fasc. LXXXX. Nr. 16 bis Nr. 47, außerdem die Rodordnungen Tirols vom 
Jahre 1580. 


558 Johannes Müller 


zu führen. Zuletzt hatten sie sich noch über besondere Mif- 
bräuche an einzelnen Rodorten zu beschweren, so über die Forde- 
rung eines sogen. Pfefferzolles zu Bruneck (1 f Pfeffer bezw. 
30 kr. für je fünf Säume) neben dem gewöhnlichen Zoll von 
14!/s alten Kreuzern pro Saum und über das von den Toblacher 
Fuhrleuten verlangte Geleitsgeld von 6 alten Kreuzern sowie über 
das von den Maulsern verlangte Niederlagsgeld, das um so un- 
‚gerechter erscheinen mußte, als Mauls überhaupt keine Niederlage 
hatte und die Maulser, die von den Mühlbacher Rodleuten für 
die Übernahme der Güter nach einem Privatabkommen bezahlt 
wurden, für den Transport jedes Wagens von Mauls nach Sterzing 
von den Kaufleuten noch überdies 10—12 kr. verlangten. 

Als nun die Gutfertiger im Namen der Kaufleute von Augr 
burg am 23. Juli 1526 vor der Innsbrucker Regierung ihre Be 
schwerden vorbrachten, zeigten die zu der Rodtagfahrt geladenen 
Rodleute der unteren Straße an, daß sie bei der teuren Fütterung 
und der Steigerung sonstiger Unkosten ohne Besserung des Lohne 
aus der Rod stehen müßten, zumal manche unter ihnen kein Nieder- 
lagsgeld erhielten. Da durch gütliche Unterhandlung zwischen bei- 
den Parteien keine Einigung zu erzielen war, erteilte die Innsbrucker 
Regierung im Namen des Erzherzogs Ferdinand den Gutfertigen 
und Rodleuten folgenden Abschied: 1. Die Rodleute haben a 
jeder Rodstätte die nötige Anzahl Wägen bereitzuhalten und mit 
denselben die Güter, sobald dieselben angesagt worden sind. 
unverzüglich zu fertigen sowie an den Niederlagen vor dem 
Wetter zu bewahren. 2. Dafür soll den Rodleuten der Lohn, - 
den ihnen seinerzeit Erzherzog Sigmund ausgesetzt hat, für die 
nächsten drei Jahre pro Saum um etliche Kreuzer, nämlich um | 
1 kr. vom Brenner nach Matrei, um 2 kr. von Mühlbach nad 
Bruneck, von Bruneck nach Toblach, von Toblach nach Peutel 
stein, um 3 kr. von Innsbruck nach Matrei, vom Brenner nach 
Sterzing, von Sterzing nach Mühlbach, um 4 kr. von Innsbrac 
nach Mittenwald, gebessert werden, von welcher Besserung jedoch 
sowohl die landesfürstliche Obrigkeit sowie die Landschaft mi 
ihren Kammergütern ausgenommen sind. 

Zu derselben Zeit fand zu Bozen durch Kommissäre der Inn 
brucker Regierung ein Verhör der Rodleute der oberen Stra& 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 559 


on Neumarkt bis Füssen statt und darnach wurde durch 
akob Fuchs bestimmt, daß die Rodleute dieser Straße um den 
a Bozen festgesetzten Lohn die Güter fertigen und darüber 
jemand beschweren sollten. 

Gegen die bayerischen Rodleute wurden im Jahr 1526 von 
en Augsburger Kaufleuten Klagen ähnlicher Art erhoben wie 
egen diejenigen Tirols. Auch in Bayern fehlte es an allen 
‚odorten an der nötigen Wagenzahl; auch da wurden die von 
en Rodordnungen vorgeschriebenen Fahrzeiten durchgängig 
reit überschritten, indem die Rodleute eines Ortes, um von den 
‚aufleuten oder den Gutfertigern ein sogen. Wartgeld herauszu- 
ressen, absichtlich mit ihren Wagen zu spät anfuhren. Sodann 
estatteten sich die Rodleute von Schongau, Ammergau und 
fittenwald vor allem den Mißbrauch, die Güter mitten auf der 
trecke abzuwerfen und sie irgendeinem Bauern gegen geringes 
ntgelt zur Weiterbeförderung in die Niederlage zu überlassen. 
jo warfen die Schongauer und Ammergauer die Güter entweder 
a Echelsbach an der Ammer, wo der Flußübergang des tiefen 
‘aleinschnittes wegen besondere Schwierigkeiten bereitete, oder 
u Peiting ab, während die Mittenwalder entweder an der Leu- 
asch oder auf dem Seefeld, wo sie Gegenfuhren von den Inns- 
ruckern aufnehmen konnten, die Ballen im Kot und in der 
lässe liegen ließen. Die Schongauer Rodleute vergingen sich 
‘gen die Rodordnung noch insofern, als sie diejenigen Güter, 
vie Spezereien, Seidenballen u. 8. w., die die Kaufleute wegen 
hrer Kostbarkeit von Schongau nach Augsburg zu Land beför- 
lern lassen wollten, der Wasserrod zuwiesen, auf welcher sie im 
Winter, besonders bei Eisgang auf dem Lech, arg beschädigt, 
venn nicht ganz verdorben wurden. Die Floßleute von Schongau 
abren mit ihren Flößen nicht, wie sich’s gebührte, bis an die 
‚ande unterhalb Haunstetten, sondern luden die Ballen eine 
Meile oberhalb Haunstetten ab, wodurch den Kaufleuten weitere 
Costen für den Transport bis zur Stadt erwuchsen. 

Da die im Jahre 1526 vorgebrachten Klagen der Augsburger 
Taufleute fast genau so, wie sie eben angegeben wurden, bei 
len Rodtagverhandlungen während des Augsburger Reichstages 
m Jahr 1530 wiederkehrten, so ist wohl anzunehmen, daß im 


560 Johannes Müller 


Jahr 1526 eine Besserung der Verhältnisse, mochte sie auch von den 
bayerischen Rodleuten zugesagt worden sein, nicht eingetreten ist. 


2. Die Rodordnungen Tirols und Bayerns vom Jahr 1530. 


Auch in Tirol hielt die Wirkung des vom 26. Juli 1526 ge 
gebenen Abschiedes der Landesregierung nicht lange nach. Schon 
Ende 1526 hören wir wieder von Klagen der Gutfertiger über 
die saumselige Fertigung der Kaufmannsgüter durch die Inns- 
brucker Rodleute, die ganz offen erklärten, daß sie ihrer Nahrung 
nachfahren und der Güter nicht warten wollten'). Diese Be- 
schwerden mehrten sich bis zum Jahr 1529, da die dreijährige 
Frist für die anno 1526 bewilligte Erhöhung des Rodlohnes ab- 
lief, derart, daß sowohl die Augsburger, vertreten durch den 
Ratskonsulenten H. Edelmann und den Kaufmann Claus Ehinger, 
als auch die Ulmer Kaufleute, vertreten durch Dr. Leonh. Jung, 
sowie die Gutfertiger Lederer von Füssen und Kleinhans von 
Reutte sich abermals mit ihren Klagen an die Innsbrucker Re- 
gierung und die Tiroler Landschaft wenden mußten. 

Nachdem die Kaufleute und Gutfertiger nahezu zwei Monate, 
vom 15. Januar bis 16. März, sowohl mit der Regierung und 
der Landschaft von Tirol als auch mit den Rodleuten der unteren 
Straße unterhandelt hatten, wurde ihnen in Anbetracht des Um- 
standes, daß mit den Rodleuten der oberen Straße noch keine 
Unterhandlungen gepflogen werden konnten, folgender vorläufiger 
Abschied gegeben: Die k. Kommissäre hätten trotz alles Fleißes, 
eine unbeschwerliche Ordnung aufzurichten, wegen der Abwesen- 
heit etlicher Rodleute, deren Bericht man zuvorderst bedurft hätte, 
die Sache nicht zu Ende bringen mögen. Habe man über die 
anderen Rodorte durch weiteres Verhör genügende Erkundigung 
eingezogen, so werde die k. Regierung eine solche Ordnung 
machen, daß sich niemand mehr darüber beschweren könne. Bis 
zur Aufrichtung und Verkündigung dieser neuen Rodordnungen 
sollten Kauf- und Rodleute sich nach dem anno 1526 ergangenen 





2) Vgl. für die Rodhandlungen des Jahres 1529: Augsb. Handelsvereins 
Archiv Fasc. LXXXX. die Nummern 30 (Notamina wegen Zuwiderhandlung 


Bus um. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 561 


Die im Frühjahr 1529 angekündigten Rodordnungen Tirols 
rschienen denn auch im Dezember 1530 und konnten, wenn 
hrer Bestimmung gemäß von den Rodleuten gehandelt wurde, 
Is eine entschiedene Verbesserung in dem Tiroler Rodwesen be- 
rachtet werden. Die Ordnungen sämtlicher Rodorte Tirols vom 
ahr 1530 stimmen mit wenigen Ausnahmen, bei denen es sich, 
vie in Nauders und Neumarkt, um ganz besondere Verhält- 
isse handelte, im ganzen und großen überein; denn die 11 bis 
2 Artikel, aus denen jede dieser Rodordnungen bestand, ent- 
ielten in stets genau derselben Reihenfolge folgende Bestim- 
aungen: 

1. Festsetzung der Anzahl der Rodwägen jeder Stätte und 
'nterscheidung der Rodleute nach Rodlehensleuten und sogen. 
efreiten Rodleuten. 

2. Verpflichtung der Kaufleute bezw. Gutfertiger zur recht- 
eitigen Ansage der Güter. 

3. Verpflichtung der Rodleute zur rechtzeitigen Abfahrt mit 
en ihnen angesagten Gütern. 

4. Ordnungsgemäße Numerierung der Güter seitens der Kauf- 
eute. 

5. Verpflichtung der Kaufleute bezw. der Gutfertiger zur ge- 
auen Anzeige der für ihren Gütertransport nötigen Wagenzahl. 

6. Strafbestimmungen für die eine Überzahl von Wägen for- 
ernden Kaufleute, desgleichen für saumselige Rodleute. 

7. Festsetzung der Höhe des Rodlohns pro Saum’). 

8. Anweisung zur ordnungsgemäßen Unterhaltung des Pall- 
auses und Bestimmung der Höhe des Pallhausgeldes. 

9. Bestimmung der Höhe des Niederlagsgeldes für die durch- 
ehenden Wagen oder Eigenachsfuhren. 

10. Einräumung des Vorfahrrechts für die Kammergüter. 

11. Zuweisung des Entscheids etwaiger weiterer Mängel im 
todwesen an die Innsbrucker Regierung. 





er Rodleute etc.), 82 (Bericht H. Edelmanns vom 19. Januar 1529), 34 (Etliche 
eschwerden die obere Straße in Tyrol betreff.), 83 (Schriften und Sachen, so 
ano 1529 und 1545 zu Innsbruck gehandelt worden), 91 (Protokoll über 
ie Rodhandlung zu Innsbruck vom Jahre 1529). 


1) Vgl. das Verzeichnis der Rodlöhne in Beilage XI. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 87 


562 Johannes Müller 


Neben diesen allen Rodordnungen Tirols vom Jahr 1530 
eigenen Artikeln, die, gegen die unter Erzherzog Sigmund ge- 
machten Ordnungen gehalten, einen nicht geringen Fortschritt 
im Rodwesen darstellten, enthielten dann die Rodordnungen 
einzelner Orte noch besondere Bestimmungen einerseits über 
den Wegbau, andererseits über die Entschädigung der sogen. 
Vorwägenbesitzer durch die Nachwägenbesitzer für den Fall 
daß dieselben auf ihre Vorrechte verzichtet hatten. Solche 
Entschädigungen genossen die Vorwägenbesitzer in Sterzing, 
Bruneck und Toblach, und zwar erstere in Form eines Präzi- 
puums aus den Niederlagsgeldern, die acht Brunecker Kirch- 
wagen in Form des neunten Teiles des von dem Brixener Bischof 
zur Erhöhung des Rodlohnes geleisteten jährlichen Zuschusses 
von 36 fl. und die sieben Toblacher Vorwagenbesitzer in Form 
einer Abgabe von 4 kr. von jedem Ballen, den die fünf Nach- 
wägenbesitzer vom Gasthaus nach Bruneck führten. — Die Rod- 
ordnungen von Lermoos, Meran und Terlan enthielten besondere 
Anordnungen über den Wegbau in diesen Bezirken, in welchen 
den Rodleuten ein eigener Weglohn seitens der Landesregierung 
zur Unterhaltung der Straßen und Wege eingeräumt war!'). 

Auch in Bayern kam es im Jahre 1530 zu Augsburg während 
des dort gehaltenen Reichstages zwischen den Kaufleuten und 
den Rodleuten zu einem neuen Vergleich, der am 27. September 
1530 durch die Räte der Herzoge Wilhelm IV. und Ludwig von 
Bayern abgeschlossen wurde. Die oben erwähnten Klagen der 
Augsburger Kaufleute über die saumselige Fertigung ihrer Güter, 
vor allem über die Abwerfung derselben mitten auf der Strecke 
und über die Mehrung des Rodlohns, die für einen Saum vo 
Mittenwald bis Augsburg 22 kr. 1 „$ ausmachte, wurden is 
August dem bayerischen Kanzler Leonhard von Eck durch eint 
Deputation des Augsburger Rates mit der Bitte vorgetragen, vor 
allem die unleidliche Steigerung des Rodlohnes abzuschafe. 
Nachdem die Vertreter der Augsburger Kaufmannschaft und de 
bayerischen Rodleute vor den Räten der bayerischen Herzog 
ihre Notdurft vorgebracht, wurde ihnen am 27. September folgende 


1) Vgl. hierüber die betreffenden Artikel der Rodordnungen Sterzings 
Brunecks, Toblachs, Lermoos, Merans und Terlans vom Jahre 1580. 












RÉ 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 563 


bschied gegeben: Weil diese Zeit eine gemeine Teuerung und 
les in Aufschlag gekommen ist, so sollen die Rodleute bei 
evor gemachter Ordnung und Lohn laut des ausgegangenen 
ezeß bleiben. Wenn aber die Teuerung wieder aufhören und 
e Kaufleute ferner nachsuchen würden, so soll abermals in 
ie Sachen gesehen und nach Gelegenheit der Dinge sowohl im 
odlohn als was sonst zur Aufnehmung der Straßen dienstlich 
t, Ordnung vorgenommen werden. Mittler Zeit sollen die Rod- 
ut der Rod mit allem Fleiß warten und die Kaufleut dermaßen 
alten und fördern, daß die bayerischen Herzoge nicht veranlaßt 
erden, nicht allein die bewilligte Mehrung des Lohnes abzu- 
haffen sondern auch in anderer Weise zu strafen '). 

Noch ehe dieser Vergleich zwischen den Augsburger Kauf- 
‘uten und den bayerischen Rodleuten getroffen worden war, 
rar 1. April 1530 ein zwischen den Prälaten von Ettal und 
oitenbuch einerseits, der Stadt Schongau und der Gemeinde 
mmergau anderseits entstandener Streit wegen des Baues und 
er Unterhaltung des Ammerüberganges in Echelsbach durch die 
ayerischen Herzoge dahin geschlichtet worden, daß die Schon- 
auer und Ammergauer die Lieferung der Steinplatten, des Ge- 
tänges und des Geländers am Ammerübergang selbst, der Prälat . 
on Ettal aber die Beschüttung und Aufrichtung des Weges inner- 
alb Echelsbach übernahmen, wogegen denselben von jedem 
eladenen Rodwagen 1 kr., von jedem Roß ein Vierer (!/s kr.) 
Veggeld zu nehmen gestattet war. Die Schongauer und Ammer- 
auer hatten aus dem anfallenden Weggeld für die Unterhaltung 
es Echelsbacher Überganges zusammen einen Wegmacher zu 
estellen, zu dessen Besoldung der Prälat von Raitenbuch jähr- 
ich zwei Scheffel Korn beizusteuern hatte. Der letztere hatte 
ußerdem, wenn der Übergang durch Hochwasser oder sonstige 
saturgewalt beschädigt wurde, mit den Schongauern und Ammer- 
auern zusammen den Weg wieder herzustellen ?). 


1) Vgl. Augsb. Handelsvereins-Archiv Fasc. LXXXX. Nr. 35, 42, 48, 
6 und 47. 

2) Lorı, Geschichte des Lechrains, II. Nr. 272. — Ähnliche Streitigkeiten 
regen des Wegbaues wie die hier geschilderten zwischen den Schongauern 
ınd Ammergauern und den beiden bayerischen Prälaten erhoben sich im 


564 Johannes Müller 


II. Die Veränderungen im bayerischen und Tiroler Rod- 
wesen von 1535 bis 1572. 


Die in dem Jahre 1530 im Rodwesen getroffenen Anord- 
nungen, insbesondere die damit verbundenen Rodlohnerhöhungen, 
bewirkten, daß es in dem folgenden Jahrzehnt zwischen den 
Kaufleuten und den Rodleuten zu keinen bedeutenden Irrungen 
kam. Nur in Mühlbach, wo Kaufmannsgüter, die auf eigener 
Achse geführt wurden, gerade zur Erntezeit in großer Menge 
niedergelegt und den Rodleuten daselbst zur Weiterbeförderung 
aufgegeben wurden, wurde die Innsbrucker Regierung im Jahre 
1535 zur Schlichtung der zwischen den Gutfertigern Kleinhans 
und Lederer und den Rodleuten entstandenen Irrung veranlait. 
Die Regierung entschied am 11. Dezbr. 1535, daß die Gutfertiger 
die Rodleute mit solchen Gütern, die sie auf eigener Achse nach 
Mühlbach brachten, nicht mehr beschweren durften und daß 
solche Eigenachsgüter, die in Mühlbach niedergelegt wurden, 
dasselbe Niederlagsgeld, nämlich 20 kr. pro Wagen, zu zahlen 
hätten, das von den durchgehenden Terviswägen erhoben wurde). 

Diese Eintracht zwischen Kaufleuten und Rodleuten wurde 
aber in den vierziger Jahren durch Außerachtlassung der Rod- 
ordnungen und der zuletzt gemachten Rezesse seitens der Rodleute 
zu Beginn des 5. Jahrzehnts wiederum gestört und die Landes 
regierungen von Bayern und Tirol darum abermals veranlait, 
Jahre 1521 zwischen Mittenwald und dem Abt von Benediktbeuern wegen 
Herstellung des Weges durch die Walchensee-Au, dessen sich die Mittenwalder 
damals weigerten, weil ihnen der in früherer Zeit von jedem Wagen gegebene 
Weglohn von 2 Kr. seit Erbauung der sog. Kesselbergstraße (1492) nicht 
mehr entrichtet wurde. Zwischen den Gemeinden Partenkirchen und Gar 
misch kam es im Jahre 1523 wegen des Baues der Loisachbrücke zu Zwistig- 
keiten. Die Garmischer, denen der Bau und die Unterhaltung der Loisach- 
brücke oblag, suchten bei der bischöflichen Regierung von Freising nach, 
daß die Partenkircher, die von der Rod durch Gastung und Zehrung de 
Fuhrleut den größten Nutzen hatten, die Hälfte der Baukosten der Brüct 
übernehmen sollten. Die Partenkircher sträubten sich gegen ein solche 
Verlangen höchlichst, da sie die auf der schadbaften Brücke entstehende 
Schäden an den Kaufmannsgütern ersetzen mußten. Münchener Kreisarchit 
(Werdenfelser Akten Fasc. 44). 


1) Abschied der Innsbrucker Regierung, Fertigung der Kaufmannagüter 
zu Mühlbach halber. Innsbrucker Statthaltereiarchiv. Pestarchiv IX. Nr. 56. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 565 


sich ins Mittel zu legen. In Bayern waren es besonders die 
Rodleute von Schongau, und zwar sowohl die Landrodleute wie 
die Floßleute, die durch ihre Zuwiderhandlungen gegen die Rod- 
ordnung, so durch die Stellung einer ungenügenden Zahl von Rod- 
wägen, durch das Abwerfen der Güter zwischen Schongau und 
Ammergau bezw. Schongau und Füssen und durch die von den 
Floßleuten eigenmächtig vorgenommene Steigerung des Rodlohns, 
neue Beschwerden der Kaufleute hervorriefen. Die Klagen der 
letzteren über die Mängel der Landrod wurden durch einen 
Rezeß der bayerischen Regierung vom 6. Februar 1542 abgestellt, 
durch welchen den Schongauern erstens die Bereitschaft zum 
Fahren mit zwölf Rodwägen vorgeschrieben, zweitens das Ab- 
laden der Güter auf der Strecke, ausgenommen an dem Schon- 
gau-Ammergauer Wechsel Echelsbach, verboten und die Forde- 
rung eines höheren Niederlagsgeldes als eines halben Kreuzers 
per Zentner von solchen Gütern, die durch Augsburger Bauern 
nach Schongau gebracht und durch Schongauer Bauern weiter 
ins Gebirge befördert wurden, untersagt wurde. Hingegen sollten 
die Kaufleute in Schongau künftig nicht mehr, wie bisher oft 
geschehen, große Mengen von Gütern zusammenkommen lassen 
und von den in Schongau abgeladenen Gütern, welche sie durch 
Ammergauer, Partenkirchner oder Mittenwalder Rodleute weiter 
führen ließen, 1 kr. Niederlagsgeld pro Zentner bezahlen'). 


Hatten hier die Kaufleute sich über die Mißstände auf der 
Landrod zu beschweren, so fanden etwa zur selben Zeit, nämlich 
1543, die Schongauer Floßleute Anlaß, über die geringe Höhe 
des Lohnes für eine Fahrt von Schongau nach Augsburg bei 
den bayerischen Herzogen Klage zu führen. Dieser Lohn, bis- 
her 1 ff Münchener oder 1 fl. 8 kr. für ein Rodgut, d. h. 
8 bis 9 Säume, betragend, deuchte den Floßleuten um so un- 
billiger, als ein Rodgut, das früher 9 Säume gehalten, seit etwa 
2 Jahren 11 bis 12 Säume hielt, der Preis des Floßholzes, 
desgleichen der Lohn der Knechte stetig gestiegen war und 
den Füssener Rodleuten, die von Füssen bis Schongau nur 4 Meilen, 
also nicht einmal die Hälfte des 9 Meilen betragenden Weges 


1) Loxı, Geschichte des Lechrains, II. Nr. 800. 


566 Johannes Müller 


von Schongau nach Augsburg hatten, für eine Fahrt 1 fl. 15 kr, 
d.h. 7 kr. mehr als den Schongauer Floßleuten, bezahlt wurden‘). 
Die Kaufleute hielten dem wohl entgegen, daß die Ballen in den 
letzten Jahren, wenn auch vielleicht größer, so doch nicht schwerer 
geworden seien, daß der zur Zeit etwas höhere Preis des Holzes, 
der wohl wieder herabgehen werde, die Rodlohnhöhe niemals 
beeinflußt habe, und daß der Lohn der Füssener Floßleute von 
jeher deshalb höher gewesen sei als derjenige der Schongauer, 
weil die Fahrt der ersteren eine viel gefährlichere sei als die 
der Schongauer?). — Trotz dieser Einwände wurde der Rod- 
lohn der Füssener Floßleute von der bayerischen Regierung im 
Jahr 1543 für ein Rodgut zur Winterszeit auf 1 fl. 24 kr., zur 
Sommerszeit auf 1 fl. 17 kr. erhöht‘). Schon im Jahre 1548 
aber petitionierten die Schongauer Floßleute um eine abermalige 
Erhöhung ihres Lohnes und zwar verlangten sie diesmal für 
den Transport eines Rodgutes 2 fl., da die Unkosten einer Fahrt 
unter normalen Witterungsverhältnissen auf 1 fl. 38 kr. bei 
schlechtem Wetter aber noch höher zu stehen kämen). Obwohl 
die Kaufleute in ihrer am 26. Februar 1548 übergebenen Ver- 
antwortung auf die Supplikation der Schongauer Floßleute er- 
klärten, daß sie entschlossen seien, sich in einige Besserung 
dieser Rodbesoldung nicht einzulassen’), entschied die von dem 
Herzog Wilhelm IV. von Bayern eingesetzte Kommission am 
5. April 1548 zu Schongau dahin, daß der Lohn der Schongauer 
Floßleute für ein Rodgut auf 2 fl. erhöht werden solle®). 
Etwa ein Jahr, nachdem die Schongauer Floßleute die Er- 
höhung ihres Lohnes durchgesetzt hatten, gelang es auch den 
Land-Rodfuhrleuten, eine bedeutende Besserung ihres Rod- 
lohnes von den Augsburger Kaufleuten zu erhalten. Ende de 
Jahres 1548 hatten die Kaufleute ihre Beschwerden über die 
langsame, oft wochenlang sich hinziehende Beförderung ihre 





1) Rodakten des Augsb. Handelsvereins-Archivs Fasc. LXXXX. Nr. öl. 
2) Rodakten des Augsb. Handelsvereins-Archivs Fasc. LXXXX. Nr. Ill. 
3) Augsb. Handelsvereins-Archiv Fasc. LXXXX. Nr. 106. 

4) Augsb. Handelsvereins-Archiv Fasc. LXXXX. Nr. 108, Beilage V. 
5) Augsb. Handelsvereins-Archiv Fasc. LXXXX. Nr. 106. 

6) Augsb. Handelsvereins-Archiv Fasc. LXXXX. Nr. 107. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 567 


süter durch die Schongauer Rodleute sowie über die eigen- 
nächtige Steigerung des Rodlohnes bei dem Herzog Wilhelm IV. 
ingereicht und hatten sich dann am 28. März 1549 durch güt- 
iche Unterhandlung zweier Abgesandten (Hans Vöhlin der Jüngere 
ınd Bernhard Sulzer) mit den Schongauer Fuhrleuten auf folgende 
ünf Punkte geeinigt: 

1. Alle durch das Cadober aus Venedig nach Schongau 
;ommenden Güter werden von den Schongauern, sobald dieselben 
nter das dortige Pallhaus angekommen sind, unverzüglich weiter- 
‚efördert. 

2. Der Rodlohn beträgt von Schongau bis Augsburg pro 
entner 10 kr. 

3. Der Rat von Schongau sorgt dafür, daß das ganze Jahr 
ber 24 Rodwägen in Schongau bereitstehen. 

4. Die den Kaufleuten auf der Rod entstehenden Schäden 
at der Rat von Schongau zu ersetzen, falls die Rodleute die- 
elben nicht gut tun können. 

5. Die Kaufleute haben den bedungenen Rodlohn in Schongau 
ofort nach Verladung der Güter bar zu erlegen'). 


In Tirol begannen die neuerlichen Irrungen zwischen den Kauf- 
suten und den Rodleuten im Jahre 1541 mit Beschwerden der 
fühlbacher über einige Mängel der von der Innsbrucker Regierung 
m selben Jahre errichteten Rodordnung für Mühlbach. In dieser 
euen Rodordnung von Mühlbach vom Jahr 1541 war nämlich 
rotz des im Jahre 1535 gegebenen Abschiedes von denjenigen 
rütern, welche mit Eigenachswagen von Schongau, Füssen u. 8. w. 
sch Mühlbach kamen und daselbst den Rodleuten aufgegeben 
rurden, ein niedrigeres Niederlagsgeld gefordert als von den 
us dem Venezianischen kommenden, durchgehenden Terviswagen 
nd sodann waren die aus Kärnten kommenden Güter vom 
liederlaggeld ganz freigelassen, bezw. bloß mit dem 3 kr. be- 
ragenden Pallhausgeld beschwert worden, wofern sie in Mühl- 
ach niedergelegt wurden. Nachdem die Innsbrucker Regierung 
ehufs Prüfung der Stichhaltigkeit der beiden Beschwerden der 
[ühlbacher Rodleute die Berichte der Pfleger, bezw. Landrichter 


1) Augsb. Handelsvereins-Archiv Fase. LXXXX. Nr. 119. 


568 Johannes Müller 


der benachbarten Rodorte Toblach, Bruneck, Sterzing, Matrei 
über die Höhe des Niederlagsgeldes für die schwäbischen Eigen- 
achsgüter und die Kärntner Güter eingefordert hatte, entschied 
sie Dez. 1541, daß die ersteren dasselbe Niederlagsgeld, nän- 
lich 20 kr., wie die sogen. Terviswagen und alle trockenen 
Güter aus Kärnten, mit Ausnahme von Getreide, Wein, Eisen 
und Salz, Niederlagsgeld in Mühlbach zu zahlen hätten). 

Zu weiteren Zwistigkeiten zwischen den Kaufleuten und den 
Fuhrleuten in Tirol kam es in den Jahren 1545 bis 1547 infolge 
der Forderung der Sterzinger und Toblacher Rodleute, ihren 
Lohn zu erhöhen. Die Kaufleute glaubten zur Abweisung 
dieser Forderungen um so mehr berechtigt zu sein, als sie 
ihrerseits nicht geringe Klagen über saumselige Fertigung 
der Güter trotz genügenden Lohnes, trotz hohen Niederlags- 
geldes, besonderen Geleitsgeldes und bedeutender Zollabgaben 
in Toblach und über ungenügende Pallhäuser gerade an diesen 
beiden Rodorten vorzubringen hatten. Durch den am 15. Juli 
1545 zu Innsbruck erlassenen Rodtagabschied der Tiroler Be- 
gierung wurden die Rodleute mit ihrem Verlangen abgewiesen, 
ihnen aber doch die Aussicht eröffnet, daß, wo in ein oder zwei 
Jahren die zur Zeit bestehende Teuerung sich nicht zum Besseren 
wende, ihren Beschwerden durch eine neue königliche Kommission 
abgeholfen werden sollte”). Ermuntert durch diesen Sichtwechsel, 
petitionierten die Sterzinger und Toblacher schon im Frühjahr 
1546 um eine Rodlohnbesserung, worauf die Innsbrucker Re- 
gierung eine Rodtagfahrt auf den 31. Mai 1546 nach Innsbruck 
ausschrieb. Die Augsburger Kaufleute erklärten jedoch in einer 
Zuschrift an die Innsbrucker Regierung vom 21. Mai 1546, das 
sie keinen Anlaß hätten, die von der k. Statthalterschaft ar- 
gesetzte Tagfahrt zu beschicken, und so unterblieb denn der an- 
beraumte Rodtag. Als nun die Statthalterschaft von Tirol im 
September 1547 noch einmal einen Versuch machte, die Augr 
burger Kaufleute zur Nachgiebigkeit gegen die Forderungen der 


1) Vgl. hierzu die Rodwesenakten des Innsbrucker Statthaltereiarchirs 
Abt. Pestarchiv IX. Nr. 11. 

2) Rodtagabschied vom 15. Juli 1545, dat. Innsbruck. Augsb. Handelr 
vereins-Archiv Fasc. LXXXX. Nr. 88. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 569 


Sterzinger und Toblacher zu bewegen, wiesen dieselben in ihrem 
am 6. Oktober 1547 an die Tiroler Regierung gerichteten Schreiben 
erstens darauf hin, daß durch eine neue Rodlohnerhöhung der 
Güterverkehr durch Tirol, der nach den Zollausweisen der unteren 
Straße seit 1530 nur noch halb so groß sei wie vor 1530, nur 
noch mehr verringert werden würde, und daß sie, nachdem ihnen 
der Transport auf anderen Straßen als auf denen durch Tirol 
schon jetzt per Saum um 1 fl. billiger komme, bei abermaliger 
Steigerung des Rodlohns andere Straßen zu gebrauchen gezwungen 
seien. Diese Vorstellungen bewirkten, daß die Rodleute von 
Sterzing und Toblach sich zunächst mit den anno 1530 bewilligten 
Löhnen zufrieden gaben !). 

Kaum waren die Sterzinger und die Toblacher mit ihren 
Forderungen abgewiesen, so begannen zwei andere Rodorte der 
unteren Straße, nämlich Innsbruck und Matrei, um Erhöhung des 
Rodlohns nachzusuchen. Doch fanden von diesen Gemeinden nur 
die Innsbrucker mit ihrem Gesuche im Jahre 1553 und schließlich 
die Imster im Jahre 1555 bei ihrer Landesregierung Gehör, indem 
denselben der Lohn nach Mittenwald pro Saum um 3 kr. 3 Vierer 
gebessert wurde. Eine bedeutendere Änderung in den Rodlohn- 
verhältnissen der Tiroler Fuhrleute trat erst in den Jahren 1558 und 
1560 auf den Rodtagen von Imst und Innsbruck ein, indem damals 
nach Abstellung verschiedener Beschwerden der Kaufleute über 
Zollbelästigungen und Mängel der beiden Rodstraßen (geringhaltige 
Wage zu Prutz, schlechtes Pallhaus zu Lätsch und am Lueg, 
gefährliche Brücke zu Neumarkt etc.) von den Kaufleuten den 
Rodleuten von Glurns, Nauders, Sterzing, Lueg und Haiden der 
Lohn um 1 bis l'/s kr. pro Zentner aufgebessert wurde”). 

Mit ungleich größeren Schwierigkeiten als in Tirol hatten zu 


1) Vgl. hierzu die Nr. 92 bis 101 des Fasc. LXXXX. der Rodwesenakten 
des Augsb. Handelsvereins-Archivs. Der hier behauptete Rückgang des Güter- 
rerkehrs über den Brenner im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts dürfte viel- 
leicht mit dem von 1541 bis 1547 vorgenommenen Umbau der Fernstraße in Ver- 
yindung stehen (s. BIEDERMANN, Verkehrsgeschichte des Arlberges), der selbst- 
rerständlich eine Zunahme des Wagenverkehrs auf der oberen Straße zur 
Folge hatte. 

2) Vgl. hierzu Nr. 199, Fasc. LXXXX. der Rodwesenakten des Augsb. 
Handelsvereins-Archivs. 


570 Johannes Müller 


jener Zeit die Kaufleute bei dem Transport ihrer Güter durch 
Bayern zu kämpfen. Trotz der Bestimmungen des Rezesses vom 
28. März 1549, worin den Schongauer Rodleuten das Halten 
von 24 Rodwägen und die ungesäumte Fertigung der nach 
Schongau gebrachten Güter von dort nach Augsburg vorgeschrieben 
war, herrschte in Schongau ein beständiger Wagenmangel, während 
in Mittenwald Schuster und Schneider, die weder Pferde noch 
Ochsen besaßen und an den Gütern nur ihre Finanz suchten, 
in die Rod eingeschrieben waren. Des weiteren übten die 
Schongauer den Brauch, die ihnen überlieferten Güter fremden 
Bauern, besonders Burgauern, Bernbeurern, Roßhauptenern, zur 
Weiterbeförderung zu übergeben, welche die Güter nach einigen 
Meilen Weges wieder abwarfen und auf der Straße liegen ließen. 
Ungeachtet ihrer Gewohnheit, der Rodfuhrpflicht sich möglichst 
zu entziehen und dafür Weinfuhren aus Südtirol zu übernehmen, 
hielten die Schongauer mit aller Strenge darauf, daß ihre Nieder- 
lage weder über Kaufbeuren noch über Weilheim umfabren 
wurde, damit ihnen das Niederlagsgeld von den Kaufmannsgüten 
nicht entging. Endlich hatten die Partenkirchener die Leoisach- 
brücke ganz verfallen und den Hohlweg zwischen Partenkirchen 
und dem Kienberg in einen solch schlechten Zustand geraten 
lassen, daß die Güter beim Durchfahren dieser Passagen auf 
ärgste beschädigt wurden'). 

Die Schongauer beschwerten sich in dem von ihnen erstatteten 
Gegenbericht vom Jahre 1552 zunächst darüber, daß die Kauf- 
leute je länger, je mehr die Niederlage zu Schongau zu umfabre 
pflegten, indem sie ihre Güter fremden Fuhrleuten andingten. 
Sodann erklärten sie, daß die in dem Rezeß vom Jahre 1549 
enthaltene Vorschrift, eine bestimmte Anzahl von Rodwägen n 
halten, aus den alten Rodordnungen nicht zu erweisen sei, dad 
übrigens infolge der Gewohnheit der Augsburger Kaufleute, ihre 
Güter durch fremde Bauern, besonders Bernbeurer, Burgauer etc. 
fertigen zu lassen, ein Dutzend Rodleute in Schongau mit dem 
Transport von Rodgütern ihre Nahrung nicht finden würde. 
Wenn sie die Güter an benachbarte Bauern zum Weitertranspof 


1) Vergl. Supplikation der Augsburgischen Kaufleute etc. v. Jahre 1588 
Nr. 185 Fasc. LXXXX. des Augsb. Handelsvereins-Archivs. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 571 


zu überlassen pflegten, so habe das darin seinen Grund, daß die 
Faktoren der Kaufleute, um die in Schongau aufgehäuften Ballen 
rascher auf Märkte und Messen zu bringen, sie zu einem solchen 
Verfahren selbst gedrängt hätten. Im übrigen könnten sie in 
Anbetracht der Steigerung des Preises aller zum Fuhrwerk nötigen 
Dinge die Rodfuhren um den jetzigen Lohn nicht mehr aus- 
führen '). 

Zur Beilegung der Irrungen beschied die bayerische Regierung 
beide Parteien im März 1552 nach Schongau und gab denselben 
am 18. März folgenden Abschied: 1. Der Lohn der Schongauer 
Fuhrleute, die die Kaufmannsgüter von Schongau nach Füssen 
oder Ammergau befördern, wird von 6 kr. auf 6'/: kr. per 
Zentner erhöht, doch ist den Rodleuten künftig nicht mehr ge- 
stattet, die Güter beim Sammeister oder in Echelsbach abzu- 
werfen. 2. Da die Rodleute die Bedingung, daß der Lohn zur 
Hälfte in Schongau, zur Hälfte in Füssen oder in Ammergau 
bezahlt werden solle, nicht angenommen, so hat der Rat von 
Schongau selbst für die Fertigung der Güter zu sorgen und 
zwar nach Inhalt des jüngst erlassenen Rezesses, d. h. gegen 
bare Erlegung des Lohnes nach Verladung der Güter zu Schon- 
gau‘). Ein Jahr, nachdem den Schongauern die oben erwähnte 
Lohnerhöhung bewilligt worden war, erhielten auch die Mitten- 
walder von dem Bischof Leo von Freising eine Besserung des 
Lohnes für die Fahrt von Mittenwald nach Zirl zugebilligt, indem 
ihnen von ihrem Landesherrn erlaubt wurde, von einem Saum 
(4 Zentner) statt 20 kr. 31 kr., d. h. so viel wie die Innsbrucker 
Fuhrleute von Zirl nach Mittenwald, als Lohn zu nehmen). 

Trotz dieser Lohnerhöhungen hatten die Kaufleute bald wieder 
darüber zu klagen, daß die Schongauer den aufgerichteten Ver- 
trägen nicht nachkämen; sie richteten deshalb im Jahr 1553 an 
Herzog Albrecht V. die Bitte, ihnen zu gestatten, daß sie fortan 


1) Gegenbericht der Schongauer auf der Kaufleute Supplikation vom 
Jahre 1552. Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. LXXXX. Nr. 131. 

2) RezeB vom 18. März 1552, Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. LXXXX. 
Nr. 189. 

8) Schreiben des Bischofs Leo von Freising an die Mittenwalder vom 
10. März 1658. Fasc. 87 der Werdenfelser Akten des Münchener Kreisarchivs.. 


572 Johannes Müller 


nicht allein auf Schongau sondern auch auf Weilheim und 
andere Orte in Bayern gegen Bezahlung der gewöhnlichen Zölle 
ihre Güter führen dürften. Als besonderen Grund für diese 
Neuerung führten die Kaufleute die Tatsache an, daß infolge 
der ungenügenden Fertigung der Güter zu Schongau der nieder- 
ländische Warenzug schon seit einigen Jahren von der Augsburg- 
Schongauer Straße abgewichen und die Richtung über Kempten 
und Füssen eingeschlagen habe, wodurch die Zoll- und Maut- 
einnahmen des Herzogtums Bayern bedeutend geschmälert würden. 
Würde den von den Niederlanden nach Italien handelnden Kanf- 
leuten die Straße über Weilheim zu fahren erlaubt, so würde, 
da die Weilheimer und Murnauer viel besser mit Pferden ver- 
sehen seien als die Schongauer, der niederländische Warenzug 
bald wieder nach Bayern gelenkt werden’). Diese Vorstellungen 
bewirkten, daß den Kaufleuten durch einen vom 12. August 1553 
erlassenen Spruchbrief der bayerischen Regierung für den dies 
‚jährigen Ägidimarkt zu Bozen die Führung der Güter auf Weil 
heim und Murnau gestattet wurde; doch sollten beide Parteien 
durch Kundschaftbriefe und Zeugen ihre Notdurft weiter vor- 
bringen *). 

Nachdem hierauf die Schongauer am 18. September 155 
von dem Schongauer Wagmeister Aug. Widmann und dem Aug* 
burger Faktor Hans Megenhard Zeugnisse beigebracht hatten, 
daß an dem von den Kaufleuten gerügten Abladen nicht sie, 
die Rodfuhrleute, sondern lediglich die Kriegsläufte und die 
Faktoren der Kaufleute mit dem langsamen Schicken und ur 
zeitigen Ansagen selbst schuld seien°), erließ die herzogliche 
Regierung am 6. Oktober 1553 folgenden Abschied: a) Den Kauf- 
leuten bleibt es unbenommen, auf einem weiteren Rodtag die von 
ihnen aufgestellte Behauptung zu beweisen, daß die Schongauer 
Rodleute ihre Güter nicht fertigten. b) Mittlerweile sollen die 
Schongauer die Kaufmannsgüter gemäß den Bestimmungen de 
Rodvertrages vom Jahr 1542 und der darauf fußenden Rezess 








1) Articul, auß was ursachen die straß auf Weilhaim und Murnau « 
‚öffnet werden soll. Nr.1, Fasc. LXXXX. des Augsb. Handelsvereins-Ardit. 
2) Lorı, Geschichte des Lechrains, II. Nr. 317. 
8) Nr. 145 und 148 des Fasc. LXXXX. des Augsb. Handelsvereins-Arcbin 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 573 


fertigen, sich dabei vor allem des Abladens der Güter auf der 
Strecke enthalten, auch dann, wenn die Faktoren ihnen anderes zu- 
muten sollten. c) Die Schongauer sollen die an den Rossen zweier 
Fuhrleute von Murnau, des Balth. Fritz und des Paul Deber, vor- 
genommenen Pfändungen bis zum Austrag der Sachen aufheben’). 
d) Die Kaufleute sollen ihren Anspruch auf Eröffnung der Weil- 
heimer Straße, die Schongauer ihre gegenteiligen Ansprüche auf 
Durchführung aller von Augsburg nach Italien gehenden Güter 
durch Schongau in Schriften beweislich dartun, wonach Herzog 
Albrecht V. weitere Erkenntnis und Verordnung tun werde?). 

Auf zwei Tagfahrten zu München, am 10. Juli 1554 und am 
6. Juli 1555, wurde über die Forderung der Kaufleute, ihnen 
die Straße über Weilheim frei zu geben, von den Räten des 
Herzogs Albrecht V. zu München verhandelt, nachdem im März 1554 
zu Füssen, zu Schongau und zu Murnau auf Befehl des Herzogs 
die von den Augsburger Kaufleuten benannten 22 Zeugen aus der 
Umgegend von Schongau (4 Echelsbacher Bauern, 7 Füssener 
Burger, 2 Soyener, 2 Saulgruber, 3 Roßhauptener Bauern, ein Anker- 
walder, ein Sammeister und ein Bernbeurer, ein Forsthöfer) darüber 
vernommen worden waren, ob der mehrere Teil der Güter der 
Kaufleute seitens der Schongauer zu Echelsbach, am Sammeister 
zu Burgau und zu Roßhaupten abgeworfen worden sei’). Da 
die Zeugenaussagen nahezu einstimmig dahin lauteten, daß sowohl 
zu Echelsbach als auch am Sammeister in Burgau und in Rof- 
haupten die Güter von den Schongauern in früheren Jahren ab- 
geladen worden und von den Ammergauern bezw. den Burgauern, 
Bernbeurern und Roßhauptenern weitergeführt worden seien, 
daß aber nach dem jüngst erlassenen Rezeß vom Jahre 1553 


1) Den beiden Fuhrleuten war von den Schongauern, als sie im Jahre 
1553 nach dem Ägidimarkt 11 Wagen mit Kaufmannsgütern über Weilheim 
und Murnau fuhren, je ein Pferd gepfändet worden. Vgl. die Schongauer 
und Ammergauer Erzählung aller eingebrachten Handlungen und Petitionen 
gegen die Augsburger Kaufleute. Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. LXXXX. 
Nr. 159. 

2) Lori, Geschichte des Lechrains, II. Nr. 319. 

3) Der Augsburgischen in das Gebürg handtierenden Kaufleut Zeugen- 
sagen contra Burgermeister und Rat zu Schongau. März 1554. Nr. 161 
des Fasc. LXXXX. Augsb. Handelsvereins-Archiv. 


574 Johannes Müller 


ihres Wissens ein solches Abwerfen nicht mehr oder ganz aus 
nahmsweise vorgekommen sei, so stellte die herzogliche Regierung 
zwischen den streitenden Parteien am 6. Juli 1555 den Frieden 
dadurch her, daß sie den Schongauern das seit alter Zeit ver- 
briefte Niederlagsrecht wahrte, ihnen aber auch das Abwerfen 
der Güter an den Zwischenstationen zwischen Schongau und 
Ammergau bezw. Füssen strengstens untersagte!). Die Folge 
dieser Entscheidung war eine abermalige Lohnsteigerung seitens 
der Schongauer und Ammergauer Rodleute in den Jahren 1555 
und 1556, indem den ersteren auf ihre Bitte von Schongau nach 
Ammergau oder Füssen pro Zentner 7 kr. (bisher 6!/: kr.), den 
Ammergauern von Ammergau nach Schongau 6 kr. 3 (bir 
her 5/a kr.), von Ammergau nach Partenkirchen 3'!/s kr. (bisher 
3 kr.) Rodlohn bewilligt wurden ?). 


Doch sollte mit dieser Lohnbesserung vom Jahre 1556, die 
zeitlich mit der Steigerung der Löhne der Tiroler Fuhrleute um 
die Mitte des 16. Jahrhunderts zusammenfällt, eine ganze 
Reihe von Lohnbesserungen im Bayerischen eröffnet werden. 
Denn schon 1560 und 1562 erfuhren die Löhne der Schongauer 
und Partenkircher, sodann 1566 die Löhne sowohl der Rodlestt 
wie der Floßleute zu Schongau neue Steigerungen, so daß im 
letztgenannten Jahre die Schongauer pro Zentner nach Augsburg 
11 kr., nach Ammergau und Füssen 9 kr., die Flößer für ein 
Rodgut nach Augsburg 2 fl. 20 kr. Lohn erhielten?). Und 
dabei konnten die Kaufleute nur bei günstiger Witterung auf 
bestimmte Beförderung ihrer Güter rechnen; denn bei schlechten 


1) Nach einer Bittschrift der Augsburger Kaufleute vom Jahre 158 
(Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. LXXXX. Nr. 188) gestattete Herz 
Albrecht V. denselben im Jahre 1558 die Straße über Weilheim 14 Tag 
lang, d. h. während des Bozener Ägidimarktes. Nach dieser Bittschrift wir 
der bayr. Rezeß übrigens erst am 21. Mai 1558 gegeben worden. Die Kad- 
leute, die von Augsburg über Friedberg nach Weilheim fahren sollten, suchis 
darum nach, auch über Landsberg nach Weilheim fahren zu dürfen. 

2) Schreiben der Augsburger Kaufleute vom 11. Juni 1557 an den Münchze 
Hofprokurator Sylvester Koch, Augsb. Handelsvereins-Archiv Nr. 173. 

3) Vertrag zwischen der Stadt Schongau und den Augsburgischen Ka 
leuten vom 9. Febr. 1566. Lori, II. Nr. 352. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 575 


Wegen verlangten die Schongauer statt 11 kr. 12 kr. und statt 
9 kr. 10 kr. Fuhrlohn pro Zentner'). Die Aufwärtsbewegung 
des Rodlohnes in den sechziger Jahren war übrigens keine Er- 
scheinung, die sich bloß auf Bayern erstreckte, sondern läßt sich 
um jene Zeit auch in Tirol und im Venezianischen nachweisen. 
In dem letzterwähnten Gebiet befand sich die Rod zu Anfang 
der sechziger Jahre in einem so verwahrlosten Zustand, daß auf 
die Herausschaffung der Kaufmannsgüter, die früher innerhalb 
sechs Wochen von Venedig nach Augsburg gefertigt worden 
waren, infolge der Verwahrlosung im Venezianischen nunmehr 
oft 16 Wochen daraufgingen. Dieser Mißstand veranlaßte die 
Kaufleute Augsburgs im September 1562 einen eigenen Gewalt- 
haber nach Venedig zu senden, der die Abstellung der Rod- 
mängel bei der Signoria zu betreiben hatte?). Die deutschen 
Kaufleute zu Venedig schlossen hierauf im Oktober 1562 durch 
ihren Vertreter Burkhard mit den Rodorten der Bezirke Pieve 
di Cadore (Valle, Pieve, Venas und St. Vito), Belluno, Serravalle, 
Conegliano und Treviso neue Verträge ab, laut welchen den 
meisten dieser Gemeinden höhere Rodlöhne als bisher, z. B. den 
Rodieuten von St. Vito 1!/s kr. Besserung, den Rodleuten von 
Valle 4 kr. Besserung, den Rodleuten von Termine ebenfalls 
4 kr. Besserung pro Zentner bewilligt wurde”). 

Da an der Verzögerung des Transportes nicht nur die Saum- 


1) Nach einem Schreiben J. Greiners an einen Schongauer im Jahre 1562 
erklärten die Schongauer, daß sie die Güter um den Lohn von 12 Kr. pro 
Zentner nach Augsburg nur bei gutem Weg führen wollten. Sie begründeten 
ihre neue Forderung mit der außerordentliehen Preissteigerung alles dessen, 
was zum Fuhrwerk notwendig sei. So müsse man für ein Roß, das vor 
etlichen Jahren noch 14 bis 16 fl. gekostet, jetzt 20 bis 24 fl. bezahlen. 
Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. LXXXX. Nr. 208. 

2) Gemeiner Kaufleut allhie, so gen Venedig handeln, Supplikation an 
den Rat von Augsburg, die Aufhebung der Rod im Venediger Land betreffend. 
Sept. 1562. Augeb. Stadt-Archiv. 

8) Rotuli della Pieve di Cadore con hi Communi sopra posti & quella, 
delli Communi de Cividat de Belluno, de Conegliano, de Serravalle et Treviso, 
neli qualli sono descritti li carradori, che hanno & condur le mercantie de 
mercadanti del Fontego di Todeschi per li pretii limitati dalli clarissimi 
Signori cinque savii sopra la mercantia. Augsb. Handelsvereins-Archiv. 


676 Johannes Müller 


seligkeit der Rodleute sondern auch die Gewohnheit der Gut- 
‚fertiger, eine möglichst große Zahl von Ballen zu einer Condutta 
zusammenkommen zu lassen, schuld war, so erwirkte die Augs- 
burger Kaufmannschaft bei dem Rat ihrer Vaterstadt vom 17. Febr. 
1564 ein Dekret, wonach den Gutfertigern die Zusammenstellung 
einer Condutta von mehr als 27 Wägen oder 3 Rodgütern ver- 
boten war. Zur Entschädigung für den den Gutfertigern hiedurch 
erwachsenden Ausfall an ihren Einnahmen wurde in demselben 
Ratsdekret angeordnet, daß den Gutfertigern künftig die Hälfte 
des Fuhrlohns am Abfahrtsort (Augsburg oder Venedig), die 
andere Hälfte am Brenner ausbezahlt werden sollte’). Zwei 
Jahre nach Erlaß des Ratsdekretes, welches dem eigenmächtigen 
Verfahren der Ballenführer einige Schranken setzte, kamen die 
Augsburger Kaufleute mit den sogen. Stoßern auf dem Bach, 
d. h. den Flößern, welche die Güter von der Lechlände auf dem 
Lechkanal zur Stadt beförderten, über den Lohn dieser Hilfs 
organe des damaligen Transportgewerbes überein. Die Stoßer 
erhielten nach dem am 27. Sept. 1566 abgeschlossenen Vertrag für 
den Transport eines Ballens von der unteren Lände, d.h. vom Hoch- 
ablaß, bis zur Stadt 6 kr., für das Herbeischaffen eines Ballens da- 
gegen von der oberen Lände, d. h. von Haunstetten her, 10 kr. Lohn, 
wobei ihnen noch, wenn sie die Ballen sogleich bis zur Fron- 
wage brachten, 1 kr. Sondervergütung für jeden Ballen zu- 
gesagt wurde”). Im Juni desselben Jahres endlich wurde auf 
Verlangen der Kaufleute der seit einigen Jahren nicht mehr ein 
geforderte Rotetor-Zoll, wonach von jedem von Venedig kommen- 
den und nach Venedig gehenden Zentner Guts 1 £ bezahlt 
werden mußte, vom Augsburger Rat wieder in Kraft gesetzt und 
so der gemeinen Büchse der Kaufleute, die damals durch Bot 


1) Beschwerde der nach Venedig handelnden Augsburger Kaufleute übe 
die Ballenführer wegen Annahme zu großer Conduttas, oft 70 bis 80 Wägen, 
von Venedig heraus. Febr. 1564. Ratsdekret, betreffend die Größe der 
Conduttas der Ballenführer und des Auszahlungsmodus derselben. 17. Fehr. 
1564. Augsb. Stadtbibliothek. Handschriftensammlung: De rebus mercantii- 
bus Augustanis. 

2) Vertrag zwischen den Augsb. Kaufleuten und den Stoßern auf des 
Lech vom 27. Sept. 1566. Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. LXXXS 
Nr. 265. 








Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 577 


schaften nach München, Innsbruck und Venedig nicht wenig in 
Anspruch genommen wurde, neue Einnahmen zugeführt '). 

Wie in Bayern und im Venezianischen so erfuhren auch in 
Tirol die Rodlöhne um die Mitte der sechziger Jahre des 16. Jahr- 
hunderts an einer großen Anzahl von Rodorten der beiden Straßen, 
so in Innsbruck, am Brenner, in Mühlbach, in Bruneck, Lermoos, 
Nassereit, Telfs, Terlan, eine Steigerung, die jedoch gegenüber 
den damals erfolgenden bedeutenden Rodlohnerhöhungen in Bayern 
und im Venediger Gebiet als eine mäßige bezeichnet werden 
muß?). Eine allgemeine Lohnerhöhung in Verbindung mit einer 
Ergänzung der seit 1530 nicht mehr geänderten Rodordnungen 
Tirols sollte erst zu Beginn der siebziger Jahre vorgenommen 
werden. Fast zu gleicher Zeit erfuhr auch das bayerische Rod- 
wesen wesentliche Umgestaltungen, die erst mit dem Jahre 1611 
zu einem gewissen Abschluss kommen sollten. 


III. Die Reformen im Rodwesen Bayerns und Tirols 
von 1572—1612. 


1. Die Tiroler Rodordnungen vom Jahr 1572 und 
die bayerischen Rodverträge von 1571—1575. 


In dem Zeitraum von 1535—1572, in dem eine wesentliche 
Änderung in den Einrichtungen des Rodwesens Bayerns und 
Tirols nicht erfolgt war, dagegen der Rodlohn, wenn auch mäßig, 
so doch ununterbrochen gesteigert worden war, hatten sich die 
Beschwerden der Kaufleute einerseits über eigenmächtige Lohn- 
erhöhungen der Rodleute, anderseits über schlecht gehaltene 
Wege, Brücken und Pallhäuser allmählich so angehäuft, daß die 
Regierung Tirols schließlich nicht umhin konnte, den Klagen des 
Handelsstandes durch eine durchgreifende Reform des Tiroler 
Rodwesens abzuhelfen und zugleich dem Verlangen der Rodleute 


1) Supplik der Augsb. Kaufleute an den Rat wegen Erneuerung des 
seit zwei Jahren eingegangenen 1 $-Zolles am Roten Tor. 15. Juni 1566. 
Handschriftensammlung der Augsb. Stadtbibliothek (Collectio Herbstiana). 

2) Vgl. über die Rodlohnerhöhungen der genannten Orte im Jahre 1566 
die Nr. 316, 27, 219, 223, 224, 226, 229, 280, 231, 233, 235, 236, 237 des 
Fasc. LXXXX., sodann betreffs des Jahres 1566 die Nummern 246, 247, 


258, 256, 257 desselben Fasc. des Augsb. Handelsvereins-Archivs. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 88 


578 Johannes Müller 


nach einer ausgiebigen Erhöhung des Rodlohns entgegenzukomna. 
Die Regelung der Rodlohnverhältnisse war zwar in dem die 
Visitation und Reformation der Rodstätten Tirols anordnenda 
Kommissionsauftrag des Erzherzogs Ferdinand an die fürstliches 
Räte Dionys von Rost zu Aufhofen und Wolfg. Kalmünzer von 
Kalmünz nicht erwähnt; aber die ziemlich hochgespannten For- 
derungen der Tiroler Rodleute und der starke Nachdruck, den 
die fürstlichen Kommissäre bei den Verhandlungen im Jahr 1572 
auf die Erledigung dieses Punktes legten, sorgten dafür, daß die 
Rodlohnfrage den Kernpunkt der Reformation des Tiroler Rod- 
wesens im Jahr 1572 bildete). 

Die Visitation der Tiroler Rodstätten wurde von den beiden 
Kommissären, dem Schongauer Pfleger Kalmünzer und dem Fen- 
steiner Zoller Tannheimer, der an Stelle des verhinderten Hem 
von Rost in letzter Stunde zur Bereisung wenigstens der obere 
Straße abgeordnet worden war, im Beisein zweier Abgeordneten 
der Augsburger Kaufmannschaft, Marx Herzel und Dr. G. Christ. 
Gering, sowie zweier Vertreter der Gutfertiger, des O. Kleinhanns 
und Raymund Dorn, endlich des Tiroler Wegbereiters Silvester 
Lindacher in der Weise vorgenommen, daß die drei genannten 
Tiroler Beamten an jedem Rodort in Gegenwart der Rodleute 
jedesmal zuerst die von den vier Abgesandten der Kaufleute und 
Gutfertiger vorgebrachten Beschwerden des Handelsstandes, 
hierauf die Beschwerden und Forderungen der Rodleute um Rod- 
lohnerhöhung anhörten. Ließ sich eine Einigung zwischen den 
Abgesandten der Kaufleute und Gutfertiger einerseits, den Rod- 
leuten eines Ortes anderseits erzielen, so gaben die Kommissäre 
jedesmal sofort mündlich den Entscheid, dem Kaufleute bezw. 
Gutfertiger und Rodleute nachzukommen angelobten. War ds 
gegen zwischen den beiden Parteien eine Einigung im ganze 
oder über einzelne besonders kitzliche Punkte, wie über We- 


1) Vgl. für das Folgende: Summarisches Verzaichnuß der Commission 
Handlung und der darüber von den Commissarien gegebenen ungeferlichen 
mündlichen Abschidt betreff. die Visitation und Reformation der Rodsteti 
auff der Obern und Untern Strassen in der Grafschaft Tyol im Jar 15% 
XVI. 3, sodann Rodordnünyen in Tyroll, anno 1572 alda aufgericht, XVL à 
Augsb. Handelsvereins-Archiv. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 579 


und Pallhausbauten, nicht herzustellen, so wurden diese Diffe- 
renzen ad cameram remittiert, um dann, wenn sie daselbst ent- 
schieden waren, dem endgültigen Abschied einverleibt zu 
werden. 

Die Kommission begann ihre Visitation am 27. April 1572 
mit dem Rodort Reutte, brauchte zur Bereisung der Rodorte der 
oberen Straße von Reutte bis Grigno im Valsugana 3'/. Wochen, 
nämlich von dem genannten Tag bis zum 21. Mai, zur Bereisung 
der unteren Straße von Haiden (Cortina) bis Telfs etwa 2 Wochen, 
vom 24. Mai bis 7. Juni, zur ganzen Kommissionshandlung in- 
klusive der Reise von Grigno nach Cortina, also sechs Wochen, 
eine Zeit, in der sich alle Streitpunkte, wie man denken sollte, 
gründlich erörtern und auch endgültig entscheiden hätten lassen 
können. Und doch fand es die Kommission für notwendig, die 
strittigen Punkte von vierzehn Rodstätten, acht der oberen und 
sechs der unteren Straße, ad referendum camerae zu nehmen. 

Merkwürdigerweise waren unter diesen der Entscheidung der 
Innsbrucker Kammer anheimgestellten Streitpunkten keine solche 
über Lohndifferenzen. Die Fuhrleute der meisten Rodorte, die 
selbstverständlich von dem Grundsatz durchdrungen waren, daß 
sie nur dann zu etwas kämen, wenn sie möglichst viel bean- 
spruchten, forderten Lohnerhöhungen, die meist ein Drittel, wenn 
nicht gar die Hälfte des bisherigen Lohnes betrugen, erhielten 
aber von den Kommissären, mit Ausnahme der Rodleute von 
Neumarkt und Lermoos, die sowohl nach Terlan wie nach 
Trient einen unverhältnismäßig weiten Weg, nämlich 4 Meilen, 
zu fahren hatten, durchschnittlich kaum ein Sechstel des bisherigen 
Lohnes als Besserung. Im ganzen werden die Rodleute mit den 
anno 1572 erhaltenen Rodlohnerhöhungen zufrieden gewesen sein, 
da sie nahezu zwanzig Jahre hindurch die Kaufleute mit neuen 
Lohnsteigerungen im Frieden ließen. 

Zur Entschädigung für diese bedeutende Mehrung der Trans- 
portkosten durch Tirol wurden sämtliche Rodordnungen im Jahre 
1572 einer Revision unterzogen und die Sorge um die Vollziehung 
und genaue Beachtung der revidierten Ordnungen seitens der 
Rodleute den Pflegern und Richtern der einzelnen Rodorte auf- 
getragen. Die im Oktober 1572 von der Innsbrucker Regierung 


580 Johannes Müller 


ratifizierten neun Artikel der revidierten Rodordnungen enthielten 
folgende Bestimmungen: 

1. Auftrag an die Obrigkeiten der Rodorte zur Handhabung 
der anno 1530 aufgerichteten Rodordnungen, die bei 
ihren Würden und Kräften bleiben sollten. 

2. Befehl an die Obrigkeiten zur Bestrafung derjenigen, 
die an den Rodstätten oder sonst aus den Säcken 
Wolle entwendeten. 

3. Befehl an die Obrigkeiten zur unnachsichtlichen Be- 
strafung dergegen dieRodordnungen sich verfehlen- 
den Fuhrleute. 

4. Auftrag an die Obrigkeiten zur Anfertigung vidimierter 
Abschriften der Rodordnungen und Aushändigung 
dieser Kopien an die Kaufleute und Gutfertiger. 

5. Vorschriften über die Sauberhaltung und recht- 
zeitige Absperrung der Pallhäuser. 

6. Vorschriften über die Justierung der im Pallhaus 
aufgestellten Wagen und über die Pflichten der von der 
Obrigkeit zu bestätigenden Wagmeister und Aufgeber. 

7. Festsetzung der Höhe des Rodlohnes. 

8. Vorschriften über den Straßen- und Brückenbau 
innerhalb jedes Rodbezirkes, soweit derselbe den Rod- 
leuten oblag. 

9. Ermahnung der Obrigkeiten zu jeder sonstigen dienstlichen 
Förderung des Rodwesens innerhalb ihres Ver- 
waltungsbezirkes. 

Neben diesen neun Artikeln, die sämtlichen Rodordnungen 
Tirols damals eingefügt wurden und die als Kennzeichen des 
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer stärker hervor- 
tretenden Zuges der Zeit gelten können, alle Gebiete des öffent- 
lichen Lebens einer einheitlich geregelten Gesetzgebung zu unter 
werfen, gingen dann aus den Verhandlungen des Jahres 157? 
noch besondere Ergänzungen der Rodordnungen einzelner Rodorte 
hervor, die auf die weitere Ausbildung des Rodwesens im Ost 
alpengebiet im 16. Jahrhundert charakteristische Streiflichter 
werfen. Als Beispiel einer solchen erweiterten Rodordnung st 
die Toblacher Ordnung vom 31. Oktober 1572 nach ihrem wesent 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 581 


lichen Inhalt hier skizziert'): Von den 15 Artikeln der Rodordnung 
des Jahres 1572 stimmten 10, nämlich die Artikel 1, 2, 6, 7, 8, 12, 
9, 10, 11, 15 mit den Artikeln 1, 2, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 12, 13 in 
der Ordnung vom Jahre 1530 der hier aufgeführten Reihenfolge 
paarweise überein. Im 3. Artikel dagegen, in dem die Fahr- 
zeit und die Pflicht der Fuhrleute, die Güter im Falıren 
nicht zu beschädigen, ausgesprochen ist, sowie in dem dem 
4. Artikel der Ordnung vom Jahre 1530 entsprechenden 5. Artikel 
der Ordnung des Jahres 1572 enthält die über die Numerierung 
der Ballen durch die Kaufleute viel detailliertere Bestimmungen 
als die vom Jahr 1530. So weist Artikel 3 vor allem eine Be- 
stimmung über die Erlaubnis des Abwechselns zwischen Tob- 
lach und Bruneck im Falle der Begegnung eines Toblacher und 
Brunecker Fuhrmanns auf dieser Strecke auf. Der 5. Artikel der 
ergänzten Rodordnung brachte eine Bestimmung über das bei 
einer Wagenladung zulässige Gewicht, das 24 Zentner nicht 
überschreiten sollte. In dem inhaltlich im ganzen überein- 
stimmenden 10. Artikel der beiden Rodordnungen bestand der 
Unterschied, daß nach der älteren Rodordnung das Pallhausgeld 
dem Aufgeber von den Fuhrleuten, nach der. neuen Ordnung 
das mit dem Namen Ansaggeld bezeichnete Pallhausgeld, das 
übrigens pro Wagen um 3 Vierer gegenüber dem alten Pallhaus- 
geld erhöht war, von den Kaufleuten bezahlt werden mußte. 
Die Artikel 13 und 14 der neuen Rodordnung, jener über das 
Balınmachen bei Schneefall, dieser über den Ersatz verarmter 
oder sonst in Abfall gekommener Rodleute durch andere haus- 
gesessene Toblacher Bauern handelnd, brachten ganz neue Be- 
stimmungen gegenüber der alten Rodordnung herein, die bloß 
in dem 11. Artikel, Hüterlohn für die im Freien lagernden Güter 
betreffend, ein von den gewöhnlichen Rodordnungsartikeln ab- 
weichendes Regulativ enthielt. 

Schon ein Jahr vor diesen Änderungen im Tiroler Rodwesen 
hatte Erzherzog Ferdinand, besonders auf die Klagen Nürnberger 
Kaufleute hin, die die Straße durch das Rheintal nach Mailand 
benützten, an den Grafen Jak. Hannibal von Ems, Amtmann 





1) Siehe den Wortlaut der Toblacher Rodordnung in Beilage VII. 


582 Johannes Müller 


zu Feldkirch und Landschreiber zu Bregenz, ein Mandat ergehen 
lassen, durch welches derselbe zur Abstellung der Beschwerden 
aufgefordert wurde, die die Kaufleute teils durch die Rodlobn- 
steigerung der Fuhrleute zu Höchst teils durch die Aufhaltung 
der Güter zu Füssach am Bodensee sowie durch die Zollplacke- 
reien in den beiden genannten Orten seitens des Zollers und 
dessen Gegenschreibers zu erdulden hatten. Die von der Inns- 
brucker Regierung hierin getroffenen Anordnungen, die Zurecht- 
weisung der eigenmächtig handelnden Rodleute und der ihre Be- 
fugnisse überschreitenden Zollbeamten, sind ohne Zweifel als 
ein Glied in der Kette der gesamten Reformmaßregeln im Tiroler 
Rodwesen zu betrachten '). 

1) Manifest Erzh. Ferdinands von Tirol vom 13. August 1571, sodann 
Schreiben desselben Fürsten an die Stadt Augsburg wegen der Straße nach Mai- 
land Nr. 329 und 830 des Fasc. LXXXX. des Augsb. Handelsvereins-Archivs. — 
Das Transportwesen Tirols, dessen Ordnung die Herrscher Österreichs aus 
dem Hause Habsburg sich besonders angelegen sein ließen, galt bei der 
deutschen Handelswelt als das bestgeordnete unter den Verkehrsinstituten 
des Ostalpengebietes, im Gegensatz zu den italienischen Verkehrseinrichtuugen, 
die sich, wohl mit Recht, eines minder guten Rufes erfreuten. In dem von 
Bernh. Scheffler und Konsorten am 27. Nov. 1596 erstatteten Gegenbericht 
auf das Bedenken der damaligen Roddeputierten vom 19. Sept. 1596 werden 
die Verhältnisse im Transportwesen Venetiens und Tirols einander in folgender 
bezeichnender Weise gegenübergestellt: Weil es auch in Italia an etlichen 
Orten gar keine Rod noch Ordnung hat, daselbst auch kein Lohn gesetzt ist, 
damit sich der Fuhrmann ersettigen lassen müßte, so muß derwegen en 
jeder Gutfertiger selbst Fleiß fürwenden, wie und wo er nicht allein Fuhr- 
leut überkomm und zuweg bring, sondern er muß auch, will er anderst seine 
Güter fortbringen, mit dem Fuhrmann bis auf sein Wohlbegnügen des Lohn 
halber abkommen ... 

Dahingegen aber sind in Teutschland und sonderlich in den Oberöster- 
reichischen Landen gar feine, löbliche und gute Ordnungen aufs Papier bracht, 
wie denn dieser Orten bei allen Rodstetten und Niderlagen aus den Rod- 
briefen zu befinden, welche unsers Erachtens nicht wohl verbessert werden 
könnten, dann welcher also in einem oder dem andern wider sollche Rod 
ordnung handelt, der hat bei jeder Rodstat seine gebürliche Straf auszustehen. 
Deswegen wir nicht sehen noch befinden könnten, aus was Ursachen wir aus 
solcher der Oberösterreichischen Landen richtigen, ausführlichen und klaren 
Rodordnung abweichen sollten (Beilage 21 zu dem Für- und Anbringe 


der Roddeputierten an den Rat von Augsburg, das Rodwesen betreffend. 
19. Sept. 1596, Augsb. Stadtarchiv). 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 583 


Auch in Bayern kam es am Anfang der siebziger Jahre des 
16. Jahrhunderts sowohl über den Rodlohn als auch über andere 
Einrichtungen des Rodwesens zu neuen Abmachungen, die zwar 
keine solche detaillierten Bestimmungen wie die Reformen des 
Tiroler Rodwesens vom Jahre 1572 enthielten, die aber doch 
in mancher Hinsicht weitere Beschränkungen des freien Trans- 
portes der Kaufmannsgüter auch in Bayern bedeuteten. 

Die Rodlohnsteigerung im Bayerischen begann, nachdem sie, 
wie oben erwähnt, im Jahre 1566 zum Stillstand gekommen war, 
im Sommer des Jahres 1571 mit erhöhten Rodlohnforderungen 
der Schongauer und Ammergauer Fuhrleute, die durch Verträge 
mit den Augsburger Kaufleuten (Schongauer Vertrag vom 27. August 
1571, Ammergauer Vertrag vom 15. Oktober 1571) befriedigt 
wurden'). Diesen ersten Lohnerhöhungen vom Jahre 1571, 
die für den Zentner 1 kr. betrugen (von Schongau nach Ammer- 
gau 10 kr. 1 %$ statt 9 kr. 1 ./, von Ammergau nach Parten- 
kirchen sowie von Partenkirchen nach Mittenwald 5 kr. statt 
4 kr. pro Zentner), folgten aber bald weitere Lohnerhöhungen 
im Jahre 1572, 1573 und 1574 nach, so daß im letztgenannten 
Jahre für den Transport eines Zentners von Schongau nach 
Ammergau bereits 12 kr., von Partenkirchen nach Mittenwald 
6 kr. gegeben wurden’). Auch die Floßleute von Schongau, 
die die letzte bedeutende Lohnerhöhung im Jahre 1566 durch- 
gesetzt hatten, rührten sich im Jahre 1575 wieder und erlangten 
durch einen Vertrag vom März 1575 eine Erhöhung ihres Lohnes 
von 2 fl. 20 „$ auf 3 fl. für ein Rodgut*). Den Schongauer Fuhr- 
leuten wurde außerdem durch die Kaufleute der bisher unter- 
sagte Wechsel der Wägen beim Sammeister zwischen Schongauern 
und anderen Bauern zugestanden, selbstverständlich mit der 
nichtssagenden Klausel, daß durch den Wagenwechsel die Güter 
der Kaufleute nicht beschädigt werden dürften. 

Zum Ausgleich für diese nicht unbedeutenden Verbesserungen 


vereins-Archivs. 

2) Vgl. Nr. 8565 und 343 des Fasc. LXXXX. des Augsb. Handelsvereins- 
Archivs. 

8) Vgl. Nr. 859 Fasc. LXXXX. Augsb. Handelsvereins-Archiv. 


584 Johannes Müller 


des Lohnes und sonstige Erleichterungen mußten sich die Schon- 
gauer und Ammergauer Fuhrleute in einem Vertrag vom Juli 1573 
verpflichten, die Güter innerhalb zweier Tage von Schongau nach 
Ammergau zu fertigen, und außerdem einen Revers ausstellen, 
daß sie im Falle des Zurückgehens der zurzeit sehr hohen 
Lebensmittel- und Futterpreise auf den alten Lohn sich zurück- 
setzen lassen wollten'). Daß ein solcher Revers für die Kauf- 
leute nahezu bedeutungslos war, geht schon daraus hervor, daß 
die von ihnen gestellte weitere Bedingung, die Verträge auf 
mindestens 10 Jahre Gültigkeit abzuschließen, von den Fuhr- 
leuten strikte zurückgewiesen wurde. 

Eine besondere Erwähnung unter den das bayerische Rod- 
wesen umgestaltenden Neuerungen jener Zeit verdient die von 
den Mittenwaldern am 13. Juni 1574 ohne Zuziehung ihrer Landes- 
regierung errichtete Rodordnung‘). Der Inhalt derselben laßt 
sich etwa in vier wesentliche Punkte zusammenfassen: 1. Alle 
Fuhrleute, ob inländisch oder ausländisch, die Güter auf Eigen- 
achswägen unabgelegt durch Mittenwald fahren, haben pro Saum 
3 kr. Niederlagsgeld zu zahlen. 2. Desgleichen haben alle die- 
jenigen Mittenwalder Rodleute, welche auf der Rod nach Mitten- 
wald kommende und daselbst niedergelegte Güter weitertühren, 
3 kr. Niederlagsgeld pro Saum zu bezahlen. 3. Diejenigen 
Fuhrleute, seien es Mittenwalder oder Fremde, welche Fhutter 
und dergleichen auf das Seefeld fahren und daselbst als Rück- 
fracht Kaufmannsgüter aufnehmen, haben, sofern sie die Güter 
in Mittenwald nicht niederlegen, sich mit denjenigen Rodleuten 
abzufinden, an denen die Ordnung zu führen steht. 4. Wenn 
ein Rodmann, dem Güter zum Fertigen auf der Rod angesagt 
wurden, zufällig sein Vieh nicht bei der Hand hat, so haben 


1) Vgl. Nr. 842 und 343 des Fasc. LXXXX. des Augsb. Handelsvereins- 
Archive. 

2) Vgl. J. BAADER, Kulturgeschichtliches aus der bayerischen Grafschaft 
Werdenfels. Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte, IV. S. 478. — Die 
BAAversche Wiedergabe der Mittenwalder Rodordnung vom Jahre 1574 
enthält übrigens einige Sätze, die absolut unverständlich sind. Vgl. die ge 


nannte Rodordnung in den Werdenfelser Akten (Fasc. 34) des Münchener 
Kreisarchivs. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 585 


andere Rodleute demselben ihr Vieh zu leihen; der Leihende darf 
das Niederlagsgeld von dem Entleiher selbst einnehmen. 

In dem gleichen Jahr, in dem die Mittenwalder ihre neue 
Rodordnung errichteten, wurde ein zwischen den Schongauern 
und Füssenern ausgebrochener Streit über die Fertigung der Güter 
von Schongau nach Füssen durch Herzog Albrecht V. geschlichtet. 
Letztgenannter Fürst beabsichtigte nämlich, alle von Schongau 
nach Füssen gehenden Güter auf der rechten Lechseite, d. h. 
auf der bayerischen Straße über Steingaden und Trauchgau, nach 
Füssen zu dirigieren und so seinem Lande den ganzen Nutzen aus 
dem Warenverkehr zwischen den beiden Orten zuzuwenden. Im 
Gegensatz hiezu verlangten die Füssener, die bereits am 7. Juli 
1572 von diesen Absichten des bayerischen Herzogs durch die 
Augsburger Kaufleute Kenntnis erhalten hatten‘), daß der ge- 
samte Warenzug von Schongau nach Füssen auf der linken Leeh- 
seite, also auf bischöflich augsburgischem Gebiet, vor sich gehe. 
Herzog Albrecht entschied am 23. Nov. 1574 den Streit in der 
Weise, daß er gebot, es sollten die Güter zur einen Hälfte auf 
der bayerischen, zur andern Hälfte auf der schwäbischen Seite 
von Schongau nach Füssen gebracht werden, doch sollten die 
Füssener, wenn sie durch das rechts des Lechs gelegene Lechtor 
in ihre Stadt einführen, nur die Hälfte des Weglohnes, nämlich 
6 „$S, bezahlen, den die Schongauer beim Einfahren sowohl 
durch das Lechtor wie durch das auf schwäbischer Seite gelegene 
Kuglertor zu zahlen hatten ?). 


2. Die Verbesserungsversuche im Rodwesen Bayerns 
und Tirols von 1581 bis 1597. 


Trotz aller Rodlohnbesserungen und Strafbestimmungen, be- 
sonders seitens der Tiroler Regierung, gegen säumige Rodleute 
wollte aber das Rodwesen Bayerns und Tirols nicht mehr in 
jenen Schwung kommen, wie es ihn am Anfang des 16. Jahr- 


1) Vgl. das Schreiben der Augsburger Kaufleute an den Bischof von 
Augsburg vom 7. Juli 1572 wegen der Rodstraße von Schongau nach Füssen. 
Nr. 337, Fasc. LXXXX. Augsb. Handelsvereins-Archiv. 

2) Lort, Geschichte des Lechrains, Nr. 369 (Vertrag zwischen Schongau 
und Füssen vom 23. Nov. 1574). 


586 Johannes Müller 


bunderts gehabt hatte. Ursache dieses Rückganges des Rod- 
wesens war das Ausstehen vieler Bauern aus der Rod zu jener 
Zeit') und das Überwiegen der Gutfertiger im Transportgewerbe 
gegenüber dem Rodbauernstand; die Gutfertiger aber, die an 
keine bestimmte Ordnung gebunden und von keiner Obrigkeit 
für etwaige Verfehlungen zur Rechenschaft gezogen werden 
konnten, betrieben das Transportgeschäft nur zu ihrem Nutzer, 
ohne irgendwelche Rücksicht auf andere zu nehmen. Diese 
Wahrnehmung bewog die Augsburger Kaufmannschaft im 
Jahre 1581 (7. März) in einem für den Rat Augsburgs be- 
stimmten Bedenken Vorschläge zur Abhilfe der Mißstände im 
Rodwesen, die sich aus den Eigenmächtigkeiten der Gutfertiger 
ergaben, zu machen?). Diese Vorschläge bestanden in folgen- 
dem: Erstens sollten die Gutfertiger nicht mehr als 24 bis 
27 Wägen zu einer Condutta annehmen, damit sie die Condutten 
selbst begleiten und nicht mehr wie bisher zum Teil durch 
täglich wechselnde Knechte führen lassen mußten. Zweitens 
sollten die Gutfertiger bei der Abfahrt von Venedig diese Ord- 
nung einhalten, daß, wenn der erste Ballenführer in Augsburg 
mit seiner Condutta einträfe, der letzte zu derselben Zeit in 
Venedig abführe. Drittens sollte von den drei zurzeit allhier 
hantierenden Gutfertigern jeder eine Bürgschaftssumme von 800 f. 
erlegen, damit die Kaufleute im Falle der Beschädigung ihrer 
Güter auf dem Transport davon ihren Ersatz nehmen könnten. 
Viertens sollten aus den Augsburger Kaufleuten zwei bis dre 
Herren deputiert werden, denen analog den Aufsehern über die 
Ordinary-Botenanstalt eine Strafgewalt über die gegen die mei 
erstgenannten Bestimmungen sich verfehlenden Ballenführer zu 
stehen sollte. 

Die Durchführung dieser Vorschläge, die einen hervor 
ragend praktischen Blick für die Bedürfnisse des deutsch-italie- 


1) Vgl. in dem Schongau-Füssener Vertrag vom 28. Nov. 1574 dt 
Stelle: Nachdem jetziger Zeit die von Schongau gar von Fuhrwerk kommes, 
also daß sy vor Jaren in die 12 stäter Rodfachren in der Statt gehabt, 
deren jetzo nit vil mehr vorhanden, sollen dieselben etc. 

2) Vgl. für das Folgende des Verfassers Abhandlung: Augsburgs Ware 
handel etc. Archiv für Kulturgeschichte, I. 8. 386. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 587 


ischen Warenhandels jener Zeit bekunden, sollte noch ein halbes: 
enschenalter auf sich warten lassen. Erst nachdem noch zwei-- 
al, in den Jahren 1591 und 1597, allgemeine Rodwesen- 
mgestaltungen vorgenommen worden waren, kam man in Augs- 
urg zu dem Entschluß, eine Gutfertigerordnung aufzustellen und 
>) dem Warentransport eine den veränderten Zeitläuften ent- 
yrechendere Grundlage zu geben. 

Der auf den 1. Oktober 1591 nach Innsbruck einberufene- 
odhandlungstag, auf dem der Augsburger Handelsstand durch 
ie Kaufleute Jenisch und Dietmair nebst dem Notar Reisner, 
ie Gutfertiger durch den Füssener Bürgermeister Hans Spaiser 
ertreten waren, beschloß auf der Rodleute unablässige Bitten 
aerst eine allgemeine Rodlohnbesserung der Rodstätten der oberen. 
trasse, die im Jahr 1587 teilweise eigenmächtige Lohnsteige-- 
angen vorgenommen hatten'). Den Rodleuten von Ober- und 
liedermais, Meran, Allgund und Lätsch wurde in Berücksichtigung- 
ırer „weithabenden, beschwerlichen Rodfuhren“ vom Ausschuß: 
er Kaufleute eine besondere Lohnerhöhung von 4 kr. gewährt. 
wehufs Abstellung der von den Gewalthabern der Kaufleute und 
rutfertiger vorgebrachten Beschwerden über mangelhafte Wagen 
nd ungleiches Gewicht an verschiedenen Rodorten wurde dem 
Vegmacher M. Rottacher von Telfs am 15. Nov. 1591 die Visi-- 
ıtion bezw. Justierung sämtlicher Wagen der Rodorte der oberen 
traße aufgetragen und schließlich am 21. November an sämtliche- 
fleger der Rodorte der oberen Straße Befehle darüber erlassen, 
ie Rodleute zur genauen Einhaltung der Rodordnungen sowohl 
insichtlich der vorgeschriebenen Fahrzeiten und sorgfältigen 
'erwahrung der Rodgüter sowie der Ausbesserung der ver-- 
allenen Pallhäuser, Straßen und Brücken anzuhalten?). Endlich 





1) Vgl. hierzu das Rodlohnverzeichnis in Beilage XI. Außerdem: Rod- 
andlung zwischen den Kaufleuten und Guetfertigern, so von Augspurg aus 
urch Tirol handeln, und Rodfuerleuten in Tirol Rodlons Staigerung und’ 
nderes betreffend, anno 1591. Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. XVI. Nr. 6. 

2) Gegenüber dem Trienter Bischof und Domkapitel, das seit 3 Jahren 
on Seife, Feigen und Weinbeeren an der Adlerporten einen Zoll abforderte, 
rging ein sonderes Dekret der Innsbrucker Regierung mit dem Befehl, die 
eshalb arrestierten Seifentruhen den betreffenden Kaufleuten bezw. Gutfertigern 
reizugeben. 


588 Johannes Müller 


ließ die Innsbrucker Regierung am 28. Nov. an sechs Rodorte 
der unteren Straße (Haiden, Gasthaus, Toblach, Mühlbach, Mauls, 
Matrei) Anordnungen ergehen, den aufgerichteten Rodordnungen 
getreulich nachzukommen und die Wagen und das Gewicht durch 
den verordneten Wagmeister von Telfs justieren zu lassen. 

Auch die Rodlohnbesserung des Jahres 1591 hatte keinen andern 
Effekt, als daß die Kaufleute und Gutfertiger binnen kurzem 
neue Klagen über die langsame und unfleißige Beförderung ihrer 
Güter und über die abermalige eigenmächtige Steigerung der 
Rodlöhne bei den Landesregierungen Bayerns und Tirols vor- 
bringen mußten. Zwei von Erzherzog Ferdinand (das eine vom 
8. Aug. 1592, das andere vom 15. Dez. 1593) an alle Haupt- 
leute, Pfleger, Verwalter, Landrichter, Bürgermeister und Amts 
leute Tirols gerichtete Mandate, die den Rodfuhrleuten die ge- 
naueste Befolgung der publizierten Rodordnungen bei Vermeidung 
hoher Strafen anbefahlen, brachten ebenfalls keine Besserung in 
dem Zustande des Tiroler Rodwesens'). Die Stadtpfleger und 
Geheimen Räte Augsburgs erklärten in einem anno 1593 über 
das Rodwesen erstatteten Bedenken: „Obwohl Erzherzog Ferdi- 
nand von Österreich mehr als einmal Handlung gnädigst ange 
ordnet, auch darüber an gebürende Ort, sonderlich an die Rod- 
stätt gnädigsten Befehl, wie auch an die kaiserlichen Oratoren 
zu Venedig und Consules der teutschen Nation daselbst Promv- 
torialschreiben ausgehen hat lassen, damit das zerfallene Rodwesen 
wieder in Schwung und Aufnehmen gebracht werden möchte, 50 
hat man doch bisher nit erfahren, daß dadurch der Sache ge 
holfen und das eingerissene Unwesen abgestellt oder einiger 
sonderer Nutzen daraus erfolgt wäre.“ 

Zur Verbesserung des Rodwesens selbst machte der Rat der 
Stadt folgende Vorschläge: 1. Die zum Rodwesen gewählten 
Deputierten sollen dieses Werk ständig versehen. 2. Von 
den Roddeputierten sollen zwei als Bevollmächtigte der Augs- 
burger Kaufmannschaft mit den Konsuln des deutschen Hauses 
in Venedig unterhandeln, damit die großen Unordnungen im Rod- 
wesen auf venezianischem Gebiet beseitigt werden. 3. Der seit 
1) Nr. 2 und 8, Fasc. III. der Rodwesenakten des Augsb. Handelsvereisr 
Archivs. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 589 


1. Jan. 1592 eingeführte 1 kr.-Zoll auf jeden Zentner Wolle, 
der auf der Rod geführt wird, soll bei unnachlässiger Strafe 
von den Interessenten an die zwei hierzu bestellten Büchsen- 
meister einbezahlt und daraus ein Vorrat zur Bestreitung der 
auf das Rodwesen aufgehenden Unkosten angesammelt werden. 
4. Zu diesem Vorrat soll auch die 2 „$-Kontribution, die von 
den nach Bozen handelnden Kaufleuten pro Zentner erlegt wird, 
genommen werden. 

Die auf Anregung des Augsburger Stadtrats erfolgte Einsetzung 
ständiger Deputierten zum Rodwesen sollte schon in den nächst- 
folgenden Jahren ihre Früchte tragen. Nachdem die Augsburger 
Kaufleute im August 1595 bei der Innsbrucker Regierung und dem 
Bischof von Trient Abhilfe der in Tirol und im Trienter Gebiet 
herrschenden Unsicherheit der Straßen erlangt hatten’), reichten 
sie im Jahre 1596 ihre Beschwerden über die Mängel auf allen 
Rodstätten Tirols bei der oberösterreichischen Regierung ein und 
baten um gebührliche Mittel, daß sich die Rodleute Tirols mit Ver- 
führen der Kaufmannsgüter den Rodordnungen gemäß verhielten, 
die Kaufleute nicht mit Überlohn beschwerten, die mangelnden 
Rodwägen ersetzten, die baufälligen Pallhäuser renovierten, die 
unrichtigen Wagen justierten und die verfallenen Straßen und 
Brücken wiederherstellten -). 

Die Innsbrucker Regierung berief nun auf diese dringenden 
Vorstellungen die Vertreter der Augsburger Kaufmannschaft 
und der Gutfertiger zur Verhandlung mit den Rodleuten der 
unteren Straße zu einem Rodtag am 10. Febr. 1597 nach 
Innsbruck*). Nach achttägigen Unterhandlungen (vom 10. bis 


1) Fürschrift des Augsburger Rates für die nach Italien handelnden 
Kaufleute an die Ober-Österreichische Regierung zu Innsbruck und an den 
Bischof von Trient vom August 1595. Handschriftensammlung der Augsb. 
Stadtbibliothek, Abt. Collectio Herbs‘iana S. 67. 

2) Vgl. die Gravamina der nach Italien handelnden Kaufleute vom Jahre 
1596. Beilage A zu der Relation Christof Schmidts, ‚Jakob Nepperschmidts 
und Seb. Reisners als der Kaufleute Gewalthaber zu der Tagsatzung vom 
10. Februar 1597. 

3) Vgl. hierzu: Relation Christoph Schmidts, Jakob Nepperschmidts und 
Seb. Reisners, Notarii, als der Herrn Handelsleut Gewalthaber auf die Tag- 
satzung des 10. Febr. 1597 gen Innsprugg abgeordnet. Augsb. Handels- 


590 Johannes Müller 


17. Februar 1597) der drei Vertreter des Augsburger Handels- 
standes und ebensovieler Vertreter der Gutfertiger (Spaiser und 
Luzenberger von Füssen, Eisengrein von Augsburg) mit den 
Rodleuten von Innsbruck, Matrei, Brenner, Sterzing, Mühlbach, 
Mauls, Toblach und Haiden kam man überein, daß sämtlichen 
Rodleuten der unteren Straße von Innsbruck bis Haiden Rodlohn- 
erhöhungen im Betrage von 3 bis 6 kr. pro Saum (den Luegen 
ausnahmsweise nur 1 kr. pro Saum) gewährt werden sollte. In 
‚der Zeit vom 21. bis 23. Febr. 1597 unterhandelten die Vertreter 
der Kaufleute und Ballenführer mit den bayerischen Rodlenten zu 
Partenkirchen, Ammergau und Mittenwald und bewilligten den- 
selben ebenfalls Rodlohnerhöhungen im Betrag von 2 bis 4 kr. 
pro Saum'). Mit den Rodfloßleuten zu Schongau schlossen 
die Bevollmächtigten der Augsburger Kaufleute am 22. Juni 1597 
‘einen neuen Rodvertrag, nach welchem den ersteren die Her- 
stellung der Flöße aus tauglichem Holz, der Ausschluß anderer 
Güter von den mit Kaufmannsgütern beladenen Flößen und der 
Ersatz der beim Flößen beschädigten Güter zur Pflicht gemacht, 
ihnen aber auch der Rodlohn für ein Rodgut, d. h. 40 Zentner, 
auf 3 fl. 46 kr., für ein halbes Rodgut auf 2 fl. 46 Kr. erhöht 
wurde ?). 

Noch im gleichen Jahre wurden hierauf durch die Innsbrucker 
Regierung die Rodlohnverhältnisse der Fubrleute auf der oberen 
Straße geordnet und zugleich die im Februar 1597 noch u- 
erledigt gebliebenen Streitpunkte zwischen den Kaufleuten und 
‚einzelnen Rodorten der unteren Straße wie (Bruneck) entschieden’). 


vereins-Archiv, Fasc. XVIII. Nr. 2. — Ferner den Abschied der Innsbrucker 
Regierung vom 19. Febr. 1597. Beilage E. zu der Relation vom 10. Febr. 

1) Vgl. hierzu den Rodbrief Kaspar Pönfells, Pflegers zu Werdenfels, vom 
26. April 1597, desgl. den Vergleich der Ammergauer mit den Kaufleuten 
vom 22. Febr. 1597, sodann den Vergleich der Schongauer mit den Kauf- 
leuten vom 22. Juni 1597, Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. XVI. Nr. 15. 

2) Der Schongau-Augsburger Rodvertrag vom 22. Juni 1597 als An- 
hang zu den Beilagen der Abhandlung von der Ober-Österreichischen Regierung 
zu Innsbruck im Monat Februar 1597 beigegeben. Augsb. Handelsvereins- 
Archiv, Fasz. XVI. Nr. 15, Beilage IX. 

8) Relation über die Abhandlung vor der kaiserlichen Ober-Österreich* 
schen Regierung und Kammer zu Innsbruck, das Rodwesen durch die Graf: 


Das Rodwesen Bayeıns und Tirols im Spätmittelalter etc. 591 


Das Resultat dieser Kommissionshandlungen, die sich vom 
7. August bis zum 10. September 1597 hinauszogen, war eine 
durchgehende Erhöhung der Rodlöhne von Heiterwang bis Grigno 
sowie des Lohnes der Fuhrleute zu Bruneck. Die Rodleute der 
oberen Straße dagegen erboten ‚sich in den mit ihnen abge- 
schlossenen Verträgen, alle Mängel und Beschwerden abzustellen 
und alles in guter Ordnung zu erhalten. 


3. Die Augsburger Gutfertigerordnung von 1597/98 
samt Annexen und die Ordnung der Gutbestetter 
vom Jahre 1612. 


Zu derselben Zeit, in der die Augsburger Kaufmannschaft 
ihre Beschwerden bei der oberösterreichischen Regierung in Inns- 
bruck (Sept. 1596) angebracht hatte, hatten die Roddeputierten 
des Jahres 1596, L. Liedel und M. Pfeiffelmann, ein Bedenken 
an den Rat ihrer Vaterstadt gerichtet, worin sie die nach ihrem 
Ermessen notwendigen Mittel zur Richtigmachung des zerrütteten 
Rodwesens zur Erwägung stellten. Dieses Anbringen, zum Teil 
auf das Bedenken vom Jahre 1581 zurückgehend, faßte folgende 
Änderungen im Rodwesen ins Auge: Erstens sollte die Anzahl 
der für eine Condutta zulässigen Wagen auf dreißig beschränkt 
werden; zweitens sollte kein Kaufmann, der seine Güter auf 
eigener Achs von Venedig herausbefördere, die Erlaubnis haben, 
die Güter anderer Handelsleute aufzunehmen; drittens sollte be- 
bufs Abstellens des Ein- und Überfahrens auf der Strecke der 
abwechslungsweise Gebrauch der Rod- und Eigenachsfuhren ganz 
verboten sein '). 

Diese Vorschläge, von denen besonders die beiden letzteren eine 
bedenkliche Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit in 


— ui 


schaft Tyroll bei der Oberen, auch eines Theils der Unteren Straße und 
anderen mehr Orten betreff., so beschehen vom 7. August bis auf den 10. Sep- 
tember 1597. Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. XVI. Nr. 9. 

1) Bedenken, auf Verbesserung das Rodwesen angehend, erstattet von 
L. Lidel und Mart. Pfeiffelmann, Deputierten zum Rodwesen, 19. Sept. 1596. 
Beilage 2 zu dem Für- und Anbringen des Deputierten zum Rodwesen an 
den Rat von Augsburg, Augsb. Stadtarchiv. Vgl. außerdem des Verf. Ab- 
handlung: Augsb. Warenhandel etc. 


592 Johannes Müller 


sich hielten, wurden von-der Mehrzahl der Augsburger Kaufleute 
auf das energischste bekämpft und die Ordnung des Gutfertiger- 
wesens, die in mancher Hinsicht dringend notwendig war, infolge- 
dessen auf ein weiteres Jahr hinausgeschoben. Erst die Er- 
fahrungen, die die zu den Innsbrucker Rodtagen abgesandten 
Deputierten der Augsburger Kaufmannschaft hinsichtlich der Un- 
ordnungen im damaligen Speditionswesen zu sammeln Gelegen- 
heit hatten, sollten die Angelegenheit zur Entscheidung bringen. 
Die beiden Abgeordneten der Augsburger Kaufleute, Christoph 
Schmidt und Jak. Nepperschmidt, schlossen ihren Bericht über 
die Innsbrucker Rodhandlungen vom Jahre 1597 mit folgenden 
Worten: „Darneben khunden wir aber unangezeigt nit lassen, 
daß uns in dieser wehrenden Commission von den Rodleuten 
auf unsere Beschwerden mehrmalen entgegengeworfen worden, 
es sei die Schuld nit ir der Rodleut, sondern vielmehr der Guet- 
fertiger und ihrer Diener, welche selbsten über die Ordnung 
schreiten, allerlei Überlohn geben, einander ein- und fürfabren, 
auch die Diener manchmal lang sich mutwillig aufhalten und 
alsdann die Fuhrleut unter einest zu übertreiben vermeinen, da 
sie sonsten, wann sie geburenderweis nach einander fortführen, 
einen jeden wohl fertigen thundten und die Waren nit so häufg 
zusammenkommen oder also so lang verliegen bleiben wurden, 
dannenhero die unvermeidliche Notdurft, daß man zuvorderst mit 
denselben auch eine Ordnung machen und eine starke Straf 
darauf setzen thue, dann sonsten alle gute Ordnung sambt den 
aufgewendten Unkosten, Mühe und Arbeit vergeblich und ur- 
sonst wäre.“ 

Diese Mahnung hatte zur Folge, daß man in Augsburg im 
Nov. 1597 eine eigene Gutfertigerordnung errichtete, deren elf 
Artikel sich im wesentlichen auf vier strittige Punkte des bir 
herigen Speditionswesens bezogen, nämlich auf die durch ds 
Los zu entscheidende Reihenfolge bei der Abfahrt der Baller- 


führer von Venedig, auf die für eine Condutta zulässige Wagen _ 


zahl (30 Wagen auf der unteren Straße, 35 Wagen auf der 
oberen Straße), auf das Verbot des gegenseitigen Vorfahren 
sowie des Überspringens der auf der Rod gefertigten Güter und 
auf die Pflicht der Gutfertiger, den von den Kaufleuten verort- 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 593 


neten Büchsenmeistern einen spezifizierten Auszug über die von 
ihnen herausgefertigten Waren zuzustellen. Diesen in Artikel 
1, 2, 3, 4, 5, 6, 10 und 11 der neuen Gutfertigerordnung auf- 
gestellten Anordnungen waren dann noch in dem 7., 8. und 
9. Artikel Strafbestimmungen für etwaige Übertretungen der An- 
ordnungen beigefügt, die, mit einer Geldstrafe von 25 fl. bei 
einmaliger Verfehlung gegen die Ordnung beginnend, bis zum 
völligen Ausschluß aus der Genossenschaft der Gutfertiger aus- 
gedehnt werden konnten'). 

Zu dieser Gutfertigerordnung vom 15. Nov. 1597 erwies sich 
schon nach Ablauf eines halben Jahres eine Ergänzung notwendig, 
indem nämlich am 31. Mai 1598 zwischen den damaligen Rod- 
deputierten und den Gutfertigern ein Vergleich über folgende 
Punkte beschlossen wurde ?). 

1. Die Anordnung vom Jahr 1597 bezüglich des Abfahrens 
der Gutfertiger von Venedig in einer durch das Los bestimmten 
Reihenfolge gilt nur für den Fall, daß zwei, drei oder mehr Gut- 
fertiger zugleich miteinander zur Abfahrt in Venedig gefaßt 
sein sollten. 

2. Die Gutfertiger sind schuldig, bei einer Condutta von 
mehr als zwanzig Wagen entweder selbst neben einem tauglichen 
Knecht anwesend zu sein oder für die Begleitung einer solchen 
Condutta durch zwei verrichtsame Knechte zu sorgen. 

3. Die Condutten sind durch die Gutfertiger selbst oder 
durch die von ihnen bestellten Stellvertreter auf der oberen 
Straße bis Imst, auf der unteren Straße bis Mittenwald 
herauszuführen; erst nach Verbringung der Güter in die daselbst 
befindlichen Pallhäuser ist der Gutfertiger zur Übernahme einer 
andern Condutta in Venedig berechtigt. 

4. Ausnahmsweise dürfen die Gutfertiger, wenn sie zu Venedig 
mit fünfzehn Wagen gefaßt sind, eine solche kleine Condutta 
unter Begleitung eines Knechtes vorausschicken und mit dem 


1) Vgl. des Verf. Abhandlung: Augsburgs Warenhandel mit Venedig etc. 
(Archiv für Kulturgeschichte, herausgegeben von STEINHAUSEN, |. S. 326 etc). 
2) Vergleichung mit den Gutfertigern auf ult. Mai anno 1:98 init ihnen 
abgeredt und beschlossen. Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. VII. Nr. bb. 
Vierteljebrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 89 


594 Johannes Müller 


Rest unter eigener Führung oder unter Führung eines zweiten 
Knechtes nachfahren. 

5. Da laut fleißiger Zusammenrechnung der Gutfertiger für 
die Herausbeförderung eines Saumes von Venedig nach Augs- 
burg an Unkosten (Belohnung und Zehrung der Knechte, Zoll, 
Haus-, Wag- und Trinkgeld) in allem 15 fl. erwachsen, so werden 
den Gutfertigern für den Transport eines Saumes von Venedig 
nach Augsburg auf der oberen Straße 16 fl, auf der unteren 
Straße 16'/4 fl. Fuhrlohn bewilligt. 

Eine weitere Mafregel des Augsburger Rates vom Jahre 1598 
war der Erlaß einer Instruktion für die Assistenten der Gutfertiger, 
d. h. diejenigen Beamten, die die Güter in Venedig anzunehmen 
und abzufertigen hatten‘). Diese Instruktion enthielt in sieben 
Artikeln folgende Bestimmungen: 1. Die von den Consoli dei 
mercantia in Venedig bestätigten Gutfertigerassistenten dürfen 
zugunsten irgendeines Gutfertigers beim Abfertigen der Güter 
keine Falschheit gebrauchen. 2. Jeder Assistent hat zur Ver- 
sicherung der Kaufleute und Gutfertiger eine Kaution von 
1000 Dukaten zu stellen. 3. Sie haben beim Auflegen und 
Ausbinden der Güter persönlich anwesend zu sein, damit kein 
schadhaftes Gut gebunden werde. 4. Sie haben die Fuhrbriefe 
samt dem Geld und ein Verzeichnis des Gewichts und der 
Nummern der Condutten nach Verladung der Güter in die 
Schiffe den Gutfertigern unverzüglich durch die Post heraus 
zuschicken. 5. Das auf Rechnung der Güter empfangene Geld 
haben sie dem Wagenzugführer oder dessen vertrautem Knecht 
durch gewisse Gelegenheit nach Tervis (untere Straße) oder Bas- 
sano (obere Straße) zu schicken. 6. Sie haben die Fuhrbriefe 
sowohl hinsichtlich der Höhe des Fuhrlohnes (16 fl. pro Saum 
auf der oberen Straße, 16!/4 fl. pro Saum auf der unteren Straße) 
als auch die Lieferungszeit genau zu prüfen. 7. Sie sollen auf 
das für die Güter eingenommene Geld durch Auswechseln et. 








1) Verzeichnis der Articul, wessen derjenige, so den guetfertigern di 
gueter in Venedig annemen soll, sich zu verhalten, damit den Herrn kauf- 
leuten sowohl auch den guetfertigern dadurch gedient werden und dergleichen 
unordnung im aufnehmen, wie bisher etlich mal beschehen, verhüet werd. 
Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. II. Nr. 4, Gutfertiger betreff. 





Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 595 


keine Finanz treiben, den Gutfertigern um alles Empfangen und 
Ausgeben bei einer Condutta ein ordentliches Konto geben und 
zeitlich berichten, wann sich ein Gutfertiger hineinbegeben soll. 

Zu gleicher Zeit, da den Gutfertigern diese ihre bisherige Frei- 
heit etwas beschränkenden Bestimmungen auferlegt wurden, 
wurden durch ein Dekret des Augsburger Rates die bereits im 
Jahre 1593 angeregten Änderungen in dem Rodkassawesen zur 
Ausführung gebracht, d. h. die Zollgebühren, die die Kaufleute 
bisher zur Bestreitung der auf das Rodwesen aufgehenden Un- 
kosten am Roten Tor in Augsburg erheben durften, vereinfacht. 
Bis dahin wurde nämlich von jedem Zentner Wolle, die aus 
Venedig eingeführt wurde, als Zoll 1 kr. und von jedem Zentner 
Gutes, das von Bozen heraus und nach dorthin ausgeführt wurde, 
1 2$£ Zoll erhoben. Durch ein Ratsdekret vom 15. Nov. 1597 
wurde bestimmt, daß diese beiden Zollauflagen von nun an weg- 
fallen, dafür von jedem Zentner ein- und ausgeführten Gutes 
am Roten Tor 2 „$ Zoll gezahlt werden sollten. Gegen diesen 
allgemeinen Rotentorzoll von 2 „$ pro Zentner protestierte im 
Jahre 1598 eine Anzahl Nürnberger Kaufleute, die nach Bozen 
Handelschaft trieben, mit der Begründung, daß sie, da sie ihre 
Güter auf eigener Achse nach Bozen hinbrächten und ebenso 
herausführten, zur Bestreitung der auf das Rodwesen gehenden Un- 
kosten der Augsburger Kaufleute nicht angehalten werden könnten. 
Nachdem jedoch durch Kundschaftseinziehung bei den Schon- 
gauern den Nürnberger Händlern nachgewiesen worden war, 
daß sie sich der Rod vielfach gebrauchten, mußten sie sich der 
neuen Zollauflage ebenso wie die Augsburger Kaufleute unter- 
werfen |). 

Bald nach Erlaß dieser Anordnungen des Augsburger Rates 
über das Speditionswesen trat in dem Wollhandel insofern eine 
bedeutsame Veränderung ein, als die Augsburger die Wolle 


1) Vgl. hierzu: Beschwerde der Nürnberger, nach Bozen handeinden 
Kaufleute über den 2 3-Zoll pro Zentner Gut, von Bozen oder nach Bozen 
auf der Rod zu führen vom 1. Febr. 1598. Außerdem: Schließlicher Bericht 
mit eingesandten Beweis und notdürftiger Ablainung der Deputirten zum Rod- 
wesen alhie zu Augsburg contra die Nürnberger nach Bozen handelnden 
Kaufleute 27. März 1599. Augsb. Stadtarchiv. 


596 Johannes Müller 


nicht mehr wie bisher zum größeren Teil aus Venedig, sondem 
aus Frankreich und den Niederlanden bezogen, wodurch die 
Gatfertiger in ihrem Verdienst merklich geschmälert wurden. 
Auf Antrag der Roddeputierten erfuhr deshalb die Gutfertiger- 
ordnung vom Jahre 1597 im Juli 1611 eine weitere Ergänzung 
durch sieben Zusatzartikel folgenden Inhaltes: 1. Die Zahl der 
für eine Condutta zulässigen Wagen wird auf 20 bezw. 25 
herabgesetzt; 2. als Lieferfrist der Güter von Venedig bis 
Augsburg wird die Zeit von 8 bis 9 Wochen bestimnt; 
3. den Gutfertigern wird die Begleitung der Condutten bis zur 
Lände in Schongau zur Pflicht gemacht; 4. den Augsburger 
Handelsleuten ist die Beförderung ihrer Güter durch andere 
Frachtfuhrwagenleute als die bestellten Gutfertiger untersagt; 
5. der Frachtlohn für einen Saum von Venedig nach Augsburg 
wird auf beiden Straßen auf 16'/ fi. festgesetzt; 6. die Zahl der 
Wollballen, die ein Wollhändler in einer Condutta unterbringen 
darf, wird auf 24 beschränkt; 7. die Benützung der Straße über 
Verona statt über Bassano ist gänzlich untersagt. Diesen des 
freien Güterverkehr ziemlich einschränkenden Bestimmungen von 
23. Juli 1611 war bereits am 12. Juli 1611 ein Ratsdekret voraus 
gegangen, das eine noch stärkere Einschränkung der Handels 
freiheit der Augsburger Kaufleute gegenüber den fremden Kauf- 
leuten bedeutete, indem dasselbe den Augsburger Wollhändler 
das Herausführen der Wolle aus Venedig durch ihre eigenen 
Diener direkt verbot und sie anwies, bei der Beförderung der 
Wolle sich ausschließlich der bestellten Gutfertiger zu gebrauchen. 

Die letzte in diese Periode fallende Mafregel des Augsburger 
Rates zur Ordnung des Rodwesens ist die am 26. Juli 1612 
aufgerichtete Ordnung der Augsburger Gutbestetter'), die folgende 
sieben Bestimmungen für diese in dem Augsburger Rodwesea 
erst Ende des 16. Jahrhunderts zu findenden Organe enthielt: 

1. Die Verpflichtung, die Namen der Fuhrleute und die Zei 
ihrer Ankunft auf einer Tafel in der Wage aufzuschreiben. 

2. Das Verbot, die Fuhrleute auf der Straße aufzufangen und 
ihnen die Einkehr in besondere Gasthäuser zu empfehlen. 


u 1) Siehe Beilage X. In Nürnberg war schon 1587 eine Güterbestetter 
ordnung erschienen. Vgl. RoTH, Gesch. des Nürnb. Handels, IV. S. 841. 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 597 


3. Das Gebot, die Fuhrleute genau in der Reihenfolge wieder 
wegzufertigen, in der sie in Augsburg angekommen waren. 

4. Das Gebot, dem Leumund der Fuhrleute nachzuforschen 
und die Güter nur unverdächtigen, zuverlässigen Fuhrleuten an- 
zuvertrauen. 

5. Das Gebot, den eingenommenen Lohn unter sich gleich zu 
teilen, wenn der eine Gutbestetter auch mehr Güter weggefertigt 
habe als ein anderer. 

6. Das Gebot, genaue Verzeichnisse über die Eigentümer der 
Güter sowie über die Zeichen, Marken und Nummern der letzteren, 
sodann über die Namen und die Ankunft der Fuhrleute zu führen. 

7. Die Bestimmung, daß die Gutbestetter von den Fuhrleuten 
nicht mehr Lohn als 2 kr. pro Zentner für ihre Bemühungen 


verlangen dürften. 


x * 
+ 


Überblickt man die Entwicklung des bayerischen und Tiroler 
Rodwesens im 16. Jahrhundert im Zusammenhang, so fällt einem 
als das erste bezeichnende Merkmal desselben die konstant 
fortschreitende Lohnsteigerung auf, die in der Weise 
vor sich ging, daß die Rodlöhne sieh am Ende des 16. Jahr- 
hunderts gegen den Anfang desselben etwa verdoppelt hatten. 
Denn nach einem am 28. Juli 1565 an die Innsbrucker Regierung 
erstatteten Bericht der Augsburger Kaufleute betrug der Rodlohn 
für den Transport eines Saumes von Venedig nach Augsburg am 
Anfang des 16. Jahrhunderts 8 fl., zur Zeit der Berichterstattung, 
also etwa Mitte des Jahrhunderts, 12 fl.') Am Ende des Jahr- 
hunderts aber war dieser Lohn, wie oben dargetan, bereits auf 
16 fl. gestiegen. 

Als zweites charakteristisches Moment in der Entwicklung 
des bayerischen und Tiroler Rodwesens in dem hier in Frage 
kommenden Zeitraum ist das Zurückgehen der Zahl der 
Rodfuhren gegenüber den Eigenachsfuhren zu betrach- 
ten, eine Tatsache, die auch anderwärts (Schweiz etc.) in die 
Erscheinung trat und auf das Unvermögen der halb der Land- 
wirtschaft, halb dem Fuhrmannsgewerbe sich widmenden Rod- 


ee | 


598 Johannes Müller 


leute, den gesteigerten Warenverkehr zu bewältigen, zurückgeführt 
werden muß!). Nach einem Bericht der Augsburger Roddeputierten 
an den Rat von Augsburg vom Jahre 1611 wurde damals ebe- 
soviel Wolle durch die Wollhändler selbst wie durch die Rod- 
fuhrleute von Venedig nach Augsburg befördert, ein Umstand, 
der dem Institut der Gutfertiger eine stets wachsende Bedeutung 
verleihen mußte?).. Aus dieser erhöhten Bedeutung der Gut- 
fertiger erklären sich dann wiederum die am Ende des 16. und 
anfangs des 17. Jahrhunderts vom Augsburger Stadtregiment 
getroffenen Maßregeln zur Ordnung des Gutfertigerwesens, die auch 
diese bisher ziemlich frei schaltenden Verkehrsorgane strengeren, 
zunftähnlichen Regeln unterwarfen. 

Als dritter charakteristischer Zug in der Ausbildung des Rod- 
wesens Bayerns und Tirols im 16. Jahrhundert kann das Be- 
streben der einzelnen Gemeinden und zum Teil auch 
der betreffenden Landesregierungen angesehen werden. 
durch den Erlaß besonderer, zugunsten der Rodfuhrleute ge- 
troffener Anordnungen das Neben- oder Eigenachsfuhr- 
wesen möglichst einzudämmen und den Rodleuten 
den Hauptanteil an der Beförderung der Kaufmanns 
güter durch die Ostalpen zu sichern. 

Dieses Bestreben, das bis jetzt noch ziemlich freie Transpor- 
gewerbe gleichsam in zünftische Formen zu bringen, fiel ja mit 
dem allgemeinen Zug der Zeit, jede gewerbliche Tätigkeit aufs 
genaueste durch obrigkeitliche Anordnungen zu regeln, zusammen, 
. 1) Die gewöhnliche Annahme, daß der Güterverkehr zwischen Süddeutsch- 
land und Italien im Laufe des 16. Jahrhunderts zurückgegangen sei, mub, 
was Augsburg betrifft, entschieden als irrig bezeichnet werden. Nach den 
Registern des Rotentor-Zolles, von denen in den noch vorhandenen Schrifier 
der Kaufmannsstube glücklicherweise wenigstens einige erhalten gebliebea 
sind, betrug das Gewicht der vom Oktober 1588 bis Oktober 1589 durch das 
Rote Tor gehenden Güter rund 30000 Ztr., dagegen das Gesamtgewicht der 
vom Dezember 1597 bis Dezember 1598 das Rote Tor passierenden Güter über 
60000 Ztr. Vgl. Nr. 59 Fasc. LXXXX. Rottorzollbüchl des Pankraz Böckla 
von 1538—1540, sodann XI. Fasc. Gemainer Handelsleut neu Contribution - 
Schuldbuch über die Güter, so nach Italia durch Tirol heraus- und bhineis- 
gefüret werden, gehalten wird, die 2 À von 1 Centner betreffend, 15%. 


2) Vgl. des Verf. Abhandlung, Augsb. Warenhandel etc. Archir fir 
Kulturgeschichte I. S. 336. 








Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 599 


widersprach aber doch einem Hauptgrundsatz gedeihlicher Handels- 
tätigkeit, nämlich dem Befinden des Handelsstandes die freie 
Wahl sowohl der Verkehrswege wie der Transportgelegenheiten 
zu überlassen. Die Mißachtung dieses Grundsatzes hat in der 
Folgezeit neben anderen Ursachen zu einem stets fortschreitenden 
Rückgang des ostalpinen Transithandels von Deutschland nach 
Italien geführt. Erst nach bitteren Erfahrungen ist man auch 
in Bayern und Tirol zur Erkenntnis der Wahrheit gekommen, 
daß „das Commercium und alle seine Zweige, also auch das 
Fuhrwesen, sich an keine feste Ordnung fesseln lassen, wenn es 
nicht leiden soll“. 


Beilage I. 
Entwurf auf Monat August anno 1668. 


Was ein Wagensaum (4 Ctr.) gemainer Güter von Venedig 
biß nach Augsburg im Furlon, Zöll, Niderlag- und Factorengelt 
neben ander Uncosten, netto gerechnet, costen thuet, wie folgt. 

fl. kr. 
Denen Calligari, Soranzo und Moschin zallen wir von 
einem Wagensaum Wien. Gewichts Fracht von Venedig 
samt Zöll und allerhand Uncosten biß nach Bozen 


im selbigen Pallhauß . . . . . . + + + 10 30 
Niderlag und provision zu Bozen vom Saum 0. 6 
Zollstangenzoll am Außgang zu Bozen . . . — 24 
Fracht von Bozen nach Brixen vom Saum Wien. franco 

aller Zoll. . . . . ee ee + + + 2 — 
Uncosten zu Brixen vom Saum . .. +. +. + — 4 
Fracht von Brixen nach Sterzing vom Saum . . . + 1 4 
Zu Mauls zallen wir von 16 Ctr. Niderlaggelt 2) kr. vom 4 
„nn » » n n nn Ansaggelt. 3) Saum 


Zu Sterzing Factorengelt von 12 Wagen oder 200 Ctr. 

1 fl., Ansaggelt von einem Wagen oder 16 Ctr. 4 Kr., 

Niderlaggelt von einem Wagen 3 3 Kr., betrifft von 

einem Saum . . . mn fd 
Fracht von Sterzing bis am Lueg vom Saum . — 36 
Zoll-Buex vom Ctr. Weinber und Paumwoll 3 Kr., 


600 Johannes Müller 


Seide 2 Kr., in einander eine War der andern zu 
hilf vom Saum . 

Ansag-, Wacht- und Factorengelt vom Saum wie zu 
Sterzing 

Zoll am Lueg von Weinber, Saiffen u. 1, dergl. schlechten 

' Waren vom Ctr. 3 Kr. und bessere Waren 6 Kr., 
eins dem andern zu hilf vom Saum . 

Fracht vom Lueg nach Matrey vom Saum . . 

Zu Matrey Factorengelt von 12 Wägen, 180 in 200 Ctr., 
zallt man 1 fl, Ansaggeld vom Wagen 4 Kr., 
Niderlaggelt von 16 Ctr. 3 Kr., betrifft ungefar auf 
einen Saum . en 

Fracht von Matrey nach Innsbruck vom Saum 

Zoll zu Innsbruck, eine War der andern zu hilf, vom 
Ctr. 1 Kr., Niderlaggelt von 1 Collo (d. i. 2 Ctr.) 
3 Kr. thut vom Saum 

(Dagegen gibt man zu Innsbruck weiter kein Factoren-, 
Wacht- und Ansaggelt.) 

Fracht von Innsbruck nach Seefeld vom Saum . 

Zoll zu Zirl, von allen Waren gleich, nämlich vom Ctr. 
3 +5, thuet vom Saum 

Zu Seefeld gibt man dem Gastgeber alda als. eine Ver- 
ehrung von einer Condutta von 600—1000 Ctr. 1!/: 
bis 2 fl., also vom Saum en 

Fracht von Seefeld nach Mittenwald vom Saum | 

Zoll zu Mittenwald, eine War der andern zu hilf 1 Kr., 
1 Heller der Ctr., Ansag- und Factorengelt von einer 
ganzen Condutta (bis 1000 Ctr.) 1 fl. 30 Kr., Nider- 
laggelt von 1 Collo 5 schwarze .#, thuet von einem 
Saum 

Fracht von Mittenwald nach Partenkirchen vom "Saum 

Niderlaggelt zu Partenkirchen von einem Ballen Baum- 
wolle 1!/s Kr., und zum Gotteshaus von einem Collo 
2 schwarze „$, Ansaggelt von einem Wagen 2 Kr., 
Faktorengelt von einer ganzen Condutta 1 fl. 30 Kr., 
thuet vom Saum ee . 


. kr. 


18 
18 


39 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 


Fracht von Partenkirchen nach Oberammergau vom Saum 

Wachtgelt zu Ammergau von wenig oder vil Gut jede 
nacht, weil’s kein versperrtes Pallhauß hat, 12 Kr., 
Niderlaggelt von einem Ballen 3 Kr., von einer 
ganzen Condutta Factorengelt 1 fl. 30 Kr., thun die 
Uncosten vom Saum . 

Fracht von Oberammergau nach Schongau vom "Saum 

Wachtgelt beim Lech alle Nacht um vil oder wenig Gut 
18 Kr., Zoll zu Schongau von einer Rod (36—40 Ctr.) 
dem Senner 18 Kr., dem Wagmeister auch 18 Kr., 
welches aber unpillich und weder der Senner noch 
der Wagmeister keineswegs befugt sein, von den 
Gütern, so nit hinauf in die Stadt kommen, etwas 
zu fordern, wie dem allem thut der Saum... auf .. 

Fracht von Schongau nach Augsburg auf dem Lech von 
einer ganzen Rod (36—40 Ctr.) von Michaeli bis 
Georgi 6 fl. 34 Kr., von Georgi bis Michaeli 6 fl., 
vom Saum ineinander 

Uncosten zu Augsburg, nemblich Wachtgelt auf dem 
Lech jede Nacht, wenig oder vil Gut 30 Kr., Furlon 
vom Floß in die Stadt vom Ctr. 3 Kr. thut vom 
Saum 


Summa: 
Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. VIII. Nr. 13. 


Beilage II. 
1337. März 27. 


fl. 


uud 


22 


601 


kr. 
33 


13 
15 


Ich Seybold von Colfoß, richter zu Aufenstain am herru 
Volkhamr stat und an seiner gesellen stat vergnihe und thne 
khundt allen den, die diesen brief sehend oder herendt lesen, das 
für mich khomen die pauleuth ob der Vinaders und ab dem 
Ritten gemainelich und etlich pauleuth vom Steinach und zaigten 
mir ein haubtbrief von meiner herrschaft von Tyrol, daran stund, 
das sy das druckhen guet, das man da fuert von dem Lueg gen 
Matray und von dem Lueg gen Sterzingen, durch recht und alter 


602 Johannes Müller 


gewohnheit fueren sollen und anders njemant, und solte sy auch 
daran bescheinen von der herrschaft wegen, das beschwert die 
andern pauleute, und sagten darwider, sy solten es durch recht 
und von alter gewohnheit also wol füeren, als sy, und begerten 
eins rechten darumb geen in, da gebot ich inen baidenthalben 
für mich auf das recht, das sy es aufbrechten gegen einander 
mit dem rechten, da khomen sy für mich auf das recht mit vor- 
sprechen, da wurden sie beweist von andern leuthen, das sy des 
vorgenanten kriegs baidenthailen mit gemainem rath und mit 
gueten willen und mit vorbedachten mueth, gingen hinter erbar 
leuth, die sy baidenthalben darüber namen und die hernach be- 
schriben steend, was die erfunden und gesprochen. Von irend 
threuen und von iren gewissen, welliche die wehren, die das 
druckhen guet fürbas fueren solten und anders niemandt, da: 
solt ein fürgang haben und solt auch anders niemandt fueren. 
und solt auch fürbas nimmermehr khein krieg darumb werdeı. 
die haben darüber gesprochen und erfunden von iren threuen 
der urbaren und der pauleuthen die wägen zu fueren, als hernach 
geschriben steet des ersten soll ein wagen fueren Conrad von 
Stockhach, der Velter an der pruggen ein, heinrich der Vogel ein. 
Getschel und Berchtold ein halben wagen, von des Gaulters lehen 
und der Gaulter ein halben Wagen, von Plenckhenhof ein. 
zu der Hueben drei, in dem Sachsen zwei, der Zarer ein, Kruize 
danz dem furte ein, der Kurter ein, der Schmid in dem Velten 
ein, Conrad der Mullner ein, Andre an dem Lueg ein, undter der 
Clame ein, der Pallmer ein, der Reihe ein, der Rötschen dans 
dem See ein, Hainrich auf dem Steine in dem Vilten ein, Her- 
man daselbs ein, der Franke ein, Heinrich des Goldschmidt 
Aydam ein, Dietmar und die Witib in dem Ritten ein, Cristan in 
Phruns ein, auf der Eben zween, Fürbenschreiner ein, Kürzmanit 
ein, in der Lüebl ein, der Nessnen danz St. Leonhart ein, der 
Hadirniger ein, die sechs höf auf Vinänders zwelf wägen, auf 
der Platz ein, zur Prantstat ein, der Vent ein, Tollütscher zweer, 
der Probst von Egg ein, Molgenhof von Egg zween, Rodolf von 
Egg zween, Kruz in der Waldeben ein, Ulrich ob der Colfen eins, 
der Helt ein, der Nuser ein, Hanns Chnil in dem Pach ein, Par 
wiser ein, Conrad der Zährer zween, Meinhart ein, zu dem Podes 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 603 


der Kruz, des Zwangerers sun, ein, diese sachen und dieses 
krieges sind sprecher und thadinger gewesen; Heinrich der 
Schmirner, Heinrich der Lampert, Eberhart der Probst von Müllen, 
Heinrich der Prenner, Heinrich der Haubler, Conrad der Synser, 
Perchtold von Stainach, und darüber, das dieser spruch und diese 
thäding fürbas steeth und ungebrochen bleiben, haben die vor- 
genannten sprecher erfunden und gesprochen, das ich den vor- 
genannten pauleuthen dieser thädunge und dieses spruchs meinen 
brief geben han mit meinem anhangenden insigel. Das ist ge- 
schehen nach Christi geburt im 1337. jar am Rupprechtstag in 
der fasten. 
Augsb. Handelsvereins-Archiv, Fasc. XVI. Nr. 1. 


Beilage III. 
Von Ballenbindern. Anno 1420. Dez. 14. 


Sambstag nach St. Lucien-Tag haben wir die ratgeben der statt 
zu Augsburg, ain helliklich mit klainem und allem rät als durch 
gemains nuzes und notdorfft willen in der nächstgeschribenen 
sach von unsern lieben mitbürgern und kouffleuten etliche ge- 
brechen, die sy an binden und bindern hie ze der statt, die man 
nennt die ballenbinder, gehebt händ, vernomen und von in aigen- 
lich verstanden, also das durch dieselben binder burger und geste 
furleut und andere, wie die genennt sind, ye ainer fur den andern, 
als mit binden und laden offt gefürdert sind oder gehindert, 
nach gunst der binder und auch von inen beschwärt und über- 
nomen werden, anders dann umb pillichen oder vorthailichen 
bedenkt, solichs furzukomen und zu wenden, so haben wir in 
die nachgeschribene ordnung und gesetzte mit ainem wolbedach- 
ten mut und gutem raut gesetzt und gemacht, als hienach under- 
schaiden ist. 


Ballenbinden. 


1. So ist ungere maynung, das sy auff zwei parthyen binden 
söllen, umb das menigklich dester bas gefürdert werden möge 
und wo ain parthy eingant ze binden, das dann die ander parthey 
daselbs nit eingan sol ze binden auf die zeit, und weder clain 
noch groß miteinander binden sollen, und ob ain kouffmann oder 


604 Johannes Müller 


ein anderer beid parthy lätt mitainander ze binden, das sy dea- 
noch mitainander nit binden sollen, in dehain wy£. 

2. Wer sy bitt ze laden, das sy dem auch laden sollen, on 
verziehen ungevarlich, welich parthey darzu gebetten wirt. 

3. Und ob sich fuegte, das der ander tail ungebetten darzu 
gienge, so sollen und mögen sy wol mitainander laden und was 
in der laderlon gebürt einnemen von kouffleuten, es sey burger 
oder gest, das sy das gelt geleich mit ainander tailen sollen, 
nach anzal der person, die denn geschworn binder sind auf baiden 
parthyen. Welch tail aber knecht genennt tagwärker, die söllen 
kain anzal des laderlons einnemen dann irn gedingten lön. 


Vom Binden. 


Item man sol in geben ze binden von jedem fardel 10 4 
und weder wein noch nichts mer, deßgleichen sol man in geben 
von ainem säm an ainem bällin 8 „${ und was sein mer ist, da 
sol man in geben von jedem zentner 2 „$ und nach anzal un- 
gefarlichen. 

Item man sol in geben von ainem fardel ze laden der kouf- 
man und der furman jeder 1 .£ und nit mer, deßgleichen von 
ainer lägel öls 1 .$ jeder tail. 

Von ainer tunnen häringe 1 $ jeder tail. 

Von 1 zentner schmär jeder tail der kouffman und der fur- 
man 1 Heller und nit mer. 


Auffgeber. 


Darnach haben wir gesetzt, welicher aufgeber ist oder wirdt, 
der sol nemen ze aufgeben von ainem wagenman 6 „$ und von 
ainem karrenman 3 „$ und nichts mehr. Und auch vom kouf- 
man dehainer aufgeberlon, noch nichtes one geverde. 


Aufgeberlon. 
Es sol auch ir dehainer von wein, wie der genannt ist, de- 
hainerlay auffgeberlon vordern noch nemen, in dehainer weyße. 
Auffgeber und binder. 


Auch sollen auffgeber und binder die vorgeschrieben gesatst 
alle, und auch rechte pannd ze pinnden järlichen, wen man die 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 605 


ät besetzt, von neuem sweren getreulichen zehalten und ze tun, 
Ile arglist und geverde gänzlich ußgeschaiden. 


Pene. 


Und welicher es darüber bräch und überfür, das man den 
arumb als ainen mainaider erkenn und strauffe nach aines 
ıtes raut. 


Laderlon. 


So haben wir auch gesetzt dem gastgeber oder burger in des 
ofpacht wan solicher hab zesamen bringet und ladet, das der 
ırman im geben sol von jedem wagen, der da geladen wirt, 

Æ# und von dem karren 3 „$ und nit mer one geverde. 


Uber laderlon. 


Was aber geladen wurd uferhalben des haus, es sey wein 
der ander hab, welcherley das wär, davon ist man dem hußwirt 
och jemand nichts schuldig ze geben, denn den lader iren lon 
Is vor begreiffen stet. 

Die ordnung und gesatzt hant man den ballenbindern jeder 
arthy ainen zedel geben, als hievor geschrieben stet. 


Augsburger Ratsdecreta I, S. 87 etc. 


Aufgebern und ballenbindern von vardel zu 
beschlagen. Anno 1438. Nr. 18. 


Auf afftermontag nach St. Othmarstag ist durch ainen raut 
eredt worden mit den ballenbindern und aufgebern, und auch 
aff die ayd, so sy darumb gesworn händ, ernstlichen bevolhen, 
as sy hinfüro kain fardel mit iren löschen, noch anderm irem 
ezeug in dehain wyße beschlagen noch binden sollen, dann 
Ilain mit nadeln und vaden und auch mit nieman kain gemain- 
hafft haben. Und ob in yemant bösen zeug von löschen, 
lahen oder sailern darlegen welte, dem sollent sy mit demselben 
zug auch nit binden und auch kain tuch, das sy bös und un- 
erecht bedunk, nit einschlagen. Und das sy auch kainen wagen- 
‘ann, er sey burger oder gast, nit laden sollen, er sey denn 
or by ainem burgermaister geweßen und des seinen schein lossen 


606 Johannes Müller 


für sy bringen. Und das auch sunderlich mit den wagenleuten 
geredt werd, das sy niemant sein gut on glait füren söllen onn 
sein wortt und wissen. Weller das darüber tätt, den wölt man 
darumb straffen an leib und an gut und nach dem die sach ain 
gestalt an ir selbs hett oder gewinne, als auch das ein yeglicher 
wagenmann zu gott und den heiligen schweren soll. 


Augsburger Ratsdekreta I, S. 457. 


Beilage IV. 


Rodordnung der Untertanen zu Hayterwang und Reutte. 
1530. Dez. 20. 


Als eine zeither durch der kaufleut diener und ferttiger etwa 
vil mengel und beschwerden fürkhomen, das ire gueter, so auf 
der rod durch dis lande der gefürsteten Grafschaft Tyrol gefuert, 
langsam geferttigt, auch in etlichen niderlägen nit wol versorgt 
und bewart werden, darauf sich K. Mt. zue Hungarn unnd Be- 
haimb, uns. gnedigsten herrn statthalter, regenten und cammer-räthe 
d. ober-österreichischen Lande durch ire verordnete Commissari 
mit fleis erkhundigt und sollich der kaufleut beschwerdte etlicher- 
massen befunden, dagegen dieselbe commissarii die rodleut mit irer 
einred und begerung, das sy on besserung des fuerlohns dieser zeit 
und bei der grossen teurung nit besteen, noch deßhalben die roden 
mit ferttigen, noch lenger dobei bleiben muegen, genugsamblich 
gehert, wellich der kaufleut mengl und der rodleut beschwerdte 
und begerung zu beeden thaillen obermelten statthaltern, regenten 
und räthen furgebracht, auch durch sy mit sambt denselben 
commissarien notturftiglich fürgenomen, und erwogen sein und 
damit die kaufleut bei der straß durch die land bleiben, auch 
ire gueter auf der rod jeder zeit geferttigt und dann die rodleut 
auch lenger bei der fuer mit zimblicher besserung der belonung, 
die sy und die kaufleut erleiden mugen, erhalten werden, so ist 
darauf durch berürte statthalter, regenten und camerräthe vor 
landsfürstlicher obrigkhait wegen dieser zeit auf das alles eis 
abschied gemacht und geben, den beede partheyen also annemes 
und dem füran geleben und gehalten, auch die pfleger und 
richter jeder ende der roden und niderlagen vestiglich darob 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 607 


sein sollen, das dem also folg beschehe. Und laut die ordnung 
zu Haitterwang gegeben, wie hernach folgt. 

1. Nachdem die von Haitterwang mit recht erlangt haben, das 
die niderlag der gueter, so über den Fern herein in das land der 
gefürsteten Grafschaft Tyrol gefuert werden, daselbs zu Haitter- 
wang sein soll, darbei soll es bleiben. 

Als von alter her die von Haitterwang 34 wägen und die von 
Reutti 48 wägen, thuet zusammen 82 wägen schuldig sein zu 
halten, die kaufmannsgueter, so daselbs hin gen Hayterwang an 
die niderlag gebracht und über den Fern in die obberüert Graf- 
schaft Tyrol auf der rod zu füern begert werden gen Nassereit 
oder gen Ymst zu füern, sollen hinfüran auß dieser großen anzal 
12 rodfüerer mit vorwissen, rath und beysein des pflegers zu 
Ernberg, nemblich durch die von Haytterwang funf und die von 
Reüti siben, jedes jars besonders erkhiest, benennt und ge- 
halten, und ein umbgeende rod sein und bleiben. Also wann 
das jar vergangen ist, sollen alßdann andere fünf und siben aus 
inen benannt, bestellt und dermaßen für und für umbgeend ge- 
halten werden, ob sich aber die straß in gebrauchung der rod- 
güeter dermaßen meren wurd, das die gemelten zwölf geordneten 
rodwägen die güeter nit genuegsam fertigen mechten, sollen sy 
der notturfft nach ein merere anzal zu halten schuldig sein, das 
an der fertigung nit mangel erscheine. 

2. Dieselbe verordnete rodwägen sollen das ganze jar irer 
erwellung summer und winters zeit der rod fleißig warten und 
berait sein. Also wann kaufmannsgüeter gen Haitterwang an die 
niderlag khomen und als vorsteet über den Fern gen Nassereit 
oder Ymbst auf der rod zu füeren begert werden, soll der kauf- 
mannsdiener oder fertiger derselben güeter solches den pindern 
zu Reutti und Haytterwang, da jedes orts einer sein soll, mit 
aigentlicher benennung, wievil rodwägen jedes mals zu laden haben 
werden, und nemblich der zu Reutti am fürfaren ansagen, damit 
sy nit minder noch mer der fuerleut, dann jedes mals zu faren 
werden haben, erfordern oder wissen lassen und vergebenlich 
umbfahren und versäumniß vermiten bleibe. Dieselben pinter 
sollen nach der kaufmannsdiener ansagen die anzal rodfüerer, 
sovil zu laden werden haben, und an denen es jedesmals in 


608 Johannes Müller 


seinem gebiet nach umbgehender rod irer ordnung nach sein 
'wurdet, sonderlich sommerszeiten, so ire roß auf den allmen ge- 
halten und gewaidnet werden, vormittags fürderlich wissen lassen 
und zu faren gebieten. 

3. Darauf sollen dieselben rodfüerer, den man also ansagt, 
sich jederzeit guetwillig beweisen und mit iren rodwägen und 
notturftiglichen zugehörung unverzogenlich erscheinen, laden und 
anfahren und die güeter fürderlich gen Nassereit oder Ymbst in 
die niderlagen, unter die pallhäuser oder städl, dazue gehörig, 
wie sy dann zu thuen beschaiden werden, füeren und überant- 
worten, und weder auf gegenfuer noch auß kheiner andern ursach 
verziehen, auch die güeter unterwegen noch vor den pallenhäusem 
ins kot nit abwerfen. Sy die rodleut sollen auch der güetter. 
so sy aufgeladen und in ir gewarsam empfangen, guet acht und 
aufsehen haben und höchsten fleiß brauchen, daß solliche güeter 
am füeren nit beschedigt, nichts davon verloren, entfrembdet oder 
nachtälig werden. Ob aber ainicher schaden oder nachthail 
daran entstund, darin soll es gehalten werden wie von alter her- 
khomen ist, ungeverlich. 

4. Die kaufleut sollen auch ire güeter der ziffer oder zal 
nach ordentlich aufgeben oder zu thuen verordnen, damit inen 
dieselbe ire güeter nit zerthailt gefüert und von einander bracht 
werden. 

5. Sy sollen auch im ansagen nit minder noch mer wägen. 
dann sovil jedes mals zu laden haben, begeren, und den rod- 
fuerleuthen, an denen es derselben zeit sein würdet, verkhünden, 
dadurch sy nit vergebenlich um die weg gesprengt werden, das 
irig mittler zeit dahambet zu versäumen. 

6. Ob aber der aufgeber auf des kaufmanns oder seine 
dieners begeren merer wägen dann zu laden haben, begeren oder 
ansagen wurde, soll der kaufmann oder fertiger jeden rodfüerer, 
so auf sollich sein ansagen und begeren erscheinete und nit zu 
laden hat, für sein versäumnis das vollkommen fuerlon, wie 
anderer seiner mitgespanne einnem, so zu füern hat, bezallen. 
Wellcher rodfüerer aber auf das ansagen nit erscheint, und doch 
zu laden haben würd, der soll den kaufleuten, sovil das fuerlos 
hat bracht, entrichten. Welcher thail sich des aber setzen oder 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 609 


verwidern wurd, der soll, so offt sich das begibt, der obrigkeit 
desselben endt auch sovil zu straff geben, als das fuerlohn bracht 
het und des nit erlassen werden. 

7. Als den rodfuerleuten bißher von Heytterwang unzt geen 
Nassereyt, thuet virthalb meilen, von jedem centner kaufmanns- 
guet 6 kr., bringt vom wagensaum 24 kr., und geen Imbst, 
funfthalb meilen weges, vom centner 8 kr., trifft vom saum 32 kr., 
zu fuerlohn geben worden, ist inen auf ire fürgewendt be- 
schwerdten bis auf K. Mt. und derselben nachkhomen wolgefallen 
nachfolgende besserungen zu geben bewilligt, nemblich auf jeden 
wagensaum bis gen Nassereit 1 kr. und gen Ymbst 2 kr., bringt 
hinfüran von jedem saum (säm) geen Nassereit 28 kr., die sollen 
inen also darem erfolgen. — Es soll auch ein geschworener weger 
und eine fronwag alda zu Haytterwang aufgericht und gehalten 
werden. 

8. Die von Heytterwang sollen auch daselbs hin ein wolver- 
wart und gesperrt pallhauß bauen; da dasselbig pallhauß allezeit 
mit gepuren tachungen und aller notturft paulich, wesentlich und 
sauber halten, das die kaufmannsgüeter wettershalber und sonst 
darin sicher bewart, auch trukhen erhalten und ligen mugen. 
Und sollen sonst keine andere wägen noch anderes dann allein 
kaufmannsgüeter hineingestellt werden und also allezeit unverlegt 
auf der kaufmannsguet ungeirrt warten, dagegen soll inen durch 
die kaufleut von einem jeden geladenen rodwagen 
jegliche nacht, in der sie darunter enthalten, zu 
hilf und steuer 1 Kr. gegeben und sollen solche wägen, 
die über nacht zu Haytterwang bleiben, an kein ander ort, dann 
unter das pallhauß gestellt werden. 

9. Ein jeder Terfis- oder marktwagen, so geladen mit kauf- 
mannsgüetern zu Haytterwang unabgelegt durchgefüert wurdet, 
soll niderlaggeld zu geben pflichtig sein, nemblich von jedem 
roß am wagen 4 Kr. treulich und ungeverlich wie von alter 
herkhomen ist, und soll sollich niderlaggelt durch ein vertraute 
erbare und gesessene person zue Haytterwang, die 
der obrigkeit deßhalb pflicht thuen soll und durch die 
rodtüerer beeder orten jedes jarß darzue erwelt, gefordert, fleißig 


aingebracht und unverzogenlich in ein gemein versperrte eiserne 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 40 


610 Johannes Müller 


puchsen, darzue die obrigkeit einen und die rodfüerer 
zu Haytterwang den andern und die rodleut zu Reutti den 
dritten schlüssel haben sollen, gelegt und zu außgang des jarß in der 
weihnachten im beysein des pflegers zue Ernberg oder seines 
verwalters, auch dreyer von Haitterwang und dreier von Reutti 
sambt den zweien pintern eröffnet, den beiden ihre belonung, 
wie von alter herkhomen ist, davon entricht, davon dem Pileger 
zu Ernberg der zehent wagen davon geraicht und alsdann 
von dem übermaß jeden thail als denen von Haitterwang und 
Reutti, so desselben jars die rod gefüert haben und derselben 
gewertig gewesen, jedem sein geburend thail darvon gegeben 
werden. 

10. So Cammerguet oder icht in kriegsleuffen oder landsnot 
an zeug lieferung oder andern ins feld oder wohin die notturft 
erfordert auf den roden zu füeren verordnet und gebotten wurdet, 
dem soll vor allem andern gehorsambliche vollziehung beschehen, 
wie von alter herkhomen ist. 

11. Und ob khünftig noch icht mereres zu fürderlichen nutz 
und aufnemen gebrauchung der strassen dieses orts zu verordnen 
nutz und guet sein oder einich mengl, so hierin nit vermelt oder 
außtruckht, fürfallen wurden, darinnen sollen die K. Mt. oder 
derselben regierung weiter ordnung und befelch zu geben haben, 
alles getreulich und ungefärlich, deß zu urkhundt ist vorgemelter 
K. Mt. secret innsigl hieran gehengt. Beschehen am 22. December 
nach Chr., uns. l. herrn geburt im 1530. jar. 


Augsburger Handelsvereins-Archiv, Fasc. XVI. Nr. 1. 


Beilage V. 
Der Schongauer Floßleut supplication. 1548. Januar. 


Ersame, weise, günstig, gebietende herrn burgermeister und 
räte. Nachdem wir vormals auch von Euch clagsweiß umb und 
von wegen der clainen besoldung, so wir von den kaufman* 
güttern, die wir auf der rod verfüeren müssen, haben, um gun 
lich hilf und einsehung zu thun erschinen, aber gleichwohl bisher 
kain merung erlangen mugen, damit aber E. E. W. unsere be 
schwerden merer erfarung empfahen, bitten wir diese schrifte 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 611 


gunstlich zu vernemmen. Erstlich so unser ainer ein rodguett alhie 
aufladen will, muß er haben zween floß, und so der gen Stain- 
gaden khombt, muß er von denselben 2 flössen zu pinden 


geben . . . 2 2 . . . . . . . . 15 kr. 
nochmals von denselben von Staingaden bis gen 
Schongau herab (selbander) zu füeren . . 12 „ 


auf dieselben flöß mueß er haben 4 leger under 
die güetter, damit die von unden auf niht 


naß werden, costen . . . . . vw . . . 4 „ 
darzu umb die undterschlager, auch für die 

weyden und kheul . . . . 2. . . . . 6 , 
auch von der rodguet aufzuladen . . . . . 10 , 
zu Zoll . . . . . 9 , 1 hell. 
zweyen knechten, die das verfueren, für das 

morgenessen . . . 4 , 
denselben 2 knechten von \ Schongau bis gen 

Haunstetten zu lon . . . . 2 2 . . . 38 „ 
thut dieser costen in summa . . . . . 1fl. 38 kr. 1 hell. 


So ist aber unsere belonung von ainer rodgutt nit mer dan 
1 fl. 24 kr. und so nun dieselbe belonung an obgemelter ausgab 
aufgehebt wurdet, besteet, das unser ainer zu jeder rodgutt zu 
fueren seins aigen geltts hinzugeben mueß 14 kr. 1 hell. Zu 
dem allen tregt sich ye zue, das die winth und ungewitter an 
uns khombt, das wir ains tags von hie bis gen Haunstetten nit 
faren khönnen, sonder undter wegen bleiben, müessen wir den 
zweyen knechten ir jedem ains jeden tags für die zerung 12 8 
geben, das also mitt solchen fartten unser belonung, damit wir 
unser weyb und klıinder erhalten sollten, nichts über bleibt, son- 
der vorhabents gelt hinzu geben müssen; nichts weniger bishero 
E. E. W. zu günstigem gevallen und damit gemainer statt die 
freyhaitt auch zoll und mäuth durch uns niht entzogen wir auff 
pesserung gedult tragen, dieweil aber die zerung ye lenger ye 
mer theurer, das die knecht umb die alte belonung nitt mer faren 
wellen, ain merers haben, das auch die holtz ain zeitt her nur 
in aufschlag gewesen und jetzo noch vill in ain höherung, ur- 
sachen der menge volks, so jetzo an dem wasserstrome gelegen, 


612 Johannes Müller 


das holtz an denselben orten verprennt worden, khumen wirt, 
das unser vermugen nitt, umb die alte belonung die rodgutter 
zu füeren. Demnach langt an E. E. W. unser gehorsam höchstes 
bitten, die wellen derhalben einsehung thun und handlung für- 
nemen, das uns ain belonung gegeben werde, dabei wir besten 
khontten, wo aber E. E. W. solchs bey den kaufleutten nitt er- 
langen, müessen wir uns der rod verziehen und dieselben hiemit 
aufgesagt haben, da wir zu unser muehe und arbeit also in ver- 
derben khomen wurden, das E. E. W. uns nit gönnen wellen. 
Hierauf E. E. W. solches nit ungünstig anzunemen gebetten und 
hiemit bevolchen haben E. E. W. 
gehorsamen 
Mitburger gemaines 
handwerkhs die floßleutt. 


Augsb. Handelsver.-Archiv, Fasc. LXXXX. Nr. 103. 


Beilage VI. 


Vergleich in betreff des Führens der Ballen im Orte 

Valle bis zur Ortschaft Borca, 27. Oktober 1562, ge 

schlossen zwischen den deutschen Kaufleuten, die 

im Kaufhaus zu Venedig wohnen, und der Gemeinde 
und Hundertschaft von Venas. 


1. Genannte Kaufleute und Schaffner der Ballen sind von 
heute nach rückwärts gehalten und verpflichtet, nach dem Vertrag. 
der mit H. Georg Widemann aus Augsburg unter jüngst ver- 
flossenen 18. September über das Fahren der Ballen durch die 
Leute der Hundertschaft Venas abgeschlossen wurde, indem sie 
dieselben auf der Niederlage von Valle abholen und bis zur Ort- 
schaft und Niederlage von Borca fahren, 4'/: Kreuzer vom Zentner 
des Gewichts besagter Ballen zu zahlen. 

2. Besagte Kaufleute und Schaffner sind gehalten und ver- 
pflichtet, für jedes Ballenfuhrwerk einen Kreuzer für das Fuhr 
werk zu geben dem Verteiler der Ballen genannter Hundertschaft 
von Venas für das Zeichnen und Überweisen besagter Ballen. 

3. Die genannten Kaufleute sind gehalten, den Lohn für die 
Fuhren jener Ballen Tag für Tag zu zahlen oder das Geld à 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 613 


die Hand des Verteilers niederzulegen, damit die Löhne der Ord- 
nung nach befriedigt werden. 

4. Der Verteiler ist, wenn er versäumen sollte, die Ballen zu 
gebührender Zeit zu überweisen, der Strafe und dem Schaden- 
ersatz verfallen. 

5. Besagte Leute der Hundertschaft von Venas sind, nachdem 
ihnen die Ballen zugewiesen sind, gehalten, jeden Tag 12 Fuhren 
mit Ballen von den 24 Fuhren, welche die von Valle und Pieve 
zuführen, fortzuschaffen. 

6. Besagte Leute der Hundertschaft von Venas können nicht 
gezwungen werden noch verpflichtet sein, an den Tagen Ballen 
zu führen, an welchen davon ausgenommen und frei sind die 
Gemeinden von Valle und Pieve, wie an Georgi, St. Peter und 
dem Marientag im September, sowie genannte Kaufleute über- 
eingekommen sind mit jenen Hundertschaften und für ebenso- 
viele Tage. 

7. Wenn einer versäumen sollte, die Ballen abzuholen, so 
ist er einer Strafe von 12 Kreuzern verfallen und der Kaufmann 
kann seine Güter auf die Kosten des säumigen Fuhrmanns fahren 
lassen. Sind einem Fuhrmann Ballen zugewiesen und finden sich 
dieselben nicht auf der Niederlage, so sind die betreffenden Kauf- 
leute ebenso besagter Strafe von 12 Kreuzern und dem Ersatz 
des andern Schadens verfallen. 


Augsburger Handelsvereins-Archiv, Fasc. XVI. Nr. 5. 


Beilage VII. 


Vertrag zwischen der Stadt Schongau und den Augs- 
burger Kaufleuten. 1571. August 27. 


Wir bürgermaister und rhäte der Stadt Schongau bekennen 
offentlich für uns und unsere zugehörige rodleut, auch unsere und 
Ihre nachkommen thun khundt menigrlich mit disem brif, als auff 
Samstag nach Sanct Mathäi tag im jar nach der geburt Cristi 
tausend funffhundert sechs und sechzig zwischen unß und ge- 
melten unsern rodleutten an ainen und dann den ersamen und 
furnemen Matheyssen Haugen, Jacoben Greynern dem eltern und 
Lorrenz Pauhoff und allen bürgern zu Augspurg alls vollmächtigen 


614 Johannes Müller 


gewalthabern der Augspurgischen in das gepürg und Italien 
handtierenden kauffleuten am andern thail, durch zween furst- 
liche dazu deputierte herrn Commißarios ain spruch und ver- 
gleichung habender spänn und irrungen, die rhoden betreffend, 
außgesprochen, gemacht und aufgerichtet worden, welcher under 
anndern seines inhalts vermag, das die bemelte kauffleut unsern 
rhodleutten von jedem centner guett von Schongau auß biß gen 
Fuessen oder Amergau, neun kreuzer ain pfennig geben sollen, 
wie dann daßselbig von bestimbter zeit an im geprauch alßo er- 
halten worden ist, und aber jetzo von wegen unerhörter theure 
die bemelte rhodleutt sich umb solchen lohn zu fahren höchlich 
beschwärt, auch deßhalben ainer pesserung ires lones an sie die 
herrn kaufleut durch uns flehentlich begeern lassen, das demnach 
vorgemelte kaufleut samt und sonders uns an stat unsere rhod- 
leut bewilligt haben, inen furhin 10 kr. 1 .f von jedem centner 
völlig zu lonen, jedoch dasselbig allein auf ein jar lang, von 
Michaelis 1571 bis Michaelis 1572 mit der geding, das die 
kaufleut dadurch aus bemelten spruch und vertrag innichten ge- 
schritten sein wollen. Jedoch ist durch El. Busch, den abgesandten 
der Kaufleut bewilligt worden, daß die Fuhrleut, wenn sie die 
güter auf einer achs einen tages nicht bis Füssen und Ammer- 
gau führen können, dieselben anı Sammeister vor Echelsbach ab- 
laden, auf ein ander Wagen laden und des andern Tages bis 
mittag nach Füssen und Ammergau führen. 


Augsburger Handelsvereins-Archiv, Fasc. LXXXX. Nr. 331. 


Beilage VIII. 
Rodordnung zu Toblach. 1572, Oktober 31. 


Als ain zeitheer durch die khaufleut und guetfertiger auch 
derselben factoren und diner, so die straßen mit ihr wahr 
durch die fürstlich Grafschaft Tyrol gebrauchen, etwa vil mengel 
und beschwerden fürrkomen das ire güeter, so auf der rod 
durch berüerte Grafschaft Tyrol gefürrt, langsamb gefertigt, auch 
in etlichen niderlagen nit wol versorgt noch bewart werden. 
Darauf sich des durchlauchtigsten fürsten und herrn, herrn Ferdi- 
nanden Erzherzogen zu Österreich, Herzogen zu Burgund, Grafen 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 615 


zu Tyrol unseres gnädigsten herrn, stathalter regenten und camer- 
räte der Oberösterreychischen lande durch sondere ire F. Durch- 
laucht hierzu verordnete rät und comißarien mit fleyß erkhundigt 
und sollich der khaufleut beschwerden etlichermaßen befunden, 
dagegen dieselben Irer F. Durchl. rät und comissarien, die rod- 
leut zu Toblach mit irer einredt und begerung, das sy one 
pesserung rodfuerlons dieser zeit und bey der großen theurung 
nit besten noch deßhalben die roden fertigen oder länger darbey 
bleyben mügen, genügsamlichen gehört, welche der khaufleutt 
mengl und der rodleut beschwerde und begerungen zu beyden 
teilen obgemelten stathalter, regenten und camer-räten fürgebracht, 
auch durch sy mitsambt derselben irer F. Durchlaucht räten und 
comissarien notdurftigelichen fürgenommen und erwogen, und 
damit gemelte khaufleut und guetfertiger bey den strassen durch 
die land bleiben, auch ire güeter auf der rod jeder zeyt gefertigt 
und dann berüerte rodleut auch langer bey der fuer mit zimb- 
licher belonung, die sy und die khaufleut erleyden mögen, er- 
halten werden, so ist darauf durch gedachten stathalter, regenten 
und camer-räte von landt-fürstlicher obrigkeit wegen mit den 
hernachbenannten zwölf rodfurleuten zu Toblach diser zeit auf 
das alles ain abschied gemacht und gegeben, den beyde partheyen 
also annehmen und den fürhin geleben und gehalten, auch der 
edle wolgeborn ihro Bernhart Künigl. Freyherr zu Erenburg und 
Wart, inhaber der Herrschaften Heunfels und Schönegg irer 
F. Durchl. rat und hauptman zum Peitlstein, vestiglich darob 
sein solle, das dem also folg beschehe, wirklich nachkhomen 
und darwider mit dem wenigsten nit gehandelt werde, und laut 
die ordnung, zu obberuerten Toblach gegeben, wie hernach volgt. 

1. Als die gedachten 12 rodfuerleut zu Toblach von alter 
her alle gueter gen Toblach zum Gasthauß gebracht, und von 
dannen weiter auf der rod zu fueren begert werden vom Gast- 
haus biß gen Brauneggen und von Toblach zum Gasthaus zu 
fueren und zu fertigen schuldig sein, zu sollicher rodfertigung 
sollen sy 12 rodwägen mit irer nottürftigen zugehör, als roß, 
ochsen, wagen, gschürr und dergleichen unabgängig halten und 
soll ain umbgeende rod sein und genannt werden, also wann, 
als sich offt begeben mag, auf ainmal nit soviel gueter vorhanden 


616 Johannes Müller 


sein wurden, das die ernannten rodwägen alle zu füren haten, soll 
es die nächst fart, so mer gueter khomen, an denen es vor er- 
wunden ist, angefangen werden und also undter inen umbgen 
und khainer für den andren mit merer furr der rhodgüter ge- 
fortailt, sonder alß für und für threulich und ungeverlich on 
vortl gehalten werden. 

2. Dieselben zwölf Rodwägen sollen das ganze Jar, sumer 
und winters zeiten der rod fleißig warten, und mit aller notdurft 
darzugehörig, befaßt sein. Also wann khaufmansgueter, palln, 
oder andrers von Venedig, Terfiß oder anderer enden heraus werz 
zum Gasthaus in die niderlag oder einwerz von Brauneggen gen 
Toblach under das pallhauß oder niderlag daselbst gebracht werden, 
sollen die kaufmanß diener oder fertiger derselben gueter solliches 
dem aufgeber zu Toblach anzaigen, derselb aufgeber soll alsdann 
solliches den vorgemelten rodfüerern, daran es jeder zeit sein wirdet 
und sich nach der ordnung gebürt, sonderlich somers, da ire roß 
auf der alm gehalten und gewaydet werden, vormittentag und 
windters zeiten umb mittentag fürderlich ansagen und zuwissen 
thuen. 

3. Darauf sollen dieselben rodleut, so man darzu wissen last, 
sich yeder zeit guetwillig beweisen und mit den rodwägen des- 
selben abends gehorsamtlich erscheinen und laden, alsdann zu 
morgens frue ausfaren und weder auf gegenfuer noch aus khainer 
andren ursachen verziehen, sonder unverzogenlich die gueter, 
wie die noch den alphabet oder zalzeichen von Brauneggen 
herauf gebracht werden, dermaßen als von Toblach zum Gast- 
hauß an ainem Tage die gueter umb mittentage dahin zu ant- 
worten, damit sy die Haidner denselben tag auch mügen auf- 
legen und hinweckh füren, und vom Gasthauß gen Brauneggen 
in zwayen tagen, welliches endts sy dann zu farn beschayden 
werden, unverzogenlich under die pallhäuser oder niderlagen 
daselbs füren und davon noch underwegen nit abschlagen oder 
in die nässe den khaufleuten zu nachteil und schaden niderwerfen, 
allain so sy rodgüeter von Toblach gen Brauneggen fürn und 
die rodleut von Brauneggen auch rodgüeter gen Toblach füreten 
und also underwegen anainander antröffen, mugen sy den ab- 
wechsel sollicher rodgücter wie von alter mitainander doch ur- 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 617 


verlezt der khaufmanns güeter wol gebrauchen, auch guet achtung 
und aufsehn haben und diesen fleyß gebrauchen, das solliche 
gueter am füren nit beschädigt, auch nichts davon entfrembt, ver- 
lorn oder wie sich dessen die khaufleut und guetfertiger be- 
schwert die woll aus den seckhen gezogen und hernach verkauft 
oder sonst, wie das gesein mag, nachteilig oder schadhaft werden. 
Ob aber darüber ainicher schaden daran entstünede, damit soll 
es gehalten werden, wie von alter herkhomen und an andern 
roden in disem landt der geprauch ist ungeverlich. 

4. Sie sollen auch alle tag, so anders gueter vorhanden und 
inen angesagt worden, zufaren schuldig und verbunden sain, 
und für sich selb khain feyrtag machen, noch fürnemen, allein 
die feyrtag, so in der land ordnung begriffen, sollen sy wider 
iren willen zu füren nit gedrungen werden. Und so sy ein tag 
mit geladenen rodwägen gefarn sein, mügen sy den andren 
negsten tag, ob sy wollen, feyren und das gemen rasten lassen. 

5. Die khaufleut oder guetfertiger sollen auch die rodwagen 
oder palln nit schwerer füren oder machen, dann auf vierund- 
zwanzig Centner ungeverrlich, damit sy die rodfuerleut und ire 
gemen die palln geweltigen mügen. Sy sollen auch ire güeter 
der ziffer oder zal nach ordentlich aufgeben oder zu thuen ver- 
ordnen, auf das inen dieselben ire gueter nit zerteilt gefüert und 
voneinander gebracht worden. 

6. Sie sollen auch im ansagen nicht minder noch mer wagen, 
dann sovil sy jedes mals zu laden haben, begeren und den 
rodfürrleuten, an denen es derselben zeyt sein wirdet, verkhünden, 
damit sy nit vergebenlich umb die weeg gesprengt werden, das 
irig mitler weyl dahaims zü verabsaumen. 

7. Ob aber der aufgeber auf des khaufmanns oder seines 
diners begern merer wägen, dann sy zuladen haben, begern oder 
ansagen wurde, soll der khaufmann oder fertiger jedem rod- 
fürrer, so auf sollich sein ansagen und begern zum Gasthaus 
erscheint und nit zuladen hat, für sein versaumbnus das vol- 
khomen fürlon wir andren seinen mitgespännen, ainen 80 zu 
fürrn hat, bezalen, wellicher rodfürrer aber auf das ansagen nit 
erscheint und doch zuladen haben wurde, der soll den khauf- 
leuten sovil gelts, als das fürlon hett bracht, verfallen sein, das 


618 Johannes Müller 


soll im der aufgeber an seiner bezalung aufheben, wellicher thail 
sich aber dessen sezen oder verwidern wurde, der soll, so oft 
sich das begibt oder zutragt, der obrigkheit desselben ends auch 
sovil zu straf geben, als das furlon bracht hatt. — 

8. Und nachdem die khaufleut und guetfertiger den rodfürr- 
leuten zu Toblach bisher von ain wagensäm, das ist vier Centner 
landgewicht, vom Gasthauß bis gen Brauneggen sechsunddreifßig 
khreuzer und von Toblach zum Gasthauß achtzehn khreuzer fur- 
lon gegeben. Wann sich aber berürrte rodfürrleutt aller hand 
schwebenden grossen theurung und das sy bey sollichen lon je 
nit bestenn mögen, zum höchsten beklagt, ist inen in ansehung 
desselben und damit sy die gueter desto fürderlicher und fleißiger 
von ainer rodstadt zu der andern füren und fertigen, solliches 
furlon durch obangeregte Irer F. Durchl. rät und comißarii auf 
dero gehabten, fürstlichen befehl, auch auf hochernannter F. Dt. 
wolgefallen und widerrüffen, dergestalt gepessert worden, also das 
inen hinfürter von jedem wagensäm gen Brauneggen vierzig 
khreuzer und dann zum Gasthaus zwanzig khreuzer geraicht 
werden solle, das bringt auf ein Centner vom Gasthaus gen 
Brauneggen zehen khreuzer und vom Toblach zum Gasthaus 
fünf khreuzer. — 

Aber disen gestaigerten und pesserten lon sollen die rodfur- 
leut die khaufleut, Guetfertiger oder ire diener mit beschwern, 
sonder die gueter gegen sollichen erhöeten lon (wellicher yeder 
zeit wie gemelt auf Irr F. Dt. wolgefallen geraicht werden solle) 
unverhindert füren, fertigen und antwurten. 

9. Und nachdem siben belehende vorwägen des ennds zu 
Toblach sein, sollen die berürten zwölf rodfürleute von jedem 
iren geladenen rodwagen, so sy die vorwägen antrifft, den sy 
vom Gasthaus gen Brauneggen füren, den ernannten siben vor- 
wägen hinfüran nit mer dann vier khreuzer geben, das sy sich 
auch für ir gerechtigkhait des vorwagens sollen und haben be- 
nügen lassen, doch was der herrschaft Toblach ins ambt gehört, 
unvergriffen. 

10. So ist hievor durch die rodfürleut dem aufgeber zu Tob- 
lach von yedem wagen, den sy vom Gasthauß gen Brauneggen 
oder von Toblach zum Gasthaus füren, ansaggeld acht vierer 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 619 


gegeben worden, das soll hinfüro durch die khauffleut, wie an 
allen andern roden im ganzen landt der gebrauch ist, noch also 
bezalt werden. 

11. Und als yeder wagen, so geladen mit truckhen khauf- 
mannsguetern zu Toblach von Venedig, Terfiß oder andrer enden 
derselben strassen herauß oder dieselb straß hineinwerz unabgelegt 
durchgefüret werdet, unzther vierundzwanzig khreuzer niderlag- 
geld geben hat, dabey last mans noch bleiben, jedoch soll es 
damit gehalten werden, wie von alter herkhomen nach gelegen- 
hait, wie ainer furet, treulich und ungeverlich, dardurch die fuer- 
leut sich des zu beclagen nit billiche ursach haben. Dasselbe 
niderlag: oder fürfargelt solle albeg dem gefolgen, so dieselben 
wägen der ordnung nach zu fuern antroffen hat, so sollen auch 
die gueter, so auf der rod under die niderlag khomen, albeg vor 
den andern guetern, so auf der äx khomen, gefüert und befördert 
werden. 

12. Und nachdem inen verschiner jar auf ir begern ain fron- 
wag alda zu Toblach aufzurichten zugelassen ist und ain ge- 
schworner weger, der alzeit derselben wag fleissig warte, zu ver- 
ordnen, bey demselben mugen sy, ob sy wellen, bleiben, doch 
sollen sy die khaufleut mit dem weggelt nit beschwern. 

13. So etwa zu zeiten groß schneegefell fallen oder ainich 
län oder wassergüß, das die strassen verschüttet wurden, also 
das inen den 12 rodfuerleuten die strassen zu prechen oder zu 
faren beschwerlich und nit müeglich were, soll inen jeder zeit 
der notturfft nach durch die gemein zu Toblach und derselben 
mitgenanten zu Prags und Tall geburliche und nottürftige hilff 
in eröffnung mit vieh und leuten beschehen, die ain jeder pfleger 
und zollner zu Toblach mit allem ernst, wie von alter herkhomen 
ist, darzur verschaffen und halten solle, doch sollen sy die rod- 
leut mit iren gemen treulich darzu helffen und nit exempt sein. 

14. Und wo es sich zutrüge, das aus disen zwölf rodfurleuten 
ainer oder mer über khurz oder lang in abfall, verderben oder 
schmelerung seiner gueter kheme, also das er seine rodwagen gar 
oder halben yr nit mer zufürn vermüglich und sich das bew ertlich 
befunden, so soll an desselben stat durch die obrigkheit zu Tob- 
lach yeder zeit ain audrer taugenlicher und der rod fürstenndiger 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 621 


ersamen und weisen herrn burgermaister und rhat der Statt 
Schongau mit den erenvesten und fürnemen wolgedachter heren 
kauf- und handelsleut abgeorneten gevollmechtigten, auch zu- 
gleich interessirten herrn, Martin Pfeiffelmann, Christof Schmid, 
Jakob Nepperschmid und Sebast. Reisman, Notarien, volgender- 
massen und auf 10 jar lang, wie es forthin beederseits gehalten 
werden soll, gemittelt und bethedingt werden, nemblich und also, 
daß fürnemblich 

1. Erstlich: Gedachte Rodfloßleut sollen sich mit gueten taugen- 
lichen holtzen, so zur beladung der kaufmanßgüeter dienlich, 
gefasst machen und guete fursehung thun, damit die pallen und 
andere gueter wohl underschlagen, nit genetzt, sondern fein 
thruken nach Augspurg gepracht worden mögen. 

2. Fürß andere sollen bemelte rodfloßleut Ire knecht oder 
wem sie es an ihrer statt zu thun bevehlen, da sy kaufmans- 
güeter führen, sich forthin andrer wahren, so wol der personen 
alß kauderey oder dergleichen nit aufzuladen, genzlich enthalten 
uf daß durch daß überladen den kaufmannsgüetern nit schaden 
ervolge. 

3. Zum dritten sollen auch sy die rodfloßleut jeder rod mit 
gebürender anzahl gewichts, alß vierzig centner, und nit weniger 
einßmalß laden, wovern sich aber die gelegenheit der güeter und 
pallen schickhen und etwaß über die benambte anzahl gewichts 
alß vierzig centner sein möchten, sollt inen das übergewicht, so 
viel dasselbige pro rata anlauffen tut, auch bezalt, entgegen aber 
wo eß undter sechsunddreißig centner befunden wurde, soll inen 
diser abgang der volligen roden auch gleichermaßen am lohn 
abgezogen werden. — 

4. Beyneben versprechen und zusagen auch vorgedachte rod- 
floßleut, im fall durch ire hin- und farlessigkeit den güetern schaden 
zuegefüget oder beschehen möchte, daß sy solchen billicherweiß 
buessen und abthun wollen, umb derentwillen und auf daß zeit- 
lich zusehen, ob durch sy die rodfloßleut den guetern schaden be- 
schehen oder nit, sollen sy, so balden sy mit denen bey gewon- 
lichen lenden in Augsspurg ankommen, sich bey dem stosser 
anmelden, daß fuerbrieflein, so inen alhie gegeben, dem oder wer 
sonsten an seiner stat vorhanden sein wurde, uberantworten, die 


622 Johannes Müller 


gueter besichtigen und auf erfindenden schaden sich fur den 
kauffherrn, dem selbige gueter gehörig, selbsten persönlich stellen. 

5. Zu schuldiger und gebürlicher ergötzlichkait solcher ir der 
rodfloßleut habender mühe und arbait gereden und versprechen 
wir vorbenannte gevollmächtigte abgeordnete und interessierte 
herrn fur sich und ire zugewandten herrn kauffleute inen rodfloß- 
leuten von jeder ganzen rod 3 fl. und 46 Kr. Dann und da es 
sich begebe, daß etwaß wenigs der gueter bey der niderlag alhie 
ankeme, so die völlige rod der 40 centner nit erreiche, sondern 
allain aine halbe rod belangen möchte, solle inen floßleuten all 
ain halbe rod 2 fl. 40 Kr. zu lohn gereicht und gegeben werden. 

6. Bei diesem allem soll es, wie vorgemelt, zu beeden theilen 
die benannte 10 jar bestanndhafft verbleiben, wie dann ehren 
vorgedachte abgeordnete und interessirte herrn kauff- und handel; 
leut für ire person und dero mitverwanten, auch vorberurte 
herrn burgermaister und rhat der Statt Schongau angeregte ire 
anbevolhene rodfloßleut dem allen würkliche vollziehung zu laisten 
gelobt, versprochen und zugesagt. Zu urkhundt sein dieser ver- 
trag zwei gleichlautend aufgericht, davon jeder theil einen zu handen 
genummen, auch mit der herrn kauf- und handelsleuten deren 
von einem ersamen rhat zu Augsspurg über daß rodwesen depu- 
tirten außschüssen benamtlich der erenvesten und fürnemen herrn 
Martin Horngachers, Martin Pfeiffelmanns, Daniel Böcklins und 
Marx Herzels, alle burger daselbst, dann im namen und anstat 
offtgemelter rodfloßleut uf beschehenes bittliches ersuchen mit 
gemeiner statt Schongau furgetrucktem insigel bekräfftigt worden. 
Geschehen zu Schongau den 22. Juni im 1597 jar. 

Augsb. Handelsvereins-Archiv. Fasc. XVI Nr. 15. (Beilage 
zur Relation Christ. Schmidts, Jak. Nepperschmidts und Sebast. 
Reisners, der handelsleut gewalthaber auf die tagsetzung vom 
10. Febr. a. 1597 gen Innsbruck abgeordnet.) 


Beilage X. 
Ordnung und Articul für die Guetbestetter und 
Füerleuth. 


Dekretum in Senatu 26. July Anno 1612. 
1. Die bestellte guetbestetter sollen ihrem anbefohlenen dienst 


622 Johannes Müller 


gueter besichtigen und auf erfindenden schaden sich fur den 
kauffherrn, dem selbige gueter gehörig, selbsten persönlich stellen. 

5. Zu schuldiger und gebürlicher ergötzlichkait solcher ir der 
rodfloßleut habender mühe und arbait gereden und versprechen 
wir vorbenannte gevollmächtigte abgeordnete und interessierte 
herrn fur sich und ire zugewandten herrn kauffleute inen rodflof- 
leuten von jeder ganzen rod 3 fl. und 46 Kr. Dann und dae 
sich begebe, daß etwaß wenigs der gueter bey der niderlag alhie 
ankeme, so die völlige rod der 40 centner nit erreiche, sondern 
allain aine halbe rod belangen möchte, solle inen floßleuten al 
ain halbe rod 2 fl. 40 Kr. zu lohn gereicht und gegeben werden. 

6. Bei diesem allem soll es, wie vorgemelt, zu beeden theilen 
die benannte 10 jar bestanndhafft verbleiben, wie dann ehren 
vorgedachte abgeordnete und interessirte herrn kauff- und handel:- 
leut für ire person und dero mitverwanten, auch vorberurte 
herrn burgermaister und rhat der Statt Schongau angeregte ire 
anbevolhene rodfloßleut dem allen würkliche vollziehung zu laisten 
gelobt, versprochen und zugesagt. Zu urkhundt sein dieser ver- 
trag zwei gleichlautend aufgericht, davon jeder theil einen zu handen 
genummen, auch mit der herrn kauf- und handelsleuten deren 
von einem ersamen rhat zu Augsspurg über daß rodwesen depu- 
tirten außschüssen benamtlich der erenvesten und fürnemen herm 
Martin Horngachers, Martin Pfeiffelmanns, Daniel Böcklins und 
Marx Herzels, alle burger daselbst, dann im namen und anstat 
offtgemelter rodfloßleut uf beschehenes bittliches ersuchen mit 
gemeiner statt Schongau furgetrucktem insigel bekräfftigt worden. 
Geschehen zu Schongau den 22. Juni im 1597 jar. 

Augsb. Handelsvereins-Archiv. Fasc. XVI. Nr. 15. (Beilage 
zur Relation Christ. Schmidts, Jak. Nepperschmidts und Sebast. 
Reisners, der handelsleut gewalthaber auf die tagsetzung vom 
10. Febr. a. 1597 gen Innsbruck abgeordnet.) 


Beilage X. 
Ordnung und Articul für die Guetbestetter und 
Füerleuth. 


Dekretum in Senatu 26. July Anno 1612. 
1. Die bestellte guetbestetter sollen ihrem anbefohlenen diens 


Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter etc. 623 


und beruef mit gesambten zuethuen, vlaiß und ernst abwarten, 
und ire sach treulich und also verrichten, damit der handelsleuth 
güeter und wahren zur rechten zeit, ordentlich bestellt und auf- 
geben werden, inn sonderheit aber sollen sie auf ain sonderbare 
tafel in der waag der fuerleuth namen, umb tag und zeit, wann 
ein jeder alhir ankommen ist, mit vleiß ordentlich verzaichnen 
und auffschreiben. 

2. So soll auch kein guetbestetter wie auch die würth und 
gastgeber, noch die irigen durch sich selbst oder andere, den 
ankommenden fuerman auf der strassen, vor- und in der statt 
verwartten, auffangen, in einen gasthof, der ihm gefellt, füern 
nötigen oder einkerrn machen, sondern den fuermann hierinn 
seinen frreyen willen und einen jeden außspannen lassen, wo 
und in welchem würtshauß er lust hat, bey eines E. rhats ernst- 
licher straff. 

3. Damit aber under den fuerleuthen eine durchgeende gleich- 
heit gehalten und keiner vor dem andern, wir bißhero beschehen 
ist, mit güetter, der bestetter gefallen nach, hinauß beladen werde, 
sollen die guetbestetter vorthin volgende ordnung hallten, das sie 
die fuerleuth, der ordnung und zeit nach, wie sie ankommen seien, 
wieder wegfertigen und beladen, sie zören gleich, wo sie wollen, 
und solle under ihnen kein underschied gemacht werden, er sei 
gleich ein Schwab, Türinger, Flammenspacher oder anderer landsart ; 
also das der am längsten hier gewesen, zum ersten mit wahren ver- 
sehen und beladen werden solle, nach ihm der ander, so er inen 
gefolgt und herkommen ist, und also vortan, wie ihn die ordnung 
an der tafel treffen würdet: Doch wann die handelßleutt ainem 
oder andern fuerman die güetter zu vertrauen bedenkens hetten, 
sollen die bestetter den fuermann solches unverzüglich anzeigen, 
damit er nit lang aufgehalten werde. 

4. Ferner sollen die guetbestetter auf die fuerleut, in was 
geschray, leumunt oder ruf sie seien, bei den andern oder sonsten 
vleissige acht geben und guett nachfrag haben und sovil inen 
möglich, daran sein, damit die wahren und güetter richtigen, 
gewißen und unverdechtigen fuerleuten aufgegeben und vertraut 
werden, und da sie von ainem was hören oder erfahren wurden, 
welches den handelsleuten oder den wahren zu nachtail geraichen 


624 Johannes Müller 


möchte, solches getreulich anzaigen und irem besten vermögen 
nach allen schaden warnen, wenden und verhüeten helfen. 

5. Die guetbestetter sollen auch gegen den handelsleuten und 
fuerleuten sich aller beschaidenhait und willferigkeit befleissen, 
under ainander guetes vertrauen und ainigkeit hallten, auch wss 
sie mit oder ohne ainander wegen bestettigung der guetter von 
den fuerleutten zue lohn einnemen und empfangen, under sich 
gleich tailen und keiner vor dem andern darbey ein vortel oder 
mehreren thail haben, wann er gleich die fuerleut mit mehreren 
güettern, dann sein gesell, beladen gemacht hette. Dahingegen 
sollen sie sich gleichen vleisses, arbeit und mühe befleissen und 
keiner dem andern zu klagen ursach geben. 

6. Sy sollen auch büecher und verzaichnussen haben, darein 
sie alle wahren, so sie ufgeben, wem sie gehörig, wieviel sie 
gewogen, mit was zaichen, mark und numero sie bezaichnet 
gewesen, sambt deß fuermanns namen und von wannen er Bey, 
item tag und zeit und andrer umbstand mehr ordenlich schrieben 
damit man bei ihnen jeder zeit notwendigen bericht deswegen 
haben möge. 

7. Damit auch der fuerman mit übermessigen lohn nit be- 
schwert werde, sollen sie nit macht haben, ein mehreres zu fordern, 
dann vom centner zwen kreuzer, es were dann sach, das 
die fuerleut ihnen wegen gehabter extraordinary muehe und vil- 
feltigen umblaufens auf guettem willen ein sonderbare verehrung 
und ergötzlichkait thon wollten. 

8. Diesem allem und was ein Ers: rhat noch ferneres künftig 
verordnen möchte, sollen die guetbestetter bey irem geschworenen 
ayde und verlust ihres diensts auch anderer unnachleßiger straf 
treulich und vleissig nachkommen. Der Flammenspacher und 
anderer fuerleuth und guetbestetter ordnung ist approbiert und 
soll die execution denen übers rowesen anbefohlen werden. 


Augsb. Handelsvereins-Archiv. Fasc. I. A. 5. 


irols im Spätmittelalter etc. 


Des Rodwesen Bayerns und 


om 9 lAgN| g'w| : 
9T| Il OI 9 | Q 
8I| O1! L]|’4Q| 9 
’hL a| | rl"h8 
’/9 9 y Pr | ‘Lg 
8I| &ll TIL | ‘h9 
9 rl el 8] 2 
ML 159 |h9 |°hQ | hr 
ı Zu 4 Pro nu a |°h8 | 6 
Ye LH | *hQ | hp 
horse) 8 | "49 |’ıq 
58 |°49 |" | ler | "46 
9 Q lv | hr | ‘Lg 
9 Q hr |°h6 | ‘he 


Q "hs! 8| 2| 2 


x lala al 
L691 | 2297 | 9997 |O6QT |OTQT 


ee a > ss is ocean ce eo CSS ST a a = 


+ + + 088 DZ 
puerz nz 
Zmasäny ‘d neZuowg ‘FI 


* _ nueSuogog ‘d nedıomuy ‘fI 


LL “ . [2 e “ LI 


ne3ıowury ‘d UOYIITAUSIIUE "31 
UOU9ITAU94184 ‘À PIBMUSYIN ‘IT 
PISAU9IN ‘À [nz ‘OI 
“ [az ‘À yonıgsuug * 
zonıgeuuy ‘À raıyem ' 
rıyem ‘d au] : 
* Son ‘d Zurzıogg 
Surzio3s ‘d yosaıınm 
eqTunn ‘d xoounig 
* yoownig ‘d yoergoL 
* ‘  498IdOL ‘À snuqieup) 
. + + (uros 
-piag) snegsep ‘d woprex ' 


nn © 


> 


=) 


10 


a © 


Len | 


‘OX11Z0QPOY 


1148J8nV10H Jop Juve ıowuaz ıod uyor 


wnarnu rasen NT GAR NIATIRM QGONMO AIN IOD IN AUNOTBON IOB CIUUOIOLIO À 


10 
= 
co 
a 
a 
au 


a BL u 5/7: Ze ZU: 
h9 119 [20 [V4 | 8 
NL | Ihe | € 
6 |"h8 Ihr |’ lp 

9 9 919 | ”/:8 
her the [She 

OT! 01 6! 2 1# 

ol | el g| a 
Shet|"het| az | a| 9 
9 9 4 p |‘/.0 
NL) Qlh6| 8 le 

Il ’holl 2 9 |’hıq 
‘1X "IX ‘IX "TX ' “IX 


L6ST | &LQT | 9QQT | OGQT OT QT 


uopieH ‘d snemseng 
CT 
snuugsug ‘d ydelgoL 


-nnoq) 


z„aunıg 'd yoegrunm 
yasarıny ‘d Zurz.ıa)g 
Zurziayg ‘d Zon] 
* on] ‘d rıyeM 


yonıgeuuf ‘d [11Z 

“0 az ‘d premuoyım 
PIBAU9YIX ‘d uawanyusıeg 
u9q9itxu9)184 ‘d nesroumuvy 


* + nvSromuy ‘d neduogsg 


‘“2X11Z29QpP0Y 





J14VJUIQUIH J9p Ju® Jouju9Z 104 uyor] 


yergoL ‘d oounig : 


19198 ‘À HON1qQSUU] * 


41 


"SI 


"GI 


Len | 
Len | 


Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 


| 


"UV TX odenog 


Spätmittelalter ete. 


Das Rodw. Bayerns u. Tirols im 


626 Joh. Müller 


Beilage XIB. 


Lohn per Zentner auf der Hineinfahrt. 


Rodbezirke. 


Schongau p. Füssen 
Füssen p. Heiterwang 
Heiterwang p, Imat 
Imst p. Zambs . . 


Pro Wagen 9 kr. J ochgeld 


Zambs p. Prutz . 
Prutz p. Nauders . 
Nauders p. Glurns . 


Pro Wagen 4 kr. Jochgeld 


Glurns p. Lätsch . 


Lätsch p. Meran . 
Meran p. Terlan . 


Terlan p. Neumarkt 
Neumarkt p. Trient 
Trient p. Persen . 


Persen p. Levigo . 
Levigo p. Castelnöf 
Castelnöf p. Grimm 


kr. 


ne ms ns amt ii. Aefiermminmiens +00 CN OUR» Re 


1510| 1580| 1568 | 1572 | 1597 


kr. | kr. | kr. 
6 |7 lot, 
I |7 
8,11 |181, 
8 |8 |, 
83/4 | 4'Ja | 45/4 
7 |7 |, 
5 |6 |7 
4'/, | 5’/,| 6 
As | 54), | 7 
8%, | 39/a| A 
5,18 | 97, 
5 | 6, |10 
. [a | 
> |2 |8 
‚Ile 
8 | 3 |4, 


kr. 


18 
8°], 

14, 
4 


61), 
10'/, 
9/4 
814 


8 
5 


12}: 


Verzeichnis der Rodlöhne auf der oberen Strasse während des 16. Jahrhunderts. 


Lohn per Zentner auf der Herausfahrt. 


Rodbezirke. 
Grimm p. Castelnöf . . . 
Castelnöf p. Levigo . . . 
Levigo p. Persen . . . . 
Persen p. Trient . . . . 


Trient p. Neumarkt . . . 
Neumarkt p. Terlan . . . 
Terlan p. Meran . . . . 


Meran p. Lätsch . . . 
Pro Wagen 6 kr. Jochgeld 


Lätsch p. Glurns . . . . 


Glurns p. Nauders . 
Pro Wagen 12 kr. Jochgeld 


Nauders p. Prutz . . . . 
Prutz p. Zambs . . .. 
Zambs p. Imst . . . 

Pro Wagen 9 kr. Jochgeld 
Imst p. Lermoß . . . 
LermoB p. Füssen oder Fils 


Füssen p. Schongau . . . | 


u — eq 


1510 1580 1566 1872 1597 








kr. | kr. | kr. | kr. | kr. 
. 18 B B Bi 
: : 41,16 71/4 
; ; 2 | 2 8 
; . 8 8 6 
41};| 6 9 110 11! 
4 -4 6 9!/, | 10 
31), 8%, 4 B 61); 
8 di}, 6 8 8!/ 
83/4! 41: | 6 8 8, 
41,|5 61,81, | 9 
41}, | 6 6 | 7 7a 
3%/4 | Aa | 4h 44] 4 
8 8 | 8, 8): 8/4 
51, | 7 | 7 | 8 | 9 
5,16 | 7, 10 ‚u 

8 7 10%, [18 

| | 


Les débuts de l'établissement John Cockerill à Seraing. 


Contribution à l’histoire des origines de la grande 
industrie au Pays de Liège. 


Par 


Ernest Mahaim, professeur à l’Université de Liège. 


Le monde entier connait le nom de Cockerill, qui est celui 
du plus grand établissement industriel de la Belgique: en 
mars 1905, il occupait 9560 ouvriers et employés; il comprenait 
douze «divisions d'entreprise» différentes et utilisait 13000 che- 
vaux-vapeur, 

En outre, si on le rattache à l'établissement du premier 
Cockerill à Liège, en 1807, dont il n’est que la continuation, 
il est un des plus anciens. Ainsi, né sous le premier Empire, 
grandi sous le tutelaire rêgime hollandais, il a traversé toutes les 
commotions politiques et financières du XIX° siècle, connu le 
mercantilisme, le protectionnisme et le libre échange. Rival des 
grandes maisons européennes, des Krupp, du Creusot, sans avoir 
atteint leurs proportions, il a cependant lutté sur tous les marchés 
du monde. Il constitue, on peut le dire, l’un des plus beaux 
exemples de développement industriel des temps modernes. 


Comme la figure de John Cockerill paraît être une des plus 
étonnantes que le monde industriel eût connue au début du siècle 
dernier, l’histoire économique aurait pu trouver dans ce prodigieux 
établissement un champ unique d’observation. 


Malheureusement, les documents originaux concernant du 
moins la période qui a précédé la constitution de la société 
anonyme actuelle (1842) font défaut. En 1880, une inondation 
a détruit et rendu illisible une grande partie des archives. 


628 Ernest Mahaim 


Depuis lors, pour gagner de la place, on en a brulé une autre 
partie. 

Grâce à l’extrême amabilité de M. le Directeur-Général Greiner, 
à qui je me plais à adresser publiquement mes remerciments, le 
reste a été mis à ma disposition. 

Ce fonds se compose d’une vingtaine de livres de commerce: 
grands-livres, livres-journaux, livres de caisse, carnets d'échéance, 
de quelques livres de correspondance et copies de lettres; enfn 
d’une bonne centaine de liasses de lettres. Ces documents ayant 
été sauvés de l’eau et du feu par hasard se rapportent à des 
époques différentes et n’ont aucune continuité. Les lettres de 
1810 à 1813 sont très-nombreuses. De 1817 à 1822, il n’y a 
presque rien. Puis c’est vers 1840, que les documents s’ace- 
mulent de façon à éclairer probablement la situation de la firme à 
la mort de Cockerill et lors de la fondation de la société 
anonyme. 

Je voudrais, dans cette étude préliminaire, donner une idée 
des renseignements contenus dans les documents relatifs aux 
années de début de la maison de Liège (1809—1813). 

Mais auparavant, il est nécessaire de tracer brièvement 
l’histoire des Cockerill telle qu'elle nous a été contée jusqu'à 
présent par les différentes notices qui leur ont été consacrées. 

k * k 

William Cockerill nous est représenté comme un ouvrier 
mécanicien anglais, ou irlandais '), qui s’expatrie en 1797, pour 
aller construire des moulins à filer la laine en Suède. Il ne 
réussit pas et fait sans plus de succès le commerce de bois 
Rencontré à Hambourg par un employé de la maison Simonis 
chargé des achats de laines, il est engagé — voyage payé — 
pour venir à Verviers y construire ses machines?) (1798). D se 


1) J.-8. RENTER, Histoire de Pindustrie drapière au Pays de Lig. 
Mémoires de la Soc. d’ Emulation. Nouv. série t. VI. 1881, p. 8. Dans ss 
demande de naturalisation française, (1809) il se dit natif de Lubec (sic). Son 
acte de décès (Aix-la-Chapelle 1832) le dit né à Hastingden (sic), England. 

2) D'après RENIER, qui tient les renseignements de l’agent des Simonis 
lui-même, celui-ci dut s’y reprendre à deux fois: une première fois, Cocker) 
avait promis de venir à Verviers, mais n’avait pas tenu sa promesse. C'es 


Les débuts de l’établissement John Cockerill à Seraing. 699 


lia par contrat, envers la maison Simonis et Biolley, à ne travailler 
que pour elle. «On lui donnait Fr. 25000 par ,assortiment: 
qui se composait d’une droussette, d’une repasseuse ou carde, 
d'un moulin gros de 40 broches et de quatre moulins en fin de 
60 broches. Ceux-ci se mouvaient par le bras seulement et la 
droussette par le bras ou un moteur').» Cockerill était telle- 
ment pauvre qu'il était hors d’etat d'acheter le fer dont il avait 
besoin et se le fit fournir par ses clients. Il avait alors avec 
lui deux de ses fils: William et James. 

Les machines, terminées à la fin de l’année 1800, eurent un 
succès considérable. Tous les fabricants, concurrents des Simonis, 
voulurent en avoir. Mais Cockerill était tenu par son contrat. 


It fit venir d'Angleterre en 1802 James Hodson (né à Notting- 
ham), mécanicien, qui avait à Londres un petit établissement. Il 


lui donna en mariage sa fille Nancy, et ce fut Hodson qui répan- 
dit, à Verviers et aux environs, les machines tant désirées. 

C'est cette année là, 1802, que John Cockerill vint rejoindre 
son père. Il avait, dit-on, 12 ans (étant né à Haslingden dans le 
Lancashire le 3 août 17907) et eomme ses frères, il fut mis 
immédiatement à l'atelier. On raconte que, laissé en Angleterre 
ehez un parent pendant l’absence de son père, ce parent «l’avait 
employé aux travaux les plus rudes, sans lui épargner les mauvais 
traitements» °) et ne l’avait mis à l’école qu’à neuf ans‘). 

Nous ne savons pas grand chose sur les affaires des Cockerill 
à Verviers, tandis qu'on répète que celles de Hodson étaient très 
florissantes. 


l'hiver suivant que le voyageur verviétois le rencontra, par hasard, patinant 
sur la glace, et apprit que Cockerill n'avait pas de quoi payer ses frais de 
voyage. 

1) RENIER, op. eit. p. 187. 

2) C’est, du moins, ce que prétend GoBBRT, Les rues de Liège. Verbo 
Cockerill, t. I. p. 811. Mais le registre aux baptèmes de Haslingden, consulté 
à ma demande par le vicaire (1904) ne porte rien à cette date, ni à aucune 
autre de 1790. Par contre, il indique, le 12 avril 1789: John, son of William 
und Betty Cockrel. Il en résulterait que Cockerill était d'un an plus agé 
qu'il na le eroyait lui-même, et que l'orthographe de son nom a été altérée. 

8) Biographie nationale t. IV. col. 281 (notice d’En. MORREN). 

4) GOBERT, loc. cit. 


630 Ernest Mahaim 


En 1807, William Cockerill vient s’etablir a Liege avee sa 
famille. «Il monta d’abord, dit BECDELIEVRE'), au pied du 
Pont-des-Arches, un atelier de construction pour les machines à 
carder et à filer la laine grasse et autres mécaniques pour la 
fabrication des draps.» Mais cet atelier devenant bientöt trop 
restreint, Cockerill acheta l’Hötel de Forêt, vaste immeuble 
situé près du pont du Lycée ou Pont des Jésuites. «En peu de 
temps, il construisit une telle masse de ces mécaniques qu'il en 
inonda la France et les principales contrées de l’Europe» *). Dans 
ses ateliers mêmes, 150 ouvriers étaient occupés, mais un très 
grand nombre d’autres travaillaient à domicile? 

Le succès des affaires fut tel qu’en 1813, à l’occasion du 
mariage de ses deux fils James et John avec deux demoiselles 
Pastor d’Aix-la-Chapelle, le père Cockerill leur cédait son éta- 
blissement, et se retirait, après fortune faite. 

En 1810, il avait reçu la grande naturalisation française, à 
la suite d’une récompense «au concours des prix décennauxr°). 

Les deux jeunes gens, à la tête de la maison, ne .tardent 
pas à lui donner de l’extension et à varier sa production. Des 
1815, ils fondent un établissement à Berlin, à la suggestion, 
dit-on, de M. Beuth, ministre des finances de Prusse, que leurs 
parents avaient eu à loger chez eux en 1814, pendant le passage 
des Alliés en Belgique. 

La même année, 1815, ils construisent leur première machine 
à vapeur. 

Le 25 janvier 1817, les Cockerill acqueraient du ni 
Guillaume I” des Pays-Bas le Château de Seraing, -ancienne resi- 
dence des Princes évêques de Liège. Ce château, tombé dans 


1) Biographie Liegeoise 1837, p. 713. La notice de BECDELIÈVRF 
a servi à la plupart de ceux qui ont écrit les suivantes. Elle renferme 
certainement des erreurs de date. Mais, comme elle a été écrite du vivant 
de John Cockerill et peut-être revue par lui, elle présente certaines garanties 
d’exactitude que d’autres n’ont point. 

2) BECDELIÈVRE, loc. cit. 

8) BECDELIÈVRE, loc. cit. D'après une lettre de William Cockerill fl, 
datée du 28 avril 1811, les lettres de naturalisation venaient d'arriver à 
Liège à cette époque. Le serment d'allégeance ne fut certainement preie 
qu'en mai 1811. 


Les débuts de l’établissement John Cockerill à Seraing. 631 


le domaine public à la Révolution, avait été transformé en hôpital 
militaire et en magasin à poudre sous l’Empire. 

On ne nous dit pas de qui vint l’idée de cette acquisition: 
de Cockerill ou du roi des Pays-Bas’). Toujours est-il que 
cette idée ne manquait pas de hardiesse, car, pour l’époque, les 
ateliers qu’on y installa parurent gigantesques. Dès le début, 
la clientèle du Gouvernement fut assurée a la nouvelle usine, 
dans laquelle le roi était d’ailleurs personnellement intéressé. 
Il existe encore des cachets de l’époque qui portent: «Koninglijk 
Etablissement te Seraing». 

Ces ateliers étaient montés pour construire des machines à 
vapeur, des machines d'industrie textile (lin et laine) et compre- 
naient une filature de laine, qui ne fut maintenue que quelques 
années. Tout était disposé en vue des accroissements successifs, 
et l’on assure qu’à cette époque «il n'existait rien d’un ensemble 
aussi considérable, même en Angleterre»*). «Du jour où la 
fondation de Seraing a été résolue, dit un article du Temps de 1840, 
cité par M. GoBERT?), les Cockerill se sont faits les premiers, 
les plus grands constructeurs de force mécanique, non seulement 
de notre continent, mais du monde entier.» 

Dès 1820, on voit Cockerill poursuivre l’idée de rendre son 
établissement autonome, en produisant lui-même ses matières 
premières. Cette année, il demande l'autorisation d'établir un 


1) Ep. MORREN raconte une anecdote assez curieuse qui tendrait à faire 
croire que les ouvertures furent faites par le roi: «Notre industriel avait été 
recommandé au roi par l'honorable comte de Mercy-Argenteau, alors grand 
ehambellan; mandé à La Haye, Cockerill répondit à peine aux nombreuses 
questions que lui adressa le roi Guillaume, qui, après l’entrevue, ne put se 
eontenir. — Mais, mon cher comte, quelle espèce de mnet m’avez-vous 
amené lä? — Pas si muet et moins sourd encore, Sire: c’est un esprit précis, 
profond, voyant loin et plein d’audace: je viens demander pour lui la faveur 
d’une seconde audience. Soit complaisance, soit curiosité, l’audience fut 
accordée. Cockerill avait eu le temps de réfléchir sur les propositions 
royales; il retrouva la parole et formula des aperçus si justes, des calculs 
si positifs qu'il obtint instantanément tout ce qu’il ponvait désirer» (loc. 
cit. col. 232). 

2) MORREN, loc. cit. 

8) Op. cit. t I. p. 818. 


632 Ernest Mahaim 


baut-fourneau pour fonte au coke!). Cette demande est la 
première faite dans la province de Liege; mais le haut-fournean, 
commencé seulement en 1823, sous la direction de l'ingénieur 
anglais Mushet, ne fut mis en activité qu'en 1826, après celui 
de Henri-Joseph Orban à Grivegnée. 

En 1823, James Cockerill céda sa part à son frère John, 
qui devint ainsi seul propriétaire de la maison de Seraing. Celle-ci 
ne tardait pas à se faire une spécialité des machines à vapeur. 
En 1824, elle faisait des moteurs de 30 à 50 chevaux pour le 
cabotage. L'année suivante, elle livrait «de magnifiques machines 
de 240 chevaax pour la marine de guerre de l'Etat néerlandais 
(notamment pour la corvette l’Aélas) au grand dépit des con- 
structeurs anglais qui trouvaient l’entreprise ridicule et exagérée, 
la marine anglaise n’en possédant alors que de 150 chevaux”). 

De 1826 à 1828, se place l'installation de la houillière Henri 
Guillaume avec ses puits, ses galeries, ses aménagements constitués 
dans des proportions alors inusitées*). L'usine était, dès lors, 
en possession d’une des sources principales de matières premières, 
le charbon. 

La révolution de 1830 vint mettre Cockerill à deux doigts de 
sa perte. L'Etat néerlandais et le roi Guillaume étaient restés 
fortement intéressés dans l'établissement de Seraing: une partie 
du prix d’achat du château n’avait pas été payée, et il avait reçu 
des avances de fonds. En outre, il avait des relations d’affaires 
avec les maisons les plus importantes du commerce et de la 
finance des Pays Bas‘). Pendant deux ans, l’activité des atelier: 
fut réduite à presque rien. Elle reprit un nouvel essor, en 1834. 
quand les négociations avec l'Etat belge pour la cession de sa part 
aboutirent à rendre John Cockerill seul propriétaire. Cet évènement 


1) P. Jacquemin, Notice sur l'établissement Cockerill à Seraing. Liège 
1878, p. 15. — M JACQUEMIN, né en 1822, aujourd’hui encore chef é& 
comptabilité à la Cie. Cockerill, est l’un des plus anciens fonctionnaires. 
D est entré dans l’etablissement sous John Cockerill lui-même, en 1884. D est 
l'auteur d’une série de notices (la première signée de M. Sadoine, date de 1873). 

2) JACQUEMIN, loc. cit. 

3) JACQUEMIN, loc. cit. 

4) JAOQUEMIN, loc. cit. p. 17. 


Les débuts de l'établissement John Cockerill à Seraing. 633 


fat fêté par la population ouvrière d’une manière qui témoigne 
de la solidarité qui existait entre Cockerill et ses ouvriers. Ils 
éerivirent sur la porte de l'Etablissement: «C’est da noss to seu» 
(C'est à nous tous seuls) !). 

En 1835, Cockerill livrait à l'Etat belge «la première loco- 
motive et les premiers rails pour l’un des premiers chemins de 
fer du continent: celui de Bruxelles à Malines, et d’Ans à Anvers, 
établi en exécution de la loi du 1°" mai 1834»). 

Une période d'activité débordante s’ouvrit alors. C'était 
l’époque du premier établissement des chemins de fer, et les 
commandes gouvernementales ne manquaient pas. Mais en 1837 
et 1838, une crise financière, réaction de la fièvre industrielle 
précédente, abattit un certain nombre de banques bruxelloises et . 
ébranla les autres. Cockerill en fut atteint. Un accident de 
voiture qui le mit pendant plusieurs semaines en danger de mort 
fit penser à sa disparition et contribua, dit-on, à diminuer son 
erédit”). Toujours est-il qu'en février 1839, il dut se mettre 
en liquidation. Comme son actif fut trouvé valoir vingt-six 
millions de francs et son passif dix-huit millions, ses créanciers 
lui aocordèrent un «sursis». Une commission composée de six 
délégués fut par eux nommée et prit, à coté de Cockerill lui- 
même, la direction des affaires de l’usine de Seraing‘). 

Fidèle à sa devise «Courage to the last», Cockerill ne se 
laissa pas abattre. Il redoubla d'activité. L’un de ses nombreux 
projets d'entreprises”) exigeait sa présence en Russie. Il partit 
pour St. Pétersbourg, fut atteint de la fièvre typhoïde au retour, 
à Varsovie, et y mourut le 19 juin 1840. 

On a peine à se figurer qu'à cette époque, un industriel put 
avoir fondé et dirigé autant d'entreprises différentes que 
Cockerill. 


—— —— 





1) MORREN, op. cit. col. 2385. 

2) JACQUEMIN, loc. cit. 

3) MORREN, op. cit. col 236. 

4) Des registres aux procès verbaux de cette commission existent encore. 

6) Pour Ep. MORREN et M. GOBERT, il s'agissait de construire des 
chemins de fer; BEcDeLıkveB parle d'ateliers pour la construction de 
maschines à vapeur, locomotives et wagons. 


634 


Ernest Mahaim 


Voici, d’après les biographes, celles qu'il cpossédait» à a 
mort, outre les usines de Seraing !): 


1° 


90 


30 
49 


13° 
14° 
15° 
16° 
17° 
18° 
19° 


20° 


21° 


la fabrique de machines de Liège, au pied du Pont-de- 
Jésuites (800 ouvriers); 

un tissage mécanique à Liège dans l’ancien couvent des 
Récolets, on ne nous dit pas de quel textile; 

une fabrique de mérinos, à Liège (on ne nous dit pas où); 
une grande filature de coton à Liège, «sur le bord dela 
Meuse», «sous la raison Yates et Ci°»; 

une fabrique de chaudières au Val Benoit près de Liège; 
une fonderie pour le montage à Tilleur près de Liège; 
une filature de laine peignée à Verviers; 

une autre à Aix-la-Chapelle; 

une imprimerie sur coton à Andenne, près de Namur; 
dans la même localité, une papeterie; 

et une fabrique de terre plastique; 

à Spa, il eut certainement un grand établissement inds- 
striel. D’après BECDELIÈVRE, c'était «une filature de coton»; 
d'après MORREN «il tenta d'établir à Spa un tissage à la 
Jacquard, mais il dut y substituer une fabrique de cardes 
et de broches» ; 

une filature de laine à Berlin; 

une autre à Guben (prov. Saxe): 

une autre à Grüneberg en Silésie; 

une «fabrique de filets» à Cottbus en Basse-Lusace; 
une fabrique de draps à Przelborg, en Pologne; 

une fabrique de coton à Barcelone; 

une maison pour la vente des étoffes de coton à Amster- 
dam ; 

des «moulins à vapeur pour la fabrication du sucres à 
Surinam ; 

des mines de zinc à Stolberg. 


Il était «interesse pour de fortes partes>, dit BECDELIEVRE: 


1° 


—— me 


«dans les hauts-fourneaux du département du Gard; 


1) Dans cette énumération, je suis principalement BECDELIÈVRE qti 
écrivait en 1837 ou 1889. Je le complète par MORREN, loc. cit. 


Les débuts de l’&tablissement John Cockerill à Seraing. 635 


2° dans quatre houillières; 

3° dans les hauts-fourneaux d’Ougree; 

4° ceux de l’Esperance; 

5° et de Chatelineau; 

6° dans une fabrique de fusils de guerre; 

7° dans une grande manufacture pour la filature et le tissage 
du lin à St. Denis près Paris.» 

Au moment de sa mort, outre les ateliers de construction de 
achines près St. Petersbourg, il «commençait l’exploitation d’une 
yuilliere dans les environs de St. Etienne, où il se proposait 
établir des hauts-fourneaux et une fabrique de fer par cylindres». 
'auteur ajoute: «Cette nomenclature est loin de comprendre 
us les divers établissements auxquels M. Cockerill est intéressé». 

Voilà donc, dès 1840, un industriel de grand style. A lire 
tte énumeration, on croirait voir l'inventaire des affaires d’un 
aancier tout à fait contemporain. Je me demande si, à l'époque 
ont il s’agit, il y avait beaucoup d'hommes d’affaires, en 
ngleterre et sur le Continent, dont la situation pouvait se com- 
arer à celle de Cockerill. 

Sa mort brisa le lien entre toutes ces entreprises, rendit plus 
récaire encore l’état des affaires de Seraing. Cockerill n’avait pas 
‘enfant légitime ; ses héritiers n’acceptèrent sa succession que sous 
énéfice d'inventaire. Les créanciers qui géraient l’établissement 
e Seraing résolurent, avec les héritiers, de le mettre en société 
ıonyme: l’acte est du 8 avril 1842. La société était constituée 
1 capital de 12 500 000 francs «répartis en actions de 1000 francs 
1acune entre les divers créanciers, jusqu'à concurrence de 65 p. c. 
2 leurs créances’). Elle fut placée sous la direction de M. Con- 
d-Gustave Pastor, l’un des héritiers, qui était attaché à Seraing 
epuis 1817. 

L'historique de la Sociéte anonyme serait hors de propos ici. 


* * 
* 


On a pu apercevoir, par ce qui précède, l'intérêt de l’histoire 
e8 débuts de Cockerill. C’est l’histoire de l'apparition de la 


1) A. LECOCQ, Description de l'établissement John Cockerill à Seraing. 
iège 1847, p. 7. 


636 Ernest Mahaim 


grande industrie et de la substitution des machines au travail 
à la main dans l’une des industries textiles, l’industrie de la laine. 

Il est toujours très difficile de résoudre les questions de priorité, 
spécialement dans la technique industrielle. La réalisation mat. 
rielle d’un procédé ou d’une machine ne se laisse pas dater 
toujours comme un éerit, un imprimé. La difficulté augmente 
quand il s’agit de diffusion, d'imitation de procédés ou d'instru- 
ments déjà connus, qui peut se faire en plusieurs endroits en même 
temps. 

Nous ne sommes pas à même d'affirmer, avec M. Renier, que 
«Verviers eut la gloire de voir construire sur le continent le premier 
moulin mécanique appliqué à la laine"), ce qui est très-possible. 
Par plus que nous ne sommes à même de trancher la querelle 
entre le Hainant et le pays de Liège à propos de la priorité de 
l'emploi des machines à vapeur rotatives *). 

Mais, à tout prendre, cela n’a guère d'importance dans l'histoire 
qui nous occupe. William Cockerill a été certainement parmi 
les premiers agents de la révolution industrielle. Dans quelle 
mesure est-il inventeur? C'est ce qu'il est probablement impossible 
de déterminer. En tout cas, il n’avait pas besoin d'être inventeur 
pour Jouer un rôle historique: il lui suffisait de reproduire les 
machines qui étaient, depuis quelques années, en usage en Ar- 
gleterre. 

On notera que c’est par les industries textiles, en Belgique 
comme en Angleterre, que la révolution a commencé; la machine 
à vapeur, et la transformation de l’industrie du fer sont venues 
ensuite. 

À peu près en même temps que Cockerill à Verviers dans 
l’industrie de la laine, Liévin Bauwens introduisait les machine 
cenant d'Angleterre dans l’industrie du lin et du coton‘). Mais 
Bauwens était un riche négociant. Il importait, en même temp: 
que les machines, des ouvriers anglais. Cockerill était ouvrier 
lui même. Il représente le ferment qui fait lever la pâte: c'est 


1) Op. cit. p. 168. 

2) V. BRIAVOINNE, De Pindustrie en Belgique (1839) t. L p. 238. 

8) V. N. DB PAUW, Liévin Bauwens. Son expédition en Angleterre 4 
son procés à Londres (1798—1799). Gand 1908, p. 24. 


Les débuts de l’établissement John Cockerill à Seraing. 637 


l'agent actif, qui crée, autour de lui cette «onde d'imitation» 
dont parle souvent GABRIEL TARDE, et que nous observons si 
clairement ici. 

À peine ses premiers «moulins» sont-ils en mouvement, que 
tous les «fabricants» en veulent; et cela se conçoit: «à l'aide 
de trois personnes un moulin devait pouvoir filer par jour 400 
écheveaux, c’est à dire remplacer deux cents bras» !). La nouvelle 
machine est ainsi l’objet d’un cdésir> intense, basé sur une 
«croyance» solide, qui lutte victorieusement contre les anciens 
sentiments, les anciens désirs et les anciennes croyances. La 
révolution est faite dans les esprits. Elle passe bientôt dans 
les actes. Autour de James Hodson, ferment de second ordre, 
appelé ou retenu par Cockerill, c’est une serie de machines, 
c’est une pléiade d'ouvriers, étrangers et indigènes, qui répandent 
les nouveaux procédés. Le rayonnement imitatif dépasse Verviers, 
gagne d’abord les localités toutes proches de l’ancien Limbourg et 
l’ancienne principauté de Stavelot où l’industrie de la laine est 
pratiquée. Aig-la-Chapelle compte également beaucoup des pre- 
miers clients de Hodson. 

Puis, avec une rapidité qui étonne étant donné la lenteur des 
communications, ce sont les centres drapiers du Nord de la 
France qui prennent part à la rénovation. Une fois Cockerill 
installé à Liège, sa clientèle se forme en France. 

C'est à cette époque que se rapportent les documents que 
je veux analyser ici. 

Les plus anciens remontent à 1808. Ce sont des comptes 
et des factures de fournisseurs de matières premières ou d'accessoires. 

Tout d’abord, des pièces de fonte moulées étaient fournies 
par la fonderie de Raborive, près d’Aywaille, sur l’Amblève, 
appartenant à M° Dancion de Ville. C'était une usine à fer déjà 
ancienne; elle avait été établie probablement en 1751 «à l'instar 
des ouvrages de poëlerie de Theux (Liège) pour fabriquer des 
poëles, poëlons, pelles à feu, couvercles de pots etc.»*). La 
forge de Raborive travaillait surtout les gueuses venant du 


1) RENIER, op. cit. p. 167. 
2) A. WARZÉE, Exposé historique de l'industrie du fer dans en province 
de Liège. Mem. de la Société libre d’ Emulation, t. I. (1860) p. 511. 


638 Ernest Mahaim 


fourneau de Férot, appartenant au même propriétaire. Vers 
l'an X, c'est à dire cinq ou six ans avant la correspondance 
avec Cockerill que nous possédons, «seize à vingt ouvriers étaient 
employés au fourneau, et dix à la forge; 700 à 800 ouvriers 
étaient occupés à charrier, à couper du bois, à fabriquer du 
charbon etc. Le minérai de fer était acheté au prix de5 
à 11 fr. le char, suivant la qualité»". 

C'est à cet établissement, très réputé à l’époque dont il 
s’agit, que Cockerill commandait des pièces de forge dont il 
avait besoin pour faire ses machines. Souvent, c'était d’après 
un modèle (en bois?) et il arrivait que la confection de la pièce 
nouvelle présentait de grandes difficultés ?). 

Nous avons le «Compte de toutes les factures envoyée à 
Monsieur Guillaume Cockerill» du 1° juillet 1808 au 6 février 1809, 
c'est à dire un à deux ans après l’installation de Cockerill à Liège. 

Les postes du compte sont libellés de la manière suivante: 

«Envoyé à Monsieur G. Cockerill, Mécanicien etc. ete., de 
Raborive à Liège franc de port par le batelier Lagasse de 
Remouchamps *), des pièces mécaniques fer coulé savoir, sept 
grandes roues pesant 485 livres, qui avec 51 pièces pesant 948 
livres, lui envoyées le 21 juin dernier, font ensemble 58 pièces pesant 
toutes ensemble 1433 livres, à fl. 16 le cent, poste ... 229 (fl 
5 (sous) 2 (liards).» 

Les cent livres de pièces de fer coulé se payaient done 16 fl.; 
la crehausse» des pièces se payait 6, 10 sous, 1 fl. ou 1 fl. 10 sous 
la pièce. Que valait ce florin alors? C’est ce que je n’ai pa 
encore été à même de déterminer. 

Les pièces commandées sont des roues, des rouages, des 
«demi-lunes> et surtout des «pieces mécaniques» non dénommées. 
En additionnant leur poids, je trouve (pour la fourniture du 
21 juin 1808 au 6 février 1809) un total de 23703 livres, soit 
environ 11850 kilogrammes. Cockerill devait de ce chef à 
M"° Dancion de Ville la somme de 5246 fl. 18 8. 2 d. IN fai 
sait des remises de 500 et de 1000 fl. à la fois. 








1) WARZEE, loc. cit. p. 513. 
2) Lettre de Mme Dancion de Ville, à G. Cockerill, de Férot, 1® févr. 1810. 
8) L’Amblöve était alors navigable. 


Les débuts de l'établissement John Cockerill à Seraing. 639 


Quarante sept lettres subséquentes, de 1810 à 1813, montrent 
que la maison de Raborive continua à fournir longtemps Cockerill 
dans les mêmes conditions. Il est impossible de faire le compte 
total, dans l'ignorance où nous sommes si la correspondance est 
complète. 

Mais il est certain que la forge de Raborive n'était pas seule 
à fournir Cockerill des pièces de fer. Vingt quatre lettres signées 
L. Dauby et datées de Roche-à-Fresne, du mois de mai 1809 
au mois de mai 1810, témoignent de relations actives entre le 
mécanicien anglais et les forges et hauts fourneaux de Roche- 
a-Fresne. 

Un relevé de compte semblable ou précédent, et portant sur 
toute l’année 1809 et janvier 1810 rend Cockerill débiteur de 
8862 florins 15 sous 2 liards. 

Les pièces fournies sont des «demi-lunes>, des roues «de grand 
charriot» d’autres «de petit charriot», des «pièces à deux bras avec 
trou quaré», de grands «dos d’asne», des <plumards», des ecra- 
paudines», des «pignons», des eroues engrainees>, des «colliers 
de chien». Elles étaient expédiées par Barvaux sur l’Ourthe, et 
arrivaient à Liège probablement par eau. 

Je n'ai pas retrouvé, jusqu’à présent, de document relatif à 
la fourniture des pièces de bois qui devaient être nécessaires 
aux machines de Cockerill. 

Par contre, nombreuses sont les lettres de fournisseurs de 
cardes. 

Le premier en date est John Walsh, «fabricant de cardes à 
filer laine et coton, n° 10 rue de la Muette près la rue Charonne, 
faubourg St. Antoine à Paris». La première lettre est d'avril 1808 
et se réfère à une autre de février de la même année. Les 
relations existaient donc dès l’arrivée à Liège. Peut être remon- 
taient-elles plus haut, Walsh étant évidemment un compatriote 
de Cockerill'); leur correspondance est en anglais. 


1) D'une lettre de Walsh du 18 juin 1808: «It will give us great pleasure 
when you pass through Paris that you would make our house your home. 
It will not be the least inconvenient to us and we hope you will not refuse. 
—- My best respects to all your family.» Tl semble donc qu'on se connaissait, 
et que Cockerill n’avait pas encore de maison à Paris. 


640 Ernest Mahaim 


Les affaires qu'ils faisaient ensemble n'étaient pas de peu 
d'importance: Walsh fournissait pour 2 à 3000 francs de cardes 
en une fois. Un compte qui résume les opérations de 1808 «à 
de 1809 jusqu'en novembre atteint 10287 livres 10 sous. Les 
cardes se livraient en «plaques et en rubans» mesurés en pieds. 


La correspondance que j'ai sous les yeux 86 poursuit jusqu'en 
1819, et toujours les sommes de chaque facture grossissent. On 
commande pour 4000 frs. de cardes à la fois, et cela se repète 
parfois tous les mois. 


Walsh n’était pas le seul fournisseur de cardes: la maison 
A. Pelluard et Ci «fabricans de cardes à Liancourt, près Clermont, 
département de l'Oise» en livrait au moins depuis septembre 1809 
jusqu’en avril 1810. Les sommes sont ici moins fortes: 600. 
700 frs. par facture. Une circulaire imprimée de la maison 
contient un tarif de la fabrique à partir du 1° janvier 1810: 


Cardes à coton 
Plaques et chapeaux, jusques et . 

y compris le n° 24 . . . Ol. 18. 3 d. le pouce quarre 
Ruban de 18 lignes de large n° 24 21. 158. Od. le pied 
Plaques et chapeaux en n° 26 . Ol. 1s. 6 d. le pouce quarri 
Ruban de 18 ligues de large n°26 31. 1s. 6d. le pied. 


Cardes à laine 
Plaques et chapeaux de toutes 
dimensions et numéros . . O1. 1s. 6d. le pouce quarre 
Ruban 18 lignes de large . . 21. 158. 6 d. le pied. 


Il est probable que cette maison ne fournissait que des cardes 
spéciales soit plus fines, plus chères que d’autres. 


Mais un autre Anglais, dont la correspondance ne manque 
pas de gaité, fabriquait également des cardes pour Cockenill, 
au moins en 1810 et très probablement dès 1809. Il se nom- 
mait H. Mather, et habitait Mons. Son papier à lettres — beau 
papier à la main, soupe, épais, filigrané, comme presque tout 
le papier des correspondances commerciales de cette époque — 
porte un curieux entête gravé. Il est intitulé: «Medailles qu'a 
obtenu H. Mather le produit de son industrie.» (L'orthograpbe 
et la rédaction sont évidemment de l’Anglais lui même.) De 


Les débuts de l'établissement John Cockerill à Seraing. 641 


deux cotés de cette inscription sont les deux médailles, entourées 
de rubans portant des inscriptions. L'une des médailles a ét 
accordée par le département de Jemappe; elle est entourée de: 
mots: «Prix d'industrie 1806; Exposition de Mons. Reconnaissance.» 
L'autre porte: «Salon d'exposition du 12 juillet 1807. Mairie 
de Douai.» Quel intérêt aurait la publication des catalogues de 
ces expositions (s’il en a été fait) et des rapports des jurys, des 
listes de recompenses! 

Mather avait, à Mons, des associés dont il semble ne pas 
toujours être satisfait. Sa première lettre fait voir qu'il est en 
relations depuis longtemps avec Cockerill, dont il se dit l’ami 
à plusieurs reprises. Il vante sa marchandise et son bon marché: 
«I hope you say friend Mather is determined to do his best for 
us» !). Les commandes sont de 1200 Livres, même de 3000 Livres 
à la fois. Elles sont facturées en livres tournois. Un compte 
partant du 27 octobre et allant jusqu’au 19 février 1811 se monte 
au total à 12668 I. 6 s. 8 d. — Au mois de juin 1811, une lettre 
apprend que les ateliers de Mather ont chômé depuis longtemps 
et sollicite de nouvelles commandes. Il semble qu'on n’y a pas 
donné suite. Mather avait probablement, outre une fabrique de 
cardes, une filature, car il commandait des «assortiments» à Cocke- 
rill et les lui payait en cardes. 

C’est le moment d’indiquer quelle espèce de machines sor- 
taient des ateliers de Cockerill. 

Faute de détails dans les archives qui sont à notre dispo- 
sition, nous sommes obligés de recourir au » Mémoire statistique 
du département de l’Ourte« par L. F. Thomassin, ancien chef 
de division à la préfecture (Liège. Grandmont 1879. 1 vol. 
in fol.) On sait que Thomassin, fonctionnaire modèle et collec- 
tionneur minutieux de tableaux de chiffres où s’allongent de 
belles colonnes sous les rubriques et les accolades, était ad- 
mirablement placé pour connaître l’industrie de son époque. 
Son mémoire a été commencé en 1806, et terminé vers 1813. 
Il y a lieu d'admettre qu'il se rapporte à peu près à la période 
que nous étudions. 


1) L. du 3 fév. 1810. 
Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte. III. 42 


642 Ernest Mahaim 


Les chiffres de Thomassin ne sont pas le résultat de dénom- 
brements, mais d'évaluations faites en chiffres ronds. 


Il cite d’abord Cockerill parmi les fabricants de cardes 
mécaniques, et il résulte de son tableau que la fabrique de 
Cockerill était bien plus importante que les autres: elle devait 
compter : 

3 apprêteurs 
8 coupeurs de dents 
200 bouteurs 
6 repareurs, 
soit 217 ouvriers. 

La production annuelle était évaluée: 
pour 3240 plaques n° 24, 
et 19200 pieds de ruban n° 24, 

à 81 720 francs. 

La fabrique la plus importante, après celle-ci, est celle de 
Dejardin et Hodson à Hodimont, dont la production était évaluée 
à 57758 frs. Le total de la production des dix fabriques relevées 
se monte à 311306 frs. Cockerill en faisait donc plus du quart, 
et l’on a vu qu'il était obligé d’en demander encore à d’autres 
fabricants. 


C'est que la fabrication des cardes n'était pour lui qu'un 
accessoire de sa production «d’assortiments de mécaniques pour 
la fabrication des draps, casimirs et autres étoffes de laine». 


Voici ce qu'en dit Thomassin'). «L’industrie du département 
a, chaque jour, lieu de s’applaudir de l'introduction des meca- 
niques. Parmi les artistes et les mécaniciens qui employent leurs 
talents à rompre les liens de l’ancienne routine, M. Cockerill est 
un de ceux à qui les fabricants auront l'obligation de les en 
avoir affranchis. Ses ingénieuses machines sont construites avec 
une telle simplicité, diminuent le travail d’une manière si éton- 
nante, et offrent une économie si considérable, en réunissant tous 
les avantages de la perfection dans les produits manufacturé:, 
qu'on ne sauroit leur donner assez de publicité ... Nous présen- 








1) p. 449. 


Les débuts de l’établissement John Cockerill à Seraing. 643 


terons [maintenant] un état sommaire des opérations des 
diverses machines pour la fabrication des draps, casimirs et 
autres étoffes de laine, comparés à la main d'œuvre de l’ancien 
système. 


Machine à ouvrir la laine. Cette machine nettoye et ouvre 
une quantité égale à la main d'œuvre de soixante personnes par 
jour. 


Machine à mélanger les couleurs. Le travail de cette machine 
est de plus de moitié de la précédente machine à carder. Une 
de ces machines carde soixante huit kilogrammes de laine par 
jour ce qui est égal à la main d'œuvre de vingt quatre per- 
sonnes. 


Machine à filer. Celle pour la première filature file jusqu’à 
trente quatre kilogrammes de laine par jour; celle pour filer 
en fin, fait l'ouvrage de vingt quatre personnes par jour. 


Metier à navette volante. Ce métier, plus perfectionné que 
ceux qui ont été faits Jusqu'à ce jour, offre aussi plus d'économie: 
une seule personne fait plus d'ouvrage et d’une meilleure 
qualité que deux avec les métiers ordinaires. 


Machine à lainer. Cette machine fait en un jour l’ouvrage 
de vingt personnes. Le drap lainé ou garni à cette machine, 
est plus soyeux, plus souple, et la corde en est bien conservée; 
elle offre, en outre, seulement dans l'emploi des chardons, une 
économie de douze pour cent. 


Machine à tondre les draps. Il ÿ a deux machines, de prin- 
cipes différents, pour ce travail; l’une opère les première et se- 
conde coupes, sur une quantité égale à vingt mètres, grande 
largeur, en une heure de temps; l’autre sert pour les troisième 
et quatrième coupes, ce qui achève la tonte. 

Machine à brosser les draps pour la presse. Cette machine 
employée pour la dernière opération, couche le poil et donne le 
lustre, en six minutes, à une pièce de drap de vingt mètres, 
grand largeur, travail qui ne peut-être égalé par un homme en 
une heure. 

Ce que l’on appelle, dans les fabriques de drap, un assorti- 
ment complet se compose: 


644 Ernest Mahaim 


1° D’une machine à ouvrir la laine. . . 2.600 fe. 


> » à mélanger les couleurs ou à drousser 2400 , 
3 „ „ àcarde . . . . . . . . . 240, 
4° D'un moulin gros, ou machine à filer en gros . 6500, 
5° De quatre machines à filer fin . . . . . . . 1600, 





Total 7 500 fes.» 

On verra que le prix de 7500 fcs. indiqué par Thomassin est 

de beaucoup inférieur aux prix de Cockerill. Il est possible 

que les chiffres du fonctionnaire provincial se rapportent à une 

époque postérieure; il se peut aussi que les assortiments de 

Cockerill comprenaient plus de machines. Souvent, nous voyons 

qu'on parle de «diable volant espèce de ventilateur à ailettes 
— qui fait défaut dans l’énumération de Thomassin. 


Quoi qu'il en soit, dans «l’&tat de situation» que celui-ci donne 
«des fabriques d’assortiments de mécaniques et des produits livrés 
au commerce en 1812'), la maison Cockerill figure comme de 
beaucoup la première. 

Il aurait employé: 


500 forgerons (à 2 fes. par jour) 

1500 menuisiers (à 2 fcs. 20 par jour), dont une grande 

partie évidemment à domicile. 

Soit 2000 ouvriers au total, sur 2500 qu’auraient occupés 
les 21 fabriques d’Eupen, d’Ensival, de Liège, de Spa, et de 
Verviers reprises au tableau. Les plus fortes maisons après 
Cockerill étaient celles de Spineux, de Liège et d’Hodson à 
Verviers, qui n'avaient pas plus de 70 ouvriers. 

La production annuelle de la fabrique de Cockerill est indiquée 
comme suit: 


50 machines à ouvrir la laine . . . . . . (à 600 fe.) 
400 » à mélanger les couleurs . . . (à 2400 fcs.) 
300 n à carder . . 2 . . . . . (à 2400 fe.) 
300 n à filer en gros . . . . . . (à 500 fcs.) 

1 500 » à filer en fin . . . . . . . (à 400 fe.) 

40 » à lainer . . . . . . . . . (à 1200 fes.) 


Les débuts de l’&tablissement John Cockerill à Seraing. 645 


La valeur totale de ces machines était évaluée à 2508000 francs, 
dans laquelle la main d'œuvre entrait pour 1290000 francs. 

Chiffres énormes, étant donné que l’ensemble de la production 
des 21 fabriques connues de Thomassin était de 5005 600 francs, 
et le prix total de la main d'œuvre 1658700 francs. Il en résulterait 
que Cockerill fabriquait à cette époque à lui seul 50 pour cent 
{en valeur) de la production du pays et distribuait 77 pour cent 
des salaires dans l’industrie lainiere. 

Il est à noter encore que, d’après Thomassin, Cockerill ne faisait 
pas du tout de «métiers à navette volante», de machines «à tondre 
les draps» ni de «machines à brosser les draps par la presse». 

Il vaudra la peine de vérifier — pour autant que cela sera 
possible — ces chiffres étonnants. Il est clair que, s'ils sont 
exacts, nous avons affaire à une entreprise de dimensions colos- 
sales pour l’époque. 

L'une des parties les plus intéressantes de la vaste corre- 
spondance qui est à notre disposition est celle qui se rapporte 
aux années 1810 à 1812, et qui émane des membres de la famille 
Cockerill en voyage d’affaires. 

Le plus grand nombre des lettres est de Charles-James, qu’on 
appelle couramment James, le futur associé de John. Mais il y 
en a aussi du père Cockerill, de son fils William, et même de 
la mère, Me Elizabeth Cockerill. 

Au mois de septembre 1810, James est à Elbœuf, occupé 
à diriger le montage d’assortiments commandés par les fabricants. 
II a avec lui des ouvriers liegeois. En même temps, il cherche 
des commandes et passe des contrats. 

Cockerill était alors associé à deux Anglais nommés Harmey 
et Armfeld, et avait déjà une maison à Paris, 25, rue St. Domi- 
nique, plus un atelier rue de la Roquette 39. James ne manque 
pas de marquer sa désapprobation de cette association: les 
associés étaient des gens sans soin, sans ordre, sans tenue); 
sur ses instances, cette association prit fin l’année suivante. 

ll est probable que. c’est cette firme complexe qui avait fourni 
au moins en partie des machines à Elbœuf. 


1) »On my arrival here I found in Rouen W= Armfeld with the lower 
<lass of work people!« Lettre du 15 sept. 1810. 


648 E. Mahaim: Les débuts de l’&tablissement J. Cockerill à Seraing. 


à 9000 frs., mis en activité en place (set up in activity on the 
spot), frais de transport payés. 

Dans la lettre suivante, il caractérise le pays d’une manière 
assez amusante: «Chalabre is a small town, will suffice for the 
gentlemen of this country (Mrs. Godey et Vene) to spin for! 
Limoux is. situated 5 leagues from here, a manufacturing town 
indeed, a second Verviers. Carcassonne, 5 leagues from Limoux, 
a second Aix-la-Chapelle. Spins all white wool and dies in the piece.» 

C'est la qu’il va accomplir son œuvre de transformation, de 
révolution. Après avoir monté les machines de ses clients à Chalabre, 
il prend, à Limoux, un intérêt d'un tiers dans une firme qu'il 
fonde avec deux autres; il loue une chute d’eau pour 10 ans, 
avec un bon bâtiment (loyer 3000 francs l’an)‘). Il commande 
8 assortiments pour y être mis en activité. Avec ceux dont il 
a recueilli la commande, cela fait 30 assortiments à fournir 
en six semaines sous peine de 6000 fcs. en cas de retard. I 
contracte toujours pour un prix de 13000 francs l’assortiment mis 
en place et en activité, ou 12000 pris a Liège. La moitié du prix 
était payable à la mise en activité; l’autre moitié six mois après. 

Dans sa lettre suivante, du 15 novembre, il chante victoire. 
Bien qu'il se dise fatigué de cette »strolling lifee on sent qu'il 
est satisfait. «I have, dieu merci, déjoué les projets de nos crain- 
tifs confrères ... We whisper’d in the ear of a jealous old 
fabricant that 32 sets would be in activity for the end of February 
and 16 for the end of January, that we would spin at half priee 
for the small manufacturers so as to make fall all the machines 
that went by horses and that were not made by us — besides 
the quality of the work. Douglas has four sets returned. Spineus 
is ruined. They offer their machines now at credit for a year at 
6000 francs, and yet nobody will have them. Collier can’t work.» 

N’est-ce pas qu'on voit, dans ce passage, l’homme d’action 
et de lutte, le ferment, dont la destinée est de bouleverser, de 
soulever et de transformer le milieu social? (A suivre.) 
| 1) «I have taken a place in this country, proper for the establishment 


of our machines, such a none is to be found in the country . .. a fine water- 
fall, good dwelling house.» Lettre du 12 nov. 1810 de Limoux. 


Literatur. 


Une Bibliographie de , l'Histoire économique et sociale“ 
moderne et contemporaine de la France. 


Répertoire méthodique de l’histoire moderne et contemporaine de la 
France, pour l’année 1898, rédigé sous la direction de G. BRIÈRE et de 
P. CARON, et p. par la Revue d'Histoire moderne et contemporaine 
(Paris, G. BeLLAIS, 1899; 8°, XXIV et 119 p.). Id., pour l’année 1899 
(1901, XXXII et 229 p.). Id., pour l’année 1900 (1902, XXX VIII et 273 p.). 
Id., rédigé sous la direction de G. BRIÈRE, P. CARON et H. MAÏSTRE 
et p. sous les auspices de la Société d'Histoire moderne. Année 1901, 
4e année (1903, XL et 334 p.). Id., rédigé sous la direction de — et 
p- par la Société d’H.M. Année 1902, 5e année (1904, XXX VI et 255 p.). 


L'apparition de la cinquième année du Répertoire fournit une 
occasion toute naturelle de rendre compte de cette publication depuis 
son début. Le premier tome comprend tous les travaux 8e rapportant 
à l’ensemble de l'Histoire de France de 1500 à 1871; les suivants 
descendent „jusqu’& nos jours“!). Mais, bien entendu, nous ne nous 
occuperons que de la partie de la Bibliographie correspondant au cadre 
de la „Vierteljahrschrift“, c’est à dire de l’histoire économique et sociale. 

Une des divisions du Répertoire porte en effet ce titre. La partie essen- 
tielle de son contenu, dans l’ensemble des cinq années, n’a pas en somme 
varié, mais des modifications de details ont été faites. Ainsi plusieurs 
subdivisions ont été créées). En outre, de plus nombreuses ont été 
détachées pour former des parties nouvelles et indépendantes. Enfin, 
il importe d'y joindre quelques rubriques qui n’ont pas cessé d’être 
classées dans d'autres chapîtres, mais qui nous semblent, par leur 
contenu, se rattacher plus ou moins étroitement à l’histoire économique 
et sociale. Quant à la forme du classement, dans les deux premières 
années, elle a été chronologique avec deux ou trois subdivisions (Ancien 
Régime, Révolution, XIXe siècle) et des sous-rubriques méthodiques; 
ensuite, le système inverse, méthodique avec des subdivisions chronolo- 
giques, a été adopté. 


1) Repert., II. p. V. 

2) Depuis les t. III—IV apparaissent des rubriques de „Demographie 
statistique“, „Legislation civile, Coutumes“; „Histoire des Sociétés savantes. 
Bibliothèques. Archives“; „Opinion Publique et presse“. 


650 Referate. 


Cette division peut être considérée à deux points de vue: la chrono- 
logie, le plan. 

D'une part, on sait que la date extrême de l'histoire examinée a 
été reculée de 1871 à nos jours, aux événements les plus récents. 
L'histoire contemporaine est prise au sens strict du mot, les auteurs 
considérant que tout instant passé, si récent soit-il, Jui appartient. 
En principe, préparer, au point de vue qui nous occupe, 8a bibliographie, 
est entreprendre une tâche considérable, car le mouvement économique 
et social a pris de nos jours une importance vraiment énorme, et son 
développement entraîne naturellement une quantité comparable de 
travaux ou de publications plus ou moins spéciales, livres et surtout 
revues. Tout d’abord, cette abondance rend, par le simple côté matériel, 
les recherches très malaisées, surtout pour les périodiques, d'autant 
mieux que les défectuosités bien connues du dépôt légal à la Bibliothèque 
Nationale ne peuvent qu’augmenter encore ces difficultés. En outre, 
si l’on considère ces publications en elles-mêmes, elles sont, sans aucun 
doute, de valeurs très diverses: pour les revues, par exemple, certaines, 
purement techniques, n’en contiennent pas moins des articles de fond 
très importants; d’autres, sans renfermer des contributions de ce genre, 
ne peuvent cepandent être négligées en raison de l’ensemble de leurs 
renseignements; inversement enfin, d’autres, d'apparence scientifique, 
n'ont en réalité qu’un but de vulgarisation ou d’annonces. Et 
néanmoins ces recherches préparatoires d’histoire contemporaine, si 
longues, si pénibles, si délicates soient-elles, ne peuvent être considérées 
comme sérieuses que si l’on s’astreint à les accomplir aussi complètement 
que possible. Naturellement aussi, un Répertoire n’aura d’utilité que 
s’il facilite cette tâche ou, plutôt, s’il l’eEvite. Dans le cas présent, il 
est d'autant plus indispensable qu'il le fasse, que, malheureusement, 
la France n’a pas de collection comparable à la Bibliographie allemande 
de DIETRICH, qui, au moins pour les périodiques, accomplit le travail 
auquel nous faisons allusion. 

Or, en reculant la limite de leur Répertoire, les auteurs ont, d'une 
façon générale, adopté le plan suivant: „Parmi les livres et articles 
concernant cette période [de 1871 à nos jours], nous avons fait un 
choix assez sévère, qui pourra être critiqué: nous avons écarté, de 
parti pris, tous les écrits à caractère de polémique et nous n'avons 
retenu, avec les recueils de textes et documents officiels que les travaux 
qui nous ont paru de nature, par leur tendance objective, à figurer 
dans un répertoire de bibliographie historique“!). En principe, ce 
système est, bien entendu, le seul à suivre, mais, en fait, nous ne savons 
pas si, au moins pour la partie dont nous nous occupons, son application 
n’a pas été plus rigoureuse qu’il n'aurait fallu. Le Répertoire ne paraît 
guère comprendre, en effet, pour la période contemporaine, que des 
indications d'ouvrages se rapportant à des évènements déjà un peu 
anciens*). L'époque réellement actuelle n'est représentée que par 
quelques travaux privés fort peu nombreux), par des publications 
1) T. IL p. V. 

2) Voy. IL $ 3c, Bo, 6b; IV. 3b, 4c; V. 8b, dc. 


Referate. 651 


officielles non moins rares!), malgré la promesse formelle des auteurs, 
et par quelques articles de périodiques dont, trop souvent, le caractère 
le plus sensible est d'offrir un simple intérêt de vulgarisation*). Il 
se pent que ce soit là le résultat du programme que nous venons de 
reproduire. Cependant, pour les travaux d’origine privée, il serait très 
aisé d'en citer chaque année une certaine quantité, au moins aussi impor- 
tants que ceux qui sont énumérés, et de nature non moins objective “|, 
en fait tout aussi faciles à trouver, et dont l'absence du Répertoire 
est par conséquent inexplicable{). Le nombre des thèses de Doctorat 
en droit, en particulier, eût pu, croyons-nous, être facilement augmenté *). 
Mieux eucore, pour les publications officielles, il semble que toutes auraient 
dû être indiquées ou qu'aucune ne devrait l'être, car toutes, par leur 
date comme par leur contenu, sont également à prendre ou à écarter: 
un choix ne peut certainement pas se justifier. Dans cet ordre d'idées, 
on n'est même pas obligé de connaître, à priori, l’existence du Journal 
Officiel, des travaux des membres du Parlement®), des comptes-rendus 
des séances des Conseils Généraux: sur ce dernier point, la Cullection 
déjà ancienne de CRISENOY’) aurait dû au moins être mentionnée. 
Pour les revues, pourquoi citer des périodiques de second ordre, alors 
que des publications générales de valeur, telles que !’Economiste français, 
la Revue politique et parlementaire), sont à peine dépouillées: on ne 


1) Voy. II. 2552—2560, 2568—2569; III. 2389, 2402, 25679, 2581, 
2583, 2616; IV. 2729, 2762—2763, 2823, 2874, 2880, 2913, 2923— 2995 ; 
V. 2521, 2650, 2749, 2753—2754, 2820—2823. Puis, cf. une fois pour toutes 
le Catalogue Général de la , Librairie des Publications officielles“, G. RouSTAN, 

aru à la fin de 1904; et encore ce catalogue, vérifications faites, n’est peut- 
tre pas absolument complet. 

2) III. 2494— 2496, 2629; IV. 2820, 2918, 2920; V. 2751: ces numéros 
renvoient en général à des articles de la Rerwe encyclopédique ou universelle: 
nous croyons, cependant, qu'il ne serait pas difficile d’en trouver de plus 
réellement scientifiques. 

8) Pourquoi, par exemple, nommer l'ouvrage de ROCQUIGNY sur Les 
Syndicats agricoles (Répert, III. 2521) et non le travail de SILVESTRE sur 
le Syndicat agricole du S. E. (Paris, 1900, 3 vol. in 8°; Bibliogr. de la 
France, 1900, n° 8112); l’article de revue de 2 pages de SENCENY sur Le Sucre 
de betterave en krance de 1800 à 1500 (III. 2523) et non l’ouvrage de HELor 
sur Ü’Histoire du sucre de betterave en France (Paris, 1900; Bibliogr. 1900, 
n° 5305), l'ouvrage de GUILLAUMOT sur L’organisation des chemins de fer 
(II. 2544) et non celui de KAUFMANN: La politique de la France en matière 
de chemin de fer (Paris, 1900, 2 vol. 8°; Bibliogr., 1900, n° 10959 et 10977), 
l’Annuaire de Législation française (IV. 2781) et non le Bulletin des Lois, 
et ainsi de suite? 

4) Voy. plus bas aux diverses rubriques: l’absence de ces travaux est, 
en effet, d'autant plus inexplicable qu'il suffit de se reporter à la Bibliographie 
de la France. 

5) Vérification faite à la Bibliothèque de la Faculté de Droit. Voy. plus 
bas, par exemple, pour les chemins de fer. 

6) Une seule indication, et encore indirecte, V. 2807. 

7) Annales des Assemblées Départementales, depuis 1887: 18° année, 1904. 

8) Æconom. fr.: II. 2547; Kerue P. et P., UI. 2400, IV. 2741. Le 
Journal des Economistes et la Réforme sociale sont mentionnés plus souvent, 


652 ‚Referate. 


s’explique pas pourquoi elles ne le sont pas davantage ou ne sont pas 
absolument mises de côté; et d’autres, comme la Revue Generale de 
Sciences pures et appliquées, le Bulletin de Statistique et de Législation 
comparée du Ministère des Finances, ou même Le Genie Civil, nous ne 
disons pas, sont inconnues aux auteurs, mais elles n'apparaissent jamais!). 
Enfin, certains travaux annuels, cependant de premier ordre, ne sont 
indiqués que très rarement?): leur absence complète se comprendrait 
pour ainsi dire davantage. Mais rien, semble-t-il, ne démontre mieux 
que ce dernier point qu'il n’a sans doute pas été accompli de recherches 
systématiques des publications utiles à citer, et ainsi on serait peut- 
être en droit de se demander si les contributions n’ont pas été prises 
un peu au hasard. Bref, il y a trop de recherches mentionnées où il 
en manque infinement trop. 

Mais on peut préciser. D'une façon générale, les auteurs ne 
donnent aucun ouvrage relatif à la technique agricole ou industrielle. 
Nous comprenons qu'ils négligent, à la rigueur, les recherches d'ensemble 
telles qu'en matière industrielle, par exemple, les aide ındmoire et 
travaux similaires), parce que les contributions de ce genre, tout en 
intéressant la science pratique, la considèrent dans des conditions 
géographiques qui ne sont pas suffisamment précises et délimitées: 
elles étudient, par exemple, la construction des routes, des canaux ou 
des chemins de fer, ou leur exploitation, ou d’autres questions semblables, 
à un point de vuc trop général, hnmain, dirait-on presque, et non 


mais, comme toujours, uniquement (sauf la seconde, IV. 2926), pour des 
travaux qui ne se rapportent pas à l’état actuel (Voy. III. 2396, 2398; 
IV. 2837; V. 2750). Si cependant on renvoie à des articles tels que ceux 
de G. MICHEL, le trafic des chemins de fer français (Econom. fr., 189% I, 
p. 25; cité Répert. II. 2547) et qui n’ont absolument rien d'historique, il faut 
citer tous ceux de même genre ou n’en citer aucun. 

1) Bien entendu, nous ne demandons pas qu’on dépouille et qu’on cite 
absolument toutes les revues qu'énumère, par exemple, l’Annuaire de la 
Presse — bien qu’encore leur liste soit loin d’être complète —, car nombre 
de ces périodiques n’ont aucune valeur, mais, entre tout et ne rien donner, 
la différence est sensible, et, nous le répètons, nous ne nous expliquons guère 
pourquoi les auteurs ont cru devoir insérer de simples articles de vulgari- 
sation (voy. p. 651, n. 2), en laissant de côte les contributions réellement 
scientifiques. C’est ainsi que, et nous prenons cet exemple tout à fait au 
hasard, dans la Revue Générale des Sciences pures et appliquées en 190, 
ont paru des articles intitulés: BERTHELOT, l’osuvre de Lavoisier: BICHON, 
le Vignoble du Midi au XIXe siècle; OLIVIER, Notes sur la Tunisie : en 1901, 
LEZÉ, la Laiterie française; LEROY, Palcoolisme dans l'Eure au XIXe siècle 
(et voy. encore p. 654, n. 1), qui seraient, semble-t-il, parfaitement à leur 
place dans une bibliographie sérieuse. 

2) De FoviLLe, II. 2563 et IV. 2921; RarraLovicH, III. 2682—2633; 
comme statistiques, II. 2568 ou 2569, V. 689 ou 2768. 

3) Voy. des publications telles que celles qui paraissent dans la Biblio- 
thèque du Conducteur d:s travaux publics, la Bibliothèque technologique, 
l'Encyclopédie des Aide-mémoire Leauté, \ Encyclopédie des Travaux publics: 
et en somme ces travaux seraient peut-être à citer, car ils sont, avant tout, 
rédigés au point de vue français et nous renseignent de préférence sur l'état 
de la science française concernant telle question industrielle. 


Referate. 653 


pas spécialement français. Mais, quand les recherches de cette nature 
se rapportent clairement à l’application de tel procédé agricole ou 
industriel en France, fonctionnement d'une exploitation rurale, d’une 
usine, exécution d’un travail public, et les articles ou ouvrages de 
cette sorte ne manquent certainement pas'), il n’existe absolument 
que des raisons de les citer, tout aussi bien que le plus récent volume 
de statistique agricole ou commerciale. D'ailleurs, pourquoi le Repertoire 
contient-il une rubrique intitulée „Histoire des Sciences?“ ?). 

Si on examine, d'autre part, chacune des trois grandes divisions de 
l’histoire économique, l’agriculture, tout d’abord, se réduit, au fond, À 
un valume de statistique publié par le Ministère, et encore il n’est 
indiqué que deux fois). Il existe cependant des publications privées 
fort impurtantes*). De même, jamais on ne cite de thèses agricoles). 
Aucun travail de société, à commencer par les C. R. des travaux de 
la Société des Agriculteurs de France et les Mémoires p. par la Société 
Nationale d’ Agriculture, n'est mentionné davantage. Aucune revue enfin 
n’a été dépouillée et cependant il en existe de sérieuses: on pourrait 
au moins citer celle du Ministère 6). 

Sur l’industrie, il n’y a en somme rien, car les recherches énumérées 
se rapportent toutes à l’organisation du travail et non à la fabrication 
proprement dite. Même un ouvrage bibliographique comme la Biblio- 
graphie des Industries tincioriales, de GARCON?’), qui a un intérêt 
bistorique, n’est pas indiqué. A défaut d’autres travaux 8), on pourrait 
au moins citer la publication du Ministère du Commerce concernant 
les brevets d'invention, qui donne de précieux renseignements sur le 
progrès industriel. Quand aux revues absolument fondamentales, telles 
que les Annales du Conservatoire des Arts et Métiers, les Mémoires et 
C. R. des travaux de la société des Ingénieurs civils de France, le Bulletin 
de la Société d’Encouragement pour l'Industrie nationale, les Annales des 
Mines ou des Ponts et Chaussées, ou encore des périodiques locaux 
comme le Bulletin de la Société Industrielle de Nord de la France et 


1) Voy. plus haut, p. 662 n. 1, et plus Cas, n. 4, 5, 8. 

2) IV. 174 ss.; d’ailleurs elle n’a &galement rien d’actuel. 

3) II. 2653 et IV. 2823. — Voy. d’ailleurs quelques autres publications 
similaires, Catalogue ROUSTAN, p. 29—31. 

4) Voy. par exemple dans la Bibliographie de la France: année 1900: 
n° 6305, 8093, 8112, 10584; 1901: 1859, 3861, 4827, 7386; 1902: 3007 
bis 3008, 4265, 6070, 6072, 6123, 6299, 6847, 7097, 8554, 10103, 11512. 

5) Bibliographie de la France: 1901: 5283, 7561; 1902: 7033, 7088, 
7135, 7147, 7449, 7675, 7906. 

6) Actuellement, Bull. mensuel de loffice de renseignements agricoles. 
Joindre les Annal:s agronomiques, les Annales de la science agronomique, le 
Moniteur vinicol:, la Kevue de Viticulture, la Revue des Eaux et Forets etc.... 
Même des périodiques tels que la Revue des vins et liqueurs et des produits 
alimentaires pour l'exportation contiennent des renseignements intéressants. 

7) Depuis les origines jusqu’à ... 1896 (Paris, les deux premiers vol. 
1900, 8°). 

8) Voy. par exemple Bibliogr. de la France: 1900: 6100, 9589; 1901: 
1365, 1896, 3527, 6729, 7639, 8493, 9602, 10235; 1902: 230, 9982 etc. etc. . . . 


654 Referate. 


bien d’autres encore, elles sont complètement absentes!). Il suffit, 
d’ailleurs, de comparer le Répertoire aux Bibliographies données simple- 
ment par des publications telles que les Annales des Mines ou da 
Ponts, bien qu’elles ne visent certainement pas à être complètes, pour 
sentir toute la différence. (Cependant, la technique industrielle est 
infiniment loin d'être sans importance. Les auteurs, d’ailleurs, ne sont 
peut-être pas d’un avis entièrement opposé, puisqu'ils mentionnent une 
simple fois le Statistique de l'Industrie minérale et des Appareils à 
vapeur ?) p. par le Ministère des Travaux Publics. Dans ces conditions, 
n’est-on pas de nouveau en droit de s'étonner de l’absence de tous 
les autres travaux se rapportant également à l'histoire de la production? 

Le commerce, qui est cependant beaucoup moins spécial, se réduit 
à deux volumes de statistiques que font paraître l’administration des 
Douanes sur le commerce“) ou le Ministère des Travaux Publics sur 
la navigation intérieuret). Mais, sans compter les ouvrages d'origine 
privée), il existe bien d’autres publications officielles, à commencer 
par la collection fort connue des Albums de Statistique graphique‘). 
Et que font les auteurs de travaux absolument indispensables à consulter, 
comme les comptes-rendus annuels des travaux des Chambres de 
commerce françaises‘), les Annales du commerce extérieur, les Rapports 
de la Commission permanente des valeurs de douane®), toutes les 
publications émanant de l'Office national du Commerce extérieur, dont 


1) Par exemple dans les Mémoires de la Société des Ingénieurs civils, 
en 1901, se trouvent un article de BONNEFOND, les forces motrices du Haut 
Rhône français, et un autre de DELMAS, Amélioration des transports en 
commun; dans la Revue générale des Sciences pures, en 1901, ROCQUEs 
l’état actuel et les besoins de l’industrie des conserves alimentaires en France: 
BOYER, l’état actuel de l’industrie du marbre en France, etc. etc... 

2) V. 2753. 

3) Tableau général du commerce et de la navigation (II. 2552; III %16; 
IV. 2924; V. 2823. 

4) Statist. de la navigation intérieure (II. 2656; IV. 2925; V. 2822). 

5) Bibliogr. de la France, p. exemple 1901: 4810, 8508, 11913; 1902: 
1168, 1434, 5759, 6837, 9084, 10938 etc. ... 

6) Tout d’abord, comment les auteurs peuvent-ils se borner à citer (IV. 
2913) pour une publication statistique mensuelle de l’administration des 
douanes, les deux fascicules des onze premiers mois de 1900 et du 1° mois 
de 1901? A priori, il est évident que cette statistique paraît aussi les autres 
mois (sauf pour décembre, où elle forme alors pour l’année entière le recueil 
cité ci-dessus, n. 8). Voy. encore le recueil de circulaires que constitue chaque 
année un vol. intitulé; «Lois et règlements des Douanes. Impr. Nat.» Joindre 
dans le Catal. ROUSTAN, les publicat. du Minist. des Travaux Pablics relatives 
aux ports, aux routes, aux canaux etc. ...(p. 74—75, 78—80); celles du 
Minist. de l'Intérieur concernant le service vicinal, (p.68). Les pêches dépendent 
de la Marine (Catal. p. 73); pour la marine marchande, voy. aussi p. 37 
(les primes). Et ce catalogue ne mentionne rien sur les phares, et ne cite 
pas une publie. intitulée: «M. des Trav. Publics. Le rachat du canal du 
Midi par l'Etat». Paris, 1901, 635 p., etc. ... 

7) Certaines publient en outre des Bulletins, entre autres celles de Paris 

Bi Voy. en particulier le rapport publié à part intitulé «L'industrie textile 
en France». 


Referate. 655: 


en première ligne les rapports des consuls, ou enfin comme les Bulletins 
des Chambres de commerce françaises à l’etranger!)? S'il n'existe. 
peut-être pas de périodiques commerciaux de premier ordre, il ne 
serait sans doute pas inutile de citer, par exemple pour l’industrie 
textile, des revues telles que le Jacquard, d’Elbeuf, les Laines et les 
cuirs, de Mazamet, le Bulletin des laines, du coton, ... de Roubaix- 
Tourcoing, le Moniteur des soies, de Lyon, qui contiennent de précieux 
renseignements, en particulier sur les prix. Il paraît évidemment des 
publications similaires pour chaque branche commerciale, comme les 
Circulaires du Comité central des Houillères de France?) pour les 
charbons, l’Ancre de St. Dizier pour la métallurgie. A toutes ces 
publications pourraient s’en ajouter d’étrangères, qu'on ne peut pas 
davantage se dispenser de mentionner, telles que les Rapports des consuls 
établis en France et adressés à leurs gouvernements respectifs“), ou 
les Bulletins des Chambres de Commerce étrangères) qui fonctionnent 
dans notre pays. 

Passons maintenant à l’un des éléments les plus importants du 
commerce, les moyens de transport, et plus spécialement à la partie 
qui y joue certainement le premier rôle, les chemins de fer. Là encore, 
les auteurs se contentent de mentionner quelques très rares publications 
privées et un ouvrage de statistique publié par le Ministère des Travaux 
publics). D'une façon générale, ils pourraient, au besoin, se contenter 
de renvoyer à la Bibliographie mensuelle des Chemins de fer, publiée par 
M. WEISSENBRUCK, en appendice au Bulletin de la Commission inter- 
nationale du congrès des chemins de fer 6). Elle n’est d’ailleurs pas 
complète et a plutôt un but et un intérêt techniques; en tout cas elle 
est indispensable à citer et à consulter. Quant aux volumes d’origine 
particulière, nous ne savons si le Répertoire contient le nécessaire; 
les Rapports annuels des Conseils d'administration des six grandes 
compagnies aux Assemblées d'actionnaires, ou le Compte d'administration 
des chemins de fer de l'Etat font absolument défaut; sur 30 thèses de 
doctorat en droit?) publiées sur cette matière pendant les quatre 
années du Répertoire, pas uue n’est indiquée; et comment se fait-il 
qu’on ne voit même pas mentionné l'ouvrage absolument fondamental 
du savant autrichien R. de Kanfmann®), d'autant plus que le travail 
a reçu les honneurs d'une traduction en français par M. HAMON, qui 


1) Office national du Comm. extérieur. Exercice —. Extrait des 
rapports elc.... 

2) Publie aussi annuellement les Rapports des ingénieurs des mines aux 
conseils généraux sur la situation des mines et usines dans les départements. 

8) Leur liste, au moins pour ceux qui arrivent A l'Office National du 
Commerce Extérieur, paraît dans le Moniteur officiel du Commerce. 

4) Par cxemple des chambres de commerce américaine ou anglaise. 

5) II. 2554—2565; IV. 2923; V. 2820—2821. 

6) Bruxelles, Weissenbruck, 4°. 

7) Pour la France et les Colonies. Nombre vérifié à la Bibliothèque de 
la Faculté de Droit et qui est naturellement plutôt un minimum. 

8) La politique française en matière de chemins de fer. Paris, 1900, 8° 
(Bibliogr. de la France, 1900, n° 10977). 


656 Referate. 


même y a joint un second volume!)? Quant à l’ouvrage de statistique 
officielle cité ci-dessus ?), nous sommes loin de méconnaître son intérêt, 
mais, comme tous les travaux de ce genre, ce ne sont que des chiffres, 
des résultats qui laissent ignorer les causes, les formes ou les modes 
de développement: à bien des égards, il est insuffisant. En outre, il y a 
une quantité d’autres publications officielles et qui ne sont jamais 
indiquées *). De nouveau, il n’en est pas autrement pour les revues, 
bien qu’il y ait des périodiques quasi officiels, comme la Revue générale 
des Chemins de fer, ou le Bulletin de la Commission Internationale du 
Congrès des Chemins de fer, dont nous parlions plus haut, ce dernier 
permettant des comparaisons des plus fructueuses entre les chemins 
des différents pays‘) De même, mais surtout au point de vue 
commercial et financier, il semblerait au moins utile de mentionner la 
Revue des questions de transport, publiée annuellement par M. Colson 5) 
et où l’auteur, non seulement examine la situation des compagnies 
françaises en elles-mêmes, mais les compare aux entreprises similaires 
de l'Allemagne et de l'Angleterre: ce travail a si bien une valeur 
classique qu'il est reproduit à l'étranger 5: ?). 

Si, aux parties précédentes, nous ajoutons les Finances 8), les auteurs 
ont heureusement à leur disposition le Marché financier, de M. RAFFALOVICH, 
mais ils ne le citent que deux fois°): c'est d’ailleurs une publication 
d'intérêt général économique. Le Rapport annuel de l'administration 
des Monnaies et Médailles n'est pas mentionné plus sonvent!°). Les 
publications officielles fort nombreuses, relatives au budget et à ses 
divers &lements, ne sont jamais indiquées !1), et il ne semble pas que 


1) L'avenir de la politique etc. ... 1900 (Bibliogr., n° 10 959). 

2) Voy. p. 655 n. 5. 

8) Voy. Catal. ROUSTAN, p. 76—78. 

4) Et d’autres qu’on trouve dans le répertoire déjà cité de Weissenbruck. 
Joindre des revues spéciales de jurisprudence, telles que le Bulletin annoté 
des Chemins de fer en explottation. 

5) Dans la Revue politique et parlementaire. Pourquoi alors mentionner 
des articles infiniment moins importants, tels que celui de G. MICHEL (Repert., 

. 2547). 

6) Dans le Bulletin cité p. 655 n. 6. 

7) Joindre des publications d’ordre absolument social, telles que le C.R. 
depuis 1891, du Congrès National des Chemins de fer le 10° en 1899, le 
11° en 1901. Pourquoi citer le Congrès du parti socialiste français (1902. 
Repert., V. 594)? 

8) Il semble indispensable de mentionner par exemple STEIN, Bibliographie 
de l'impôt sur le revenu («Le Bibliogr. Moderne» 1900, p. 264). 

9) III. 2632—2633. Nous nous sommes assuré que cette publication 
paraissait toujours; 14° année, 1906. 

10) IT. 2563 et 1V. 2921. 

11) Sauf II. 2568—2569. Voy. Catal. ROUSTAN, p. 49—53. Et encore il 
faut distinguer entre les projets de lois présentés et adoptés: joindre les 
Mem., et P. V. de la Commission de vérification des comptes des ministres 
pour l’année — et l'exercice —; ne pas oublier que chaque ministère publie 
en outre annuellement un Compte général du matériel et un Compte définitif 
des dépenses etc. ...; pour la situation financière des départements et des 


Referate, 657 


ı le Bulletin de Statistique . . . du Ministère des Finances le soit davantage. 
Rien non plus sur les Caisses d'Epargne et les autres Caisses d:: 
retraite!), etc. 

Les multiples côtés de l'autre partie du chapitre général dont nou: 
nous occupons, l'état social, ne sont pas mieux représentés?), en 
particulier pour toutes les publications émanant de l'Office du travail?:. 
Un exemple suffira. (Cet office publie un Annuaire des Syndicat: 
professionnels), contenant, entre autres choses, une liste, assez longur 
d’ailleurs, des journaux provenant de ces groupements; elle est naturelle- 
ment très précieuse. Le Répertoire ne mentionne rien. Si enfin. 
on veut prendre un côté un peu spécial de l'état économique, le: 
colonies, et comparer ce que nous donne le présent travail avec cc 
qui existe réellement, il suffit de rapprocher la publication en question’ 
de le partie bibliographique d’un annuaire spécial fort utile, l’Anne:: 
Coloniale de Mourey et Brunet), et on se rendra compte de toute 
la différence). 


communes, Catal. p. 67; la public. se rapportant aux secondes est citée deux 
fois, II. 2569 ct V. 689. 

1) Catal. ROUSTAN, p. 36—37. Joindre p. ex. Rapport et C. R. d: 
opérations de la caisse d'épargne ct de prévoyance des Bouches du Rhön. 
Marseille, 4° Annuel. Evidemment il existe nombre de publications similaires. 

2) Par ex. simplement, GAUGER, Æ%«+ar de bibliographie. Sécurité des 
ateliers et accidents du travail. Corbeil [1899], 8°, 184 p.; ou SACHET, Trait 
théor. et prat. de la législation sur les accidents du travail, 2° éd., 1900. 
Et il ne manque pas, chaque année, de thèses de doctorat en droit sur c:: 
sujet et d’autres similaires. Voy. aussi dans l’Econom. français, les articles 
assez fréquents d’un ingénieur spécialement adonné à ces questions, M. BELLOM. 

3) 11 vol. sont nommés en tout pour les 4 années (11. 2557-2559: 
UT. 2579, 25681, 2583 ; IV.2762,2874, 2880; V.2749,2754). Il y en a bien d’autres : 
voy. Catal. ROUSTAN, p. 42—44. Mais cette liste n’est pas non plus complète, 
car elle ne contient pas, par ex. les C. R. annuels des sessions du Consei! 
supérieur du travail. Joindre également les publications des directions du 
travail et de l’industrie, de la Division de l'assurance et de la prévoyance 
sociale au Minist. du Commerce; puis, Rapport du Conseil supérieur des 
habitations à bon marché au Président de la République. Pour la mutualité 
et «l'hygiène sociale»voy. les public. du Minist. de l'Intérieur (Catal., p. 67—68), 
sans négliger des travaux locaux tels que les Rapports sur les travaux du 
Conseil d'hygiène ... de la Seine, ou le Rapport sur les travaux du conseil 
central de salubrité ... du dép. du Nord pendant l’année —. Voy. encore 
des Revues telles que le Bull. de la participation aux bénéfices, le Bull. de 
la Sté. frang. des habit. à bon marché, la Kevue de la prévoyance et de 
la mutualité, \a Revue d’assistance etc. ...; l’association des Industriels de 
France contre les accidents du travail, publie un bulletin et des circulaires, 
et il existe des revues locales telles que le Bulletin de l’Assoc. Normande 
pour préserver des accidents du travail, la Conférence d’études sociales 
de N. D. du Hautmoni (pour le Nord) que nous citons au hasard, et il 
n’en manque pas d’autres. C’est ainsi qu’à la B’bl. Nat. on ne paraît pas 
recevoir le Bull. des laisses rurales, p. à Lyon par DURAND, et qui se rattache 
à un mouvement fort intéressant. 

4) Annuel. 

5) Cité d'ailleurs Reperi. IV. 3326 et 3327, et encore cette bibliographie 
ne «comprenait pas l'indication des articles de jouruaux». 

6) Il faudrait y joindre toutes les publications de la v. de Paris. Elles 

Vierteljahrschr. f. Social- u. Wirtschaftsgeschichte, III. 43 





658 . Referate. 


Il nous paraît superflu de nous étendre plus longuement sur ce 
côté du Répertoire, n'ayant pas l'intention de faire, à notre tour, la 
Bibliographie contemporaine de l'Histoire économique et sociale). Ne 
pense-t-on pas cependant qu'elle est un peu trop absente du travail, 
et que cette partie de l'ouvrage, qui, en principe lui est consacrée, en 
fait, ne peut vraiment pas suffire pour donner une idée même relative 
de la production réelle: dans ces conditions, nous regrettons infiniment 
de le dire, mais nous croyons qu'il faut conclure qu’à ce point de vue 
les volumes en question sont malheureusement destinés à ne rendre 
guère de services. 

La seule remarque que l'on puisse faire en faveur des auteurs est 
de se demander s’il était bien nécessaire de donner cette extension 
chronologique à leur bibliographie. Non seulement, nous l'avons dit, 
les recherches sont matériellement des plus difficiles, mais, à priori. 
des travaux qui concernent des faits actuels peuvent-ils, au moins dans 
la plus grande partie des cas et pour des raisons multiples, être 
considérés comme ayant une véritable valeur historique? Il parait 
d'autant plus permis d'émettre ce doute, que les auteurs se sont 
montrés tout aussi hésitants à propos d’autres parties de leur Répertoire, 
celles qui intéressent l’histoire des lettres et des arts. Nous n’avona 
pas voulu, disent-ils, insérer aucun travail relatif aux écrivains et aux 
artistes vivants: , Entre les nombreux articles de journaux et de revues 
qui leur sont consacrés, il est très délicat, étant impossible de tout 
prendre, de faire un choix. Dans cette production, souvent hâtive, 
soumise aux caprices .de l'actualité, à quels noms s'attacher, quels 
écrits louer comme futurs matériaux historiques. L'entreprise eut éte 
périlleuse et nous avons préféré ne pas nous y risquer“). On ne 
saurait vraiment mieux dire; seulement, pour quels motifs ce système, 
qui est reconnu bon dans certains cas, est-il considéré comme mauvais 
dans d’autres qui, par rapport aux premiers, présentent assurément 
des différences de forme, mais ne paraisseut pas offrir une distinction 
de nature bien tranchée? Il ne semble pas que des influences person- 
nelles on actuelles aient ınoins d’action dans les recherches économiques 
ou sociales que dans les travaux littéraires ou artistiques. En tout 
cas, si les autenrs ont eu des raisons d’agir d’une façon opposée suivant 
qu'il s'agissait des unes ou des autres, nous croyons qu'il ne serait 
pas inutile de le faire connaître, et ensuite, s'ils persistent dans l’ex- 
tension chronologique qu'ils ont donnée à leur Bibliographie, il serait 
indispensable de rendre cette dernière beaucoup plus complète qu’ils 
ne l'ont fait. Mais nous pensons qu'ils n'auraient que d’excellents 
motifs pour revenir à la date qu'ils s'étaient primitivement assignée. 
En effet, le Répertoire n’en comprendrait pas moins l'histoire contem- 
poraiue dans des conditions tout à fait suffisantes, car l’état économique 


sont simplement indiquées dans le Répert. une fois (IV. 2948). Voy. Caïal. 
ROUSTAN, p. 83—87. Et il n’y a guère de doute que nombre de villes de 
France en publient de semblables, bien qu’en moins grande quantité. 

1) Est-il besoin de dire que nous n’avons eu aucunement la prétention 
d'être complet, même de très loin? Un volume spécial serait nécessaire. 

2) IV. p. VIL 


Referate, 659 


est social actuel, d'une façon générale, ce sont les affaires, c'est aussi 
a politique, mais ce n’est certainement pas encore ce qu'on peut 
appeler l'histoire. 
=. En second lieu, il reste & examiner le cadre adopté par les auteurs. 
Mn peut tout d'abord considérer les éléments qui n’ont cessé d'être 
ménsérés dans le chapître que nous étudions. La première partie, 
»Phistoire économique, semble être constituée par ses trois grandes 
reubdivisions naturelles de l’agriculture, de l'industrie et du commerce; 
‚mais l'industrie est ainsi complétée: „Organisation du travail“. C'est 
sans doute à ce dernier élément que se rapportent les ‘ouvrages qui 
seoncernent la condition théorique et l’état réel de l’employear et de 
a: employé, la vie collective de l’un et de l’autre, leurs rapports mutuels. 
Mais si, sans doute, certains touchent là à ces points un peu particulièrement 
‚ı pour l'industrie, car les travaux se rapportant spécialement à ces 
g Sujets pour l'agriculture, ont été classés de préférence à cette dernière 
. zubrique !), d'autres y traitent aussi ces mêmes questions pour l'ensemble 
"de la vie économique sans distinctions secondaires. Tels sont, par 
: exemple, des recherches générales sur les corporations nationales, 
, régionales ou urbaines avant 17892), vu après, des travaux relatifs 
au mouvement syndical patronal ou ouvrier), des statistiques de 
dénombrement des industries et professions +), d'associations profession- 
nelles ouvrières5), de grèves). On peut se demander pourquoi ce 
sous-titre d'organisation du travail n'existe que pour l'industrie, et 
pourquoi aussi toutes ces recherches générales ont été rassemblées à 
cette même subdivision. En effet, on travaille et il y a des patrons. 
des ouvriers et des entreprises économiques également dans l’agriculture 
et dans le commerce, et par suite, le travail et le capital s'y organisent 
et y ont des rapports comme ailleurs; les auteurs ont pu eux-mêmes 
le constater au sujet de la vie rurale. A vrai dire, cette question a 
peut-être plus d'importance dans l’industrie, parce que, dans l’agriculture, 
le travailleur est de préférence isolé et d'une nature domestique, que, dans 
le commerce, il a souvent une apparence bureaucratique, l’industrie, 
au contraire, contient proprement des ouvriers de fabrique réunis en 
collectivité, et relativement elle a plus d'importance. Mais ce n'est 
là qu'une simple différence de forme et de quantité, nullement une 
séparation ou une opposition de qualité et de fond. Et ne serait-il 
pas facile de citer tel livre sur les métiers en général, qui, placé à 
l'industrie, s'occupe tout aussi bien, sinon de préférence, des artisans 
de commerce’): en effet, avant 1789, la majorité des centres urbains 
1) Pour le commerce, nous n’avons rien relevé de bien particulier. 
2) I. 1276, 1281, 1289; II 2276; III. 2534, 2558; V. 2740. 
E3) IL. 2660; V. 2744—2745. 
4) III. 2581. 
5) III. 2579; IV. 2874. 
6) III. 2683; IV. 2880; V. 2754, 2756. 
7) Le travail de M. BoıssonnaDe (II. 2276; IIT. 2534), a comme livre I.: 
Le mouvement général de l'industrie et du commerce en Poitou; comme 
livre II.: Organisation de etc. ... et ce livre, parmi ses subdivisions, a les 
suivantes: «Travail et commerce des cuirs et des peaux», ou des «Métaux 


660 Referate. 


avaient plutôt une valeur d'échange que de production. De même, 
les professions, les syndicats, les grèves dans leur ensemble et les 
ouvrages qui les concernent, n’ont absolument rien de spécial à la vis 
industrielle ‘:*?). Les auteurs paraissent donc s'être laissés assez 
abuser par le terme de travail, qu'ils ont considéré dans un sem 
beaucoup trop restreint. Dans ces conditions, la rubrique précédents 
était au moins inutile, et les ouvrages généraux mentionnés plus haut 
auraient dû être mis à part. 

D'un autre côté, non seulement les travaux d'ensemble relatifs à 
l'organisation, mais toutes les recherches spéciales du même genre, 
concernant l’une des trois grandes divisions de l’agriculture, de l’industrie 
ou du commerce, ont été classés, nous venons de le voir, à la partie 
proprement économique du chapitre. Cependant, en ce cas, il semble 
vien qu'il ne soit plus question de cette forme de l'histoire, mais de 
ses conséquences intéressant les personnes, qu'il s'agisse du point de 
vue théorique ou réel. Plus généralement, ces contributions com- 
prennent ce que l’on est convenu d’appeler l’histoire sociale, qui, malgré 
les liens fort étroits qu’elle peut avoir avec les recherches économiques, 
puisqu’en réalité elle en procède, en est suffisamment distincte. Ce 
n'est pas, par exemple, à ces dernières que se rapportent des ouvrages 
sur le contrat du travail), sur la condition légale du mineur!) 
apprenti, ouvrier ou employé de commerce, et ils ne sont pas à y 
insérer. Des publications officielles relatives aux associations profes- 
sionelles?), aux greves®), entraînent la même appréciation. Ce genre 
de recherches paraît être clairement différent de la nature de travaux 
concernant le passé de la culture de la vigne dans le Perche}, les 
anciennes mines de charbon du Bourbonnais®), la banque à Lyon), 


communs»; Industries des transports, des jeux et spectacles et des arts 
d'agrément, ou encore „La médecine, la chirurgie, la pharmacie et les indu- 
stries annexes“. Le livre de BOURGEOIS sur les métiers de Blois (cité I. 
1275), contient des documents relatifs aux arts médicaux, aux métiers d'art 
aux marchands, à l'alimentation, aussi bien qu'aux industries textiles, du cuir 
at des métaux. Voy. enfin le livre de E. MARTIN S. LEoN (I. 1289). De 
même la contribution de SCHMOLLER sur les salaires (V. 2718). 

1) Voy. à ce sujet les ouvrages cités p. 657 n. 3: il suffit d’ouvrir 
les tables des matières et il est inutile d’insister sur ce point. Cf. encore 
l'Annuaire des syndicats professionn:ls, industriels, commerciaux et agricoles 
(non cité dans la Répertoire). 

2) C’est évidemment une confusion du même genre qui a fait classer les 
numéros suivants à l'industrie: II. 2278, 2289 (marchands), 2303 (pecheurs, 
2309 (patissiers); III. 2486, 2560 (les apothicaires (2560) sont à l’industrie 
mais la pharmacie (2587) est au comınerce); IV. 2852 (artistes); V. 2732, 
2734, 2737 (apothicaires), 2738 (tailleurs). 

8) V. 2744. 

4) IV. 2881. 

6) III. 2679; IV. 2874. 

6) IV. 2880; V. 2754. 

7) III. 2488, 2492. 

8) IV. 2854. 

9) V. 2773. 


Referate. 661 


ou la statistique des appareils à vapeur en France!). Une séparation 
absolue est sans doute toujours difficile A établir, car la réalité et les 
recherches ne la font pas toujours aussi. Elle existe cependant: ainsi 
on peut dire, qu'en général, les ouvrages relatifs aux métiers, malgré 
leur apparence d'ensemble, ne se rapportent pas au travail lui-même, 
mais à son organisation?). En tout cas, on eut pu, à la rigueur classer 
ces travaux sous le titre de généralités. Au contraire, les auteurs ont 
donné à ce terme de condition du travail, en particulier, un sens qu'il 
ne comporte certainement pas, et dans l'ensemble, ils ont ainsi confondu 
deux genres de recherches qui, autant que possible, auraient dû être 
séparés ‘). 

Il en résulte une autre conséquence. Tout le reste du chapître 
qui comprend plusieurs subdivisions intitulées: , Institutions de charité 
et de prévoyance, Instruction publique, Sociétés savantes, Bibliothèques 
et Archives, Imprimerie, Librairie, Presse. Vie sociale et mœurs“, 
forme évidemment l'Histoire sociale“. Du moment, en effet, que 
l’organisation du travail est considérée comme de l’histoire économique, 
on ne voit pas à quelles rubriques, sinon à celles que nous venons 
d'énumérer, on pourrait donner le titre général d'histoire sociale. Or, 
si la charité et la prévoyance, disons le tout de suite, se trouvent 
parfaitement à leur place à cet endroit, il est peut-être permis de se 
demander si les autres éléments constituent réellement de l'histoire 
sociale, et plus généralement, s'ils sont & classer dans le chapitre dont 
nous nous occupons. 

La partie la plus importante est formée par la vie sociale et les 
mœurs. Les publications dont elle se compose se rapportent à des 
sujets assez variés en apparence: inventaires, livres de raison, mœurs, 
fêtes, jeux, modes, vie de cour ou de salon, vie galante, mais, de la 
facon la plus générale c'est tout ce qui intéresse l'existence privée, 
alimente la conversation, et en un mot ce qui constitue la civilisation 
et la vie de société. Probablement est-ce ce dernier point, plus précisé- 
ment cette dernière expression, car les ouvrages qui concernent 
particuliérement ce sujet sont très nombreux, qui a amené les auteurs 
& considérer que, dans leur ensemble, ces différentes recherches com- 
posent l'histoire sociale, les deux expressions différent littéralement si 
peu! et les a engagés à les insérer dans cette partie du Répertoire au 
même titre qu'un volume sur le blé, le fer, les canaux, les métiers on 
les greves. Sans doute, il importe de distinguer parmi les travaux 


1) V. 2753. 

2) Voy. les livres cités de BOISSONNADE, BOURGEOIS et DRAPE. 

8) Cette confusion entre l’histoire économique et sociale fait classer aux 
généralités des ouvrages de pure statistique, par exemple, qui ne peuvent être 
autre chose que de l’histoire des faits et, dans celle-ci, de l’histoire économique : 
voy. III. 2388, 2389, 2396, 2402; IV. 2727—2729, 2740; V. 2521. — De 
même, le travail d’EBERSTADT, Das fransösische Gewerberecht (III. 2404). 
n’interesse nullement les doctrines, mais les faits. Sans vouloir insister, on 
relèverait ansez facilement d’autres irrégularités semblables. Pourquoi deux 

cures sur la grande industrie sont-ils classés, l’un aux généralités, l’autre: 
ustrie (II. 2238 et 2281)? etc. . 


662 Referate. 


précédents. Si tout ce qui est spécialement relatif aux mœurs parait 
bien être absolument étranger au chapître en question !}), il est admis- 
sible qne les contributions intéressant de préférence la vie sociale s’en 
rapprochent davantage. Les Inventaires de marchands seraient même 
parfaitement placés à l'histoire proprement économique. On peut auss 
consulter avec fruit les livres de raison pour les prix, le mouvement 
local ou régional de la vie économique ou sociale, ou encore les travaux 
sur les salons ou sur la mode peuvent donner des renseignements utiles 
au sujet des étoffes, des meubles, de leur origine, de leur valeur. 1 
serait assurément possible d'augmenter le nombre de ces exemples 
Nous croyons cependant que ces sources d'informations, sans être 
parfois négligeables, n’en sont pas moins toujours d’une importance 
essentiellement secondaire. La vie sociale est tout au plus le côté 
absolument auxiliaire, l'élément tout à fait indirect de l’histoire vraiment : 
sociale, et les deux genres de recherches ne sauraient être assimilés 
l'un à l’autre. 

C'est ainsi que, si les doctrines des écrivains et des philosophes 
du XVIIIe siècle furent en général exposées dans des salons d'une 
aristocratie fort élégante et civilisée, l’histoire des premières est uns 
chose et celle des seconds en est une autre, et les deux questions, 
quoique voisines, sont d'espèces fort différentes. Le mouvement de 
la population, le nombre des naissances, des mariages ou des mort, 
n’ont vraiment rien à faire, semble-t-il, avec les manifestations mondaines 
que ces événements démographiques entraînent. La culture ou ls 
commerce des denrées alimentaires ne sont nullement l’histoire des 
réceptions, si intimement liées que ces deux choses puissent être par 
certains côtés. La fabrication des étoffes d’habillement ou d’ameuble- 
ment dans des usines, leur transformation même en vêtements ou en 
tentures dans des ateliers, les multiples questions économiques ou 
sociales qui sont ainsi soulevées, sont des points nettement distincts 
de la mode ou de l'élégance, et de quantité d’autres sujets qui intéressent 
exclusivement la vie privée des personnes quelconques pour lesquelles 
ces tissus ont été fabriqués par des travailleurs. Si la mode a une 
répercussion directe sur l'état de prospérité ou de décadence économique 
de la production, par suite sur la situation sociale du producteur, il 
ne s'ensuit nullement que son histoire constitue l'histoire sociale, et 
que le bibliographe doive prendre le premier sujet pour le second. 
Et ainsi de suite. Bref, le rapport accidentel n'est, à aucun degré, 
le lien obligatoire, ni encore moins l'identité. Autrement il n’existerait 
aucune raison de ne pas tout ramener à un seul point de vue. 


1) En apparence, tout au moins, on admettra difficilement que ce qu'on 
appelle l’histoire sociale s'occupe de recherches telles que «Les amours de 
M. J. de Ghistelle et du chevalier Séguier» (I. 1384); «Un amour platonique 
du marquis de Sade» (III. 2990); «Comment un cheval monta aux tours Notre 
Dame en 1803» (III. 8014); «L'ordre de la Boisson» (IV. 3217); «Le 
marquis de Sade était-il fou?« (IV. 3241); «Les coiffures des femmes au 
theatre» (IV. 3242); «Une lionne du second empire» (V. 8178) et bien d'autres 
contributions semblables, en particulier sur le personnage cité plus haut & 
sa doctrine. 


Referate. 663 


Nous ferons naturellement des réserves de même nature à propos 
des rubriques de moinde importance qui se rattachent aux précédentes 
et sont classées avec elle. Tout d'abord, une des subdivisions concerne 
l’Instruction publique. Le mode d'éducation peut avoir ce qu'on appelle 
assez vaguement une portée sociale considérable, mais, outre que ce 
n’est là qu'un simple côté de ce phénomène, une conséquence indirecte, 
il n’en résulte nullement que, par essence, son étude rentre parmi les 
recherches proprement sociales!). Une seconde rubrique, consacrée 
à l’histoire des Sociétés savantes, des Bibliothèques et des Archives, 
pourrait être considérée comme un des éléments de la précédente. 
Néanmoins, son caractère particulier la rend encore moins propre, 
semble-t-il, à être classée dans l'Histoire sociale et même simplement 
dans celle des mœurs: elle ne peut être autre chose que de la bibliographie. 
Viennent ensuite l’Imprimerie et la Librairie. On les avait d’abord 
placées à l'histoire économique et nous croyons qu'il aurait été préférable 
de les y laisser. Nous ne prétendons pas, sans doute, que la découverte 
de l'imprimerie n’a pas exercé indirectement une très grande et très 
profonde influence sur la société et sur la civilisation en général, mais 
cette idée, assez vague, n'a absolument rien & faire en l'espèce. 
L'histoire de l'impression et du livre peut être considérée comme celle 
de tout autre industrie ou commerce et classée, à ce titre, à la partie 
économique ou vraiment sociale du chapitre; ou encore, si on étudie 
simplement la création locale des ateliers d'imprimerie, les livres rares 
imprimés ou vendus, cela devient une partie de l’histoire bibliographique 
ou de l’histoire de l’art: ce second mode de classement paraît être le 
plus simple. Enfin, une dernière subdivision est consacrée 4 l’histoire 
de la presse: il est inutile d’y insister. Si en effet le journal peut être 
un instrument social, il ne l'est pas toujours et forcément: c’est, à 
priori, une affaire commerciale*). A tous ces points de vue, nous 
croyons encore que le rapprochement, le voisinage de l'histoire sociale, 
ne sont nullement l’&quivalence avec elle. 

Ainsi, on aboutit toujours à la même conclusion. Ces systèmes 
de classification sont trop spécieux, surtout trop indéterminés. Ils sont 
le résultat d’une confusion d'idées ou plus simplement de mots, et ne 
tiennent pas suffisamment compte de la nature et de l’objet propre des 
recherches. Ce que les auteurs considèrent comme de l’histoire sociale, 
ce qu'ils appellent en particulier la vie sociale, l'histoire de la société, 
peut, à certains égards, aider à compléter l’histoire réellement sociale, 
peut servir à la comprendre, mais ne la constitue certainement pas. 
DI ne manque pas encore d'institutions comme l'Eglise et l’armée, ou de 
phénomènes comme l'alcoolisme, qui, par plusieurs côtés, ont une im- 
portance réellement sociale, sans que cependant, par leur caractère 
fondamental et par leur développement général, ils rentrent essentielle- 


1) Il semble que la pédagogie se rattache avant tout et en elle-même à 
Ja philosophie. 

2) BUCHER dit: «Ce phénomène . . . en tout premier lieu importe à l'historien 
économiste. Le journal est essentiellement une institution commerciale» 
«Etudes d’hist. et d’écon. politique; trad. HANSAY, p. 188—184; cf. p. 211). 


664 Referate. 


ınent dans la variété de l'histoire à laquelle nous faisons allusion. 
D'ailleurs, les auteurs n'ont, en aucune façon, songé à les insérer dans 
lo chapître en question: puisqu'il en est ainsi, ils n'avaient pas à agir 
autrement pour toutes les autres rubriques. 

En second lieu, à côté de toutes les subdivisions précédentes de 
“ette même partie, qui n’ont pas changé de place, il en existe d'autres, 
on le sait, qui en ont été successivement détachées. (C’est ainsi que 
les trois premières années compreuaient, en töte du chapitre, lex 
ouvrages relatifs aux doctrines; on les a ensuite placés sous le titre 
d'Histoire des sciences économiques à \’ Histoire des sciences. Il n'existait 
suère de raison de séparer ce qui avait été primitivement uni, et le 
plan primitif paraissait préférable ). 

De plus, en même temps que les auteurs déplaçaient l’histoire des 
doctrines, ils créaient, tout à la fin de l'Histoire des Faits, dans la 
xrande division de l'Histoire politique intérieure, une subdivision intitulée 
„Socialisme“. Elle comprend, en général, des ouvrages se rapportant, 
comme époque, à la période qui commence avec la Révolution et, 
comme sujet, aux doctrines?) et aux faits du socialisme), On ya 
insere aussi des travaux relatifs à l'ensemble de l'Histoire du Socialisme. 
C’est évidemment l'importance que celui-ci a pris dans la politique 
contemporaine, qui a amené les auteurs à lui consacrer dans ce chapitre 
une place spéciale. Nous ne nions pas, en effet, sa très grande influence; 
ınais tout d’abord, relativement, il y a peut-être des questions aussi 
vonsidérables et aussi politiques au XIXe siècle, telles que les Affaires 
Religieuses, que les auteurs n’ont pas cru devoir classer dans cette 
division. De plus, au sens absolu, considérer le socialisme au 
seul point de vue politique, c’est l’envisager sous un aspect spécial 
et peut-être un peu discutable. Qu'en fait, il ait pris très souvent 
une telle forme, nous ne le contredirons pas: tout au moins eüt-il 
fallu n'insérer sous cette rubrique que les ouvrages qui l’étudient par 
ce côté. Néanmoins, il n’y a guère de doute qu'il ne soit, en thèse 
senerale, avant tout, un ensemble de doctrines et de faits sociaux. 
Pourquoi, en ce cas, l'avoir séparé des unes et des autres et en 
particulier des recherches sur les écrivains et les philosophes du 
XVIIIe siècle, aux théories desquels il se rattache directement comme 
système, puis, d'autre part, des travaux sur le mouvement économique 
du XIX°, dont le développement a tant aidé au sien propre) et enfin 
des contributions relatives à l’organisation du travail, dont il n’est en 
réalité qu'une des formes 5) ? 

Aussi, si l’on voulait entrer dans les détails, serait-il facile de voir 
1) Son rétablissement dans le t. V. n’est évidemment que momentané 
ıvoy. p. VI.). 

2) IV. 692, 701; V. 590, 592, 596, 597. 

8) IV. 685, 694, 697. 

4) «La révolution sociale [est] fille légitime de la révolution industrielle 
du XIX* siècle et de la révolution humaine du XVIII» (FOURNIER, la Legis- 
lation du travail, Paris, 1904, p. 12). Cf. d’ailleurs, Repertoire IV. 690, 
596; V. 589, 598. 

5) Voy. V. 595. 


Referate. 665 


que la distinction précédente est un peu artificielle, et qu'il existe bien 
des ouvrages qu'on ne paraît pas avoir plus de raisons de classer dans 
une rubrique que dans l'autre. Pour quel motif insérer un travail sur 
les systèmes socialistes !) à la Politique, une recherche sur le Socialisme 
et la question sociale?) aux Doctrines, des travaux sur BLANQUIS) à 
la première subdivision et d’autres sur B. MALON‘) à la seconde, et 
même successivement à l'une et à l’autre, des recherches concernant 
FOURIER 5), LEROUX 6) ou PROUDHON ‘*#)? Pourquoi encore placer au 
Socialisme des comptes-rendus de congrès socialistes °), à l'Economie 
une Histoire des Bourses du travail !°), du mouvement syndical ouvrier !!), 
une statistique des grèves !?), ou enfin, au premier un travail sur GODIN 
et le familistère DE GUISE!#) et à la seconde une recherche sur la 
Verrerie ouvrière d'ALBI'4)? Nous ne prétendons pas que les auteurs 
n’ont pas eu les raisons les plus sérieuses de faire ces classifications, 
mais elles n'apparaissent pas très clairement. En tout cas, si on veut 
bien se rappeler que l'histoire sociale, telle qu’on la comprend 
habituellement est dispersée dans le Répertoire en trois éléments: le 
socialisme, les doctrines et l’organisation du travail, mais que la division 
qui porte réellement ce nom ne comprend que l’histoire de la société, 
on reconnaîtra que les trois premières parties sont plutôt là ou elles ne 
devraient pas se trouver et que, par conséquent, là où l’on serait 
naturellement porté à les rechercher, il n’y a en définitive: rien. 

La double subdivision consacrée aux Finances et à la Justice a 
formé, depuis le t. IV., l'histoire des Institutions, qui constitue une des 
deux parties de la grande division générale du début: l'Histoire poli- 
tique intérieure. Cet élément se trouve assez loin de l'Histoire éco- 
nomique, et évidemment les auteurs ne paraissent plus avoir tenu à 
établir aucnn rapprochement matériel entre les deux rubriques. Sans 
doute ce détachement est très explicable. L’histoire du droit public 
dans son ensemble n’est pas l'histoire économique: on traite tous les 
jours fort convenablement l’une en ignorant l'autre et inversement; 
mais il n’en existe pas moins entre ces deux parties de l’histoire les 
liens les plus étroits et les plus constants. L'administration émane 
naturellement du milieu économique et social et ne cesse d’y fonctionner, 
et cela est si vrai que certaines études sont, pour ainsi dire, d’une 
nature mixte: l'examen de la condition des travailleurs peut être consi- 


1) V. 592 (PARETO). 

2) V. 2608 (NoËL). 

8) IV. 698. 

4) IV. 3579. 

5) IV. 700; V. 2601, 2616. 

6) IV. 684; V. 2611. 

7) IV. 689, 693; V. 2586, 2610. 

8) A la rigueur comparer V. 590 et 2601. 
9) IV. 685. 

10) V. 2752. 

11) Voy. V. 2751, et joindre au tome IV. 2872, 2876 et V. 2744, 2746, 2766, 
12) IV. 2880; V. 2754. 

18) IV. 687. 

14) IV. 2879. 


666 Referate. 


déré comme une étude juridique aussi bien que sociale, et inversement, 
le droit commercial intéresse tout autant économistes que juristes. 
On ne doit donc pas, il est à peine besoin de le dire, être un juriste 
trop abstrait ou une économiste trop ignorant des principes du droit. 
Au contraire, l’histoire politique et celle des institutions semblent être 
deux choses assez distinctes entre lesquelles il n’existe que des rapports 
vagues, tels que ceux qui peuvent se rencontrer entre deux parties 
de l'histoire, ou autrement il n’y a aucune raison de ne pas tout 
ramener à la politique dont l'influence est générale. Et encore, le 
changement précédent n'offre que des inconvénients relatifs pour les 
institutions administratives et judiciaires; mais il en présente de plus 
grands pour l'organisation financière où le point de départ est nette- 
ment économique et, en thèse générale, la science des finances est au 
_premier chef une science d'état, bien que son application gouvernemen- 
tale rentre également dans l’histoire du droit public. En somme, la 
séparation du droit et de l’économie est à la fois explicable et même 
nécessaire quant au fond: mais elle n’aurait pas dû s'éxecuter sous 
sa forme actuelle, car il fallait, au contraire, la réduire au minimum. 

Au reste, comme s'ils l'avaient compris, les auteurs ne l'ont par 
complètement réalisée. Ils ont en effet laissé, dans le chapitre d'histoire 
économique, une subdivision intitulée: , Législation civile et coutumes“. 
Dans l’ensemble, c'est pour l'Ancien Régime ce qu’on peut appeler le 
Droit privé, et depuis la Révolution, le Droit civil. Nous ne nions 
pas, puisque surtout nous venons de l’observer, que les lois et les 
usages, quels qu'ils puissent être, ne constituent en grande partie une 
conséquence directe du milieu économique et social, et qu’on ne saurait 
les comprendre que si on le connaît parfaitement lui même. Mais cette 
idée, pour juste qu'elle soit, ne doit pas être exagérée, sinon on 
tombe de nouveau dans une confusion analogue à celle qui ramène 
l’histoire de la société & l'histoire sociale et celle-ci à l'histoire écono- 
mique: plus précisément on confond les causes et les résultats. Quelle 
que soit, en effet, l’origine du droit privé, il n'en forme pas moins 
une branche de l’histoire parfaitement nette et suffisamment délimitée 
par elle-même, loin qu'il faille la faire fusionner avec d’autres et la 
perdre parmi elles'). Par exemple, un certain nombre d'ouvrages 
classés à la rubrique en question, sont relatifs aux lois et aux cou- 
tumes?): c'est dans son ensemble un sujet trop vaste pour qu'il ne 
touche peut-être pas, par certains côtés, à l’histoire économique, mais 
à priori, par 8a nature générale, il n’y a guère de doute qu'il ne duive 
bien plutôt être inséré au droit, spécialement à l’histoire des sources. 
En particulier, un „Annuaire de Législation“ 3) qui renferme des lois 
sur toutes les institutions, ne peut pas davantage être classé ailleurs. 
Un travail relatif à „une dernière édition des Coutumes de l’Anjou‘*), 


1) Voy. les deux manuels de l'Histoire du Droit privé de VIOLLET et de 
HEUSLER. 
2) IV. 2768-2769, 2775; V. 2620, 2628. 

3) IV. 2781. 

4) IV. 2778. 


Referate. 667 


est aussi du droit absolument pur. Ce caractere est, s’il est possible, 
encore plus sensible dans les recherches sur „les Renonciations au 
M. A.“: c’est de la simple procédure!). De même, tous les travaux 
intéressant la condition des personnes?) autres que les travailleurs, 
dans le droit féodal, ne se rapportent pas non plus à l’Economie: un. 
travail sur „les particularités du droit noble en Lorraine“) ou des 
contributions à l'histoire du mariage‘) ne s’y trouvent pas à leur 
place. Il en est de même pour plusieurs ouvrages relatifs aux 
notaires®). Sans doute, ces derniers s'occupent de la vie économique 
et sociale de leurs clients, mais des recherches sur le notariat sont 
tout autre chose, car ses membres sont avant tout des témoins privi- 
légiés, et même on a pu faire rentrer leur étude dans celle de la 
Diplomatique. Les magistrats également s'occupent de droit privé, 
et cependant il ne viendra à personne l’idée d'insérer les recherches 
qui les concernent à l’économie politique. Bref, parmi les travaux 
précédents, certains sont des études de droit pur et n'ont absolument 
rien à faire ici; d’autres, quoique d’une façon moins tranche, 
intéressent avant tout aussi l'histoire juridique, et ce ne sont, au fond, 
que des sujets un peu spéciaux de droit ou des études de droit faites 
à un point de vue un peu particulier 6). 

Ainsi les auteurs paraissent être tombés successivement dans deux 
excès contraires: en effet, l'économie et le droit ont des liens qu’on 
ne saurait négliger, et néanmoins l’une n'est pas l’autre, sinon il 
n’existerait pas de classification possible. D'autant mieux que le plan 
utilisé aboutit À ce résultat que des travaux relatifs au droit sont 
classés à l’économie, et les recherches sur les finances, science &cono- 
mique, se trouvent au droit. Un ouvrage sur les lois successorales ‘: 
appartient à l’histoire économique, et des études relatives à l’histoire 
de la Bourse®), rentrent dans l'histoire juridique. Plus généralement, 
le droit, parfois considéré comme une abstraction, est mis aux faits: 
les finances, qui sont un objet concret, se trouvent & l’histoire abstraite. 
Nous pensons que le contraire eût été préférable. 

En troisième et dernier lieu, viennent, on le sait, des rubriques qui 
n’ont jamais été classées à l’économie, mais qu’il importe cependant 
d'examiner. Il en existe deux à l’histoire de l’Art: la Numismatique 
et les Arts Industriels. 


1) IV. 2780. 

2) IV. 2770; V. 2619, 2632. 

8) IV. 2778. 

4) V. 2622, 2633, 2639, 2641, 2642. 

5) IV. 2774, 2776, 2777; V. 2618, 2624. 

6) M. ARON l’a parfaitement observé en écrivant: «Parmi les lois qui :- 
rapportent au droit privé, les lois successorales sont à beaucoup près, celles 
dont l'importance est la plus considérable au point de vue économique et 
social. Aussi comprend-on à merveille que les économistes s’en préoccupent 
autant que les juristes» (Etude sur les lois successorales de la Révolution. 
Nouv. Revue Hist. de Droit, 1901, p. 444). 

IV. 2782. 

8) V. 714. 


668 Referate. 


La Numismatique n'est pas, à vrai dire, tout entière à cet endroit, 
et les travaux relatifs à la monnaie en général se trouvent aux 
Finances !). Cette seconde place se comprend fort bien. On peut 
se borner à des recherches théoriques sur la monnaie et sur la valeur, 
sans s'occuper proprement de numismatique. Mais cette étude se 
présente à des points de vue assez divers. Sans parler du côté pro- 
prement économique que nous venons de uommer, le droit de monnaie, 
qui a une importance particulière, intéresse l'histoire du droit; ou ne 
saurait d’ailleurs oublier que la gravure de la monnaie est une question 
uniquement artistique, qu'aux monnaies s'ajoutent les médailles et les 
jetons, d'où le côté juridique et économique est absent, que, dans leurs 
études, les numismates s'occupent assez fréquemment de tous les objets 
renfermant des métaux préccieux ou des pierres rares que contiennent 
les trésors. Nous reconnaissons donc que l'élément artistique n’est 
pas absent de la monnaie, mais il n'y joue qu’un rôle absolument 
secondaire, qui ne suffit, & aucun degré, à classer la numismatique à 
l'histoire de l’art. Il aurait fallu alors n'y mettre que les travaux 
considérant la monnaie uniquement sous cet aspect: c'est ce qui 
n’a eu lieu en aucune façon, La classification précédente ne parait 
donc pas justifiable. Rien ne le montre plus clairement que ce 
fait que, dans le t. V. du Répertoire, où, pour des raisons spé- 
ciales?) et que nous espérons bien n'être que momentanées, l'histoire 
de l’art est absente, il ne se trouve rien de relatif à la numismatique. 
ce qui est une lacune grave et absolument inexplicable, quelles que 
soient les raisons que l'on peut faire valoir en faveur de l'absence 
des autres éléments de cette division. 

Il en est de même pour les arts industriels. Sans doute, le classe- 
ment des travaux qui les concernent à l'histoire de l'Art, se justifie. 
Cependant, dans bien des cas, on ne peut négliger un élément beau- 
coup plus pratique, la fabrication, avec ses diverses conséquences 
économiques et sociales. Une recherche sur les ,marchés passés avec 
un maître brodeur au XVIIe 3.“3) peut intéresser les économistes et 
les juristes, tout autant que l'historien de l'art. Il n’en est pas autre- 
ment de tout ce qui se rapporte aux corporations. Dans ces conditions, 
des renvois à l’histoire économique tout au moins eussent été néces- 
saires, et l'absence, dans le t. V., des travaux concernant les art 
industriels, ne se justifie pas plus que pour la numismatique. 

Le dernier chapître du Répertoire est consacré à l'histoire locale. 
I correspond, à priori, au chapitre de tête concernant l’histoire 
générale. En principe, l'un et l’autre, semble-t-il, ne doivent comprendre 
que des travaux qui ne rentrent dans aucune subdivision particuliére, 
soit parce qu'ils ont réellement une valeur d'ensemble, soit parce 
qu'ils ne portent pas sur un point spécial assez précis. Cependant, 
assez fréquemment, la division d'histoire locale contient des recherches 


1) II. 2563; IV. 2921. 

2) Avant-propos, p. VI. 

8) IV. 4436. Cf. I. 2849, 2861; IV. 4489. D'autres contributions ont 
peut-être également une valeur technique, mais le titre ne permet pas tou- 
jours de le préciser. 


Referate. 669 


locales, économiques ou sociales!), et on le comprend d’autant 
moins qu’inversement le chapitre consacré à l'Economie présente des 
travaux locaux. Il est à peine besoin de dire qu'il aurait été préfé- 
rable de tout classer à cette dernière rubrique. 

La partie du Répertoire dont nous venons de nous occuper paraît 
donc renfermer quelques éléments qui ne semblent pas y être à leur 
place, et elle en contient aussi plusieurs autres qui, classés ailleurs, 
y auraient été insérés beaucoup plus justement. Les auteurs ont sans 
doute bien vu ce qu'était l’histoire économique, mais, à certains égards 
tout au moins, ils l’ont confondue avec l’histoire sociale, et, en consé- 
quence, ils ont donné à cette dernière un sens et une extension qu'elle 
ne comporte certainement pas: non seulement, ils lui ont attribué tout 
ce qui se rapporte en réalité à la civilisation, mais, poussant les 
résultats de leur système jusqu'à l'extrême, ils ont fini par classer 
sous cette rubrique des travaux qui sont, au fond, des recherches de 
pure bibliographie. Ils ont de même séparé ou confondu, sans trop 
de raisons, l’économie et le droit. Ils ont enfin considéré à un point 
de vue trop particulier, et en l'espèce, trop artistique, certaines études 
qui ne se rattachent à l'histoire de l’art que dans des proportions 
tout à fait secondaires ou qui n'ont rien d’exclusif. Bref, quelque 
confusion générale dans les idées et une certaine imprécision dans 
l’ensemble de la classification paraissent faire que ce chapître renferme 
trop de choses, sans cependant qu'il en contienne assez. Or, ce résultat 
est un peu regrettable, parce que la partie de l’histoire à laquelle sc 
rapporte cette division a pris, et est surtout destinée à prendre trop 
d'importance pour qu’on n'ait pas soin d'en écarter ce qu’elle ne 
comporte pas, mais aussi pour qu'on ne néglige pas d'y insérer ce 
qu'elle comprend. 

ll semble cependant que, si l’on peut discuter certains côtés de ce 
que l’on entend par les sciences d'état ou les sciences sociales, l’histoire : 
économique et sociale, sous sa forme la plus simple, peut être définie 
l'histoire du travail et des travailleurs, qu'il s'agisse des doctrines ou 
des faits. Si on veut bien l’admettre, il serait peut-être possible de 
composer de la façon suivante l’ensemble de ce même chapitre, sans 
entrer d’ailleurs dans les détails: 

Histoire économique et sociale de 1500 à 1871: 

1? Généralités. 
2° Histoire des doctrines. 
3° Histoire des faits: A. Histoire économique a) Démographie, 
b) Agriculture, 
c) Industrie, 
d) Commerce, 
a’ Finances 
(Numismatique). 
B. Histoire sociale a) Organisation du travail, 
b) Institutions de charité. 


— — ———— 


1) I. 1783, 1786, 1826, 1831, 1836, 1979; II. 3239, 3272, 8358, 8483, 
8485, 3606, 3620; III. 8944, 8963, 8998, 4042, 4085; IV. 4874, 4881, 4920, 





670 Referate. 


Le chapitre des Institutions ou de l'Histoire du Droit, classé à côté 
du précédent, comprendrait le droit public et le droit privé et celui-ci 
renfermerait le droit civil. Toutes les subdivisions qui suivent l’Histoire 
des Institutions de Charité seraient retirées et pour la plupart insérées 
dans un nouveau chapitre qu'on pourrait intituler Histoire de la 
Civilisation ou de la Société. Enfin, les travaux locaux prendraient 
tous place dans le chapitre de l'Economie. 

Nous n'avons, bien entendu, aucunement la pretention de donne 
ici des idées personnelles, mais nous désirons simplement reproduire 
celles qui nous ont été suggérées par la connaissance de travaux 
bibliographiques généraux :}) ou de revues spécialement consacrées 
à des recherches économiques ou sociales *). 

On peut donc conclure, croyons-nous, que cette division du ARe- 
perloire mérite une double observation, quant au fond et quant à la 
- forme. D'un côté, tout une partie chronologique est négligeable et aurait 
dû être négligée; de l’autre, toute la partie restante aurait dû et pu 
être classée autrement. Mais il n’en demeure pas moins, et nous te- 
nons essentiellement à l'ajouter, que ce dernier élément, qui est le 
résultat de recherches bibliographiques très sérieuses et très étendues, 
ne mérite, tel quel, que des éloges, et rend les plus grands services. 
Les auteurs ont eu en effet le rare courage d'entreprendre, et depuis 
cinq années, de mener à bonne fin ce Répertoire en le développant 
sans cesse. Dans ce but, ils ont su grouper autour d’eux un nombre 
suffisaut de bonnes volontés disséminées un peu partout, et on doit 
leur savoir d'autant plus gré de cet effort persévérant que, non seule- 
ment la concentration des périodiques, dont le dépouillement forme le 
fond de la besogne à accomplir, se fait très mal, mais que par analogie, 
dans un pays où le travail est volontiers individualiste, des organisations 
collectives qui réclament des recherches comme celles dont nous parlons, 
ne doivent certainement pas se constituer aisément. Enfin, outre ces 
qualités absolues, cette Bibliographie a un avantage relatif tout à fait 
rare: elle est la seule*). Aussi, en terminant, ne saurions-nous trop es 
recommander la pratique des diverses rubriques consacrées à l’histoire 
économique et sociale de la France de 1500 à 1871, à tous les érudits 
qui désireraient se rendre compte des travaux parus sur cette partie 
si essentielle des recherches historiques. 


5017, 51 12, 5154, 6155; V. 3351, 3366, 3397, 3503, 3562, 3565, 3591, 3606, 
3608, 3614, 3662, 3675. Et il ne manque pas de travaux bien plus nombreux 
encore qui se rapportent exclusivement à l'histoire du droit public ou privé. 
1) Voy. HarrwiI«, Schema des Realsalalugs der Kgl. Universitätsbibliothek 
zu Halle a. S (Leipzig 1888. Berhefte zum Zentralblatt für Bibliotheks 
wesen. III.) et SrEın, Manu d: Bihliographie générale (1898). 
2) Voy. les revues de CONRAD et de SCHMOLLER ou la Rerue d’ Ecnnomie 
politique et, nous n'avons pas besoin de l’ajouter, la présente publication. 
8) On ne peut que regretter que la Bibliographie annuelle des Sociétés 
savantes, que MM. DE LASTEYRIE et VIDIER ont commencé de faire paraitre 
depuis 1904, fasse, en partie, double emploi avec le Répertoire, d'autant mieux 
qu’à priori, elle est beaucoup moins complète, puisqu'elle ne comprend que 
des revues, et, parmi celles-ci elle ne mentionne que des publications de sociétés. 
GEORGES EsrinaAs. 








Druck von W. Kohlhammer in Stuttgart. 





. In „u _ WW -_ ps cum 


hu... LU US 
3 9015 03478 19